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German Pages 705 [706] Year 2010
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 148
Phillip Hellwege
Allgemeine Geschäftsbedingungen, einseitig gestellte Vertragsbedingungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
Mohr Siebeck
Phillip Hellwege, geboren 1971; Studium der Rechtswissenschaft in Regensburg und Oxford; 2004 Promotion; seit 2003 Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg; 2009 Habilitation; zur Zeit Lehrstuhlvertreter in Marburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-151225-4 ISBN 978-3-16-150254-5 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond-Antiqua gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg im Sommersemester 2009 als Habilitationsschrift vor. Sie wurde im April 2009 eingereicht. Später erschienene Literatur konnte für die Drucklegung nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Zuvörderst gebührt mein herzlicher Dank meinem Habilitationsvater Professor Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann. Er übertrug mir im Jahre 2004 einen Ausschnitt der Kommentierung des AGB-Rechts in dem von ihm redaktionell betreuten Band II des Historisch-kritischen Kommentars zum BGB, gab damit den entscheidenden Anstoß für die Wahl des Themas dieser Schrift, begleitete und förderte ihre Erstellung und gewährte mir die nötigen Freiräume. Durch das Habilitationsverfahren begleiteten mich beratend als weitere Mitglieder des Fachmentorats Frau Professor Dr. Inge Kroppenberg und Professor Dr. Hans Christoph Grigoleit. Beiden danke ich herzlich. Professor Dr. Hans-Jürgen Becker möchte ich meinen Dank dafür aussprechen, daß er die Last des Zweitgutachtens übernahm, obwohl er bereits emeritiert war. Er hatte das Zweitgutachten bereits im Juni fertiggestellt, obwohl ich die Schrift erst Mitte April zur abschließenden Begutachtung eingereicht hatte, um so den Abschluß des Verfahrens noch im Sommersemester 2009 zu ermöglichen. Darüber hinaus hat er mir zahlreiche wertvolle Hinweise gegeben. Von der Regensburger Fakultät gilt mein Dank schließlich Professor Dr. Herbert Roth, in dessen Dekanat die Fertigstellung dieser Habilitation fiel und der die Schlußphase des Verfahrens in seiner Funktion als Dekan geleitet hat. Die Arbeit entstand während meiner Zeit am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Das Institut gewährte mir ideale Arbeitsbedingungen. Insbesondere den Mitarbeitern der Bibliothek schulde ich Dank für ihre Unterstützung. Zudem bin ich dem Institut für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses zum Dank verpflichtet. Den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Instituts, allen voran Dr. Jens Kleinschmidt, danke ich für die immerwährende Diskussionsbereitschaft. Ausschnitte aus dieser Schrift habe ich in den Donnerstagsrunden des Instituts, der sogenannten Aktuellen Stunde, im wissenschaftlichen Konzil des Instituts sowie vor den Mitarbeitern des Instituts für Neuere Privatrechtsgeschichte, Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln vorgestellt. Allen Diskussionsteilnehmern danke ich herzlich. Zudem möchte ich den Mitarbeitern der Zentralbi-
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Vorwort
bliothek Recht der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg für ihre freundliche Unterstützung danken. Mein Dank gilt weiterhin Dr. Walter Doralt, Herrn Eike Hosemann, Dr. Jan Peter Schmidt und Frau Sophie von Weizsäcker für die sorgfältige Lektüre des Textes vor der Drucklegung. Üblicherweise wird in Vorworten nur denen öffentlich gedankt, die die Entstehung einer Schrift unmittelbar begleitet haben. Ich möchte den Anlaß jedoch nutzen, weiter zurückzuschauen. Idealerweise wird bereits in der Schule das Interesse für ein wissenschaftliches Arbeiten geweckt und das dafür unerläßliche Grundhandwerkszeug vermittelt. Selbstverständlich scheint mir dies freilich nicht zu sein. Mir haben meine Lehrer diesen wertvollen Dienst erwiesen. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle meinen langjährigen Lateinund Geschichtslehrer Herrn Studiendirektor Fritz-Andreas Christoph (1939– 2006) nennen, dessen Andenken ich dieses Buch widme. Hamburg, im Oktober 2009
Phillip Hellwege
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1. Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V IX XXI 1
1. Kapitel
Die rechtliche Behandlung allgemeiner Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . § § § § §
2. 3. 4. 5. 6.
Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
21 126 138 191 195
Die Entstehung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . .
201
. . . .
. . . . .
19
2. Kapitel
§ § § § §
7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen 8. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit 11. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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203 273 287 324 331
VIII
Inhaltsübersicht
3. Kapitel
Das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert . . . . § § § § § §
12. 13. 14. 15. 16. 17.
Rechtsnatur und Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
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. . . . . .
339 349 498 527 592 596
§ 18. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
601
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603 669
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 1. Einleitung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Die rechtliche Behandlung allgemeiner Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entstehung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . III. Das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert . . . . . . . . IV. Gang der Darstellung und methodische Vorbemerkungen
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7
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12 15
Die rechtliche Behandlung allgemeiner Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . .
19
1. Kapitel
§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen I. Die in der Pandektenliteratur diskutierten römischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Reglements der Transportanstalten . . . . . . . . . . . . A. Die Haftung der Transportanstalten . . . . . . . . . . . . B. Haftungsausschlußklauseln und Haftungsbegrenzungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Eisenbahnreglements . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch . . . c) Das Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund und das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands . . . . . . . . . .
21 . . .
22 25 25
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27
. . . .
28 29 29 42
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44
X
Inhaltsverzeichnis
III. IV.
V.
VI.
VII.
2. Die Reglements der übrigen Landfrachtführer, Transportanstalten, der Binnen- und der Seeschiffer . Die Aushänge der Gastwirte . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . . . A. Das Versicherungsrecht im 19. Jahrhundert . . . . . . . . B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . C. Rechtsnatur und Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . D. Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Modalitäten des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . 2. Die Praxis im Versicherungswesen . . . . . . . . . . . 3. Die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Veröffentlichung der allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Allgemeine Versicherungsbedingungen als Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Einwilligung des Versicherungsnehmers . . . . . . Allgemeine Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Mietrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bankrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch . . . . A. Handelsgewohnheitsrecht, Handelsbrauch und Handelsübung im HGB – eine nach Wirkung und Voraussetzungen abgestufte Dreiteilung . . . . . . . . . . B. Handelsgewohnheitsrecht und Handelsbrauch im ADHGB – eine nach Wirkung und Voraussetzungen abgestufte Zweiteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Der Handelsbrauch im Sinne des Art. 279 ADHGB . . . D. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen eines Handelsbrauchs im Sinne des Art. 279 ADHGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik . . A. Willenstheorie, Erklärungstheorie und die Beachtlichkeit von Irrtümern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen . . . 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen . 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
46 52 60 60 65 66 68 69 73 76 78 78
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80
. . . . . . .
84 86 88 88 88 90 93
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94
. .
95 97
. .
100 103
. . . . . . .
104 110 110 112 116 116 119
XI
Inhaltsverzeichnis
D. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 122
§ 3. Auslegung
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Der dogmatische Rahmen: Die Vertragsauslegung II. Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen A. Die contra proferentem-Regel . . . . . . . . . B. Die objektive Auslegung . . . . . . . . . . . . C. Die Revisibilität der Auslegung . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Der Anlaß einer Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Reglements der Transportanstalten und die Aushänge der Gastwirte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . A. Die Reglements der Transportanstalten . . . . . . . . . . B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . III. Die Einführung zwingenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . A. Die Reglements der Transportanstalten . . . . . . . . . . B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . C. Die Aushänge der Gastwirte . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . B. Die Reglements der Transportanstalten . . . . . . . . . . C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle . A. Die Reglements der Transportanstalten . . . . . . . . . . B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen . . . . . . . . C. Die Aushänge der Gastwirte . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . VI. Kontrolle durch Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . VII. Formen nichtstaatlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
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141 142 144 146 146 147 153 155 157 157 159 162 163 165 165 171 172 172 172 172 184 185 186 187 187
XII
Inhaltsverzeichnis
§ 5. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit . . .
191
I. Der dogmatische Rahmen: Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit und allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
192 194
§ 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
192
2. Kapitel
Die Entstehung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . § 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen I. Rechtsnatur und Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeine Geschäftsbedingungen und das Wirtschaftsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Vergleich von allgemeiner Geschäftsbedingung und Norm in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . C. Gleichstellung von allgemeiner Geschäftsbedingung und Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Leistung des AGBG-Gesetzgebers . . . . . . . . . . II. Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen . . . B. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen . 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Geschäftsgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbandsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Veröffentlichung allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Wissenmüssen des Vertragspartners . . . . . . . . D. Grundsätzliche Bedenken gegen die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses . . . . . . . . . . . . E. Zurückdrängung der Einwilligung des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Überraschende und unbillige Klauseln . . . . . . . . . . . G. Unklare, unverständliche und zweideutige Klauseln . . . H. Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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239 239
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240 245
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248 254 260 261
XIII
Inhaltsverzeichnis
I. Widerstreitende allgemeine Geschäftsbedingungen . . J. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kodifikationsübergreifenden Kontinuitätslinien . . 2. Konsolidierung und Verfeinerung in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . 3. Auflösung der Einbeziehungsvoraussetzungen seit den 1930er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Bedeutung Ludwig Raisers . . . . . . . . . . . 5. Die Leistung des AGBG-Gesetzgebers . . . . . . .
§ 8. Auslegung I. II. III. IV.
. . . . . . . . .
264 265 265
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269 270 270
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die contra proferentem-Regel Die objektive Auslegung . . . Die Revisibilität der Auslegung Zusammenfassung . . . . . . .
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§ 9. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
287
I. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ansätze einer Neuorientierung . . . . . . . . . . . . A. Max Pappenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hans Carl Nipperdey . . . . . . . . . . . . . . . C. Hans Großmann-Doerth . . . . . . . . . . . . . D. Ludwig Raiser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Hermann Roquette und der Verbraucherschutzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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287 290 295 298 299 301
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305 307 313 322
§ 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit . .
324
I. Die Restgültigkeit des Vertrages . . . . . . . . . . II. Die Restgültigkeit des übrigen Bedingungswerkes III. Die Restgültigkeit der beanstandeten Klausel und die geltungserhaltende Reduktion . . . . . . . IV. Die Lückenfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Anpassung der Vertragspreises . . . . . . . . VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . .
324 327
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328 329 329 330
§ 11. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
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XIV
Inhaltsverzeichnis
3. Kapitel
Das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert . . . . § 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
. . . . . . . . . . . . . . . .
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Deregulierung . . III. Allgemeine Geschäftsbedingungen und die lex mercatoria IV. Allgemeine Geschäftsbedingungen, private Regelsetzung und Entstaatlichung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . .
337 339
. . . . . . . . .
340 343 345
. . .
346
§ 13. Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Geltungsvoraussetzungen im Gemeinschaftsrecht . B. Die Geltungsvoraussetzungen in den nationalen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nationale Rechte mit gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen, die denen des deutschen Rechts entsprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale Rechte ohne gesetzlich normierte Geltungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Geltungsvoraussetzungen in England und Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Geltungsvoraussetzungen in Frankreich . . . c) Die Geltungsvoraussetzungen in Österreich . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nationale Rechte mit gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen, die hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben . . . . . . . . . C. Die Geltungsvoraussetzungen im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten . . . . . . . . . . . . 1. Die Geltungsvoraussetzungen im UN-Kaufrecht . . 2. Die Geltungsvoraussetzungen der Principles of European Contract Law . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Geltungsvoraussetzungen in den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts . . 4. Die Geltungsvoraussetzungen im Avant-projet eines Code Européen des Contrats . . . . . . . . . . . . .
. . . .
349 349
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XV
Inhaltsverzeichnis
5. Die Geltungsvoraussetzungen in den Acquis Principles (Contract I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Geltungsvoraussetzungen im Draft Common Frame of Reference . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen . . . 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärungen bei Vertragsschluß . . . . . . . . . . . b) Erklärungen vor Vertragsschluß . . . . . . . . . . . c) Erklärungen vor und bei Vertragsschluß . . . . . . d) Erklärungen nach Vertragsschluß . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis und Grenzen der Einbeziehung . f) Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vorrang einer Individualabrede . . . . . . . . . . . . h) Bezug zum Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . i) Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes . . . . . . . . j) Möglichkeit zur Kenntnisnahme . . . . . . . . . . . aa) Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme und die Bestimmbarkeit des Vertragsinhaltes . . . . bb) Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme als Zugangsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verzicht auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Verständlichkeit des Inhalts der allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Überraschende, unübliche und unbillige Klauseln . 2. Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärung bei, vor oder nach Vertragsschluß . . . . b) Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorrang einer Individualabrede . . . . . . . . . . . . d) Bezug zum Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . e) Deutlichkeit des ausdrücklichen Hinweises . . . . . f) Möglichkeit zur Kenntnisnahme . . . . . . . . . . . g) Verständlichkeit des Inhalts der allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Überraschende, unübliche und unbillige Klauseln . 2. Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
377
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388 389
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394 394 394 394 395 396 396 396 398 402 403 404 407
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418 419 420
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423 423 423 425 425 426 427 429
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429 429 431
XVI
Inhaltsverzeichnis
C. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen . 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Geschäftsgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Branchenüblichkeit der allgemeinen Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Veröffentlichung allgemeiner Geschäftsbedingungen . 4. Die Wissenmüssenformel . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Figur des erkannten Irrtums . . . . . . . . . . . . E. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen kraft Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im unternehmerischen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . A. Der ausdrückliche Hinweis nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 BGB . . . . . 2. Der Begriff des Hinweises . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Begriff der Ausdrücklichkeit . . . . . . . . . . . . 4. Der Zeitpunkt des ausdrücklichen Hinweises . . . . . B. Der Hinweis durch Aushang nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Hinweis durch Aushang als ausdrücklicher Hinweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unverhältnismäßigen Schwierigkeiten eines sonstigen ausdrücklichen Hinweises . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen an den Aushang . . . . . . . . . . . . . C. § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB als Formvorschrift? . . . . . . . D. Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Auslegung im Lichte der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Autonome Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Zweck der Kenntnisnahmemöglichkeit . . . . . . 4. Die Kenntnisnahmemöglichkeit und das Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Zeitpunkt der Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Verzicht auf die Kenntnisnahmemöglichkeit . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
432 432
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432
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434 435 435 436
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436
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438
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438
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439 439 441 442 446
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451
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451
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451 455 457
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458
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458 460 461
.
462
. . .
467 467 469
XVII
Inhaltsverzeichnis
V.
VI. VII.
VIII.
E. Das Einverständnis des Vertragspartners nach § 305 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einbeziehungsabrede als einzige Einbeziehungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Änderung allgemeiner Geschäftsbedingungen in Dauerschuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Beschränkung des § 305 Abs. 2 BGB auf allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Geltungsvoraussetzungen im unternehmerischen und nichtunternehmerischen Verkehr . . . . . . . . . . . . . . A. Die Auslegungsregel des § 305b BGB . . . . . . . . . . . . B. Die Grenze der Einbeziehung des § 305c Abs. 1 BGB . . . Sonderregeln der Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Stellt der Richtlinienvorschlag Einbeziehungsvoraussetzungen auf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wie regelt Art. 31 Abs. 2 des Richtlinienvorschlages die Einbeziehung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Art. 31 des Richtlinienvorschlags als Vollharmonisierung? D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 14. Auslegung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I. Die contra proferentem-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die contra proferentem-Regel in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die contra proferentem-Regel im Gemeinschaftsrecht 2. Die contra proferentem-Regel in den nationalen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die contra proferentem-Regel in Italien . . . . . . b) Die contra proferentem-Regel in Frankreich . . . c) Die contra proferentem-Regel in Spanien . . . . . d) Die contra proferentem-Regel in England und Schottland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die contra proferentem-Regel im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten . . . . . . . . . . B. Die contra proferentem-Regel im deutschen Recht . . . 1. Drei Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Zweck der contra proferentem-Regel . . . . . . 3. Die Auflösung des Grundsatzes der normativen Auslegung in einzelne Auslegungsregeln . . . . . . .
470 470 474 475 476 476 477 479 486 486 488 490 494 495 498
. .
498
. . . .
498 498
. . . .
. . . .
499 500 502 504
. .
505
. . . .
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506 507 508 509
. .
513
XVIII
Inhaltsverzeichnis
II. Die objektive Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die objektive Auslegung in vergleichender Perspektive B. Die objektive Auslegung im deutschen Recht . . . . . III. Die Revisibilität der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
. . . .
517 519 520 523
. . . . . .
524 525
§ 15. Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
527
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die richterliche Inhaltskontrolle im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die richterliche Inhaltskontrolle in den nationalen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die richterliche Inhaltskontrolle im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten . . . . . . . . . . . . . . II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begründungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz des Gemeinwohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz des Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bindung des einseitigen Normsetzers . . . . . . . . . . . 5. Schutz vor einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit, vor einer einseitigen Ausübung der Vertragsfreiheit oder vor Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz vor unrichtigen Verträgen . . . . . . . . . . . . . 7. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Schutz bei Ungleichgewichtslagen . . . . . . . . . . . . . a) Schutz bei wirtschaftlicher Unterlegenheit des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz bei informationeller Unterlegenheit des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz bei situativer Unterlegenheit des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Korrektur eines Marktversagens bei einer Informationsasymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Trennung individueller und überindividueller Schutzkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Inhaltskontrolle als Individualschutz . . . . . . . . . a) Das Ungleichgewicht als Schutzgrund . . . . . . . . .
530 530 531 537 538 540 540 543 543 544
546 547 549 549 550 553 554 554 563 566 567
XIX
Inhaltsverzeichnis
b) Die Art und Weise des Vertragsschlusses . . . . . . aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . bb) Vorformulierte Vertragsbedingungen . . . . . . cc) Einseitig gestellte Vertragsbedingungen . . . . . dd) Für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . ee) Nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unangemessenheit der Vertragsbedingung . . . d) Die Notwendigkeit eines Korrektivs . . . . . . . . . aa) Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen . bb) Deklaratorische Klauseln . . . . . . . . . . . . . cc) Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Einzelheiten zur individualschützenden Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Inhaltskontrolle als überindividueller Schutz . . . a) Korrektur eines Marktversagens . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle . . . . . . c) Die Unangemessenheit der Vertragsbedingung . . . d) Die Notwendigkeit eines Korrektivs . . . . . . . . . e) Die Einzelheiten zur überindividuell schützenden Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bedeutung der überindividuell schützenden Form der Inhaltskontrolle neben ihrer individualschützenden Ausprägung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung der Trennung individueller und überindividueller Schutzkonzepte für das geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
569 569 570 570
.
571
.
573
. . . . . . .
574 574 575 575 576 577 578
. . . . . .
579 583 583 583 584 584
.
585
.
586
.
586
. .
587 589
§ 16. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit . .
592
§ 17. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
596
§ 18. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
601
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603 669
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABGB abl. Abs. AbzG AC AcP ACQP ADHGB ADSp AG
AGH AH AJCL AllER AllgÖGZ ALR Anm. Anwk AöR ArchBürgR ArchHR ArchPraktRw ArchPreußHWR ArchWHR Art. ASozGS AT Aufl. AWD
anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch ablehnend Absatz Abzahlungsgesetz Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Principles of the Existing EC Contract Law (Acquis Principles) Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Amtsgericht Appellationsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Portugal: Cláusulas contratuais gerais – Decreto-Lei Spanien: Ley sobre Condiciones Generales de la Contratación Appellationsgerichtshof Appellhof American Journal of Comparative Law All England Law Reports Allgemeine österreichische Gerichts-Zeitung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Anmerkung Anwaltkommentar Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Bürgerliches Recht Archiv für das Handelsrecht Archiv für praktische Rechtswissenschaft Archiv für das Preußische Handels- und Wechsel-Recht Archiv für deutsches Wechselrecht und Handelsrecht Artikel Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik Allgemeiner Teil Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
B&C BankA BB Bd.
Barnewall & Cresswell’s King’s Bench Reports Bank-Archiv. Zeitschrift für Bank- und Börsenwesen Der Betriebs-Berater Band
AGB AGBG
XXII BGB
BGB-InfoV BGBl. Bing BOHG BOHGE Bolze BrZ BT-Drs. BullCiv Burr BuschA BW C. CA Camp CassCiv CassCom CassH CB CB (NS) CC
CCons Central-Organ CISG CISG-online CLP CMBC Co CompLYbIntBus ConLR CornellIntLJ CPD CR D D. DB DCFR dems. dens. ders. DGWR
Abkürzungsverzeichnis Bürgerliches Gesetzbuch Slowakei: Občiansky zákonník Tschechien: Občanský zákoník BGB-Informationspflichten-Verordnung Bundesgesetzblatt Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes Bingham’s Common Pleas Reports Bundesoberhandelsgericht des Norddeutschen Bundes Entscheidungen des Bundesoberhandelsgerichts Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen Britische Zone Bundestags-Drucksache Bulletin des arrêts de la Cour de Cassation, chambre civiles, commerciale Burrow’s King’s Bench Reports Archiv für Theorie und Praxis des Allgemeinen Deutschen Handelsund Wechselrechts Burgerlijk Wetboek Codex Iustiniani Cour d’appel Campbell’s Nisi Prius Reports Cour de Cassation, Chambre Civile Cour de Cassation, Chambre Commerciale Cassationshof Common Bench Reports Common Bench Reports, New Series Frankreich: Code civil Italien: Codice civile Spanien: Código civil Frankreich: Code de la consommation Italien: Codice del consumo Central-Organ für das deutsche Handels- und Wechselrecht Convention on Contracts for the International Sale of Goods http://www.cisg-online.ch/index.html Current Legal Problems Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis Company Comparative Law Yearbook of International Business Construction Law Reports Cornell International Law Journal Law Reports, Common Pleas Division Computer und Recht Dunlop’s Session Cases Recueil Dalloz-Sirey Digesten Der Betrieb Draft Common Frame of Reference demselben denselben derselbe Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
dies. DJ DJZ DLR DNotZ DR DresdE DRiZ DRpfl DRw DStR DViertJhS
dieselbe, dieselben Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik Deutsche Juristen-Zeitung Dominion Law Reports Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Recht Dresdener Entwurf Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege Deutsche Rechtswissenschaft Deutsches Steuerrecht Deutsche Vierteljahrs-Schrift
East ecolex Eger
East’s King’s Bench Reports exolex. Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht Eisenbahn- und Verkehrsrechtliche Entscheidungen und Abhandlungen. Zeitschrift für Eisenbahn- und Verkehrsrecht Ellis and Blackburn’s Queen’s Bench Reports European Law Review endgültig European Review of Contract Law European Review of Private Law Espinasses’s Nisi Prius Reports Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Exchequer Reports
El&Bl ELR endg. ERCL ERPL Esp EuGH EuZW EWiR EWS Ex f./ff. Fasc. FG fhi Fn. Frankfurter Rechtssachen FS
folgende Fascicule Festgabe forum historiae iuris. Erste Europäische Internetzeitschrift für Rechtsgeschichte Fußnote Sammlung der Entscheidungen des Oberappellationsgerichts zu Lübeck in Frankfurter Rechtssachen Festschrift
GewO GG GP GPR Gruchot GrünhZ GRUR GRUR Int GS GWB
Gewerbeordnung Grundgesetz Gazette du Palais Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR – Internationaler Teil Gedächtnisschrift Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
H&C h.M. HAG
Hurlston and Coltman’s Exchequer Reports herrschende Meinung Handelsappellationsgericht
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
Hamburgische Rechtssachen HandwStaatsw HansGZ (HBl) / (BBl) HansRGZ HansRZ HarvardLR HBl HG HGB Hk HKK HofG Holdh Holt HRG HwbEuP
Sammlung von Erkenntnissen und Entscheidungsgründen des OberAppellations-Gerichts zu Lübeck in hamburgischen Rechtssachen Handwörterbuch der Staatswissenschaften Hanseatische Gerichtszeitung (Hauptblatt) / (Beiblatt) Hanseatische Rechts- und Gerichts-Zeitschrift Hanseatische Rechts-Zeitschrift Harvard Law Review H. Blackstone’s Common Pleas Report Handelsgericht Handelsgesetzbuch Handkommentar Historisch-kritischer Kommentar Hofgericht Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen Holt’s Nisi Prius Reports Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts
i.S.d. ICLQ IHR Inc IndianaJGLS IPRax IR
im Sinne des, im Sinne der International and Comparative Law Quarterly Internationales Handelsrecht Incorporated Indiana Journal of Global Legal Studies Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Informations rapides
J J. JA JbItalR JbJZivRWiss JBl JCl Civ JCl Com Jh. JhJb
Jurisprudence Judge Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Juristische Blätter Juris-Classeur Civil Juris-Classeur Commercial Jahrhundert Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Journal of Law and Commerce Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
JLC JR Jura JurA JuS JW JZ K&R KB KG KreisG Kritische Ueberschau KSchG
Kommunikation & Recht Law Reports, King’s Bench Kammergericht Kreisgericht Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Konsumentenschutzgesetz Finnland: Kuluttajansuojalaki
Abkürzungsverzeichnis
XXV
Lettland: Paturutdju ties‚bu aizsardz‚bas likums Litauen: Vartotoju teisiu apsaugos istatymas ‘ ‘ ‘ de los Consumidores y Spanien: Ley General para la Defensa Usuarios LG LJ Lloyd’s Rep Ltd Lübecker Rechtssachen LZ
Landgericht Lord Justice Lloyd’s Law Reports Limited Sammlung von Entscheidungen des Oberappellationsgerichts zu Lübeck in Lübecker Rechtssachen Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
M&W m.E. m.w.N. MagHanR MDR MJenaerIWR MK MMR Mor Mur
Meeson and Welsby’s Exchequer Reports meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Magazin für hannoversches Recht Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Jenaer Instituts für Wirtschaftsrecht Münchener Kommentar Multimedia und Recht Morison’s Dictionary of Decisions of the Court of Session Murray’s Jury Court Cases
n.F. NCC NiederG NIPR NJOZ NJW NJW-RR Nr. NZ NZM NZV
neue Folge Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Niedergericht Nederlands Internationaal Privaatrecht Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer Österreichische Notariatszeitung Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
o.D. OAG ÖBA OG OGH OHG ÖJZ OLG OLGR
OTR
ohne Datum Oberappellationsgericht Bank Archiv. Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen Obergericht Oberster Gerichtshof Oberhofgericht Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Civilrechts Obligationenrecht Estland: Võlaõigusseadus Polen: Kodeks zobowiązañ Obertribunal
Pan PECL
Panorama Principles of European Contract Law
OR
XXVI PGB PICC plc PK-BGB PostG PostStruktG
Abkürzungsverzeichnis
Price Prot.
Privatrechtliches Gesetzbuch UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts Public limited company Praxiskommentar Gesetz über das Postwesen Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost principium Preußische Anwalts-Zeitung Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten Preußische Versicherungszeitschrift. Organ für Recht, Verfassung und Verwaltung der Versicherungsgesellschaften Price’s Exchequer Reports Protokolle
QB QBD
Law Reports, Queen’s Bench Law Reports, Queen’s Bench Division
R R (HL) RabelsZ RdRNSt RdW RevCassH RG RGBl. RGRK-BGB
Rettie’s Session Cases House of Lords Cases in Rettie’s Session Cases Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht des Reichsnährstandes Recht der Wirtschaft Revisions- und Cassationshof Reichsgericht Reichsgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts Kommentar zum Handelsgesetzbuch. Herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Archiv für das Civil- und Criminal-Recht der Königlich-Preußischen Rheinprovinzen Richtlinie Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Reichsoberhandelsgericht Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Rechtssache Recht und Handel. Monatsschrift aus der Praxis für Handel, Industrie und Verkehr
pr. PreußAnwZ PreußGS PreußVersZ
RGRK-HGB RGZ RheinA RiL RIW Rn. ROHG ROHGE Rs RuH
S. SächsBGB SC SC (HL) SDHI SeuffA SeuffBl ShCtRep Slg. SLT
Seite Sächsisches BGB Session Cases House of Lords cases in Session Cases Studia et Documenta Historiae et Iuris J.A. Seuffert’s Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten J.A. Seuffert’s Blätter für Rechtsanwendung The Scottish law review and Sheriff Court reports Sammlung Scots Law Times
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
SLT (ShCt) SME Somm Sp. StadtA StadtG StadtKrG Stark StriethorstA
Sheriff Court Reports in Scots Law Times The Laws of Scotland: Stair Memorial Encyclopaedia Sommaires Spalte Stadtamt Stadtgericht Stadt- und Kreisgericht Starkie’s Nisi Prius Reports Archiv für Rechtsfälle, die zur Entscheidung des königlichen OberTribunals gelangt sind
Taunt TGI TranspR
Taunton’s Common Pleas Reports Tribunal de grande instance Transportrecht
UCTA UKlaG ULR UPJIEL UTCCR
Unfair Contract Terms Act Unterlassungsklagengesetz Uniform Law Review University of Pennsylvania Journal of International Economic Law Unfair Terms in Consumer Contracts Regulations
v. VAG VerbrVertragsbdG
versus, vom, von Versicherungsaufsichtsgesetz Gesetz über Vertragsbedingungen in Verbraucherverhältnissen Schweden: Lag om avtalsvillkor i konsumentförhållanden Versicherungsrecht Vertragsgesetz Dänemark: Aftaleloven Finnland: Laki varallisuusoikeudellisista oikeustoimista Schweden: Lag om avtal och andra rättshandlingar på förmögenhetsrättens område vergleiche Verdingungsordnung für Bauleistungen Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz
VersR VertragsG
vgl. VOB VuR VVG WayneLR WLR WM WRP WürttA
The Wayne Law Review Weekly Law Reports Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Württembergisches Archiv für Recht und Rechtsverwaltung mit Einschluß der Administrativ-Justiz
z.B. ZAkDR ZBlHR ZCivCrimR ZCivProz ZDG
zum Beispiel Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für Civil- und Criminalrecht Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß Zeitschrift für deutsche Gesetzgebung und für einheitliches deutsches Recht Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung
ZDR ZEuP ZfRV
XXVIII ZGB
ZGesRpfl ZgStw ZHR ZIP ZKglPrStB ZNR ZRG (RA) ZRG (GA) ZRP ZVerglRWiss ZVersR ZVersRW ZZP
Abkürzungsverzeichnis Zivilgesetzbuch Lettland: Civillikums Litauen: Civilinis Kodeksas Polen: Kodeks cywilny Zeitschrift für Gesetzgebung und Rechtspflege in Preußen Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift des Königlich Preussischen Statistischen Bureaus Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, romanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, germanistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaften Zeitschrift für Versicherungsrecht Zeitschrift für Versicherungs-Recht und Wissenschaft Zeitschrift für Deutschen Zivilprozeß
§ 1. Einleitung Im 19. Jh. wurden AGB zu einem Massenphänomen. Doch habe man sie zunächst nicht als einheitliches Phänomen begriffen1: »Wenn wir auch heute bei all diesen Reglements etc. [gemeint sind die AGB im Buchhandel, Versicherungs- und Transportwesen] eine verbindende rechtliche Problematik erkennen, so handelte es sich jedoch aus dem Blickwinkel des 19. Jahrhunderts um sehr spezialisierte Erscheinungsformen des Handelsrechts, denen man eine über den jeweiligen Bereich hinausgehende Bedeutung noch keinesfalls zuzusprechen bereit war.«
Auch habe jegliches Bewußtsein für die Probleme gefehlt, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben2. Es sei ein langer Weg gewesen, bis diese Probleme erkannt und gelöst wurden. Den Anfang habe das Reichsoberhandelsgericht gemacht, als es unklare AVB gegen den Verwender auslegte3. Den nächsten Schritt habe das Reichsgericht getan, als es vor der Jahrhundertwende eine offene richterliche Inhaltskontrolle für möglich erachtete und zu Beginn des 20. Jh. mit der Monopolrechtsprechung etablierte4. Die Literatur habe ebenfalls spät reagiert. Erst 1935 habe Raiser die erste große Monographie5 zum AGB-Recht vorgelegt. Unter ihrem Einfluß seien immer differenziertere Instrumente zur Bändigung der AGB entwickelt worden6. Dennoch habe sich der Gesetzgeber genötigt gesehen, 1976 das AGB-Gesetz einzuführen, das in den §§ 305 ff. BGB fortlebt. Die Entwicklung bis zum AGB-Gesetz habe mithin immer effektivere Schutzmechanismen zugunsten des Vertragspartners des Verwenders hervorgebracht: So zeichnet die moderne Literatur die Entwicklung des AGB-Rechts nach7. Das AGB-Recht ist danach eine Errungenschaft des 20. Jh. Ziel der hier vorgelegten Studie ist es, dieses Bild der Geschichte des AGB-Rechts auf den Prüfstand zu stellen und zu1
Pohlhausen (1978), S. 8. Vec, AGB, in: HRG (2. Aufl. 2004), Sp. 145. 3 Neugebauer (1990), S. 159. 4 HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 9. 5 Ludwig Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935. 6 Larenz, AT (7. Aufl. 1989), S. 61. 7 Neben den vorstehend Genannten vgl. Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 15 ff.; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 9; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 10; Staudinger/Schlosser (2006), Vor § 305 Rn. 1 ff.; Staudinger/Coester (2006), Vor § 307 Rn. 2 ff.; Ranieri (3. Aufl. 2009), S. 325 f.; Friedrichs (2003), S. 1 ff.; Entwurf (1975), S. 19 ff.; Vorschläge (1974), S. 14 ff.; Hart (1974), S. 1 ff. 2
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§ 1. Einleitung
gleich die sich aus dieser historischen Analyse ergebenden Folgen für unser Verständnis des geltenden Rechts und dessen Fortentwicklung aufzuzeigen. Verstehen wir den AGB-Begriff mit § 305 Abs. 1 BGB weit, so ist auch das Formularwesen erfaßt. Daß ein Formularwesen bereits in der Antike entwikkelt war, ist bekannt8. AGB wurden im 19. Jh. also allenfalls zu einem Massenphänomen. Sie entstanden nicht erst im 19. Jh. und sind auch kein Kind der industriellen Revolution9. Die rechtshistorische Forschung hat sich mit dem Formularwesen der Antike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit ausgiebig beschäftigt. Doch fehlen Untersuchungen, welche die Quellen unter spezifisch AGB-rechtlichen Fragestellungen durchleuchten. War man sich der Probleme der heute sogenannten Einbeziehungskontrolle bewußt? Gestalteten die Verwender ihre Vertragsformulare schon damals einseitig zu ihrem Vorteil aus? Wie reagierten Theorie und Praxis? Man darf es nicht als unhistorisch abtun, mit solchen vermeintlich modernen Fragestellungen an historische Quellen heranzutreten: So weist Frier darauf hin, daß es schon zu Zeiten des römischen Rechts in Mietverträgen standardisierte Klauseln gab, die den Vermieter einseitig begünstigten10. Im Mittelalter wählten deutsche Pilger für Fahrten ins Heilige Land den Seeweg bevorzugt ab Venedig11: Hier konnten sie zeitweise nur zwischen zwei Schiffsunternehmern wählen. Laut Pappenheim und Wohlhaupter wurden für den Vertragsschluß standardisierte Klauseln benutzt. Diese hätten den Schiffer einseitig bevorzugt. Zudem habe das Problem bestanden, daß die Schiffer selbst die übernommen Pflichten nur unzureichend erfüllten. In den Mittelmeerstädten habe man zum Schutze der Pilger ganz unterschiedlich reagiert. Das venezianische Seerecht von 1255 habe etwa zwingende Bestimmungen zum Vertragsinhalt enthalten12. Nach Pappenheim hat der Genueser Gesetzgeber im 15. Jh. zum Schutze der Seeleute für Heuerverträge zwingendes Recht erlassen13, und die Vermutung liegt nahe, daß der Gesetzgeber damit auf eine unbillige AGB-Praxis reagierte. Im Seeversicherungswesen waren seit seinem Aufkommen Formulare, seit dem 16. Jh. in gedruckter Form, üblich14. Schon bald begünstigten sie die Versicherer einseitig. Die Versicherungsnehmer unterschrieben sie ungelesen und waren, kam es zum Streit, über ihren Inhalt überrascht. Der französische Gesetzgeber reagierte auf diese Praxis im 8 Statt aller Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I (1988), S. 557 ff., 575; Jakab, ZRG (RA) 123 (2006), 71 ff. 9 So etwa Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), Vor § 305 Rn. 1. 10 Frier (1980), S. 63. 11 Pappenheim (1903), S. 145 ff.; ders., ZRG (GA) 51 (1931), 179 Fn. 1; Wohlhaupter, Historisches Jahrbuch 57 (1937), 339 ff. Vgl. zudem Prausnitz (1937), S. 17; Röhricht/Meisner (1880), S. 12 Fn. 2, 15; Behrend, FS Leidinger (1930), S. 5. 12 Abgedruckt bei Pardessus V (1839), S. 20 ff. 13 Pappenheim (1903), S. 178 weist auf ein Gesetz aus dem Jahre 1441 hin. 14 Vgl. hierzu unten § 2 IV D 2 (S. 73).
§ 1. Einleitung
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18. Jh. Nach einem Reglement von 1757 sollten nur noch handgeschriebene Klauseln in Versicherungsverträgen gültig sein15. Die juristische Literatur nahm, in Deutschland zumindest seit dem 18. Jh., von den zahlreichen Formularverträgen Kenntnis16. Neben den Formularverträgen gab es schon in der Antike zudem andere Formen von AGB. So berichtete der frühklassische Jurist Labeo, der während der Kaiserzeit des Augustus wirkte, über einen Fall, in dem ein Speichervermieter Haftungsausschlußklauseln vor seinem Speicher ausgehängt hatte17. Ein Blick in die juristische Literatur erweist, daß ausgehängte Haftungsausschlußklauseln auch in Gast- und Stallwirtschaften sowie im Transportwesen zumindest seit dem 17. Jh. und auch über Deutschland hinaus üblich waren18. Daß es in der Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit schon vor dem 19. Jh. AGB gab, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn mit den bereits genannten Transportunternehmern, Versicherern, Vermietern sowie Gast- und Stallwirten gab es schon zu diesen Zeiten Marktanbieter immer gleich bleibender Leistungen, die auch nur unter immer gleich bleibenden Bedingungen zu kontrahieren bereit waren und dafür, freilich aus ganz unterschiedlichen Gründen, AGB aufstellten. So wollten die Gast- und Stallwirte sowie die Transportunternehmer in erster Linie einer besonders strengen Haftung entgehen19. Und auch die Tatsache, daß die damaligen Juristen schon ein Bewußtsein für die besonderen Probleme der AGB-Praxis entwickelt hatten, sollte uns nicht überraschen. Denn liegt es nicht nahe, daß der Vertragspartner sich darauf beruft, er habe einen Formularvertrag nicht richtig gelesen oder eine Klausel, auf die sich der Verwender beruft, sei unbillig? Mit diesen Problemen müssen sich daher auch Juristen schon immer beschäftigt haben. Es wäre also ein durchaus lohnenswertes Unterfangen zu untersuchen, wie Theorie und Praxis seit der Antike mit AGB umgegangen sind. Um sich ein aussagekräfti15 Aus der zeitgenössischen Literatur hierzu Pothier (1810), § 103; Émérigon/Boulay-Paty I (neue Aufl. 1827), S. 34; Valin/Becane (neue Aufl. 1829), S. 486 f. 16 Claproth I (4. Aufl. 1797), S. 526 ff., ders. II (4. Aufl. 1798), S. 589 ff., 599 ff., 612 ff., 628 f., 648 ff., 687 ff., 800 f., 820 ff., 937 ff., 1014 ff., 1062 ff., 1092 ff., führt zahlreiche Muster etwa für Schiffsversicherungs-, Darlehens-, Leih-, Pfand-, Kauf-, Verwahrungs-, Gesellschafts-, Pacht- und Frachtverträge ab, Estor (1758), § 4624 (S. 712), für Frachtverträge. 17 Labeo D. 19,2,60,6. Siehe hierzu noch unten § 2 I (S. 24). 18 Der erste englische Fall aus dem Landtransportrecht, in dem der Unternehmer seine Haftung durch ein Zeitungsinserat und verteilte Handzettel auszuschließen versuchte, ist Gibbon v. Payton (1769) 4 Burr 2298; vgl. Fletcher (1932), S. 189. Freilich hatte schon Lord Holt die Möglichkeit aufgezeigt, daß die Transportperson ihre Haftung durch Vereinbarung ausschließen könne; vgl. Plucknett (4. Aufl. 1948), S. 450. In Schottland finden sich die ersten Fälle zu Aushängen eines Stallwirtes am Ende des 17. Jh.: Birnie v. Holyroodhouse (1680) Mor 10079 (»printed placard«); Maxwell v. Todrige (1684) Mor 10079 (»by a placard, or printed program, she had intimated the conditions on which she took them [Pferde] in«]; Bankton (1751) I,380,4 (»however, if there is a placard fixed on the door of a stable, or inclosure, declaring the stabler not liable for hazards, the persons interested are presumed to consent to the terms of it«). 19 Siehe hierzu ausführlich unten § 2 II A und B (S. 25 ff.).
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ges Bild von der rechtlichen Behandlung von AGB verschaffen zu können, hätten freilich die verschiedenen Kontexte, in denen AGB auftraten, also etwa das Versicherungs-, Transport- und Gastwirtswesen, aus AGB-rechtlicher Perspektive aufgearbeitet werden müssen. Das für einen Zeitraum von zweitausend Jahren zu leisten, schien mir im Rahmen der hier vorgelegten Studie nicht machbar zu sein. Der Untersuchungszeitraum mußte also eingegrenzt werden.
I. Die rechtliche Behandlung allgemeiner Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert Ziel dieser Arbeit ist, das Bild, nach dem das AGB-Recht eine Errungenschaft des 20. Jh. ist, auf den Prüfstand zu stellen. Es lag daher nahe, einen Schritt zurückzugehen und im ersten Kapitel das 19. Jh. als Ausgangspunkt dieser Studie zu wählen. Freilich konnte die Beschränkung auf das 19. Jh. nicht immer konsequent durchgehalten werden. Quellen aus der Zeit vor dem 19. Jh. wurden berücksichtigt, soweit auch die Literatur und Rechtsprechung des 19. Jh. auf sie zurückgegriffen haben und somit das Recht des 19. Jh. nur vor dem Hintergrund früherer Zeiten verständlich ist. Zwischen dem im 19. Jh. und dem heute geltenden AGB-Recht werden sich überraschende Übereinstimmungen ergeben. So galten damals schon die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB, der Vorrang von Individualabreden nach § 305b BGB, die Auslegungsregel des § 305c Abs. 2 BGB und die Rechtsfolgenanordnung des § 306 BGB. Eine offene richterliche Inhaltskontrolle war dagegen noch nicht voll entwickelt. Zwar nahmen einzelne Gerichte eine solche Kontrolle vor. Doch blieb sie die Ausnahme. Viele Gerichte versuchten aber, durch eine verdeckte Inhaltskontrolle, etwa im Wege der Auslegung, den AGB die als unbillig erachtete Spitze zu nehmen. Die Literatur stand einer verdeckten Inhaltskontrolle skeptisch gegenüber. Sie verlangte, daß zum Schutz des Vertragspartners zwingendes Recht eingeführt werde. Die Gesetzgebung kam diesem Verlangen zum Teil nach. Schließlich konnte die Verwaltung in Teilbereichen AGB auf ihre Billigkeit hin kontrollieren, die Verwendung unbilliger AGB untersagen oder selbst AGB erlassen und den Verwender zur Kontrahierung unter Einbeziehung keiner anderen als dieser AGB verpflichten. Doch werden wir selbstverständlich auch Unterschiede zwischen dem AGB-Recht damals und heute feststellen: Das geltende Recht kennt in den §§ 305 ff. BGB für AGB besondere Einbeziehungsvoraussetzungen, eine besondere Auslegungsregel, eine besondere Inhaltskontrolle und eine besondere Rechtsfolgenanordnung. Die §§ 305 ff. BGB modifizieren und ergänzen so nach herrschender Ansicht die allgemeine Rechtsgeschäftslehre. Solche beson-
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deren Regeln waren im 19. Jh. weitgehend unbekannt. Nur vereinzelt erließen die Gesetzgeber als Reaktion auf Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergaben, besondere Normen. Grundsätzlich gab es jedoch keinen Kanon spezieller Regeln für AGB. Es ist daher auch nicht möglich, von einem Recht der AGB in diesem Sinn zu sprechen. Vorzugswürdig, aber allzu umständlich wäre es, den Begriff des AGB-Rechts für das 19. Jh. zu vermeiden und an dessen Stelle von der rechtlichen Behandlung von AGB zu reden. Im 19. Jh. kann der Begriff des AGB-Rechts allenfalls als Zusammenfassung der allgemeinen Regeln in ihrer spezifischen Anwendung auf AGB gebraucht werden, und so soll dieser Begriff auch im ersten Kapitel dieser Studie verwendet werden. Jedoch wirkte sich dieser Unterschied, daß im 19. Jh. nur die allgemeinen Regeln auf AGB Anwendung fanden, nicht unmittelbar aus. Denn was heute nur noch im Besonderen für AGB zu gelten scheint, vermochte man im 19. Jh. aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten. Trotz dieses und einiger weiterer Unterschiede zwischen dem AGB-Recht damals und heute wird am Ende des ersten Kapitels die These stehen, daß die Wurzeln des modernen AGB-Rechts weiter zurückreichen als heute gemeinhin angenommen. Sie liegen zumindest im 19. Jh. Das Zumindest deutet an, daß diese These den zeitlichen Horizont nur erweitern, nicht aber gleich wieder verengen soll. Die Wurzeln liegen eben vor dem 20. Jh. Wegen der zeitlichen Beschränkung des ersten Kapitels können hier nur verläßliche Aussagen über das 19. Jh. getroffen werden. Die Beantwortung der Frage, ob die Wurzeln vielleicht noch weiter zurückreichen, muß anderen Arbeiten und Autoren überlassen werden. Die im ersten Kapitel gewonnenen Erkenntnisse fügen sich in die Ergebnisse neuester rechtshistorischer Forschung ein. Unser überkommenes Verständnis, das moderne AGB-Recht sei eine Errungenschaft des 20. Jh., ist Teil einer größeren Linienziehung20: Die Verfasser des BGB seien vom Liberalismus geprägt gewesen. Entsprechend liege dem BGB die Erwartung zugrunde, daß »zwischen den formal gleichberechtigten Individuen jeder seine berechtigten Interessen zur Geltung und durch freies Aushandeln mit anderen zum gerechten Ausgleich bringen«21 wird22: »Die Erkenntnis, daß ungleiche Machtverhältnisse die einseitige Interessenwahrnehmung begünstigen und das Aushandeln gerechter Vertragsbedingungen behinderten, war wenig ausgeprägt und wurde durch die Vorstellung verdrängt, daß vorübergehende einseitige Vorteile unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs abgebaut würden und sich im Wettbewerb zumindest langfristig ein Ausgleich einstellen würde. Auch wurden die sozialen Verhältnisse zu wenig bedacht und nicht zur Kenntnis genommen, 20
Vgl. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 2 Rn. 37 ff., 41 ff. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 2 Rn. 37. Vgl. ähnlich z.B. MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 4; Staudinger/Schlosser (2006), Vor § 305 Rn. 2. 22 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 2 Rn. 40. 21
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daß der freie Wettbewerb die Lage der wirtschaftlich schwachen Bevölkerungskreise nicht ohne weiteres verbessern konnte.«
Erst seit Beginn des 20. Jh., insbesondere infolge des Ersten Weltkrieges, sei es zu einer allmählichen Materialisierung des Vertragsrechts gekommen23: »Unter Führung des Reichsgerichts hat die Rechtsprechung, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, im letzten halben Jahrhundert die formale Freiheitsethik, die der deutschen Privatrechtsordnung zugrunde lag, in eine materiale Ethik sozialer Verantwortung zurückverwandelt; zurückverwandelt, weil sie damit, meist unbewußt, zu den ethischen Grundlagen des älteren europäischen Gemein- und Naturrechts zurückkehrte.«
Ja, dieser Prozeß der Materialisierung des Vertragsrechts wird von vielen als prägend für die Entwicklung im 20. Jh. angesehen24: »Denn wenn man fragt, in welche Richtung sich das BGB und insbesondere sein Vertragsrecht im Laufe dieses Jahrhunderts entwickelt hat, würden die meisten Juristen wohl antworten: Weg von einer sehr formalen Grundkonzeption und hin zu einem stärker material geprägten Verständnis der Rechtsinstitute und zumal des Vertrages.«
Dieses Bild wurde jüngst aus verschiedenen Blickwinkeln korrigiert25. So wies Hofer nach, daß die Vertragsfreiheit im 19. Jh. keinesfalls unbeschränkt galt26: »Mit der Vorstellung von einer Gestaltung des Privatrechts auf der Grundlage individueller Freiheit ergab sich Ende des 18. Jahrhunderts die Frage nach Inhalt und Bedeutung eines Prinzips ›Vertragsfreiheit‹. Nachdem diese Frage zunächst nur indirekt erörtert wurde, begann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine offene Diskussion. Dabei wurde nie ernsthaft die Vorstellung von prinzipiell unbeschränkter Freiheit vertreten. Ebenso wenig war man zu irgendeiner Zeit ›blind‹ gegenüber sozialen Voraussetzungen der Vertragsfreiheit. Die Gefahren ungleicher Verhandlungsstärke wurden schon im Vernunftrecht gesehen, das sich ganz auf die Grenzen der Vertragsfreiheit konzentriert hatte.«
Mit Blick auf die guten Sitten und die bona fides stellt Haferkamp fest, daß ihre Bedeutung als Korrekturmaßstäbe im 19. Jh. sehr viel größer gewesen sei, als bisher angenommen werde und als zur traditionellen Linienführung passe27. Für die Entwicklung des Arbeitsrechts klärt Brand auf, daß für die Formulierung der zahlreichen Schutzbestimmungen der Gewerbeordnungen des 19. Jh. auf ältere, oftmals fast wortgleiche Bestimmungen des Zunftrechts zurückgegriffen wurde28. Repgen untersucht in seiner Studie zur Entstehungs23
Wieacker, Sozialmodell (1953/1974), S. 24. Canaris, AcP 200 (2000), 276. 25 Vgl. zum folgenden auch Zimmermann, (2005) 58 CLP 415 ff.; Thiessen, in: JbJZivRWiss 2003 (2004), S. 29 ff. 26 HKK-BGB/Hofer (2007), Vor § 241 Rn. 53. Siehe umfassend dies. (2001), passim. 27 HKK-BGB/Haferkamp (2003), § 138 Rn. 5 ff. und (2007), § 242 Rn. 21 ff. 28 Brand, in: Wolf (1995), S. 149 ff.; ders., in: Dölemeyer/Mohnhaupt (1995), 453 ff. 24
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geschichte des BGB, welche Vorstellungen von der sozialen Aufgabe des Privatrechts den Diskussionen sowie Vorarbeiten zugrundelagen und damit auch dem BGB selbst zugrundeliegen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber auf die sozialen Belange seiner Zeit in sehr viel größerem Umfang Rücksicht zu nehmen versuchte, als gemeinhin angenommen wird29. Falk, Haferkamp und Henkel haben unser überkommenes Bild von Windscheid und Puchta korrigiert30. Und Rückert wies schließlich darauf hin, daß »das BGB […] auch im Dienstvertragsrecht und sonst nicht diskriminiert [hat]; es hat einzelne gesellschaftliche Klassen nicht verschieden behandelt, gerade weil es dem Ideal gleicher rechtlicher Freiheit treu blieb. Seine tragenden Kräfte haben zu diesem Problem ganz loyal und bewußt auf eine Arbeitsteilung gesetzt, nämlich auf eine Zusammenarbeit mit helfendem und schützendem Spezialrecht, wie sie damals aktiv sozialreformerisch in Gang war […]. Das Sozialideal des BGB war nicht der isolierte Besitzbürger, sondern die Gesellschaft der rechtlich gleichen Freien. Es ist unhistorisch, unfair und ungerecht, seine bewußte Arbeitsteilung mit dem Spezialprivatrecht und dem entsprechenden öffentlichen Recht zu übergehen.«31
II. Die Entstehung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 20. Jahrhundert Daß die Wurzeln des modernen AGB-Rechts zumindest im 19. Jh. liegen, kann am Ende des ersten Kapitels nicht als Ergebnis, sondern nur als These formuliert werden. Denn bloße Übereinstimmung beweisen noch keine Kontinuitäten. Für ihren Nachweis müssen die Entwicklungen im 20. Jh. beleuchtet werden. Dies soll im zweiten Kapitel geschehen. Ein Ergebnis dieser Betrachtungen wird sein, daß zu Beginn des 20. Jh. ganz offen auf Literatur und Rechtsprechung aus der Zeit vor 1900 zurückgegriffen wurde. Die These, mit der das erste Kapitel schließt, bestätigt sich so. Für die rechtliche Behandlung der AGB offenbaren sich mithin kodifikationsübergreifende Kontinuitäten. Auch dies steht im Einklang mit den Erkenntnissen der neueren rechtshistorischen Forschung. Das gängige Vorurteil, das Inkrafttreten des BGB habe zu einer Zäsur in der Privatrechtswissenschaft geführt, ist jüngst auf breiter Basis relativiert worden32. Doch wirft dieses erste Ergebnis des zweiten Kapitels sogleich neue Fragen auf: Wenn man im 19. Jh. das, was heute in den §§ 305 ff. BGB nur noch für AGB gilt, aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten ver-
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Repgen (2001), passim. Falk (1989), passim; Haferkamp (2004), passim; Henkel (2004), passim. 31 Rückert, JZ 2003, 751. Vgl. auch HKK-BGB/Rückert (2003), Vor § 1 Rn. 93 ff.; Repgen (2001), passim, jeweils mit weiteren Nachweisen aus der modernen Literatur. 32 Vgl. die Beiträge in Falk/Mohnhaupt (2000). 30
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mochte, wie sind dann kodifikationsübergreifende Kontinuitätslinien möglich? Hat sich nicht die Rechtsgeschäftslehre durch das Inkrafttreten des BGB in wesentlichen Punkten geändert? Damit muß es doch zu einem Bruch in der Entwicklung gekommen sein. Wird nicht die unbestrittene Bedeutung Raisers für die Entwicklung des AGB-Rechts im 20. Jh. marginalisiert? Denn welche Rolle sollte er schon gespielt haben, wenn im 19. und zu Beginn des 20. Jh. bereits alles entwickelt war? Deutet nicht die Tatsache, daß in den 1970er Jahren das AGBG als notwendig erachtet wurde, um die damals unbestreitbar bestehenden Probleme zu lösen, darauf hin, daß die These, im 19. und zu Beginn des 20. Jh. bestanden gar keine Probleme, falsch sein muß? Oder sind diese Probleme erst im Laufe des 20. Jh. entstanden? Werden weiterhin nicht die Leistungen des AGBG-Gesetzgebers in Frage gestellt? Bei Beantwortung dieser Fragen muß differenziert werden: Die Frage nach der Rechtsnatur und dem Geltungsgrund von AGB wurde zu Beginn des 20. Jh. ebenso eindeutig beantwortet wie im 19. Jh. Einbezogene AGB sind Vertragsabreden, die nur deshalb Wirkung entfalten, weil sich die Parteien auf ihre Einbeziehung geeinigt haben. Immer neue Impulse, die etwa vom Wirtschaftsverwaltungsrecht, Arbeitsrecht, von der Rechtssoziologie und der Rechtstatsachenforschung ausgingen, führten dazu, daß der normative Charakter der AGB mehr und mehr in den Vordergrund rückte. Seit Ende der 1930er Jahre ging man davon aus, daß es sich bei AGB um Normen handelte und erst Ende der 40er Jahre vertraten einige Obergerichte für nur kurze Zeit eine einigungsunabhängige Geltung von AGB. Das, was wir heute als Normentheorie bezeichnen, ist mithin noch relativ jung. Die Betonung des normativen Charakters der AGB blieb also auch für die weitere Entwicklung der Geltungsvoraussetzungen nicht folgenlos. Zu Beginn des 20. Jh. knüpfte man offen an die im 19. Jh. herausgearbeiteten Einbeziehungsvoraussetzungen an. Allerdings hatte sich mit Einführung des BGB die Rechtsgeschäftslehre als dogmatischer Rahmen der Einbeziehungsproblematik verändert, und eine Rückkoppelung mit diesem veränderten Bezugspunkt unterblieb. Die Berufung der Rechtsprechung auf den sich herausschälenden Grundsatz der normativen Auslegung wirkte auf der einen Seite allzu formelhaft. In der Literatur tauchten deshalb schon früh Forderungen auf, die Einbeziehung von AGB ganz aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herauszulösen und als Sonderproblem anzuerkennen. Auf der anderen Seite wirkte der Grundsatz der normativen Auslegung aber auch befruchtend und führte zu einer Verfeinerung und Konsolidierung der Einbeziehungsvoraussetzungen. Raiser unternahm nun nach Inkrafttreten des BGB erstmalig den Versuch, alle anerkannten Einbeziehungsvoraussetzungen schlüssig aus den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre herzuleiten, ohne sich dabei, wie es andere vor ihm getan hatten, auf bestimmte AGB, z.B. die der Banken, zu beschränken. Zugleich finden sich aber schon bei Raiser Anzeichen einer ver-
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stärkt objektiven Geltung von AGB: Im 19. und zu Beginn des 20. Jh. waren die Fälle, in denen AGB zum Vertragsinhalt wurden, obwohl sich keine der Parteien ausdrücklich zur Einbeziehung erklärt hatte, eine seltene Ausnahme. Diese Fälle traten nun ins Zentrum des Interesses, bereitete es doch Schwierigkeiten zu erklären, warum AGB in diesen Fällen überhaupt zur Anwendung kommen. Raiser griff auf eine normativ verstandene Verkehrssitte zurück. Andere bemühten Figuren wie das sozialtypische Verhalten, das faktische Vertragsverhältnis, die fahrlässige Willenserklärung, eine Obliegenheit oder Pflicht des Vertragspartners zum Widerspruch gegen die Einbeziehung. So kam es zu einer Ausdehnung dieser Fälle. Dies stieß auf Widerspruch. Zudem befriedigten diese Erklärungsansätze nicht. Konnten sich doch all diese Figuren auch in der Rechtsgeschäftslehre nicht etablieren. So paradox dies klingen mag, es waren die Auswirkungen der vielzitierten Krise der Rechtsgeschäftslehre, die dazu führten, daß der AGBG-Gesetzgeber behaupten konnte, AGB gelten oft, ohne daß von einer rechtsgeschäftlichen Einigung über ihre Geltung gesprochen werden könne. Der Gesetzgeber löste also keine AGB-spezifischen Probleme, sondern reagierte auf Fehlentwicklungen in der Rechtsgeschäftslehre, die seit den 1930er Jahren eingetreten waren, und zwar reagierte er beschränkt auf AGB, weil diese Fehlentwicklungen hier evident unsachgerechte Ergebnisse erzeugten. Daß AGB bei Unklarheiten gegen ihren Verwender ausgelegt werden, wurde auch nach Inkrafttreten des BGB niemals ernsthaft in Frage gestellt, obwohl die contra proferentem-Regel als allgemeine Auslegungsregel nach damals vorherrschender Ansicht nicht mit dem zu Beginn des 20. Jh. herausgebildeten Grundsatz der normativen Auslegung in Einklang gebracht werden kann. Das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu diesem Auslegungsgrundsatz wurde niemals abschließend geklärt. Der AGBG-Gesetzgeber beschränkte sich darauf, die unstreitige contra proferentem-Regel gesetzlich zu verankern. Den Streit um ihr Verhältnis zum Grundsatz der normativen Auslegung löste der Gesetzgeber dagegen nicht. Daß bei AGB der typische Sinn zu ermitteln ist, begegnete zwar schon im 19. Jh. Doch wandelte sich diese Auslegungsregel im 20. Jh. Im 19. Jh. kam es auf den typischen Sinn nicht an, wenn ein gemeinsamer Wille der Kontrahenten ermittelt werden konnte. Im 20. Jh. kristallisierte sich heraus, daß es auf den individuellen Parteiwillen überhaupt nicht ankommt, es sei denn, die Parteien haben eine vom typischen Sinn der AGB abweichende Individualvereinbarung getroffen: Die Auslegung von AGB ist objektiv. Zudem wird die Auslegung von AGB seit Beginn des 20. Jh. anders als die Auslegung von Individualvereinbarungen immer als revisibel erachtet. Beides, die objektive Auslegung und ihre uneingeschränkte Revisibilität, wurde vor allem mit dem normativen Charakter der AGB begründet. Der AGBG-Gesetzgeber normierte diese Besonderheiten bei der Auslegung von AGB nicht.
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Die Diskussion um die Inhaltskontrolle verlief seit Beginn des 20. Jh. äußerst dynamisch, und die Vorschläge auf diesem Gebiet waren vielfältig. Auch hier werden uns deutliche Kontinuitätslinien zum 19. Jh. entgegentreten, knüpften doch Literatur und Rechtsprechung an die im 19. Jh. entwickelten Ansätze unmittelbar an. Seit den 1920er Jahren glaubte man unter Einfluß der Erfahrungen mit Tarifverträgen, daß sich Vertreter der sich typischerweise gegenüberstehenden Interessengruppen auf AGB eines bestimmten Inhalts einigen sollten. So könne ein Ausgleich der gegenläufigen Interessen gefunden und ein billiger Inhalt der AGB gewährleistet werden. Diese AGB könnten sodann für allgemein verbindlich erklärt werden. Einen weiteren Impuls erhielt die Debatte durch das nach Ende des Ersten Weltkrieges entstandene moderne Wirtschaftsverwaltungsrecht. Insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus glaubte man, die Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben, durch wirtschaftsverwaltungsrechtliche Maßnahmen lösen zu können. Daß jedoch die offene richterliche Inhaltskontrolle wieder in den Vordergrund trat, verdanken wir Raiser, der sie auf einen neuen Grund zu stellen vermochte. Man hatte bereits Ende des 19. Jh. erkannt, daß die Einführung zwingenden Rechts durch den Gesetzgeber nur punktuell Abhilfe schaffen konnte. Auch eine Kontrolle durch die Verwaltung war nur punktuell möglich. Sie blieb, sieht man von der Zeit des Nationalsozialismus ab, auf bestimmte Branchen, so die Versicherungswirtschaft, beschränkt. Um die richterliche Inhaltskontrolle aus den Grenzen der Monopolrechtsprechung zu lösen, griff Raiser auf den Gemeinwohlgedanken zurück: Unbillige Individualvereinbarungen berührten das Gemeinwohl nicht. Durch unbillige AGB werde es dagegen betroffen. Denn AGB sei die Gemeinschaft und nicht nur ein einzelnes Glied der Gemeinschaft ausgesetzt. Deshalb sei eine Inhaltskontrolle von AGB in weiterem Umfang möglich als die Inhaltskontrolle von Individualverträgen. Damit war zwar die Grundlage einer über die Kontrollmaßstäbe der Rechtsgeschäftslehre hinausgehenden, aber auf AGB beschränkten offenen richterlichen Inhaltskontrolle gelegt. Doch stellten nicht alle Autoren gleichermaßen mit dem Gemeinwohl ein überindividuelles Schutzgut ins Zentrum ihrer Argumentation. Viele glaubten vielmehr, die Inhaltskontrolle sei individualschützend. Doch wer den Individualschutz betonte, hätte eigentlich die Beschränkung der Inhaltskontrolle auf AGB kritisch hinterfragen müssen. Denn aus dem Blickwinkel des Schutzes des einzelnen Vertragspartners, muß es unerheblich sein, ob identische Vertragsbedingungen auch anderen Vertragsverhältnissen zugrundegelegt werden. Daß die Folgen der verschiedenen zur Diskussion stehenden Schutzgründe für den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nicht herausgearbeitet worden sind, stellt ein Defizit der Debatte dar, die zum AGBG hinführte. Bei den Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit kam es ebenfalls zu einer unmittelbaren Anknüpfung an den Rechtszustand vor Inkrafttreten des BGB. Die Regel des heutigen § 306 BGB weicht damit zwar
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vom Wortlaut des § 139 BGB ab, entspricht aber weitgehend der bereits zuvor geübten Praxis. War also die Entwicklung der sogenannten Einbeziehungskontrolle im 20. Jh. ausgesprochen verworren und gab es auf dem Gebiet der Auslegung von AGB sowie bei den Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit kaum Fortschritte, so ist unser Bild von der Geschichte der Inhaltskontrolle zumindest insoweit richtig, als die Entwicklung, die im AGB-Gesetz mündete, in der Tat stetig effektivere Schutzmechanismen hervorbrachte. Nur reichen auch hier die Wurzeln zumindest bis ins 19. Jh. zurück. Die Diskussionen um die Inhaltskontrolle führten zudem zu einem Wechsel des Schwerpunkts der Debatte: Noch bei Raiser stand die dogmatisch besonders problematische Einbeziehungsfrage im Mittelpunkt. Ihr räumte Raiser den Großteil seines Werkes ein. Seit den 1930er und dann vor allem den 50er Jahren traten die vertragsrechtstheoretisch besonders reizvollen Fragen nach den Grundlagen der Inhaltskontrolle, ihrer Legitimation, ihren Voraussetzungen, Grenzen und Formen in den Vordergrund. Raisers Bedeutung wird damit auch nach dem hier gezeichneten Bild der Geschichte des AGB-Rechts nicht in Frage gestellt, sondern nur in ein neues Licht gerückt. Er hat das AGB-Recht nicht »entdeckt«. Er hat vor allem der Inhaltskontrolle wichtige Impulse gegeben. Er hat den Prozeß der Konsolidierung und Verfeinerung der Einbeziehungsvoraussetzungen abgeschlossen. Er hat die Einbeziehungsvoraussetzungen wieder in den Rahmen der Rechtsgeschäftslehre zurückgeführt und dadurch einerseits eine Entwicklung vollendet, andererseits der Diskussion neue Anstöße gegeben. Er hat die verschiedenen Fäden der AGB-rechtlichen Diskussion – bis dahin blieben Monographien zumeist auf einzelne Erscheinungsformen der AGB beschränkt – zusammengezogen. Und Raiser verhalf der Betrachtung zum Durchbruch, daß das AGB-Recht nicht eine handelsrechtliche, sondern eine allgemeine zivilrechtliche Materie ist. Doch wie kommt es, daß wir die Kontinuitätslinien zum 19. Jh. heute nicht mehr erkennen, daß wir glauben, das AGB-Recht sei eine Errungenschaft des 20. Jh., und daß wir auch Raisers Beitrag zur Entwicklung des AGB-Rechts falsch bewerten? Raiser selbst darf kein Vorwurf gemacht werden. Sein Buch war nicht als rechtshistorische Studie gedacht. Er wollte das geltende Recht erfassen. Daß es historische Vorläufer gab, erwähnt er kaum, er leugnet sie aber auch nicht, und sie waren für seine Arbeit im übrigen unbedeutend. Es ist sogar eine Stärke seines Buchs, daß Raiser, wohl in Kenntnis dieser historischen Wurzeln und der verwickelten Einzeldebatten, einen Schnitt machte und einen Neuanfang wagte. Nur so war es ihm möglich, das AGB-Recht so ausgesprochen klar darzustellen. Unser fehlerhaftes Bild von der Geschichte des AGB-Rechts ist, dies legt zumindest das hier ausgewertete Material nahe, eine Spätwirkung der Zeit des Nationalsozialismus. Für die Juristen dieser Zeit war das 19. Jh. negative Folie, vor der die »Errungen-
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§ 1. Einleitung
schaften« des Nationalsozialismus im Recht um so glanzvoller scheinen sollten. Die schon lange gehegten Vorurteile gegen das vom Liberalismus geprägte Recht des 19. Jh. wurden übersteigert. Dementsprechend wurde behauptet, das 19. Jh. habe den AGB nichts entgegenzusetzen gehabt. Nach der Zeit des Nationalsozialismus lebte dieses Zerrbild, wenn auch in abgeschwächter Form, fort. Wollten wir die Gesamtentwicklungen des 20. Jh. beschreiben, so wohl am ehesten als Entstehungsprozeß des AGB-Rechts im heutigen Sinne. Im 19. und zu Beginn des 20. Jh. ging es um die Frage, wie AGB unter Anwendung allgemeiner Regeln rechtlich zu behandeln sind. Mit Inkrafttreten des AGBG hatte sich ein Kanon besonderer Regeln herauskristallisiert, der speziell für AGB galt, ein »materielles ›Sonderrecht‹ für AGB«33. Der AGB-Begriff war zum Systembegriff geworden, der den Anwendungsbereich dieses Sonderrechts bestimmt.
III. Das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert Die kaum mehr zu überblickende moderne Literatur beleuchtet das geltende AGB-Recht aus dogmatischer, europäischer, vergleichender, vertragsrechtstheoretischer oder ökonomischer Perspektive. Diese Literatur soll in dieser Studie um einen historischen Blickwinkel ergänzt werden. Denn rechtshistorische Forschung kann unser Verständnis vom geltenden Recht befördern und Anregungen für dessen Fortentwicklung liefern34, und auch die in den ersten beiden Kapiteln angestellten historischen Betrachtungen fordern dazu auf, mit Folgefragen an das geltende Recht heranzutreten. Es geht im dritten Kapitel also nicht um eine Aufarbeitung des gesamten geltenden AGB-Rechts. Es wird nur insoweit thematisiert, als die gesammelten historischen Erfahrungen zur Lösung oder Aufdeckung von Problemen des geltenden Rechts etwas beitragen können. Diese Beschränkung bedingt, daß zu zahlreichen aktuellen Fragen nicht Stellung bezogen werden kann. So setzte sich das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion erst nach Inkrafttreten des AGBG in Theorie und Praxis durch und folglich fördern die historischen Erkenntnisse dieser Arbeit nicht unser Verständnis dieses Verbots35. Auch das Transparenzgebot 33
MK-BGB/Gerlach (1. Aufl. 1978), Vor § 13 Rn. 5. HKK-BGB/Zimmermann (2003), Vor § 1 Rn. 38; Jansen, ZNR 27 (2005), 202 ff. 35 Hierzu etwa Hager, JZ 1996, 175 ff.; Roth (1994), S. 24; ders., JZ 1989, 411 ff.; v. Mettenheim, FS Piper (1996), S. 937 ff.; Canaris, FS Steindorff (1990), S. 547 ff.; ders., NJW 1988, 1243 ff.; Boemke-Albrecht (1988); Schmidt (1986), S. 107 ff.; Neumann (1983); Hager (1983), insbesondere S. 63 ff.; Lindacher, BB 1983, 154 ff.; Johannson, BB 1981, 732 ff.; Ulmer, NJW 1981, 2025 ff.; Kötz, NJW 1979, 785 ff. 34
III. Das geltende Recht der Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung
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als vermeintliches Grundprinzip des AGB-Rechts ist jüngeren Datums und kann daher nicht umfassend dargestellt werden36. Schließlich wurde das Problem kollidierender AGB, soweit ersichtlich, erst seit den 1920er Jahren erörtert, so daß auch dieser Debatte aus historischer Perspektive nichts hinzugefügt werden kann. Die Fragen, mit denen wir an das geltende Recht treten, werden also dem methodischen Ansatz dieser Studie entsprechend aus historischer Sicht entwickelt. Sie werden sodann aber auch aus einem rechtsvergleichenden Blickwinkel bestätigt. Diese methodische Erweiterung ist wegen der europarechtlichen Vorgaben geboten. Dennoch handelt es sich bei der hier vorgelegten Arbeit nicht um eine historisch-vergleichende Studie. Die vergleichende Perspektive tritt erst bei Erörterung des geltenden Rechts hinzu. In der historischen Ebene bleibt diese Arbeit auf das deutsche Recht beschränkt. Bei Beantwortung der aufgeworfenen Fragen bleiben freilich auch die Erkenntnisse vertragstheoretischer und ökonomischer Analysen des AGB-Rechts nicht unberücksichtigt, ohne daß die hier vorgelegte Studie jedoch den Anspruch erheben will, selbst eine vertragstheoretische oder ökonomische Methode zu wählen. Da die Ergebnisse der ersten beiden Kapitel für den Geltungsgrund und die Rechtsnatur, die »Einbeziehungskontrolle«, die Auslegung, die Inhaltskontrolle sowie die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit unterschiedlich ausfallen, sind auch die Fragen, mit denen wir an das geltende Recht treten, für diese Problemkreise jeweils verschieden: Die sogenannte Normentheorie zur Erklärung der Rechtsnatur von AGB und ihres Geltungsgrundes war in Deutschland eine zu vernachlässigende Episode, die einen gesetzgeberischen Eingriff nicht erforderlich gemacht hätte. Ein rechtsvergleichender Überblick bestätigt diesen Eindruck: Zwar wurde auch in anderen Rechtsordnungen auf die Vergleichbarkeit von AGB und Normen hingewiesen. Doch wird nirgends ernsthaft in Frage gestellt, daß AGB ihre Wirkung nur entfalten, soweit sich die Parteien über ihre Geltung geeinigt haben, und daß es sich bei einbezogenen AGB ihrer Rechtsnatur nach um Vertragsabreden handelt. Die Erkenntnis, daß die Einbeziehungsvoraussetzungen der § 305 ff. BGB bereits im 19. sowie zu Beginn des 20 Jh. galten, daß man sie aus der Rechtsgeschäftslehre herzuleiten vermochte und daß der Gesetzgeber mit den Einbeziehungsvoraussetzungen des AGBG auf Fehlentwicklungen der Rechtsgeschäftslehre seit den 1930er Jahren reagierte, wirft die Frage auf, ob es heute wieder möglich ist, die gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären. Auch aus vergleichender Perspektive stellt sich diese Frage: Zwar gibt es noch andere Rechte, die ähnlich wie das deutsche Recht die Einbeziehungsvoraussetzun36
Siehe aber unten § 13 IV D 4 (S. 462 ff.), § 15 II B 1 e cc (S. 580 f.).
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§ 1. Einleitung
gen von AGB gesetzlich normieren. Doch verzichten etwa das französische und englische Recht auf solche gesetzlichen Regelungen und kommen bei der Frage der Einbeziehung zu keinen anderen Ergebnissen. Die in §§ 305 ff. BGB normierten Einbeziehungsvoraussetzungen gelten vielmehr auch hier wie selbstverständlich. Die aufgeworfene Frage wird eine positive Antwort finden. Es ist bis auf wenige Ausnahmen möglich, die gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten. De lege ferenda stellt das die Notwendigkeit ihrer gesetzlichen Normierung in Frage. Doch ist die Erörterung dieser Frage auch für unser Verständnis der lex lata von Nutzen, nämlich zum einen für die Fälle des § 310 Abs. 1 S. 1 BGB, in denen § 305 Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung kommt. Zum anderen wird es möglich sein, die §§ 305 ff. BGB vor diesem Hintergrund neu auszulegen. In Hinblick auf die contra proferentem-Regel stellt sich die Aufgabe, ihr Verhältnis zum Grundsatz der normativen Auslegung zu klären. Ergebnis wird sein, daß die contra proferentem-Regel Bestandteil dieses Grundsatzes ist. Die beiden anderen Besonderheiten bei der Auslegung von AGB, die objektive Auslegung und ihre uneingeschränkte Revisibilität, halten einer kritischen Würdigung nicht stand: Diese Besonderheiten konnten sich nur herausbilden, weil zu Beginn des 20. Jh. der normative Charakter der AGB in Literatur und Rechtsprechung betont wurde. Sie finden zudem keine Entsprechung im Rechtsvergleich. Hier wird sich ebenso wie bei der Einbeziehungsproblematik offenbaren, daß die Fehlentwicklungen, denen das AGB-Recht im Verlauf des 20. Jh. ausgesetzt war, noch heute unser Verständnis prägen. Und hier wie dort wird es darum gehen, diese Einflüsse herauszuarbeiten, um sie so überwinden zu können. An der Notwendigkeit einer besonderen Inhaltskontrolle bestehen keine Zweifel. Hier werfen die rechtshistorischen Erkenntnisse jedoch die Frage nach dem Anwendungsbereich der offenen richterlichen Inhaltskontrolle auf. Das Defizit der Debatte, die zum AGBG führte, gilt es aufzuarbeiten. Welches ist der Schutzgrund der Inhaltskontrolle? Und welche Schlüsse sind aus dem Schutzgrund für den Anwendungsbereich zu ziehen? Wir werden sehen, daß die Inhaltskontrolle des geltenden deutschen Rechts nicht auf einen Schutzgrund zurückgeführt werden kann. Vielmehr gibt es eine individualschützende und eine überindividuell schützende Ausprägung der offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Diese Differenzierung ermöglicht es, die zahlreichen, bisher nur unbefriedigend erklärbaren Details des geltenden Rechts abzusichern. Zudem kann der hier entwickelte Ansatz als Auslegungshintergrund der §§ 305 ff. BGB dienen, und er deckt Probleme der lex lata auf: Entgegen § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB muß es für die individualschützende Inhaltskontrolle entscheidend darauf ankommen, daß die Vertragsbedingungen einseitig gestellt wurden. Diese Form der Inhaltskontrolle ist nicht zugunsten von Unternehmern als Vertragspartner anwendbar. Vertragsbedingungen in Verträgen zwischen Unternehmern können nur auf Grundlage der überindividuell
IV. Gang der Darstellung und methodische Vorbemerkungen
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schützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle unwirksam sein. Bei dieser Ausprägung der Inhaltskontrolle kommt es entgegen § 305 Abs. 1 BGB für die Bestimmung ihres Kontrollgegenstandes nicht darauf an, ob Vertragsbedingungen vorformuliert und einseitig gestellt sind. Entscheidend ist vielmehr allein ihre Mehrfachverwendung. Provokant formuliert lautet das Ergebnis dieses dritten Kapitels, daß die Existenz eines AGB-Rechts de lege ferenda nicht zu rechtfertigen ist. Die Einbeziehungsvoraussetzungen und die contra proferentem-Regel können aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abgeleitet werden. Die übrigen Besonderheiten bei der Auslegung von AGB können nicht aufrechterhalten werden. Die Inhaltskontrolle darf nicht auf AGB beschränkt bleiben, sondern muß in ihrer individualschützenden Ausprägung auf alle einseitig gestellten, in ihrer überindividuell schützenden Form auf alle mehrfach verwendeten Vertragsbedingungen erstreckt werden. Entstand im Deutschland des 20. Jh. das AGB-Recht, so wird es sich im 21. Jh. auflösen. Die Überwindung des AGB-Begriffs als Systembegriff des BGB deutet sich bereits in § 310 Abs. 3 BGB an.
IV. Gang der Darstellung und methodische Vorbemerkungen Eine Arbeit, die sich ihrem Untersuchungsgegenstand historisch und vergleichend nähert, kann entweder nach Zeitperioden, nach Sachfragen oder nach Rechtsordnungen gegliedert werden. Sie auf der ersten Gliederungsebene nach den untersuchten Rechtsordnungen zu strukturieren, schied aus, weil der Untersuchungsgegenstand nur auf der Ebene des geltenden Rechts vergleichend betrachtet wurde. Damit blieben die Optionen, sie nach Zeitebenen oder nach Sachfragen – Einbeziehung, Auslegung, Inhaltskontrolle und Rechtsfolgen – zu gliedern. Mit beiden Darstellungsweisen treten bestimmte Zusammenhänge besonders deutlich zutage. Andere treten dagegen in den Hintergrund und müssen im Text betont und durch Querverweise hergestellt werden. Ich habe mich schließlich für eine Gliederung nach Zeitebenen entschieden, freilich in dem Wissen, daß einige Leser eine Darstellung nach Sachfragen bevorzugt hätten. Mir war es jedoch wichtig, das bisher nicht umfassend dargestellte AGB-Recht im 19. Jh. geschlossen zu behandeln. Dies geschieht im ersten Kapitel. Die Entwicklung des AGB-Rechts im 20. Jh., die ihren Abschluß im AGBG von 1976 fand, soll sodann im zweiten Kapitel nachgezeichnet werden. Im dritten Kapitel soll schließlich das geltende Recht vergleichend beleuchtet und zugleich die Frage nach dessen Fortentwicklung gestellt werden. Zwischen dem ersten und zweiten Kapitel kommt es dabei zu einem Perspektivenwechsel: Moderne Darstellungen zum AGB-Recht des 19. Jh. fehlen. Eine Ausnahme bildet zwar die Arbeit von Pohlhausen37. Doch bleibt sie
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§ 1. Einleitung
sachlich auf die Eisenbahnreglements und zeitlich auf die 40er, 50er und frühen 60er Jahre beschränkt. Auf eine geschlossene, zeitgenössische Behandlung des Themas konnte ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. AGB wurden allein in den unterschiedlichen Kontexten, in denen sie auftraten, sowie in den verschiedenen dogmatischen Zusammenhängen, in denen sie Probleme bereiteten, diskutiert. Diese Kontexte und Zusammenhänge waren für das erste Kapitel zu untersuchen. Dabei sollen drei Kontexte im Mittelpunkt stehen: die AGB der Transportanstalten, insbesondere der Eisenbahnen, die AGB der Gastwirte und die der Versicherungen. Die Auswahl gerade dieser Kontexte hatte mehrere Gründe. (1) AGB waren hier während des gesamten 19. Jh. verbreitet: Die Gastwirte und Transportanstalten waren der verschuldensunabhängigen receptum-Haftung ausgesetzt, und sie versuchten dieser Haftung durch ausgehängte Haftungsausschlußklauseln oder entsprechende Klauseln in Frachtbriefen zu entgehen. Das Versicherungsrecht wurde im 19. Jh. als junges Fach wahrgenommen. Das galt zwar war auch für das Eisenbahnrecht. Doch machten die Juristen des 19. Jh. hier ein Phänomen des modernen Verkehrs durch Analogien zum römischen Recht beherrschbar. Sie ordneten den Vertrag zwischen den Eisenbahnen und ihren Kunden als locatio conductio operis ein und wendeten die Grundsätze der receptum-Haftung auf die Eisenbahnen an. Im Versicherungsrecht war ein Rückgriff auf das römische Recht nach Ansicht der Juristen des 19. Jh. dagegen nicht möglich. Auch fehlten weitgehend gesetzliche Regelungen. So bildeten Literatur und Rechtsprechung langsam Grundsätze zum Versicherungsrecht heraus. Deshalb verwendeten die Versicherer AVB, um die Lücken des zunächst nur grobmaschig vorhandenen Dispositivrechts zu schließen. (2) Die Gastwirtshaftung wurde in den Lehrbüchern des Pandektenrechts und die Haftung der Transportanstalten trotz ihrer römisch-rechtlichen Grundlagen in der handelsrechtlichen Literatur behandelt. Das Versicherungsrecht wurde zwar auch in der Literatur zum Handelsrecht erörtert. Doch fehlten hier römisch-rechtliche Einflüsse. Die exemplarische Auswahl dieser drei Bereiche stellt damit sicher, daß ein breites Meinungsspektrum erfaßt wird. (3) Schließlich war der Inhalt der AGB der Transportanstalten, der Gastwirte und der Versicherungen aus Sicht der Vertragspartner oft unbillig. Sie forderten daher Stellungnahmen in der Literatur geradezu heraus und mußten Rechtsprechung generieren. Die in diesen drei Bereichen gewonnenen Erkenntnisse sollen freilich in weiteren Kontexten knapp verifiziert werden. Wegen dieses breiten Ansatzes war es nur möglich, veröffentlichte Materialien auszuwerten. Archivmaterialien hätten nur bei einer Beschränkung auf einen dieser Kontexte berücksichtigt werden können. Doch ergab eine Gesamtschau der verschiedenen Kontexte und Zusammenhänge sowie der Literatur und der veröffentlichten Rechtspre37 Robert Pohlhausen, Zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert, 1978.
IV. Gang der Darstellung und methodische Vorbemerkungen
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chung ein in sich so schlüssiges Bild, daß es vertretbar schien, eine Absicherung der hier gewonnen Ergebnisse durch Archivmaterialien späteren Arbeiten zu überlassen. Im zweiten und dritten Kapitel kommt es sodann zu einem Perspektivenwechsel, denn im Verlauf des 20. Jh. bildete sich eine Literatur heraus, die sich speziell den AGB widmete, und zugleich kristallisierte sich das AGB-Recht im heutigen Sinne heraus. Folglich stehen nicht mehr die verschiedenen Kontexte, mit denen wir uns für das 19. Jh. auseinandersetzen mußten, im Mittelpunkt unseres Interesses, sondern die spezielle Literatur zu den AGB und das entstehende AGB-Recht selbst.
1. Kapitel
Die rechtliche Behandlung allgemeiner Geschäftsbedingungen im 19. Jahrhundert
§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen Gemäß § 305 Abs. 2 BGB muß der Vertragspartner mit der Geltung von AGB einverstanden sein. Allgemeine Einbeziehungsvoraussetzung ist also eine Geltungsabrede. Der Gesetzgeber wollte die Geltung von AGB so auf ein rechtsgeschäftliches Fundament stellen. Als Alternative zu dieser einigungsabhängigen Geltung von AGB besteht die Möglichkeit, AGB ohne eine solche Abrede zur Anwendung kommen zu lassen, nämlich schon immer dann, wenn der Verwender AGB zur Regelung einer Vielzahl gleicher Tatbestände aufgestellt und veröffentlicht hat. Dieser Gegensatz zwischen einigungsabhängiger und einigungsunabhängiger Geltung von AGB betrifft ihren Geltungsgrund. Ist die Geltung von AGB von einer Einigung abhängig, dann ist Geltungsgrund eben der gemeinsame Wille der Parteien. Gelten AGB dagegen einigungsunabhängig, so ist Geltungsgrund die Autonomie des Verwenders, AGB durch ihre einseitige Aufstellung und Veröffentlichung verbindlich zu machen. In modernen Darstellungen wird dieser Gegensatz zwischen einigungsabhängiger und einigungsunabhängiger Geltung von AGB mit dem Gegensatz zwischen Vertragstheorie und Normentheorie gleichgestellt. Dieses Begriffspaar beschreibt jedoch zunächst nur die Rechtsnatur von AGB. Die Verknüpfung zwischen Rechtsnatur und Geltungsgrund stellt sich in der Literatur wie folgt dar: Nach der Vertragstheorie handelt es sich bei AGB um Vertragsabreden, so daß AGB ihre Wirkung nur entfalten, wenn und weil sich die Parteien über ihre Einbeziehung einig sind. Nach der Normentheorie sind AGB dagegen vom Verwender einseitig gesetztes Recht. Daraus soll folgen, daß AGB unabhängig vom Willen des Vertragspartners zur Anwendung kommen, eine Einigung über ihre Geltung mithin nicht erforderlich ist. Neben der Geltungsabrede enthält insbesondere § 305 Abs. 2 BGB weitere Einbeziehungsvoraussetzungen. Gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB muß ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB erfolgen. Ist ein solcher nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich, so genügt ein Hinweis durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses. Gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB muß dem Vertragspartner weiterhin die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB verschafft werden. Von diesen Voraussetzungen gelten nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB Ausnahmen, so etwa für AGB, die einem Unternehmer gestellt werden. Insofern kann man die Voraussetzungen des
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
§ 305 Abs. 2 BGB als besondere Einbeziehungsvoraussetzungen bezeichnen. Sie gelten anders als die allgemeine Einbeziehungsvoraussetzung der Geltungsabrede nicht ausnahmslos. Die Nichtanwendbarkeit der besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen in den Fällen des § 310 Abs. 1 S. 1 BGB soll dazu führen, daß AGB auch dann zur Geltung kommen können, wenn der Vertragspartner wissen mußte, daß der Verwender seine Geschäfte unter Einbeziehung seiner AGB abzuschließen pflegt, obwohl ein Hinweis auf sie fehlte. Der AGBG-Gesetzgeber wollte durch die Einführung der besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB solche Ergebnisse für Nichtunternehmer vermeiden. Damit sind die Einzelfragen, mit denen wir an das 19. Jh. herantreten wollen, angesprochen: Wie wurden AGB rechtlich qualifiziert, als vertragliche Abreden oder als Normen? Was war der Geltungsgrund von AGB? Und welches waren im einzelnen die Geltungsvoraussetzungen?
I. Die in der Pandektenliteratur diskutierten römischen Quellen Den Vertragsparteien war vorbehalten, vom dispositiven Recht durch Vertragsabreden abzuweichen und z.B. privatautonom zu regeln, was der Schuldner zu vertreten hat1. Solche Vereinbarungen wurden als Nebenabreden bzw. Nebenverträge qualifiziert2. Die römischen Quellen, die in diesem Zusammenhang zitiert wurden, betreffen fast ausschließlich den Fall einer ausdrücklichen und individuellen Vertragsabrede3. Drei Stellen behandeln jedoch Fallsituationen, die wir heute dem Recht der AGB zuordnen würden, und diese Stellen haben, wie wir sehen werden, die Debatte um Geltungsgrund und -voraussetzungen von AGB im 19. Jh. maßgeblich geprägt. Ulpian D. 4,9,7 pr. betrifft die Haftung des Schiffers für eingebrachte Sachen4. Diese Haftung konnte der Schiffer ausschließen5: »item si praedixerit, ut unusquisque vectorum res suas servet neque damnum se praestaturum, et consenserint vectores praedictioni, non convenitur.«
»Ebenso kann er nicht belangt werden, wenn er angekündigt hat, jeder Passagier habe auf seine Sachen zu achten und für Schaden werde er nicht aufkommen, und die Passagiere der Ankündigung zugestimmt haben.«
1 Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 353 (S. 298 ff.), § 405 (S. 399 ff.), § 410 (S. 410). Vgl. außerdem Brinz IV (2. Aufl. 1892), § 548 (S. 188); Unterholzner I (1840), Rn. 42 f. (S. 86 ff.); Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 97 (S. 285 f.). 2 Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 353 (S. 299), § 405 (S. 399), § 410 (S. 410). Vgl. auch Windscheid/Kipp II (9. Aufl. 1906), § 323 (S. 341); Baron (8. Aufl. 1893), § 290 (S. 522); Unterholzner I (1840), Rn. 42 f. (S. 86 ff.); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 58 (S. 89). Zum Begriff des Nebenvertrages Hasenöhrl I (2. Aufl. 1892), § 25 (S. 346). 3 Vgl. z.B. Ulpian D. 13,6,5,2; Ulpian D. 16,3,1,6 und 35; Ulpian D. 50,17,23. 4 Zu den Einzelheiten dieser Haftung siehe unten II A und B (S. 25 ff.). 5 Die Übersetzungen stammen alle aus Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler II und III.
I. Die in der Pandektenliteratur diskutierten römischen Quellen
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Der Haftungsausschluß war für eine Vielzahl von Verträgen gedacht. Denn der Text spricht von Passagieren im Plural. Zwar ergibt sich aus dem Fragment nicht, ob es sich um eine schriftliche oder nur mündliche Ankündigung handelte. Aber selbst wenn sie nur mündlich erfolgt sein sollte, so steht doch zu vermuten, daß sich der Schiffer immer der gleichen Worte bediente. In seinem Kopf war sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert6. Es handelte sich um eine standardisierte Vertragsbedingung, von welcher der Schiffer in der Regel nicht abzuweichen bereit war und die er den Passagieren einseitig stellte. Wir können diese Ankündigung damit rückblickend unter den AGB-Begriff fassen. Zwei Wirksamkeitsvoraussetzungen nennt das Fragment: praedicere und consentire. Zusätzlich zur Einigung war also eine Ankündigung notwendig, und diese mußte bereits vor Einbringung der Sachen erfolgt sein7. Ulpian D. 16,3,1,10 befaßt sich mit der Haftung aus Werk-, Miet- und Verwahrungsvertrag. Ulpian D. 16,3,1,9 bespricht den Fall, daß ein Sklave in die Obhut eines anderen übergeben wird. Ist eine Vergütung für die Inobhutnahme geschuldet, so liegt ein Werkvertrag vor, ansonsten eine Verwahrung. Darf der Übernehmer des Sklaven dessen Arbeitskraft nutzen und muß er hierfür ein Entgelt zahlen, besteht ein Mietvertrag. Aus Miet- und Werkvertrag haftet der Übernehmer grundsätzlich für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Doch konnte diese Haftung beschränkt werden: »sequemur tamen, ut Pomponius ait, et quid habuerunt proscriptum aut quid convenerit, dummodo sciamus et si quid fuit proscriptum, dolum tamen eos praestaturos qui receperunt, qui solus in depositum venit.«
»Doch befolgen wir, wie Pomponius sagt, auch das, was sie durch öffentlichen Aushang bestimmt haben oder was von ihnen (durch besondere Abrede) vereinbart worden ist, sofern wir nur beachten, daß diejenigen, die den Sklaven übernommen haben, auch dann, wenn sie dies durch Aushang ausgeschlossen haben, dennoch Vorsatz zu vertreten haben […].«
Auch hier tauchen zwei Wirksamkeitsvoraussetzungen auf: proscribere und convenire. Man könnte das Fragment so interpretieren, daß beide Voraussetzungen nur alternativ vorliegen mußten. Die Haftungsbeschränkung mußte entweder einseitig bestimmt und ausgehängt worden sein. Oder die Parteien mußten sich einig geworden sein. Aber auch eine entgegengesetzte Deutung ist möglich: Der Vertragspartner mußte ebenfalls der Haftungsbeschränkung 6 Nach geltendem Recht genügt dies, um das Vorliegen von AGB bejahen zu können: MKBGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 3; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 119; OLG Frankfurt (1.3.2000), NJW-RR 2001, 55; OGH (23.4.2008), JBl 2008, 789. 7 Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 120 Fn. 20 (S. 703); Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 373 ff., 383 ff.; Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345); Glück VI/1 (1800), § 489 (S. 115); Thibaut II (2. Aufl. 1805), § 912 (S. 308); Müller (2. Aufl. 1857), S. 32; C.F. Koch III (2. Aufl. 1859), § 359 (S. 1003 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten II (1881), § 200 (S. 446); Windscheid/ Kipp II (9. Aufl. 1906), § 384 Fn. 8 (S. 622); v. Keller (1861), § 344 (S. 651); Göschen II/2 (1839), § 650 (S. 689); Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 336; StadtG Frankfurt, ArchPraktRw 4 n.F. (1867), 415.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
durch öffentlichen Aushang zugestimmt haben. Nur konnte man in einem solchen Fall nicht von einem convenire im Sinne einer besonderen Abrede, einer ausdrücklichen Individualabrede, sprechen. Es lag vielmehr nur eine stillschweigende Zustimmung des Vertragspartners vor, die in dem Fragment nicht ausdrücklich erwähnt wird. Labeo D. 19,2,60,6 diskutiert schließlich den Fall, daß ein Speichervermieter die custodia-Haftung für eingebrachte Wertgegenstände umgehen wollte: »Locator horrei propositum habuit se aurum argentum margaritam non recipere suo periculo: deinde cum sciret has res inferri, passus est. proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si propositum fuit, remissum videtur.«
»Der Vermieter eines Speichers hat durch Aushang bekanntgegeben, daß er Gold, Silber und Perlen nicht auf seine Gefahr übernehme. Dann hat er, als er erfuhr, daß solche Sachen in die Speicherräume gebracht wurden, dies geduldet. Ich habe gesagt, daß er dir haftet, wie wenn er keinen Aushang gemacht hätte, weil er durch sein Verhalten die Erklärung in dem Aushang ersichtlich zurückgenommen hat.«
Alleinige Geltungsvoraussetzung scheint ein proponere zu sein. Der Speichervermieter mußte die Haftungsbeschränkung durch Aushang bekanntmachen. Eine Zustimmung des Mieters zur Haftungsbeschränkung erwähnt der Text nicht. Ebenso scheint die Rücknahme des Aushangs einseitig erfolgt zu sein. Doch könnte man auch unterstellen, der Text erwähne die stillschweigende Zustimmung des Mieters zur Haftungsbeschränkung zwar nicht, sie sei aber durchaus notwendig gewesen. Dies war die von den Juristen des 19. Jh. bevorzugte Lesart dieses Textes8. Die Anforderungen an ein proscibere offenbaren sich bei Ulpian D. 14,3,11,3–4. Ein Geschäftsherr konnte mit einer Geschäftsleiterklage, der sogenannten actio institoria, für Geschäftsschulden, die sein Geschäftsleiter eingegangen war, belangt werden9. Ulpian D. 14,3,11,2 klärt darüber auf, wie der Geschäftsherr die Haftung ausschließen konnte: er gab bekannt, daß mit dem Geschäftsleiter keine Verträge abgeschlossen werden dürfen. Ulpian D. 14,3,11,3–4 nennt sodann die Voraussetzungen, die eine Bekanntmachung erfüllen mußte, um diese Wirkung zu erzielen: »3. Proscribere palam sic accipimus claris litteris, unde de plano recte legi possit, ante tabernam scilicet vel ante eum locum in quo negotiatio exercetur, non in loco remoto, sed in evidenti. litteris utrum Graecis an Latinis? puto secundum loci 8 9
»3. Unter ›öffentlich bekanntmachen‹ verstehen wir Bekanntmachen in deutlicher Schrift und an einem Ort, wo sie von ebener Erde aus leicht gelesen werden kann, das heißt vor dem Laden oder dem Lokal, wo das Geschäft betrieben wird, und nicht an versteckter, sondern an gut sichtbarer Stelle. Auf Griechisch oder Lateinisch? Je nach den örtlichen Verhältnissen, meine ich, damit niemand Unkenntnis
Siehe unten die Nachweise in Fn. 501. Zu den Einzelheiten vgl. Kaser I (1971), S. 608.
II. Die Reglements der Transportanstalten
condicionem, ne quis causari possit ignorantiam litterarum. certe si quis dicat ignorasse se litteras vel non observasse quod propositum erat, cum multi legerent cumque palam esset propositum, non audietur. 4. Proscriptum autem perpetuo esse oportet: ceterum si per id temporis, quo porpositum non erat, vel obscurata proscriptione contractum sit, institoria locum habebit. proinde si dominus quidem mercis proscripsisset, alius autem sustulit aut vetustate vel pluvia vel quo simili contingit, ne proscriptum esset vel non pareret, dicendum eum qui praeposuit teneri. […].«
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der verwendeten Schriftart vorschützen kann. Wenn aber jemand geltend macht, er könne nicht lesen oder habe den Anschlag nicht bemerkt, obwohl viele ihn lasen und er tatsächlich gut sichtbar bekanntgemacht war, so wird er damit sicherlich nicht gehört. 4. Die Bekanntmachung muß aber dauernd erfolgen. Im übrigen greift die Geschäftsleiterklage (trotz Bekanntmachung) ein, wenn ein Vertrag zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden ist, zu dem die Bekanntmachung fehlte oder unleserlich geworden war. Wenn daher der Inhaber des Handelsgeschäfts die Bekanntmachung angeschlagen, ein Dritter sie aber entfernt hatte oder wenn die Bekanntmachung infolge von Umständen wie Alter, Regen und dergleichen nicht mehr vorhanden oder unleserlich geworden war, muß man sagen, daß derjenige, der den Geschäftsleiter bestellt hat, haftet. […].«
Dieser Text betrifft keine Situation, die wir heute dem AGB-Recht zuordnen würden. Doch prägte er, wie wir sehen werden, ebenso wie Ulpian D. 4,9,7 pr., die Diskussion um Geltungsgrund und -voraussetzungen der Reglements der Transportanstalten10.
II. Die Reglements der Transportanstalten A. Die Haftung der Transportanstalten Transporteure waren einer besonders strengen Haftung ausgesetzt. Sie hafteten einerseits aus dem Transportvertrag. Bei einem Transportvertrag handelte es sich um eine locatio conductio operis11. Nach den Grundsätzen der locatio conductio operis mußte der Transporteur für Verluste und Beschädigungen am Frachtgut für Vorsatz und Fahrlässigkeit einstehen12. Daneben kannte das römische Recht andererseits eine besondere Haftung der Schiffer, Herbergs10 Siehe unten Fn. 57, Fn. 110, Fn. 178, Fn. 356, Fn. 478, Fn. 497 und Fn. 500 sowie § 13 I D (S. 391). 11 Statt aller Glück VI/1 (1800), § 486 u. 487 (S. 109); Baron (8. Aufl. 1893), § 297 (S. 531); Dernburg, Pandekten II (5. Aufl. 1897), § 113 (S. 313); Anonym, SeuffBl 11 (1846), 17; Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 193; W. Koch, ZHR 8 (1865), 404; Lewis, Seerecht I (2. Aufl. 1883), Art. 557 Anm. 1 (S. 239 ff.); OAG Lübeck (22.12.1856), SeuffA 13 (1860), 70. Vgl. auch F.B. Heyn (1996), S. 41 ff. 12 Statt aller Göschen II/2 (1839), § 514 (S. 391 f.).
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
und Stallwirte für vom Vertragspartner eingebrachte Sachen. Nach der herrschenden Meinung des 19. Jh. handelte es sich auch bei dieser Haftung aus dem receptum nautarum, cauponum, stabulariorum um eine vertragliche Haftung13. Im übrigen wies diese receptum-Haftung bedeutende Unterschiede zur Haftung aus dem Transportvertrag auf. Zum einen war sie verschuldensunabhängig14. Nur vis maior und ein Verschulden des Vertragspartners wirkten haftungsbefreiend15. Zum anderen bestanden Unterschiede bei der Haftung für Gehilfen16. Auch die receptum-Haftung galt im gemeinen Recht17, und sie wurde nach der wohl vorherrschenden, aber sehr umstrittenen Meinung entsprechend auf den Landtransport, die Eisenbahnen, Posten und sogar Telegraphenanstalten angewendet18. Die Einzelheiten zur receptum-Haftung waren 13 OAG Dresden (1841), SeuffA 2 (1848), S. 56 f.; Gruchot, Gruchot 18 (1874), 65; Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 308 ff., 311 ff.; Ude, ZRG (RA) 12 (1892), 66 ff.; Glück VI/1 (1800), § 485 (S. 106), § 486 u. 487 (S. 112 f.); Thibaut II (2. Aufl. 1805), § 912 (S. 308); Müller (2. Aufl. 1857), S. 14 f.; Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 120 Fn. 1 (S. 696); C.G. v. Wächter, Pandekten II (1881), § 200 (S. 446); Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 343); Windscheid/ Kipp II (9. Aufl. 1906), § 384 Fn. 7 (S. 621 f.). Ältere Autoren meinten, es handele sich um eine Verpflichtung quasi ex contractu, so z.B. Voet I (1829), IV,9,2. Die Ansicht, daß es sich bei der receptum-Haftung um eine gesetzliche Haftung handele, wurde von Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 60 ff., vertreten; zustimmend Kuhn, BuschA 6 (1865), 376. Vgl. noch unten den Text zu Fn. 169. 14 Statt aller Mackeldey II (10. Aufl. 1833), § 431 (S. 286). Zum receptum nautarum cauponum stabulariorum vgl. außerdem Zimmermann (1990), S. 514 ff. 15 Statt aller v. Keller (1861), § 344 (S. 650 f.); Müller (1. Aufl. 1835), S. 20 f. 16 Statt aller Goldschmidt, AcP 41 (1858), 408 f. 17 Statt aller Thibaut II (2. Aufl. 1805), § 913 (S. 309); C.G. v. Wächter, Pandekten II (1881), § 200 (S. 447); Mittermaier II (7. Aufl. 1847), § 550 (S. 774). Aus der Rechtsprechung vgl. z.B. OAG Lübeck (29.11.1826), SeuffA 4 (1851), 190; OTR Stuttgart (27.6.1853), SeuffA 7 (1854), 53 f.; OTR Berlin (24.3.1859), SeuffA 13 (1860), 313, 313 f.; OAG Lübeck (29.5.1856), SeuffA 11 (1857), 111. Diese Haftung fand auch Eingang in partikulare Gesetzbücher (vgl. hierzu Exner, GrünhZ 10 (1883), 499 Fn. 1) und für die Fracht durch Schiffe in Art. 607 ADHGB (vgl. hierzu Lewis, Transportgeschäft (1884), § 34 (S. 151); ders., Seerecht I (2. Aufl. 1883), Art. 607 Anm. 1 (S. 306 f.), Anm. 7 (S. 312)). 18 Statt aller Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 314 (S. 485); Thibaut II (2. Aufl. 1805), § 913 (S. 309 f.); Mackeldey II (10. Aufl. 1833), § 431 (S. 286); Beschorner, AcP 41 (1858), 401; Mittermaier II (7. Aufl. 1847), § 540 (S. 752); OG Hamburg (14.8.1857), Hamburgische Rechtssachen 3 (1864), 395; OHG Mannheim (o.D.), SeuffA 8 (1855), 78. A.A. z.B. Müller (1. Aufl. 1835), S. 35 ff.; Kuhn, BuschA 6 (1865), 377 f.; v. Vangerow III (7. Aufl. 1869), § 648 (S. 465); Unterholzner II (1840), Rn. 694 (S. 733); v. Holzschuher II/2 (1847), S. 789 ff.; Buddeus, Fuhrleute, in: Weiskes Rechtslexikon IV (1843), S. 429 f.; Karstens, AcP 37 (1854), 206 ff.; Kompe, ZDR 18 (1858), 314 Fn. 19; Schellmann (1861), S. 38 ff.; v. Linde, ZCivProz 16 (1859), 179 ff. Zum Teil wird auch die a.A. als herrschend bezeichnet. In einigen Partikularrechten war eine solche strenge Haftung der Frachtführer bzw. der Eisenbahnen gesetzlich geregelt, so z.B. für das Rheinland in Art. 1782 CC und Art. 103 Code de Commerce, für Preußen in ALR II 8 § 2452, II 15 § 185 und § 25 Preußisches Eisenbahngesetz von 1838. Umgekehrt wurde sie in anderen Partikularrechten nicht auf den Landtransport angewendet, so z.B. im bayerischen Recht (vgl. OAG München (7.12.1868), SeuffA 25 (1872), 316; Anonym, SeuffBl 11 (1846), 18 f.; a.A. Feust, SeuffBl 7 (1842), 387 ff.), im churbraunschweig-lüneburgischen Recht (vgl. Böhmer III/2 (1802), S. 469 ff.) und wohl im Recht Frankfurts (Bender (1848), § 172
II. Die Reglements der Transportanstalten
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äußerst strittig19. Auch bestanden im Detail leichte Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Anwendungsbereichen und Ausprägungen. So mußten im Transportrecht nach Art. 395 Abs. 2 ADHGB20 und im Seehandel nach Art. 608 ADHGB21 Kostbarkeiten, Gelder und Wertpapiere dem Frachtführer bzw. dem Schiffer angezeigt werden. Ansonsten war er von der Haftung frei. Denn, so rechtfertigte man im Seehandel diese Regel, die bona fides erfordere es, daß dem Verfrachter die Möglichkeit gewährt werde, den Umfang seiner Haftung zu erkennen und so Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen22. Im Gastwirtsrecht wurde eine solche Anzeigepflicht zwar ebenfalls diskutiert, indes überwiegend abgelehnt23.
B. Haftungsausschlußklauseln und Haftungsbegrenzungsklauseln Die Eisenbahnen, wie auch die Schiffer, Landfuhrleute, Posten und Telegraphenanstalten, versuchten dieser strengen Haftung zu entgehen24. Ulpian D. 4,9,7 pr.25 zeigt auf, daß und wie ein Ausschluß der receptum-Haftung nach römischem Recht möglich war26, und auch diese Grundsätze galten im gemeinen Recht27. Insbesondere die Eisenbahnen stellten umfassende AGB, sogenannte Reglements, auf, unter denen sie Verträge abzuschließen gedachten. Diese Reglements enthielten auch die Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln. Der Haftungsausschluß nach Ulpian D. 4,9,7 pr. berührte dabei eigentlich nicht die receptum-Haftung, sondern die besondere deliktische Haftung, der die Schiffer, Herbergs- und Stallwirte ebenfalls ausgesetzt waren28. Aber die wohl herrschende Meinung des 19. Jh. ging dahin, daß die nautae, (S. 19 710 ff.), erwähnt sie zumindest nicht.). Einen Überblick über partikularrechtliche Bestimmungen im 19. Jh., die eine receptum-Haftung der Postanstalten statuierten, bietet Kompe, ZDR 18 (1858), 314 Fn. 18; zum Meinungsstand im Postwesen des 18. Jh. vgl. Krauß (1998), S. 153 Fn. 55 f., 201 ff. Zum ADHGB vgl. unten den Text zu Fn. 106. Vgl. schließlich die Darstellung bei Ogorek (1975), S. 81 ff. 19 Vgl. z.B. Pohlhausen (1978), S. 14 ff. 20 »Für Kostbarkeiten, Gelder und Werthpapiere haftet der Frachtführer nur dann, wenn ihm diese Beschaffenheit oder der Werth des Guts angegeben ist.« 21 »Für Kostbarkeiten, Gelder und Werthpapiere haftet der Verfrachter nur in dem Falle, wenn diese Beschaffenheit oder der Werth der Güter dem Schiffer angegeben ist.« 22 Lewis, Transportgeschäft (1884), § 34 (S. 152, 155). 23 Vgl. die unterschiedlichen Ansichten von OAG Darmstadt (29.2.1868), SeuffA 22 (1869), 223; Glück VI/1 (1800), § 489 (S. 115), § 491 (S. 121 ff.); C.G. v. Wächter, Pandekten II (1881), § 200 (S. 446); Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345); v. Holzschuher II/2 (1847), S. 795. Vgl. außerdem OAG Darmstadt (31.3.1868), ArchPraktRW 7 n.F. (1870), 80. 24 Vgl. hierzu Pohlhausen (1978), S. 28 ff. 25 Siehe oben das Zitat zu Fn. 5. 26 Hierzu ausführlich Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 331 ff. 27 Statt aller Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 331 ff.; Arndts (11. Aufl. 1883), § 289 (S. 557 f.); Beschorner, AcP 41 (1858), 401. 28 Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 120 Fn. 20 (S. 703 f.); Pohlhausen (1978), S. 61.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
caupones und stabularii um so mehr auch ihre receptum-Haftung ausschließen konnten, wenn ihnen dies sogar für ihre besondere deliktische Haftung möglich war29. Doch beließen es die Eisenbahnen nicht dabei, die Garantiehaftung auszuschließen oder einen gerechten Ausgleich zwischen ihren eigenen Interessen und denen ihrer Kunden herzustellen. Die Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln stellten die Kunden nach damaliger Einschätzung »fast rechtlos«30. Für viele Fälle war eine Haftung völlig ausgeschlossen. In anderen Fällen hing sie davon ab, daß der Kunde der Eisenbahn eine bestimmte Form des Verschuldens erfolgreich nachwies31. Das war dem Kunden wohl nur selten möglich. Und gelang dies einmal, so war die Haftung der Eisenbahn höhenmäßig stark beschränkt32. Der Handelsstand klagte über solche Klauseln33. Und so verwundert es kaum, daß diese Klauseln der Eisenbahnen die Rechtsprechung und Literatur beschäftigten. Ebenso schlossen die Telegraphenanstalten ihre Haftung weitestgehend aus, und auch diesen Haftungsausschlußklauseln stand man kritisch gegenüber34.
C. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen Ulpian D. 4,9,7 pr. nennt als Einbeziehungsvoraussetzung ein consentire35. Der Vertragspartner mußte dem Haftungsausschluß zustimmen. Natürlicher Ausgangspunkt war daher, die Haftungsausschlußklauseln der Transportanstalten als Vertragsabreden zu qualifizieren. Dafür spricht auch die Beobachtung, daß in der Pandektenliteratur Modifikationen der Haftungsmaßstäbe als Nebenabreden bzw. Nebenverträge eingeordnet wurden36. Daß für die Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln der Transportanstalten die heute sogenannte Vertragstheorie galt, bestätigt ein Blick in die Literatur und Rechtsprechung des 19. Jh.37. Theorie und Praxis waren sich dieser Verknüpfung 29 Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 120 Fn. 20 (S. 703 f.); Windscheid/Kipp II (9. Aufl. 1906), § 384 mit Fn. 8 (S. 622). 30 Beschorner, AcP 41 (1858), 405; vgl. außerdem Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 635 ff.; Endemann, BuschA 42 (1882), 197; W. Koch, ZHR 8 (1865), 408 f. Eine Übersicht über die Regelungen in verbreiteten Reglements bieten Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 604 ff.; Otto, WürttA 4 (1861), 84 ff.; Vogt, DViertJhS 22 (1859), 46 ff. 31 Vgl. z.B. Beschorner, AcP 41 (1858), 399. 32 Vgl. z.B. Beschorner, AcP 41 (1858), 399. 33 Vgl. Beschorner, AcP 41 (1858), 405; Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 635 ff.; ders., AcP 41 (1858), 406 f.; Pohlhausen (1978), S. 1 ff. Vgl. auch Prot. ADHGB II, S. 828. 34 Meili, Telegraphie (1892), S. 16 ff.; v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 74; Mittermaier, AcP 46 (1863), 3; vgl. auch Fuchs, AcP 43 (1860), 96. 35 Siehe oben das Zitat zu Fn. 5 und den Text danach. 36 Siehe oben den Text zu Fn. 2. 37 Vgl. z.B. Goldschmidt, AcP 41 (1858), 406 ff.; ders., ZHR 4 (1861), 569, 579, 594; W. Koch II (1860), S. 40, 142 ff.; ders., ZHR 10 (1866), 65, 70; Müller (1. Aufl. 1835), S. 28 f.; Otto, WürttA 4 (1861), 119 ff.; Eger III (2. Aufl. 1891), S. 153; Schott, Transportgeschäfte
II. Die Reglements der Transportanstalten
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zwischen den allgemeinen Lehren und den besonderen Fragen um die Einbeziehung der Reglements in den Vertrag durchaus bewußt. So bezeichnete das Obertribunal Berlin in einem Urteil aus dem Jahre 1858 die AGB der Eisenbahnen ausdrücklich als Nebenabrede38. Und Otto führte 1861 ebenfalls zu den Eisenbahnreglements aus39: »Es ist bekannt, daß die Haftungsgrundsätze der Privatwillkühr überlassen sind. Auch die großen Verkehrsanstalten als Kontrahenten können diesen Satz in Anspruch nehmen, denn ihre Verträge fallen rein in das privatrechtliche Gebiet […]«.
Doch unter welchen Voraussetzungen galten die Reglements der Transportanstalten als in den Vertrag einbezogen? Dieser Frage soll zunächst beschränkt auf die Eisenbahnen nachgegangen werden. 1. Die Eisenbahnreglements a) Die Ausgangslage Pohlhausen vertritt in seiner Monographie zu den Eisenbahnreglements die Auffassung, für ihre Einbeziehung in den Vertrag habe allein ihre Veröffentlichung ausgereicht40. Der Vertragspartner sei bei einer Veröffentlichung so behandelt worden, als habe er das Reglement gekannt. Bei Vertragsschluß habe man deshalb davon ausgehen können, daß er der Einbeziehung des Reglements in den Vertrag zugestimmt hatte. Pohlhausen meint, hier einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der damals herrschenden Willenstheorie und den Einbeziehungsvoraussetzungen erkennen zu können. Er glaubt zudem, daß die heute sogenannte Vertragstheorie im 19. Jh. eine bloße Fiktion gewesen sei41. Das Bekenntnis zur Vertragstheorie in Literatur und Rechtsprechung 38 (1885), § 353 (S. 468); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63; Vogt, DViertJhS 22 (1859), 15; Bessel/Kühlwetter II (1857), S. 121 ff.; Endemann, BuschA 42 (1882), 191, 194 ff., 270 f.; Beseler II (1873), § 233 (S. 961); Beschorner, AcP 41 (1858), 401; Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 195 f.; Puchelt II (2. Aufl. 1876), Art. 423 Anm. 2; Gareis (4. Aufl. 1893), S. 526 f.; Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 314 (S. 485); ROHG (12.11.1872), ROHGE 8, 26, 28; AGH Köln (31.1.1853), RheinA 48/1 (1853), 92, 93; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 132 ff.; AGH Köln (29.1.1852), RheinA 47/1 (1852), 97, 104; AGH Köln (10.12.1856), StriethorstA 28 (1858), 226, 229; OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 344; OTR Berlin (8.3.1853), RheinA 48/2 (1853), 40, 42 f.; RevCassH Berlin (16.3.1852), RheinA 47/2 (1852), 35, 41; OAG Celle (20.4.1855), SeuffA 13 (1860), 188, 189; OAG Cassel (22.12.1865), SeuffA 20 (1867), 421; OAG Lübeck (29.5.1856), SeuffA 11 (1857), 111, 112; OAG Darmstadt (14.5.1855), SeuffA 10 (1856), 274; ROHG (25.5.1872), ROHGE 6, 175, 176; ROHG (13.1.1874), ROHGE 12, 107, 109, SeuffA 30 (1875), 95. Offenlassend Kuhn, BuschA 6 (1865), 337 f. Vgl. auch Reiss (1985), S. 25 ff. In der Rechtsprechung wurde die heute sogenannte Normentheorie, soweit ersichtlich, nur vom OG Glückstadt (27.11.1856), W. Koch, Anlagenheft, S. 231, 235, vertreten. 38 OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236 f. 39 Otto, WürttA 4 (1861), 119 f. 40 Pohlhausen (1978), S. 81 ff. 41 Pohlhausen (1978), S. 99 ff.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
sei nur oberflächlich gewesen. Deren Ausführungen drohten oft »in den normativen Bereich hinabzugleiten«42. Daß eine Veröffentlichung »eine Vermutung für die Kenntnis der Reglements schaffe«, habe zu einer Verwischung der »Grenzen zwischen einer Bekanntmachung, die eine normative Wirkung entfaltet, und einer Bekanntmachung, die eine privatrechtliche Vertragsgrundlage schafft«, geführt43. Der Analyse von Pohlhausen ist nicht zu folgen: Die Einbeziehungsvoraussetzungen waren nirgends gesetzlich fixiert. Dies galt auch dort, wo die Haftung der Eisenbahnen und der Frachtführer gesetzlich bestimmt war. So wurde die Möglichkeit des Ausschlusses der Haftung etwa in § 25 des Preußischen Eisenbahngesetzes von 1838 überhaupt nicht erwähnt. In Art. 423 ADHGB und für Spediteure in Art. 98 Code de Commerce war allein bestimmt, daß ein Ausschluß möglich ist, ohne dessen Voraussetzungen zu benennen. Literatur und Rechtsprechung griffen daher auf allgemeine Grundsätze zurück. Am ausführlichsten hat sich Goldschmidt zur Einbeziehung der Reglements in den Vertrag geäußert. Unproblematisch und allgemein anerkannt war, daß die Parteien eine Rahmenvereinbarung über die Geltung von Reglements treffen konnten44. Im Übrigen verlangte Goldschmidt »eine der Vertragsschließung vorausgehende Erklärung, gerichtet entweder an jeden einzelnen Kontrahirungslustigen, mündlich oder durch Zirkular, oder allgemein an alle durch öffentlichen Anschlag in oder vor dem Vertragslokal, durch Insertion in die öffentlichen Blätter u. dergl. m.«45.
Der Vertragspartner müsse ihnen dann ausdrücklich oder doch zumindest unzweideutig stillschweigend zugestimmt haben46. Nicht ausreichend sei es, wenn der Hinweis auf die AGB erst nach Vertragsschluß erfolge47: »Ebenso wenig würde eine Notiz der Art auf dem erst nach Abgabe des Reisegepäcks ausgehändigten Gepäckschein genügen, sofern nicht durch die Gesetzessammlung publizierte oder doch vor dem Bureau, namentlich der Kasse höchst offenkundig angeschlagene Reglements die Beschränkung aussprechen.«
Goldschmidt stand ganz im Einklang mit Ulpian: Auch Ulpian D. 4,9,7 pr. verlangte ein praedicere48. Die Eisenbahnen veröffentlichten ihre Reglements üblicherweise in Zeitungen. Für den Betrieb einer Eisenbahn durch private Gesellschaften bedurfte es 42
Pohlhausen (1978), S. 101. Pohlhausen (1978), S. 101. 44 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 584. Zum folgenden schon Schuler (1978), S. 26 ff. 45 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 336. 46 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 337. 47 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 337 f. Vgl. aus der Rechtsprechung z.B. ROHG (28.4.1877), ROHGE 22, 144, 145 f. 48 Siehe oben den Text zu Fn. 7. 43
II. Die Reglements der Transportanstalten
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zudem einer staatlichen Konzession, und im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens waren die Statuten der Gesellschaft, und die AGB bildeten im 19. Jh. üblicherweise einen Teil der Statuten, einzureichen und wurden von der Aufsichtsbehörde in öffentlichen Blättern veröffentlicht. Die so veröffentlichten Reglements enthielten regelmäßig die Klausel, daß alle Verträge als unter Einbeziehung der Reglements abgeschlossen gelten. Eine solche Klausel hielt Goldschmidt für bedeutungslos49. Auf sie kam es seiner Meinung nach im Güterverkehr in der Regel aber auch nicht an. Denn der Abschluß von Gütertransportverträgen geschehe fast ausschließlich auf Grund von Frachtbriefen. Diese verwiesen entweder ausdrücklich auf die Reglements oder enthielten gar die wichtigsten Klauseln50. Werde aber ausnahmsweise ein Frachtvertrag ohne Frachtbrief abgeschlossen, so seien die Reglements dennoch einbezogen, wenn davon ausgegangen werden müsse, der Vertragspartner wisse, daß der Frachtführer nur unter Einbeziehung von Reglements kontrahiere. Das könne insbesondere bei Kaufleuten der Fall sein51. Beim Personentransport oder Transport von Reisegepäck reiche ein Verweis auf die Reglements bzw. ihr Abdruck auf den Fahrkarten oder Gepäckscheinen nicht aus. Denn Fahrkarten und Gepäckscheine werden erst nach Vertragsschluß ausgehändigt52. Daß der Vertragspartner von den Reglementbestimmungen keine Kenntnis habe, sei nicht schlechthin unbeachtlich, denn die Maxime ignorantia iuris non excusat greife nicht ein. Die Reglementbestimmungen seien nämlich keine Normen, sondern bloße Vertragsbedingungen. Es seien daher die Regeln über den Tatsachenirrtum anwendbar. Und ein solcher Irrtum sei nur dann unbeachtlich, wenn er unentschuldbar sei, insbesondere wenn er auf grober Nachlässigkeit beruhe53. Bei der Frage, ob eine Reglementbestimmung auch ohne Kenntnis des Vertragspartners Vertragsbestandteil wird, differenzierte Goldschmidt. Einige Bestimmungen, wie z.B. diejenigen, die das Besteigen des Zuges oder die Zeiten der Gepäckauf- und -ausgabe regeln, würden auch kenntnisunabhängig Vertragsbestandteil. Denn das ius dispositivum halte hierzu keine Regelungen bereit, und ohne solche Bestimmungen könne der Betrieb einer Eisenbahn nicht reibungslos funktionieren. Daß eine Eisenbahn solche Bestimmungen aufstelle, müsse ein verständiger Vertragspartner daher wissen. Er habe sich nach ihnen zu erkundigen. Die Unkenntnis dieser Bestimmungen sei 49 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 595. Ebenso Vogt, DViertJhS 22 (1859), 15; W. Koch, ZHR 10 (1866), 71 Fn. 7. 50 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 595 f. Vgl. auch Vogt, DViertJhS 22 (1859), 16 f.; W. Koch, ZHR 10 (1866), 70 f. Fn. 7; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 132 ff.; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 344. 51 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 596 f. 52 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 597. 53 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 598. Vgl. zudem Endemann, BuschA 42 (1882), 247; OAG Dresden (1851), SeuffA 6 (1853), 81; OAG Wolfenbüttel (26.10.1849), SeuffA 7 (1854), 203, 205. A.A. OG Glückstadt (27.11.1856), W. Koch, Anlagenheft, S. 231, 235.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
unentschuldbar54. Dagegen brauche niemand damit zu rechnen, daß durch Reglementbestimmungen das ius dispositivum, gar zu seinen Ungunsten, modifiziert werde. Solche Bestimmungen müßten dem Vertragspartner daher zur Kenntnis gebracht werden. Dafür könne eine Veröffentlichung in Zeitungen nur dann ausreichen, wenn der Gesetzgeber diese Art der Veröffentlichung für genügend erklärt oder der Vertragspartner durch die Veröffentlichung wirklich Kenntnis von dem Reglement erlangt hat55. Im Übrigen habe aber folgendes zu gelten56: »Nämlich eine solche Kundmachung, welche dem ganzen Publikum zugänglich ist, welche Jeden, der mit der [Eisenbahn-]Verwaltung kontrahieren will, darauf hinweist, daß besondere Transportbedingungen gestellt sind, und in den Stand setzt, schon vor Eingehung des Vertrags sich über alle Transportbedingungen zu unterrichten. Denn nur alsdann kann auch von Jedem diese Kenntnis verlangt werden. Als solche Kundmachung erscheint ein offenkundiger, unmittelbar in die Augen fallender, deutlich und ohne Mühe lesbarer Anschlag oder Aushang vor demjenigen Lokal oder an derjenigen Stelle, wo die Transportverträge regelmäßig geschlossen werden; also an der Kasse, dem Gepäckbureau, dem Güterboden. Er muß geeignet sein, die Aufmerksamkeit Aller auf sich zu ziehen, darf also nicht mit anderen, für den einzugehenden Transportvertrag unerheblichen oder weniger erheblichen Veröffentlichungen, z.B. Fahrplänen anderer Bahnen, Anzeigen von Dampfschifffahrtsfahrten u. dgl. untermischt sein, sondern auffällig hervortreten; des Abends so beleuchtet sein, daß er lesbar bleibt u.s.f. Ist ein solcher Anschlag oder Aushang durch Zufall, oder durch Schuld irgend Jemandes, den Transportanten selbstverständlich ausgenommen, entfernt, verstümmelt, unlesbar gemacht, so kommt er für alle nach diesem Ereignis geschlossenen Transportverträge nicht in Betracht. Dagegen entschuldigen auf der anderen Seite Lesensunkunde, Blindheit, Gesichtsschwäche, Unkenntnis der (Landes-)Sprache oder Schrift des Anschlags, Übersehen desselben nicht.«
Zum Beleg zitierte Goldschmidt die oben bereits in Auszügen wiedergegebenen §§ 2–4 des Fragments Ulpian D. 14,3,11 und ergänzte57: »Jeder einzelne Satz dieser vortrefflichen Entwicklung ist heute noch ebenso anwendbar, wie zur Römerzeit.«
Nach Goldschmidt reichte es also aus, daß das Reglement deutlich sichtbar am Ort des Vertragsschlusses ausgehängt worden war. Auf eine wirkliche Lektüre kam es dann nicht mehr an. Mittermaier erhob Widerspruch58: »Niemand ist schuldig solche Anschläge zu lesen […].« Mittermaier stand mit seiner Kritik aber allein. 54
Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 599. Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 600, 602. Ähnlich Vogt, DViertJhS 22 (1859), 15. 56 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 600 f. Betonungen im Original. Zustimmend W. Koch, ZHR 10 (1866), 71 Fn. 7. 57 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 601 Fn. 31. Vgl. auch Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 196. 58 Mittermaier, AcP 47 (1864), 243. 55
II. Die Reglements der Transportanstalten
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Goldschmidt setzte sich vor allem mit der Voraussetzung des proscribere bzw. des praedicere auseinander. Zur Zustimmung führte er nur aus, sie könne ausdrücklich oder, sofern sie sich aus den Umständen eindeutig ergebe, stillschweigend erfolgen59. Von einer stillschweigenden Zustimmung ging Goldschmidt dann aus, wenn der Vertragspartner Kenntnis hatte, daß der Verwender unter Einbeziehung der Reglements kontrahieren wollte, oder wenn ihm eine solche Kenntnis zumindest unterstellt werden konnte. Auch hier war Mittermaier anderer Ansicht. Er meinte, allein aus der Tatsache, daß der Vertragspartner den Vertrag in Kenntnis des Reglements abschließe, dürfe auf eine stillschweigende Zustimmung nicht geschlossen werden60. »Verzichte auf Rechte dürfen nicht vermutet werden«, formulierte er unter offensichtlichem Rückgriff auf die Parömie »renuntiatio non praesumitur«. Mittermaiers Ansicht war indes nicht herrschend. Nach Goldschmidt mußte auf die Reglements also hingewiesen worden sein; es mußte die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Reglementbestimmungen bestanden haben; und der Vertragspartner mußte schließlich der Einbeziehung des Reglements zugestimmt haben. Die Veröffentlichung der Reglements in z.B. einer Zeitung hatte bei Goldschmidt nur die Funktion, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Reglements zu gewährleisten. Sie sollte dagegen den Hinweis auf die Reglements nicht grundsätzlich entbehrlich machen. War Goldschmidts Auffassung herrschend? Eine Veröffentlichung der Reglements in Zeitungen ist nicht in allen Bereichen vorgekommen, insbesondere nicht beim Personentransport. Hier herrschte eine andere Praxis. So ordnete das Reglement der Großherzoglichen badischen Eisenbahn vom 30.4.1853 zu seiner Verbreitung an61: »Die zum Dienstgebrauch, zum öffentlichen Anschlag und zum Aushängen in den Wartesälen, sowie zum Verkauf an das Publikum erforderlichen Exemplare werden Großherzoglichen Eisenbahnanstalten in Plakatform durch das Controlbureau unverweilt zugesendet werden.«
Nach § 1 desselben Reglements mußte es zudem auf jeder Station zur Einsicht ausliegen. Ein Hinweis auf dem Fahrschein genügte anders als ein Hinweis auf dem Frachtbrief nicht, weil der Fahrschein erst nach Vertragsschluß ausgehändigt wurde. Deshalb wurden die Reglements angeschlagen, ausgehängt und zur Kenntnisnahme ausgelegt. Aber warum hätten die Eisenbahnen sich diese Mühe machen sollen, wenn es genügt hätte, die Reglements schlicht in einer Zeitung zu veröffentlichen, und sie diesen Weg für den Frachttransport ohnehin gingen, und wenn es ausgereicht hätte, daß die AGB im Rahmen des Konzessionierungsverahrens gemeinsam mit den Statuten in den öffentlichen 59 60 61
Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 337. Mittermaier, AcP 47 (1864), 243. Vgl. auch ders., AcP 46 (1863), 1, 40 ff. Abgedruckt bei Reiss (1985), S. 250 ff.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Blättern veröffentlicht wurden? Die Antwort liegt auf der Hand. Nach Ansicht der Juristen des 19. Jh. verlangten die römischen Quellen einen Hinweis auf den Haftungsausschluß durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses. Nur dann durfte unterstellt werden, der Vertragspartner habe in Kenntnis des Inhalts dieses Aushangs kontrahiert und so seiner Geltung stillschweigend zugestimmt. Auch im gemeinen Recht galten diese Grundsätze, und beim Personentransport konnte man diesen Anforderungen genügen. Beim Frachtverkehr bildete sich die Praxis heraus, die Reglements in Zeitungen zu veröffentlichen. Doch warum? Auch hier ist die Antwort offensichtlich: Ein Anschlag der Reglements am Ort des Vertragsschlusses war schlicht nicht möglich. Beim Personentransport fand der Vertragsschluß am Schalter statt. Die Reglements konnten hier ausgehängt werden. Beim Gütertransport mag es dagegen auch vorgekommen sein, daß das Transportgut beim Versender abgeholt wurde62. Der Vertragsschluß konnte also an ganz unterschiedlichen Orten stattfinden. Es liegt nahe zu vermuten, daß sich die damaligen Juristen nun fragten, welche Funktionen denn der Aushang in den römischen Quellen hatte. Er zeigte dem Vertragspartner zum einen an, daß überhaupt unter Einbeziehung der Klauseln kontrahiert werden soll. Er verschaffte dem Vertragspartner zum anderen Kenntnis über den Inhalt der Klauseln. Nun war es wohl nicht praktikabel, die Reglements der Eisenbahnen vollständig auf den Frachtbriefen abzudrucken, so wie sie für den Personentransport vollständig ausgehängt und ausgelegt wurden. Denn die Reglements stellten sehr lange und komplexe Regelungswerke dar. Deshalb wurden die beiden Funktionen nun auf den Hinweis in dem Frachtbrief und auf die Veröffentlichung der Reglements aufgeteilt. Der Hinweis in dem Frachtbrief zeigte dem Vertragspartner an, daß unter Einbeziehung der Klauseln kontrahiert werden soll, und die Veröffentlichung verschaffte ihm die Möglichkeit der Kenntnisnahme von dem Inhalt der Reglements63. Die Veröffentlichung der Reglements trat also neben den Hinweis in den Frachtbriefen und machte diesen grundsätzlich nicht überflüssig. Beide erfüllten eine unterschiedliche Funktion. Die Juristen des 19. Jh. vermochten hier also, die Vorgaben der römischen Quellen fortzuentwickeln und so den Bedürfnissen des Verkehrslebens des 19. Jh. anzupassen. Das ist eine juristische Leistung, die an sich nicht unterschätzt werden sollte. Doch konnten Theorie und Praxis hierfür auf entsprechende Vorbilder im Versicherungswesen zurückgreifen64.
62
W. Koch II (1860), S. 180. Vgl. ROHG (7.6.1876), ROHGE 21, 108, 110; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 9 f.; W. Koch, ZHR 10 (1866), 71 Fn. 7 (zu im Frachtbrief in Bezug genommenen Reglements: »Natürlich wird vorausgesetzt, daß die betreffende Verwaltung dem Publicum auch Gelegenheit gegeben hat, die betr. Bestimmung kennen zu lernen.«). 64 Hierzu ausführlich unten IV D (S. 68 ff., 73 ff.). 63
II. Die Reglements der Transportanstalten
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Daß auch in der Praxis Hinweis und Veröffentlichung immer zusammen auftraten, bestätigt ein Blick in die Reglements. So lautete § 26 des Reglements für den Vereins-Güterverkehr auf den Bahnen des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen aus dem Jahre 186165: »[Die] Reglements werden […] in je einem, am Sitz der Eisenbahn-Verwaltungen erscheinenden öffentlichen Blatte gültig publicirt.«
Der von den Bahnen zu benutzende Frachtbrief enthielt die Klausel66: »Sie empfangen die nachstehend verzeichneten Güter auf Grund der in dem Reglement für den Vereins-Güterverkehr auf den Bahnen des Vereins Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen […] enthaltenen und mir/uns bekannten Bestimmungen […].«
Hätte schon die bloße Veröffentlichung für die Einbeziehung ausgereicht, so wäre schwer erklärbar, warum sich diese Praxis hätte herausbilden sollen. Die Eisenbahnen hätten sich dann wohl diesen Hinweis im Frachtbrief gespart. Nun könnte man vermuten, daß von den Eisenbahnen nur deshalb der zusätzliche Aufwand betrieben wurde, weil schlicht rechtliche Unsicherheit über die genauen Einbeziehungsvoraussetzungen bestand und sie so möglichen Streitigkeiten vorbeugen wollten. Diese Vermutung dürfte jedoch fehlgehen. Daß neben der Veröffentlichung ein Hinweis im Frachtbrief grundsätzlich als rechtlich notwendig erachtet wurde, bestätigt vielmehr ein Blick in die Literatur, Gesetzgebung und Rechtsprechung. So wurden Goldschmidts Ausführungen in der Literatur viel zitiert67, ohne ihm aber insoweit zu widersprechen, daß er eine Veröffentlichung nicht als allein maßgeblich ansah. Und v. Gerber führte aus68: »Verdingt Jemand den Transport von Gütern an einen Frachtführer, so entscheiden über die beiderseitigen Rechte und Verbindlichkeiten zunächst die Bestimmungen des Frachtbriefes.«
Auch Art. 98 Code de Commerce stellt darauf ab, ob der Haftungsausschluß im Frachtbrief vertraglich bedungen worden war. Daß veröffentlichte Reglementbestimmungen grundsätzlich immer nur in Verbindung mit der auf sie 65 Abgedruckt in ZHR 5 (1862), 606; ebenso § 17 des Vereins-Reglements für den GüterVerkehr auf den Eisenbahnen Deutschlands aus dem Jahre 1856, abgedruckt bei W. Koch, Anlagenheft, S. 60. 66 Abgedruckt in ZHR 5 (1862), 594; ebenso § 5 des Vereins-Reglements für den Güter-Verkehr auf den Eisenbahnen Deutschlands aus dem Jahre 1856, abgedruckt bei W. Koch, Anlagenheft, S. 47. 67 Vgl. z.B. Staub (5. Aufl. 1897), Art. 422 Rn. 3; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 422 Anm. 158. 68 v. Gerber, System (14. Aufl. 1882), § 183 (S. 493). Vgl. auch Beschorner, AcP 41 (1858), 398 f., 405; Puchelt II (2. Aufl. 1876), Art. 423 Anm. 4, 8; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 392 Anm. 16; Vogt, DViertJhS 22 (1859), 15 f.; Otto, WürttA 4 (1861), 120 f.; Bessel/Kühlwetter II (1857), S. 122, 211.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
verweisenden Klausel im Frachtbrief Wirkung entfalteten, wird schließlich beispielhaft in einem Urteil des Reichsoberhandelsgerichts aus dem Jahre 1875 deutlich69: »[Die] Bestimmungen des Reglements [erlangen] die Bedeutung einer Norm bezüglich der aus den Frachtverträgen entspringenden Privatverhältnisse dadurch, daß sowohl der Absender als die Bahnverwaltung den Frachtvertrag nach Maßgabe des Reglements abschließen. Indem der Absender das Frachtgut mit der im vorgeschriebenen gedruckten Frachtbrief enthaltenen Erklärung übergibt, er versende daßelbe ›auf Grund der in dem Reglement enthaltenen und ihm bekannten Bestimmungen, welche für diese Sendung in Anwendung kommen‹, die Bahnverwaltung aber das Frachtgut demgemäß dieser Erklärung zum Transport übernimmt, bilden die Bestimmungen des Reglements einen Bestandtheil des Frachtvertrags.«
Ganz ähnlich führte der Appellationsgerichtshof Köln im Jahre 1849 aus70: »I.E., daß der § 12 des von der appellantischen Gesellschaft öffentlich bekannt gemachten Reglements für die Beförderung von Gütern […] die ausdrückliche Bestimmung enthält, daß […] bei der Entschädigung für vernichtete, oder abhanden gekommene Güter der Werth eines Centners nie höher als 20 Thlr. angenommen werde; Daß in den Frachtbriefformularen, welche den Versendern von der Appellantin regelmäßig zur Ausfüllung übergeben werden, auf dieses Reglement speziell Bezug genommen und daß namentlich darin bemerkt ist, daß die Güter unter den Bedingungen des für die Köln-Mindener Eisenbahn bestehenden Reglements versandt würden; I.E., daß von dem appellatischen Handlungshause thatsächlich nicht bestritten wird, daß der Frachtbrief […] in einem mit der obigen Clausel versehenen, von ihm ausgefüllten und unterzeichneten Formulare der Gesellschaft bestanden habe; Daß hiernach anzunehmen, daß sich das appellatische Handlungshaus den Bedingungen des Reglements unterworfen habe, und somit ein Vertrag vorliege, durch welchen die gesetzlichen Bestimmungen über den Umfang der Verpflichtungen des Frachtführers abgeändert worden sind […].«
Dieser Begründungsaufwand wäre überflüssig gewesen, wenn schon allein die Veröffentlichung als Wirksamkeitsvoraussetzung ausgereicht hätte. Allerdings 69
ROHG (30.11.1875), ROHGE 19, 184, 186. Vgl. ebenso HG Köln (16.8.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 130; HG Köln (27.9.1850), RheinA 47/2 (1852), 35, 36; HG Köln (23.10.1850), RheinA 47/1 (1852), 97, 100; RevCassH Berlin (16.3.1852), RheinA 47/2 (1852), 35, 41; AGH Köln (31.1.1853), RheinA 48/1 (1853), 92, 93; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 344; OAG Darmstadt (14.5.1855), SeuffA 10 (1856), 274; OAG Dresden (14.1.1857), W. Koch, Anlagenheft, S. 92, 96; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 40; CassH Darmstadt (8.2.1858), ZHR 1 (1858), 577, 578; OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 237 f.; KG Berlin (28.11.1863), Central-Organ 1 n.F. (1865), 450, 452 f.; ROHG (13.6.1871), ROHGE 3, 59, 61; ROHG (17.9.1872), ROHGE 7, 99, 100; ROHG (15.2.1873), ROHGE 9, 71, 73 ff.; ROHG (7.6.1876), ROHGE 21, 108, 110; ROHG (20.10.1876), ROHGE 21, 185, 186 f.; vgl. ferner OTR Berlin (8.3.1853), RheinA 48/2 (1853), 40, 42 f.; OTR Berlin (6.7.1858), W. Koch, Anlagenheft, S. 307, 307, 309; OTR Stuttgart (3.12.1841), SeuffA 2 (1848), 121; OAG Cassel (22.12.1865), SeuffA 20 (1867), 421. 70 AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 132.
II. Die Reglements der Transportanstalten
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ließ dasselbe Gericht im Jahre 1846 eine Veröffentlichung genügen71: Die beklagte Rheinische Eisenbahngesellschaft verlangte ein erhöhtes Transportentgelt, weil der klagende Empfänger das Transportgut zu spät abholte. Sie wollte das Transportgut nunmehr nur gegen Zahlung dieses erhöhten Entgelts herausgeben. Hierfür stützte sie sich auf ihr Reglement. Der Kläger verweigerte die Zahlung und klagte auf Herausgabe des Transportguts. Der Kläger verwies darauf, daß im Frachtbrief ein solch erhöhtes Transportentgelt nicht vereinbart gewesen sei. Das Gericht entschied im Sinne der Beklagten und zog in der Begründung § 26 des Preußischen Eisenbahngesetzes von 1838 heran. Dieser lautete: »Für die ersten drei Jahre nach dem auf die Eröffnung der Bahn folgenden 1. Januar wird, vorbehaltlich der Bestimmungen des § 45, der Gesellschaft das Recht zugestanden, ohne Zulassung eines Konkurrenten, den Transportbetrieb allein zu unternehmen und die Preise sowohl für den Personen- als für den Waarentransport nach ihrem Ermessen zu bestimmen. Die Gesellschaft muß jedoch 1) den angenommen Tarif beim Beginn des Transportbetriebes und die späteren Aenderungen sofort bei deren Eintritt, im Falle der Erhöhung aber sechs Wochen vor Anwendung derselben, der Regierung anzeigen und öffentlich bekannt machen […].«
Der Appellationsgerichtshof stellte darauf ab, daß § 26 abschließend die Wirksamkeitsvoraussetzungen normierte und daß deshalb eine Vereinbarung über die Einbeziehung unnötig gewesen sei. Damit kann aber auch dieses Urteil nicht als Beleg für einen allgemeinen Grundsatz, daß eine bloße Veröffentlichung für die Einbeziehung ausreichte, herangezogen werden. Dann wäre nämlich § 26 in der Urteilsbegründung unnötig gewesen. Dieses Urteil ist lediglich ein Anwendungsfall der auch von Goldschmidt zugelassenen Ausnahme, daß eine bloße Veröffentlichung dann ausreichte, wenn sie spezialgesetzlich für genügend erklärt worden war72. Wie aber ist die in Literatur und Rechtsprechung immer wiederkehrende Bemerkung zu erklären, daß eine Veröffentlichung genüge73? Sie ist wohl nur im Kontext zu verstehen. Schon Goldschmidt wies darauf hin, von einem Kaufmann könne eher das Wissen erwartet werden, daß Eisenbahnen nur unter Einbeziehung ihrer Reglements kontrahieren wollten. Deshalb könne er sich auf seine Unkenntnis regelmäßig nicht berufen. Die Frage nach der Einbeziehung der Reglements stellte sich im Fallrecht hauptsächlich in Streitigkeiten zwischen Kaufleuten und Eisenbahnen. Auch handelte es sich in erster 71
AGH Köln (4.2.1846), RheinA 41/1 (1846), 62, 63. Vgl. oben den Text zu Fn. 55. 73 v. Gerber, System (14. Aufl. 1882), § 183 Fn. 19 (S. 498); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 422 Anm. 158; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 10; Staub (5. Aufl. 1897), Art. 422 Rn. 5 f.; Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 195 f. Fn. 9; Eger III (2. Aufl. 1891), S. 204 f.; OAG Dresden (1851), SeuffA 6 (1853), 81. Es ist diese Bemerkung, die Pohlhausen zu seinen Thesen verleitetet hat. 72
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Linie um handelsrechtliche Literatur, die dieses Problem thematisierte. Mit dem immer wiederkehrenden Satz, eine Veröffentlichung reiche aus, sollte also gar keine allgemeine Regel aufgestellt werden. Es sollte vielmehr nur eine Ausnahme, die in erster Linie für Kaufleute galt, ausgesprochen werden. Nur so ist zu erklären, daß Literatur und Rechtsprechung zum Beleg dieser Aussage Goldschmidt zitierten, der eine Unkenntnis veröffentlichter Reglements allenfalls bei Kaufleuten, nicht aber im allgemeinen unbeachtlich sein lassen wollte. Weiterhin wurde der Begriff der Veröffentlichung nicht in dem Sinne verwendet, wie wir ihn heute gebrauchen. Gemeint war nicht allein eine Veröffentlichung in Zeitungen oder in Gesetzesblättern, sondern auch eine Bekanntmachung auf Aushängen, Frachtbriefen und Korrespondenz74. Mit dem Hinweis darauf, daß eine Veröffentlichung ausreichte, sollte damit wohl nur zu dem oben schon vorgestellten Meinungsstreit Stellung bezogen werden75: Goldschmidt glaubte, daß sich der Vertragspartner nicht auf seine Unkenntnis vom Inhalt oder Existenz des Reglements berufen könne, wenn ihm durch gehörige Veröffentlichung in einem Anschlag die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den AGB gewährt worden war76. Mittermaier war anderer Ansicht, weil keine Pflicht zur Kenntnisnahme solcher Anschläge bestehe77. Ein Urteil des Oberappellationsgerichts Wolfenbüttel aus dem Jahre 1849 bestätigt diese Vermutung. In der Urteilsbegründung wird allein eine Veröffentlichung als Einbeziehungsvoraussetzung ausdrücklich erwähnt78. Allerdings scheint mehr als eine bloße Veröffentlichung in unserem heutigen Verständnis vorgelegen zu haben. Denn das Urteil zitiert neben Ulpian D. 4,9,7 pr. noch Ulpian D. 14,3,11,2–6 und Paulus D. 15,1,47 pr. Die letzten beiden Textstellen behandeln aber einen Aushang. Es kann deshalb vermutet werden, daß auch in dem vom Oberappellationsgericht Wolfenbüttel zu entscheidenden Fall entweder zusätzlich zur Veröffentlichung ein Aushang der Reglements vorlag oder daß gerade der Aushang die Veröffentlichung darstellte. Nur vereinzelt wurde die Ansicht vertreten, eine Veröffentlichung genüge prinzipiell für eine Einbeziehung, selbst wenn ein Hinweis auf das Reglement im Frachtbrief fehlte, so von Koch79. Aber auch Kochs Ausführungen gleiten nicht in den Bereich des Normativen ab. Der Begriff der Veröffentlichung 74 Vgl. z.B. Goldschmidt in dem Zitat oben zu Fn. 56. So hieß es in § 13 Abs. 1 der Satzung der Producten-Börse in Frankfurt a.M. von 1862: »Der Börsenvorstand […] setzt die zu beobachtenden Formen und Bedingungen der Abschlüsse, die Usancen und die Art der Preisnotirungen fest, und veröffentlicht dieselben durch Anschlag an der Börse.« 75 Vgl. Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 195 f. Fn. 9; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 392 Anm. 16, Art. 422 Anm. 157 f.; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 9 f. 76 Siehe oben das Zitat zu Fn. 56. 77 Siehe oben das Zitat zu Fn. 58. 78 OAG Wolfenbüttel (26.10.1849), SeuffA 7 (1854), 203, 205. 79 W. Koch II (1860), S. 123, 142 ff.
II. Die Reglements der Transportanstalten
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wurde im 19. Jh. sehr weit verwendet. So zählte ein Aushang am Ort des Vertragsschlusses als Veröffentlichung von AGB. Für Gesetze hatten sich im Laufe des 18. Jh. dagegen feste Publikationsformen entwickelt80. Gesetze wurden nicht mehr, wie es noch im 16. und 17. Jh. üblich gewesen war, bloß verlesen oder an Rathäusern etc. ausgehängt. Zudem scheint Koch keine herrschende Meinung wiedergeben zu wollen, sondern nur eine Behauptung aufzustellen, für die er keine Nachweise anführt. Koch war im Übrigen einer der ersten, der sich in der Literatur zu den Einbeziehungsvoraussetzungen der Eisenbahnreglements äußerte, und seine Analyse war deshalb noch nicht so ausdifferenziert wie bei nachfolgenden Autoren. Zur Veröffentlichung führte er aus81: »Ist aber der Vertrag zwischen dem betreffenden Eisenbahnbeamten und dem Transportaten abgeschlossen, ohne daß etwas Besonderes bei Eingehung des Vertrags erwähnt wurde, so sind die Bestimmungen des betreffenden öffentlich bekannt gemachten Reglements, als die Bedingungen anzusehen, unter welchen die Eisenbahnverwaltung zu contrahiren bereit war, und welche als stillschweigend unter den Partheien verabredet gelten müssen. Dieses wird selbst dann im Zweifel anzunehmen stehen, wenn in dem betreffenden Personenbillet, Gepäckscheine oder Frachtbriefe auf die Bestimmungen der Reglements und der Tarife nicht besonders verwiesen wäre, da in Folge der öffentlichen Bekanntmachung derselben es als Pflicht Desjenigen, welcher die Eisenbahn benutzt, angesehen werden muß, daß er sich vor Eingehung eines Eisenbahntransportvertrags mit diesen Bestimmungen bekannt mache und kann derselbe daher aus der Unkenntniß dieser Reglements keinen Anspruch herleiten.«
Daß ein Hinweis auf der Fahrkarte oder dem Gepäckschein generell untauglich war, weil sie anders als ein Frachtbrief erst nach dem Vertragsschluß ausgegeben werden, erkannte Koch also noch nicht. So wichtig Kochs Monographie für die Entwicklung des Eisenbahnrechts auch gewesen sein mag, für die Frage der Einbeziehungsvoraussetzungen scheint er keine Autorität gewesen zu sein. Koch selbst hat übrigens nach Einführung des ADHGB seine Ausführungen zur Einbeziehung konkretisiert und lag sodann ebenfalls ganz auf der Linie Goldschmidts82. Zur Begründung seiner These, daß die Normentheorie der Sache nach im 19. Jh. gegolten habe und folglich wie bei Gesetzen die bloße Veröffentlichung der Eisenbahnreglements für ihre Geltung ausgereicht habe, verweist Pohlhausen schließlich auf zwei in der Diskussion immer wieder auftauchende Begriffe, den der Autonomie und den der lex contractus83: 80 Vgl. hierzu W. Ebel, Geschichte der Gesetzgebung (2. Aufl. 1958), S. 72 f.; Immel (1976), S. 95 f.; Holzborn (2003), S. 137 ff. 81 W. Koch II (1860), S. 144. 82 W. Koch, ZHR 10 (1866), 70 f. Fn. 7. 83 Pohlhausen (1978), S. 115. Vgl. auch S. 107 ff.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
»›Lex contractus‹ und ebenso die ›Autonomie‹ liefen letztlich darauf hinaus, im Rahmen von Vertragsverhältnissen den Parteien die Befugnis zuzubilligen, einseitig Recht zu setzen. Es sind mit verschobenen Inhalten belegte Schlüsselwörter, die die Funktion in sich trugen, die Rechtsetzung Privater rechtsquellenmäßig, dogmatisch und rechtspolitisch zu legitimieren […].«
Ganz ähnlich geht Röder davon aus, daß die Verwendung der Wendung lex contractus am Ende des 19. Jh. daraufhin deutet, die Juristen hätten AGB als etwas gesetzesähnliches verstanden84. Die Wendung lex contractus taucht in der Tat in Literatur und Rechtsprechung immer wieder auf, allerdings schon weit vor dem Ende des 19. Jh.85. Auch war sie weder ungewöhnlich gewesen, noch wurde sie dazu verwandt, die Geltung der Reglements oder gar eine einseitige Rechtsetzungsbefugnis zu erklären. Die Wendung lex contractus setzt die Vertragstheorie vielmehr voraus86. Sie besagt schlicht, daß zwischen den Parteien das vertraglich Bedungene gilt oder, wie das Obertribunal Berlin ausführte, »ein Vertrag als Spezialgesetz unter den Parteien gilt«87. »Contractus legem dat«, so hieß es auch angelehnt an Ulpian D. 50,17,2388. Ganz ähnlich bestimmt Art. 1134 CC89: »Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites.« Daß die Wendung lex contractus nicht besonders definiert wurde, hängt damit zusammen, daß sich ihre Bedeutung von selbst ergibt. Lex contractus war einfach der durch die Reglements fixierte Vertragsinhalt90: »Allerdings sprechen die römischen Juristen von lex contractus […]; allein sie dachten dabei nicht entfernt an Rechtsnorm und Rechtsquelle, sondern nahmen hier das Wort lex in dem ganz allgemeinen Sinne für Bestimmung, Festsetzung […].«
84
Röder (2006), S. 329. Vgl. z.B. Laband, ZHR 17 (1872), 469; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 4; OTR Stuttgart (3.12.1841), SeuffA 2 (1848), 121; OAG Wolfenbüttel (26.10.1849), SeuffA 7 (1854), 203, 205; OAG Dresden (1851), SeuffA 6 (1853), 81; ROHG (13.6.1871), ROHGE 3, 59, 62; ROHG (15.2.1873), ROHGE 9, 71, 73. Siehe außerdem noch unten den Text zu Fn. 265 und 459. 86 Davon zu unterschieden ist die im 19. Jh. durchaus strittige Frage, ob ein Vertrag Rechtsquelle ist. Zum Teil wurden alle Verträge als Rechtsquelle angesehen, so von Hartmann, Central-Organ 2 n.F. (1866), 317; Ryck, FG Beseler (1885), S. 123 ff. Vgl. hierzu HKK-BGB/Hofer (2003), vor § 145 Rn. 8. 87 OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236. 88 Vgl. OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 237. Weitere, verwandte Wendungen finden sich bei Liebs (5. Aufl. 1991) unter C79, C91, C92, P1 und V8. 89 Vgl. hierzu z.B. ROHG (15.3.1873), ROHGE 9, 338, 340. 90 C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 114). Vgl. auch Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63; Unterholzner I (1840), Rn. 40 (S. 83). Keyßner, Gruchot 12 (1868), 582, benutzte die Wendung der lex contractus auch als Gegensatz zum Begriff der lex als Rechtsquelle. Zum Begriff der lex in diesem Zusammenhang vgl. außerdem L. Mitteis I (1908), S. 149 f.; Kaser I (1971), S. 229; du Plessis, (2006) 3 Roman Legal Tradition 79 ff. 85
II. Die Reglements der Transportanstalten
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So v. Wächter. Und an anderer Stelle führte er i.S.d. Art. 1134 CC aus91: »Denn es verträgt sich durchaus mit der öffentlichen Ordnung und dem allgemeinen Interesse, daß es in der Regel den Betheiligten überlassen wird, ihre konkreten Privatrechtsverhältnisse nach ihrer Willkühr selbst zu bestimmen […] durch Vertrag; der Inhalt solcher […] Vereinbarung gilt dann für das betreffende konkrete Rechtsverhältnis der Betheiligten als Norm.«
In diesem Sinne wird die Wendung lex contractus heute noch benutzt92. Auch der Begriff der Autonomie wurde in Literatur und Praxis häuig verwandt. Man bezeichnete die Reglements als »autonome Satzungen« oder behandelte sie unter der Überschrift »Autonomie der Verkehrsanstalten«93. Pohlhausen scheint zu unterstellen, daß dieser Begriff im Sinne der Rechtsquellenlehre gebraucht wurde. Das würde indes überraschen. War doch der Begriff der Autonomie im Sinne einer Selbstgesetzgebung im 19. Jh. selbst dort umstritten, wo er als Rechtsquelle traditionell benutzt wurde, so bei der Autonomie des Adels94. Eine Ausweitung des Autonomiebegriffs über seinen tradierten Anwendungsbereich hinaus hätte also Widerspruch erzeugen müssen, der aber ausblieb. Der Autonomiebegriff muß also im vorliegenden Zusammenhang anders verwandt worden sein. v. Gerber verweist auf zwei mögliche Bedeutungen des Autonomiebegriffs, die Autonomie als Rechtsquelle und als Privatautonomie95. In diesem zweiten Sinne wurde der Autonomiebegriff verwandt96. So schrieb Otto unter der Überschrift »Die Autonomie der Verkehrsanstalten«97: 91
C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 20 (S. 93). So von Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 2 Rn. 30, § 29 Rn. 1, § 33 Rn. 3; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 602, 611; Wolf, FS Brandner (1996), S. 299. 93 Otto, WürttA 4 (1861), 90, 119. Vgl. außerdem Fuchs, AcP 43 (1860), 96 f.; W. Koch, ZHR 8 (1865), 409. 94 Vgl. einerseits v. Gerber, AcP 37 (1854), 35 ff.; dens., JhJb 3 (1859), 411 ff.; Wilda, Autonomie, in: Weiskes Rechtslexikon I (1842), S. 555 f. Ähnlich C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 114 f.). Vgl. andererseits Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 19 (S. 129 ff.), § 20 (S. 134 ff.); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 24 (S. 106); Maurer, Kritische Ueberschau 2 (1855), 229 ff.; Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 19 (S. 95); Brunner, Autonomie, in: Holtzendorffs Encyclopädie II/1 (1875), S. 146 ff. Vgl. außerdem v. Keller (1861), § 2 (S. 5) und aus der modernen Forschung Meder (2008), S. 47 ff. 95 v. Gerber, AcP 37 (1854), 35 ff. Ebenso Regelsberger, Pandekten I (1893), § 24 (S. 105); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 114 f.); Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 19 (S. 132); Wilda, Autonomie, in: Weiskes Rechtslexikon I (1842), S. 547 ff. Vgl. außerdem Hofer (2001), S. 23 ff.; HKK-BGB/Hofer (2007), vor § 241 Rn. 4. 96 C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 115); ders., Handbuch II (1842), § 11 (S. 50); Goldschmidt, ZHR 1 (1858), 87 f.; Laband, ZHR 17 (1872), 482; W. Koch, ZHR 8 (1865), 409; ders., ZHR 10 (1866), 65, 69; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 132 f.; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 40. So wohl auch Lewis, Seerecht II (2. Aufl. 1884), Art. 782 Anm. 1 (S. 247). Offenlassend Kuhn, BuschA 6 (1865), 338. Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 20 (S. 143), weist ausdrücklich darauf hin, daß insbesondere die Statuten einer Aktiengesellschaft nicht Ausfluß einer Autonomie im Sinne der Rechtsquellenlehre seien, sondern ihre Wirkung nur durch eine vertragsmäßige Unterwerfung entfalten könnten; in Fn. 18 verweist 92
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
»Es ist bekannt, daß die Haftungsgrundsätze der Privatwillkühr überlassen sind. Auch die großen Verkehrsanstalten als Kontrahenten können diesen Satz in Anspruch nehmen, denn ihre Verträge fallen rein in das privatrechtliche Gebiet […].«
Und daß es keine einseitige Rechtsetzungsbefugnis des Verwenders des Reglements gab, wird schließlich in einem Urteil des Appellationsgerichtshofes Köln aus dem Jahre 1849 deutlich98: »[In Erwägung,] Daß in dieser Voraussetzung es sich von selbst versteht, daß die Eisenbahngesellschaften – freilich nicht einseitig – wohl aber im Wege der Vereinbarung mit den Versendern dieselben Abänderungen an den gesetzlichen Bestimmungen treffen können, die auch gewöhnlichen Frachtführern erlaubt sind.«
Daß in der Regel nur der Verwender der Reglements von seiner Privatautonomie Gebrauch machen konnte, lag in der Natur der Sache und war nach damaliger herrschender Meinung unbeachtlich. Der Vertragspartner könne ja, so die Vorstellung, seine Vertragsfreiheit dadurch ausüben, daß er den Vertrag schlicht nicht abschließt99. Allerdings wurde diese Ansicht auch schon im 19. Jh. kritisiert100. Scherner geht schließlich davon aus, daß die Vertragstheorie nur bezüglich der Reglements der Privatbahnen herrschend gewesen sei. Bei den Reglements der Staatsbahnen habe es sich dagegen um echte Rechtsnormen gehandelt101. Diese Differenzierung scheint mir auf Grund der hier ausgewerteten Quellen nicht gerechtfertigt zu sein102. b) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch Seit Aufkommen der Eisenbahnreglements forderte der Handelsstand, daß die Praxis der Eisenbahnen, ihre Haftung durch Reglements auszuschließen bzw. in großem Umfang einzuschränken, eingedämmt werde. Denn die Eisenbahnen nutzten, so die Klage, ihr faktisches Monopol aus, um ihren Vertragspart97 Stobbe als weiteres Beispiel auf die Eisenbahnreglements. Zur Autonomie siehe noch unten den Text zu und nach Fn. 266, 363 und 454. Auch sonst wurde der Begriff der Autonomie in der Literatur oft als gleichbedeutend mit Privatautonomie verwandt, so z.B. von Hartmann, CentralOrgan 2 n.F. (1866), 317. Gegen eine solche Ausdehnung des Begriffes allerdings v. Savigny, System VIII (1849), § 360 (S. 112 f.); Beseler I (1873), § 26 (S. 69 ff.); Brunner, Autonomie, in: Holtzendorffs Encyclopädie II/1 (1875), S. 147. Vgl. hierzu auch HKK-BGB/Hofer (2003), vor § 145 Rn. 8; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 5 f. 97 Otto, WürttA 4 (1861), 119 f. 98 AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 135. 99 So z.B. Beschorner (1858), S. 261; Otto, WürttA 4 (1861), 120. 100 Vogt, DViertJhS 22 (1859), 16 f. 101 Scherner, Badische Wirtschaftspolitik (1999), S. 512; ders., Rechtsvereinheitlichung (1999), S. 543 ff. Ebenso Röder (2006), S. 27. 102 Ausdrücklich dagegen Otto, WürttA 4 (1861), 120 Fn. 34; Ubbelohde, MagHanR 9 (1859), 192 f.; OTR Berlin (14.12.1857), StriethorstA 22 (1858), 359, 361 ff. Vgl. außerdem unten die Nachweise in Fn. 139, Fn. 145, Fn. 156 bis Fn. 158, Fn. 160, Fn. 276 und vgl. Kuhn, BuschA 6 (1865), 338; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 422 Anm. 155.
II. Die Reglements der Transportanstalten
43
nern unbillige Vertragsklauseln aufzuzwingen. Die diskutierten Mittel zur Erreichung dieses Zieles waren vielfältig, und sie wurden auch bei den Vorarbeiten zum ADHGB kontrovers diskutiert103: Zum Bau privater Eisenbahnen bedurfte es einer staatlichen Konzession104, und die Erteilung einer solchen war teilweise mit der Auflage verbunden, daß die Reglements einer staatlichen Genehmigung bedurften. Es wurde deshalb einerseits gefordert, die Genehmigung von unbilligen Reglementbestimmungen zu versagen. Andererseits wurde vorgeschlagen, daß zukünftig Konzessionen nur unter der Auflage erteilt werden sollten, die Verwendung unbilliger Reglementbestimmungen zu unterlassen105. Andere forderten hingegen, der Gesetzgeber müsse zwingende Haftungsbestimmungen für Eisenbahnen einführen. Nach kontroversen Debatten und gegen den Widerstand der Eisenbahnen setzten sich die Befürworter dieses zweiten Weges durch. In den Art. 390 ff. ADHGB war das Frachtgeschäft geregelt. Art. 395 ADHGB enthielt eine verschuldensunabhängige Haftung für Verluste und Beschädigungen. Wurzel der Haftung aus Art. 395 ADHGB war die receptum-Haftung106. Art. 421 ADHGB stellte klar, daß diese Vorschriften auch auf die Frachtgeschäfte der Eisenbahnen Anwendungen fanden. Bei den Art. 390 ff. ADHGB und deshalb auch bei Art. 395 ADHGB handelte es sich grundsätzlich um dispositives Recht. Für die Eisenbahnen erklärte aber Art. 423 ADHGB u.a. Art. 395 ADHGB für zwingend. Ein Ausschluß der Haftung durch Reglements war damit regelmäßig nicht möglich. Daß der Gesetzgeber nur für Eisenbahnen zwingendes Recht einführte, lag darin begründet, daß nur sie ein faktisches Monopol innehatten und nur sie vor Einführung des ADHGB dieses faktische Monopol dazu mißbrauchten, ihren Vertragspartnern unbillige Vertragsklauseln zu diktieren107. Somit erschien auch nur für die Eisenbahnen die Einführung zwingenden Rechts rechtspolitisch gerechtfertigt zu sein.
103 Hierzu vgl. Prot. ADHGB II, S. 827 ff.; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 1 f.; W. Koch, ZHR 8 (1865), 409 ff.; dens. II (1860), S. 319 ff., 329 ff.; Endemann, BuschA 42 (1882), 198; Goldschmidt, Beilageheft zu ZHR 3 (1860), 5, 109 ff.; dens., AcP 41 (1858), 407 ff. Vgl. auch Scherner, Rechtsvereinheitlichung (1999), S. 549; Pohlhausen (1978), S. 10 f., 164 ff.; Helm, FS Brandner (1996), S. 222 ff. 104 Vgl. hierzu ausführlich Reyscher, ZDR 13 (1852), 243 ff.; W. Koch II (1860), S. 482 ff.; Beschorner (1858), S. 1 ff.; Reiss (1985), S. 19 ff. Ein Beispiel eines Konzessionsdekrets ist abgedruckt bei Reiss (1985), S. 241 ff. 105 Vgl. hierzu Endemann, BuschA 42 (1882), 196, 230 f. 106 Prot. ADHGB II, S. 793 ff., IX, S. 4692 ff., 4703 ff.; Gareis (4. Aufl. 1893), S. 510 Fn. 37; Exner, GrünhZ 10 (1883), 500 f.; W. Koch, ZHR 8 (1865), 422; Eger I (2. Aufl. 1888), S. 208. Vgl. auch OTR Berlin (17.10.1867), SeuffA 24 (1871), 399; ROHG (13.6.1874), ROHGE 13, 393, 395; ROHG (4.2.1873), SeuffA 28 (1873), 89, 90; AG Celle (21.2.1873), SeuffA 28 (1873), 91, 92. 107 Vgl. Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 183 (S. 664); Gareis (4. Aufl. 1893), S. 522; Staub (5. Aufl. 1897), Art. 422 Rn. 1; Schott, Transportgeschäft (1885), § 355 (S. 485); Bluntschli (1864), § 160 (S. 495); v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 1.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Allerdings machte es für die Eisenbahnen weiterhin Sinn, Reglements aufzustellen108. Denn im Rahmen der Art. 424 bis 431 ADHGB konnte entgegen Art. 423 ADHGB von den Art. 390 ff. ADHGB abgewichen werden. So konnte nach Art. 424 Nr. 4 ADHGB »in Ansehung der Güter, welche vermöge ihrer eigenthümlichen natürlichen Beschaffenheit der besonderen Gefahr ausgesetzt sind, gänzlichen oder theilweisen Verlust oder Beschädigung […] zu erleiden«, zwischen den Parteien vereinbart werden, »daß für den Schaden nicht gehaftet werde, welcher aus dieser Gefahr entstanden ist«. Auch für die übrigen Frachtführer, wie Landfuhrleute und Schiffer, war es weiterhin opportun, Reglements aufzustellen. Im ADHGB fehlten allerdings besondere Bestimmungen darüber, welche Anforderungen an formularmäßige Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln zu stellen waren. Doch schien das unschädlich gewesen zu sein. Die Diskussion wurde trotz eines neuen gesetzlichen Rahmens ganz auf bekanntem Boden fortgeführt, und es wurde insbesondere weiterhin auf die Ausführungen von Goldschmidt verwiesen109. Vereinzelt wurde auch nach Inkrafttreten des ADHGB noch Ulpian D. 4,9,7 pr. zitiert110. In Literatur und Rechtsprechung wurde nunmehr jedoch zumeist auf Art. 317 ADHGB, der den Vertragsschluß regelte, auf Art. 391 ADHGB, der den Frachtbrief behandelte, insbesondere aber auf Art. 278 f. ADHGB, die die Auslegung von Verträgen betrafen, verwiesen111. Die Frage, ob ein Reglement in den Vertrag einbezogen ist, wurde als Auslegungsproblem verstanden. c) Das Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund und das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands Nachdem das Problem um die unbilligen Reglements der Eisenbahnen durch Einführung zwingenden Rechts im ADHGB gelöst worden war, trat ein anderes Problem in den Vordergrund. Als kundenfeindlich wurde die Vielzahl verschiedener Reglements erachtet, nämlich, daß jede Eisenbahn unterschiedliche Reglements aufstellte112. Art. 45 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 bestimmte daher: »Dem Bund steht die Controlle über das Tarifwesen [der Eisenbahnen] zu. Derselbe wird namentlich dahin wirken, […] daß baldigst auf den Eisenbahnen im Gebiet des Bundes übereinstimmende Betriebsreglements eingeführt werden.«
108
Vgl. hierzu W. Koch, ZHR 8 (1865), 410 f.; Endemann, BuschA 42 (1882), 200 f. Vgl. z.B. Endemann, BuschA 42 (1882), 240 ff. 110 ROHG (13.1.1874), ROHGE 12, 107, 109, SeuffA 30 (1875), 95. 111 Puchelt II (2. Aufl. 1876), Art. 423 Anm. 8; ROHG (13.6.1871), ROHGE 3, 59. Zum Vertragsschluß nach dem ADHGB vgl. Bühler (1991), passim. Zu Auslegung nach dem ADHGB durch das ROHG vgl. z.B. Ogorek, ZHR 150 (1986), 87, 95 ff. 112 Vgl. hierzu Endemann, BuschA 42 (1882), 201. 109
II. Die Reglements der Transportanstalten
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Auf dieser Grundlage beschloß der Bundesrat des Norddeutschen Bundes ein Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund, das im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und am 1.10.1870 in Kraft trat113. Nach der Reichsgründung ersetzte es der Bundesrat auf Grundlage des gleichlautenden Art. 45 der Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 durch das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands114. Nach einer Mindermeinung handelte es sich bei diesen Reglements um Normen, die gestützt auf Art. 45 der Verfassung erlassen worden waren115. Nach dieser Ansicht galten sie unmittelbar für jeden mit einer Eisenbahn geschlossenen Frachtvertrag. Auf eine Kenntnis der Betriebsreglements kam es nicht an116. Begründet wurde diese Ansicht zum einen damit, daß der Bundesrat verbindliche Normen erlassen wollte, und zum anderen mit dem Schutz der Vertragspartner. Denn die Betriebsreglements seien im Interesse der Eisenbahnkunden erlassen worden. Dieser Schutz werde aber nur unvollkommen gewährleistet, wenn ihre Anwendbarkeit davon abhinge, daß die Eisenbahnen sie zum Vertragsinhalt machten117. Herrschend war jedoch die Meinung, welche die Geltung der beiden Betriebsreglements auf Grundlage der Vertragstheorie zu erklären suchte118. Am ausführlichsten hat sich Endemann mit dem Problem der Geltung des Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands auseinandergesetzt119. Es handele sich um kein Gesetz, denn es fehle an der nach Art. 5 der Reichsverfassung für Gesetze erforderlichen Mitwirkung des Reichstages120. Es sei auch keine Verordnung. Die hierfür erforderliche Verkündung sei nämlich nicht er-
113 BGBl. 1870, S. 419. Ganz beseitigt wurden die unterschiedlichen Reglements der Eisenbahnen dadurch nicht; auch die Betriebsreglements ließen den Bahnen noch Raum für eigene Reglements; daraus resultierte ein äußerst komplexes Nebeneinander von Gesetzesrecht, Betriebsreglement, Vereinsreglements und Reglements der einzelnen Eisenbahnen; vgl. Endemann, BuschA 42 (1882), 203 f., 256 ff. 114 RGBl. 1871, S. 473. Die Fassung vom 11.5.1874 ist abgedruckt bei Makower (6. Aufl. 1875), S. 796 ff. Kommentiert wurde es z.B. von Levin (1872), passim. 115 Schott, Transportgeschäft (1885), § 352 (S. 463 ff.); Haenel, Studien II/1 (1880), S. 81 ff.; ders., Staatsrecht I (1892), S. 654 ff.; ROHG (13.6.1874), ROHGE 13, 393. Unklar ROHG (9.5.1876), ROHGE 20, 373; ROHG (7.6.1876), ROHGE 21, 108, 110. Reiss (1985), S. 37, meint, es handelte sich um die h.M. Die hier ausgewerteten Quellen lassen diesen Schluß jedoch nicht zu; wie hier auch Eger III (2. Aufl. 1891), S. 197 ff. 116 Schott, Transportgeschäft (1885), § 353 (S. 475). 117 Schott, Transportgeschäft (1885), § 352 (S. 463 ff.). 118 Endemann, BuschA 42 (1882), 221 ff.; Levin (1872), S. 13 Anm. 1a; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 422 Anm. 155; Staub (5. Aufl. 1897), Art. 422 Rn. 3 f.; Gareis (4. Aufl. 1893), S. 525 f.; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 7 ff.; Thöl III (1880), § 49 (S. 90 f.); Puchelt II (2. Aufl. 1876), Art. 423 Anm. 3 f.; Beseler II (1873), § 233 (S. 962); Laband II (1878), S. 373 ff.; ROHG (30.11.1875), ROHGE 19, 184, 184 f.; RG (6.3.1886), RGZ 15,152. Offenlassend v. Rönne II/1 (2. Aufl. 1877), S. 321 f. 119 Endemann, BuschA 42 (1882), 221 ff. 120 Endemann, BuschA 42 (1882), 223; ROHG (30.11.1875), ROHGE 19, 184, 185.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
folgt121. Es könne mithin keine direkte Wirkung zwischen der Eisenbahn und ihren Kunden entfalten122. Das Betriebsreglement sei schlicht ein Verwaltungsakt, der die Eisenbahnen verpflichte, nur unter dessen Einbeziehung zu kontrahieren123. Damit das Reglement zur Geltung kam, mußte es also in den Vertrag einbezogen werden124. Gemäß § 50 Nr. 7 des Betriebsreglements waren als Frachtbriefe zwingend die in der Anlage B und C zum Betriebsreglement vorgeschriebenen Formulare zu benutzen und in diesen Formularen wurde ausdrücklich auf das Betriebsreglement verwiesen125: »Sie empfangen die nachstehend verzeichneten Güter auf Grund der in den Betriebsregelements und Tarifen der betreffenden Bahnen beziehungsweise Verkehre enthaltenen Bestimmungen, welche für diese Sendung in Anwendung kommen.«
Zusätzlich hieß es in der Schlußbestimmung126: »Das Betriebs-Reglement wird durch das ›Central-Blatt für das Deutsche Reich‹ publiziert. Jede Eisenbahnveraltung hat Exemplare desselben für das Publikum bereit zu halten und demselben gegen Erstattung der Kosten zu überlassen.«
Nach Endemann mußte nach der Schlußbestimmung das Reglement auch in einer am Sitz der Eisenbahn erscheinenden Zeitung veröffentlicht werden127. Damit waren die besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen nunmehr auch durch Verwaltungsakt gewährleistet. Eine Auseinandersetzung mit dem Problem um die Einbeziehung schien damit entbehrlich zu sein, und auf sie wurde in der Literatur auch weitestgehend verzichtet128. Im Übrigen bewegte sich die Literatur ganz auf schon bekanntem Boden129 und verwies insbesondere weiterhin auf Goldschmidt130. 2. Die Reglements der übrigen Landfrachtführer, Transportanstalten, der Binnen- und der Seeschiffer Das zur Rechtsnatur, zum Geltungsgrund und zu den Einbeziehungsvoraussetzungen der Eisenbahnreglements Gesagte galt nicht nur für die Reglements
121
Endemann, BuschA 42 (1882), 223 f. Endemann, BuschA 42 (1882), 225. 123 Endemann, BuschA 42 (1882), 226, 236 f. So auch RG (6.3.1886), RGZ 15,152. 124 Hierzu ausführlich Endemann, BuschA 42 (1882), 238 ff. Vgl. zudem v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 9. 125 Fassung vom 30.4.1878; zitiert aus v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Vor Art. 422 Rn. 9. 126 Fassung vom 11.5.1874; zitiert aus Makower (6. Aufl. 1875), S. 824. 127 Endemann, BuschA 42 (1882), 242. 128 Vgl. Thöl III (1880), § 45 (S. 90 ff.). 129 Vgl. z.B. Endemann, BuschA 42 (1882), 240 ff. 130 Vgl. z.B. Endemann, BuschA 42 (1882), 240. 122
II. Die Reglements der Transportanstalten
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der übrigen Landfrachtfahrer, der Binnen- und der Seeschiffer131. Die Vertragstheorie galt sogar für die Posten, und das obwohl sie vom Staat betrieben wurden. Denn auch eine Postanstalt schloß mit ihrem Kunden einen Vertrag, der trotz der Regalität der Post privatrechtlicher Natur war132. Nach vorherrschender Meinung handelte es sich um eine locatio conductio operis, oder genauer, um einen Frachtvertrag133, und ganz in diesem Sinne erklärte auch Art. 421 ADHGB das Frachtrecht des ADHGB für anwendbar134. Zuvor war diskutiert worden, ob die receptum-Haftung auch auf die Postanstalten analog angewendet werden sollte135. Vorrangig galten freilich die Bestimmungen der in den einzelnen deutschen Staaten erlassenen Postgesetze und -reglements, die oftmals auch Sonderbestimmungen zur Haftung der Postanstalten enthielten136. Ursprünglich scheinen diese Postreglements als Gesetze erlassen worden zu sein137. Obwohl keine zwingenden Gründe für diesen Meinungswechsel ersichtlich sind, wurden die Reglementbestimmungen seit Mitte des 19. Jh.
131 Lewis, Transportgeschäft (1884), § 34 (S. 157); OAG Lübeck (29.5.1856), Frankfurter Rechtssachen 3 (1861), 254, 256; RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 76; RG (11.2.1888), RGZ 20, 115. 132 Neben den in der folgenden Fußnote Genannten ausdrücklich Kompe, ZDR 18 (1858), 315; ders., ZHR 11 (1868), 13, 34 ff.; Schellmann (1861), S. 5 ff.; Jaffé (1897), S. 22 ff.; Meili, Postanstalten (1877), S. 30; ders., Transportanstalten (1888), S. 91; G. Meyer I (2. Aufl. 1893), S. 581. Nach Krauß (1998), S. 143 ff., war das bereits im 17. und 18. Jh. herrschende Meinung. A.A. v. Linde, ZCivProz 16 (1859), 197; Zorn II (1883), S. 27. Vgl. auch Prot. ADHGB IX, S. 5048 ff. 133 Vgl. die Ansichten von Laband II (1878), S. 295, 327 ff.; Mandry, AcP 60 (1877), 197; Anonym, SeuffBl 11 (1846), 17; Höpfner, AcP 36 (1853), 119 ff.; E. Meier, Post, in: Holtzendorffs Encyclopädie II/2 (2. Aufl. 1876), S. 331; Kompe, ZDR 18 (1858), 312 ff.; dems., ZHR 11 (1868), 13, 41 ff.; Schellmann (1861), S. 10 ff.; Jaffé (1897), S. 26 ff.; Meili, Transportanstalten (1888), S. 92; G. Meyer I (2. Aufl. 1893), S. 582. Anders Karstens, AcP 37 (1854), 199 ff. Zum Meinungsstand im 18. Jh. Krauß (1998), S. 147 ff. 134 »Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden auch Anwendung auf Frachtgeschäfte von Eisenbahnen und anderen öffentlichen Transportanstalten. Sie gelten jedoch für die Postanstalten nur insoweit, als nicht durch besondere Gesetze oder Verordnungen für dieselben ein Anderes bestimmt ist.« Vgl. außerdem schon ALR II 15 § 157. Zur Vorgeschichte des Art. 421 ADHGB vgl. v. Linde, ZCivProz 16 (1859), 295 ff.; Prot. ADHGB IX, S. 5048 ff. Strittig war, ob Art. 421 ADHGB nur die Paketbeförderung betraf oder auch die Briefpost. Die wohl h.M. wandte Art. 421 ADHGB auch auf die Briefpost an. 135 Siehe schon die Nachweise oben in Fn. 18. 136 So §§ 10 ff. Preußisches Gesetz über das Postwesen von 1852, PreußGS 1852, S. 345; §§ 6 ff. Gesetz über das Postwesen des Norddeutschen Bundes von 1867, BGBl. des Norddeutschen Bundes, S. 61 (hierzu Wolff, ZGesRpfl 4 (1870), 130 ff.); §§ 6 ff. Gesetz über das Postwesen des Deutschen Reiches von 1871, RGBl. 1871, S. 347 (hierzu v. Rönne II/1 (2. Aufl. 1877), S. 305 ff.; Mandry, AcP 60 (1877), 201 ff.; Dambach (4. Aufl. 1881), S. 29 ff.). Neben diesen Postgesetzen gab es noch zahlreiche Postverträge als Quelle des Postrechts. Sie hatten den Postverkehr zwischen den deutschen Staaten und dem Ausland zum Gegenstand. Sie bleiben hier unberücksichtigt. 137 Die Rechtsnatur der Postordnungen wurde zu Beginn des 19. Jh., soweit ersichtlich, nicht erörtert. Doch wurden sie als Rechtsquelle des Postrechts bezeichnet, was auf eine Rechtsnormqualität hindeutet. Anders z.B. Runde (4. Aufl. 1806), § 136 (S. 113 f.).
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
als Vertragsabreden qualifiziert138. Später finden sich zudem ausdrückliche Vorschriften zur Geltung der Postreglements. So sollte gemäß Art. 50 Abs. 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes das Bundespräsidium ein Postreglement erlassen. § 57 des Gesetzes über das Postwesen des Norddeutschen Bundes von 1867 ergänzte diese Bestimmung wie folgt139: »Das Bundespräsidium ist ermächtigt, durch ein von demselben zu erlassendes und mittelst der für die Publikation amtlicher Bekanntmachungen der Behörden bestimmten Blätter zur öffentlichen Kenntniß zu bringendes Reglement, dessen Bestimmungen als ein Bestandtheil des zwischen dem Absender oder Reisenden einerseits und der Postverwaltung andererseits eingegangenen Vertrages erachtet werden sollen […].«
Auf dieser Grundlage erließ der Bundeskanzler 1867 das Reglement zu dem Gesetz über das Postwesen des Norddeutschen Bundes140. § 57 Bundespostgesetz bestätigt, daß dieses Reglement als Vertragsabrede verstanden wurde. Zudem normierte § 57 Bundespostgesetz die Einbeziehungsvoraussetzungen abschließend. Es bedurfte nur noch einer Veröffentlichung in Amtsblättern. Schon Goldschmidt hatte es als Ausnahme anerkannt, daß eine solche Veröffentlichung ausreichte, wenn dies gesetzlich angeordnet war141. Daß der Absender oder Reisende der Einbeziehung des Reglements noch zustimmen mußte, war in § 57 Bundespostgesetz nicht angeordnet. Für Sachsen hat Krauß weiterhin nachgewiesen, daß üblicherweise alle Postgesetze, -ordnungen und -reglements bis ins 19. Jh. hinein in den Postämtern öffentlich angeschlagen wurden142. Nach der Reichsgründung ging die Kompetenz zum Erlaß des Postreglements gemäß Art. 50 Abs. 2 der Reichsverfassung auf den Kaiser über. Abweichend davon sollte laut § 50 Abs. 1 des Gesetzes über das Postwesen des Deut-
138
Vgl. Otto, WürttA 4 (1861), 120 Fn. 96; OAG Dresden (1851), SeuffA 6 (1853), 81. Das bestätigt wiederum den Befund von oben, daß es auch für die rechtliche Qualifizierung der Eisenbahnreglements unbeachtlich war, ob die Eisenbahn von der öffentlichen Hand betrieben wurde oder nicht; siehe oben Fn. 102. 139 BGBl. 1867, S. 61, 73. Betonung hinzugefügt. Ganz ähnlich schon § 50 Preußisches Gesetz über das Postwesen von 1852, PreußGS 1852, S. 358: »Die Postverwaltung ist ermächtigt, durch ein von ihr zu erlassendes und durch die Amtsblätter zur öffentlichen Kenntniß zu bringendes Reglement, dessen Bestimmungen als ein Bestandtheil des zwischen dem Absender oder Reisenden einerseits und der Postverwaltung andererseits eingegangenen Vertrages erachtet werden sollen, die weiteren bei Benutzung der Posten zu Versendungen und Reisen zu beobachtenden Vorschriften zu treffen, […].« Im Sächsischen Postgesetz von 1859, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen 1859, S. 89 ff., fehlte dagegen eine entsprechende Anordnung. In dessen § 63 war nur die Zuständigkeit für den Erlaß des Reglements geregelt. 140 Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten 1868, S. 7. Die Kompetenz des Bundeskanzlers ergab sich aus dem Präsidialerlaß betreffend die Verwaltung des Post- und Telegraphenwesens des Norddeutschen Bundes von 1867, BGBl. 1867, S. 328. 141 Vgl. schon oben den Text zu Fn. 55. 142 Krauß (1998), S. 89 ff.
II. Die Reglements der Transportanstalten
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schen Reiches von 1871 der Reichskanzler das Reglement erlassen143, was er 1871 tat144. Wie schon zuvor von § 57 Bundespostgesetz wurde auch dieses Reglement von § 50 Abs. 2 Reichspostgesetz als Vertragsbestandteil qualifiziert145, und die Vertragsnatur des Reglements wurde daher von der herrschenden Meinung zunächst nicht in Frage gestellt146. Schließlich galt die Vertragstheorie auch für die Reglements der Telegraphenanstalten147. Wie im Postrecht war im Telegraphenrecht unbestritten, daß zwischen der Telegraphenanstalt und dem Absender einer Depesche ein Vertrag privatrechtlicher Natur zustande kam, wobei die Vertragsart strittig war. Die Lehre war bestrebt, eine Analogie zu Grundsätzen des römischen Rechts zu ziehen148. Als herrschend kristallisierte sich die Ansicht heraus, daß wie bei Frachtverträgen eine locatio conductio operis vorliege149 und die Grundsätze der receptum-Haftung anzuwenden seien150. Denn bei der Telegraphie, so die damalige Argumentation, werde ja zumindest der Inhalt der Nachricht transportiert, und deshalb handele es sich um ein Frachtgeschäft151. Auch die Telegraphenanstalten hafteten daher grundsätzlich verschuldensunabhängig für Schäden, die sich aus einer Falschübermittlung oder einer unterlassenen Über143
RGBl. 1871, S. 347, 357. Post-Reglement, Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten 1872, S. 16. In Bayern und Württemberg galten besondere Postordnungen. Der Sache nach bestanden, soweit ersichtlich, für die hier interessierenden Fragen indes keine Unterschiede. Um das Reichspostreglement rankten sich zahlreiche verfassungsrechtliche Kontroversen, die hier nicht weiter interessieren. 145 »Diese Vorschriften gelten als Bestandtheil des Vertrages zwischen der Postanstalt und dem Absender, beziehungsweise Reisenden.« 146 Vgl. z.B. Laband II (1878), S. 297, 327 ff.; Mandry, AcP 60 (1877), 199; Jaffé (1897), S. 28; Dambach (4. Aufl. 1881), S. 163; Schmidt, Gruchot 33 (1889), 199 ff.; Mittelstein (1891), S. 4 f.; G. Meyer I (2. Aufl. 1893), S. 573, 582; Motive EGBGB, S. 150. A.A. Schott, Transportgeschäft (1885), § 365 (S. 533 f.). Die Diskussion entsprach der um die Natur des Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands. 147 Zu diesen Reglements vgl. z.B. Reyscher, ZDR 19 (1859), 307 ff. 148 Vgl. kritisch Mittermaier, AcP 46 (1863), 24 ff. Zum römischen Recht als »Deutungshintergrund« des Handelsrechts Rückert, Handelsrechtsbildung (1993), S. 48 ff. 149 Vgl. Reyscher, ZDR 19 (1859), 297 f.; v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 73 f.; Fuchs, AcP 43 (1860), 96; W. Koch II (1860), S. 350; Laband II (1878), S. 332 (der eine locatio conductio operis annahm, aber die Anwendung transportrechtlicher Vorschriften ablehnte); G. Meyer I (2. Aufl. 1893), S. 599. Zum Teil a.A. Mittermaier, AcP 46 (1863), 28 f.; Busch, AcP 45 (1862), 3 ff. Ganz anders die im späten 19. Jh. aufkommende Meinung, die wie bei den Postanstalten das Benutzungsverhältnis zwischen dem Publikum und den Telegraphenanstalten öffentlich-rechtlich qualifizierte; so Zorn II (1883), S. 27. 150 Reyscher, ZDR 19 (1859), 298 ff.; zustimmend auch v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 74; vgl. auch Mittermaier, AcP 46 (1863), 39. Nicht erwähnt wird die receptum-Haftung von Fuchs, AcP 43 (1860), 96. 151 Gareis (4. Aufl. 1893), S. 501, 538; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 390 Anm. 9; Schott, Transportgeschäft (1885), § 372 (S. 584 ff.), § 373 (S. 593); Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 187 (S. 679); v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 69, 74; vgl. auch Reyscher, ZDR 19 (1859), 297 f.; W. Koch II (1860), S. 349. 144
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
mittlung ergaben, und sie versuchten diese Haftung in ihren Reglements zu beschränken. Nur vereinzelt wurde die Ansicht vertreten, daß es sich bei diesen Reglements um Normen handele152. Alleiniger Betreiber der Telegraphenanstalten war der Staat153, und anfänglich wurden Privatdepeschen nicht zur Versendung angenommen. In Preußen wurden sie erst im Jahre 1849 zugelassen154. In Württemberg entwarf das Finanzministerium das Reglement für die Benutzung der Telegraphenanstalten durch Private155. Dieses Reglement enthielt auch die Haftungsausschlußklauseln. Das Finanzministerium war der Ansicht, daß eine Zustimmung der Abgeordnetenkammer zu dem Reglement entbehrlich sei, denn es handele sich bei dem Reglement nicht um ein Gesetz, sondern lediglich um Bestimmungen, die durch Abrede Vertragsbestandteil werden156. Reyscher wendete ein157, daß »1) das volkswirtschaftliche Interesse verlange, daß der Telegraph als öffentlichrechtliche Anstalt behandelt werde, als eine Anstalt, deren Benützung dem Publikum durch gesetzliche Normen gesichert sei, und nicht als eine Privatangelegenheit, welche von dem Finanzminister an beliebige Bedingungen geknüpft werden könnte; 2) es wäre gegen den Sinn und Geist der Verfassung, wenn eine Anstalt, welche nicht blos einen finanziellen, sondern auch einen polizeilichen Charakter habe […], von der Willkühr der jeweiligen Finanzverwaltung abhienge; 3) der Telegraphenanstalt stehe ein factisches Monopol zur Seite: denn es bestehe keine Konkurrenz, und es würde, wenn je eine Privatgesellschaft aufträte, um einen Telegraphen durch das Land zu führen und mit dem Staatstelegraphen in Konkurrenz zu treten, dieselbe wohl keine Konzession erhalten. Die Bestimmungen, welche über den Telegraphen gegeben werden (es wurden namentlich die über die Gewähr hervorgehoben), normiren Rechte und Pflichten für alle Bürger, die keine Wahl haben, sich denselben zu unterwerfen oder nicht.«
Die Ansicht Reyschers war also rechtspolitisch motiviert: Der Exekutive solle es nicht möglich sein, durch die Qualifizierung der Reglements als bloße Vertragsbedingungen das Zustimmungsrecht des Parlaments zu umgehen. Dem Charakter der Telegraphenanstalten als öffentlich-rechtliche Anstalt werde diese Einordnung zudem nicht gerecht. Die Einordnung der Reglements der Telegraphenanstalten als Rechtsnorm hatte jedoch noch einen weiteren Grund. Mittermaier führte aus158: 152
So z.B. für Österreich v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 74. Vgl. hierzu z.B. Meili, Telegraphie (1892), S. 8 ff. 154 So die Angabe bei Zeigermann, ArchWHR 9 (1860), 270. 155 Zur Lage in Preußen vgl. z.B. Mittermaier, AcP 47 (1864), 229. Hier wurde das Reglement vom Handelsministerium erlassen. 156 Vgl. die Äußerung des württembergischen Finanzministeriums in der Sitzung der Kammer der Abgeordneten vom 24.11.1858, zitiert in Reyscher, ZDR 19 (1859), 308. 157 Reyscher, ZDR 19 (1859), 309. 158 Mittermaier, AcP 46 (1863), 42. 153
II. Die Reglements der Transportanstalten
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»Schon hat […] die irrige Ansicht, daß wegen der Reglements die Telegraphenverwaltung für Mißgriffe ihrer Beamten nicht hafte, manche Bürger, welche die Bedeutung solcher Verwaltungsnormen nicht würdigen und selbst Richter eingeschüchtert, welche jede von der Regierung ausgehende Norm wie ein Gesetz ohne Prüfung betrachten.«
Mangelnde Differenzierung habe dazu geführt, daß diese Reglements als Gesetzesnormen angesehen wurden. Ähnlich beobachtete Endemann zu dem Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands159: »Ihnen allen [den Kunden] ist das Reglement so gut wie Gesetz, weil sie das Eine wissen, daß die Eisenbahnen sich an daßelbe halten und anders auf Geschäfte sich nicht einlassen. Thatsächlich ist es Norm, der sich gefügt wird und gefügt werden muß. Die Unterscheidung von Gesetz, Verwaltungsakt, Vertragsbedingung oder Vertragsproposition zu begreifen, wer mag sich dazu Mühe geben? Daher nimmt es nicht Wunder, daß nach der populären Auffassung das Betriebsreglement für ebenso gültig, wenn nicht noch gültiger und zwingender als das großentheils nur dispositive Handelsgesetzbuch betrachtet wird. Das kann freilich nicht erübrigen, in der juristischen Auffassung gleichwohl die Unterscheidung scharf aufrecht zu erhalten.«
Herrschend war jedoch auch hier die Meinung, welche die Geltung der Reglements der Telegraphenanstalten auf Grundlage der Vertragstheorie erklärte und die deshalb verlangte, daß die Reglements in den Vertrag einbezogen werden müssen160. Unbeachtlich war dabei wiederum, daß die Reglements von staatlicher Seite herrührten161. Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes bzw. des Reichs ergaben sich dieselben Änderungen wie bei den Postreglements. Art. 50 Abs. 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes bzw. der Reichsverfassung ermächtigte das Bundespräsidium bzw. den Kaiser zum Erlaß der Telegraphenreglements162. Im Postrecht bestimmte das Bundes- bzw. das Reichspostgesetz, daß die vom Kanzler erlassenen Reglements als Vertragsabreden gelten sollten163. Ein Telegraphengesetz, das ähnliches für die Bundestelegraphenordnung von 1867164 bzw. für die des Reiches von 1872 angeordnet hätte165, gab es zunächst nicht, und auch das Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs 159
Endemann, BuschA 42 (1882), 245 f. Vgl. Mittermaier, AcP 46 (1863), 40 ff.; dens., AcP 47 (1864), 242 f.; Gensel, Deutsche Gerichts-Zeitung 6 (1864), 182; G. Meyer I (2. Aufl. 1893), S. 599; LG Köln (29.7.1856), ZDR 19 (1859), 456; vgl. zu einem ministeriellen Reglement einer Staatsbahn OTR Berlin (14.12.1857), StriethorstA 26 (1858), 359, 361 ff. Vgl. außerdem Scherner, Innovation (1999), S. 523 f., 533. 161 Siehe schon oben den Text zu Fn. 102. 162 Im Norddeutschen Bund übertrug wiederum der Präsidialerlaß betreffend die Verwaltung des Post- und Telegraphenwesens des Norddeutschen Bundes von 1867, BGBl. 1867, S. 328, die Kompetenz zum Erlaß des Reglements auf den Bundeskanzler. 163 Siehe oben das Zitat zu Fn. 139 und das Zitat in Fn. 145. 164 Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten 1868, S. 36. Den üblichen Haftungsschluß enthielt die Ordnung in § 24. 165 RGBl. 1872, S. 213. Vgl. zu ihr z.B. v. Rönne II/1 (2. Aufl. 1877), S. 311 ff. 160
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
von 1892 ließ eine solche Vorschrift missen. Dennoch entsprach es der herrschenden Meinung, daß es sich bei diesen Telegraphenordnungen ebenso wie bei den Postreglements um Vertragsabreden handelte, für deren Einbeziehung eine bloße Veröffentlichung ausreichte166.
III. Die Aushänge der Gastwirte Die Gastwirte waren der verschuldensunabhängigen receptum-Haftung ebenfalls ausgesetzt, so wie sie heute noch nach § 701 Abs. 1 BGB haften167. Allerdings verstehen wir diese Haftung aus § 701 Abs. 1 BGB heute als eine gesetzliche Haftung168. Früher wurde die receptum-Haftung dagegen auf einen Vertrag zurückgeführt169. Begründet wurde dieser Vertrag durch Einbringung der Sachen beim Wirt. Der Wirt nahm das in der Einbringung stillschweigend enthaltene Angebot des Gastes nach damaliger Ansicht durch Entgegennahme der Sache stillschweigend an. Auch die Gastwirte versuchten dieser Haftung zu entgehen, und zwar indem sie einen Haftungsausschluß aushängten. Die Voraussetzungen, die erfüllt sein mußten, damit ein solcher Aushang Wirkung entfalten konnte, waren umstritten. Mußte der Gast den Aushang gelesen haben? Mußte er dem Haftungsausschluß ausdrücklich zugestimmt haben, oder genügte ein stillschweigendes Einverständnis? Konnte ein Anschlag, der erst nach Einbringung der Sachen gelesen werden konnte, noch irgendwelche Wirkungen entfalten? Jede dieser Fragen wurde kontrovers diskutiert. Die herrschende Meinung verlangte, daß der Gast den Anschlag wirklich gelesen hatte170, wobei innerhalb dieser Meinung die Beweislastverteilung strittig war. Nach vorherrschender Ansicht mußte der Wirt beweisen, daß der Gast den Anschlag gelesen hatte171. Andere glaubten dagegen, die Lektüre des Aushangs durch den Gast könne vermutet werden, und legten daher dem Gast auf, darzutun, daß er den Anschlag übersehen hatte172. 166 Laband II (1878), S. 330; Motive EGBGB, S. 151. A.A. z.B. Schott, Transportgeschäft (1885), § 372 (S. 586), § 373 Fn. 43 (S. 599 f.). 167 Vgl. zum folgenden schon Hellwege, ZNR 29 (2007), 240 ff. Zur Entwicklung des Gastwirtsrecht vgl. nunmehr umfassend Zimmermann, FS Luig (2007), S. 271 ff., und zur Entwicklung in England dens., FS Canaris II (2007), S. 1435 ff. 168 Vgl. statt aller Staudinger/Werner (2006), Vor § 701 Rn. 5. 169 Siehe oben die Nachweise in Fn. 13. 170 Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 384; Sturm, Gastwirthe (1892), S. 30 f.; Anonym, SeuffBl 17 (1852), 196; OAG Dresden (Oktober 1855), SeuffA 10 (1856), 216; Müller (2. Aufl. 1857), S. 32. So wohl auch Gruchot, Gruchot 18 (1874), 91 ff. 171 Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 384 f.; Sturm, Gastwirthe (1892), S. 30 f.; OAG Dresden (Oktober 1855), SeuffA 10 (1856), 216. 172 Anonym, SeuffBl 17 (1852), 196 f.
III. Die Aushänge der Gastwirte
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Bei der Frage, ob der Gast dem Haftungsausschluß ausdrücklich zustimmen mußte oder ob auch ein stillschweigendes Einverständnis ausreichte, differenzierte die herrschende Meinung173. Hatte der Gast den Aushang vor oder bei Einbringung der Sachen gelesen, dann genügte eine stillschweigende Annahme durch den Gast. Eine solche wurde schon darin gesehen, daß der Gast seine Sachen in Kenntnis des Anschlags einbrachte. Erfolgte der Aushang dagegen erst auf dem vom Gast zu beziehenden Zimmer, wie dies in der Praxis wohl üblich war, dann wurde daraus, daß der Gast nicht protestierte, sondern seinen Aufenthalt einfach fortsetzte, nicht geschlossen, daß er sich mit einer nachträglichen Modifizierung des Haftungsmaßstabes einverstanden erklärte. Es wurde eine ausdrückliche Zustimmung verlangt. Aber es gab auch Stimmen, die immer, also auch wenn der Haftungsausschluß vor oder bei Einbringung der Sachen gelesen worden war, eine ausdrückliche Zustimmung verlangten174, wie auch solche Stimmen, die grundsätzlich eine stillschweigende Zustimmung genügen ließen175. War der Haftungsausschluß erst auf dem Gastzimmer angeschlagen und fehlte eine ausdrückliche Zustimmung des Gastes, so verneinte die herrschende Meinung also eine wirksame Einigung über die Modifizierung des Haftungsmaßstabs176. Anders hatte jedoch das Oberappellationsgericht Dresden in einem Fall aus dem Jahre 1855 entschieden177. Ein Reisender war bei seinem Aufenthalt in einer Herberge bestohlen worden. Auf dem Zimmer des Reisenden war folgender Anschlag zu lesen: »Alle geehrte Reisende, welche Pretiosen, Gelder, so wie überhaupt Sachen von Werth bei sich führen, werden ersucht, mir dieselben zu Aufbewahrung zu geben, da ich nur unter dieser Voraussetzung dafür hafte.«
Die grundsätzliche Möglichkeit, einen Ausschluß der receptum-Haftung zu vereinbaren, ergab sich für das Oberappellationsgericht in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung aus Ulpian D. 4,9,7 pr. Nach Ansicht des Oberappellationsgerichts mußte der Wirt nachweisen, daß der Gast den An173 Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 120 Fn. 20 (S. 703); Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 373 ff., 383 ff.; Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345); Glück VI/1 (1800), § 489 (S. 115); Thibaut II (2. Aufl. 1805), § 912 (S. 308); Müller (2. Aufl. 1857), S. 32; C.F. Koch III (2. Aufl. 1859), § 359 (S. 1003 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten II (1881), § 200 (S. 446); Windscheid/ Kipp II (9. Aufl. 1906), § 384 Fn. 8 (S. 622); v. Holzschuher II/2 (1847), S. 795 f.; Buddeus, Gastwirth, in: Weiskes Rechtslexikon IV (1843), S. 447 f.; StadtG Frankfurt (o.D.), ArchPraktRw 4 n.F. (1867), 414, 415. 174 Sturm, Gastwirthe (1892), S. 31. So auch Mittermaier im Telegraphenrecht, siehe oben den Nachweis in und den Text vor und nach Fn. 60. 175 v. Wening-Ingenheim I (3. Aufl. 1827), § 343 (S. 719); Seuffert II (4. Aufl. 1867), § 405 mit Fn. 17 (S. 375 f.); Anonym, SeuffBl 17 (1852), 194 f.; OAG Dresden (Oktober 1855), SeuffA 10 (1856), 216. Im Ergebnis auch Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 383. 176 Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345); Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 213 (S. 614); StadtG Frankfurt (o.D.), ArchPraktRw 4 n.F. (1867), 414, 415. 177 OAG Dresden (Oktober 1855), SeuffA 10 (1856), 216.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
schlag gelesen und nicht protestiert hatte. Dann könne von einer stillschweigenden Zustimmung zur Modifikation des Haftungsmaßstabs ausgegangen werden. Ulpian D. 4,9,7 pr., der eine Ankündigung vor Einbringung erfordere178, stehe nicht entgegen. Denn dieser Text behandele nur den Fall, daß der Schiffer seine Haftung ganz ablehne. Im vorliegenden Fall habe der Wirt aber nur die Bedingungen mitgeteilt, unter denen er gerade haften wolle. Diese Differenzierung überzeugt freilich nicht. Ob der Wirt durch den Anschlag die Haftung nun ganz ausschließt oder ob er lediglich besondere Haftungsvoraussetzungen aufstellt und damit die Haftung einschränkt, kann für die Frage, ob das bereits begründete Schuldverhältnis durch den nachträglichen Anschlag noch modifiziert oder aufgehoben werden kann, nicht erheblich sein. Es überrascht daher wenig, daß die Begründung dieses Urteils in der Literatur auf Widerspruch stieß179: Das bereits begründete Schuldverhältnis könne nachträglich nicht mehr durch die einseitige Erklärung des Wirts verändert werden. Allerdings wurde das Ergebnis des Urteils nicht in Frage gestellt. Denn auch die Literatur wollte einem Anschlag, der erst im Zimmer erfolgte, nicht jede Wirkung versagen. Habe der Wirt in dem Aushang auf besondere Gefahren und auf Wege, wie diesen Gefahren begegnet werden könne, hingewiesen und habe der Gast sich nicht entsprechend verhalten, dann habe der Gast den Verlust selbst verschuldet, und ein solches eigenes Verschulden schloß die receptum-Haftung grundsätzlich aus180. Der auffälligste Unterschied zwischen den Voraussetzungen, die an ausgehängte Eisenbahnreglements einerseits und an Anschläge der Gastwirte andererseits gestellt wurden, bestand bei der Frage, ob der Aushang wirklich gelesen worden sein mußte. Die herrschende Meinung verlangte dies für die Anschläge der Gastwirte. Die Eisenbahnreglements konnten dagegen Vertragsbestandteil werden, wenn sie deutlich sichtbar am Ort des Vertragsschlusses ausgehängt waren. Übersah der Kunde einen solchen Aushang, so war dies für die Einbeziehung unbeachtlich. Galten damit für Aushänge der Herbergswirte andere rechtliche Voraussetzungen als für ebensolche Anschläge der Eisenbahnen? Ein solcher Befund würde überraschen. Denn die Haftung der Eisenbahnen beruhte auf einer analogen Anwendung der receptum-Haftung, und quellenmäßiger Ausgangspunkt für den Ausschluß der Haftung durch Herbergswirte und Eisenbahnen war daher gleichermaßen Ulpian D. 4,9,7 pr. Man möchte doch meinen, daß dann auch die gleichen 178
Vgl. oben die Nachweise in Fn. 7. Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 337 f. Fn. 120a; Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 386 f. Vgl. auch Sturm, Gastwirthe (1892), S. 31 f.; Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345). Ähnlich wie das OAG Dresden Anonym, SeuffBl 17 (1852), 195 ff. 180 Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 388 ff.; Gruchot, Gruchot 18 (1874), 95 ff.; Glück VI/1 (1800), § 486 u. 487 (S. 108); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 314 (S. 485); Vering (5. Aufl. 1887), § 218 (S. 609); Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 345); und die Nachweise in Fn. 15. 179
III. Die Aushänge der Gastwirte
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Grundsätze für den Ausschluß der Haftung durch Aushang galten. Treten wir mit dieser Frage nochmals an Goldschmidt heran: Wie zur Haftungspflicht der Eisenbahnen lag auch zum receptum nautarum, cauponum, stabulariorum ein ebenso einflußreicher Aufsatz von ihm in seiner Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht vor181, der nur ein Jahr vor jenem, also 1860, erschienen war. Er erläuterte182: »Damit erledigt sich die bekannte Streitfrage, ob ein Anschlag im Gasthofe oder gar erst im Gastzimmer zur Ablehnung der Verantwortlichkeit genügen könne. Der Wirth mag beweisen, daß der Reisende jenen Anschlag bereits vor seiner Aufnahme in den Gasthof gekannt und nicht protestirt habe.«
Auch Goldschmidt war der Ansicht, daß der Gast den Aushang wirklich gelesen haben mußte. Ein Jahr später vertrat er für die Anschläge der Eisenbahnen das Gegenteil183. Unterschieden sich nach Goldschmidt damit für einen Aushang der Eisenbahnen und für einen Anschlag der Wirte die Einbeziehungsvoraussetzungen? Oder hat er schlicht seine Ansicht geändert? Beides scheint zweifelhaft. Denn dann hätte er doch vermutlich auf diesen Unterschied oder auf seinen Meinungswandel hingewiesen. Das tat er nicht. Im Gegenteil zitierte er als Beleg für seine Ausführungen von 1861 zum Ausschluß der Haftung der Eisenbahnen seine Erörterungen zum Ausschluß der Gastwirtshaftung von 1860. Deshalb scheint auch wenig wahrscheinlich, daß er in den beiden Aufsätzen etwas Unterschiedliches zu den Geltungsvoraussetzungen des Aushangs vertreten hat, ohne sich selbst eines Widerspruchs bewußt gewesen zu sein. Er hielt beide Aussagen wohl eher für miteinander vereinbar. Für diese Vermutung spricht, wie er das Zitat aus dem Aufsatz von 1860 weiterführte184: »Ebenso wenig würde eine Notiz der Art auf dem erst nach Abgabe des Reisegepäcks ausgehändigten Gepäckschein genügen, sofern nicht durch die Gesetzsammlung publizirte oder doch vor dem Burreau, namentlich der Kasse höchst offenkundig angeschlagene Reglements die Beschränkung aussprechen.«
Beide Zitate weisen auf Ort und Zeit des Vertragsschlusses als Schlüssel zur Auflösung des Widerspruchs hin. Im Personenverkehr fand der Vertragsschluß in der Regel an einem festen Ort statt, nämlich am Schalter. Hier konnten die Reglements ausgehängt werden, und hier mußte auch der Vertragspartner mit solchen Anschlägen rechnen. Wo hätten die Herbergswirte ihre Reglements aushängen müssen? Die Antwort auf diese Frage bereitet Probleme. Die receptum-Haftung trat neben die Haftung aus dem Herbergsvertrag185. Es 181
Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 58, 331. Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 337. 183 Siehe oben das Zitat zu Fn. 56. 184 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 338 im Anschluß an das Zitat oben bei Fn. 182. 185 A.A. Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 140 (S. 343): Haftungsgrundlage der receptumHaftung sei kein stillschweigender Vertrag, sondern der Herbergsvertrag selbst. 182
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
handelte sich nach herrschender Meinung um eine vertragliche Haftung, die durch Einbringung der Sache begründet wurde. Die Haftungsausschlußklauseln hätten also an dem Ort der Einbringung angeschlagen werden müssen. Das mußte nicht der Ort des Abschlusses des Herbergsvertrags sein, sondern es kamen ganz unterschiedliche Orte in Betracht186. Das Gepäck mag voraus geschickt, Kofferträgern der Herberge am Bahnhof übergeben oder vom Personal der Herberge aus einer Kutsche geholt worden sein. An all diesen Orten hätte der Wirt schwerlich seine Haftungsausschlußklauseln anschlagen können. Und hätte er sie an diesen Orten angebracht, so hätte der Gast dort nicht mit solchen Anschlägen rechnen müssen. Die Kenntnis der Aushänge hätte folglich nicht unterstellt werden dürfen, sondern der Wirt hätte beweisen müssen, daß der Gast sie gelesen hatte. Doch die Parteien hätten sich sicherlich ebenfalls im Herbergsvertrag auf einen Haftungsausschluß einigen können187. Formell hätte es sich dann um eine Nebenabrede zum Herbergsvertrag gehandelt, die sich materiell auch auf die receptum-Haftung, aber nicht zwingend nur auf diese bezieht. Durch die Klausel mag der Gastwirt nämlich auch seine Haftung aus dem Herbergsvertrag modifiziert haben188. Die Haftungsausschlußklauseln hätten also am Ort des Abschlusses des Herbergsvertrags ausgehängt werden können. Unter Anwesenden wird heute typischerweise der Herbergsvertrag an der Rezeption des Hotels abgeschlossen. Zwar taucht ebenfalls in der Literatur des 19. Jh. regelmäßig der Begriff der Rezeption auf. Doch wurde hiermit kein fester Ort beschrieben, sondern die die receptum-Haftung begründende Übernahme der Sache durch den Wirt189. Ein bei Hoffmann wiedergegebener zeitgenössischer Reisebericht legt vielmehr die Vermutung nahe, daß es für den Abschluß des Herbergsvertrags an einem typischen Ort fehlte, und der Vertragschluß an ganz unterschiedlichen Orten stattfinden konnte190. Den Wirten war es daher schlicht nicht möglich, die Haftungsausschlußklauseln am typischen Ort des Abschlusses des Herbergsvertrags auszuhängen. Deshalb etablierte sich wohl 186 Vgl. hierzu z.B. Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 313 f.; Gruchot, Gruchot 18 (1874), 78 f.; OTR Berlin (15.3.1864), SeuffA 24 (1871), 53. 187 So schlossen auch die Eisenbahnen die receptum-Haftung, die neben die Haftung aus dem Frachtvertrag trat, in den Frachtbriefen aus, durch die der Frachtvertrag geschlossen wurde. 188 Vgl. Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 338. 189 Anders kann allein Weis, ArchPraktRw 5 n.F. (1868), 384, verstanden werden. 190 M. Hoffmann (1961), S. 118: Der Wirt empfing den Gast bereits an der Tür der Herberge, und hier kam es wohl auch zum Vertragsschluß. Doch selbst wenn ein solch typischer Ort des Vertragsschlusses bereits im 19. Jh. in Herbergen existierte, so mögen andere Erwägungen die Wirte dazu verleitet haben, die Haftungsausschlußklauseln nicht an diesem Ort, sondern erst auf dem Zimmer anzuschlagen. Vielleicht glaubten die Wirte einfach auch nur, es wirke auf einen Gast abschreckend, wenn ihm in einer Herberge als erstes eine ausgehängte Haftungsausschlußklausel in die Augen sticht. Vgl. hierzu auch Anonym, SeuffBl 17 (1852), 194.
III. Die Aushänge der Gastwirte
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auch die Praxis, solche Klauseln in den Gastzimmern auszuhängen. Aber zu diesem Zeitpunkt war der Herbergsvertrag bereits geschlossen. Der Gast hätte nun ausdrücklich dem Inhalt des Anschlags zustimmen müssen, und ein solches ausdrückliches Einverständnis ist schwerlich vorstellbar, wenn der Gast den Anschlag nicht wirklich gesehen hatte. Nach alledem bestanden zwischen der Behandlung der Aushänge der Gastwirte und der Eisenbahnen keine rechtlichen Unterschiede. Es galten in beiden Bereichen dieselben Regeln. Die Unterschiede waren tatsächlicher Natur. Bei den Eisenbahnen gab es im Personenverkehr einen typischen Ort des Vertragsschlusses, wo AGB ausgehängt wurden und wo der Kunde mit einem entsprechenden Anschlag rechnen mußte. In den Herbergen gab es ihn im 19. Jh. dagegen noch nicht. Allerdings irritiert vor diesem Hintergrund, daß sich der BGB-Gesetzgeber dazu veranlaßt sah, eine besondere Regelung für die Aushänge der Gastwirte einzuführen. § 701 Abs. 3 BGB (1900) lautete: »Ein Anschlag, durch den der Gastwirth die Haftung ablehnt, ist ohne Wirkung.« § 701 Abs. 3 BGB (1900) ist die einzige Vorschrift im BGB von 1900, die sich ausdrücklich mit der Einbeziehungsproblematik von AGB, ja überhaupt mit AGB beschäftigte191. Wie kam es zu dieser besonderen Norm für die Aushänge der Gastwirte? Der ersten BGB-Kommission lag für die Gastwirtshaftung kein eigenständiger Entwurf v. Kübels vor. Vielmehr gründete sie ihre Arbeit auf den Bestimmungen des Dresdener Entwurfs, einem Abriß des gemeinrechtlichen Diskussionsstandes und einem Überblick über die Regeln zur Gastwirtshaftung in Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen des späten 18. und des 19. Jh.192. Wegen der vielen Kontroversen enthielten diese Kodifikationen und Entwürfe Regeln zum Problem um die Beachtlichkeit der Aushänge der Gastwirte. So mußte der Wirt nach ALR II 8 § 448 die Haftung gleich bei der Aufnahme ablehnen193. Eine nachträgliche Modifikation des Vertrages scheint damit unterbunden gewesen zu sein. Gleiches galt in Österreich in Hinblick auf Art. 970 ABGB194. Art. 2069 Entwurf eines allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Baiern (1808/09) erlaubte dagegen nachträgliche Modifikationen der Haftung, machte sie aber von der ausdrücklichen Zustim-
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Das BGB enthielt damit, wenn auch an versteckter Stelle, entgegen verbreiteter Meinung (vgl. Lukes, JuS 1961, 303; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N5; SchmidtSalzer, NJW 1971, 1011; dens. (1973), S. 7; Entwurf (1975), S. 20; richtig dagegen Raiser (1935), S. 317; Ruhland (1968), S. 11) eine Regelung über AGB. 192 Schubert, Vorlagen II/2, S. 1066 ff. 193 »Erklärt der Gastwirth sogleich bey der Aufnahme, daß er für die eingebrachten Sachen nicht stehen wolle: so haftet er nur für einen solchen Verlust, welcher von ihm selbst, oder von seinen Leuten, aus grobem oder mäßigen Versehen, verursacht worden.« 194 Zeiller, Commentar III/1 (1812), Art. 970 Anm. 3 (S. 209).
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
mung des Gastes abhängig195. § 1151 Züricher PGB196 versagte Aushängen in den Zimmern explizit die Wirkung. Art. 680 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860)197 und § 1288 Sächsisches BGB198 erkannten solchen Anschlägen dagegen eine beschränkte Wirkung zu. Auch der Dresdener Entwurf enthielt in Art. 751 Regeln zu den Aushängen der Gastwirte. Nach dessen Abs. 1 sollte eine vertragliche Beschränkung der Haftung, ganz wie in ALR II 8 § 448, möglich sein, wenn der Wirt dem Gast bei der Aufnahme erklärte, daß er nicht haften wolle199. Nach Abs. 2 konnte einem Anschlag keine solche haftungsbeschränkende Wirkung zukommen200. Dieser Abs. 2 entsprach damit § 1151 S. 2 Züricher PGB. In den Beratungen zum Dresdener Entwurf war er noch strittig gewesen. Überwiegend wollte man Anschlägen die Wirkung versagen201. Denn bei einem solchen Anschlag handele es sich um eine bloß einseitige Erklärung des Wirtes, die das bereits begründete Schuldverhältnis nicht mehr nachträglich modifizieren könne, außer der Gast habe der Modifikation ausdrücklich zugestimmt. Auch sei nicht gewährleistet, daß der Gast den Aushang gelesen oder, sofern er ihn wahrgenommen habe, verstanden habe, etwa weil er der Landessprache nicht mächtig sei. Dies stehe der Annahme einer stillschweigenden Zustimmung durch den Gast entgegen. Die Gegenseite verwies auf die anders lautende Rechtsprechung sächsischer Gerichte, so auf das oben bereits angeführte Urteil des Oberappellationsgerichts Dresden. Außerdem habe ein Fremder selbst dafür Sorge zu tragen, den Inhalt von für ihn fremdsprachigen Aushängen zu verste195
»Die nach geschehener Aufnahme erfolgte Protestation des Wirths, für keinen Schaden haften zu wollen, hebt die gesetzliche Verbindlichkeit nicht auf, wenn der Fremde sich nicht ausdrücklich in diese Erklärung gefügt hat.« 196 »Die Uebergabe der Zimmerschlüssel an den Gast für sich allein hebt die Verantwortlichkeit des Wirthes nicht auf. Eben so wenig kann sich der Wirth dieser Verantwortlichkeit dadurch entziehen, daß er in einem allgemeinen Anschlag in den Zimmern des Gasthofes dieselbe ablehnt.« 197 »Sind dem Gaste hinsichtlich des Zimmerverschlusses oder der Aufbewahrung von Geld, Werthpapieren oder Kostbarkeiten besondere Anordnungen bei seiner Aufnahme vom Wirthe oder dessen Dienstleuten mündlich erklärt oder durch einen in dem ihm angewiesenen Zimmer befindlichen, in die Augen fallenden Anschlag bekannt gegeben worden, und hat der Gast in Folge der Vernachlässigung dieser Anordnungen Schaden erlitten, so haftet der Wirth nur für sein eigenes Verschulden sowie für dasjenige seiner Angehörigen und Dienstleute.« 198 »Ein Anschlag, durch welchen der Wirth die Haftpflicht von sich ablehnt, befreit ihn nur soweit davon, als dieser Anschlag sich auf Geld, Werthpapiere und Kostbarkeiten, unter dem Erbieten des Wirthes zur eigenen Aufbewahrung derselben, bezieht, und in dem dem Fremden zur Beherbergung angewiesenen Raume in einer in die Augen fallenden Weise bereits bei der Aufnahme des Fremden angebracht war.« 199 »Hat der Wirth bei der Aufnahme dem Fremden erklärt oder erklären lassen, daß er eine Haftpflicht für die eingebrachten Sachen nicht übernehme, so haftet er nur für den Schaden oder Verlust, welcher von ihm oder seinen Dienstleuten verschuldet worden ist.« 200 »Ein Anschlag, durch welchen der Wirth diese Haftpflicht von sich ablehnt, hat diese Wirkung nicht.« 201 Prot. DresdE IV, S. 2687 f., 2727–2731, 2736–2738.
III. Die Aushänge der Gastwirte
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hen. Schließlich könne dem Einwand, daß der Gast den Aushang vielleicht nicht gelesen habe, dadurch die Spitze genommen werden, daß der Anschlag nur, wenn er deutlich sichtbar erfolgte, beachtlich sei. In den Beratungen zum Dresdener Entwurf fügte man dem Art. 751 als Kompromiß einen Abs. 3 an, der es den Landesgesetzgebern erlaubte, eine § 1288 Sächsisches BGB entsprechende Regelung einzuführen202. Der ersten BGB-Kommission lag, wie gesagt, kein eigenständiger Vorentwurf des Redaktors v. Kübel vor. Sie legte ihrer Diskussion vielmehr insbesondere den Dresdener Entwurf zugrunde. Dabei wurden auch Anträge eingebracht, eine dem Art. 751 Abs. 3 Dresdener Entwurf entsprechende Regelung aufzunehmen203. In diesen Anträgen bezog sich der angeschlagene Haftungsausschluß ebenso wie in § 1288 Sächsisches BGB und wie in dem vom Oberappellationsgericht Dresden entschiedenen Fall nur auf Wertsachen. Für Wertsachen entschloß sich der Gesetzgeber jedoch für eine andere Lösung. Nach § 702 BGB (1900) sollte der Wirt für sie grundsätzlich nur bis zu einem Betrag von 1000 Mark haften. Dadurch war nach Ansicht des Gesetzgebers eine dem Art. 751 Abs. 3 Dresdener Entwurf entsprechende Regelung entbehrlich204. Zu Art. 751 Abs. 2 Dresdener Entwurf führte die erste Kommission aus205: »Der […] Absatz fand die Zustimmung der Mehrheit mit der Maßgabe, daß bestimmt werden soll: der Anschlag sei ohne rechtliche Wirkung oder gelte nicht als eine gegen den Gast bei der Aufnahme abgegebene Erklärung. Die entscheidende Betrachtung war: Ueber die Wirkung des in Rede stehenden Anschlags sei in älterer und neuerer Zeit vielfach gestritten. Der Streit bewege sich hauptsächlich um die Frage, ob der Abschluß eines Befreiungsvertrags sich annehmen lasse. Die richtige Entscheidung dieser Frage werde von der Würdigung der konkreten Umstände des Falls und insbesondere davon abhängen, ob und zu welcher Zeit der Gast von dem Anschlage Kenntniß genommen habe. Den Vorzug verdiene es jedoch, durch eine positive Vorschrift dem Anschlage jede rechtliche Wirkung abzusprechen, einmal zur Erledigung der prinzipiellen Streitfrage und sodann, um den Streitigkeiten zu begegnen, welche unausbleiblich seien, wenn – entsprechend der richtigeren Ansicht – die Umstände des konkreten Falls für maßgebend erklärt würden.«
Der BGB-Gesetzgeber schloß sich damit im wesentlichen der Argumentation an, die schon für Art. 751 Dresdener Entwurf vorgebracht worden war. Er er202 »Den Landesgesetzen bleibt jedoch vorbehalten, einem solchen Anschlage diese Wirkung unter der Voraussetzung beizulegen, daß der Anschlag sich auf Geld, Werthpapiere und Kostbarkeiten bezieht, das Erbieten des Wirthes zur eigenen Aufbewahrung derselben enthält und in dem dem Fremden zur Beherbergung angewiesenen Raume in einer in die Augen fallenden Weise bereits bei der Aufnahme des Fremden angebracht war.« Nicht verständlich ist, warum Abs. 3, ebenso wie schon zuvor § 1288 SächsBGB forderte, daß der Aushang bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme des Gastes im Zimmer angebracht gewesen sein mußte. 203 Vgl. Jakobs/Schubert, Beratung III, S. 212 ff. 204 Vgl. Mugdan II, S. 328 f.; Jakobs/Schubert, Beratung III, S. 220 ff. 205 Jakobs/Schubert, Beratung III, S. 222 f.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
kannte, daß »entsprechend der richtigeren Ansicht« die Beachtlichkeit solcher Anschläge eigentlich nicht grundsätzlich hätte verneint werden dürfen. Der Gesetzgeber wollte aber dem Streit um die Beachtlichkeit der Aushänge die Grundlage entziehen. Und er wollte Rechtssicherheit schaffen. Nur deshalb erklärte er solche Anschläge generell für unbeachtlich206. Als Folge galt für die Anschläge der Gastwirte nunmehr etwas anderes als für die übrigen ausgehängten AGB.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen A. Das Versicherungsrecht im 19. Jahrhundert Das Versicherungsrecht wurde im 19. Jh. als junges Fach wahrgenommen207: Zwar hatte es schon im römischen Recht vereinzelt Rechtsinstitute mit Versicherungselementen gegeben208. Aber Versicherungsverträge waren ihm fremd209. Das Versicherungswesen begann sich in Europa vielmehr erst seit dem Mittelalter zu entwickeln210. Diese Entwicklung hatte drei Wurzeln211. Da ist zum einen die Seeversicherung. Sie bildete den Ursprung des kaufmännisch betriebenen Versicherungsgewerbes212. Ihre Ausbreitung beschränkte sich zunächst auf den Mittelmeerraum. Erst im ausgehenden 16. Jh. kam sie über die Niederlande213 nach Deutschland214. 206 Trotzdem blieben Aushänge üblich und ihnen kam weiterhin eine eingeschränkte Bedeutung zu; vgl. hierzu ausführlich Hellwege, ZNR 29 (2007), 254 ff. 207 Endemann, ZHR 9 (1866), 301 ff.; Tecklenborg (1862), S. 1. Zur Geschichte des Versicherungsrechts im 19. Jh. vgl. jüngst Pahlow, ZNR 29 (2007), 18 ff. 208 Vgl. hierzu Hammacher (1982), S. 6 ff.; Braun (2. Aufl. 1963), S. 3 ff. 209 Endemann, ZHR 9 (1866), 285 ff.; Ehrenberg I (1893), S. 36; Mittermaier II (7. Aufl. 1847), § 303 (S. 103); Lewis, Lehrbuch (1889), S. 1. Aus der modernen Literatur vgl. z.B. Perdikas, Entstehung (1966), S. 7 ff.; W. Ebel, Glücksvertrag und Versicherung (1978), S. 102; und zuletzt Pahlow, ZNR 29 (2007), 24. 210 Ehrenberg I (1893), S. 26 f.; Benecke/Nolte I (1851), S. 1 ff.; Goldschmidt, FG Beseler (1885), S. 203 ff. Aus der modernen Literatur vgl. Neugebauer (1990), S. 12; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 90; Hammacher (1982), S. 9 ff.; und insbesondere Nehlsen-von Stryk (1986), passim. 211 P. Koch, Versicherungswesen, in: HRG (1998), Sp. 815. 212 Endemann, ZHR 9 (1866), 309; Malß, ZHR 6 (1863), 361; ders., ZVersR 1 (1866), 3; Kübel, ZVersR 1 (1866), 328, 339; Ehrenberg I (1893), S. 35. Aus der modernen Literatur vgl. P. Koch, VersR 1994, 629; Perdikas, FS Reimer Schmidt (1979), S. 325 ff. 213 Langenbeck (1727), S. 367; Kiesselbach (1901), S. 109 ff. Aus der modernen Literatur vgl. Dreyer (1990), S. 25 ff.; Hammacher (1982), S. 1; Neugebauer (1990), S. 12; W. Heyn (1950), S. 13. 214 Der erste in Hamburg bezeugte Seeversicherungsvertrag datiert von 1588: Dreyer (1990), S. 25; Möller (1950), S. 66; W. Heyn (1950), S. 13; Schmitt-Lermann (1954), S. 6; P. Koch, Hamburger Hafen (1995), S. 272. Schon Anfang des 16. Jh. hatten deutsche Kaufleute im Ausland Versicherungsverträge abgeschlossen: Hofmeister, Hansische Geschichtsblätter 1888, 169 ff.; Hammacher (1982), S. 20; Ehrenberg I (1893), S. 29.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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Die übrigen Versicherungssparten etablierten sich in Deutschland ebenfalls seit dem ausgehenden 16. und dann vor allem im 18. und 19. Jh.215. Sie sind vornehmlich auf die beiden anderen Wurzeln des Versicherungswesens zurückzuführen, nämlich auf die durch die Gilden und Zünfte geleistete genossenschaftliche Absicherung ihrer Mitglieder bei Krankheit und in Notfällen216 sowie die von Staats wegen betriebenen oder auf dessen Initiative zurückgehenden Versicherungen217. Als besonders bedeutsam traten dabei die Brand-, Witwen- und Waisenkassen hervor218. Die Motivation des Staates, öffentliche Versicherungsanstalten einzurichten, konnte vielfältig sein219. Er wollte dafür sorgen, daß die Bürger gegen Grundrisiken des Lebens abgesichert waren, er wollte die Steuerfähigkeit der Bürger sichern, oder er wollte unmittelbar vom Versicherungsgeschäft profitieren. Die Ausgestaltung und Verbreitung dieser staatlichen Kassen war in den einzelnen deutschen Staaten unterschiedlich. Zum Teil waren normale Versicherungsprämien zu entrichten220, zum Teil wurden aber auch ausgezahlte Versicherungsleistungen nachträglich auf alle Versicherungsnehmer umgelegt221. Oft herrschte eine Zwangsmitgliedschaft222 215 Malß, ZHR 6 (1863), 361; Ehrenberg I (1893), S. 29; Kübel, ZVersR 1 (1866), 328, 340; Rellstab (1882), S. 6 f. Aus der modernen Literatur Hammacher (1982), S. 5 f.; Neugebauer (1990), S. 20 f.; Braun (2. Aufl. 1963), S. 167 ff. Der erste in Hamburg bezeugte Feuerversicherungsvertrag datiert von 1591: W. Ebel, Hamburger Feuerkontrakte (1936), S. 7; Dreyer (1990), S. 25; Möller (1950), S. 66; W. Heyn (1950), S. 11. 216 Vgl. O. v. Gierke, Genossenschaftsrecht I (1868), § 70 (S. 1049 ff.); P. Koch, Geschichte (1998), S. 98; dens., Hintergrund (1995), S. 66; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 97; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 2, 147 f.; Büchner, FG Möller (1972), S. 117 ff.; Braun (2. Aufl. 1963), S. 13 ff.; Karup (1871), S. 7 ff. Zur Absicherung durch die Gilden vgl. umfassend Schewe (2000), passim und aus den zahllosen Dissertationen und kleineren Monographien z.B. Martens (1967), passim; Kähler (1904), S. 71 ff.; Schaefer (1911), S. 18 ff.; Helmer, Geschichte I (1925), S. 62 ff. Auch wenn die Feuerkassen die durch die Gilden geleistete Absicherung nicht einfach kopierten, W. Ebel, Hamburger Feuerkontrakte (1936), S. 31 ff., so mag doch der Versicherungsgedanke auf sie zurückgehen. 217 Zur Geschichte der staatlichen Versicherungen vgl. Niermann (1990), S. 24 ff. 218 Vgl. O. v. Gierke, Genossenschaftsrecht I (1868), § 70 (S. 1049 ff.); P. Koch, Geschichte (1998), S. 42 ff.; Neugebauer (1990), S. 11, 13 f.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 97 ff.; Rellstab (1882), S. 7 ff.; Helmer, Entstehung (1936), S. 1 ff. Zur Hamburger Feuerkasse von 1676 vgl. umfassend W. Ebel, Hamburger Feuerkontrakte (1936), passim. Zu den Witwen- und Waisenkassen vgl. z.B. Gerlach (1967), S. 13 ff., Horstmann (1965), S. 9 ff. Zur Entwicklung in Preußen vgl. z.B. Jacobi, ZKglPrStB 1862, 121 ff.; P. Koch, Preußische Elemente (1995), S. 135 ff.; dens., Friedrich der Große (1995), S. 224 ff. Zur Entwicklung im Rheinland vgl. z.B. Bergmann (1928), S. 11 f. Zu den Brand-, Witwen- und Waisenkassen existiert im übrigen eine umfangreiche Literatur. 219 Hierzu und zu den geschichtlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründen Schmitt-Lermann (1954), passim. 220 So z.B. bei der Hamburger Feuerkasse von 1676: W. Heyn (1950), S. 12. 221 So z.B. nach § 9 des Gesetzes betreffend den Assekuranz-Verband gegen die Rinderpest im Herzogthum Anhalt von 1868, abgedruckt in PreußVersZ 2 (1868), 387 ff. 222 So z.B. nach § 2 der Brandkassen-Ordnung für das Herzogthum Anhalt von 1867, abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 615 ff.; nach § 2 des Gesetzes betreffend den Assekuranz-Verband gegen die Rinderpest im Herzogthum Anhalt von 1868, abgedruckt in PreußVersZ 2
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
und ein Monopol223. In ihren Tätigkeitsbereichen – die Brandkassen waren in der Regel auf die Versicherung von Immobilien beschränkt224 – verhinderten sie daher zunächst die Entwicklung privater Versicherungsunternehmen225. Anfang des 19. Jh. kamen schließlich private Gegenseitigkeitsgesellschaften auf226. Sie waren nicht auf Gewinnerzielung gerichtet und unterschieden sich so von den kaufmännisch betriebenen Versicherungsgesellschaften. Auch sie hatten die genossenschaftliche Absicherung durch die Gilden und Zünfte zum Vorbild, kombinierten diese Idee jedoch mit den Errungenschaften des kaufmännischen Versicherungsgewerbes. Das noch junge Versicherungswesen zerfiel damit zu Beginn des 19. Jh. in das kaufmännisch betriebene Versicherungsgewerbe, in Versicherungen auf Gegenseitigkeit und in staatlich betriebene Versicherungsunternehmungen. So wie sich das Versicherungswesen erst spät entwickelte, bildete sich auch eine Spezialliteratur zum privaten Versicherungsrecht in Deutschland nur langsam heraus, und zwar in der ersten Hälfte des 19. Jh. mit Werken zum Seeversicherungsrecht227 und in dessen zweiten Hälfte mit Werken zum Versiche223 (1868), 387 ff.; und im Großherzogthum Sachsen-Weimar-Eisenach nach § 2 des Gesetzes über die öffentliche Anstalt der Versicherung der Gebäudebesitzes von 1826, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 170. Vgl. außerdem Lewis, Lehrbuch (1889), S. 148 f.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 97 f.; Neugebauer (1990), S. 14. Dagegen war der Beitritt zur Hamburger Feuerkasse von 1676 zunächst freiwillig und auch der Austritt war möglich; seit 1753 war der Austritt in fast ganz Hamburg ausgeschlossen; ab 1817 herrschte in fast ganz Hamburg dann eine Zwangsmitgliedschaft: W. Heyn (1950), S. 12, 17 f.; Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 7 ff. Freiwillig blieb später noch nach §§ 10, 14 der Ordnung der städtischen Brand-AssecuranzKasse zu Lübeck von 1857, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 22, die Mitgliedschaft in dieser Kasse. 223 So z.B. nach §§ 8 ff. der Brandkassen-Ordnung für das Herzogthum Anhalt von 1867, abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 615 ff. Vgl. auch Saski (3. Aufl. 1869), S. 16. 224 Neugebauer (1990), S. 14. 225 Vgl. z.B. für Sachsen § 130 Gesetz das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffend von 1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 99. Vgl. außerdem Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 98. Deshalb handelte es sich bei den privaten Feuerversicherungen auch um Mobiliarfeuerversicherungen; vgl. hierzu auch Büsch (1795), S. 3 ff. 226 Ehrenberg I (1893), S. 34 f. So handelte es sich z.B. in Lübeck bei dem Feuer-Versicherungs-Verein der Landbewohner um eine solche private Versicherung auf Gegenseitigkeit: Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 26. 227 Wilhelm Benecke, System des Assekuranz- und Bodmereiwesens, 5. Bd., Hamburg 1805–1821; Meno Pöhls, Darstellung des gemeinen deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts für Juristen und Kaufleute, Bd. IV/2, Hamburg 1834; Wilhelm Benecke, System des See-Assekuranz- und Bodmereiwesens, vollständig und zeitgemäß umgearbeitet von Vincent Nolte, 2. Bd., Hamburg 1851–1852. Es folgten später Heinrich Tecklenborg, System des SeeVersicherungswesens, Bremen 1862; Johann Friedrich Voigt, Das deutsche SeeversicherungsRecht. Commentar zu Buch 5 Titel 11 des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs und zu den »Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen von 1867«, Jena 1887. Zur Behandlung des Versicherungsvertrages in der Literatur des 19. Jh. vgl. auch zuletzt Pahlow, ZNR 29 (2007), 23 ff.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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rungsrecht insgesamt228. Zwar hatte es auch in Deutschland schon vor dem 19. Jh. Veröffentlichungen zum privaten Versicherungsrecht gegeben229. Die Mehrheit dieser Schriften hatte jedoch keinen nachhaltigen Einfluß230. Im 19. Jh. wurden sie anders als die früheren Schriften ausländischer Autoren kaum noch zitiert. Anders sah es freilich bei der Literatur die öffentlichen Versicherungsanstalten betreffend aus. Mit ihnen hatten sich bereits die Kameralisten des 18. Jh. auseinandergesetzt231. Allerdings beschränkten sie sich gemeinhin darauf, die Notwendigkeit der Einrichtung staatlicher Versicherungsanstalten zu erörtern232. Schließlich war eine Gesetzgebung zum Versicherungsvertragsrecht zunächst die Ausnahme. In Hamburg regelte die Hamburgische Assekuranzund Havarie-Ordnung von 1731 den Seeversicherungsvertrag233. In Lübeck wurde ebenfalls auf ihrer Grundlage kontrahiert234, und seit 1757 galt sie subsidiär in Rostock235. In Bremen hielt man sich zunächst an die Nieuwe Ordonnantie van Assurantie, die Amsterdamer Versicherungsordonnanz von 1744236. In Preußen enthielten das Königlich-Preußische See-Recht von 1727 im VI.
228 William Lewis, Lehrbuch des Versicherungsrechts, Stuttgart 1889; Viktor Ehrenberg, Versicherungsrecht, Bd. I, Leipzig 1893. Daneben erschien seit der zweiten Hälfte des 19. Jh. auch Literatur zum Recht der übrigen Versicherungssparten, so z.B. zum Recht der Lebensversicherung Julius Staudinger, Die Rechtslehre vom Lebensversicherungsvertrag, Erlangen 1858. 229 Vgl. P. Koch, Geschichte (1998), S. 18 ff.; Neugebauer (1990), S. 117. 230 So auch die Einschätzung von W. Ebel, Glücksvertrag und Versicherung (1978), S. 110; Hammacher (1982), S. 3. Ausnahmen bildeten Hermann Langenbeck, Anmerkungen über das Hamburgische Schiff- und See-Recht, Hamburg 1727 und Nikolaus Magens, Versuch über Assekuranzen, Havereyen und Bodmereyen insgemein, Hamburg 1753. Langenbeck leistete auch die Vorarbeiten für die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731; zu ihr siehe unten Fn. 233. 231 Vgl. hierzu z.B. P. Koch, Geschichte (1998), S. 47 ff. 232 So z.B. v. Justi (1782), §§ 263 f. (S. 226 ff.), § 269 (S. 230 f.); v. Pfeiffer I (1779), S. 332 ff.; ders. II (1779), S. 252 ff., 345; Jung (1788), § 886 (S. 377 ff.), §§ 931 f. (S. 398 f.), § 952 (S. 406), §§ 986 ff. (S. 421 ff.); v. Berg III (1800), S. 66 ff., 203 ff., 299 ff., 332 ff.; v. Sonnenfels I (5. Aufl. 1787), § 252 (S. 356 ff.), § 351 (S. 452 ff.). v. Sonnenfels II (5. Aufl. 1787), §§ 256 ff. (S. 387 ff.), beschäftigte sich darüber hinaus noch umfassend mit dem privaten Seeversicherungswesen. 233 Vgl. hierzu umfassend Dreyer (1990), S. 17 ff., und zu ihrer Entstehung ebd., S. 69 ff. Sie ist abgedruckt ebd., S. 267 ff. Vgl. außerdem Neugebauer (1990), S. 39 ff.; P. Koch, FS Reimer Schmidt (1979), S. 301 ff.; Kiesselbach (1901), S. 123 ff. 234 Neugebauer (1990), S. 39; Hammacher (1982), S. 60; W. Heyn (1950), S. 15; Eichhorn (2. Aufl. 1825), S. 310 Fn. a. Nach Hammacher verwies das in Lübeck übliche Policenformular auf die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731. 235 Dreyer (1990), S. 208 f.; Hammacher (1982), S. 60. VI,7,1 ff. des Rostockschen Stadtrechts von 1757 enthielten einige wenige Vorschriften zur Transportversicherung. VI,7,10 lautete: »Würden sich bey Assecuranzen Vorkommenheiten eräugen, welche hierinn nicht bestimmet, so soll in Absicht derselben, nach der in Hamburg 1731 publicirten Assecuranz-Ordnung, als der vollständigsten, in so weit in diesem Titel nicht ein anders geordnet, verfahren, und geurtheilet werden.« 236 Neugebauer (1990), S. 39; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 3; Eichhorn (2. Aufl. 1825), S. 310 Fn. a. Abgedruckt ist sie bei Magens (1753), S. 620 ff.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Kapitel237, dann die Assekuranz- und Havarie-Ordnung für die KöniglichPreußischen Staaten von 1766238 und schließlich die Neu-revidirte Willkür der Stadt Danzig239 von 1761 in I,4,10240 ebenfalls Bestimmungen zum Seeversicherungsvertrag241. ALR II 8 §§ 1934–2358 kodifizierte später für ganz Preußen das gesamte Versicherungsvertragsrecht242. In den Gebieten, in denen französisches Recht galt, enthielten schließlich §§ 332–396 Code de Commerce Bestimmung zur Seeversicherung243. Daß es im übrigen Deutschland zunächst keine Gesetzgebung zum Versicherungsvertragsrecht gab, erklärt sich aus der Entwicklung des Versicherungswesens. So klärte Kreittmayr darüber auf, daß Versicherungsverträge »nur an grossen See- und Handelsplätzen, nicht aber hier«, gemeint ist Bayern, üblich seien244, und deshalb enthielt der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis auch keine Normen zum Versicherungsvertrag. Erst das ADHGB brachte für ganz Deutschland Regelungen zum Versicherungsvertragsrecht. Allerdings war das ADHGB auf das Seeversicherungsrecht beschränkt245. Die übrigen Versicherungsverträge richteten sich weiter nach den einzelnen Partikularrechten246. Trotz dieses Flickenteppichs bestanden inhaltlich keine allzu großen Unterschiede247. Eine umfassende Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts erfolgte erst mit dem VVG von 1908248, und das obwohl schon der Dresdener Entwurf in Art. 894– 921249, der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860) in Art. 800–829250 und die HGB-Entwürfe des 19. Jh., so der Ent237 Königlich-Preußisches See-Recht. De Dato Berlin den 1. Decemb. 1727, Königsberg 1728, S. 66 ff. 238 NCC IV, Berlin 1771, Sp. 83 ff. 239 Danzig gehörte seit der Zweiten Polnischen Teilung von 1793 zu Preußen. 240 Vgl. Lammel, Gesetzgebung (1976), S. 683. 241 Vgl. zum Königlich-Preußischen See-Recht von 1727 Landwehr, ZNR 8 (1986), 113 ff.; Hammacher (1982), S. 61 ff. Zu der Assekuranz- und Havarie-Ordnung für die KöniglichPreußischen Staaten von 1766 vgl. zusätzlich Tecklenborg (1862), S. 7; P. Koch, VersR 1994, 629; Dreyer (1990), S. 209 f.; Hammacher (1982), S. 65 ff. 242 Zum Versicherungsrecht des ALR Neugebauer (1990), S. 28 ff.; P. Koch, VersR 1994, 629 ff.; ders., FS Reimer Schmidt (1979), S. 303 ff.; Duvinage (1987), S. 3 ff. 243 Hierzu Neugebauer (1990), S. 41 f.; Duvinage (1987), S. 10. 244 Kreittmayr (1765) IV 12 § 8 (S. 627). 245 Daneben fanden Versicherungsverträge in Art. 271 Nr. 3 ADHGB Erwähnung und wurden zu Handelsgeschäften erklärt. 246 König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 402 (S. 743); Lewis, Lehrbuch (1889), S. 6. 247 Neugebauer (1990), S. 42 f. 248 RGBl. 1908, S. 263. Zur Entstehung Neugebauer (1990), S. 88 ff.; Duvinage (1987), S. 77 ff. 249 Vgl. zu den versicherungsvertragsrechtlichen Bestimmungen des DresdE ausführlich Kübel, ZVersR 1 (1866), 321 ff., ZVersR 2 (1868), 1 ff. Aus der modernen Literatur vgl. Neugebauer (1990), S. 77 ff.; Duvinage (1987), S. 28 ff. 250 Hierzu Neugebauer (1990), S. 74 ff.; Duvinage (1987), S. 26 ff. Dagegen enthielten, das Sächsische BGB und der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen keine Vorschriften zum Versicherungsvertrag.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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wurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg in Art. 428–533251 und der Entwurfs eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten in Art. 327–384 und 603–680252, Normen zum Versicherungsvertrag kannten und obwohl auch bereits in den Beratungen zum ADHGB diskutiert worden war, ob nicht mehr als nur die Seeversicherung geregelt werden sollte. Selbst in den Beratungen zum BGB war erörtert worden, ob nicht auch das Versicherungsvertragsrecht Eingang in das BGB finden sollte, doch schon die Vorkommission sprach sich auf Vorschlag Goldschmidts dagegen aus253. Eine Gesetzgebung zum Versicherungsvertragsrecht kristallisierte sich also nur langsam heraus. Öffentlichrechtliche Vorschriften zum Versicherungsrecht, insbesondere die staatlichen Versicherungskassen, die Konzessionierung von Versicherungen und deren Aufsicht betreffend, existierten dagegen in den einzelnen deutschen Staaten schon im 18. und vor allem im 19 Jh. zahlreich254. Das Versicherungsaufsichtsrecht wurde noch vor dem Versicherungsvertragsrecht, nämlich im VAG von 1901, vereinheitlicht255.
B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Das Versicherungsvertragsrecht war also jung, und ihm fehlte vielerorts zunächst an einer gesetzlichen Grundlage wie gefestigten Rechtsprechung und wissenschaftlichen Durchdringung. Es überrascht daher kaum, daß im Versicherungswesen schon vor dem 19. Jh. AGB gebräuchlich waren256. Im Seeversicherungswesen sprach man im Anschluß an Benecke zu Beginn des 19. Jh. zunächst von beständigen Bedingungen257. Im übrigen Versicherungswesen findet sich auch oft der Begriff der Policebedingungen258. Später wurde dann 251
Vgl. hierzu Neugebauer (1990), S. 48 ff.; Duvinage (1987), S. 16 f. Vgl. zu den Kodifikationsversuchen auch Heiss (2006), S. 212 ff. 252 Vgl. hierzu Neugebauer (1990), S. 58 ff.; Duvinage (1987), S. 19 ff. 253 Zu den Gründen, warum weder das ADHGB noch das BGB eine umfassende Regelung des Versicherungsvertragsrechts enthielt, vgl. Kübel, ZVersR 1 (1866), 331 ff.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 4; Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 156 ff.; Neugebauer (1990), S. 69 ff., 86 ff., 93, 108 ff.; Duvinage (1987), S. 24, 45 f.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 113 ff.; P. Koch, FS Reimer Schmidt (1979), S. 315 ff.; und zuletzt Pahlow, ZNR 29 (2007), 26 f., 38 f. 254 Vgl. F. Ebel, Quellennachweis (1993), S. 149 ff.; Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 5 ff.; Lammel, Gesetzgebung (1976), S. 614 f., 712 ff. Vgl. unten § 4 IV A (S. 165 ff.). 255 RGBl. 1901, S. 139. Zur Entstehung des VAG Duvinage (1987), S. 36 ff.; Atzpodien (1982), S. 85 ff.; Tigges (1985), S. 77 ff.; Burger (1988), S. 28 ff. 256 Seebohm, Einleitung (1887), S. XXIII; Coing I (1985), § 109 (S. 535); ders. II (1989), § 114 (S. 565); Röder (2006), S. 14 f. 257 Benecke III (1808), S. 32; Benecke/Nolte I (1851), S. 419; Pöhls IV/2 (1834), S. 519. 258 So z.B. AG Magdeburg (18.12.1865), ZVersR 2 (1868), 312, 313; AG Magdeburg (3.11.1866), ZVersR 2 (1868), 386; AG Naumburg a.S. (29.9.1866), ZVersR 2 (1868), 268, 269; HofG Karlsruhe (o.D.), ZVersR 2 (1868), 222; ROHG (4.4.1871), ROHGE 2, 183; ROHG (20.10.1871), ROHGE 3, 339; RG (22.2.1883), RGZ 9, 314; RG (26.11.1887), RGZ 22, 51.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
der Begriff der allgemeinen Versicherungsbedingungen üblich259. Vereinzelt begegnet sogar schon der Begriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen260. Die AVB füllten zunächst in erster Linie die Lücken des nur grobmaschigen Dispositivrechts. Sie waren Folge des Fehlens eines voll entwickelten Versicherungsvertragsrechts. Zugleich bildeten sie die Grundlage für die Entwicklung des Versicherungsvertragsrechts und waren damit dessen Erkenntnisquelle261. Umgekehrt hatte aber auch die damalige Gesetzgebung Einfluß auf die Ausgestaltung der AVB262. Als sich in Rechtsprechung und Gesetzgebung ein ausdifferenziertes Versicherungsvertragsrecht zu entwickeln begann, kam den AVB mehr und mehr die Funktion zu, das ius dispositivum zu modifizieren. Zum Teil wiederholten sie aber auch nur den Inhalt des sich herausbildenden Versicherungsvertragsrechts263.
C. Rechtsnatur und Geltungsgrund Für die Beantwortung der Frage nach der Rechtsnatur und dem Geltungsgrund der AVB muß unterschieden werden: Die AVB der kaufmännisch betriebenen Versicherungsunternehmungen waren, ganz wie die Eisenbahnreglements, unstreitig Vertragsbedingungen, die nur deshalb Wirkung entfalteten, weil die Parteien auf ihrer Grundlage kontrahierten264: 259
Ehrenberg I (1893), S. 24; Malß, ZHR 13 (1869), 51, 93. Hinrichs, ZHR 20 (1875), 391. 261 Ehrenberg I (1893), S. 24 f.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 6; Duvinage (1987), S. 52; P. Koch, Geschichte (1998), S. 104 f.; Pahlow, ZNR 29 (2007), 26 f.; Neugebauer (1990), S. 56, 107 und Scherner, Rechtsvereinheitlichung (1999), S. 567, verweisen darauf, v. Hofacker habe für die Ausarbeitung der Normen über die Lebensversicherung im Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Königreich Württemberg auf die Statuten der Gothaer Lebensversicherung und für die Ausarbeitung der Bestimmungen über die Transportversicherung auf die AVB der Heilbronner Assecuranzgesellschaft zurückgegriffen. 262 P. Koch, VersR 1994, 631, verweist darauf, daß die Regelungen des ALR Vorbild für zahlreiche Bestimmungen in AVB waren. Vgl. außerdem dens., FS Reimer Schmidt (1979), S. 308; dens., Preußische Elemente (1995), S. 146; Neugebauer (1990), S. 143. Pahlow, ZNR 29 (2007), 27, weist dagegen darauf hin, daß die Bestimmungen des ADHGB keinen nachweisbaren Einfluß mehr auf die Gestaltung der AVB hatten. 263 Neugebauer (1990), S. 107. Vgl. außerdem Pahlow, ZNR 29 (2007), 32 f. 264 Benecke/Nolte I (1851), S. 419. Vgl. weiterhin Ehrenberg I (1893), S. 24, 79, 85; Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 731); Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 249 (S. 722); Wächter, AcP 19 (1836), 121; Harries, Gruchot 16 (1872), 411; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 391; Wolff, ZVersR 2 (1868), 337; Ziegler, Denkschrift (1897), S. 183 f.; Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 145 (S. 454); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63, Art. 782 Anm. 4; L. Wächter, ArchWHR 15 (1866), 51 f.; Just, ArchWHR 15 (1866), 227. Aus der Rechtsprechung vgl. nur OTR Berlin (5.6.1860), ZVersR 2 (1868), 300, 301; OAG Jena (23.3.1866), ZVersR 2 (1868), 306, 308; OAG Dresden (6.12.1866), PreußVersZ 2 (1868), 37; OTR Berlin (5.6.1867), PreußVersZ 4 (1870), 73, 74; OTR Berlin (14.5.1868), PreußVersZ 4 (1870), 76, 78; HAG Nürnberg (16.11.1870), BuschA 1 n.F. (1873), 211, 212; RG (22.5.1880), Gruchot 25 (1881), 116. Nicht bestätigen konnte sich Lammels, Rechtsbildung (1993), S. 107 ff., These, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die AVB als Normen angesehen wurden. 260
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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»[I]hre bindende Kraft, in Rücksicht des Versicherten aber, erhalten sie nur, wenn derselbe seine Zustimmung giebt.«
Und auch im Versicherungsrecht begegnet zur Bezeichnung der einbezogenen AVB die Wendung der lex contractus265, wie der Begriff der Autonomie im Sinne einer Privatautonomie verwendet wurde266. Geltungsgrund der AVB war der Konsens über ihre Geltung. Ihrer Rechtsnatur nach handelte es sich bei einbezogenen AVB um Vertragsabreden. Etwas anderes hätte für die entsprechenden Bedingungen der Versicherungen auf Gegenseitigkeit gelten können. Privat betriebene Versicherungen auf Gegenseitigkeit hatten sich am Anfang des 19. Jh. etabliert267. Die Gesetzgeber reagierten nur langsam auf diese Entwicklung. In der Literatur bildeten sich rasch Kontroversen heraus. Einig war man sich darüber, daß die Versicherungsnehmer Mitglieder der Versicherung auf Gegenseitigkeit und in ihrer Gesamtheit damit zugleich Versicherer waren268. Denn bei Versicherungen auf Gegenseitigkeit handelte es sich um Vereine bzw. Genossenschaften269. Streitig war dagegen, ob das Mitgliedschafts- und das Versicherungsverhältnis identisch waren oder sich voneinander trennen ließen270. Einige meinten, die Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers seien allein Ausfluß des Mitgliedschaftsverhältnisses271: »Der Versicherungsvertrag, den der einzelne Versicherte abschließt, ist also materiell Nichts, als eine Beitrittserklärung zu dem Gesellschaftsvertrag, der in den Statuten der Gesellschaft vorliegt […].«
Diese Ansicht mußte daher fordern, daß die AVB, so wie es in der Tat zunächst der Praxis entsprach, immer Bestandteil der Statuten der Versicherung auf Gegenseitigkeit waren. Die Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ergaben sich allein aus diesen Statuten272. Die AVB hätten nach dieser Ansicht 265
Malß, ZHR 13 (1869), 114; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 390; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 3; v. Holzschuher II/2 (1847), S. 713; OAG Dresden (6.12.1866), PreußVersZ 2 (1868), 66, 67; ROHG (10.1.1874), ROHGE 12, 204. Malß, ZVersR 2 (1868), 150, spricht von den »zwischen den Parteien als Gesetz geltenden Policebedingungen« und das OG Mainz (7.3./ 20.4.1867), abgedruckt bei Schmitz, ZVersR 2 (1868), 238, von dem »abgeschlossenen das Gesetz zwischen ihnen bildenden Versicherungsvertrag«. Zum Begriff der lex contractus siehe den Text zu und nach Fn. 85 und Fn. 459. 266 ROHG (2.9.1871), ROHGE 3, 85; Bähr, ArchBürgR 7 (1893), 25. Zum Begriff der Autonomie siehe den Text zu und nach Fn. 93 und den Text zu Fn. 363 und Fn. 454. 267 Siehe oben den Text zu Fn. 226. 268 Vgl. z.B. die Darstellung bei Hinrichs, ZHR 20 (1875), 419 f. 269 Vgl. Ehrenberg I (1893), S. 91; Bütow (1883), S. 25 ff.; Bluntschli (1864), § 162 (S. 502); ROHG (10.12.1872), ROHGE 8, 180. 270 Vgl. die Darstellung bei Ehrenberg I (1893), S. 110 f., 129, 138 mit Verweis auf die Vertreter der einzelnen Ansichten. 271 Hinrichs, ZHR 20 (1875), 425. Vgl. auch Herzfeld (1899), § 1288 Anm. 4; Förster/ Eccius II (4. Aufl. 1882), § 145 (S. 448). 272 Förster/Eccius II (4. Aufl. 1882), § 145 (S. 454). So auch Art. 829 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860): »Die gegenseitigen Rechte und Ver-
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
schon immer dann gelten müssen, wenn sich die Parteien über die Aufnahme des Versicherungsnehmers in die Versicherung auf Gegenseitigkeit einig waren. Eine Einigung über die Geltung der AVB hätte entbehrlich sein müssen. Allerdings schien sich als herrschend die Meinung herauszukristallisieren, die das Versicherungsverhältnis und das Mitgliedschaftsverhältnis voneinander trennen wollte273. Die AVB erlangten nach dieser Meinung ihre Geltung erst dadurch, daß das Versicherungsverhältnis, das zusätzlich zum und in der Regel gleichzeitig mit dem Mitgliedschaftsverhältnis begründet werden mußte, auf ihrer Grundlage geschlossen wurde. Diese Meinung konnte die Geltung der AVB also wiederum auf eine Einigung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer zurückführen. Es handelte sich um Vertragsabreden. Etwas anderes konnte schließlich für die vom Staat betriebenen Versicherungsunternehmungen gelten274. Handelte es sich um durch Gesetz errichtete, öffentlichrechtliche Versicherungsanstalten so konnten ihre Statuten und Reglements als förmliche Gesetze oder Rechtsverordnungen unmittelbare Geltung beanspruchen275. Diese Form der Versicherung soll im folgenden unberücksichtigt bleiben. Allerdings konnte der Staat auch kaufmännisch eingerichtete Versicherungsgesellschaften betreiben oder Versicherungen auf Gegenseitigkeit initiieren. Dann unterschieden sich, ebenso wie bei den Reglements der staatlich betriebenen Eisenbahnen und Telegraphenanstalten, die Rechtsnatur und der Geltungsgrund der AGB nicht von denen der privaten Versicherungsunternehmen276.
D. Geltungsvoraussetzungen Die genauen Geltungsvoraussetzungen der AGB herauszuarbeiten, bereitet im Versicherungsrecht größere Schwierigkeiten als im Transportrecht. Diese Schwierigkeiten finden ihren Grund zum ersten darin, daß die Modalitäten 273 pflichtungen der Mitglieder richten sich nach den Statuten des Vereins; […].« Ähnlich für die Witwen- und Sterbekassen schon ALR I 11 § 652: »Die Rechte und Pflichten der Interessenten sind nach dem vom Staat bestätigten Plane zu beurtheilen.« 273 Vgl. z.B. ROHG (10.12.1872), ROHGE 8, 180; Pfeiffer, ZDR 9 (1845), 485. 274 Zu ihnen siehe oben den Text zu und nach Fn. 218. 275 So z.B. das Gesetz der freien Stadt Frankfurt a.M. die Feuerversicherungsanstalt betreffend von 1857, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 69 ff.; die Verordnung wegen einer errichteten Wittwen- und Waysen-Casse für die Hochfürstl. Bischöfl. Lübekschen und Herzogl. Holstein-Oldenburgschen Lande, Eutin 1779; für die sächsische Landes-ImmobiliarBrandversicherungsanstalt vgl. das Gesetz das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffend von 1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 83 ff.; für das Feuer-Societäts-Reglement für die Residenzstadt Berlin von 1794, NCC IX, Berlin 1796, Sp. 2157 ff., vgl. RG (24.1.1885), RGZ 13, 215. Vgl. außerdem OTR Berlin (10.9.1868), PreußVersZ 4 (1870), 305; Pfeiffer, ZDR 9 (1845), 449 f.; Jacobi, ZKglPrStB 1862, 132; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 97 f. 276 Siehe schon oben den Text zu Fn. 102.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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des Vertragsschlusses umstritten waren277 bzw. in Literatur und Rechtsprechung nicht immer sauber definiert wurden, sie zum zweiten für die unterschiedlichen Versicherungsarten verschieden sein konnten und die einzelstaatlichen Gesetzgeber zum dritten zumindest teilweise Regeln für den Vertragsschluß aufstellten. 1. Modalitäten des Vertragsschlusses Der Versicherungsnehmer stellte einen Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages. Ein Teil der Literatur meinte indes, daß das eigentliche Angebot in der Regel erst von der Versicherung ausging, indem sie eine Versicherungspolice ausstellte und übersandte278. Die vorbehaltlose Entgegennahme der Police durch den Versicherungsnehmer stellte sodann die Annahme des Angebots dar. Ein anderer Teil der Literatur sah dagegen bereits in dem Antrag des Versicherungsnehmers auf Abschluß der Versicherung regelmäßig ein Angebot, das die Versicherung durch Übersendung der Versicherungspolice annahm279. Doch ging es in dem Streit, wie gesagt, nur darum, welcher Fall die Regel bildete. Keine der Ansichten stellte in Abrede, daß der Vertrag auch ausnahmsweise zum jeweils anderen Zeitpunkt stattfinden konnte280. Für bestimmte Versicherungsarten entwickelte sich im Laufe des 19. Jh. ein anderer Modus des Vertragsschlusses heraus, so für die Reiseunfallversicherung. Die Versicherungen gaben bereits in ihren Prospekten eine bindende Offerte an einen unbestimmten Personenkreis ab281. Der Versicherungsnehmer nahm dieses Angebot an, indem er einen Formularvordruck ausfüllte und mit der zu zahlenden Prämie an die Versicherung sandte. Damit wird auch deutlich, warum, wie im letzten Absatz referiert, Streitigkeiten über den regelmäßigen Zeitpunkt des Vertragsschluß bestanden: Der Wille der Parteien bestimmte ihn und insbesondere die Versicherungen konnten ihn durch entsprechende Klauseln in ihren Prospekten, Formularvordrucken für die Versicherungsanträge und Policen steuern282. In den unterschiedlichen Versicherungsbranchen bildeten sich verschiedene Praktiken heraus, und die unter277
Vgl. König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 416 (S. 789). Ehrenberg I (1893), S. 254 ff.; Malß, ZHR 13 (1869), 91 f.; ders., ZVersR 2 (1868), 152; Stobbe III (2. Aufl. 1885), § 197 (S. 356). In diese Richtung auch HAG Nürnberg (3.3.1865), ZVersR 1 (1866), 278, 286 f. 279 König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 404 (S. 747), § 416 (S. 789); Lewis, Lehrbuch (1889), S. 161 f.; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 401 f. 280 Ehrenberg I (1893), S. 254 ff.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 161 f. 281 Ehrenberg I (1893), S. 254; Bähr, ArchBürgR 7 (1893), 34 (mit Verweis auf die Praxis der Thuringia). 282 Vgl. z.B. HAG Nürnberg (3.3.1865), ZVersR 1 (1866), 278, PreußVersZ 1 (1867), 74; StadtA Frankfurt a.M. (o.D.), ZVersR 2 (1868), 204, 205; OGH Wien (18.6.1867), PreußVersZ 3 (1869), 418. Vgl. außerdem Lewis, Lehrbuch (1889), S. 170; § 6 des von Bähr angefertigten Entwurfes eines Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag, ArchBürgR 7 (1893), 3, 33 f. 278
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
schiedlichen Ansichten in der Literatur scheinen damit schlicht jeweils verschiedene Praktiken zum Ausgangspunkt der Darstellung gewählt zu haben. Doch nicht nur bezüglich einzelner Versicherungsarten bestanden verschiedene Vertragsschlußmodalitäten. Für die Fragen, wann der Versicherungsvertrag zustande kam und wer das Angebot und die Annahme erklärte, konnte es auch von Bedeutung sein, ob der Vertrag durch einen Makler oder Agenten vermittelt worden war283. Daß sich diese unterschiedlichen Zeitpunkte des Vertragsschlusses herausbilden konnten, lag darin begründet, daß ein Versicherungsvertrag in der Regel formlos abgeschlossen werden konnte284. Für das ADHGB ergab sich diese Formfreiheit aus dessen Art. 317285. Für die Teile Deutschlands, in denen französisches Recht galt, bestimmte Art. 332 Code de Commerce zuvor: »Le contrat d’assurance est rédigé par écrit.« Doch wurde dies nicht dahin verstanden, daß ein mündlicher Versicherungsvertrag formungültig war. Es handelte sich um eine bloße Beweisvorschrift286. Innerhalb Deutschlands verlangte allein ALR II 8 § 2064 die Einhaltung der Schriftform, damit der Vertrag gültig war287. Nach Einführung des ADHGB galt diese Formvorschrift nur für Versicherungen auf Gegenseitigkeit fort288. 283
Malß, 13 (1869), 68 ff. Und auch bezüglich der Stellung der Makler und Agenten bestanden zwischen den einzelnen Versicherungsbranchen Unterschiede, vgl. dazu z.B. Benecke/ Nolte I (1851), S. 390 f., für das Seeversicherungsrecht und Hinrichs, ZHR 20 (1875), 389, für das Lebensversicherungsrecht. 284 Vgl. zu den Details die Darstellungen von Benecke/Nolte I (1851), S. 391 ff.; Ehrenberg I (1893), S. 262 f.; Voigt (1887), S. 61 ff.; Tecklenborg (1862), S. 102 f.; Malß, 13 (1869), 78 f.; Kübel, ZVersR 1 (1866), 350 ff. A.A. Staudinger (1858), S. 100. 285 Vgl. Voigt (1887), S. 61 ff.; Reatz, Seeversicherung (1884), § 66 (S. 376); König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 404 (S. 748); Lewis, Seerecht II (2. Aufl. 1884), Art. 788 Anm. 1 (S. 275); H. Hoffmann (1879), S. 37; StadtA Frankfurt a.M. (o.D.), ZVersR 2 (1868), 204, 205. Art. 317 ADHGB lautete: »Bei Handelsgeschäften ist die Gültigkeit der Verträge durch schriftliche Abfassung oder andere Förmlichkeiten nicht bedingt. Ausnahmen von dieser Regel finden nur insoweit statt, als sie in diesem Gesetzbuche enthalten sind.« Eine solche Ausnahme enthielten Art. 782 ff. ADHGB nicht. Das Rostocksche Stadtrecht von 1757 bestimmte die Formfreiheit etwa in VI,7,7. 286 Voigt (1887), S. 63 f.; Ehrenberg I (1893), S. 262; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 164. Vgl. außerdem König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 416 (S. 788). 287 »Jeder Versicherungsvertrag, welcher zwischen Königlichen Unterthanen, oder in hiesigen Landen zwischen Königlichen Unterthanen und fremden geschlossen wird, muß bey Strafe der Ungültigkeit schriftlich abgefaßt werden.« Ebenso z.B. Art. 330 Abs. 1 Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten (1857). 288 Statt aller Ehrenberg I (1893), S. 75; Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 443; ROHG (1.12.1871), ROHGE 4, 199. Zwar galt nach Einführung des ADHGB für andere Versicherungssparten außer der Seeversicherung weiterhin ALR II 8 §§ 2064 ff. fort. Denn das ADHGB enthielt ja nur Vorschriften zur Seeversicherung. Aber die Formvorschrift des ALR wurde für die kaufmännisch betriebene Versicherung als insgesamt abgeschafft angesehen. Art. 317 galt ja für alle Handelsgeschäfte: AG Bromberg (o.D.), ZVersR 2 (1868), 400; AG Breslau (27.10.1869), PreußVersZ 4 (1870), 795, 795 f.; ROHG (23.1.1872), ROHGE 5, 9; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 164 f.; Stobbe III (2. Aufl. 1885), § 197 (S. 356); Harries, Gruchot 17
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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Obwohl damit die Einhaltung einer Form als Wirksamkeitsvoraussetzung allgemein nicht vorgeschrieben war, war es die absolute Regel, daß zumindest eine schriftliche Versicherungspolice ausgestellt wurde289. Nach den meisten Partikularrechten, so nach ALR II 8 § 2066290, ebenso wie nach Art. 788 ADHGB291 hatte der Versicherungsnehmer sogar einen Anspruch auf Ausstellung einer solchen Police292. Doch wies die Existenz eines solchen Versicherungsscheines nicht zwingend darauf hin, daß der Vertragsschluß schriftlich erfolgt war. Er konnte auch schlicht die Funktion haben, einen mündlich geschlossenen Versicherungsvertrag schriftlich zu fixieren293. Von einer solchen Möglichkeit ging z.B. auch ALR II 8 § 2068 aus, nach dem der Formmangel im Sinne von ALR II 8 § 2064, zumindest einseitig, als geheilt galt, sobald die Police ausgestellt und vom Versicherer unterzeichnet worden war294. Das ALR unterstellte damit, daß es sich bei der Police um eine einseitige Urkunde handelte, die erst nach Vertragsschluß ausgestellt wurde295. In anderen Jurisdiktionen wurde der Schriftform des Vertragsschlusses dagegen gerade durch Ausstellung der Police genügt296. So handelte es sich in Frankreich, anders als in 289 (1873), 523 ff.; Keyßner, ZGesRpfl 5 (1871), 172 ff., mit Nachweisen auf die zum Teil in der Rechtsprechung vertretene abweichende Ansicht. Versicherungen auf Gegenseitigkeit waren dagegen nicht auf Gewinnerzielung gerichtet und wurden daher auch nicht kaufmännisch betrieben. Der Abschluß einer solchen Versicherung war deshalb kein Handelsgeschäft i.S.d. Art. 271 Nr. 3 ADHGB. Als Konsequenz galt die durch Art. 317 ADHGB normierte Formfreiheit nicht. Zu den resultierenden praktischen Unterschieden vgl. Kräwel, Gruchot 24 (1880), 297 ff. 289 Ehrenberg I (1893), S. 262 f.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 167; Voigt (1887), S. 64; Tecklenborg (1862), S. 102; Malß, ZHR 13 (1869), 78 f.; Kübel, ZVersR 1 (1866), 352 f.; König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 404 (S. 748), § 416 (S. 789); Mittermaier II (7. Aufl. 1847), § 303 (S. 104 f.); Beseler I (1873), § 111 (S. 464); Köhne, BuschA 46 (1886), 54. Vgl. auch § 1 der AVB der Feuerversicherungsgesellschaft Adler, abgedruckt in PreußVersZ 4 (1870), 1302. Selten trat an die Stelle der Police eine Prämienrechnung oder ein Eintrag in die Bücher des Versicherers. Zu einem Fall, in dem eine Police fehlte, vgl. Rechtsfakultät Bonn (o.D.), ZVersR 1 (1866), 272, 276. 290 »Sobald solchergestalt der Contrakt geschlossen ist, muß der Versicherer, gegen Bezahlung der bedungenen Prämie, den Versicherungsbrief, oder die Police nach den festgesetzten Bedingungen ausfertigen und unterschreiben.« Ebenso Art. 907 DresdE. 291 »Der Versicherer ist verpflichtet, eine […] schriftliche Urkunde (Polize) über den Versicherungsvertrag dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen auszuhändigen.« 292 Ehrenberg I (1893), S. 257; Reatz, Seeversicherung (1884), § 66 (S. 376). 293 König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 404 (S. 748); Lewis, Lehrbuch (1889), S. 167; ders., Seerecht II (2. Aufl. 1884), Art. 788 Anm. 1 (S. 276). 294 »Ist keine besondere schriftliche Verabredung vorhergegangen: so wird der Contrakt in Ansehung eines jeden Versicherers für geschlossen geachtet, sobald derselbe […] die Police unterzeichnet hat.« Weitergehend Art. 330 Abs. 2 Entwurf eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten (1857): Der Vertrag war nicht nur für den Versicherer bindend, sondern insgesamt gültig. In diesem Sinne verstanden die Gerichte auch ALR II 8 § 2068, so OTR Berlin (Dezember 1867), zitiert von Malß, ZHR 13 (1869), 89. 295 A.A. Staudinger (1858), S. 104. 296 So nach § 1705 Züricher PGB. Ebenso Art. 805 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860). Vgl. auch Ehrenberg I (1893), S. 263; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 168.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Deutschland, bei der Police auch nicht um eine einseitige Urkunde des Versicherers, sondern beide Parteien unterzeichneten die Police297. Ob das bindende Angebot erst vom Versicherer durch Übersendung der Police ausging, das der Versicherungsnehmer durch vorbehaltlose Entgegennahme der Police annahm; ob es vom Versicherungsnehmer durch Stellung des Antrags auf Abschluß des Versicherungsvertrages ausging, das der Versicherer durch Übersendung der Police annahm; ob es in dem Prospekt als Angebot an einen unbestimmten Personenkreis enthalten war, das der Versicherungsnehmer durch Stellung des Antrags annahm; ob der Vertrag schriftlich oder mündlich geschlossen wurde; ob die Schriftform gerade durch Ausstellung der Police gewahrt wurde; ob der Police eine schriftliche Vertragsurkunde vorausging; oder ob schließlich der Vertrag unter Vermittlung eines Maklers zustande kam; das alles hätte eigentlich auch für die Frage der Einbeziehung der AVB von Bedeutung sein müssen. Ein Verweis auf die AVB hätte, wenn die oben zu den Eisenbahnreglements herausgearbeiteten Einbeziehungsvoraussetzungen auch im Versicherungsvertragsrecht galten, mal im Prospekt des Versicherer, mal im Antrag des Versicherungsnehmers und mal in der Police erscheinen müssen. Daß die Einbeziehungsproblematik indes nicht so differenziert diskutiert wurde, lag an der Bedeutung der Versicherungspolice. Wie der Vertrag auch zustande kam, der Versicherungsnehmer hatte, wie gesagt, einen Anspruch auf Ausstellung einer solchen Police, und sie wurde in der Regel auch ausgestellt. Bei Ehrenberg lesen wir zu ihrer Bedeutung298: »Der Inhalt der Police hat, sobald der Versicherungsnehmer sie anstandslos entgegengenommen hat, die Vermutung für sich, den vereinbarten Inhalt des Versicherungsvertrages und zwar den ganzen Inhalt dieses Vertrages darzustellen, soweit nicht ausdrücklich auf andere Dokumente, insbesondere auf den Prospekt und die Deklaration verwiesen wird.«
Lag also ein Versicherungsschein vor, wurde vermutet, daß dessen Inhalt auch den Inhalt des Versicherungsvertrags vollständig wiedergab. Dem Versicherungsnehmer war zwar erlaubt, diese Vermutung zu entkräften, indem er bewies, daß etwas anderes verabredet worden war299. Dann konnte er Rektifizierung der Police verlangen oder den Vertrag anfechten. Doch war dieser Fall praktisch nur wenig bedeutsam300. Zudem waren diese Rechte des Versiche297
Malß, ZVersR 2 (1868), 152. Ehrenberg I (1893), S. 258. Vgl. auch König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 416 (S. 789); Benecke/Nolte I (1851), S. 389; Voigt (1887), S. 64; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 405; Staudinger (1858), S. 106; StadtA Frankfurt (o.D.), ZVersR 2 (1868), 204, 205; § 4 der AVB der Feuerversicherungsgesellschaft Adler, abgedruckt in PreußVersZ 4 (1870), 1304. 299 Ehrenberg I (1893), S. 258 ff.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 169. 300 Das StadtA Frankfurt a.M. (o.D.), ZVersR 2 (1868), 204, 205 f., 206, verneinte sogar entsprechende Rechte des Versicherungsnehmers unter Verweis auf § 1 der AVB, der bestimmte, daß sich der Vertragsinhalt allein nach der Police richtete. 298
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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rungsnehmers ausgeschlossen, wenn der Versicherer nachweisen konnte, daß sich der Versicherungsnehmer durch die vorbehaltlose Entgegennahme der Police mit ihrem Inhalt einverstanden erklärt hatte301. Dann ging man davon aus, daß die Annahmeerklärung der Versicherung unter Abänderung des Antrages des Versicherungsnehmers erfolgte und somit als neues Angebot zu gelten habe, das der Versicherungsnehmer durch vorbehaltlose Entgegennahme der Police annahm302. Wich der Inhalt der Police vom Vereinbarten ab, so mußte der Versicherungsnehmer also regelmäßig sofort nach ihrem Erhalt widersprechen. 2. Die Praxis im Versicherungswesen Um den oben bei den Eisenbahnreglements herausgearbeiteten Geltungsvoraussetzungen zu genügen, mußten also die Policen die AVB entweder vollständig wiedergeben oder auf sie Bezug nehmen. Zudem hätten die Versicherer den Versicherungsnehmern die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Inhalts der AVB gewähren müssen. Und so entsprach es in der Tat der Praxis im Versicherungswesen303. Als Police verwendeten die Versicherer in der Regel Formulare304. Daß die Versicherer Policenformulare benutzten, war keine Errungenschaft des 19. Jh. Vielmehr waren in Deutschland und über Deutschland hinaus Formulare schon seit Aufkommen des Seeversicherungswesens üblich gewesen305. Und diese Formulare enthielten die AVB entweder vollständig oder nahmen Bezug auf veröffentlichte oder beigefügte AVB. Ein in 301 Lewis, Lehrbuch (1889), S. 169; Stobbe III (2. Aufl. 1885), § 197 (S. 356); ROHG (23.1.1872), ROHGE 5, 20. Kritisch Pöhls IV/2 (1834), S. 520, 533. 302 Malß, ZHR 13 (1869), 91 f. 303 Seebohm, Einleitung (1887), S. XXIV, XXXIII; Ehrenberg I (1893), S. 257 f.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 167 f.; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 407; Wolff, ZVersR 2 (1868), 338; Magens (1753), S. 3. 304 Benecke/Nolte I (1851), S. 390, 397 mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis der europäischen Seeversicherer; Tecklenborg (1862), S. 101 ff.; Glück XXI/1 (1820), § 1141 (S. 203); OAG Lübeck (25.11.1829), Lübecker Rechtssachen 1 (1858), 281, 282. 305 Dreyer (1990), S. 30 f. Fn. 10; Hammacher (1982), S. 56; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 91; P. Koch, FS Reimer Schmidt (1979), S. 301. In Hamburg waren zunächst in niederländisch verfaßte Formulare üblich, die auf die Bedingungen der Antwerpener Börse verwiesen: Dreyer (1990), S. 30 f. Fn. 10; W. Heyn (1950), S. 13; P. Koch, Hamburger Hafen (1995), S. 268; Kiesselbach (1901), S. 109 f. und vgl. das Beispiel einer Police aus dem Jahre 1638 bei Marsden II (1897), S. 57 ff. Zum Teil enthielt die Gesetzgebung zum Seeversicherungsrecht sogar zu verwendende Musterformulare. Vgl. hierzu Dreyer (1990), S. 117 ff.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 92; Neugebauer (1990), S. 40. Die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 enthielt sieben verschiedene Policenformulare, abgedruckt bei Dreyer (1990), S. 330 ff. Ebenso die Assekuranz- und Havarie-Ordnung für die Königlich-Preußischen Staaten von 1766, NCC IV, Berlin 1771, Sp. 141 ff. Nach Hammacher (1982), S. 133 enthielt erstmals eine Verordnung aus Florenz von 1523 solche Musterformulare. Vgl. auch die zahlreichen bei Magens (1753), S. 367 ff., abgedruckten Versicherungsordnungen.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Bremen um 1851 übliches Formular einer Seeversicherungspolice enthielt etwa folgende Klausel306: »Wir übernehmen gegen die dafür bedungene Prämie […] alle und jede Gefahren, welche dem versicherten Gegenstande während der ganzen Dauer dieser Reise, auf irgend eine Art und Weise zustoßen möchten, und wir verpflichten uns demgemäß zum Ersatz der auf derselben vorkommenden Schäden und Verlüste, und zwar […] nach den in den gedruckten neu bearbeiteten Bedingungen vom 1sten Juni 1836 enthaltenen speciellen Bedingungen, wovon nachstehend ein Auszug beigefügt ist; in so fern nicht in dieser Police besonders davon Abweichendes festgestellt worden ist: […].«
Nicht nur im Seeversicherungswesen, sondern auch bei den übrigen Versicherungsarten war es Praxis der Versicherer, die AVB in die Versicherungspolice aufzunehmen oder auf sie zu verweisen und sie ihnen beizufügen oder zu veröffentlichen, damit der Versicherungsnehmer Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen konnte307. Schließlich kommt in der zitierten Police ein weiterer Gedanke zum Ausdruck, der im Versicherungsvertragsrecht als Selbstverständlichkeit aufgefaßt wurde: Individualvereinbarungen genossen Vorrang vor einbezogenen AGB308. Dieser Vorrang der Individualvereinbarung ergab sich aus einem Auslegungsgrundsatz. In der Regel wollten die Parteien eben gerade durch die Individualvereinbarung von den AGB abweichen309. Wir hatten oben bereits gesehen, daß bei den Versicherungen auf Gegenseitigkeit strittig war, ob das Mitgliedschafts- und das Versicherungsverhältnis identisch waren oder sich voneinander trennen ließen310. Nach der Ansicht, die beides als identisch ansah, hätten sich der einzelne Versicherungsnehmer und die Versicherung nicht auf die Einbeziehung der AVB einigen müssen. Die vorherrschende Meinung trennte dagegen beide Verhältnisse voneinander. Das Mitgliedschaftsverhältnis wurde durch den Beitritt des Versicherungsnehmers 306 Wiedergegeben bei Benecke/Nolte I (1851), S. 511. Vgl. auch Magens (1753), S. 4 und die Beispiele bei Benecke/Nolte I (1851), S. 437 f. und dies. II (1852), Anhang S. 90 ff.; vgl. weiter das seit 1867 in Hamburg übliche Policenformular, abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 863 f. Aus dem Feuerversicherungswesen vgl. die Police der Berlinischen Feuerversicherungs-Anstalt von 1812, Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung I, S. 25 und die um 1857 verwendete Police der Magdeburger Feuerversicherungs-Gesellschaft abgedruckt bei Masius (1857), S. 120. Aus dem Lebensversicherungswesen vgl. die um 1858 verwendete Police der Lebensversicherungsanstalt der bayerischen Hypotheken und Wechselbank München und der Lebens- und Pensionsversicherungsgesellschaft Janus in Hamburg, abgedruckt bei Staudinger (1858), S. 181 ff. 307 Ehrenberg I (1893), S. 257 f.; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 407; Wolff, ZVersR 2 (1868), 136; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 107. 308 Ehrenberg I (1893), S. 85; Benecke/Nolte I (1851), S. 390; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 102; Art. 1 Tit. 4 der Hamburgischen Assekurenz- und Havarieordnung von 1731. Ebenso Art. IV des Vergleichs der Assecuratoren in Hamburg vom 17.3.1697. 309 Ehrenberg I (1893), S. 85. 310 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 270.
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zur Versicherung auf Gegenseitigkeit begründet, das Versicherungsverhältnis dagegen durch den Versicherungsvertrag. Die AVB waren Grundlage des Versicherungsverhältnisses. Auf sie mußten sich die Parteien also besonders einigen. Und so war es auch hier in der Praxis üblich, eine Versicherungspolice auszustellen, welche die AVB vollständig oder doch zumindest eine Bezugnahmeklausel auf diese enthielt311. So forderte z.B. § 3 des Statuts einer Rindviehversicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit312: »Der Police müssen die Statuten des Vereins beigedruckt sein, da dieselben als ein integrierender Theil des durch die Police zwischen der Gesellschaft und dem Versicherten abgeschlossenen Vertrages gelten.«
Nicht zu verwechseln mit solchen in der Praxis üblichen Bezugnahmeklauseln sind die Unterwerfungsklauseln, die z.B. die Musterformulare der Hamburgischen Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 und der Assekuranz- und Havarie-Ordnung für die Königlich-Preußischen Staaten von 1766 enthielten. Bei beiden Ordnungen handelte es sich um unmittelbar anwendbares Recht313. Beide stellten Musterformulare bereit, deren Verwendung vorgeschrieben war314. Diese Musterformulare enthielten ähnlich lautende Unterwerfungsklauseln315: »Wir unterwerfen uns übrigens der Königlichen Assecuranzordnung.«
Wurde ein Versicherungsvertrag zwischen zwei preußischen Staatsangehörigen geschlossen und war Gerichtsstand zudem in Preußen, so wäre diese Klausel wohl überflüssig gewesen. Bedeutung kam ihr allein als Rechtswahlklausel zu, sobald der Versicherungsvertrag eine Auslandsbeziehung aufwies. Interessant, aber außerhalb des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit, wäre es der Frage nachzugehen, ob die Gesetzgeber mit diesen Klauseln einfach nur die Bezugnahmeklauseln der privaten Versicherungswirtschaft imitierten oder ob umgekehrt die private Versicherungswirtschaft ihre Bezugnahmeklauseln in Anlehnung an die Unterwerfungsklauseln der gesetzlich vorgeschriebenen Musterformulare entwickelt hat. 311
Hinrichs, ZHR 20 (1875), 429. Vgl. auch ROHG (10.12.1872), ROHGE 8, 180. Abgedruckt in PreußVersZ 2 (1868), 190, 191. Vgl. zudem die um 1858 verwendete Police der Leipziger Lebensversicherungsgesellschaft, abgedruckt bei Staudinger (1858), S. 183. 313 So hieß es in der Präambel zur Preußischen Assekuranz- und Havarie-Ordnung, NCC IV, Berlin 1771, Sp. 84: »Wir gebieten und befehlen demnach den Unterthanen Unseres Königreiches und Unserer sämtlichen Staaten, besonders allen Ober- und Unter-Gerichten, sich in allen Vorfällen nach dieser gesetzlichen Vorschrift genau zu achten, und alle aus Assecuranzen entstehende Streitigkeiten darnach zu entscheiden.« 314 § 3 Preußische Assekuranz- und Havarie-Ordnung, NCC IV, Berlin 1771, Sp. 84: »Kein Versicherungs-Vertrag soll mündlich, sondern schriftlich geschlossen werden, und zwar werden zu den Policen oder Versicherungs-Briefen diejenigen Formulare gebrauchet, welche dieser Ordnung angehängt sind.« 315 So die Klausel des Formulars einer Police über Wallfischfang oder andere Fischereyen, Preußische Assekuranz- und Havarie-Ordnung, NCC IV, Berlin 1771, Sp. 146. 312
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
3. Die Gesetzgebung In Hamburg waren die besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen bis zum Inkrafttreten des ADHGB für das Seeversicherungsrecht auch gesetzlich normiert. Art. 1 Tit. 4 der Hamburgischen Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 lautete316: »Wer ausser der ordinairen, in den erwehnten Policen enthaltenen, Verpflichtung, noch andere und mehrere Conditiones oder besondere Verbindungen in einem oder dem anderm Falle hinzu thun will, der ist gehalten, solche der Police, vor der Zeichnung, deutlich anzufügen.«
Die AVB mußten der Police vor der Zeichnung hinzugefügt werden. Neben diese zeitliche Voraussetzung stellt Art. 1 Tit. 4 der Hamburgischen Ordnung noch eine qualitative Anforderung: Die Anfügung der AVB an die Police mußte deutlich erfolgen317. Zweck war, »daß jeder der Contrahenten aus der Police selbst den Umfang seiner Rechte und Verbindlichkeiten solle ersehen können«318. Hier schimmert ein Transparenzgedanke durch. Das ist um so bemerkenswerter, als wir uns in einem handelsrechtlichen Kontext befinden. Ausgeschlossen waren nach Art. 1 Tit. 4 wohl auch bloße Bezugnahmeklauseln. Darüber setzte sich die Praxis indes hinweg. Die Versicherer begnügten sich mit Bezugnahmeklauseln319. Sollte die qualitative Anforderung der deutlichen Anfügung von allgemeiner Geltung gewesen sein, dann schienen mit ihr zudem nicht allzu große Anforderungen verbunden gewesen zu sein. Denn es wurde beklagt, daß AVB oft nur sehr klein und unleserlich gedruckt waren320. Wie die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 erforderte auch ALR II 8 § 2101 eine Bezugnahme auf die AVB bzw. eine Aufnahme der AVB in die Police321: »§ 2100. Die Pflichten des Versicherers und Versicherten aus dem Contrakte sind hauptsächlich nach dem Inhalte desselben zu beurtheilen. § 2101. Abweichungen von der Regel, Nebenbedingungen, und Einschränkungen, sind nur in so weit gültig, als sie in der Police, oder bey der Zeichnung, ausdrücklich bemerkt worden.«
Die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 und das ALR von 1794 enthielten privatrechtliche Normen zum Versicherungsvertrag. Oben wurde darauf hingewiesen, daß in den einzelnen deutschen Staaten seit dem 18. Jh. zahlreiche verwaltungsrechtliche Gesetze und Verordnungen zum 316
Vgl. hierzu schon Neugebauer (1990), S. 134. So schon zuvor Langenbeck (1727), S. 391 f. 318 Pöhls IV/2 (1834), S. 532. 319 Pöhls IV/2 (1834), S. 532. 320 So die Klage in einem anonymen Leserbrief in PreußVersZ 1 (1867), 300 f., und in einem anonymen Beitrag, ebd., 79. 321 Vgl. hierzu schon Neugebauer (1990), S. 134. 317
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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Versicherungsrecht galten. Auch diese behandelten zum Teil die Einbeziehungsproblematik. So verlangte in Sachsen § 35 der Ausführungsverordnung vom 20.10.1862 zum VI. Abschnitt des das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffenden Gesetzes vom 23.8.1862322: »Auf den Formularen zu den Declarationen (Antragsbogen), welche den Versicherungsnehmern von der Versicherungsanstalt oder deren Agenten zugestellt zu werden pflegen, muss sich ein Abdruck der Versicherungsbedingungen befinden, so dass der Versicherungsnehmer vor Abschluss der Versicherung sich von den Bedingungen, welche er einzugehen hat, genau zu unterrichten im Stande ist«.
Diese Vorschrift bestätigt nicht nur den Befund, daß schon im 19. Jh. neben der allgemeinen Einbeziehungsvoraussetzung, der Geltungsabrede, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die AGB und der Möglichkeit zur Kenntnisnahme besondere Einbeziehungsvoraussetzungen anerkannt waren. Sie geht auch über das bisher Beobachtete hinaus: Es reichte nach § 35 der Ausführungsverordnung nicht aus, daß die AVB in der Police abgedruckt waren. Sie mußten dem Versicherungsnehmer vielmehr schon mit dem auszufüllenden Antrag übergeben worden sein. Dieser Voraussetzung des § 35 der Ausführungsverordnung wurde auch über Sachsen und über das Immobiliarversicherungswesen hinaus regelmäßig Folge geleistet323. War der Versicherungsvertrag nämlich bereits vor Ausstellung und Übersendung der Police zustande gekommen, konnte der Versicherer nur sicherstellen, daß der Versicherungsnehmer nicht einwendete, die Police stimme nicht mit dem vertraglich Vereinbarten überein, wenn der Versicherungsnehmer schon seinen Antrag auf Grundlage der AVB gestellt hatte324. Und so bildeten die AVB regelmäßig einen Bestandteil des vom Versicherungsnehmer auszufüllenden und zu unterschreibenden Antragsformulars325. Zudem konnten sie in den Prospekten, auf deren Grundlage der Versicherer seinen Antrag stellte, enthalten sein326, so daß nur noch eine Bezugnahmeklausel im Antrag notwendig war: »der Inhalt des Prospektes bildet dann im übrigen den vereinbarten Vertragsinhalt«327.
322 Zitiert aus Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 116. Vgl. auch § 3 von Bährs Entwurf eines Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag, ArchBürgR 7 (1893), 2. 323 Vgl. z.B. das Antragsformular der Lebensversicherungsbank für Deutschland von 1828, abgedruckt in Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung II, S. 7; Malß, ZHR 13 (1869), 92; KG Berlin (o.D.), ZVersR 2 (1868), 323, 324; OTR Berlin (10.7.1866), PreußVersZ 2 (1868), 431. Vgl. außerdem Lewis, Lehrbuch (1889), S. 161; Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 732). 324 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 299. 325 Vgl. z.B. die um 1857 verwendete Declaration zur Anmeldung bei der Lebensversicherungs-Bank für Deutschland, abgedruckt bei Masius (1857), S. 121 ff. 326 Ehrenberg I (1893), S. 253 f. Vgl. auch Hinrichs, ZHR 20 (1875), 392. 327 Ehrenberg I (1893), S. 254.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
4. Die Literatur Weiterhin entsprach es nicht nur der allgemeinen Praxis der Versicherer und zumindest in Hamburg, Preußen und Sachsen den gesetzlichen Anforderungen, daß die Police bzw. das vom Versicherungsnehmer auszufüllende Antragsformular die AVB in sich aufnahm oder auf sie verwies. Auch die Literatur verlangte dies328: »Erfolgt die Unterschrift des Versicherers auf der Police mit ausdrücklicher Bezugnahme auf dieselben [veröffentlichte AVB], und hat der Versicherte eine solche Police angenommen, und die Prämie bezahlt, so ist der Contract rechtsgültig und die beiderseitige Verbindlichkeit der Contrahenten hat begonnnen.«
Zudem verlangte die Literatur, daß dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der AVB gewährt worden war. Auf eine Unkenntnis ihres Inhalts konnte sich der Versicherungsnehmer dann nicht mehr berufen329. 5. Die Rechtsprechung Kommen wir damit zur Rechtsprechung: Die Einbeziehungsproblematik wurde nur selten ausdrücklich erörtert. Daraus sollte man aber nicht den Schluß auf ein mangelndes Problembewußtsein der Gerichte ziehen330. Die Einbeziehung von AVB scheint vielmehr selten streitig gewesen zu sein. Das mag daran gelegen haben, daß die als notwendig erachteten Einbeziehungsvoraussetzungen in der Regel erfüllt waren. Schon die Bezeichnung der AVB als Policebestimmung in der Rechtsprechung deutet darauf hin, daß die AVB regelmäßig einen Bestandteil der Police bildeten331. In einigen Urteilen findet sich auch die beiläufige Erwähnung, daß die AVB in der Police abgedruckt bzw. ihr beigedruckt waren332, daß die Police auf veröffentlichte AVB ver328 Benecke/Nolte I (1851), S. 419. Vgl. außerdem Tecklenborg (1862), S. 227; Pöhls IV/2 (1834), S. 519; Eichhorn (2. Aufl. 1825), S. 313 mit Fn. k; Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 731 f.) Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 249 (S. 722); Wächter, AcP 19 (1836), 121. Aus der modernen Forschung vgl. Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 108. 329 Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 731). 330 So aber Neugebauer (1990), S. 161, 163. 331 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 258. 332 So z.B. OTR Berlin (13.5.1851), ZVersR 2 (1868), 302; OGH Wien (14.1.1857), ZVersR 1 (1866), 153; CassH Darmstadt (9.3.1858), ZVersR 1 (1866), 73; AG Marienwerder (7.9.1864), ZVersR 1 (1866), 76, 77; StadtKrG Magdeburg (28.9.1865), ZVersR 1 (1866), 151; StadtG Frankfurt a.M. (o.D.), ZVersR 1 (1866), 159; HAG München (29.1.1866), PreußVersZ 1 (1867), 201, 203; HAG Nürnberg (3.3.1865), ZVersR 1 (1866), 278, PreußVersZ 1 (1867), 74; AG Magdeburg (19.3.1866), ZVersR 2 (1868), 304, 305; StadtG Berlin (17.9.1866), PreußVersZ 356; AG Naumburg (2.12.1867), PreußVersZ 2 (1868), 853; OG Mainz (7.3./20.4.1867), abgedruckt bei Schmitz, ZVersR 2 (1868), 238; RG (9.3.1882), RGZ 6, 190, 191; RG (7.3.1888), RGZ 20, 137.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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wies333, daß dem Vertrag AVB zugrundegelegt worden waren334 oder daß nach ihnen gezeichnet worden war335. Zum Teil wurde auch betont, daß die AVB dem Versicherungsnehmer bekannt gemacht oder übergeben worden waren336. Wäre es ohne jede juristische Relevanz gewesen, daß die Police die AVB in sich aufnahm oder sich zumindest auf veröffentlichte oder ausgehändigte AVB bezog, so wären diese zwar beiläufigen, jedoch äußerst zahlreichen Bemerkungen in der Rechtsprechung nicht erklärbar. In zumindest einem Urteil findet sich zudem, ganz wie bei den Eisenbahnreglements337, die Feststellung, daß es unbeachtlich war, ob der Versicherungsnehmer die AVB auch wirklich zur Kenntnis nahm, wenn er nur die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hatte338. Auch war nicht nötig, daß der Versicherer den Versicherungsnehmer nochmals ausdrücklich auf die Policebedingungen verwies, sofern sie bereits in die Police aufgenommen waren339. Das spricht wiederum dafür, daß zumindest ein Abdruck oder eine Bezugnahme in der Police notwendig war. Schließlich scheiterte die Einbeziehung der AVB in einem Urteil des Obertribunals Berlin aus dem Jahre 1860 daran, daß der Versicherer nicht beweisen konnte, daß unter Einbeziehung der AVB kontrahiert worden war, weil die Police, welche die AVB enthielt, verlorengegangen war340. In Sachsen ging die Rechtsprechung auf Grundlage von § 35 der Ausführungsverordnung vom 20.10.1862 zum VI. Abschnitt des das ImmobiliarBrandversicherungswesen betreffenden Gesetzes vom 23.8.1862341 sogar noch einen Schritt weiter: Obwohl es sich bei der Ausführungsverordnung um eine bloße verwaltungsrechtliche Vorschrift handelte und obwohl daher die Argumentation nahegelegen hätte, ein Verstoß gegen § 35 verhindere nicht die Einbeziehung der AVB342, ging das Oberappellationsgericht Dresden davon aus, den Voraussetzungen des § 35 müsse genügt werden, damit die AVB Wirkung entfalten können343. In Sachsen reichte ein Abdruck der AVB oder eine Bezug333
OAG Lübeck (November 1861), ZVersR 1 (1866), 139, 141; StadtA Frankfurt a.M. (o.D.), ZVersR 2 (1868), 204, 206; HAG Nürnberg (3.3.1865), ZVers 1 (1866), 278, PreußVersZ 1 (1867), 74; BOHG (24.11.1870), BOHGE 1, 107; RG (22.1.1881), RGZ 3, 21, 23; RG (15.5.1889), Gruchot 33 (1889), 1021, 1022. 334 OTR Berlin (23.10.1860), PreußVersZ 2 (1868), 42; OTR Stuttgart (7.2.1872), BuschA 30 (1874), 133. 335 OG Hamburg (15.6.1855), Hamburgische Rechtssachen 3 (1864), 103, 107; RG (23.3.1881), RGZ 4, 37, 38. 336 OTR Berlin (3.10.1861), PreußVersZ 1 (1867), 717; OGH Wien (7.12.1864), PreußVersZ 1 (1867), 587, 588; HAG Nürnberg (3.3.1865), ZVersR 1 (1866), 278, PreußVersZ 1 (1867), 74; AG Naumburg (12.12.1866), ZVersR 2 (1868), 266, 268. 337 Siehe oben II C 1 a (S. 29 ff.). 338 AG Leipzig (24.11.1968), PreußVersZ 4 (1870), 605. 339 OAG Lübeck (7.6.1869), PreußVersZ 4 (1870), 331. 340 OTR Berlin (13.9.1860), PreußVersZ 2 (1868), 40. 341 Zitiert oben im Text zu Fn. 322. 342 So in der Tat AG Leipzig (24.11.1868), PreußVersZ 4 (1870), 605, 606. 343 OAG Dresden (6.12.1866), PreußVersZ 2 (1868), 104, 104 f.; OAG Dresden (1869), PreußVersZ 4 (1870), 605, 607 f.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
nahme auf die AVB erst in der Police damit nicht aus. Sie mußten bereits in dem vom Versicherungsnehmer auszufüllenden Antragsformular abgedruckt worden sein. 6. Die Veröffentlichung der allgemeinen Versicherungsbedingungen Zu den Eisenbahnreglements vertritt Pohlhausen die Ansicht, daß ihre Veröffentlichung für eine Einbeziehung allein ausreichte344. Diese Ansicht wurde oben widerlegt345. Auch für das Versicherungsrecht scheint es wenig wahrscheinlich zu sein, daß die Versicherer ihre AVB nur zu veröffentlichen brauchten, um sie zum Vertragsbestandteil zu machen: Im Versicherungsrecht war es üblich und meistens sogar vorgeschrieben, daß die AVB veröffentlicht wurden346. In vielen deutschen Staaten bedurften Versicherungsgesellschaften bei ihrer Gründung einer Konzession347. Dafür mußten sie regelmäßig ihre Gesellschaftsstatuten der zuständigen Behörde zur Genehmigung vorlegen oder zumindest anzeigen. In Deutschland entsprach es zunächst der Regel, daß die AVB, auf deren Grundlage die Versicherungsgesellschaft ihre Verträge abzuschließen gedachte, einen Teil des Statuts bildeten348. Die Statuten, und damit auch die AVB, wurden im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens von Amts wegen im jeweiligen Amts- oder Gesetzesblatt veröffentlicht. Insoweit unterschied sich das Versicherungswesen nicht vom Eisenbahnwesen. Ganz ähnliches galt auch, wenn eine Versicherung in Form einer Aktiengesellschaft betrieben werden sollte, sofern in dem betreffenden deutschen Staat die Errichtung einer Aktiengesellschaft genehmigungspflichtig war. Auch hier wurden die AVB als Teil der Statuten veröffentlicht. Eine Veröffentlichung der AVB lag damit regelmäßig vor. Hätte eine solche Veröffentlichung für eine Einbeziehung der AVB ausgereicht, so wäre die Praxis der Versicherer ebenso wenig erklärbar wie die Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung. Zudem findet sich auch eine ausdrückliche Erörterung dieser Problematik, denn die Versicherer argumentierten, daß eine bloße Veröffentlichung ausreichen sollte349. So erläuterten Benecke und Nolte 1851350: 344
Siehe oben den Text zu Fn. 40. Siehe oben II C 1 a (S. 29 ff.). 346 Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 101. 347 Siehe hierzu noch ausführlich unten § 4 IV A (S. 167 ff.). 348 Vgl. §§ 20 ff. der Verfassung der Feuer-Versicherungsbank für den deutschen Handelsstand in Gotha von 1820, abgedruckt in Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung I, S. 9 ff.; §§ 49 ff. der Statuten der wirtembergischen Privat-FeuerversicherungsGesellschaft von 1828, abgedruckt ebd., S. 16 ff.; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 450 f.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 100. 349 Vgl. Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 108 f. 350 Benecke/Nolte I (1851), S. 420. Ebenso schon Benecke III (1808), S. 33 f. und später Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 249 (S. 722). 345
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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»In den meisten Ländern werden die sogenannten ›beständigen‹ Bedingungen den Policen einverleibt, welches unter allen Umständen, da wo ihr umfangreicher Inhalt es nicht geradezu verhindert, eine angemessene Maßregel sein würde. Von einzelnen Publicationen derselben, von den hie und da in Umlauf gesetzten Statuten, Plänen u.s.w. der verschiedenen Versicherungs-Gesellschaften darf man nicht erwarten, daß sie die officiellen Bekanntmachungen der Obrigkeit vertreten und ersetzen können; und selbst wenn betreffende Anzeigen in den öffentlichen Blättern deswegen geschehen wären, so können sie ohne specielle Zustimmung des Versicherten ihm deswegen keine Verbindlichkeit auferlegen, denn er ist ja nicht verpflichtet, Kenntniß davon zu nehmen, oder wenn er es auch gethan hätte, so folgt nicht, daß er sich diesen Bedingungen unterworfen habe, oder sich dieselben gefallen lassen müsse.«
Im Anschluß an diese Ausführungen teilten sie einen Hamburger Rechtsfall aus dem Jahre 1798 zu dieser Problematik mit351: »Ein von mehreren Privat-Assekuradeurs versichertes Schiff, wurde auf seiner Reise stark beschädigt, ohne jedoch gestoßen zu haben. In der Dispache über die particulaire Havarie wurde von dem Dispacheur nur die Hälfte dieses Schadens zu Lasten der Versicherer gebracht, weil diese im Jahr 1796 öffentlich bekannt gemacht hatten, daß sie in der Folge nur nach den Bedingungen der See-Assekuranz-Compagnie zeichnen würden, welche jene, nachher allgemein gewordene, Bedingung damals schon in ihren Plan aufgenommen hatte. – Der Versicherte erhob dieserhalb eine Klage bei dem Admiralitäts-Gerichte; die Versicherer setzten die Bekanntmachung von 1796 entgegen, worauf ein Zwischenspruch des Gerichts dem Versicherer den Beweis der gehörig geschehenen Bekanntmachung auferlegte. Der Kläger appellierte hiergegen an das Ober-Gericht und versicherte, von dieser Bekanntmachung nicht unterrichtet gewesen zu sein. Es erfolgte hierauf ein Urtheil des Ober-Gerichts, welches den Zwischenspruch der Admiralität aufhob, und den Kläger befugte, seine Behauptung, daß er die Bekanntmachung nicht erfahren habe, zu beeidigen; und dieses Urtheil wurde, nach erfolgtem Restitutions-Gesuch der Beklagten, bestätigt. Unterläßt demnach ein Privat-Versicherer, sich bei Unterzeichnung einer Police auf die Bedingungen, denen er folgen will, zu beziehen, so ist der Versicherte durch eine vorhergegangene öffentliche Bekanntmachung derselben keineswegs gebunden, wenn er beweisen kann, daß er keine Kenntniß davon gehabt habe.«
Unterschiedlicher Ansicht waren Benecke und Nolte und das Hamburger Obergericht, was in dem Fall zu gelten habe, wenn der Versicherungsnehmer Kenntnis von der Veröffentlichung hatte. Das Obergericht wollte eine Zustimmung des Versicherungsnehmers bei bekannter Veröffentlichung selbst dann annehmen, wenn eine Bezugnahme auf die veröffentlichten AGB unterblieben war. Benecke und Nolte glaubten dagegen, daß aus der bloßen Kenntnis nicht der Schluß gezogen werden könne, der Versicherungsnehmer wolle sich den AVB unterwerfen352. Eine vergleichbare Meinungsverschiedenheit 351 Benecke/Nolte I (1851), S. 420; Benecke III (1808), S. 34 f. Vgl. außerdem RG (29.10.1889), RGZ 25, 169, 174. 352 Ebenso Pöhls IV/2 (1834), S. 519.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
konnten wir oben bei Diskussion der Eisenbahnreglements zwischen Goldschmidt und Mittermaier beobachten353. Bezüglich der Veröffentlichung der in den Statuten der Versicherer enthaltenen AVB in den Amtsblättern wich Malß von der Ansicht von Benecke und Nolte ab354. Bei einer solchen Veröffentlichung von Staats wegen durfte sich, so zumindest Malß, ein Versicherungsnehmer ebensowenig darauf berufen, die so mitveröffentlichten AVB nicht zu kennen, wie er sich auch nicht auf eine Unkenntnis von Gesetzen berufen könne. Malß nahm hier also eine sehr versichererfreundliche Position ein. Dies mag sich daraus erklären, daß er im Dienst einer Frankfurter Versicherungsgesellschaft stand355. In dieselbe Richtung ging Art. 814 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860): »Die Rechte und Verbindlichkeiten aus dem Versicherungsvertrage sind nach den Bestimmungen desselben, bei Verträgen, welche mit obrigkeitlich ermächtigten Anstalten abgeschlossen werden, nach den genehmigten Statuten […] zu beurtheilen […].«
Und Bütow versuchte ein ähnliches Ergebnis unter Rückgriff auf Ulpian D. 14,3,11,3 zu rechtfertigen356. Die übrigen Autoren diskutierten diese Ausnahme indes nicht357. Zwar deutet eine Äußerung von König in eine ähnliche Richtung. Er führte in seinem Abschnitt zu Sachversicherungsverträgen schlicht aus, daß über die AVB die Statuten der Gesellschaften Auskunft geben und daß sie auf Verlangen zugesandt werden. Deshalb könne unterstellt werden, daß der Versicherungsnehmer sie kenne, und er könne sich auf eine entsprechende Unkenntnis nicht berufen358. Bei seiner Abhandlung der Lebensversicherungsverträge verzichtete König indes auf die Notwendigkeit zumindest einer Bezugnahmeklausel nicht. Damit scheint mir König insgesamt nicht auf die Bezugnahmeklausel verzichten zu wollen. Daß die AVB in den veröffentlichten Statuten enthalten waren, scheint für ihn nur für die Gewährung der Möglichkeit der Kenntnisnahme von Bedeutung zu sein359. Und in diesem Zusammenhang diskutieren auch die übrigen Autoren eine Veröffentlichung360: Veröffentlichte AVB könnten als bekannt vorausgesetzt werden, so daß eine einfache Bezugnahmeklausel auf sie genüge, um sie in den Vertrag einzubeziehen, ohne daß eine weitere Möglichkeit der Kenntnisnahme gewährt werden müsse. 353 354 355 356 357 358 359 360
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 59. Malß, ZHR 13 (1869), 92. Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 109 Fn. 136; Neugebauer (1990), S. 126. Bütow (1883), S. 47. Zu Ulpian D. 14,3,11,3 siehe schon oben I (S. 24 f.). Unklar Kübel, ZVersR 1 (1866), 337. König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 404 (S. 747). König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 416 (S. 789). So z.B. Ehrenberg I (1893), S. 84.
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Ganz ähnlich betonte das Oberappellationsgericht Dresden in einem Fall aus dem Jahre 1850, – es ging um die Einbeziehung einer Klausel, die auch Teil der veröffentlichten Statuten war – daß die AVB dem Versicherungsnehmer übergeben worden waren, er den Empfang im Versicherungsantrag bestätigt hatte und sich dadurch den AVB unterworfen hatte361. Dieser Begründungsaufwand wäre überflüssig gewesen, wenn allein die Veröffentlichung für eine Einbeziehung ausgereicht hätte. Zudem betonte die Rechtsprechung immer wieder, daß die Statuten und die darin enthaltenen AVB durch Genehmigung und Veröffentlichung von Staats wegen nicht einem Gesetz gleichgestellt werden könnten362: »Als allgemeine Regel läßt sich nicht anerkennen, daß Statuten eines Vereins oder einer Gesellschaft durch die landesherrliche Bestätigung in allen ihren Theilen gleiche Wirksamkeit mit Gesetzen erhalten.«
Als Konsequenz durfte auch die Veröffentlichung der AVB nicht dieselbe Wirkung haben wie die Veröffentlichung von Gesetzen. Daß eine Veröffentlichung der AVB in den Statuten der Versicherungsgesellschaften nicht ausreichte und nicht die Bezugnahme auf die AVB überflüssig machte, steht schließlich mit der Diskussion um den Autonomiebegriff im Einklang363. Zwar wurde diskutiert, ob Gesellschaften nicht die Autonomie im Sinne der Rechtsquellenlehre zukomme, Statuten zu erlassen, und diese Statuten wurden von einigen daher auch nicht als Rechtsgeschäft, sondern als Normen aufgefaßt364. Doch grundsätzlich konnte durch die Statuten nur das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern geregelt werden, nicht aber konnten Dritte durch die Satzungen gebunden werden365, außer freilich, eine Erstreckung der Wirkung der Statuten auf Dritte war gesetzlich besonders angeordnet366. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz, daß eine belastende Drittwirkung von autonom erlassenen Satzungen nicht möglich ist, hätte also Wi361
OAG Dresden (8.8.1850), ZVersR 2 (1868), 176, 178. OTR Berlin (14.5.1866), PreußVersZ 4 (1870), 76, 78. Vgl. außerdem ROHG (10.12.1872), ROHGE 8, 180, 185; ROHG (11.1.1873), ROHGE 9, 130; RG (24.4.1883), RGZ 9, 260; Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 208 Anm. 1; Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 20 (S. 143). A.A. bezüglich der landesherrlich bestätigten Statuten von 1859 des Vereins für gegenseitige Brandversicherung in den Ortschaften des platten Landes im Fürstenthume Reuss ältere Linie Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 171. 363 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 93 und Fn. 266, unten den Text zu Fn. 454 und zusätzlich Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 20 (S. 143). 364 So z.B. Regelsberger, Pandekten I (1893), § 24 (S. 106). 365 Baron (8. Aufl. 1893), § 33 (S. 66); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 24 (S. 106); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 22 (S. 16 f.). Vgl. außerdem C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 114); dens., Handbuch II (1842), § 11 (S. 50). Einschränkend Bluntschli (1864), § 9 (S. 17); Brunner, Autonomie, in: Holtzendorffs Encyclopädie II/1 (1875), S. 147. Differenzierend Stobbe I (2. Aufl. 1882), § 19 (S. 131 f.). 366 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 22 (S. 16). 362
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derspruch erregen müssen. Der blieb aus, und daraus darf wohl geschlossen werden, daß eine solche Ausnahme auch nicht der allgemeinen Ansicht entsprach. 7. Allgemeine Versicherungsbedingungen als Handelsbrauch Benecke und Nolte diskutierten schließlich die Möglichkeit, daß die AVB zu einem Handelsbrauch werden können. Seit Anfang des 19. Jh. gab es in Hamburg Bestrebungen, die Hamburgische Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 durch ein moderneres Regelungswerk zu ersetzen367. So wies die Ordnung von 1731 Lücken auf. Diese Lücken schlossen die Seeversicherer durch ihre AVB368. Zunächst stimmten diese AVB der einzelnen Seeversicherer überein bzw. sie nutzten einheitliche AVB. Doch mit der Zeit entwickelten sich sehr verschiedene AVB heraus. Mit der angestrebten Neuregelung der Ordnung von 1731 wollte man unter anderem eine Vereinheitlichung der Versicherungspraxis bewirken. Man empfand es als untunlich, daß die inzwischen dreißig in Hamburg tätigen Seeversicherungsgesellschaften zu unterschiedlichen AVB kontrahierten. Um Transparenz zu schaffen, wollte man die AVB vereinheitlichen: Dem »Herumirren in dem Labyrinth der vielfältigen Bedingungen und Pläne von dreißig verschiedenen Assekuranz-Compagnien, [sollte] ein Ende« gemacht werden369. Das Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund von 1870 und das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands von 1871 waren ganz ähnlich motiviert gewesen370. Und auch im Seeversicherungswesen waren solche Vereinheitlichungsbestrebungen nicht ohne Vorbild. Schon 1677 hatten sich in Hamburg die Seeversicherer im sogenannten Vergleich der Assecuratoren auf einheitliche Versicherungsbedingungen geeinigt371. Die Bestrebungen mündeten endlich in dem Allgemeinen Plan Hamburgischer See-Versicherungen von 1847372. Anders als bei der Ordnung 367 Vgl. Benecke/Nolte I (1851), S. 421 ff.; Seebohm, Einleitung (1887), S. XXIV f. Reformversuche im 18. Jh. waren nach Dreyer (1990), S. 199 ff., erfolglos geblieben. 368 Dreyer (1990), S. 202. 369 Benecke/Nolte I (1851), S. 423. 370 Siehe oben II C 1 c (S. 44). 371 Vgl. Dreyer (1990), S. 52 ff. Dreyer vermutet, ähnliche Vergleiche habe es schon früher gegeben, zumindest deute eine von ihm im Staatsarchiv Hamburg gefundene Notiz auf einen solchen Vergleich aus dem Jahre 1623. Der Vergleich von 1677 wurde nicht aus dem Streben, Transparenz zu schaffen, geboren; zu dessen Gründen Dreyer (1990), S. 53 f. Für den Fall des Verstoßes gegen den Vergleich versprachen die unterzeichnenden Versicherer des Vergleiches eine Konventionalstrafe. Inhaltlich war der Vergleich nicht besonders umfangreich. Er enthielt vor allem einige Vorschriften zu den Zahlungsmodalitäten von Prämien und Versicherungssummen und zur Höhe der Maklerprovision. Die Laufzeit des Vergleiches war beschränkt. Er wurde nachfolgend oft verlängert und dabei immer wieder ergänzt: Dreyer (1990), S. 57 ff. Der Vergleich von 1677 sowie einige nachfolgende Vergleiche sind abgedruckt bei Dreyer (1990), S. 253 f. Vgl. auch Haus (1936), S. 69 ff.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 103; Hammacher (1982), S. 57 f. 372 Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 103.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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von 1731 handelte es sich bei diesem Plan von 1847 um kein Gesetz373. Es fehlte an dem dafür erforderlichen Ratsbeschluß. Deshalb mußte der Plan von 1847 auch grundsätzlich in den Vertrag eingeführt werden, um Wirkung zu entfalten. Und in der Tat kontrahierten die Hamburger Seeversicherer in der Folgezeit fast ausschließlich unter seiner Einbeziehung374. Allerdings, so meinten Benecke und Nolte, könne der Plan, zumindest innerhalb Hamburgs, als Handelsbrauch gelten, so daß eine ausdrückliche Einbeziehung entbehrlich sei375: »Da sich aber über die Feststellung der darin enthaltenen Bedingungen sämmtliche Versicherungs-Gesellschaften mit einander vereinigt haben, und die daraus entstandene Praxis die unmittelbare Sanction der Commerz-Deputation[376] […] erhalten hat, so nehmen diese Bedingungen alle Eigenschaften eines Gewohnheitsrechtes[377] an; und es dürfte schwer zu behaupten sein, daß eine hier in Hamburg ausgeführte, auf solchen Bedingungen begründete Versicherung, selbst ohne ausdrückliche, in der Police genommene Bezugnahme auf jenen Plan abseiten der Gesellschaften, nicht bindende Kraft für den hiesigen, wie für den auswärtigen Versicherten haben sollte, der hier eine Assekuranz ausführen läßt, und den Plan vollkommen ignorirte. Denn was an einem Orte, wo man Versicherung nehmen will, weltkundig und allgemeiner Gebrauch ist, das darf keinem Kaufmann unbekannt bleiben, der in demselben einen Schutz dieser Art für sein Eigenthum sucht.«
Schon dieser Plan von 1847 wirkte über Hamburg hinaus und auf dessen Grundlage wurde auch in anderen norddeutschen Seeplätzen – mit Ausnahme Bremens, dessen Seeversicherer eigene vereinheitlichte Bedingungen verwendeten378 – kontrahiert. Die Einführung des ADHGB machte eine Revision des Plans von 1847 nötig, und diese Bemühungen endeten in den Allgemeinen Seeversicherungs-Bedingungen von 1867379. Auch diese Bedingungen wurden 373 So die h.M.: statt aller Benecke/Nolte I (1851), S. 422; L. Wächter, ArchWHR 15 (1866), 51; Baasch II/1 (1915), S. 637 f. A.A. z.B. Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 6. 374 Seebohm, Einleitung (1887), S. XXV f. 375 Benecke/Nolte I (1851), S. 422. Vgl. auch Pöhls IV/2 (1834), S. 520. 376 Es handelte sich um den Vorgänger der Handelskammer. 1867 wurde sie in Handelskammer umbenannt. Vgl. hierzu Baasch II/2 (1915), S. 639 ff. 377 Benecke/Nolte sprechen von Gewohnheitsrecht. Allerdings wurden die Begriffe Handelsbrauch und Handelsgewohnheitsrecht in der Literatur mit unterschiedlichen Inhalten gebraucht, und der Sache nach sprachen die Autoren wohl von einem Handelsbrauch. Zu diesen Begriffen vgl. noch unten VI B und C (S. 95 ff., 97 ff.). 378 Vgl. Endemann, ZHR 9 (1866), 524. Sie datierten von 1818, 1836 und 1854. Die Bedingungen von 1836 sind veröffentlicht unter dem Titel Neu bearbeitete Bedingungen, unter welchen die sechs Versicherungs-Gesellschaften, die Assecuranz-Compagnie, die Neue Assecuranz-Compagnie, die Nautische Assecuranz-Compagnie, der Versicherungs-Verein, der Verein von Privat-Assecuradeurs, am ersten dieses Jahres zu versichern anzufangen übereingekommen sind, Bremen 1836, die Bedingungen von 1854 unter dem Titel Versicherungs-Bedingungen der Bremischen See-Versicherungs-Gesellschaften. Gültig vom 1. Jan. 1854, Bremen 1853. 379 Abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 823 ff. Zuvor war der Plan von 1847 bereits 1853 revidiert worden. 1920 wurden schließlich die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen geschaffen: Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 103.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
von allen Seeversichern Norddeutschlands und darüber hinaus – wiederum unter Ausnahme Bremens380 – verwendet381. Man hätte dem Plan von 1847 bzw. den Bedingungen von 1867 daher auch über Hamburg hinaus die Qualität eines Handelsbrauchs zusprechen können382. Trotzdem verwiesen die in Hamburg verwendeten Policenformulare weiterhin ausdrücklich auf die Bedingungen von 1867383. Malß wollte auch hier einen Schritt weitergehen384. Er meinte, daß die AVB der deutschen Versicherer sich derart ähnelten385, daß sie als allgemein bekannt vorausgesetzt werden könnten, so daß auch ohne ihren Abdruck und ohne Bezugnahme in der Police unterstellt werden könne, die Versicherungsnehmer hätten sich bei Vertragsschluß mit ihrer Geltung einverstanden erklärt. Malß glaubte also, die AVB seien insgesamt bereits zur Verkehrssitte geworden. Er führte aus, daß diese Ansicht in der Tat von den Versicherungsgesellschaften vertreten werde. Malß ging mit seiner Ansicht gleich in mehrfacher Hinsicht über Benecke und Nolte hinaus: Die Ausführungen von Benecke und Nolte waren auf Seeversicherungen beschränkt. Versicherungsnehmer waren hier wohl ausschließlich Kaufleute. Malß wollte dagegen von einer Verkehrssitte ausgehen, die auch gegenüber privaten Versicherungsnehmern als bekannt vorausgesetzt werden sollte. Benecke und Nolte bezogen sich auf vereinheitlichte AVB. Malß sprach dagegen nur von faktisch sehr ähnlichen AVB. In Literatur und Rechtsprechung konnte sich die Ansicht von Malß nicht durchsetzen. So führte Ehrenberg aus386: »Sind die Versicherungsbedingungen zwischen einer grösseren Anzahl von Assekuranzgesellschaften festgestellt und veröffentlicht, daher allgemein bekannt, so pflegen auch andere Versicherer durch eine einfache Verweisung sie zur Grundlage ihre Versicherungsverträge zu machen. Ist dies nicht geschehen, so sind sie für den einzelnen Vertrag bedeutungslos.«
8. Die Einwilligung des Versicherungsnehmers Schließlich hatten wir oben bei der Darstellung der Einbeziehung der Eisenbahnreglements beobachten können, daß Mittermaier Kritik an der Annahme 380 Die dortigen Versicherer revidierten ihre Bedingungen 1875: Lewis, Lehrbuch (1889), S. 7. Veröffentlicht sind sie unter dem Titel Versicherungs-Bedingungen der Bremischen SeeVersicherungs-Gesellschaften. Revidirt 1875, Bremen 1914. 381 Vgl. die Übersicht in PreußVersZ 2 (1868), 78. 382 Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 103. 383 Abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 863 f. 384 Malß, ZHR 13 (1869), 92. Bei Beurteilung dieses versicherungsfreundlichen Standpunktes ist wiederum zu bedenken, daß Malß im Dienst einer Frankfurter Versicherung stand; siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 355. 385 Malß, ZHR 13 (1869), 51. 386 Ehrenberg I (1893), S. 84. Vgl. außerdem König, Versicherungsgeschäfte (1885), § 416 (S. 789); Trummer, ArchHR 1 (1818), 446; OTR Berlin (13.9.1860), PreußVersZ 2 (1868), 40, 41.
IV. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen
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einer stillschweigenden Zustimmung des Vertragspartners zur Einbeziehung des Reglements übte387. Die damals herrschende Meinung ging davon aus, daß ein solches stillschweigendes Einverständnis immer dann vorliege, wenn der Vertragspartner in Kenntnis des Reglements den Vertrag abschließe. Mittermaier wandte ein388: »Verzichte auf Rechte dürfen nicht vermutet werden.« Benecke und Nolte standen einer solchen Vermutung zumindest in den Fällen ebenfalls kritisch gegenüber, in denen zwar eine Veröffentlichung der AVB vorlag, in denen indes eine Bezugnahme auf diese veröffentlichten AVB fehlte, der Versicherungsnehmer aber dennoch bei Vertragsschluß Kenntnis von ihnen hatte389. Grundsätzlicher Art war dagegen die Kritik Ehrenbergs am Ende des 19. Jh.390: »Wenn wir die Versicherungsbedingungen als Propositionen des Versicherers charakterisierten, welche durch den Abschluss des Versicherungsvertrages zum Vertragsinhalt werden, so ist dies äußerlich betrachtet, ganz richtig, in Wahrheit aber meist nichts als eine Fiktion. Von einer wirklichen Zustimmung des Versicherungsinteressenten, von einem freien ›Sich-Vertragen‹ der Parteien über die gegenseitigen Rechte und Pflichten ist meist keine Rede. Denn einmal ist der Umfang der Versicherungsbedingungen viel zu gross, ihr Inhalt meist viel zu schwer verständlich, als dass ein Versicherter, selbst ein gebildeter und geschäftsgewandter, sich mit ihm leicht vertraut machen könnte; es ist daher eine allgemein bekannte Thatsache, dass fast kein einziger Interessent sich vor dem Abschluss des Vertrages mit dem Inhalt der Bedingungen näher bekannt macht, einerlei ob die Bedingungen in der Police abgedruckt sind oder nicht. Wenn die Bedingungen daher selbst die (übliche) Klausel enthalten, dass der Versicherte durch vorbehaltlose Annahme der Police sich mit deren gesamten Inhalte einverstanden erkläre, so ist diese angebliche ›Erklärung‹ wiederum nichts als die reine Fiktion, eine Zustimmung, die lediglich in dem Kopfe des Versicherers präsumiert, d.h. in seinem Interesse fingiert wird. Dazu kommt aber ein Zweites. Die Versicherungsgesellschaften besitzen sozusagen ein faktisches Monopol für ihren Gewerbebetrieb und wenn die führenden Gesellschaften – wie dies allgemein geschieht – sich über identische Bedingungen vereinbaren, so sind sie in der Lage, ihre Vorschriften fast mit souveränen Belieben den Versicherungsinteressenten aufzuzwingen.«
Anders als Mittermaier ging Ehrenberg also nicht so weit, die Annahme eines Einverständnisses abzulehnen. Wie unten noch deutlich werden wird, versuchte er mit seiner Kritik vielmehr die Notwendigkeit einer offenen Inhaltskontrolle zu begründen391. Daß der Inhalt der AVB trotz der Möglichkeit dazu 387
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 59. Mittermaier, AcP 47 (1864), 243. 389 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 349. 390 Ehrenberg I (1893), S. 79 f. Ähnlich erkannte schon Hinrichs, ZHR 20 (1875), 389, daß der Versicherungsnehmer keine Einflußmöglichkeit auf den Inhalt der AVB hat; seine Freiheit beschränke sich darauf, die Versicherung zu den angebotenen AVB abzuschließen oder auf einen Vertragsschluß zu verzichten. Ebenso Just, ArchWHR 15 (1866), 227. 391 Siehe unten § 4 V B (S. 183 f.). 388
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
oft nicht zur Kenntnis genommen wurde, erkannte übrigens nicht erst Ehrenberg 1893. Schon 1862 erzählte Tecklenborg entsprechende Klagen Wesketts wieder392: »Weskett, Kaufmann in London, dessen Werk über Assekuranzen 1781 erschien, entwirft ein wahres Schreckensbild von dem damaligen Leben und Treiben. Es gebe angesehene Assekuradeure sowohl als Mäkler, die in ihrem Leben keine Police ganz durchgelesen hätten, wie es Leute gebe, die für Christen passirten, ohne nur ein einziges Evangelium zu kennen; […].«
V. Allgemeine Geltung A. Mietrecht Werfen wir einen Blick auf Beispiele aus anderen Kontexten, so bestätigt sich das bisher gezeichnete Bild: So waren für die Wohnungsmiete schon im 19. Jh. Formulare üblich393. Als belastend erwiesen sich für den Mieter die Hausordnungen. Zu ihrer Geltung stellte Heitzer im Jahre 1886 fest394: »Die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Miethvertrage sind zunächst nach dem Inhalt des abgeschlossenen Vertrages zu beurtheilen […]. Im Vertrag können an Stelle der gesetzlichen auch andere Bestimmungen getroffen sein […]. In größeren Miethshäusern bestehen häufig Hausordnungen. Sind diese beim Abschlusse des Miethvertrages dem Miether bekannt, so gelten sie als stillschweigend angenommen und bilden einen Bestandtheil des Miethvertrags. Werden sie aber erst später erlassen, so können durch dieselben neue Lasten nicht auferlegt und die für das bereits bestehende Miethverhältnis geltenden vertragsmässigen oder gesetzlichen Bestimmungen einseitig nicht mehr abgeändert werden […].«
Die Hausordnungen waren daher dem Vertrag beigefügt, oder auf sie wurde bei Vertragsschluß hingewiesen395.
B. Bankrecht In anderen Kontexten griff der Gesetzgeber klärend ein oder verschärfte die Geltungsvoraussetzungen, sofern Handlungsbedarf bestand. So lautete § 2 des Gesetzes betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere396: 392
Tecklenborg (1862), S. 3. Vgl. außerdem Anonym, PreußVersZ 1 (1867), 300 ff. Vgl. etwa die Beispiele bei Heitzer (1886), S. 161 f.; Brückner (1877), S. 93 ff. Aus der modernen Forschung Repgen, in: Luminati/Falk/Schmoeckel (2008), S. 246 f. 394 Heitzer (1886), S. 23. Vgl. ebenso Arnold (2. Aufl. 1900), S. 31 f. 395 Arnold (2. Aufl. 1900), S. 31; Fuld (1898), S. 54. 396 RGBl. 1896, S. 183. 393
V. Allgemeine Geltung
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»Eine Erklärung des Hinterlegers oder Verpfänders, durch welche der Verwahrer oder Pfandgläubiger ermächtigt wird, an Stelle hinterlegter oder verpfändeter Werthpapiere der im §. 1 bezeichneten Art gleichartige Werthpapiere zurückzugewähren oder über die Papiere zu seinem Nutzen zu verfügen, ist, falls der Hinterleger oder Verpfänder nicht gewerbsmäßig Bank- oder Geldwechslergeschäfte betreibt, nur gültig, soweit sie für das einzelne Geschäft ausdrücklich und schriftlich abgegeben wird.«
Und zum Verzicht darauf, daß der Kommissionär, der einen Auftrag zum Einkauf von Wertpapieren ausführt, dem Kommittenten ein Stückverzeichnis übersendet, bestimmte § 3 desselben Gesetzes: »Ein Verzicht des Kommittenten auf die Uebersendung des Stückverzeichnisses ist, falls der Kommittent nicht gewerbsmäßig Bank- oder Geldwechslergeschäfte betreibt, nur dann wirksam, wenn er bezüglich des einzelnen Auftrages ausdrücklich und schriftlich erklärt wird.«
Bei der Auslegung des Ausdrücklichkeitserfordernisses zog das Reichsgericht die Begründung zum Entwurf des Gesetzes heran, die es wie folgt zitierte397: »Ein Verzicht auf das Nummernverzeichnis wird deshalb von Voraussetzungen abhängig zu machen sein, welche Gewähr dafür bieten, daß der Kunde bei der Erklärung dieses Verzichtes sich der Bedeutung und der Folgen des Verzichtes wohl bewußt war. Aus dieser Erwägung wird sowohl einem formlos erklärten Verzicht […] die Gültigkeit zu versagen sein, als einem allgemeinen Verzicht, weil sonst leicht der Fall eintreten könnte, daß durch Aufnahme einer entsprechenden Klausel in die Geschäftsbedingungen […] die Vorschrift wegen des Stückeverzeichnisses unwirksam gemacht, und die beabsichtigte Sicherung des Publikums, namentlich für den weniger erfahrenen Teil desselben, vereitelt würde […]. Die Vorschrift, daß die […] Ermächtigungserklärung […] ausdrücklich abgegeben werden müsse, bezweckt […] eine klare, unzweifelhafte Ausdrucksweise zu fordern, um zu verhindern, daß aus unklaren, in ihrer Bedeutung dem Hinterleger nicht genügend zum Bewußtsein gelangten Ausdrücken in den ihm zur Anerkennung vorgelegten Schriftstücken, namentlich in sog. Geschäftsbedingungen, ein von demselben nicht gewollter Verzicht hergeleitet werden kann […].«
Demnach sollte es nicht genügen, wenn ein vom Vertragspartner zu unterzeichnendes Formular lediglich die Klausel enthielt, daß dieser die Bank »von den Bestimmungen der §§ 3 bis 5 des Gesetzes vom 5. Juli 1896« entbinde398. Vielmehr müsse zumindest »der Wortlaut des angezogenen Paragraphen wiedergegeben« werden399.
397
RG (13.2.1907), RGZ 65, 177, 179 f. Vgl. auch Riesser/Bernstein (5. Aufl. 1928), Anm. 2a. Zur Entstehung des Depotgesetzes siehe Buxbaum (2002), passim. 398 Zitiert aus RG (13.2.1907), RGZ 65, 177, 178. 399 RG (13.2.1907), RGZ 65, 177, 181.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
C. Arbeitsrecht Der Inhalt des Vertrages zwischen Arbeitgeber und Fabrikarbeitern wurde, wenn er überhaupt fixiert wurde400, vor allem durch Arbeitsordnungen näher bestimmt. Solche Ordnungen waren schon lange verbreitet. Der Reichsgesetzgeber widmete sich ihnen erstmals in der Gewerbeordnung in der Fassung von 1891401. Der Erlaß solcher Ordnungen war nach § 134a GewO (1891) für Fabriken mit in der Regel mindestens zwanzig Arbeitern vorgeschrieben. § 134e Abs. 2 GewO (1891) bestimmte: »Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zugänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß stets in lesbarem Zustand erhalten werden. Die Arbeitsordnung ist jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen.«
Freilich gab es schon zuvor Bestrebungen, diese Ordnungen einer gesetzlichen Regelung zu unterwerfen. So sollen die sächsische Gewerbeordnung von 1861 sowie die Gewerbeordnungen von Württemberg und von Baden bereits Regeln enthalten haben, die denen der Reichsgewerbeordnung von 1891 entsprachen402. Und in dem erstmals von Brand veröffentlichten Entwurf einer Fabrik-Ordnung für Berlin von 1822 heißt es unter der Überschrift »Von den gegenseitigen Verhältnissen und Obliegenheiten der Fabrik- oder Lohnherren und ihrer Gehülfen«403: »§ 97. Zur genaueren Bestimmung der gegenseitigen Rechte des Lohnherrn und der Gehülfen müssen, bei der Annahme der letzteren, schriftliche Contracte abgeschlossen werden. § 98. Wenn ein Lohnherr aber seine Gehülfen sämtlich unter denselben Bedingungen annimmt, und diese für alle gleichmäßig gelten, so kann ein in der Anstalt oder Werkstatt ausgehängter Drucksatz, welcher die allgemeinen Verabredungen, Festsetzungen und besonderen Einrichtungen in der Fabrik ausführlich angibt, anstatt der besonderen Contracte dienen. § 99. Dieser Drucksatz muß jedem Gehülfen bei der Annahme deutlich und vernehmlich vorgelesen werden. Er muß in der Anstalt oder Werkstatt stets dergestalt ausliegen, daß ihn jeder Gehülfe zu jeder Zeit einsehen kann. Auch liegt dem Lohnherrn ob, seine Anordnungen von dem eintretenden Gehülfen unterschreiben zu lassen.«
Die ausgehängten Arbeitsordnungen wurden als Vertragsabreden qualifiziert. Für ihre Geltung mußten sie Vertragsbestandteil werden. Dafür waren ein Hinweis und eine Kenntnisnahmemöglichkeit sowie eine ausdrückliche Zu400
Hierzu etwa Schmoller, ZgStw 30 (1874), 470; Brand III (2008), S. 232 ff. RGBl. 1891, S. 261. 402 Vgl. Brentano (1890), S. XXI f.; Kaskel (3. Aufl. 1928), S. 57. 403 Brand, in: Wolf (1995), S. 305, 318. Diese Bestimmungen fanden sich auch in der endgültigen Fassung des Entwurfes, abgedruckt bei Brand II (2002), S. 567 ff., 632. 401
V. Allgemeine Geltung
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stimmung erforderlich. Brand faßt die Ergebnisse seiner Forschungen zu diesem Entwurf wie folgt zusammen404: »Die […] Ordnung stellt die Keimzelle unserer heutigen Gewerbeordnung dar und ist nichts anderes als ein Kompendium der praktizierten Sonderordnungen mit sichernden ›arbeitsrechtlichen‹ Ergänzungen […].«
Die Vermutung liegt also nahe, daß es sich auch bei den §§ 97 ff. des Entwurfes nicht um eine Einzelmeinung des Entwurfsverfassers handelte. Und in der Tat scheint die Vertragsnatur der Arbeitsordnungen bis zur Gewerbeordnung in der Fassung von 1891 ganz unstreitig gewesen zu sein405: »Die Grundlage des [Arbeits-]Verhältnisses ist immerhin die Vereinbarung; doch wird in Fabriken häufig eine vom Arbeitgeber formulirte lex contractus aufgestellt, mit welcher sich der Arbeiter durch seinen Eintritt in den Dienst einverstanden erklärt.«
Die Literatur sprach insoweit ausdrücklich von der Vertragsnatur der Arbeitsordnungen406 und nannte die Meinung, die dieser Vertragsnatur anhing, Vertragstheorie407. Teilweise wurden die Arbeitsordnungen auch mit den Reglements der Eisenbahnen verglichen408. Daß der einzelne Arbeitnehmer, ebenso wie der Bahnkunde, den Inhalt der Arbeitsordnungen nicht beeinflussen konnte, erkannte die Literatur409: »Dass der Arbeiter in der Regel die Bedingungen des kapitalkräftigeren Arbeitsgebers acceptiren muss, auch da, wo er innerlich mit dem Abschluß des Vertrages unzufrieden ist, spricht nicht gegen die Gültigkeit des Vertrages. Denn wenn auch ungern – er hat zugestimmt.«
Wie bei den Eisenbahnreglements wurde betont, daß es nach der Vertragstheorie auf eine wirkliche Kenntnisnahme des Inhalts der Arbeitsordnung nicht ankomme410. Daß die Rechtsprechung das Zustimmungserfordernis durch allzu großzügige Annahme nicht zur bloßen Fiktion degradierte, wird aus einem von Brand wiedergegebenen Urteil des Gewerbegerichts Elberfeld aus dem Jahre 1850 deutlich411. Dem Eisenbahnarbeiter Küstner waren gemäß dem einschlägigen Reglement als Buße 20 Groschen von seinem Lohn einbehalten worden, die dieser nun klageweise geltend machte. Der Kläger wandte ein, daß er das Reglement nicht unterschrieben und auch nicht genehmigt 404
Brand, in: Wolf (1995), S. 161. Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 192 (S. 536). Siehe außerdem Böninger (1891), S. 124 und vgl. Apt, AöR 15 (1900), 325 (m.w.N.). 406 Apt, AöR 15 (1900), 326. Zum Eindringen der Vertragslehre ins Arbeitsrecht bis zur Mitte des 19. Jh. vgl. Brand III (2008), S. 239. 407 Blankenstein, AöR 13 (1898), 121. 408 Blankenstein, AöR 13 (1898), 121; Apt, AöR 15 (1900), 327. 409 Böninger (1891), S. 124; Apt, AöR 15 (1900), 328. 410 Blankenstein, AöR 13 (1898), 121. 411 Brand III (2008), S. 241 f. 405
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
habe, so daß die reglementmäßige Buße nicht habe vom Lohn abgezogen werden dürfen. Zwar sei das Reglement den Arbeitern vorgelesen worden. Doch hätten diese die Eisenbahndirektion um die Abänderung einzelner Bestimmung gebeten. Die beklagte Eisenbahndirektion meinte, die Arbeiter hätten das Reglement durch die Fortsetzung der Arbeit stillschweigend genehmigt. Das Gericht führte aus412: »[Da der Kläger] weder ein Exemplar erhalten, noch das Reglement unterschrieben hat, daß mithin das rs. Reglement als Vertrag zwischen den Parteien nicht angesehen werden kann, weil eine der in Art. 1108 BGB [Code civil] vorgeschriebene wesentlich Bedingung eines Vertrages, nemlich: ›die Einwilligung‹ seitens des Oppositen [Klägers] mangelte, diese auch stillschweigend nicht unterstellt werden kann, weil der Opposit gegen einzelne Bestimmungen des Reglements remonstrirt […] hat […].«
Doch kehren wir zur Gewerbeordnung von 1891 zurück. Der Gesetzgeber wollte an der Vertragsnatur der Arbeitsordnungen nichts ändern413. Und doch wandelte sich insoweit das Verständnis in der nachfolgenden Literatur414: Arbeitsordnungen entfalten kraft Gesetzes, ohne daß es auf eine Unterwerfung ankomme, ihre Wirkung, sobald sie wirksam erlassen worden seien; die Annahme einer Vereinbarung über ihre Geltung sei eine bloße Fiktion. Freilich blieb diese Meinung nicht unwidersprochen, und die herrschende Ansicht hielt an der Vertragsnatur der Arbeitsordnungen fest415. Der Streit drehte sich um die Auslegung der §§ 134a ff. GewO (1891)416. So bestimmte etwa § 134c Abs. 1 GewO (1891): »Der Inhalt der Arbeitsordnung ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich.«
Der einzelne Arbeitnehmer konnte der Geltung der Arbeitsordnung also nicht widersprechen. Diese Anordnung war, wie auch die übrigen Bestimmungen der §§ 134a ff. GewO (1891), kaum mit der Vertragstheorie in Einklang zu bringen. Zwar war nach § 134d Abs. 1 GewO (1891) den großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich vor Erlaß der Arbeitsordnung zu ihrem Inhalt zu äußern. Eine mangelnde Zustimmung verhinderte ihre Geltung indes nicht417. Als Folge könne man Arbeitsordnungen nicht mehr mit Eisenbahnreglements vergleichen418:
412
Zitiert aus Brand III (2008), S. 242. Vgl. die Darstellung und Nachweise bei Apt, AöR 15 (1900), 325 ff. 414 So etwa Loewenfeld, ASozGS 3 (1890), 439 ff.; Apt, AöR 15 (1900), 328. 415 Neukamp, ZgStw 47 (1891), 28 ff. Zu diesem Meinungsstreit aus der modernen Forschung etwa Becker (1995), S. 97 f. 416 Vgl. hierzu etwa Blankenstein, AöR 13 (1898), 119 ff. 417 Vgl. hierzu aus der modernen Forschung Becker (1995), S. 94 f. 418 Apt, AöR 15 (1900), 331. 413
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch
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»Der Unterschied in der rechtlichen Charakterisierung der Arbeitsordnung und der oft angeführten Reglements der Eisenbahnen ist ein grundsätzlicher. Derjenige, welcher mit der Eisenbahn in Verkehr tritt, kann sich in der Regel nicht darauf berufen, er habe das Betriebsreglement nicht gekannt. Ihm gegenüber wird geltend gemacht, dass, wenn nichts Besonderes stipulirt sei, das Reglement die Grundlage des Vertrages gebildet habe. Derjenige, welcher um die Reglements sich nicht kümmere, begehe eine solch grobe Nachlässigkeit, dass jede Entschuldigung wegen Unwissenheit ausgeschlossen sei. Dennoch kann im einzelnen Falle der Nachweis geführt werden, wesshalb aus dem Schweigen nicht auf eine stillschweigende Unterwerfung zu schliessen sei. Anders bei der Arbeitsordnung. Hier wird eine stillschweigende Unterwerfung von vornherein garnicht vorausgesetzt, daher auch jeder Nachweis ausgeschlossen, wesshalb man sich der Arbeitsordnung oder einigen Bestimmungen derselben, mögen sie auch sonst nicht üblich sein, nicht unterworfen habe.«
Andere Autoren erkannten solche Widersprüche nicht und sahen etwa in der Bestimmung des § 134d GewO (1891) eine Stärkung des konsensualen Prinzips419: »Dem Grundsatze des freien Arbeitsvertrages entspricht es, wenn bei der Abfassung der Arbeitsordnung den Arbeitern eine gewisse Teilnahme zugestanden wird. Dieser wäre sofort in Frage gezogen, wenn die Arbeiter infolge der wirtschaftlichen Uebermacht der Arbeitgeber vor die Alternative gestellt würden, entweder das fait accompli einer bestehenden Fabrikordnung anzuerkennen oder beschäftigungslos zu bleiben. Geht dagegen die Arbeitsordnung aus gemeinsamer Beratung hervor, so erfährt der Arbeiter den Inhalt der zu erlassenden Ordnung doch vorher und kann etwaige abweichende Meinungen und Wünsche vortragen.«
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch Im geltenden Recht ist anerkannt, daß Regelungen in AGB zu einem Handelsbrauch erstarken können, und so ist es legitim, mit der Frage nach dem Verhältnis von AGB und Handelsbrauch auch an die Quellen des 19. Jh. heranzutreten. Ergebnis der folgenden Betrachtung wird sein, daß AGB als ein Beispiel eines Handelsbrauchs i.S.d. Art. 279 ADHGB angesehen wurden. Folglich kann sodann für die Frage nach den Geltungsvoraussetzungen von AGB auf die Diskussion zu den Anwendungsvoraussetzungen eines Handelsbrauchs zurückgegriffen werden. Die zu den AGB im Transportrecht, zu den Anschlägen der Gastwirte und zu den AVB herausgearbeiteten Voraussetzungen werden sich dabei bestätigen.
419
Stieda, in: HandwStaatsw I (2. Aufl. 1989), S. 962.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
A. Handelsgewohnheitsrecht, Handelsbrauch und Handelsübung im HGB – eine nach Wirkung und Voraussetzungen abgestufte Dreiteilung Heute wird zwischen Handelsgewohnheitsrecht, Handelsbrauch und bloßer Handelsübung unterschieden420. Daneben wird auch der Begriff der Usance verwendet. Handelsgewohnheitsrecht ist Rechtsquelle. Es entsteht durch eine längere, gleichmäßige Übung und durch die Überzeugung der Beteiligten, daß die Übung rechtlich geboten ist. Dagegen gilt der Handelsbrauch nicht als Gesetz i.S.d. Art. 2 EGBGB. Er ist keine verbindliche Rechtsnorm. Seine Wirkungen entfaltet der Handelsbrauch erst durch Vermittlung des Vertrages oder des Gesetzes, insbesondere des § 346 HGB. Voraussetzung für die Entstehung eines Handelsbrauches ist zum einen die gleichmäßige Übung durch den beteiligten Verkehrskreis über einen angemessenen Zeitraum. Zum anderen muß er als maßgeblich angesehen, also gebilligt werden. Er wird nicht befolgt, weil seine Befolgung als rechtlich geboten angesehen wird – dann Handelsgewohnheitsrecht. Er wird aber auch nicht nur deshalb befolgt, weil dies aus Gründen der Zweckmäßigkeit eben der Übung entspricht – dann bloße Handelsübung. Er wird befolgt, weil die am Verkehr Beteiligten dies erwarten und auch erwarten dürfen. Liegt ein solcher Handelsbrauch vor, dann sind an ihn, vermittelt durch § 346 HGB, gewisse Wirkungen geknüpft. Damit er diese Wirkungen entfalten kann, ist nicht erforderlich, daß jeder Angehörige des Verkehrskreises wirklich Kenntnis von diesem Handelsbrauch erlangt hat. Schließlich gibt es faktische Handelsübungen. Sie entfalten grundsätzlich nur dann Wirkung, wenn die Parteien über ihre Geltung einig sind und sie zum Vertragsbestandteil machen. Die Wirkungen der Handelsübung sind damit grundsätzlich abhängig von der Kenntnis der Parteien. Ein fester Bedeutungsgehalt des Begriffs der Usance hat sich nicht herausgebildet. Mal bezeichnet er einen Handelsbrauch, dann wieder eine bloße Handelsübung. In AGB enthaltene Regelungen erstarken nur im absoluten Ausnahmefall zu Handelsgewohnheitsrecht. Ihre Verwendung stellt in der Regel eine bloße Übung dar. Übung kann dabei sein, daß AGB mit einem bestimmten Inhalt verwendet werden oder daß überhaupt AGB zur Anwendung kommen. Handelsbrauch und AGB sollen zwei Berührungspunkte haben421. Zum einen kann der Inhalt von AGB zu einem Handelsbrauch erstarken. Zum anderen könne es aber auch einen Handelsbrauch darstellen, daß, wenn die Parteien der Einbeziehung nicht ausdrücklich widersprechen, AGB zum Vertragsinhalt werden. Dann ist nicht der Inhalt der AGB selbst Handelsbrauch, son420
Zum folgenden statt aller MK-HGB/K. Schmidt (2. Aufl. 2009), § 346 Rn. 1, 11 ff., 34; Staub/Koller (4. Aufl. 2001), § 346 Rn. 5 ff., 16 ff.; Selke (2001), S. 51 ff. 421 Statt aller MK-HGB/K. Schmidt (2. Aufl. 2009), Vor § 343 Rn. 29, § 346 Rn. 9, 52; Lißner (1999), S. 71; Selke (2001), S. 120 ff. Vgl. hierzu noch unten § 13 II E (S. 436 f.).
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch
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dern Handelsbrauch ist in diesen Fällen, daß überhaupt AGB, welchen Inhalts auch immer, zur Anwendung kommen und als vereinbart gelten. Beide Phänomene stellen die Ausnahme dar.
B. Handelsgewohnheitsrecht und Handelsbrauch im ADHGB – eine nach Wirkung und Voraussetzungen abgestufte Zweiteilung Auch im 19. Jh. waren die Begriffe des Handelsgewohnheitsrechts, des Handelsbrauchs, der Handelsübung und der Handelsusance gebräuchlich. Doch wurde gerade dem Begriff des Handelsbrauchs eine andere Bedeutung beigelegt. Das beeinflußt die Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von Handelsbrauch und AGB. Der Begriff des Handelsbrauchs wurde im ADHGB an verschiedenen Stellen verwendet422. Im vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere Art. 1 und Art. 279 ADHGB von Bedeutung. Art. 1 ADHGB bestimmte: »In Handelssachen kommen, insoweit dieses Gesetzbuch keine Bestimmung enthält, die Handelsgebräuche und in deren Ermangelung das allgemeine bürgerliche Recht zur Anwendung.«
Und Art. 279 ADHGB, aus dem § 346 HGB hervorgegangen ist423, lautete: »In Beziehung auf die Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen ist auf die im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.«
Die Bedeutung des Begriffs des Handelsbrauchs ließ der Gesetzgeber offen424, und seine Auslegung war deshalb strittig. Die ganz herrschende Meinung ging davon aus, daß es keinen einheitlichen Begriff des Handelsbrauchs im ADHGB gebe und daß das Auslegungsergebnis in Art. 1 und Art. 279 ADHGB verschieden sei. Unstreitig war, daß in Art. 1 ADHGB mit dem Begriff des Handelsbrauchs zumindest auch Handelsgewohnheitsrecht gemeint war. Strittig war dagegen, ob unter ihn zusätzlich auch bloß faktische Handelsübungen fielen. Die herrschende Meinung lehnte dies ab425. In Art. 279 422 Zur Verwendung dieser Begriffe vor Inkrafttreten des ADHGB vgl. z.B. Mittermaier I (7. Aufl. 1847), § 25 (S. 96 ff.), § 27 (S. 109 ff.). 423 Basedow, ZHR 150 (1986), 470. Vgl. auch Bärmann, FS Krause (1975), S. 225 ff. 424 Laband, ZHR 17 (1872), 467, 500 f.; Anschütz/v. Völderndorff I (1868), Art. 1 Anm. 4; Busch, BuschA 1 (1863), 14 ff., 103. A.A. Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 253 ff.; v. Hahn I (3. Aufl. 1877), Art. 1 Rn. 12 (aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, daß Art. 1 ADHGB nur Handelsgewohnheitsrecht meine). Vgl. auch Basedow, ZHR 150 (1986), 470, Fn. 3; Ogorek, ZHR 150 (1986), 90 f. 425 Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 355 f.; Laband, ZHR 17 (1872), 466 f., 507 f.; Staub (1. Aufl. 1893), Art. 1 Rn. 4; Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 41); Anschütz/ v. Völderndorff I (1868), Art. 1 Anm. 3 f.; Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 4, 6, 6a; v. Hahn I (3. Aufl. 1877), Art. 1 Rn. 12; ders. II (2. Aufl. 1875), Zusatz zu Art. 279; Thöl I/1
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
ADHGB war das Auslegungsergebnis der herrschenden Meinung genau entgegengesetzt. In Art. 279 ADHGB sei mit dem Begriff des Handelsbrauchs kein Handelsgewohnheitsrecht gemeint, sondern allein die bloß faktische Handelsübung426. Im 19. Jh. war die nach Wirkung und Voraussetzungen abgestufte Dreiteilung zwischen Handelsgewohnheitsrecht, Handelsbrauch und Handelsübung des heute geltenden Rechts damit noch unbekannt427. Es lag eine bloße Zweiteilung vor. Nur Handelsgewohnheitsrecht i.S.d. Art. 1 ADHGB und Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB wurden unterschieden428. Der Begriff des Handelsgewohnheitsrechts entspricht dabei in seiner Bedeutung der heutigen Verwendung dieses Begriffes429. Das Handelsgewohnheitsrecht i.S.d. Art. 1 ADHGB war eine Rechtsquelle. Es kam kenntnisunabhängig zur Anwendung430. Der Begriff des Handelsbrauchs i.S.d. Art. 279 ADHGB unterscheidet sich dagegen von demjenigen des § 346 HGB. Er entspricht dem heutigen Begriff der Handelsübung431. Anders als der Handelsbrauch nach § 346 HGB entfaltete der Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB daher auch nicht willensunabhängig seine Wirkung432. (5. 426 Aufl. 1875), § 22 (S. 75 ff.), § 11 (S. 36 ff.); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 1 Anm. 5; Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 102); Voigtel, BuschA 6 (1865), 462; HAG Nürnberg (28.5.1863), ZHR 8 (1865), 527, 528; OTR Berlin (23.5.1867), BuschA 12 (1868), 344, 346; OG Wolfenbüttel (14.1.1864), ZHR 8 (1865), 529; StadtG Berlin (7.2.1868), BuschA 14 (1868), 425, 426; ROHG (27.6.1871), ROHGE 3, 1; ROHG (28.6.1872), ROHGE 6, 368; ROHG (17.12.1872), ROHGE 8, 254. Zustimmend Busch, BuschA 1 (1863), 14 ff. A.A. Commerz- und Admiralitätscollegium Königsberg (1863), BuschA 2 (1864), 150; v. Gerber, Handelsgebräuche (2. Aufl. 1878), S. 427 ff.; Hartmann, Central-Organ 2 n.F. (1866), 322 ff.; Dietzel, ArchWHR 7 (1858), 251 f.; Auerbach, ArchWHR 11 (1862), 54; und wohl auch Kompe, ZHR 8 (1865), 351 f. Vgl. auch Ogorek, ZHR 150 (1986), 89 ff. Ogorek glaubt, daß diese herrschende Meinung »geradlinig auf die konsequente Entscheidungspraxis des ROHG« zurückzuführen sei. Indes kristallisierte sie sich schon vor Schaffung des ROHG heraus. 426 Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 255 Fn. 10; Staub (1. Aufl. 1893), Art. 1 Rn. 7; Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 45 ff.); Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 7; v. Hahn I (3 Aufl. 1877), Art. 1 Rn. 13; ders. II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2; Thöl, I/2 (5. Aufl. 1876), § 248 Fn. 5 (S. 198); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 1 Anm. 5; Wolff, CentralOrgan 6 n.F. (1870), 419, 426; OTR Berlin (23.5.1867), BuschA 12 (1868), 344, 346; HAG Nürnberg (28.5.1863), ZHR 8 (1865), 527, 528; StadtG Berlin (7.2.1868), BuschA 14 (1868), 425, 426; ROHG (27.6.1871), ROHGE 3, 1; ROHG (28.6.1872), ROHGE 6, 368; ROHG (17.12.1872), ROHGE 8, 254. Zustimmend Busch, BuschA 1 (1863), 14 ff. Vgl. auch Ogorek, ZHR 150 (1986), 94. 427 Eine solche Differenzierung, allerdings mit anderem Inhalt als heute, deutet sich bei Anschütz/v. Völderndorff I (1868), Art. 1 Anm. 4, an. 428 Vgl. Goldschmidt, ZHR 7 (1864), 575, 576. 429 Vgl. Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 41 ff.); Brinckmann (1847), S. 4 ff. 430 Laband, ZHR 17 (1872), 497; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 1 Anm. 14. 431 Der Begriffswandel mag ein Grund dafür sein, daß Handelsbräuche heute weniger wichtig zu sein scheinen als im 19. Jh. Vgl. hierzu Basedow, ZHR 150 (1986), 469 ff. 432 Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 10; Laband, ZHR 17 (1872), 497, 507; Staub (1. Aufl. 1893), Art. 1 Rn. 8; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2, Zusatz zu Art. 279; Ga-
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch
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Die herrschende Meinung war der Sache nach also einig, wie der Begriff des Handelsbrauchs i.S.d. Art. 1 ADHGB und i.S.d. Art. 279 ADHGB zu definieren war. Daß beide Normen indes von einem Handelsbrauch sprachen und damit jeweils Unterschiedliches meinten, führte dazu, daß auch in der Literatur die Verwendung dieses Begriffs, ebenso wie die der Begriffe der Handelsübung und der Handelsusance, uneinheitlich war433. Teilweise wurde der Begriff des Handelsbrauchs als Oberbegriff verwendet, der sowohl das Handelsgewohnheitsrecht i.S.d. Art. 1 ADHGB und die Handelsusance i.S.d. Art. 279 ADHGB erfaßte. Art. 1 und Art. 279 ADHGB verwiesen nach dieser Lesart nur auf verschiedene Ausschnitte des Begriffs des Handelsbrauchs434. Teilweise wurde aber auch der Begriff der Usance als Oberbegriff benutzt, der das Handelsgewohnheitsrecht i.S.d. Art. 1 ADHGB und den Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB umfassen sollte435. Goldschmidt bezeichnete schließlich das Handelsgewohnheitsrecht als Handelsusance, die bloß faktische Handelsübung dagegen als die Handelsusance im weiteren Sinne436. Im Folgenden sollen für das 19. Jh. die Begriffe des Handelsbrauchs, der Handelsübung und der Handelsusance gleichbedeutend und i.S.d. Art. 279 ADHGB gebraucht werden.
C. Der Handelsbrauch im Sinne des Art. 279 ADHGB Unter den Begriff des Handelsbrauchs des Art. 279 ADHGB wurde eine ganze Reihe unterschiedlicher Phänomene gefaßt. Laband unterschied drei Fallgruppen. Zur ersten stellte er fest437: »Das Prototyp der Usance ist der Geschäftsgebrauch, welcher zwischen zwei einzelnen Kaufleuten in ihrem dauernden gegenseitigen Geschäftsverkehr besteht.«
Die zweite Situation sei die438, »wenn man auf der einen Seite eines Geschäftsverkehr einen individuell bestimmten Kaufmann, auf der andern Seite eine unbestimmte Vielheit von Contrahenten, eine sog. Kundschaft oder das Publikum sich denkt. In diesem Falle erlangt der ›Geschäftsge433 reis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 58; Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 46); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 101); ROHG (23.4.1872), ROHGE 6, 76; ROHG (28.6.1872), ROHGE 6, 368. Zur Vermutung der Kenntnis siehe unten VII C (S. 116 ff.). 433 Vgl. z.B. Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 41 ff.). 434 Laband, ZHR 17 (1872), 499 f. 435 Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 7. 436 Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 223 ff., 252 ff.; ders., Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 316 ff., 355 ff. Ebenso Hartmann, Central-Organ 2 n.F. (1866), 322 f. 437 Laband, ZHR 17 (1872), 467 f. Vgl. auch Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 425; O. Wächter, ZHR 2 (1859), 528 Fn. 76; StadtG Frankfurt a.M. (25.8.1865), CentralOrgan 2 n.F. (1866), 202, 202 f.; ostpreußisches Tribunal Königsberg (16.11.1867), BuschA 14 (1868), 455, 457 f.; StadtA Frankfurt a.M. (1.10.1868), ZHR 14 (1870), 522, 524. 438 Laband, ZHR 17 (1872), 476.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
brauch‹ eine erweiterte Anwendung und erhöhte Bedeutung; denn auch für neu hinzutretende Kunden, mit denen eine individuell ausgeprägte Geschäftsverbindung noch nicht besteht, gelten diejenigen Vertragsfestsetzungen als stillschweigend vereinbart welche allen übrigen gegenüber zur Anwendung kommen, insofern nicht eine Abänderung ausdrücklich bedungen ist«.
Sodann führte Laband zur dritten Art des Handelsgebrauchs aus439: »Setzen wir nun auf beiden Seiten eine unbestimmte Vielheit von Contrahenten, so haben wir den Begriff der Usance im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht. Die letztere ist nichts Anderes als eine höhere Potenz des Geschäftsgebrauchs, der zwischen zwei einzelnen Geschäftsfreunden sich entwickelt hat. Es ist der gleichmäßige Inhalt der vertragsmäßigen Festsetzung, welche in den Handelsgeschäften eines bestimmten Kreises handeltreibender Personen immer wieder kehren. Weil bei gewissen Geschäften die vertragsmäßigen Verabredungen völlig stereotyp sind, brauchen sie nicht jedesmal bis in das Einzelne ausführlich wiederholt oder neu formulirt zu werden; sie gelten als ein selbstverständlicher Theil des Vertrages; sie gelten als verabredet und zwar als unverändert verabredet, wenn sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen oder modifiziert sind. Dieselben thatsächlichen Gründe, welche dazu führen, daß ein Kaufmann oder Fabrikant seinen Kunden gewisse Bedingungen gewährt, bilden die Veranlassung auch für alle übrigen Kaufleute oder Fabrikanten desselben Ortes oder Geschäftszweiges.«
In den Beispielen zu allen drei von Laband gebildeten Fallgruppen tauchen auch solche Fälle auf, die wir heute dem Recht der AGB zuordnen würden440. Das überrascht wenig. Zwar waren nicht alle AGB automatisch Handelsbräuche i.S.d. Art. 279 ADHGB. Sie konnten aber durch faktische Übung dazu werden. Die Zuordnung der Fälle, die Laband in seiner dritten Fallgruppe zusammenfaßte, zu Art. 279 ADHGB war allerdings nicht unumstritten. Im 19. Jh. gingen die Handelskammern und Verbände einzelner Geschäftszweige dazu über, Handelsbräuche zu sammeln, zu kodifizieren und zu veröffentlichen441. So gab es Hamburgische Allgemeine Usancen beim Effecten-Handel442, TaraUsancen beim Theehandel443, Usancen der Frankfurter Producten-Börse444, Allgemeine Bedingungen beim An- und Verkauf von Getreide in Danzig445, Usancen der Berliner Effectenbörse446 und Usancen der Hallischen Produc439
Laband, ZHR 17 (1872), 481 f. Siehe z.B. Laband, ZHR 17 (1872), 479 f. Aus der Rechtsprechung vgl. ROHG (25.2.1872), ROHGE 9, 184, 187; RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 77 und weiter Staub (1. Aufl. 1893), Art. 279 Rn. 5; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63. Vgl. außerdem Bärmann, FS Krause (1975), S. 251. 441 Vgl. hierzu zum Teil kritisch Kompe, ZHR 8 (1865), 344 ff.; Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 46); R. Koch, BuschA 3 (1864), 335 ff.; dens., BuschA 10 (1867), 121 ff. 442 Abgedruckt in ZHR 15 (1870), 180 ff. 443 Abgedruckt in ZHR 15 (1870), 191 ff. 444 Abgedruckt in ZHR 7 (1864), 142 ff. 445 Wiedergegeben bei Goldschmidt, ZHR 7 (1864), 576 ff. 446 Abgedruckt in ZHR 11 (1868), 359 ff. 440
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch
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tenbörse für den Handel in Mineralölen447. Auch der Börsenverein der Deutschen Buchhändler stellte Bedingungen auf, die das Verhältnis zwischen Verleger und Sortimentsbuchhändler regelten448. Diese Bedingungen wurden 1847 von der Generalversammlung des Börsenvereins angenommen. Etwa 500 Buchhandlungen erkannten sie unterschriftlich an. Die vereinheitlichten Eisenbahnreglements und AVB, wie der Allgemeine Plan Hamburgischer SeeVersicherungen von 1847, waren ebenfalls nichts anderes als solche kodifizierten Handelsusancen. Anschütz und v. Völderndorff nannten solche kodifizierten Handelsbräuche die eigentlichen Handelsusancen oder Handelsusancen im engeren Sinne. Sie erkannten an, daß es sich bei ihnen eigentlich nicht um Handelsgewohnheitsrecht handele, wollten sie aber dennoch dem Handelsgewohnheitsrecht gleichstellen und damit unter den Begriff des Handelsbrauchs i.S.d. Art. 1 ADHGB fassen449. Das begründeten sie damit, daß den Kaufleuten »eine Art von Autonomie« zukomme, solche als notwendig und zweckmäßig erachteten Usancen aufzustellen450. Unter Art. 279 ADHGB fielen nach der Ansicht von Anschütz und v. Völderndorff nur solche Gebräuche, die ein einzelner Kaufmann seinen Kunden gegenüber ausübt. Herrschend war die Ansicht von Anschütz und v. Völderndorff indes nicht. Eine Rechtsetzungsbefugnis der Handelskammern als Ausfluß einer Autonomie wurde allgemein abgelehnt451: »Sämmtliche Besucher einer Börse verabreden regelmäßig und gleichmäßig bei Geschäften einer gewissen Art gewisse Nebenbestimmungen und es bildet sich auf diese Art eine Börsen-Usance. Die Usance hat daher nicht den Charakter einer lokalen oder subsidiären Rechtsquelle und die sogenannte Kodifikation oder Feststellung von Usancen ist kein Ausfluß der ›Autonomie‹ von kaufmännischen Korporationen, Handelskammer u.s.w. Eine derartige gesetzgebende Gewalt existiert auf dem Gebiete des Handelsrechts nicht. Sondern die Redaktion oder Aufstellung von ›Usancen‹ ist nichts Anderes als der Entwurf oder die Sammlung von ›Normativbedingungen‹ für gewisse Verträge, der Vorschlag eines mehr oder weniger vollständigen Contractsformulars.«
Die herrschende Meinung benutzte den Begriff der Autonomie im vorliegenden Zusammenhang allein in rechtshistorischen Darstellungen452. Seine Be447 Abgedruckt in BuschA 14 (1868), 88 ff. Zahlreiche weitere Beispiele werden in BuschA 10 (1867), 130 ff., wiedergegeben. 448 O. Wächter, ZHR 2 (1859), 505. 449 Anschütz/v. Völderndorff I (1868), Art. 1 Anm. 4; Anschütz, BuschA 14 (1868), 86 f. 450 Anschütz/v. Völderndorff I (1868), Art. 1 Anm. 4. 451 Laband, ZHR 17 (1872), 482. Vgl. auch Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 322 Fn. 7, 331 Fn. 25; Puchelt II (2. Aufl. 1876), Art. 279 Anm. 14; Voigtel, BuschA 6 (1865), 461 ff.; Endemann, Einleitung (1881), § 10 (S. 46); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 115); Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 19 (S. 95); ROHGE 8, 254. 452 Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 321 f., 322 Fn. 7; C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 23 (S. 115); Mittermaier I (7. Aufl. 1847), § 22 (S. 88 ff.), § 25 (S. 96 ff.); Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 19 (S. 95). Vgl. auch Basedow, ZHR 150 (1986), 470 f.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
deutung für das geltende Recht, sei es für die Frage der Entstehung von faktischen Handelsübungen wie auch für die Frage der Geltung von Handelsgewohnheitsrecht, wurde abgelehnt. Daneben wurde der Begriff der Autonomie auch noch im Sinne der Privatautonomie gebraucht453. Übrigens bestätigt diese Verwendung des Begriffs der Autonomie die oben aufgestellte Vermutung, daß in der Diskussion um die Geltung der Eisenbahnreglements dieser Begriff auch nicht im Sinne der Rechtsquellenlehre gebraucht wurde, sondern gleichbedeutend mit Privatautonomie454. Zusammenfassend läßt sich damit Folgendes festhalten: Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen AGB zwar keine bloße faktische Übung mehr, aber doch noch kein Handelsgewohnheitsrecht, sondern ein dazwischen stehender Handelsbrauch sind, stellte sich im 19. Jh. nicht. Durch mehrfache Benutzung konnten AGB zu einer faktischen Handelsübung werden und unterfielen sodann Art. 279 ADHGB455, bildeten also einen Handelsbrauch in dessen Sinne. Der Begriff des Handelsbrauchs i.S.d. § 346 HGB war noch nicht entwickelt worden.
D. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen eines Handelsbrauchs im Sinne des Art. 279 ADHGB Steht damit fest, daß AGB einen Anwendungsfall eines Handelsbrauchs i.S.d. Art. 279 ADHGB bilden konnten, so kann für die Frage nach Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen von AGB im 19. Jh. auch auf die entsprechenden Diskussionen zum Handelsbrauch zurückgegriffen werden456. Nach dem bisher Gesagten überrascht es wenig, daß die in der Literatur und Rechtsprechung genannten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit eines Handelsbrauchs denen entsprechen, denen wir oben bei der Darstellung der Eisenbahnreglements, der AGB der übrigen Frachtführer und der AVB der Versicherer begegneten. Hier wie dort bewegten sich Theorie und Praxis ganz auf dem Boden der heute sogenannten Vertragstheorie: Ein Handelsbrauch war anwendbar, weil dessen Anwendbarkeit von den Parteien gewollt war und er somit zum Vertragsbestandteil gemacht worden ist457. Sobald die Handelsbräuche durch Einigung zum Vertragsinhalt geworden waren, sprach man von Normen des Vertragsverhältnisses458, ebenso wie man einbezogene AGB als 453
Hartmann, Central-Organ 2 n.F. (1866), 317. Siehe oben den Text zu und nach Fn. 93, Fn. 266 und Fn. 363. 455 Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 63. 456 Vgl. auch Raiser (1935), S. 84. 457 O. Wächter, ZHR 2 (1859), 505, 527 ff.; L. Wächter, ArchWHR 15 (1866), 52 f.; Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 322 Fn. 7, 331 Fn. 25; ders., ZHR 7 (1864), 575; Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 100 ff.); Voigtel, BuschA 6 (1865), 465 f.; OTR Berlin (30.9.1851), StriethorstA 3 (1852), 115; OTR Berlin (23.5.1867), BuschA 12 (1868), 344, 347; AG Frankfurt a.M. (6.1.1868), Central-Organ 4 n.F. (1868), 435, 436; KG (10.6.1869), BuschA 20 (1871), 235, 236. 458 OTR Berlin (23.5.1867), BuschA 12 (1868), 344, 347. 454
VI. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Handelsbrauch
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lex contractus bezeichnete459. Laband verwendete sogar den Begriff der Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Handelsbräuchen. Das deutet darauf hin, daß er nicht streng zwischen AGB einerseits und Handelsbräuchen andererseits unterschied. Unstreitig war, daß die Bedingungen des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zwischen solchen Mitgliedern des Vereins galten, die sie schriftlich anerkannt hatten460. Dasselbe galt für die übrigen kodifizierten Handelsbräuche. Sie galten zunächst nur unmittelbar zwischen den Mitgliedern der Handelskammer, die sie aufgestellt hatte461. Im Übrigen wurde unterschieden: Zum einen konnten die Parteien die »Verabredung von Geschäftsbedingungen mit der ausdrücklichen Abmachung [vereinbaren], daß sie bei allen zukünftigen Geschäften Anwendung finden sollen«462. Die Parteien konnten mit anderen Worten eine Rahmenvereinbarung schließen. Zum anderen konnten die Handelsusancen »ein für alle Mal redigiert und auf Formularen, welche in jedem einzelnen Falle benutzt werden, in extenso abgedruckt sein. Ein Beispiel dafür liefern die Assekuranz-Policen. Alsdann verhält sich die Sache juristisch gerade so, als wenn die Vertragsfestsetzungen in jedem Falle besonders verabredet wären.« 463
Laband griff in diesem Zitat für die Erklärung der Geltung von Handelsbräuchen direkt auf die Einbeziehungsvoraussetzungen der AVB zurück. Weiterhin reichte aber auch eine allgemeine Klausel, die nur auf die Handelsusancen, die entweder bereits in früheren Verträgen zwischen denselben Parteien zur Anwendung gekommen oder die veröffentlicht worden waren, Bezug nehme464. Als Beispiel für einen solchen Fall wurde in der Diskussion um die 459
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 85 und Fn. 265. O. Wächter, ZHR 2 (1859), 505. 461 Laband, ZHR 17 (1872), 482 ff.; Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 322 Fn. 7, 331 Fn. 25; AG Frankfurt a.M. (6.1.1868), Central-Organ 4 n.F. (1868), 435, 436. 462 Laband, ZHR 17 (1872), 468 f. 463 Laband, ZHR 17 (1872), 479; vgl. auch ebd. 468, 484; Goldschmidt, ZHR 7 (1864), 575. So enthielten die Schlußzettel der Berliner Effectenbörse die Usancen: ZHR 11 (1868), 359 ff.; vgl. auch den bei Kompe, ZHR 8 (1865), 363 f. abgedruckten, im Roggenhandel benutzten Schlußzettel; StadtG Berlin (7.2.1869), BuschA 14 (1868), 425. 464 Laband, ZHR 17 (1872), 469; vgl. auch ebd. 479 f., 484; Goldschmidt, ZHR 7 (1864), 575; Brauer, BuschA 18 (1870), 324; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2; Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 10; OTR Berlin (25.9.1835), ArchPreußHWR 1 (1845), 77, ArchPreußHWR 2 (1848), 40 (die Einbeziehung der vermeintlichen Usance, auf die Bezug genommen worden war, scheiterte zum einen daran, daß eine Usance nicht ermittelt werden konnte, zum anderen daran, daß es sich bei dem Vertragspartner nicht um einen Kaufmann handelte, die Kenntnis einer Handelsusance also nicht unterstellt werden konnte, der Kläger es aber unterlassen hatte zu beweisen, daß der Beklagte Kenntnis des Inhalts des Handelsbrauchs hatte); OTR Berlin (16.4.1847), ArchPreußHWR 2 (1848), 40, 41; OTR Berlin (30.9.1851), StriethorstA 3 (1852), 115; OTR Berlin (13.10.1854), StriethorstA 15 (1855), 111; OTR Berlin (23.5.1867), BuschA 12 (1868), 344, 347; StadtG Berlin (7.2.1869), BuschA 14 (1868), 425; ROHG (19.3.1872), ROHGE 5, 182; OLG Dresden (4.11.1881), BuschA 45 (1884), 370. 460
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Handelsusancen u.a. auf derartige Klauseln in Frachtbriefen verwiesen465. Nicht ausreichend war dagegen ein ausdrücklicher Hinweis in einer Rechnung, denn sie wird ja erst nach Vertragsschluß übersandt466. Oft war es auch üblich, kodifizierte Börsenusancen auszuhängen467. Ausnahmsweise konnte sogar jeder Hinweis auf einen Handelsbrauch fehlen, und er konnte dennoch zur Anwendung kommen468: »Die Unterwerfung unter diese Bedingungen kann aber auch durch bloßes Stillschweigen geschehen, wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen, daß das Stillschweigen den Sinn einer darauf bezüglichen Willenserklärung hat.«
Das war dann der Fall, wenn die Anwendung bestimmter Bedingungen oder die Tatsache, daß überhaupt unter Einbeziehung von Bedingungen kontrahiert wurde, selbst faktischer Handelsbrauch war. Das Stadtgericht Berlin führte hierzu aus469: »Wenn man nämlich bedenkt, daß die Schlußzettel der vereideten Mäkler ihren Inhalt erhalten haben aus einer Ansammlung vieljähriger Erfahrung, so kann es nicht überraschen, daß die an der Börse handelnden Kaufleute fortwährend den Inhalt für ihre Geschäfte als maßgebend anerkennen; wenn man weiter erweist, daß die Geschäftsteile während der Börsenzeit nicht die Aufzählung der näheren Bestimmungen, unter welchen das Geschäft geschlossen sein soll, gestattet und deshalb eine kurze Bezugnahme auf die Mäklerschlußzettel üblich wurde, so folgt als nächster begreiflicher Schritt, daß auch die Bezugnahme als eine selbstverständliche fortblieb.«
In einem solchen Falle beruhe »die stillschweigende Unterwerfung der Kontrahenten […] unter die […] festgesetzten Bedingungen nicht auf einem Handelsgebrauch im Sinne des Art. 1 […], sondern […] es [handelt] sich um eine Willens-Interpretation gemäß Art. 279«470.
465 Vgl. z.B. Laband, ZHR 17 (1872), 480. Vgl. weiter das Formular zur Schlußnote für Termingeschäfte in pensylvanisch in Amerika raffinirtem Petroleum, abgedruckt in ZHR 15 (1870), 186 f.; den Schlußzettel der Berliner Effectenbörse in der Fassung vom 25.3.1867, abgedruckt in ZHR 11 (1868), 360. 466 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 98 Fn. 16 (S. 231); O. Wächter, ZHR 2 (1859), 528 Fn. 75; ROHG (28.4.1877), ROHGE 22, 144, 145 f.; RG (2.5.1891), Bolze 12, 146; StadtG Frankfurt a.M. (3.8.1866), Central-Organ 3 n.F. (1867), 80, 81. Etwas anders ostpreußisches Tribunal Königsberg (16.11.1867), BuschA 14 (1868), 455, 457 f. Vgl. auch die differenzierende Darstellung bei Hanausek (1891), S. 28 ff. 467 So wurden z.B. nach § 13 Abs. 1 der Satzung der Producten-Börse in Frankfurt am Main von August 1862 (abgedruckt in ZHR 7 (1864), 135 ff.) die Usancen dieser Börse (abgedruckt in ZHR 7 (1864), 142 ff.) angeschlagen. 468 Laband, ZHR 17 (1872), 480. Vgl. zusätzlich ebd., 469, 484. 469 StadtG Berlin (7.2.1868), BuschA 14 (1868), 425, 426. Vgl. auch KG (10.6.1869), BuschA 20 (1871), 235, 236; Goldschmidt, ZHR 7 (1864), 576; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2; Keyßner, Gruchot 12 (1868), 579: »Die Bezugnahme wurde nach und nach Brauch, oder wie der Kaufmann sich gern ausdrückt Usance […].« 470 Laband, ZHR 17 (1872), 485.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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Auch hier offenbart sich, was oben bereits angedeutet wurde: Die Frage um die Einbeziehung von AGB wurde als Auslegungsproblem verstanden471. Damit kommen wir zum dogmatischen Rahmen der Einbeziehungsproblematik.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik Wesensprägend für die Rechtsgeschäftslehre des 19. Jh. war die Willenstheorie. Eine Willenserklärung bindet nur insoweit, als sich Erklärung und wirklicher Wille decken, und ein Irrtum schließt den Willen aus. Das war die Kernaussage der Willenstheorie. Es hätte allein der Willenstheorie entsprochen, so würde man vermuten, wenn sich der Vertragspartner erfolgreich darauf berufen konnte, er habe bei Abschluß des Vertrages nicht gewußt, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren wollte, oder er habe ihren Inhalt nicht gekannt. Eine solche Unkenntnis konnte mehrere Gründe haben: Der Vertragspartner mag einen Vertrag, in dem die AGB vollständig abgedruckt waren oder der eine Verweisungsklausel enthielt, nicht gelesen haben; er mag die AGB, auf die verwiesen wurde, nicht zur Kenntnis genommen haben; er mag einen Aushang übersehen haben; oder er mag einen faktischen Handelsbrauch, nach dem AGB als einbezogen gelten, nicht gekannt haben. Nach der Willenstheorie hätten, so sagt es uns unsere Intuition, solche Irrtümer einer Einbeziehung entgegenstehen müssen. Allerdings hätte, und auch das sagt uns unser gesunder Menschenverstand, eine derartige Anwendung der Willenstheorie zu absurden, den Verkehrsinteressen nicht einmal ansatzweise entsprechenden Ergebnissen geführt. Und in der Tat weisen die bisherigen Betrachtungen genau in die entgegengesetzte Richtung: Der Vertragspartner war an AGB, die in einer Vertragsurkunde enthalten waren oder auf die ein von ihm unterschriebener Frachtbrief Bezug nahm, gebunden; er war an deutlich sichtbar ausgehängte AGB gebunden; er war an AVB, auf die ihn die Police verwies, gebunden; und er war an AGB gebunden, wenn die Einbeziehung einem Handelsbrauch entsprach. Unerheblich war in all diesen Fällen, ob der Vertragspartner die AGB oder den Handelsbrauch kannte oder ob er den Aushang wahrgenommen hatte, solange nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand. Aber standen damit die Einbeziehungsvoraussetzungen nicht im Widerspruch zur Willenstheorie? Einen solchen Widerspruch glaubt Pohlhausen in der Tat entdecken zu können472. Ob ein solcher Widerspruch wirklich bestand oder ob sich die Einbeziehungsvoraussetzungen nicht doch in den dogmatischen Rahmen einfügen lassen, soll nun erörtert werden. Dafür muß zunächst betrachtet werden, unter welchen Voraussetzungen ein Irrtum beachtlich war. Dabei kann es hier allerdings nicht darum gehen, die Ge471
Siehe oben den Text zu Fn. 111.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
schichte der Irrtumslehre oder den Streit zwischen Willens- und Erklärungstheorie im 19. Jh. vollständig nachzuzeichnen. Das hat jüngst Schermaier geleistet473.
A. Willenstheorie, Erklärungstheorie und die Beachtlichkeit von Irrtümern Die frühen Autoren des 19. Jh. orientierten sich an den überlieferten Irrtumskategorien474. Sie schieden den wesentlichen von dem unwesentlichen Irrtum. Nur der wesentliche Irrtum führte zur Vertragsnichtigkeit. Der unwesentliche Irrtum wurde nur ausnahmsweise berücksichtigt, führte aber selbst bei seiner Beachtlichkeit nicht zur Nichtigkeit. Als wesentliche Irrtümer waren der Irrtum über die Vertragsart, über den Vertragsgegenstand, über den Vertragspartner und unter gewissen Umständen der Eigenschaftsirrtum anerkannt. Die Einbeziehungsproblematik sprechen die frühen Autoren des 19. Jh. freilich nicht an. Wir können daher nur vermuten, wie sie die Fälle, in denen der Vertragspartner über die Existenz oder den Inhalt der AGB im Irrtum war, entschieden hätten. AGB stellten eine Nebenabrede bzw. einen Nebenvertrag dar475. Den Bestand des Hauptvertrages konnte ein solcher Irrtum niemals beeinträchtigen. Ein wesentlicher Irrtum, also ein Irrtum über die Art der Hauptvertrages, dessen Gegenstand oder über den Vertragspartner, lag nicht vor476. Der Irrtum konnte allenfalls die Gültigkeit der Nebenabrede berühren. Behauptete der Vertragspartner aber schlicht, den genauen Inhalt der AGB nicht gekannt zu haben, so werden diese Autoren wohl auch bezüglich des Nebenvertrages von einem unwesentlichen Irrtum ausgegangen sein. Denn wußte der Vertragspartner überhaupt von der Existenz der AGB, so war er über Art und Gegenstand der Abrede gerade nicht im Irrtum: Er wußte, daß 472 Vgl. oben den Text zu und nach Fn. 40. Pohlhausen glaubt, für die Einbeziehung von AGB habe im 19. Jh. eine bloße Veröffentlichung ausgereicht. Dann wäre es in der Tat nicht möglich, einen Einklang zwischen Einbeziehungsvoraussetzungen und Willenstheorie herzustellen. Allerdings reichte, wie oben deutlich wurde, anders als bei Gesetzen eine Veröffentlichung der AGB grundsätzlich nicht aus. Wäre Pohlhausens Analyse zutreffend gewesen, so hätte man erwartet, daß dieser Widerspruch auch den Juristen des 19. Jh. aufgefallen wäre und sie ihn entsprechend thematisiert hätten. 473 Schermaier (2000), S. 467 ff., 537 ff.; HKK-BGB/Schermaier (2003), §§ 116–124 Rn. 1 ff., 51 ff. Vgl. außerdem Zimmermann (1990), S. 583 ff., 621 ff.; Schermaier, ZEuP 1998, 60 ff.; Luig, Ius Commune 8 (1979), 36 ff.; Noda, Ius Commune 16 (1989), 81 ff.; Peters (1967), S. 1 ff.; Hammen (1983), S. 108 ff.; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 440 ff. alle m.w.N. auf die ältere rechtshistorische Forschung. 474 Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 338 (S. 263 f.); Mackeldey II (10. Aufl. 1833), § 358 (S. 211); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 146 (S. 109 f.).Vgl. außerdem z.B. Roßhirt, ZCivCrimR 5 (1843), 205 f.; Richelmann (1837), S. 7 ff., 12 ff. 475 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 2 und Fn. 38. 476 Werthauer (1887), S. 55.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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ein Nebenvertrag geschlossen wurde, der das Dispositivrecht modifizieren oder ergänzen sollte. Aber wie war der Fall zu beurteilen, daß der Vertragspartner behauptete, von der Existenz der AGB keine Kenntnis gehabt zu haben? In einem solchen Fall lag ein Irrtum darüber vor, daß überhaupt ein Nebenvertrag abgeschlossen worden war. Ein solcher Irrtum war sicherlich wesentlich. Allerdings mag hier von Einfluß gewesen sein, ob der Irrtum entschuldbar war oder nicht. Für viele der frühen Autoren des 19. Jh. schien ein unentschuldbarer Irrtum stets unbeachtlich gewesen zu sein, und unentschuldbar war ein grob fahrlässiger Irrtum477. Hätte der Vertragspartner also wissen müssen, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren wollte, so war er demnach an die AGB gebunden478. Als besonders einflußreich für die weitere Entwicklung der Irrtumslehre erwies sich der 1840 erschienene dritte Band des System des heutigen Römischen Rechts von v. Savigny. v. Savigny unterschied echte und unechte Irrtümer. Im Fall des unechten Irrtums sei die Erklärung »von einem Irrthum begleitet, aber dieser ist nicht der positive Grund des Schutzes, welcher dem Irrenden gegen Nachtheil gewährt wird, sondern dieser Grund ist ganz negativ, die bloße Abwesenheit des Willens, wodurch allein der Nachtheil begründet werden könnte«479. Und eben weil nicht der Irrtum selbst, sondern die Abwesenheit des Willens die Ursache der Nichtigkeit war, sprach v. Savigny vom unechten Irrtum. Der unechte Irrtum führte dazu, daß der Erklärende an seine nur scheinbar vorhandene Willenserklärung nicht gebunden war. Die Willenserklärung war nicht existent480. v. Savigny machte deutlich, daß ein unechter Irrtum im Vertragsrecht die Ausnahme war481. Als unechten Irrtum erkannte er dieselben Irrtümer an, welche die Autoren vor ihm als wesentliche Irrtümer bezeichnet hatten482. Doch bestand ein entscheidender Unterschied. Da der unechte Irrtum den Willen ausschloß, konnte es für v. Savigny nicht darauf ankommen, ob der unechte Irrtum entschuldbar war483. Selbst der grob fahrlässige unechte Irrtum mußte zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts führen. Dieser Unterschied mußte auch Konsequenzen für die Einbeziehungsproblematik haben, die freilich auch v. Savigny nicht ausdrücklich diskutierte. Behauptete der Vertragspartner, keine Kenntnis davon gehabt zu ha-
477 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 28 (S. 22 f.), § 145 (S. 109). Vgl. auch § 876 ABGB; Art. 1110a Badisches Landrecht. 478 So belegte Richelmann (1837), S. 21, seine These, der Irrende könne sich nicht auf seinen verschuldeten Irrtum berufen, mit Ulpian D. 14,3,11,3, also mit demselben Text, der auch für die Lösung der Einbeziehungsproblematik herangezogen worden war. 479 v. Savigny, System III (1840), § 135 (S. 263 f.). 480 v. Savigny, System III (1840), § 135 (S. 266). 481 v. Savigny, System III (1840), Beylage VIII (S. 342, 354). 482 v. Savigny, System III (1840), § 135 (S. 267 f.). Kritisch dazu Hasenöhrl I (2. Aufl. 1892), § 45 (S. 599 f.). 483 v. Savigny, System III (1840), § 135 (S. 264).
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
ben, daß dem Vertrag AGB zugrundegelegt werden sollten, so mußte dies immer zur Unwirksamkeit des Nebenvertrages führen, selbst wenn dieser Irrtum grob fahrlässig war. Dagegen mußte der Irrtum über den Inhalt der AGB auch nach v. Savignys Lehre unbeachtlich sein, solange der Vertragspartner nur wußte, daß überhaupt ein Nebenvertrag abgeschlossen werden sollte. Die Prämisse, daß sich Wille und Erklärung decken müssen, um bindende Wirkung zu erzeugen, war in der Folgezeit herrschend484. Ebenso wie v. Savigny ging auch die nachfolgende herrschende Meinung davon aus, daß nicht jeder Irrtum den Vertrag unwirksam mache, sondern nur der wesentliche485. Gegen ein Detail von v. Savignys Lehren erhoben jedoch selbst viele Anhänger der Willenstheorie Einspruch, nämlich dagegen, daß der unechte Irrtum selbst dann beachtlich sein sollte, wenn er grob fahrlässig und damit unentschuldbar war486. Als Folge werden diese Autoren einen Irrtum darüber, daß überhaupt ein Nebenvertrag mit dem Inhalt der AGB geschlossen werden sollte, nur dann als beachtlich anerkannt haben, wenn dieser Irrtum entschuldbar war. Nach anderer Ansicht kam es auf die Entschuldbarkeit des Irrtums ganz im Sinne v. Savignys zwar nicht an. Doch sollte eine Berufung auf einen Irrtum ausgeschlossen sein, wenn sie treuwidrig war487. Doch herrschte nicht nur unter den Anhängern der Willenstheorie Uneinigkeit über ihre Details. Ihr wurde auch im Grundsatz widersprochen, und zwar von den Anhängern der sogenannten Erklärungstheorie488. Sie gingen, verein484
Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 65 (S. 101); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 99 (S. 232); Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 75 (S. 376), § 76 (S. 384 ff.); v. Vangerow I/1 (7. Aufl. 1863), § 83 (S. 120); Baron (8. Aufl. 1893), § 50 (S. 92 f.), § 62 (S. 117 f.); Vering (5. Aufl. 1887), § 80 (S. 191); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 72 (S. 352 ff.); Hesse, JhJb 15 (1877), 70 f., 99 ff., 227 ff.; Zitelmann, JhJb 16 (1878), 389 ff. 485 v. Vangerow III (7. Aufl. 1869), § 604 (S. 260); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 65 (S. 101); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 102 (S. 238 ff.); Baron (8. Aufl. 1893), § 50 (S. 92 f.); Vering (5. Aufl. 1887), § 80 (S. 191); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 72 (S. 350); ders., Pandekten II (1881), § 186 (S. 370 ff.). 486 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 101 (S. 238), § 99 (S. 233); Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 75 (S. 379), § 76 (S. 389) (in früheren Aufl. vertrat Windscheid nach Schermaier (2000), S. 512, einen anderen Standpunkt); Baron (8. Aufl. 1893), § 62 (S. 117 f.). Aus der handelsrechtlichen Literatur Gad I (1863), § 39 (S. 71 f.). Im Sinne v. Savignys v. Vangerow I/1 (7. Aufl. 1863), § 83 (S. 120); Vering (5. Aufl. 1887), § 80 (S. 191); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 72 (S. 352 f.); ders., Pandekten II (1881), § 186 (S. 374); ders., Handbuch II (1842), § 102 (S. 743); Dollmann, SeuffBl 7 (1842), 269; Hesse, JhJb 15 (1877), 71, 110; ders., AcP 57 (1874), 199 ff.; aus der handelsrechtlichen Literatur Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 116 (S. 421); § 843 SächsBGB. Vgl. aus der modernen Literatur Flume II (3. Aufl. 1979), S. 446. 487 So z.B. Eisele, JhJb 25 (1887), 434 ff. 488 Bähr, JhJb 14 (1875), 393 ff.; Kohler, JhJb 28 (1889), 189 ff.; Roever (1874), S. 17 ff.; Hasenöhrl I (2. Aufl. 1892), § 43 (S. 580 f.); Schlossmann (1876), S. 99. Ähnlich die Vertreter der Vertrauenstheorie: siehe z.B. Hartmann, AcP 72 (1888), 215; dens., JhJb 20 (1882), 10, 47, 52. Zu den Vorläufern der Erklärungstheorie Peters (1967), S. 45 ff.; Schermaier, ZEuP 1998, 73 ff.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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facht gesprochen, davon aus, daß der innere Wille im Verkehr deshalb nicht maßgeblich sein dürfe, weil er nicht erkennbar sei. Vielmehr komme es auf das Erklärte als äußerlich manifestierter Wille an489: »Wir gelangen so zu dem Satze: wer beim Contrahiren in einer ihm zuzurechnenden Weise die äußere Erscheinung seines Willens hervorruft, so daß der ihm Gegenüberstehende bona fide Rechte daraus erlangt zu haben glaubt und glauben darf, wird mit seiner Behauptung, daß ihm in Wirklichkeit der entsprechende Wille gefehlt habe, gar nicht gehört. Er haftet aus der äußeren Erscheinung seines Willens gerade so, als ob er wirklich gewollt habe.«
So Bähr. Schon an diesem Zitat ist erkennbar, daß der Erklärende nicht immer an das objektiv Erklärte oder an das Erklärte, wie es der Erklärungsempfänger verstanden hatte, gebunden war. Bähr weist auf zwei einschränkende Momente hin490: die Zurechenbarkeit der Erklärung zum Erklärenden und die bona fides des Erklärungsempfängers. Nach der Ansicht von Bähr konnte also eine Einbeziehung immer dann angenommen werden, wenn der Verwender nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, daß der Vertragspartner der Einbeziehung zugestimmt hatte, und wenn dieser Erklärungsinhalt dem Vertragspartner auch zurechenbar war491. Trotz der Angriffe auf die Willenstheorie hielten viele an ihr fest492. Allerdings zeigte Dernburg auf, daß die praktischen Ergebnisse zwischen den Theorien nicht immer unterschiedlich sein mußten493: »Die Erklärung des Geschäfts muß mit den Vorstellungen des Erklärenden übereinstimmen. Wort und Wille müssen sich decken. Manche freilich wollen die Erklärung schlechthin entscheiden lassen, auch wenn sie des Willens bar ist. Doch das heißt den Zufall zum Herren machen statt planmäßiger Gestaltung. Allerdings gilt das Erklärte als gewollt. Es bedarf des Gegenbeweises aus anderen Thatsachen, um darzuthun, daß der Wille fehlte. Und nicht immer ist dieser Gegenbeweis rechtlich gestattet. Handelt es sich doch darum – dies ist der Hauptfall – anzukämpfen gegen die eigenen Worte. Dem Tüchtigen und Redlichen aber ist sein Wort ehrwürdig. Auf dem Halten seines Wortes beruht das Vertrauen zu seiner Persönlichkeit, sein moralischer und ökonomischer Kredit.«
Auch die Anhänger der Willentheorie ließen es nicht genügen, daß der Erklärende seinen Willen schlicht leugnete. Er mußte seinen fehlenden Willen beweisen. Daß all diese grundsätzlichen Differenzen keine Auswirkungen auf 489
Bähr, JhJb 14 (1875), 401. Ausführlich Bähr, JhJb 14 (1875), 406 ff. 491 Ähnlich Roever (1874), S. 25, 62; Scheiff (1879), S. 9. 492 Eisele, JhJb 25 (1887), 414; L. Enneccerus I (1888), S. 67 ff., 76 ff.; Bruns II (1882), S. 474, 477, 479; Ryck, FG Beseler (1885), S. 137 f.; Unger, GrünhZ 15 (1888), 686; Werthauer (1887), S. 26 f., 34. 493 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 99 (S. 232). Vgl. außerdem Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 75 (S. 376). 490
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
praktische Ergebnisse bei der Einbeziehung haben mußten, zeigt zudem die Auseinandersetzung zwischen Windscheid und Bähr, die ausdrücklich ein Beispiel aus der Einbeziehungsproblematik diskutieren494: »Wer mit einer öffentlichen Anstalt contrahire, welche die Bedingungen ihrer Vertragsschließung in Statuten, Regulativen, oder auch in den von ihr ausgegebenen Urkunden, Billeten u.s.w. veröffentlicht habe, sei an diese Bedingungen gebunden, sollte er auch die Veröffentlichung nicht gekannt und deßwegen in dem Glauben gestanden haben, auf andere Bedingungen zu contrahiren.«
Bähr glaubte, die Einwilligung des Vertragspartners zur Einbeziehung könne in einem solchen Fall schlicht fingiert werden495. Windscheid stimmte dem Ergebnis Bährs, der Bindung des Vertragspartners an die AGB, ausdrücklich zu496: »Ich glaube, daß Bähr Recht hat, wenn er die gegebene Entscheidung als durch das Rechtsgefühl mit zwingender Nothwendigkeit geboten ansieht.«
Allerdings glaubte Windscheid nicht, daß dieses Ergebnis nur mit der von Bähr entwickelten Erklärungstheorie begründet werden könne497: »Er wird sich aber hierauf Antwort geben mit der Frage, ob nicht angenommen werden müsse, daß, wer in der bezeichneten Weise […] der Eisenbahn etwas zur Beförderung übergibt, dieß in dem Sinne thue, daß er sich den von der […] Eisenbahn aufgestellten Bedingungen, welche dieselben auch sein mögen, unterworfen haben wolle. Wenn dann die Erwägung sich aufdrängt, daß dieß nicht nothwendig sei, daß es immerhin möglich sei, daß der [Vertragspartner] an aufgestellte Bedingungen gar nicht gedacht habe, so wird darauf die Antwort bereit sein, daß in einem solchen Benehmen jedenfalls eine so grobe Fahrläßigkeit liege, daß es aus diesem Grunde billig sei, daß der [Vertragspartner] an dem Vertrage festgehalten werde. Endlich wird auch die Betrachtung sich geltend machen, daß es sich hier handele um ein Jasagen auf eine Willenserklärung, deren näheren Inhalt durch eine öffentliche Bekanntmachung angegeben worden ist, und der Entscheidende wird sich fragen, ob nicht gerade hierin die eigentliche Rechtfertigung für die sich ihm aufdrängende Entscheidung gefunden werden müsse. Er wird sich erinnern an l. 11 § 3 D. de inst. act. 14. 3 [Ulpian D. 14,3,11,3], wo es heißt, daß der Geschäftsherr aus der Anstellung des Institutor nicht hafte, wenn er seinen Willen, nicht haften zu wollen, durch öffentliche proscriptio bekannt gemacht habe.«
Das Zitat zeigt nicht nur, daß die Vertreter der Willenstheorie glaubten, daß eine Einbeziehung von AGB angenommen werden könne, selbst wenn der Wille des Vertragspartners bei Vertragsschluß nicht auf die AGB gerichtet gewesen war. Die Einbeziehungsproblematik entwickelte sich zu einer Bewäh494 495 496 497
Windscheid, AcP 63 (1880), 95. Zum folgenden vgl. schon Falk (1989), S. 39 ff. Bähr, JhJb 14 (1875), 402. Windscheid, AcP 63 (1880), 94. Windscheid, AcP 63 (1880), 95. Ähnlich Zitelmann, JhJb 16 (1878), 398.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
109
rungsprobe der verschiedenen Theorien498. Und selbst dort, wo die Einbeziehungsproblematik nicht offen angesprochen wird, wird zumindest aus den im Fußnotenapparat zitierten Entscheidungen deutlich, daß sie bekannt war499. Schließlich verwies Windscheid ebenso wie Bähr auf Ulpian D. 14,3,11500. Nicht nur diese beiden Autoren sahen in diesem Fragment eine römische Quelle, an der sich die jeweilige Theorie zu messen hatte501. Dieses Fragment war, wie oben deutlich wurde, auch Ausgangspunkt der Entwicklung der Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB der Eisenbahnen. Als Zwischenergebnis können wir festhalten, daß selbst nach der im 19. Jh. herrschenden Willenstheorie nicht jeder Irrtum über die Existenz oder den Inhalt der AGB ihre Einbeziehung verhinderte. Doch beschränkte sich der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik nicht allein auf die Frage nach der Beachtlichkeit eines Irrtums. Die Frage um die Einbeziehung von AGB wurde als Auslegungsproblem verstanden502. Es muß also erörtert werden, ob sich die oben herausgearbeiteten Einbeziehungsvoraussetzungen mit den allgemein anerkannten Auslegungsregeln vereinbaren lassen. Dafür bietet es sich an, Fallgruppen zu bilden: (1) Beide Parteien haben eine Vertragsurkunde unterschrieben, oder der Vertragspartner hat eine vom Verwender ausgehende Urkunde unterzeichnet. Diese Urkunde verweist auf die AGB oder enthält sie sogar vollständig. Beide Parteien haben damit, zumindest objektiv, der Einbeziehung ausdrücklich zugestimmt. (2) Umgekehrt kann aber auch der Fall vorkommen, daß sich keine der beiden Parteien gegenüber der jeweils anderen Partei ausdrücklich über die Geltung der AGB erklärt hat. Beide Parteien haben sich allenfalls stillschweigend erklärt. (3) Zwischen diesen Polen liegen die Fälle, in denen zumindest der Verwender seinen Willen, daß er unter Einbeziehung der AGB kontrahieren will, ausdrücklich seinem Vertragspartner offenbart hat, in denen aber eine ausdrückliche Erklärung des Vertragspartners fehlt.
498 Neben den vorstehend Genannten vgl. noch Mommsen II (1879), S. 106 f.; Leonhard I (1882), S. 155; Zitelmann, JhJb 16 (1878), 397; Werthauer (1887), S. 48. Leonhard I (1882), S. 148 f., 228, diskutiert zudem das Problem um die Geltung von Handelsusancen, und AGB bildeten, wie wir oben sehen konnten, einen Anwendungsfall der Handelsusancen; siehe oben VI C (S. 97 ff.). 499 Schubert, Vorlagen II/1, S. 153; Mommsen II (1879), S. 106; jeweils unter Verweis auf OTR Berlin (10.9.1868), SeuffA 25 (1872), 337. 500 Windscheid, AcP 63 (1880), 95; Bähr, JhJb 14 (1875), 402 Fn. 8. 501 L. Enneccerus I (1888), S. 105; Kohler, JhJb 28 (1889), 225; Hartmann, JhJb 20 (1882), 58 f.; Zitelmann, JhJb 16 (1878), 432; Scheiff (1879), S. 17; Richelmann (1837), S. 21; Hesse, AcP 57 (1874), 204. Leonhard II (1883), S. 351 f. und Hesse, AcP 57 (1874), 204, diskutierten zudem Labeo D. 19,2,60,6, zitiert oben unter I (S. 24). 502 Siehe oben den Text zu Fn. 111 und Fn. 471.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
B. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen 1. Auslegung Auslegungsziel war die Erforschung des wirklichen Parteiwillens503. Das folgte unmittelbar aus der herrschenden Willenstheorie. Für die Vertragsauslegung wurde dieses Auslegungsziel weiter konkretisiert. Ihr Ziel war die Ermittlung des gemeinsamen Willens beider Vertragsparteien504. Ausgangspunkt der Auslegung war dabei der Wortlaut eines Vertrages. Es wurde vermutet, daß das Erklärte dem wirklich Gewollten entsprach505. Enthielt eine von beiden Parteien unterzeichnete Vertragsurkunde die AGB oder verwies sie auf AGB, so war demnach zunächst von einer Einbeziehung auszugehen506. Dasselbe galt, wenn der Vertragspartner eine vom Verwender ausgehende Urkunde unterzeichnet hatte, wie dies bei den Frachtbriefen der Fall war. Das preußische Landrecht ließ in beiden Fällen sogar keine andere Auslegung zu. ALR I 4 § 65 lautete: »Der Sinn jeder ausdrücklichen Willenserklärung muß nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte und Zeichen verstanden werden.«
Das ADHGB war nicht ganz so strikt. Dessen Art. 278 bestimmte: »Bei Beurtheilung und Auslegung der Handelsgeschäfte hat der Richter den Willen der Contrahenten zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.«
Anders als nach dem ALR war nach dem ADHGB also nicht der eindeutige Wortlaut allein maßgeblich. Stimmte das Erklärte mit dem gemeinsamen wirklichen Willen nicht überein, so mußte dieser wirkliche Wille der Parteien erforscht werden. Diese Regel fand sich nicht nur in anderen Kodifikationen507,
503 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 290); v. Keller (1861), § 59 (S. 114); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 420. Zur Auslegung siehe noch ausführlich unten § 3 I (S. 126 ff.). 504 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.). Daß es allein auf den gemeinsamen Willen ankam, hing mit dem herrschenden Vertragsbegriff zusammen, vgl. statt aller v. Savigny, System III (1840), § 140 (S. 309). 505 Voigtel, BuschA 6 (1865), 469; Meier, Central-Organ 8 n.F. (1872), 18; Wächter, AcP 19 (1836), 114; Burckhard (1866), S. 249 ff.; Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 420; Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209 f.); Staub (1. Aufl. 1893), Art. 278 Rn. 2. Allgemein zum vermuteten Willen oder vermuteten Willensinhalt vgl. Burckhard (1866), S. 243 ff. Zu den anderen Vermutungsregeln im Rahmen der Auslegung siehe noch ausführlich unten § 3 I (S. 126 ff.). 506 Zitelmann, JhJb 16 (1878), 397. 507 So z.B. Art. 1156 CC; § 809 SächsBGB.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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sondern entsprach auch den Grundsätzen des gemeinen Rechts und der herrschenden Meinung508. So führte Thibaut aus509: »Die Worte entscheiden zwar unmittelbar, kann indess eine entgegenstehende Absicht erwiesen werden, so ist das Resultat derselben vorzuziehen. Man unterscheide zwischen: 1) bey zweiseitigen Geschäften wird, bey klaren Worten, auf die Absicht des Einen Theils nicht gesehen. Stimmt die Absicht beider zusammen, so geht diese selbst den klarsten Worten vor.«
Doch mußte derjenige Vertragspartner, der sich auf die vom Wortlaut abweichende Auslegung berief, beweisen, daß sie von beiden Parteien gewollt war510: »Es versteht sich nun von selbst, daß, wenn der Wortlaut klar ist, zuerst und vorzugsweise dieser Wortlaut entscheidend ist. Doch hat es keinen Anstand, daß auch bei im Uebrigen klarem Wortlaute nicht dieser, sondern der Wille, die Absicht des Erklärenden zur Geltung gebracht, bez. wo es sich um ein zweiseitiges Rechtsgeschäft handelt, daß die übereinstimmende Absicht beider Parteien anerkannt werde. Bei an sich klarem Wortlaute hat indessen derjenige, welcher sich auf eine andere, diesem klaren Wortlaute widerstreitende Absicht der Kontrahenten beruft, zu beweisen, daß auch der andere Kontrahent den abweichenden Sinn getheilt habe.«
Das durfte in den vorliegenden Fällen wohl immer mißlingen. Enthielt eine schriftliche Vertragsurkunde die AGB oder zumindest eine Bezugnahmeklausel, dann konnte kaum angezweifelt werden, daß die Einbeziehung dem wirklichen Willen des Verwenders entsprach. Allerdings dürfte die Vermutung, daß das Erklärte gewollt war, auch ihre Grenzen gehabt haben. Wir hatte oben einerseits gesehen, daß nach Art. 1 Tit. 4 der Hamburgischen Assekuranz- und Havarie-Ordnung von 1731 AGB deutlich einer Versicherungspolice angefügt sein mußten511. Diese qualitative Anforderung kann unmittelbar aus der Vermutung, daß das Erklärte gewollt war, hergeleitet werden: Von versteckten Vertragsklauseln konnte eben nicht vermutet werden, daß sich der gemeinsame Wille beider Parteien auf sie bezog. Andererseits wurde oben immer wieder betont, daß dem Vertragspartner zumindest die Möglichkeit gewährt worden sein mußte, vom In508 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 177 (S. 642); v. Savigny, Obligationenrecht II (1853), § 71 (S. 190); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 404); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Pernice, ZHR 25 (1880), 107 f., 119; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 278 Anm. 51; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 278 Rn. 1; Anschütz/v. Völderndorff III (1874), Art. 278 Anm. 2.; Siebenhaar/Pöschmann II (2. Aufl. 1869), zu § 809 (S. 103); Wolff, CentralOrgan 6 n.F. (1870), 420, 424; Voigtel, BuschA 6 (1865), 469; OTR Stuttgart (6.6.1856), SeuffA 12 (1859), 26; OAG Jena (o.D.), BuschA 8 (1866), 196, 198; BOHG (4.4.1871), BOHGE 2, 183; Papinian D. 50,16,219. 509 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40). 510 Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 420. Vgl. auch ebd., 424. 511 Siehe oben das Zitat zu Fn. 316.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
halt der AGB Kenntnis zu nehmen512. Auch diese Voraussetzungen kann mit der Vermutung, daß das Erklärte gewollt war, in Einklang gebracht werden, ohne daß freilich die Juristen des 19. Jh. diese Verbindung ausdrücklich aufzeigten: Ein Wille, daß auch der Vertragspartner die Geltung von AGB wollte, auf die er zwar in der Vertragsurkunde verwiesen wurde, von denen er aber keine Kenntnis nehmen konnte, konnte eben nicht vermutet werden. Beide Grenzen der Vermutung hätten auch mit Verweis auf Treu und Glauben begründet werden können. Denn die Auslegung unterstand Treu und Glauben513. 2. Irrtum Konnte der Vertragspartner nicht darlegen und beweisen, daß der gemeinsame wirkliche Wille nicht auf die Einbeziehung der AGB gerichtet gewesen war, so war sein Vorbringen im Rahmen der Auslegung unbeachtlich. In einem solchen Fall behauptete er allein, daß sein eigener Wille nicht darauf zielte, die AGB zum Vertragsbestandteil zu machen. Er berief sich auf einen Irrtum. Schloß dieser Irrtum die Einbeziehung aus? Es finden sich in der Tat Urteile, die diese Frage positiv beantworteten. So führte das Handelsgericht Elberfeld im Jahre 1850 aus514: »I.E., […] daß, wenn also das Reglement der bekl. Gesellschaft […] für die Kläger als Vertrag gelten sollte, sie nothwendig von den Stipulationen des Reglements Kenntniß haben müßte; daß diese Kenntniß aber dadurch nicht erlangt wird, daß ein Versender von Waaren ein von der bekl. Gesellschaft ausgehendes Frachtbrief-Formular ausfüllt und unterzeichnet, worin auf das Reglement Bezug genommen wird, da in Bezug auf die Klgrn. nicht constirt, daß ihr die bezügliche Stipulation des Reglements bekannt gewesen und sie sich derselben ausdrücklich unterworfen hätte, eine stillschweigende Unterwerfung aber hier nicht Statt hat, weil es sich um eine Stipulation handelt, welche gesetzliche Bestimmungen aufheben oder modificiren soll, und darin ein Verzicht auf ein im eintretenden Falle zuständiges Recht liegen würde […]«.
Ein auf Einbeziehung der AGB gerichteter Wille könne nur dann angenommen werden, wenn der Vertragspartner von der Bezugnahmeklausel positiv Kenntnis genommen habe. Doch blieb das Handelsgericht Elberfeld nicht bei dieser Aussage stehen. Weil ein solcher Wille nicht vorliege, könne nicht von einer ausdrücklichen Einbeziehung gesprochen werden. Es komme nur ein stillschweigendes Einverständnis in Betracht. Ganz im Sinne Mittermaiers515 verneinte das Handelsgericht auch ein solch stillschweigendes Einverständnis: 512 Siehe oben den Absatz nach Fn. 60 und den Text zu Fn. 63, Fn. 76, Fn. 303, Fn. 322, Fn. 338 und Fn. 359. 513 Vgl. statt aller Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 99 (S. 233). 514 HG Elberfeld (17.8.1850), W. Koch, Anlagenheft, S. 127, 129. 515 Siehe oben das Zitat zu Fn. 60.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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Verzichte auf Rechte dürfen nicht vermutet werden. Das Urteil des Handelsgerichts Elberfeld stieß auf keine Resonanz. Goldschmidt war es nur eine ablehnende Bemerkung in einer Fußnote wert: Mit »solchen Deduktionen könnte man jeden Vertrag umstoßen«516. Doch finden sich vereinzelt auch andere, zumeist unterinstanzliche und dann durch die obere Instanz aufgehobene Urteile, die unter Hinweis auf die Willenstheorie ganz allgemein die Geltung von Klauseln ablehnten, soweit der Unterzeichnende diese Klausel nicht kannte517. So lesen wir in Seufferts Archiv zu einem Fall, den das Oberappellationsgericht Dresden 1854 in dritter Instanz zu entscheiden hatte518: »Als diese Nebenabredung im Wege der Klage geltend gemacht wurde, erkannte zwar Beklagter die darüber vorgelegte Urkunde an, wandte aber unter anderm ein: daß die hier in Rede stehende Clausel zwischen ihm und Klägern vor der schriftlichen Vollziehung des Kaufaufsatzes niemals verabredet worden sey, daß er ferner den Kaufaufsatz, ohne ihn gelesen und ohne von der Aufnahme dieser Clausel Kenntniß zu haben, unterschrieben habe […]. In Beurtheilung dieses Einwandes äußerten die Motive des Gerichtes zweiter Instanz: Das fragliche, im nur gedachten Kaufcontract enthaltene pactum de vedendo habe Beklagtem, die Wahrheit der von selbigem angegebenen Umstände vorausgesetzt, keine Verbindlichkeit auferlegt, weil unter solchen Umständen ›Abwesenheit des Willens anzunehmen sey, die zur Existenz des Vertrags gehöre; darum komme nach richtigerer Ansicht nichts auf Entschuldbarkeit oder Nichtentschuldbarkeit des Irrthumes an,‹ in Folge dessen Beklagtem das in Frage stehende pactum de vendendo solle unbekannt geblieben seyn; ›vielmehr müsse der Irrthum, welcher den Willen ausschließe, weil das Bewußtseyn des Inhaltes der äußerlich vorliegenden Erklärung fehle, auch dann Beachtung finden, und den nur scheinbar, nicht wirklich abgeschlossenen Vertrag nichtig machen, wenn dabei der Irrende sich habe eine grobe Fahrlässigkeit zu Schulden kommen lassen und dadurch seine Unkenntniß sey herbeigeführt worden.‹ Dagegen sprach sich der oberste Gerichtshof aus, wie folgt: Gültig und zu Recht beständig ist ein Vertrag in allen den Punkten, hinsichtlich welcher die Contrahenten sich gegenseitig einverstanden, ihnen selbst bewußter Weise einverstanden erklärt haben. Indem bereits beide Parteien den in Frage stehenden Kaufcontract unterschrieben, hat Beklagter gegenüber dem Kläger, wie letzerer gegenüber dem ersteren, sich einverstanden erklärt mit allem was der niedergeschriebene Kauf besagte; daß mit der Unterschrift er dieß erkläre, das muß sich Beklagter bewußt gewesen seyn […]. In Folge dieser Gewißheit, daß Beklagter ihm selbstbewußter Weise sich gegenüber dem Kläger mit allem was der Kaufcontract enthielt, durch dessen Unterschrift einverstanden erklärt hat, und also auch mit dem darin enthaltenen pacto de vendendo, verbunden mit dem Umstande, daß jedenfalls Kläger es nicht zu verantworten hat, dafern Beklagter unterschrieben haben sollte, ohne sich jedes Einzelnen bewußt zu seyn, was der Gesamtinhalt des Contracts besage, stellt Beklagtens in Frage stehende Einrede sich als unerheblich dar.« 516
Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 596 f. Fn. 26 Vgl. z.B. das dem OAG Berlin (30.10.1873), SeuffA 29 (1874), 329, 330, vorausgegangene und dort mitabgedruckte Urteil des AG. 518 OAG Dresden (1854), SeuffA 8 (1855), 35, 36 f. 517
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Das Urteil des Oberappellationsgerichts Dresden entsprach der ständigen Rechtsprechung, und zum Teil behandelte diese auch Fallgestaltungen, in denen es um die Einbeziehung von AGB ging519. Obwohl damit Urteile wie die des Handelsgerichts Elberfeld die Ausnahme bildeten, sind sie doch aufschlußreich. Wie wir später sehen werden, bemängelte der AGBG-Gesetzgeber, daß die Rechtsprechung des 20. Jh. die Einbeziehungsvoraussetzungen vernachlässigt habe. Das habe dazu geführt, daß vor Inkrafttreten des AGBG die AGB fast normative Geltung beanspruchten. Die Einbeziehungsvoraussetzungen, insbesondere die Geltungsabrede, seien aufgelöst worden520. Das 19. Jh. kannte einen solchen Auflösungsprozeß nicht. Im Gegenteil versuchten Gerichte wie das Handelsgericht Elberfeld die Einbeziehungsvoraussetzungen unter dem Einfluß der Willenstheorie zu verschärfen. Doch kommen wir zur herrschenden Meinung in der Rechtsprechung zurück. Sie verwies zur Begründung ihres Ergebnisses regelmäßig auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs521. Dies war sicherlich sachgerecht, stellte aber keine dogmatische Erklärung dar. Wie konnte eine solche also aussehen? In den Fällen, in denen der Vertragspartner eine Vertragsurkunde unterschrieb und wußte, daß diese AGB enthielt oder auf AGB Bezug nahm, war sein Irrtum über den genauen Inhalt der AGB als unwesentlicher Irrtum unbeachtlich522. Problematisch waren nur die Fälle, in denen er eine solche Vertragsurkunde unterzeichnete, ohne davon Kenntnis zu haben, daß sie überhaupt AGB oder eine Bezugnahmeklausel enthielt. Hier lag ein wesentlicher, unechter Irrtum vor523. Die Vertreter der Erklärungstheorie konnten auf das objektive Erklärte hinweisen. Diejenigen Vertreter der Willenstheorie, die einen unechten Irrtum nur bei dessen Entschuldbarkeit beachtlich sein lassen wollten, konnten darauf verweisen, daß derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterzeichnete, grob fahrlässig handelte und sich deshalb nicht auf seinen Irrtum berufen konnte524. Wollte man die Einbeziehung bei einem undeutlichen Hinweis 519 OAG Cassel (21.10.1859), SeuffA 14 (1861), 24; OTR Berlin (10.9.1868), SeuffA 25 (1872), 337, 337 f.; OAG Berlin (30.10.1873), SeuffA 29 (1874), 329, 330; OAG Berlin (26.1.1874), SeuffA 29 (1874), 356, 356 f.; ROHG (21.1.1876), SeuffA 32 (1877), 112, 112 f.; ROHG (20.10.1876), ROHGE 21, 185, 186; OTR Berlin (15.11.1877), SeuffA 34 (1879), 279; OAG Darmstadt (14.5.1855), SeuffA 10 (1856), 274, 274 f. (mit zu formalistischer Begründung: der vom Warenversender unterschriebene Frachtbrief sei eine von ihm ausgehende Urkunde; deshalb könne er sich nicht auf die Unkenntnis des Inhalts eines in dem Frachtbrief Bezug genommenen Reglements berufen). Vgl. auch Meier, Central-Organ 8 n.F. (1872), 18; Anonym, SeuffBl 4 (1839), 48. 520 Siehe unten § 7 (S. 203). 521 OAG Berlin (30.10.1873), SeuffA 29 (1874), 329, 331; ROHG (21.1.1876), SeuffA 32 (1877), 112, 112 f.; OAG Berlin (26.1.1874), SeuffA 29 (1874), 356, 356 f. 522 Siehe oben A (S. 104 f.). So auch ausdrücklich RG (8.2.1886), Gruchot 30 (1886), 1117. 523 Siehe oben A (S. 105). 524 Vgl. Siegel, AcP 111 (1914), 82 ff.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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nicht schon im Rahmen der Auslegung verneinen, so war es sicherlich nicht unentschuldbar, einen versteckten Hinweis zu übersehen525. Doch wie stand es mit den Vertretern der Willenstheorie, die auch dem unentschuldbaren unechten Irrtum Beachtlichkeit zumaßen? Heute würden wir die Figur der Risikoerklärung bemühen526: Wer eine Urkunde ungelesen unterzeichnet, kann über ihren Inhalt nicht irren, weil er sich ihren Inhalt zu eigen macht. Ähnliches können wir im 19. Jh. lesen527: »Wer eine dispositive Urkunde als Aussteller vollzieht, bekennt sich durch seine Unterschrift zu ihrem Inhalt, also zu der in ihr erklärten Disposition. Nach dem Rechtssatze: subscriptio tenet subscribentem entgeht er dieser Folge weder durch den Einwand, daß er den Inhalt der Urkunde nicht gekannt oder nicht gelesen habe, noch durch den Einwurf, daß ihm die Bedeutung des einen oder andern Ausdrucks unbekannt gewesen sei.«
Der Unterzeichnende bekannte sich, so das Reichsoberhandelsgericht, zum Inhalt der Urkunde, wie auch immer dieser Inhalt aussah. Andere Gerichte sprachen davon, daß der Unterzeichnende den Inhalt anerkannt oder sich angeeignet hat528. Es lag schon kein Irrtum vor. Zitelmann benutzte zur Umschreibung dieses Phänomens die Wendung der »unbestimmten Absicht«529. Etwas anderes wollte ein Teil der Literatur nur gelten lassen, wenn sich der Vertragspartner einen bestimmten Inhalt der Urkunde vorstellte. Dann sollte ein beachtlicher Irrtum vorliegen530. Doch selbst diejenigen, die einen Irrtum bejaht hätten, hätten eine Berufung auf ihn nicht einfach gelten lassen. Denn eine unterschriebene oder entgegengenommene Privaturkunde wurde prozeßrechtlich als außergerichtliches Geständnis über den Inhalt der Urkunde gewertet531, und wollte eine Partei dieses Geständnis im Prozeß wegen eines Irrtums entkräften, so oblag ihr die Beweislast532. Die Sicherheit des Verkehrs konnte nach dieser Ansicht also im Rahmen des Beweisrechts gewährleistet werden533.
525
Zu einer möglichen Erklärung nach der Erklärungstheorie Roever (1874), S. 36. Zu dieser Figur siehe noch unten § 7 II A (S. 227 f.) und § 13 II A 2 (S. 421). 527 ROHG (21.1.1876), SeuffA 32 (1877), 112, 112. 528 OTR Berlin (10.9.1868), SeuffA 25 (1872), 337, 337 f.; OAG Berlin (Oktober 1869), SeuffA 24 (1871), 353, 354; RG (8.2.1886), Gruchot 30 (1886), 1117, 1118. Vgl. auch Anonym, SeuffBl 4 (1839), 48; Eisele, JhJb 25 (1887), 435 f.; Zitelmann, JhJb 16 (1878), 398; Werthauer (1887), S. 47. 529 Zitelmann, JhJb 16 (1878), 398. 530 So z.B. Zitelmann JhJb 16 (1878), 399 f.; Ryck, FG Beseler (1885), S. 144 f. 531 Vgl. Renaud (1867), § 108 (S. 258) unter Hinweis auf Frachtbriefe. 532 Römer (1852), S. 84. 533 So das dem OAG Berlin (30.10.1873), SeuffA 29 (1874), 329, vorausgegangene und dort mitabgedruckte Urteil des AG. Vgl. hierzu auch Eisele, JhJb 25 (1887), 505 ff. 526
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
C. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen 1. Auslegung Die Vermutung, daß das ausdrücklich Erklärte gewollt war, half in solchen Fällen nicht weiter, in denen keine der Parteien gegenüber der jeweils anderen Partei ausdrücklich erklärt hatte, unter Einbeziehung der AGB kontrahieren zu wollen. Eine Einbeziehung konnte dann nur angenommen werden, wenn zumindest Handlungen vorlagen, die auf einen stillschweigend erklärten Willen beider Parteien hindeuteten. Daß ein Wille auch stillschweigend erklärt werden konnte, war im 19. Jh. ganz unbestritten534. Dernburg klärt darüber auf, wann ein solcher stillschweigend erklärter Wille angenommen werden durfte535: »Aber der Schluß muß nicht logisch zwingend sein; es genügt daß er empirisch begründet ist, d.h. der Lebenserfahrung entspricht. […] Gegen derartig auf Empirie gegründete Schlüsse steht […] der Gegenbeweis offen, daß im gegebenen Falle eine andere Absicht bestand […].«
Von einer stillschweigenden Einwilligung durfte also ausgegangen werden, wenn die Parteien Handlungen vornahmen, die üblicherweise Weise mit diesem Willen verbunden waren. Der wichtigste Anwendungsfall ist oben bereits begegnet: der Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB. Doch half ein Handelsbrauch bei der Auslegung wirklich weiter? Bei der Auslegung war der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen. Als Auslegungshilfe bediente man sich der Handelsbräuche. Der Handelsbrauch selbst sollte aber nur anwendbar sein, wenn dies gewollt und er Vertragsbestandteil geworden war536. Die Frage, ob der Handelsbrauch Geltung beanspruchen konnte, war damit eigentlich auch nur durch Auslegung zu ermitteln. Ein Auslegungskreisel hätte die Folge sein müssen. Doch bediente man sich eines Kunstgriffs. Man ging von der Vermutung aus, daß die Parteien das Übliche wollten, den Handelsbrauch also anerkannten. »Denn es ist im Zweifel das Uebliche, Gewöhnliche als gewollt anzunehmen, und die Betheiligten rechnen darauf, daß dieses Uebliche geschehe.«
So beschrieb Goldschmidt diese Regel griffig537. Und Laband führte aus538: 534
v. Savigny, System III (1840), § 131 (S. 245); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 64 (S. 100 f.); Baron (8. Aufl. 1893), § 62 (S. 118 f.); v. Keller (1861), § 57 (S. 110 f.); Mühlenbruch I (3. Aufl. 1839), § 98 (S. 197 f.); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 136 (S. 103). Vgl. außerdem Regelsberger, Pandekten I (1893), § 138 (S. 504 ff.). 535 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 98 (S. 230). 536 Siehe oben VI D (S. 100 ff.). 537 Goldschmidt, Handbuch I/1 (1. Aufl. 1864), S. 235 mit vielen Nachweisen auf historische Quellen, Partikularrechte und ausländische Rechte. 538 Laband, ZHR 17 (1872), 496 f.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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»Dagegen die blos faktische Uebung ist an sich in keiner Weise verpflichtend und rechtsverbindlich und Niemand ist gehalten, sich dem Gebrauche zu fügen und etwas, was Andere gewöhnlich zu thun, zu leisten, zu unterlassen, zu verabreden pflegen, ohne Weiteres ebenso zu halten. Es besteht nur die Vermuthung, daß dasjenige, was gewöhnlich und gebräuchlich ist und dadurch sich als zweckmäßig, vernünftig und billig erweist, stillschweigend genehmigt sei, falls diese Vermuthung mit den übrigen Umständen des konkreten Falls vereinbar ist. Es ist dies eine aus der Erfahrung abgeleitete Interpretationsregel. Der Handelsgebrauch begründet lediglich eine einfache Präsumtion, daß der Wille der Parteien positiv darauf gerichtet war, ihn als pars contractus anzuerkennen; […].«
Regelsberger spricht insoweit von einer ergänzenden Wirkung des Handelsbrauchs: Das ausdrücklich Erklärte wird um das übungsgemäß Gewollte ergänzt539. Diese Auslegungsregel war in Theorie und Praxis absolut herrschend540, für ihre Begründung verwies man auf römische Quellen541, leitete sie aus dem Grundsatz von Treu und Glauben her542, und sie fand gesetzliche 539
Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 100 ff.). Regelsberger, Pandekten I (1893), § 177 (S. 642); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 27 (S. 61); Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 7 (S. 21); Staub (1. Aufl. 1893), Art. 278 Rn. 1; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 58 ff.; v Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2; Puchelt I (2. Aufl. 1876), Art. 1 Anm. 7; Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 424 f.; Meier, Central-Organ 8 n.F. (1872), 19, 21; Voigtel, BuschA 6 (1865), 467 f.; ROHG (27.6.1871), ROHGE 3, 1; ROHG (8.12.1871), ROHGE 4, 243; ROHG (17.12.1872), ROHGE 8, 254; ROHG (16.1.1874), ROHGE 12, 213, 215. Kohler, JhJb 28 (1889), 210 f., ging einen Schritt weiter: es handele sich nicht um einen vermuteten Willen, sondern einen fiktiven Willen. Ogorek, ZHR 150 (1986), 97 ff., scheint davon auszugehen, daß es erst durch das ROHG zu einer Verobjektivierung der Auslegung kam; die Regeln, daß die Auslegung vom Wortlaut auszugehen habe und daß die Parteien im Zweifel das Übliche wollten, scheinen indes schon vor Schaffung des ROHG ganz herrschend gewesen zu sein. HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 63, erweckt den Eindruck, als wäre wirkliche Kenntnis des Handelsbrauchs erforderlich gewesen. Zum Beleg zitiert er ROHG (23.4.1872), ROHGE 6, 76, 78. Doch enthielt dieser Fall eine Besonderheit. Es ging um die Anwendung eines Handelsbrauchs auf einen Auswärtigen. Die Vertragsparteien hatten ihren Sitz in Berlin und Riga. Die Partei aus Berlin berief sich zu ihren Gunsten auf einen Handelsbrauch. Sie hatte jedoch versäumt zu behaupten, daß der Handelsbrauch nicht nur innerhalb Berlins, sondern auch im Verkehr mit Riga galt. Wohl nur deshalb konnte im Rahmen der Auslegung nicht vermutet werden, daß die Parteien den Handelsbrauch zur Anwendung kommen lassen wollten. Denn es stand nicht fest, daß auch für die Partei in Riga der Inhalt des Handelsbrauchs dem Üblichen entsprach. Daher verlangte das ROHG, daß die Partei aus Riga in Kenntnis des Handelsbrauchs hätte kontrahieren müssen. Diese Entscheidung stellt damit die Vermutung des Willens auf Anerkennung des Handelsbrauchs nicht generell in Frage. In diesem Sinne auch ausdrücklich Leonhard I (1882), S. 148 f.; Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 102): »Das Wissensollen [um die Existenz des Handelsbrauchs] steht hier dem Wissen gleich.« Im Sinne Vogenauers kann man indes ROHG (28.4.1877), ROHGE 22, 144, 146 und AG Zwickau (7.2.1877), BuschA 39 (1879), 186, verstehen. 541 Ulpian D. 21,1,31,20; Ulpian D. 50,17,34; Paulus D. 50,17,114. 542 Goldschmidt, Handbuch I (2. Aufl. 1875), S. 307 ff.; Regelsberger, Handelsgeschäfte (1882), § 238 (S. 387, 391); Laband, ZHR 17 (1872), 486 f., 497 (»Es genügt nicht der Nachweis in abstracto, daß ein Handelsgebrauch existirt, sondern es ist auch der Nachweis erforderlich, 540
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Anerkennung. So lautet Art. 1159 CC: »Ce qui est ambigu s’interprète par ce qui est d’usage dans le pays où le contrat est passé.« Und Art. 1160 CC ergänzt: »On doit suppléer dans le contrat les clauses qui y sont d’usage, quoiqu’elles n’y soient pas exprimées.« Ganz ähnlich bestimmte § 28 S. 2 Sächsisches BGB: »Soweit Rechte durch die Willkühr der Betheiligten begründet werden können, sind Gewohnheiten zu berücksichtigen, wenn anzunehmen ist, daß die Betheiligten das in gleichartigen Fällen Gewöhnliche beobachten wollten.«
Art. 1159 f. CC und § 28 S. 2 Sächsisches BGB formulieren eine allgemeine Regel, die auch für Nichtkaufleute galt. Die Bedeutung des Art. 279 ADHGB war dagegen prima facie auf Geschäfte zwischen Kaufleuten beschränkt. Nach einigen Einführungsgesetzen zum ADHGB sollte Art. 279 ADHGB indes auch darüber hinaus Anwendung finden. So lautete § 30 des Hamburgischen Einführungsgesetzes zum ADHGB von 1865543: »Die in Buch IV. Titel I. Abschnitt II. des Handelsgesetzbuches (Art. 278–336) enthaltenen Bestimmungen und die dazu gehörigen Bestimmungen dieses Gesetzes sollen allgemeine, nicht bloß auf Handelsgeschäfte und Kaufleute Geltung haben.«
Man sah die Art. 278 ff. als verallgemeinerungsfähig an, glaubte, daß es nicht gerechtfertigt sei, wenn bezüglich dieser Vorschriften unter Nichtkaufleuten etwas anderes gelte als unter Kaufleuten, und machte so aus den allgemeinen Bestimmungen über Handelsgeschäfte allgemeine Bestimmungen über Rechtsgeschäfte544. Das Übliche galt also als gewollt. Entsprach der Inhalt von AGB oder die Tatsache, daß überhaupt unter Einbeziehung von AGB kontrahiert wurde, dem Üblichen, so ging man entsprechend im Rahmen der Auslegung davon aus, daß auch die beiden Parteien ihren Vertrag den AGB unterstellen wollten545. Wollte eine Partei eine solche Vermutung schon im vornhinein vermeiden, so mußte sie ausdrücklich protestieren546. Selbstverständlich konnte eine Partei auch nachträglich vorbringen, daß der gemeinsame Wille beider Pardaß543die Parteien ihn haben befolgen wollen; nur daß das Letztere sich in der Regel nach dem Erforderniß der bona fides von selbst ergibt; […].«); Ulpian D. 21,1,31,20. Zu Treu und Glauben im Rahmen der Auslegung Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 99 (S. 233). Vgl. außerdem RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 76 f. 543 Zitiert aus L. Wächter, ArchWHR 15 (1866), 60. Ähnliches ergab sich aus einem Umkehrschluß aus Art. 44 des Königl. Württembergischen Gesetzes die Einführung des ADHGB betreffend von 1865, abgedruckt in Central-Organ 2 n.F. (1866), 297 ff. 544 L. Wächter, ArchWHR 15 (1866), 42 ff.; Martin, BuschA 7 (1866), XXI. Vgl. hierzu auch schon Bühler (1991), S. 207 ff. 545 Regelsberger, Handelsgeschäfte (1882), § 238 (S. 392); Kohler, JhJb 28 (1889), 209. 546 Vgl. allgemein Baron (8. Aufl. 1893), § 62 (S. 118 f.); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 64 (S. 100 f.); v. Keller (1861), § 57 (S. 110 f.); Thibaut I (2. Aufl. 1805), §§ 137 (S. 103 f.); ostpreußisches Tribunal Königsberg (16.11.1867), BuschA 14 (1868), 455, 457 f.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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teien ausnahmsweise nicht auf das Übliche gerichtet war und der Vertrag mithin abweichend vom Üblichen auszulegen sei547. In den vorliegenden Fällen konnte der Vertragspartner aber wohl nie beweisen, daß auch der Verwender die Einbeziehung der AGB trotz ihrer Üblichkeit bzw. trotz der Üblichkeit der Einbeziehung nicht gewollt hatte. 2. Irrtum Der Vertragspartner berief sich vielmehr darauf, daß nur er die Einbeziehung nicht gewollt hatte. Er machte einen Irrtum geltend. Für die Beantwortung der Frage, ob dieser Irrtum beachtlich war, muß wiederum differenziert werden: Wußte der Vertragspartner, daß der Vertragsschluß unter Einbeziehung von AGB üblich war und kannte er nur den genauen Inhalt der AGB nicht, so war sein Irrtum von vornherein unbeachtlich548. Es handelte sich um keinen wesentlichen bzw. unechten Irrtum. Anders lag der Fall, wenn der Vertragspartner nicht wußte, daß üblicherweise auf Grundlage von AGB kontrahiert wurde. Es lag dann ein unechter Irrtum vor. Nach v. Savigny mußte dieser Irrtum die Einbeziehung eigentlich immer verhindert haben. Die wohl herrschende Meinung berücksichtigte ihn dagegen nur, wenn er entschuldbar war. Da es sich bei einem Irrtum über einen faktischen Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB nicht um einen Rechtsirrtum, sondern um einen Tatsachenirrtum handelte549, galt dieser Irrtum nicht generell als unentschuldbar. Er war vielmehr entschuldbar, wenn die Partei weder wußte noch wissen mußte, daß ein entsprechender Handelsbrauch bestand550. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß bei dieser Frage zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten differenziert wurde. Ein solcher Irrtum eines Kaufmanns war eher unentschuldbar als einer eines Nichtkaufmanns. »Die Annahme eines auf die Geschäftsübung bezüglichen Willensentschlusses setzt die Kenntnis des Verfügenden von dieser Geschäftsübung voraus. Aber erforderlich ist die Kenntnis nur vom Dasein einer einschlagenden Geschäftsübung, nicht von ihrem Inhalt; eine Partei kann sich auch einer ihr unbekannten Regel unterwerfen. Ja noch mehr: wer in einen bestimmten geschäftlichen Verkehr eintritt, kann sich hinterher auf die Unkenntnis einer Geschäftsübung nicht berufen, sofern die mit ihm verkehrenden Personen seine Kenntnis vorausgesetzt haben und zu dieser Voraussetzung berechtigt waren. Das Wissensollen steht hier dem Wissen gleich.«
547 548
Laband, ZHR 17 (1872), 496 f. v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2 mit Fn. 4. Vgl. ferner Kohler, JhJb 28 (1889),
209. 549
Keyßner, Gruchot 12 (1868), 582. Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 279 Anm. 58. Vgl. außerdem Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 63. 550
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
So Regelsberger551. Und in der Fußnote ergänzt er552: »Wer sich in Börsengeschäfte einlässt, muss wissen, dass es allgemeine Börsenbedingungen giebt, welchen er sich unterwirft, wenn sie nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden.«
Hier bestätigt sich die Vermutung von oben553, daß die in der (insbesondere handelsrechtlichen) Literatur und Rechtsprechung immer wiederkehrende Bemerkung, daß für eine Einbeziehung der Eisenbahnreglements allein deren Veröffentlichung notwendig sei, nicht auf eine Normentheorie hindeutet. Daß Eisenbahnen unter Einbeziehung ihrer Reglements kontrahierten, wird schlicht einen Handelsbrauch i.S.d. Art. 279 ADHGB dargestellt haben. So erklärte Staub in seiner Kommentierung dieses Artikels554: »Das Kontrahieren mit öffentlichen Anstalten (z.B. Versicherungs-, Transportanstalten), welche Prospekte oder allgemeine Bedingungen versenden, seitens solcher Personen, welche ein Exemplar dieses Prospektes erhalten haben, gilt als Unterwerfung unter die Bedingungen (R.G. 13 S. 77). Willensbücher […] referirt dieses Urtheil nicht zutreffend, wenn er schon das Kontrahiren nach gehöriger öffentlicher Bekanntmachung des Prospektes als Unterwerfung unter denselben ansieht. Indessen wird man über das Urtheil des Reichsgerichts hinaus dies annehmen können. Es ist allgemein bekannt, daß allgemeine Verkehrsanstalten […] besondere Bedingungen (Tarife, Bestimmungen über Haftung für Verlust und Beschädigung u.s.w.) aufstellen müssen, um erspießlich zu wirken; denn die gesetzlichen Bestimmungen […] sind nicht für alle Betriebsarten gleich passend. Veröffentlicht eine solche Anstalt ihre allgemeinen Bedingungen, so muß von Jedem, der mit ihr kontrahirt, angenommen werden, daß er sich ihnen unterwirft, auch wenn er kein Exemplar des Prospekts empfangen oder gelesen hat.«
D. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders Das zur stillschweigenden Einbeziehung durch Handelsbrauch und Verkehrssitte Gesagte galt schließlich auch in den Fällen, in denen nur eine ausdrückliche Erklärung des Verwenders gegenüber dem Vertragspartner vorlag. So scheinen Aushänge nur beachtlich gewesen zu sein, weil und soweit sie üblich waren. Entsprach es der Üblichkeit, daß der Inhalt eines Vertrages durch einen Aushang bestimmt wurde, so konnte im Rahmen der Auslegung auf die Regel, daß die Parteien im Zweifel das Übliche wollten, zurückgegriffen werden. Es wurde vermutet, daß der Vertragspartner der Einbeziehung des Inhalts des 551 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 (S. 102). Ähnlich v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 279 Rn. 2 mit Fn. 4. Vgl. zudem Kohler, JhJb 28 (1889), 210 ff. 552 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 22 Fn. 11 (S. 102). Ebenso ders., Handelsgeschäfte (1882), § 238 (S. 392). 553 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 73. 554 Staub (1. Aufl. 1893), Art. 279 Rn. 5.
VII. Der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik
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Aushangs stillschweigend zugestimmt hatte555. Hatte der Vertragspartner den Aushang zwar gesehen, ihn aber nicht gelesen und wollte er sich nunmehr auf seine Nichtkenntnis vom Inhalt des Aushangs berufen, so wurde er nicht gehört. Es handelte sich um keinen wesentlichen bzw. unechten Irrtum556. Hatte der Vertragspartner den Aushang dagegen übersehen, so handelte es sich eigentlich um einen unechten Irrtum. Nach herrschender Meinung war er nur beachtlich, wenn er entschuldbar war557. Oben ist deutlich geworden, daß ein Aushang nur wirkte, wenn er deutlich sichtbar angebracht worden war. Diese Anforderung an den Aushang läßt sich schlüssig aus dem dogmatischen Rahmen heraus erklären: Versteckte Aushänge entsprachen eben nicht der Üblichkeit. Man hätte die Einbeziehung mithin schon im Rahmen der Auslegung verneinen können. Auf jeden Fall war aber das Übersehen eines versteckten Aushangs entschuldbar558. Wurde der Inhalt eines versteckten Aushangs nicht zum Vertragsinhalt, dann war der Wille des Verwenders, der ja die Einbeziehung wollte, unbeachtlich, »weil er schuldhaft versäumt hat, die Beschränkung zur Kenntnis zu bringen«559. Die Vertreter der Erklärungstheorie konnten in einem solchen Fall darauf verweisen, daß der Schluß daraus, daß der Vertragspartner mit dem Verwender einen Vertrag einging, darauf, daß er zugleich konkludent der Einbeziehung zustimmte, nur dann zulässig war, wenn dem Vertragspartner unterstellt werden konnte, er kenne den auf Einbeziehung gerichteten Willen des Verwenders. Konnte der Vertragspartner den Aushang nicht bemerken, weil er versteckt war, so schloß der Irrtum des Vertragspartners den nötigen Schluß von Handlung auf objektiv erklärten Willen aus560. Ähnliches wie für die Aushänge der Eisenbahnen wird für die Prospekte der Versicherungen und Transportanstalten gegolten haben. Der Inhalt eines Prospektes wurde zum Inhalt des Vertrages, soweit es üblich war, daß AGB in Prospekten abgedruckt waren561. Das Übersehen von AGB in solchen Prospekten war in der Regel unentschuldbar562, wenn sie nicht versteckt waren563. 555 556 557
So ausdrücklich Zitelmann, JhJb 16 (1878), 397. Etwas anders Zitelmann, JhJb 16 (1878), 398 und Scheiff (1879), S. 6. Windscheid, AcP 63 (1880), 94 ff.; Otto, WürttA 4 (1861), 121; Kohler, JhJb 28 (1889),
222 f. 558 Doch auch diejenigen, nach denen es auf die Entschuldbarkeit eines wesentlichen Irrtums nicht ankam, bejahten dieses Ergebnis; vgl. statt aller Hesse, AcP 57 (1874), 204. Vgl. außerdem Werthauer (1887), S. 48. 559 Kohler, JhJb 28 (1889), 224. 560 Vgl. allgemein, also nicht zur Einbeziehungsproblematik, Roever (1874), S. 36 f. 561 So ausdrücklich für einen Prospekt einer Dampfschiffahrtgesellschaft RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 76 f., unter Hinweis auf Art. 279 ADHGB. 562 Ganz ähnlich differenziert Kohler, JhJb 28 (1889), 251, bei der Frage, ob die auf einer Fahrkarte abgedruckten AGB miteinbezogen sind danach, ob der Vertragspartner die AGB verschuldet oder unverschuldet übersehen hatte. 563 RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 78.
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Der Vertragspartner war nach Treu und Glauben verpflichtet, sich mit dem Inhalt des ihm übersandten Prospekts vertraut zu machen564. Auch die widerspruchslose Annahme der Versicherungspolice konnte als stillschweigende Einwilligung in ihrem Inhalt ausgelegt werden, weil es üblich war, daß die Versicherungen den Inhalt des Versicherungsvertrages abschließend in dem Versicherungsschein niederlegten. Las der Versicherungsnehmer den Versicherungsschein nicht durch und war er deshalb im Irrtum über den Bedeutungsgehalt, der seiner Handlung, das ist die vorbehaltlose Annahme der Police, beigemessen wurde, so konnte er sich auf seinen Irrtum nicht berufen, weil es grob fahrlässig war, die Police nicht bei Erhalt durchzulesen. Er mußte den Prospekt bzw. die Police als »gewollte lex contractus gelten lassen«565.
VIII. Zusammenfassung Theorie und Praxis bewegten sich im 19. Jh. ganz auf Grundlage der heute sogenannten Vertragstheorie. Geltungsgrund der AGB war eine Einigung über ihre Einbeziehung, und bei einbezogenen AGB handelte es sich ihrer Rechtsnatur nach um Vertragsabreden. Zwar glaubte eine Mindermeinung, die Bestimmungen des vom Bundesrat erlassenen Betriebsreglements für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund und des ebenfalls vom Bundesrat erlassene Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands seien Rechtsnormen. Auch wurde auf der Grundlage der Arbeitsschutzgesetze von 1891 eine normative Geltung der Arbeitsordnungen diskutiert. Und schließlich wurde für die Reglements der Telegraphenanstalten die Forderung aufgestellt, daß sie als Normen erlassenen werden sollten. Mit der uns heute bekannten Normentheorie hat das alles indes nichts gemein. Trotz der dogmatischen Einordnung einbezogener AGB als Vertragsabreden war man sich schon im 19. Jh. des normativen Charakters von AGB ebenso bewußt wie der Tatsache, daß den AGB in der Wirklichkeit ähnliche Geltung zukommt wie Gesetzen. So führte Schott 1885 zum normativen Charakter von AGB aus566: »Diese Vertragsnormen kommen den Rechtsnormen dadurch nahe, dass sie Regeln zum Inhalt haben, welche wie die Rechtsnormen unter den entsprechenden Voraussetzungen stets und gleichmässig zur Anwendung kommen sollen.«
Und v. Gerber erläurterte 1859 zur Wirklichkeit der Statuten von Aktiengesellschaften und Korporationen567: 564 565 566 567
RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 76 f. RG (8.12.1883), RGZ 13, 68, 77. Schott, Transportgeschäft (1885), § 353 (S. 468). v. Gerber, JhJb 3 (1859), 412.
VIII. Zusammenfassung
123
»Bezüglich der s.g. Autonomie der Corporationen und Aktiengesellschaften bleibe ich nach wie vor bei meiner Behauptung, daß ihre Statuten nichts Anderes als Dispositionen sind, welche bestehende Rechtsinstitute und Rechtssätze zur Anwendung bringen, nicht aber Verfügungen, welche selbst Rechtssätze erzeugen. Die Statuten solcher Gesellschaften erscheinen nur dem Auge des Laien als ein aus einem Gusse geschaffenes Ganzes, als eine legislatorische Schöpfung; dem prüfenden Juristen stellt sich sofort die äußere Einheit als eine nur scheinbare und formelle dar, vor seinem Blicke löst sich das Ganze in eine Summe einzelner vertragsmäßiger Bestimmungen ganz verschiedener Charakter auf.«
Und in einer Fußnote fügte v. Gerber hinzu, daß dasselbe auch für die Eisenbahnreglements gelte568. Ganz ähnlich erläuterte Endemann 1881 zu dem Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands569: »Ihnen allen [den Kunden] ist das Reglement so gut wie Gesetz, weil sie das Eine wissen, daß die Eisenbahnen […] anders auf Geschäfte sich nicht einlassen. Thatsächlich ist es Norm, der sich gefügt wird […]. Die Unterscheidung von Gesetz […] [und] Vertragsbedingung […] zu begreifen, wer mag sich dazu Mühe geben?«
v. Gerber und Endemann ordneten die Reglements der Eisenbahnen hier nicht dogmatisch ein, sondern stellten Thesen zur Wirklichkeit der Eisenbahnreglements auf, Betrachtungen, die wir heute der Rechtssoziologie zuordnen würden. Andere Autoren verwiesen ebenfalls regelmäßig auf den normativen Charakter von AGB und auf ihre tatsächliche Geltung570. Zudem war schon im 19. Jh. der Begriff der Unterwerfung weit verbreitet571, der nach heutiger Ansicht eher auf eine normative Geltung der AGB hindeuten soll. Laband bezeichnete AGB als »Normativbedingungen«572 und das Reichsoberhandelsgericht als »Normen«, aber nicht im Sinne von »Rechtsnormen«, sondern von »Vertragsbestimmungen«573. Das Reichsoberhandelsgericht nannte die AVB in Übersetzung der Wendung lex contractus sogar »Vertragsgesetz«574. Dogmatische Schlußfolgerungen zog man aus all diesen Begrifflichkeiten nicht. 568
v. Gerber, JhJb 3 (1859), 412 Fn. 1. Endemann, BuschA 42 (1882), 245 f. 570 Siehe oben II C 2 (S. 51). 571 Laband, ZHR 17 (1872), 480, 498; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 272; Reyscher, ZDR 19 (1859), 309; Malß, ZHR 13 (1869), 93; Benecke/Nolte I (1851), S. 420; Staub (1. Aufl. 1893), Art. 279 Rn. 5; Mittermaier, AcP 47 (1864), 243; Otto, WürttA 4 (1861), 120; Voigtel, BuschA 6 (1865), 465; OAG Dresden (8.8.1850), ZVersR 2 (1868), 176, 178; HG Köln (27.9.1850), RheinA 47/2 (1852), 35, 36; OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236, Nr. 49; OAG Cassel (22.12.1865), SeuffA 20 (1867), 421, Nr. 252; AG Naumburg (2.12.1867), PreußVersZ 2 (1868), 853; ROHG (13.6.1871), ROHGE 3, 59, 62; ROHG (25.5.1872), ROHGE 6, 175, 176. 572 Laband, ZHR 17 (1872), 482 f.; Falk, Versicherungswesen (1885), S. VI f. 573 ROHG (30.11.1875), ROHGE 19, 184, 186 f. Vgl. auch ROHG (2.9.1871), ROHGE 3, 85; RG (24.4.1883), RGZ 9, 261. 574 ROHG (30.10.1873), ROHGE 11, 271, 273. Ähnlich, aber unter Rückgriff auf Art. 1134 CC ROHG (15.3.1873), ROHGE 9, 338, 340. Ziegler, Denkschrift (1897), S. 184 spricht davon, daß Versicherungen in Ermangelung gesetzlicher Bestimmungen »Gesetzgeber spielen mußten«. 569
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§ 2. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Eine Einigung über die Einbeziehung der AGB wurde angenommen, wenn der Verwender den Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß ausdrücklich auf seine AGB hingewiesen hatte und der Vertragspartner sodann ausdrücklich der Einbeziehung zugestimmt hatte, so z.B., wenn die AGB in einer vom Verwender herrührenden Urkunde enhalten oder in Bezug genommen worden waren und diese Urkunde vom Vertragspartner unterzeichnet worden war. So lag es bei den Frachtbriefen. Voraussetzung war allerdings, daß, sofern die AGB nicht in vollem Umfang in der Urkunde abgedruckt waren, dem Vertragspartner die Möglichkeit gewährt worden war, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Im Frachtverkehr gewährleisteten die Verwender dies durch eine Veröffentlichung der AGB. Doch auch wenn eine ausdrückliche Zustimmung des Vertragspartners fehlte, konnte eventuell aus der Tatsache, daß er den Vertrag mit dem Verwender einging, auf seine stillschweigende Zustimmung zur Einbeziehung der AGB geschlossen werden. Das war immer dann der Fall, wenn der Verwender den Vertragspartner ausdrücklich vor oder bei Vertragsschluß auf seine AGB hinwies und ihm zugleich die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der AGB gewährte. So genügte es grundsätzlich, wenn ein Versicherer einen Versicherungsnehmer in der Police auf veröffentlichte oder beigefügte AVB verwies. Die vorbehaltlose Annahme der Police wurde als stillschweigende Zustimmung zu ihrem Inhalt gedeutet. Ein Hinweis auf die AGB konnte auch durch Aushang erfolgen. Ein solcher Aushang war nur möglich, wenn der Vertragsschluß an einem typischen Ort stattfand, wie dies beim Personentransport der Eisenbahnen am Schalter der Fall war, und die AGB an diesem Ort deutlich angeschlagen waren. Dagegen genügte es für eine Einbeziehung grundsätzlich nicht, wenn der Verwender seine AGB lediglich veröffentlicht, es indes unterlassen hatte, den Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß auf diese veröffentlichten AGB hinzuweisen. Ebensowenig war es ausreichend, wenn der Vertragspartner wissen mußte, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren wollte, solange er nicht auf die AGB vom Verwender hingewiesen worden war oder solange das Kontrahieren unter Einbeziehung von AGB nicht einem Handelsbrauch entsprach. Ja, das Wissenmüssen des Vertragspartners tauchte im 19. Jh. nur im Rahmen des Irrtumsrechts auf. War im Rahmen der Auslegung ermittelt worden, daß der vermutete gemeinsame Wille der Parteien auf eine Einbeziehung gerichtet war, dann konnte sich der Vertragspartner auf seinen vom vermuteten Willen abweichenden wirklichen Willen dann nicht berufen, wenn er wissen mußte, daß unter Einbeziehung der AGB kontrahiert wurde, und somit sein Irrtum unentschuldbar war. Damit unterschied sich die Rechtslage im 19. Jh. von der heutigen kaum. Die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB galten schon im 19. Jh. Und auch bezüglich der Anforderungen, die an einen Aushang gestellt wurden, lassen sich Übereinstimmungen feststellen. Die Äußerungen Gold-
VIII. Zusammenfassung
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schmidts575 wie auch Ulpian D. 14,3,11,3–4576 könnten heute noch als Kommentierung zu § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB erscheinen. Goldschmidts auf Ulpian D. 14,3,11,3 gemünzter Ausspruch577: »Jeder einzelne Satz dieser vortrefflichen Entwicklung ist heute ebenso anwendbar, wie zur Römerzeit«, hat noch heute Gültigkeit und könnte auch auf Goldschmidts eigene Äußerungen bezogen werden. Weiterhin erkannte man schon im 19. Jh. die besondere Probleme, die sich bei der Frage um die Einbeziehung von AGB ergeben: So war umstritten, ob aus der bloßen Kenntnis des Vertragspartners von den AGB des Verwenders auf ein stillschweigendes Einverständnis des Vertragspartners zur Einbeziehung der AGB geschlossen werden dürfe, und man war sich bewußt, daß der Vertragspartner AGB wegen ihres Umfangs und in dem Bewußtsein, daß er ihren Inhalt ohnehin nicht beeinflussen kann, in der Regel nicht liest. Bei den Aushängen der Gastwirte wurde zudem darauf hingewiesen, daß ausländische Gäste Aushänge oftmals gar nicht lesen können, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Schließlich erkannte man, daß sich die Vertragsfreiheit des Vertragspartners in der Regel darauf beschränkt, entweder den Vertrag unter Einbeziehung der ihm gestellten AGB einzugehen oder aber auf einen Vertragsschluß ganz zu verzichten. Zum Teil reagierten die Gesetzgeber auf diese Probleme, so im Versicherungsrecht und im Gastwirtsrecht. Gerade im Versicherungsrecht war ausdrücklicher Zweck dieser Sondervorschriften, Transparenz zu schaffen. Doch bestanden auch Unterschiede zum heute geltenden Recht: So galten die Einbeziehungsvoraussetzungen allgemein, also auch für AGB, die Kaufleuten gegenüber verwandt wurden: Auch Kaufleute mußten in der Regel vor oder bei Vertragsschluß ausdrücklich oder, sofern ein solcher üblich war, durch Aushang auf AGB hingewiesen worden sein und ihnen mußte ebenfalls die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der AGB gewährt werden. Nur dann konnte unterstellt werden, daß sie der Einbeziehung stillschweigend bei Vertragsschluß zugestimmt hatten. Was heute besondere Einbeziehungsvoraussetzungen sind, waren damals allgemeine Einbeziehungsvoraussetzungen. Bedeutendster Unterschied zum geltenden Recht ist indes, daß man im 19. Jh. die Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten vermochte. Zwischen Einbeziehungsvoraussetzungen und dogmatischem Rahmen der Einbeziehungsproblematik bestand ein Einklang.
575 576 577
Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 32). Zitiert oben § 2 I (S. 24 f.). Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 601 Fn. 31.
§ 3. Auslegung Nach § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung von AGB zu Lasten ihres Verwenders. Eine entsprechende allgemeine Regel der Vertragsauslegung kennt das geltende Recht nicht. Zudem sollen die konkreten Umstände des Einzelfalls, die in die Auslegung üblicherweise einfließen, ausgeblendet bleiben. AGB werden objektiv ausgelegt, so umschreibt die Literatur diese Besonderheit. Etwas anderes soll nur gelten, wenn sich das vom objektiven Bedeutungsgehalt der AGB abweichende Parteiverständnis in einer vorrangigen Individualabrede manifestiert hat. Schließlich ist die Auslegung von AGB anders als die aller übrigen Vertragsabreden immer revisibel. Die Auslegung von AGB weicht damit nach geltendem Recht in mehrfacher Hinsicht von den üblichen Regeln ab.
I. Der dogmatische Rahmen: Die Vertragsauslegung Die Auslegung von Rechtsgeschäften hatte sich im 19. Jh. noch nicht vollständig von der Gesetzesauslegung emanzipiert. Grundsätzlich waren die Regeln zur Gesetzesauslegung anwendbar1. Doch bildeten sich Besonderheiten für die Auslegung von Rechtsgeschäften heraus. Ziel der Auslegung war nach der herrschenden Willenstheorie die Ermittlung des wirklichen Willens des Erklärenden2. Für die Vertragsauslegung wurde dieses Ziel konkretisiert. Der gemeinsame Wille beider Parteien sollte erforscht werden3. Zur Bewältigung dieser Aufgabe stand ein Kanon von Auslegungsregeln zur Verfügung4. Ihr Ausgangspunkt war dabei die Frage, wie der Richter im Prozeß den gemeinsamen Willen der Parteien feststellen kann. Deshalb sprach man von einer richterlichen Auslegung5. Die Auslegungsregeln formulierten für die Feststellung des gemeinsamen Willens der Parteien eine Reihe von Vermutungen. Vermutungsfolge war dabei jeweils, daß von einem entsprechenden wirklichen gemeinsa1 Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); v. Keller (1861), § 59 (S. 114); Mühlenbruch I (3. Aufl. 1839), § 115 (S. 225); v. Savigny, System III (1840), § 131 (S. 244). 2 Statt aller Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 290); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.). 3 Statt aller Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40 f.). 4 Zum folgenden Zimmermann (1990), S. 637 ff.; H. Honsell, FG Kaser (1986), S. 74. 5 Statt aller Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120).
I. Der dogmatische Rahmen: Die Vertragsauslegung
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men Willen ausgegangen werden konnte. Der wirkliche Wille ist eine Tatsache. Es handelte sich mithin um Tatsachenvermutungen. Zum Vermutungstatbestand gehörten ausschließlich objektive Umstände wie das objektiv Erklärte. Aus praktischer Sicht ist das geradezu selbstverständlich. Denn wie sonst hätte der Richter im Prozeß auf den wirklichen Willen schließen sollen als durch Anknüpfung an solche nach Außen tretenden, objektiven Umstände. Aber stand dies nicht im Widerspruch zur Willenstheorie? Ein solcher Widerspruch hätte nur dann vorgelegen, wenn Ziel der Auslegung die Ermittlung des objektiv Erklärten gewesen wäre. Auslegungsziel war aber die Ermittlung des wirklichen Willens. Und Verpflichtungsgrund war ebenfalls dieser wirkliche Wille und nicht das objektiv Erklärte. Nur wurde der wirkliche Wille auf Grundlage objektiver Umstände vermutet. Der Wortlaut stand im Zentrum der Auslegung. Der Richter durfte vermuten, daß das objektiv Erklärte gewollt war. Doch blieb man nicht bei dem objektiv Erklärten stehen. Beide Parteien konnten diese Vermutung durch eine übereinstimmende Erklärung, daß ihr Wille bei Vertragsschluß auf etwas anderes als das objektiv Erklärte gerichtet gewesen war, entkräften6. Die Juristen des 19. Jh. sprachen dann von einer authentischen Auslegung, weil nicht der Richter die Auslegung vornahm, sondern die Urheber des auszulegenden Vertrags selbst den Richter darüber aufklärten, wie der Vertrag zu verstehen ist. Auch eine Partei konnte die Vermutung, daß das objektiv Erklärte gewollt war, entkräften. Allerdings mußte sie dann den gemeinsamen vom objektiv Erklärten abweichenden Willen beider Parteien beweisen, und hierfür konnte sie ihrerseits auf objektive Umstände verweisen, so auf objektive Erklärungen während der Vertragsverhandlungen, auf andere äußeren Umstände, auf die erkennbaren Ziele des Rechtsgeschäfts oder auf Verkehrssitten7. Die Vermutung, daß das objektiv Erklärte gewollt war, half dem Richter freilich nur bedingt. Nun mußte er das objektiv Erklärte auslegen. Auch für dessen Auslegung konnte er auf Tatsachenvermutungen zurückgreifen. Waren die gewählten Worte klar und eindeutig, so wurde vermutet, daß die Parteien genau diesen klaren Bedeutungsinhalt für sich wollten8. Freilich blieb man hier nicht stehen9: Die Parteien konnten diese Vermutung wiederum entkräften. 6 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 290 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Mackeldey I, § 179b (S. 253 f.); Arndts (11. Aufl. 1883), § 75 (S. 114); C.F. Koch II (2. Aufl. 1859), § 91 (S. 222); Pernice, ZHR 25 (1880), 119. Vgl. auch § 809 SächsBGB; Art. 145 DresdE. 7 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 290); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Wächter, AcP 19 (1836), 114. 8 Statt aller Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209 f.); RG (17.9.1887), RGZ 19, 132, 133. 9 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 290); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 420; Pernice, ZHR 25 (1880), 119.
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§ 3. Auslegung
Sie konnten übereinstimmend erklären, daß sie die an sich eindeutigen Worte in einem abweichenden Sinn gebrauchen wollten. Oder eine Partei bewies einen solchen abweichenden Willen beider Parteien. Daß es möglich war, den Vertrag entgegen seinen klaren Wortlaut auszulegen, ist keine Selbstverständlichkeit. ALR I 4 § 65 bestimmte: »Der Sinn jeder ausdrücklichen Willenserklärung muß nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte und Zeichen verstanden werden.«
Der Richter war danach an die gewöhnliche Bedeutung gebunden. Umso mehr muß es ihm verwehrt gewesen sein, sich in Widerspruch zu einem klaren Wortlaut zu setzen. Ganz in diesem Sinne erklärten Benecke und Nolte, AVB müßten »buchstäblich verstanden werden, wo sie klar und deutlich sprechen«10. Die herrschende Ansicht sah das anders11. Und auch Art. 278 ADHGB formulierte im bewußten Gegensatz zum ALR12: »Bei Beurtheilung und Auslegung der Handelsgeschäfte hat der Richter den Willen der Contrahenten zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.«
Allerdings wird es umso schwieriger gewesen sein, eine grammatische Auslegung zu entkräften, je eindeutiger die gewählten Worte waren13. Worte sind indes selten klar und eindeutig. Sie können an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen haben. Hier half die Vermutung, daß die Parteien den gewählten Worten den Sinn beilegen wollten, den sie am Ort und zum Zeitpunkt der Erklärung üblicherweise hatten14. Auch wenn man hierin schon eine Unklarheitenregel erkennen könnte, rechneten die Juristen des 19. Jh. diese Auslegungsregel noch der grammatischen Auslegung zu15. Benutzten die Parteien im Verkehr übliche 10
Benecke/Nolte I (1851), S. 417. Regelsberger, Pandekten I (1893), § 177 (S. 642); v. Savigny, Obligationenrecht II (1853), § 71 (S. 190); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 404); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Pernice, ZHR 25 (1880), 107 f., 119; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 278 Anm. 51; v. Hahn II (2. Aufl. 1875), Art. 278 Rn. 1; Anschütz/v. Völderndorff III (1874), Art. 278 Anm. 2.; Siebenhaar/Pöschmann II (2. Aufl. 1869), zu § 809 (S. 103); Wolff, CentralOrgan 6 n.F. (1870), 420, 424; Voigtel, BuschA 6 (1865), 469; OTR Stuttgart (6.6.1856), SeuffA 12 (1859), 26; OAG Jena (o.D.), BuschA 8 (1866), 196, 198; BOHG (4.4.1871), BOHGE 2, 183. 12 Ebenso § 809 SächsBGB; Art. 145 DresdE. Vgl. auch Papinian D. 50,16,219. 13 Vgl. zum ganzen auch HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 75 ff. 14 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291 f.); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209); § 810 SächsBGB; Art. 146 f. DresdE; Ulpian D. 50,17,34. 15 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 53 (S. 39 f.). Anders C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 403 ff.): Unklarheitenregel. Ebenso Zimmermann (1990), S. 638. 11
I. Der dogmatische Rahmen: Die Vertragsauslegung
129
Geschäftsformulare und stand die Auslegung dieser Geschäftsformulare im Verkehr fest, so wurde vermutet, daß die Parteien auch dieses gewöhnliche Verständnis der Geschäftsformulare ihrem Vertrag zugrunde legen wollten16. Das gleiche galt für einen auf bestimmte Verkehrskreise beschränkten oder auch nur zwischen den Parteien üblichen Gebrauch der Worte. In diesen Fällen galt das Übliche als gewollt17. Mackeldey sprach anschaulich von einer usuellen Interpretation, weil sie sich eben an die herkömmlich gebräuchliche Bedeutung der Worte anlehnte18. Auch in diesen Fällen stand es den Parteien offen, diese Vermutung zu entkräften19, sei es durch übereinstimmende Erklärung, sie hätten vom Üblichen abweichen wollen, oder sei es durch den Beweis eines solchen gemeinsamen abweichenden Willens durch eine der Parteien. Besondere Probleme bereitete die im letzten Absatz vorgestellte Vermutung, wenn sich die Vertragsparteien bei Erklärung von Angebot und Annahme an verschiedenen Orten befanden. Die auszulegenden Worte konnten an diesen Orten einen unterschiedlichen üblichen Bedeutungsinhalt haben. Die Vermutung, daß die Parteien das Übliche wollten, basierte ihrerseits auf der Vermutung, daß die Parteien die Erklärung in Kenntnis des Üblichen abgegeben hatten und damit das Übliche stillschweigend zum Bestandteil ihrer Erklärung gemacht hatten20. Befanden sich die beiden Parteien nun aber bei Erklärung von Angebot und Annahme an verschiedenen Orten und war an diesen Orten Unterschiedliches üblich, so war dieser Tatsachenvermutung die Basis entzogen. Es konnte nicht unterstellt werden, daß der Annehmende den üblichen Sprachgebrauch des Antragenden kannte, daß er das Angebot in Kenntnis dieses üblichen Sprachgebrauchs angenommen und damit auch zum Inhalt seiner eigenen Annahmeerklärung gemacht hatte. Deshalb mußte in einem solchen Fall dem Annehmenden Kenntnis oder unentschuldbare Unkenntnis des am Ort des Antragenden Üblichen nachgewiesen werden21. Ähnliches galt, wenn die Parteien unterschiedlichen Verkehrskreisen angehörten. Blieben die auszulegenden Worte nach Anwendung dieser Vermutungsregeln zweideutig, so griffen die sogenannten Unklarheitenregeln ein. Anders als das heutige AGB-Recht kannte das 19. Jh. nicht nur eine Unklarheitenregel, sondern gleich mehrere22: Verträge waren so auszulegen, daß sie möglichst 16
Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291 f.). Siehe schon oben § 2 VII C 1 (S. 116 ff.). 18 Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.). 19 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291 f.). 20 Siehe oben § 2 VII C 1 (S. 116 ff.). 21 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.). Vgl. aber auch Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209 f.). 22 Sie wurden auch von den Vertretern der Erklärungstheorie anerkannt; vgl. z.B. Hasenöhrl I (2.Aufl. 1892), § 54 (S. 689 f.); Kohler, JhJb 28 (1889), 213 f. 17
130
§ 3. Auslegung
gültig blieben23. Weiterhin war die Auslegung zu wählen, die der Natur des Vertrages am ehesten entsprach24 und mit welcher der von den Parteien verfolgte Zweck erzielt werden konnte25. Und schließlich kam die contra proferentem-Regel zum Einsatz. Sie war nur anwendbar, wenn die vorstehenden Regeln zu keinem Ergebnis führten. Sie war römischen Ursprungs. Ihre historische Entwicklung hat jüngst Vogenauer zusammengefaßt26. Heute besagt sie, daß eine Klausel gegen den Verwender auszulegen ist. Im 19. Jh. gab es dagegen unterschiedliche Ausformungen dieser Regel27. Zum Teil wurde darauf abgestellt, daß bei einer übernommenen Last im Zweifel die geringere Belastung anzunehmen sei28. Ganz in diesem Sinne formulierte Thibaut, es sei »der Sinn vorzuziehen, welcher dem Verlierenden am wenigsten nachtheilig ist«29. Andere meinten, eine unklare Formulierung sei gegen ihren Urheber auszulegen30. Wieder andere erklärten, Kaufverträge seien gegen den Verkäufer, Mietverträge gegen den Vermieter und Stipulationen gegen den Stipulator auszulegen31. Die Einzelheiten zu diesen Ausformungen dieser Unklarheitenregel
23 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 53 (S. 39 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 405); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Arndts (11. Aufl. 1883), § 75 (S. 114); Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 278 Anm. 56; § 813 SächsBGB; Art. 148 DresdE; Ulpian D. 45,1,80. 24 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 53 (S. 39 f.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 405); Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Arndts (11. Aufl. 1883), § 75 (S. 114); Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 422; Art. 148 DresdE; Iulian D. 50,17,67. 25 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Art. 148 DresdE. 26 HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 13 ff. Vgl. zudem Troje, SDHI 27 (1961), 93 ff.; Krampe (1983), S. 11 ff.; Wacke, JA 1981, 666 f.; H. Honsell, FG Kaser (1986), S. 73 ff.; Behrends, FS Otte (2005), S. 457 ff. 27 Vgl. Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 346 (S. 288); Windscheid/Kipp I (9. Aufl. 1906), § 84 (S. 445); v. Savigny, Obligationenrecht II (1853), § 71 (S. 192 ff.); Göschen I (1838), § 109 (S. 316 ff.); Voigtel, BuschA 6 (1865), 473; Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 423; ROHG (25.6.1872), SeuffA 27 (1873), 165. Vgl. zudem HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 24 f., der die verschiedenen Unklarheitenregeln in den Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen des 19. Jh. darstellt. 28 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 405); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 423; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 278 Anm. 56; Art. 149 DresdE; § 813 SächsBGB; Celsus D. 45,1,99 pr. Vgl. aus der modernen Forschung Zimmermann (1990), S. 639 ff. 29 Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 53 (S. 39 f.). 30 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209 f.); Arndts (11. Aufl. 1883), § 75 (S. 114); Unterholzner I (1840), Rn. 41 (S. 85 f.); Wolff, CentralOrgan 6 n.F. (1870), 423; Gareis/Fuchsberger (1891), Art. 278 Anm. 56; OAG Lübeck (29.1.1846), Frankfurter Rechtssachen 4 (1861), 11, 19 f.; OAG Lübeck (19.3.1849), Frankfurter Rechtssachen 2 (1856), 55, 64 f.; Paulus D. 18,1,21. 31 Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 20) ; C.F. Koch II (2. Aufl. 1859), § 91 (S. 228 f.); Pomponius, D 18,1,33; Papinian D. 2,14,39; Paulus D. 18,1,21; Paulus D. 50,17,172; Ulpian D. 45,1,38,18.
I. Der dogmatische Rahmen: Die Vertragsauslegung
131
waren umstritten. Regelsberger wollte sie einfach nebeneinander anwenden32. Baron stellte sie dagegen in ein Stufenverhältnis33: »Handelt es sich um den Umfang und die Tragweite einer übernommen Verpflichtung, einer aufgelegten Belastung, so ist im Zweifel gegen denjenigen, welcher den Wortlaut der Verpflichtung abgefaßt hat, zu interpretiren, und wo dies nicht angeht, ist das Geringere anzunehmen (daher ist eine Stipulation, ein Kauf-, ein Miethvertrag im Zweifel gegen den Gläubiger zu interpretiren) […].«
Und Puchta erklärte die eine Ausformung mit der anderen34: »Sodann ist im Zweifel das Geringere, das weniger Belästigende anzunehmen, also zum Vortheil des Verpflichteten zu interpretieren. Dieß hat bey Verträgen auch den Grund, daß der Gläubiger die Hauptperson ist, welcher die genaue Fassung vorzugsweise obliegt, und so wird auch bey gegenseitigen Verträgen, wo beide Theile Verpflichtete sind, im Zweifel zum Nachtheil dessen, der als Hauptperson gilt, interpretirt.«
v. Wächter kritisierte die Regel, daß gegen den Urheber einer Formulierung auszulegen ist: Sie würde dazu führen, daß keine der Parteien mehr die Abfassung des Vertrages übernimmt35. Und Dernburg wollte eine Auslegung gegen den Urheber einer zweideutigen Erklärung nur dann zulassen, wenn die andere Partei die zweideutige Erklärung übersehen hatte36. Die contra proferentem-Regel war schließlich nicht nur in der Literatur anerkannt, sondern sie spielte auch in der Praxis eine maßgebliche Rolle, und zwar selbst dort, wo sie nicht kodifiziert worden war37. Auch die Unklarheitenregeln bestimmten das Auslegungsergebnis nur im Zweifel38. Beide Parteien konnten nachweisen, daß das so erzielte Auslegungsergebnis gerade nicht gewollt war. Auch die Unklarheitenregeln wurden als bloße Vermutungen verstanden39. So wollte man die Auslegung gegen den Urheber einer Formulierung mit der Vermutung rechtfertigen, der Urheber hätte sich klarer ausgedrückt, hätte er die Klausel in dem ihm günstigen Sinne verstanden wissen wollen. Bei einigen Autoren klingen indes auch materielle Gründe an. So erscheinen die Unklarheitenregeln als Ausfluß der bona fides40. Andere führten die eigentliche contra proferentem-Regel auf den Gedanken zurück, derjenige, von dem die Formulierung ausgeht, hätte sich eben deutli32
Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.). Baron (8. Aufl. 1893), § 63 (S. 120). 34 Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.). Ähnlich ROHG (25.6.1872), SeuffA 27 (1873), 165. Vgl. auch Papinian D. 2,14,39. 35 C.G. v. Wächter, Pandekten I (1880), § 81 (S. 405). Ähnlich auch Siebenhaar/ Pöschmann II (2. Aufl. 1869), S. 104 zu § 813 SächsBGB. 36 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 292 f.). 37 Vgl. hierzu HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 27. 38 Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.). 39 Vgl. hierzu HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 115. 40 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 292 f.). 33
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§ 3. Auslegung
cher ausdrücken müssen und ihn treffe die Verantwortung bzw. Schuld an der Unklarheit41. Ziel der Auslegung war die Ermittlung des wirklichen Willens. Auslegungsergebnis war in der Regel ein vermuteter Wille. Das wurde von den Juristen des 19. Jh. erkannt, aber als wenig problematisch angesehen42: »Es wird der Auslegung häufig nicht gelingen, über die blosse Wahrscheinlichkeit hinauszukommen. Das ist kein Grund ihr Ergebnis abzulehnen.« Führten all diese Regeln zu keiner Klärung, so war der Vertrag ungültig43.
II. Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen A. Die contra proferentem-Regel »Die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Theil aller von einer Gesellschaft zu schließenden Verträge werden sollen, sind […] wie Verträge […] auszulegen.«
So formulierte es Hinrichs 187544. Bei Auslegungszweifeln galten daher auch die Unklarheitenregeln und insbesondere die uns heute noch bekannte contra proferentem-Regel45, und schon damals war man sich ihrer Bedeutung für die Auslegung von AGB bewußt46. Für ihre Anwendung war eigentlich nur Platz, wenn die Unklarheit nicht bereits durch die vorrangigen Auslegungsregeln beseitigt werden konnte. Doch wurde sie etwa im Versicherungsrecht sehr großzügig angewendet. Man legte AVB selbst dort zugunsten des Versicherungsnehmers aus, wo keine Unklarheit verblieb, um so unbillige Ergebnisse 41 Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 346 (S. 288); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.); Puchta, Pandekten (11. Aufl. 1872), § 66 (S. 103 ff.); Vering (5. Aufl. 1887), § 91 (S. 209 f.); Wolff, Central-Organ 6 n.F. (1870), 423. 42 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 178 (S. 641 ff.). 43 Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179b (S. 253 f.); Thibaut I (2. Aufl. 1805), § 54 (S. 40 f.); Vering (5. Aufl. 1887); § 91 (S. 209 f.). 44 Hinrichs, ZHR 20 (1875), 391. Vgl. auch Pöhls IV/2 (1834), S. 521; Ehrenberg I (1893), S. 85 ff.; RG (11.1.1884), RGZ 10, 105, 107. 45 Ehrenberg I (1893), S. 86; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 392; Lewis, Seerecht II (2. Aufl. 1884), Art. 782 Anm. 1 (S. 247 f.); Marwitz, Gruchot 35 (1891), 229 f.; OGH Wien (7.12.1864), PreußVersZ 1 (1867), 587, 589; ROHG (2.9.1871), ROHGE 3, 85; ROHG (21.11.1871), ROHGE 4, 59; ROHG (4.11.1874), ROHGE 14, 436; RG (4.5.1887), RGZ 18, 143, 144. Vgl. zudem Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 569, 643; Anm. zu StadtG Breslau (2.11.1867), PreußVersZ 2 (1868), 172. Einschränkend H. Hoffmann (1879), S. 18 f. Ogoreks These (ZHR 150 (1986), 103 Fn. 45; ähnlich Pahlow, ZNR 29 (2007), 37; Neugebauer (1990), S. 163), die contra proferentem-Regel sei »versicherungsrechtlicher Provenienz« und gehe auf das ROHG zurück, scheint damit nicht richtig. 46 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 293); ders., Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 192 (S. 536); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 177 (S. 643); ders., Handelsgeschäfte (1882), § 238 (S. 393). In den Motiven wird auf die Bedeutung im Versicherungsrecht hingewiesen: Mugdan I, S. 437. Gemeint waren wohl allein die AVB.
II. Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen
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zu vermeiden. Man nahm, in moderner Terminologie, eine verdeckte Inhaltskontrolle vor47. Daneben kristallisierte sich im Versicherungsrecht eine weitere Auslegungsregel heraus48: »Sogenannte Pönalbestimmungen, d.h. solche, welche ein nachteiliges Präjudiz den Versicherten androhen, sind strikt auszulegen, also nicht nach Analogie auf andere Fälle auszudehnen. Denn die Versicherer wissen ihr – wirklich oder angeblich – bedrohtes Interesse schon mit mehr als genügender Wachsamkeit wahrzunehmen und schützen dasselbe ohnedies durch ausreichende Einzelbestimmungen.«
Begründet wurde diese Regel wie die contra proferentem-Regel damit, daß die AVB vom Versicherer ausgingen, und zum Teil wurde zwischen dieser Auslegungsregel, die keine Unklarheit, sondern nur einen Auslegungsspielraum voraussetzte und so über die contra proferentem-Regel hinausging, und der contra proferentem-Regel nicht sauber unterschieden49.
B. Die objektive Auslegung Aber wie steht es mit dem Grundsatz des geltenden Rechts, daß es bei der Auslegung von AGB grundsätzlich nicht auf die Absichten der konkreten Parteien und auf ihr Verständnis ankommt, sondern daß AGB objektiv ausgelegt werden? Schon im 19. Jh. begann jede Auslegung mit dem Wortlaut des Vertrages. Und benutzten die Parteien Formulare, die der Verkehr auf eine bestimmte Weise verstand, so wurde vermutet, daß die Parteien diese übliche Bedeutung auch für ihren Vertrag wollten. Dieses Beispiel führte Dernburg an, um die Vermutung, daß die Parteien das Übliche wollen, zu erläutern50. Entsprechendes wurde auch zu den AVB vertreten51. Die Auslegung war mithin typisierend. Allerdings besteht ein entscheidender Unterschied zum geltenden Recht: Im 19. Jh. konnte der Vertragspartner, die typisierende Auslegung dadurch entkräften, daß er auf konkrete Umstände hinwies, die auf einen anderslautenden Willen der Parteien hindeuteten. Nach geltendem Recht sollen diese Umstände ausgeblendet bleiben, solange sie nicht den Schluß auf eine Individualabrede zulassen.
47
Siehe unten § 4 V B (S. 172 ff.). Ehrenberg I (1893), S. 86. Ebenso Hinrichs, ZHR 20 (1875), 398; OAG Dresden (14.12.1866), PreußVersZ 1 (1867), 891; ROHG (1.3.1872), ROHGE 5, 243; ROHG (20.4.1875), ROGHE 17, 368, 370; RG (23.6.1880), RGZ 2, 123; RG (9.10.1882), RGZ 10, 158, 160. Vgl. auch Neugebauer (1990), S. 164. 49 Scherer, Gruchot 32 (1888), 499, 513 f. 50 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 123 (S. 291 f.). 51 Benecke/Nolte I (1851), S. 414 f.; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 391. 48
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§ 3. Auslegung
C. Die Revisibilität der Auslegung Kommen wir schließlich zur Revisibilität der Auslegung von AGB. Diese Besonderheit der Auslegung von AGB geht auf ein Urteil des Reichsgerichts aus dem Jahre 1912 zurück52. Zuvor war Rechtsprechung uneinheitlich, doch ging die wohl herrschende Meinung dahin, daß die Auslegung von AGB nicht revisibel war, es sei denn, eine Auslegungsregel war verletzt. Dies stand im Einklang mit § 511 CPO (1877): »Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Verletzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinauserstreckt, beruhe.«
Schon die Kommentarliteratur des 19 Jh. verwies darauf, daß als Folge die Auslegung von AGB nicht revisibel war53. Und auch die Rechtsprechung verlangte, daß die Verletzung einer Auslegungsregel selbst gerügt werden müsse54. Vor Inkrafttreten der CPO (1877) hatte das Reichsoberhandelsgericht bereits gleiches vertreten55: »Ueberdies entzieht sie sich der Kritik des Nichtigkeitsrichters, da eine Verletzung von Interpretationsgrundsätzen nicht gerügt ist, und im Uebrigen die Auslegung von Eisenbahnreglements wie von anderweitigen Vertragsnormen der freien richterlichen Beurtheilung anheimfällt.«
Allerdings lautete § 479 des ersten Entwurfes der CPO: »Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes oder auf der unrichtigen Auslegung einer Urkunde über ein Rechtsgeschäft beruhe.«
In der Begründung dazu hieß es56: »Das Rechtsgeschäft ist dem Gesetz vergleichbar: soweit seine vom Rechte anerkannten Dispositionen reichen, soweit es berechtigt oder verpflichtet, setzt es Recht, – eine Anschauung, welche sowohl im römischen als auch im französischen Rechte (Code civ. art. 1134.) zum Ausdrucke gelangt ist. Das Rechtsgeschäft ist wie das Gesetz einer Auslegung empfänglich und oft bedürftig. Die allgemeinen Prinzipien der Gesetzesauslegung kommen auf die Auslegung von Rechtsgeschäften insofern zur Anwendung, als ›in beiden Fällen der Zweck nur darauf gerichtet sein kann, den in dem todten Buchstaben niedergelegten lebendigen Gedanken vor der Betrachtung wieder entstehen zu lassen‹ […]. Ist das Rechtsgeschäft urkundlich fixirt, so kann es dem Gerichte in derselben 52
RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 118 f. Siehe hierzu noch unten § 8 III (S. 283 ff.). Endemann II (1879), § 512 Anm. I A; v. Wilmowski/Levy II (1895), § 511 Anm. 4; Graupp II (1880), § 512 Anm. I. 54 RG (15.6.1881), RGZ 5, 115, 121 f.; RG (11.1.1884), RGZ 10, 105, 107; RG (15.5.1889), Gruchot 33 (1889), 1121, 1124. 55 ROHG (18.6.1872), ROHGE 6, 412. Vgl. ROHG (12.11.1872), ROHGE 8, 26, 28. 56 Entwurf CPO, S. 415 f. 53
II. Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen
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Weise wie eine in dem Gesetzblatte publizirte Rechtsnorm unterbreitet werden, so daß das Gericht den Inhalt des Rechtsgeschäfts auf Grund der Urkunde mit derselben Sicherheit wie den Inhalt des Gesetzes auf Grund des Gesetzestextes zu beurtheilen vermag. […] Der Begriff des Rechtsgeschäfts ist nicht unbestritten, der Streit entbehrt aber, insoweit es sich um urkundlich fixirte Rechtsgeschäfte handelt, der praktischen Bedeutung. Der Entwurf hat daher kein Bedenken getragen, sich des generellen Ausdrucks ›Rechtsgeschäfts‹ zu bedienen und sich einer Erläuterung desselben durch Beifügung von Beispielen zu enthalten. […] Dahin gehören auch die Bedingungen der Versicherungsgesellschaften, die Reglements der Verkehrsanstalten, die urkundlich fixirten Börsenusanzen u.s.w., insofern sie einen Theil der auf Grund derselben abgeschlossenen Verträge bilden.«
Die Begründung offenbart, daß die Verfasser des Entwurfes als Anwendungsfall des § 479 des ersten Entwurfes der CPO auch die Auslegung von AGB im Auge hatten. Aber sie wollten über diesen Fall hinausgehen. Die Auslegung aller urkundlich fixierten Rechtsgeschäfte sollte revisibel sein. Dafür wiesen die Verfasser auf die Parallelen zwischen der Auslegung von Gesetzen und von Rechtsgeschäften hin. Diese Begründung überrascht. Hatte sich doch im Verlauf des 19. Jh. die Vertragsauslegung immer weiter von der Gesetzesauslegung gelöst. Der Sache nach stellten die Verfasser wohl darauf ab, daß bei der Auslegung eines urkundlich fixierten Vertrages der Wortlaut regelmäßig in den Vordergrund, die den Vertragsschluß begleitenden Umstände dagegen regelmäßig in den Hintergrund treten. Daß allerdings der Wortlaut auch eines urkundlich fixierten Vertrages nicht allein entscheidend war, hatte man längst erkannt57. Der Gesetzgeber folgte dem ersten Entwurf nicht. Bei dieser Entscheidung spielten neben praktischen Erwägungen auch grundsätzliche Bedenken eine Rolle58. Der Gesetzgeber hatte sich damit auch bewußt gegen die Revisibilität der Auslegung von AGB entschieden. Eine planwidrige Regelungslücke, die nach unserem modernen Verständnis Voraussetzung einer analogen Anwendung des heutigen § 545 Abs. 1 ZPO ist, besteht daher nicht. Freilich erkannte das Reichsgericht schon bald, daß trotz Anerkennung des Willens des Gesetzgebers und unter Auseinandersetzung mit den Vorarbeiten zur CPO die Auslegung von AGB praktisch in der Regel revisibel ist. Denn bei der Auslegung von AGB tritt ein Parteiwille, den der Tatrichter ermitteln könnte, regelmäßig nicht hervor, sondern der Tatrichter nimmt allein eine typisierende Auslegung vor59. Zugleich trat in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in den 1880er Jahren schon ein zweiter Aspekt hervor, um die Revisibilität der Auslegung von AGB zu rechtfertigen. Die Entscheidung des Reichsgerichts betraf die Auslegung des Eisenbahnbetriebsreglements, bei dem es 57
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 11. Vgl. Koch; ZDG 7 (1874), 73 ff. 59 RG (23.6.1880), RGZ 2, 123 ; RG (12.1.1881), RGZ 3, 425; RG (17.4.1882), RGZ 6, 412; RG (27.2.1884), RGZ 13, 86; RG (8.3.1884), Gruchot 28 (1884), 899, 902 f.; RG (16.4.1884), RGZ 14, 115. Siehe auch Erythropel, Gruchot 25 (1881), 296 f. 58
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§ 3. Auslegung
sich, wie wir oben sahen60, seiner Natur nach um Vertragsbestimmungen handelte61: »Der Beklagte stützt seine Verteidigung wesentlich auf das Betriebsreglement und findet sich durch die den Bestimmungen desselben vom Berufungsrichter gegebene Auslegung verletzt. Der Revisionsbeklagte bestreitet mit Unrecht die Zulässigkeit der Nachprüfung dieser Auslegung in der Revisionsinstanz; denn der Berufungsrichter hat (wie das in Fällen der vorliegenden Art gewöhnlich der Fall sein wird) nicht sowohl den im Abschlusse des einzelnen Frachtvertrages zum Ausdrucke gekommenen konkreten und detaillierten Vertragswillen der Kontrahenten festgestellt, sondern er hat eine abstrakte Norm, welcher als solcher die Kontrahenten sich unterworfen haben, ausgelegt. Es braucht hier nicht untersucht zu werden, ob und inwieweit die konkrete Bezugnahme auf eine im voraus festgestellte Vertragsbestimmung überall zur gleichen Auffassung der betreffenden Verträge führt: für den regulären Frachtvertrag der Eisenbahnen ergiebt sich die Notwendigkeit dieser Auffassung schon daraus, daß die Organe der Eisenbahnen nur auf Grund des Reglements abzuschließen bevollmächtigt sind und eine Berücksichtigung besonderer Momente ausgeschlossen ist.«
Neben der Tatsache, daß in die Auslegung keine besonderen Umstände des Einzelfalls einfließen, spielte in der Argumentation des Reichsgerichts der normative Charakter des Betriebsreglements eine Rolle. Eigenständige Bedeutung kam ihm indes nicht zu. Auf diesen normativen Charakter des Reglements glaubte das Reichsgericht abstellen zu dürfen, weil die Eisenbahnen durch Verwaltungsakt dazu verpflichtet waren, nur unter Einbeziehung dieses Reglements zu kontrahieren, und aus diesem Grunde besondere tatsächliche Momente, die ansonsten bei der Auslegung eines Vertrages Berücksichtigung finden, nicht vorlägen.
III. Zusammenfassung A. Schon im 19. Jh. galt die contra proferentem-Regel. Anders als nach geltendem Recht handelte es sich um keine Besonderheit der Auslegung von AGB. Diese Regel war vielmehr von allgemeiner Geltung. Dennoch erkannte man ihre besondere Bedeutung für die Auslegung von AGB. B. Zudem wurden AGB schon im 19. Jh. AGB typisierend ausgelegt. Auch hierbei handelte es sich um keine Besonderheit der Auslegung von AGB. Die typisierende Auslegung folgte vielmehr aus der allgemeinen Vermutung, daß die Parteien im Zweifel für sich das Übliche wollten. Allerdings bestand ein entscheidender Unterschied zum geltenden Recht. Im 19. Jh. war es dem Vertragspartner möglich, auf konkrete Umstände des Einzelfalls hinzuweisen, die auf einen anderslautenden Willen der Parteien hindeuteten. Nach geltendem 60 61
Siehe oben § 2 II C 1 c (S. 44 ff.). RG (13.2.1886), RGZ 15, 146, 147.
III. Zusammenfassung
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Recht sollen diese Umstände ausgeblendet bleiben, solange sie nicht den Schluß auf eine Individualabrede zulassen. Die Auslegung war mithin noch nicht objektiv. C. § 479 des ersten Entwurfes der CPO bestimmte ganz allgemein, die Revision könne »nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes oder auf der unrichtigen Auslegung einer Urkunde über ein Rechtsgeschäft beruhe«. Der Gesetzgeber erkannte aber, daß mit dieser Fassung auch die Auslegung schriftlich fixierter AGB revisibel gewesen wäre. § 511 CPO (1877) lautete sschließlich: »Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf der Verletzung eines Reichsgesetzes oder eines Gesetzes, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinauserstreckt, beruhe.« Damit hatte sich der CPO-Gesetzgeber auch bewußt dagegen entschieden, daß die Revision auf die unrichtige Auslegung von AGB gestützt werden konnte. Doch ging das Reichsgericht von der Revisibilität der Auslegung von AGB dann aus, wenn bei ihrer Auslegung keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine Rolle gespielt hatten. Damit war die Auslegung der AGB zwar in der Regel, aber nicht im Grundsatz revisibel.
§ 4. Inhaltskontrolle Spricht ein deutscher Jurist von einer Inhaltskontrolle, so meint er in erster Linie die offene richterliche Inhaltskontrolle von AGB in den §§ 307 ff. BGB. Die vorangestellten Adjektive »offen« und »richterlich« qualifizieren die Inhaltskontrolle ihrer Form nach und das nachgestellte »von AGB« grenzt den Prüfungsgegenstand ein. Würden wir nach einer solchen offenen richterlichen Inhaltskontrolle von AGB im 19. Jh. suchen, so wäre unser Blickwinkel damit bereits zu eng. Zunächst müssen wir uns also der verschiedenen möglichen Gegenstände und Formen einer Kontrolle bewußt werden und so unseren Blickwinkel weiten. Nur dann vermögen wir bei Sichtung der Quellen zu beurteilen, ob bereits die Juristen des 19. Jh. ein Problembewußtsein gegenüber dem einseitig bestimmten Inhalt von AGB hatten und wie sie reagierten. Der Begriff der Inhaltskontrolle bezeichnet den Prüfungsgegenstand. Der Inhalt eines Rechtsgeschäfts wird kontrolliert. Davon ist eine Anwendungskontrolle zu unterscheiden. Bei ihr schreitet ein Gericht nicht schon ein, wenn es den Inhalt einer Klausel mißbilligt, sondern erst, wenn es die Berufung auf diese im konkreten Fall als unbillig empfindet. Der Sache nach werden bei der Inhaltskontrolle inhaltliche Standards aufgestellt und deren Einhaltung kontrolliert. Nun bleibt es nicht bei der bloßen Kontrolle. Die Nichteinhaltung dieser Standards ist sanktioniert. Eine Klausel ist unwirksam. Eine solche Sanktion ist ein Eingriff in den Vertrag und bedarf daher einer Rechtfertigung. Auch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre kennt eine Inhaltskontrolle. So darf ein Rechtsgeschäft etwa nach § 134 BGB nicht gegen ein gesetzliches Verbot, nach § 138 Abs. 1 BGB nicht gegen die guten Sitten und nicht gegen sonstiges zwingendes Recht verstoßen. Nun bleibt das geltende Recht nicht dabei stehen, AGB an diesen allgemeinen Maßstäben zu messen. Es sieht eine Notwendigkeit, für die Inhaltskontrolle von AGB in den §§ 307 ff. BGB über diese Standards hinauszugehen. Mit der Beschränkung des Prüfungsgegenstands auf AGB geht also eine Erweiterung des Prüfungsmaßstabs einher. Bevor der Gesetzgeber nun die ihrem Gegenstand nach auf AGB beschränkte und ihrem Prüfungsmaßstab nach erweiterte besondere Inhaltskontrolle einführte, mußten auch AGB an den allgemeinen Maßstäben gemessen werden. Die Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben und die den Gesetzgeber dazu veranlaßten, eine besondere Inhaltskontrolle von AGB einzuführen, mußten mit dem allgemeinen Instrumentarium gelöst werden.
§ 4. Inhaltskontrolle
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Die §§ 307 ff. BGB enthalten eine richterliche Inhaltskontrolle. Möglich wäre auch, die Inhaltskontrolle durch andere Kontrollsubjekte durchführen zu lassen. So könnte die Verwaltung Einfluß auf den Inhalt von AGB nehmen, sei es, daß sie AGB genehmigen muß, den Gebrauch unbilliger AGB untersagen, selbst einheitliche AGB ausarbeiten und ihren Gebrauch erzwingen kann. Neben den Gerichten und der Verwaltung könnte man daran denken, auch den Gesetzgeber als Kontrollsubjekt anzusehen. Solange er kein Bedürfnis sieht, auf unbillige AGB zu reagieren, tritt er indes nicht in Erscheinung. Zwar wäre auch dieses Nichthandeln erwähnenswürdig. Der Gesetzgeber könnte im übrigen aber als Kontrollsubjekt vernachlässigt werden. Das Bild ändert sich, sobald er als Reaktion auf unbillige AGB tätig wird. Zwar bereitet es Probleme, den Gesetzgeber selbst als Kontrollsubjekt anzusehen. Er kontrolliert eben nicht, sondern erläßt nur die Maßstäbe einer Inhaltskontrolle und delegiert die Kontrolle an die Gerichte und die Verwaltung. Doch entscheidet er über das Ob der Kontrolle und ihre Maßstäbe. Auch für den Kontrollgegenstand stehen dem Gesetzgeber verschiedene Optionen offen. Oben wurde zwischen einer allgemeinen rechtsgeschäftlichen und einer besonderen AGBrechtlichen Inhaltskontrolle unterschieden. Ob der Gesetzgeber die Inhaltskontrolle auf AGB beschränkt und damit einhergehend besondere Kontrollmaßstäbe erläßt, die über die allgemeine rechtsgeschäftliche Inhaltskontrolle hinausgehen, liegt in seinem Ermessen. Er könnte auch schlicht die Maßstäbe der allgemeinen rechtsgeschäftlichen Inhaltskontrolle erweitern. Ähnliche Gestaltungsmöglichkeiten stehen ihm beim Erlaß zwingenden Rechts offen. Er kann einerseits zwingendes Recht von allgemeiner Geltung erlassen. Jedes entgegenstehende Rechtsgeschäft ist unwirksam. Oder er kann andererseits Standards kodifizieren, von denen nicht durch AGB abgewichen werden darf. Neben diesen Formen der staatlichen Inhaltskontrolle sind schließlich auch Formen der nichtstaatlichen Inhaltskontrolle denkbar. Die Verwender können sich einer Selbstkontrolle unterziehen, um so Bedenken gegen die AGB auszuräumen. Oder die Vertragspartner können sich organisieren, den Verwendern geeint gegenüber treten und auf eine Änderung der AGB drängen. Schließlich enthalten §§ 307 ff. BGB eine offene Inhaltskontrolle. Den Gegensatz bildet die verdeckte Inhaltskontrolle. Bei ihr handelt es sich um folgendes: Ein Gericht möchte eine Klausel nicht anwenden, weil es das unter ihrer Anwendung erzielte Ergebnis nicht billigt. Es spricht jedoch nicht offen aus, daß es der Klausel die Gefolgschaft versagen will und warum es die Klausel mißbilligt. Statt dessen erachtet das Gericht die Klausel z.B. als nicht einbezogen oder legt die Klausel so aus, daß es das nicht erwünschte Ergebnis umgehen kann. Solange die Geltung unter korrekter Anwendung der Einbeziehungsvoraussetzung verneint oder das unerwünschte Ergebnis durch eine richtige Anwendung der Auslegungsregeln vermieden werden kann, ist an einer solchen alternativen Begründung des erzielten Ergebnisses nichts auszusetzen. Problematisch ist dagegen, wenn ein Gericht die Geltungsvorausset-
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§ 4. Inhaltskontrolle
zungen oder Auslegungsregeln mißbraucht. Es verneint etwa die Einbeziehung einer unbilligen Klausel, obwohl unter korrekter Anwendung der Einbeziehungsvoraussetzung die Geltung der Klausel bejaht werden müßte. Prima facie wird ein Gericht immer dann auf eine verdeckte Inhaltskontrolle zurückgreifen, wenn die verschiedenen Formen einer offenen Inhaltskontrolle noch unterentwickelt sind. Damit steht das Programm der folgenden Darstellung fest: Das Wechselspiel zwischen Anwendungs- und Inhaltskontrolle, zwischen der allgemeinen rechtsgeschäftlichen und einer besonderen AGB-rechtlichen Kontrolle, zwischen einer verdeckten und offenen Inhaltskontrolle und zwischen den verschiedenen Kontrollsubjekten sind ebenso darzustellen wie die verschiedenen Kontrollmaßstäbe und die Gründe, die als Rechtfertigung des mit einer Inhaltskontrolle verbundenen Eingriffs in den Vertrag angeführt wurden. Der Begriff der Inhaltskontrolle, der diesem Abschnitt zugrundeliegt, ist damit weiter als etwa der, den Fastrich für seine Studie verwendet. Fastrich ging es in seiner Arbeit darum, die rechtstheoretischen und dogmatischen Grundlagen der offenen richterlichen Inhaltskontrolle und der damit verwandten Angemessenheits- und Billigkeitskontrolle im Gesellschafts- und Arbeitsrecht herauszuarbeiten. Für ein solches Unterfangen ist eine Beschränkung in der Tat geboten. Fastrich schied daher eine Kontrolle nach §§ 134, 138, 315 BGB, die Begrenzung des Vertragsinhalts durch zwingendes Recht und die Ausübungs- bzw. Anwendungskontrolle aus1: »Es liegt auf der Hand, daß mit einem so weiten Begriff der Inhaltskontrolle für die hier interessierende Fragestellung wenig anzufangen ist; denn ein so weitgefaßter Begriff der Inhaltskontrolle wäre identisch mit den Grenzen der Privatautonomie.«
Bei Beantwortung der hier interessierenden Fragen – Hatten die Juristen des 19. Jh. bereits ein Problembewußtsein gegenüber dem einseitig aufgestellten AGB-Inhalt entwickelt? Wie reagierten sie? – muß dagegen genau von diesem weiten Begriff der Inhaltskontrolle ausgegangen werden. Daraus ergibt sich indes, daß das gerade entwickelte Programm selbst in den in dieser Arbeit ausgewählten Kontexten nicht umfassend aufgearbeitet werden konnte. Insbesondere eine vollständige Aufarbeitung der aufsichtsrechtlichen Kontrolle, der Anwendungs- und der verdeckten Inhaltskontrolle hätte eine umfassende Auswertung vor allem der Quellen zum Eisenbahn- und Versicherungsrecht erforderlich gemacht. Das konnte im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Ebensowenig war es möglich, einen vollständigen Überblick über die Entwicklung des Inhalts der AGB in den hier untersuchten Kontexten zu geben. Beides, die vollständige Aufarbeitung des gerade formulierten Arbeitsprogramms und ein vollständiger Überblick über die Entwick-
1
Fastrich (1992), S. 5 ff.
I. Der Anlaß einer Inhaltskontrolle
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lung des Inhalts der AGB, ist vor dem Hintergrund des Ziels dieses Kapitels aber auch entbehrlich. Ausgangspunkt ist das heutige Vorurteil, daß den Juristen bis zur Jahrhundertwende ein Problembewußtsein gegenüber der AGBPraxis gefehlt habe. Dieses Vorurteil soll auf den Prüfstand gestellt werden. Dafür genügt es, dieses Arbeitsprogramm beispielhaft abzuarbeiten, um so aufzuzeigen, daß es ein Problembewußtsein gegenüber dem einseitig aufgestellten Inhalt von AGB gab, wie vielfältig die Kontrollinstrumente waren und wie diese Eingriffe in den Vertrag gerechtfertigt wurden. Und es reicht aus, wenn dabei nur die Klauseln berücksichtigt werden, die auch im Fokus von Literatur und Rechtsprechung standen.
I. Der Anlaß einer Inhaltskontrolle A. Die Reglements der Transportanstalten und die Aushänge der Gastwirte Anlaß für ein Problembewußtsein gegenüber den AGB bestand allemal. Unter den Transportanstalten stellten insbesondere die Eisenbahnen mit ihren Reglements umfassende AGB auf2. Diese erfüllten ganz unterschiedliche Funktionen. Der Betrieb einer Eisenbahn brachte neue rechtliche Probleme mit sich, für die das Recht keine Lösungen bereit hielt. Insoweit sollten die AGB ergänzend neben das Recht treten. Darüber hinaus suchten die Eisenbahnen das dispositive Recht zu ihren Gunsten zu modifizieren. Offensichtlicher Anlaß dafür war die verschuldensunabhängige Haftung, der die Eisenbahnen ausgesetzt waren3. Dieser Haftung versuchten sie zu entgehen. Doch schlossen sie in ihren Reglements nicht nur die receptum-Haftung aus. Die Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln der Eisenbahnen stellten die Kunden nach damaliger Einschätzung »fast rechtlos«4. Für viele Fälle war eine Haftung völlig ausgeschlossen. In anderen Fällen mußte der Kunde der Eisenbahn eine bestimmte Form des Verschuldens nachweisen5. Das war ihm nur selten möglich. Und gelang es einmal, so war die Haftung der Eisenbahn höhenmäßig stark beschränkt6. Der Handelsstand klagte über solche Klauseln, wie Pohlhausen nachgewiesen hat7. Ähnliche Kritik findet sich zu vergleichbaren Haftungs2
Eine Übersicht über ihren üblichen Inhalt bieten Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 604 ff.; Otto, WürttA 4 (1861), 84 ff.; Vogt, DviertJhS 22 (1859), 46 ff. 3 Vgl. hierzu oben § 2 II A (S. 25 ff.). 4 Beschorner, AcP 41 (1858), 405. Vgl. außerdem Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 635 ff.; Endemann, BuschA 42 (1882), 197; W. Koch, ZHR 8 (1865), 408 f. 5 Vgl. z.B. Beschorner, AcP 41 (1858), 399. 6 Vgl. z.B. Beschorner, AcP 41 (1858), 399. 7 Vgl. Beschorner, AcP 41 (1858), 405; Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 635 ff.; dens., AcP 41 (1858), 406 f.; Pohlhausen (1978), S. 1 ff.
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§ 4. Inhaltskontrolle
ausschlußklausen der Telegraphenanstalten8, und die Reglements der Schifffahrtsgesellschaften enthielten ebensolche Regelungen9, wie auch die Gastwirte ihre Haftung durch Aushänge auszuschließen versuchten10.
B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Die AVB enthielten ebenfalls einseitig belastende Klauseln. Unten werden uns vor allem solche begegnen, die dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluß Offenbarungspflichten und nach Eintritt des Versicherungsfalles Mitwirkungspflichten auferlegten. Der Verstoß gegen diese Pflichten sollte immer zu einem Verlust jeglicher Ansprüche des Versicherungsnehmers führen. Diese Sanktion wurde oft als unbillig empfunden. Daß sich unbillige Versicherungsbedingungen, ja überhaupt AVB herausbilden konnten, rührte aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren her11: 1. Bei den Seeversicherungen standen sich auf beiden Seiten zunächst Kaufleute gegenüber, und zwar auf Seiten der Versicherer zumeist mehrere Kaufleute gemeinsam. Es handelte sich um Gelegenheitsgesellschaften. Vermittelt durch Makler fanden sich als Versicherer für die jeweiligen Versicherungsverträge Kaufleute in immer unterschiedlicher Zusammensetzung12. Erst seit dem 18. Jh. bildeten sich langsam Versicherungsgesellschaften heraus13. Zudem traten am Ende des 18. Jh. zunehmend Privatpersonen als Vertragspartner der gewerblich betriebenen Versicherungen auf. Erst damit bestand regelmäßig ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer, das es den Versicherern ermöglichte, den Vertragsinhalt einseitig zu bestimmen. Das war den Juristen seit den 1860er Jahren bewußt14. 2. Bei den ursprünglich im Seeversicherungswesen üblichen Gelegenheitsgesellschaften kam es regelmäßig vor, daß ein Kaufmann mal als Versicherer 8 Meili, Telegraphie (1892), S. 16 ff.; v. Stubenrauch, AllgÖGZ 12 (1861), 74; Mittermaier, AcP 46 (1863), 3. Vgl. auch Fuchs, AcP 43 (1860), 96. 9 Vgl. z.B. OAG Lübeck (29.5.1856), Frankfurter Rechtssachen 3 (1861), 254. 10 Siehe oben § 2 III (S. 52 ff.). 11 Vgl. zum folgenden auch Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 90 ff. 12 Endemann, ZHR 9 (1866), 308, 516; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 90. 13 Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 93 f., spricht von einer Verdrängung der Gelegenheitsgesellschaften durch korporative Vereinigungen. Vgl. zudem Endemann, ZHR 9 (1866), 521; Kübel, ZVersR 1 (1866), 329; Karup (1871), S. 22 ff. Nach P. Koch, VersR 1994, 629, war erste private Versicherungs-AG in Preußen die 1765 gegründete Assekuranz-Compagnie in Berlin. Sie wurde nach P. Koch, Friedrich der Große (1995), S. 228, 1791 wieder aufgelöst. Nach W. Heyn (1950), S. 16 und P. Koch, Hamburger Hafen (1995), S. 275, wurde ebenfalls 1765 in Hamburg die erste Seeversicherungsgesellschaft erfolgreich gegründet. Versicherungen in Form einer AG wurden nach P. Koch, Preußische Elemente (1995), S. 143, seit Beginn des 19. Jh. erfolgreich gegründet. 14 Kübel, ZVersR 1 (1866), 336 ff.; Malß, ZVersR 1 (1866), III; Just, ArchWHR 15 (1866), 227; Ehrenberg I (1893), S. 25. Weniger kritisch Lewis, Lehrbuch (1889), S. 6 f. A.A. Ziegler, Denkschrift (1897), S. 185.
I. Der Anlaß einer Inhaltskontrolle
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und mal als Versicherungsnehmer auftrat15. Das schloß die Verwendung unbilliger AGB wohl weitgehend aus. 3. Das Bedürfnis von Privatleuten, Risiken zu versichern, wurde nur langsam geweckt16. Erst als ein solches Bedürfnis entstanden war und Versicherungen so zum Massengeschäft wurden17, bestand für die Versicherer die Notwendigkeit, die durch die Masse der Verträge potenzierten Risiken kalkulierbar zu machen und durch Klauseln zu beschränken. 4. Das wurde erst möglich, als im 17. und dann vor allem im 18. Jh. die Versicherungsmathematik entwickelt wurde18. Risiken, die bis dahin geschätzt worden waren, konnten nun berechnet werden. 5. Das dispositive Versicherungsvertragsrecht war bis ins 19. Jh. nur sehr grobmaschig19. Es paßte auch nicht uneingeschränkt für die vielen neuen Versicherungssparten, die sich zum Ende des 18. Jh. und im Verlauf des 19. Jh. herausgebildet hatten20. Als Folge entstanden sehr umfangreiche AVB. Die Versicherungen wußten auszunutzen, daß sich die Versicherungsnehmer nicht die Mühe machten, die Bedingungen zu studieren. 6. Innerhalb der Versicherungswirtschaft bestanden schließlich Bestrebungen, die AVB zu vereinheitlichen21. Solche Tendenzen konnten wir schon oben für die Eisenbahnreglements, die kodifizierten Handelsbräuche und im Seeversicherungswesen beobachten22. Sie bestanden auch im Binnenversicherungswesen23. Sie schufen einerseits Markttransparenz. Das war der Grund, warum sich der Bundesrat an der Vereinheitlichung der Eisenbahnreglements beteiligt hatte. Für die Versicherungen war der vorrangige Grund der Ausarbeitung solcher einheitlicher AVB aber nicht die Schaffung von Markttransparenz. Sie wollten so vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, daß die einzel15
Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 90. Vgl. hierzu Ehrenberg I (1893), S. 31; Neugebauer (1990), S. 25 f. 17 Hierzu Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 104 ff.; Pahlow, ZNR 29 (2007), 40. Vgl. in Hinblick auf Lebensversicherungen z.B. den Jahresbericht des Vorsteheramts der Kaufmannschaft zu Memel für 1864, abgedruckt in PreußVersZ 1 (1867), 99, 100. 18 Hierzu Ehrenberg I (1893), S. 32; Endemann, ZHR 9 (1866), 518; Kübel, ZVersR 1 (1866), 329; Malß, ZVersR 2 (1868), 133 f. Aus der modernen Literatur: P. Koch, Geschichte (1998), S. 25 ff., 82 ff.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 94 f.; Pohl (1913), S. 2 f., 61 ff.; Braun (2. Aufl. 1963), S. 81 ff., 93 ff.; Pahlow, ZNR 29 (2007), 41 f. 19 Siehe oben § 2 IV A und B (S. 60 ff., 65 f.). 20 Hierzu Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 95 f. 21 Vgl. Ehrenberg I (1893), S. 24 f., 80; Malß, ZHR 13 (1869), 51; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 103 f.; Neugebauer (1990), S. 148 ff.; Pahlow, ZNR 29 (2007), 32 f. 22 Siehe oben § 2 II C 1 c (S. 44 ff.), § 2 IV D 7 (S. 84 ff.), § 2 VI C (S. 98 ff.). 23 Neugebauer (1990), S. 149: 1852 wurde ein Komitee zur Vorbereitung der Gründung eines Allgemeinen Deutschen Versicherungsvereins eingerichtet. Zweck des Vereins sollte die Ausarbeitung einheitlicher AVB sein. 1871 wurde der Verband deutscher Privat-Feuer-Versicherungs-Gesellschaften gegründet, der 1874 die einheitlichen Allgemeinen Versicherungs-Bedingungen bei Feuerversicherungen, abgedruckt in Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung I, S. 38 ff., vorlegte. Sie wurden nachfolgend mehrfach überarbeitet. 1875 folgten einheitliche AVB bei Lebensversicherungen. 16
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§ 4. Inhaltskontrolle
nen Versicherer über Mit- und Rückversicherungen miteinander verflochten waren. Durch solche Vereinheitlichungen war es dem Versicherungsnehmer aber nicht mehr möglich, die Klauseln auszuwählen, die ihm am günstigsten waren24. Das Ergebnis dieser Entwicklung waren zahlreiche Klauseln, die den Versicherungsnehmer belasteten. Seit der Mitte des 19. Jh. mehrten sich die Klagen über die Inhalte dieser Bedingungen in der juristischen Literatur25 und darüber hinaus26. Schneider sprach in diesem Zusammenhang 1896 von einem »Mißbrauch der Vertragsfreiheit« durch die Versicherer27.
C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen Ein Blick über das Transport-, Gastwirts- und Versicherungswesen hinaus bestätigt diesen Befund. So finden sich in der Übersicht Brückners über die um 1877 in Berliner Mietverträgen gängigen Klauseln zahlreiche unbillige Bestimmungen, und er faßt diese Überschau mit dem Urteil zusammen28: »Ueberhaupt bedarf es wohl keiner besonderen Ausführung, daß viele der vorerwähnten Bestimmungen den Miether in bedenklicher Weise gefährden, den Vermieter weit mehr als billig begünstigen.«
Und die Vermieter machten von den ihnen eingeräumten Rechten Gebrauch. Nach einer in Berliner Formularmietverträgen üblichen Klausel konnten die Vermieter schon bei Ausbleiben einer einzigen Mietzinsrate die sofortige Räumung der Wohnung verlangen, und Koch, Stadtrichter in Berlin, führte 1865 zur praktischen Bedeutung dieser Klauseln aus29: »Diese Klauseln, die den Miether fast ganz in die Hand des Vermiethers geben, sind es, aus denen die große Zahl der Exmission-Prozesse erwächst, welche beispielsweise einen erheblichen Theil der Geschäfte der zur Entscheidung der Wechsel- und anderen schleunigen Prozesse berufenen Deputation des hiesigen Stadtgerichts ausmacht.«
Und zum Inhalt dieser Klauseln ergänzte er30: »Allein einen gehässigeren Charakter trägt sehr häufig die auf geringfügige Verletzungen der Hausordnungen oder kurze Säumniß in der Miethszahlung gestützte Exmissi24
Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 106; Pahlow, ZNR 29 (2007), 33. Ehrenberg I (1893), S. 80; v. Lichtenfels (1870), S. 6; v. Hülsen, ZKglPrStB 1867, 345; Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 733). Anders Ziegler, Denkschrift (1897), S. 184 ff.; Harries, Gruchot 16 (1872), 387 f. 26 Vgl. den Artikel in der Zeitung »Die Presse«, zitiert in PreußVersZ 1 (1867), 153. 27 K. Schneider, AcP 85 (1896), 298. 28 Brückner (1877), S. 100 Fn. 2. Aus der modernen Forschung vgl. bereits Repgen, in: Luminati/Falk/Schmoeckel (2008), S. 246 ff. 29 Koch, PreußAnwZ 1865, 801. 30 Koch, PreußAnwZ 1865, 802. 25
I. Der Anlaß einer Inhaltskontrolle
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onsklage der Wirthe, welche nicht selten diese Gelegenheit benutzen, um sich eines lästigen Vertrages zu entledigen und sich neue Miether gegen gesteigerten Miethspreis zu beschaffen.«
Die infolge des konjunkturellen Aufschwungs stark steigenden Mieten nach 1870 verstärkten diesen Mißstand. Doch schon die Gründerkrise von 1873 setzte den krassesten Auswüchsen dieser Praxis ein Ende31. Unbillige Klauseln in Mietverträgen blieben indes. Dernburg stellte 1906 fest, daß die Mietformulare selbst dort unbilligen Inhalts seien, wo die Vermieter zu einer Änderung bereit gewesen seien32: »Meist werden sie [die Formulare] von den Vermietern und in ihrem Interesse entworfen. Sind Wohnungen angeboten, so lassen sich die Vermieter Abänderungen der Formulare gefallen. Doch der Mieter sieht meist mehr auf niedrigen Zins und leichte Zahlungsbedingungen, als auf die rechtlichen Klauseln, denen er besonderen Wert selten beilegt.«
Dernburg stellt, modern gesprochen, fest, daß AGB als Wettbewerbsparameter untauglich sind. Auch des unbilligen Inhalts der als Vertragsinhalt geltenden Hausordnungen war man sich bewußt33: »Es läßt sich nicht bestreiten, daß viele dieser Hausordnungen Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien in vollständig ungleicher und geradezu ungerechter Weise verteilen […]. Manche dieser Hausordnungen sind wahre Muster der Bedrükkung des einen Vertragsteils durch den andern, und wenn es auch auf Übertreibung beruht von einer Rechtlosigkeit des Mieters zu sprechen so ist doch anderseits richtig, daß auf Grund dieser Abmachungen der Mieter oft genug dem willkürlichen Belieben des Vermieters preisgegeben ist. Die Härten, welche sich darin finden, widersprechen der heutigen Rechtsüberzeugung unmittelbar, sie stehen auch mit den Bedürfnissen des Gesellschaftslebens durchaus in Widerspruch […].«
In Hinblick auf die seit Mitte des 19. Jh. aufkommenden Abzahlungsgeschäfte stießen insbesondere die in den Formularverträgen enthaltenen Verfall-, Verwirkungs- und Gerichtsstandklauseln auf Kritik34. Der Inhalt der einseitig aufgestellten Fabrikordnungen stand ebenfalls in der Kritik35: 31
Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 283. Vgl. auch die Zahlen zum Wohnungsleerstand bei Repgen (2001), S. 246 f. 32 Dernburg, Bürgerliches Recht II/2 (3. Aufl. 1906), § 216 (S. 183). 33 Fuld (1898), S. 54 f. Vgl. hierzu auch schon Repgen (2001), S. 244 f. 34 Vgl. aus der zeitgenössischen Literatur Mataja, ASozGS 1 (1888), 157 ff.; Hausmann (1891), S. 1 ff., 22 ff.; Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 270 ff. und aus der modernen Literatur Zimmermann, (2005) 58 CLP 422 ff.; Fendel (1991), S. 82 ff.; Schubert, ZRG (GA) 102 (1985), 130 ff.; Benöhr, ZHR 138 (1974), 492 ff., insbesondere 498 f.; Baltes (1985), S. 26 ff., 42 f. Entsprechende Formulare finden sich bei Höhne (1885), S. 4 f., 13 ff.; Hausmann (1891), S. 95 ff. und Fendel (1991), S. 221 ff., einzelne Bestimmungen aus einem Formular schon bei Brünneck, Gruchot 10 (1866), 340. 35 Schmoller, ZgStw 30 (1874), 471. Vgl. auch Brentano (1890), S. XXIII. Beispiele solcher Ordnungen finden sich im Anhang von Brand II (2002) und dems. III (2008) sowie bei Flohr (1981), S. 87 ff.
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§ 4. Inhaltskontrolle
»Das Bedürfnis hat nun ja auch vielfach zu einer Fixirung des Vertrags wenigstens in einzelnen wichtigen Bestimmungen geführt, – aber zu einer einseitigen Fixirung, zur Fabrikordnung, um die man den Fabrikarbeiter nicht fragt, auf die er keinen Einfluss hat. Wohl haben einige humane Fabrikanten angefangen, über ihre Fabrikordnungen mit den Arbeitern zu verhandeln und sie in Uebereinstimmung mit ihnen festzustellen. Aber das sind Ausnahmen. Mißbräuche aller Art kommen noch zahlreich vor.«
Und schließlich wurde die einschlägige AGB-Praxis auch bei den Vorarbeiten zum Börsengesetz von 189636 problematisiert37.
D. Zusammenfassung In den einzelnen hier untersuchten Kontexten gab es Anlaß für ein Problembewußtsein gegenüber dem Inhalt der einseitig aufgestellten Klauselwerke. Ein solches Bewußtsein entwickelte sich nicht nur bei denjenigen, die diesen Klauselwerken ausgesetzt waren, sondern auch in der juristischen Literatur. Doch wie reagierten die Juristen des 19. Jh.?
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle Selbstverständlich galt die Vertragsfreiheit im 19. Jh. nicht unbeschränkt. Daß eine grenzenlose Privatautonomie als prägender Grundsatz des Rechts des 19. Jh. ein bloßer Mythos ist, hat unlängst Hofer nachgewiesen38. Die allgemeinen Grenzen der Privatautonomie finden sich schon in der Pandektenliteratur39. Verträge durften nicht gegen Verbotsgesetze, gegen die guten Sitten, Treu und Glauben oder die öffentliche Ordnung verstoßen. Sie durften sich zudem nicht in Widerspruch zur Natur des Vertrages setzen. Diese Maßstäbe einer allgemeinen Inhaltskontrolle ergaben sich aus den römischen Quellen, und auf dieser Grundlage bewegten sich nicht nur Theorie und Praxis zum gemeinen Recht. Auch in den Partikulargesetzen waren Treu und Glauben40, die guten Sitten41, die öffentliche Ordnung42, Verbots36
RGBl. 1896, S. 157. Siehe beispielhaft Börsen-Enquete-Kommission, Stenographische Berichte, Bd. I, 1892, S. 602. 38 Hofer (2001), passim; HKK-BGB/Hofer (2007), vor § 241 Rn. 13 ff. Vgl. zudem HKKBGB/Haferkamp (2003), § 138 Rn. 7; und schon Flume II (3. Aufl. 1979), S. 16 f. 39 Statt aller v. Keller (1861), § 50 (S. 96); Baron (1893), § 13 (S. 29 f.); Vering (5. Aufl. 1887), § 192 (S. 531); Sintenis II (3. Aufl. 1868), § 97 (S. 284 f.). 40 Reyscher, ZDR 19 (1859), 313 spricht von gutem Glauben. Vgl. auch Pomponius D. 50,17,23. Zur Bedeutung von Treu und Glauben im 19. Jh. HKK-BGB/Duve/Haferkamp (2007), § 242 Rn. 26 ff. 41 § 3 DresdE; §§ 79, 793 SächsBGB; Art. 6, 1133 CC; CMBC IV 1 § 16; AGH Köln (31.1.1853), RheinA 48/1 (1853), 92, 93; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 345; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 41; OTR Berlin (30.3.1858), Striet37
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle
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gesetze43 und die Natur des Vertrages44 als Maßstäbe einer allgemeinen Inhaltskontrolle anerkannt. Ein Verstoß machte den Vertrag unwirksam. Freilich sind Treu und Glauben, die guten Sitten, die öffentliche Ordnung und die Natur des Vertrages unbestimmte Rechtsbegriffe. Wie weit eine offene richterliche Inhaltskontrolle auf Grundlage dieser Maßstäbe in der Praxis ging, hängt damit entscheidend von ihrer Konkretisierung durch die Gerichte ab. Unstreitig war, daß ein Haftungsausschluß für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ohne Wirkung war45. Umstritten war dagegen, ob über diesen unstreitigen Anwendungsfall hinausgegangen werden durfte. Und dieser Streit entzündete sich vor allem an den Reglements der Transportanstalten.
A. Die Reglements der Transportanstalten Trotz der verbreiteten Kritik am Inhalt der Reglements der Transportanstalten, wollte die wohl herrschende Meinung des 19. Jh. dabei stehen bleiben, daß nur der Ausschluß der Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit unwirksam war. Doch finden sich auch abweichende Ansichten, die bereits Pohlhausen herausgearbeitet hat46. So führte Reyscher 1859 zu den Reglements der Eisenbahnen und Telegraphenanstalten aus47: »Die Gerichte werden jedoch, indem sie über das neue Rechtsverhältnis [das zwischen Eisenbahn und Telegraphenanstalt einerseits und deren Kunden andererseits] urtheilen, nicht bei einer Subsumtion unter bestehende Gesetze oder der Zergliederung von Rechtssätzen stehen bleiben, sondern eine freiere Behandlung des Rechtsstoffes sich 42 horstA 28 (1858), 226, 236; Ulpian D. 16,3,1,7; Gruchot, Gruchot 15 (1871), 145 ff. Vgl. außerdem zur Sittenwidrigkeitskontrolle im 19. Jh. HKK-BGB/Haferkamp (2003), § 138 Rn. 3 f.; Zimmermann (1990), S. 712 f. 42 Art. 6, 1133 CC; HG Köln (23.10.1850), RheinA 47/1 (1852), 97, 101; OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236; Reyscher, ZDR 19 (1859), 313; Paulus D. 2,14,27,4. 43 §§ 79, 793 SächsBGB; § 3 DresdE; CMBC IV 1 § 16; Art. 1133 CC; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 344 f.; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 40 f.; OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236; Goldschmidt, Handbuch I/ 1 (1. Aufl. 1864), S. 216; Benecke/Nolte I (1851), S. 419; C. 2,3,6 (Antoninus). 44 CMBC IV 1 § 16; RevCassH Berlin (10.3.1845), RheinA 43/2 (1848), 3, 9, RheinA 38/2 (1845), 86, 90, SeuffA 4 (1851), 35, 36; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 345; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 40 f.; Benecke/Nolte I (1851), S. 419. Vgl. außerdem C.G. v. Wächter, Handbuch II (1842), § 1 (S. 7); Voigtel, BuschA 6 (1865), 449. Ursprung könnte Ulpian D. 16,3,1,10 sein. 45 Paulus D. 2,14,27,3; Paulus D. 13,6,17 pr.; Ulpian D. 16,3,1,7 und 10; Ulpian D. 50,17,23. Diese Stellen beziehen sich nur auf den Ausschluß der Haftung für Vorsatz. Die grobe Fahrlässigkeit wurde jedoch von der h.M. dem Vorsatz gleichgestellt; vgl. Mommsen II (1879), S. 181 ff.; Otto, WürttA 4 (1861),123 ff. m.w.N. auf die a.A. 46 Pohlhausen (1978), S. 47 ff. 47 Reyscher, ZDR 19 (1859), 313. Betonung hinzugefügt. Ebenso Vogt, DViertJhS 22 (1859), 35.
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§ 4. Inhaltskontrolle
gestatten dürfen, namentlich im Hinblick auf die Natur und den Zweck des Rechtsverhältnisses und die hieraus sich ergebenden Folgerungen.«
Konkreter wird er leider nicht. Vor allem die rheinischen Gerichte gingen in den späten 1840er und den 1850er Jahren zunächst den von Reyscher aufgezeigten Weg, beschränkten sich dabei aber nicht auf die Reglements von Eisenbahnen und Telegraphenanstalten48. Sie gingen davon aus, daß die Haftung des Frachtführers, die sich im Rheinland aus Art. 103 Code de Commerce und Art. 1784 CC ergab, und die Haftung der Eisenbahnen aus § 25 Preußisches Eisenbahngesetz von 1838 zwingendes Recht und daher vertraglich gar nicht abdingbar seien49. Zu ihrer Ansicht gelangten diese Gerichte zum einen durch einen Umkehrschluß. Art. 98 Code de Commerce sehe für den Spediteur ausdrücklich vor, daß eine Haftungsbegrenzung im Frachtbrief vereinbart werden könne. Dagegen nenne Art. 103 Code de Commerce diese Möglichkeit für den Frachtführer gerade nicht. Zum anderen wurde dieses Ergebnis für § 25 Preußisches Eisenbahngesetz unmittelbar aus dessen Wortlaut hergeleitet. Zudem wurde angenommen, daß eine Einschränkung dieser Haftung den guten Sitten50, der öffentlichen Ordnung51 und dem Wesen und der Natur des Frachtvertrags widerspreche52. Die rheinischen Gerichte setzten sich mit ihrer Ansicht in Widerspruch zur herrschenden Meinung im übrigen Deutschland. 48
Vgl. hierzu Scherner, ZEuP 5 (1997), 82 ff.; Pohlhausen (1978), S. 50 ff. AGH Köln (24.2.1844), RheinA 36/1 (1843), 243, 248; HG Köln (16.8.1849), RheinA 45/ 1 (1850), 129, 130; HG Elberfeld (17.8.1850), W. Koch, Anlagenheft, S. 127, 129 f.; HG Köln (27.9.1850), RheinA 47/2 (1852), 35, 36; HG Köln (23.10.1850), RheinA 47/1 (1852), 97, 101; AGH Köln (29.1.1852), RheinA 47/1 (1852), 97, 104; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 344 f.; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 40 f.; LG Düsseldorf (14.8.1857), W. Koch, Anlagenheft, S. 308; teilweise zustimmend Bessel/Kühlwetter II (1857), S. 208 ff. A.A. OTR Berlin (8.3.1853), RheinA 48/2 (1853), 40, 42 f.; OTR Berlin (6.7.1858), W. Koch, Anlagenheft, S. 307, 310 f.; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 133 f.; RevCassH Berlin (16.3.1852), RheinA 47/2 (1852), 35, 40; AGH Köln (31.1.1853), RheinA 48/ 1 (1853), 92, 93 f. Vgl. hierzu und zum folgenden auch Pohlhausen (1978), S. 50 ff. Bezüglich der Telegraphenanstalten ging wohl Mittermaier, AcP 46 (1863), 39 ff., davon aus, daß es sich bei den Haftungsnormen um zwingendes Recht handele. 50 HG Köln (16.8.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 130; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 345; AH Freising (20.2.1856), SeuffA 16 (1863), 49, 50; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 41. A.A. OTR Berlin (6.7.1858), W. Koch, Anlagenheft, S. 307, 311; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129. 51 RevCassH Berlin (10.3.1845), RheinA 43/2 (1848), 3, 9, RheinA 38/2 (1845), 86, 90; HG Köln (16.8.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 130; HG Elberfeld (17.8.1850), W. Koch, Anlagenheft, S. 127, 129; HG Köln (27.9.1850), RheinA 47/2 (1852), 35, 36; HG Köln (23.10.1850), RheinA 47/1 (1852), 97, 101; AGH Köln (29.1.1852), RheinA 47/1 (1852), 97, 104. A.A. OTR Berlin (8.3.1853), RheinA 48/2 (1853), 40, 42 f.; OTR Berlin (6.7.1858), W. Koch, Anlagenheft, S. 307, 311; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 132 f. Aus der Literatur a.A. Goldschmidt, AcP 41 (1858), 410. 52 RevCassH Berlin (10.3.1845), RheinA 43/2 (1848), 3, 9, RheinA 38/2 (1845), 86, 90; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 345; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39. A.A. AGH Köln (v. 3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129. 49
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle
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Die verschuldensunabhängige Haftung wurde hier grundsätzlich als abdingbar angesehen53. Pohlhausen bietet Erklärungsversuche dafür, warum es gerade die rheinischen Gerichte waren, die den Haftungsklauseln insbesondere der Eisenbahnreglements regelmäßig die Anerkennung absprachen54. Zum einen griffen die rheinischen Gerichte auf eine entsprechende Rechtsprechung der französischen Gerichte zurück, die ebenfalls von einer Unabdingbarkeit der Haftung der Frachtführer ausgingen55. Pohlhausens weist zum anderen darauf hin, daß die Handelsgerichte im Rheinland ausschließlich mit Handelsrichtern aus dem Kaufmannsstand besetzt waren. Und es waren ja gerade die Kaufleute, die über die Eisenbahnreglements klagten. In der Tat setzten sich seit 1815 in Preußen allein die Handelsgerichte in Aachen, Koblenz, Köln, Krefeld, Elberfeld und Trier ausschließlich aus Handelsrichtern aus dem Handelsstande zusammen56. Es handelte sich um Handelsgerichte französischer Prägung. In Düsseldorf und Kleve urteilten die Landgerichte als Handelsgerichte. Zwar gab es auch in anderen Teilen Preußens schon in der ersten Hälfte des 19. Jh. Handelsgerichte unter Beteiligung der Kaufmannsschaft57. So wurden in Königsberg, Danzig, Marienwerder, Elbing, Tilsit und Naumburg Mitglieder des Handelsstands als Beisitzer zugezogen. Sie hatten jedoch in der Regel nur beratende Stimme58. Und daher kann vermutet werden, daß ihr Einfluß beschränkt war. Allerdings wurde im übrigen Preußen und in den übrigen deutschen Staaten die Einführung von Handelsgerichten kontrovers diskutiert59. In Preußen schlugen sich die Diskussionen bereits 1847 in einem Gesetz über die Errichtung der Handelsgerichte nieder60. Durch dieses Gesetz sollte die Stellung der Handelsrichter gestärkt werden. Nach dessen § 5 sollte jedes Handelsgericht »aus einem rechtsverständigen Direktor nebst zweien rechtsverständigen Mitgliedern und mindestens vier Mitgliedern, welche dem Handelsstande angehören«61, bestehen, und nach § 17 desselben Gesetzes sollten »die Mitglieder aus dem Handelsstande, gleich den rechtsverständigen Mitgliedern, mit unbeschränktem Stimmrecht« teilnehmen. Die Zusammensetzung der rheinischen Handelsgerichte sollte dieses Gesetz nicht ändern. Denn es war in seiner An53
Vgl. oben § 2 II B (S. 27 f.) und unten den Text zu und nach Fn. 74. Pohlhausen (1978), S. 54 ff. 55 Pohlhausen (1978), S. 55 ff. mit Nachweisen aus der französische Rechtsprechung. Vgl. auch Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 331 f. m.w.N. 56 Anonym, ArchPreußHWR 2 (1848), 124; Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 96 ff.; Rosenberg, Handelsgerichtsbarkeit (1913), S. 454. 57 Zu ihren Ursprüngen Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 82 ff. 58 Anonym, ArchPreußHWR 2 (1848), 125; Kräwel, BuschA 11 (1867), 420. 59 Vgl. Löhr, Central-Organ 2 n.F. (1866), 497 ff.; dens., Deutsche Gerichts-Zeitung 1865, 91 f., 94 ff.; Drewen, Deutsche Gerichts-Zeitung 1865, 149 ff., 155 f.; Kompe, ZHR 8 (1865), 352; Kräwel, BuschA 11 (1867), 419 ff. 60 ArchPreußHWR 2 (1848), 1 ff. Vgl. Anonym, ArchPreußHWR 2 (1848), 124 ff. 54
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§ 4. Inhaltskontrolle
wendung auf die Teile Preußens beschränkt, in denen das ALR galt. Freilich trat das Gesetz niemals in Kraft62. Und so setzte es sich hier wie im übrigen Deutschland erst mit Einführung des ADHGB durch, Handelsgerichte einzurichten und mit stimmberechtigten Kaufleuten zu besetzen63. Doch zu diesem Zeitpunkt war der Anlaß einer offenen Inhaltskontrolle der Eisenbahnreglements bereits fortgefallen. Denn die Haftungsbestimmungen des ADHGB waren für die Eisenbahnen weitestgehen zwingend64. Pohlhausens These scheint sich damit zu bestätigen. Doch gab es schon in der ersten Hälfte des 19. Jh., und damit bevor die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte ihren Höhepunkt erreichte, zumindest vereinzelt außerhalb Preußens Handelsgerichte, in denen Kaufleute als Handelsrichter stimmberechtigt waren, so z.B. im rheinhessischen Mainz65. In Hamburg gab es ein Handelsgericht bereits wieder seit 181666. Es bestand zunächst aus einem Präses und einem Vicepräses und neun Handelsrichtern. Bei dem Präses und dem Vicepräses handelte es sich um Rechtsgelehrte. Die Handelsrichter wurden aus dem Handelsstand berufen. Das Handelsgericht zerfiel nach Art. 4 des Reglements des Handelsgerichts in zwei Kammern. Die erste Kammer bestand aus dem Präses und fünf Handelsrichtern, die zweite Kammer aus dem Vicepräses und vier Handelsrichtern. Nach Art. 8 der Handelsgerichtsordnung konnten Urteile nur in Anwesenheit von mindestens drei Richtern gefällt werden. Auch hier scheint der Einfluß der Handelsrichter entsprechend groß gewesen zu sein. In Bremen gab es seit 1845 Handelsgerichte unter Beteiligung der Kaufmannsschaft67, und in Braunschweig wurden sie durch Gesetz von 1850 eingerichtet68. Als Bestätigung von Pohlhausens These hätte man also auch in Hamburg, Bremen, Braunschweig und Mainz eine ähnlich kritische Haltung der Handelsgerichte gegenüber den Transportreglements erwartet. Diese blieb, soweit ersichtlich, allerdings aus.
61 Nach § 31 desselben Gesetzes waren die Handelsgerichte allerdings beschlußfähig, wenn mindestens drei Richter anwesend waren; die Anwesenheit der drei »rechtsverständigen Mitglieder« reichte dabei aus; die Teilnahme der Laienrichter war damit nicht unbedingt gewährleistet; vgl. hierzu die Kritik in einem Beschluß der Breslauer Kaufmannschaft, zitiert von Anonym, ArchPreußHWR 2 (1848), 126. 62 Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 117; Kräwel, BuschA 11 (1867), 421. 63 Vgl. die Übersicht bei Rosenberg, Handelsgerichtsbarkeit (1913), S. 455. 64 Siehe oben § 2 II C 1 b (S. 42 ff.) und unten III A (S. 157 ff.). 65 Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 97. 66 Vgl. Kosegarten, ArchHR 1 (1818), XXXVI f.; Baasch II/1 (1915), S. 556 ff.; Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 137 ff.; Rosenberg, Handelsgerichtsbarkeit (1913), S. 455; Kähler (2006), S. 293 ff. Die hamburgische Handelsgerichtsordnung von 1815 und das Reglement des Handelsgerichts sind abgedruckt bei Sutor (1866), S. 118 ff. Die Größe und Zusammensetzung des Handelsgerichts war im Laufe des 19. Jh. Veränderungen unterzogen. 67 Vgl. hierzu Hiemsch (1964), S. 99 ff. 68 Kwäwel, BuschA 11 (1867), 420; Silberschmidt, Sondergerichtsbarkeit (1904), S. 125; Rosenberg, Handelsgerichtsbarkeit (1913), S. 455.
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle
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Die rheinischen Gerichte enthielten sich mit einer Ausnahme einer Rechtfertigung dieser über das Maß des Üblichen hinausgehenden Inhaltskontrolle. Unwahrscheinlich erscheint mir, daß die rheinischen Gerichte von Anfang an unausgesprochen auf das faktische Monopol der Eisenbahnen reagierten. Dagegen spricht einerseits, daß es in dem wohl ersten Fall, in dem die Haftung des Frachtführers als unabdingbar anerkannt wurde, gar nicht um ein Eisenbahnreglement ging, sondern um ein Reglement einer Dampfschifffahrtsgesellschaft69. Den Dampfschiffahrtsgesellschaften wurde nun aber nicht vorgeworfen, ein faktisches Monopol auszunutzen70. Andererseits spielte der Gesichtspunkt des faktischen Monopols in den Urteilen71, soweit dies aus ihren verkürzten Veröffentlichungen ersichtlich ist, und auch im anwaltlichen Vorbringen nur eine untergeordnete Rolle72. Als Rechtfertigung genügte den Gerichten zunächst wohl die Anknüpfung an die entsprechende französische Rechtsprechung. Aber selbst wenn die rheinischen Gerichte es damit regelmäßig unterließen, ihre über das Maß des Üblichen hinausgehende Inhaltskontrolle besonders zu rechtfertigen, so ist doch bemerkenswert, daß in dem einzigen Urteil, in dem eine solche Rechtfertigung überhaupt unternommen wurde, gerade auf den Gesichtspunkt des faktischen Monopols der Eisenbahnen abgestellt wurde73. Bei diesem Urteil handelte es sich um eins der letzten Urteile, in denen die rheinischen Gerichte Haftungsklauseln für unwirksam erklärten. Es scheint sich daher eher um ein zusätzliches Argument zu handeln, das dieses Gericht der sich herauskristallisierenden anderslautenden Rechtsprechung des Berliner Obertribunals entgegenzusetzen suchte. Wir hatten oben die verschiedenen Formen und Gegenstände einer Inhaltskontrolle kennengelernt. Wie läßt sich die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte in diesen Rahmen einordnen? Es handelte sich um eine offene Inhaltskontrolle. Es war indes keine besondere Inhaltskontrolle von AGB. Als Prüfungsmaßstäbe dienten den rheinischen Gerichten zum einen die allgemeinen Kontrollmaßstäbe der richterlichen Inhaltskontrolle. Zum anderen erklärten die rheinischen Gerichte die Haftungsbestimmungen des Code de Commerce, des Code Civil und des Preußischen Eisenbahngesetzes für zwingend. Dennoch waren Kontrollsubjekte nicht die Gesetzgeber, sondern allein die Gerichte. Zwar waren diese Haftungsbestimmungen von den jeweiligen Gesetzgebern erlassen worden, aber nicht als Reaktion auf unbillige Haftungsklauseln in den Reglements. Vielmehr scheinen sich die rheinischen Ge69
AGH Köln (24.2.1844), RheinA 36/1 (1843), 243. Bluntschli (1864), § 160 (S. 495). 71 Wohl allein LG Düsseldorf (14.8.1857), W. Koch, Anlagenheft, S. 308, erwähnt diesen Gesichtspunkt. 72 So wohl nur AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129 und RevCassH Berlin (16.3.1852), RheinA 47/2, 35. 73 LG Düsseldorf (14.8.1857), W. Koch, Anlagenheft, S. 308. 70
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§ 4. Inhaltskontrolle
richte der französischen Rechtsprechung angeschlossen zu haben, um auf die AGB-Praxis reagieren zu können. Prüfungsgegenstand waren damit tatsächlich AGB gewesen. Doch war nunmehr auch eine Modifizierung der Haftung durch eine frei ausgehandelte Individualabrede ausgeschlossen. Von der einzig angeführten rechtspolitischen Rechtfertigung der mit der Inhaltskontrolle einhergehenden Einschränkung der Privatautonomie war das nicht mehr gedeckt. Denn wird eine Haftungsausschlußklausel frei ausgehandelt, hat die Eisenbahn ihr faktisches Monopol gerade nicht ausgenutzt. Von der herrschenden Meinung wurde die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte zunächst abgelehnt. Eine Inhaltskontrolle, die über die Fälle des Haftungsausschlusses bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit hinausgehe, sei nicht möglich74. Es sei Sache des Gesetzgebers und nicht der Rechtsprechung zu unterbinden, daß die Eisenbahnen durch Mißbrauch ihres faktischen Monopols dem Publikum unbillige Vertragsklauseln aufzwingen75. Damit erkannte aber auch diese herrschende Meinung bereits zur Mitte des 19. Jh. die besonderen Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben. Sie glaubte aber, daß die Gerichte nur dann zu einer solchen über die unstreitigen Fälle des Ausschlusses der Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit hinausgehenden Inhaltskontrolle befugt seien, wenn sie der Gesetzgeber durch Einführung zwingenden Rechts dazu ermächtigt. Ein Meinungsumschwung deutete sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts in den 1880er Jahren an76. Es ging um die Wirksamkeit der Haftungsausschlußklausel in den Frachtbedingungen eines Binnenschiffers. Zwar bejahte das Reichsgericht die Wirksamkeit der Klausel. Es erachtete einen Verstoß gegen die guten Sitten jedoch generell für möglich77: »Umgekehrt kann in der Beschränkung der Haftung des Frachtführers dann ein Verstoß gegen gute Sitten gefunden werden, wenn dem Publikum die Möglichkeit der anderweiten Wahrung seiner Interessen nicht oder nur unter verhältnismäßig schweren Bedingungen geboten wird, bezw. infolge besonderer Umstände (z.B. Bildung eines sog. Ringes nach amerikanischem Vorgange) die Absender gezwungen werden, sich dem Verlangen der Frachtführer zu fügen.«
Die Unterschiede zur Rechtsprechung der rheinischen Gerichte fallen ebenso wie die Gemeinsamkeiten sofort auf. Das Reichsgericht hat die Haftung nach 74 W. Koch, ZHR 8 (1865), 407 Fn. 11; Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 647 ff.; ders., ZHR 3 (1860), 339; ders., AcP 41 (1858), 408 ff.; AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 133; RevCassH Berlin (16.3.1852), RheinA 47/2 (1852), 35, 40; AGH Köln (21.1.1853), W. Koch II (1860), S. 63 ff.; OAG Darmstadt (14.5.1855), SeuffA 10 (1856), 274; OAG Lübeck (29.5.1856), Frankfurter Rechtssachen 3 (1861), 254 ff. 75 W. Koch, ZHR 8 (1865), 407, Fn. 11; ders. II (1860), S. 40; Beschorner, AcP 41 (1858), 404 f. 76 RG (11.2.1888), RGZ 20, 115. Vgl. hierzu schon HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 9. 77 RG (11.2.1888), RGZ 20, 115, 117. Vgl. hierzu schon Raiser (1935), S. 303 f.
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle
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Art. 395 ADHGB nicht zu zwingendem Recht erklärt, sondern die Haftungsausschlußklausel an den guten Sitten gemessen. Es nahm damit wie schon zuvor die rheinischen Gerichte keine besondere AGB-Kontrolle vor. Es handelte sich vielmehr um eine Inhaltskontrolle der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Das Reichsgericht arbeitete nun zwei Kriterien zur Konkretisierung der guten Sitten heraus, die über den bisher anerkannten Anwendungsfall, daß ein Ausschluß der Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit den guten Sitten widerspreche, hinausging: Die für eine Partei nachteilige Abweichung vom Dispositivrecht muß durch eine anderweitige Möglichkeit der Wahrung ihrer Interessen ausgeglichen werden. Konkret war dem Versender eine Versicherung des Frachtguts angeboten worden. Oder der Vertragspartner hatte keine andere Wahl, als der für ihn nachteiligen Abweichung vom Dispositivrecht zuzustimmen, weil sich der Verwender entweder mit den anderen Anbietern derselben Leistung auf diese Bedingungen geeinigt hatte oder weil er ein faktisches Monopol inne hat. Frei ausgehandelte Individualvereinbarungen konnten auf dieser Grundlage wohl niemals sittenwidrig sein.
B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Auch der Inhalt von AVB wurde an gesetzlichen Verboten, Treu und Glauben, den guten Sitten und der Vertragsnatur gemessen78. Es fand mithin eine allgemeine offene richterliche Inhaltskontrolle statt. Obwohl sich die Versicherungsnehmer darauf beriefen, daß einzelne Klauseln in den AVB gegen die guten Sitten verstießen und daher nichtig seien79, war der Umfang dieser Inhaltskontrolle sehr gering. Ausdrücklich wird sie in einem Urteil des Kreisgerichts Dessau aus dem Jahre 1866 thematisiert, aber im konkreten Fall nicht vorgenommen80. Die Police enthielt folgende Klausel: »Der Versicherte ist (bei Verwirkung seines Entschädigungsanspruches) verpflichtet, dem Agenten binnen 24 Stunden nach dem Brande denselben anzuzeigen; binnen drei Tagen nach dem Brande sich über alle denselben betreffenden Umstände […] von seiner Ortsbehörde vernehmen zu lassen und binnen 14 Tagen nach dieser Vernehmung eine beglaubigte Abschrift der über den Brand aufgenommenen polizeilichen Verhandlungen der Agentur einzusenden.« 78
Benecke III (1808), S. 33; ROHG (18.6.1872), ROHGE 6, 412. So z.B. in OAG Dresden (April 1863), PreußVersZ 1 (1867), 671; OTR Berlin (5.6.1867), PreußVersZ 4 (1870), 73. In anderen Verfahren wurde in der Urteilsbegründung beiläufig bemerkt, daß ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen die öffentliche Ordnung nicht vorliege, so CassH Darmstadt (9.3.1858), ZVersR 1 (1866), 73, 74. Das deutet auf einen entsprechenden Vortrag des Versicherungsnehmers hin. 80 KreisG Dessau (2.2.1866), ZVersR 2 (1868), 308. Ausdrücklich abgelehnt wird eine offenene Inhaltskontrolle auch von Harries, Gruchot 16 (1872), 387. 79
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§ 4. Inhaltskontrolle
Der Kläger war diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen und berief sich nun auf die Ungültigkeit der Klausel. Das Kreisgericht wies das Vorbringen zurück81: »Die ganze klägerische Vertheidigung erscheine schon von dem einen Gesichtspunkte unbegründet, daß das gesammte Feuerversicherungswesen in Anhalt unter obrigkeitlicher Aufsicht stehe, daß nicht allein jede Versicherungsgesellschaft der Erlaubniß der herzogl. Regierung zum Geschäftsbetriebe bedürfe, welche unzweifelhaft eine Prüfung der gesammten Geschäftsführung der Gesellschaft, mithin auch der allgemeinen Versicherungsbedingungen voraussetzt, sondern auch jeder einzelne Versicherungscontract der polizeilichen Genehmigung unterliege. Dies allein schließe in abstracto die Möglichkeit aus, daß eine Bestimmung des vorliegenden Versicherungsvertrages gegen gute Sitte, Gesetz und öffentliches Wohl verstoßen könne. Aber auch bei concreter richterlicher Prüfung erscheine der Vorwurf ohne allen Grund. Mit Recht weise Beklagte darauf hin, daß die fraglichen Vorschriften ebensowohl im Interesse des Versichernden, dem zu seiner eigenen Sicherheit an baldiger Kenntniß der Versicherungsgesellschaft von der Entstehung ihrer Obligation und an deren schleuniger Feststellung gelegen sein müsse, als im Interesse der Gesellschaft selbst gegeben seien; sie träten mithin gegen das Wesen des Versicherungsvertrages und öffentliches Wohl in keiner Weise in Widerspruch. […] Hiernach könne von einer Nichtigkeit der fraglichen Contractsbestimmung […] nicht die Rede sein. Sollte die Ausführung der Vorschrift schwierig, das Präjudiz hart erscheinen, so sei auch hier darauf hinzuweisen, daß Kläger vor dem Abschlusse des Versicherungsvertrages Beides gekannt habe.«
Obwohl eine offene Inhaltskontrolle damit abgelehnt wurde, ist doch der enorme Begründungsaufwand auffällig. Weil die AVB einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle standgehalten hätten, müsse das Gericht von ihrer Billigkeit ausgehen. Das Kreisgericht Dessau berührte hier schon 1866 das Verhältnis einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle zur richterlichen Inhaltskontrolle. Es maß die Klausel dann an der Natur des Vertrages und am öffentlichen Wohl, lehnte indes einen Widerspruch ab. Schließlich verwies das Gericht darauf, daß der Kläger den Vertrag in (wohl unterstellter) Kenntnis des Klauselinhalts abgeschlossen hatte und lehnte auch deshalb eine offene Inhaltskontrolle ab. Das Gericht berührte damit den auch vor Inkrafttreten des AGBG diskutierten Zusammenhang zwischen der »Einbeziehungskontrolle« und der Inhaltskontrolle. Von einigen wurde bei Vorbereitung des Gesetzes die Befürchtung vorgetragen, gesetzlich normierte Einbeziehungsvoraussetzungen könnten dazu führen, daß die Gerichte von der Möglichkeit einer Inhaltskontrolle nur zurückhaltend Gebrauch machen82. Die ausführliche Begründung des Kreisgerichts Dessau läßt darauf schließen, daß die Gültigkeit der Klausel in der Verhandlung kontrovers diskutiert worden ist, und das deutet wiederum auf ein ausgeprägtes Problembewußtsein hin. 81 82
KreisG Dessau (2.2.1866), ZVersR 2 (1868), 308, 308 f. Betonung hinzugefügt. Vgl. statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 48.
II. Die offene richterliche Inhaltskontrolle
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Neben den vom Kreisgericht Dessau angeführten Argumenten findet sich häufig noch Folgendes: Die Versicherungsgesellschaften beriefen sich darauf, daß die Versicherungsbedingungen auch vor Betrugsversuchen der Versicherungsnehmer schützen sollten und damit der Gesamtheit der Versicherten zugute kam. Die Gerichte schlossen sich dieser Argumentation zum Teil an83. Freilich forderte die Literatur, wenn auch selten, ein beherztes Einschreiten der Gerichte. So führte Schneider 1896 aus84: »[D]er Grund, die ›ratio legis‹, die vorhergekennzeichneten Vertragsbestimmungen zu beanstanden, liegt darin, daß sie offenbar nur aus Unerfahrenheit und unter dem Drucke eines gewissen wirtschaftlichen Zwanges zugestanden werden. […] Ganz gewiß aber sind die Versicherungslustigen nur selten in der Lage, den Wust der gewöhnlich auch recht undeutlich gedruckten Bedingungen zu verstehen und sie in ihrer eigentlichen Tragweite zu deuten. Sie schließen außerdem in der Hoffnung ab, ein Verwirkungsfall werde bei gutem Willen ihrerseits doch wohl nicht eintreten oder von der Anstalt gegen sie nicht geltend gemacht werden, – was in manchen Fällen dann ja auch thatsächlich aus Anstandsgefühl oder infolge der durch den Wettbewerb beflügelten ›Kulanz‹ unterbleibt.«
Schneider verweist hier sehr deutlich auf eine intellektuelle und wirtschaftliche Unterlegenheit des Vertragspartners sowie auf eine Informationsasymmetrie und ein Motivationsgefälle zwischen den Parteien als Gründe, die ein Einschreiten der Gerichte rechtfertigen.
C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen Die allgemeinen Kontrollmaßstäbe galten schließlich auch im Mietrecht. So führte Heitzer im Jahre 1886 aus, daß im »Vertrage […] an Stelle der gesetzlichen auch andere Bestimmungen getroffen sein [können], nur dürfen sie dem Wesen des Miethvertrags nicht widersprechen«85. Ohne Nachweise aus der Rechtsprechung führte Fuld im Jahre 1898 aus86: »Vereinbarungen, welche die guten Sitten verletzen, sind nichtig; eine Verletzung der guten Sitten ist aber in der Vereinbarung zu erblicken, welche die gesetzlichen Verfügungsbefugnisse des Mieters der Art beschränkt, daß er von der gemieteten Sache nicht mehr den Gebrauch machen kann, der den Verkehrsbedürfnissen und dem Zwecke entsprechend davon gemacht werden soll. Wo die Grenze zwischen der zulässigen und unzulässigen Beschränkung liegt kann nur die Prüfung des Einzelfalles ergeben[. I]m Zweifel ist stets gegen die in Widerspruch mit dem Gesetze stehende Beschränkung zu entscheiden und somit diejenige Auslegung zu bevorzugen, welche für den Mieter die 83 Vgl. z.B. OAG Dresden (6.12.1866), PreußVersZ 2 (1868), 37. Vgl. außerdem Duvinage (1987), S. 8. 84 K. Schneider, AcP 85 (1896), 302 f. 85 Heitzer (1886), S. 23. 86 Fuld (1898), S. 55. Betonung hinzugefügt.
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§ 4. Inhaltskontrolle
am wenigsten drückende ist. Die juristische Rechtfertigung dieses Satzes ergiebt sich einmal daraus, daß derjenige, welcher dem Mieter die gesetzlichen Befugnisse verkümmern will, die Pflicht hat sich so klar und unzweideutig auszudrücken, daß Zweifel über den Inhalt und das Anwendungsgebiet der Verkümmerung ausgeschlossen werden[,] sodann aber auch aus der Erwägung, daß eine Beschränkung, welche den verkehrsüblichen Gebrauch nicht mehr zuläßt, eine der wesentlichen begrifflichen Grundlagen des Mietvertrags verletzt.
Fuld trennt hier nicht sauber zwischen einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle und einer verdeckten Inhaltskontrolle im Wege der Auslegung. Nachfolgend diskutiert Fuld zahlreiche Beispiele aus in Berlin üblichen Hausordnungen. Einen ausgesprochen modernen Vorschlag entwickelt Jastrow 1892 in seinem dem 22. Deutschen Juristentag vorgelegten Gutachten zu Abzahlungsgeschäften87: »Die Verfallclausel der Abzahlungsgeschäfte ist zunächst durchaus keine isolirte Erscheinung im wirthschaftlichen Leben; sie ist vielmehr nur eine bestimmte Art einer weit verbreiteten Form des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit. Als Verträge völlig analoger Art seien hier nur genannt: die Wohnungsmietverträge in den großen Städten und die Versicherungsverträge. In den in Berlin allgemein üblichen formularmäßigen Miethsverträgen findet sich z.B. die Bestimmung, daß der geringste Verzug in Zahlung der Miethe den Vermiether zu Exmission berechtigt, bei welcher der Miether dann noch während der ganzen Contractsdauer für die Miethe verhaftet bleibt. […] Die drückenden Bestimmungen der Versicherungsverträge sind jedem Juristen bekannt […]. Wenn man derartigen Ungerechtigkeiten auf den verschiedensten Gebieten begegnet, so muß man zu der Annahme kommen, daß es sich um einen organischen Mangel in unserem Rechtssystem handelt, und daß letzteres in wesentlichen Functionen den Lebensbedürfnissen nicht mehr genügt. Und so ist es auch. Alle erwähnten Mißstände beziehen sich auf formulirte Verträge, die der eine Theil gewerbsmäßig, der andere Theil nur aus besonderer Veranlassung abschließt. Der gewerbsmäßig handelnde Theil verwendet alle seine Sorgfalt, um Formulare herzustellen, die einseitig seine Interessen begünstigen. Diese Formulare hat er in Druckexemplaren vorräthig. In anderer Weise schließt er nicht ab […]. Im Uebrigen ist der Gegencontrahent dem Formular auf Gnade oder Ungnade preisgegeben. Der Inhalt desselben kommt ihm auch meist gar nicht zum Bewußtsein; er unterschreibt sehr häufig, ganz ohne es durchzulesen, weil Tausende das Gleiche schon unterschrieben haben, und wenn ihm wirklich eine Bestimmung unbillig scheint, dann denkt er: ›zu solchem Falle kommt es ja nicht!‹ und der andere Theil bestärkt ihn in dieser Auffassung […]. Die Mißstände, die sich aus derartigen Verträgen entwickeln, sind von der einschneidendsten Art. Eine der Voraussetzungen für die Gültigkeit jeden Vertrages, die Willensfreiheit der Contrahenten, können wir gegen den Clauseln in den formulierten Verträgen kaum noch anders aufrecht erhalten, als indem wir diese Willensfreiheit fingiren. […] Wer diesen Uebeln durch Specialgesetze entgegenwirken will, der ist genöthigt, heute gegen den Abzahlungs87
Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 282 ff.
III. Die Einführung zwingenden Rechts
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kauf, morgen gegen die Hauswirthe, dann gegen die Versicherungs-Gesellschaften Gesetze zu machen und doch nur wenig auszurichten, denn der Verkehr und das Wirthschaftsbedürfnis erzeugt stets neue Formen und damit neuen Mißbrauch. Die Specialgesetzgebung aber hinkt immer nach. […] Man soll deshalb meines Erachtens im organischen Bau des Rechts selbst den Mangel aufsuchen und ihm in großen Zügen abhelfen. […] Die Abhülfe ist zu suchen in einer allgemeinen Correctur der Vertragsfreiheit. Zwar kann man so weit nicht gehen, die Hauptabreden über Leistung und Gegenleistung einer richterlichen Nachprüfung auf ihre Billigkeit unterziehen zu lassen […].«
Jastrow erkannte die Probleme eines punktuellen gesetzgeberischen Eingriffs. Er sprach sich für eine richterliche Kontrolle aus, wollte von dieser aber die Hauptabreden ausnehmen. Auf dieser Grundlage formulierte Jastrow »folgenden Vorschlag für eine aufzustellende allgemeine Norm des bürgerlichen Rechts«88: »Sind in einem Vertage Nebenabreden für entferntere Fälle, insbesondere für die Folgen einer Vertragsverletzung getroffen, so dürfen Ansprüche und Einreden aus solchen Abmachungen nur geltend gemacht werden, insoweit nicht ihre Durchführung eine harte und ungerechte Bedrückung des anderen Theiles enthält. Ansprüche und Einreden, welche dem zuwider erhoben werden, sind, wenn sie nicht völlig unstatthaft sind, vom Richter auf das Maß des Zulässigen einzuschränken. Handelt es sich um Leistungen, die nicht in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen, so hat der Richter nach den Umständen des Falles zu bestimmen, in welcher Art die Einschränkung zu erfolgen hat. Ein vertragsmäßiger Verzicht auf diese Vorschrift ist unstatthaft.«
Jastrow sprach sich für Anwendungskontrolle aus und wollte dafür eine Generalklausel schaffen. Zwar war diese nicht auf die Kontrolle von AGB beschränkt. Jastrow hatte bei ihrer Formulierung aber die AGB-Praxis vor Augen. Schließlich wollte er diese Anwendungskontrolle auch zugunsten von Kaufleuten als Vertragspartner anwenden89.
III. Die Einführung zwingenden Rechts A. Die Reglements der Transportanstalten Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber des ADHGB 1861 mit Einführung zwingenden Rechts auf die Praxis der Eisenbahnen, unbillige Klauseln zu verwenden, reagierte90. Zur Begründung verwies der Gesetzgeber auf das faktische Monopol der Eisenbahnen, das es ihnen ermög88 89 90
Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 286. Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 287. Siehe oben § 2 II C 1 b (S. 42 ff.). Vgl. zudem Helm, FS Brandner (1996), S. 222 ff.
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§ 4. Inhaltskontrolle
lichte, ihren Vertragspartnern unbillige Vertragsklauseln zu diktieren91. Der Gesetzgeber führte nur für Eisenbahnen zwingendes Recht ein, weil eben nur sie ihr faktisches Monopol mißbrauchten. Somit schien auch nur für die Eisenbahnen ein gesetzgeberischer Eingriff rechtspolitisch gerechtfertigt zu sein. Anlaß der Einführung des zwingenden Rechts für die Eisenbahnen waren damit ihre unbilligen AGB gewesen. Das fand auch Niederschlag in der Formulierung des Art. 423 Abs. 1 ADHGB92: »Die […] Eisenbahnen sind nicht befugt, die Anwendung der in den Art. 395 […] enthaltenen Bestimmungen über die Verpflichtung des Frachtführers zum Schadensersatz […] zu ihrem Vortheil durch Verträge (mittelst Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im Voraus auszuschließen oder zu beschränken […].«
Doch unterband der Gesetzgeber mit seiner Lösung nicht nur die Verwendung abweichender AGB (»mittelst Reglements«). Auch abweichende Individualabreden (»durch besondere Uebereinkunft«) waren fortan nicht mehr möglich. Folge der Einführung zwingenden Rechts war, daß sich die Literatur nun ausgiebig mit der Frage beschäftigte, welche Reglementbestimmungen nichtig waren93. Seit 1869 war es den Eisenbahnen zudem nicht mehr möglich, die Haftung nach § 25 Preußisches Eisenbahngesetz von 1838 auszuschließen94: »Die Eisenbahnen sind nicht befugt, die Anwendung der im §. 25 […] enthaltenen Bestimmungen über ihre Verpflichtung zum Ersatze des Schadens, welcher bei der Beförderung auf der Bahn an den auf derselben beförderten Personen oder auch an anderen Personen entsteht, zu ihrem Vortheile durch Verträge (mittelst Reglements oder durch besondere Uebereinkunft) im Voraus auszuschließen oder zu beschränken. Vertragsbestimmungen, welche dieser Vorschrift entgegenstehen, haben keine rechtliche Wirkung.«
Damit war nun für die Eisenbahnen genau die Rechtslage erreicht, welche die rheinischen Gerichte durch eine offene Inhaltskontrolle bereits zuvor zu erzielen suchten. Nicht nur für die Eisenbahnen wurde die Einführung gesetzlicher Vorschriften verlangt, sondern auch für die Telegraphenanstalten95. Ihr alleiniger Betreiber war der Staat. Zunächst wurden Privatdepeschen nicht zur Versendung angenommen. In Preußen wurden sie erst im Jahre 1849 zugelassen. Das Verhältnis zwischen Privatversender und Telegraphenanstalt regelten Reglements. In Württemberg z.B. hatte ein solches Reglement das Finanzministe91
Vgl. oben die Nachweise in § 2 II C 1 b (S. 42 ff.). Betonung hinzugefügt. 93 Vgl. hierzu nur Steinbach, GrünhZ 10 (1883), 199 ff. m.w.N. 94 Preußisches Gesetz vom 3.5.1869, betreffend einen Zusatz zu § 25 des Gesetzes über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3.11.1838, abgedruckt in Central-Organ 5 n.F. (1869), 606. Betonung hinzugefügt. Vgl. hierzu schon F.B. Heyn (1996), S. 138. 95 Vgl. zum folgenden bereits oben § 2 II C 2 (S. 49 ff.). 92
III. Die Einführung zwingenden Rechts
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rium entworfen. Das Finanzministerium war der Ansicht, daß eine Zustimmung der Abgeordnetenkammer zu dem Reglement entbehrlich sei, denn es handele sich bei diesem nicht um ein Gesetz, sondern lediglich um Bestimmungen, die durch Abrede Vertragsbestandteil werden. Wir konnten bereits oben sehen, daß Reyscher 1859 hiergegen Widerspruch erhob. Er wendete ein96, daß »1) das volkswirtschaftliche Interesse verlange, daß der Telegraph als öffentlich-rechtliche Anstalt behandelt werde, als eine Anstalt, deren Benützung dem Publikum durch gesetzliche Normen gesichert sei, und nicht als eine Privatangelegenheit, welche von dem Finanzminister an beliebige Bedingungen geknüpft werden könnte; 2) es wäre gegen den Sinn und Geist der Verfassung, wenn eine Anstalt, welche nicht blos einen finanziellen, sondern auch einen polizeilichen Charakter habe […], von der Willkühr der jeweiligen Finanzverwaltung abhienge; 3) der Telegraphenanstalt stehe ein factisches Monopol zur Seite: denn es bestehe keine Konkurrenz, und es würde, wenn je eine Privatgesellschaft aufträte, um einen Telegraphen durch das Land zu führen und mit dem Staatstelegraphen in Konkurrenz zu treten, dieselbe wohl keine Konzession erhalten. Die Bestimmungen, welche über den Telegraphen gegeben werden (es wurden namentlich die über die Gewähr hervorgehoben), normiren Rechte und Pflichten für alle Bürger, die keine Wahl haben, sich denselben zu unterwerfen oder nicht.«
Es handelte sich wohl nicht allein um einen formalen Kompetenzstreit. Reyscher selbst spricht die Haftungsausschlußklauseln (Bestimmungen »über die Gewähr«) an, die das Reglement enthielt und die ein Anlaß der Debatte waren. Es sollte nicht im Belieben des Finanzministeriums stehen, diese Haftungsausschlußklauseln einzuführen. Sie sollten der Kontrolle der Abgeordnetenkammer unterstehen. Neben dem volkswirtschaftlichen Interesse und dem Charakter der Telegraphenanstalten als öffentlich-rechtliche Anstalt verwies Reyscher auf das faktische Monopol der Telegraphenanstalten, um die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zu begründen.
B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Anders als im Eisenbahnrecht übte sich der Gesetzgeber im Versicherungsrecht weitgehend in Entsagung. Von der Einführung zwingenden Rechts sah er regelmäßig ab. Allerdings wurde die Einführung zwingenden Rechts zum Schutze der Versicherungsnehmer diskutiert. So schrieb v. Kübel schon 1866 zu entsprechenden Diskussion in den Beratungen zum Dresdener Entwurf97: »Die einzelnen Bestimmungen des Dresdener Entwurfes [unterliegen] […] der willkührlichen Abänderung der Kontrahenten […]. Es wurde jedoch […] die Frage erör96
Reyscher, ZDR 19 (1859), 309. Kübel, ZVersR 1 (1866), 336 ff. Betonung hinzugefügt. Vgl. auch Prot. DresdE VI, S. 4568 ff.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 113 f. 97
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§ 4. Inhaltskontrolle
tert, ob nicht […] zum Schutze des Versicherten, die Aufstellung prohibitiver, der willkührlichen Abänderung durch die Kontrahenten entzogener Bestimmungen als Hauptaufgabe des Gesetzes zu betrachten sei […]: ein Umstand, der um so mehr eine Würdigung verdiene, als der Versicherungsnehmer sich in einer ungünstigeren Lage dadurch befinde, daß er als Einzelner einer organisirten Versicherungsgesellschaft, welche die Bedingungen der Versicherungsübernahme schon zum Voraus in ihren Statuten nach reiflicher Ueberlegung in ihrem Interesse festgestellt habe, gegenüber stehe und, wenn er Versicherung nehmen wolle, diese Bedingungen so, wie sie einmal festgestellt seien, annehmen müsse […]. Gegen die Aufstellung prohibitiver Bestimmungen werde zwar geltend gemacht, daß es bedenklich sei, die öffentliche Ordnung, welche in undefinirter Begriff sei, zum Ausgangspunkte bei civilrechtlichen Bestimmungen zu machen […]. Allein es handle sich nicht darum, gestützt auf die öffentliche Ordnung, civilrechtliche Grundsätze zu biegen oder zu modificiren, sondern darum, einen leicht möglichen einseitigen, nachtheiligen Einfluß bei der Convention zu paralysiren, also die Freiheit der Convention in wohlverstandenem Sinne noch zu fördern […].«
v. Kübels Ausführung offenbaren wiederum, daß bereits zur Mitte des 19. Jh. ein ausgeprägtes Problembewußtsein gegenüber der Verwendung von AVB existierte. Es wurde kontrovers diskutiert, ob als Reaktion auf die Praxis der Versicherer, unbillige AVB zu verwenden, zwingendes Recht erlassen werden sollte. Als Rechtfertigung für die Einführung zwingenden Rechts weist v. Kübel zum einen auf das Ungleichgewicht zwischen den Parteien hin. Zum anderen deutet sich bei v. Kübel an, daß schon in der Mitte des 19. Jh. ein materieller Begriff der Vertragsfreiheit bekannt war. Am Ende setzten sich aber diejenigen durch, die die Einführung zwingenden Rechts zugunsten des Versicherungsnehmers ablehnten. Neben der grundsätzlichen Ablehnung solcher Normen beriefen sich diese Gegner darauf, daß die Kommission nicht genügend Vorarbeiten geleistet habe, um solche zwingenden Normen einführen zu können. Auch wurde auf das junge Alter des Versicherungsrechts verwiesen. Eine organische Entwicklung des Versicherungsrechts werde durch Einführung zwingenden Rechts gefährdet. Zudem wurde, wie im Eisenbahnrecht, darauf verwiesen, daß die vorhandene aufsichtsrechtliche Kontrolle ausreiche98. Doch damit war die Debatte keineswegs beendet. Auch später wurde immer wieder die Einführung zwingenden Rechts gefordert99. Zum Teil wurde dabei als Rechtfertigung für die Einführung solcher zwingenden Vorschriften auf ein faktisches Monopol der Versicherungen verwiesen und eine Parallele zum Eisenbahnenrecht gezogen100. Obwohl also zunächst kein deutschlandweiter Konsens über die Einführung zwingenden Rechts zum Schutze der Versicherungsnehmer erzielt werden konnte, gingen einzelne Landesgesetzgeber und -regierungen diesen Weg durchaus, so z.B. in Sachsen. § 44 der Ausführungsverordnung vom 20.10.1862 98 99 100
Prot. DresdE IV, S. 3372. Ehrenberg I (1893), S. 80 ff.; Cohn (1873), S. 77; Bähr, ArchBürgR 7 (1893), 26. Cohn (1873), S. 77.
III. Die Einführung zwingenden Rechts
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zum VI. Abschnitt des das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffende Gesetzes vom 23.8.1862 lautete101: »Da die Versicherungsanstalten […] ihre Policen […] gegen sich gelten zu lassen haben, eben deshalb aber verpflichtet sind, bei dem Abschlusse von Versicherungen mit der nöthigen Vorsicht zu Werke zu gehen, so ist es auch nicht gestattet, bei eingetretenem Brandschaden wegen einzelner, erst dann zur Sprache gebrachter Unrichtigkeiten in der Declaration [oder] Police […], die Schädenvergütung ganz […] zu verweigern. In einem solchen Falle bleibt vielmehr der Verlust des Entschädigungsanspruchs nach Befinden auf die betreffenden einzelnen Versicherungsgegenstände, oder auf die bezügliche Position der Declaration wie der Police […] beschränkt.«
Und zu diesem § 44 der genannten Ausführungsverordnung bestimmte sodann § 4 einer Verordnung aus dem Jahre 1863102: »In den Versicherungsbedingungen der Privatfeuerversicherungsanstalten dürfen daher nicht Bestimmungen enthalten sein, aus denen wegen solcher einzelnen Unrichtigkeiten der Verlust des Entschädigungsanspruchs überhaupt und im Ganzen, also zugleich wegen derjenigen Positionen der Police […] abgeleitet werden könnte, welche sich in Richtigkeit befinden und auf welche jene specielle Unrichtigkeit keinen Einfluss hat.«
Aus der Formulierung dieser Bestimmungen und aus ihrer Rechtsnatur als bloße Verordnung könnte man zwar den Schluß ziehen, daß es sich nicht um unmittelbar zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer geltendes zwingendes Recht handelte. Man könnte vielmehr meinen, daß es allein den Aufsichtsbehörden auf dieser Grundlage möglich war, gegen Versicherer, deren AVB nicht konform waren, aufsichtsrechtlich einzuschreiten. Wir hatten allerdings bereits gesehen, daß das Oberappellationsgericht Dresden auch § 35 derselben Ausführungsverordnung nicht als bloße öffentlichrechtliche Vorschrift verstand103, sondern sie unmittelbar auf den Versicherungsvertrag anwendete. Es darf daher vermutet werden, daß gleiches für § 44 der Ausführungsverordnung galt. Auch der preußische Gesetzgeber widmete sich einem Problem, das wir heute der Inhaltskontrolle zuordnen. ALR II 8 § 2101 lautete: »Ist darin [gemeint sind die Policebedingungen] etwas dunkel oder zweydeutig: so wird jederzeit angenommen, daß die Contrahenten in so weit von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften nicht haben abweichen wollen.«
ALR II 8 § 2101 enthält eine Unklarheitenregel. Aber anders als bei der üblichen contra proferentem-Regel war Rechtsfolge nicht, daß im Rahmen der Auslegung die dem Vertragspartner günstigere Auslegungsmöglichkeit gewählt wurde. An die Stelle der unklaren Klausel trat vielmehr das durch die 101 102 103
Zitiert aus Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 119. Zitiert aus Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 119. Siehe oben § 2 IV D 5 (S. 79).
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§ 4. Inhaltskontrolle
Klausel eigentlich abbedungene Dispositivrecht. Damit kannte schon das ALR von 1794 im Versicherungsvertragsrecht eine mit § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vergleichbare Regel.
C. Die Aushänge der Gastwirte Bereits oben haben wir die zahlreichen Regelungen in den Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen des ausgehenden 18. und des 19. Jh. zu den Aushängen der Gastwirte kennengelernt104. Dort interessierte nur, unter welchen Voraussetzungen solche Aushänge zum Vertragsinhalt wurden. Bei genauer Lektüre der zitierten Vorschriften konnte allerdings schon oben auffallen, daß sich diese Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe zumeist nicht darauf beschränkten, bloße Einbeziehungsvoraussetzungen aufzustellen. Bloße Geltungsvoraussetzungen enthielten ALR II 8 § 448105 und Art. 2069 Entwurf eines allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Baiern (1808/ 09)106. Dagegen lautete Art. 680 Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1860): »Sind dem Gaste hinsichtlich des Zimmerverschlusses oder der Aufbewahrung von Geld, Werthpapieren oder Kostbarkeiten besondere Anordnungen bei seiner Aufnahme vom Wirthe oder dessen Dienstleuten mündlich erklärt oder durch einen in dem ihm angewiesenen Zimmer befindlichen, in die Augen fallenden Anschlag bekannt gegeben worden, und hat der Gast in Folge der Vernachlässigung dieser Anordnungen Schaden erlitten, so haftet der Wirth nur für sein eigenes Verschulden sowie für dasjenige seiner Angehörigen und Dienstleute.«
Ganz ähnlich bestimmte § 1288 Sächsisches BGB: »Ein Anschlag, durch welchen der Wirth die Haftpflicht von sich ablehnt, befreit ihn nur soweit davon, als dieser Anschlag sich auf Geld, Werthpapiere und Kostbarkeiten, unter dem Erbieten des Wirthes zur eigenen Aufbewahrung derselben, bezieht, und in dem dem Fremden zur Beherbergung angewiesenen Raume in einer in die Augen fallenden Weise bereits bei der Aufnahme des Fremden angebracht war.«
Art. 751 Abs. 3 Dresdener Entwurf lehnte sich schließlich an § 1288 Sächsisches BGB an: »Den Landesgesetzen bleibt jedoch vorbehalten, einem solchen Anschlage diese Wirkung unter der Voraussetzung beizulegen, daß der Anschlag sich auf Geld, Werthpapiere und Kostbarkeiten bezieht, das Erbieten des Wirthes zur eigenen Aufbewahrung 104
Siehe oben § 2 III (S. 57 ff.). »Erklärt der Gastwirth sogleich bey der Aufnahme, daß er für die eingebrachten Sachen nicht stehen wolle: so haftet er nur für einen solchen Verlust, welcher von ihm selbst, oder von seinen Leuten, aus grobem oder mäßigen Versehen, verursacht worden.« 106 »Die nach geschehener Aufnahme erfolgte Protestation des Wirths, für keinen Schaden haften zu wollen, hebt die gesetzliche Verbindlichkeit nicht auf, wenn der Fremde sich nicht ausdrücklich in diese Erklärung gefügt hat.« 105
III. Die Einführung zwingenden Rechts
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derselben enthält und in dem dem Fremden zur Beherbergung angewiesenen Raume in einer in die Augen fallenden Weise bereits bei der Aufnahme des Fremden angebracht war.«
In allen drei Vorschriften werden Fragen der Einbeziehungsproblematik und der Inhaltskontrolle miteinander vermengt. Anschläge in den Herbergszimmern waren nur insoweit wirksam, als sie deutlich sichtbar ausgehängt waren (Einbeziehungsvoraussetzung), als sie sich auf Wertsachen bezogen und von besonderen Anweisungen, wie diese Wertsachen geschützt werden können, begleitet waren (inhaltliche Einschränkung). Auch in den Beratungen zum BGB tritt dieser Zusammenhang deutlich zu Tage. Der BGB-Gesetzgeber folgte mit § 701 Abs. 3 BGB (1900) dem Art. 751 Abs. 2 Dresdener Entwurf und versagte den Aushängen jede Wirkung. Er glaubte zudem auf eine dem § 1288 Sächsisches BGB und Art. 751 Abs. 3 Dresdener Entwurf entsprechende Regelung verzichten zu können, weil der Wirt gemäß § 702 BGB (1900) für Wertsachen grundsätzlich nur bis zu einem Betrag von 1000 Mark haftete107. Die so gefundene Lösung war sicherlich wertungsgerecht. Die widerstreitenden Interessen des Wirtes, nicht unbeschränkt zu haften, und des Gastes, nicht durch ausgehängte, aber ungelesene Haftungsbeschränkungen überrascht zu werden, wurden ausgeglichen. Doch überzeugt diese Lösung rückblickend nicht nur unter dogmatischen Gesichtspunkten nicht, weil der Gesetzgeber die Einbeziehungsproblematik und die Inhaltskontrolle nicht sauber trennte. Die durch den BGB-Gesetzgeber gefundene Lösung war zudem nicht konsequent. Bei den §§ 701 ff. BGB handelte es sich nämlich weiterhin um dispositives Recht108. Der Gesetzgeber hatte also in § 702 BGB (1900) die widerstreitenden Interessen der Parteien ausgeglichen, aber dem Wirt blieb es möglich, seine Haftung weitergehend zu beschränken. Ihm war nur verwehrt, eine solche Haftungsbeschränkung durch Aushang herbeizuführen. Dagegen war es nicht ausgeschlossen, eine solche Haftungsbeschränkung auf andere Weise durch AGB in den Vertrag einzubringen. Und in der Tat bildete sich schon bald nach Inkrafttreten des BGB die im Vergleich zu den Aushängen nicht minder problematische Praxis heraus, den Gast formularmäßige Haftungsausschlußklauseln zusammen mit den polizeilichen Meldeformularen, man sprach vom sogenannten Hotelrevers, unterschreiben zu lassen109.
D. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen Auch in anderen Bereichen wurde als Reaktion auf eine unbillige AGB-Praxis zwingendes Recht eingeführt. So erließ der Gesetzgeber 1894 das Gesetz 107 108 109
Siehe oben § 2 III (S. 59). Mugdan II, S. 328, 1259. Vgl. hierzu Haub (1929), S. 59 f. und noch unten § 13 II A 1 i (S. 406).
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§ 4. Inhaltskontrolle
betreffend die Abzahlungsgeschäfte110. Abzahlungsgeschäfte waren zur Mitte des 19. Jh. aufgekommen, und schon bald standen sie in der Kritik. Insbesondere die übliche Klausel, nach der die verkaufte Sache bei Zahlungsrückstand wieder dem Verkäufer zufallen soll, ohne daß er seinerseits zur Rückzahlung empfangener Raten verpflichtet ist, wurde als unbillig empfunden111. § 1 Abs. 1 AbzG bestimmte daher, daß auch der Verkäufer die empfangene Leistung zurückgewähren mußte, und erklärte entgegenstehende Vereinbarungen für nichtig112. Im Gesetz über das Auswanderungswesen von 1897 erließ der Gesetzgeber in § 22 und §§ 27 ff. zahlreiche, die Auswanderer schützende Vorschriften, von denen nach § 30 in dem Beförderungsvertrag nicht abgewichen werden durfte113. Daß der Gesetzgeber zum Schutze der Arbeiter regulierend eingriff, ist bekannt114. Diese Schutzbestimmungen finden sich vor allem in den Gewerbeordnungen des 19. Jh. Dernburg führte zu ihnen aus115: »Zahlreiche Bestimmungen haben einen zwingenden Charakter. Dies rechtfertigt sich durch die eminente sociale Wichtigkeit dieser Arbeitsverhältnisse, wie auch dadurch, daß der Arbeitsherr oft eine in seinem Kapitalbesitz und seiner höheren Intelligenz begründeten Uebermacht hat, gegen deren Mißbrauch Schranken zu errichten waren.«
Auch wenn die Gewerbeordnungen im Zentrum der modernen Forschung stehen, so hat Brand nachgewiesen, daß für ihre Formulierung zum Teil auf ältere Vorschriften aus dem Zunftrecht zurückgegriffen worden ist116. Das preußische Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken von 1839117 legte unter anderem fest, daß Jugendliche, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht über zehn Stunden täglich beschäftigt werden dürfen und legte Pausen fest. § 50 der preußischen GewO von 1849118 bestimmte: »Fabrikinhaber […] sind verpflichtet, die Arbeiter […] in baarem Gelde zu befriedigen. Sie dürfen denselben keine Waaren kreditieren […]«. § 54 GewO (1849) erklärte entgegenstehende Vertragsbestimmungen für nichtig. § 105 GewO für den Norddeutschen Bund von 1869119 normierte: »Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbstständigen Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehülfen und Lehrlingen ist Gegenstand freier 110 RGBl. 1894, S. 450. Vgl. hierzu und zum folgenden aus der umfangreichen Literatur etwa Schubert, ZRG (GA) 102 (1985), 130 ff. 111 Siehe oben I C (S. 145). 112 Hierzu aus der zeitgenössischen Literatur Gareis, SeuffBl 59 (1894), 290 ff. 113 RGBl. 1897, S. 463. 114 Vgl. hierzu Kaufhold, RuA 1989, 225 ff.; Schmoeckel (2008), Rn. 470 ff. 115 Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1883), § 192 (S. 536). 116 Brand, in: Wolf (1995), S. 149 ff.; ders., in: Dölemeyer/Mohnhaupt (1995, 453 ff. 117 PreußGS 1839, S. 156. 118 PreußGS 1849, S. 93. 119 BGBl. 1869, S. 245.
IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle
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Uebereinkunft.« § 134 GewO (1869) enthielt dann aber eine § 50 GewO (1849) entsprechende Bestimmung und erklärte in § 138 entgegenstehende Vertragsabreden wiederum für nichtig. Daneben war in der Seemannsordnung von 1872 der Inhalt des Heuervertrages detailliert geregelt120. Freilich konnte von diesen Bestimmungen noch durch Vereinbarung abgewichen werden121. 1878 und dann vor allem 1891 wurden die Schutzbestimmung der Gewerbeordnung ausgedehnt122. Daß der Inhalt des Vertrages zwischen dem Arbeitgeber und einem Fabrikarbeiter durch die Arbeits- bzw. Fabrikordnungen näher ausgestaltet wurde, war uns bereits oben begegnet123. Ein Mindestinhalt, so etwa Bestimmungen zu den Arbeitszeiten, zu den Pausen, zur Zeit und Art der Lohnzahlung sowie über Strafen, war in § 134b Abs. 1 GewO (1891) festgeschrieben. Den Inhalt der Strafbestimmungen regulierte § 134b Abs. 2 GewO (1891): »Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnungen nicht aufgenommen werden. Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen […]. Alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden […].«
§ 134b Abs. 3 GewO (1891) erlaubte es den Fabrikbesitzern, weitere Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. Bestand ein Arbeiterausschuß, so war dieser vor Erlaß der Arbeitsordnung nach § 134d GewO (1891) anzuhören. Im übrigen war den Arbeitern die Gelegenheit zu geben, sich über den Inhalt derselben zu äußern. Schließlich waren die Arbeitsordnungen gemäß § 134e Abs. 1 GewO (1891) bei der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen, und diese hatte nach § 134f GewO (1891) zu prüfen, ob die Ordnungen vorschriftsmäßig erlassen worden waren und ihr Inhalt den gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Bei Verstößen hatte sie auf Änderungen hinzuwirken.
IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle A. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Das Kreisgericht Dessau lehnte Jahre 1866 eine offene richterliche Inhaltskontrolle mit dem Hinweis auf eine Inhaltskontrolle durch die Verwaltung ab124. Jede Versicherungsgesellschaft bedürfe in Anhalt einer Konzession, um das Versicherungsgewerbe betreiben zu dürfen, und im Rahmen des Konzessio120
RGBl. 1872, S. 409. Vgl. Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S 651. 122 Jeweils §§ 105 ff. der Gesetze betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, RGBl. 1878, S. 199 und RGBl. 1891, S. 261. 123 Siehe oben § 2 V (S. 90). 124 Siehe oben das Zitat zu Fn. 81. 121
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§ 4. Inhaltskontrolle
nierungsverfahrens würden auch die AVB auf ihren Inhalt geprüft. Zudem müsse jeder einzelne Versicherungsvertrag polizeilich genehmigt werden. Das Kreisgericht Dessau verwies damit auf zwei Formen der aufsichtsrechtlichen Kontrolle des Versicherungswesens. Beide Formen müssen daher daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit sie einer Inhaltskontrolle der AVB dienten. Allerdings war es aus zwei Gründen nicht möglich, diese Fragen im Rahmen der vorliegenden Arbeit abschließend zu beantworten: Zum einen war die Versicherungsaufsicht in den einzelnen deutschen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet und während des 19. Jh. einer stetigen Entwicklung unterzogen125. Auch bestand eine kaum zu überblickende Fülle von Gesetzen und Verordnungen. Dieser Zustand wurde auch in der zeitgenössischen Literatur als unbefriedigend empfunden126. Abhilfe verschaffte erst das VAG von 1901127. Zum anderen würde eine Beantwortung der Frage, inwieweit im Konzessionierungsverfahren die Aufsichtsbehörden auf die inhaltliche Gestaltung der AVB Einfluß nahmen, eine umfassende Aufarbeitung der entsprechenden Archivmaterialien erfordern. Wenden wir uns zunächst dem zweiten vom Kreisgericht Dessau angesprochen Kontrollmechanismus zu, nämlich der polizeilichen Genehmigung jedes einzelnen Versicherungsvertrages. Eine solche polizeiliche Genehmigungspflicht bestand in der Tat in vielen deutschen Staaten128. Man sprach von einer polizeilichen Präventivkontrolle. Allerdings war diese Kontrolle von vornherein auf Feuerversicherungsverträge beschränkt. Selbst wenn die Polizeibehörden die AVB auf ihre Billigkeit hin überprüft hätten, so hätte sie daher unbillige AVB-Klauseln nicht im gesamten Versicherungswesen verhindern können. Zudem war die polizeiliche Präventivkontrolle überhaupt nicht auf eine Inhaltskontrolle der AVB gerichtet. Ihr Zweck war allein, eine Überversicherung zu verhindern129. Man befürchtete nämlich, daß Versiche125 Vgl. zur Entwicklung der Versicherungsaufsicht umfassend Burger (1988), S. 10 ff.; Tigges (1985), S. 12 ff., und für Preußen Atzpodien (1982), S. 1 ff. 126 Vgl. statt aller Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 3 f. Aus der modernen Literatur vgl. Atzpodien (1982), S. 85 f.; Arps (1965), S. 45 ff. 127 Vgl. schon oben § 2 IV A (S. 65) und zusätzlich Anonym, PreußVersZ 2 (1868), 569 ff.; Lammel, Rechtsbildung (1993), S. 100 f.; Neugebauer (1990), S. 88 ff. 128 So z.B. in Preußen nach § 14 des Gesetzes über das Mobiliar-Feuerversicherungswesen von 1837, abgedruckt bei Schiffmann (1860), S. 7 f.; im Herzogtum Sachsen-Meiningen-Hildburghausen nach Art. 1 des Gesetzes von 1859 betreffend einige Nachträge und Zusätze zu dem Gesetz vom 2. März 1853 über das Feuerversicherungswesen, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 149; im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nach Ziffer 3 der Ministerial-Verordnung von 1855 zur Ausführung des § 9 des Gesetzes über die öffentliche Anstalt der Brandversicherung vom 28. August 1826, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 182; in Bayern nach § 7 der Verordnung von 1865 das Mobiliar-Feuerversicherungswesen in Baiern betreffend, abgedruckt bei Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 103. Aus der modernen Forschung vgl. nur Tigges (1985), S. 29 ff., 34 ff.; Duvinage (1987), S. 10 ff.; Arps (1965), S. 48 ff. 129 So ausdrücklich in Hamburg nach Art. 7 der Feuer-Casse für Billwärder und andere Theile des Hamburgischen Landesgebiets von 1857, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867),
IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle
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rungsnehmer in betrügerischer Absicht ihr Vermögen überversichern, um sodann selbst Brandstiftung zu begehen. Allein dieser Gefahr sollte vorgebeugt werden. Ganz ähnliches galt in den deutschen Staaten, in denen zwar keine Präventivkontrolle stattfand, in denen aber der Abschluß von Feuerversicherungsverträgen nach Vertragsschluß anzuzeigen war. Hatte die zuständige Behörde Bedenken, so konnte sie die Annullierung des Vertrages anordnen130. Der Zweck dieser nachträglichen Kontrolle war identisch. In wieder anderen Staaten fand weder eine Präventivkontrolle noch eine nachträgliche Kontrolle statt. Die Überversicherung war lediglich bei Strafe verboten131. Die Konzessionspflicht des Betriebs eines Versicherungsgewerbes war in den verschiedenen deutschen Staaten und zu den verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausgestaltet. Zuerst führte sie Preußen für Aussteuer- und Begräbniskassen 1781 ein132, und nach ALR I 11 § 651 waren auch Witwen- und Sterbekassen genehmigungspflichtig. Zur Mitte des 19. Jh. war der Betrieb eines Versicherungsgewerbes im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt ausnahmslos konzessionspflichtig133, in Bremen und im Herzogtum Sachsen-Meiningen-Hildburghausen der Be-
130 S. 13; in Preußen nach § 14 Abs. 2 des Gesetzes über das Mobiliar-Feuerversicherungswesen von 1837, abgedruckt bei Schiffmann (1860), S. 8 und die Ministerial-Instruction zu diesem Gesetz vom 10.6.1839, abgedruckt bei Schiffmann (1860), S. 13 f.; im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt nach §§ 2 f. der Verordnung über das Mobiliar-Feuerversicherungswesen von 1854, abgedruckt bei Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 133; in Sachsen nach §§ 134, 136 f. des Gesetzes das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffend von 1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 100; im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nach Ziffer 5 der Ministerial-Verordnung von 1855 zur Ausführung des § 9 des Gesetzes über die öffentlichen Anstalt der Brandversicherung vom 28. August 1826, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 182; in Bayern nach § 10 der Verordnung von 1865 das Mobiliar-Feuerversicherungswesen in Baiern betreffend, abgedruckt bei Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 104. Vgl. außerdem Ziegler, Denkschrift (1897), S. 60 ff.; Wörner (1913), S. 219 ff.; Jacobi, ZKglPrStB 1862, 133. Aus der modernen Forschung vgl. Tigges (1985), S. 29 ff.; Wenzel (1990), S. 20; Arps (1965), S. 48 ff. 130 So z.B. in Sachsen nach § 134 des Gesetzes das Immobiliar-Brandversicherungsversicherungswesen betreffend von 1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 101. 131 So z.B. in Lübeck nach der Verordnung betreffend die Verpflichtung, die in hiesiger Stadt belegenen Häuser und Buden nicht über deren amtliche Schätzung hinaus zu versichern oder versichern zu lassen von 1857, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 25 f.; in Bremen nach der Verordnung in Betreff der Versicherung gegen Brandschäden von 1846, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 48 ff.; im Herzogtum Sachsen-Meiningen-Hildburghausen nach Art. 1, 7 des Gesetzes über das Feuerversicherungswesen, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 148 f. 132 § 1 des Wiederholten Verboths aller und jeder Collecten, wozu keine Königl. Approbation ertheilet ist, NCC VII, Berlin 1786, Sp. 182. Vgl. hierzu Tigges (1985), S. 14 ff. 133 Im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach nach § 8 der Gewerbeordnung von 1862: Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 165; im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt nach § 8 der Gewerbeordnung von 1864: Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 117.
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§ 4. Inhaltskontrolle
trieb einer Feuerversicherung134. In Sachsen bedurften neben Feuerversicherungen auch alle ausländischen, also alle nichtsächsischen, Versicherungsanstalten einer Genehmigung135. In Hamburg, Lübeck und Frankfurt a.M. war der Betrieb einer Versicherung ausnahmslos konzessionsfrei136. Doch konnte sich eine Genehmigungspflicht dort, wo der Betrieb einer Versicherung an sich konzessionsfrei war, aus Art. 208 ADHGB (1861) ergeben, wenn die Versicherung als Aktiengesellschaft betrieben wurde. Nach Art. 208 ADHGB (1861) durften Aktiengesellschaften nämlich nur mit staatlicher Genehmigung errichtet werden137. Allerdings erlaubte es Art. 249 ADHGB (1861) den Landesgesetzgebern, abweichend von Art. 208 ADHGB (1861) zu bestimmen, daß es einer staatlichen Genehmigung zur Gründung einer Aktiengesellschaft nicht bedurfte. Von dieser Möglichkeit machten etwa Lübeck, Hamburg und Württemberg Gebrauch138. Zudem fiel diese Genehmigungspflicht nach Art. 208 ADHGB mit der Handelsrechtsnovelle von 1870139. Die Konzessionspflicht des Betriebs einer Versicherung nach den einzelnen Landesgesetzen war hiervon freilich nicht berührt140. Schließlich konnte sich eine Genehmigungspflicht dann ergeben, wenn eine Versicherung besondere Privilegien in Anspruch nehmen wollte, so wenn eine Versicherung auf Gegenseitigkeit mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet sein wollte141. In den Staaten, die eine Konzession für den Betrieb einer Versicherung verlangten, war der Prüfungsumfang im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens verschieden ausgestaltet142. Fast überall mußten die AVB143 oder die Statu134
In Bremen nach § 2 der Verordnung in Betreff der Versicherung gegen Brandschäden von 1846, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 48; im Herzogtum Sachsen-MeiningenHildburghausen nach § 1 des Ausschreibens des Herzoglichen Staatsministeriums von 1859 betreffend den Vollzug der Gesetze vom 2. März 1853 und 20. Juni 1859 über das Feuerversicherungswesen, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 150. 135 § 6 der Verordnung über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungsanstalten im Königreich Sachsen von 1856, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 78; § 132 des Gesetzes das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffend von 1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 99. 136 Für Hamburg vgl. Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 5; für Lübeck vgl. ebd., S. 18; für Frankfurt a.M. ebd., S. 65. 137 Gleiches galt zuvor z.B. schon in Preußen nach § 30 des Gesetzes über die Aktiengesellschaften von 1843. 138 In Lübeck nach Art. 14 der Einführungsverordnung von 1863, abgedruckt bei Elsner II/ 1 (2. Aufl. 1867), S. 19; in Hamburg nach § 25 des Einführungsgesetzes zum ADHGB von 1865, abgedruckt im ArchWHR 15 (1866), 59; in Württemberg nach Art. 35 des Königl. Württembergischen Gesetzes, die Einführung des ADHGB betreffend von 1865, abgedruckt im Central-Organ 2 n.F. (1866), 294. Auch Bremen, Oldenburg, Baden und Sachsen nutzten diese Möglichkeit: v. Hahn I (3. Aufl. 1877), Vorbemerkung II vor Art. 173 Rn. 4. 139 Vgl. statt aller v. Hahn I (3. Aufl. 1877), Art. 208 Rn. 7. 140 Das übersieht Röder (2006), S. 35. 141 So in Sachsen nach §§ 59, 7 Gesetz die juristischen Personen betreffend von 1868. 142 Für Preußen vgl. z.B. Atzpodien (1982), S. 52 ff., und für die Hagelversicherungen Tigges (1985), S. 38 ff.
IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle
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ten144, und diese enthielten in der Regel auch die AVB145, vorgelegt werden. Das Kreisgericht Dessau schien davon auszugehen, daß zumindest in Anhalt die AVB auch auf ihren Inhalt hin überprüft wurden. Ob das wirklich zutraf, konnte im Rahmen dieser Arbeit auch für Anhalt nicht überprüft werden, weil die gesetzliche Grundlage dieser Prüfung in dem Urteil, so wie es in der ZVersR wiedergegeben ist, nicht zitiert wird. v. Kübel weist zudem darauf hin, daß in den Beratungen zum ADHGB gegen die Regelung des gesamten Versicherungsvertragsrechts vorgebracht wurde, daß dessen Regelung nicht notwendig sei, weil die AVB als Rechtsgrundlage ausreichten, »und da diese in den meisten Staaten vor der Zulassung der betreffenden Gesellschaft von der Staatsbehörde geprüft werden, sei auch das Publikum sicher gestellt«146. Allerdings bestehen Zweifel, ob eine solche Inhaltskontrolle der AVB durch die Konzessionsbehörde überhaupt bezweckt war147. Doch selbst wenn eine solche Inhaltskontrolle hätte durchgeführt werden können, müßten Zweifel an ihrer Effektivität angemeldet werden. Denn sonst hätte kein Anlaß für die Gerichte bestanden, in weitem Umfang eine verdeckte Inhaltskontrolle der AVB vorzunehmen148. Diese Zweifel werden durch einen Artikel aus der Wiener Zeitung »Die Presse« bestätigt149: »Wenn man als Hauptbedingung des Statuts einer Gesellschaft Klarheit und unbedingte Präcision, welche nur eine Auslegung zuläßt, und entgegengesetzter Deutungen nicht 143 So z.B. in Sachsen nach § 2 der Ausführungsverordnung vom 20.10.1862 zum VI. Abschnitt des das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffenden Gesetzes vom 23.8.1862, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 105; in Preußen nach der MinisterialInstruction vom 10.6.1837 zum Gesetz vom 8.5.1837 über das Feuerversicherungswesen, abgedruckt bei Schiffmann (1860), S. 13 ff.; im Herzogtum Sachsen-Meiningen-Hildburghausen nach § 2 des Ausschreibens des Herzoglichen Staatsministeriums von 1859 betreffend den Vollzug der Gesetze vom 2. März 1853 und 20. Juni 1859 über das Feuerversicherungswesen, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 151; in Bayern nach § 1 der Verordnung das MobiliarFeuerversicherungswesen in Baiern betreffend von 1865, abgedruckt bei Elsner II/2 (2. Aufl. 1867), S. 102; in Bremen sprach § 2 der Verordnung in Betreff der Versicherung gegen Brandschäden von 1846, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 48, von »Versicherungsgesetzen«, die einzureichen waren. 144 So z.B. in Sachsen nach § 2 der Verordnung über den Geschäftsbetrieb ausländischer Versicherungsanstalten von 1856, abgedruckt bei Elsner II/1 (2. Aufl. 1867), S. 78 ff. In Preußen ergab sich diese Vorlagepflicht für die Witwen- und Sterbekassen schon aus einem Umkehrschluß aus ALR I 11 § 652: »Die Rechte und Pflichten der Interessenten sind nach dem vom Staate bestätigten Plane zu beurtheilen.« Vgl. außerdem Rau II (1828), S. 26. 145 Siehe oben § 2 IV D 6 (S. 80). 146 Kübel, ZVersR 1 (1866), 331. 147 Vgl. zu den Mißständen des Konzessionierungsverfahrens in der Praxis Tigges (1985), S. 36 ff., insbesondere S. 37: »Das Konzessionssystem, das die Gesetzgeber nicht als Schutzmaßnahme zugunsten der Versicherten […] geschaffen hatten, entwickelte sich in der Praxis zum Mißbrauch staatlicher Macht.« 148 Siehe unten V B (S. 172 ff.). 149 Zitiert aus PreußVersZ 1 (1867), 153. Ähnlich die Einschätzung von Anonym, PreußVersZ 2 (1868), 570.
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§ 4. Inhaltskontrolle
fähig ist, fordert, so muß man offen gestehen, daß die Statuten der meisten österreichischen Feuerversicherungs-Gesellschaften weit entfernt sind, dieser Anforderung zu entsprechen. Man nehme die betreffenden Machwerke zur Hand und man wird sich von der Verworrenheit des Styls, dem Mangel an Logik und der zweideutigen Fassung der Paragraphen hinreichend überzeugen, ja man wird sich in vielen Fällen nicht verhehlen können, daß die gedachte Zweideutigkeit offenbar eine absichtliche ist. In der That braucht auf Grund ihrer Statuten fast keine einzige Feuerversicherungs-Gesellschaft Verpflichtungen, welche sich auf die Bezahlung von Brandschäden beziehen, zu erfüllen […]. Man kann nicht umhin, bei Prüfung dieser Verhältnisse in gerechtes Erstaunen darüber zu gerathen, daß dergleichen Statuten die Sanction der Regierung erhalten; eine Erklärung dieses Umstandes findet man nur darin, daß das Versicherungswesen und die auf dasselbe influirenden Factoren von den betreffenden Behörden noch nie zum Gegenstande eingehenden Studiums gemacht worden sind. Es thut aber dringend Noth, daß seitens des Handelsministeriums dem Versicherungswesen, welches berufen ist, auf das sociale und materielle Wohl der Staaten und Völker einen hervorragenden Einfluß auszuüben, eine größere Beachtung zu Theil wird, als es bisher der Fall war.«
Die Versicherungsaufsicht sollte wohl vornehmlich andere Mißstände als unbillige AVB-Klauseln beheben150: So waren gerade neugegründete Versicherungsgesellschaften oft unterkapitalisiert, so daß die Gefahr bestand, daß sie berechtigten Forderungen der Versicherungsnehmer nicht nachkommen konnten. Zudem war der Ruf von Versicherungsagenten oft nicht gut, und sie galten als unzuverlässig. Allein diesen Gefahren wollte man zunächst durch eine Konzessionspflicht begegnen. Allerdings wandelt sich das Verständnis insoweit bis zur Einführung des VAG151. So gibt es am Ende des 19. Jh. bereits Anzeichen, daß »in einer Reihe von [deutschen] Staaten das Konzessionierungsrecht die willkommene Handhabe bot, allzu arge Ausschreitungen der Vertragswillkür abzuschneiden und aus den Satzungen entfernen zu lassen«152. Derselbe Autor führte weiter aus153: »Uebrigens hat es sich auch hier wieder, ähnlich wie bei Entwicklung unseres Arbeitsrechts, gezeigt, daß das öffentliche Recht dem privaten einen Teil seiner Aufgaben abgenommen hatte und so trotz der für völlige Vertragsfreiheit streitenden Lehre des Versicherungsrechts wenigsten vor dem Aeußersten bewahrte.«
Selbst wenn also eine abschließende Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die Aufsichtsbehörden im Rahmen des Konzessionierungsverfahrens auf 150
Vgl. hierzu Tigges (1985), S. 14 ff., 25 ff., 31 ff., Burger (1988), S. 10 ff. und mit Bezug auf Preußen Atzpodien (1982), S. 4 ff. Für Preußen vgl. schon die Präambel zum Wiederholten Verboth aller und jeder Collecten, wozu keine Königl. Approbation ertheilet ist, NCC VII, Berlin 1786, Sp. 181; für Sachsen § 59 des Gesetzes die juristischen Personen betreffend von 1868. 151 Begründung des Entwurfes eines Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmen, abgedruckt in: Motive VAG, Sp. 32 f. Vgl. außerdem Bähr, ArchBürgR 7 (1893), 26. Siehe noch unten § 9 I (S. 287). 152 K. Schneider, AcP 85 (1896), 298. 153 K. Schneider, AcP 85 (1896), 298.
IV. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle
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die inhaltliche Ausgestaltung der AVB Einfluß nahmen, nur nach einer Aufarbeitung der entsprechenden Archivmaterialien möglich wäre, spricht vieles dafür, daß eine solche Kontrolle zunächst unterentwickelt war und sich nur langsam durchsetzte, sich aber am Ende des 19. Jh. als effektiver Kontrollmechanismus etablierte.
B. Die Reglements der Transportanstalten Auch für den Bau privater Eisenbahnen bedurfte es einer staatlichen Konzession, und ebenfalls in diesem Konzessionierungsverfahren wurden die Reglements überprüft. Und wie für das Konzessionierungsverfahren der Versicherungen finden sich hier Hinweise, daß die Verwaltung die Genehmigung unbilliger Klauseln hätte versagen können154. Zudem wurde erörtert, Konzessionen nur unter der Auflage zu erteilen, daß die Verwendung unbilliger Klauseln zu unterbleiben habe155. Weiterhin weist Pohlhausen darauf hin, daß es in Preußen ein Eisenbahnkommissariat gab, das unter anderem die Interessen der Bahnkunden wahren sollte156. Diese möglichen Kontrollmechanismen scheinen allerdings zunächst nicht oder zumindest nur in geringem Maße genutzt worden zu sein. Sonst wäre nicht erklärbar, daß die rheinischen Gericht in den späten 40er und 50er Jahre des 19. Jh. eine offene Inhaltskontrolle durchführten bzw. daß sich der Gesetzgeber dazu genötigt sah, im ADHGB für die Eisenbahnen zwingendes Recht einzuführen. Schließlich fand eine Inhaltskontrolle auch durch die Einführung des Betriebsreglements für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund von 1870 bzw. durch die Einführung des Betriebsreglements für die Eisenbahnen Deutschlands statt157. Durch Verwaltungsakt waren die Eisenbahnen nunmehr gezwungen, AGB eines bestimmten durch die Verwaltung vereinheitlichten Inhaltes zu verwenden. Unmittelbarer Anlaß der Betriebsreglements war zwar, auf Grundlage des Art. 45 der Verfassung des Norddeutschen Bundes bzw. des gleichlautenden Art. 45 der Verfassung des Deutschen Reichs die verschie154
Siehe oben § 2 II C 1 b (S. 43). Vgl. hierzu Endemann, BuschA 42 (1882), 196, 230 f. 156 Pohlhausen (1978), S. 126. § 46 Preußisches Eisenbahngesetz von 1838 bestimmte: »Zur Ausübung des Aufsichtsrechtes des Staates über das Unternehmen wird nach Ertheilung Unserer Genehmigung (§. 1) ein beständiger Commissarius ernannt werden, an welchen die Gesellschaft sich in allen Beziehungen zur Staatsverwaltung zu wenden hat. Derselbe ist befugt, ihre Vorstände zusammen zu berufen und deren Zusammenkünften beizuwohnen.« Später wurde der Kommissar in ein Eisenbahnkommissariat umgewandelt. § 1 des entsprechenden Regulativs vom 24.11.1848 bestimmte, daß es unter anderem zur Aufgabe des Eisenbahnkommissariats gehörte, »die Wahrung […] der Interessen des die Eisenbahnen benutzenden Publikums« zu gewährleisten (zitiert aus Bessel/Kühlwetter II (1857), S. 15 f.). Daß der Gesetzeber dabei aber auch die Interessen des Publikums an einer billigen Ausgestaltung der Reglements im Auge hatte, scheint wenig wahrscheinlich. 157 Zu den Betriebsreglements siehe oben § 2 II C 1 c (S. 44 ff.). 155
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§ 4. Inhaltskontrolle
denen Eisenbahnreglements zu vereinheitlichen und dadurch Markttransparenz zu schaffen. Dabei mußte sich der Bundesrat aber zugleich auch mit dem Inhalt der Reglements befassen. Man war sich durchaus bewußt, daß es durch die Einführung des Betriebsreglements zu einer Begrenzung der Vertragsfreiheit gekommen war158.
C. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen Auch für Abzahlungsgeschäfte wurde erwogen, ob nicht der Verwaltung die Befugnis eingeräumt werden sollte, die Verwendung bestimmter als unbillig empfundene Klauseln zu untersagen, oder ob die AGB nicht einer Präventivkontrolle unterzogen werden sollten159. Eine aufsichtsrechtliche Kontrolle findet sich schließlich auch im Arbeitsrecht160. So waren die Arbeitsordnungen gemäß § 134e Abs. 1 GewO (1891) bei der unteren Verwaltungsbehörde einzureichen. Diese prüfte nach § 134f GewO (1891), ob die Ordnung vorschriftsmäßig erlassen worden war und ihr Inhalt den gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Bei Verstößen hatte sie auf Änderungen hinzuwirken.
V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle A. Die Reglements der Transportanstalten Eine verdeckte Inhalts- oder Anwendungskontrolle der Eisenbahnreglements fand, soweit ersichtlich, nicht statt. Das lag wohl zum einen daran, daß der Gesetzgeber rechtzeitig eingegriffen hatte, um die empfundenen Mißstände zu beheben. Zum anderen hatte sich die Praxis sowohl mit der Rechtsprechung der rheinischen Gerichte in den 40er und 50er Jahren als auch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts seit den 80er Jahren zu einer offenen Kontrolle der AGB durchgerungen.
B. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen Dagegen können wir im Versicherungsrecht seit der Mitte des 19. Jh. eine verdeckte Inhalts- bzw. Anwendungskontrolle finden161. Das überrascht vor dem 158
Vgl. z.B. RG (11.3.1882), RGZ 6, 100, 103. Vgl. die unterschiedlichen Ansichten bei Mataja, ASozGS 1 (1888), 172; Hausmann (1891), S. 47; v.d. Borght, ASozGS 4 (1891), 285 f. 160 Vgl. Böninger (1891), S. 124. 161 Prang (2003), passim, setzt beides zeitlich erst sehr viel später an. Pahlow, ZNR 29 (2007), 37, stellt dagegen fest, ein »Bemühen der Gerichte […], die rigorosen Bedingungen der Versicherungsunternehmen einzuschränken und die Rechtsstellung der Versicherten günstiger zu gestalten, lässt sich nicht erkennen«. 159
V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle
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Hintergrund, daß die Gesetzgeber anders als im Eisenbahnrecht so gut wie kein zwingendes Recht zum Schutze der Versicherungsnehmer eingeführt hatten und daß die Gerichte eine offene richterliche Inhaltskontrolle ablehnten, wenig. Die Formen der Kontrolle waren dabei ausgesprochen vielfältig: Einige Gerichte wendeten die contra proferentem-Regel über ihren Anwendungsbereich hinaus an. Sie unterstellten, daß an sich klare Klauseln Unklarheiten enthielten, um sie sodann gegen ihren Verwender auslegen zu können162. Andere Gerichte untersagten Versicherungen die Berufung auf eine Klauselbestimmung, wenn dies schikanös oder treuwidrig schien. Wieder andere Gerichte fragten nach dem Zweck einer Klauselbestimmung und wendeten diese Bedingung nicht an, wenn dieser Zweck erfüllt war, selbst wenn die Bedingung ihrem Wortlaut nach einschlägig war und sich die Versicherung auf diese Bedingung berufen wollte. Diese Gerichte reduzierten, modern ausgedrückt, Klauseln teleologisch. Schließlich wählten einige Gerichte bei mehreren dogmatischen Einordnungsmöglichkeiten einer Klausel die dem Versicherungsnehmer günstigere. Aus den AVB der Feuerversicherungen beschäftigten sich Theorie und Praxis insbesondere mit zahlreichen Anzeige- und Verhaltenspflichten nach Schadenseintritt. So war der Versicherungsnehmer nach verbreiteten Bedingungen dazu angehaltenen den Schaden innerhalb von 24 Stunden dem Versicherer anzuzeigen163. Mit einer solchen Klausel befaßten sich das Stadtamt und das Stadtgericht Frankfurt a.M. im Jahre 1867 oder 1868164: Durch den Dombrand in Frankfurt a.M. in der Nacht vom 15. auf den 16.8.1867 fing der Dachstuhl der Klägerin Feuer. Die Löschmannschaft ordnete an, daß sie ihr Haus verlassen müsse, und entfernte in ihrer Abwesenheit das Mobiliar aus dem Haus, um es so vor den Flammen zu retten. Das Mobiliar wurde in Folge entwendet, und die Klägerin wollte nun die beklagte Feuerversicherung für den so entstandenen Schaden in Anspruch nehmen. Diese lehnte jegliche Zahlungen ab. Sie berief sich darauf, daß die Klägerin laut AVB den Schaden innerhalb von 24 Stunden nach dem Brandunglück hätte anzeigen müssen. Die Klägerin trug zwar vor, daß sie den Schaden bereits am 16.8. angezeigt habe. Das wurde von der Beklagten jedoch bestritten. Die Schadensanzeige sei erst am 17.8. erfolgt. Das Stadtamt in erster und das Stadtgericht in zweiter Instanz gaben der Klage statt. Das Bestreiten der Beklagten, die Anzeige sei nicht schon am 16.8. erfolgt, sei verspätet vorgetragen worden. Beide Instanzen betonten darüber hinaus, daß auch eine Anzeige am 17.8. den Voraussetzungen der AVB genügt hätte. Das Stadtamt führte aus165: 162
Vgl. schon Raiser (1935), S. 265. So lautet z.B. § 7 der AVB der Feuerversicherungsgesellschaft Adler, abgedruckt in PreußVersZ 4 (1870), 1306: »Im Falle eines Schadensereignisses ist der Versicherte verpflichtet: […] b. dem Agenten binnen vierundzwanzig Stunden nach dem Ereignisse dasselbe anzuzeigen; […].« 164 StadtG Frankfurt a.M. (o.D.), ZHR 12 (1868), 200. 165 StadtA Frankfurt a.M. (o.D.), ZHR 12 (1868), 200, 200 f. 163
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§ 4. Inhaltskontrolle
»Uebrigens könne auch die erst am 17. August erfolgte Anzeige nicht als eine verspätete erachtet werden, in dem einerseits der Ausdruck ›binnen 24 Stunden‹ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch den nächsten Kalendertag und zwar den ganzen Tag bedeute und wenn die Police diesem Sprachgebrauch entgegen die Frist von Stunde zu Stunde gezählt wissen wollte, dies Ausdrücklich hätte erwähnen […] müssen […].«
Ob diese Auslegung wirklich dem damaligen allgemeinen Sprachgebrauch entsprach, kann heute nicht mehr beurteilt werden. Dem heutigen Sprachgebrauch entspricht sie wohl nicht. Zudem hätte die vom Stadtamt geforderte ausdrückliche Bestimmung wohl auch damals nur wiederholen können, daß mit 24 Stunden genau 24 Stunden gemeint waren. Die Vermutung liegt nahe, daß das Stadtamt die Klausel gegen ihren Wortlaut ausgelegt und den Hinweis auf den allgemeinen Sprachgebrauch nur vorgeschoben hat, um ihr so die Spitze zu nehmen. Diese Vermutung erhärtet sich, wenn man die Ausführungen des Stadtgerichts betrachtet. Es führte aus, daß »schonende Rücksicht zu nehmen [sei], als in Wirklichkeit das Bestreiten der klägerischen Ansprüche nur als eine Schikane und als ein aller Billigkeit Hohn sprechendes Pochen auf formale Stipulationen sich darstellt, während doch […] feststeht, daß die Klägerin […] den besten Willen zeigte, auch diesen streng formalen Verpflichtungen gerecht zu werden, der Beklagte dagegen sich nicht scheut, bei den an sich sehr strengen und schwer zu erfüllenden Bedingungen ein bis auf das Tüpfelchen vom I minutiöse Abwägen vorzunehmen, in Wahrheit also hier ein Fall vorliegt, wo der Richter der Natur der Sache nach und im Interesse der Billigkeit gehalten ist, einen den im Voraus festgestellten Bedingungen der Assecuranzgesellschaften, die das für den Abschluß von Versicherungsverträgen erlangte factische Monopol willkürlich auszubeuten sich in der Lage befinden, preisgegebenen Versicherungsnehmer nach Möglichkeit zu schützen.«166
Das Stadtgericht setzte nicht einfach ohne jedes Problembewußtsein die Vertragsbestimmungen um. Es setzte sich vielmehr über das formal vertraglich Vereinbarte hinweg. Es schien sich sehr wohl bewußt gewesen zu sein, daß es so in den Vertrag eingriff. Denn es begründete seine Entscheidung gleich dreifach: Es verwies auf den »streng formalen« Charakter der Verpflichtungen. Es stellte damit auf den Inhalt der Bedingungen ab. Es führte aber zudem aus, es sei schikanös und unbillig, daß die Versicherung auf die Einhaltung dieser Bedingung bestehe. Es nahm eine bloße Anwendungskontrolle vor. Daß das Stadtgericht auf das Schikaneverbot abstellte ist dabei um so bemerkenswerter, als die rechtshistorische Forschung heute davon ausgeht, daß das Schikaneverbot im 19. Jh. eine nur untergeordnete Rolle gespielt habe167. Schließlich stellte das Stadtgericht darauf ab, daß es sich bei der Klausel um eine »im Voraus festgestellte Bedingung« handelte. Die Versicherung beute
166 167
StadtG Frankfurt a.M. (o.D.), ZHR 12 (1868), 200, 201 f. Betonungen ergänzt. HKK-BGB/Haferkamp (2003), §§ 226–231 Rn. 5, 7 ff. m.w.N.
V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle
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ihr faktisches Monopol aus. Davor sei der Versicherungsnehmer aus Gründen der Billigkeit zu schützen. Hier deutet sich die spätere Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts an, und man ist deshalb geneigt, davon auszugehen, das Stadtgericht nahm eine Inhaltskontrolle vor. Dogmatisch ist die Begründung des Stadtgerichts damit nicht klar einzuordnen. Die Lektüre erweckt vielmehr den Eindruck, das Ergebnis habe für das Stadtgericht festgestanden, und dann habe es verschiedene Gesichtspunkte zur Rechtfertigung aufgezeigt. Mit einer anderen Klausel hatte sich wiederum das Stadtgericht Frankfurt a.M. im Jahre 1868 zu beschäftigen168. Der Versicherungsnehmer war laut AVB dazu verpflichtet, der Versicherung jeden Brand anzuzeigen, auch wenn er diese nicht in Anspruch nehmen wollte169. Üblicherweise war die Gesellschaft dann berechtigt, den Vertrag aufzuheben170. Der Versicherungsnehmer verstieß gegen seine Anzeigepflicht, und die Versicherung verweigerte die Schadensregulierung bei einem später eingetretenen Brand171: »Es könne nicht anders angenommen werden, als daß sich der fragliche Paragraph lediglich auf solche Brandfälle beziehe, die von größerem Umfang sind und für welche der Versicherte Ersatz verlangt, da, wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß der Versicherer ein Interesse daran haben mag, von allen Vorgängen in den Versicherungslokalitäten, die sich irgendwie als Brand charakterisiren, Kenntniß zu erhalten, doch nicht angenommen werden kann, daß die Anzeigepflicht sich ohne Weiteres und ohne ausdrückliche Vereinbarung auf die Anzeige aber auch noch so unbedeutender Brände, bei denen die Löschung sofort von dem Versicherten selbst und dessen Leuten erfolgt wäre, und für welche der Versicherte den Versicherer gar nicht in Anspruch nimmt, sich erstrecken müßte, und zwar um so weniger, als in der Vereinbarung einer solchen Klausel nur eine Quelle der Chicane erblickt werden dürfte, jedenfalls aber im vorliegenden Fall der Kläger unter der Nichtanzeige darum nicht leiden darf, weil es Sache der Beklagten, die die Versicherungsbedingungen formulirt hat, gewesen wäre, sich deutlicher auszusprechen, als in §. 15 geschehen ist […].« 168
StadtG Frankfurt a.M. (9.11.1868), wiedergegeben bei Malß, ZHR 13 (1869), 451. Der Wortlaut der Klausel ist bei Malß nicht abgedruckt. Entsprechende Klauseln waren allerdings weit verbreitet, und § 6 Abs. 2 der AVB der Feuerversicherungsgesellschaft Adler, abgedruckt in PreußVersZ 4 (1870), 1305, lautete z.B.: »Wenn in den Versicherungslokalen sich ein Brand oder Brandstiftungsversuch ereignet, so ist der Versicherte, auch wenn er keine Entschädigung beansprucht, dennoch verpflichtet, dem Agenten der Gesellschaft binnen 24 Stunden nach dem Ereignisse davon schriftlich Anzeige zu machen.« 170 Ob eine solche Klausel auch in dem Fall des StadtG Frankfurt a.M. im Raume stand, ist bei Malß nicht ersichtlich. Der entsprechende § 16 der Thuringia, abgedruckt bei Malß, ZHR 13 (1869), 450, lautete zur gleichen Zeit: »Nach einem jeden Brande, Brandstiftung im Versicherungsgebäude oder Raume, einem Schaden, Schadenanspruch oder Schadensersatz steht es sowohl dem Versicherten als der Gesellschaft frei […] die Versicherung aufzuheben.« 171 StadtG Frankfurt a.M. (9.11.1868), wiedergegeben bei Malß, ZHR 13 (1869), 451. Betonung hinzugefügt. Vgl. ebenso AG Hamm (25.1.1867), wiedergegeben bei Malß, ZHR 13 (1869), 450 f. 169
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§ 4. Inhaltskontrolle
Das Stadtgericht berief sich zur Begründung also zum einen auf die contra proferentem-Regel. Ob diese Auslegungsregel indes das gefundene Ergebnis wirklich zu rechtfertigen vermochte, darf bezweifelt werden. Die Klausel, daß jeder Brand angezeigt werden müsse, ist klarer nicht zu formulieren. Es waren daher wohl auch hier Schutzzweckerwägungen, die das Stadtgericht zu einer einschränkenden Auslegung der Klausel bewegten. Dafür spricht auch die für die Zeit ungewöhnliche Berufung auf das Schikaneverbot, die wieder auf eine bloße Anwendungskontrolle hindeutet. Zwei Jahre zuvor wählte dasselbe Stadtgericht einen anderen Weg172. Es stellte auf den Zweck der Klausel ab und kam auf diesem Weg zu einer restriktiven Auslegung. Es nahm, in moderner Terminologie, eine teleologische Reduktion vor. Die streitentscheidenden AVB enthielten die Bestimmungen, daß der Versicherungsnehmer seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verliere, wenn er a) sich weder binnen drei Tagen nach dem Brand von einer Polizeibehörde hat vernehmen lassen, noch binnen 14 Tagen nach dem Brand der Versicherung eine Abschrift der Vernehmungsprotokolls übersandt hatte und wenn er b) nicht binnen 14 Tagen nach dem Brand der Versicherung eine Schadensaufstellung mit genauer Angabe der vor dem Brand vorhanden gewesenen, verbrannten, beschädigten und geretteten Sachen einreichte173. Der Kläger hatte gegen diese Pflichten verstoßen. Das Stadtgericht erklärte174:
172 StadtG Frankfurt a.M. (29.10.1866), ZVersR 2 (1868), 207. Vgl. auch RG (25.11.1880), Gruchot 25 (1881), 1047; OLG Kiel (6.3.1883), BuschA 46 (1886), 306; Meier, BuschA 30 (1874), 80; Neugebauer (1990), S. 175. 173 Der Wortlaut der Klausel wird in der ZVersR nicht mitgeteilt. Eine solche Klausel war jedoch weit verbreitet, und § 7 der AVB der Feuerversicherungsgesellschaft Adler, abgedruckt in PreußVersZ 4 (1870), 1306, lautete z.B.: »Im Falle eines Schadensereignisses ist der Versicherte verpflichtet: […] c. binnen drei Tagen nach dem Ereignisse sich über alle dasselbe betreffenden Umstände, bei beweglichen Gegenständen auch über die Art und ungefähre Höhe des Schadens, vor seiner Ortspolizeibehörde vernehmen zu lassen, und binnen 14 Tagen eine beglaubigte Abschrift des darüber aufgenommenen Protokolls oder eine amtliche Bescheinigung, daß und warum dieselbe verweigert werde, dem Agenten einzusenden; […] e. bei beweglichen Gegenständen eine spezielle Nachweisung der zur Zeit des Brandes vorhanden gewesenen, der verbrannten, der abhanden gekommenen, der beschädigt, sowie der unbeschädigt geretteten, mit spezieller Angabe des Werthes […] von ihm unterzeichnet dem Agenten binnen 8 Tagen einzureichen […].« Ähnlich z.B. § 12 der AVB der Aachener und Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft von 1829, abgedruckt in Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung I, S. 28; § 9 der AVB der Magdeburger Feuerversicherungs-Gesellschaft von 1845, abgedruckt ebd., S. 35; § 6 der AVB des Verbandes Deutscher Privat-Feuerversicherungs-Gesellschaften von 1874, abgedruckt ebd., S. 39. 174 StadtG Frankfurt a.M. (29.10.1866), ZVersR 2 (1868), 207, 208 f. Vgl. ganz ähnlich OTR Berlin (24.11.1859), PreußVersZ 3 (1869), 847, 849 ff.; HAG Nürnberg (22.11.1866), zitiert von Malß, ZHR 13 (1869), 440; OTR Berlin (4.4.1867), PreußVersZ 3 (1869), 988, 989 ff.; AG Insterburg (3.2.1868), PreußVersZ 4 (1870), 243; AG Posen (8.6.1868), PreußVersZ 4 (1870), 5; OTR Berlin (5.11.1868), PreußVersZ 4 (1870), 243, 244; ROHG (30.10.1873), ROHGE 11, 271; Wolff, ZVersR 2 (1868), 369 f. A.A. OTR Berlin (25.3.1862), PreußVersZ 1 (1867), 681, 684.
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»ad a) Dieser Einwand ist offenbar hinfällig. Die gedachte Vorschrift hat nämlich der Natur der Sache nach lediglich den Zweck, einerseits den Thatbestand eines Brandes gehörig festzustellen, und andererseits, die Versicherungsgesellschaft rechtzeitig in den Stand zu setzen, alle zur Wahrung ihrer Interessen dienliche Maßregeln treffen zu können. Nun ergibt sich aber aus den einschlägigen Erklärungen der Parteien und der betreffenden Untersuchungsakten, daß nicht nur der Kläger bereits am 17. Juli 1864 von dem Polizei-Commissariate zu Mainz vernommen worden ist, sondern daß auch ein Inspektor der Beklagten Gesellschaft bereits am 18. Juli 1865 an Ort und Stelle die genauesten Nachforschungen angestellt, und schon am 19. Juli unter Mitwirkung des Kläger die Abschätzung der aus dem Brande geretteten Mobilien veranlaßt, sowie am 25. Juli umfassende Erklärungen bei dem Polizei-Commissariate zu Mainz abgegeben hat. Der Kläger durfte daher mit vollem Rechte annehmen, daß der durch die Vorschrift des §. 7 c. der Bedingungen beabsichtigte Zweck bereits hinlänglich erreicht sei. […] ad b) steht fest, daß am 19. Juli 1865 sämmtliche nach der Angabe des Klägers aus dem Brande geretteten Gegenstände, mochten sie nun beschädigt oder unbeschädigt sein, genau verzeichnet und taxirt worden sind. Ferner hat Kläger zufolge der protokollarischen Erklärung des Inspektors Kühnel diesem in den ersten Tagen nach dem Brande ein detaillirtes Verzeichnis der angeblich durch den Brand vernichteten fertigen und in Arbeit begriffenen Möbel nebst genauer Werthangabe […] übergeben […]. Hiermit muß aber der Zweck der Vorschrift des §. 12 der Versicherungsbedingungen als erfüllt betrachtet werden. Denn die Beklagte war nunmehr in der Lage, soweit möglich, Nachforschungen über die Richtigkeit der Angaben des Klägers anstellen und sich darüber entscheiden zu können, ob sie die Forderung des Klägers anerkennen wolle oder nicht. Ein anderes rechtliches Interesse, welches eine Versicherungsgesellschaft an der Beobachtung der fraglichen Bestimmung haben könnte ist nämlich nicht wohl denkbar, insbesondere würde es offenbar der Absicht der Contrahenten bei dem Abschlusse eines Versicherungsvertrages widerstreiten, wenn der Anspruch des Versicherten von einer ganz subtilen, in den meisten Fällen voraussichtlich unthunlichen Einhaltung bloßer Formalitäten abhängig gemacht werden wollte; […].«
Nicht nur die Gerichte in Frankfurt nahmen eine solche versichertenfreundliche Position ein. Auch Gerichte im übrigen Deutschland versuchten, den Versicherungsnehmern im Wege der Auslegung zu helfen. So führte das Niedergericht Hamburg 1868 aus175: »Ein Verlust der Schadensansprüche kann nicht daraus hergeleitet werden, daß weder die vom Versicherten innerhalb der in den Policebedingungen vorgeschriebenen 14tägigen Frist eingereichte Schadensberechnung, noch die später übergebene Rektifikation und Erläuterung den für die Aufmachung der Schadensrechnung im §. 11. der Bedingungen gestellten Anforderungen genügt, indem es mit dem Zweck und Wesen des Versicherungsvertrages und der bei demselben vor Allem zu wahrenden bona fides durchaus unverträglich sein würde, wenn man die im §. 13. der allgemeine Versicherungsbedingungen enthaltene Bedrohung des Versicherten mit dem Verlust jedes Entschädigungsanspruches soweit ausdehnen wollte, daß jede, auch an sich geringfügige,
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NiederG Hamburg (20.3.1868), PreußVersZ 2 (1868), 703. Betonung hinzugefügt.
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in ihrer Wirkung gleichgültige und nicht in der böser Absicht geschehene Unvollständigkeit oder Versäumniß in der zum Theil schwierigen Erfüllung der mannigfachen, dem Versicherten in einer enggedruckten Columne auf der Rückseite der Police aufgebürdeten Obliegenheiten jenes harte Präjudiz nach sich ziehen sollte. […] [Ü]berdies würde es doch mindestens dem Versicherer obliegen, um eine strenge Anwendung der von ihm gestellten Strafklausel fordern zu können, seinerseits durch seine kundigen Beamten oder Agenten, welche durch ihren täglichen Beruf mit den allgemeinen Versicherungsbedingungen und den Obliegenheiten des Versicherten genau vertraut sind, dem darin unbewanderten Versicherten nach Kräften in der Erfüllung seiner Obliegenheiten mit Rath und Anleitung zu Hülfe zu kommen.«
Indem das Niedergericht die bona fides und die Vertragsnatur heranzog, bewegte es sich auf traditionellen Bahnen. Dennoch ist die Begründung uneinheitlich. Das Niedergericht stellte zum einen darauf ab, daß die in Frage stehende Klausel mit Rücksicht auf die bona fides eng auszulegen sei. Dafür waren aber nicht nur die schwerwiegenden Folgen der Klausel ausschlaggebend: Pönalbestimmungen waren grundsätzlich eng auszulegen176. Das Gericht verwies vielmehr auch darauf, daß die Klausel schwer zu lesen und zudem auf der Rückseite der Police abgedruckt war. Es deutete schließlich an, daß die Versicherung sich dann hätte auf die Klausel berufen können, wenn sie dem Versicherungsnehmer unterstützt hätte, die aus der Klausel erwachsenen Obliegenheiten einzuhalten. In die Auslegung flossen damit Momente ein, die wir in moderner Terminologie der Inhaltskontrolle, der Einbeziehungsproblematik und der Anwendungskontrolle zuordnen würden. Man wird den Eindruck nicht los, daß, wie schon oben das Stadtgericht Frankfurt177, das Niedergericht Hamburg sich schwertat, die Berufung auf die entsprechende Klausel durch die Versicherung dogmatisch sauber auszuschließen, und so führte es zahlreiche dogmatisch unzusammenhängende Gesichtspunkte an, welche die getroffene Entscheidung tragen sollten. Das Obertribunal Berlin berief sich weiterhin in einem Urteil aus dem Jahre 1851 auf den Grundsatz von Treu und Glauben, um das bei wörtlicher Auslegung eigentlich zwingende Ergebnis zu umgehen178: Die beklagte Magdeburger Feuerversicherungsgesellschaft stützte sich auf § 18 ihrer Policebedingungen. Dieser lautete179: »Alle nicht innerhalb Jahresfrist nach dem Brande entweder festgestellten oder vor den Schiedsrichter gebrachten Ansprüche auf Entschädigung sind erloschen.« 176
Siehe oben § 3 II A (S. 133). Siehe oben das Zitat zu und den Text nach Fn. 166. 178 OTR Berlin (13.5.1851), ZVersR 2 (1868), 302. 179 Ähnlich z.B. § 14 der AVB der Aachener und Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft von 1829, abgedruckt Deutscher Verein für Versicherungswissenschaft, Sammlung I, S. 28; Art. 24 der AVB der Assecuranz-Anstalt gegen Brandschäden der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in München von 1876, abgedruckt ebd., S. 34; § 13 der AVB des Verbandes Deutscher Privat-Feuerversicherungs-Gesellschaft von 1874, abgedruckt ebd., S. 41. 177
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Die Klage auf Ausgleich eines am 25.11.1847 erlittenen Brandschadens war nämlich erst am 22.2.1849 erhoben worden. In der Zwischenzeit fanden zwischen den Parteien allerdings Vergleichsverhandlungen statt. Das Obertribunal Berlin sah in § 18 eine auflösende Bedingung180. Eigentlich hätte bei ihrem Eintritt, das ist die Nichterhebung der Klage, der Anspruch erlöschen müssen. Das Obertribunal führte allerdings aus, daß solange sich die Beklagte auf die Vergleichsverhandlungen einließ, der Kläger keinen Anlaß hatte zu klagen, und deshalb von der Einhaltung des § 18 entbunden war. Die einzige in der ZVersR wiedergegebene Begründung für das so gefundene Ergebnis ist kurz und bezeichnend181: »Die entgegengesetzte Annahme würde Treue und Glauben verletzen […].«
Das Obertribunal Berlin nahm wohl keine verdeckte Inhaltskontrolle im Wege der Auslegung vor, sondern eine Anwendungskontrolle182. Das Appellationsgericht Magdeburg war in der Vorinstanz noch davon ausgegangen, es handele sich bei § 18 der Police um eine Verjährungsregel. Deshalb konnte es ALR II 8 § 2355 anwenden. Diese Vorschrift bestimmte: »Sind über die Vergütung Unterhandlungen gepflogen worden: so wird die darauf verwendete Zeit, bis zu dem Zeitpunkte, da selbige wegen der Weigerung des Versicherers abgebrochen worden, in die Verjährungszeit nicht mit eingerechnet.«
Die Vermutung liegt nah, daß sich das Appellationsgericht Magdeburg von der Erwägung leiten ließ, nur bei einer Einordnung der Bestimmung als Verjährungsregel ALR II 8 § 2355 anwenden zu können. Hierbei handelt es sich um eine äußerst subtile Form der verdeckten Inhaltskontrolle durch Auslegung: Vertragsabreden wurden ergebnisorientiert dogmatisch eingeordnet. Konnte man eine Klausel entweder als auflösende Bedingung oder Verjährungsregel begreifen, so wurde nicht das Verständnis gewählt, das dem Wortlaut der Klausel eigentlich entsprochen hätte. Vielmehr berücksichtigte man bereits bei der Einordnung der Klausel die dogmatischen Konsequenzen dieser Einordnung. Konnte man unter Anwendung der Verjährungsregeln das erwünschte billige Ergebnis erzielen? Dann verstand man die Klausel als Verjährungsregel. Oder konnte man das erwünschte Ergebnis besser mit den Vorschriften zur Resolutivbedingung begründen? Dann begriff man die formularmäßige Ab180
So auch OTR Berlin (11.10.1866), PreußVersZ 1 (1867), 479, 482; AG Magdeburg (18.5.1867), PreußVersZ 2 (1868), 88, 89. Nach Malß, ZHR 13 (1869), 477, handelte es sich um die in Preußen ganz h.M. Gegen die Annahme einer vertraglich vereinbarten Verjährungsregel sprach schon, daß die in Preußen nach ALR I 9 § 566 notwendige Form regelmäßig nicht beachtet wurde; vgl. hierzu Malß, ZHR 13 (1869), 477. 181 OTR Berlin (13.5.1851), ZVersR 2 (1868), 302, 304. Ebenso LG Elberfeld (17.5.1868), PreußVersZ 4 (1870), 696, mit Verweis auf den guten Glauben. 182 Vgl. ähnlich RG (17.9.1887), RGZ 19, 132; RG (9.11.1888), RGZ 22, 201. Zur Rechtsprechung des RG zu diesen Klauseln vgl. schon Prang (2003), S. 130 f.
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rede eben als Bedingung. Daß man hier ergebnisorientiert arbeitete, wird bei Malß deutlich. Er diskutiert die Frage, ob es sich bei den Anzeige- und Verhaltenspflichten, so wie in der Tat zunächst von der Rechtsprechung vertreten worden war183, um Bedingungen handele. Dagegen führte er aus184: »Diese Ansicht führt zu großer Härte gegen den Versicherten, denn die Nachtheile der Nichterfüllung einer Bedingungen treten ein ohne Rücksicht auf sein Verschulden, ja selbst alsdann, wenn die Erfüllung unmöglich geworden ist.«
Ähnlich ergebnisorientiert argumentierte das Oberappellationsgericht Rostock im Jahre 1857185. Es ging um die in AVB enthaltene Bedingung, daß der Ersatzanspruch verloren geht, wenn die Schadensliquidation nicht binnen 14 Tagen eingereicht wird. Das Oberappellationsgericht deutete diese Abrede als ein Konventionalstrafversprechen186. Nach römischem Recht seien, so das Gericht, solche Versprechen nur bei strengen Verträgen ohne Rücksicht auf die Gründe aufrechterhalten worden. Dagegen sei bei bona fides negotii das billige Ermessen des Richters entscheidend, und es müsse Rücksicht auf Treu und Glauben genommen werden. Auch der Versicherungsvertrag sei ein Vertrag, der sich nach Treu und Glauben richte. Deshalb greife der Verlust des Anspruchs nur ein, wenn die Frist durch Verschulden des Versicherten versäumt wurde. Malß lehnte die Einordnung der Abrede als Konventionalstrafversprechen zu Recht ab. Ein solches setze ein selbständiges Versprechen voraus. Das Oberappellationsgericht Rostock sah die Klausel wohl nur deshalb als Konventionalstrafversprechen an, um so eine weitgehende Billigkeitsüberprüfung vornehmen zu können. Hätte es die Klausel als auflösende Bedingung eingeordnet, so wäre dem Gericht dieser Weg versperrt gewesen. Es hätte nur noch prüfen können, ob die Bedingung eingetreten war oder nicht. Malß sah, wie gesagt, in den Anzeige- und Verhaltenspflichten, die den Versicherungsnehmer nach den AVB trafen, keine Bedingungen. Er ging von Vertragspflichten aus. Nur so konnte berücksichtigt werden, daß dem Versicherungsnehmer die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich war oder daß er sie unverschuldet nicht erfüllt hatte187. Eigentlich hätte es den Versicherungen möglich sein müssen, eine solche Einordnung dadurch zu vermeiden, daß sie die Anzeige- und Verhaltenspflichten ausdrücklich als Bedingung bezeichneten188. Doch genau diesen Schluß zogen Literatur und Rechtsprechung nicht, sondern setzten sich über den klaren Wortlaut dieser Klauseln hinweg. So 183 KreisG Danzig (o.D.), ZVersR 1 (1866), 76; AG Leipzig (Juli 1867), zitiert von Malß, ZHR 13 (1869), 53 f.; OTR Berlin (13.5.1851), StriethorstA 2 (1851), 130; AG Marienwerder (7.9.1864), Central-Organ 1 n.F. (1865), 296. 184 Malß, ZHR 13 (1869), 54. Vgl. zum Ganzen schon Raiser (1935), S. 266. 185 Wiedergegeben bei Malß, ZHR 13 (1869), 52 f. 186 Zustimmend wohl Wolff, ZVersR 2 (1868), 366. 187 Malß, ZHR 13 (1869), 54. 188 Wolff, ZVersR 2 (1868), 367.
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führte das Reichsoberhandelsgericht aus, daß es bei der Auslegung nicht so sehr auf den Wortlaut ankomme, als vielmehr auf den »vernünftigen Willen redlicher Paciscenten«, und es entspreche der »präsumtiven Intention der Paciscenten, der Billigkeit und der bona fides […], daß nur eine verschuldete Versäumung der stipulierten Frist den Rechtsverlust zur Folge haben soll«189. Doch nicht alle Gerichte waren bei Auslegung an sich klar formulierter AVB so versichertenfreundlich. Die entscheidende Policebedingung eines dem Kreisgericht Dessau vorliegenden Streites lautete190: »Die Zahlung der Entschädigungssumme erfolgt binnen Monatsfrist, nachdem ihr gesammter Betrag und die Verbindlichkeit der Gesellschaft zur Zahlung derselben durch Anerkenntniß beider Theile, Vergleich oder rechtskräftiges Urtheil festgestellt ist.«
Die beklagte Versicherung liquidierte den Schaden entsprechend dieser Bedingung. Der klagende Versicherungsnehmer wollte nun den Schaden ersetzt haben, der aus der seines Erachtens verzögerten Auszahlung resultierte. Dafür berief er sich auf Billigkeitsgründe, die der strikten Anwendung der Klausel entgegenstünden. Wie diese Billigkeitsgründe beschaffen waren, ergibt sich aus der verkürzten Wiedergabe des Urteils in der ZVersR nicht. Das Kreisgericht Dessau wies die Einwände zurück191: »Gründe der Billigkeit, wie sie Kläger zahlreich anführe, könnten bei der Interpretation der klaren Vertragsbedingungen um so weniger zur Geltung kommen, je mehr es in der Macht des Klägers gestanden habe, die anscheinend in der angezogenen Bestimmung des §. 14 cit. enthaltenen einseitigen Vortheile der Beklagten vor Eingehung eines Vertragsverhältnisses mit derselben zu würdigen.«
Eine verdeckte Inhaltskontrolle im Wege der Auslegung lehnte das Kreisgericht Dessau aus zwei Gründen ab: Zum einen sei die in Frage stehende Klausel klar formuliert, so daß ein Auslegungsspielraum, der zugunsten des Klägers hätte ausgefüllt werden können, nicht bestand192. Zum anderen hätte der Kläger den Vertrag gar nicht einzugehen brauchen, wenn er dessen Bedingungen als unbillig erachtete. Denn ihm stand es offen, die Bedingungen genau zu 189 ROHG (25.11.1871), ROHGE 4, 63, 64. Vgl. auch Wolff, ZVersR 2 (1868), 367 f., 373; Hinrichs, ZHR 20 (1875), 397 f.; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 274 f.; Ehrenberg I (1893), S. 478 f.; Fuld, ZversRW 1 (1895), 193; StadtG Berlin (2.3.1866), PreußVersZ 1 (1867), 275, 277; OTR Berlin (18.12.1866), PreußVersZ 2 (1868), 469, 470 f.; BOHG (4.4.1871), Gruchot 15 (1871), 555; ROHG (30.10.1873), ROHGE 11, 271; RG (25.11.1880), Gruchot 25 (1881), 1047; RG (9.10.1882), RGZ 10, 158, 159. A.A. für eine andere Klausel dagegen noch OTR Berlin (25.3.1862), PreußVersZ 1 (1867), 681, 684. Vgl. schließlich Kübel, ZVersR 2 (1868), 58 ff., und zur identischen Rechtsprechung des RG schon Prang (2003), S. 97. 190 KreisG Dessau (o.D.), ZVersR 2 (1868), 311. 191 KreisG Dessau (o.D.), ZVersR 2 (1868), 311, 312. 192 KreisG Dessau (o.D.), ZVersR 2 (1868), 311: »Der angezogene Paragraph der Police über den dies veniens der Obligation laute so bestimmt, daß jeder Interpretationsversuch für den Kläger hoffnungslos erscheine.«
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§ 4. Inhaltskontrolle
studieren. Wir erinnern uns, daß dasselbe Gericht mit gleicher Begründung eine offene richterliche Inhaltskontrolle abgelehnt hatte193. Andere Gerichte sträubten sich ebenfalls gegen eine verdeckte Inhaltskontrolle dieser Klausel194. Andere glaubten dagegen, die Klausel verstoße gegen die guten Sitten und sei deshalb nichtig195. Wieder andere Gerichte zeigten Grenzen bei Anwendung dieser Klausel auf. So stellte der Cassationshof Darmstadt 1858 fest, daß diese Klausel zwar nicht sittenwidrig sei, und lehnte damit eine offene Inhaltskontrolle ab196. Aber wenn die Versicherung durch eine schikanöse Prozeßführung die Zahlung hinauszuzögern versuche, könnten dem Versicherten bereits ab Rechtshängigkeit Zinsen zugesprochen werden197. Der Cassationshof nahm der Klausel die als unbillig erachtete Spitze durch eine Anwendungskontrolle. Instrument dieser Anwendungskontrolle war das Schikaneverbot. Wieder andere Gerichte versuchten der Klausel durch Auslegung abzumildern. Die Klausel führe das Anerkenntnis, den Vergleich und das rechtskräftige Urteil nur beispielhaft auf und beziehe sich nur auf die Fälle, in denen der Schaden nicht zweifelsfrei feststehe. Bestünden über den Schaden und dessen Höhe indes keine Zweifel, so könnten Zinsen bereits ab Rechtshängigkeit zugesprochen werden198. Das Meinungsbild war in der Rechtsprechung also uneinheitlich. Einige Gerichte überschritten bereits die Grenzen zur offenen Inhaltskontrolle. Andere nahmen eine sehr weitgehende verdeckte Inhaltskontrolle im Rahmen der Auslegung vor. Dabei boten sich bei der Auslegung verschiedene Möglichkeiten: Die Klauseln wurden ergebnisorientiert dogmatisch eingeordnet, sie wurden teleologisch reduziert, sie wurden nach Treu und Glauben ausgelegt oder die contra proferentem-Regel wurde angewendet, obwohl die Klausel eigentlich eindeutig formuliert war. Wieder andere Gerichte lehnten diese Form der Inhaltskontrolle dann ab, wenn Klauseln keinen Interpretationsspielraum ließen. Aber auch diese Gerichte waren sich der Probleme, welche die AVB mit sich brachten bewußt und bejahten deshalb eine weitgehende Anwendungskontrolle. Pönalbestimmungen wurden, wie oben bereits deutlich wurde, zudem eng ausgelegt199, und auch diese Auslegungsregel führte man
193
Vgl. oben das Zitat zu Fn. 81. OAG Jena (23.3.1866), PreußVersZ 2 (1868), 298, 299; OLG Dessau (11.11.1865), PreußVersZ 1 (1867), 385, 386. 195 Vgl. die Nachweise in RG (9.3.1882), RGZ 6, 190, 198. 196 CassH Darmstadt (19.1.1858), RheinA 59/1 (1864), 45. Ebenso AGH Köln (25.4.1864), Rhein 59/1 (1864), 41; OTR Berlin (5.6.1867), PreußVersZ 4 (1870), 73, 74; OTR Stuttgart (23.3.1872), BuschA 30 (1874), 131, 135 f.; RG (9.3.1882), RGZ 6, 190, 198; RG (3.1.1894), RGZ 32, 342, 343. 197 Lewis, Lehrbuch (1889), S. 278 f., wies darauf hin, daß eine Klausel, die auch in diesem Fall eine Verzinsung ab Rechtshängigkeit ausschließe, sittenwidrig sei. 198 AG Insterburg (3.2.1868), PreußVersZ 4 (1870), 75. 199 Siehe oben § 3 II A (S. 133). 194
V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle
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unter anderem darauf zurück, daß die AVB vom Versicherer einseitig gestellt worden waren200. Ein ähnlich disparates Meinungsbild können wir in der Literatur beobachten. Auch hier gab es im letzten Viertel des 19. Jh. Stimmen, die sich gegen eine verdeckte Inhaltskontrolle durch Auslegung wandten. So schrieb Hinrichs 1875201: »Aus einer Kritik des Inhalts der Versicherungsbedingungen, welche etwa eine unbillige Härte derselben darlegen möchte, kann man nie zu dem Schlusse gelangen, daß im einzelnen Falle die Gesellschaft das gewollt habe, was sie nach Ansicht des Gegners oder des Richters sich überhaupt zur Richtschnur ihres Handelns machen sollte, thatsächlich aber nicht gemacht hat.«
Anderer Ansicht war dagegen Lewis in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts202: »Dem Zwecke des auf Treu und Redlichkeit der Beteiligten beruhenden Versicherungsinstituts gemäß, dürfen sie [die AVB] nicht nach dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks, sondern dem vernünftigen Willen redlicher Paciszenten interpretirt werden.«
Lewis akzeptierte nicht, daß eine verdeckte Inhaltskontrolle durch Auslegung nur da möglich ist, wo eine Klausel auch einen Auslegungsspielraum ließ. Ehrenberg wiederum verband seine Kritik an einer verdeckten Inhaltskontrolle mit der Forderung nach der Einführung zwingenden Rechts bzw. nach einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle203: »Die Gerichtshöfe konnten sich […] der Einsicht nicht verschliessen, dass eine rücksichtslose Anwendung aller in den Versicherungsbedingungen niedergelegten ›Vorschriften‹ undenkbar sei; aber ausgehend von dem ›Princip der Vertragsfreiheit‹ und festhaltend an der Fiktion, dass der Inhalt der Versicherungsbedingungen zwischen den Parteien ›vereinbart‹ sei, gelangten sie nur zu einer neuen, lediglich auf die Versicherungsbedingungen zugeschnittenen Interpretationsregel: Vorschriften nämlich über das Verhalten des Versicherten, deren Verletzung in den Bedingungen mit einem schweren Präjudiz (meist Verlust aller Ansprüche) bedroht ist, sollen nicht rigoristisch ausgelegt werden, sondern nach billigem Ermessen der konkreten Umstände (Schuld des Versicherten, Schädigung des Versicherers). Da nun alle Interpretation lediglich den Zweck hat, den Willen der Parteien […] zu ermitteln, so sind hiernach die Versicherer in der Lage, durch eine ganz klare und unumwundene Ausdrucksweise jede anderwei200
ROHG (30.10.1873), BuschA 29 (1874), 164, 168; Scherer, Gruchot 32 (1888), 514, der diese Auslegungsregel und die contra proferentem-Regel nicht trennte. 201 Hinrichs, ZHR 20 (1875), 390 f. Ebenso Bezold, BuschA 29 (1874), 220 ff.; Harries, GruchotBeit 16 (1872), 384 ff. 202 Lewis, Lehrbuch (1889), S. 275. Ebenso schon zuvor ROHG (4.4.1871), ROHGE 2, 183; ROHG (15.11.1871), ROHGE 4, 63; RG (4.5.1887), RGZ 18, 143, 144. Zustimmend Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 733). 203 Ehrenberg I (1893), S. 81 ff. Vgl. auch HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 11.
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§ 4. Inhaltskontrolle
tige Interpretation unmöglich zu machen, und wenn der Richter alsdann nicht zufällig noch ein anderes ›Princip‹ findet, mit dessen Hilfe er den Versicherten retten kann, so bleibt ihm nur übrig, ihn preiszugeben oder unter dem Schutze einer angeblichen ›Auslegung‹ der Bedingungen sich schlankweg über den klaren Sinn dieser Bedingungen hinwegzusetzen und damit das Princip der Vertragsfreiheit selbst zu ignorieren. Und in der That bleibt gar nichts anderes übrig, als mit diesem Princip zu brechen, aber nicht unter dem Schleier einer Interpretation, die scheinbar daran festhält, sondern offen und ehrlich. Es müssen im Interesse des Versicherten absolute Rechtssätze anerkannt werden, welche durch die Versicherungsbedingungen weder aufgehoben noch eingeschränkt werden können. Und das ist nichts unerhörtes. Wirtschaftliche Anstalten, die einen stark monopolisierenden Charakter haben (z.B. Eisenbahnen) oder zur Kartellbildung hinneigen, wie zahlreiche Gewerbe mit beschränkter Konkurrenz, besonders wenn sie zugleich von grosser socialer Bedeutung sind, wenn also die Masse des Volkes ihre Benutzung nicht umgehen kann, haben sich in alter und neuer Zeit solche Einschränkung gefallen lassen müssen. Die schrankenlose Vertragsfreiheit kann – gleich mancher anderen Freiheit – in ihr Gegenteil umschlagen, nämlich zur Knechtung des Kleinen durch den Grossen führen; sie thut dies da, wo der social Schwächere sich auf den Vertragsschluss mit dem social Stärkeren notwendig angewiesen sieht und wo zugleich der Konkurrenz durch Kartellbildung ausgeschlossen wird. Hier ist die ›Freiheit‹ in Wahrheit nur für den Stärkeren da, sie führt zur Unterdrückung des schwächeren Interessenten, dem die ›Bedingungen‹ des Vertragsschlusses einfach aufgenötigt werden. Nicht ein ›sich Vertragen‹ – wie das Wort eigentlich besagt –, sondern ein ›vorschreiben‹ und ›befolgen‹ ist das Wesen dieser sogenannten Vertragsfreiheit. […] Es wird daher die wichtige Aufgabe der Gesetzgebung sein, durch eine massvolle Aufstellung absoluter Rechtssätze den Versicherten zu schützen und damit zugleich […] den Versicherungsgesellschaften selber den besten Dienst zu erweisen. Solange aber der Gesetzgeber dieser Aufgabe noch nicht nahetritt, ist es die Pflicht der Wissenschaft und der Praxis, gewisse Rechtsnormen aufzustellen und ihres dispositiven Charakters zu entkleiden, also ihre Abänderung oder Aufhebung durch die Versicherungsbedingungen für unzulässig zu erklären.«
Daß es sich bei den oben angeführten Beispielen der Auslegung um eine verdeckte Inhaltskontrolle handelte, erkannte Ehrenberg. Den verfolgten Zweck billigte er, das Mittel nicht. Er forderte den Gesetzgeber auf, zum Schutze der Versicherungsnehmer zwingendes Recht einzuführen. Bis sich der Gesetzgeber dazu entschließe, müßten die Gerichte den Inhalt der AVB offen kontrollieren, indem sie zusammen mit der Wissenschaft Rechtssätze herausarbeiteten, die nicht durch AVB abbedungen werden könnten.
C. Die Aushänge der Gastwirte Die Aushänge der Gastwirte wurden keiner verdeckten richterlichen Inhaltskontrolle unterzogen. Das überrascht wiederum nicht. Enthielten doch die Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe des ausgehenden 18. und des 19. Jh. Regelungen zu diesen Aushängen. Zudem galten die regelmäßig erst in
V. Die verdeckte Inhaltskontrolle und Anwendungskontrolle
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den Gastzimmern ausgehängten Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln auch nach gemeinem Recht nicht als einbezogen. Einer verdeckten Inhaltskontrolle bedurfte es daher nicht.
D. Beispiele anderer allgemeiner Geschäftsbedingungen In anderen Kontexten finden sich dagegen wieder Hinweise auf eine verdeckte Inhaltskontrolle: Fuld sprach sich, wie oben bereits deutlich wurde, im Mietrecht in Hinblick auf die Hausordnungen für eine solche Inhaltskontrolle im Wege der Auslegung aus204 und diskutierte in diesem Zusammenhang ein Urteil des Reichsgerichts205: »Über die Bedeutung des in den Hausordnungen eine besondere Wichtigkeit besitzenden Verbots des Waschens und Trocknens der Wäsche in der Wohnung hat das Reichsgericht unter dem 28. November 1879 folgende Grundsätze aufgestellt […]. Der Gerichtshof unterscheidet zwischen ›großer‹ Wäsche und ›kleiner‹, trotzdem der Vertrag bezw. die Hausordnung diese Unterscheidung nicht kennt, nach seiner Ansicht wird durch das Verbot nur die erstere betroffen nicht aber die letztere. Unzweifelhaft ist dies richtig[,] da der Mieter, der sich der Hausordnung unterwirft, garnicht daran denkt[,] die Verpflichtung zu übernehmen, daß auch nicht die Reinigung eines Stücks oder einiger Stücke Wäsche innerhalb der Wohnung erfolgen soll.«
Für Abzahlungsgeschäfte gingen die Gerichte zum Teil den gleichen Weg. So berichtete Voigtel über ein Urteil des Kreisgerichts Burg aus dem Jahre 1867206. Ein Möbelleihvertrag, ein Hauptbeispiel eines Abzahlungsgeschäfts im 19. Jh., enthielt die Klausel: »Wenn der Miether gegen die Bestimmungen dieses Kontraktes handelt, besonders wenn er den Miethzins nicht pünktlich entrichten sollte, soll dem Vermiether das Recht zustehen, diesen Vertrag sogleich, auch ohne Kündigung, aufzuheben, und demzufolge die geliehenen Mobilien zurückzunehmen. Von den alsdann bereits geleisteten Zahlungen kann der Miether nichts zurückverlangen.«
Der Mieter hatte nicht nur versäumt, den Mietzins pünktlich zu entrichten. Die Möbel waren auch bei einem Umzug mit zum neuen Wohnort genommen worden, ohne daß der Mieter zuvor wie vertraglich vereinbart die Genehmigung des Vermieters eingeholt hätte. Freilich waren nunmehr alle Raten beglichen. Der Vermieter verlangte dennoch Aufhebung des Vertrages. 204
Siehe oben das Zitat zu Fn. 86. Fuld (1898), S. 56. Vgl. zudem Koch, PreußAnwZ 1865, 802 (»Daher die Erfahrung, daß die Praxis sich hin und wieder in dem Bestreben, summum jus nicht zur summa injuria werden zu lassen, allzu geneigt zeigt, dem Miether gegen solche Exmissionsklagen zu helfen.«); Hilse, Gruchot 10 (1866), 527 ff.; Harries, Gruchot 16 (1872), 385. Aus der modernen Forschung vgl. Repgen, in: Steinmetz (2000), S. 400 ff.; ders., in: Luminati/Falk/Schmoeckel (2008), S. 245 ff. mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 206 Voigtel, Gruchot 11 (1867), 747 ff. Vgl. außerdem Hausmann (1891), S. 12. 205
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§ 4. Inhaltskontrolle
Das Kreisgericht verwies auf Parallelen im Versicherungsrecht und entschied, daß es sich nicht um Bedingungen handele, sondern um Vertragspflichten und es daher darauf ankomme, ob der Mieter schuldhaft gehandelt habe. Daß für den Ortswechsel der Möbel keine Genehmigung eingeholt worden sei, daran treffe den Mieter kein Verschulden. Denn der Umzug sei von seinen Angehörigen durchgeführt worden, während er aufgrund seines Militärdienstes nicht anwesend war. Auch an der Nichteinhaltung der Zahlungstermine treffe den Mieter keine Schuld, weil er während des Militärdienstes nicht die nötigen Mittel hatte und weil er seit dem Ausscheiden aus dem Militärdienst wegen Erwerbsunfähigkeit von einer Invalidenpension leben mußte. Dernburg stimmte dieser Rechtsprechung schon 1882207 zu und nahm 1889 ausführlich Stellung208: »Zu großen Mißbräuchen giebt die Klausel Anlaß, nach welcher der s.g. Miether dem s.g. Vermiether das Recht einräumt, bei nicht pünktlicher Zahlung der Miethe die Mobilien zurückzunehmen, ohne etwas von den eingezogenen s.g. Miethraten zurückgeben zu müssen. Sind doch die s.g. Miether regelmäßig kapitalarme Personen, die ihre Sparfähigkeit überschätzen, weil sie die Möglichkeit des Eintritts ungünstiger ihren Erwerb beeinträchtigender Zufälle nicht genügend berücksichtigen. Das allein Angemessene wäre daher, dem s.g. Miether die Rückforderung des über den üblichen Miethpreis Hinausgezahlten trotz der Vertragsklausel zu gewähren. Ist die Jurisprudenz hierzu nicht im Stande und dem ausbeutenden Vertrag gegenüber wehrlos? Es ist eine condictio ob turpem vel injustam cauam behufs solcher Rückforderung zu gewähren. Jedenfalls wird man den Vertrag so auszulegen haben, daß das Geschäft nur bei schuldhaften Zuwiderhandeln gegen die Bedingungen aufgehoben ist.«
Höhne schließlich wollte diese Klausel als Konventionalstrafversprechen verstehen mit der Folge, daß ALR I 5 § 301 eingriff209: »Wird jedoch dadurch der doppelte Betrag des wirklich auszumittelnden Interesses überstiegen, so muß der Richter die Strafe bis auf diesen doppelten Betrag ermäßigen.«
VI. Kontrolle durch Verfahrensvorschriften Eine neuartige Form der Kontrolle tritt uns für die Arbeits- und Fabrikordnungen erstmals in der Gewerbeordnung in der Fassung von 1891 entgegen. Wir hatten bereits oben festgestellt210, daß § 134b Abs. 1 GewO (1891) einen Mindestinhalt dieser Ordnungen vorschrieb. § 134b Abs. 3 GewO (1891) erlaubte es den Fabrikbesitzern, weitere Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. Bestand ein Arbeiterausschuß, so war dieser vor Erlaß der Ar207 208 209 210
Dernburg, Lehrbuch II (3. Aufl. 1882), § 155 Fn. 5 (S. 407). Dernburg, Lehrbuch II (4. Aufl. 1889), § 155 Fn. 3 (S. 427). Höhne (1885), S. 10 f. Siehe oben III D (S. 165).
VIII. Zusammenfassung
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beitsordnung nach § 134d GewO (1891) anzuhören. Im Übrigen war den Arbeitern die Gelegenheit zu geben, sich zum Inhalt der Ordnung zu äußern. Schäffle merkte zu diesen Vorschriften, freilich etwas zu optimistisch, an211: »Die Arbeitsordnung dient wesentlich als das Mittel, den Arbeitnehmer selbst zum Kontrolleur seiner Rechte zu machen.«
VII. Formen nichtstaatlicher Kontrolle Schließlich sei noch auf eine letzte Form der Inhaltskontrolle hingewiesen. Seit den 60er Jahren war man sich bewußt gewesen, daß es vor allem das Ungleichgewicht zwischen den Parteien war, das es dem Verwender ermöglichte, unbillige AGB durchzusetzen. Der Gedanke lag nahe, daß sich die zahlreichen Vertragspartner zusammentaten, um so organisiert ihre Interessen dem Verwender gegenüber durchsetzen zu können. Durch diesen Zusammenschluß konnten sie das Ungleichgewicht quasi neutralisieren. Aus dem Arbeitsrecht ist dieses Phänomen bekannt. Erste Ansätze hierzu bestanden aber auch im Viehversicherungsrecht bereits in den 60er Jahren212, und am Ende des 19. Jh. trat der Deutsche Landwirtschaftsrat ebenfalls auf dem Gebiete der Viehversicherungen mit den Versicherungen in Verhandlungen, um so »die mißbräuchlichen Bestimmungen in den Statuten und Versicherungsbedingungen auszumerzen«213.
VIII. Zusammenfassung A. Anlaß für ein Problembewußtsein gegenüber dem einseitig bestimmten Inhalt der AGB gab es schon im 19. Jh. So versuchten die Transportanstalten ebenso wie die Gastwirte ihre Haftung auszuschließen bzw. im weiten Umfang zu beschränken. Und die AVB enthielten Klauseln, die den Versicherungsnehmern bei Vertragsschluß Offenbarungspflichten und nach Eintritt des Versicherungsfalles zahlreiche Mitwirkungspflichten auferlegten. Der Verstoß gegen jede dieser Pflichten führte zu einem Verlust jeglicher Ansprüche des Versicherungsnehmers. B. Die Öffentlichkeit rieb sich an solchen Klauseln, und in gerichtlichen Verfahren beriefen sich die Vertragspartner oftmals auf ihre Nichtigkeit. Auch die Juristen entwickelten bereits im 19. Jh. ein Problembewußtsein gegenüber dem einseitig aufgestellten AGB-Inhalt. Im Transportrecht tritt uns ein sol211
Schäffle, ZgStw 47 (1891), 98. Bericht von der Versammlung des Landwirthschaftlichen Central-Vereins für den Netzedistrict am 6. und 7.12.1867, abgedruckt in PreußVersZ 2 (1868), 263 ff. 213 K. Schneider, AcP 85 (1896), 298. 212
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§ 4. Inhaltskontrolle
ches Bewußtsein seit den 40er, im Versicherungswesen seit den späten 50er Jahren entgegen. C. Die Instrumente, die für die Kontrolle herangezogen wurden, waren vielfältig: Im Transportrecht begegnete uns bereits in den späten 40er und 50er Jahren ein frühes Beispiel einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Im Versicherungsrecht wurde eine solche dagegen nicht vorgenommen. Im Eisenbahnrecht führte der Gesetzgeber schon früh als Reaktion auf die AGB-Praxis zwingendes Recht zum Schutz der Kunden der Eisenbahnen ein. Im Versicherungsrecht wurde die Einführung zwingenden Rechts zwar ebenfalls diskutiert. Doch nur vereinzelt konnten sich die Gesetzgeber hierzu durchringen. Anders als im Transport- und Gastwirtsrecht begegneten uns im Versicherungsrecht zahlreiche Formen einer verdeckten Inhalts- und einer Anwendungskontrolle: So wurde die contra proferentem-Regel über ihren Anwendungsbereich hinaus angewendet. An sich klar formulierte Klauseln wurden als unklar behandelt, um sie sodann gegen ihren Verwender auslegen zu können. Oft wurde das Verhalten der Versicherungen als schikanös oder treuwidrig hingestellt, um ihnen so die Berufung auf eine Klauselbestimmung verwehren zu können. Einige Gerichte reduzierten, modern ausgedrückt, Klauseln teleologisch. Sie fragten nach dem Zweck einer Klauselbestimmung und wendeten sie nicht an, wenn dieser Zweck erfüllt war, selbst wenn sie ihrem Wortlaut nach einschlägig war und sich die Versicherung auf diese Bedingung berufen wollte. Schließlich boten sich den Gerichten bei der dogmatischen Einordnung der Klauseln Möglichkeiten, den Versicherungsnehmer zu schützen. D. Auch konnten wir ein Wechselspiel zwischen den verschiedenen Kontrollsubjekten feststellen: Die rheinische Gerichte nahmen zuerst eine offene richterliche Inhaltskontrolle der AGB der Transportanstalten vor. Der Gesetzgeber reagierte sodann selbst, indem er die Haftung der Eisenbahnen im ADHGB zwingend ausgestaltete. Dieser punktuelle Eingriff des Gesetzgebers ist erklärbar, als es ja die Haftungsausschlußklauseln in den Eisenbahnreglements waren, welche die Praxis hauptsächlich beschäftigten. Das Bedürfnis einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle war insoweit entfallen. Doch fehlte es an einer generellen Lösung des Problems. Und so überrascht es wenig, daß die erste Entscheidung, in der das Reichsgericht in den 80er Jahren die Möglichkeit einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle diskutierte, wiederum eine transportrechtliche Materie betraf. Im Gastwirtsrecht finden wir dagegen weder eine offene noch eine verdeckte richterliche Inhaltskontrolle. Doch gab es in vielen Kodifikationen und Kodifikationsentwürfen des 19. Jh. gesetzliche Vorschriften, die nicht nur die Einbeziehungsvoraussetzungen ausgehängter Haftungsausschlußklauseln normierten, sondern auch ihren möglichen Inhalt vorschrieben. Für eine richterliche Inhaltskontrolle fehlte also der Anlaß. Sowohl im Transport- als auch im Versicherungsrecht wird schließlich das Wechselspiel zwischen einer richterlichen Inhaltskontrolle und einem Eingreifen des Gesetzgebers einerseits und einer aufsichtsrechtlichen Kontrolle anderer-
VIII. Zusammenfassung
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seits thematisiert. So wurden in den Beratungen zum ADHGB die aufsichtsrechtliche Kontrolle und die Einführung zwingenden Rechts als zwei Möglichkeiten der Reaktion auf die Reglementpraxis der Eisenbahnen diskutiert. Und das Kreisgericht Dessau lehnte eine offene richterliche Inhaltskontrolle der AVB mit Hinweis auf die erfolgte aufsichtsrechtliche Kontrolle ab. E. Doch wie ist es erklärbar, daß wir im Transportrecht schon früh Beispiele einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle entdecken können, im Versicherungsrecht dagegen der Schwerpunkt auf der verdeckten Inhaltskontrolle und der Anwendungskontrolle liegt? Im Transportrecht waren es Haftungsausschluß- und Haftungsbegrenzungsklauseln, die in der Praxis Probleme bereiteten. Nun entsprach es ganz herrschender Meinung, daß solche Klauseln insoweit nichtig sind, als auch die Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden sollte. Es war also ein verhältnismäßig kleiner Schritt, die Haftungsbeschränkungen auch im übrigen an denselben Maßstäben zu messen. Im Versicherungsrecht hätte ein großer Schritt gemacht werden müssen. Es fehlte nämlich ein allgemein anerkanntes und quellenmäßig abgesichertes Beispiel, in dem eine Klausel in AVB wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz, die guten Sitten, Treu und Glauben oder die öffentliche Ordnung unwirksam gewesen wäre und das hätte ausgedehnt werden können. Deshalb kam es hier zu einer verdeckten richterlichen Inhaltskontrolle und einer Anwendungskontrolle. Die Tatsache, daß Vorbilder fehlten, führte zu der beobachteten Vielfalt an Lösungen und Argumenten. Daß selbst das Schikaneverbot herangezogen wurde, das seine Blütezeit im 18. Jh. hatte und im 19. Jh. nicht mehr zum gängigen Werkzeug der Juristen gehörte, zeigt einerseits auf, wie schwer sich die Juristen taten, geeignete Instrumente zur Bändigung der AGB zu entwickeln. Andererseits zeugt dies davon, wie sehr die Praxis darum bemüht war, der AGB-Praxis etwas entgegenzusetzen. Daß sich die Gerichte hier nicht mehr auf gewohnten Pfaden bewegten, sondern daß die Lösung wohl auch davon abhing, welche Richterpersönlichkeit den Fall zu entscheiden hatte, ist daran erkennbar, daß die am stärksten formulierte Ablehnung einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle und die am stärksten formulierte Ablehnung einer verdeckten Inhaltskontrolle jeweils vom Kreisgericht Dessau, wohingegen umgekehrt die am stärksten formulierten Urteile für eine verdeckte richterliche Inhaltskontrolle von Richtern aus Frankfurt stammten. F. Die Gründe, die für die Rechtfertigung dieser Eingriffe in den Vertrag angeführt wurden, waren äußerst modern. Seit den späten 50er Jahren wurde sowohl im Transport- als auch im Versicherungsrecht auf das faktische Monopol der Eisenbahnen und der Versicherungsgesellschaften verwiesen. Zudem wurde auf das wirtschaftliche, situative und intellektuelle Ungleichgewicht sowie auf die bestehende Informationsasymmetrie und das Motivationsgefälle zwischen den Parteien hingewiesen, und bei v. Kübel und Ehrenberg schimmerte bereits der materielle Begriff der Vertragsfreiheit durch. Am Ende des
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§ 4. Inhaltskontrolle
19. Jh. sprach man schließlich schon im Zusammenhang der AGB-Praxis von einem »Mißbrauch der Vertragsfreiheit« durch den Verwender. Daß v. Kübel 1866 ein materielles Konzept der Vertragsfreiheit formuliert hat, ist gleich in doppelter Hinsicht bedeutsam: Zum einen war er der Redaktor der Vorlagen des Vorentwurfes zum Recht der Schuldverhältnisse des BGB. Zum anderen ist der Zeitpunkt seiner Äußerung bemerkenswert: Hofer faßt den Stand der Forschung zum Aufkommen des Prinzips der Vertragsfreiheit wie folgt zusammen214: »Die Terminologie gibt wichtige Hinweise auf den Beginn offener Prinzipienüberlegungen. So findet man den Begriff ›Vertragsfreiheit‹ nicht in vernunftrechtlichen Abhandlungen. Die Stichworte dort lauten vielmehr natürliche / bürgerliche / politische Freiheit. Abgesehen von gelegentlichen einzelnen Verwendungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde ›Vertragsfreiheit‹ in juristischen Werken erst ab ca. 1860 allmählich gebräuchlich.«
Nun verwendete v. Kübel nicht den Begriff der Vertragsfreiheit, sondern sprach von »Freiheit der Convention«. Dieser Unterschied ist aber nur marginal. Vielmehr deutete sich das materiale Konzept der Vertragsfreiheit bei v. Kübel zur gleichen Zeit an, wie das Prinzip der Vertragsfreiheit überhaupt Einzug in die juristische Literatur fand. G. Bei all den aufgezeigten Kontrollinstrumenten handelte es sich nur insoweit um eine AGB-Kontrolle, als Gegenstand der offenen richterlichen Inhaltskontrolle der rheinischen Gerichte tatsächlich die AGB der Eisenbahnen waren, als Gegenstand der verdeckten richterlichen Inhaltskontrolle und der Anwendungskontrolle im Versicherungsrecht tatsächlich die AVB waren und als der ADHGB-Gesetzgeber mit der Einführung zwingenden Rechts für die Eisenbahnen auf ihre AGB-Praxis reagierte. Rechtlich war die Kontrolle dagegen nicht auf AGB beschränkt215. So werden durch zwingendes Recht auch entgegenstehende Individualabreden unterbunden. Etwas anderes galt nur für die aufsichtsrechtliche Kontrolle216.
214 215 216
HKK-BGB/Hofer (2007), vor § 241 Rn. 3. Vgl. aber auch Flume II (3. Aufl. 1979), S. 15. Siehe oben III A (S. 158). Siehe oben IV (S. 165 ff.).
§ 5. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Bei der Rechtsfolgenbestimmung bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit stellen sich vier Fragen, ob erstens der Vertrag im übrigen wirksam bleibt, wenn AGB ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, ob zweitens die Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit einzelner Klauseln die Gültigkeit anderer Klauseln berührt und ob drittens eine einzelne Klausel in ihrem inhaltlich zulässigen Umfang wirksam bleibt, wenn sie diesen zulässigen Umfang überschreitet. Diese drei Fragen betreffen auf unterschiedlichen Ebenen das Problem der Restgültigkeit. Schließlich stellt sich als vierte Frage, wie entstehende Lücken zu schließen sind. Die erste Frage findet im geltenden Recht ihre Antwort in § 306 Abs. 1 und 3 BGB. Würde diese Norm nicht existieren, so wäre prima facie § 139 BGB anwendbar. Nach § 139 BGB soll im Zweifel aus der Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts folgen. Der naheliegende Schluß, aus der Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit von AGBKlauseln folge die Nichtigkeit des gesamten Vertrages, wird als nicht sachgerecht empfunden. Deshalb ordnet § 306 Abs. 1 BGB an, daß der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt. Nur wenn dies für eine Partei eine unzumutbare Härte darstellen würde, soll nach Abs. 3 der Vertrag insgesamt unwirksam sein. Eine Antwort auf die zweite Frage sucht man im BGB vergeblich. Doch entspricht es der ganz herrschenden Meinung, daß die Nichteinbeziehung oder Unwirksamkeit einer Klauselbestimmung nicht die Unwirksamkeit des Klauselwerkes nach sich zieht. Das Prinzip der Restgültigkeit soll insoweit ebenfalls eingreifen. Auch die dritte Frage, ob eine einzelne Klausel in ihrem inhaltlich zulässigen Umfang wirksam ist, wenn sie diesen zulässigen Umfang überschreitet, findet keine Beantwortung im BGB. Eine solche geltungserhaltende Reduktion lehnt die herrschende Meinung jedoch grundsätzlich als unzulässig ab. Nach § 306 Abs. 2 BGB soll zur Lückenfüllung auf gesetzliche Vorschriften zurückgegriffen werden.
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§ 5. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
I. Der dogmatische Rahmen: Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit? Heute ist die besondere Vorschrift des § 306 BGB also nur notwendig, weil die im Zweifel nach § 139 BGB anzunehmende Gesamtnichtigkeit in Hinblick auf AGB nicht sachgerecht ist. Im 19. Jh. stellte sich dieses Problem nicht, denn das Prinzip der Restgültigkeit galt allgemein: utile per inutile non vitiatur1. Die Einzelheiten waren freilich strittig. So wurde niemals Einigkeit darüber erzielt, wann denn ausnahmsweise eine Gesamtnichtigkeit eintrat: War entscheidend, ob die von der Unwirksamkeit erfaßte Abrede nicht nur »unselbständige Zuthat zu dem für sich gewollten Hauptgeschäft«2 oder nicht nur »ein unwesentliches Stück des Rechtsgeschäftes«3 war? Kam es darauf an, ob die einzelnen Abreden nicht nur »unabhängig« voneinander waren, sondern »einander bedingen«4? Andere fragten, ob die unwirksame Abrede »Grundlage des Rechtsgeschäfts« geworden war5. Wieder andere stellten darauf ab, ob die Teilnichtigkeit »der Vertragsabsicht oder der Intention von Verbotsgesetzen widerspräche«6.
II. Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit und allgemeine Geschäftsbedingungen Einig war man sich dagegen darüber, daß die Unwirksamkeit von AGB den Vertrag nicht berührt. Denn bei AGB handelte es sich um Nebenabreden7, und die Nichtigkeit einer Nebenabrede beeinträchtigte die Gültigkeit des Hauptgeschäfts nicht8. Ja, nicht nur die Gültigkeit des Hauptgeschäfts wurde durch die Unwirksamkeit der Nebenabrede nicht berührt. Die Rechtspre1 Mackeldey I (10. Aufl. 1833), § 179a (S. 252); v. Keller (1861), § 60 (S. 115); Baron (8. Aufl. 1893), § 64 (S. 121); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 165 (S. 602 f.), § 175 (S. 637); Vering (5. Aufl. 1887), § 89 (S. 208); Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 294). Kritisch Roßhirt, Abhandlungen civilistischen und criminalistischen Inhalts 3 (1839), 159. Vgl. zudem HKK-BGB/Dorn (2003), §§ 134–137 Rn. 19 ff., §§ 139–141 Rn. 2 f.; Zimmermann (1990), S. 75 ff.; Kriechbaum, in: Falk/Mohnhaupt (2000), S. 39 ff.; Seiler, FS Kaser (1976), S. 127 ff., und umfassend zum römischen Recht Staffhorst (2006), passim. 2 Regelsberger, Pandekten I (1893), § 165 (S. 602 f.). 3 Vering (5. Aufl. 1887), § 89 (S. 208). 4 v. Keller (1861), § 60 (S. 115). 5 Baron (8. Aufl. 1893), § 64 (S. 121). 6 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 (S. 294). 7 Siehe oben § 2 I (S. 22) und II C (S. 28). 8 Mühlenbruch II (3. Aufl. 1840), § 353 (S. 299), § 405 (S. 399), § 410 (S. 410); Regelsberger, Pandekten I (1893), § 165 (S. 602 f.); Baron (8. Aufl. 1893), § 64 (S. 121); OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226, 236 f.; KreisG Dessau (2.2.1866), ZVersR 2 (1868), 308, 309. Differenzierend Hartmann, Central-Organ 2 n.F. (1866), 317. Vgl. außerdem HKK-BGB/ Dorn (2003), §§ 139–141 Rn. 3.
II. Gesamtnichtigkeit oder Teilnichtigkeit und allg. Geschäftsbedingungen
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chung konzentrierte sich wie selbstverständlich auf die Frage, ob eine einzelne Bestimmung aus einem umfassenden Klauselwerk unwirksam war9. Ebenso wie die Lehre zog sie niemals überhaupt in Erwägung, daß aus der Ungültigkeit einer einzelnen Bestimmung eines Klauselkataloges die Unwirksamkeit des gesamten Bedingungswerkes folgen könnte. Das Prinzip der Restgültigkeit galt also für AGB schon damals. Im übrigen bestehen allerdings Unterschiede. So stellten die rheinischen Gerichte wiederholt fest, daß eine Klausel im Reglement einer Dampfschiffahrtsgesellschaft, nach der jeder Wasser- und Feuerschaden als von einer unwiderstehlichen Gewalt herrührend betrachtet wird und die Dampfschiffahrtsgesellschaft für einen solchen Schaden nicht verantwortlich sein soll, wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten nach Art. 6 CC keinen Haftungsausschluß herbeiführen könne. Doch folgerten die Gerichte hieraus nicht, daß die Klausel ganz ohne Wirkung sei. Sie hielten sie vielmehr aufrecht, als durch sie eine Beweislastumkehr bedungen worden sei10. Heute würden wir von einer geltungserhaltende Reduktion sprechen. Der Grundsatz von der Restgültigkeit wurde so konsequent zu Ende gedacht. Die Unwirksamkeit berührte weder den Vertrag noch die übrigen AGB noch den zulässigen Kern der Klausel. Doch stellte sich das Problem der Rechtsfolgenbestimmung ohnehin kaum. Denn eine offene richterliche Inhaltskontrolle stellte die Ausnahme dar. Im Versicherungsrecht nahmen die Gerichte eine verdeckte Inhaltskontrolle durch Auslegung oder eine Anwendungskontrolle vor11. Aber auch dort, wo die Gerichte scheinbar eine offene richterliche Inhaltskontrolle vornahmen, waren die Grenzen zu einer bloßen Anwendungskontrolle nicht klar gezogen. In einem dem Appellationsgerichtshof Köln und in der nächsten Instanz dem Obertribunal Berlin vorliegenden Fall hatten der Kläger und die beklagte Dampfschleppschiffahrtsgesellschaft einen Schleppvertrag abgeschlossen12. Im Vertrag wurde auf das Schleppreglement der Beklagten verwiesen. Dessen § 16 lautete: »Ueberhaupt haftet weder die Gesellschaft noch deren Kapitän und Schiffsmannschaft für irgend einen dem geschleppten Schiffe […] zugestoßenen Unfall […], wenn nicht diese durch vorsätzliches Verschulden zugefügt oder herbeigeführt worden sind, welches der Beschädigte indeß in allen Fällen zu beweisen hat.«
9 Siehe oben die Darstellung in § 4 II und V (S. 146 ff., 172 ff.). Vgl. außerdem Art. 423 Abs. 2 ADHGB. 10 AGH Köln (24.2.1844), RheinA 36/1 (1843), 243, 249; RevCassH Berlin (10.3.1845), RheinA 43/2 (1848), 3, 9, RheinA 38/2 (1845), 86, 90, SeuffA 2 (1848), 236, 237, SeuffA 4 (1851), 35; OAG Lübeck (30.4.1853), SeuffA 7 (1854), 366, Nr. 310; OTR Berlin (6.2.1855), StriethorstA 15 (1855), 340, 346; OTR Berlin (6.2.1857), StriethorstA 24 (1857), 39, 41 f. 11 Siehe oben § 4 II, V B (S. 146 ff., 172 ff.). Vgl. auch Jastrows Vorschlag: § 4 II C (S. 157). 12 OTR Berlin (30.3.1858), StriethorstA 28 (1858), 226.
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§ 5. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
Das geschleppte Schiff des Klägers lief auf Grund. Der Kläger verlangte von der Beklagten Schadensersatz. Er trug vor, daß die Besatzung am Untergang ein Verschulden treffe. Einen Vorsatz der Bemannung konnte der Kläger indes nicht nachweisen. Und ein Haftungsausschluß für Erfüllungsgehilfen war auch für grobe Fahrlässigkeit möglich. Der Appellationsgerichtshof wies die Klage unter Hinweis auf § 16 des Reglements daher ab. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein. Er führte unter anderem aus, daß § 16 des Reglements die Haftung nicht nur für grobe Fahrlässigkeit der Mannschaft ausschließe, sondern auch die Haftung für grobe Fahrlässigkeit der Beklagten selbst. Letzteres sei aber nicht möglich. § 16 sei daher insgesamt unwirksam. Das Obertribunal folgte der Argumentation des Klägers nicht. Der Kläger hatte nämlich nicht vorgetragen, daß der Beklagten selbst, etwa bei Auswahl der Besatzung, grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen gewesen sei. § 16 wäre aber nur dann unwirksam gewesen, wenn der Kläger der Beklagten selbst eine solche grobe Fahrlässigkeit hätte nachweisen können. Im Übrigen entfalte der Haftungsausschluß seine Wirkung. Das Urteil des Obertribunals lag ganz auf der Linie der ständigen Rechtsprechung13 und der herrschenden Lehre14. Unklar scheint allerdings, ob es sich hierbei um eine bloße Anwendungskontrolle oder um eine geltungserhaltende Reduktion handelte.
III. Zusammenfassung Die Rechtsfolgenbestimmung bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit von AGB nimmt in der Literatur und Rechtsprechung des 19. Jh. keinen breiten Raum ein. Das darf jedoch nicht dazu verleiten, den Juristen dieser Zeit ein mangelndes Problembewußtsein zu unterstellen. Vielmehr galt eine Regel, wie sie § 139 BGB für das geltende Recht normiert und die im Recht der AGB als nicht sachgerecht erachtet wird, im 19. Jh. noch nicht.
13
AGH Köln (3.12.1849), RheinA 45/1 (1850), 129, 135; AGH Köln (v. 31.1.1853), RheinA 48/1 (1853), 92, 94; und die in Fn. 10 aufgeführten Urteile. 14 Koch II (1860), S. 68 f.; Beschorner, AcP 41 (1858), 399; Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 581, 641.
§ 6. Zusammenfassung I. Wir glauben, den Juristen des 19. Jh. habe ein Bewußtsein für die besonderen Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben, gefehlt. Sie hätten noch nicht einmal erkannt, daß es sich bei AGB um ein einheitliches Phänomen gehandelt habe. Dieses Bild der Geschichte des AGB-Rechts hat einer Prüfung nicht standgehalten. Man war sich durchaus bewußt, daß es sich bei den Reglements der Eisenbahnen, bei den Aushängen der Gastwirte, bei den AVB etc. um ein einheitliches Phänomen handelte. Es handelte sich jeweils um Nebenabreden bzw. Nebenverträge, durch die vom dispositiven Recht abgewichen wurde. Nicht nur die Literatur stellte immer wieder Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen der AGB her1. Auch das Reichsoberhandelsgericht löste 1874 einen Fall zur Geltung eines Speditionsreglements unter Verweis auf die »Rechtsgrundsätze, welche entscheiden, wenn es sich um die Wirkung der Aufstellung und Veröffentlichung von Eisenbahnreglements, der Ankündigung von Waaren oder Büchern mit Preisangaben, der Versendung von Preislisten, Versicherungsprospecten« geht2. Bereits 1872 beschäftigte sich das Reichsoberhandelsgericht mit der Einbeziehung der AGB eines Kreditvereins und verwies auf die Parallelproblematik bei der Einbeziehung von Eisenbahn-, Telegraphen-, Postreglements und bei den Börsen-Usancen3. Daß sich Theorie und Praxis dieser Verknüpfungen bewußt waren, überrascht vor dem Hintergrund des allgemeinen Zustands der Handelsrechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jh. wenig4. Die Versiche1 So v. Gerber, JhJb 3 (1859), 436 f.; Endemann, Handelsrecht (4. Aufl. 1887), § 203 (S. 731) (jeweils zwischen den Eisenbahnreglements und den AVB); Otto, WürttA 4 (1861), 88 (zwischen den Eisenbahnreglements und denen der Posten); Laband, ZHR 17 (1872), 480 f. (zwischen den AVB, den Transportbedingungen, den Bedingungen öffentlicher Lotterien und Abonnements-Bedingungen von Lesezirkeln); Harries, Gruchot 16 (1872), 385 (zwischen AVB und Mietverträgen); Hausmann (1891), S. 11 (zwischen Abzahlungsgeschäften, Mietverträgen und AVB); Ehrenberg I (1893), S. 24 (zwischen den Eisenbahnreglements und den AVB); K. Schneider, AcP 85 (1896), 295 ff. (zwischen den AVB und dem Miet- und Arbeitsrecht); Blankenstein, AöR 13 (1898), 121; Apt, AöR 15 (1900), 327 (beide zwischen Arbeitsordnungen und Eisenbahnreglements). 2 ROHG (16.1.1874), ROHGE 12, 213, 214. 3 ROHG (25.2.1872), ROHGE 9, 184, 187. Vgl. zudem KreisG Burg (25.5.1867), Gruchot 11 (1867), 748 (der Fall betraf ein Abzahlungsgeschäft, und das KreisG verwies auf gleichlautende AGB in Mietverträgen und AVB). 4 Hierzu Rückert, Handelsrechtsbildung (1993), S. 42 ff.
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rungssparte der Transportversicherung führte zudem dazu, daß in den gleichen Fällen sowohl die AGB der Transportanstalten als auch die AVB zur Anwendung kamen. Es mußte sich daher geradezu aufdrängen, daß es sich um ein einheitliches Phänomen handelte. Als Konsequenz galten für diese verschiedenen Erscheinungsformen von AGB auch einheitliche rechtliche Regeln, und diese waren ausgesprochen modern. II. So bewegten sich Theorie und Praxis ganz auf der Grundlage der heute sogenannten Vertragstheorie. Geltungsgrund der AGB war eine Einigung über ihre Einbeziehung, und bei einbezogenen AGB handelte es sich ihrer Rechtsnatur nach um Vertragsabreden. Dennoch war man sich des normativen Charakters von AGB ebenso bewußt wie der Tatsache, daß den AGB in der Wirklichkeit ähnliche Geltung zukommt wie Gesetzen. III. Damit von einer Einigung über die Geltung der AGB ausgegangen werden konnte, mußte der Vertragspartner grundsätzlich wissen, daß der Verwender nur unter ihrer Einbeziehung kontrahieren wollte. Dafür mußten die AGB in einer Vertragsurkunde erscheinen, eine solche Urkunde mußte auf die AGB Bezug nehmen oder der Verwender mußte den Vertragspartner auf die AGB hinweisen. Auch konnte ein Aushang genügen, wenn der Vertragsschluß an einem typischen Ort stattfand, wie dies beim Personentransport der Eisenbahnen am Schalter der Fall war, und die AGB an diesem Ort deutlich sichtbar angeschlagen waren. Zudem mußte der Vertragspartner die Möglichkeit gehabt haben, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu erlangen. Dafür konnte eine Veröffentlichung der AGB in Zeitungen genügen. Es hatten sich somit neben der allgemeinen Einbeziehungsvoraussetzung, einer Einigung über die Geltung der AGB, besondere Voraussetzungen, nämlich daß der Verwender den Vertragspartner vor Vertragsschluß auf die Reglements hinweisen und ihm die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des AGB-Inhalts geben mußte, herausgebildet. Insoweit bestanden zwischen der Rechtslage im 19. Jh. und heute Parallelen. Doch wir konnten auch Unterschiede zum geltenden Recht feststellen: So galten die besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen auch für AGB, die Kaufleuten gegenüber verwandt wurden. Zudem vermochte man die besonderen Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten, so daß die Bezeichnung als besondere Einbeziehungsvoraussetzungen für das 19. Jh. unpassend ist. Die Tatsache, daß es noch kein Recht der AGB im heutigen Sinne gab, deutet damit nicht auf ein mangelndes Problembewußtsein hin. Man erkannte die Probleme, die sich bei der Einbeziehung von AGB ergeben, durchaus: So war umstritten, ob aus der bloßen Kenntnis des Vertragspartners von den AGB auf dessen stillschweigendes Einverständnis in die Geltung der AGB geschlossen werden dürfe, und man war sich bewußt, daß AGB wegen ihres Umfangs und in dem Bewußtsein, ihren Inhalt ohnehin nicht beeinflussen zu können, in der Regel nicht gelesen werden.
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IV. Die contra proferentem-Regel des § 305c Abs. 2 BGB war im 19. Jh. von allgemeiner Geltung. Man erkannte dennoch ihre Bedeutung für die AGBAuslegung. Mangelndes Problembewußtsein darf man den Juristen des 19. Jh. also auch hier nicht vorwerfen5. Daß es bei einer Auslegung von AGB zu einer Typisierung kommt, wurde zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber wie von selbst aus der allgemeinen Auslegungsregel, daß das Übliche als gewollt gilt. Schließlich diskutierte man bei der Schaffung der CPO von 1877, ob nicht die Auslegung schriftlicher Verträgen revisibel sein sollte, und bemerkte, daß damit auch die Auslegung schriftlich fixierter AGB revisibel wäre. Der Gesetzgeber entschied sich hiergegen. V. Betrachten wir die Formen der Inhaltskontrolle von AGB im 19. Jh., so können wir auch hier kein mangelndes Problembewußtsein feststellen. Nur machte sich hier das Fehlen eines AGB-Rechts und damit einer besonderen AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle negativ bemerkbar. Zwar kannte die Rechtsgeschäftslehre schon im 19. Jh. eine allgemeine Inhaltskontrolle. Vertragsabreden durften nicht gegen Verbotsgesetze, Treu und Glauben, die guten Sitten, die öffentliche Ordnung oder die Natur und das Wesen des Vertrages verstoßen. Doch wendeten die Gerichte diese Kontrollmaßstäbe restriktiv an. Das Ergebnis befriedigte schon die Zeitgenossen nicht, und die diskutierten Abhilfen waren vielfältig: Viele forderten, daß die Gesetzgeber zwingendes Recht als Reaktion auf unbillige AGB erlassen müßten. Andere sprachen sich für eine Inhaltskontrolle der Verwaltung aus. Zum Teil griffen auch die Gerichte ein. So konnten wir im Transportrecht frühe Beispiele einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle erkennen. Im Versicherungsrecht gingen die Gerichte oftmals indes einen anderen Weg, nämlich den der verdeckten Inhalts- und der Anwendungskontrolle. So legten sie AVB selbst dann zugunsten des Versicherungsnehmers aus, wenn keine zu bereinigende Unklarheit bestand. Daß dieser Kontrollmechanismus nur bedingt tauglich ist, erkannten schon die Juristen des 19. Jh. Einer verdeckten Inhaltskontrolle im Rahmen der Auslegung seien dort Grenzen gesetzt, wo eine unbillige Klausel eindeutig und klar formuliert sei. Einige Stimmen in der Literatur sprachen sich deshalb für ein Einschreiten der Gesetzgeber aus. Und in der Tat griffen diese ein, im Eisenbahnrecht beherzt, im Versicherungsrecht dagegen nur punktuell. Die Begründungen die für die Notwendigkeit einer Inhaltskontrolle waren vielfältig: So wurde darauf verwiesen, daß den Transportanstalten und Versicherungsanstalten ein faktisches Monopol zukomme. Oder man verwies auf das Ungleichgewicht zwischen den Parteien. Bei v. Kübel deutete sich schließlich bereits ein materialer Begriff der Vertragsfreiheit an. VI. Schließlich galt die Regel des § 139 BGB, daß im Zweifel aus der Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts folgen solle im 19. Jh. noch nicht. Vielmehr ging man umgekehrt vom 5
So aber Neugebauer (1990), S. 10.
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Prinzip der Restgültigkeit aus: utile per inutile non vitiatur. Das, was heute in § 306 BGB beschränkt für AGB und in Abweichung von § 139 BGB gilt, war damals also von allgemeiner Geltung. Zwar waren die Einzelheiten bei der Anwendung des Prinzips der Restgültigkeit äußerst strittig. Auch kannte das gemeine Recht zahlreiche Ausnahmen von diesem Prinzip. Unstreitig war indes, daß die Unwirksamkeit einer Nebenabrede niemals die Restgültigkeit des Vertrags berührt. Zudem folgte ganz unstreitig aus der Ungültigkeit einer einzelnen Bestimmung eines umfangreichen Bedingungswerkes niemals die Unwirksamkeit der gesamten AGB. Ein Unterschied bestand allerdings zum geltenden Recht: Die Gerichte nahmen im 19. Jh. regelmäßig nur eine bloße Anwendungskontrolle vor. Als Folge kam es in der Regel zu einer, in moderner Terminologie, geltungserhaltenden Reduktion. So wurden als unwirksam erachtete Haftungsausschlußklauseln als wirksame Einigung über eine Beweislastumkehr aufrechterhalten. VII. Doch wenn bereits im 19. Jh. das Bewußtsein bestand, daß es sich bei AGB um ein einheitliches Phänomen handelte. Wenn die Juristen bereits ein Bewußtsein gegenüber den einzelnen Problemen, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben, entwickelt hatten. Wenn sogar das BGB an versteckter Stelle, nämlich in § 701 Abs. 3 (1900), zur Einbeziehungsproblematik Stellung bezog. Und wenn schließlich v. Kübel, der Redaktor der Vorlagen des Vorentwurfes zum Recht der Schuldverhältnisse des BGB, in den 60er Jahren als Argument für die Einführung zwingenden Rechts zum Schutz der Versicherungsnehmer vor der AVB-Praxis auf das Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien und einen materiellen Begriff der Vertragsfreiheit verwiesen hatte: Warum löste das BGB die Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben, nicht umfassend? Warum etwa folgte er nicht Jastrows Vorschlag aus dem Jahre 1892 und kodifizierte eine Generalklausel für eine Anwendungskontrolle? Eine ausdrückliche Antwort suchen wir in den Gesetzgebungsmaterialien vergeblich. Doch sind auf der Grundlage der bisherigen Ergebnisse Vermutungen möglich: A. Der Gesetzgeber ging bei Lösung der aus der AGB-Praxis erwachsenen Probleme arbeitsteilig vor. Auf die Bedeutung dieser Arbeitsteilung hat jüngst auch Rückert hingewiesen6. B. Im 19. Jh. erschienen AGB mit dem Transport- und Versicherungsrecht vor allem in handelsrechtlichen Kontexten. Eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Praxis der AGB hätten wir allenfalls im ADHGB und dann im HGB erwarten dürfen. Die Erkenntnis, daß es sich beim Recht der AGB um eine bürgerlichrechtliche Materie handelt, setzte sich erst in den 1930er Jahren durch7. C. Einer Regelung der Einbeziehungsproblematik bedurfte es deshalb nicht, weil sich die uns heute noch bekannten Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ergaben. 6 7
Siehe oben § 1 I (S. 7). Siehe unten § 7 II J 1 (S. 266 f.).
§ 6. Zusammenfassung
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VIII. Insgesamt läßt sich die Vermutung aufstellen, daß die Wurzeln des modernen AGB-Rechts zumindest im 19. Jh. liegen. IX. Ursprünglich war diese Arbeit als historisch-rechtsvergleichende Studie geplant, und die Entwicklung des AGB-Rechts seit dem 19. Jh. sollte in mehreren Rechten parallel verfolgt werden. Denn auch auf europäischer Ebene finden wir das eingangs aufgezeigte Bild der Geschichte des AGB-Rechts8. So heißt es in Principle 10 des DCFR: »The classical grounds for avoidance deal with some simple cases of lack of bargaining power, for example when one party takes advantage of the other party’s urgent needs and lack of choice to extort an unfairly high price for goods or services. But modern conditions, and particularly the use of standard contract terms, lead to new forms of inequality that need to be addressed.«
Dieser Plan stellte sich als nicht realisierbar heraus. Im 19. Jh. konnte das AGB-Recht nur aufgearbeitet werden, nachdem verschiedene Kontexte, in denen AGB auftraten, durchdrungen wurden. Zudem mußten die mit dem AGB-Recht eng verwobenen Entwicklungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre berücksichtigt werden. Für mehrere Rechte konnte eine solche Aufarbeitung im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Dabei schiene ein solches Unterfangen durchaus lohnenswert: Das 19. Jh. war zwar von einer Nationalisierung der Rechtswissenschaften geprägt. Doch war diese Nationalisierung in einigen Rechtsgebieten weniger stark zu spüren als in anderen. Das Handelsrecht des 19. Jh. war international ausgerichtet9. Dies läßt sich nicht nur an zahlreichen Berichten über Entwicklungen in ausländischen Rechten in den Fachzeitschriften des 19. Jh. ablesen. Auch bei der Lösung von Problemen des in Deutschland geltenden Handelsrechts arbeiteten Literatur und Praxis vergleichend, so insbesondere im Eisenbahn- und Telegraphenrecht10. Für das Versicherungsrecht galt diese internationale Ausrichtung in gesteigertem Maße11. Es überrascht daher nicht, daß Literatur und Praxis in weitem Umfang ausländische Schriftsteller12, Gesetze und Rechtsprechung zitierten13. Hinweise darauf, daß das deutsche Recht des 19. Jh. bei den Fragen nach Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen der Eisen8
Siehe oben § 1 (S. 1). So auch Malß, ZHR 6 (1863), 363. 10 Statt aller Mittermaier, AcP 46 (1863), 1 ff. 11 Vgl. Malß, ZHR 6 (1863), 363 f.; Tecklenborg (1862), S. 6; Lewis, Lehrbuch (1889), S. 4; Seebohm, Einleitung (1887), S. XXIII; Ehrenberg I (1893), S. 20 ff.; Dreyer (1990), S. 65; Neugebauer (1990), S. 56; Pahlow, ZNR 29 (2007), 18 ff. 12 Nicht nur ausländische Literatur wirkte in Deutschland. Umgekehrt erschien etwa Beneckes Werk in einer englischen Ausgabe und einer französischen, italienischen und spanischen Übersetzung; vgl. die Nachweise im Literaturverzeichnis. Zur Aufnahme der französischen Übersetzung in Frankreich vgl. Bürge, Code de commerce (1993), S. 125. 13 Siehe z.B. OAG Lübeck (30.11.1849), SeuffA 11 (1857), 261, Nr. 170. Einschränkend OAG Lübeck (30.11.1857), PreußVersZ 1 (1867), 379, 380. 9
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§ 6. Zusammenfassung
bahnreglements, der AGB der übrigen Transportunternehmer, der ausgehängten Haftungsausschlußklauseln der Gastwirte oder der AVB, bei den Fragen um ihre Auslegung und ihre Inhaltskontrolle einen Sonderweg gegangen wäre, wurden nicht gefunden. Im Gegenteil erweckte die zitierte Literatur den Eindruck, daß all diese Fragen in anderen europäischen Rechten ähnlich, wenn nicht gar identisch beantwortet wurden14.
14 Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 602, stellte etwa ausdrücklich Übereinstimmungen zum englischen Recht fest.
2. Kapitel
Die Entstehung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen im 20. Jahrhundert
§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen Theorie und Praxis bewegten sich im 19. Jh. ganz auf dem Boden der Vertragstheorie. Auch bei den Geltungsvoraussetzungen traten uns Parallelen zum geltenden Recht entgegen. Am Ende des ersten Kapitels stand daher die These, daß die Wurzeln des modernen AGB-Rechts zumindest bis ins 19. Jh. zurückreichen. Doch irritiert vor diesem Hintergrund die Einschätzung der Arbeitsgruppe beim Bundesminister der Justiz in den Vorschlägen zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher gegenüber AGB aus dem Jahre 19741: »Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an das Zustandekommen einer Geltungsvereinbarung stellt, sind teilweise uneinheitlich und im ganzen denkbar gering […]. Im ganzen ergibt sich das zwiespältige Bild, daß man Allgemeinen Geschäftsbedingungen zwar mit Recht die Qualität von Rechtsnormen abspricht, andererseits aber bei der Frage ihrer Geltung für den Einzelfall teilweise doch weitgehend auf einen auch nur formalen Konsens des AGB-unterworfenen Vertragsteils verzichtet.«
Und an anderer Stelle führte sie aus2: »Die Rechtsprechung des Reichsgerichts war bezüglich der Einbeziehung […] von Anfang an sehr großzügig. […] Die Vernachlässigung des Einbeziehungsvertrages […] bei ausdrücklichem Festhalten an der These der vertraglichen Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen führte praktisch […] zur Fiktion einer Willenserklärung und bereitet damit der Annahme den Boden, solche Bedingungen wirkten normativ.«
Diese Urteile hätten nicht auf das 19. Jh. gepaßt. Wann entstanden also die Probleme, die der AGBG-Gesetzgeber vorfand? Sind sie auf (Fehl-)Entwicklungen im 20. Jh. zurückzuführen? Und welche Rolle spielte Raiser?
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund An dem Befund, daß es sich bei einbezogenen AGB um vertragliche Abreden handelt und daß sich ihre Geltung entsprechend aus einer rechtsgeschäftlichen 1 2
Vorschläge (1974), S. 41 f. Vorschläge (1974), S. 17.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Einigung ableitet, änderte sich zu Beginn des 20. Jh. zunächst nichts3. In der ersten Hälfte des 20. Jh. können wir nun jedoch eine verstärkte Abwendung vom Vertrag und Zuwendung zur Rechtsnorm beobachten. Diese Entwicklung deutete sich bereits am Ende des 19. Jh. an und vollzog sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen.
A. Allgemeine Geschäftsbedingungen und das Wirtschaftsverwaltungsrecht Im 19. Jh. standen die AGB der Transportanstalten im Mittelpunkt unserer Betrachtungen. 1870 erließ der Bundesrat des Norddeutschen Bundes das Betriebsreglement für die Eisenbahnen im Norddeutschen Bund und 1871 der Bundesrat des deutschen Reiches das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands4. Eine Mindermeinung glaubte, es handele sich bei diesen Betriebsreglements um Rechtsverordnungen. Die herrschende Meinung sah in ihnen indes nur Verwaltungsakte, welche die Eisenbahnen dazu verpflichteten, unter ihrer Einbeziehung zu kontrahieren. Geltungsgrund dieser Reglements war weiterhin eine Einigung, und ihrer Rechtsnatur nach handelte es sich um Vertragsabreden. Am 1.1.1893 wurde das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands durch die Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands5 und diese am 1.1.1900 durch die Eisenbahnverkehrsordnung abgelöst6. Die Vorschriften wurden in den Rang einer Rechtsverordnung erhoben7. 3 RG (22.12.1925), RGZ 112, 253; OLG Hamburg (24.2.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 75 f.; Niedner (2. Aufl. 1901), Art. 2 Anm. II 2c, II 3b; Planck (3. Aufl. 1905), Art. 2 EGBGB Anm. 2; Senckpiehl, Speditionsgeschäft (1907), S. 30 f., 90 f.; Gareis (8. Aufl. 1909), S. 411 f.; Riezler, Buch- und Kunsthandel (1915), S. 5; Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323; Leo, ZBlHR 1926, 118; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17 f.; Krusemeyer (1927), S. 8; Heilbrunn (1929), S. 34; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 235; Hamburger (1930), S. 181; Hamelbeck (1930), S. 5, 26 ff.; Hedemann, Schuldrecht (2. Aufl. 1931), S. 269; Hodum (1931), S. 16, 21; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 23; Schwartz (1931), S. 12, 16 f.; Weller (1931), S. 2; Woite (1931), S. 14, 18 f., 35 f.; Wrede (1931), S. 1; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 12; Michel (1932), S. 8 ff., 64 ff.; Graul (1932), S. 12 f., 18; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 587; Rospatt, BankA 1933, 487; Neukirch (1933), S. 2; Kost (1933), S. 6; Koehler (1934), S. 12, 14; Overbuschmann (1934), S. 29; Raiser (1935), S. 59 ff., 76 ff., 147 ff.; Husmann (1935), S. 8; Haus (1936), S. 5; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 3c. 4 Siehe oben § 2 II C 1 c (S. 44 ff.). 5 RGBl. 1892, S. 923. 6 RGBl. 1899, S. 557. 7 Staub II (6. und 7. Aufl. 1900), Art. 453 Rn. 2; Eger (1910), S. 153 f.; Rundnagel, Beförderungsgeschäft (1915), S. 282 ff.; Raiser (1935), S. 36. Die Aufstellung von AGB zur Ergänzung der EVO war weiter möglich; vgl. § 2 Abs. 1 EVO (1908), RGBl. 1909, S. 93; die fast identische Bestimmung der Fassung von 1928, RGBl. II 1928, S. 401 ist kommentiert bei Richter (1928), S. 103 f.; vgl. zudem den Text zu Fn. 247.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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Im Post- und Telegraphenrecht kam es zunächst nur zu einem Wandel der herrschenden Meinung8. Glaubte man im 19. Jh. noch, die Postordnungen seien keine Rechtsnormen9, so vertrat die herrschende Meinung seit Beginn des 20. Jh. genau das Gegenteil10, und das obwohl § 50 Abs. 2 Reichspostgesetz weiterhin anordnete, daß das Postreglement als Bestandteil des Vertrages zwischen dem Absender und der Post gelte11. Der Meinungsumschwung hatte sich freilich schon am Ende des 19. Jh. angedeutet12. Mit Erlaß der Postordnung von 1929 bestanden am Rechtsnormcharakter keine Zweifel mehr13. Zudem setzte sich am Anfang des 20. Jh. die Ansicht durch, daß zwischen Absender und Post gar kein privatrechtlicher Vertrag zustande komme, sondern daß es dem Wesen der Post als öffentlich-rechtliche Anstalt allein entspreche, von einem öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnis auszugehen14. Einflußreichster Wegbereiter dieser Ansicht war O. Mayer15. Ähnliches war freilich auch schon im 19. Jh. vertreten worden. So war Reyscher bereits 1859 der Ansicht gewesen, daß allein eine Regelung des Nutzungsverhältnisses von Telegraphenanstalten durch Rechtsnormen ihrem Charakter als öffentlich-rechtliche Anstalten entspreche16. Der Wechsel der herrschenden Meinung wurde unter anderem durch Änderungen im handelsrechtlichen Frachtrecht begünstigt. Nach Art. 421 ADHGB war das Frachtrecht des ADHGB subsidiär auch auf
8 Im Telegraphenrecht verlief die Entwicklung parallel: vgl. Heilfron II (1909), S. 385 Fn. 6; Scholz, Post-, Telegraphen- und Fernsprechrecht (1915), S. 756, 772 ff.; O. Mayer, Verwaltungsrecht II (2. Aufl. 1917), S. 480 f. Fn. 17., 484 ff. 9 Siehe oben § 2 II C 2 (S. 46 ff.). 10 Vgl. Arndt, Staatsrecht (1901), S. 285 f.; R. Braun (1907), S. 20 ff.; Heilfron II (1909), S. 385 Fn. 6; Wolcke (1909), S. 32; A. Müller, (1914), S. 10 ff.; Scholz, Post-, Telegraphen- und Fernsprechecht (1915), S. 580 ff.; Friedmann (1917), S. 11; Schlottner (1917), S. 28 ff., 45 ff.; Aschenborn/K. Schneider (2. Aufl. 1928), S. 32; Hellmuth (1929), S. 121 ff.; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 402. Differenzierend Dambach (6. Aufl. 1901), 263 f. A.A. G. Meyer/Dochow I (4. Aufl. 1913), S. 364 f. 11 Siehe dazu oben § 2 II C 2 (S. 49). 12 Schott, Transportgeschäft (1885), § 365 (S. 533 f.). 13 Raiser (1935), S. 36 Fn. 3. Nach Sautter (1951), S. 48 f., bestanden bereits seit der Postordnung von 1917 keine Bedenken mehr an ihrer Rechtsnormqualität. 14 Nawiasky (1909), S. 1 ff.; A. Müller (1914), S. 10 ff.; O. Mayer, Verwaltungsrecht II (2. Aufl. 1917), S. 480 ff., 484 ff.; Schlottner (1917), S. 35 ff.; Senckpiehl, Haftung (1923), S. 97; Fleiner, Verwaltungsrecht (8. Aufl. 1928), S. 335 ff.; Jellinek, Verwaltungsrecht (1928), S. 374 f., 493 ff.; Hellmuth (1929), S. 117 ff., 126 f. Fn. 124; Rueß (1932), S. 4 ff. Einen privatrechtlichen Vertrag nahmen weiterhin an: R. Braun (1907), S. 13 ff.; Wolcke (1909), S. 97; Reichert, AöR 25 (1909), 208 ff.; G. Meyer/Dochow I (4. Aufl. 1913), S. 371 f.; Scholz, Post-, Telegraphen- und Fernsprechrecht (1915), S. 602 ff.; Friedmann (1917), S. 15 ff.; Wöstendiek (1917), S. 7 ff.; Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 39 (der diese Ansicht noch 1920 als herrschend bezeichnete); Aschenborn/K. Schneider (2. Aufl. 1928), S. 148 ff.; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 402. 15 Siehe O. Mayer, Verwaltungsrecht II (2. Aufl. 1917), S. 480 ff., 484 ff. 16 Siehe oben § 2 II C 2 (S. 50). Vgl. außerdem v. Linde, ZCivProz 16 (1859), 197; Zorn II (1883), S. 27; Schott, Transportgeschäft (1885), § 366 (S. 539 f.).
206
§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Postanstalten anwendbar17. Nach § 452 HGB (1900) galt nun das Gegenteil18. Grund dieser Änderung war allein eine praktische Erwägung gewesen: Die Beförderung durch die Postanstalten sei im Reichspostgesetz und in der Postordnung so eingehend geregelt worden, daß sich selbst eine subsidiäre Anwendung des Frachtrechts des HGB erübrigt habe19. Mit dieser Gesetzesänderung entfiel das (ohnehin nicht zwingende) Argument, das ADHGB habe die vertragsrechtliche Natur des Postbeförderungsverhältnisses anerkannt. Rechtsnatur und Geltungsgrund der Postordnung wandelten sich ebenfalls. Übrigens verwendete man zur Kennzeichnung der Meinung, welche die Geltung der Postordnung weiterhin auf eine Vertragsabrede zurückführte, seit Beginn des 20. Jh. den Begriff der Vertragstheorie20. Weil der Staat einziger Betreiber von Eisenbahnen, Posten und Telegraphenanstalten war, lag es hier besonders nahe, das Benutzungsverhältnis nicht durch AGB, sondern durch Rechtsverordnungen auszugestalten. Doch auch in anderen Bereichen wurden Möglichkeiten verwaltungsrechtlicher Eingriffe in den Vertrag geschaffen. Die Verwaltung konnte bestimmte Bedingungswerke für allgemeinverbindlich erklären, als Rechtsverordnung erlassen oder durch Verwaltungsakt eine oder beide Parteien dazu verpflichten, sie ihrem Vertrag zugrundezulegen. Zudem wurden gesetzliche Tatbestände geschaffen, deren Rechtsfolge die unmittelbare Geltung einzelner Bedingungswerke war. Diese Entwicklungen stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Wirtschaftsverwaltungsrechts nach Ende des Ersten Weltkrieges21, und neben der Rechtssoziologie und der Rechtstatsachenforschung22 war es wohl das Wirtschaftsverwaltungsrecht, das die verschiedenen Erscheinungsformen der AGB zusammenzuführen und als Gesamtheit darzustellen vermochte23. So existierten während des Ersten Weltkrieges im Getreide-, 17
Art. 421 ADHGB: »Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden auch Anwendung auf Frachtgeschäfte von Eisenbahnen und anderen öffentlichen Transportanstalten. Sie gelten jedoch für die Postanstalten nur insoweit, als nicht durch besondere Gesetze oder Verordnungen für dieselben ein Anderes bestimmt ist.« Dazu oben § 2 II C 2 (S. 47). 18 § 452 HGB: »Auf die Beförderung von Gütern durch die Postverwaltungen des Reichs und der Bundesstaaten finden die Vorschriften dieses Abschnittes keine Anwendung.« In § 396 des Entwurfes des Reichsjustizamtes von 1895 fand sich noch eine dem Art. 421 ADHGB entsprechende Bestimmung; abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/Krampe I, S. 337. Der neugefaßte Entwurf des Reichsjustizamtes von 1896 enthielt in § 426 die dem § 452 HGB entsprechende Vorschrift; abgedruckt ebd., S. 463. 19 Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes, abgedruckt bei Schubert/Schmiedel/Krampe II/2, S. 1171. 20 Staedler (1910), S. 93. 21 Zu dessen Entstehung Zacher (2002), passim; Stolleis, Geschichte III (1999), S. 226 ff.; ders. (1995), S. 1 ff.; Rittner, Wirtschaftsrecht (2. Aufl. 1987), S. 1 ff.; R. Schmidt, Wirtschaftsrecht I (1990), S. 4 f.; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht (11. Aufl. 1998), S. 49. Zu den Vorläufern vgl. Piepenbrock (1963). 22 Siehe dazu den Text zu und die Nachweise in Fn. 69. 23 Vgl. z.B. Merk, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht I (1931), S. 152 ff.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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Kartoffel- und Futtermittelhandel bindende Lieferbedingungen24. Eine unmittelbare Geltung kraft Gesetzes wurde in der Folgezeit immer nur solchen Bedingungswerken zuteil, sie wurden nur dann als Rechtsverordnung erlassen oder für allgemeinverbindlich erklärt und es wurden die Parteien nur dann durch Verwaltungsakt verpflichtet, unter Einbeziehung dieser Bedingungswerke zu kontrahieren, wenn sie in einer Art zustande gekommen waren, die eine inhaltliche Ausgewogenheit gewährleistete. So bestimmte sich der Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge nach § 2 TarifvertragsVO von 1918 unmittelbar nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag25. Da der Tarifvertrag zwischen den Tarifparteien ausgehandelt wird, ist eine Gewähr seiner inhaltlichen Ausgewogenheit gegeben. Eine Einbeziehung der tarifgemäßen Bestimmungen in den einzelnen Arbeitsvertrag war seither nicht mehr notwendig26. Der Tarifvertrag hatte eine gesetzesgleiche Wirkung erhalten. Vor Inkrafttreten der TarifvertragsVO war dagegen strittig gewesen, ob der Tarifvertrag unmittelbare Wirkung für die einzelnen Verträge entfalten konnte. Von der wohl herrschenden Meinung war dies zunächst noch abgelehnt worden27. Bereits oben hatten wir festgestellt, daß seit der Änderung der Gewerbeordnung durch die Arbeiterschutzgesetze von 1891 Streit über Rechtsnatur und Geltungsgrund der Arbeitsordnungen bestand28. Dieser Meinungsstreit bestand weiter. Nach der anfänglich noch herrschenden Ansicht handelte es sich um AGB, mit deren Einbeziehung sich der einzelne Arbeitnehmer stillschweigend durch Eintritt in das Arbeitsverhältnis einverstanden erklärte29. Nach der vordringenden Gegenansicht waren Arbeitsordnungen dagegen »autonomes, kraft staatlicher Anerkennung auch ohne Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers geltendes Recht«30. Sie galten nach dieser Meinung einigungsunabhängig. Koehne verwies 1901 bei seiner Darstellung des Streitstandes auf die Parallelentwicklungen bei den Eisenbahnreglements und den AVB31. Der Begriff der Vertragstheorie für die erste Meinung war uns schon im 19. Jh. begegnet. In seinem Aufsatz zu den Normenverträgen bezeichnete Hueck die ent-
24
Vgl. die Hinweise bei Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 4. Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten von 1918, RGBl. 1918, S. 1456. 26 Siehe hierzu Nußbaum, Wirtschaftsrecht (2. Aufl. 1922), S. 94 ff. 27 Vgl. die Darstellungen bei Schall (1907), S. 150 ff.; Hueck, JhJb 73 (1923), 85 ff. 28 Siehe oben § 2 V C (S. 92 ff.). 29 Vgl. die Darstellungen bei Schirach (1910), S. 12 ff.; Hueck, JhJb 73 (1923), 90. Vertreter dieser Ansicht war etwa v. Rohrscheidt (1901), § 134a GewO Anm. 7. 30 So beschreibt Hueck, JhJb 73 (1923), 90 f., diese Meinung. Vgl. auch die Darstellung bei Schirach (1910), S. 15 ff.; Gerbrecht (1910), S. 48 ff. Vertreter dieser Ansicht waren in jeweils unterschiedlicher Ausprägung Lotmar I (1902), S. 232 ff.; Oertmann, FG Hübler (1905), S. 9 ff.; Sinzheimer I (1907), S. 19 f.; v. Tuhr II/1 (1914), S. 146 f. 31 Koehne (1901), S. 128 ff. 25
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
gegenstehende Ansicht als Gesetzestheorie32. Nach dem Betriebsrätegesetz von 1920 galten die Arbeitsordnungen dann unmittelbar für alle Arbeitsverträge33. Ihrer Einbeziehung in die Arbeitsverträge bedurfte es nicht mehr. Sie galten gesetzesgleich. Wie bei den Tarifverträgen bestand auch bei den Arbeitsordnungen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Art ihres Zustandekommens, die eine Berücksichtigung der Interessen beider Seiten garantierte, und ihrer normativen Wirkung: Nach dem Betriebsrätegesetz von 1920 wurden Arbeitsordnungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen vereinbart. Die arbeitsrechtliche Lehre begriff die unmittelbare Wirkung von Tarifverträgen nach TarifvertragsVO und von Arbeitsordnungen nach Betriebsrätegesetz als etwas Singuläres. Eine Ausdehnung dieser automatischen, gesetzesgleichen Wirkung auf andere Rechtsinstitute sei nicht möglich34. Sie sprach sich damit implizit gegen die unmittelbare Geltung von AGB aus. Allerdings wurde seit den 20er Jahren diskutiert, ob nicht Mietverträge zwischen Mieterund Grundbesitzervereinen ausgehandelt werden sollten, um sie sodann behördlich allgemeinverbindlich erklären zu lassen35. Für andere AGB existierten seit den 20er Jahren ähnliche Vorschläge36. Indes vermochten sich diese Ansätze zunächst nicht durchzusetzen37. In der Zeit des Nationalsozialismus verstärkte sich dieser Prozeß. Die Probleme, die sich aus der Verwendung von AGB ergeben, sollten entsprechend den fragmentarischen wirtschaftsrechtlichen Grundvorstellungen der nationalsozialistischen Ideologie durch wirtschaftsverwaltungsrechtliche Maßnahmen gelöst werden38. So überarbeiteten die gleichgestellten, neuorganisierten 32
Hueck, JhJb 73 (1923), 90 f. RGBl. 1920, S. 147. Vgl. Kaskel (3. Aufl. 1928), S. 58. 34 Hueck, JhJb 73 (1923), 98. 35 Hueck, JhJb 73 (1923), 98, 105. 36 Mit Blick auf die ADSp Koehler, LZ 1927, 1451 f.; Isaac, JW 1927, 2786. Allgemein für unter Beteiligung des Staates erstellte AGB Großmann-Doerth (1933), S. 26; Krischer (1934), S. 41 ff. 37 Vgl. die Übersicht der Eingriffsmöglichkeiten bei Raiser (1935), S. 48 ff. Aus der modernen Forschung vgl. Nörr (1988), S. 53, der davon ausgeht, daß der Vergleich zwischen AGB und Tarifverträgen »die spezifische Fragwürdigkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Hintergrund« treten ließ. Nach damaliger Ansicht zielten die Vorschläge aber auf einen Kontrollmechanismus. Sie gründeten gerade auf einem Unbehagen gegenüber den AGB. Der Vergleich zum Arbeitsrecht lag historisch nahe. 38 Großmann-Doerth (1933), S. 27; Scheuner, MJenaerIWR 1934, 11; Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 33; Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 77; E.R. Huber (1938), S. 61; Haupt (1937), S. 201 ff.; Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 296 ff.; Schlegelberger (1939), § 346 Rn. 29; Brandt, DRw 5 (1940), 76; Herschel, DR 1940, 1452; ders., DR 1941, 1727; Bernhardt, DR 1942, 1173. Einschränkend Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 468 ff. Siehe zudem Wieacker, DRw 2 (1937), 7 ff. 23 und die Äußerung Krauses auf der Sitzung des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der Akademie für deutsches Recht vom 2.12.1938, abgedruckt in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/4, S. 375. Vgl. weiter die Einschätzung von Raiser (1935), S. 16. Zu den wirtschaftsrechtlichen Grundvor33
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
209
und neugeschaffenen Wirtschaftsverbände39 die AGB ihres jeweiligen Wirtschaftszweiges und konnten sodann ihre Allgemeinverbindlicherklärung erwirken. Die Untergliederungen der seit 1933 im Reichsnährstand organisierten Ernährungs- und Landwirtschaft40 konnten z.B. die von ihnen erarbeiteten AGB dem Reichsnährstand anzeigen, und sie wurden, sofern sie bei einer Prüfung durch den Reichsnährstand unbeanstandet blieben, von diesem veröffentlicht und galten sodann allgemeinverbindlich41. Seit 1934 existierte für den Reichsnährstand eine einheitliche Rechtsgrundlage für diese Allgemeinverbindlicherklärung42, und gestützt auf diese wurden zahllose Bedingungswerke erlassen, so für den Handel mit Kartoffeln, Kartoffelstärke, Kakaobutter, Hopfen, Süßwaren, Kunsthonig, Obst und Gemüse, Zucker und vielem mehr43. Die Geltung all dieser Bedingungswerke war umstritten. Eine Ansicht glaubte, es handele sich um unmittelbar zwischen den Vertragsparteien geltendes Recht44. Andere meinten, es seien bloße Weisungen an die Mitglieder des Reichsnährstandes, nur unter Einbeziehung dieser Bedingungswerke zu kontrahieren45. Eine dritte Meinung differenzierte: Zwischen den Mitgliedern des Reichsnährstandes galten sie unmittelbar; kontrahiere ein Mitglied des Reichsnährstandes mit einem Dritten, so sei er angewiesen, diesem Vertrag die Bedingungswerke zugrunde zu legen46. Im Bankgewerbe überarbeitete die Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe47 die AGB des Centralverbandes des
39 stellung der nationalsozialistischen Ideologie, zum Führungsanspruchs über die Wirtschaft und den einzelnen Lenkungs- und Gestaltungsmaßnahmen vgl. aus der modernen Forschung H. Buchner (1983), S. 92 ff.; Puppo (2. Aufl. 1989), passim.; R. Schmidt, Wirtschaftsrecht I (1990), S. 25 ff.; die Beiträge von Gosewinkel und Bähr in: Bender/Kiesow/D. Simon (Hg.), Das Europa der Diktatur (2002); die Beiträge von Gosewinkel, Herbst, Seibel, Dreier in: Gosewinkel (Hg.), Wirtschaftskontrolle und Recht in der nationalsozialistischen Diktatur (2005); die Beiträge von Bähr/Banken und Bähr in: Bähr/Banken (Hg.), Wirtschaftssteuerung (2006); Kahn (2006), S. 9 ff., 355 ff.; Harth (2008), S. 71 ff. 39 Vgl. das Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirtschaft von 1934, RGBl. I 1934, S. 185 und die Angabe in Fn. 40. Vgl. zur Umstrukturierung der Wirtschaftsverbände am Beispiel der Industrieverbände aus der modernen Forschung umfassend Kahn (2006), S. 149 ff., 205 ff. 40 Vgl. das Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse von 1933, RGBl. I 1933, S. 626. 41 Siehe die zahlreichen Beispiele bei Haupt (1937), S. 209 ff. Fn. 29 und Fn. 31. 42 Verordnung über die Verkündung von Anordnungen und Festsetzungen des Reichsnährstandes von 1934, RGBl I 1934, S. 1271. Vgl. hierzu Haupt (1937), S. 211. 43 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Haupt (1937), S. 211 Fn. 32; Mehrens (1938), S. 76, 134; Rühle, RdRNSt 1937, 488 ff. Vgl. außerdem Müllenbusch, RdRNSt 1938, 907 ff.; Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 367. 44 Hanisch (1940), S. 9 ff. 45 LG Essen (15.12.1936), JW 1937, 1027. 46 Bogner, RdRNSt 1939, 235. So wohl auch Baath, RdRNSt 1936, 886; ders., RdRNSt 1938, 318; Stoll/Felgentraeger, Vertrag und Unrecht (4. Aufl. 1944), S. 73. 47 Zur Organisation der gewerblichen Wirtschaft siehe Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 375 ff.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes48. Für das Transportwesen wurden 1939 die ADSp durch eine Anordnung des Reichsverkehrsministers für allgemein verbindlich erklärt49. Diese Allgemeinverbindlichkeitserklärung ging auf Wünsche des Speditionsgewerbes zurück50. Und ganz wie die Geltung der Bedingungswerke des Reichsnährstandes war auch die Wirkung dieser Anordnung umstritten, nämlich ob die Mitglieder der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei lediglich angewiesen worden waren, nur unter Einbeziehung der ADSp zu kontrahieren, oder ob die ADSp unmittelbar für jeden Vertrag gelten sollten51. Hier war Anlaß dieser Unsicherheiten eine unglückliche Formulierung der Anordnung des Reichsverkehrsministers gewesen52. Seinem Willen entsprach es wohl, von einer bloßen Weisung an die Mitglieder der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei auszugehen53. Weiterhin erließ die Reichsmusikkammer54 1934 Unterrichtsbedingungen für den Privatunterricht in der Musik, wobei es sich bei dieser Anordnung schon ihrem Wortlaut nach eindeutig um eine bloße Weisung an die Musiklehrer handelte, nur auf Grundlage dieser Bedingungen zu kontrahieren55. In anderen Bereichen konn48 Rechtsgrundlage für die Allgemeinverbindlicherklärung war wohl § 38 Reichsgesetz über das Kreditwesen von 1934, RGBl. I 1934, S. 1203: »Der Reichskommissar kann Mehrheitsbeschlüsse der Spitzenverbände der Kreditinstitute über die Geschäftsbedingungen – insbesondere über die Zins- und Provisionsätze – und über den Wettbewerb für allgemein verbindlich erklären.« bzw. dessen Nachfolgevorschrift, und zwar § 36 Reichsgesetz über das Kreditwesen von 1939, RGBl. I 1939, S. 1955. Vgl. hierzu Haupt (1937), S. 220 ff.; Prost, BB 1955, 1033 ff.; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N223. Strittig war, ob eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung vorlag; dagegen Raiser (1935), S. 51; Schlegelberger (1939), Anhang zu § 365 Rn. 1. Die Differenzen beruhten auf einer unterschiedlichen Auslegung von § 38 Reichsgesetz über das Kreditwesen. 49 Abgedruckt bei Schlegelberger (1939), Anhang zu §§ 407–415. Vgl. hierzu Ritter, DR 1940, 780. 50 Vgl. den Hinweis bei Schubert (Hg.), Akademie V, S. 163. 51 Von einer unmittelbaren Geltung gingen z.B. Stoll/Felgentraeger, Vertrag und Unrecht (4. Aufl. 1944), S. 73, aus. Das entsprach wohl nicht der h.M. Nachweise auf die Vertreter der verschiedenen Ansichten finden sich bei Schlegelberger (1939), § 407 Rn. 11 und bei Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N117 f. Siehe außerdem noch unten den Text zu und die Nachweise in Fn. 119. 52 »Die hiermit für das Speditions- und Lagereigewerbe verbindlich erklärten Geschäftsbedingungen gelten bis zum Inkrafttreten der geplanten gesetzlichen Neuregelung. […] Die nachstehend veröffentlichten Allgemeinen Deutschen Speditionsbedingungen (ADSp) […] sind vom 1. April 1940 ab für alle Geschäftsabschlüsse von Mitgliedern der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei mit ihren Kunden verbindlich. Es ist den Mitgliedern verboten, Verträge, die den ADSp widersprechen, mit Geltung über den 31. März 1940 hinaus zu vereinbaren. […].« Zitiert aus Schlegelberger (1939), Anhang zu §§ 407–415. 53 Vgl. den Hinweis bei Schubert (Hg.), Akademie V, S. 163. 54 Vgl. Reichskulturkammergesetz von 1933, RGBl. I 1933, S. 661. Zur Reichskulturkammer vgl. Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 390 ff. 55 Abgedruckt bei Schrieber/Wachenfeld (1936), S. 68 ff. Nachweise auf weitere Beispiele aus dem Bereich der Reichskulturkammer finden sich bei Haupt (1937), S. 207 Fn. 23. Die Kompetenz der Reichskulturkammer zur Abfassung einheitlicher Bedingungswerke ergab sich aus § 25 der ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes von 1933,
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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ten zunächst weiterhin die einzelnen Verwender ihre AGB aufstellen, doch wurden Möglichkeiten für Eingriffe in die Gestaltung dieser AGB durch die Verwaltung geschaffen, so z.B. für die Energiewirtschaft nach § 7 Energiewirtschaftsgesetz von 1935 durch den Reichswirtschaftsminister56. Im Mietrecht einigten sich der Zentralverband Deutscher Haus- und Grundbesitzervereine und der Bund Deutscher Mietervereine unter Vermittlung des Reichsjustizministeriums 1934 auf den sogenannten Einheitsmietvertrag, der die sich gegenüberstehenden Interessen auszugleichen suchte57. Beide Vereinigungen wollten darauf hinwirken, daß ihre Mitglieder diesen Einheitsmietvertrag verwendeten58. Weiterhin wurden Rechtsgrundlagen geschaffen, daß die Verwaltung selbst verbindliche AGB erlassen konnte, so 1939 für die gewerbliche Wirtschaft durch den Reichswirtschaftsminister59. Schließlich untersagte das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherungen 1940, von den neu entstandenen Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherungen und Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrhaftpflichtversicherungen, an deren Abfassung es mitgewirkt und die es im Reichsanzeiger veröffentlicht hatte, abzuweichen60. 1941 erklärte es aufgrund einer Verordnung aus dem Jahre 1940 diese AVB sogar auf Altverträge anwendbar61. Eine ermüdende Aufzählung weiterer Beispiele ist entbehrlich62. Sie würde nur bestätigen, was Haupt 1937 aus damaliger Sicht wie folgt zusammenfaßte63:
56 RGBl. I 1933, S. 797: »Die Reichskulturkammer und die Einzelkammern können Bedingungen für den Betrieb, die Eröffnung und die Schließung von Unternehmungen auf dem Gebiete ihrer Zuständigkeit festsetzen und Anordnungen über wichtige Fragen innerhalb dieses Gebietes, insonderheit über Art und Gestaltung der Verträge zwischen den von ihnen umfaßten Tätigkeitsgruppen treffen. […].« Vgl. hierzu auch Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 394. 56 RGBl I 1935, S. 1451: »Der Reichswirtschaftsminister kann durch allgemeine Vorschriften und Einzelanordnungen die allgemeinen Bedingungen und Tarifpreise der Energieversorgungsunternehmen […] sowie die Energieeinkaufspreise der Energieverteiler wirtschaftlich gestalten […].« Hierzu Haupt (1937), S. 215 f. Vgl. zur Lenkung der Elektrizitätswirtschaft aus der modernen Forschung Sier (2006), S. 281 ff. mit dem Hinweis, daß auch hier später AGB allgemeinverbindlich erklärt wurden: S. 187 Fn. 8. 57 Abgedruckt in DJ 1934, 304 ff. Kommentiert wurde er von Dölle (1936). Vgl. auch Vollmer, JW 1934, 1385 ff.; Brandis, DJ 1935, 406 f.; Raiser (1935), S. 39. 58 Das Schreiben des Präsidenten des Zentralverbandes Deutscher Haus- und Grundbesitzervereine an die einzelnen Vereine ist abgedruckt in DJ 1934, 397 f. 59 Verordnung über die verbindliche Einführung von Normen, Geschäfts- und Lieferbedingungen sowie von Güte- und Bezeichnungsvorschriften von 1939, RGBl. I 1939, S. 1745. § 1 dieser Verordnung lautete: »Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, die Verbindlichkeit von Normen, Geschäfts- und Lieferbedingungen, Güte- und Bezeichnungsvorschriften sowie von ähnlichen Vorschriften für die gewerbliche Wirtschaft oder einzelne Wirtschaftszweige anzuordnen. […].« 60 Vgl. Prölß, JW 1940, 1711; Eilles, DGWR 1941, 121. 61 Verordnung über die Anwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen von 1940, RGBl. I 1940, S. 1543. Vgl. hierzu OLG Hamm (16.5.1947), MDR 1947, 262. 62 Vgl. Haupt (1937), S. 201 ff. Zur Entwicklung im Arbeitsrecht vgl. §§ 27 ff. und insbesondere § 32 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit von 1934, RGBl. I 1934, S. 45, aus der zeit-
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
»Die Darstellung über die bisherige Einflußnahme des nationalsozialistischen Staates auf das Geschäftsbedingungswesen kann damit abgeschlossen werden. Aus dem scheinbaren Wirrwarr einer Fülle von Gesetzen und Verordnungen zeichnet sich mit absoluter Folgerichtigkeit die Neuordnung ab. Überall ergibt sich das gleiche Bild: Organische und organisatorische Zusammenfassung der gleichartigen Wirtschaftszweige unter staatlicher Führung und Aufsicht, Regelung der Eröffnung neuer Betriebe, Lenkung von Produktion, Absatz und Geschäftsgebarung, Normierung von Preisen und Preisspannen und im Zusammenhang damit die Ermöglichung der Aufstellung allgemein verbindlicher AGB. Die Funktionen innerhalb dieser Ordnung sind ja nach der Natur des Wirtschaftszweiges zwischen Staat, Wirtschaftsgruppe und Einzelunternehmen verteilt. Grundsatz ist hierbei, daß dort, wo es sich darum handelt, einheitliche Vertragsregeln für zahlreiche Einzelunternehmen und Betrieben zu normieren, die Zuständigkeit der staatlichen Behörde oder der Wirtschaftsgruppe in erster Linie gegeben ist, während bei Regelungen, die nur wenige große Unternehmungen angehen, diese selbst unter staatlicher Aufsicht ihre Vertragsbedingungen festsetzen und publizieren. […] Wesentlich ist in allen Fällen, daß die auf Grund dieser Bestimmungen entstandenen AGB für allgemein verbindlich erklärt werden können, so daß sie also im Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunden gelten, ohne daß es einer rechtsgeschäftlichen Einigung darüber bedarf. Der zur Fiktion oder Formalität gewordene Geschäftsbedingungsvertrag ist auf diesen Wirtschaftsgebieten überflüssig geworden.«
Haupts Einschätzung war wohl zu verklärend. Es handelte sich nicht nur um ein scheinbares Wirrwarr, das auch nach Ende des nationalsozialistischen Regimes in der Praxis Probleme verursachte64: Welche Verordnungen und Anordnungen galten fort? Welche waren Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie? Welche waren nur als Reaktion auf die Kriegswirren erlassen worden und verloren so mit Ende des Krieges ihre Wirkung? Welche dieser Verordnungen und Anordnungen galten nur innerhalb der durch die Nationalsozialisten geschaffenen Wirtschaftsverbände und hörten deshalb mit Auflösung dieser Verbände auf zu gelten? Und schließlich bereitete es Probleme, rechtstaatlichen Grundsätzen genügende Ermächtigungsgrundlagen für den Erlaß dieser Verordnungen zu finden. Die Antworten auf diese Fragen fielen für die einzelnen Regelwerke unterschiedlich aus. So sollten die Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit elektrischer Arbeit aus dem Niederspannungsnetz der Elektrizitätsversorgungsunternehmen von 1942, die auf eine Anordnung des Generalinspektors für Wasser und Energie zurückgingen, als Rechtsverordnung fortgelten65. Doch der Tenor von Haupts Aussage war zutreffend:
63 genössischen Literatur z.B. Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 266 ff. und aus der modernen Forschung Härter (2006), S. 327 ff.; Hachtmann (2005), S. 140 ff.; Kranig (1983), S. 111 f.; Kahn (2006), S. 159 ff., 193 ff. 63 Haupt (1937), S. 224. 64 Vgl. Eichhorn (1949), S. 56 ff.; Ruhland (1968), S. 114 ff. 65 BGH (6.10.1952), BGHZ 9, 390, 393.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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Bei vielen dieser Bedingungswerke handelte es sich ihrer Rechtsnatur nach nicht mehr um Vertragsabreden, und ihr Geltungsgrund war nicht mehr eine Einigung der Parteien.
B. Vergleich von allgemeiner Geschäftsbedingung und Norm in Literatur und Rechtsprechung Die Abwendung vom Vertrag und Hinwendung zur Norm können wir in Literatur und Rechtsprechung auch auf einer ganz anderen Ebene feststellen66: Seit Beginn des 20. Jh. arbeiteten Theorie und Praxis zunehmend Parallelen zwischen AGB und Rechtsnormen heraus. Das war an sich nichts Neues67: Schon 1859 hatte v. Gerber AGB als »legislatorische Schöpfung« bezeichnet. Mittermaier hatte 1863 festgestellt, daß die Reglements der Telegraphenanstalten von vielen als gesetzliche Normen mißverstanden wurden. »Thatsächlich ist es Norm«, so hatte auch Endemann 1882 in Bezug auf die Reglements der Eisenbahnen formuliert. Sie alle hatten damit auf die rechtssoziologische Geltung der AGB hingewiesen. Obwohl es sich dogmatisch um Vertragsabreden handele, komme ihnen in der Rechtswirklichkeit oftmals die Bedeutung von Normen zu. Zu Beginn des 20. Jh. trat nun die Wirklichkeit der AGB, ihre rechtssoziologische Bedeutung, ebenso wie ihr normativer Charakter im wissenschaftlichen Diskurs in den Vordergrund68. Denn obwohl schon die Juristen des 19. Jh. Betrachtungen anstellten, die wir heute der Rechtssoziologie zuordnen würden, die Rechtssoziologie mit der ihr eigenen Methode bildete sich ebenso wie die Rechtstatsachenforschung erst im 20. Jh. heraus. Und dies hatte auch zur Folge, daß man AGB nicht mehr als etwas verstand, das im jeweiligen kontextuellen oder dogmatischen Zusammenhang diskutiert werden mußte. Man nahm sie nunmehr als Phänomen in ihrer Gesamtheit wahr und forderte, so Nußbaum 1914, daß sie »in keinem allgemeinen Teil eines Lehrbuchs des bürgerlichen Recht unerörtert bleiben« dürften69. Als Folge entstanden wissenschaftliche Arbeiten, welche die rechtliche Behandlung der AGB 66
Vgl. zum folgenden schon Ruhland (1968), S. 32 ff. Siehe oben § 2 II C 2 (S. 50 f.), VIII (S. 122 f.). 68 Vgl. z.B. Großmann-Doerth (1933), S. 6: »Und hiervon abgesehen hat die Allgemeine Geschäftsbedingung dieselbe Stellung wie die staatliche Rechtsnorm: nicht von den Parteien des Einzelvertrages gestaltet, von ihnen im Gegenteil meist unabhängig, ja recht oft ihnen gegenüber unabänderlich, sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie das staatliche Recht einer Macht, welche von außen das Vertragsverhältnis bestimmt. Diese Gleichheit der gesellschaftlichen Stellung berechtigt m.E., die Allgemeine Geschäftsbedingung ›Recht‹ zu nennen.« Vgl. auch Raiser (1935), S. 76; v. Tuhr II/1 (1914), S. 146 und aus der modernen Forschung Nörr (1988), S. 53. 69 Nußbaum, Rechtstatsachenforschung (1914), S. 46 f. Vgl. auch dens., ArchBürgR 42 (1916), 183 f.; dens., LZ 1920, 876. Hedemann, Einführung (1. Aufl. 1919), S. 60 f.; dens., Einführung (2. Aufl. 1927), S. 90 ff. 67
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
umfassend darstellten. Den Abschluß dieses Prozesses bildete die Arbeit von Raiser70. Zudem blieb man nicht bei der Beschreibung der Wirklichkeit der AGB oder ihres normativen Charakters stehen. Man zog aus ihnen Schlußfolgerungen für die Dogmatik der AGB. Literatur und Rechtsprechung verfolgten dabei insbesondere zwei Ziele. Zum einen ging es um die Legitimierung besonderer Regeln bei der Auslegung von AGB71. Ziel der Auslegung könne nicht sein, den Willen der beiden Vertragsparteien zu erforschen. Es müsse vielmehr der typische Sinn der AGB festgestellt werden. Zudem sollte die Auslegung von AGB vom Revisionsgericht nachprüfbar sein, sofern die in Frage stehenden AGB über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus verbreitet sind. Die (nach heutiger Zählung) §§ 545 f. ZPO sollten mithin analog auf AGB angewendet werden. Zur Begründung beider Besonderheiten verwies man auf den normativen Charakter der AGB und auf ihre den Normen gleichkommende Funktion72. So führte Koehler beispielhaft aus73: »Allgemeine Geschäftsbedingungen erheben den Anspruch auf eine gewisse Allgemeingültigkeit, auf normative Regelung einer im voraus nicht übersehbaren Zahl von Geschäften. Darin gleichen sie dem Gesetz. Sie setzen wie dieses eine Abstraktion von den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls voraus und streben eine gleichartige Behandlung einer Mehrzahl von Tatbeständen an.«
Koehler bezweifelte indes nicht, daß sich die Geltung der AGB aus einer Einigung ableite74. Zum anderen wollte die Literatur die Notwendigkeit einer über die Monopolrechtsprechung hinausgehenden Inhaltskontrolle begründen75. So bezeichnete Großmann-Doerth AGB als »selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft«76. Dieser Bezeichnung lag die Beobachtung zugrunde, daß AGB nicht von den Parteien ausgehandelt, sondern vom Verwender einseitig aufgestellt und aufgrund seiner Stärke durchgesetzt werden77. Der Verwender maße sich die Rolle des Gesetzgebers an. Großmann-Doerth arbeitete auf dieser Grundlage die aus der Verwendung von AGB resultierenden Probleme beson70
Vgl. auch die Besprechung von H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 355. Siehe hierzu noch ausführlich unten § 8 II (S. 280 ff.) und III (S. 283 ff.). 72 RG (13.12.1912), RGZ 81, 117; Nußbaum, LZ 1920, 876; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 133 Anm. 2, § 157 Anm. 3; Hamelbeck (1930), S. 25; Hodum (1931), S. 43; Raiser (1935), S. 251 ff. Vgl. außerdem RG (23.11.1922), RGZ 106, 120, 123; RG (8.6.1923), RGZ 108, 188, 190; RG (19.9.1924), RGZ 108, 385, 386; RG (30.6.1925), RGZ 111, 276, 278 f.; RG (26.1.1926), RGZ 112, 371; RG (28.5.1937), RGZ 155, 133; RG (13.10.1942), RGZ 170, 233, 240 f.; Soergel/Keßler (4. Aufl. 1929), § 157 Anm. 7; Michel (1932), S. 37; Koehler (1934), S. 48; Raiser (1935), S. 82, 271 ff.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 341 ff.; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 133 Anm. 6. 73 Koehler (1934), S. 14, ebenso auf S. 4 f. Vgl. auch O. Schreiber (1922), S. 20 f. 74 Koehler (1934), S. 12, 14. 75 Siehe noch ausführlich unten § 9 II C (S. 299 ff.). 76 Großmann-Doerth (1933), S. 5 f. Vgl. auch Koehler (1934), S. 14. 77 Vgl. hierzu umfassend Raiser (1935), S. 59 ff. 71
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ders pointiert heraus, kritisierte sie78 und sprach sich für eine weitgehende Inhaltskontrolle aus79. Die Vertragstheorie stellte jedoch auch GroßmannDoerth nicht in Frage80. Der Befund, daß sich der Verwender von AGB die Rolle eines Gesetzgebers anmaße, hatte zur Folge, daß Literatur und Rechtsprechung, wie schon im 19. Jh., davon sprachen, daß sich der Vertragspartner den AGB unterwerfe81.
C. Gleichstellung von allgemeiner Geschäftsbedingung und Norm Bis in die 30er Jahre war die heute sogenannte Vertragstheorie also herrschend. Nur vereinzelt wurde unter Rückgriff auf einen soziologischen Normenbegriff eine Normentheorie vertreten. So zählte Rühl die AGB zu den »Rechtsschöpfungen durch die Wirtschaft«82. Er führte aus83: »›Gelten‹ der Rechtsordnung ist also für uns nichts anderes, als ›motiviert werden durch Vorschriften‹, die Frage nach der Geltung ist, um mit Max Weber zu sprechen, die Frage, ›was innerhalb einer Gemeinschaft faktisch um deswillen geschieht, weil die Chance besteht, daß am Gemeinhandeln beteiligte Menschen bestimmte Ordnungen als geltend subjektiv ansehen und praktisch behandeln‹.«
Weil in vielen Fällen von einer wirklichen Einigung über die Geltung der AGB nicht gesprochen werden könne und weil aus den Umständen nur geschlossen werde, daß eine solche Einigung stillschweigend vorlag, weil mithin die Einigung nur fingiert werde, wollte Rühl die AGB, ganz ihrem rechtssoziologi78
Großmann-Doerth (1933), S. 6 ff. Vgl. auch Raiser (1935), S. 59. Großmann-Doerth (1933), S. 25 f. An anderer Stelle sprach Großmann-Doerth vom »autonomen Recht der Wirtschaft« (JW 1929, 3447; JW 1930, 3724); aber auch hier wollte er die Vertragstheorie nicht in Frage stellen; so aber wohl die Kritik von Löning, MJenaerIWR 1930, 19 f., der deshalb auch die Verwendung des Begriffs der Autonomie in diesem Zusammenhang ablehnte. Vgl. außerdem grundlegend Raiser (1935), S. 90 ff. 80 Großmann-Doerth (1933), S. 5. Ebenso Koehler (1934), S. 14, in Hinblick auf die ADSp: »Hier ist es mindestens wirtschaftlich nicht unberechtigt, von ›Gesetzgebung ohne Gesetz‹ zu sprechen […]« (Betonung hinzugefügt). 81 Vgl. z.B. RG (18.5.1904), RGZ 58, 151, 155 (betraf die Rechtslage vor 1900); RG (20.4.1907), RGZ 66, 39; RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; RG (10.12.1924), RGZ 109, 299, 304 f.; RG (2.10.1928), RGZ 122, 75, 76 f.; Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), 183; Carlebach, JW 1922, 88; Hueck, JhJb 73 (1923), 80; Großmann-Doerth, JW 1930, 3725; Hodum (1931), S. 21. Auch mit dieser Bezeichnung wurde die Vertragstheorie nicht in Frage gestellt: RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; RG (10.12.1924), RGZ 109, 299, 304 f.; Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50; Hambelbeck (1930), S. 26. Kritisch zum Begriff der Unterwerfung Raiser (1935), S. 151 Fn. 3; Michel (1932), S. 12 f.: »Ob es gut ist, bei übereinstimmender Willenserklärung von Unterwerfung zu reden, ist mir zweifelhaft.« Anders aber ders. auf S. 36: »Es ist richtig, von einer ›Unterwerfung‹ zu reden; darin liegt zugleich der richtige Ausdruck für die tatsächliche Lage.« 82 Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 6. 83 Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 9 f. 79
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
schen Befund entsprechend, aus dem Vertragsrecht herausnehmen84. Die herrschende Meinung trennte dagegen die rechtssoziologische und die rechtsdogmatische Deutung der AGB85. Erst in den frühen 40er Jahren begann sich dieses Bild zu verändern. AGB und Normen wurden nunmehr nicht nur miteinander verglichen, sondern einander gleichgestellt. Herschel erläuterte 194186: »Um dieses Recht [AGB] wissenschaftlich zutreffend zu erfassen, muß man sich vorweg das Wesen der Vertragsordnungen [AGB] klarmachen. In dieser Hinsicht setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß die Vertragsordnungen nicht etwa ein sich oft wiederholender, gleichbleibender vereinbarter Vertragsinhalt sind, sondern daß sie der objektiven Rechtsordnung angehören, also echte Normen darstellen […]. Dieses Recht […] gilt nicht ohne weiteres, sondern es bedarf dabei einer rechtsgeschäftlichen Mitwirkung der Vertragsteile. […] [Es] handelt sich darum, daß die Vertragsordnung unabhängig vom Willen der Vertragsteile als materielles Gesetz lebt, daß sie aber auf einen bestimmten Vertrag erst Anwendung finden kann, nachdem sich die Vertragsteile ihr […] rechtsgeschäftlich unterworfen haben. Die erwähnte rechtsgeschäftliche Mitwirkung der Vertragsteile ist also ihrem Wesen gemäß rechtsgeschäftliche Unterwerfung unter ein sonst nicht anwendbares materielles Gesetz. Insofern könnten sie verglichen werden mit der Abmachung, daß auf einen Vertrag, der nach den Grundsätzen des internationalen Privatrechts ausländischem Recht unterliegen würde, inländisches Recht Anwendung finden soll […]. Schon diese kurzen Andeutungen zeigen, daß es dogmatisch von großer Bedeutung ist, die Vertragsordnungen als materielles Gesetz (Art. 2 EGBGB.) anzuerkennen.«
Herschel zog aus dem normativen Charakter der AGB nunmehr den (nicht zwingenden) Schluß, es handele sich um Normen. Daß dieser Schluß nicht rational erklärbar war, erkannte auch Herschel87: »Dagegen ist es nicht möglich den objektiven Charakter der VertrO. zwingend darzutun. Denn es handelt sich überwiegend um eine Anschauungsfrage. Mag man sich auch gefühlsmäßig noch so sehr sträuben, man kann einfach nicht leugnen, daß die VertrO. die Kraft einer Rechtsnorm hat. Das ist eine Gegebenheit unseres Rechtslebens, und es bleibt nichts übrig, als sie anzuerkennen.« 84
Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 19 f. Vgl. Raiser (1935), S. 59 ff., 76; Ruhland (1968), S. 42 ff. 86 Herschel, DR 1941, 1727 f. Vgl. ebenso dens., DR 1942, 754 f.; dens., DGWR 1942, 251 ff.; Siebert, DR 1941, 1932; Eilles, ZZP 1941, 1 ff.; dens., DGWR 1941, 121 f.; Bernhardt, DR 1942, 1172; RG (31.1.1941), DR 1941, 1210, 1212 mit Anm. Kersting; Palandt/Friesecke (5. Aufl. 1942), § 276 Anm. 5b. Einschränkend Haupt, ZAkDR 1943, 87. A.A. Müllereisert, (1936), 141; ders., DRpfl 1936, 139 f.; ders., DGWR 1942, 111 f.; Klausing, DNotZR 36 (1936), 454 f., 474; Schlegelberger (1939), § 346 Rn. 30 f.; Brandt, DRw 5 (1940), 76 ff.; RGRK-HGB/ Gadow (1941), § 346 Rn. 17, § 355 Rn. 43; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 457. Für Manigk, Rechtswirksames Verhalten (1939), S. 27 ff., war Privatautonomie private Rechtssetzungsmacht; so verschwand der Gegensatz von Rechtsgeschäft und Norm. Zu Manigk Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 98 ff. Zum folgenden vgl. schon ausführlich Pflug (1986), S. 147 ff. 87 Herschel, DR 1942, 754. 85
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Es war nicht nur ihr normativer Charakter, der zur Gleichstellung von AGB und Normen veranlaßte. Herschel nannte AGB ein »materielles Gesetz«, das bereits, bevor es zu einer Einbeziehung kommt, »lebt«88. Die Gleichstellung von AGB und Rechtsnorm wurde also nicht mehr, wie noch von Rühl, mit einem rechtsoziologischen Normenbegriff begründet. Die Begründung erinnert vielmehr vage an das konkrete Ordnungsdenken eines Carl Schmitt89. Nur wurde die Eigenschaft der AGB als Rechtsnorm nicht aus einer nationalsozialistischen Deutung einer konkreten inneren Ordnung der Lebenswirklichkeit, sondern aus einer »Wirklichkeit« des Rechtslebens geschlossen90. Um die Rechtsnormqualität von AGB besser zu erfassen, bezeichnete Herschel AGB angelehnt an den Begriff der Rechtsordnung daher auch als Vertragsordnung91, und die Rechtsprechung nannte sie eine fertig bereitliegende Rechtsordnung92. Beides erinnert an die allgemeine Tendenz zur Zeit des Nationalsozialismus, zur Beschreibung bekannter Phänomene überkommene, vermeintlich zu abstrakte und inhaltsleere Begriffe durch neue Begriffe zu ersetzen93. Sieht man von dem nationalsozialistischen Vokabular und Gedankengut ab, dessen sich die meisten der hier angeführten Autoren dieser Zeit bedienten, so war auch der Sache nach mit dieser Gleichsetzung nichts gewonnen. Mit ihr wurden weiterhin die Besonderheiten bei der Auslegung von AGB begründet94. Darüber hinaus verwirrte sie: Sie verbarg zum einen die Tatsache, daß AGB in der Regel von einer Vertragspartei stammen. Die Literatur erweckt den Eindruck, als handele es sich um etwas fertig Bereitliegendes, dessen sich beide Parteien nur bedienten. In der Tat schwebte der Literatur als Ideal vor, daß die AGB unter Beteiligung der betroffenen Wirtschaftsverbände und der Verwaltung zustande kommen, also nicht mehr von einer Partei einseitig aufgestellt werden95. Und in diese Richtung ging auch die Entwicklung96. Nicht einsichtig ist außerdem, wie die contra proferentem-Regel mit dieser Gleichstellung legitimiert werden konnte. Einen entsprechenden Grundsatz der Ge88
Ähnlich Eilles, DGWR 1941, 121; Bernhardt, DR 1942, 1172. Siehe bereits Ruhland (1968), S. 70 ff. Zum konkreten Ordnungsdenken C. Schmitt (1934), S. 7 ff. Aus der neuen Literatur Rüthers, Unbegrenzte Auslegung (6. Aufl. 2005), S. 277 ff.; ders., Entartetes Recht (2. Aufl. 1989), S. 54 ff.; Begemann (1997), S. 107 ff. 90 Zum konkreten Ordnungsdenken im Vertragsrecht Siebert, DRw 1 (1936), 247 ff. 91 Herschel, DR 1942, 753 Fn. 1; ders., DR 1940, 1451; ders., ZAkDR 1941, 174. 92 Vgl. nur RG (13.10.1942), RGZ 170, 233, 240. In der Literatur wurde die Wendung der lex contractus nunmehr in den Sinne objektiven Rechts umgedeutet: Haupt (1937), S. 42. Zur Wendung der lex contractus siehe oben § 2 II C 1 a (S. 39 ff.). 93 Wenig gemein hatte Herschels Begriffswahl wohl mit der Lehre vom konkret-allgemeinen Begriff von Larenz: siehe Larenz, Gegenstand und Methode (1938), 43 ff. Vgl. hierzu aus der modernen Literatur Rüthers, Unbegrenzte Auslegung (6. Aufl. 2005), S. 302 ff.; dens., Entartetes Recht (2. Aufl. 1989), S. 76 ff. 94 Herschel, DR 1941, 1728; Eilles, DGWR 1941, 121 ff.; Bernhardt, DR 1942, 1173. 95 Vgl. Dickow (1937), S. 60; Peter, DR 1938, 53 ff.; Roquette, JW 1938, 549; Herschel, DR 1940, 1452; dens., DR 1941, 1727; dens., DR 1942, 757 f. 96 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 38. 89
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setzesauslegung gibt es nicht97. Trotz der Gleichstellung von AGB und Normen wurde die Geltung der AGB auch weiterhin nicht normativ erklärt98. Literatur und Rechtsprechung gingen davon aus, daß die AGB nur zur Anwendung kommen, wenn sich die Parteien über die Geltung der AGB, also über die Wahl dieser »Normenordnung«, einig waren. Sie verglichen die Einigung über die Einbeziehung von AGB mit Rechtswahlklauseln des internationalen Privatrechts99. Bereits oben war darauf hingewiesen worden100, moderne Erörterungen suggerierten, aus der Normentheorie folge zwingend, daß AGB unabhängig vom Willen des Vertragspartners zur Anwendung kämen, daß also ein zwingender Zusammenhang zwischen Rechtsnatur und Geltungsgrund von AGB bestehe101. Ein solcher Zusammenhang, existiert, wie gerade offensichtlich wurde, nicht. Man kann AGB als Normen ansehen und damit eine Normentheorie vertreten und trotzdem verlangen, daß für die Geltung der AGB eine rechtsgeschäftliche Einigung über die Wahl dieser Normen erforderlich ist. Den (also gar nicht zwingenden) Schluß aus der (vermeintlichen) Natur der AGB als Normen auf ihre abredeunabhängige Geltung zogen erst Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre einige Obergerichte. Die Entscheidungen betrafen zumeist die vereinheitlichten AGB der Spediteure, die ADSp. Daß es gerade diese AGB waren, welche die Obergerichte dazu verleiteten, diesen letzten Schritt zu gehen, überrascht wenig. Zunächst wurden die AGB der Spediteure nur lokal, später auch reichsweit vereinheitlicht, und zwar von den lokalen und überregionalen Vereinen der Spediteure. Für sie galt ganz unstreitig die Vertragstheorie102. 1927 lösten die ADSp diese AGB ab103. Vorangegangen waren umfangreiche Verhandlungen zwischen dem Verein Deutscher Spediteure, dem Reichsverband des deutschen Spediteurgewerbes und den Verbänden, welche die maßgeblichen Auftraggeber der Spediteure repräsentierten. Auch bei den ADSp handelte es sich also nicht um einseitig festgesetzte AGB und damit nicht um AGB, die einseitig die Interessen der Spediteure wahrten. Sie suchten vielmehr, die gegenläufigen Interessen zwischen 97
Siehe zum Ganzen noch unten § 8 I (S. 275 ff.). Anders wohl nur Bernhardt, DR 1942, 1172. 99 Siehe oben das Zitat zu Fn. 86. 100 Siehe oben die Einleitung zu § 2 (S. 21). 101 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 39 ff.; Lukes, JuS 1961, 304; Feldmann (1975), S. 70 ff.; Schroeder (1983), S. 9 f. Fn. 2; Koch/Stübing (1977), Einl. Rn. 17; HKKBGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 5, 14. 102 Vgl. statt aller Senckpiehl, Speditionsgeschäft (1907), S. 30 f., 90 f.; Krusemeyer (1927), S. 8 und aus der Rechtsprechung für die Allgemeinen Bedingungen des Vereins Hamburger Spediteure OLG Hamburg (27.1.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 53. 103 Vgl. Koehler, LZ 1927, 1450; Isaac, JW 1927, 2785 f.; dens., ZBlHR 1928, 75 ff.; Reuver, ZBlHR 1928, 65 ff., 191 ff., 389 ff.; Richter, JW 1929, 2032 ff.; Haus (1936), S. 79 ff. Die ADSp wurden in der Folgezeit mehrfach neu gefaßt; vgl. Reuver, JW 1929, 2801 ff. 98
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Spediteuren und ihren Auftraggebern auszugleichen104. Wegen dieser Art des Zustandekommens der ADSp sprach Isaac von »Gesetzgebung ohne Gesetz«105 und trat dafür ein, daß sie generell als in den Vertrag einbezogen gelten sollten106. Hiergegen regte sich Widerstand in der Literatur107. Eine entsprechende Autonomie und eine damit einhergehende Kompetenz einer »privaten Gesetzgebung«108 wollte man Wirtschaftsverbänden nicht zuerkennen. Zudem seien bei Zustandekommen der ADSp nicht alle betroffenen Kreise beteiligt gewesen, insbesondere nicht die Privatkunden109. Die von der Rechtsprechung ausgearbeiteten Einbeziehungsvoraussetzungen der AGB müßten bei den ADSp erfüllt sein110. Auch die Rechtsprechung verlangte eine vertragliche Geltungsabrede111. Zudem verneinte sie zunächst noch, daß die Verweisung einen Handelsbrauch darstelle112. Doch schon bald lockerte sie die Anforderungen, ohne daß eine einheitliche Entwicklungslinie zu entdecken wäre113. Nach einigen Gerichten bedurfte es nur noch der Veröffentlichung, damit die ADSp in den Vertrag einbezogen werden114. Andere Gerichte verzichteten dagegen 104 Kritisch Koehler, LZ 1927, 1451; Richter, JW 1929, 2033. Als weiteres Beispiel, in dem früh bei Formulierung der AGB ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gesucht wurde, wurden die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen von 1919 genannt. Im Versicherungsrecht sind solche Bestrebungen freilich älter; siehe oben § 2 IV D 7 (S. 84 ff.). Vgl. auch Michel (1932), S. 3; Haus (1936), S. 69 ff. 105 Isaac, JW 1927, 2785; ders. (1928), S. 62. 106 Isaac, ZBlHR 1928, 78; ders. (1928), S. 73 f. Isaac war Syndikus des Spediteurverbandes: Richter, JW 1929, 2032. 107 Reuver, ZBlHR 1928, 67; ders., JW 1929, 2801 f.; Richter, JW 1929, 2032 ff.; Weller (1931), S. 4 f.; Koenig (1932), S. 8. Vgl. zudem Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 18; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), Vorbem. v. § 407 Anm. 3; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 3c. 108 Richter, JW 1929, 2034. Vgl. auch Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50. 109 Reuver, ZBlHR 1928, 65; Richter, JW 1929, 2034; Sebba (1931), S. 4 f. Auch die Landwirtschaft und das Handwerk waren nicht beteiligt worden: Schwartz (1931), S. 11. 110 Reuver, ZBlHR 1928, 67; ders., JW 1929, 2802; Neufeld/Schwarz (1931), § 407 Rn. 14; Weller (1931), S. 2; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), vor § 407 Rn. 18; Koenige/ Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), vor § 407 Anm. 3. 111 Vgl. z.B. KG (8.12.1906), OLGR 14 (1907), 373. Vgl. auch Koehler, LZ 1927, 1452 f.; Raiser (1935), S. 209 f. 112 So der Sache nach LG Köln (17.10.1929), Eger 50 (1930/31), 70 und schon vor Schaffung der ADSp: OLG Hamburg (28.6.1919), SeuffA 74 (1919), 286; RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341; OLG Hamburg (13.2.1923), HansGZ (HBl) 44 (1923), 117. Aus der Literatur z.B. Koenig (1932), S. 9. 113 Vgl. auch die Nachweise bei Isaac (1928), S. 72 f. 114 Siehe z.B. LG Frankfurt a.M. (19.11.1928), Eger 48 (1929), 174; OLG Königsberg (8.10.1929), Eger 50 (1930/31), 68 mit abl. Anm. Koehler. So schon früher OLG Hamburg (27.10.1913), Eger 30 (1913/14), 374; RG (26.10.1921), RGZ 103, 82, JW 1922, 575 mit Anm. Nipperdey; OLG Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215; Oertmann (5. Aufl. 1928), § 276 Anm. 2a. Kritisch Raiser (1935), S. 210. Vgl. außerdem Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), Vorbem. v. § 407 Anm. 3.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
nicht auf die Notwendigkeit eines Hinweises auf die ADSp, sondern darauf, daß dem Vertragspartner die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der ADSp gewährt worden sein mußte; ihr Inhalt könne, zumindest unter Kaufleuten, als bekannt vorausgesetzt werden115. Seit den 30er Jahren ging die Rechtsprechung davon aus, daß die ADSp zwischen Kaufleuten als Handelsbrauch oder gar als Handelsgewohnheitsrecht gelten116 und daß nur gegenüber Nichtkaufleuten ein Hinweis auf sie erforderlich ist117. 1939 wurden die ADSp dann durch eine Anordnung des Reichsverkehrsministers für allgemeinverbindlich erklärt118, wobei es sich nach der herrschenden Meinung um eine Weisung an die Mitglieder der Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei handelte, nur auf Grundlage der ADSp zu kontrahieren119. Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre erklärten einige wenige Obergerichte in Übereinstimmung mit einem Teil der Literatur dann die Geltung der ADSp normativ120. Sie beschränkten sich dabei jedoch nicht auf die ADSp, sondern sprachen allen AGB normative Geltung zu. Besondere Voraussetzungen stellten sie hierfür nicht auf. Voraussetzung sollte insbesondere nicht sein, daß diese AGB, wie dies bei den ADSp der Fall war, in einem besonderen Verfahren entstanden waren, durch das ein materieller Mindeststandard gewährleistet war121. Auch beschränkten sie die normative Geltung von AGB nicht 115 OLG Hamburg (7.12.1937), JW 1938, 876 mit Anm. Roquette; Schwartz (1931), S. 17; Michel (1932), S. 32. 116 LG Berlin (18.3.1935), JW 1935, 2448; OLG Hamburg (7.12.1937), JW 1938, 876 mit Anm. Roquette; Hamelbeck (1930), S. 33. Vgl. auch Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 24; Schlegelberger (1939), § 407 Rn. 11. Gegen die Annahme eines Handelsbrauchs Koenig (1932), S. 9. 117 Bindels, NJW 1955, 1134; Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), Vorbem. § 688 Rn. 17. Vgl. auch LG Berlin (18.3.1935), JW 1935, 2448. A.A. wohl Krien (1949), S. 29 (unter Hinweis auf die Veröffentlichung durch den Reichsverkehrsministers); Benkard, BB 1953, 783; Krien/ Schmid-Loßberg (1956), S. 9 (ADSp als Verkehrssitte). 118 Siehe den Nachweis in und den Text zu und nach Fn. 49. 119 KG (22.10.1949), MDR 1950, 286; OLG Braunschweig (25.9.1950), BB 1950, 743; OLG Hamburg (20.11.1951), DB 1951, 977; BGH (1.12.1953), VersR 1954, 163; Schlegelberger (1939), § 407 Rn. 11; Krien, JR 1949, 54; Hamann, MDR 1949, 209; ders., BB 1949, 384; Ewald, BB 1951, 882; Benkard, BB 1953, 782; und mit zahlreichen Nachweisen auf die widerstreitenden Ansichten Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N117 ff. A.A. z.B. Senckpiehl, JR 1950, 581; Isele, JuS 1961, 309. 120 KG (22.10.1949), MDR 1950, 286; OLG Kiel (9.3.1950), MDR 1950, 548; OLG Hamburg (20.11.1951), DB 1951, 977; Hamann, MDR 1949, 209 ff.; ders., BB 1949, 384; ders., BB 1950, 204; Senckpiehl, JR 1950, 581; ders., JR 1951, 524; Schmidt-Loßberg, MDR 1951, 285; ders., BB 1952, 104. Nachweise auf unveröffentlichte Urteile bei Hamann, BB 1950, 831 f. Offenlassend OGH BrZ Köln (7.10.1949), NJW 1949, 905; OLG Köln (20.4.1950), VersR 1950, 118. A.A. LG Berlin (26.11.1948), JR 1949, 53 mit abl. Anm. Krien; OGH BrZ Köln (13.4.1950), BB 1950, 330; OLG Braunschweig (25.9. 1950), BB 1950, 743; LG Aachen (13.7.1951), NJW 1952, 625 mit Anm. Raiser. 121 A.A. nur Schmidt-Loßberg, MDR 1951, 285, der aber der Sache nach eher von einem Handelsbrauch ausgegangen zu sein scheint; vgl. dens., BB 1952, 104; an anderer Stelle, MDR 1949, 609, sprach er von einer stillschweigenden Unterwerfung.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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auf den Verkehr unter Kaufleuten. Maßgeblich sollte allein die Zweckbestimmung der AGB, über den Einzelfall hinaus eine Vielzahl gleicher Tatbestände einheitlich zu regeln, und ihre Veröffentlichung sein122. Eine Einigung über die Einbeziehung sollte nicht mehr erforderlich sein. Die Rechtsprechung zog also zwei Schlußfolgerungen, die weder zwingend waren noch näher begründet wurden: Aus dem normativen Charakter der AGB folgerte sie, daß AGB Rechtsnormen sind. Daraus, daß es sich um Rechtsnormen handelt, schloß sie, daß die AGB normativ und damit ohne eine entsprechende Einigung gelten. Der BGH widersprach dieser Rechtsprechung umgehend123. Auch die Geltung der ADSp müsse rechtsgeschäftlich erklärt werden. Und ebenfalls die ganz herrschende Lehre erklärte die Geltung von AGB im allgemeinen und der ADSp im besonderen wie zuvor auf vertraglicher Grundlage124. Das hielt Literatur und Rechtsprechung jedoch nicht davon ab, weiterhin auf den normati122 KG (22.10.1949), MDR 1950, 286; OLG Kiel (9.3.1950), MDR 1950, 548; Hamann, MDR 1949, 209 ff. Das KG verlangte allerdings zudem, daß die AGB bereits über einen längeren Zeitraum in Kraft sind. 123 BGH (5.10.1951), BGHZ 3, 200; BGH (3.2.1953), MDR 1953, 353 mit abl. Anm. Schmidt-Loßberg; BGH (1.12.1953), VersR 1954, 163; BGH (8.3.1955), BGHZ 17, 1, 2; BGH (29.6.1959), NJW 1959, 1679. Ebenso OLG Saarbrücken (22.7.1953), NJW 1953, 1832 f. Wenig aussagekräftig dagegen BGH (19.1.1951), BGHZ 1, 83; der BGH forderte, daß sich der Vertragspartner den AGB zumindest konkludent unterworfen haben müsse, und bezeichnete AGB als Normen; er bezog sich zum einen auf die in Fn. 86 zitierte Literatur und auf RG (31.1.1941), DR 1941, 1210; er schien damit nicht auf eine Geltungsabrede verzichten zu wollen; er verwies aber zugleich auf KG (22.10.1949), MDR 1950, 286 und Hamann, MDR 1949, 209 ff., die ein Einverständnis des Vertragspartners für entbehrlich hielten. Insofern ist verständlich, daß die Einordnung dieses Urteils ganz unterschiedlich ausfiel; vgl. z.B. SchmidtLoßberg, MDR 1951, 285; dens., BB 1952, 104; Ewald, BB 1951, 883; Meeske, BB 1959, 857; klärend Raiser, NJW 1952, 625. 124 Stoldt, MDR 1951, 141 f.; Ewald, BB 1951, 883 f.; Raiser, NJW 1952, 625; Krause, BB 1952, 996; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), Einleitung Bd. I Anm. Ie; Benkard, BB 1953, 782 ff.; Wolgast, BB 1954, 675 f.; ders., NJW 1954, 603; Bindels, NJW 1955, 1132; Krause, BB 1955, 265 ff.; Nastelski, DRiZ 1955, 212; Soergel/Kegel (8. Aufl. 1955), Art. 2 EGBGB Anm. I 4; Gallois, JR 1956, 47; Droste, DB 1957, Beilage 10; Fischer, BB 1957, 481, 484; Staudinger/Brändl (11. Aufl. 1957), Einl. Bd. I Rn. 50; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 45, § 145 Vorbem 24a; Hurst (1958), S. 2 ff., 7; Bindels, BB 1958, 16; Meeske, BB 1959, 857; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 12; Etzler (1961), S. 4; Isele, JuS 1961, 310; Fikentscher, BB 1961, 297 f.; Schmidt-Tophoff, MDR 1961, 186 f.; Soergel/ Kegel (9. Aufl. 1961), Art. 2 EGBGB Rn. 11; Soergel/Ballerstedt (9. Aufl. 1962), § 433 Rn. 8; Schwartz, ZHR 125 (1963), 245; H. Westermann, NJW 1963, 1587; Flume II (1. Aufl. 1965), S. 668; Larenz, Allgemeiner Teil (1. Aufl. 1967), S. 350; Schmidt-Salzer (1967), S. 56 f.; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N122 ff.; 175 ff., 227; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 86; Weber, NJW 1968, 3 f.; Soergel/Hartmann (10. Aufl. 1970), Art. 2 EGBGB Rn. 9; Emmerich, JuS 1972, 363; Schmidt-Salzer (1973), S. 39. Weiterhin streitig war, ob die ADSp einen Handelsbrauch darstellen; vgl. Krien (1949), S. 26 f.; Schmidt-Loßberg, BB 1952, 104; Benkard, BB 1953, 783; Wolgast, BB 1954, 675; Mälzig, NJW 1954, 605; Bindels, NJW 1955, 1132; Krien/Schmid-Loßberg (1956), S. 9, 123; Bindels, BB 1958, 18 f.; Staudinger/ Nipperdey (11. Aufl. 1958), Vorbem. § 688 Rn. 17; Schmidt-Tophoff, MDR 1961, 187; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N123 f.; Graue (1976), S. 124.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
ven Charakter der AGB zur Begründung der besonderen Auslegungsregeln oder auf die rechtssoziologische Deutung der AGB zur Rechtfertigung einer weitgehenden Inhaltskontrolle hinzuweisen125. Teilweise wurde mit dem normativen Charakter zudem die Nichtgeltung des § 139 BGB begründet126. Doch schien sich die Literatur genötigt zu fühlen, die Vertragstheorie nunmehr besonders zu rechtfertigen. Sie wies hierzu etwa auf den Schutz des Vertragspartners hin127. Dieser sei besser gewährleistet, wenn gefordert werde, daß er der Geltung der AGB zustimmen müsse. Seit den 50er Jahren bürgerten sich dann die uns heute noch gebräuchlichen Begriffe der Normen- und Vertragstheorie zur Beschreibung dieser unterschiedlichen Ansichten ein128. Freilich waren schon zuvor ähnliche Begriffe in der arbeitsrechtlichen Diskussion um die Geltung der Arbeitsordnungen und in der postrechtlichen Diskussion um die Geltung der Postordnungen begegnet129, und in dem Streit um die Revisibilität der Auslegung bezeichnete Oertmann schon 1914 die Ansicht von Danz, der nach Oertmann die lex contractus generell mit Rechtsnormen gleichstellte, als Normentheorie130. Im AGB-Recht wurde seit den 50er Jahren nur noch vereinzelt ausdrücklich eine Normentheorie vertreten, so insbesondere von Meyer-Cording131: Er wollte damit die von ihm als unbefriedigend empfundene Trennung der soziologischen und dogmatischen Deutung der AGB überwinden. Aber wie schon die Autoren der späten 30er und frühen 40er Jahre verzichtete auch Meyer-Cording nicht auf eine Geltungsabrede. Er bezeichnete sie als normativen Teil eines Statusvertrages, durch den man in ein institutionelles Normengefüge, die AGB, eintrete. Bei den AGB handele es sich um Wahlnormen. Durchzusetzen vermochte sich die Ansicht Meyer-Cordings nicht132. 125 BGH (18.11.1952), BGHZ 8, 55; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Nastelski, DRiZ 1955, 214; Krause, BB 1955, 265; W. Hildebrandt, JR 1955, 326; Fischer, BB 1957, 483; Staudinger/Brändl (11. Aufl. 1957), Einl. Bd. I Rn. 50; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38, 54 ff.; RGRK-BGB/Kuhn (11. Aufl. 1959), § 433 Anm. 54; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 133 Rn. 22, 25; Dilcher, NJW 1960, 1042; Helm, JuS 1965, 122, 128; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 106. Vgl. auch Hurst, S. 4 ff. Einschränkend Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 45 ff. Kritisch Schmidt-Salzer (1967), S. 73 ff., 163 f., 216 f., 226 f. Palandt/Danckelmann (10. Aufl. 1952), § 276 Anm. 5b, nannte AGB weiterhin »privat gesetztes objektives Recht!«; in der 21. Aufl. von 1962 fehlte der Satz wieder. 126 KG (22.10.1949), MDR 1950, 286; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; Meeske, BB 1959, 860; Helm, JuS 1965, 126. Ähnlich Fischer, BB 1957, 484. Siehe hierzu noch unten § 10 I E (S. 326). 127 Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 90. 128 Meeske, BB 1959, 859. 129 Siehe oben den Text zu Fn. 20 und zu Fn. 32. 130 Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 511 f. 131 Meyer-Cording (1971), S. 44 f., 84 ff., 92 ff., 97 ff., 101 ff. Vgl. außerdem Simitis (1957), S. 475; Werber, FS Möller (1972), S. 522 ff.; Rehbinder (1972), S. 9 ff.; Helm, FS Schnorr v. Carolseld (1973), S. 125 ff. 132 Siehe etwa die kritische Würdigung bei Fastrich (1992), S. 30 f.; Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 91 ff.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund
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D. Die Leistung des AGBG-Gesetzgebers Eine Normentheorie zur Erklärung der Geltung von AGB war in der Entwicklung des Rechts der AGB allenfalls ein kurzes und unbedeutendes Intermezzo, eine Verwirrung oder, wie es Helm 1965 ausdrückte, ein »Mißverständnis einzelner Übereifriger«133. Klärungsbedarf bestand daher insoweit nicht. Daß der AGBG-Gesetzgeber den Klärungsbedarf falsch einschätzte, mag zum einen an einer gedanklichen Verkürzung gelegen haben, die etwa Ende der 40er Jahre eintrat: Aus der Gleichstellung von Normen und AGB folgt nicht zwingend, daß eine Geltungsabrede nicht erforderlich ist134. Gerade die Literatur Ende der 30er und Anfang der 40er Jahren zog diesen Schluß nicht135. Man verstand AGB als Normen und verlangte trotzdem eine Einigung über ihre Geltung. Rückblickend wird seit Ende der 40er Jahre dieser Aspekt ignoriert. Man glaubte und glaubt immer noch, daß die Autoren, die AGB Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre den Normen gleichstellten, zugleich die Ansicht vertraten, daß AGB normativ gelten, daß diese Autoren also auf eine Einbeziehungsabrede verzichteten136. Es überrascht daher auch nicht, daß etwas seit den 60er Jahren ein Teil der Literatur den Eindruck erweckt, als sei es einmal herrschende Meinung gewesen, daß eine Einbeziehungsabrede entbehrlich sei137. Zum anderen mag eine Rolle gespielt haben, daß die Frage um Rechtsnatur und Geltungsgrund von AGB seit Beginn des 20. Jh. in immer neuen Zusammenhängen erschien, und in diesen Bereichen eine Abwendung vom Vertrag und Hinwendung zur Norm zu beobachten war138. Das mag die Wahrnehmung gestört haben. Schließlich wurde die Literatur zu den AGB aus der Zeit vor Raiser kaum noch berücksichtigt. Damit blieb verborgen, daß die Abwendung vom Vertrag und Hinwendung zur Norm eine ausgesprochen junge Entwicklung war. Daß sich der AGBG-Gesetzgeber in § 2 AGBG zur Vertragstheorie bekannte, um sicherzustellen, daß AGB nur bei einer rechtsgeschäftlichen Einbeziehungsabrede gelten, beruhte damit zwar auf Mißverständnissen. Doch war dieses Bekenntnis unschädlich.
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Helm, JuS 1965, 122. Vgl. auch dens., FS Schnorr v Carolsfeld (1973), S. 126; Meeske, BB 1959, 857 (»Irrungen«); Pflug (1986), S. 3. 134 Siehe oben den Text zu Fn. 101. 135 Siehe oben die Nachweise in Fn. 86. 136 Hamann, MDR 1949, 209 ff.; Lukes, JuS 1961, 304; Feldmann (1975), S. 70 ff.; Schroeder (1983), S. 9 f. Fn. 2. Richtig Meeske, BB 1959, 857 ff.; Helm, JuS 1965, 122; Etzler (1961), S. 141 ff.; Harth (2008), S. 68. 137 Fikentscher, BB 1961, 298; Schroeder (1983), S. 9. Richtig Helm, JuS 1965, 122. 138 Siehe oben A (S. 204 ff.) und B (S. 213 ff.).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
II. Geltungsvoraussetzungen Die Ansicht, daß AGB nur gelten, soweit sich die Parteien über ihre Einbeziehung geeinigt haben, war also auch im 20. Jh. herrschend. Damit stellt sich wiederum die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer solchen Einigung ausgegangen wurde. Unstreitig blieb, daß die Parteien über die Geltung von AGB eine Rahmenvereinbarung treffen können139.
A. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen Wie schon im 19. Jh. machte der Verwender auch im 20. Jh. seinen Vertragspartner regelmäßig ausdrücklich darauf aufmerksam, daß er dem Vertrag AGB zugrunde legen will, und erwirkte, daß sich der Vertragspartner mit der Einbeziehung ausdrücklich einverstanden erklärt140. So konnte er Gewißheit über die Geltung der AGB erzielen141. AGB oder Verweisungsklauseln erschienen weiterhin in schriftlichen Verträgen, auf Bestellscheinen etc.142. Allerdings reichte nicht immer aus, daß AGB oder eine Bezugnahmeklauseln in einer unterschriebenen Urkunde erschienen. Sie mußten deutlich her139 Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 310; Hueck, JhJb 73 (1923), 41 (nicht korporativer, zweiseitiger, rechtsverbindlicher Normenvertrag; heute wird der Begriff des Normenvertrages enger verwendet, so von Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 23 Rn. 131); G. Meyer (1928), S. 8 f.; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 654; Hamelbeck (1930), S. 26; Hodum (1931), S. 29 f.; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 23; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Michel (1932), S. 71; Koehler (1934), S. 17; Raiser (1935), S. 127 ff.; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Schmidt-Salzer (1967), S. 111; ders., BB 1967, 133. Zum 19. Jh. siehe oben § 2 II C 1 a (S. 30), VI D (S. 101). 140 Krusemeyer (1927), S. 8; Hamelbeck (1930), S. 26; Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 238; Aretz (1933), S. 9; Koehler (1934), S. 17; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), Vorbem. § 688 Rn. 17; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; Staudinger/ Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N241; Weber, NJW 1968, 4. Vgl. weiter Raiser (1935), S. 153 f.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 335. 141 Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 17; Hodum (1931), S. 16; Mittelstein/Stern/Mittelstein, Miete (4. Aufl. 1932), S. 148; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Raiser (1935), S. 179; Schlegelberger (1939), § 346 Rn. 30; RGRK-HGB/ Gadow (1941), § 346 Rn. 17; Nastelski, DRiZ 1955, 213; Bindels, NJW 1955, 1132; Soergel/ Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 83; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N241. 142 Vgl. RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; RG (31.5.1929), RGZ 124, 336; Senckpiehl, Speditionsgeschäft (1907), S. 91; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), Anhang zu § 372 Rn. 36; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Heidland (1929), S. 111; Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 238; Michel (1932), S. 11 ff., 18; Raiser (1935), S. 185 ff.; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24b f.; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N241. Etwas anders Neukirch (1933), S. 2 f.
II. Geltungsvoraussetzungen
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vorgehoben und durften nicht versteckt sein143. Nur dann müsse der Unterzeichnende wissen, daß die Urkunde eine solche Bezugnahmeklausel oder AGB enthielt, und nur dann könne davon ausgegangen werden, daß seine Unterschrift auch die Bezugnahmeklausel oder die AGB decken sollte144. Eine ähnliche Voraussetzung deutete sich bereits im 19., im Versicherungsrecht sogar schon im 18. Jh. an145. Erst zu Beginn des 20. Jh. scheint man sie indes verallgemeinert zu haben. Es war keine Voraussetzung der Einbeziehung, daß der Vertragspartner positiv wußte, daß die AGB einbezogen werden, oder daß er ihren Inhalt kannte. Es wurde nur verlangt, daß der Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gehabt hatte146. So waren AGB weiterhin vollständig in Vertragsurkunden abgedruckt, oder der Verwender hatte die AGB, auf die er Bezug genommen hatte, übersandt, veröffentlicht oder zur Einsichtnahme in seinen Geschäftsräumen ausgelegt147. Lagen diese Voraussetzungen vor, dann wurde vermutet, daß die AGB dem Vertragspartner bekannt waren148. Auch insofern unterscheidet sich die Rechtslage im 20. Jh. von der im 19. Jh. nicht. Die Einbeziehungsproblematik stellte sich also nicht anders dar als im 19. Jh. Das verwundert. Hatte sich doch der dogmatische Rahmen der Einbeziehungsfrage inzwischen geändert. Zum einen wandelte sich die Auslegungslehre. Das Inkrafttreten des BGB bedingte diesen Wandel zwar nicht. Er deutete sich vielmehr bereits am Ende des 19. Jh. an. Obwohl die Willenstheorie herrschend war, operierten Literatur und Rechtsprechung mit zahlreichen Vermutungstatbeständen und verobjektivierten dadurch die Auslegung149. Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. wurde deshalb als Konsequenz eine Abkehr vom willenstheoretischen Ausgangspunkt und eine Hinwen143 RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; RG (3.7.1929), SeuffA 83 (1929), 341, 343; Henle (1912), S. 26; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 155 Anm. 2; Löning, MJenaerIWR 1930, 17; Raiser (1935), S. 185; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 335; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24b; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N243. 144 So OLG Dresden (4.2.1902), OLGR 6 (1903), 31: Die Unterschrift deckte nicht mehr die auf der Rückseite abgedruckten Abreden. Vgl. außerdem Koehler (1934), S. 20. 145 Siehe oben § 2 IV D 3 (S. 76 f.). 146 Leist, AcP 102 (1907), 233 ff., 240 f.; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17; Hamelbeck (1930), S. 5; Overbuschmann (1934), S. 29; Raiser (1935), S. 172 ff.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 334; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N242. 147 OLG Hamburg (5.1.1906), HansGZ (HBl) 27 (1906), 56; RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; Raiser (1935), S. 55. Vgl. außerdem Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 17; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N242. Einschränkend Hodum (1931), S. 15 ff. 148 OLG Hamburg (5.1.1906), HansGZ (HBl) 27 (1906), 56; RG (23.12.1914), LZ 1915, 705; Heidland (1929), S. 111; Hodum (1931), S. 21; Michel (1932), S. 18. 149 Siehe oben § 2 VII B 1 (S. 110 ff.) und VII C 1 (S. 116 ff.) sowie § 3 I (S. 126 ff.).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
dung zu einer auf rein objektive Maßstäbe abstellenden Auslegungslehre gefordert. Es sei paradox, die Ermittlung des wirklichen Willens zum Auslegungsziel zu erklären, dann aber beim vermuteten Willen stehen zu bleiben150. Schließlich setzte sich der uns heute noch bekannte Grundsatz der normativen Auslegung durch. Den Abschluß dieser Entwicklung bildete die Habilitationsschrift von Larenz151. Auf die Einbeziehungsproblematik wirkte sich diese Änderung in der hier betrachteten Fallgruppe kaum aus. Auch nach dem Grundsatz der normativen Auslegung war von einer Einbeziehung regelmäßig auszugehen, wenn der Verwender seinen Vertragspartner ausdrücklich auf seine AGB hingewiesen und dieser der Einbeziehung ausdrücklich zugestimmt hatte. Das Irrtumsrecht wandelte sich ebenfalls. Zu einer Anfechtung berechtigt nach BGB insbesondere ein Inhaltsirrtum. Unterzeichnet der Vertragspartner eine Urkunde, die AGB oder eine Bezugnahmeklausel enthält, ohne sich dessen bewußt zu sein, so liegt eigentlich ein solcher Inhaltsirrtum vor. Wußte der Vertragspartner, daß die Urkunde AGB enthält oder ihn auf AGB verweist, ohne sich aber die Mühe zu machen, die AGB nachzulesen, und kannte er also den Inhalt der AGB nicht, dann könnte man ebenfalls von einem Inhaltsirrtum ausgehen. Im 19. Jh. war in all diesen Fällen eine Berufung auf einen solchen Irrtum ausgeschlossen152: es handelte sich um keinen wesentlichen Irrtum; der Irrtum war unentschuldbar; und derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterzeichnet, kann über ihren Inhalt nicht irren, weil er sich ihren Inhalt ungelesen zu eigen macht. Die Grenzziehung des BGB zwischen beachtlichen und unbeachtlichen Irrtümern entspricht nicht derjenigen des gemeinen Rechts zwischen wesentlichen und unwesentlichen Irrtümern. Zudem verzichtete das BGB für die Irrtumsanfechtung auf das Entschuldbarkeitserfordernis. Es hätte also Anlaß bestanden, die Einbeziehungsvoraussetzungen im veränderten dogmatischen Rahmen zu verankern und zu begründen, warum auch nach neuem Recht eine Irrtumsanfechtung der Zustimmung des Vertragspartners zur Einbeziehung regelmäßig ausgeschlossen war. Eine entsprechende Diskussion blieb indes aus. Ja, es war geradezu symptomatisch für die AGBRechtsprechung am Anfang der 20. Jh., daß zwischen Auslegung und Irrtumsanfechtung nicht unterschieden wurde. Entweder wurde einfach festgestellt, daß der Erklärende nach Treu und Glauben an seine Erklärung gebunden ist, weil er ihren Inhalt kennen mußte und weil er wissen mußte, daß der Verwender dem Vertrag seine AGB zugrunde legen wollte, ohne dabei deutlich zu machen, ob es sich um ein Problem der Auslegung oder Irrtumsanfechtung 150
Danz, Auslegung (1. Aufl. 1897), S. 105; Himmelschein (1930), S. 9. Vgl. auch HKKBGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 37, 93. 151 Larenz (1930). 152 Siehe oben § 2 VII A (S. 104 ff.) und B 2 (S. 112 ff.).
II. Geltungsvoraussetzungen
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handelt153. Oder die Bindung an die Erklärung wurde im Rahmen der Auslegung abschließend geklärt, ohne überhaupt die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung zu erwähnen154. Auch die Literatur ignorierte diese Möglichkeit zunächst weitestgehend oder beschränkte sich auf die bloße Feststellung, daß eine Anfechtung selbstverständlich möglich sei, wenn die Voraussetzungen des § 119 BGB erfüllt sind155, so insbesondere, wenn der Vertragspartner sich konkrete Vorstellungen über den Inhalt ungelesener AGB gemacht hatte, die sich als falsch herausstellten156. Noch 1935 mußte Raiser feststellen157: »Von diesem durch die Anfechtungsmöglichkeit wenigstens latent im Hintergrund stehenden Willensmoment ist in sehr vielen Entscheidungen, die den Kunden an bestimmte AGB. für gebunden erklären, nichts mehr zu spüren. Zwar schließen sie die Anfechtbarkeit dieser Bindung nie ausdrücklich aus, aber sie erwähnen sie überhaupt nicht […].«
Soweit die Literatur die Frage erörterte, begründete sie den Ausschluß der Anfechtung mit demselben Argument, das uns schon im 19. Jh. begegnet war158: Es lag schon gar kein Irrtum vor159. Der Vertragspartner verzichte bewußt auf die Kenntnisnahme vom Inhalt der Urkunde. Siegel sprach von einer Telquelerklärung160. Und selbst wenn sich der Vertragspartner eine Vorstellung von dem Inhalt mache, so nehme er doch regelmäßig bewußt das Risiko auf sich, daß sich seine Vorstellung als falsch erweist und daß er sich also im Irrtum be-
153
So z.B. RG (19.11.1909), LZ 1910, 629, 630. So z.B. RG (23.12.1914), LZ 1915, 705. 155 Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 51; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 655; Heidland (1929), S. 111; Hamelbeck (1930), S. 36; Hodum (1931), S. 22 f.; Graul (1932), S. 26. 156 Titze, Mißverständnis (1910), S. 418; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 119 Anm. V 3; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 119 Anm. I 1; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 119 Anm. 2; Hamelbeck (1930), S. 25, 36; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 30; Michel (1932), S. 10; Aretz (1933), S. 27 f.; Koehler (1934), S. 31; Raiser (1935), S. 246; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 119 Anm. I 1b; Soergel/Hefermehl (10. Aufl. 1967), § 119 Rn. 8; OLG Rostock (3.3.1921), OLGR 41 (1921), 216. Einschränkend Siegel, AcP 111 (1914), 85. Dieser Ausnahmefall, in dem die Anfechtung möglich sein sollte, wurde schon im 19. Jh. erwähnt; siehe oben § 2 VII B 2 (S. 115). 157 Raiser (1935), S. 157. Vgl. auch Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 44. 158 Siehe oben § 2 VII B 2 (S. 115). 159 Leist, AcP 102 (1907), 248 f. (unter Rückgriff auf die Rechtsprechung aus der Zeit vor 1900); Titze, Mißverständnis (1910), S. 418 Fn. 40; Siegel, AcP 111 (1914), 85 ff., 92 ff.; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 119 Anm. V 3; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 119 Anm. I 1; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 119 Anm. 2; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 30; Koehler (1934), S. 31; Raiser (1935), S. 244; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 119 Anm. I 1b; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 119 Anm. II 1c; Droste, DB 1957, Beilage 10; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 119 Rn. 48; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 119 Anm. 13; Soergel/Hefermehl (10. Aufl. 1967), § 119 Rn. 6. 160 Siegel, AcP 111 (1914), 92. 154
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
fand. Siegel prägte hierfür den Begriff der Risikoerklärung161. Raiser verwies zudem darauf, daß eine Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB nur möglich ist, wenn anzunehmen ist, daß der Erklärende die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Bei üblichen AGB scheitere eine Anfechtung regelmäßig an dieser Voraussetzung162. Allerdings wollte Raiser die Anfechtungsmöglichkeit in eine Richtung auch erweitern: Habe der Vertragspartner die Urkunde in dem generellen Glauben unterzeichnet, die AGB enthielten nichts Unübliches, so könne er selbst dann anfechten, wenn diese Vorstellung nicht konkret gefaßt war163. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden aus dem Jahre 1902 läßt den Grund erahnen, warum die Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung zunächst vernachlässigt wurde. Es führte aus164: »Als feststehende Auslegungsregel darf […] gelten, daß die unter einem Text stehende Namenszeichnung […] den darüber stehenden Text decken will und sonach eine Erklärung bedeutet, deren Inhalt sich aus eben dem darüber stehenden Text ergibt.«
Doch zeigte das Gericht zugleich Ausnahmen von dieser Auslegungsregel auf. Es hatte zu entscheiden, ob die auf der zweiten Seite der Vertragsurkunde gesetzte Unterschrift noch die auf der ersten Seite abgedruckten Lieferungs- und Zahlungsbedingungen deckte165: »Wieweit aber die Wirkung der Namensunterschrift reicht, welchen Teil des vorausstehenden Textes sie deckt, ist eine besonders zu treffende Feststellung, die nach der Art der Urkunde und den sonstigen Umständen zu bewirken ist […]. Daß aber eine Unterschrift nur einen Teil des vorausgehenden Textes zu decken bestimmt ist, ist namentlich dann anzunehmen, wenn der Namenszeichner gar nicht weiß, noch als möglich annehmen kann oder muß, daß außer dem in seinem Bewußtsein stehenden Textteil überhaupt noch ein anderer vorhanden ist […].«
Der Sache nach stellte das Oberlandesgericht dieselben Fragen, die schon im 19. Jh. für die Einbeziehung von AGB entscheidungserheblich waren, nur nicht mehr auf zwei Schritte verteilt, nämlich erstens bei der Auslegung und zweitens im Irrtumsrecht, sondern allein im Rahmen der Auslegung. Ob der Vertragspartner wissen mußte, was Inhalt der von ihm unterzeichneten Urkunde ist, war nicht mehr bei der Frage bedeutsam, ob der Irrtum des Erklärende entschuldbar war, sondern allein bei der Frage, was als erklärt gelten sollte. Die Figur des unentschuldbaren Irrtums, die in den §§ 119 f. BGB keine 161
Siegel, AcP 111 (1914), 92 f. Vgl. auch Raiser (1935), S. 170. Raiser (1935), S. 244. 163 Raiser (1935), S. 246. Siehe außerdem noch unten den Text zu Fn. 338. 164 OLG Dresden (4.2.1902), OLGR 6 (1903), 31. 165 OLG Dresden (4.2.1902), OLGR 6 (1903), 31, 32 f. Betonung hinzugefügt. Vgl. hierzu auch Siegel, AcP 111 (1914), 22 f. 162
II. Geltungsvoraussetzungen
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Anerkennung fand, scheint so in der Auslegung aufgegangen zu sein. Zwar ist das Wissenmüssen einer Partei kein eigenständiger Auslegungsmaßstab. Aber auch nach den Regeln der normativen Auslegung ist es doch insofern relevant, als daraus geschlossen werden kann, wie eine verständige Person die Willenserklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte166. Hat das Oberlandesgericht damit die Umstände, die im 19. Jh. im Rahmen der Auslegung und der Irrtumsanfechtung diskutiert worden waren, bereits bei der Auslegung abschließend berücksichtigt, mußte die Irrtumsanfechtung folgerichtig in den Hintergrund treten. Zugleich zeigt das Urteil aber auch, wie befruchtend der Grundsatz der normativen Auslegung war. Auf seiner Grundlage konnte die Voraussetzung, die Bezugnahmeklausel müsse deutlich hervortreten und dürfe nicht versteckt sein, verallgemeinert werden. Aber wie konnte die Einbeziehungsvoraussetzung, daß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhaltes der AGB gewährt haben mußte, aus dem neuen dogmatischen Rahmen erklärt werden? Nach Hamelbeck mußten AGB inhaltlich bestimmt festgesetzt sein. Verweisungen auf nicht auffindbare AGB würden diesem Erfordernis nicht entsprechen und seien nichtig167. Raiser führte zweierlei an168: Weil AGB die Rechte und Pflichten des Vertragspartners bestimmten, müsse er Kenntnis von diesen Rechten und Pflichten erlangen. Andernfalls sei ihm die Vertragserfüllung unmöglich. Doch wäre mit dieser Begründung nicht zwingend erforderlich, daß der Vertragspartner bereits vor oder bei Vertragsschluß die Möglichkeit zur Kenntnisnahme erhält. Zudem schloß er aus den Grundsätzen der Risikoerklärung, daß es zwar nicht auf die wirkliche Kenntnisnahme des Inhaltes der AGB ankomme, daß aber zumindest die Möglichkeit dazu bestanden haben müsse. Auch dieser Schluß ist nicht unmittelbar einleuchtend. Die dogmatische Begründung dieser Einbeziehungsvoraussetzung bereitete also Schwierigkeiten. Oder man könnte einen Schritt weitergehen und behaupten, daß ihre Ableitung aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre nicht möglich ist. Und genau deshalb lehnte Schmidt-Salzer es auch ab, daß der Verwender dem Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß diese Möglichkeit gewährt haben mußte, damit es zu einer wirksamen Einbeziehung der AGB komme169.
B. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders Von einer stillschweigenden Zustimmung des Vertragspartners zur Einbeziehung der AGB wurde ausgegangen, wenn ihn der Verwender vor oder bei Ver166 167 168 169
Helm, JuS 1965, 124; Canaris (1971), S. 215; Haus (1936), S. 10 ff. Hamelbeck (1930), S. 5. Raiser (1935), S. 172, 175. Schmidt-Salzer (1971), Rn. 82.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
tragsschluß z.B. auf Aushängen, in Preislisten, Katalogen oder Korrespondenz auf seine AGB hingewiesen hatte170. So pflegten Banken, bevor sie mit potentiellen Kunden in ein Vertragsverhältnis traten, ihnen ihre AGB zu übersenden. Das Anschreiben der Bank lautete etwa wie folgt171: »Die Direktion der Diskonto-Gesellschaft, Filiale Hannover, gibt Ihnen hierdurch Kenntnis von den umstehend abgedruckten, im Verkehr mit ihren Geschäftsfreunden maßgebenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit dem ergebenen Ersuchen, ihr das anliegende Empfangsschreiben gefl. unterzeichnet zurückzusenden.«
Und dieses Empfangsschreiben konnte dann aus folgendem Text bestehen: »Ich bestätige Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom … Vordruck Nr. 73 nebst einem Abdruck Ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen.«
Man möchte fast von einer Rahmenvereinbarung oder doch zumindest von einer ausdrücklichen Erklärung der Einwilligung des Bankkunden in die Einbeziehung der AGB ausgehen172. Das war von den Banken jedoch in der Regel nicht gewollt, weil eine solche förmliche Einbeziehungsabrede stempelsteuerpflichtig sein konnte173. Die schriftliche Bestätigung wurde deshalb regelmäßig so gedeutet, daß sie sich nur auf die Zukunft beziehe. Lag eine schriftliche Empfangsbescheinigung vor, so unterstellte man, daß der Vertragspartner bei einem nachfolgenden Vertragsschluß sich stillschweigend mit der Geltung der AGB einverstanden erklärte174. Doch selbst wenn eine schriftliche Bestätigung durch den Vertragspartner nicht vorlag, konnte ein Vertragsschluß in zeitli170
KG (8.12.1906), OLGR 14 (1907), 373; OLG Hamburg (26.2.1918), OLGR 37 (1918), 33. Vgl. außerdem KG (20.6.1914), OLGR 29 (1914), 21; OLG Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215; KG (4.1.1930), Eger 50 (1930/31), 204; OLG Hamburg (25.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 229; LG Dresden (29.5.1934), JW 1934, 2723; OLG Hamburg (7.12.1937), JW 1938, 876 mit Anm. Roquette; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 23; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Michel (1932), S. 14 ff.; Koehler (1934), S. 17 f.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 335; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 151 Anm. 2c; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Benkard, BB 1953, 784; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N252; Schmidt-Salzer, BB 1967, 133. 171 Zitiert aus RG (2.10.1928), RGZ 122, 75, 76. 172 So A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 11; ders., BankA 1932/33, 224. 173 Vgl. z.B. RG (22.10.1907), JW 1907, 849; RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; RG (24.10.1922), RGZ 105, 289; RG (2.10.1928), RGZ 122, 75. Vgl. außerdem Hamelbeck (1930), S. 30 f.; Großmann-Doerth, JW 1930, 3724 f.; Michel (1932), S. 11; Rospatt, BankA 1933, 487 ff.; Justat (1936), S. 71 f. Allgemein zum Einfluß des Stempelsteuerrechts auf die Vertragsgestaltung Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), 185. 174 RG (18.5.1904), RGZ 58, 151 (zum Recht vor 1900); RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; RG (2.10.1928), RGZ 122, 75. Vgl. zudem RG (22.10.1907), JW 1907, 849; Woite (1931), S. 20 f.; Hodum (1931), S. 29 ff.; Michel (1932), S. 64 f.; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17; Gallois, JR 1956, 47. Zu den Ausnahmen Regelsberger, BankA 1906, 169 f.; Rospatt, BankA 1933, 487 ff.; Heilbrunn, JW 1931, 2281 f.; Husmann (1935), S. 8 ff. Kritisch Woite (1931), S. 24 f. Umfassender Überblick über die Rechtsprechung bei Raiser (1935), S. 127 f., 133 ff., 139 ff.; Haupt (1937), S. 26 ff., 45 ff.
II. Geltungsvoraussetzungen
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chem Zusammenhang mit dieser Übersendung als stillschweigende Einwilligung gelten175. Welche Zeitspanne zwischen Übersendung der AGB und dem Vertragsschluß dafür liegen durfte, war eine Frage des Einzelfalls176. In der Fallgruppe des ausdrücklichen Einverständnisses konnte die Tatsache, daß der Hinweis auf die AGB versteckt oder undeutlich war, die Einbeziehung ausschließen177. Ähnliches galt für Aushänge: Damit ausgehängte AGB Vertragsbestandteil werden, mußten sie derart deutlich sichtbar am Ort des Vertragsschlusses angeschlagen sein, daß sie unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten vom Vertragspartner gesehen werden mußten178. Zudem mußte es der Verkehrssitte entsprechen, daß AGB ausgehängt werden. Ein Aushang mußte also in der Branche üblich sein. Nur dann muß der Verkehr mit einem solchen Aushang rechnen179. Bei Erfüllung dieser Voraussetzungen war unbeachtlich, ob der Vertragspartner den Aushang zur Kenntnis 175 RG (18.5.1904), RGZ 58, 151 (zum Recht vor 1900); RG (22.1.1908), LZ 1908, 383; RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; OLG Kiel (4.11.1920), Das Recht 1921, 201; RG (31.3.1924), BankA 1925, 456; OLG Hamburg (24.2.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 75; Staub/Koenige/Pinner/ Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 16; Soergel/Gerold/Soergel (3. Aufl. 1926), § 242 Anm. 6; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 654; Friedenthal (1929), S. 36; Hamelbeck (1930), S. 31; Wrede (1931), S. 3; Woite (1931), S. 15 f.; Michel (1932), S. 12; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 22 f.; Aretz (1933), S. 9; Rospatt, BankA 1933, 489; Raiser (1935), S. 142; Wienecke (1936), S. 49; Soergel/Gerold (7. Aufl. 1939), § 242 Anm. II 10a; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Helm, JuS 1965, 124. 176 OLG Naumburg (25.10.1913), OLGR 29 (1914), 19; OLG Hamburg (13.2.1923), HansGZ (HBl) 44 (1923), 117; RG (31.3.1924), BankA 1925, 456; OLG Hamburg (24.2.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 75; Titze, Mißverständnis (1910), S. 118 f.; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Hamelbeck (1930), S. 31; Hodum (1931), S. 28; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 10e; Neukirch (1933), S. 12; Koehler (1934), S. 19; Wienecke (1936), S. 49; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N252. 177 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 143 und nach Fn. 166. 178 Zu den Einzelheiten KG (3.11.1906), OLGR 14 (1907), 371; OLG Hamburg (30.6.1921), HansGZ (BBl) 1921, 219; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; OLG Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215; OLG Hamburg (5.12.1928), HansRGZ (B) 1929, 407; OLG Hamburg (12.3.1929), HansRGZ (A) 1929, 290; Titze, Mißverständnis (1910), S. 120; RGRK-BGB/Schliewen (6. Aufl. 1928), Vor § 688 Anm. 1; Hamelbeck (1930), S. 27; Hodum (1931), S. 17 f.; Neufeld/ Schwarz (1931), § 346 Rn. 23; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Michel (1932), S. 27 ff.; Neukirch (1933), S. 8; Raiser (1935), S. 187 f.; Soergel/Scherling (7. Aufl. 1939), § 688 Anm. 1; Soergel/Hahne (8. Aufl. 1952), § 276 Anm. IID; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 276 Anm. 5; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), § 688 Vorbem. 1; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24h; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N255; Schmidt-Salzer (1967), S. 129; ders. (1971), Rn. 34. Vgl. zudem OLG Hamburg (25.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 229. A.A. OLG Hamburg (8.2.1926), OLGR 45 (1926), 158 (Aushang der AGB im Eisenbahnwagen sollte ausreichen, um sie zum Bestandteil der Beförderungsvertrages zu machen). Grundsätzlich ablehnend gegenüber ausgehängten AGB Löning, MJenaerIWR 1930, 17. 179 OLG Freiburg (20.5.1954), VersR 1954, 499; Staudinger/Engelmann/Kober (9. Aufl. 1929), Vorbem. § 688 Anm. 4; Raiser (1935), S. 187; Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl. 1967), § 157 Rn. 23.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
genommen oder ihn gelesen hatte180. Nur wenn die AGB zwar am Ort des Vertragsschlusses, aber nicht deutlich sichtbar aushingen, mußte der Verwender beweisen, daß der Vertragspartner den Aushang wirklich gelesen hatte oder daß er ihn ausdrücklich auf den Aushang hingewiesen hatte181. Dann genügte wiederum ein stillschweigendes Einverständnis. Dagegen war eine stillschweigende Zustimmung in den Fällen nicht ausreichend, in denen der Aushang nicht am Ort der Vertragsschlusses, sondern erst später erfolgte. Denn dann ging es ja um die Frage, ob der Vertragspartner mit der nachträglichen Modifizierung eines bereits geschlossenen Vertrages einverstanden war. Auch das alles begegnete uns schon oben bei Darstellung des 19. Jh.182. Ein Aushang war schließlich bedeutungslos, wenn der Vertrag nicht dort, wo die AGB angeschlagen waren, sondern z.B. telephonisch geschlossen wurde oder wenn der Vertragspartner seine Willenserklärung durch einen Boten übermitteln ließ183. Für sonstige Hinweise auf AGB verlangte die Rechtsprechung ein vergleichbares Maß an Deutlichkeit. Sie durften nicht zu klein gedruckt sein184 und mußten deutlich hervortreten185. So genügte nicht unbedingt, wenn AGB oder die Bezugnahmeklausel irgendwo in umfangreichen Katalogen oder Preislisten abgedruckt waren186. Zunächst wurde in der Rechtsprechung sogar bezweifelt, ob in Preislisten oder Katalogen enthaltene oder auf Gepäckscheinen und Garderobenmarken abgedruckte AGB überhaupt Wirkung entfalten konnten187: Preislisten sollen über Preise und Waren informieren, und Ge180
RG (14.5.1926), RGZ 113, 425, 426 f.; OLG Hamburg (12.3.1929), HansRGZ (A) 1929, 290; OLG Freiburg (20.5.1954), VersR 1954, 499; Titze, Mißverständnis (1910), S. 120; Michel (1932), S. 27; Raiser (1935), S. 171 ff. 181 OLG Hamburg (30.6.1921), HansGZ (BBl) 1921, 219. 182 Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 29 ff.), III (S. 52 ff.), VII D (S. 120 ff.). 183 OLG Kiel (2.2.1922), SeuffA 77 (1923), 239; Neukirch (1933), S. 8; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 35. 184 OLG Nürnberg (3.3.1955), VersR 1955, 444; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4 (in Hinblick auf auf Briefpapier gedruckten AGB); Isaac (1928), S. 72; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 151 Anm. 2c; Preyer, BB 1951, 597. Ähnlich wohl Löning, MJenaerIWR 1930, 17. 185 RG (16.3.1903), Holdh 12 (1903), 278 (unklar, ob BGB schon anwendbar); OGH BrZ Köln (13.4.1950), BB 1950, 330; LG Göttingen (12.7.1951), BB 1951, 739; Hodum (1931), S. 26; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 10m; Neukirch (1933), S. 9; Koehler (1934), S. 18, 29; Raiser (1935), S. 183; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Schmidt-Salzer (1967), S. 128; ders. (1971), Rn. 42. 186 Vgl. zu den Einzelheiten KG (14.6.1904), OLGR 9 (1904), 131; Niemeyer, LZ 1916, 300; Soergel/Hahne (3. Aufl. 1926), § 269 Anm. 2; Heidland (1929), S. 103 f.; Michel (1932), S. 15 ff.; Koehler (1934), S. 20, 29; Raiser (1935), S. 182 f.; Droste, DB 1957, Beilage 10; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N253. Vgl. außerdem Neufeld/Schwarz, 1931, § 346 Rn. 31; Schmidt-Salzer (1967), S. 128. 187 OLG Rostock (11.3.1908), SeuffA 64 (1909), 390; KG (3.11.1906), OLGR 14 (1907), 371; RG (14.5.1926), RGZ 113, 425; RG (16.3.1903), Holdh 12 (1903), 278 (unklar, ob BGB schon anwendbar); Staub (6. und 7. Aufl. 1900), Exkurs § 372 Rn. 28; Titze, Mißverständnis (1910),
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päckscheine dienen als Ausweis bei Abholung des Gepäcks. Mit AGB brauche der Vertragspartner in bzw. auf ihnen regelmäßig nicht zu rechnen. Daß er den Vertrag eingehe, könne deshalb nicht nach Treu und Glauben als stillschweigendes Einverständnis in die Einbeziehung der AGB gedeutet werden188. Der ausdrückliche Hinweis mußte also an einem Ort erfolgen, wo der Vertragspartner mit einem solchen Hinweis auch rechnen mußte189. Solche Klauseln, auf die nicht genügend hingewiesen worden war, wurden jedoch dann Vertragsbestandteil, wenn der Verwender nachweisen konnte, daß der Vertragspartner die AGB vor oder bei Vertragsschluß trotzdem wahrgenommen hatte190. Etwas vergleichbares hatte sich für Kataloge und Preislisten im 19. Jh. zwar angedeutet191. Aber auch hier war es der Grundsatz der normativen Auslegung, der zu einer fallgruppenübergreifenden Verfeinerung der Einbeziehungsvoraussetzungen führte. So wie Aushänge mußten eben auch die sonstigen Hinweise auf AGB deutlich sein und an Orten erfolgen, wo der Verkehr mit ihnen rechnen muß. Zugleich waren es aber auch die Auslegungsregeln, die später zur Auflösung dieser Voraussetzungen führten. So stellte Raiser bereits 1935 fest, daß der Abdruck von AGB in Katalogen und Preislisten der Verkehrssitte entspreche und daher ausreiche. Zudem war Voraussetzung, daß der Vertragspartner die Möglichkeit hatte, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen192. Diese Einbeziehungsvoraussetzung war uns bereits in der Fallgruppe, daß der Vertragspartner sein Einverständnis ausdrücklich erklärte, begegnet193. Dort hatte sich gezeigt, daß, an188 S. 114 (mit etwas anderer Begründung); Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), Anhang zu § 372 Rn. 37; RGRK-BGB/Schliewen (6. Aufl. 1928), Vor § 688 Anm. 1; Hamelbeck (1930), S. 28; Michel (1932), S. 17; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), Einleitung Bd. IV Rn. 209; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 335; W. Schneider, BB 1951, 743; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 276 Anm. 5; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), § 688 Vorbem. 1; Schmidt-Salzer, BB 1967, 133; ders., BB 1968, 68; ders. (1971), Rn. 73 f., 80; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B d aa. Vgl. zudem RG (28.11.1917), Gruchot 62 (1918), 377, 379; RG (26.2.1904), Holdh 13 (1904), 224. Anders z.B. RG (6.12.1922), Das Recht 1923, 124 (Abdruck auf Abholschein ausreichend). 188 Etwas anders Heidland (1929), S. 149: Manche Klauseln seien auch in Katalogen üblich. Mit ihnen habe der Besteller zu rechnen. Deshalb könne seine Bestellung als Einverständnis zur Geltung dieser Klauseln gedeutet werden. Andere Klauseln seien dagegen in Katalogen unüblich. Auf diese Klauseln beziehe sich das Einverständnis folglich nicht. 189 RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341. 190 KG (14.6.1904), OLGR 9 (1904), 131; OLG Rostock (11.3.1908), SeuffA 64 (1909), 390. 191 Siehe oben § 2 VII D (S. 121 f.). 192 RG (2.10.1928), RGZ 122, 75; RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Wrede (1931), S. 3; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 13; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 16; Overbuschmann (1934), S. 29; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 334; Roquette, JW 1938, 878. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des RG (25.9.1928), BankA 1928/29, 185, zumindest bedenklich: der Verwender verwies den Vertragspartner auf AGB, die sich noch im Druck befanden; zustimmend allerdings Rühl, Eigentumsvorbehalt (1930), S. 60. 193 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 146 und zu und nach Fn. 167.
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ders als im 19. Jh., die Einfassung dieser Voraussetzung in den gewandelten dogmatischen Rahmen Probleme bereitete. Oben war nicht weiter vertieft worden, was der Verwender unternehmen mußte, um dieser Voraussetzung zu genügen, weil dies auch in der Literatur des frühen 20. Jh. zumeist im Zusammenhang mit der Fallgruppe diskutiert wurde, daß der Vertragspartner sein Einverständnis nur stillschweigend erklärt. Unstreitig blieb, daß eine bloße Veröffentlichung genügen konnte194. Im Übrigen präsentierten sich die Anforderungen, die an diese Voraussetzung geknüpft waren, uneinheitlich. Einige Autoren verlangten, daß der Verwender dem Vertragspartner die AGB bekanntgemacht haben mußte195. Er mußte Maßnahmen ergreifen, um die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu gewähren, und der Vertragspartner mußte sich nicht umgekehrt nach ihrem Inhalt erkundigen. Und so hielten es z.B. die Banken. Sie übersandten ihre AGB den Kunden vor Aufnahme von Geschäftsbeziehungen196 und genügten gerade hierdurch dieser Voraussetzung197. Einige erachteten eine Übersendung der AGB für entbehrlich, sofern sie nicht treuwidrig unterblieb, um den Vertragspartner über den Inhalt der AGB absichtlich im Unklaren zu lassen, so wenn offensichtlich war, daß die Übersendung schlicht vergessen worden war198. Für die ADSp wurde später darauf verzichtet, daß der Verwender Schritte ergreifen muß, um zu gewährleisten, daß der Vertragspartner die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält. Sie wurden als bekannt vorausgesetzt199. Und wieder später schien man von der Entbehrlichkeit der unverlangten Übersendung der AGB auszugehen200. Bei den Vorarbeiten zum AGBG stellte man schließlich fest201: »Eine Obliegenheit des Unternehmers, dem Kunden bei Vertragsabschluß den Wortlaut seiner AGB mitzuteilen, wird allgemein verneint.«
194
RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Hodum (1931), S. 19. Wrede (1931), S. 3; Roquette, JW 1938, 878. Ähnlich kann OLG Naumburg (25.10.1913), OLGR 29 (1914), 19, verstanden werden. 196 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 171. 197 RG (2.10.1928), RGZ 122, 75. Vgl. auch RG (22.1.1908), LZ 1908, 383, 384; RG (25.9.1928), BankA 1928/29, 185; Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), 183; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 23; Raiser (1935), S. 170 f. 198 OLG Stuttgart (23.12.1919), OLGR 40 (1920), 263; KG (5.2.1921), OLGR 41 (1921), 216. Widersprüchlich RG (17.3.1922), Gruchot 66 (1923), 457. Vgl. zudem Raiser (1935), S. 172 f. 199 Roquette, JW 1938, 878. So wohl auch schon Michel (1932), S. 15. 200 Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17; Krusemeyer (1927), S. 8 f.; Hodum (1931), S. 22; Neukirch (1933), S. 10 (alle beschränkt auf den Handelsverkehr und Staub/Koenige zusätzlich beschränkt auf in Bestätigungsschreiben in Bezug genommene AGB); Koehler (1934), S. 18; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 334; RG (31.1. 1941), DR 1941, 1210, 1212; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), Einleitung Bd. I Anm. Ie; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Schmidt-Salzer (1967), S. 127; ders. (1971), Rn. 82. Anders wohl BGH (29.9.1955), BGHZ 18, 212. 201 Vorschläge (1974), S. 41. 195
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Was der Verwender unternehmen muß, um dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit zu gewähren, beschäftigte schließlich auch den Gesetzgeber202. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 VAG (1901) mußten die AVB einem Versicherungsnehmer schon vor Vertragsschluß übergeben werden: »Vor dem Abschlusse des Versicherungsvertrags ist dem Versicherungsnehmer ein Exemplar der […] allgemeinen Versicherungsbedingungen […] auszuhändigen.«
§ 10 VAG (1901) wurde 1923 aufgehoben203. Durch die Geldentwertung waren die Verwaltungskosten der Versicherer stark gestiegen, ohne daß sie die Prämien in laufenden Versicherungsverträgen anpassen konnten. Dies bedrohte zahlreiche Versicherer in ihrer Existenz. Der Gesetzgeber wollte den Versicherern die durch § 10 VAG (1901) auferlegten Druckkosten ersparen. Denn die Versicherungsaufsicht wirkte ohnehin darauf hin, daß die AVB dem Versicherungsnehmer ein zweites Mal mit Übersendung des Versicherungsscheines ausgehändigt wurden. Der Versicherungsnehmer erhielt die AVB als Folge doppelt204. Ein Verstoß gegen § 10 VAG (1901) führte freilich nicht zur Nichteinbeziehung der AVB205, handelte es sich doch um eine Vorschrift des Versicherungsaufsichtsrechts. 1940 entstanden neue Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherungen und neue Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrhaftpflichtversicherungen. Das Reichsaufsichtsamt für Privatversicherungen hatte an ihrer Abfassung mitgewirkt und veröffentlichte sie im Reichsanzeiger. Zugleich ordnete es aufsichtsrechtlich durch ein Rundschreiben an, daß diese AVB nicht mehr unverlangt ausgehändigt, sondern nur noch zur Einsichtnahme bereitgehalten werden mußten und die Einsichtnahme nur auf Verlangen gewährt werden mußte206. Begründet wurde diese Maßnahme damit, daß die AVB nicht verständlich seien und nicht gelesen würden, und wiederum mit der Notwendigkeit, Papier zu sparen207. Wie schon im 19. Jh.208 war weiterhin unstreitig, daß ein Abdruck von AGB oder ein ausdrücklicher Hinweis auf sie in Urkunden, die erst nach Vertragsschluß übersandt oder übergeben wurden, wie z.B. Rechnungen, keine Wirkung entfaltete209. Daraus, daß der Vertragspartner an dem Vertrag festhielt, 202
Vgl. die Beispiele bei Raiser (1935), S. 57 f. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen, RGBl I 1923, S. 684. Vgl. auch Raiser (1935), S. 56 Fn. 1. 204 Vgl. hierzu Koenige/Petersen (3. Aufl. 1927), § 10 Anm. 1. 205 Schneider (1908), Einl. II 2. 206 Vgl. Prölß, JW 1940, 1711; Eilles, DGWR 1941, 121. 207 Vgl. OLG Hamm (16.5.1947), MDR 1947, 262; Prölß, JW 1940, 1711 (kritisch). 208 Siehe oben § 2 VI D (S. 102) und noch RG (19.3.1898), Holdh 7 (1898), 275. 209 RG (4.7.1902), RGZ 52, 133, 135; RG (6.3.1903), Holdh 12 (1903), 165; KG (3.11.1906), OLGR 14 (1907), 371; RG (8.3.1907), RGZ 65, 329; RG (20.4.1907), RGZ 66, 39; RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341; OLG Hamburg (18.1.1921), HansGZ (HBl) 42 (1921), 83; OLG Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215; OLG Hamburg (19.2.1952), BB 1952, 211; LG Mönchengladbach (13.11.1957), NJW 1958, 792; LG Kleve (12.11.1958), BB 1960, 422 mit 203
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
ohne den AGB zu widersprechen, wurde bei einer nachträglichen Übersendung auf keine stillschweigende Zustimmung zur nachträglichen Änderung des bereits zustandegekommenen Vertrages geschlossen. Eine solche Einigung mußte ausdrücklich erfolgen. Ob solche Hinweise für zukünftige Geschäfte von Bedeutung sein konnten, war strittig, wurde aber überwiegend abgelehnt210. Betrachten wir diese Fallgruppe zusammenfassend, dann stechen wiederum die Übereinstimmungen mit der Rechtslage im 19. Jh. hervor. Der neue dogmatische Rahmen der Einbeziehungsproblematik bewirkte auch hier keine Zäsur. Es kam aber auch zu Fortentwicklungen. So mußten nicht mehr allein Anschläge deutlich sichtbar aushängen. Jede Art eines ausdrücklichen Hin210 Anm. Bertele; OLG Düsseldorf (18.12.1959), BB 1960, 422 mit Anm. Bertele; Staub (6. und 7. Aufl. 1900), Exkurs § 372 Rn. 26; Brodmann (1918), S. 104; Oertmann, Handelskauf (1918), S. 376 f.; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 16, Anhang zu § 372 Rn. 34; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 655 f.; Müller-Erzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 544; Oertmann (5. Aufl. 1929), § 476 Anm. 4; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 16; Heidland (1929), S. 112; Goldbaum (1930), § 346 S. 468; Hamelbeck (1930), S. 27, 29; Neufeld/ Schwarz (1931), § 346 Rn. 26; Hodum (1931), S. 24; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 10k; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 13; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 4c; Michel (1932), S. 19; Neukirch (1933), S. 10; 21 f.; Koehler (1934), S. 27, 29; Raiser (1935), S. 188 ff.; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17; W. Schneider, BB 1951, 742; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Staudinger/ Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24f.; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; RGRK-BGB/Nastelski (11. Aufl. 1960), § 269 Anm. 6; Soergel/Ballerstedt (9. Aufl. 1962), § 433 Rn. 18; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 90; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/ 1a Rn. N257; Schmidt-Salzer (1967), S. 152 ff.; ders. (1971), Rn. 68; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B d bb. A.A. OLG Hamburg (8.2.1926), OLGR 45 (1926), 158; OLG Hamburg (12.3.1929), HansRGZ (A) 1929, 290; RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; w.N. auf die a.A. finden sich bei Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem. 24f. Zu den Ausnahmen Raiser (1935), S. 196 f. 210 RG (4.7.1902), RGZ 52, 133, 135 f.; RG (6.3.1903), Holdh 12 (1903), 165; RG (8.3.1907), RGZ 65, 329; RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341; OLG Hamburg (18.1.1921), HansGZ (HBl) 42 (1921), 83; OLG Hamburg (19.2.1952), BB 1952 211; LG Kleve (12.11.1958), BB 1960, 422 mit Anm. Bertele; Staub (6. und 7. Aufl. 1900), Exkurs § 372 Rn. 26; Staub/Koenige/ Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), Anhang zu § 372 Rn. 34; Becker, RuH 1927, 66 f.; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 16; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 26; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 10k; Michel (1932), S. 21 f.; Koehler (1934), S. 29; W. Schneider, BB 1951, 743; RGRKBGB/Nastelski (11. Aufl. 1960), § 269 Anm. 6; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/ 1a Rn. N264; Schmidt-Salzer (1967), S. 156 f.; ders., BB 1967, 132; ders., BB 1968, 68; ders. (1971), Rn. 69. Unmittelbar vor Inkrafttreten des BGB RG (19.3.1898), Holdh 7 (1898), 275. Bejahend RG (9.3.1903), Holdh 13 (1904), 105; OLG Düsseldorf (18.12.1959), BB 1960, 422 mit abl. Anm. Bertele; BGH (15.6.1964), NJW 1964, 1788; Jacobson, BankA 1904, 198; Hodum (1931), S. 28 f.; Neukirch (1933), S. 11; Soergel/Ballerstedt (9. Aufl. 1962), § 433 Rn. 18; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B d bb. Differenzierend Raiser (1935), S. 197 f.; Hamelbeck (1930), S. 29 f.: bezog sich der nach Vertragsschluß erfolgte Hinweis allein auf das bereits abgeschlossene Geschäft, entfaltet er weder für dieses noch für zukünftige Geschäfte Wirkung; bezog er sich auf zukünftig abzuschließende Geschäfte, entfaltet er insofern seine Wirkung.
II. Geltungsvoraussetzungen
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weises mußte dieser Anforderung genügen, und zudem dort erfolgen, wo der Verkehr mit ihm rechnete. Diese Verfeinerungen der Einbeziehungsvoraussetzungen ergaben sich aus dem Grundsatz der normativen Auslegung, wie er sich seit Beginn des 20. Jh. herauskristallisiert hatte und der nun den gemeinsamen Bezugspunkt für die Lösung aller Einbeziehungsprobleme bildete. Der veränderte dogmatische Rahmen wirkte also zunächst befruchtend. Seit den 30er Jahren kam es allerdings auch zu Auflösungserscheinungen. Bestimmte AGB wurden als bekannt vorausgesetzt, so daß der Verwender dem Vertragspartner nicht die Möglichkeit der Kenntnisnahme gewähren mußte. Auch setzte sich die Ansicht durch, daß der Verwender seine AGB nicht unverlangt übersenden, sondern sie nur auf Nachfrage des Kunden bereit halten muß. Beides wurde unter Verweis auf eine entsprechende Verkehrssitte begründet. Die Verkehrssitte war Katalysator des Prozesses, der zur Auflösung dieser Einbeziehungsvoraussetzung führte.
C. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen Schon im 19. Jh. war anerkannt gewesen, daß jeder Hinweis, ausdrücklich oder durch Aushang, fehlen konnte und die AGB dennoch ausnahmsweise zum Vertragsinhalt werden konnten211. Auch im 20. Jh. bildeten diese Fälle die Ausnahme212. So genügte allein das Wissen oder Wissenmüssen des Vertragspartners darum, daß der Verwender oder der entsprechende Verkehrskreis unter Einbeziehung von AGB zu kontrahieren pflegt, für ihre Geltung regelmäßig nicht213. Und diesen Rechtszustand sollte auch das von der Akademie für 211
Siehe oben § 2 VII C (S. 116 ff.). Vgl. RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341. Und außerdem Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 309; Dove, JW 1916, 369; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Oertmann (3. Aufl. 1927), § 157 Anm. 2b K; Koehler, LZ 1927, 1452 f.; Raiser (1935), S. 180; Schlegelberger (1939), § 346 Rn. 30. 213 OLG Karlsruhe (12.6.1906), DJZ 1907, 974; RG (20.4.1907), RGZ 66, 39; OLG Hamburg (18.1.1921), HansGZ (HBl) 42 (1921), 83; KG (5.2.1921), OLGR 41 (1921), 216; OLG Hamburg (21.12.1922), HansGZ (HBl) 44 (1923), 118, 119; OLG Hamburg (13.2.1923), HansGZ (HBl) 44 (1923), 117; RG (10.12.1924), RGZ 109, 299; OLG Hamburg (27.1.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 53; OLG Hamburg (25.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 229; Brodmann (1918), S. 102; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17 f.; Krusemeyer (1927), S. 9; Becker, RuH 1927, 249; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Friedenthal (1929), S. 37; Hamelbeck (1930), S. 36 f.; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 23; Hodum (1931), S. 16, 21; Michel (1932), S. 29 ff.; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 13; Juhnke (1933), S. 6; Overbuschmann (1934), S. 29 f.; Koenige/Teichmann/ Koehler (4. Aufl. 1936), § 346 Anm. 5; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), Einleitung Bd. I Anm. Ie. Vgl. zudem Koehler, LZ 1927, 1452; Raiser (1935), S. 179. A.A. OLG Hamburg (21.2. 1917), SeuffA 72 (1917), 197; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 3; Haus (1936), S. 12 ff.; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323: »Sie [die Unterwerfung unter AGB] liegt insbesondere auch dann vor, wenn die Gegenpartei nach der Verkehrsauffassung mit dem Vorhandensein solcher Geschäftsbedingungen rechnen mußte und ihr nach der Verkehrsauffassung die Möglich212
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
deutsches Recht vorbereitete Volksgesetzbuch übernehmen. So lautet der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 2 Abs. 1 zur Geltung von AGB214: »Allgemeine Geschäftsbedingungen, deren Geltung von den Vertragsteilen nicht besonders vereinbart worden ist, sind grundsätzlich nur dann für einen Vertrag maßgebend, wenn derjenige, der sie dem Vertrag zugrunde legen will, bei dem Abschluß oder der handelsüblichen Bestätigung des Vertrages den andern Vertragsteil deutlich auf die Geschäftsbedingungen hingewiesen und sie ihm gesandt oder sonst in angemessener Weise zugänglich gemacht hat, ohne daß dieser widersprochen hätte.«
Und ganz ähnlich formulierte Gadow 1941215: »Sind Geschäftsbedingungen keine Handelsgebräuche, so werden sie nur durch Vereinbarung Bestandteil des Vertrages. Zur Annahme einer solchen Vereinbarung gehört mindestens eine Bezugnahme auf die Bedingungen beim Vertragsschluß oder vorher. Die bloße Kenntnis, daß beim Gegner […] Geschäftsbedingungen bestehen, macht diese noch nicht zum Vertragsbestandteil.«
Fehlte eine solche Bezugnahme, so mußten zusätzliche Umstände hinzutreten, damit von einer Einbeziehung ausgegangen werden konnte216. Später wurde zwar genau das Gegenteil behauptet: Es sollte für eine Einbeziehung schon ausreichen, daß der Vertragspartner wußte oder wissen mußte, daß der Vertragsgegner seinen Verträgen AGB zugrunde zu legen pflegt217. Doch änderte sich der Sache nach zunächst nichts. Die besonderen Umstände, so die Bekanntgabe der AGB, waren nun bei der Beantwortung der Frage, ob ein keit214einer Kenntnisnahme gegeben war.« Haus (1936), S. 15 f., erklärte die h.M. wie folgt: »Der Grund für diese ablehnende Haltung ist jedoch nicht in juristisch konstruktiven, sondern in rechtspolitischen Bedenken zu suchen: den Richtern erscheint der Inhalt der GB. vielfach unbefriedigend und unbillig; sie versuchen daher, ein unbilliges Ergebnis dadurch zu vermeiden, daß sie annehmen, die GB. seien überhaupt nicht Inhalt des Einzelvertrages geworden.« 214 Zitiert aus Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 119. Vgl. hierzu auch das Ausschußprotokoll, abgedruckt bei dens. (Hg.), Akademie III/4, S. 719 ff. 215 RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a. Vgl. auch RGRK-HGB/Gadow (1940), Einl. Bd. I Rn. 27. 216 Raiser (1935), S. 180; Staudinger/Brändl (11. Aufl. 1957), Ein. Bd. I Rn. 50. Vgl. z.B. RG (22.12.1925), RGZ 112, 253, wo das RG nur mit erheblichen Begründungsaufwand zur Annahme kam, daß AGB als einbezogen galten, obwohl auf sie bei Vertragsschluß nicht Bezug genommen worden war. 217 OLG Braunschweig (25.9.1950), BB 1950, 743; BGH (3.2.1953), BGHZ 9, 1; BGH (10.2.1958), VersR 1958, 189, 190 f.; BGH (29.6.1959), NJW 1959, 1679; OLG Düsseldorf (18.12.1959), BB 1960, 422 mit Anm. Bertele; Palandt/Danckelmann (5. Aufl. 1942), § 157 Anm. 5a; Nastelski, DRiZ 1955, 212; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 15; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24k; Meeske, BB 1959, 861; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92. Auch gegenüber Nichtkaufleuten: OLG Köln (20.4.1950), VersR 1950, 118. Nur gegenüber Kaufleuten: RGRK-BGB/Denecker (10. Aufl. 1953), Einl. Bd. I Anm. I II 2e; Staudinger/ Brändl (11. Aufl. 1957), Einl. Bd. I Rn. 50; Clauß, MDR 1959, 167; Fikentscher, BB 1961, 297. Insgesamt ablehnend Schmidt-Salzer, BB 1967, 134.
II. Geltungsvoraussetzungen
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Wissenmüssen vorlag, entscheidend218. Nur selten wurde die Ansicht vertreten, in gewissen Branchen, wie z.B. im Bank-, Versicherungs- und Transportgewerbe, müsse der Vertragspartner generell mit dem Bestehen von AGB rechnen, und schon allein deshalb würden AGB Vertragsbestandteil219. Wie sahen nun aber die allgemein anerkannten Ausnahmen aus, bei denen unstreitig eine Einbeziehung trotz fehlenden Erklärungen zur Geltung der AGB angenommen wurde? 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Geschäftsgebrauch Wie schon im 19. Jh.220 konnten AGB trotz fehlender Verweisung zum Vertragsbestandteil werden, wenn sie bei einer längeren Geschäftsbeziehungen schon immer galten221. Hatte der Verwender im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung dagegen immer ausdrücklich in seinen schriftlichen Angeboten auf die AGB hingewiesen und fehlte bei einem nachfolgenden Vertragsschluß ein solcher Hinweis, so waren die AGB nicht einbezogen. Der Vertragspartner durfte davon ausgehen, daß die AGB gerade nicht zum Vertragsinhalt werden sollten222. 2. Verbandsbedingungen Etwas Ähnliches konnte gelten, wenn die AGB zwischen zwei Industrieverbänden vereinbart worden waren. Ein Mitglied des einen Verbandes durfte davon ausgehen, daß ein Mitglied des anderen Verbandes zu diesen AGB abschließen wollte, auch ohne ausdrücklich auf diese AGB hingewiesen worden zu sein und ohne der Geltung der AGB ausdrücklich zugestimmt zu haben, sofern beide Parteien wußten, daß ihr jeweiliger Gegenüber auch Mitglied in 218 Vgl. z.B. Neukirch (1933), S. 6 ff.; Wienecke (1936), S. 49; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem. 24k; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 29 ff.; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B d. 219 A. Koch, Banken (1931), S. 49; ders., Geschäftsbedingungen (1932), S. 25. 220 Siehe oben § 2 VI C und D (S. 97, 100). 221 RG (22.1.1908), LZ 1908, 383; LG Dresden (29.5.1934), JW 1934, 2723; OLG Hamburg (18.8.1947), MDR 1948, 15 mit Anm. Delbrück; Soergel/Gerold/Soergel (3. Aufl. 1926), § 242 Anm. 6; Oertmann (3. Aufl. 1927), § 157 Anm. 2b K; G. Meyer (1928), S. 9; Heidland (1929), S. 150 f.; Rühl, Eigentumsvorbehalt (1930), S. 60; Goldbaum (1930), § 346 S. 464; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; Neukirch (1933), S. 10; Koehler (1934), S. 28 f.; Raiser (1935), S. 136, 180 f.; Haus (1936), S. 8; Haupt (1937), S. 57 f.; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem. 24i; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 15; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N252; Schmidt-Salzer (1967), S. 155 ff.; ders., BB 1967, 132 f.; ders. (1971), Rn. 75 ff. Vgl. außerdem OLG Kiel (4.11.1920), Das Recht 1921, 201; Raiser (1935), S. 180 f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 222 RG (26.2.1904), Holdh 13 (1904), 224. Vgl. auch LG Kleve (12.11.1958), BB 1960, 422 mit Anm. Bertele; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem. 24i.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
einem der Verbände ist223. Ebenso galten Verbandsbedingungen zwischen den Mitgliedern des Verbandes, so die Bedingungen des Börsenvereins deutscher Buchhändler zwischen den Mitgliedern des Vereins224. Auch das war bei Darstellung des 19. Jh. bereits begegnet225. 3. Veröffentlichung allgemeiner Geschäftsbedingungen Schließlich konnte eine Veröffentlichung von AGB, z.B. in Zeitungen, für eine Einbeziehung ausreichen. Im 19. Jh. hatte eine bloße Veröffentlichung der AGB grundsätzlich nicht genügt226. Sie erschien immer nur in Zusammenhang mit einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die AGB. Durch die Veröffentlichung der AGB sollte allein die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB gewährt werden. Und so schien die Rechtslage auch noch zu Beginn des 20. Jh. gewesen zu sein227. Doch setzte sich in den ersten 30 Jahren des 20. Jh. langsam die Meinung durch, daß der Veröffentlichung selbständige Bedeutung zukommen könne228, oder anders ausgedrückt, sie erhielt eine zweite Funktion: Sie gewährleistete nicht nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB, sondern sie ersetzte auch den Hinweis auf die AGB229. Zur Begründung wurde auf eine entsprechende Verkehrssitte verwiesen230. 223
Raiser (1935), S. 181 f. Vgl. zudem Hueck, JhJb 23 (1923), 50 ff., 58 (zweiseitiger, doppelseitig korporativer Richtlinienvertrag); Koehler (1934), S. 30; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17. Beispiele finden sich bei Haus (1936), S. 65 ff. 224 Riezler, Buch- und Kunsthandel (1915), S. 5. Allgemein Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb. 225 Siehe oben § 2 VI D (S. 100). 226 Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 29 ff.), IV D 6 (S. 80 ff.). 227 OLG Hamburg (5.1.1906), HansGZ (HBl) 27 (1906), 56; OLG Braunschweig (24.6.1921), OLGR 42 (1922), 229. In diese Richtung wohl auch RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463. Vgl. auch Becker, RuH 1927, 249 f.; Hodum (1931), S. 16, 19; Raiser (1935), S. 174, 188; Hurst (1958), S. 8 f. 228 OLG Hamburg (27.10.1913), Eger 30 (1913/14), 374 (mit Verweis auf Staub); RG (26.10.1921), RGZ 103, 82, JW 1922, 575 mit Anm. Nipperdey; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; RG (10.12.1924), RGZ 109, 299, 304 f.; OLG Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215; OLG Hamburg (4.6.1928), HansRGZ (B) 1928, 630, 638; LG Frankfurt a.M. (19.11.1928), Eger 48 (1929), 174; Staub (6. und 7. Aufl. 1900), § 346 Rn. 15; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Krusemeyer (1927), S. 9 ff.; Becker, RuH 1927, 354; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Heidland (1929), S. 112 f.; Hamelbeck (1930), S. 32 ff.; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 16; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 587; Raiser (1935), S. 202; Haupt (1937), S. 48 ff.; RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), Vor § 145 Anm. 1; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 3a; Manigk, Rechtswirksames Verhalten (1939), S. 283; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 458; Gallois, JR 1956, 47; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 38. Vgl. zudem schon OLG Karlsruhe (12.6.1906), DJZ 1907, 975. 229 Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb. Vgl. zu den beiden Funktionen, die eine Veröffentlichung seither erfüllte, Raiser (1935), S. 174, 188. 230 Hamelbeck (1930), S. 32 ff.; Hodum (1931), S. 20; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Hanau, AcP 165 (1965), 227.
II. Geltungsvoraussetzungen
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Voraussetzung war allerdings immer, daß die AGB in gehöriger Weise veröffentlicht waren231, so daß sie den Kreisen, denen gegenüber sie zur Anwendung kommen sollten, leicht zugänglich waren232. Deshalb verlangte man eine Veröffentlichung in weitverbreiteten Zeitungen und gegebenenfalls eine wiederholte Veröffentlichung233. Die Entwicklung war allerdings uneinheitlich234. Nicht alle Gerichte und Autoren ließen eine bloße Veröffentlichung genügen235, und auch in der Folgezeit, blieb es die Ausnahme, daß eine bloße Veröffentlichung ausreichte236. So konnte nicht jeder Verwender seine AGB durch bloße Veröffentlichung allen zukünftigen Verträgen zugrunde legen. Eine entsprechende Verkehrssitte wurde nur bei Unternehmen von einem gewissen Umfang angenommen237. Man sprach von Großunternehmen und öffentlichen Anstalten. Nur bei solchen Unternehmen rechnet der Verkehr, so die damalige Ansicht, mit veröffentlichten AGB238. Zudem blieb die Möglichkeit, AGB durch bloße Veröffentlichung zum Vertragsbestandteil zu machen, auf bestimmte Branchen beschränkt239. So stellte Koehler 1934 fest, daß sich 231 Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Heidland (1929), S. 112 f.; Hodum (1931), S. 16 f.; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Koenige/ Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Michel (1932), S. 26 f.; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 3a; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Gallois, JR 1956, 47; Etzler (1961), S. 87; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272; OLG Hamburg (5.12.1928), HansRGZ (B) 1929, 407. 232 RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463. Vgl. außerdem Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92; Hamelbeck (1930), S. 34. 233 Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Krusemeyer (1927), S. 9; Hamelbeck (1930), S. 34; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 24. 234 So auch die Einschätzung von Raiser (1935), S. 203 und Haupt (1937), S. 48 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV.3b. 235 OLG Hamburg (27.1.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 53; Titze, Mißverständnis (1910), S. 120; Brodmann (1918), S. 102; Löning, MJenaerIWR 1930, 17. Vgl. auch Michel (1932), S. 31 f. (viele Gerichte ließen eine Veröffentlichung nur gegenüber Kaufleuten genügen). Der Verwender mußte veröffentlichte AGB stets gegen sich gelten lassen. 236 Raiser (1935), S. 188, 211. Insgesamt ablehnend Schmidt-Salzer (1971), Rn. 38. 237 OLG Hamburg (18.1.1921), HansGZ (HBl) 42 (1921), 83; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; OLG Celle (22.11.1924), BankA 1924, 119; RG (13.10.1928), LZ 1929, 472; Staub (6. und 7. Aufl. 1900), § 346 Rn. 15; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Krusemeyer (1927), S. 9 ff.; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Hamelbeck (1930), S. 32 f.; Hodum (1931), S. 16; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Michel (1932), S. 27; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 587; Raiser (1935), S. 201, 204 f.; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV.3a; Manigk, Rechtswirksames Verhalten (1939), S. 183; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Gallois, JR 1956, 47; Etzler (1961), S. 87. 238 OLG Hamburg (28.6.1919), SeuffA 74 (1919), 286; Krusemeyer (1927), S. 9 ff.; Heidland (1929), S. 112 f.; Hodum (1931), S. 16; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 24; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb. 239 Raiser (1935), S. 210 f.; OLG Freiburg (20.5.1954), VersR 1954, 499 (Veröffentlichung der AGB durch Parkplatzbetreiber nicht ausreichend).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
ein entsprechender Brauch für Verkaufs- und Lieferbedingungen auch im Handelsverkehr noch nicht gebildet hatte240. Ob die bloße Veröffentlichung von AGB durch Banken genügte, war strittig, weil sich hier (zunächst) gerade die Sitte entwickelt hatte, daß die Banken ihren Kunden die AGB vor Aufnahme einer Geschäftsbeziehung übersandten241. Handelte es sich bei dem Verwender selbst um keinen Großunternehmer, so konnte genügen, wenn er zu einem Gewerbe gehörte, dessen Verband vereinheitlichte AGB veröffentlicht hatte, so im Speditionsgewerbe242. Allerdings mußten alle Unternehmen dieses Gewerbes Mitglied des Verbandes sein und deshalb auch unter Einbeziehung dieser AGB kontrahieren. War dies nicht der Fall, dann konnte von einer entsprechenden Verkehrssitte nicht gesprochen werden. Es bedurfte einer Bezugnahme, um die AGB einzubeziehen243, oder dem Vertragspartner mußte bekannt gewesen sein, daß der Verwender einem entsprechenden Verband angehörte244. Für die ADSp wurde hierauf später in der Rechtsprechung verzichtet. Sie galten, wenn sie veröffentlicht worden waren und der Verwender unter ihrer Einbeziehung kontrahieren wollte, obwohl nicht alle Spediteure die ADSp verwendeten245 und dem Vertragspartner somit nicht erkennbar war, ob sie nun gelten würden246. Schließlich ließ der Gesetzgeber in einigen Fällen eine bloße Veröffentlichung genügen. So konnte die Eisenbahn nach § 2 Abs. 1 Eisenbahnverkehrsordnung in der Fassung von 1908 mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde AGB zur Ergänzung der Eisenbahnverkehrsordnung aufstellen247. Gemäß § 6 Abs. 1 brauchten diese AGB nur veröffentlicht zu werden und galten sodann als Vertragsinhalt, ohne daß es einer Einbeziehungsabrede be-
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Koehler (1934), S. 28; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 655. Deshalb ablehnend z.B. Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Woite (1931), S. 16; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 655; Düringer/Hachenburg/ Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7. Bejahend dagegen z.B. Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 17; Raiser (1935), S. 207; RGRKHGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a; Hueck, JhJb 73 (1923), 101. Zur Praxis der Banken siehe schon oben den Text zu und nach Fn. 171. 242 OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272. Vgl. außerdem OLG Hamburg (27.10.1913), Eger 30 (1913/14), 374; OLG Hamburg (28.6.1919), SeuffA 74 (1919), 286; LG Frankfurt a.M. (19.11.1928), Eger 48 (1929), 174; Krusemeyer (1927), S.10; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5. 243 OLG Hamburg (28.6.1919), SeuffA 74 (1919), 286; OLG Hamburg (27.1.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 53; OLG Hamburg (24.2.1927), HansGZ (HBl) 48 (1927), 75, Eger 46 (1928), 65 mit abl. Anm. Senckpiehl; LG Köln (17.10.1929), Eger 50 (1930/31), 70; OLG Hamburg (25.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 229; Michel (1932), S. 27. 244 OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272; OLG Hamburg (25.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 229. Vgl. außerdem Koehler (1934), S. 30. 245 Vgl. Reuver, ZBlHR 1928, 66, 390. 246 OLG Königsberg (8.10.1929), Eger 50 (1930/31), 68 mit abl. Anm. Koehler; Schwartz (1931), S. 17. Vgl. auch Traumann, Eger 48 (1929), 379. 247 Siehe oben die Nachweise in Fn. 7. 241
II. Geltungsvoraussetzungen
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durfte248. Allgemein sollte die Möglichkeit, AGB durch bloße Veröffentlichung zum Vertragsinhalt zu machen, in dem von der Akademie für deutsches Recht vorbereiteten Volksgesetzbuch anerkannt werden. Der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 2 Abs. 2 zur Geltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen bestimmte249: »Des Hinweises bedarf es nicht, wenn er nach der Lage der Dinge, vor allem bei Massenverkehr, wegen Fehlens einer näheren Beziehung zwischen den Vertragsteilen untunlich ist. In diesem Fall hat aber derjenige, der die Geschäftsbedingungen zugrunde legen will, in geeigneter Weise durch öffentliche Bekanntgabe dafür Sorge zu tragen, daß seine Kunden von den dem Inhalt der Geschäftsbedingungen Kenntnis erlangen können.«
Was mit »öffentlicher Bekanntgabe« gemeint ist, läßt § 2 Abs. 2 offen. Die Verfasser dachten wohl nicht nur an eine Veröffentlichung in Zeitungen, sondern auch an den Abdruck in Katalogen oder Preislisten und an Aushänge am Ort des Vertragsschlusses. Zwischen diesen verschiedenen Formen einer Bekanntgabe wurde auch schon in der Literatur des 19. Jh. aber auch noch nach 1945 zuweilen nicht differenziert250. Die Literatur stand dieser Fallgruppe kritisch gegenüber251. Sie führe zu Rechtsunsicherheit. So sei unklar, wann ein Großunternehmen vorliege, wann eine Verkehrssitte bestehe, nach der eine Veröffentlichung ausreiche, und was schließlich eine gehörige Veröffentlichung sei252. Zudem merkte Rühl 1931 an, daß sich diese Fallgruppe nur schwer in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre einfügen lasse253. Raiser diskutierte sie deshalb auch nicht mehr in Zusammenhang einer stillschweigenden Zustimmung des Vertragspartners254. Entspreche es der Verkehrssitte, daß veröffentlichte AGB als in den Vertrag einbezogen gelten, komme es auf den Willen des Vertragspartners gar nicht mehr an. Die Geltung der AGB lasse sich allein auf die Verkehrssitte zurückführen. Einen anderen Weg ging 1937 Haupt. Er kritisierte die Annahme einer stillschweigenden Willenserklärung255: »Man kann […] nicht ohne weiteres in den Auftrag eines Kunden etwas hineininterpretieren, was er infolge seiner Unkenntnis von den AGB zweifellos nicht erklären wollte.« 248 § 6 Abs. 1 EVO (1908): »[…] Die Tarife bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Veröffentlichung. […].« Zum fast identischen § 6 Abs. 4 EVO (1928) Richter (1928), S. 113. 249 Zitiert aus Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 120. Abs. 1 ist oben im Text zu Fn. 214 wiedergegeben. 250 Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 39); Meiss, VersR 1960, 962. 251 Raiser (1935), S. 188. 252 Graul (1932), S. 48. 253 Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 20 f. Ähnlich 1932 Michel (1932), S. 13: »Die dritte Art (Veröffentlichung) wird uns noch beschäftigen; sie findet im positiven Recht keinen Anhalt.« 254 Raiser (1935), S. 204. 255 Haupt (1937), S. 53.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Die Ergebnisse der Rechtsprechung wollte Haupt indes nicht grundsätzlich in Frage, sondern auf ein neues Fundament stellen256: »Vielmehr muß in erster Linie berücksichtigt werden, daß es sich um eine rechtspolitische Frage von außerordentlicher Wichtigkeit und praktischer Tragweite handelt. Denn letzten Endes gipfelt das Problem doch darin, ob es erwünscht und billigenswert erscheint, daß die Wirtschaftsunternehmungen ihre AGB in einem der Publikation von Gesetzen angenäherten Verfahren in Kraft setzen können.«
Grundsätzlich wollte Haupt nicht auf eine unmittelbare Bekanntgabe der AGB gegenüber dem Vertragspartner verzichten257: »Denn zugegeben, daß die sogenannte Einigung der Parteien über die AGB in den meisten Fällen nur eine Formalität darstellt, so hat sie regelmäßig die praktisch nicht zu unterschätzende tatsächlich Wirkung, daß der Kunde durch die Aushändigung der AGB oder durch den ausdrücklichen Hinweis auf sie in die Lage versetzt wird, ihren Inhalt genau kennen zu lernen. […] Und schließlich bildet, was nicht übersehen werden darf, der Zwang zur Übergabe der AGB für das Großunternehmen eine gewisse Hemmung in der allzu weiten und einseitigen Gestaltung ihres Inhaltes.«
Doch wollte Haupt anerkennen, daß in einigen Branchen schlicht das Bedürfnis bestehe, auch ohne ausdrücklichen Hinweis auf die AGB und ohne ihre Aushändigung an jeden einzelnen Kunden von einer Einbeziehung der AGB auszugehen, und er kam deshalb zu dem Schluß258: »Das rechtspolitische Ergebnis der bisher angestellten Erörterungen läßt sich in seinem für die hier zu beantwortende Frage wesentlichen Teile dahin beschreiben, daß die Inkraftsetzung der AGB durch bloße öffentliche Bekanntgabe auf denjenigen Gebieten des Wirtschaftslebens nicht wünschenswert erscheinen kann, bei denen ohne besondere Schwierigkeiten die Mitteilung des gesamten oder doch des wesentlichen Inhalts der AGB an den Kunden möglich ist. […] Es muß einmal geprüft werden, ob von einem Unternehmen nach Treu und Glauben erwartet werden darf, daß es seine AGB jedem Kunden individuell zugänglich macht. Und zweitens muß die Frage gestellt werden, ob bei einer nur öffentlichen Bekanntgabe von Geschäftsbedingungen, mag sie in den Tageszeitungen, der Fachpresse oder durch Aushang erfolgt sein, der Kunde die Bedingungen nach Treu und Glauben gegen sich gelten lassen muß, weil er bei der Eigenart des Betriebes eine besondere Mitteilung nicht erwarten konnte und damit rechnen mußte, daß das Unternehmen nur nach Maßgabe der AGB mit ihm kontrahieren wollte.«
In der vorliegenden Fallgruppe kam es nach alledem im Verlauf des 20. Jh. zu grundlegenden Änderungen. Zunächst wurde eine Veröffentlichung nur im Rahmen der Kenntnisnahmemöglichkeit diskutiert. Einen Hinweis auf die AGB sollte sie nicht ersetzen. Später wurde angenommen, daß eine Veröffent256 257 258
Haupt (1937), S. 53. Haupt (1937), S. 54. Haupt (1937), S. 55 f.
II. Geltungsvoraussetzungen
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lichung für eine Einbeziehung ausreichen könne. Sie gewährte seitdem nicht mehr nur die Kenntnisnahmemöglichkeit, sondern ersetze auch einen individuellen Hinweis auf die AGB. Doch blieb diese Möglichkeit, AGB durch bloße Veröffentlichung zum Vertragsinhalt zu machen, auf bestimmte Branchen beschränkt. Später kam es zu einer Ausweitung dieser Möglichkeit, so bei Raiser unter Berufung auf die Verkehrssitte und bei Haupt unter Berufung auf die Besonderheiten beim Massenverkehr. 4. Das Wissenmüssen des Vertragspartners Wir hatten bereits feststellen können, daß auch zu Beginn des 20. Jh. allein aus dem Wissenmüssen des Vertragspartners von der Existenz der AGB nicht geschlossen werden konnte, er habe ihrer Einbeziehung stillschweigend zugestimmt259. Auch als später genau das Gegenteil behauptet wurde, änderte sich der Sache nach nichts. Vielmehr scheint das Wissenmüssen nur in den Fällen angenommen worden zu sein, in denen auch schon zuvor ein stillschweigendes Einverständnis des Vertragspartners bejaht worden war. War er durch Aushang oder durch einen ausdrücklichen Hinweis auf die AGB hingewiesen worden oder entsprach die Einbeziehung einem Geschäftsgebrauch, so mußte der Vertragspartner eben wissen, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren wollte, und der Verwender durfte deshalb seinerseits davon ausgehen, daß der Vertragspartner ihrer Einbeziehung stillschweigend zugestimmt hatte, als er den Vertrag mit ihm einging. Doch hatte die Wissenmüssenformel auch das Potential, zur Auflösung der Einbeziehungsvoraussetzungen beizutragen. So führte Raiser 1935 aus260: »Die Rechtsprechung macht die Verbindlichkeit der AGB. immer wieder davon abhängig, ob der Kunde gewußt hat oder wissen mußte, daß der Unternehmer seinen Geschäften AGB. zugrunde zu legen pflegt. Bei ausdrücklichen Verweisungen spielt dieses Moment keine Rolle. Dagegen wird es bei Auslegung oder Ergänzung der Vertragserklärung im Sinne einer Verweisung wichtig. Es bedeutet hier zugunsten des Erklärenden, insbesondere des Kunden, eine bemerkenswerte Einschränkung des Vertrauensschutzes für den Erklärungsgegner, den die objektive Auslegung oder Ergänzung sonst gewährleisten. Wir glauben, daß die Rechtsprechung sich hier von einem gesunden Empfinden leiten läßt. Doch muß dieses Empfinden erst noch dogmatisch […] gesichert werden.«
Raiser selbst interpretierte die Wissenmüssenformel als begrenzendes Moment der normativen Auslegung zugunsten des Vertragspartners. Er entwikkelte hierfür den Gedanken der Zumutbarkeit261. Eine Erklärung des Vertragspartners dürfe nicht schon dann als Einverständnis zur Einbeziehung der 259 260 261
Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 213. Raiser (1935), S. 162. Raiser (1935), S. 162 ff.
246
§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
AGB gedeutet werden, wenn »diese Deutung durch Auslegung oder Ergänzung objektiv geboten« erscheint, sondern nur dann, wenn »sie dem Kunden auch zumutbar ist«262. Und eine Zumutbarkeit sei nur dann zu bejahen, wenn der Vertragspartner die AGB zumindest kennen mußte. In der Folgezeit wurde die Anwendung der Wissenmüssenformel immer weiter ausgedehnt263. Diese Entwicklung offenbart sich in einem Formulierungswechsel im Soergel zwischen der 9. und 10. Auflage. In der 9. Auflage von 1959 hatte Mezger noch geschrieben264: »Fehlt eine ausdrückliche Aufnahme oder Verweisung, so kann die Auslegung des Einzelvertrages eine stillschweigende Unterwerfung ergeben: so, wenn bei dauernder Geschäftsbeziehung früher wiederholt auf Grund von Geschäftsbedingungen abgeschlossen worden ist, jedoch nicht nach bisher einmaligem Abschluß. Eine stillschweigende Unterwerfung ist nur anzunehmen, wenn der Vertragsschließende weiß oder wissen mußte, daß der Vertragsgegner allgemeine Bedingungen zugrunde zu legen pflegt.«
Bei Heinrich Lange hieß es dann in der 10. Auflage von 1967265: »In den übrigen Fällen fordert die Rspr. zumindest eine stillschweigende Unterwerfung. Für diese Unterwerfung genügt es, wenn der Gegner wissen mußte, daß in dem Wirtschaftszweig die Verwendung von AGB üblich ist und sein Geschäftspartner sie zu verwenden pflegt.«
Auch wenn der Sache nach zwischen Mezger und Heinrich Lange keine allzu großen Unterschiede bestanden, so erhält man bei Mezger noch den Eindruck, die Annahme einer stillschweigenden Einwilligung sei auf bestimmte Fallgruppen beschränkt und stehe auch in diesen Fallgruppen immer unter der Bedingung, daß der Vertragspartner wissen mußte, daß der Verwender unter Einbeziehung seiner AGB zu kontrahieren pflegt. Das kommt durch das Nur in dem Zitat zum Ausdruck. Bei Heinrich Lange erscheint die Wissenmüssenformel als eigenständiger Unterwerfungstatbestand, und die Einbeziehung von AGB bei einer längeren Geschäftsbeziehung ist im weiteren Verlauf seiner Kommentierung nur noch Beispiel der Wissenmüssenformel. Die Einbeziehung konnte nicht »nur« unter dem Vorbehalt angenommen werden, daß der Vertragspartner von den AGB Kenntnis haben mußte. Allein das Wissenmüssen genügte nun für eine Einbeziehung. Die Wissenmüssenformel scheint so dazu beigetragen zu haben, daß die Einwilligung des Vertragspartners als Einbeziehungsvoraussetzung immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Das leitet zum nächsten Punkt über. 262
Raiser (1935), S. 164. Vgl. z.B. Fikentscher, BB 1961, 299. Ablehnend Ruhland (1968), S. 126 ff.; Emmerich, JuS 1972, 364. 264 Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 15. Betonung hinzugefügt. Ähnlich RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Rn. 38. 265 Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92. Betonung hinzugefügt. Ähnlich weit z.B. Wagner (1973), S. 16 f. 263
II. Geltungsvoraussetzungen
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D. Grundsätzliche Bedenken gegen die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses Hatte der Verwender seinen Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß auf seine AGB hingewiesen, lag ein Geschäftsbrauch zwischen zwei Parteien vor oder genügte ausnahmsweise eine Veröffentlichung der AGB, so wurde aus der Tatsache, daß der Vertragspartner den Vertrag mit dem Verwender einging, geschlossen, daß sich der Vertragspartner auch mit der Einbeziehung der AGB stillschweigend einverstanden erklärte. Doch regte sich gegen die Annahme eines solchen stillschweigenden Einverständnisses zunächst Widerstand. Mittermaier hatte schon 1864 unter Rückgriff auf die Parömie »renuntiatio non praesumitur« Bedenken geäußert266: »Verzichte auf Rechte dürfen nicht vermutet werden.« Goldschmidt hatte 1861 differenziert. AGB, die das ius dispositivum zuungunsten des Vertragspartners modifizieren, würden nicht kenntnisunabhängig zum Vertragsbestandteil. Manche Vertragsarten seien aber durch das dispositive Recht so lückenhaft geregelt, daß eine nähere vertragliche Ausgestaltung für die reibungslose Vertragsabwicklung notwendig wäre. Das Einverständnis zu AGB, die diese Funktion erfüllen, könne eher vermutet werden267. Die Auslegungsregel, daß Verzichte auf Rechte nicht vermutet werden dürfen, wurde auch nach 1900 im Rahmen des § 157 BGB herangezogen268. Und so konnte Koehler 1927 mit Blick auf einige Bestimmungen in den ADSp ganz ähnlich wie zuvor Mittermaier formulieren269: »Erklärungen von dieser Tragweite können nicht in Äußerungen hineingedeutet werden, die nichts davon enthalten und zwar auch dann nicht, wenn der Erklärende weiß, daß solche Bedingungen häufig vereinbart werden. Wer solche Erklärungen von seinem Vertragsgegner will, muß ihn ausdrücklich in jedem Einzelfall dazu auffordern. Tut er das nicht, so darf der Gegner annehmen, der Spediteur wolle von den weitgehenden ADSp. keinen Gebrauch machen.«
Hamelbeck erklärte 1931, »ein Kunde hat regelmäßig keinen Anlaß, auf seine gesetzlichen Ansprüche gegen den Unternehmer zu verzichten«270, und auch er sprach sich so dagegen aus, eine stillschweigende Unterwerfung bei Verzichten des Vertragspartners auf gesetzliche Rechte anzunehmen. Und Richter meinte 1929271:
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Mittermaier, AcP 47 (1864), 243. Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 33). Goldschmidt, ZHR 4 (1861), 599. Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 31). 268 Vgl. die Nachweise bei HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 118. Ablehnend z.B. RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 3. 269 Koehler, LZ 1927, 1453. Ähnlich OLG Hamburg (21.12.1922), HansGZ (HBl) 44 (1923), 118, 119. Zu weitgehend die Kritik von R. Schreiber, NJW 1967, 1441 ff. 270 Hamelbeck (1930), S. 34. 271 Richter, JW 1929, 2034 f. 267
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
»Haben aber die A.D.Sp.B nur die Bedeutung von Geschäftsbedingungen des beauftragten Spediteurs, so fragt sich, wie weit sie ohne weiteres als Bestandteil des Speditionsvertrages gelten können. Hier wird man einen Unterschied machen müssen zwischen denjenigen Geschäftsbedingungen, die nur eine notwendige Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen bilden, und denjenigen, die gesetzliche Bestimmungen zum Nachteil des Auftraggebers abändern oder außer Kraft setzen. Nur die ersteren können ohne weiteres als stillschweigend vereinbart gelten. […] Nicht gilt dies aber für Bestimmungen, die eine freiwillige Unterwerfung des Kunden von vornherein ausgeschlossen erscheinen lassen […]. Eine freiwillige Unterwerfung unter Geschäftsbedingungen wird man regelmäßig dann nicht annehmen dürfen, wenn es sich um den Verzicht des Auftraggebers auf gesetzliche Rechte zugunsten des Spediteurs handelt.«
E. Zurückdrängung der Einwilligung des Vertragspartners Seit den 30er Jahren unternahm die Literatur vermehrt Versuche einer dogmatischen Erklärung, warum eine stillschweigende Erklärung angenommen werden dürfe bzw. warum es auf den Willen des Vertragspartners gar nicht mehr ankomme. Dadurch traten die zuvor geäußerten Bedenken in den Hintergrund. Die Ansätze waren verwirrend vielfältig. Sie können hier nur angedeutet werden: Rühl glaubte die Zustimmung des Vertragspartners werde nur fingiert und wollte die Einbeziehungsproblematik deshalb aus dem Vertragsrecht herausnehmen272. Raiser sprach in Anlehnung an Manigk und Krause273 von »typischen Erklärungsakten mit normierter Wirkung«274. Hier schimmert bereits das faktische Vertragsverhältnis aufgrund sozialtypischen Verhaltens durch275. Und in der Tat deutet sich bei Raiser immer wieder eine Typisierung durch Verkehrssitte an276: »Im Bereich der Massenverträge wird gerade das psychologische Element der Willenserklärung wieder […] zurückgedrängt […]. Nur sind es jetzt […] form- und gehaltlose, durch Massengebrauch typisierte Akte und Verhaltungsweisen, die im Verkehr als rechtsgeschäftliche Willenserklärungen aufgefaßt und in einem bestimmten typischen Sinne gedeutet werden. Der Geschäftswille der Partei, die solche Akte vornimmt, wird aus ihrem Verhalten geschlossen […].«
Auf die Einbeziehungsproblematik zugespitzt erklärte Raiser277: »Für uns handelt es sich um die Auslegung von Erklärungen für Massenverträge. Hier ist an das zu erinnern, was wir oben über die Entwertung des Parteiwillens bei solchen 272
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 84. Manigk, Irrtum und Auslegung (1918), S. 274; Krause (1933), S. 125 ff. Vgl. auch Manigk, Rechtswirksames Verhalten (1939), S. 279 ff., 283. Zu Manigk Lambrecht (1994), S. 26 f. 274 Raiser (1935), S. 158 ff. Ablehnend Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 167; ders. II (1. Aufl. 1965), § 37 1. 275 Zu den Vorläufern vgl. aus der modernen Literatur Lambrecht (1994), S. 18 ff. 276 Raiser (1935), S. 148. 277 Raiser (1935), S. 156. 273
II. Geltungsvoraussetzungen
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Rechtsgeschäften gesagt hatten. Der Erklärungstatbestand büßt seinen individuellen Charakter ein; Erklärungswille und Erklärungsakt werden typisiert. Daraus folgt für die Auslegung der Vorrang objektiver Gesichtspunkte […]. Hier kann und braucht keine Partei der Persönlichkeit der anderen Aufmerksamkeit zu schenken, um aus diesem Gesamtbild heraus die einzelnen Äußerungen zu verstehen, vielmehr können beide Teile sich darauf verlassen, daß alltäglich allenthalben wiederkehrende Äußerungen auch in ihrem alltäglichen Sinn gemeint und verstanden werden. Maßgebend ist […] regelmäßig der typische Sinn der Erläuterung, d.h. diejenige Bedeutung, die nach der Verkehrsübung mit Willenserklärungen dieser Art verbunden zu werden pflegt. Für die Verweisung auf AGB. bedeutet das, daß die Auslegung auch dort die Brücke zwischen Einzelvertrag und AGB. zu schlagen vermag, wo sich weder eine ausdrückliche Verweisungserklärung noch ein aus freiem Entschluß geborener Verweisungswille feststellen läßt. Es genügt, daß der Unternehmer den Kunden in einer für Geschäfte solcher Art typischen Weise auf seine AGB. aufmerksam macht, um nun die Erklärung des Kunden, in der er sich auf den Vertrag einläßt, auch auf die AGB. zu beziehen […].«
Diese Argumentation blieb auch für die Irrtumsanfechtung nicht ohne Folgen. In vielen Fällen sei eine Irrtumsanfechtung ausgeschlossen. Denn die Verkehrssitte führe dazu, daß ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung gelte. Es liege eine Fiktion einer Willenserklärung vor. Rechtspolitisches Ziel sei der Vertrauensschutz. Eine Irrtumsanfechtung, »weil die Partei den gesetzlich normierten Sinn ihres Verhaltens nicht habe erklären wollen«, sei in einem solchen Fall nicht zulässig278. »Der Rechtssatz, daß das Verhalten als […] Erklärung zu gelten habe, geht hier […] von der Verkehrssitte […] aus: ein Verhalten, das im Geschäftsverkehr regelmäßig so gedeutet wird, soll schließlich, wo es auftritt, diesen Sinn notwendig und unanfechtbar bekommen, sofern nicht das Gegenteil erklärt« wird279. Andere wollten die Irrtumsanfechtung noch weiter einschränken, sie fast ganz ausschließen280. Die Notwendigkeit der Einschränkung der Irrtumsanfechtung wurde auch mit dem Spannungsverhältnis, das zwischen § 157 BGB und §§ 116 ff. BGB bestehe und das zugunsten des § 157 BGB aufzulösen sei, begründet281. Auch in der Folgezeit verwiesen Autoren im Rahmen der Einbeziehungsproblematik regelmäßig auf die Fälle des faktischen Vertragsverhältnisses durch sozialtypisches Verhalten hin, um so die einigungsunabhängige Geltung von AGB und die Unanfechtbarkeit der Einbeziehung zu erklären282: »[…] 278
Raiser (1935), S. 157 f. Vgl. auch Droste, DB 1957, Beilage 10. Raiser (1935), S. 158. 280 So z.B. ohne nähere Begründung Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 111; ähnlich Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl. 1967), § 157 Rn. 92. 281 Vgl. hierzu Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl. 1967), § 157 Rn. 67 ff., 71 f. m.w.N. 282 Eilles, DGWR 1941, 121. Vgl. außerdem BGH (29.1.1957), BGHZ 23, 175, 177; BGH (14.7.1956), BGHZ 21, 319, 333; LG Bremen (17.8.1966), NJW 1966, 2360; Simitis (1957), S. 473 ff.; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 3 f., 15; Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 15 ff., 19; Raiser, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 123 ff. (unter dem Stichwort einer funk279
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
rechtliche und faktische Gegebenheiten ersetzen […] sehr oft eine wirkliche ›Einigung‹ völlig«. Schon im 19. Jh. hatte man darauf verwiesen, der Vertragspartner müsse in vielen Fällen einer Einbeziehung widersprechen, um sie zu verhindern283. Dieser Widerspruch trat in den 50er Jahren in den Mittelpunkt der Diskussion284. Man sprach von einer Obliegenheit zum Widerspruch. Siebert wollte der Verletzung dieser Obliegenheit nur mittelbare Bedeutung zukommen lassen und sie allein im Rahmen der normativen Auslegung berücksichtigen285. Krause wollte dagegen die Bindung an die AGB unmittelbar aus der schuldhaften Obliegenheitsverletzung herleiten286: »Das Ergebnis entspricht im wesentlichen dem heutigen Stand der Rechtsprechung; es löst diese aber aus dem nicht mehr überall passenden Kleid der Willenserklärungen, ohne doch die rein einseitige Schaffung einer Verbindlichkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen freizugeben. Der Geltungsgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei den typisierten Massenverträgen liegt entweder wie bisher in einer diese Geschäftsbedingungen zum Vertragsinhalt erhebenden Willenseinigung der Parteien, oder er liegt in der schuldhaften Nichterfüllung der auf sozialem Kontakt beruhenden Obliegenheit des Kunden, der Geltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu widersprechen, wenn er diese nicht will. […] Das Verschulden ist damit aus den Bereichen der Willenserklärung und der objektiv geltenden Verkehrssitte gelöst, in denen es stets ein Fremdkörper war, und in die ihm angemessene Ebene der Erfüllung von Pflichten – hier in der abgeschwächten Erscheinungsform der Obliegenheiten – verlagert. Im Zeitalter der individuellen Vertragsfreiheit, aus dem unser Gesetzbuch und unsere Dogmatik stammen, war es Sache des Unternehmers, für die Aufnahme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Vertrag zu sorgen; andernfalls galten sie nicht. Im Zeitalter des entpersönlichten Massenverkehrs wird es vielleicht einmal schlechthin Sache des Kunden sein, der Geltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu widersprechen, wenn er ihre Geltung vermeiden will. Heute hält die Entwicklung noch zwischen diesen beiden Stufen.«
283 tionalen Vertragslehre); Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 93. Vgl. allgemein Larenz, AT (1. Aufl. 1967), S. 515 ff. Ablehnend Meeske, BB 1959, 862; Lukes, JuS 1961, 305. Aus der modernen Forschung zum faktischen Vertragsverhältnis Lambrecht (1994), S. 70 ff. 283 Siehe oben § 2 IV D 1 (S. 73), VII C 1 (S. 118), VII D (S. 122). 284 Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 94. Vgl auch schon OLG Hamburg (7.12.1937), JW 1938, 876 mit Anm. Roquette. 285 Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 7 ff., 15, 19 f. Vgl. außerdem Haberkorn, MDR 1961, 819; Soergel/Siebert/Knopp (10. Aufl. 1967), § 157 Rn. 23 f. 286 Krause, BB 1955, 267. Zustimmend W. Hildebrandt, JR 1955, 327; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24k; Hübner, FS Nipperdey I (1965), S. 382 f.; Hanau, AcP 165 (1965), 236 ff.; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N280. Ablehnend Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 19 f.; v. Nottbeck (1960), S. 18 f.; Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 166 f.; ders. II (1. Aufl. 1965), § 37 1; Helm, JuS 1965, 124; Schmidt-Salzer, BB 1967, 129; Ruhland (1968), S. 153 ff.; Canaris (1971), S. 214 ff.; ders., FS Wilburg (1975), S. 81 ff.; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B c.
II. Geltungsvoraussetzungen
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Meeske verwies zur Begründung auf die Figur der culpa in contrahendo, die analog angewandt werden sollte. Es sollte nicht nur eine Obliegenheit, sondern eine vorvertragliche Pflicht, sich nach AGB zu erkundigen, bestehen287. Die Schadensersatzpflicht bei Verletzung dieser Erkundigungspflicht sollte dazu führen, daß die AGB gelten. Manigk sprach schon in den 30er Jahren von einer fahrlässigen Willenserklärung des Kunden, um die willensunabhängige Geltung der AGB erklären zu können288. Flume sprach von einem »besonderen Geschäftstyp […], für welchen die Rechtsordnung anerkennt, daß in Ergänzung der vertraglichen Vereinbarung« AGB gelten289 und entzog sich so der Begründungslast. Schließlich wollte man den Begriff der Unterwerfungserklärung nutzbar machen. Der Begriff der Unterwerfung war schon im 19. Jh. gebräuchlich gewesen290. Mit ihm sollte zunächst nur der Sachverhalt beschrieben werden, daß der Vertragspartner auf die Gestaltung der AGB keinen Einfluß nehmen kann. Er hat nur die Wahl, auf einen Vertragsschluß ganz zu verzichten oder sich eben den AGB zu unterwerfen. Und so wurde der Begriff der Unterwerfung auch noch zu Beginn des 20. Jh. verwendet291. Seit der Mitte des 20. Jh. verstand man die Unterwerfung als eine besondere Art der Willenserklärung, die auch einer anderen dogmatischen Behandlung bedürfe. Ursprung dieser Ansicht war eine viel zitierte Passage eines Urteils des Reichsgerichts aus dem Jahre 1941292: »Ganz allgemeine gesprochen, stellt sich der Abschluß von Verträgen, die unter Bezugnahme auf oft sehr umfangreiche Allgemeine Geschäftsbedingungen […] geschlossen werden, kaum noch als eine echte vertragliche Vereinbarung all dieser den Vertragsinhalt bildenden Regelungen dar; sie bedeutet viel eher eine Unterwerfung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung, und es kommt wenig darauf an, was dem in diese Rechtsordnung (freiwillig) Eintretenden im einzelnen von ihrem Inhalt bekannt ist.«
In diesem Urteil erkannte das Reichsgericht die Rechtsnormqualität von AGB an. Es verglich AGB und Normen nicht mehr nur, sondern stellte sie einander gleich, ohne dabei aber auf eine Geltungsabrede zu verzichten293. Doch meinte es, daß es sich bei dieser Geltungsabrede »kaum noch« um eine »echte vertragliche Vereinbarung« handelt, sondern viel eher um eine »Unterwerfung«. Das Reichsgericht unterschied also zwischen vertraglicher Verein287 Meeske, BB 1959, 863. Ablehnend Schmidt-Salzer, BB 1967, 129; Ruhland (1968), S. 155 f.; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B c; Emmerich, JuS 1972, 364. 288 Manigk, Revisibilität (1929), S. 150; ders., Rechtswirksames Verhalten (1939), S. 209 ff. Zu Manigks Ansicht, wonach die Zurechnung Verschulden voraussetzt, vgl. auch die Darstellung bei Werba (2005), S. 110 ff. 289 Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 166. 290 Siehe oben § 2 VIII (S. 123). 291 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 81. 292 RG (31.1.1941), DR 1941, 1210, 1212. 293 Siehe oben I C (S. 216 ff.).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
barung einerseits und Unterwerfung andererseits. Es versuchte damit zu begründen, daß bei der Unterwerfung sich der Wille des sich Unterwerfenden nicht notwendigerweise auf jede einzelne Vertragsregelung beziehen, er diese Vertragsregelungen noch nicht einmal kennen müsse. Er müsse nur wissen, daß er sich überhaupt AGB unterwirft. Freilich existierte dieser Unterschied niemals294. Wer seine Unterschrift unter eine von der anderen Vertragspartei individuell für diesen Vertrag aufgesetzte Vertragsurkunde setzt, ohne sie gelesen zu haben, ist ebenfalls an den Inhalt gebunden, obwohl ihm die Einzelbestimmungen unbekannt geblieben sind und sich sein wirklicher Wille deshalb nicht auf sie bezog. Allerdings geisterte diese Formulierung seither durch Literatur und Rechtsprechung und führte dazu, daß die Unterwerfung nicht mehr nur zur Beschreibung einer Tatsächlichkeit, sondern als dogmatischer Begriff verwendet wurde295. Man glaubte so die größtenteils nur vermeintlichen oder gerade erst durch diese Differenzierung erzeugten Unterschiede zum Vertragsschluß erklären zu können296. Auf die Gefahren, die sich aus der Verselbständigung der Unterwerfungserklärung ergaben, hatte Krause bereits 1952 hingewiesen297: »Im Jahre 1941 prägte das Reichsgericht den bedeutsamen Satz, daß der Abschluß eines Vertrages unter Berufung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen kaum noch eine echte vertragliche Vereinbarung […] sei, sondern viel eher die Unterwerfung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung bedeute. […] Auswirkungen auf die Frage des Vertragsschlusses konnten […] nicht ausbleiben. Wenn auch der Bundesgerichtshof mit Recht betont hat, daß es stets einer Unterwerfung beider Vertragsparteien bedürfe, so hat er doch – insoweit gleichfalls dem Reichsgericht folgend – schon darauf aufmerksam gemacht, es komme wenig darauf an, was dem in die fertig bereitliegende Rechtsordnung Eintretenden im einzelnen von deren Inhalt bekannt sei. Daraus wird sich eine Verstärkung der Tendenz ergeben, den bloßen Hinweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen an Stelle ihrer vollständigen Mitteilung genügen zu lassen; vor allen Dingen aber besteht bei der Vorstellung einer »Unterwerfung« die erhöhte Gefahr, den Rechtsakt seines wirklichen Willensgehaltes immer weiter zu entkleiden. An die Stelle einer echten Willenserklärung, die bewußt auf die Erhebung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Vertragsinhalt gerichtet ist, treten leicht äußere Tatbestände, die als Unterwerfung ausgegeben werden. […] Am Ende dieser Linie steht ein Rechtszustand, bei dem nicht mehr das ausdrückliche Einverständnis des Gegners die Gültigkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingungen trägt, sondern bei dem die Gültigkeit der einseitig zum Ver294
Ebenfalls kritisch z.B. Schmidt-Salzer (1967), S. 45 f. Wie das RG dagegen z.B. v. Nottbeck (1960), S. 13. 295 RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Rn. 38; Etzler (1961), S. 2, 89 ff. Vgl. außerdem Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; Staudinger/Brändl (11. Aufl. 1957), Einl. Bd. I Rn. 50. Ablehnend Krause, BB 1955, 265 f.; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 145 Vorbem 24a; Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 168; Schmidt-Salzer, BB 1967, 129 f. 296 Herschel, DR 1942, 754 ff. 297 Krause, BB 1952, 996.
II. Geltungsvoraussetzungen
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tragsinhalt gemachten Allgemeinen Bedingungen nur durch ausdrücklichen Widerspruch des Gegners vermieden werden kann. Der Weg, auf dem sich die angedeutet Entwicklung konkret vollzieht, ist die unklare Vermischung von Vertragsannahme und Bestätigungsschreiben.«
Das Unterwerfungsgeschäft wurde mit dem Beitritt zu einem Verein oder einer Rechtswahlklausel des internationalen Privatrechts verglichen298. 1967 sprach Schmidt-Salzer insoweit von einer kollisionsrechtlichen Verweisung, die er von einer materiellrechtlichen Verweisung unterscheiden wollte299. Bei der kollisionsrechtlichen Verweisung umfasse der Wille des Vertragspartners nicht die einzelnen Klauseln. Andere nannten diese Art der Verweisung eine globale Verweisung300. Bei der materiellrechtlichen Verweisung seien die einzelnen Klauseln dagegen Willensinhalt. Schmidt-Salzer selbst qualifizierte die Einbeziehungserklärung des Vertragspartners als Gestaltungsermächtigung an den Verwender gemäß § 315 BGB301 und versuchte so die Besonderheiten bei den Einbeziehungsvoraussetzungen zu erklären. All diese Erklärungen führten also dazu, daß der Wille des Vertragspartners in den Hintergrund gedrängt wurde, und sie mußten zur Folge haben, daß auch die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung immer weiter eingeschränkt wurde302. Neben den Fällen, in denen die Geltung der AGB auf eine, wenn auch nur stillschweigende, vertragliche Vereinbarung zurückgeführt werden konnte, schienen sich Fallkonstellationen zu etablieren, in denen der Wille des Vertragspartners keine oder eine nur noch untergeordnete Rolle spielte. Doch deutete sich seit Anfang der 70er Jahre eine Gegenentwicklung an. Es wurde wieder betont, von einer Einbeziehung könne nur ausgegangen werden, wenn eine Auslegung ergebe, daß der Vertragspartner der Geltung der AGB zugestimmt habe. Der Wille des Vertragspartners trat so wieder in den Vordergrund303: »Dieser Konstruktionen [der von Raiser, Krause und Meeske] bedarf es jedoch nicht. Daß die AGB unter den angeführten Voraussetzungen Vertragsinhalt werden, ergibt sich aus einer Auslegung der beiderseitigen Vertragserklärungen gemäß § 157. Erforderlich ist, daß bei Abwägung aller Umstände das Verhalten des Unternehmers eine für den Kunden erkennbare Verweisung auf seine AGB enthält und das Verhalten des 298 Eilles, DGWR 1941, 121; Herschel, DR 1941, 1728, spricht von einer »Vereinbarung besonderer Natur«; Helm, JuS 1965, 126. Dagegen v. Brunn (1956), S. 81 f.; Enneccerus/ Nipperdey II (15. Aufl. 1960), S. 1008 f. 299 Schmidt-Salzer (1967), S. 62. 300 Vorschläge (1974), S. 47. 301 Schmidt-Salzer (1967), S. 66 ff. 302 Vgl. hierzu Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 43 ff., 66. 303 Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B c. (Abk. aufgl.). Vgl. zudem F. Bydlinski (1967), S. 208 ff.; Grunsky, BB 1971, 1115; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 23 ff.; Emmerich, JuS 1972, 264 f. Kritisch dagegen z.B. Löwe, BB 1974, 97: »Die ›Grundwerte‹ des BGB enthalten […] allenfalls Ansatzpunkte für die Neuregelung der Einbeziehungsproblematik […]«. Entgegengesetzt Werber, FS Möller (1972), S. 522.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Kunden als Zustimmung zu dieser Verweisung gewertet werden kann. Ob das zutrifft, ist Frage des Einzelfalls, wobei auch Stellung und Beruf des Kunden zu berücksichtigen sind. Bei einem Vertrag mit einem Nichtkaufmann sind daher an eine stillschweigende Einbeziehung strengere Anforderungen zu stellen als im kaufmännischen Verkehr.«
F. Überraschende und unbillige Klauseln Nach § 305c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, daß der Vertragspartner mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Eine entsprechende Regel existierte, soweit ersichtlich, im 19. Jh. nicht304. Sie kristallisierte sich erst am Anfang des 20. Jh. heraus. Die Nichteinbeziehung einer überraschenden Klausel konnte der Verwender dadurch, daß er den Vertragspartner auf diese Klausel besonders hinwies305, sie besonders hervorhob306, oder durch den Nachweis, daß dem Vertragspartner die Klausel bekannt war307, vermeiden. Beim Anwendungsbereich dieser Grenze der Einbeziehung bestanden Differenzen. Einige wendeten sie auch an, wenn der Vertragspartner der Einbeziehung ausdrücklich zugestimmt hatte308. Die herrschende Meinung erwähnte sie dagegen zunächst nur im Rahmen des stillschweigenden Einverständnisses309. Die Rechtsfolge war nahezu unstreitig. Eine überraschende Klausel war von der Einbeziehung ausgeschlossen. Zum Teil wird zwar auch eine bloße Anfech304
Siehe aber oben § 2 VII C und D (S. 116 ff.). Neukirch (1933), S. 15; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Koehler (1934), S. 41; Roquette, JW 1938, 878; Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), Vorbem. § 688 Rn. 17; Meiss, VersR 1960, 963; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289; Grunsky, BB 1971, 1114 f. 306 So der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 2 Abs. 3 zur Geltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, abgedruckt bei Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 120. Das Ausschußprotokoll ist abgedruckt bei dens. (Hg.), Akademie III/4, S. 719 ff. 307 OLG Cassel (14.5.1920), SeuffA 76 (1921), 238, 240; Friedenthal (1929), S. 39; Neufeld/ Schwarz (1931), § 346 Rn. 23, 25; Hodum (1931), S. 26; Haus (1936), S. 27. 308 Danz, Auslegung (3. Aufl. 1911), S. 220 Fn. 1; Ehrenzweig, HansRGZ (A) 1929, 396 f.; Aretz (1933), S. 24; Koehler (1934), S. 41; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24. 309 Vgl. RG (16.3.1903), Holdh 12 (1903), 278; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; OLG Hamburg (5.12.1928), HansRGZ (B) 1929, 407; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Koehler, LZ 1927, 1452; Heidland (1929), S. 103 f., 149; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 22; Friedenthal (1929), S. 39; Hamelbeck (1930), S. 34; Hodum (1931), 16, 18 f., 21, 26; Mittelstein/Stern/Mittelstein, Miete (4. Aufl. 1932), S. 149; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 4g; Michel (1932), S. 27; Wienecke (1936), S. 49; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 339; RGRK-HGB/ Gadow (1941), § 346 Rn. 17a; Lukes, JuS 1961, 305; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289 ff.; Grunsky, BB 1971, 1114. Vgl. zudem Titze, Mißverständnis (1910), S. 374 Fn. 37. 305
II. Geltungsvoraussetzungen
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tungsmöglichkeit nach § 119 BGB erwähnt. Sie war aber auf die Fälle beschränkt, daß der Vertragspartner der Einbeziehung ausdrücklich zugestimmt hatte, dabei aber darüber im Irrtum war, daß die AGB nicht nur übliche Klauseln enthielten310. Anders als der heutige § 305c Abs. 1 BGB beschränkte sich die herrschende Meinung nicht auf überraschende Klauseln. Nach einigen sollten nur solche Klauseln einbezogen werden, mit denen der Vertragspartner billiger- und gerechterweise311, nach Treu und Glauben312 oder als normal denkender Mensch bei verständiger Überlegung313 rechnen konnte. Andere schlossen von der Einbeziehung überraschende314, außerordentliche315, außergewöhnliche316, ungewöhnliche317, unübliche318, unangemessene319, nicht verkehrsmäßige320, unverhältnismäßige321 oder unbillige322 Klauseln, Klauseln, denen der Vertragspartner »bei Kenntnis sicher widersprochen hätte«323 oder von denen anzu310 Hodum (1931), S. 22 f.; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 119 Rn. 48, § 145 Vorbem 24k; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 119 Anm. 13, § 157 Anm. 38; Soergel/ Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 100, 111. 311 BGH (29.9.1960), BGHZ 33, 216, 219; BGH (8.3.1955), BGHZ 17, 1, 3; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 92; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289. 312 Ehrenzweig, HansRGZ (A) 1929, 397. Ehrenzweigs Ausführungen bezogen sich auf Versicherungsverträge, und nach ihm sollte der Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben solche Klauseln nicht in den Versicherungsbedingungen vermuten müssen, die »versicherungswirtschaftlich unsinnig« sind. 313 OLG Hamburg (5.12.1928), HansRGZ (B) 1929, 407, 410. 314 OLG Cassel (14.5.1920), SeuffA 76 (1921), 238, 240; Held, BB 1973, 573. 315 Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 4g. 316 Goldschmit (1929), § 346 Anm. 22; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 25; Koehler (1934), S. 40; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 339; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), Einleitung Bd. I Anm. Ie; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 119 Rn. 48; Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), Vorbem. § 688 Rn. 17. 317 Heidland (1929), S. 149; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 23 ff.; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289. 318 RG (28.11.1917), Gruchot 62 (1918), 377, 379; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; RG (25.9.1928), BankA 1928/29, 185; RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Koehler, LZ 1927, 1452; Hamelbeck (1930), S. 34; Hodum (1931), S. 16, 18 f.; A. Koch, Banken (1931), S. 50; Michel (1932), S. 27; Mittelstein/Stern/Mittelstein, Miete (4. Aufl. 1932), S. 149; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Koehler (1934), S. 42; Wienecke (1936), S. 49; Soergel/Gerold (7. Aufl. 1939), § 242 Anm. II 3a; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 119 Rn. 48; Schmidt-Salzer (1967), S. 237; Grunsky, BB 1971, 1114. 319 Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289. 320 Michel (1932), S. 27. 321 Haus (1936), S. 26. 322 RG (28.11.1917), Gruchot 62 (1918), 377, 379; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289; Held, BB 1973, 573. 323 Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
nehmen ist, daß das Publikum sich ihnen nicht unterworfen hätte324, aus. Diese verschiedenen Maßstäbe wurden in der damaligen Theorie und Praxis überwiegend als gleichbedeutend verwendet325. Bei der Frage, welche Klauseln unter Anwendung dieser Maßstäbe als nicht einbezogen gelten, stellte man in erster Linie auf ihre faktische Branchenüblichkeit ab. Doch flossen auch wertende Gesichtspunkte ein, und zwar selbst bei denjenigen Autoren, die nur die Einbeziehung von faktisch unüblichen Klauseln ausscheiden wollten326. Der Ausschluß jeglicher Schadensersatz- oder Gewährleistungsansprüche sei so ungewöhnlich, daß er selbst bei faktischer Branchenüblichkeit als nicht einbezogen gelte327. Zum Teil wurde auch nach Art der Klausel oder nach Art des Geschäftes differenziert: Je einschneidender die Abweichungen vom dispositiven Recht zulasten des Vertragspartners waren, desto deutlicher mußte er sein Einverständnis erklären328. Je schneller der Vertragsschluß typischerweise von statten ging, desto deutlicher mußte auf außergewöhnliche Klauseln hingewiesen werden329. Aus heutiger Sicht würde man dies alles als unstatthafte Vermengung der Inhalts- und der »Einbeziehungskontrolle« ansehen330. So lautete auch schon 1935 Raisers Kritik331: »Die Berufung auf den Parteiwillen ist eben verkehrt, wo es sich darum handelt, eine an objektiven Maßstäben gemessene Unbilligkeit zu verhindern […]. Ist es dem Kunden nicht schon vor Vertragsschluß gelungen oder hat er es gar nicht erst versucht, unbillige Klauseln aus den AGB. auszumerzen, so kann seine Verweisungserklärung nicht willkürlich durch Auslegung eingeschränkt werden. […] Die Frage ist nur, ob der Staat diesen AGB. durch seine Garantie Geltung verschafft.«
Ganz ähnlich hatte sich bereits drei Jahre zuvor Michel geäußert332: 324 RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272; LG Frankfurt a.M. (19.11.1928), Eger 48 (1929), 174; LG Köln (17.10.1929), Eger 50 (1930/31), 70; RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 3; Hamelbeck (1930), S. 34; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 25; Hodum (1931), S. 18; Graul (1932), S. 49; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Haus (1936), S. 17; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a; Palandt/Danckelmann (5. Aufl. 1942), § 157 Anm. 5a. 325 Vgl. z.B. RG (14.2.1931), HansRGZ (B) 1931, 463; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289. Differenzierter Ehrenzweig, HansRGZ (A) 1929, 396 f.; Haus (1936), S. 19 f. 326 Ablehnend Lukes, FS Hueck (1959), S. 472 f. 327 Friedenthal (1929), S. 39; Koehler (1934), S. 42. 328 So z.B. Koehler, LZ 1927, 1453. 329 So z.B. Hodum (1931), S. 17. 330 Meeske, BB 1959, 861; v. Nottbeck (1960), S. 59 ff.; Mroch (1960), S. 14 f.; Weber, NJW 1968, 5; Ruhland (1968), S. 133 ff.; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 90. Kritisch auch Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N291. 331 Raiser (1935), S. 177. 332 Michel (1932), S. 27. Vgl. auch Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7.
II. Geltungsvoraussetzungen
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»Endlich entscheidet der Inhalt der GB. Hier tritt uns ein der Frage des Vertragsabschlusses an sich wesensfremdes Element als ausschlaggebend entgegen. Die allg. GB. müssen sich im Rahmen des Üblichen, Verkehrsmäßigen halten. Als Maßstab hierfür wird das Gesetz, besonders dessen nachgiebige Vorschriften, zu gelten haben.«
Doch war es wirklich eine solche verdeckte Inhaltskontrolle? Bei der Frage, ob AGB Vertragsbestandteil geworden sind, handelt es sich um ein Auslegungsproblem. In jede Auslegung fließen auch wertende Gesichtspunkte ein. Denn es gilt der Erklärungsinhalt als gewollt, den eine vernünftige Person an Stelle des Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte ihr beigemessen hätte. Diese Formel bietet gleich drei Ansatzpunkte, um wertende Momente zu berücksichtigen: Empfängerhorizont ist eine vernünftige Person. Die Erklärung ist nach Treu und Glauben auszulegen. Schließlich muß bei der Auslegung die Verkehrssitte berücksichtigt werden, aber eine Verkehrssitte ist ihrerseits nur beachtlich, wenn sie nicht mißbräuchlich ist. Und so war es selbstverständlich, daß der Annahme einer Einbeziehung auch Grenzen gesetzt sind. Solche Grenzen waren uns oben vielfach begegnet: Ein ausdrücklicher Hinweis auf AGB mußte klar und deutlich erfolgen. AGB in einer Urkunde durften nicht zu klein gedruckt sein. Ein Aushang mußte deutlich sichtbar angeschlagen sein. Es mußte der Verkehrssitte entsprechen, daß AGB ausgehängt werden. Prima facie kann aus den Grundsätzen der normativen Auslegung auch hergeleitet werden, daß AGB nicht unüblich, nicht überraschend oder nicht unbillig sein dürfen333. Denn diese Grenze der Einbeziehung war nach zumindest herrschender Meinung auf die Fälle des stillschweigenden Einverständnisses beschränkt. Veröffentlicht ein Verwender seine AGB, so darf er, sofern die Veröffentlichung handelsüblich ist, davon ausgehen, daß sich der Vertragspartner bei Vertragsschluß auch stillschweigend mit der Einbeziehung der AGB einverstanden erklärt. Mangels einer ausdrücklichen Erklärung darf der Verwender jedoch nach Treu und Glauben nicht unterstellen, daß sich der Vertragspartner mit jeder noch so unbilligen Klausel einverstanden erklärt. Nun kann man sicherlich auch anderer Meinung sein, und Bedenken wurden ja auch schon von Raiser und Michel geäußert. Welcher Ansicht der Vorzug zu geben ist, kann an dieser Stelle noch offen bleiben334. Wichtig scheint mir hier nur folgendes: Bei Lektüre moderner Darstellung erhält man den Eindruck, als habe man damals die Einbeziehungsvoraussetzungen generell instrumentalisiert, um so die Mängel, die sich aus dem Fehlen einer offenen Inhaltskontrolle ergeben, zu mildern. Diese Kritik scheint mir zumindest 333 Vgl. die unterschiedlichen Ansätze von RG (25.9.1928), BankA 1928/29, 185; Hodum (1931), S. 19 f.; Koehler (1934), S. 41; Haus (1936), S. 18 ff., 22 ff.; Haupt (1937), S. 57; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 339; Krause, BB 1955, 266; Droste, DB 1957, Beilage 10; Meiss, VersR 1960, 963. 334 Siehe noch unten § 13 II A 1 l (S. 419) und B 1 h (S. 429 f.).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
für die Zeit bis in die 30er Jahre überzogen zu sein. Freilich können wir seit den 30er Jahren auch eine solche Instrumentalisierung der Einbeziehungsvoraussetzungen beobachten, so 1937 bei Haupt335. Er kritisierte die Monopolrechtsprechung als wenig effektiv und erklärte zur Grenze der Einbeziehung336: »Denn, wenn die AGB dazu da sind, um den modernen Massenverkehr […] zu ordnen, dann folgt daraus, daß nur derjenige Teil ihres Inhalts diesem Ziel dient, der sich wirklich auf die Regelung der typischen Verträge und Tatbestände beschränkt. Nur diesen Inhalt kann auch der Kunde nach Treu und Glauben in den umfangreichen Formularen vermuten. Sofern sich aber in den AGB Bestimmungen befinden, die ganz außergewöhnliche Tatbestände betreffen, so besteht von vornherein der Verdacht, daß hier der Verfasser des Vordrucks über die Grenzen geschäftlicher Notwendigkeiten hinausgegangen ist und sich einen Sondervorteil zu verschaffen sucht, den er im Wege eines Individualvertrages im Rahmen der Vertragfreiheit nie hätte erreichen können. Derartige Klauseln dienen nicht mehr der Anpassung der abstrakten, gesetzlichen Regelung an die besonderen Verhältnisse bestimmter Geschäftsbeziehungen.«
Haupt dehnte den Maßstab dieser Einbeziehungsgrenze aus. Nicht allein unbillige Klauseln sollten von der Zustimmung des Vertragspartners nicht mehr gedeckt sein, sondern alle Klauseln, die nicht zur Funktion haben, juristisch notwendige Anpassungen des Dispositivrechts an den besonderen Vertrag vorzunehmen. Zudem erweiterte Haupt den Anwendungsbereich dieser Einbeziehungsgrenze auf den Fall, daß sich der Vertragspartner ausdrücklich mit der Einbeziehung der AGB einverstanden erklärt337. Schließlich lehnte auch Raiser nicht jedwede Berücksichtigung der Unbilligkeit oder Ungewöhnlichkeit einer Klauseln ab. In erster Linie wollte er das Problem durch eine Inhaltskontrolle lösen. Habe der Vertragspartner seine Erklärung indes in dem Glauben abgegeben, die AGB enthielten nur Übliches und Gewöhnliches, und stellt sich sodann heraus, daß die AGB einen unüblichen oder ungewöhnlichen Inhalt haben, so könne er seine Erklärung anfech335 Haupt (1937), S. 10 f. Zu weitgehend auch Haus (1936), S. 25 (Abkürzungen aufgelöst): »Bedingungen also, welche dem Kunden Nachteile auferlegen, die in keinem Verhältnis zu der von ihm zu erbringenden Gegenleistung und zu dem vom Unternehmer zu tragenden Risiko stehen (unverhältnismäßig harte Bedingungen), werden nicht Inhalt des Vertrages.« SchmidtSalzer (1967), S. 235 ff.; ders. (1971), Rn. 131, wollte praktisch die gesamte Inhaltskontrolle über die Auslegung der Einbeziehungsvereinbarung lösen. 336 Haupt (1937), S. 11. 337 So wohl auch der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 2 Abs. 3 zur Geltung von AGB, abgedruckt in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 120 (das Ausschußprotokoll findet sich bei dens. (Hg.), Akademie III/4, S. 719 ff.); Soergel/ Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 14; v. Lüpke, BB 1956, 609; Bindels, BB 1958, 16 f.; Veith, DB 1964, 907; Schmidt-Salzer, NJW 1967, 375 ff.; Held, BB 1973, 573; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6B e bb. Zu weitgehend Schoreit, MDR 1964, 206 f., der auch in den Fällen des ausdrücklichen Einverständnis eine Einbeziehung schon dann ablehnen will, wenn der Vertragspartner die AGB nicht verstanden hat.
II. Geltungsvoraussetzungen
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ten338. Schon Siegel hatte darauf hingewiesen, daß diese Anfechtungsmöglichkeit nicht in Widerspruch zu der von ihm entwickelten Figur der Risikoerklärung stehe: Anders als bei der Telquelerklärung339 unterwerfe sich der Vertragspartner nicht bedingungslos einer Urkunde unbekannten Inhalts. Das übernommene Risiko sei vielmehr beschränkt340. Allerdings erkannte Raiser, daß die Irrtumsanfechtung nur eine schwache Hilfe für den Vertragspartner ist, weil sie ihn vor die Schwierigkeit stellt, seinen Irrtum zu beweisen. Siegel wollte zur Überwindung dieser Schwierigkeiten eine Beweislastregel heranziehen341: »Zu Hilfe kommt ihm hiebei die praesumptio facti, daß niemand sich Beschwerungen unbesehen aufbürden zu lassen pflegt, die im Verkehr nicht üblich sind.«
Raiser verwies weiter darauf hin, daß die Rechtsfolgen einer erfolgreichen Irrtumsanfechtung unklar seien. Zudem war Raisers Ansicht nicht unumstritten. v. Tuhr hatte einen solchen Irrtum schon zuvor als Motivirrtum betrachtet342. Raiser ließ diesen Einwand nicht gelten343: »Überdies ist die Rücksicht auf den Gegner, die sonst den Motivirrtum von den Anfechtungsgründen ausschließt, weil der Gegner die Vorstellungen, die den Erklärenden zur Abgabe seiner Erklärung veranlassen, nicht kennt und nicht zu kennen braucht, hier nicht am Platze. Der Unternehmer weiß, daß der Kunde sich auf die AGB. einläßt, ohne sie näher zu kennen. Er weiß, daß der Kunde dabei auf ihre Übereinstimmung mit dem sonst Üblichen vertraut. […] Mithin wäre es nicht gerechtfertigt, einem so entstandenen Irrtum über den Inhalt der AGB. die rechtliche Beachtung zu versagen.«
Doch wegen der Schwierigkeiten bei der Irrtumsanfechtung als Schutz vor überraschenden AGB zeigte Raiser einen weiteren Weg auf344: »Der Kunde bedarf also eines wirksameren Schutzes gegen Überraschungen. Und zwar braucht dieser Schutz im Gegensatz zu der eben besprochenen Sicherung gegen unangemessene AGB., die im öffentlichen Interesse generell in allen Anwendungsfällen solcher AGB. einzugreifen hat, nur jeweils gerade dem Kunden zugutezukommen, der mit der ungewöhnlichen Bestimmung nicht rechnen konnte. Die Lösung ergibt sich aus der Erwägung, daß der Unternehmer nach Treu und Glauben verpflichtet ist, diejenigen Kunden, bei denen er nicht schon eine genauere Kenntnis seiner AGB. voraussetzen kann, auf ungewöhnliche Bestimmungen aufmerksam zu machen. Unterläßt er das und versteckt er die Klauseln an einer unauffälligen Stelle, so […] kann sich der Kunde auch damit begnügen, mit einer exceptio doli die Anwendung gerade dieser Klausel abzuwehren.« 338 339 340 341 342 343 344
Raiser (1935), S. 177 f., 246 ff. So auch schon Siegel, AcP 111 (1914), 93 f. Zum Begriff der Telquelerklärung siehe oben Fn. 160. Siegel, AcP 111 (1914), 93. Siegel, AcP 111 (1914), 94. v. Tuhr II/1 (1914), S. 571 Fn. 18. Raiser (1935), S. 247. Raiser (1935), S. 178. Zustimmend Krause, BB 1955, 266.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
v. Tuhr dagegen wollte eher von einer arglistigen Täuschung ausgehen, wenn die AGB Klauseln enthielten, mit denen der Vertragspartner nach Treu und Glauben nicht zu rechnen brauchte345. Herschel glaubte 1942, das Problem überraschender Klauseln sei mit Hilfe einer culpa in contrahendo zu lösen346. Und wieder andere wollten überraschende Klauseln allein im Rahmen einer Inhaltskontrolle ausscheiden. Sie widersprächen den guten Sitten und dem Grundsatz von Treu und Glauben und seien daher nicht mehr von einer berechtigten Ausübung der Vertragsfreiheit gedeckt347.
G. Unklare, unverständliche und zweideutige Klauseln Eine weitere Grenze der Einbeziehung klingt nur selten an. Das Oberlandesgericht München verlangte 1924, »daß die Geschäftsbedingungen mit Rücksicht auf Treu u. Glauben im Verkehr klar, unzweideutig u. dem Kundenkreis verständlich sind«348. Nur dann könne eine stillschweigende Einwilligung des Vertragspartners in die Einbeziehung angenommen werden. Ganz ähnlich führte das Kammergericht schon 1906 in Hinblick auf Aushänge in Gepäckstellen an Bahnhöfen aus349: »Das Verlangen der Beklagten, daß die von ihr bekannt gemachten Bedingungen für jeden bindend sein müßten […], kann nur insoweit anerkannt werden, als die Bekanntmachung für jedermann ohne weiteres verständlich ist. Dieses Erfordernis ist um so dringender zu stellen bei einem Geschäftsverkehr, wie er hier vorliegt. Die Reisenden haben bei der Eile und dem Andrange, unter dem sich gerade auf den B.er Bahnhöfen der Verkehr vollzieht, ein besonderes Interesse, mit klaren und jeden Zweifel ausschließenden Ausdrücken Kenntnis davon zu erhalten, welches die Bedingungen sind, denen sie sich unterwerfen sollen.«
Auch die Literatur erwähnt gelegentlich diese Grenze350: »Eine solche Möglichkeit der Kenntnisnahme ist immer dann gegeben, wenn der Anschlag bei Beobachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht übersehen werden kann. Augenfälligkeit des Anschlages, kurze und klare Ausdrucksweise, deutliche Hervorhebung derjenigen Bedingungen, die im Verkehr als außergewöhnliche Bedingungen anzusprechen sind, müssen für die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügen.« 345
v. Tuhr II/1 (1914), S. 571 Fn. 18. Herschel, DR 1942, 755. Vgl. auch Diederichsen, ZHR 122 (1969), 253. 347 RGRK-BGB/Schack (9. Aufl. 1939), Vor § 688 Anm. 1. 348 OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272. 349 KG (3.11.1906), OLGR 14 (1907), 371, 373. 350 Hodum (1931), S. 17. Vgl. auch Neukirch (1933), S. 7; Michel (1932), S. 34 (»Private GB.en sind nur dann geeignet, durch Veröffentlichung Vertragsbestandteil zu werden, wenn ihr Sinn vom Kunden bei gehöriger Sorgfalt erfaßt werden kann.«); Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N289. 346
II. Geltungsvoraussetzungen
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Nach Hodum konnte die Kenntnisnahmemöglichkeit bei unklaren AGB beeinträchtigt sein. Raiser lehnte auch diese Grenze der Einbeziehung ab351.
H. Handelsbrauch Einzelne AGB-Klauseln, ganze Klauselwerke oder die Tatsache, daß überhaupt unter Einbeziehung von AGB kontrahiert wird, können zu einem Handelsbrauch erstarken. Dann werden durch den Handelsbrauch nicht nur die einzelnen Einbeziehungsvoraussetzungen modifiziert, etwa insoweit, als eine Veröffentlichung den Hinweis auf die AGB ersetzt. In diesen Fällen ist vielmehr eine Geltungsabrede ganz entbehrlich. Oder anders ausgedrückt: nicht die Voraussetzungen, unter denen von einer Zustimmung des Vertragspartners zu den AGB ausgegangen werden kann, werden wegen eines Handelsbrauchs modifiziert; die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist aufgrund des Handelsbrauchs ganz entbehrlich. Oder wieder anders: Der Handelsbrauch findet nicht bei der Auslegung, also bei der Frage, ob der Vertragspartner der Einbeziehung der AGB zugestimmt hat, Berücksichtigung, sondern er führt dazu, daß die AGB unabhängig von einer Geltungsabrede als einbezogen gelten, so daß es einer Auslegung gar nicht bedarf. Hier offenbart sich ein Verständniswandel. Im 19. Jh. galt ein Handelsbrauch nur dann, wenn ihn die Parteien kannten oder zumindest kennen mußten und wenn deshalb unterstellt werden konnte, daß sie ihn zum Vertragsbestandteil machen wollten. Nunmehr gelten Handelsbräuche unabhängig vom Willen der Parteien. Auch wenn das alte Verständnis noch fortwirkte352, vollzog sich dieser Wandel bereits zu Beginn des 20 Jh.353.
351
Raiser (1935), S. 176. RG (16.10.1903), RGZ 55, 375, 377; OLG Hamburg (5.1.1923), SeuffA 78 (1924), 153; Gutsche/Behrend (1905), S. XXXII; Heilfron I (1907), S. 71; Dove, JW 1916, 369; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 3; G. Meyer (1928), S. 15 ff., Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IIIf; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. IVf. Zwischen den Ansichten stehen Lehmann (2. Aufl. 1912), S. 52 f.; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 1. Vgl. zu dem Bedeutungswechsel auch Sachse, AcP 127 (1927), 288 ff.; Limbach, FS Hirsch (1968), S. 77 ff.; HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 63. 353 Staub (6. und 7. Aufl. 1900), Allgemeine Einleitung Rn. 19; Danz, Auslegung (3. Aufl. 1911), S. 140; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 66 ff., 72 ff.; Goertz (1914), S. 40 ff.; Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), 150 f., 158 f.; Hueck, JhJb 23 (1923), 50 Fn. 17; Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 51; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 157 Anm. 3; Fabisch (1926), S. 8 ff.; Krusemeyer (1927), S. 11; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 1; MüllerErzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 50 f.; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 6 ff.; Guthaner (1929), S. 4 f.; Hamburger (1930), S. 15; Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 17 ff.; Hodum (1931), S. 37; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 2, 12; Michel (1932), S. 66 f.; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 27; Graul (1932), S. 9 f., 22; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 2 f., 9; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 21; Koehler (1934), S. 15; RGRK-BGB/Lobe (9. Aufl. 1939), Einleitung Bd. I Anm. I 8. 352
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Die praktischen Konsequenzen dieses Wandels für die Auslegung sind prima facie gering. Schon im 19. Jh. führte der mit dem Handelsbrauch verknüpfte Vermutungstatbestand, daß das Übliche als gewollt galt, zu einer Verobjektivierung der Auslegung. Man leitete die Geltung der Handelsbräuche aus einem vermuteten Willen ab. Im 20. Jh. verzichtete man auf den Willen als Geltungsgrund der Handelsbräuche ganz. Und auch die praktischen Konsequenzen für die Irrtumsanfechtung waren wohl nicht besonders groß. Im 19. Jh. war eine Irrtumsanfechtung regelmäßig ausgeschlossen, weil ein Irrtum über einen Handelsbrauch unentschuldbar war. Gelten Handelsbräuche dagegen willensunabhängig, so liegt es nahe, auch einen Irrtum über ihr Bestehen oder ihren Inhalt als generell unbeachtlich anzusehen354. Zur Begründung des Ausschluß der Anfechtung wurde auch auf die Interessen der Verkehrssicherheit hingewiesen355. Nur eine praktische Konsequenz mußte dieser Bedeutungswandel haben. Im 19. Jh. kam es nur auf die faktische Übung an. Ein Handelsbrauch konnte sich entsprechend einfach etablieren. Seit dem 20. Jh. ist die Annahme eines Handelsbrauchs an eine zusätzliche Voraussetzung geknüpft. Er muß als maßgeblich angesehen, also gebilligt werden. Er wird befolgt, weil die am Verkehr Beteiligten dies nicht nur als zweckmäßig erachten, sondern weil sie dies erwarten und erwarten dürfen. Als Folge dürfte ein Handelsbrauch im 20. Jh. wohl nur noch sehr viel seltener angenommen worden sein, als noch im 19. Jh.356. Zudem kam es zu einer Problemverlagerung: Ist üblicherweise problematisch, ob sich die Parteien auf die Einbeziehung der AGB geeinigt haben, so ist in dieser Fallgruppe allein fraglich, ob sich ein entsprechender Handelsbrauch gebildet hat. Betrachten wir vor diesem Hintergrund nun die Entwicklungen im AGBRecht: Im 19. Jh. war unstreitig, daß das Kontrahieren unter Einbeziehung von AGB einen Handelsbrauch darstellen kann. Zu Beginn des 20. Jh. wurde ein entsprechender Handelsbrauch für die Speditionsbedingungen zunächst abgelehnt357, später hingegen der Sache nach angenommen358. Auch für die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen von 1919 wurde das Bestehen eines solchen Brauches angenommen359. Aber weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung wurde das vertiefend erörtert360. 354 So z.B. Hodum (1931), S. 44; Graul (1932), S. 26 ff.; Raiser (1935), S. 161; 244; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 338; Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 31. Einschränkend Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 119 Rn. 14c, § 133 Rn. 16. 355 Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 157 Rn. 31, 44, 66. 356 So im Ergebnis auch Basedow, ZHR 150 (1986), 469 ff. 357 OLG Hamburg (28.6.1919), SeuffA 74 (1919), 286; RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341; OLG Hamburg (24.2.1927), Eger 46 (1928), 65 mit abl. Anm. Senckpiehl. 358 Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 6; Hamelbeck (1930), S. 36. Vgl. auch Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50. 359 Haus (1936), S. 75. 360 Vgl. Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 306 ff.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 336 f.; Helm, JuS 1965, 125. Ausführlich Sonnenberger (1969), S. 103 ff.
II. Geltungsvoraussetzungen
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Zudem wurde darauf verwiesen, daß der Inhalt von in AGB enthaltenen Bestimmungen selbst zum Handelsbrauch erstarken könne361. Daß ein bestimmtes Bedingungswerk in seiner Gesamtheit zu einem Handelsbrauch wird, sollte schon wegen der Vielgestaltigkeit der einzelnen Klauseln und wegen des Umfanges des Bedingungswerkes die Ausnahme darstellen362. Es ging in der Regel allein um die Frage, ob einzelne Klauseln sich zu einem Handelsbrauch gewandelt haben363. Daß allenfalls einzelne Klauseln zum Handelsbrauch erstarken, wurde auch wie folgt begründet: Viele Klauseln kommen regelmäßig überhaupt nicht zur Anwendung, weil der Fall, den sie regeln sollen, selten oder nie eintritt. Dann fehlt es aber bereits an einer gleichmäßigen Übung über einen angemessenen Zeitraum als Voraussetzung eines Handelsbrauchs364. Nur für die ADSp wurde seit den 30er Jahren für einige Zeit angenommen, daß sie insgesamt einen Handelsbrauch darstellen365. Im übrigen wies die Literatur darauf hin, daß Vorsicht geboten sei, bevor von einem Handelsbrauch ausgegangen werden könne366. Insbesondere wurde herausgestellt, daß gerade die Verwender der AGB ein Interesse daran hätten, daß ihren AGB die Kraft eines Handelsbrauchs zukomme, damit sie so ohne Erfüllung der Einbeziehungsvoraussetzung Geltung beanspruchen könnten. Pointiert wurde den Verwendern von AGB vorgehalten, daß sie dadurch Handelsbräuche schaffen wollten, daß sie ihre AGB zu solchen Handelsbräuchen erklärten. Und in der Tat bestanden Bestrebungen der Unternehmerverbände, aber auch der Handelskammern, Handelsbräuche zu sammeln, zu vereinheitlichen und zu kodifizieren367. Solche Werke enthielten in der Regel nicht nur Handelsbräuche im 361 Hueck, JhJb 73 (1923), 49 f.; Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50; Staub/ Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Krusemeyer (1927), S. 12; Senckpiehl, Eger 46 (1928), 66 f.; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Goldbaum (1930), § 346 S. 459; Hamelbeck (1930), S. 33; Hodum (1931), S. 32 f., 37 ff.; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 24; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 27; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 21; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 91. 362 Koehler (1934), S. 15; RGRK-HGB/Gadow (1940), Einl. Bd. I Rn. 27. 363 Graul (1932), S. 42 f. 364 Koehler (1934), S. 15; Krause, BB 1955, 267; Gallois, JR 1956, 47. 365 Siehe oben die Nachweise in Fn. 116 und in Fn. 124. 366 Krusemeyer (1927), S. 12; Müller-Erzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 51; G. Meyer (1928), S. 10; Löning, MJenaerIWR 1930, 13, 16; Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 18 f.; Hodum (1931), S. 41; Graul (1932), S. 11, 36 ff.; Michel (1932), S. 67 f.; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 10; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 23; Kost (1933), S. 9; Koehler (1934), S. 16 f.; Raiser (1935), S. 162; Haus (1936), S. 91 f.; Haupt (1937), S. 5 f.; H. Hildebrandt, AcP 143 (1937), 336 f.; Ewald, BB 1951, 884; Nastelski, DRiZ 1955, 212; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 88; Schmidt-Salzer (1967), S. 132 ff.; Ruhland (1968), S. 139 ff. Vgl. auch K. Sieg, BB 1953, 987. 367 Vgl. z.B. die Sammlung von Gutsche/Behrend (1905). Vgl. auch Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), 186; O. Schreiber (1922), S. 17 ff.; Deparade (1927), passim; Raiser (1935), S. 44 f.; Ruhland (1968), S. 139 f. Positiv standen dieser Tätigkeit Dove, JW 1916, 368 ff.; Fabisch (1926), S. 1 ff. und Guthaner (1929), S. 7 f., gegenüber. Aus der Rechtsprechung vgl. z.B. OLG
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
eigentlichen Sinn, sondern auch die üblichen AGB368. Gegen diese Bestrebungen wurde eingewandt, daß die Vertragspartner solchen AGB, die das dispositive Recht einseitig zugunsten des Verwenders abändern, die Billigung als Handelsbrauch verweigerten und sich ihnen allenfalls widerwillig unterwerfen369. Auch durch stetige Anwendung dieser AGB könnten sie deshalb nicht zu einem Handelsbrauch erstarken370. Schon zu Beginn des 20. Jh. setzten sich schließlich die Verbände, die die Vertragsparteien an bestimmten Verträgen repräsentierten, zusammen und einigten sich auf AGB. Dabei hegten sie den Wunsch, daß sich diese AGB als Verkehrssitte und Handelsbrauch etablieren werden371.
I. Widerstreitende allgemeine Geschäftsbedingungen Ein Problem, das, soweit ersichtlich, im 19. Jh. weder die Rechtsprechung noch die Literatur thematisierte, rückte Anfang des 20. Jh. ins Blickfeld: das der widerstreitenden AGB. Daß uns dieses Problem im 19. Jh. nicht begegnete, mag an der Stoffauswahl im ersten Kapitel liegen. Im Transportrecht ist es unwahrscheinlich, daß Versender eigene Transportbedingungen aufstellen, und Versicherungsnehmer und Herbergsgäste arbeiten üblicherweise ebenfalls keine eigenen AGB aus. Anfang des 20. Jh. waren die drei möglichen Lösungen schnell herausgearbeitet372, nämlich erstens daß der Vertrag wegen Dissenses nichtig ist, zweitens daß die Partei, die schließlich schweigt, sich so stillschweigend den AGB der anderen Partei unterwirft und drittens daß das dispositive Recht gilt, soweit sich die AGB widersprechen. Leo und Großmann-Doerth bevorzugten die zweite Lösungsmöglichkeit373. Leo hatte freilich auch schon die Grenzen dieser Lösung aufgezeigt374: 368 Stuttgart (9.6.1925), Eger 43 (1926), 215, das allerdings verlangte, daß die AGB von der Handelskammer auch ausdrücklich als Handelsbrauch anerkannt worden sein müßten, um als solcher zu gelten. 368 Deparade (1927), S. 4. Vgl. aus der modernen Literatur Nörr (1988), S. 53 f. 369 So z.B. Deparade (1927), S. 24; Ewald, BB 1951, 884. In eine ganz andere Richtung ging die Kritik von O. Schreiber (1922), S. 48 ff.; er wandte sich dagegen, daß die kodifizierten Handelsbräuche in so weitem Umfang vom dispositiven Recht abwichen, und forderte eine Inhaltskontrolle; Maßstab sollte das dispositive Recht sein. 370 Vgl. z.B. Deparade (1927), S. 24; Lukes, JuS 1961, 304. 371 Vgl. K. Schneider, JhJb 59 (1911), 383 f. (für den Kartoffelhandel); Ehrenzweig, HansRGZ (A) 1929, 393 (für das Versicherungsgewerbe); zu den ADSp siehe oben den Text nach Fn. 102. Weitere Beispiele bei Michel (1932), S. 3; Raiser (1935), S. 44 f. 372 Leo, ZBlHR 1926, 119; Raiser (1935), S. 222 ff. Vgl. außerdem Titze, Mißverständnis (1910), S. 438 Fn. 71. 373 Leo, ZBlHR 1926, 119; Großmann-Doerth, JW 1930, 3724. So wohl auch OLG Hamburg, HansGZ (Hbl) 1912, Nr. 132. 374 Leo, ZBlHR 1926, 120.
II. Geltungsvoraussetzungen
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»Natürlich kann das nicht zu dem Ergebnis führen, daß beide Parteien sich gegenseitig mit Protesten überschütten müßten und dann der Sieger bliebe, der das letzte Wort gehabt hat. Wo aus dem Verhalten einer Partei klar erhellt, daß ihr Stillschweigen keine Billigung bedeutet, ist die Annahme einer solchen nicht möglich.«
Andere bevorzugten dagegen regelmäßig die dritte Lösung375. Wieder andere wollten in der Regel von einem Dissens ausgehen376. Allerdings gaben die Vertreter der einzelnen Ansichten zu, daß eine Auslegung ausnahmsweise auch zu einem anderen Ergebnis führen könne. Raiser verwies schließlich darauf, daß es eine einheitliche Lösung nicht geben könne377: »Einen Zauberschlüssel, der für alle diese Verwicklungen glatt paßte, suchen wir vergeblich. Mit Radikallösungen ist den Parteien nicht gedient. Weder geht es an, beide AGB. nebeneinander gelten zu lassen, ihren Inhalt zu harmonisieren, so gut es geht, und das schlechthin Unvereinbare eben wegzustreichen, noch sollte man ohne Not den ganzen Vertrag deswegen für nichtig erklären.«
Die Theorie des letzten Wortes kritisierte er dagegen als »reichlich primitiv«378. Die nachfolgende Literatur und Rechtsprechung vermochte all dem nur noch einzelne Aspekte, aber nichts grundsätzlich neues mehr hinzuzufügen379. Ein Argument, das gerade in der neuesten Diskussion wieder hervortritt380, hatte Raiser ebenfalls schon erkannt und abgelehnt: Auf »den Inhalt der AGB. etwa in dem Sinne, daß die angemessenere Regelung den Vorzug verdiene«, komme es nicht an381.
J. Zusammenfassung 1. Kodifikationsübergreifenden Kontinuitätslinien Betrachtet man die Voraussetzungen, wann im 20. Jh. vor Inkrafttreten des AGBG von einer Geltungsabrede ausgegangen wurde, so sind die Kontinuitätslinien zum 19. Jh. geradezu offensichtlich. Daß es sich um wirkliche Kontinuitätslinien handelt, offenbart sich darin, daß Literatur382 und Rechtspre375
Michel (1932), S. 24; Haupt (1937), S. 62. Hamelbeck (1930), S. 31 f.; Heidland (1929), S. 140 ff. 377 Raiser (1935), S. 223. 378 Raiser (1935), S. 224. 379 Vgl. die Darstellungen bei W. Schneider, BB 1951, 743; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), § 150 Rn. 4; Haberkorn, MDR 1961, 820; Lukes, JuS 1961, 305 f.; Flume II (1. Aufl. 1965), S. 672; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 95; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N292 ff.; Schmidt-Salzer, BB 1968, 69; dems., BB 1971, 595 ff.; Emmerich, JuS 1972, 265. 380 Rühl, (2003) 24 UPJEL 189 ff. (die jeweils effizienteste Klausel solle gelten). 381 Raiser (1935), S. 225. 382 Siehe vor allem Leist, AcP 102 (1907), 215 ff., 241 ff., 248 f.; und weiter z.B. Staub (6. und 7. Aufl. 1900), § 346 Rn. 15, Exkurs § 372 Rn. 26; Bernstein, BankA 1905, 166; Regelsberger, BankA 1906, 171; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 379 ff.; dens., Handelskauf (1918), 376
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
chung383 nach 1900 ganz offen Urteile zitierten, welche die Rechtslage vor 1900 betrafen. Auch die Literatur des 19. Jh. wurde nach Inkrafttreten des BGB weiter zitiert384. Das BGB brachte also keine Zäsur mit sich. Das hat vornehmlich zwei Gründe: (a) Im 19. Jh. war das AGB-Recht in Kommentaren zum ADHGB behandelt worden, vor allem zu Art. 279 ADHGB, und bis in das 20. Jh. hinein wurde es entsprechend als handelsrechtliche Materie angesehen385. Die gleichzeitig mit dem BGB in Kraft getretene Handelsrechtsreform führte in den hier interessierenden Bereichen zu keinen grundlegenden Änderungen. Und so konnte in der 6. und 7. Aufl. von Staubs Kommentar zum Handelsgesetzbuch aus dem Jahre 1900 bei § 346 HGB die Behandlung des AGB-Rechts gegenüber der Kommentierung zu Art. 279 ADHGB in den Vorauflagen fast unverändert erscheinen386. Zwar wurden nach 1900 AGB bei § 346 HGB zunächst nicht insgesamt diskutiert. Kann für die Frage der Einbeziehung von AGB in den Vertrag auf § 346 HGB doch nur dann abgestellt werden, wenn es sich um einen Vertrag zwischen zwei Kaufleuten handelt. Und selbst bei einem solchen Vertrag kommt es auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten dann nicht an, wenn ausdrücklich auf die AGB verwiesen wurde. Entsprechend wurden in der 6. und 7. Aufl. von Staubs Kommentar auch nur Fälle diskutiert, in denen es für eine Einbeziehung ausnahmsweise ausreichen sollte, daß der Verwender seine AGB veröffentlicht hatte387. Seit Mitte der 20er Jahre wurde es üblich, AGB in den Kommentierungen zu § 346 HGB zwar knapp, aber dennoch umfassend abzuhandeln388. Erst seit den 30er Jahren setzte sich die Erkenntnis
383 S. 376; Brodmann (1918), S. 102; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 17; Becker, RuH 1927, 252; Isaac (1928), S. 69; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 654; Müller-Erzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 544; Heidland (1929), S. 141; Friedenthal (1929), S. 36; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 16, 21; Hamelbeck (1930), S. 5 ff., 20, 24, 27, 31, 34; Woite (1931), S. 16 f.; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 31; A. Koch, Banken (1931), S. 47; Hodum (1931), S. 15, 24, 25, 28, 29, 30, 38; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7, 10k; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 11; Michel (1932), S. 14 f., 22, 25, 35, 37; Raiser (1935), S. 140, 201 f.; Husmann (1935), S. 9; Wienecke (1936), S. 49; Haupt (1937), S. 28; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a. 383 Siehe z.B. RG (4.7.1902), RGZ 52, 133, 135; RG (6.3.1903), Holdh 12 (1903), 165; RG (9.3.1903), Holdh 13 (1904), 105; RG (9.3.1903), Holdh 13 (1904), 224; KG (3.11.1906), OLGR 14 (1907), 371; KG (8.12.1906), OLGR 14 (1907), 373; RG (8.3.1907), RGZ 65, 329; RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; RG (24.10.1922), RGZ 105, 289; RG (2.10.1928), RGZ 122, 75. 384 Siehe z.B. Fabisch (1926), S. 4; Beelken (1929), S. 31; Michel (1932), S. 2, 21, 33, 35; Raiser (1935), S. 201; Haus (1936), S. 8, 14, 35, 89. 385 Vgl. z.B. Hodum (1931), S. 9; Graul (1932), S. 12 f.; Haus (1936), S. 1. 386 Vgl. Staub (6. und 7. Aufl. 1900), § 346 Rn. 15 und Staub (1. Aufl. 1893), Art. 279 Rn. 5. 387 Staub (6. und 7. Aufl. 1900), § 346 Rn. 15. 388 In Staubs Kommentar erfolgte eine umfassende Kommentierung seit der 12. und 13. Aufl.: Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17 ff. und Anhang zu § 361 Rn. 13a. Vgl. außerdem die Kommentierungen bei Neufeld/Schwarz (1931), § 346, Rn. 23 ff.; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7.
II. Geltungsvoraussetzungen
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durch, daß es sich bei der Einbeziehung von AGB um ein bürgerlichrechtliches Problem handelte389. Seit den 40er Jahren wurde das AGB-Recht in den Kommentaren zum BGB, und zwar zu der Parallelvorschrift des § 346 HGB, nämlich zu § 157 BGB390, sowie vor § 145391 und vor § 241 BGB392, umfassend diskutiert. (b) Die Kontinuitätslinien erklären sich auch daraus, daß die Diskussionen um AGB zunächst sehr kontextbezogen geführt wurden und es in diesen Kontexten 1900 zu keinen entscheidenden Änderungen kam: Da waren einerseits das Transportrecht und das Versicherungsrecht. Ende des 19. und Anfang des 20. Jh. traten andererseits die AGB der Banken in Wissenschaft und Praxis in den Vordergrund. Sie setzten sich erst sehr viel später als die AGB der Transportanstalten und die der Versicherungen in der Praxis der Banken durch, nämlich in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jh.393. Es waren vor allem die AGB der Transportanstalten, der Versicherungen und der Banken, die in den Kommentaren zu Art. 279 ADHGB und zu § 346 HGB berücksichtigt wurden. Die gleichzeitig mit dem BGB in Kraft getretene Handelsrechtsreform brachte für die Einbeziehung der AGB der Transportanstalten keine Neuerungen mit sich. Im Versicherungsrecht kamen die entscheidenden Reformen erst mit Inkrafttreten des VVG von 1908 und des VAG von 1901. Mehrere Gesetzesreformen in den 1890er Jahren ließen die AGB der Banken ihrem Umfang nach wachsen394. Da waren zum einen das Börsengesetz von 1896395 und das Gesetz betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere396 aus dem gleichen Jahr. Beide stellten den Geschäftsbetrieb der Banken zumindest teilweise auf eine neue Grundlage, und die Banken versuchten in ihren AGB hierauf zu reagieren. Zum anderen war da das Preußische Stempelsteuergesetz von 1895397, und es waren oft stempelsteuerrechtliche Fragen, die zu einer Thematisierung der Einbeziehungsproblematik führten. Zudem knüpfte die Rechtsprechung für die Einordnung der AGB der Banken unmittelbar an die Rechtsprechung zu den AGB der Versicherungen und Transportanstalten an398.
389 Michel (1932), S. 4 f.; Raiser (1935), S. 18 Fn. 3. Anders noch Ehrenberg (1913), S. 14 f.; Hildebrandt, DJ 1939, 1422. 390 So z.B. RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Rn. 38 ff. 391 So z.B. Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 12 ff. 392 So z.B. Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 444 ff. 393 Husmann (1935), S. 4 m.w.N.; Raiser (1935), S. 27; Haupt (1937), S. 1. 394 Vgl. hierzu Sontag, BankA 1904, 181; Buxbaum (2002), S. 25 ff., 315 ff. 395 RGBl. 1896, S. 157. 396 RGBl. 1896, S. 183. 397 PreußGS 1895, S. 413. 398 Vgl. Bernstein, BankA 1905, 168.
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
2. Konsolidierung und Verfeinerung in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts Der durch das Inkrafttreten des BGB bewirkte Wandel des dogmatischen Rahmens der Einbeziehungsproblematik führte also zu keiner Zäsur. Er hätte aber eigentlich nicht ganz folgenlos bleiben dürfen. Die altbekannten Einbeziehungsvoraussetzungen hätten, sofern man von ihrer unveränderten Fortgeltung ausgehen wollte, in ihrem gewandelten dogmatischen Rahmen neu verankert und aus ihm heraus erklärt werden müssen. Ein Urteil darüber, ob Literatur und Rechtsprechung diese Herausforderung gemeistert haben, fällt schwer. Auf der einen Seite unterblieb zunächst eine offene Diskussion. Literatur und Rechtsprechung knüpften offen an die im 19. Jh. entwickelten Einbeziehungsvoraussetzungen an und bemühten sich nicht, diese mit dem veränderten dogmatischen Rahmen rückzukoppeln. Im besonderen Maße offenbarte sich dies bei dem Problem um die Anfechtbarkeit der Einverständniserklärung des Vertragspartners in die Einbeziehung. Die Literatur beschränkte sich zudem darauf, die anerkannten Einbeziehungsvoraussetzungen zu repetieren und die sehr detaillierte Rechtsprechung wiederzugeben. Diese Darstellungen waren als Folge ebenso detailreich wie verwirrend und ließen klare Prinzipien, auf die diese Voraussetzungen zurückgeführt werden können, missen. So erklärte Haus 1936, also im Jahr nach Erscheinen der Arbeit von Raiser, die Haus allerdings nicht zitierte und daher bei Anfertigung seiner Schrift wohl auch noch nicht kannte399: »Die große Uneinheitlichkeit und Buntscheckigkeit der Rechtsprechung […] erklärt sich aus dem Fehlen eines einheitlichen rechtlichen Gesichtspunktes, mit dem man die Geltung der GB. für den Einzelvertrag begründet.«
Vereinzelt wurde eine dogmatische Einordnung sogar als nutzlos abgetan und die Einbeziehungsvoraussetzungen zumindest zum Teil als gewohnheitsrechtlich anerkannt dargestellt400. Die Einbeziehungsvoraussetzungen schwebten in den ersten 30 Jahren des 20. Jh. also praktisch in der Luft. Erst 1935 gelang es Raiser in seiner Habilitationsschrift die anerkannten Einbeziehungsvoraussetzungen in die allgemeine Rechtsgeschäftlehre wieder einzubinden, und hierin liegt eine heute kaum mehr wahrgenommene Hauptleistung dieses Werkes. Auf der anderen Seite findet sich seit Beginn des 20. Jh. in der Rechtsprechung immer wieder der Hinweis auf den Grundsatz der normativen Auslegung, wenn es um die Lösung einzelner Probleme der Einbeziehung von AGB ging. Diese Anknüpfung wirkt sehr formelhaft. Die Rechtsprechung begnügte 399
Haus (1936), S. 9. Vgl. außerdem die Darstellung von Koehler (1934), S. 17 ff. So z.B. Michel (1932), S. 36, mit Bezug auf die Fallgruppe, in der eine Veröffentlichung für eine Einbeziehung allein ausreichte. 400
II. Geltungsvoraussetzungen
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sich regelmäßig mit der Feststellung, daß die Einbeziehung oder auch die Nichteinbeziehung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte feststehe. Allerdings war diese Feststellung nicht bloß schmückende Beigabe. Vielmehr führte der Grundsatz der normativen Auslegung in den ersten 30 Jahren des 20. Jh. zu einer Verfeinerung und Konsolidierung der im 19. Jh. entwickelten Einbeziehungsvoraussetzungen. Auch dieser Prozeß fand seinen Abschluß mit Raiser. Der Grundsatz der normativen Auslegung bildete damit den Rahmen der Einbeziehungsproblematik. Man benutzte also nicht mehr wie noch im 19. Jh. in den unterschiedlichen Fallgruppen verschiedene Vermutungsregeln. Vielmehr galten AGB einheitlich immer dann als einbezogen, wenn eine vernünftige Person an Stelle des Vertragspartners nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte davon ausgehen mußte, daß der Verwender nur unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren wollte, und wenn als Konsequenz eine vernünftige Person an Stelle des Verwenders nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von einer Einwilligung des Vertragspartners ausgehen durfte. 3. Auflösung der Einbeziehungsvoraussetzungen seit den 1930er Jahren Kam es in den ersten 30 Jahren unter dem Einfluß des Grundsatzes der normativen Auslegung zu ein Konsolidierung und Verfeinerung der Einbeziehungsvoraussetzungen, so folgte eine Zeit ihrer Auflösung. Zwar deutete sich dieser Auflösungsprozeß schon bei Raiser an. Er intensivierte sich indes erst nachfolgend. Er erhielt zahlreiche Impulse: (a) So war die Verkehrssitte seit den 30er Jahren Katalysator für diese Entwicklung. Entsprach es der Verkehrssitte, daß AGB in Katalogen und Preislisten abgedruckt werden, so konnte sich der Vertragspartner nicht darauf berufen, daß er die AGB nicht zur Kenntnis genommen hatte. Daß er den Vertrag einging, wurde als stillschweigendes Einverständnis in die Geltung der AGB gewertet. Entsprach es der Verkehrssitte, daß Großunternehmen ihre AGB veröffentlichen, so konnte sich der Vertragspartner nicht darauf berufen, daß er von ihrer Existenz keine Kenntnis hatte, weil er die Veröffentlichung übersehen hatte. Der Wille des Vertragspartners trat in den Hintergrund. Typisierte Verhaltensweisen des Verwenders traten in den Vordergrund, die so als abschließende Einbeziehungsvoraussetzungen erscheinen mußten. (b) Zudem blieb die zu beobachtende Abwendung vom Vertrag hin zur Norm auch für die Einbeziehungsvoraussetzungen nicht ohne Folgen: Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre gingen einige Obergerichte soweit, aus der vermeintlichen Rechtsnatur der AGB als Rechtsnormen ihre abredeunabhängige Geltung zu schließen. Die herrschende Meinung lehnte zwar die Gleichstellung von AGB und Rechtsnormen ab. Aber es etablierte sich dennoch die Ansicht, daß die Unterwerfung unter AGB etwas Besonderes sei und daß
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
diese Unterwerfung eigenen Regeln folge. Die Unterwerfung wurde als dogmatische Figur verstanden, obwohl sie zunächst nur die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen den Parteien sowie die Reduzierung der Vertragsfreiheit des Vertragspartners auf eine bloße Abschlußfreiheit beschreiben sollte. (c) Schließlich waren es seit den 50er Jahren Figuren wie der faktische Vertrag, das sozialtypische Verhalten oder die fahrlässige Willenserklärung, die Impulse für die Auflösung der Einbeziehungsvoraussetzungen gaben. Es waren insoweit Phänomene, die zur vielzitierten Krise der Rechtsgeschäftslehre401 führten, die zugleich auch die Entwicklung des AGB-Rechts negativ beeinflußten. 4. Die Bedeutung Ludwig Raisers Die Bedeutung Raisers für die Einbeziehungsvoraussetzungen liegt also nicht darin, daß er sie erstmalig formulierte oder einer kritischen Würdigung unterzog. Sie waren bereits im 19. Jh. entwickelt worden. Doch gelang es erst Raiser 35 Jahre nach Inkrafttreten des BGB, sie wieder in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre zurückzuführen und so aus dem dogmatischen Rahmen heraus zu erklären. Zugleich vermochte er den Prozeß der Konsolidierung und Verfeinerung der Einbeziehungsvoraussetzungen abzuschließen. 5. Die Leistung des AGBG-Gesetzgebers Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist es schließlich möglich, die Leistung des AGBG-Gesetzgebers kritisch zu würdigen. Er bemängelte an der von ihm vorgefundenen lex lata, daß die Voraussetzungen einer Einbeziehungsvereinbarung uneinheitlich seien402. Zwar sei herrschende Ansicht, daß es sich bei AGB um keine Normen handele. Doch seien die Anforderungen an eine Einbeziehung so gering, daß es reine Fiktion sei, die Geltung der AGB auf den gemeinsamen Willen der Parteien zurückzuführen. Die Anforderungen hätten sich unterhalb derjenigen, die man sonst an das Zustandekommen eines Vertrages nach §§ 145 ff. BGB stellt, bewegt. Praktisch hätten AGB normativ gewirkt. Dieses Urteil hätte nicht auf das 19. Jh. gepaßt. Vielmehr sind die Probleme, die der AGBG-Gesetzgeber vorfand, auf Fehlentwicklungen seit den 1930er Jahren zurückzuführen. Allerdings waren diese Fehlentwicklungen nicht auf das AGB-Recht beschränkt. Nicht die Einbeziehungsvoraussetzungen bewegten sich unterhalb der Schwelle der §§ 145 ff. BGB. Die Schwelle der §§ 145 ff. BGB war seit den 30er Jahren insgesamt zu weit abgesenkt worden. Nun haben Theorie und Praxis es geschafft, diesem Trend in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre entgegenzusteuern. Auf ähnliches hätte der Gesetzgeber auch bei der Einbeziehungsproblematik vertrauen dürfen. 401 402
Hierzu statt aller Flume, AcP 161 (1962), 52. Vorschläge (1974), S. 17, 41 f.; Entwurf (1975), S. 21, 28, 36.
II. Geltungsvoraussetzungen
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Ansätze hierfür waren vorhanden. Daß der AGB-Gesetzgeber dies nicht erkannte, mag darauf zurückzuführen sein, daß er, ebenso wie die Literatur der damaligen Zeit, erst die Entwicklung seit Raiser und damit seit den 30er Jahren im Auge hatte403: »Die Rechtsprechung ist anfänglich noch weiter gegangen, indem sie bei solchen Unternehmen wie Banken, Versicherern, Spediteuren, bei denen es verkehrsüblich ist und daher jedermann damit rechnen müsse, daß sie AGB verwenden, deren Vertragsangebot gemäß der Verkehrssitte stets dahin auslegte, daß es auf einen Abschluß nur unter Einbeziehung ihrer AGB gerichtet sei. Dem Kunden, der hiermit nicht rechnete, wurde seine Zustimmung zu dem Angebot dann dahin ausgelegt, daß sie sich auch auf die Einbeziehung der AGB bezog.«
Zudem sei Folge der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung Rechtsunsicherheit gewesen. Eine Normierung der Einbeziehungsvoraussetzungen sei deshalb auch »zum Schutze des Vertragspartners des Klauselverwenders und im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich« gewesen404. Dabei übersah der Gesetzgeber, daß die beobachtete Rechtsunsicherheit zu einem gewissen Teil daraus resultiert, daß es sich bei der Einbeziehungsfrage um ein Auslegungsproblem handelt. Ob das Verhalten des Verwenders so ausgelegt werden kann, daß der Vertragspartner davon ausgehen mußte, daß der Verwender unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren wollte, und ob das Verhalten des Vertragspartners so ausgelegt werden kann, daß er der Einbeziehung der AGB zustimmt, ist eine Frage des Einzelfalls. Klare Voraussetzungen aufzustellen, bei deren Vorliegen eine Einbeziehung immer bejaht und bei deren Nichtvorliegen eine Geltung der AGB immer verneint werden kann, konnte daher niemals Aufgabe der Rechtsprechung sein. Schon der Begriff der Einbeziehungsvoraussetzung ebenso wie der der Einbeziehungskontrolle ist insofern irreführend405. Vor allem kritisierte der AGBG-Gesetzgeber, daß AGB als stillschweigend vereinbart gelten, obwohl ein ausdrücklicher Hinweis oder ein Hinweis durch Aushang auf die AGB fehlte. Für Endverbraucher wollte der Gesetzgeber diese Möglichkeit ausschließen. Er kehrte im Ergebnis damit in groben Zügen zu dem Rechtszustand zurück, der bereits im 19. und zu Beginn des 20. Jh. galt. Schon im 19. Jh. bildete die Fallgruppe, daß von einem stillschweigenden Einverständnis des Vertragspartners selbst dann ausgegangen werden könne, wenn ein ausdrücklicher Hinweis oder ein Hinweis durch Aushang auf die AGB unterblieben war, selbst im Handelsverkehr eine eng umgrenzte Ausnahme. Gegenüber Nichtkaufleuten fand sie so gut wie keine Anwendung. Erst im 20. Jh. kam es zu einer langsamen Ausweitung dieser Fallgruppe.
403 404 405
Larenz, AT (7. Aufl. 1989), S. 554. Betonung hinzugefügt. Entwurf (1975), S. 36. Dazu noch unten § 13 VIII D (S. 496).
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§ 7. Rechtsnatur, Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen
Weiterhin empfand es der AGBG-Gesetzgeber nicht als gerechtfertigt, daß nicht der Verwender Schritte ergreifen müsse, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der AGB zu gewähren, sondern daß der Vertragspartner selbst aktiv werden müsse, wenn er sich über den Inhalt der AGB informieren wolle. Er reagierte durch Einführung des heutigen § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Zuzugeben ist, daß die Einbeziehungsvoraussetzung der Kenntnisnahmemöglichkeit insofern regelungsbedürftig erschien, als ihre Herleitung aus dem dogmatischen Rahmen der Einbeziehung niemals schlüssig gelungen war. Allerdings stellte der Gesetzgeber keine Voraussetzungen dazu auf, was der Verwender im einzelnen unternehmen muß, um diese Möglichkeit zu gewähren. Im 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. war diese Voraussetzung ja ebenfalls anerkannt gewesen, nur hatte es für ihre Erfüllung genügt, wenn der Verwender die AGB, auf die er Bezug genommen hatte, veröffentlicht hatte. Ohne daß dies im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hätte, wollte der Gesetzgeber diese Möglichkeit unterbinden.
§ 8. Auslegung Ziel der Vertragsauslegung war nach der im 19. Jh. vorherrschenden Willenstheorie die Erforschung des gemeinsamen wirklichen Willens der Parteien1. Dafür standen zahlreiche Auslegungsregeln zur Verfügung. Bei ihnen handelte es sich um Vermutungsregeln. So wurde vermutet, daß das Erklärte oder das Übliche gewollt war. Führten diese Regeln nicht zum Ziel, griff man auf Unklarheitenregeln zurück. Es war die Auslegung zu wählen, nach welcher der Vertrag wirksam bleibt oder welche der Natur des Vertrages am ehesten entspricht. Führten auch diese Regeln zu keinem Ergebnis, kam die contra proferentem-Regel zum Einsatz. Sie galt subsidiär und war erst anwendbar, wenn Unklarheiten nicht anders aufgelöst werden konnten. Half auch sie nicht, war der Vertrag unwirksam. All diese Auslegungsregeln bestimmten den Vertragsinhalt nur im Zweifel. Es stand den Parteien offen, zu beweisen, daß beide Parteien das erzielte Auslegungsergebnis gerade nicht wollten. Obwohl erklärtes Auslegungsziel die Ermittlung des gemeinsamen wirklichen Willens der Parteien war, blieb man so regelmäßig beim vermuteten Willen stehen. Diese Auslegungslehre wandelte sich2. Das BGB bedingte diesen Wandel freilich nicht3. Zwar spielten §§ 133 und 157 BGB, ihr Verhältnis zueinander und ihre Stellung in der Rechtsgeschäftslehre des BGB in der Diskussion nach 1900 eine bedeutende Rolle. Doch waren die Änderungen, die das BGB mit sich brachte, zu gering, als daß sie den Wandel der Auslegungslehre allein zu erklären vermögen. So bestimmte Art. 278 ADHGB: »Bei Beurtheilung und Auslegung der Handelsgeschäfte hat der Richter den Willen der Contrahenten zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.«
Die Unterschiede zu § 133 BGB sind prima facie so gering, daß eine unmittelbare Anknüpfung an die Praxis zu Art. 278 ADHGB möglich scheinen mußte4. Sie fallen erst auf den zweiten Blick auf: Art. 278 ADHGB sprach vom »Willen der Contrahenten« und meinte damit den übereinstimmenden Parteiwillen. § 133 BGB ist nicht auf die Vertragsauslegung beschränkt und 1 2 3 4
Siehe oben § 3 I (S. 126). Siehe schon oben § 7 II A (S. 225 f.). HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 122. Vgl. Himmelschein (1930), S. 16.
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§ 8. Auslegung
stellt folglich auf den Willen des Erklärenden ab. Zudem spricht § 133 BGB davon, daß der »wirkliche« Wille zu erforschen ist, eine Änderung, die man als willenstheoretisches Bekenntnis verstehen konnte5. Dies hätte allerdings dazu in Widerspruch gestanden, daß der wirkliche Wille regelmäßig erst im Rahmen der Irrtumsanfechtung berücksichtigt wird6. Art. 279 ADHGB, aus dem § 346 HGB hervorgegangen ist, ordnete an, ähnlich wie es der heutige § 157 BGB für die Verkehrssitte tut, daß bei der Auslegung auf Handelsbräuche Rücksicht zu nehmen ist7: »In Beziehung auf die Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen ist auf die im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen.«
Art. 279 ADHGB erwähnte zwar anders als § 157 BGB nicht Treu und Glauben. Aber schon im 19. Jh. war anerkannt, daß die Auslegung Treu und Glauben unterstand8. Änderungen, die eine Abkehr von der Willenstheorie erzwangen, brachte das BGB also nicht. Es führte zu keiner Zäsur und stellte die Diskussion nicht auf neuen Boden, sondern lieferte allenfalls neue Argumente in einer alten Debatte. Und so wurden Literatur und Rechtsprechung aus der Zeit vor 1900 weiter herangezogen9, und es fanden sich weiterhin Vertreter der Willens- wie der Erklärungstheorie10. Der Wandel in der Auslegungslehre zeichnete sich vielmehr bereits seit den 1870er Jahren ab und fand seinen Abschluß erst in den 1930er Jahren, als sich der Grundsatz der normativen Auslegung mit der Habilitationsschrift von Larenz endgültig durchsetzte11: Die Auslegungsregeln des 19. Jh. gingen in einer einheitlichen Auslegungsmethode auf, oder, vom Ergebnis her betrachtet, die Auslegungsmethode wurde aus einer Synthese der verschiedenen Auslegungsregeln gewonnen. Die Auslegungsregeln des 19. Jh. ordneten an, was im Zweifel als gewollt gilt. Der Grundsatz der normativen Auslegung gibt dagegen darüber Auskunft, wie der Wille ermittelt wird12. Freilich leben
5
Vgl. HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 38. Vgl. z.B. Oertmann, AcP 117 (1919), 297. 7 Art. 279 ADHGB war für die Entstehung des § 157 BGB anders als Art. 278 für die des § 133 fast ohne Bedeutung: HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 23. 8 Siehe schon oben § 2 VII B 1 (S. 112) und vgl. HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 70. 9 Manigk, Revisibilität (1929), S. 94 ff.; Isay (1899), passim. Vgl. HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 74. 10 Manigk, Revisibilität (1929), S. 147 (Willenstheorie); Leonhard, AcP 120 (1922), 14 ff. (Erklärungstheorie). Vgl. auch Henle (1910), S. 467 ff.; Manigk, Irrtum und Auslegung (1918), S. 34 ff.; Himmelschein (1930), S. 3 ff.; Kramer (1972), S. 119 ff.; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 56; HKK-BGB/Schermaier (2003), §§ 116–124 Rn. 9 ff. 11 Larenz (1930). Zur Entwicklung bis dahin vgl. Kramer (1972), S. 119 ff.; HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 39 f. 12 Vgl. Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 218. 6
I. Die contra proferentem-Regel
275
die alten Auslegungsregeln im Rahmen der Auslegungsmethode fort13. Auch das Auslegungsziel wandelte sich: Verbindlich ist nicht mehr der (vermutete) wirkliche Wille, und an dessen Stelle trat auch nicht der erklärte Wille. Verbindlich ist der sogenannte normative Wille. Larenz selbst hatte als Ziel seiner Arbeit »die Auflösung des Dualismus von subjektiver und objektiver Auslegungsmethode« formuliert14. Die Debatten, die diesen Wandel begleiteten, hat jüngst Vogenauer nachgezeichnet15. Auf eine Darstellung kann daher verzichtet werden.
I. Die contra proferentem-Regel Die Auslegungslehre war also zu Beginn des 20. Jh. noch im Wandel begriffen. Es darf daher nicht Wunder nehmen, daß auch die Äußerungen zur contra proferentem-Regel zunächst ausgesprochen vielfältig und gegensätzlich waren16. Im 19. Jh. galt sie, wie gesagt, allgemein und nicht nur beschränkt auf AGB. Einige Autoren glaubten, sie gelte nach Inkrafttreten des BGB unverändert fort17. Andere vertraten die Ansicht, sie könne nur insoweit Anerkennung finden, als sie aus § 157 BGB hergeleitet werden könne, und sprachen ihr so eine eigenständige Bedeutung ab18. Schließlich hielten sie manche für mit § 157 BGB unvereinbar19. War die contra proferentem-Regel im allgemeinen umstritten, blieb ihre Anwendung im AGB-Recht anerkannt20. Sie wurde hier zu 13
Vgl. hierzu ausführlich HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157, Rn. 74 ff. Larenz (1930), S. 9. 15 HKK-BGB/Vogenauer (2003), §§ 133, 157 Rn. 1 ff. 16 Vgl. umfassend HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 29 ff. 17 Danz, Auslegung (3. Aufl. 1911), S. 162; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 157 Anm. 4; Isaac (1928), S. 75; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 237. 18 Haidlen (1897), § 133; Rehbein (1899), §§ 130–133 Anm. 2; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 253 ff.; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 3; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 133 Anm. 7, § 157 Anm. 5e, 8; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 133 Anm. 4; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 3, 17b; Oertmann (3. Aufl. 1927), § 157 Anm. 4; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 3; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 535 Anm. 5; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 8; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24, § 157 Rn. 12; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 3; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 157 Anm. 3; Kleinertz (1967), S. 3 f. 19 Titze, Mißverständnis (1910), S. 178 ff. 20 OLG Hamburg (21.2.1917), SeuffA 72 (1917), 197, 198; RG (24.3.1941), DR 1941, 1726, 1727; BGH (12.2.1952), BGHZ 5, 111; BGH (19.3.1957), BGHZ 24, 39; BGH (20.2.1967), BGHZ 47, 207; Haidlen (1897), Anm. zu § 133 (für AVB); Riezler, Buch- und Kunsthandel (1915), S. 16; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), § 346 Rn. 3; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 157 Anm. 8 (für AVB); Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 3, 17b; Staudinger/Kober/Kiefersauer (9. Aufl. 1928), § 535 Anm. BI 6d; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 157 Anm. 3; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 535 Anm. 5 (beschränkt auf strenge Haftungsbestimmungen); Hamelbeck (1930), S. 19; Hamburger (1930), S. 264 (für AVB); Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 25; Hodum (1931), S. 43; Koenige/Teichmann/Koeh14
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§ 8. Auslegung
keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage gestellt. Sogar Titze, der der contra proferentem-Regel grundsätzlich die Anerkennung versagen wollte, stellte 1910 fest21: »Nun wird freilich in der Literatur darauf hingewiesen, daß die Auslegung gegen den Erklärenden in einer Reihe von Fällen gerade ein soziales Bedürfnis sei, also […] ein Gebot ausgleichender Gerechtigkeit darstelle. So überall, wo der Erklärende im Verhältnis zum Erklärungsempfänger der bei weitem wirtschaftlich stärkere oder geschäftsgewandtere Teil sei. Aus diesem Gesichtspunkt heraus […] fordert man heutzutage die Auslegung gegen die ihre Bedingungen nicht klar formulierenden Transportoder Versicherungsgesellschaften. Soweit ein wirtschaftliches Bedürfnis wirklich vorliegt, muß es von der Auslegung natürlich befriedigt werden.«
So wie das Inkrafttreten des BGB für die allgemeine Auslegungslehre zu keiner Zäsur führte, knüpfte man auch für die Geltung der contra proferentemRegel im Recht der AGB an die Rechtsprechung und Literatur aus der Zeit vor 1900 an22. Und so wie der Wandel in der allgemeinen Auslegungslehre seinen Abschluß in den 30er Jahren des 20. Jh. fand, setzte sich zeitgleich die Meinung durch, welche die contra proferentem-Regel im AGB-Recht billigte, sie als allgemeine Auslegungsregel indes ablehnte23. Die Begründungen für die contra proferentem-Regel im Recht der AGB waren vielfältig24: Titze führte ein soziales und wirtschaftliches Bedürfnis sowie das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Parteien an25. MüllerErzbach verwies auf die Grundsätze der Gefahrtragung26. Andere bezogen ler 21(3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 10; Kost (1933), S. 23; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24; Haus (1936), S. 38 ff.; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 4a; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 462; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 3; Herschel, DR 1941, 1727; Palandt/Danckelmann (5. Aufl. 1942), § 157 Anm. 5a; Palandt/Friesecke (5. Aufl. 1942), § 276 Anm. 5b; § 7 Abs. 2 zur Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen des Ausschusses für allgemeines Vertragsrecht 1942 abgedruckt bei Schubert/Schmid/ Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 120; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VII z22 aa; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 157 Anm. 3; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 47; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 133 Rn. 20, 22; Soergel/Mezger (9. Aufl. 1959), Vor § 145 Rn. 16; RGRK-BGB/Nastelski (11. Aufl. 1960), § 276 Anm. 84; Palandt/ Heinrichs (31. Aufl. 1972), vor § 145 Anm. 6C b. Einschränkend Koehler (1934), S. 46 f. Kritisch im Mietrecht Hedemann, Schuldrecht (2. Aufl. 1931), S. 268. Ablehnend Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 107. Zur Kritik an der contra proferentem-Regel Kleinertz (1967), S. 62; Schmidt-Salzer (1967), S. 207 ff. Vgl. außerdem schon Mugdan I, S. 437 und hierzu HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 29. 21 Titze, Mißverständnis (1910), S. 179. 22 Müller-Erzbach, AcP 106 (1910), 442; Titze, Mißverständnis (1910), S. 179. 23 RG (10.1.1928), RGZ 120, 18; RG (19.6.1934), RGZ 145, 21. Vgl. hierzu HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 31. 24 Vgl. hierzu schon HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 32. 25 Siehe oben das Zitat zu Fn. 21. 26 Müller-Erzbach (2. und 3. 21. 1928), S. 651; ders., AcP 106 (1910), 442; Kost (1933), S. 28; RG (11.3.1927), RGZ 116, 274, 276; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 119.
I. Die contra proferentem-Regel
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sich auf die Schutzfunktion dieser Regel27, auf ihre pönale28, präventive und erzieherische Funktion29 oder auf die Verantwortung des Verwenders für die Unklarheit30. Haus glaubte sie auf eine Vermutung zurückführen zu können31. Wieder andere hielten sie für gewohnheitsrechtlich anerkannt32. Coing und Riezler wollten sie schließlich direkt aus § 157 BGB bzw. Treu und Glauben herleiten33. Eine allgemein anerkannte Ratio dieser Regel bildete sich bis zum Inkrafttreten des AGBG nicht heraus. Auch bei Anwendung der contra proferentem-Regel kristallisierten sich Differenzen heraus: Isaac vertrat die Ansicht, sie sei nur zulasten des Verfassers anwendbar, nicht aber des Verwenders, der die AGB nicht selbst aufgestellt habe. Folglich sei ihre Anwendung auf die ADSp ausgeschlossen34. Ähnliches wurde für die Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen von 1919 vertreten35. Seit den 30er Jahren mußte dieser Gedanke an Bedeutung gewinnen, griff die Verwaltung doch vermehrt in die Gestaltung der AGB ein und versuchte so zu gewährleisten, daß die sich gegenüberstehenden Interessen zu einem Ausgleich kamen36. Und so wollte Prölß in der Tat die contra proferentem-Regel nicht auf die aufsichtsrechtlich genehmigten AVB und die 1940 unter Mitwirkung des Reichsaufsichtsamts für Privatversicherungen entstandenen Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherungen und Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrhaftpflichtversicherungen anwenden37. Später stellte es sich als problematisch heraus, daß Literatur und Rechtsprechung zunehmend den normativen Charakter von AGB betonten oder sie gar den Normen gleichstellten. Als Folge sollten AGB wie Gesetze ausgelegt werden38. Weil es eine der contra proferentem-Regel vergleichbare Regel der Gesetzesauslegung nicht gibt, lehnten einige ihre Fortgeltung konsequent ab39. 27 Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 84; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 462. 28 Haidlen (1897), Anm. zu § 133. 29 RG (3.6.1921), RGZ 102, 227, 228; Vorschläge (1974), S. 51; Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AGBG, BT-Drs 7/3919, S. 47. 30 Kleinertz (1967), S. 55 ff.; Schmidt-Salzer (1967), S. 199; ders. (1971), Rn. 119. 31 Haus (1936), S. 40. Ähnlich Rehbein (1899), §§ 130–133 Anm. 2. 32 Michel (1932), S. 40; Brodmann (1918), S. 111; Kleinertz (1967), S. 4. 33 Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 47; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 157 Rn. 12. 34 Isaac (1928), S. 75. Allgemein Haus (1936), S. 63. 35 Haus (1936), S. 75 f. 36 Siehe oben § 7 I A (S. 204 ff.). 37 Prölß, JW 1940, 1711. Allgemein Haus (1936), S. 41. 38 So z.B. Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VIb; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), Einl. Bd. I Anm. I II 2e; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 133 Anm. 2; RGRK-BGB/Kuhn (10. Aufl. 1953), § 433 Anm. IIIa; Meeske, BB 1959, 860; RGRK-BGB/ Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 39. Einschränkend Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N311. Ablehnend Krause, BB 1955, 266; Emmerich, JuS 1972, 366. 39 Clauß, NJW 1954, 906.
278
§ 8. Auslegung
Andere wollten dennoch an ihr festhalten40. Meiss wollte die Berechtigung der contra proferentem-Regel 1960 sogar gerade aus dem normähnlichen Charakter der AGB herleiten41: Wer normähnliche Vertragsbedingungen aufstelle, den treffe eine besondere Obliegenheit, die Bedingungen klar und eindeutig auszugestalten. Schon im 19. Jh. galt die contra proferentem-Regel nur subsidiär, wenn Unklarheiten nicht auf anderem Weg aufgelöst werden konnten. Doch gerade im Versicherungsrecht legte man AVB selbst dort zugunsten des Versicherungsnehmers aus, wo die Auslegung einer Klausel keine Probleme hätte bereiten dürfen. Die Gerichte nahmen so eine verdeckte Inhaltskontrolle vor. Allerdings blieb dieser Gebrauch der contra proferentem-Regel bereits im 19. Jh. nicht unwidersprochen42. Im 20. Jh. hielt man am Grundsatz der Subsidiarität fest43 und kritisierte, daß die contra proferentem-Regel immer noch herangezogen wurde, wo eigentlich keine nicht anders zu bereinigende Unklarheit bestand, um so einen Schutz des Vertragspartners zu gewährleisten44. Doch wann war die contra proferentem-Regel nach dem Subsidiaritätsgrundsatz einschlägig? Üblicherweise können Unklarheiten umfassend durch eine normative Auslegung aufgelöst werden. Verbleibende Unklarheiten führen zur Nichtigkeit der Abrede. Man könnte nun die Ansicht vertreten, die contra proferentem-Regel sei nur anzuwenden, wenn der Grundsatz der normativen Auslegung zu keiner Klärung führt. An die Stelle der Nichtigkeit würde eine Auslegung zulasten des Verwenders treten. Die contra proferentem-Regel bräuchte mit diesem Verständnis nicht aus dem Grundsatz der normativen Auslegung heraus erklärt zu werden und würde zu diesem auch nicht in Konkurrenz treten. Beide hätten einen klar voneinander abgegrenzten Anwendungsbereich. Die contra proferentem-Regel wäre nach diesem Verständnis streng genommen nicht einmal Auslegungsregel45. Sie würde erst zur Anwendung kommen, wenn die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ergebnislos abgebrochen wird. Zudem wäre die Bedeutung der contra proferentem-Regel mit diesem Verständnis gering. So vertrat es in der Tat Raiser. Er wollte die contra proferentem-Regel da anwenden, wo bei einem Individualvertrag aus der Unklarheit die Nichtigkeit folgen würde46: 40 D. Schneider, NJW 1954, 135; RGRK-BGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 39; Meeske, BB 1959, 860. 41 Meiss, VersR 1960, 963. Auch Helm, JuS 1965, 128, glaubte, die contra proferentem-Regel lasse sich besser mit dem Verständnis von den AGB als Norm in Einklang bringen. 42 Siehe oben § 4 V B (S. 183). 43 Richter (1928), S. 113. 44 Heilbrunn (1929), S. 15; Hamelbeck (1930), S. 19; Kost (1933), S. 22; Raiser (1935), S. 265 ff.; Lukes, FS Hueck (1959), S. 471; ders., JuS 1961, 307. Vgl. hierzu auch HKK-BGB/ Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 1, 32. 45 So in der Tat Kleinertz (1967), S. 12 f. 46 Raiser (1935), S. 262. Zustimmend Droste, DB 1957, Beilage 10; v. Nottbeck (1960), S. 26; Kleinertz (1967), S. 10 f. Ähnlich wohl Haus (1936), S. 42.
I. Die contra proferentem-Regel
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»So ergibt sich also die subsidiäre Auslegungsregel, bei Mehrdeutigkeit der AGB., die nach sonstigem Auslegungsrecht nicht zu beheben ist und zur Nichtigkeit des Vertrags führen müßte, die dem Kunden günstigere Deutung für beide Teile verbindlich zu machen und so den Bestand des Vertrags zu retten.«
Entsprechend deutete Raiser auch den Zweck der contra proferentem-Regel. Es solle nicht der Vertragspartner geschützt oder der Verwender bestraft werden. Auch solle nicht das Risiko von Unklarheiten nach allgemeinen Gefahrverteilungsgrundsätzen auf den Verwender verlagert werden. Die Unklarheitenregel diene vielmehr einem öffentlichen Interesse47: »Die Regel gilt nur subsidiär. Sie soll im öffentlichen Interesse verhindern, daß die Unklarheit der AGB. zu allgemeiner Rechtsunsicherheit führt. Wo daher die Auslegung diese Unklarheit ohnedies beseitigen kann, oder wo die Unklarheit nur eine nebensächliche oder durch dispositives staatliches Recht leicht zu ersetzende Bestimmung trifft und der Vertrag im übrigen aufrecht erhalten bleibt, ist für die Regel kein Raum.«
Durch die Nichtigkeitsfolge werde eine allgemeine Rechtsunsicherheit erzeugt, die verhindert werden müsse, weil potentiell eine Vielzahl von Verträgen betroffen sei, selbst wenn die Vertragsnichtigkeit gerichtlich nur bezogen auf einen konkreten Fall festgestellt werde. Kleinertz wollte die contra proferentem-Regel 1967 sogar noch weiter zurückdrängen48. Aus der Ungültigkeit einer Klausel folge ja gerade nicht die Unwirksamkeit des gesamten Vertrages. § 139 BGB finde keine Anwendung. An die Stelle der unwirksamen Klausel trete das durch die Klausel verdrängte dispositive Recht. Nur wenn eine entsprechende Norm zur Lückenfüllung fehle, dürfe die contra proferentem-Regel zur Anwendung kommen. Umgekehrt könnte man auch die Ansicht vertreten, die contra proferentemRegel trete an die Stelle des Grundsatzes der normativen Auslegung. Besteht ein Auslegungsspielraum, so wird dieser immer zugunsten des Vertragspartners ausgefüllt. Von einer Subsidiarität der contra proferentem-Regel könnte man mit einem solchen Verständnis nicht mehr reden. Freilich wurde diese Ansicht bis zum Inkrafttreten des AGBG zu keinem Zeitpunkt vertreten. Eine Position zwischen diesen Polen nahmen diejenigen ein, welche die contra proferentem-Regel unmittelbar aus § 157 BGB herleiteten49. Führt man die contra proferentem-Regel auf § 157 BGB zurück, so kann man kaum von einer Subsidiarität im Sinne Raisers ausgehen, der diese Regel ja erst anwenden wollte, wenn die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ergebnislos ist und der Vertrag nach allgemeinen Grundsätzen nichtig wäre. Man müßte im Rahmen der 47
Raiser (1935), S. 262. Zustimmend v. Nottbeck (1960), S. 26. Kleinertz (1967), S. 69 ff. 49 Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 47. Ebenso Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 347 Anm. 7; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 10; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 157 Rn. 12. 48
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§ 8. Auslegung
Auslegung »irgendwann« halt machen und sodann die contra proferentemRegel anwenden. Wo diese Grenze zu ziehen ist, stellte diese Ansicht niemals klar. Da aber auch diese Ansicht von einer Subsidiarität der contra proferentem-Regel sprach, darf vermutet werden, daß die Hürden, um von einer Unklarheit im Sinne der contra proferentem-Regel ausgehen zu können, hoch waren. Wie schon bei der Ratio formte sich damit auch in Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität bis zum Inkrafttreten des AGBG keine herrschende Meinung heraus. Der Grundsatz selbst blieb unangefochten, seine genaue Bedeutung blieb indes offen.
II. Die objektive Auslegung Eine typisierende Auslegung von AGB ergab sich im 19. Jh. wie selbstverständlich aus der allgemeinen Auslegungsregel, nach der das Erklärte und das Übliche als gewollt galten50. Doch stand jeder Partei der Nachweis eines anderslautenden gemeinsamen Parteiwillens offen: Jede Partei konnte auf individuelle Umstände, welche die Auslegung bestimmen, hinweisen. Bei der Auslegung von AGB wird dies dem Vertragspartner freilich nur schwer möglich gewesen sein. Denn der Verwender wollte regelmäßig an der durch die Verwendung der AGB gerade erst erreichten Typisierung des Vertragsinhalts festhalten. Zu Beginn des 20. Jh. traten auch diesbezüglich zunächst keine Änderungen ein51. In der Folgezeit setzten sich dann zwei (vermeintliche) Modifikationen durch52. Zum einen sollten AGB nicht so gelten, wie sie eine vernünftige Person an Stelle des Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. An die Stelle des konkreten Erklärungsempfängers sollte vielmehr der typische Adressat der AGB treten. Eine solche einheitliche Auslegung sei nur dann nicht möglich, wenn die AGB gegenüber einem ganz inhomogenen Kundenkreis verwendet werden. Hier brauche nur die für die einzelnen Kundengruppen typische Auslegung ermittelt zu werden53. Im 19. Jh. wird unter Heranziehung der Regel, daß die Parteien im Zweifel das Übliche wollten, nichts anderes gegolten haben. Nunmehr sollte es sich allerdings um eine Besonderheit der Auslegung von AGB handeln54. 50
Siehe oben § 3 II B (S. 133). Vgl. z.B. v. Tuhr II/1 (1914), S. 535 ff. 52 Vgl. zum folgenden HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 4 ff. 53 Kost (1933), S. 44; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 342; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N311. 54 Schmidt-Salzer (1971), Rn. 112 f. 51
II. Die objektive Auslegung
281
Zum anderen sollten auch alle übrigen individuellen Momente bei der Auslegung von AGB unberücksichtigt bleiben55. Sie sollten nur Berücksichtigung finden, wenn die Vertragsparteien eine von dem typischen Sinn der AGB abweichende Individualabrede getroffen hatten56. Freilich war dieser Aspekt der objektiven Auslegung nicht unumstritten57. Auch konnte er wohl nur schwerlich aus § 157 BGB hergeleitet werden. Es handelte sich um eine wirkliche Besonderheit der AGB-Auslegung. Sie wurde mit der Funktion von AGB begründet58: AGB seien vom Verwender für den Massenverkehr eingeführt worden. Daher könne es bei ihrer Auslegung auf den Willen der an einem einzelnen Vertrag Beteiligten nicht ankommen. Auch der Vertragspartner müsse dies erkennen. Deshalb müsse ihm klar sein, daß die AGB ihm gegenüber in der gleichen Weise gelten sollen, wie gegenüber allen anderen Vertragspartnern des Verwenders. Kost erläuterte59: »Ebenso erklärt der Kunde mit der Annahme der AllgGB., daß er sie, ohne Rücksicht auf seine besondere Auffassung von ihrem Inhalt, mit dem Inhalt für sich als verbindlich erkenne, mit dem sie gegenüber allen andern, die sich denselben Geschäftsbedingungen unterworfen haben, gelten.«
Andere versuchten diese Art der Auslegung damit zu begründen, daß sich der Wille der Parteien von vornherein nur auf die Einbeziehung der AGB beziehe60. Als man AGB und Rechtsnorm miteinander verglich oder einander gleichstellte61, wollte man AGB wie Gesetze auslegen und versuchte so die objektive Auslegung zu rechtfertigen62. In den späten 30er und frühen 40er Jah55 BGH (25.10.1952), BGHZ 7, 365; Koehler (1934), S. 47; Soergel/Siebert (8. Aufl. 1952), § 242 Anm. E 4a; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N311. Zur Entwicklung dieser Regel vgl. auch Schmidt-Salzer, JZ 1995, 223 ff. 56 Raiser (1935), S. 252; RG (28.5.1937), RGZ 155, 133, 135. 57 Mendelsohn-Bartholdy, JW 1919, 190; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 157 Rn. 13; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 157 Anm. VII z22 aa; Brandner, AcP 162 (1963), 237 ff.; Emmerich, JuS 1972, 366. 58 RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 119; RG (23.11.1922) RGZ 106, 120, 123 f.; Kost (1933), S. 32 ff.; Neukirch (1933), S. 16; Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 84; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 341 f.; Fischer, BB 1957, 483; Lukes, FS Hueck (1959), S. 471 Fn. 56; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 43 f.; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 133 Rn. 22; Kleinertz (1967), S. 35; Larenz, AT (1. Aufl. 1967), S. 350 f.; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 107. Ähnlich der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 7 Abs. 1 zur Auslegung von allgemeinen Geschäftsbedingungen: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 120. 59 Kost (1933), S. 45. Vgl. auch RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 119; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 14; Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 65 f. 60 Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 10; v. Nottbeck (1960), S. 25. Ähnlich wohl Schmidt-Salzer (1967), S. 161 ff., 185 ff. 61 Siehe oben die Nachweise in Fn. 38 und oben § 7 I B (S. 214) und C (S. 222). 62 RG (13.10.1942), RGZ 170, 233, 240 f.; RG (26.3.1943), RGZ 171, 43, 47 f.; Hoeniger, Vorwort (1933), S. V; Koehler (1934), S. 48; Raiser (1935), S. 253 ff. (die Grenzen des Vergleichs betonend); Hildebrandt, AcP 143 (1937), 341; Eilles, ZZP 1941, 2 ff.; ders., DGWR 1941, 122;
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§ 8. Auslegung
ren verwies die Rechtsprechung auf die Unterwerfungserklärung des Vertragspartners63: »Wer unter Zugrundelegung solcher Bedingungen abschließt, unterwirft sich damit dieser Auslegung, auch wenn er sich über ihre Bedeutung andere – unrichtige – Vorstellungen gemacht hat.«
Die Nichtberücksichtigung individueller Momente bei der Auslegung von AGB wurde damit wie schon von Kost – paradoxerweise – auf den Willen des Vertragspartners zurückgeführt. Schmidt-Salzer versuchte die Regel schließlich aus der Natur der AGB herzuleiten, kam dabei aber der von Kost gelieferten Begründung wohl sehr nahe64: Üblicherweise seien die individuellen Momente des Einzelfalls bei der Auslegung zu berücksichtigen, weil die einzelnen Abreden vom Willen beider Parteien getragen werden. AGB seien dagegen bloß »einseitig gestaltete, von dem Kontrahenten aufgestellte und von dem Vertragspartner inhaltlich nicht geprüfte Vertragsbestimmungen«65. Aus dieser Qualifikation leitete Schmidt-Salzer die Lösung zahlreicher Probleme bei der Einbeziehung und Inhaltskontrolle von AGB ab. Für die objektive Auslegung glaubte Schmidt-Salzer, daß der besondere Grund bei AGB fehle, aus dem normalerweise die Berücksichtigung individueller Momente bei der Auslegung folge. Die Diskussion um eine objektive Auslegung von AGB konzentrierte sich in erster Linie auf den Vertragspartner: Es komme nicht darauf an, wie eine vernünftige Person aus Sicht des konkreten Vertragspartners, sondern wie eine vernünftige Person aus Sicht eines typischen Kunden des Verwenders die AGB verstehen durfte. Auch müssen bei der Auslegung individuelle Momente des Einzelfalls, die eine abweichende Auslegung eigentlich ermöglichen würden, ausgeblendet bleiben. Dabei unterstellte man immer stillschweigend, daß diese individuellen Momente entweder in der Person des Vertragspartners lagen oder daß allein er sich auf solche Besonderheiten des Einzelfalles berufen wollte, daß dagegen der Verwender die AGB in ihrem typischen Bedeutungsgehalt verstanden wissen wollte. Seit den 30er Jahren wurden AGB zunehmend von Interessenverbänden ausgehandelt. Auch die Verwaltung griff vermehrt in die Gestaltung von AGB ein66. Damit konnte der Fall auftreten, daß 63 Herschel, DR 1941, 1728; ders., DR 1942, 756; Clauß, NJW 1954, 906 (einschränkend); Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 45 (die Grenzen des Vergleichs aufzeigend); Fischer, BB 1957, 483; Droste, DB 1957, Beilage 10; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 133 Rn. 22; Meeske, BB 1959, 860; Isele, JuS 1961, 310; Helm, JuS 1965, 128; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 107; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N311; Helm, FS Schnorr v. Carolsfeld (1973), S. 137 f. 63 RG (28.5.1937), RGZ 155, 133, 137. Ähnlich RG (26.3.1943), RGZ 171, 43, 48. Zur Unterwerfungserklärung siehe schon oben § 7 II E (S. 251 f.). 64 Schmidt-Salzer (1971), Rn. 108 ff. 65 Schmidt-Salzer (1971), Rn. 21. 66 Siehe oben § 7 I A (S. 204 ff.).
III. Die Revisibilität der Auslegung
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nicht nur der Vertragspartner den Inhalt der AGB verkannte, sondern daß auch der Verwender über den objektiven Bedeutungsgehalt der AGB irrte. Ging es dem objektiven Sinn der AGB vor, wenn der Verwender und der Vertragspartner übereinstimmend die AGB in einem anderen Sinn verstanden hatten? War mit anderen Worten die falsa demonstratio-Regel auf AGB anwendbar? Seit den 30er Jahren verneinte man diese Frage67. Das stand zum einen ganz im Einklang mit allgemeinen Bestrebungen, die Einzelinteressen hinter dem Gemeinwohl zurücktreten zu lassen68: »Zutreffend wurde hervorgehoben, daß bei ihrer Auslegung [die der AGB] in erster Reihe das Gemeinschaftsinteresse gewahrt werden müsse; dies geschehe dadurch, daß nicht die Belange beider Vertragsparteien für den Einzelfall, sondern die Belange beider Wirtschaftskreise, denen die Vertragsschließenden angehören, in billiger Weise gegeneinander abgewogen würden.«
Zum anderen sollte die Nichtanwendbarkeit der falsa demonstratio-Regel aus der Gleichsetzung von AGB und Rechtsnorm folgen69. Die Auslegung der AGB als Rechtsnormen müsse von den fehlerhaften Auffassungen der Vertragspartner über die Bedeutung der AGB unabhängig erfolgen. Das allein entspreche auch dem Zweck der AGB, die von ihnen erfaßten Tatbestände einheitlich zu regeln. Wollten die Vertragsteile hiervon abweichen, so müßten sie vereinbaren, daß die AGB insoweit nicht gelten sollten.
III. Die Revisibilität der Auslegung Ob und inwieweit die Auslegung von Rechtsgeschäften revisibel ist, war schon im 19. Jh. umstritten gewesen. Die Diskussion wurde nach Inkrafttreten des BGB ohne Bruch fortgeführt70. Und sie blieb zunächst nicht auf AGB beschränkt. Vielmehr offenbarten sich im Streit um die Revisibilität der Auslegung von Rechtsgeschäften grundlegende Differenzen in der Auslegungslehre71. So meinte F. Leonhard, die Auslegung von Rechtsgeschäften enthalte niemals tatsächliche Feststellungen, und er hielt sie daher immer für revisibel72. Die vorherrschende Ansicht wollte dagegen differenzieren73: Da die Ausle67 Herrschel, DR 1941, 1728; ders., DR 1942, 756 f. Differenzierend Kost (1933), S. 40. A.A. RG (24.3.1941), DR 1941, 1726, 1727 mit abl. Anm. von Herschel; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 157 Anm. IV 1b, 4a. Vgl. aus der modernen Forschung HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 7. 68 RG (13.10.1942), RGZ 170, 233, 240 f. Zu den Bestrebungen, das Einzelinteresse hinter dem Gemeinwohl zurücktreten zu lassen, vgl. § 9 II (S. 290 ff.) und III (S. 307 ff.). 69 So vor allem Herschel, DR 1941, 1728; ders., DR 1942, 756 f. 70 Vgl. z.B. Manigk, Revisibilität (1929), S. 94 ff. 71 Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 488 ff.; Manigk, Revisibilität (1929), S. 94 ff. 72 F. Leonhard, AcP 120 (1922), 141 ff. 73 Larenz (1930), S. 11.
284
§ 8. Auslegung
gung von Rechtsgeschäften gesetzlich normierten Auslegungsgrundsätzen und -regeln folge, sei sie revisibel, soweit eine Verletzung solcher Grundsätze und Regeln geltend gemacht werde. Dagegen könne die Revision nicht darauf gestützt werden, daß Tatsachen im Rahmen der Auslegung unrichtig verwertet worden seien. Graul glaubte, dies müsse ebenfalls für die Auslegung von AGB gelten74. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts war zunächst uneinheitlich75. Zu Beginn des 20 Jh. kristallisierte sich die uns heute bekannte Unterscheidung heraus: Die Auslegung von AGB ist grundsätzlich revisibel. Im übrigen kann die Revision nur auf die Verletzung eines Auslegungsgrundsatzes oder einer Auslegungsregel gestützt werden. Diese Differenzierung setzte sich 1912 in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung durch76. Die Begründungen, die für diese besondere Behandlung der AGB ins Feld geführt wurden, waren wiederum vielfältig, wobei die einzelnen Autoren die verschiedenen Gründe zumeist kumulierten: So wurde wiederum auf den Vergleich zwischen AGB und Rechtsnormen bzw. auf ihre Gleichstellung zurückgriffen77. Nur der Unterwerfungsakt unter die AGB sei Rechtsgeschäft, so argumentierte man vor allem in den frühen 40er Jahren; die AGB selbst seien Rechtsnormen. So konnten die (nach heutiger Zählung) §§ 545 f. ZPO analog oder direkt auf AGB angewendet werden. Als die Normentheorie zur Erklärung der Rechtsnatur der AGB in die Kritik geriet, meinte man, dies müsse auf die Frage der Revisibilität keine Auswirkungen haben. Denn selbst wenn man eine materiellrechtliche Normentheorie ablehne, könne man AGB weiterhin als Normen im Sinne des Revisionsrechts qualifizieren. Das Prozeßrecht könne eigene Wege gehen78. Weiterhin wurde auf die Rechtseinheit ver-
74
Graul (1932), S. 28 f. Vgl. die Darstellung bei Ruhland (1968), S. 36 f. 76 RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 118 f. Vgl. auch BGH (18.11.1952), BGHZ 8, 55; Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 50; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 14; 17b; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 133 Anm. 2; Soergel/Keßler (4. Aufl. 1929), § 157 Anm. 7; Hamburger (1930), S. 190, 266; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 19, 25; Koenige/ Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5; Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 84; RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 14; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 343; RGRK-BGB/ Oegg (10. Aufl. 1953), § 133 Anm. 2; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 49; RGRKBGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 54; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 133 Rn. 22; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N313. Kritisch dagegen Kisch, JR 1926, 458. 77 Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 516; Michel (1932), S. 37; Kost (1933), S. 37; Koehler (1934), S. 48; Husmann (1935), S. 58; Klausing, DNotZ 36 (1936), 454 f.; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 343; Eilles, ZZP 1941, 4 f.; ders., DGWR 1941, 128; Herschel, DR 1941, 1728; ders., DR 1942, 760; Palandt/Danckelmann (10. Aufl. 1952), § 157 Anm. 6; Fischer, BB 1957, 483; Droste, DB 1957, Beilage 10; Meeske, BB 1959, 860; Isele, JuS 1961, 310 f.; Helm, JuS 1965, 128; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 110; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N313. Dagegen ausdrücklich Manigk, Revisibilität (1929), S. 159; ders., JW 1930, 832. 78 Ablehnend Schmidt-Salzer (1967), S. 216 f. 75
IV. Zusammenfassung
285
wiesen, die es wegen der Verbreitung der AGB zu wahren gelte79. Schließlich wies man darauf hin, daß die Auslegung von Rechtsgeschäften dann revisibel sei, wenn sie nicht auf einer Würdigung der Tatsachen des Einzelfalls beruhe80. Denn dann, so könnte man positiv formulieren, komme von vornherein nur eine Verletzung gesetzlicher Auslegungsgrundsätze in Betracht. Diejenigen, die betonten, daß bei der Auslegung von AGB individuelle Momente ausnahmslos ausgeschlossen blieben, kamen deshalb zu dem Ergebnis, daß die Auslegung von AGB auch immer revisibel sei81. Nach dieser Begründung scheint es sich nicht um eine revisionsrechtliche Sonderbehandlung von AGB zu handeln. Der Grund liegt vielmehr im materiellen Recht: AGB werden eben objektiv ausgelegt. Die Revisibilität der Auslegung ergibt sich hieraus von selbst82.
IV. Zusammenfassung A. Auch bei der Auslegung von AGB drängen sich Kontinuitätslinien zum 19. Jh. geradezu auf. Nach der vorherrschenden Willenstheorie war Ziel der Vertragsauslegung im 19. Jh. die Erforschung des wirklichen Willens beider Parteien. In den 1870er Jahren wurde die Erklärungstheorie entwickelt, nach der Auslegungsziel die Ermittlung des Sinns des objektiv Erklärten sein sollte. Diesen Theorienstreit löste das BGB nicht auf, und er wurde auch nach Inkrafttreten des BGB fortgeführt. Langsam kristallisierte sich der uns heute noch bekannte Grundsatz der normativen Auslegung heraus. Der Wandel der Auslegungslehre, der in den 1870er Jahren begann, vollendete sich in den 1930er Jahren. Die contra proferentem-Regel war im 19. Jh. von allgemeiner Geltung. Als sich der Grundsatz der normativen Auslegung durchsetzte, verdrängte er die contra proferentem-Regel als allgemeine Auslegungsregel. Im Recht der AGB konnte sich die contra proferentem-Regel dagegen halten, was einer besonderen Begründung bedurfte. Eine allgemein anerkannte Ratio der contra profe79 RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 119 f.; RG (30.6.1925), RGZ 111, 276, 278; RG (14.12.1926), RGZ 115, 122, 126; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 515 f.; RGRK-BGB/ Oegg (6. Aufl. 1928), § 133 Anm. 2; Hamburger (1930), S. 190; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 19; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 347 Anm. 7; Kost (1933), S. 39; Eilles, DGWR 1941, 128; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 133 Anm. 2; Droste, DB 1957, Beilage 10; Fischer, BB 1957, 484; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 110; Mühl, FS Kaufmann (1972), S. 293. 80 Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 14; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 133 Anm. 2; Husmann (1935), S. 57 f.; Meiss, VersR 1960, 963. Vgl. hierzu aus der modernen Forschung HKK-BGB/Vogenauer (2007), §§ 305–310 (Teil III) Rn. 5. 81 RG (13.12.1912), RGZ 81, 117, 118 f.; RG (23.11.1922) RGZ 106, 120, 122 f.; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 515; Woite (1931), S. 43; Kost (1933), S. 37. 82 So auch v. Nottbeck (1960), S. 27; Schmidt-Salzer (1967), S. 215.
286
§ 8. Auslegung
rentem bildete sich indes nicht heraus. Zudem stellte sich als Folge das Problem, wie der Anwendungsbereich der normativen Auslegung und der contra proferentem-Regel voneinander abgegrenzt werden konnte. Zwar war allgemein anerkannt, daß die contra proferentem-Regel nur subsidiär zur Anwendung kommt. Die Bedeutung dieses Subsidiaritätsgrundsatzes blieb indes umstritten. B. Der Gedanke der Typisierung war der Auslegungslehre zu keinem Zeitpunkt fremd. Schon im 19. Jh. war Ausgangspunkt der Auslegung das Erklärte, und es wurde vermutet, daß die Parteien das Übliche wollten. Erst im 20. Jh. kam es insoweit zu einem Wandel, als es den Parteien nunmehr nicht mehr möglich sein sollte, auf die konkreten Umstände des Einzelfalls hinzuweisen, die für eine anderslautende Auslegung sprachen. C. Ob die Auslegung revisibel ist, war am Ende des 19. Jh. wie zu Beginn des 20. Jh. strittig gewesen. Erst 1912 setzte sich in der Rechtsprechung die uns heute noch bekannte Differenzierung endgültig durch: Die Auslegung von Rechtsgeschäften ist nur revisibel, wenn eine Auslegungsregel verletzt ist, die Auslegung von AGB dagegen immer. D. Für die Auslegung von AGB liegt Raisers Bedeutung nicht darin, daß er überhaupt erst die Besonderheiten bei der Auslegung von AGB aufgedeckt hat. Schon zwei Jahren vor Erscheinen von Raisers Schrift hatte Hoeniger festgestellt83: »Für die Auslegung der allgemeinen Geschäftsbedingungen haben sich […] ziemlich feste Grundsätze ausgebildet.« Raiser hat diese Grundsätze vielmehr in ein schlüssiges System eingepaßt. E. Wie schon für die Einbeziehungsvoraussetzungen fällt eine Bewertung der Leistung des AGBG-Gesetzgebers kritisch aus: Er hat nur die vollkommen unstrittige contra proferentem-Regel kodifiziert. Er unterließ es, zum eigentlich problematischen Aspekt der contra proferentem-Regel Stellung zu beziehen: In welchem Verhältnis steht die contra proferentem-Regel zum Grundsatz der normativen Auslegung? Eine Antwort auf diese Frage sucht man im Gesetz vergeblich. Die übrigen Besonderheiten bei der Auslegung von AGB nahm er nicht in das Gesetz auf, ohne sie dadurch freilich in Frage stellen zu wollen84.
83 84
Hoeniger, Vorwort (1933), S. V. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 7/5422, S. 5.
§ 9. Inhaltskontrolle I. Die Ausgangslage Bereits im 19. Jh. waren uns vielfältige Formen der Inhaltskontrolle entgegengetreten. So setzte sich im Verlauf des 19. Jh. die Genehmigungspflicht des Betriebes von Versicherungen und Eisenbahnen durch. Die Genehmigungsverfahren waren in den deutschen Staaten verschieden ausgestaltet. Fast überall mußten die AGB vorgelegt werden. Sie hätten also auf ihre Billigkeit hin überprüft werden können. Ob eine solche Inhaltskontrolle ursprünglich bezweckt war, konnte nicht geklärt werden. Doch selbst wenn sie hätte durchgeführt werden können, wären Zweifel an ihrer Effektivität verblieben. Zu laut war die Kritik am Inhalt der AGB der Versicherungen und Eisenbahnen noch zur Mitte des 19. Jh. Bis zum Beginn des 20. Jh. entwickelte sich eine aufsichtsrechtliche Kontrolle dann als wirksames Instrument heraus. Im Versicherungsrecht wurde sie durch das VAG von 1901 anerkannt1. Freilich blieben die Gestaltungsmöglichkeiten der Verwaltung nicht auf die Genehmigung von AGB beschränkt2: Art. 45 der Verfassung des Norddeutschen Bundes ermächtigte den Bundesrat ein Eisenbahnreglement zu erlassen. 1870 trat es an die Stelle der zahlreichen AGB der Eisenbahnen. Die Eisenbahnen waren nun durch Verwaltungsakt verpflichtet, unter seiner Einbeziehung zu kontrahieren. Im Postrecht ging man einen anderen Weg. Auf Grundlage von § 57 des Gesetzes über das Postwesen des Norddeutschen Bundes erließ der Kanzler 1867 die Postordnung, und diese galt als Vertragsinhalt. Seit Beginn des 20. Jh. wurde im Eisenbahn- und Postwesen das Benutzungsverhältnis nicht mehr durch AGB, sondern durch Rechtsverordnungen geregelt. Im Rahmen der Kriegswirtschaft zur Zeit des Ersten Weltkrieges nahmen die Eingriffsmöglichkeiten der Verwaltung zu. Die Forschung sieht hier die Geburtsstunde des modernen Wirtschaftsverwaltungsrechts, und Hedemann stellte 1919 aus damaliger Sicht fest3: »Das bürgerliche Recht wird sich selbst immer mehr entfremdet; es bekommt eine immer stärkere öffentlichrechtliche Beimischung.« 1
Siehe hierzu schon oben § 4 IV A (S. 170). Siehe oben § 7 I A (S. 204 ff.) sowie § 2 II C 1 c (S. 44 ff.) und C 2 (S. 46 ff.). 3 Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 11. Siehe auch schon oben § 4 IV A (S. 165 ff.) und § 7 I A (S. 204 ff.). 2
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§ 9. Inhaltskontrolle
Daneben wurde in § 10 der Kartellverordnung von 1923 eine weitere Möglichkeit eines verwaltungsrechtlichen Einschreitens geschaffen: Setzte ein Monopolist unter Ausnutzung seiner Vormacht seine AGB durch und kam es so zu einer Gefährdung der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls, konnte das Kartellgericht auf Antrag etwa des Reichswirtschaftsministers die Verwendung dieser AGB durch Verwaltungsakt verbieten; waren die AGB bereits Verträgen zugrundegelegt, konnte der Vertragspartner vom Vertrag zurücktreten; war anzunehmen, daß der Vertrag auch ohne die beanstandete Klausel geschlossen worden wäre, so beschränkte sich das Rücktrittsrecht auf diese Klausel4. Als Reaktion auf die AGB-Praxis der Eisenbahnen hatten die Gesetzgeber schon früh zwingendes Recht erlassen5. Im Versicherungsrecht griffen die Gesetzgeber dagegen zunächst nur punktuell ein. Doch auch hier mehrten sich seit Mitte des 19. Jh. die Stimmen, die eine Einführung zwingenden Rechts zum Schutz der Versicherungsnehmer forderten. Und diesen Weg gingen die Gesetzgeber am Ende des 19. Jh. auch in anderen Rechtsgebieten. Nach der Jahrhundertwende hielten die Gesetzgeber daran fest, auf diese Weise auf den Inhalt von Verträgen einzuwirken, so in der Seemannsordnung von 19026, die anders als ihre Vorgängerin von 1872 nunmehr zwingendes Recht enthielt7, in der vorläufigen Landarbeitsordnung von 19198, vor allem aber im Mietrecht9. Ein frühes Beispiel der offenen richterlichen Inhaltskontrolle trat uns in der Rechtsprechung der rheinischen Gerichte in den 1840er und 1850er Jahren entgegen10. Sie erklärten die formularmäßigen Haftungsausschluß- und -beschränkungsklauseln insbesondere der Eisenbahnen für unwirksam. Doch vermochte sich diese Rechtsprechung zunächst nicht durchzusetzen. Zudem fiel ihr Anlaß fort, als der Gesetzgeber die Haftung der Eisenbahnen zwingend ausgestaltete. Ein Meinungswechsel deutete sich dann 1888 in der Rechtsprechung des Reichsgerichts an: Das Reichsgericht verneinte im konkreten Fall die Sittenwidrigkeit eines Haftungsausschlusses in den AGB eines Binnenschiffers vor allem deshalb, weil der Vertragspartner eine andere Wahl hatte, als der für ihn nachteiligen Abweichung vom Dispositivrecht zuzustimmen, denn der Verwender hatte sich weder mit anderen Anbietern
4 RGBl. 1923, S. 1067. Zu den Einzelheiten aus der umfangreichen Literatur Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 228 f.; Isay/Tschierschky (2. Aufl. 1930), S. 321 ff.; Goldbaum (1930), § 346 S. 459 f.; Koenig (1932), S. 23; Callmann (1934), S. 450 ff.; Raiser (1935), S. 296 ff. Aus der modernen Forschung vgl. Nörr (1994), S. 61 f. 5 Siehe hierzu und zum folgenden oben § 4 III (S. 157 ff.). 6 RGBl. 1902, S. 175. 7 Wüstendörfer, Seeschiffahrtsrecht (1923), S. 651. Siehe schon § 4 III D (S. 165). 8 RGBl. 1919, S. 111. 9 Vgl. statt aller Fuld (1898), S. 52 f.; Mittelstein/Stern/Mittelstein, Miete (4. Aufl. 1932), S. 125 ff.; Staudinger/Kober/Kiefersauer (9. Aufl. 1928), Einl. § 535 BGB. 10 Siehe hierzu und zum folgenden oben § 4 II A (S. 147 ff.).
I. Die Ausgangslage
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derselben Leistung auf diese Bedingungen geeinigt noch ein faktisches Monopol inne11. Dieser Gesichtspunkt etablierte sich in der Rechtsprechung endgültig im Jahre 190612 und dominierte Literatur und Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jh. AGB sollten wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam sein, wenn ein für den Verkehr unentbehrliches Unternehmen eine rechtliche oder faktische Monopolstellung dazu mißbrauchte, seinem Vertragspartner unbillige Bedingungen zu diktieren13. Daß das Reichsgericht einen Monopolmißbrauch als Voraussetzung für einen Eingriff in den Vertrag verlangte, stand in einer langen Tradition. Das Landgericht Düsseldorf verwies 1857 zur Rechtfertigung seiner offenen richterlichen Inhaltskontrolle ebenso auf das faktische Monopol der Eisenbahnen wie der ADHGB-Gesetzgeber zur Rechtfertigung der Einführung zwingenden Rechts14. Die Literatur forderte seit Mitte des 19. Jh. unter Hinweis auf das faktische Monopol der Versicherungen die Einführung zwingenden Rechts zum Schutz der Versicherungsnehmer, und die Rechtsprechung rechtfertigte mit dem gleichen Gesichtspunkt seit den 1860er Jahren ihre weitgehende verdeckte richterliche Inhaltskontrolle im Versicherungsrecht. In der Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts vollendete sich eine Entwicklung, die zur Mitte des 19. Jh. eingesetzt hatte. Auch im 20. Jh. wurde die contra proferentem-Regel angewendet, wenn eigentlich keine nicht anders aufzulösende Unklarheit bestand, um so den Vertragspartner zu schützen. Diese verdeckte Inhaltskontrolle stieß weiter auf 11
Siehe oben § 4 II A (S. 152 f.). RG (8.1.1906), RGZ 62, 264, 266. Die Entscheidung aus dem Jahre 1888 wurde weiterhin zitiert; siehe z.B. Düringer/Hachenburg/Bing (3. Aufl. 1932), § 429 Rn. 27. 13 Vgl. z.B. RG (15.5.1920), RGZ 94, 107, 109 f.; RG (1.10.1921), RGZ 102, 396; RG (21.3.1923), RGZ 106, 386, 388; RG (26.10.1921), JW 1922, 575 mit Anm. Nipperdey; Fuld, Das Recht 1906, 1188; Staub/Koenige/Pinner/Bondi (10. Aufl. 1920), Anhang zu § 346 Rn. 35; Senckpiehl, Haftung (1923), S. 116; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 138 Anm. I 5; Hachenburg, JW 1925, 1395; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), Anhang zu § 346 Rn. 35 f., § 347 Rn. 30; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323, 324 ff.; Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 826 Anm. B10; Krusemeyer (1927), S. 13 f., 20 ff.; RGRK-BGB/Oegg (6. Aufl. 1928), § 138 Anm. 1A b, f; RGRK-BGB/Michaelis (6. Aufl. 1928), § 276 Anm. 5; Oertmann (5. Aufl. 1928), § 276 Anm. 2a; Müller-Erzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 546; Richter (1928), S. 113; Heidland (1929), S. 42 f.; Soergel/Keßler (4. Aufl. 1929), § 138 Anm. 4; Richter, JW 1929, 2033; Staudinger/Werner (9. Aufl. 1930), § 276 Anm. IV; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 235 f.; Hamelbeck (1930), S. 11 ff.; Siber, Schuldrecht (1931), S. 87; F. Leonhard, Besonderes Schuldrecht (1931), S. 161; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 25; Hodum (1931), S. 45 ff.; Nipperdey, JW 1931, 3085; Wrede (1931), S. 23; Sebba (1931), S. 6 f.; Weller (1931), S. 13 ff.; Woite (1931), S. 58 ff.; A. Koch, Banken (1931), S. 48; dens., Geschäftsbedingungen (1932), S. 5 ff.; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 346 Anm. 5, § 347 Anm. 7; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 11; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; Michel (1932), S. 45 ff.; J. v. Gierke (4. Aufl. 1933), S. 588, 715; Neukirch (1933), S. 22 ff.; Koehler (1934), S. 35 ff.; Husmann (1935), S. 45 ff.; Wieneke (1936), S. 68 ff.; Roquette, JW 1938, 548; Peter, DR 1938, 55; v. Erckelens, ZAkDR 1940, 367. 14 Siehe oben § 4 II A (S. 151), III (S. 160) und V B (S. 174). 12
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§ 9. Inhaltskontrolle
Kritik15. Allerdings wurde neben der offenen richterlichen Inhaltskontrolle Raum für eine Anwendungskontrolle gesehen, war jene doch zunächst auf die Fälle des Monopolmißbrauchs beschränkt16: Insbesondere sollte die Berufung auf eine Klausel dann treuwidrig sein, wenn der Verwender bereits bei Vertragsschluß vorhersehen mußte, daß der Fall einer Klausel eintreten werde, so wenn der Verkäufer bereits bei Vertragsschluß wußte, daß ihm eine rechtzeitige Lieferung nicht möglich sein werde und er sich sodann auf einen Haftungsausschluß für Spätlieferung berufen wollte. Zudem wollten einige die Arglisteinrede bei überraschenden oder ungewöhnlichen Klauseln anwenden17. Der Prozeß, daß sich die Vertragspartner zusammentaten, um ihre Unterlegenheit auszugleichen, oder sich beide Seiten organisierten, um AGB über Interessenvertretungen auszuhandeln, verstärkte sich zu Beginn des 20. Jh.18. So entstand 1926 in Verhandlungen zwischen Vertretern der öffentlichen Hand und den Verbänden der Bauwirtschaft die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB)19. Nach § 2 TarifvertragsVO von 1918 konnte die Verwaltung Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären, und der Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge bestimmte sich dann unmittelbar nach diesen Tarifverträgen. Diese wurden zwischen den Tarifparteien ausgehandelt, und so war eine Gewähr ihrer inhaltlichen Ausgewogenheit gegeben. Nachfolgend diskutierte man, ob Mietverträge ebenfalls zwischen Mieter- und Grundbesitzervereinen ausgehandelt werden sollten20. Zudem wurde vorgeschlagen, daß diese Mietverträge wie die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden könnten. Für andere AGB existierten seit den 1920er Jahren ähnliche Vorschläge. Doch vermochten sich diese Ansätze zunächst nicht durchzusetzen.
II. Ansätze einer Neuorientierung Betrachten wir das Zusammenspiel von Verwaltungskontrolle, der Einführung zwingenden Rechts sowie der richterlichen Inhalts- und Anwendungskontrolle, so war die Eingriffsdichte schon zu Beginn des 20. Jh. beachtlich. Doch bargen diese Formen der Inhaltskontrolle Probleme. Die aufsichtsrechtliche Kontrolle war auf bestimmte Branchen beschränkt. Der Gesetzgeber 15
Siehe oben § 8 I (S. 278). Vgl. Koehler (1934), S. 39 ff.; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), § 242 Rn. 445. 17 Koehler (1934), S. 39 ff.; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323. Vgl. hierzu schon umfassend oben § 7 II F (S. 259). 18 Siehe oben § 4 VII (S. 187). Zum folgenden vgl. mit zahlreichen Beispielen Haus (1936), S. 65 ff.; Hueck, JhJb 73 (1923), 33 ff. und oben § 7 I A und B (S. 204 ff.). 19 Hierzu Schubert, FS Korbian (1986), S. 389 ff. Zur daraus folgenden Sonderbehandlung der VOB/B im Rahmen der Inhaltskontrolle vgl. Jacoby, ZGS 2009, 73 ff. 20 Hueck, JhJb 73 (1923), 37 Fn. 3. So zuvor auch schon Eltzbacher (1913), S. 33 ff. Siehe schon oben § 7 I A (S. 208, 211). 16
II. Ansätze einer Neuorientierung
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konnte durch die Einführung zwingenden Rechts ebenfalls nur punktuell und zeitlich verzögert reagieren. Zudem schoß er regelmäßig über das Ziel hinaus. Anlaß des Eingriffs war eine unbillige AGB-Praxis, und er schloß dennoch auch die Möglichkeit aus, durch Individualabreden vom dispositiven Recht abzuweichen. Die Kontrolle durch die Verwaltung war vergleichbaren Bedenken ausgesetzt. Legte sie den Vertragsinhalt durch Verordnung oder Verwaltungsakt fest, so waren in der Regel auch abweichende Individualabreden unterbunden. Die vom Gesetzgeber angestrebte Arbeitsteilung – »das BGB […] setzte auf ein gleiches und freies Privatrecht als Rechtsideal« und wurde ergänzt durch schützende Spezialgesetze21 – erwies sich in Hinblick auf AGB als wenig glücklich. Das hatte Jastrow freilich schon 1892 vorhergesehen22. Das Aushandeln der AGB unter Verbänden, in denen sich die Verwender und Vertragspartner zusammenschlossen, wurde ebenfalls kritisch betrachtet23: »[U]m diese Normativbedingungen […] wird von beiden Seiten gerungen, und namentlich, wenn sich auf beiden Seiten mächtige Verbände gegenübertreten, wie die Mieterschutzvereinigungen und die Hausbesitzerverbände, vor allem aber die gewaltigen Organisationen der Arbeiterschaft und des Unternehmertums, so kommt es oft zu wochenlangen heißen Kämpfen um die Einzelheiten des neuen Musterformulars […]. An die Stelle des Einzelegoismus ist dann der Massenegoismus getreten […].«
Auch die Grenzen der Monopolrechtsprechung waren bald erkannt24: Für ein Eingreifen des Reichsgerichts reichte ein unbilliger AGB-Inhalt für sich genommen nicht aus. Ein konkreter Monopolmißbrauch mußte hinzutreten. Das Reichsgericht führte damit keine reine Inhaltskontrolle durch. Michel erläuterte 193225: »Wir finden nämlich, daß […] das abgeschlossene Rechtsgeschäft als solches […] keinen Sittenverstoß enthält. Nicht der mit dem Geschäft beabsichtigte Erfolg ist mißbilligenswert, sondern die Mittel, mit denen ein an sich erlaubter Zweck verfolgt wird.«
Und Raiser ergänzte kritisch, die »Art des Zustandekommens ist es, die solche Verträge sittenwidrig macht«26, nicht dagegen ihr bloßer Inhalt27: »Nicht Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch den Unternehmer, sondern Monopolmißbrauch lautet das Stichwort für das Eingreifen der Gerichte. Der Akzent wird vom Inhalt der AGB. auf das Mittel ihrer Durchsetzung durch den Unternehmer verlegt, das die an sich von der Rechtsordnung unterschiedslos anzuerkennenden Bestimmungen der AGB. zu sittenwidrigen stempelt.«
21 22 23 24 25 26 27
Rückert, JZ 2003, 751. Siehe dazu schon oben § 1 I (S. 7). Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 282 ff. und siehe oben § 4 II C (S. 156 f.). Hedemann, Schuldrecht (2. Aufl. 1931), S. 8. Vgl. ders., Neue Zeit (1919), S. 13. Vgl. hierzu HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 10 ff. Michel (1932), S. 45. Raiser (1935), S. 279. Raiser (1935), S. 283.
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§ 9. Inhaltskontrolle
Zudem wurde kritisiert, daß es der Rechtsprechung nicht gelungen sei, klar herauszuarbeiten, wann die von ihr formulierten Voraussetzungen erfüllt sind28: Der Verwender mußte eine für den Verkehr unentbehrliche Leistung anbieten. Er mußte eine Monopolstellung innehaben. Und er mußte diese dazu mißbraucht haben, seinem Vertragspartner unbillige Bedingungen aufzuzwingen. Für den Verkehr unentbehrliche Unternehmen sollten etwa Speditionen und Hotels, nicht aber Auskunfteien sein29. Für die Annahme einer Monopolstellung sollte genügen, daß die überwiegende Anzahl oder gar nur die Mehrzahl der Anbieter einer Leistung zu gleichen oder auch nur vergleichbaren Bedingungen kontrahierte30. Ein absolutes Monopol war mithin keine Voraussetzung. Bei der Frage, ob die dem Vertragspartner diktierten Vertragsbedingungen unbillig waren, orientierte man sich am Dispositivrecht, stellte darauf ab, ob Abweichungen von diesem durch besondere Gründe gerechtfertigt waren, und nahm eine beidseitige Interessenabwägung vor31. So verneinte das Oberlandesgericht Hamburg 1924 die Sittenwidrigkeit der in den Hotelrevers enthaltenen Haftungsausschlußklauseln mit den »besonderen wirtschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart«32. Denn ausschlaggebend für die vom Verband der Hotelbesitzervereine Deutschlands bzw. vom Deutschen Hotelund Gaststättenverband betriebene Einführung des Hotelrevers waren die Unsicherheiten während des Ersten Weltkrieges und der Inflation gewesen33. Zudem habe die Rechtsprechung nur zurückhaltend davon Gebrauch gemacht, AGB wegen eines Monopolmißbrauchs für unwirksam zu erklären34. Freilich lassen sich auch umgekehrt Beispiele finden, in denen die Rechtsprechung beherzt eingriff: So glaubten das Amtsgericht München im Jahre 1910 und in der zweiten Instanz das Landgericht München im Jahre 1911 das Mietvertragsformular des Münchener Grund- und Hausbesitzervereins auf seinen Inhalt kontrollieren und insbesondere die sogenannten Wohnungsentschädigungsklauseln für nichtig erklären zu können, weil fast sämtliche Vermieter in 28 Soergel/Keßler (4. Aufl. 1929), § 138 Anm. 4; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 138 Anm. D10b-d, 20f; und die Kritik bei Löning, MJenaerIWR 1930, 18; Haus (1936), S. 31 f.; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 464. 29 RG (14.12.1926), RGZ 115, 122, 128. 30 Vgl. RG (8.11.1926), RGZ 115, 218, 219 f.; RG (6.7.1929), SeuffA 83 (1929), 343, 345; Soergel/Keßler (4. Aufl. 1929), § 138 Anm. 4; Weller (1931), S. 14 f.; Sebba (1931), S. 6 f.; Hodum (1931), S. 46; Koenig (1932), S. 27 ff.; Michel (1932), S. 50 f.; Neukirch (1933), S. 23; Koehler (1934), S. 36 f.; Husmann (1935), S. 47. 31 RG (26.10.1921), JW 1922, 575 mit Anm. Nipperdey; Hamelbeck (1930), S. 12; RG (14.5.1926), RGZ 113, 427, 430; RG (8.11.1926), RGZ 115, 218, 220; RG (8.7.1931), JW 1931, 2719; Michel (1932), S. 47. 32 OLG Hamburg (4.3.1924), HansGZ (BBl) 1924, 96, HansRZ 1924, 506, Das Recht 1924, 225. Ebenso OLG Celle (22.11.1924), BankA 1924, 119 für Haftungsausschlußklauseln einer Bank während der Wirren der Inflation. 33 Vgl. hierzu Scheye (1914), S. 79 f.; Jacobi (1928), S. 82; Brunner (1928), S. 1 ff.; v. Wrangel, Eger 48 (1929), 249; Strauß (1938), S. 26; Schlemmer (1960), S. 36, 47. 34 Löning, MJenaerIWR 1930, 18; Raiser (1935), S. 303 ff., 307.
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München auf Grundlage dieses Formulars kontrahierten35. Die Vermieter mißbrauchten ihr »wirtschaftliches Uebergewicht und den in München tatsächlich vorhandenen Wohnungsmangel«36. Allgemein führte das Amtsgericht aus37: »Die durch das Gesetz gewährleistete Vertragsfreiheit kann nach Treu und Glauben nur dahin aufgefaßt werden, daß es den Vertragsschließenden im einzelnen ermöglichen soll, gesetzliche Bestimmungen, die sich aus irgendwelchen besonderen Gründen für diesen Fall nicht empfehlen, auszuschließen oder abzuändern, nicht aber dahin, daß es den Vermietern freistehen soll, alle zum Schutze der Mieter getroffenen gesetzlichen Bestimmungen schlechthin und für alle Mietverträge auszuschalten.«
Und mit Blick auf die Bestimmungen des in Frage stehenden Formulars ergänzte es38: »Einzelne dieser Bestimmungen verstoßen gegen zwingende Gesetzesvorschriften und sind deshalb ohne weiteres nichtig, die anderen aber enthalten in ihrer Gesamtheit eine derartige Abänderung der gesetzlichen Bestimmungen, daß sie gegen die guten Sitten verstoßen, namentlich wenn sie, wie hier, allgemein von den Vermietern verlangt werden und dadurch den Mietern ein Widerstand im einzelnen Falle fast unmöglich gemacht wird, weil sie ihnen in einer anderen Wohnung wieder begegnen würden.«
Und im Urteil des Landgerichts begegnen uns mit der Rechtlosstellung der Vertragspartner, dem Mißbrauch der Vertragsfreiheit und dem Schikaneverbot Gedanken, auf die schon im 19. Jh. verwiesen worden war39: »In der Tat verfolgen die unter Anwendung des genannten Formulars abgeschlossenen Mietverträge nicht nur die gesetzlich zulässige Absicht, den Vermieter gegen Benachteiligungen durch den Mieter zu schützen, sondern darüber hinausgehend den Zweck, den Mieter dem Vermieter gegenüber fast vollständig rechtlos zu machen […]; einzelne dieser Vertragsbestimmungen […] öffnen der Schikane […] Tür und Tor. […] Was insbesondere die […] Wohnungsentschädigung anlangt, so verfolgt diese in der Hauptsache nicht den Zweck, den Hauseigentümer schadlos zu halten wegen der Abnutzung der Wohnung; denn der Vermieter hat […] auch wegen der natürlichen und ordnungsgemäßen Abnutzung durch die Bestimmungen […] des Vertragsformulars vollständige Deckung. Der eigentliche Zweck geht vielmehr dahin, dem Mieter das ihm zustehende Kündigungsrecht in ungebührlicher Weise zu erschweren, während sich der Vermieter in dieser Richtung freie Hand behält. […] Der Berufungsführer verkennt durchaus die Bedeutung der dispositiven Rechtsnormen und deren Verhältnis zu der gesetzlich gewährten Vertragsfreiheit, wenn er ausführt, daß der Umfang und die Art der Vereinbarungen den Parteien vollkommen frei stehe, soweit nicht zwingendes 35 AG München (26.4.1910), DJZ 1911, 460; LG München (13.1.1911), SeuffBl 76 (1911), 217. Vgl. zu diesen Urteilen bereits Repgen, in: Steinmetz (2000), S. 407 f. 36 AG München (26.4.1910), DJZ 1911, 461. 37 AG München (26.4.1910), DJZ 1911, 461. 38 AG München (26.4.1910), DJZ 1911, 461. 39 LG München (13.1.1911), SeuffBl 76 (1911), 218 f. Betonungen ergänzt.
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§ 9. Inhaltskontrolle
Recht in Betracht kommt, und daß die gesetzlichen Bestimmungen nur für den Fall gelten sollen, daß besondere Vertragsvereinbarungen fehlen. Denn die Abänderlichkeit der dispositiven Rechtsnormen durch Parteivereinbarung ist nur die negative Seite dieser Rechtsnormen im Gegensatz zu dem zwingenden Recht, das eine Abänderung auch durch Parteivereinbarung ausschließt. Hiermit ist aber das Wesen der dispositiven Rechtsnormen nicht erschöpft; dieses liegt vielmehr in einem sehr positiven Moment und zwar darin, daß diese Rechtsnormen der gesetzlich festgelegte, durch Parteivereinbarung im einzelnen Falle allerdings eleminierbare Niederschlag dessen sind, was der Gesetzgeber nach den Regeln der Erfahrung in typischen, immer wiederkehrenden Rechtsverhältnissen als den gerechten und zweckmäßigen Ausgleich der sich entgegenstehenden Parteiinteressen ansieht. Wenn nun von dieser festgesetzten Ordnung konstant abgewichen wird, so besteht für die Gerichte alle Veranlassung zu einer Prüfung in der Richtung, ob infolge geänderter Verhältnisse die vom Gesetzgeber normierte Ordnung nicht mehr den Geboten der Billigkeit und Zweckmäßigkeit entspricht und ob infolgedessen die Parteien in wirklicher Ausübung ihrer Vertragsfreiheit eine selbst gewählte an Stelle der gesetzlichen Ordnung setzen oder aber, ob die Angehörigen der einen Vertragsseite in Mißbrauch des etwa erlangten wirtschaftlichen Übergewichts in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise auf dem Wege der angeblichen Vertragsfreiheit die gesetzlichen Bestimmungen aufheben, die zur Wahrung der berechtigten Interessen für die Angehörigen der anderen Vertragsseite vom Gesetzgeber aufgestellt worden sind. Wenn der Berufungsführer sich auf das Recht der gesetzlich gewährleisteten Vertragsfreiheit versteift, so muß dem gegenüber betont werden, daß in solchen Fällen die Vertragsfreiheit auf Seite der wirtschaftlich schwächeren Vertragspartei sich in der Regel darin erschöpft, daß sich dieselbe den ihr vom Vertragsgegner diktierten Bedingungen zu fügen hat, auch wenn diese noch so unbillig sind, und daß eben zum Schutz gegen einen solchen Mißbrauch der Vertragsfreiheit § 138 BGB. Anwendung zu finden hat.«
Freilich blieben solche Urteile vereinzelt und auch die Literatur reagierte gespalten, ob und wie den Vertragsklauseln im Mietrecht begegnet werden könne40. Allgemein bereitete vielen Autoren die Heranziehung des § 138 BGB Unbehagen. Denn so seien viele Verwender dem Vorwurf ausgesetzt, sie verhielten sich ständig sittenwidrig, ein Vorwurf, der als zu hart empfunden wurde41. Schließlich befriedigte eine Anwendungskontrolle nicht, sobald man erkannte, daß nicht die Berufung auf die Klausel durch den Verwender anstößig war, sondern daß bereits der Inhalt der Klausel unbillig war. Diese Anwendungskontrolle könnte man fast als Spiegelbild der Monopolrechtsprechung verstehen. Der Inhalt der AGB wurde für sich genommen nicht mißbilligt. Es mußten besondere Umstände hinzutreten. Bei der Monopolrechtsprechung lagen diese Umstände in der Art des Zustandekommens des Vertrags, bei der 40
Mittelstein, SeuffBl 76 (1911), 257 ff., 416 ff.; Levinger, SeuffBl 76 (1911), 414 f.; Simon, JW 1914, 514 ff.; Mittelstein/Stern/Mittelstein, Miete (4. Aufl. 1932), S. 130. 41 Vgl. statt aller Haus (1936), S. 33. Ähnlich Stammler (1902), S. 420 mit Blick auf die Inhaltskontrolle von Mietverträgen: § 138 BGB sei nur Grenze der Vertragsfreiheit.
II. Ansätze einer Neuorientierung
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Anwendungskontrolle dagegen in der Art, wie sich der Verwender auf seine AGB berufen wollte. Keine der bis zu Beginn des 20. Jh. entwickelten Formen der Inhaltskontrolle führte also zu einem umfassenden Schutz. Und so verwundert nicht, daß in der Literatur zahlreiche Ansätze einer Neuorientierung existierten. Hier sollen diese Ansätze beispielhaft anhand von fünf Autoren, Max Pappenheim, Hans Carl Nipperdey, Hans Großmann-Doerth, Ludwig Raiser und Hermann Roquette, nachgezeichnet werden42.
A. Max Pappenheim Pappenheim kritisierte 1915 zweierlei. Zum einen sei problematisch, wenn das dispositive Recht nicht nur im Einzelfall, sondern in der überwiegenden Anzahl der Fälle abbedungen werde43: »Es besteht ein allgemeines Interesse der Rechtsordnung daran, dass das Verhältnis des Gesetzes zu der es ausschaltenden Vereinbarung aus dem Verhältnis der Regel zur Ausnahme nicht in sein Gegenteil verkehrt wird. Das Ansehen des Gesetzes muss leiden, wenn es die Lebensverhältnisse, zu deren Regelung es bestimmt ist, tatsächlich nicht mehr beherrscht.«
Pappenheim geht von einer Leitbildfunktion des Dispositivrechts aus. Nur begründet er sie auf für uns heute befremdliche Weise mit dem »Ansehen des Gesetzes« und einem allgemeinen »Interesse der Rechtsordnung«. Die Leitbildfunktion des Dispositivrechts war nun nichts neues. Wenn man im 19. Jh. forderte, daß Vertragsabreden sich nicht in Widerspruch zur Natur des Vertrages setzen dürfen, dann orientierte man sich der Sache nach am Dispositivrecht44. Auch das Reichsgericht stellte im Rahmen der Monopolrechtsprechung bei der Frage, ob die dem Vertragspartner diktierten Vertragsbedingungen unbillig waren, darauf ab, ob die Abweichung vom dispositiven Recht durch besondere Gründe gerechtfertigt war45. Und das Landgericht München hatte schließlich schon von einem »positiven Moment« gesprochen, das dem dispositiven Recht innewohne46. Allerdings rückte Pappenheim die Leitbildfunktion des Dispositivrechts ins Zentrum seiner Kritik. Sie erhielt eine neue Qualität: Unbedenklich sei, wenn das Dispositivrecht ausnahmsweise abbedungen werde. Nicht hinzunehmen sei dagegen, wenn dies zur Regel werde. Bisher war der Anlaß der Einführung zwingenden Rechts zwar regelmäßig eine un42 Vgl. zudem K. Schneider, JhJb 69 (1911), 387; Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 12 ff.; Hodum (1931), S. 9. Unkritisch dagegen A. Koch, Banken (1931), S. 46. 43 Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 291 f. 44 Siehe oben § 4 II (S. 147). 45 Siehe unten den Text zu Fn. 31. 46 Siehe oben das Zitat zu Fn. 39.
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§ 9. Inhaltskontrolle
billige AGB-Praxis gewesen. Aber durch die Einführung zwingenden Rechts waren zugleich auch abweichende Individualabreden unterbunden. Wenn Pappenheim allein den regelmäßigen Ausschluß des Dispositivrechts als Problem erkannte, hatte er der Sache nach die Unterscheidung zwischen Individualabreden und AGB im Auge. Nur wenn sich herausstelle, daß eine gesetzliche Regelung veraltet sei, sei im Prinzip nicht zu kritisieren, wenn sie durch Vereinbarung regelmäßig verdrängt werde. Eine regelmäßige Abweichung vom Dispositivrecht bedurfte nach Pappenheim also einer Rechtfertigung. Damit ging er über die Monopolrechtsprechung hinaus. Nach Ansicht des Reichsgerichts war es nicht zu beanstanden, wenn das Dispositivrecht durch AGB regelmäßig verdrängt wird. Es mußte ein Monopolmißbrauch hinzutreten. Pappenheim mißbilligte dagegen schon, wenn ohne Grund regelmäßig vom Dispositivrecht abgewichen wird. Hier äußert sich die neue Qualität, die er der Leitbildfunktion des Dispositivrechts beimaß. Aber selbst wenn eine Rechtfertigung für einen regelmäßigen Ausschluß des Dispositivrechts vorliege, sei nicht jede Form der Vertragsabrede unproblematisch47: »Dies bleibt jedoch nur solange unbedenklich, als in den Parteiabreden die wirkliche Meinung der Beteiligten über die angemessene Ordnung ihrer Vertragsverhältnisse zum Ausdruck gelangt. Wenn […] die Vertragsbedingungen nicht in freier Einigung festgestellt, sondern von der einen Partei vermöge ihres wirtschaftlichen Übergewichts […] diktiert worden sind, können [… sie] nicht mehr ohne weiteres als Zeugnis dafür gelten, dass […] der vereinbarte Vertragsinhalt eine angemessenere Regelung […] darstellte, als der von ihm verdrängte Inhalt des Gesetzes. Solange solche Verschiedenheit in der Stellung der Vertragschliessenden nur eine gelegentliche Erscheinung ist, wird eine Ausgleichung durch anders gelagerte Fälle stattfinden. Wird aber die Feststellung der Vertragsbedingungen nach dem überlegenen Willen des einen Teiles zur Regel, so wird durch ihre Abweichungen vom Gesetzesrechte nicht nur diesem die Herrschaft über die betreffenden Verträge entzogen, sondern es geschieht dies auch auf eine dem Sinne des Gesetzes […] widerstreitende Art. Denn eine Gesetzesvorschrift, die einer abweichenden Vereinbarung nachgeben will, will nicht dem von der einen Partei der anderen aufgezwungen Willen nachgeben.«
Auch hier ging Pappenheim über die Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts hinaus. Das Reichsgericht wollte nicht schon dann einschreiten, wenn der Verwender seine AGB aufgrund seiner wirtschaftlichen Machtstellung durchzusetzen versucht, solange er dafür nur nicht seine Monopolstellung mißbraucht. Pappenheim setzte an die Stelle der Monopolstellung des Verwenders, dessen bloßes wirtschaftliches Übergewicht. Wenn ein solches Übergewicht bestehe, sei nicht die Gewähr gegeben, daß die getroffene Abrede angemessen sei. Sodann lenkte Pappenheim den Blick auf das Mietrecht: Seit der Mitte des 19. Jh. hätten die Vermieter die Wohnungsnot in den Städten ausge47
Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 292 f.
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nutzt, um die Stellung der Mieter vertraglich zu verschlechtern. Warum habe der Gesetzgeber hier nicht eingegriffen48? »Einer Bekämpfung der damit gegebenen Misstände mit den Mitteln des Privatrechts hat aber die Gesetzgebung lange Zeit ablehnend gegenübergestanden. Das Übel mochte nach Umfang und Dauer nicht gross genug scheinen, um einen unleugbar schweren Eingriff zu rechtfertigen. Jedenfalls aber widerstrebte die Art dieses Eingriffs dem zu jener Zeit fast überall noch unangefochten herrschenden Dogma der Vertragsfreiheit. Auch in Deutschland war man sich darüber noch nicht klar geworden, dass die Vertragsfreiheit selbst nur auf dem geltenden Recht beruht, und dass dieses ihr in dem Augenblick engere Grenzen ziehen muss, wo sie mit den Interessen der Rechtsordnung in Widerstreit gerät.«
Daß das Dogma der Vertragsfreiheit zu keiner Zeit unangefochten war, haben wir bereits gesehen. Hier irrte Pappenheim also. Das Zitat deutet zudem an, daß er keine richterliche Inhaltskontrolle einforderte. Er setzte sich in erster Linie für ein Eingreifen des Gesetzgebers ein49: »Vornehmlich dem Schutze der wirtschaftlichen Schwachen und daher gegen Wegbedingung ihrer gesetzlichen Rechte Wehrlosen dient die stetig wachsende Zahl der zwingenden Vorschriften […]. Die Ausschliessung der vom Gesetze abweichenden Vereinbarung ist zu einer Art Signatur für sozialpolitische Bestimmungen i.e.S. geworden.«
Pappenheim erkannte, daß diese Eingriffe ein allgemeines Problem nur punktuell dort lösten, wo der Schutz des Schwachen am nötigsten schien50: »Bei der Einschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutze der tatsächlich nicht entschliessungsfreien Partei ist die Gesetzgebung Schritt für Schritt vorgegangen. Der […] Gedanke, der den […] Bestimmungen zu Grunde liegt, ist nicht in einer allgemeinen Vorschrift nach Art des § 138 BGB., sondern in einer grossen Zahl sich einander reihenden Einzelanwendungen zum Ausdruck gelangt. Dieses Verfahren war schon dadurch geboten, dass jener Gedanke selbst um seine Anerkennung mühsam zu kämpfen hatte, dass es zunächst einige spezielle Vertragsverhältnisse waren, für die er sich durchsetzte, und dass nur von einer sorgfältigen Prüfung der Einzelfälle die Gewinnung und Einhaltung des rechten Weges erwartet werden konnte. Natürlich hatte das somit vollkommen gerechtfertigte und bis zur Gegenwart beibehaltene Verfahren der Gesetzgebung auch seine Schattenseite. Namentlich räumte es allerlei Zufälligkeiten einen massgebenden Einfluss auf die Auswahl der Materien ein, in Ansehung derer der Missbrauch der Vertragsfreiheit durch die Schaffung zwingenden Gesetzesrechts bekämpft wurde.«
Das punktuelle Eingreifen betrachtete Pappenheim zwar kritisch, hielt es aber für einen historisch notwendigen Schritt. Doch schimmert die Möglichkeit einer Generalklausel (»Vorschrift nach Art des § 138 BGB«) bereits durch. 48 49 50
Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 293 f. Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 295 f. Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 297.
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Schließlich fragte Pappenheim, ob der hinter diesen Eingriffen stehende Rechtsgedanke durch Gerichte nutzbar gemacht werden könnte51. Er war skeptisch und glaubte auch nicht, daß die Monopolrechtsprechung in diesem Sinne verstanden werden könne. Pappenheim hatte sich in seinen Schriften übrigens nicht nur mit der modernen AGB-Praxis und ihren Folgen beschäftigt. Er war es, der in anderen Schriften auf die die Pilger im Mittelalter grob benachteiligende Vertragspraxis in Venedig und anderen Mittelmeerstädten sowie darauf hingewiesen hatte, daß der Genueser Gesetzgeber im 15. Jh. zum Schutze der Seeleute für Heuerverträge zwingendes Recht erlassen hatte52.
B. Hans Carl Nipperdey Fünf Jahre später kritisierte Nipperdey die AGB-Praxis sehr viel grundsätzlicher. Erst in Folge der wirtschaftlichen Verhältnisse des Ersten Weltkrieges sei man sich der Notwendigkeit einer Umorientierung bewußt geworden53. Die bereits bestehenden Ansätze müßten ausgebaut werden54: »Die wissenschaftliche Durcharbeitung […] muß anknüpfen an die ausgesprochen individualistischen Grundsätze […]. Denn denen gilt der Kampf […]. In diesem Sinne müssen wir unter Sozialisierung des Privatrechtsrecht verstehen: Die Zurückdrängung der durch die Privatrechtsordnung […] geschützten individualistisch-egoistischen Interessen des einzelnen Rechtsgenossen zugunsten der Gesamtheit. Die Gesamtheit muß einmal verlangen, daß sie […] nicht benachteiligt wird durch das Verhalten einzelner, auch wenn dieses sich im Rahmen der […] privatrechtlichen Freiheitsrechte hält. Dann ist eben dieser Rahmen zu weit. Und zum anderen verlangt die Gemeinschaft, daß die Verwendung privatrechtlicher Freiheitsgrundsätze nicht zu einer Unterdrükkung einzelner wirtschaftlich schwacher Existenzen führt. Ist das der Fall, so bedarf es gleichfalls des staatlichen Eingreifens. […] Einer der bedeutsamsten der individualistischen Grundsätze des Privatrechts ist der […] der Vertragsfreiheit. […] Aber auch andere Forscher weisen darauf hin, daß die Vertragsfreiheit gerade in neuerer Zeit durch in ihrem Gefolge eingeführten zahllosen die Verträge a priori beherrschenden Normalbestimmungen der Organisationen und Verbände zu einer Schädigung der wirtschaftlich Schwachen führen kann. Im Namen der Vertragsfreiheit wird die Vertragsfreiheit ›sabotiert‹. Die wenigen Schranken der Vertragsfreiheit, die das bürgerliche Gesetzbuch aufgestellt hat, genügen nicht oder sind doch nur als Bestimmungen, die noch der ausfüllenden Konkretisierung bedürfen, brauchbar.«
Nipperdey stellte hier das Interesse der Gesamtheit über das Einzelinteresse. Dieser Gedanke erlangte in der weiteren Diskussion zunehmend an Bedeu51 52 53 54
Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 298 f. Siehe oben die Nachweise in § 1 I (S. 2). Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 1. Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 2 f.
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tung. Nipperdey verlangte auf dieser Grundlage gerade auch in Hinblick auf die AGB-Praxis, er sprach von »die Verträge a priori beherrschenden Normalbestimmungen«, eine weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit. Im weiteren Verlauf seiner Arbeit kam Nipperdey indes nicht über die Monopolrechtsprechung hinaus, sondern versuchte sie nur dogmatisch neu einzuordnen55: Faktische Monopole unterlägen nach § 826 BGB einem Kontrahierungszwang. Sie seien verpflichtet, Verträge zu angemessenen Bedingungen abzuschließen. Anders als Pappenheim, der sich für ein Eingreifen des Gesetzgebers aussprach, konzentrierte sich Nipperdey damit auf die richterliche Inhaltskontrolle.
C. Hans Großmann-Doerth Großmann-Doerth bezeichnete AGB als »selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft«56. Denn AGB würden nicht von den Parteien ausgehandelt, sondern vom Verwender einseitig aufgestellt und aufgrund seiner Stärke durchgesetzt. Er maße sich die Rolle eines Gesetzgebers an. Großmann-Doerth arbeitete auf dieser Grundlage pointiert die aus der Verwendung von AGB resultierenden Probleme heraus und kritisierte sie57: »[D]ie Allgemeine Geschäftsbedingung [hat] dieselbe Stellung wie die staatliche Rechtsnorm: nicht von den Parteien des Einzelvertrages gestaltet, von ihnen im Gegenteil meist unabhängig, ja recht oft ihnen gegenüber unabänderlich, sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wie das staatliche Recht einer Macht, welche von außen das Vertragsverhältnis bestimmt. Diese Gleichheit der gesellschaftlichen Stellung berechtigt m.E., die Allgemeine Geschäftsbedingung ›Recht‹ zu nennen. […] Ganz gewiß nicht nenne ich die Allgemeine Geschäftsbedingung Recht, weil ich diese Entwicklung gutheiße, sondern […], weil ich dieses Nebeneinander der beiden Rechtsordnungen, der staatlichen und der wirtschaftlichen, für eine höchst problematische Angelegenheit halte.«
Vom Grundsatz der Vertragsfreiheit seien AGB nicht gedeckt58: »Es ist üblich, diese Angelegenheit dadurch zu bagatellisieren […], daß man sagt, dies alles halte sich im Rahmen der Vertragsfreiheit […]. Dieser Standpunkt ist unhaltbar. Der liberalistische Grundsatz von der Vertragsfreiheit hat zur Voraussetzung jenen […] Vertragsschluß, den ich Einzelvereinbarung nannte: der ganze Vertragsinhalt […] wird zwischen einzelnen (und […] gleichstarken) Individuen jeweils vereinbart.«
Hier betont Großmann-Doerth den Unterschied zwischen der von ihm genannten Einzelvereinbarung und dem Vertragsschluß unter Einbeziehung von 55 Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 53 ff., 61 ff.; ders., JW 1922, 576. Vgl. auch Soergel/Keßler (3. Aufl. 1926), § 826 Anm. B10. Kritisch Molitor, JhJb 73 (1923), 22 f. 56 Siehe schon oben § 7 I B (S. 214). Vgl. zum folgenden Blaurock (2005), S. 57 ff. 57 Großmann-Doerth (1933), S. 6. 58 Großmann-Doerth (1933), S. 10 f.
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AGB. Diese Unterscheidung hatte sich bereits bei Pappenheim angedeutet, und auch andere Autoren hatten schon darauf hingewiesen, daß sich das BGB wohl an bloßen Individualverträgen orientiere59. Zu den Unterschieden zwischen beiden führte Großmann-Doerth aus, daß AGB vom Vertragspartner bei Vertragsschluß nicht beachtet würden, daß sie lang und unverständlich seien und daß der Verwender sie diktiere. Er folgerte60: »Diese Unterschiede zur Einzelvereinbarung sind so tiefgehend, daß man die Allgemeine Geschäftsbedingung vom Grundsatz der Vertragsfreiheit her, welcher doch mit jener Einzelvereinbarung rechnet, nicht rechtfertigen kann.«
Großmann-Doerth übersah, daß zwischen Individualabreden und AGB eine dritte Gruppe vertraglicher Abreden steht, nämlich solche, die zwar vom Verwender einseitig aufgestellt und nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen gestellt, also vom Verwender einseitig durchgesetzt werden, die er aber dennoch nicht mehrmals verwenden möchte. Sie könnten, um im Bild von Großmann-Doerth zu bleiben, mit Einzelfallgesetzen verglichen werden. Zur Lösung der AGB-Problematik kehrte Großmann-Doerth zum Vergleich zwischen AGB und staatlichen Rechtsnormen zurück61: »Wenn Unternehmer […] sich mit Hilfe der Allgemeinen Geschäftsbedingung der Rechtssetzung bemächtigen, müssen sie sich dann nicht gefallen lassen, daß man sie in dieser Rechtssetzung mit denselben Maßstäben mißt, mit denen wir den staatlichen Gesetzgeber zu messen gewohnt sind? Auch dieses staatliche Recht ist dem Volke großenteils unbekannt und unverständlich: das ist gewiß zu beklagen und vielfach sehr lästig. Aber das blinde Vertrauen […] findet seinen Ausgleich in dem Bestreben der staatlichen Rechtssetzung, gerechte und zweckmäßige Regelung zu finden.«
Großmann-Doerth sprach sich auf dieser Grundlage für eine staatliche Kontrolle der AGB aus. Auch er betonte die Leitbildfunktion des dispositiven Rechts bei dieser Kontrolle62: »Es geht nicht an, daß das Bestreben des Staates, eine gerechte und zweckmäßige Regelung der wirtschaftlichen Interessengegensätze zu geben, von der Wirtschaft willkürlich durchkreuzt wird. Soweit es sich nicht um rein technische Regeln […] handelt, sondern um […] auf Gerechtigkeitsurteilen beruhende Normen, […] da kann es nicht richtig sein, daß der Staat die Rechtsnorm […] nur schafft, um dann untätig zusehen zu müssen, wie diese Normen […] zu toten Buchstaben erniedrigt werden.«
Zur Form der Inhaltskontrolle führte er sodann aus63: »Vielmehr ist […] das einzige Mittel […]: Der Staat nimmt die Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter seine Kontrolle. […] Wird auf solche Weise dafür Gewähr geschaf59 60 61 62 63
Vgl. z.B. Hueck, JhJb 73 (1923), 35. Großmann-Doerth (1933), S. 12. Großmann-Doerth (1933), S. 12 f. Großmann-Doerth (1933), S. 19. Vgl. auch ebd., S. 25. Großmann-Doerth (1933), S. 26.
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fen, daß die Allgemeinen Geschäftsbedingungen richtiges Recht enthalten, so darf und sollte andererseits diesem so bereinigten selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft vom Staate aus zu stärkerer Geltung verholfen werden, es sollte in seiner Geltung für den Einzelvertrag vom Parteiwillen unabhängig gemacht werden – nach dem Muster der arbeitsrechtlichen Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrages.«
Großmann-Doerth sprach sich für eine aufsichtsrechtliche Kontrolle aus.
D. Ludwig Raiser Die Kritik an der AGB-Praxis nahm seit Beginn des Jahrhunderts zu. Eine allgemein anerkannte Lösung des Problems war allerdings noch nicht gefunden. Pappenheim befürwortete die Einführung zwingenden Rechts. Großmann-Doerth wollte die verwaltungsrechtliche Kontrolle ausbauen. Nipperdey konzentrierte sich zwar auf die richterliche Inhaltskontrolle, kam aber nicht über die Monopolrechtsprechung hinaus. Der von Pappenheim aufgezeigte Weg, hinter den punktuellen Eingriffen des Gesetzgebers einen allgemeinen Rechtsgedanken zu erkennen, den die Gerichte nutzen könnten, wurde nicht aufgegriffen. Und obwohl Pappenheim, Nipperdey und Großmann-Doerth formuliert hatten, die Vertragsfreiheit decke die AGB-Praxis nicht mehr, hielt man weiter daran fest, eine gesetzlich verankerte Rechtfertigung für einen Eingriff in den Vertrag zu verlangen, und nicht umgekehrt, wie Pappenheim dies andeutete, besondere Gründe zu verlangen, wenn regelmäßig vom Dispositivrecht abgewichen werde. Hier zeigte Raiser einen neuen Weg auf64: »Unsere Auffassung von der Stellung des Individuums in der Gemeinschaft ist nicht mehr die des 19. Jahrhunderts. Der Glaube, im möglichst ungehinderten Gewährenlassen der individuellen Kräfte gedeihe von selbst auch die Gemeinschaft am besten, ist geschwunden. Das Individuum gilt nur, was es an seinem Platz für die Gemeinschaft leistet, […]. Freiheiten werden ihm zugeteilt im Dienste der Gemeinschaft; jedes Sonderinteresse einzelner Personen oder Gruppen hat sich bedingungslos den Erfordernissen des Gesamtwohls unterzuordnen. Das Recht hat in seinem Bereich diesen Vorrang der Gemeinschaft zu sichern. Die Erkenntnis nun, daß die bloße Einsetzung jener […] Freiheiten nicht von selbst auch der Gemeinschaft zugute kommt, muß dazu führen, nicht nur einzelne, durch die Rücksicht auf das gesellschaftliche Zusammenleben gebotene Beschränkungen als Ausnahmen anzuerkennen, sondern allgemein zwischen rechtem und falschem Gebrauch der […] Freiheiten zu unterscheiden. Nur zum rechten Gebrauch [ist] sie verliehen. Der falsche ist nicht mehr rechtmäßig. Und zwar falsch ist ein der Gemeinschaft schädlicher, ihren Wertungen zuwiderlaufender Gebrauch. Hier liegt die rechtliche Schranke für die Betätigung des Individuums.«
64 Raiser (1935), S. 279. Vgl. aus der modernen Forschung HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 13.
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Und an anderer Stelle führte Raiser aus65: »Hier muß das Recht Abhilfe schaffen, indem es der Vertragsfreiheit und damit der Gestaltungsfreiheit der AGB. Zügel anlegt. Denn auch diese wie jede andere politische Freiheit ist dem einzelnen nur im Dienste, nicht gegen die Gemeinschaft verliehen.«
Pappenheim sprach noch davon, daß der Vertragsfreiheit Grenzen gezogen werden müßten, wo sie sich in Widerspruch zur Rechtsordnung setze. Raiser dagegen formulierte, daß die Vertragsfreiheit von vornherein nur zum rechten Gebrauch verliehen wurde. Oder anders ausgedrückt: Bei Pappenheim ging es darum, der Vertragsfreiheit von außen her Grenzen zu setzen. Diese Grenzen sollte der Gesetzgeber bestimmen. Bei Raiser hatte die Vertragsfreiheit immanente Grenzen. Indem der Verwender dem Vertragspartner unbillige AGB aufzwinge, mißbrauche er seine Vertragsfreiheit. Der Gedanke des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit war freilich schon bezüglich der AVB-Praxis am Ende des 19. Jh. aufgetaucht66. Raiser sprach sich für eine richterliche Inhaltskontrolle aus und wandte sich sodann der Frage zu, an welchem Maßstab sie ausgerichtet sein müsse und auf welcher dogmatischen Grundlage sie durchgeführt werden könne. Schon 1919 hatte sich Hedemann für eine richterliche Inhaltskontrolle auf Grundlage der gesetzlichen Generalklauseln ausgesprochen67: »Damit wendet sich der Blick fast naturnotwendig […] dem Richtertum [zu]. Wer anders soll die helfende Hand anlegen, wenn nicht der Richter? Und so ist es denn eine, nur wenig sichtbare und wenig beachtete, vielleicht aber die wichtigste Wurzel der sogenannten Freirechtsbewegung geworden, durch Generalklauseln gegen den Wucher und die Unsittlichkeit und, wie es neuerdings formuliert worden ist, eben auch gegen allzu einseitig-willkürliche Normalbedingungen eine richterlicher Kontrolle zu ermöglichen.«
Nach Raiser waren dagegen weder § 138 BGB noch § 242 BGB geeignet68: »Wenn also weder § 138 noch § 242 nach ihrer Aufgabe und ihrer dadurch bedingten Stellung im Rechtssystem geeignet erscheinen, als gesetzliche Stütze für die geforderten Schranken der Vertragsfreiheit zu dienen, so braucht darum die Geltung solcher Schranken in unserem positiven Recht nicht geleugnet zu werden. Denn Schranken der individuellen Betätigungs- und damit auch der Vertragsfreiheit sind dem Recht als einer Gemeinschaftsordnung immanent; es bedarf nicht erst eines Gesetzes, um sie aufzurichten. Die Fälle, in denen ein Gesetz das getan hat, sind nicht unorganische Ausnahmen, sondern durch ein besonderes Bedürfnis veranlaßte konkrete Anwendungsfälle eines Rechtsgrundsatzes, der in anderen Fällen auch von der Rechtsprechung konkretisiert werden kann und muß. Denn wer die ihm vom Recht eingeräumte 65 66 67 68
Raiser (1935), S. 277. Siehe oben § 4 I B (S. 144). Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 14. Betonung hinzugefügt. Raiser (1935), S. 282.
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[…] Freiheit mißbraucht, handelt damit notwendig nicht nur sittenwidrig, sondern zugleich rechtswidrig […].«
Hier zeigt sich also der entscheidende Vorteil von Raisers Auffassung, daß die Vertragsfreiheit bereits ihre Grenzen in sich trägt. Ein gesetzgeberischer Eingriff, um der Vertragsfreiheit von außen Grenzen zu ziehen, wie ihn Pappenheim verlangte, war nach Raiser nicht erforderlich69. Er mußte »lediglich« die inneren Grenzen der Vertragsfreiheit herausarbeiten70: »Die Vertragsfreiheit wird nicht um der einzelnen, sondern um der Gesamtheit willen beschränkt. Die AGB. müssen also öffentliche Interessen verletzen, wenn sie als mißbräuchlich beanstandet werden sollen. […] Für die Frage der Zulässigkeit von AGB. kommt es demnach im klaren Gegensatz zu den vom Gesetz rein im Einzelinteresse gegebenen Rechtsbehelfen bei Willensmängeln oder bei Wucher im Sinne des § 138 II BGB. oder auch bei den früher besprochenen Fällen eines den Kunden überraschenden Inhalts der AGB. nicht auf die Art des Zustandekommens des Einzelvertrags an.«
Damit wandte sich Raiser zugleich gegen die Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts. Allerdings überrascht doch ein Aspekt an Raisers Ausführungen. Er wollte eine über die Monopolrechtsprechung hinausgehende Inhaltskontrolle nicht zum Schutz der einzelnen Vertragspartner einführen, sondern führte sie auf ein überindividuelles Interesse zurück. Welche Konsequenz hatte das71? »Der Verzicht auf diese zu enge Voraussetzung bedeutet nicht, daß der Richter künftig jede ihm unangemessen erscheinende Vertragsbestimmung für nichtig erklären dürfe. […] Es müssen […] besondere Umstände vorliegen, wenn ein Vertragsinhalt im öffentlichen Interesse beanstandet werden soll. a) Ein erster Gesichtspunkt wird sein, ob eine Vertragsbestimmung nur einmal individuell vereinbart worden ist oder typischen Charakter trägt. Das Gemeinwohl ist im zweiten Fall sehr viel stärker berührt als im ersten, auch wenn die einzelne Partei ebenso betroffen ist. […] Aber es ist doch wichtig zu betonen, daß eine Haftungsbeschränkung des Unternehmers etwa, die als einmalige Abrede für einen Einzelfall nach dessen besonderen Umständen zulässig sein kann, gleichwohl als Inhalt von AGB. möglicherweise unzulässig wird.«
Raiser konnte damit, daß es nicht um den Schutz des Einzelnen, sondern um den der Gesamtheit geht, begründen, daß die über die Monopolrechtsprechung hinausgehende Inhaltskontrolle auf AGB beschränkt bleibt. Durch unbillige Individualabreden werde nur der Einzelne belastet, durch unbillige AGB dagegen die Gemeinschaft. Damit unterscheidet sich Raisers Ansicht von der von Großmann-Doerth. Auch er sprach ausdrücklich nur von AGB und Individualabreden. Aber zwischen beiden steht eine dritte Gruppe von Abreden. Der Verwender mag Vertragsklauseln einseitig aufstellen und nicht 69 70 71
Raiser (1935), S. 290. Raiser (1935), S. 283 ff. Raiser (1935), S. 285.
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zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellen, sie also einseitig durchsetzen, ohne sie aber mehrmalig verwenden zu wollen. Raiser hätte sie von der Inhaltskontrolle ausnehmen müssen. Denn auch sie berühren nur einen einzigen Vertragspartner. Vom Vorschlag von Großmann-Doerth hätten sie dagegen erfaßt sein müssen. Denn zum einen maßt sich der Verwender solcher einseitig gestellten Vertragsbedingungen ebenso wie der Verwender von AGB die Stellung eines Gesetzgebers an. Zum anderen sind sie nicht Ergebnis individueller Verhandlungen. Auch Hedemann wollte 1919 die Inhaltskontrolle auf AGB beschränken72: »Was als Einzelfall noch erträglich ist, wird zum erstikkenden Druck, wenn Hunderte es beinahe mechanisch unterschreiben müssen«, doch konnte er dies auf Grundlage der §§ 138 und 242 BGB wohl kaum erklären. Bei der Frage, wie denn die Grenzen der Vertragsfreiheit von den Gerichten erkannt werden könnten, ging auch Raiser von der Leitbildfunktion des dispositiven Rechts aus73. Die Orientierung am dispositiven Recht werfe freilich neue Fragen auf: Von welchen Normen des Dispositivrechts darf abgewichen werden und inwieweit? Raiser stellte fest, daß diese Frage bis dahin nur für das Problem erörtert worden sei, ob und inwieweit Handelsbräuche vom dispositiven Recht abweichen dürften, so von Oertmann, Schreiber, Nußbaum und Klausing74. Insbesondere Nußbaum habe versucht, zwei Formen dispositiver Rechtssätze zu unterscheiden, nämlich solche, die durch jede Form der Vereinbarung, und solche, die zwar durch eine Individualvereinbarung, aber nicht durch einen Handelsbrauch verdrängt werden könnten. Raiser wollte diese Unterscheidung auch für die AGB nutzbar machen. Freilich hatte die Diskussion um die Handelsbräuche keine Merkmale aufgezeigt, wie die verschiedenen Formen des dispositiven Rechts voneinander geschieden werden könnten. Zwingende Kriterien, so Raiser, existierten nicht. Über die Feststellung, »daß der Gerechtigkeitsgehalt der Dispositivnormen verschieden groß ist«75, komme man wohl nicht hinaus. Raiser erkannte zudem schon, daß eine Orientierung am Dispositivrecht dort versage, wo durch AGB Vertragstypen ausgestaltet würden, die gesetzlich nicht geregelt seien76: »Hier bleibt nur übrig, auf die fundamentalen Grundsätze und Wertungen unseres Privatrechts zurückzugehen und daraus zu bestimmen, welche Ordnung dem Verhältnis angemessen ist und welche keinesfalls mehr angemessen sein kann.«
Schließlich kam bereits Raiser auf den Gedanken, »eine Schwarze Liste bestimmter, oft gebrauchter oder sonst naheliegender Klauseln aufzustellen, die als unangemessen und schädlich empfunden werden; hier ist ein klares gesetz72 73 74 75 76
Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 14. Raiser (1935), S. 293. Raiser (1935), S. 294. Raiser (1935), S. 295. Ähnlich Großmann-Doerth, siehe oben das Zitat zu Fn. 62. Raiser (1935), S. 296.
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liches Verbot solcher Klauseln, allgemein oder doch als Inhalt von AGB., am Platze«77. Damit hatte Raiser auch für die Einführung zwingenden Rechts eine mögliche Verfeinerung aufgezeigt. Bis dahin schoß der Gesetzgeber regelmäßig über das Ziel hinaus. Er führte als Reaktion auf unbillige AGB zwingendes Recht ein, untersagte damit aber auch entgegenstehende Individualabreden.
E. Hermann Roquette und der Verbraucherschutzgedanke Der Gedanke des Verbraucherschutzes war in der Diskussion um die AGBProblematik bereits im 19. Jh. angelegt. So war laut v. Kübel in den Beratungen zum Dresdener Entwurf als Argument für die Einführung zwingenden Rechts zugunsten des Versicherungsnehmers angeführt worden, daß »der Versicherungsnehmer sich in einer ungünstigeren Lage dadurch befinde, daß er als Einzelner einer organisirten Versicherungsgesellschaft, welche die Bedingungen der Versicherungsübernahme schon zum Voraus in ihren Statuten nach reiflicher Ueberlegung in ihrem Interesse festgestellt habe, gegenüber stehe«78. Ehrenberg hatte 1893 zwischen sozial Schwächeren und Stärkeren differenziert79. Pappenheim sprach 1915 vom »Schutze der wirtschaftlichen Schwachen und daher gegen Wegbedingung ihrer gesetzlichen Rechte Wehrlosen«80, Hedemann 1919 davon, daß die AGB-Praxis zu einer »Vergewaltigung des schwächeren Teiles« führe81, und v. Schöneberg 1935 von den Armen, Ärmsten und denjenigen aus »einfacheren Kreisen«, die gar nicht anders könnten, als sich unbilligen AGB zu unterwerfen82. Die wirtschaftlich und sozial Schwachen, Armen, Wehrlosen und die einfachen Kreise: diese Umschreibungen können als ein Herantasten an den Verbraucherbegriff gewertet werden. Die richtige Typisierung war noch nicht gefunden. In anderen Zusammenhängen war der Gedanke des Verbraucherschutzes dagegen bereits formuliert83. In die Diskussion um die AGB-Praxis führte, soweit ersichtlich, zuerst Rühl 1931 den Begriff des Konsumenten ein84: »Vor allem aber wird […] die Rechtspolitik vor ernste Fragen gestellt. Die […] Kluft zwischen geschriebenem und wahrhaft geltendem Recht mahnt zur Besinnung. […] Stoßen wir hier auf eine gesunde Entwicklung oder vielmehr auf ein Vordringen überstarker Großmächte der Wirtschaft, vor denen die Kleinunternehmungen und die Konsumenten zu schützen dringende Aufgabe staatlicher Gesetzespolitik wäre?« 77
Raiser (1935), S. 100. Kübel, ZVersR 1 (1866), 337. Siehe oben § 4 III B (S. 160). 79 Ehrenberg I (1893), S. 81 ff. Siehe oben § 4 V B (S. 184). 80 Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 295. Vgl. auch Zacherl, DR 1934, 184 f. 81 Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 13. 82 v. Schönberg, DRiZ 1935, 306. 83 HKK-BGB/Schmoeckel (2007), Vor § 312 Rn. 7; Stolte (2005), S. 31 ff.; Drexl (1998), S. 18 ff. Vgl. außerdem Zimmermann, (2005) 58 CLP 415 ff. 84 Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 23. Vgl. auch Müllereisert, DRpfl 1936, 139. 78
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Über die Formulierung dieser Frage kam Rühl nicht hinaus. In der Praxis vermochte sich der Verbraucherschutzgedanken jedoch durchzusetzen, so in der Marktordnung des Reichnährstandes85. Erst Roquette gelang es 1938 diesen Gedanken in der wissenschaftlichen Debatte nutzbar zu machen86: »Die Abwälzung des Vertragsrisikos durch Einschränkung oder Abdingung gesetzlicher Gewährleistungsansprüche ist grundsätzlich zulässig […]. In dem Augenblick aber, wo hinter Einschränkung oder Ausschließung der Gewährleistungsansprüche ein Zwang zur Annahme solcher Bedingungen steht, beginnen die rechtlichen Bedenken. Der Zwang, der hinter Allgemeinen Vertragsbedingungen steht, schränkt die freie Willensentschließung des anderen Teiles ein, schaltet sie teilweise überhaupt aus. […] [Darin liegt] eine Verletzung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit […]. Trotzdem ist nicht jede Verletzung der Vertragsfreiheit durch einen solchen Zwang ein Grund dafür, daß das Recht sofort reagiert. Der Rechtsverkehr kann bis zu einem gewissen Grade auch einen solchen Zwang vertragen. Nur gegen ein Übermaß solchen Zwanges muß das Recht einschreiten. Der Zwang, der von allgemeinen Vertragsbedingungen ausgeht, äußert sich nicht bei jedem Kunden gleich drückend. Der Geschäftsmann, der am Umsatz der Güter selbst beteiligt ist, kann etwaige Nachteile, die ihm durch die Abdingung der Gewährleistungsansprüche durch allgemeine Vertragsbedingungen erwachsen, im Rahmen seines Betriebes irgendwie ausgleichen. Er hat die Möglichkeit, durch Versicherungsmaßnahmen Schäden zu decken oder durch geschickte Kalkulation ihn etwa treffende Schäden abzuwälzen. […] Ganz anders der Verbraucherkunde: Er steht am Ende der Kette des Güterumsatzes, er kann nicht Nachteile, die das Geschäft ihm bringt, auf Nachmänner abwälzen, er kann auch nicht das Risiko eines einzelnen Geschäftes bei einer Versicherung in Deckung geben. Für ihn bedeutet ein Schaden, der durch […] nicht ordentliche Erfüllung eines Geschäftes eintritt, in der Regel etwas einmaliges. […] Ihn treffen also die Nachteile, die der Ausschluß der Gewährleistungsansprüche durch allgemeine Vertragsbedingungen herbeiführt, einmalig und hart. […] Daraus folgt: Der Inhalt allgemeiner Vertragsbedingungen kann im Verkehr des Unternehmers mit einem Geschäftsmann durchaus als billig und gerecht gelten und für ihn tragbar erscheinen, während der gleiche Inhalt dem Verbraucherkunden gegenüber, in dessen Interesse letzten Endes die gesamte Güterbewegung erfolgt, eine nicht zumutbare Belastung bedeuten kann. Will man also allgemeine Vertragsbedingungen auf ihren Inhalt hin einer rechtlichen Wertung unterziehen, so kann man nicht einen absoluten Maßstab anlegen, sondern muß ihre konkreten Auswirkungen auf den anderen Vertragsteil mit in Rechnung ziehen. Die jeweilige Persönlichkeit, die ›die andere Seite‹ des Vertrages verkörpert, ist ein entscheidender Faktor bei der Prüfung, ob allgemeine Vertragsbedingungen als gerecht und billig anzusprechen sind.«
Roquette führte hier die Differenzierung des § 310 Abs. 1 BGB in die Diskussion ein, und kritisierte so die Monopolrechtsprechung. Es könne nicht nur darauf ankommen, ob der Verwender eine Monopolstellung innehabe. Auch die Stellung des Vertragspartners müsse berücksichtigt werden87: 85 86 87
Mehrens (1938), S. 4. Roquette, JW 1938, 547. Roquette, JW 1938, 548.
III. Die Zeit des Nationalsozialismus
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»Das RG. nimmt das Vorliegen einer Zwangslage für den Rechtsverkehr dann an, wenn ein Unternehmer eine derart beherrschende Stellung im Wirtschaftsleben einnimmt, daß die Inanspruchnahme seiner Waren oder Leistungen praktisch nicht umgangen werden kann, und wenn er in Ausnutzung dieser Stellung weitgehende Freizeichnungen von gesetzlichen Gewährleistungsansprüchen vornimmt. Hier kann und muß die Rechtsprechung weitergehen. Sie muß von einer abstrakt theoretischen Erfassung des Tatbestandes zur Erfassung der konkreten Gestaltung der Lebensverhältnisse übergehen. [… Es wird] darauf ankommen müssen, festzustellen, ob im gegebenen Einzelfall ein Mißverhältnis der wirtschaftlichen Machtverhältnisse der beiden Vertragsteile besteht. Nach der Rechtsprechung des RG., nach welcher lediglich die Stellung des betreffenden Unternehmers in der Wirtschaft zu ermitteln ist, kann sich auf die Zwangslage jeder Vertragspartner berufen, ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall der andere Vertragsteil vielleicht der wirtschaftlich Überlegenere ist und von einer Ausschließung der Gewährleistungsansprüche durch die allgemeinen Vertragsbedingungen des Unternehmens gar nicht besonders betroffen wird. Bei der von mir vorgeschlagenen Erweiterung der Rechtsprechung kommt es dagegen auf die Abwägung der wirtschaftlichen Stellung der beiden Vertragsteile untereinander an. Ein Mißverhältnis der wirtschaftlichen Machtverhältnisse der beiden Vertragsteile ist immer dann gegeben, wenn ein Verbraucher Vertragspartner ist.«
Anders als das Reichsgericht stellte Roquette nicht nur darauf ab, ob der Verwender ein Monopol mißbraucht, sondern auch darauf, ob der Vertragspartner schutzbedürftig ist. Und anders als Raiser ging es Roquette nicht um den Schutz der Gemeinschaft, sondern um den Schutz des Einzelnen.
III. Die Zeit des Nationalsozialismus Zur Zeit des Nationalsozialismus verschärfte sich der Ton der Kritik an der AGB-Praxis. Es habe dem »liberalistisch-kapitalistischen Gedankengange« des 19. Jh. und frühen 20. Jh. entsprochen, die »Parteiwillkür« schrankenlos zuzulassen, und so hätten das Kapital und die Großunternehmen über »ärmeren Volksgenossen« herrschen können, und die AGB »triumphierten über den Willen des Gesetzgebers«88. Die Vertragsfreiheit sei im 19. und frühen 20. Jh. in ihr Gegenteil verkehrt worden. Larenz sprach in diesem Zusammenhang von einer formalen Vertragsfreiheit, die zu jener Zeit allein bestanden habe89. Das war ein verfälschtes Bild von der Geschichte des AGB-Rechts. Schon im 19. Jh. beanspruchte die Vertragsfreiheit keine uneingeschränkte Geltung. Und zur Jahrhundertwende konnten wir sogar eine ausgesprochene hohe Kontrolldichte feststellen, wenn auch das punktuelle Eingreifen problema88 v. Schönberg, DRiZ 1935, 305 f. Vgl. auch Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 32; Bernhardt, DR 1942, 1171 f. 89 Larenz, DR 1935, 489.
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§ 9. Inhaltskontrolle
tisch war. Doch dieser Problematik war man sich spätestens seit Beginn des 20. Jh. durchaus bewußt. Die Kritik an der AGB-Praxis während der Zeit des Nationalsozialismus brachte also keine neuen Erkenntnisse. Die Juristen dieser Zeit benutzten das 19. Jh. und frühe 20. Jh. als negative Folie, vor der die »Errungenschaften« des Nationalsozialismus im Recht umso glanzvoller scheinen sollten. Die schon lange bestehende Kritik am Liberalismus des 19. Jh. wurde daher verzerrt. Im nationalsozialistischen Staat stünden dagegen »das Gemeinwohl vor dem Eigennutz, der Staat über der Wirtschaft«90. Und deshalb sei die Vertragsfreiheit »pflichtgebundene Freiheit, die, zumal unter dem auf nationalsozialistische Weltanschauung gegründeten Rechtsdenken, wie jedes rechtsgeschäftliche Handeln, nur in dem Gedanken an die Gemeinschaft und die aus ihr für den einzelnen als Glied der Gemeinschaft sich ergebenden Pflichten, also nur unter Rücksichtnahme auf den Volks- und Vertragsgenossen im Sinne und Nutzen der Gemeinschaft gebraucht werden darf«91. Auf diesen Bahnen bewegte sich auch die Diskussion um die angestrebte »Erneuerung« des Vertragsrechts. Trotz dieser Kritik lehnten die Juristen zur Zeit des Nationalsozialismus weder den Vertrag noch AGB als Gestaltungsmittel ab92. Sie sprachen sich für eine verstärkte Kontrolle aus. Aber auch hier vermochten sie nichts grundsätzlich Neues hinzuzufügen. Als Formen der Inhaltskontrolle diskutierten sie weiterhin die offene richterliche Inhaltskontrolle, die Einführung zwingenden Rechts sowie eine Kontrolle durch wirtschaftsverwaltungsrechtliche Maßnahmen und erörterten ihre jeweiligen Vorteile, Nachteile und Grenzen93, wobei 90 v. Schönberg, DRiZ 1935, 305 f. Vgl. auch Siebert, DR 1934, 303; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 346; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), Vor § 116: »Mit der Abkehr vom Liberalismus und Individualismus hat sich der Blickpunkt für die Erkenntnis des Richtigen gewandelt. An die Stelle der Interessenabwägung, die die Belange des einzelnen im Vordergrund sah, ist die Wertung nach dem Maßstab getreten, was dem Ganzen, was dem deutschen Volke frommt, und die Belange des einzelnen dürfen nur Beachtung finden, soweit sie sich in den Rahmen dieser Wertung einfügen.« 91 RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), Vor § 104 Anm. 3. Vgl. auch Larenz, DR 1935, 489 ff. (der von einer notwendigen Überwindung der Vertragsfreiheit sprach); dens., Vertrag und Unrecht I (1936), S. 31 ff.; Stoll, Leistungsstörungen (1936), S. 56; RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), Vor § 241 Anm. 1; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 203, 296 ff. Aus der modernen Diskussion Raiser, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 116; HKK-BGB/Hofer (2003), Vor § 145 Rn. 31 ff., (2007), Vor § 241 Rn. 30. 92 Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 77 f.; Klausing, DNotZ 36 (1936), 451 ff.; Freisler, DGWR 1937, 92 f.; Haupt (1937), S. 202; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 465. Vgl. zudem HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 15; allgemein Deyerling (1996), S. 15 ff.; Harth (2005), S. 107 ff.; und umfassend zum Vertragsrecht zur Zeit des Nationalsozialismus dies. (2008), passim. 93 Zacherl, DR 1934, 184 f.; v. Schönberg, DRiZ 1935, 305 f.; Klausing, DNotZ 36 (1936), 457 ff.; Haupt (1937), S. 201 ff.; Peter, DR 1938, 55 f.; Hildebrandt, DJ 1939, 1422 ff.; ders., AcP 143 (1937), 329; Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 303 ff.; Herschel, DR 1940, 1452; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 393, 468 ff.; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 168; Bernhardt, DR 1942, 1173.
III. Die Zeit des Nationalsozialismus
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zumindest im wissenschaftlichen Diskurs Raisers Vorschlag der Einführung schwarzer Listen im Gespräch blieb94. Zum anderen konnten wir bereits beobachten, daß die Dichte wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Maßnahmen stark zunahm95. Die Literatur begrüßte dies und forderte neben Genehmigungsvorbehalten auch die Möglichkeit der Verwaltung, nachträglich mit »Überwachungs- und Verbotsrechten« einzuschreiten96. Bernhardt führte aus97: »Auf diese Weise wird allmählich der Gegensatz zwischen dem selbstgeschaffenen Recht der Wirtschaft und dem staatlichen Recht verschwinden. Hierzu wird nicht zuletzt das immer stärker werdende Gemeinschaftsbewußtsein der deutschen Wirtschaft beitragen. So kann man in letzter Zeit zweifellos eine Veredelung der allgemeinen Geschäftsbedingungen feststellen.«
Daß gerade eine präventive Kontrolle indes nicht geeignet war, das Problem insgesamt in den Griff zu bekommen, hatte schon Raiser erkannt98: »Sollen ihr [der Verwaltungskontrolle] schlechthin alle AGB. […] unterliegen? Das wäre jedenfalls für eine präventive Kontrolle […] zuviel gefordert. Die Aufsichtsbehörde wäre überschwemmt mit Genehmigungsanträgen […]. Hier muß zwischen wirtschaftlichen und sozial wichtigen und unwichtigen AGB. unterschieden werden. Zur ersten Gruppe gehören alle für ein breiteres Publikum arbeitenden Verkehrsunternehmungen, Versorgungsbetriebe, Versicherungsunternehmungen und die Banken […]. Gegenüber der Masse der AGB. großer und kleiner Einzelunternehmer dagegen genügt es, wenn der Behörde ein ständiges Überwachungs- und Verbotsrecht eingeräumt wird […].«
Aber auch die Grenzen einer nachträglichen Kontrolle durch die Verwaltung wurden erkannt99. Schließlich konnte sich der Verbraucherschutzgedanke in der Diskussion weiter etablieren100. Die Rechtsprechung hielt unter Zustimmung der Kommentarliteratur an dem Erfordernis des Monopolmißbrauchs fest101. Im übrigen forderte die Literatur, die Schwelle eines richterlichen Eingriffs in den Vertrag abzusenken: »Jede durch Parteiwillkühr erfolgte Abänderung gesetzlicher Grundsätze unterliegt im Streitfall der durch die Unter94
Hildebrandt, AcP 143 (1937), 329; Peter, DR 1938, 53; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 474. 95 Siehe oben § 7 I A (S. 204 ff.). 96 Hildebrandt, AcP 143 (1937), 329. 97 Bernhardt, DR 1942, 1173. 98 Raiser (1935), S. 104. 99 Klausing, DNotZ 36 (1936), 459. 100 Herschel, DR 1940, 1452; ders., DR 1942, 757. 101 LG Hamburg (25.4.1939), DR 1939, 1262 mit Anm. Pagenstecher; Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 138 Rn. 18, § 145 Vorbem. 24; Hedemann, Wirtschaftsrecht (1. Aufl. 1939), S. 303; Herschel, ZAkDR 1939, 618; RGRK-BGB/Lobe (9. Aufl. 1939), § 433 Anm. IIB b; Soergel/Günther (7. Aufl. 1939), § 138 Anm. D10b-d, 20f; RGRK-HGB/Gadow (1940), Einl. Bd. I Rn. 27; RGRK-HGB/Gadow (1941) Anhang zu § 346 Rn. 35; Palandt/Danckelmann (5. Aufl. 1942), § 138 Anm. 5a bb; Palandt/Friesecke (5. Aufl. 1942), § 276 Anm. 5b.
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§ 9. Inhaltskontrolle
schrift der Parteien unter ›Bedingungen‹ nicht gebundenen Prüfung des Richters«102, und jede Abweichung vom dispositiven Recht bedürfe einer besonderen Rechtfertigung103. Ansonsten werde die Rechtsordnung »zersetzt«104. Jeder Mißbrauch wirtschaftlicher Übermacht und der Vertragsfreiheit sollte unterbunden werden105. Verträge sollten der »Billigkeit und Zweckmäßigkeit« entsprechen106 und im Einklang mit der »nationalsozialistischen Anschauung« stehen107. Sie durften zudem nicht den guten Sitten widersprechen, und Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB bedeute »im nationalsozialistischen Staat Gemeinschaftswidrigkeit, Verstoß gegen das gesunde Volksempfinden«108. Jeder Vertrag müsse »in seiner Eigenschaft als Gestaltungsmittel der völkischen Gesamtordnung inhaltlich mit den Gerechtigkeitsgedanken und Prinzipien eben dieser Rechtsordnung« übereinstimmen109 und sich »in den durch die Grundsätze wahrer Volksgemeinschaft gezogenen Grenzen« bewegen110. Bei einer Prüfung dürfe der Richter nach freiem Ermessen entscheiden111. Obwohl die vorstehenden Zitate der Literatur zur AGB-Problematik entnommen sind, deutet die Weite der Formulierungen darauf hin, daß die Juristen auf dieser Grundlage Eingriffe in weitem Umfang in jeden Vertrag befürworteten, sie sich also nicht auf AGB beschränkten. In der Tat ging die Entwicklung in diese Richtung. Zugleich erkannte man, daß unkontrollierte Eingriffe in den Vertrag der Rechtssicherheit abträglich gewesen wären112. Und so suchte man nach Differenzierungen. Schmidt-Rimpler fragte113: »Wie muß der Wille verwirklicht werden, um die Richtigkeit des Eintritts der Rechtsfolge zu gewährleisten? […] Wird die Richtigkeit einer schuldrechtlichen Rechtsfolge dadurch gewährleistet, daß sie von den Beteiligten gleichermaßen gewollt ist […]?«
102 v. Schönberg, DRiZ 1935, 305 f. Vgl. außerdem Hildebrandt, AcP 143 (1937), 329; Graebke (1938), S. 48; Schlegelberger (1939), § 346 Rn. 31. Vgl. zum folgenden aus der modernen Forschung HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 14. 103 Hildebrandt, AcP 143 (1937), 329; Brandt, DRw 5 (1940), 78 ff.; Bernhardt, DR 1942, 1173; Haupt, ZAkDR 1943, 85. 104 Haupt, ZAkDR 1943, 85. 105 Hildebrandt, AcP 143 (1937), 329; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 473; Brandt, DRw 5 (1940), 81; Haupt, ZAkDR 1943, 85. 106 v. Schönberg, DRiZ 1935, 306. 107 v. Schönberg, DRiZ 1935, 306. Ähnlich Peter, DR 1938, 53; Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 81. 108 Hildebrandt, AcP 143 (1937), 345. Ähnlich Peter, DR 1938, 56; RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), Vor § 535 Anm. 1; v. Erckelens, ZAkDR 1940, 367; Herschel, DR 1940, 1451 (»volkstümlichen Rechtsempfinden«); Bernhardt, DR 1942, 1173. 109 Haupt, ZAkDR 1943, 85. Ähnlich Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 33; Brandt, DRw 5 (1940), 81. 110 RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), Vor § 535 Anm. 1. 111 v. Schönberg, DRiZ 1935, 306. 112 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 165 ff.; Haupt, ZAkDR 1943, 86. 113 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 149 ff. Abkürzungen aufgelöst. Vgl. auch dens., FS Raiser (1974), S. 3 ff.
III. Die Zeit des Nationalsozialismus
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Und er selbst formulierte diese Fragen wie folgt als Aufgabe um, »in sorgfältiger Analyse […] die Grenzen zu erforschen, und auf dieser Grundlage dann […] den Vertrag da auszuschalten, sei es im Einzelfall, sei es typisch, wo er keine genügende Richtigkeitsgewähr bietet«114. Als Beispiel nannte er Verträge, die unter Einbeziehung von AGB geschlossen werden115. Diesen Gedanken griff Haupt auf116: »Der echte Individualvertrag ist das Idealbild, in Ansehung dessen das Vertragsrecht […] kodifiziert worden ist. Hier hat die Privatautonomie ihren Wirkungsbereich. […] Hier konnte auch der Vertragsfreiheit ein weiter und maßgeblicher Raum überlassen werden, da die Erwartung nicht unberechtigt war, daß das Aushandeln des Vertragsinhalts in der Regel zu dem nach Lage der Dinge sachgerechten Ergebnis führen werde. […] Die hierin liegende Gewähr für die Richtigkeit […] des Vereinbarten ist so stark, daß die Gemeinschaft grundsätzlich […] die Bindung der Beteiligten bejahen kann.«
Bei unter Einbeziehung von AGB geschlossenen Verträgen sei dagegen die Richtigkeit des Vereinbarten nicht in gleichem Maße gewährleistet117: »Hier fehlt die Richtigkeitskontrolle, die beim Einzelvertrag im Aushandeln und in der beiderseitigen Einigung liegt. Denn der eine Partner hat auf den Inhalt der Geschäftsbedingungen gar keinen Einfluß […]. Es entfällt deshalb nicht nur die Richtigkeitsvermutung […], sondern es taucht im Gegenteil eher die Vermutung auf, daß der Unternehmer oder der Wirtschaftsverband, die solche Geschäftsbedingungen entwerfen, dabei in erster Linie die Wahrnehmung ihrer Interessen verfolgen.«
Diese Differenzierung zwischen individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen, die der Gesetzgeber allein im Auge gehabt habe, und AGB, die von der Vertragsfreiheit nicht mehr gedeckt seien, war nun nichts Neues118. Schmidt-Rimpler ergänzte allein den so eingängigen Begriff der Richtigkeitsgewähr, den Haupt sofort aufgriff. Auch Schmidt-Rimpler und Haupt erwähnen nur individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen einerseits und AGB andererseits. Daß zwischen beiden eine dritte Gruppe vertraglicher Abreden steht, nämlich solche, die zwar nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen gestellt werden, die aber dennoch nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden sind, erkannten sie nicht. Eine Richtigkeitsgewähr in ihrem Sinne ist freilich auch bei diesen einseitig gestellten Vertragsbedingungen nicht gegeben. Andere Autoren versuchten die Beschränkung auf AGB 114
Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 157. Abkürzung aufgelöst. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 158 Fn. 34. vgl. auch schon dens., in: Erneuerung (1938), S. 83 f. Zur umstrittenen Einordnung Schmidt-Rimplers vgl. Rüthers, Unbegrenzte Auslegung (6. Aufl. 2005), S. 369; HKK-BGB/Hofer (2007), vor § 241 Rn. 31 Fn. 169; Harth (2005), S. 107 f. 116 Haupt, ZAkDR 1943, 86. Vgl. auch Larenz, Vertrag und Unrecht I (1936), S. 32. 117 Haupt, ZAkDR 1943, 86. 118 Siehe nur Ehrenberg I (1893), S. 80 ff. (zitiert oben in § 4 V B, S. 183 f.); Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 292 f. (zitiert oben zu Fn. 47); Hedemann, Neue Zeit (1919), S. 12 f.; Hueck, JhJb 73 (1923), 35; Großmann-Doerth (1933), S. 10 f. (zitiert oben zu Fn. 58). 115
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§ 9. Inhaltskontrolle
aus einer Gleichstellung von AGB und Rechtsnorm zu begründen119: »Wenn die Wirtschaft Recht schaffen darf, dann hat dieses Recht ebenso wie das staatliche Recht dem Gemeinschaftsgedanken zu unterstehen.« Schon GroßmannDoerth hatte einen ähnlichen Gedanken geäußert120. Auch mit dieser Begründung hätte man einseitig gestellte Vertragsbedingungen, die nicht zur mehrmaligen Verwendung bestimmt sind, dieser besonderen Inhaltskontrolle unterstellen können, entsprechen sie doch einem Einzelfallgesetz. GroßmannDoerth hatte AGB und Rechtsnormen nur miteinander verglichen, die Autoren der 40er Jahre stellten dagegen beides gleich121. Daraus ergaben sich Konsequenzen für den Kontrollmaßstab. Da nur die Unterwerfungserklärung Rechtsgeschäft sei, finde nur auf sie § 138 BGB Anwendung. Für die AGB als Rechtsnorm passe § 138 BGB nicht122. AGB dürften vielmehr nur solche Regeln enthalten, die auch der Staat als gerechten Interessenausgleich zwischen den Parteien erlassen hätte123, sie müßten »als Rechtsnorm nach den Grundsätzen nationalsozialistischen Rechtsdenkens tragbar« sein124. Die AGB müßten sich, wie Gesetze auch, an der »auf die Gemeinschaft ausgerichtete Idee der Gerechtigkeit« messen lassen125. Sie müßten »so zweckmäßig und gerecht sein, daß sie das blinde Vertrauen eines jeden Volksgenossen« rechtfertigten126. Schließlich bestimmte der vom Ausschuß für allgemeines Vertragsrecht 1942 beschlossene § 1 zur Wirksamkeit von allgemeinen Geschäftsbedingungen127: »Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nicht behördlich genehmigt sind, sind insoweit unwirksam, als sie zu einer unangemessenen Bevorzugung der Interessen des einen Teils führen.«
Jastrow hatte im Jahre 1892 noch eine Generalklausel einer Anwendungskontrolle vorgeschlagen128. Bei diesem § 1 handelte es sich um eine Generalklausel der Inhaltskontrolle von AGB129. 119 Bernhardt, DR 1942, 1173. Vgl. auch Eilles, DGWR 1941, 125 und aus der modernen Forschung Harth (2008), S. 68 120 Siehe oben das Zitat zu Fn. 61. 121 Siehe oben § 7 I B und C (S. 204 ff.). 122 Herschel, DR 1942, 758. 123 Haupt, ZAkDR 1943, 87; Eilles, DGWR 1941, 125. 124 Herschel, DR 1942, 758. 125 Bernhardt, DR 1942, 1173. 126 Herschel, DR 1942, 758. Vgl. auch die Äußerung von Opitz auf der Sitzung des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der Akademie für deutsches Recht vom 2.12.1938, abgedruckt in: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/4, S. 373. 127 Zitiert aus Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/1, S. 119. Vgl. außerdem Nipperdey, in: Erneuerung (1938), 106. Aus der modernen Forschung Hart (2005), S. 124 ff.; dies. (2008), S. 139 ff. 128 Jastrow, Gutachten DJT (1892), S. 286. Siehe oben § 4 II C (S. 157). 129 In der entsprechenden Ausschußsitzung waren noch zahlreiche Alternativformulierungen im Gespräch: Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie III/4, S. 719 ff. Vgl. auch schon Freisler, DGWR 1937, 93.
IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG
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IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG Betrachtet man die Entwicklung nach 1945, so sind auf den ersten Blick kaum Fortschritte zu erkennen: Es wurden weiterhin die einzelnen Formen der Inhaltskontrolle130, die Vor- und Nachteile eines staatlichen Genehmigungszwanges und staatlicher Verbotsrechte131, das Verhältnis zwischen aufsichtsrechtlicher und richterlicher Inhaltskontrolle132 und die Formen der Selbstkontrolle erörtert133. Die Grenzen gesetzgeberischer Maßnahmen blieben im Bewußtsein134. Die Vorteile schwarzer Listen unangemessener AGB wurden ebenso herausgestellt135, und auch eine AGB-rechtliche Generalklausel blieb weiter im Gespräch136. Wie schon nach der Kartellverordnung von 1923 konnte auch nach dem GWB von 1957 gegen AGB eingeschritten werden, wobei die Gestaltungsmöglichkeiten der Kartellbehörde erweitert wurden137. Schwerpunkt des wissenschaftlichen Diskurses bildete nach wie vor die richterliche Inhaltskontrolle. Sie sei den anderen Formen der Inhaltskontrolle überlegen138. Auch zu den Grundlagen der richterlichen Inhaltskontrolle begegnen zunächst nur die bereits bekannten Argumentationsmuster: Das BGB basiere auf einem formalen Vertragsprinzip und daher seien die Grenzen der Vertragsfreiheit sehr weit gesteckt139. Daran kranke auch die Monopolrechtsprechung, die weiterhin als zu eng kritisierte wurde140: Vertragsbedingungen sollten wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nicht nur unwirksam sein, wenn ein für den Verkehr unentbehrliches Unternehmen seine Monopolstellung dazu mißbraucht, seinem Vertragspartner unbillige Bedingungen zu diktieren. Es sollte genügen, wenn der wirtschaftlich Stärkere seine Position zu diesem Zweck gegenüber dem Schwächeren ausnutzt141. Man sprach in Bezug auf die AGB130
Zum folgenden v. Hippel (1974), S. 70. Lukes, FS Hueck (1959), S. 464 f.; Meiss, VersR 1960, 962 f.; v. Hippel, ZRP 1972, 110 f.; Gudian, ZRP 1972, 147 f.; Löwe, BB 1972, 186 f.; Held, BB 1973, 574; Koch, ZRP 1973, 89; Wagner (1973), S. 58 ff.; Schmidt-Salzer (1973), S. 43 f. 132 Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 138 Anm. D22. 133 Fischer, BB 1957, 487; Hildebrandt, JR 1955, 326. 134 Nastelski, DRiZ 1955, 214; Meiss, VersR 1960, 961 f.; v. Hippel, BB 1973, 994; SchmidtSalzer, NJW 1971, 1012. 135 Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N387, N398; Dietlein, NJW 1974, 972; Löwe, BB 1974, 98. 136 Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N388. 137 Vgl. §§ 2, 12, 22, 26, 38 Abs. 2 S. 2 GWB und hierzu aus der umfangreichen Literatur nur v. Brunn, BB 1958, 684 ff.; Dilcher, NJW 1960, 1042; Isele, JuS 1961, 309 f.; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N468–529 (jeweils m.w.N.). 138 Fischer, BB 1957, 486; Meiss, VersR 1960, 963; Löwe, BB 1972, 187. 139 Schmidt-Salzer (1973), S. 7. 140 Krause, BB 1955, 268; Hildebrandt, JR 1955, 326; Meeske, BB 1959, 860; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; Lukes, FS Hueck (1959), S. 466 f.; Mroch (1960), S. 24. 141 D. Schneider, NJW 1954, 134; G. Raiser (1966), S. 154 ff. 131
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§ 9. Inhaltskontrolle
Praxis weiter von einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit, den es zu unterbinden gelte142. Die Vertragsfreiheit sei eine »gemeinschaftsgebundene Freiheit«143. Bei AGB bestehe anders als bei Individualvereinbarungen keine Richtigkeitsgewähr144. AGB würden nicht ausgehandelt. Aber genau dies habe das BGB als Normalfall für alle Vertragsbedingungen vor Augen gehabt145. Der Verwender geriere sich vielmehr wie ein Gesetzgeber146. Er setze die AGB kraft seiner wirtschaftlichen oder intellektuellen Überlegenheit durch147. Die Vertragsfreiheit werde für den Verwender zu einer »Diktierfreiheit«, einer »Gesetzgebungsfreiheit«148 und für den Vertragspartner zu einer »Vertragsscheinfreiheit«149. Es fehle daher an einer »echten Einigung«150. Einige fragten deshalb, ob die AGB-Praxis überhaupt von der Vertragsfreiheit gedeckt sei151. Andere verlangten, der Verwender müsse solche Regelungen treffen, die ein Gesetzgeber ebenfalls aufgestellt hätte152. Wieder andere behaupteten, AGB berührten durch ihre massenhafte Verwendung das öffentliche Interesse, und kamen so zu ähnlichen Folgerungen153. Der Verwender müsse sich das dispositive Recht zum Vorbild nehmen und müsse einen billigen Interessenausgleich finden154 bzw. die Abweichung vom dispositiven Recht müßte durch Besonderheiten des Geschäfts gerechtfertigt sein155. Der Verwender müsse sich also die Nachprüfung gefallen lassen, »ob seine Regelung noch mit dem Gerechtigkeitsprinzip im Einklang steht, dessen Verwirklichung das Privatrecht dient«156. Man erkannte, mit anderen Worten, dem dispositiven Recht nach
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Nastelski, DRiZ 1955, 214; Droste, DB 1957, Beilage 10; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N374; ders., NJW 1968, 5; Schmidt-Salzer (1967), S. 38. 143 v. Nottbeck (1960), S. 127. Ähnlich Dietlein, NJW 1974, 969. 144 Krause, BB 1955, 268; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; v. Nottbeck (1960), S. 83; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 9; Eith, NJW 1974, 19. 145 Dilcher, NJW 1960, 1042; Schmidt-Salzer (1967), S. 56 f.; Lindacher, BB 1971, 296; Held, BB 1973, 573; Dietlein, NJW 1974, 970; Vorschläge (1974), S. 35; Entwurf (1975), S. 18 f. Anders Brandner, JZ 1973, 616. 146 Krause, BB 1955, 268; Fischer, BB 1957, 486; Meiss, VersR 1960, 963; v. Nottbeck (1960), S. 83; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 104. 147 Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; Schmidt-Salzer (1967), S. 36 f., ders., NJW 1971, 173; Fikentscher, FS Hefermehl (1970), S. 42; Emmerich, JuS 1972, 368; Held, BB 1973, 573; Vorschläge (1974), S. 35. 148 Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N43. 149 Schmidt-Salzer (1967), S. 36 f. 150 Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64. 151 Fischer, BB 1957, 486. 152 Nastelski, DRiZ 1955, 214. 153 v. Nottbeck (1960), S. 82. 154 Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), § 688 Vorbem. 17; RGRK-BGB/Kuhn (11. Aufl. 1959), Vor § 433 Anm. 2; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 1012. 155 Soergel/Ballerstedt (9. Aufl. 1962), Vor § 459 Rn. 26; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N374; Lindacher, BB 1971, 296; Löwe, BB 1972, 187. 156 Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64.
IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG
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wie vor eine Leitbildfunktion zu157. Der Verwender könne bei Aufstellung von AGB von seiner Vertragsfreiheit im Ergebnis nur in beschränktem Maße Gebrauch machen. Die Abweichungen vom dispositiven Recht dürften nicht so weit reichen, wie sie die Parteien einer Individualvereinbarung treffen könnten. Die der Vertragsfreiheit gesetzten Grenzen würden im Ergebnis bei AGB im Vergleich zur Individualabrede vorverlegt158. All diese Argumentationsmuster, die bei den einzelnen Autoren in unterschiedlicher Auswahl, Kombination und Schwerpunktsetzung auftauchten, waren schon in der ersten Hälfte des 20. Jh. und zum Teil auch in der zweiten Hälfte des 19. Jh. begegnet. Helm zog 1965 daher die Bilanz159: »Die Bedeutung der AGB, ihre Vor- und Nachteile, ihre problematische Stellung zu Gesetz und Recht sind in den dreißiger Jahren von Großmann-Doerth, Raiser und Haupt […] erörtert worden. Seitdem ist wenig an neuen Gedanken hinzugekommen, […].«
Doch sollte daraus nicht der Schluß gezogen werden, Literatur und Rechtsprechung hätten auf der Stelle getreten: Da ist zum einen die Flut an Literatur. Zwar deutet sie für sich genommen noch auf keinen qualitativen Fortschritt hin. Jedoch scheint sie mit dazu geführt zu haben, daß auch die Rechtsprechung ihre Rolle bei der Inhaltskontrolle überdachte. Nach 1945 knüpfte sie zunächst unter Billigung der Literatur an die Monopolrechtsprechung an160. Doch versuchte sie bald neue Wege zu beschreiten, um so die Grenzen der Monopolrechtsprechung zu überwinden. Nicht jeder dieser Wege vermochte sich zu etablieren: So lehnte sich das Landgericht Düsseldorf 1955 an § 138 Abs. 2 BGB an, und versuchte dessen Wertungen nutzbar zu machen: Zwischen Leistung und Gegenleistung könne ein grobes Mißverhältnis bestehen, wenn der Verwender die Gewährleistung weitestgehend ausschließe, ohne daß sich dies im Preis niederschlage161. Im Umkehrschluß hätte ein Verstoß gegen Treu und Glauben immer dann abgelehnt werden müsse, wenn sich die dem Vertragspartner nachteilige Abweichung vom Dispositivrecht im Vertragspreis widerspiegele, 157
Nastelski, DRiZ 1955, 214; v. Nottbeck (1960), S. 94; Helm, JuS 1965, 127; Weber, NJW 1968, 8; Lindacher, BB 1971, 296; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 175. 158 Krause, BB 1955, 268; Hildebrandt, JR 1955, 326; Droste, DB 1957, Beilage 10; SchmidtSalzer (1971), Rn. 124; Löwe, BB 1974, 97. 159 Helm, JuS 1965, 121. 160 BGH (13.3.1956), NJW 1956, 1165; LG Göttingen (1.12.1955), NJW 1956, 592 mit Anm. v. Brunn; OLG Koblenz (31.1.1962), MDR 1962, 475; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 138 Anm. D15, § 826 Anm. B10; Palandt/Danckelmann (10. Aufl. 1952), § 138 Rn. 5a bb, § 276 Anm. 5b; RGRK-BGB/Oegg (10. Aufl. 1953), § 138 Anm. 1A b, f, § 276 Anm. 5; RGRK-BGB/Denecke (10. Aufl. 1953), § 701 Anm. 5; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 133 Rn. 18a ff., § 145 Vorbem. 24n; RGRK-BGB/Nastelski (11. Aufl. 1960), § 276 Anm. 81. 161 LG Düsseldorf (2.8.1955), NJW 1956, 304 mit abl. Anm. Raiser. Zustimmend v. Brunn (1956), S. 34 ff., insbesondere S. 43.
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§ 9. Inhaltskontrolle
eine Schlußfolgerung, die in der Literatur auf Kritik stieß. Denn so setze man »für den Einzelrechtsgeschäftspartner völlig inkommensurable Größen miteinander in Beziehung, nämlich den generellen Kalkulationswert mit dem konkreten Schaden«162. Einen anderen Weg deutete das Landgericht Göttingen im gleichen Jahr an163. Zwar erklärte es die streitentscheidenden AGB der Garagenbetriebe in Göttingen schon auf Grundlage der Monopolrechtsprechung für nichtig. Es führte aber zugleich aus, daß es zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es die Voraussetzungen des Monopolmißbrauchs nicht hätte bejahen können. Es leitete dies aus dem Schutzbedürfnis der typischen Garagennutzer als Verbraucher, die für die Nutzung einer unentbehrlichen Leistung organisierten Anbietern gegenüberstünden: »Sind aber […] Klauseln von derart starker Unbilligkeit enthalten […], dann werden öffentliche Interessen verletzt, und es ist Aufgabe des Richters, dies zu verhindern.« Besondere Umstände auf Seiten des Verwenders, welche die Klauseln zu rechtfertigen vermochten, hätten nicht vorgelegen. Kurzzeitig griffen Literatur und Rechtsprechung auf § 315 BGB zurück. Nach Flume waren die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle und die Kontrolle nach § 315 BGB vergleichbar, weil es sich bei AGB nicht um vertraglich vereinbarte, sondern um einseitig gesetzte Regelungen handele164: »Weil die Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch einseitige Setzung kraft Verweisung ein Bestandteil der im übrigen vertraglich vereinbarten Regelung werden, gilt für die einseitige Regelung nicht die Freiheit der Privatautonomie. Die Schranken für den Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben sich gerade aus dem Prinzip der Privatautonomie. Mit diesem Prinzip ist es unvereinbar, daß ein Privater in Selbstbestimmung über einen anderen bestimmt.«
Neben § 138 BGB setzte sich in der Rechtsprechung als Kontrollmaßstab schließlich Treu und Glauben nach § 242 BGB durch165. Die Literatur glaubte hier eine Neuausrichtung erkennen zu können166. Freilich erschien Treu und 162 Lukes, FS Hueck (1959), S. 461 f. Vgl. auch Fischer, BB 1957, 485; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N48; Helm, JuS 1965, 126. 163 LG Göttingen (1.12.1955), NJW 1956, 592 mit Anm. v. Brunn. 164 Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 168. Aus der Rechtsprechung siehe nur BGH (29.10.1962), BGHZ 38, 184. Ablehnend v. Nottbeck (1960), S. 84; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N340 f. Vgl. außerdem Lukes, NJW 1963, 1897 ff. Aus der modernen Forschung HKK-BGB/Hofer (2007) §§ 315–319 Rn. 13 ff. und umfassend Fastrich (1992), S. 14 ff. Übrigens verwies schon Sinzheimer I (1907), S. 20, für die Arbeitsordnungen auf die §§ 315 ff. BGB. Zu den Arbeitsordnungen siehe oben § 7 I A (S. 207 f.). 165 BGH (29.10.1956), BGHZ 22, 90; OLG Koblenz (31.1.1962), MDR 1962, 475; KG (14.1.1964), BB 1965, 1006. 166 Krause, BB 1955, 268; Hildebrandt, JR 1955, 326; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; Helm, JuS 1965, 126; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N373; Schmidt-Salzer (1967), S. 221; Löwe, BB 1974, 97. Aus der modernen Forschung HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–319 (Teil I) Rn. 16.
IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG
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Glauben schon früher in der Rechtsprechung, nicht nur als Maßstab der Inhalts-, sondern auch der Anwendungskontrolle und nicht nur erst in der ersten Hälfte des 20. Jh., sondern auch schon in der zweiten Hälfte des 19. Jh.167. Doch wurde nunmehr vermehrt auf § 242 BGB zurückgegriffen. Ungeklärt blieb dabei, ob die Rechtsprechung eine Inhaltskontrolle mit der Unwirksamkeit der Klausel als Rechtsfolge durchführte168 oder eine Anwendungskontrolle mit der Folge, daß sich der Verwender auf die an sich gültige Klausel nicht berufen kann169. In einzelnen Entscheidungen und bei einzelnen Autoren erschienen auch einfach beide Rechtsfolgen nebeneinander, ohne daß über ihr Verhältnis zueinander aufgeklärt wird170. Und die Grenzen zwischen Anwendungs- und Inhaltskontrolle mußten vollends verwischen, wenn man formulierte, »das unzulässige Gebrauchmachen von beanstandenswerten« Klauseln, »also durchweg das Sichberufen auf solche« Klauseln sei zu unterbinden171. War es nun der Gebrauch der Klausel, die Berufung auf sie oder die Klausel selbst, die an Treu und Glauben gemessen wurde? Oder konnte alternativ an alles angeknüpft werden172? Die Rechtsprechung nahm auf Grundlage des § 242 BGB eine umfassende Angemessenheitskontrolle vor173. Dabei kristallisierten sich Fallgruppen heraus174, auf die der spätere AGBG-Gesetzgeber bei Normierung der Klauselkataloge zurückgreifen konnte. Insgesamt hieß die Literatur die Entwicklung in der Rechtsprechung gut. Nur wenige traten ihr entgegen. So glaubte Grunsky noch 1971, es sei besser, das Problem unbilliger AGB dem Wettbewerb zu überlassen175. 167
Siehe oben den Text nach Fn. 16 und das Zitat nach Fn. 37 sowie oben § 4 II (S. 146 ff.) und V B (S. 178 ff.). 168 So Soergel/Siebert (8. Aufl. 1952), § 242 Anm. E 9b; Meeske, BB 1959, 860 f.; Soergel/ Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; RGRK-BGB/Kuhn (11. Aufl. 1959), Vor § 433 Anm. 2; BGH (29.10.1956), BGHZ 22, 90. 169 So Droste, DB 1957, Beilage 10; v. Brunn, NJW 1956, 592; Fischer, BB 1957, 486; RGRKBGB/Krüger-Nieland (11. Aufl. 1959), § 157 Anm. 39; Lukes, FS Hueck (1959), S. 467; RGRKBGB/Nastelski (11. Aufl. 1960), § 242 Anm. 169; Isele, JuS 1961, 312; Weber, NJW 1968, 8; BGH (6.3.1956), BGHZ 20, 164. 170 So OLG Koblenz (31.1.1962), MDR 1962, 475; v. Nottbeck (1960), S. 52; Helm, JuS 1965, 128; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 98; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N373 ff. Staudinger/Nipperdey (11. Aufl. 1958), § 688 Vorbem. 17, formulierte einfach sehr offen, daß AGB bei Verstoß gegen Treu und Glauben »unverbindlich« sein könnten. 171 Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N377. 172 So wohl BGH (24.1.1963), NJW 1963, 1148. 173 Siehe nur BGH (4.6.1970), BGHZ 54, 106. Vgl. außerdem die Darstellungen bei Meiss, VersR 1960, 963; Helm, JuS 1965, 126; Schmidt-Salzer, NJW 1971, 1012; Palandt/Heinrichs (31. Aufl. 1972), § 138 Anm. 5a bb, 145 Anm. 6A b, 6D b f., § 276 Anm. 5B b; Lindacher, BB 1971, 296; Schmidt-Salzer (1973), S. 8, 13. Aus der modernen Forschung vgl. auch HKKBGB/Hofer (2007), §§ 305–319 (Teil I) Rn. 16. 174 Helm, JuS 1965, 127. 175 Grunsky, BB 1971, 1117; ders., BB 1972, 190. Ablehnend Emmerich, JuS 1972, 369; v. Hippel, BB 1973, 993 f.; Löwe, BB 1972, 185 ff.
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§ 9. Inhaltskontrolle
Doch nicht nur die Rechtsprechung machte seit 1945 Fortschritte. Die Literatur unternahm zahlreiche Versuche, die Inhaltskontrolle dogmatisch zu erklären176. Sie blieb also nicht, wie es etwa noch Pappenheim und GroßmannDoerth taten, dabei stehen, das Problem herauszuarbeiten und eine Lösung einzufordern. So wurde seit Huecks Beitrag zum Normenvertrag aus dem Jahre 1923 der Aufstellungsvorgang von AGB immer wieder beleuchtet. Lukes qualifizierte ihn 1959 als Rechtsgeschäft177: »Wenn aber die Willensübereinkunft zwischen mehreren, die nur […] auf die Festsetzung solcher Regeln […] gerichtet ist, deshalb ein Rechtsgeschäft darstellt, weil diese Regeln ein Rechtserfolg sind, dann müssen diese Überlegungen auch bei der Aufstellung solcher Regeln durch einen einzelnen eingreifen. Auch die von einem einzelnen Rechtssubjekt für seinen Rechtsgeschäftsverkehr aufgestellten Regeln […] müssen dann ebenso einen Rechtserfolg darstellen, wie die durch mehrere festgelegten. Da dieser Rechtserfolg von dem einzelnen Rechtssubjekt gewollt ist, muß seine Regelaufstellung ein Rechtsgeschäft und zwar notwendig ein einseitiges Rechtsgeschäft sein. Festzuhalten ist somit, daß sowohl die Aufstellung von Regeln […] – wozu auch die AGB rechnen – durch mehrere als auch durch einzelne ein Rechtsgeschäft ist.«
Auf seinen Inhalt sei folglich auch nur dieser Aufstellungsvorgang zu kontrollieren. Schmidt-Salzer versuchte dagegen die gesamte Inhaltskontrolle in die Auslegung der Einbeziehungserklärung des Vertragspartners hineinzulegen178. Zum anderen lagen die Fortschritte auf grundsätzlicher Ebene. Helm bewertete den Zustand der Literatur und Rechtsprechung 1965 ausgesprochen kritisch, als er zu den oben aufgezählten, in Theorie und Praxis immer wieder anzutreffenden Argumentationsmustern feststellte179: »Die Fülle der gegebenen Begründungen und ihre oft wahllose Anwendung nebeneinander zeigt, daß hinter allen Eingriffen der Gerichte die klare und vor der Begründung gefallene Entscheidung steht, der einseitigen Verschiebung der Rechtsordnung keinen Vorschub durch staatliche Macht zu leisten.«
Insbesondere auf die verdeckte Inhaltskontrolle durch die Gerichte im 19. Jh. hätte diese Kritik gepaßt. Für die Zeit nach 1945 war sie wohl nicht mehr zutreffend. Hier stehen die angeführten Begründungen in einem größeren Zusammenhang. Hofer hat in ihrer Habilitationsschrift die verschiedenen, im 19. Jh. verbreiteten Privatrechtskonzeptionen aufgearbeitet. Auch wenn diese unterschiedlichen Ansätze Auswirkungen auf die rechtliche Behandlung der AGB haben mußten, mit der Diskussion um die AGB-rechtlichen Debatten fand keine Rückkoppelung statt. Gleiches gilt weitgehend für die erste Hälfte 176
Siehe hierzu auch Staudinger/Coester (2006), Vor § 307 Rn. 4. Lukes, FS Hueck (1959), S. 478. Vgl. auch dens., JuS 1961, 303. Ablehnend Isele, JuS 1961, 311; Larenz, AT (1. Aufl. 1967), S. 453; Diederichsen, ZHR 132 (1969), 243 ff.; v. Brunn, AcP 167 (1967), 70 ff.; Emmerich, JuS 1972, 263 f. 178 Schmidt-Salzer (1967), S. 235 ff.; ders. (1971), Rn. 131. 179 Helm, JuS 1965, 126. 177
IV. Die Entwicklung bis zum Inkrafttreten des AGBG
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des 20. Jh. Nunmehr wurde der Zusammenhang zu den Diskussionen über die Grundlagen des Privatrechts und der Wirtschaftsverfassung sowie über die Wirtschaftstheorien der Nachkriegszeit und zu den wettbewerbsrechtlichen und vertragsrechtstheoretischen Debatten hergestellt180. Unterliegt die Vertragsfreiheit immanenten Schranken, die es nur zu erkennen gilt? Oder werden der Vertragsfreiheit durch die Inhaltskontrolle von außen Grenzen gesetzt? Erfolgt die Inhaltskontrolle zum Schutze des einzelnen Vertragspartners? Oder soll das Gemeinwohl geschützt werden? Handelt es sich bei ihr mit anderen Worten um einen überindividuellen Schutzmechanismus? Diese Fragen wurden nunmehr offen erörtert. Raisers Meinung, die Vertragsfreiheit unterliege immanenten Schranken und diese würden durch die Inhaltskontrolle lediglich konkretisiert, fand weiterhin Zustimmung181. Auch die Ansicht Raisers, durch die Inhaltskontrolle der AGB solle nicht der einzelne Vertragspartner geschützt werden, sondern sie sei auf ein überindividuelles Interesse zurückzuführen, hatte nach 1945 weiterhin ihre Anhänger182. Diejenigen, die die Inhaltskontrolle so aus dem Gemeinwohl herleiten wollten, beriefen sich für die Begrenzung der Vertragsfreiheit auf das Sozialstaatsprinzip183. Die durch Art. 2 GG verbürgte Vertragsfreiheit trete bei der AGB-Praxis mit dem in Art. 20 GG anerkannten Sozialstaatsprinzip in Widerstreit, und die Inhaltskontrolle versuche beide auszugleichen184. Wer als ratio der Inhaltskontrolle den Schutz überindividueller Werte ansah, stand zudem dem Verweis auf § 242 BGB kritisch gegenüber. Der Verwender »müsse sich dem Allgemeininteresse am Fortbestand der generellen Lasten- und Risikoverteilung des Gesetzes fügen, mag diese auch für den wirklichen Individualwillen dispositiv sein. Der tiefere Grund dieser Bindung ist aus § 242 BGB nur schwer zu entwickeln; denn er entstammt nicht dem Schuldner-Gläubiger-Verhältnis, das bei der Verwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Einzelfall entsteht. Er entstammt vielmehr der Überlegung, daß es sich bei der privaten Schaffung eine ›normativen Ordnung‹ um die Inanspruchnahme sozialer Macht handelt, d.h. einer Macht, die darauf angelegt ist, sich auf eine unbestimmte Vielzahl von Personen zu erstrecken«185. 180 Siehe die ganz unterschiedlichen Ansätze von Raiser, JZ 1958, 1 ff.; Flume, FS 100 Jahre DJT (1960), S. 165 ff.; Biedenkopf (1958), S. 106 ff.; dems., FS Böhm (1965), S. 121 ff.; Eucken (6. Aufl. 1990), S. 295 f.; Wolf (1970), S. 230 ff.; Reich, ZRP 1974, 187 ff.; Kramer, Krise (1974), S. 9 ff. Vgl. aus der modernen Forschung HKK-BGB/Hofer (2007), vor § 241 Rn. 32 ff.; §§ 305–310 (Teil I) Rn. 18 f. 181 Nastelski, DRiZ 1955, 214; Fischer, BB 1957, 486; Soergel/Ballerstedt (9. Aufl. 1962), Vor § 459 Rn. 26; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N334. 182 Krause, BB 1955, 268 f.; Hildebrandt, JR 1955, 326; Dietlein, NJW 1974, 969. 183 Krause, BB 1955, 269; Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 242 Rn. 23; v. Nottbeck (1960), S. 88 ff.; Enneccerus/Nipperdey I (15. Aufl. 1959), S. 302. 184 Soergel/Siebert (9. Aufl. 1959), § 242 Rn. 23; Vorschläge (1974), S. 13. Vgl. hierzu Roscher (1974), passim. 185 Krause, BB 1955, 268.
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§ 9. Inhaltskontrolle
Auch erfüllte der Verweis auf das dispositive Recht jeweils unterschiedliche Funktionen: Bei Raiser konnte sich aus einer Abweichung vom dispositiven Recht die Gemeinschaftswidrigkeit der AGB ergeben. Diejenigen, die durch die Inhaltskontrolle primär den individuellen Vertragspartner geschützt sahen186, nahmen das dispositive Recht als Vorbild für einen gerechten Interessensausgleich. Auch basierten sie die Inhaltskontrolle weiterhin auf einer Anwendung der §§ 138, 242 BGB187. Schließlich wurde der persönliche Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle kontrovers diskutiert: Soll sie nur zugunsten von Verbrauchern eingreifen oder darüber hinausgehen? Schmidt-Salzer befürwortete ihre umfassende Anwendung. Geeignete Kriterien zur Typisierung verschiedener Vertragspartnergruppen mit jeweils unterschiedlichen Schutzbedürfnissen existierten nicht188. Emmerich mahnte »äußerstes Mißtrauen« gegenüber AGB an und sprach sich ebenfalls für eine Anwendung zugunsten kleiner Kaufleute und von Zulieferern von Großunternehmen aus189. Andere wollten nur eingreifen, wo ein Schutzbedürfnis besteht190: Sei Anlaß der Inhaltskontrolle der Mißbrauch der wirtschaftlichen oder intellektuellen Überlegenheit durch den Verwender, so dürfe die Inhaltskontrolle auch nur dort eingreifen, wo ein Machtgefälle zwischen den Parteien bestehe; zudem könne von Vollkaufleuten anders als von Verbrauchern erwartet werden, daß sie die Einbeziehung unbilliger AGB abzuwehren versuchen. In der Diskussion um den persönlichen Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle spielten die unterschiedlichen Schutzkonzepte also eine Rolle191. Wieder andere wollten den Schutz der Inhaltskontrolle allen Marktteilnehmern zuteil werden lassen, differenzierten aber dennoch192. Dabei wurde auf den Verbraucherschutzgedanken, der seit den 50er Jahren immer wieder in der Diskussion aufblitzte193, seit den 70er Jahren konsequent zurückgegriffen194: Zum Schutze des Verbrauchers solle eine schwarze Liste mit unangemessenen Klauselinhalten eingeführt werden195. Im übrigen müsse gewährleistet sein, daß die Inhaltskontrolle auf Grundlage einer einzuführenden Generalklausel auch zugunsten von Vollkaufleuten greife, denn auch im kaufmännischen Verkehr könnten Machtge186
So etwa Nicklisch, BB 1974, 942. Meiss, VersR 1960, 964. 188 Schmidt-Salzer (1973), S. 41. 189 Emmerich, JuS 1972, 369. 190 Lindacher, BB 1971, 296 ff. Differenzierend auch D. Schneider, NJW 1954, 133. 191 Siehe z.B. Nicklisch, BB 1974, 942, 945 ff.; Ulmer, Referat DJT (1974), S. H21 ff. 192 Vgl. z.B. Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N60 f. 193 Fischer, BB 1957, 486. 194 Bericht zur Verbraucherpolitik, BT-Drs. 6/2724, S. 8; Brandner, Industriegesellschaft (1972), S. 47 ff:, Held, BB 1973, 573 ff.; v. Hippel, BB 1973, 993 ff.; Löwe, BB 1972, 185 ff.; ders., BB 1974, 97 ff.; Kötz, Gutachten DJT (1974), S. A9. Vgl. auch HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 20 ff. 195 Löwe, BB 1974, 98. 187
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fälle bestehen, die es einer Partei ermöglichten, unter Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Stärke, unbillige AGB durchzusetzen196. Seit den späten 60er Jahren drehte sich die Diskussion schließlich darum, wie die richterliche Inhaltskontrolle durch gesetzgeberisches Handeln ergänzt oder verbessert werden könnte197. Denn trotz der Fortschritte, welche die Rechtsprechung gemacht habe, sei die Rechtssicherheit insoweit beeinträchtigt, als schwer vorhersehbar sei, ob eine Klausel der richterlichen Inhaltskontrolle standhalten werde198. Vertragspartner scheuten deshalb einen Prozeß199. Helms Kritik200 am Zustand der AGB-rechtlichen Debatte ist also überzogen. Freilich hatten die einzelnen Autoren es unterlassen, die Folgen ihrer unterschiedlichen Ansätze deutlich herauszuarbeiten. Wir hatten bereits festgestellt, daß zwischen Individualvereinbarungen und AGB eine dritte Gruppe vertraglicher Abreden steht, nämlich einseitig gestellte Vertragsbedingungen. Sie werden von einer Partei aufgestellt und von ihr nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen gestellt. Insoweit sind sie mit AGB vergleichbar. Andererseits sollen sie nicht mehrfach verwendet werden, sondern sind nur zum einmaligen Gebrauch vorformuliert. Insoweit unterscheiden sie sich von AGB und sind eher mit Individualvereinbarungen vergleichbar. Diese Vertragsbedingungen spielten in der Diskussion kaum eine Rolle201, und das obwohl sich an ihnen die Unterschiede zwischen den einzelnen Konzeptionen am deutlichsten zeigen. Wer wie Raiser die Inhaltskontrolle mit dem Schutz des Gemeinwohls begründete, hätte eine Inhaltskontrolle solcher einseitig gestellten Vertragsbedingungen ablehnen müssen. Das gleiche gilt wohl für denjenigen, der die Inhaltskontrolle auf das Sozialstaatsprinzip zurückführte202: »Nur wenn der Boden des Einzelvertrages verlassen wird und mit der Absicht normativer Wirkungskraft für eine unbestimmte Vielzahl von Partnern und Geschäften Regeln aufgestellt werden, erreicht der Vorgang die dem Staat besonders anheimgegebene Sozialsphäre. In ihr hört die Gültigkeit privater Rechtsgeschäfte nicht etwa auf. Nur deren inhaltlichen Gestaltung ist enger begrenzt.«
Wer, wie Pappenheim es 1915 tat, das Interesse der Rechtsordnung schützen wollte, nicht nur im Ausnahme-, sondern im Regelfall abbedungen zu werden, mußte die Inhaltskontrolle ebenfalls auf AGB begrenzen. Wer dagegen wie Großmann-Doerth davon sprach, der AGB-Verwender geriere sich als Gesetzgeber, hätte auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen von der Inhaltskontrolle erfaßt sein lassen können. Denn einseitig gestellte Vertragsbedin196 197 198 199 200 201 202
Löwe, BB 1974, 98 f.; Eith, NJW 1974, 20. Weber, NJW 1968, 9; Emmerich, JuS 1972, 369; Löwe, BB 1973, 585. Löwe, BB 1972, 187; Held, BB 1973, 573. Held, BB 1973, 573 ff.; v. Hippel, BB 1973, 993. Siehe oben das Zitat zu Fn. 179. Anders etwa Brandner, JZ 1973, 616 f.; Nicklisch, BB 1974, 948 f.; Wolf, JZ 1974, 469. Krause, BB 1955, 269.
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§ 9. Inhaltskontrolle
gungen sind mit Einzelfallgesetzen vergleichbar. Auch derjenige, der wie Roquette den Schutz des Schwächeren als Zweck der Inhaltskontrolle ansah, hätte einseitig gestellte Vertragsbedingungen nicht ohne weiteres vom Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle ausnehmen dürfen. Insoweit diese Fragen nicht erörtert wurden, wies die Diskussion, die den Weg zum AGBG ebnete, in der Tat ein Defizit auf.
V. Zusammenfassung Auch für die Inhaltskontrolle offenbaren sich kodifikationsübergreifende Kontinuitätslinien. Als Folge der Entwicklungen seit der Mitte des 19. Jh. war die Kontrolldichte zu Beginn des 20. Jh. beachtlich. Freilich bargen die angewandten Formen der Inhaltskontrolle ihre Probleme: Der Gesetzgeber und die Verwaltung konnten nur punktuell eingreifen und reagierten zeitlich verzögert. Die offene richterliche Inhaltskontrolle war mit dem Monopolmißbrauch an enge Voraussetzungen geknüpft. Dieser Probleme war man sich bewußt, und die Vorschläge zu ihrer Überwindung waren vielfältig. Dabei stellten die verschiedenen Autoren unterschiedliche Formen der Kontrolle in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen, Pappenheim etwa die Einführung zwingenden Rechts und Großmann-Doerth die aufsichtsrechtliche Kontrolle. Erst Raiser konzentrierte sich auf die Fortentwicklung der offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Als problematisch erwies sich dabei, daß das BGB nur sehr begrenzt Instrumente bereithält, um den Vertragsinhalt auf seine Angemessenheit zu überprüfen. Raiser führte aus, unbillige AGB berührten das Gemeinwohl und seine Verletzung rechtfertige einen Eingriff der Gerichte. Eine Individualvereinbarung unbilligen Inhalts treffe den Vertragspartner zwar nicht minder hart. Da jedoch einer unbilligen Individualvereinbarung nicht die Gemeinschaft, sondern nur ein Einzelner ausgesetzt sei, sei das Gemeinwohl nicht berührt und die Gerichte dürften nicht eingreifen. Raiser zeigte so einen Weg auf, wie die richterliche Inhaltskontrolle aus den Grenzen der Monopolrechtsprechung befreit werden konnte. Andere Autoren stellten dagegen nicht auf den Schutz des Gemeinwohls ab, sondern auf den des individuellen Vertragspartners. Auf dieser Grundlage unterschied Roquette 1938 zwischen Verbrauchern und Unternehmern als Vertragspartner. Er meinte, die Monopolrechtsprechung müsse dahingehend erweitert werden, daß der Vertragspartner nicht nur vor der Ausnutzung eines faktischen Monopols, sondern vor einer Ausnutzung eines ungleichen wirtschaftlichen Machtverhältnisses geschützt werde. Während in Verträgen mit Verbrauchern typischerweise davon ausgegangen werden könne, der überlegenere Unternehmer habe seine Macht ausgenutzt, wenn der Vertrag unbillige AGB enthalte, greife eine solche Vermutung im Unternehmerverkehr nicht gleichermaßen ein.
V. Zusammenfassung
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Zur Zeit des Nationalsozialismus intensivierten sich die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Eingriffe. So wollte die Praxis die Probleme um den unbilligen AGB-Inhalt lösen. Der wissenschaftlichen Diskussion vermochte man zu dieser Zeit keine neuen Gedanken hinzuzufügen. Nur der Tonfall der Kritik an der AGB-Praxis verschärfte sich. Für die nationalsozialistische Literatur war das 19. Jh. negative Folie, um die »Fortschritte« des Nationalsozialismus im Recht umso glanzvoller erscheinen zu lassen. Die schon lange gehegten Vorurteile gegen das vom Liberalismus geprägte Recht des 19. Jh. wurden übersteigert. Entsprechend wurde behauptet, das 19. Jh. habe den AGB nichts entgegenzusetzen gehabt, weil die Vertragsfreiheit allein formal verstanden worden sei. Nach der Zeit des Nationalsozialismus lebte dieses Zerrbild in abgeschwächter Form fort und wurde nicht mehr hinterfragt203. Nur auf den ersten Blick brachte auch die Literatur nach 1945 keine Fortschritte, sondern repetierte allein die Probleme und deren Lösungsmöglichkeiten. Doch arbeitete sie auch neue dogmatische Wege heraus, wie die Praxis die Grenzen der Monopolrechtsprechung überwinden könne. Die Rechtsprechung griff diesen Faden auf und entwickelte eine umfassende Inhaltskontrolle. Zudem wurde die Diskussion in einen größeren privatrechtstheoretischen Kontext gestellt. Dabei offenbarte sich, daß die einzelnen Autoren einen jeweils unterschiedlichen Ansatz wählten: Während die einen Raiser folgten und glaubten, die Inhaltskontrolle diene dem Gemeinwohl, meinten andere, der Schutz des individuellen schwächeren Vertragspartners sei ihr Zweck. Die Folgen dieser unterschiedlichen Ansätze wurden nicht herausgearbeitet, und das ist das Defizit, das rückblickend festgestellt werden kann. Diese Folgen hätten sich vor allem an der unterschiedlichen Behandlung einseitig gestellter Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung vorformuliert worden sind, offenbart. Diese Art der Vertragsbedingungen spielte in der Diskussion indes keine Rolle. Der AGBG-Gesetzgeber konnte die Ergebnisse dieser Fortschritte in der Literatur und Rechtsprechung nutzen und im AGBG kodifizieren.
203 Ausnahmen bildeten und bilden Flume II (3. Aufl. 1979), S. 16 f.; Hübner, FS Börner (1992), S. 717 f.; und zuletzt Rückert, JZ 2003, 749 ff., 751, 755.
§ 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Im 19. Jh. galt das Prinzip der Restgültigkeit allgemein. § 139 BGB weicht insofern vom gemeinen Recht ab. Dernburg wagte 1896 eine Prognose zu den praktischen Konsequenzen dieser Neuerung1: »B.G.B. § 135 [der spätere § 139 BGB] dreht die Regel um. Das Ergebnis ist in der Mehrzahl der Fälle kein anderes als nach römischen Recht.« In der Tat blieb diese Änderung für AGB folgenlos. Theorie und Praxis gingen weiter von der Restgültigkeit des Vertrages, der übrigen Klauseln und des inhaltlich nicht zu beanstandenden Teils der Klausel aus2. Eine geltungserhaltende Reduktion blieb zulässig3. Soweit die Klausel unwirksam war, griff die Rechtsprechung auf das dispositive Recht zurück4. Auch der Gesetzgeber erkannte, daß er mit § 6 AGBG an eine weit zurückreichende Rechtsprechung anknüpfte5.
I. Die Restgültigkeit des Vertrages Die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel berührte den Bestand des Vertrages nicht6. Dies galt als so selbstverständlich, daß eine Begründung entbehrlich schien7. Erst seit den 1930er Jahren erkannte man überhaupt den Begründungsbedarf für die Abweichung von § 139 BGB. Die entwickelten Ansätze waren vielfältig8: 1 Dernburg, Pandekten I (5. Aufl. 1896), § 124 Fn. 10 (S. 294). Vgl. zudem Mayer-Maly, GS Gschnitzer (1969), S. 267. 2 Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), Anhang zu § 346 Rn. 35 f.; Siber, Schuldrecht (1931), S. 180; Raiser (1935), S. 319; Staudinger/Weber (10. Aufl. 1940), Einl. § 241 Rn. 473; RGRK-HGB/Gadow (1941), Anhang zu § 346 Rn. 35. 3 RG (18.3.1925), JW 1925, 1395; RG (16.1.1926), LZ 1926, 377; RG (12.5.1928), LZ 1928, 1685; RG (8.7.1931), JW 1931, 2719, 2720; Nipperdey, JW 1931, 3085; Michel (1932), S. 58 ff.; Neukirch (1933), S. 41; Raiser (1935), S. 319 f., 324; Haus (1936), S. 28 f.; Herschel, DR 1939, 1264; Schmidt-Salzer (1971), Rn. 276 ff. 4 Vgl. Raiser (1935), S. 319. 5 Entwurf (1975), S. 45. 6 A.A. wohl nur A. Koch, DR 1944, 168. 7 Vgl. Raiser (1935), S. 319 ; Sandrock, AcP 159 (1960), 525 f.; Lukes, FS Hueck (1959), S. 485; Isele, JuS 1961, 312; Naendrup (1966), S. 15. 8 Hierzu auch Diederichsen, ZHR 132 (1969), 232 ff.
I. Die Restgültigkeit des Vertrages
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A. Zunächst wurde vor allem der Parteiwille herangezogen, die Restgültigkeit also gerade aus § 139 BGB hergeleitet9. Denn nach § 139 BGB ist das Rechtsgeschäft dann nicht als ganzes nichtig, wenn es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Insbesondere Raiser hielt den Verweis auf den Parteiwillen für verfehlt10: Gerade dem Willen des Verwenders entspreche die Restgültigkeit dann nicht, wenn ihm durch die Nichtigkeit einzelner Klauseln zusätzliche Kosten entstünden und so seiner Preiskalkulation die Grundlage entzogen werde. B. Raiser stellte auf den Schutz des Vertragspartners und darauf ab, die Inhaltskontrolle solle einen Mißbrauch der Vertragsfreiheit unterbinden11: »Aus dem Zweck […], nur die Grenzüberschreitung selbst zu treffen und das Geschäft im übrigen gerade auch im Interesse des schwächeren Vertragsteils aufrechtzuerhalten, darf […] gefolgert werden, daß § 139 […] keine Anwendung findet […].«
Die Abkehr von § 139 BGB war nicht auf das AGB-Recht beschränkt12, und diese allgemeinen Entwicklungen nahm man in der AGB-rechtlichen Debatte wahr13. Auch hier waren es vor allem Schutz- und Normzweckerwägungen, die zu Einschränkungen des § 139 BGB führten. C. Nipperdey war 1920 einen anderen Weg gegangen. Er wollte die Monopolrechtsprechung auf eine neue dogmatische Grundlage stellen14: Faktische Monopole unterlägen einem Kontrahierungszwang und seien verpflichtet, zu angemessenen Bedingungen abzuschließen15: »Wird die nach § 826 BGB. bestehende Rechtspflicht zum Kontrahieren dadurch verletzt, daß der Verpflichtete zwar tatsächlich kontrahiert, aber dem Berechtigten im Vertrag unbillige […] Bedingungen aufzwingt, so besteht der nach den §§ 826, 249 BGB. begründete Schadensersatzanspruch darin, daß die Vertragsbedingungen auf ein
9 LG Hamburg (25.4.1939), DR 1939, 1262, 1263, ZAkDR 1939, 618, 619; Staudinger/Riezler (9. Aufl. 1925), § 139 Anm. 4; Staudinger/Coing (11. Aufl. 1957), § 139 Rn. 13; Michel (1932), S. 59; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 13; Neukirch (1933), S. 41; Koehler (1934), S. 38; RGRK-HGB/Gadow (1941), Anhang zu § 346 Rn. 35. 10 Raiser (1935), S. 321. Vgl. zudem Sandrock, AcP 159 (1960), 493 ff., 530; Lukes, FS Hueck (1959), S. 474; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N361. 11 Raiser (1935), S. 323 f. Vgl. auch LG Göttingen (1.12.1955), NJW 1956, 592 mit Anm. v. Brunn; Stammler (1902), S. 420; Wieneke (1936), S. 90 ff.; Lukes, JuS 1961, 306; Wille (1966), S. 42 ff.; Larenz, AT (1. Aufl. 1967), S. 453; Pierer v. Esch (1968), S. 114 f.; Diederichsen, ZHR 132 (1969), 232 f., 248. 12 Vgl. HKK-BGB/Dorn (2003), §§ 139–141 Rn. 6 ff., §§ 134–137 Rn. 16, 19 ff.; Seiler, FS Kaser (1976), S. 147; Damm, JZ 1986, 923 f. 13 Michel (1932), S. 58; Isele, JuS 1961, 312; Larenz, AT (1. Aufl. 1967), S. 452 f. 14 Siehe oben § 9 II B (S. 298 f.). 15 Nipperdey, Kontrahierungszwang (1920), S. 99. Zustimmend Koenig (1932), S. 53 f. Kritisch Staudinger/Riezler (10. Aufl. 1936), § 145 Vorbem. 24. Ablehnend Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 13.
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§ 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
billiges Maß festgesetzt werden. Oder […] der dann nach § 138 BGB. wegen Verstoßes gegen die guten Sitten insoweit nichtige Vertrag wird auf billige Vertragsbedingungen korrigiert.«
Schon Raiser wies darauf hin, daß Nipperdeys Ansatz nur als Erklärung der von der Monopolrechtsprechung erfaßten Fälle dienen könne. Für eine darüber hinaus gehende Inhaltskontrolle war er nicht geeignet16. D. Lukes glaubte, die Aufstellung von AGB sei Rechtsgeschäft und nur dieses Rechtsgeschäft werde auf seinen Inhalt überprüft. Schon deshalb könne der Bestand der AGB nicht auf den Einzelvertrag durchschlagen17. SchmidtSalzer wollte die Inhaltskontrolle ganz in der Auslegung der Einbeziehungserklärung des Vertragspartners aufgehen lassen: unbillige Klauseln würden schon nicht Vertragsinhalt. Er glaubte, damit stelle sich auch das Problem um die Anwendung des § 139 BGB nicht18. E. Diejenigen, die den normativen Charakter der AGB betonten oder AGB den Normen gleichstellten19, schlossen die Anwendbarkeit des § 139 BGB genau deshalb aus20: § 139 BGB stelle auf den Willen der Parteien ab und gelten AGB normativ, passe § 139 BGB von vornherein nicht. Zudem finde § 139 BGB nur auf Rechtsgeschäfte Anwendung, AGB seien aber eher mit Normen vergleichbar. F. Zur Zeit des Nationalsozialismus erklärte man die Restgültigkeit im Einklang mit der damals herrschenden Ideologie auch mit dem Gemeininteresse21: »Wie heute überall, so muß auch die eigenpersönliche Willensherrschaft dort ihre Schranke finden, wo das Gemeininteresse es verlangt.« Eine Gesamtnichtigkeit sei wegen der Masse der betroffenen Verträge volkswirtschaftlich nicht erwünscht. Hinter diesem Gemeininteresse müsse selbst ein eindeutig anderslautender Parteiwille zurücktreten. G. Weber wollte 1968 die Rechtsfolge des § 139 BGB dadurch umgehen, daß er die Berufung des Unternehmers auf die Gesamtnichtigkeit als unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB qualifizierte. H. Wer schließlich keine Inhalts-, sondern nur eine Anwendungskontrolle vornahm, dem stellte sich das Problem, wie die Nichtanwendung des § 139 16
Raiser (1935), S. 322. Lukes, FS Hueck (1959), S. 483; ders., JuS 1961, 303. Ähnlich Naendrup (1966), passim. Hierzu schon oben § 9 IV (S. 318). 18 Schmidt-Salzer (1967), S. 248 ff.; ders. (1971), Rn. 131. Hierzu oben § 9 IV (S. 318). 19 Siehe oben § 7 I B und C (S. 213 ff.). 20 KG (22.10.1949), MDR 1950, 286; Eilles, DGWR 1941, 125; Bernhardt, DR 1942, 1174; Herschel, DR 1942, 759; Soergel/Lindenmaier (8. Aufl. 1952), § 139 Anm. II 4; D. Schneider, NJW 1954, 134; Fischer, BB 1957, 484; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64, § 139 Rn. 29; Meeske, BB 1959, 860; Helm, JuS 1965, 126, 128; ders., FS Schnorr v. Carolsfeld (1973), S. 138 f. 21 Hildebrandt, AcP 143 (1937), 344. Vgl. auch Graebke (1938), S. 50 und allgemein Larenz, DR 1935, 491; dens., Vertrag und Unrecht I (1936), S. 44; Roquette, DR 1940, 2150. 17
II. Die Restgültigkeit des übrigen Bedingungswerkes
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BGB begründet werden kann, gar nicht22. Denn dem Verwender war schlicht die Berufung auf eine einzelne Klausel versagt23. All diese Begründungsversuche machte der AGBG-Gesetzgeber durch Einführung des § 6 AGBG, der heute in § 306 BGB fortlebt, obsolet. Der Gesetzgeber führte das Prinzip der Restgültigkeit dabei auf drei Grundlagen zurück24: den Parteiwillen; das Ziel der Inhaltskontrolle, allein Auswüchse in den AGB zu bekämpfen; und den Schutz des Vertragspartners. Diese drei Gründe hatten die Debatte während des gesamten 20. Jh. geprägt. Daß sie widerstreiten können, erkannte der AGBG-Gesetzgeber. So kann eine Restgültigkeit zum Schutze des Vertragspartners auch dann geboten sein, wenn der Wille des Verwenders einer Restgültigkeit entgegensteht. Hier müsse der Wille des Verwenders im Interesse der Rechtssicherheit zurücktreten25. Damit kehrte der Gesetzgeber § 139 BGB nicht einfach nur um. Es ist eben nicht nur im Zweifel von einer Restgültigkeit auszugehen, sondern im Rahmen des § 306 Abs. 3 BGB immer. Oder anders ausgedrückt26: »Entscheidend ist hier […] nicht der Parteiwille, sondern das objektive Kriterium der Zumutbarkeit.«
II. Die Restgültigkeit des übrigen Bedingungswerkes Literatur und Rechtsprechung thematisierten selten, warum die Unwirksamkeit einer einzelnen Klausel nicht nur die Wirksamkeit des übrigen Vertrags nicht berührt, sondern warum darüber hinaus auch die übrigen AGB-Klauseln wirksam bleiben. Die herrschende Meinung setzt dies als selbstverständlich voraus. Das Ergebnis ist auch evident richtig. Erörtert wurde dieses Problem nur von denen, welche die herrschende Meinung in Frage stellten. Nach Lukes sollte die Aufstellung von AGB Rechtsgeschäft sein und nur dieses sollte einer Inhaltskontrolle unterzogen sein27. Halten die AGB einer Inhaltskontrolle nicht stand, sei der Aufstellungsakt insgesamt unwirksam und die AGB könnten deshalb auch nicht zum Inhalt eines Vertrages gemacht werden28. Zur Absicherung seiner These verwies Lukes auf den Präventionsgedanken: Der Verwender solle nicht risikolos unangemessene Klauseln in seine AGB in der Erwartung einfügen, daß die übrigen Klauseln aufrechterhalten werden29.
22 23 24 25 26 27 28 29
Isele, JuS 1961, 312; Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N381. Siehe oben § 9 IV (S. 317). Vorschläge (1974), S. 93; Entwurf (1975), S. 44. Vorschläge (1974), S. 95; Entwurf (1975), S. 46. HKK-BGB/Dorn (2003), §§ 139–141 Rn. 1. Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 17. Lukes, FS Hueck (1959), S. 474 ff. Lukes, FS Hueck (1959), S. 489. Zustimmend Emmerich, JuS 1972, 369.
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§ 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
III. Die Restgültigkeit der beanstandeten Klausel und die geltungserhaltende Reduktion Zunächst erachtete die herrschende Meinung eine geltungserhaltende Reduktion für zulässig30. Nipperdey leitete ihre Zulässigkeit aus §§ 826, 249 BGB her31, Herschel aus § 140 BGB32. Andere verwiesen auf § 139 BGB: Dem Willen beider Parteien entspreche es, daß sie so viel als möglich für sich herauszuschlagen suchten. Sie hätten sich daher auf das rechtlich noch zulässige geeinigt33. Auch Heilbrunn berief sich 1929 auf den Parteiwillen. Er wollte zu einer geltungserhaltenden Reduktion regelmäßig im Wege der Auslegung kommen34. Neukirch verwies 1933 schließlich auf den Zweck der Inhaltskontrolle35: »Die Berechtigung von Freizeichnungsklauseln ist, wie oben gezeigt, nicht mehr zu bestreiten. Es ist lediglich zu fordern, daß sie sich in normalen Grenzen bewegen, nur das Übermaß ist verwerflich, sittenwidrig. Wenn die Sittenwidrigkeit derartig beschränkt ist, so ist nicht einzusehen, warum die Ungültigkeit weitergehen soll als ihr Grund.«
Bedenken an einer geltungserhaltenden Reduktion äußerten zuerst Lehmann und Pagenstecher36. Pagenstecher verwies 1939 auf die Parallelproblematik sittenwidriger Bierlieferungsverträge, nämlich auf die Frage, ob ein überlanger Bierlieferungsvertrag auf einen angemessenen Zeitraum reduziert werden könne37. Das verneinte Pagenstecher38: »Läßt das Gesetz eine Verpflichtung nur dann zu, wenn sie ein gewisses Höchstmaß nicht überschreitet […], so kann der Richter nicht etwa auf Grund des § 139 annehmen, in der Einigung auf das Zuviel sei die Einigung auf das Angemessene enthalten«.
Der Gesetzgeber bezog zur Zulässigkeit einer geltungserhaltenden Reduktion keine Stellung. § 6 Abs. 1 AGBG besagte nur, daß der Vertrag im übrigen wirksam bleibt. Über das Schicksal der übrigen Klauseln und insbesondere das Schicksal des nicht zu beanstandenden Teils der unwirksamen Klauseln traf § 6 Abs. 1 AGBG dagegen keine ausdrückliche Aussage. Auch § 6 Abs. 2 AGBG konnte nicht, wie von einigen versucht worden war39, für einen Vorrang des dispositiven Rechts vor einer geltungserhaltenden Reduktion herangezogen werden40. 30
Vgl. schon oben die Nachweise in Fn. 3. Siehe oben das Zitat zu Fn. 15. 32 Herschel, DR 1939, 1264. 33 Michel (1932), S. 59. Ebenso Koehler (1934), S. 38. 34 Heilbrunn (1929), S. 35. 35 Neukirch (1933), S. 44. 36 Pagenstecher, ZAkDR 1939, 619; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbem. § 407 Rn. 13. 37 Vgl. allgemein Zimmermann (1979), insbesondere S. 60 ff. 38 Zustimmend und allgemein RGRK-BGB/Oegg (9. Aufl. 1939), § 140 Anm. 1. 39 So z.B. Larenz, AT (4. Aufl. 1977), S. 502. 40 Kötz, NJW 1979, 787. 31
V. Die Anpassung der Vertragspreises
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IV. Die Lückenfüllung Die herrschende Meinung ging zu jeder Zeit davon aus, daß die durch die Unwirksamkeit entstandene Lücke durch dispositives Recht ausgefüllt wird41. Zweifel wurden hieran nur selten vorgetragen42. Bedenken äußerte vor allem die nationalsozialistische Literatur. Nach ihr sollte der Richter frei rechtschöpferisch tätig werden43. Der AGBG-Gesetzgeber normierte auch hier die zuvor herrschende Meinung44.
V. Die Anpassung der Vertragspreises Vor allem in den 30er Jahren diskutierte man schließlich das Problem, ob nicht der Vertragspreis angepaßt werden müsse, wenn die Unwirksamkeit einer Klausel nicht zur Nichtigkeit des übrigen Vertrages führe. Denn der Vertragspreis sei ja gerade auf der Grundlage der nun ungültigen Klausel errechnet worden. Überwiegend wurde die Möglichkeit einer solchen Anpassung verneint45. Nur vereinzelt wurde sie zumindest in beschränkten Fällen bejaht46. Raiser wies jedoch zu recht darauf hin, daß eine Preiserhöhung weder dogmatisch möglich sei noch den Interessen der Parteien entspreche47: »Dem Unternehmer ist mit einer Preiserhöhung in dem einen, unglücklich verlaufenen Fall nicht geholfen. Muß er einen Schaden von 1000 tragen, so verschlägt es wenig, ob das Entgelt 10 oder 50 oder 100 betrug; den Schaden kann und soll es nicht ausgleichen. Er kann den Schaden nur tragen, weil in 100 anderen Fällen die Gefahr nicht zum Schaden geworden ist. Folgerichtig müßte er also nicht nur für dieses eine Geschäft und nicht nur für alle früheren Geschäfte mit diesem Kunden, sondern für alle Geschäfte, die er überhaupt auf Grund der jetzt beanstandeten AGB. abgeschlossen hat, nachträglich einen höheren Preis fordern, weil sich nun herausstellt, daß er in allen Fällen eine größere Gefahr getragen hatte, als er einkalkuliert hatte. Es leuchtet ein, daß das nicht geht […].«
41 Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), Anhang zu § 346 Rn. 35 f.; Heilbrunn (1929), S. 14; Raiser (1935), S. 319; Roquette, JW 1938, 549; RGRK-HGB/Gadow (1941), Anhang zu § 346 Rn. 35; Bernhardt, DR 1942, 1174; Soergel/Hefermehl (9. Aufl. 1959), § 138 Rn. 64; Soergel/Heinrich Lange (10. Aufl. 1967), Vor § 145 Rn. 101. 42 So von Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbem. § 407 Rn. 13; Heilbrunn (1929), S. 14. 43 Stoll, Vertrag und Unrecht (1936), S. 78; Herschel, DR 1942, 759. 44 Vorschläge (1974), S. 95; Entwurf (1975), S. 46. 45 Koenige (1932), S. 55; Koehler (1934), S. 39; Raiser (1935), S. 324 f.; Hildebrandt, AcP 143 (1937), 348. 46 So vor allem von Sebba (1931), S. 18 ff. 47 Raiser (1935), S. 325.
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§ 10. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
VI. Zusammenfassung Die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit von AGB beschäftigen Theorie und Praxis seit nunmehr 150 Jahren. Im 19. Jh. herrschte Einigkeit. Es galt das allgemeine Prinzip der Restgültigkeit. § 139 BGB verkehrte dieses Prinzip in sein Gegenteil. Im Zweifel war von einer Restungültigkeit auszugehen. Für das Recht der AGB blieb dieser Wandel zunächst folgenlos. Doch mußte die Rechtsfolge der Restgültigkeit für AGB nunmehr aufwendig begründet werden. Dabei spiegelten die unterschiedlichen Begründungen die verschiedenen Meinung zur Rechtsnatur und zu den Grundlagen der Inhaltskontrolle wieder.
§ 11. Zusammenfassung I. Zu Beginn des 20. Jh. ging man ebenso selbstverständlich wie am Ende des 19. Jh. davon aus, daß einbezogene AGB Vertragsabreden sind, die nur deshalb Wirkung entfalten, weil sich die Parteien auf sie geeinigt haben. Schon im 19. Jh. war man sich freilich des normativen Charakters der AGB bewußt gewesen. Immer neue Impulse, etwa vom Wirtschaftsverwaltungsrecht, Arbeitsrecht und der Rechtssoziologie, führten dazu, daß dieser normative Charakter in der ersten Hälfte des 20. Jh. immer mehr ins Zentrum des Interesses rückte. Man verglich AGB mit Normen oder setzte sie ihnen gleich und zog hieraus Rückschlüsse für die Dogmatik der AGB, begründete so etwa die Abweichung von § 139 BGB oder die Revisibilität der Auslegung. Zunächst verzichtet man aber nicht auf eine Einbeziehungsabrede als Geltungsgrund der AGB, sondern stellte diese allenfalls mit einer kollisionsrechtlichen Rechtswahl gleich. Erst Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre glaubten einige Obergerichte, aus dem normativen Charakter der AGB auf ihre einigungsunabhängige Geltung schließen zu können. Durchzusetzen vermochte sich diese Ansicht indes nicht. II. Die Betonung des normativen Charakters der AGB blieb also auch für die Entwicklung der Geltungsvoraussetzungen nicht folgenlos. Zu Beginn des 20. Jh. knüpfte man offen an die im 19. Jh. herausgearbeiteten Voraussetzungen an. Nur unterblieb zunächst eine Rückkoppelung mit der veränderten Rechtsgeschäftslehre als dogmatischem Rahmen der Einbeziehungsproblematik. Erst Raiser gelang es, die Einbeziehungsvoraussetzungen wieder in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre einzubinden. Daneben wurden die Geltungsvoraussetzungen in den ersten dreißig Jahren des 20. Jh. immer weiter verfeinert. Diese Entwicklung schloß Raiser ab. Es folgte sodann ein Auflösungsprozeß der anerkannten Geltungsvoraussetzungen. Dieser Prozeß hatte zahlreiche Ursachen: Katalysator war zum einen die Verkehrssitte. Im 19. und zu Beginn des 20. Jh. waren die Fälle, in denen AGB zum Vertragsinhalt wurden, obwohl sich keine der Parteien ausdrücklich zur Einbeziehung erklärt hatte, eine seltene Ausnahme. Nunmehr glaubte man, daß AGB schon dann Geltung beanspruchen müßten, wenn es der Verkehrssitte entspreche, daß Unternehmen überhaupt unter Einbeziehung der AGB kontrahieren. Zum anderen waren es seit den 50er Jahren mit Figuren wie etwa dem faktischen Vertrag Phänomene der vielzitierten Krise der Rechtsgeschäftslehre, die zugleich Impulse für die Auflösung der Einbe-
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§ 11. Zusammenfassung
ziehungsvoraussetzungen gaben. Als Folge trat der Wille des Vertragspartners immer weiter in den Hintergrund, typisierte Verhaltensweisen der Parteien in den Vordergrund. Mit den Einbeziehungsvoraussetzungen des § 2 AGBG reagierte der Gesetzgeber auf diese Fehlentwicklung seit den 1930er Jahren. III. Im 19. Jh. war die contra proferentem-Regel eine subsidiäre Auslegungsregel von allgemeiner Geltung. Dennoch war man sich ihrer Bedeutung für die Auslegung von AGB bewußt. Nach Inkrafttreten des BGB galt sie für die Auslegung von AGB fort, und das obwohl sie als allgemeine Regel der Vertragsauslegung abgelehnt wurde, sollte sie doch mit dem sich zu Beginn des 20. Jh. herausgebildeten Grundsatz der normativen Auslegung nicht vereinbar sein. Über die ratio der contra proferentem-Regel sowie über ihr Verhältnis zum Grundsatz der normativen Auslegung wurde bis zum Inkrafttreten des AGBG keine Einigkeit erzielt. Eine Typisierung war der Auslegungslehre niemals fremd. Doch erst im Verlauf des 20. Jh. entwickelte sich heraus, daß konkrete Umstände des Einzelfalls, die auf ein von dieser typischen Bedeutung abweichendes Verständnis der Parteien hindeuten, bei der Auslegung von AGB generell unbeachtlich sein sollen. Auch sollte die Auslegung von AGB nunmehr stets revisibel ist. Die Entwicklung beider Besonderheiten stand in Zusammenhang mit der Betonung des normativen Charakters der AGB. IV. Seit Mitte des 19. Jh. hatten sich zahlreiche Formen der Inhaltskontrolle herauskristallisiert: Die Gesetzgeber erließen als Reaktion auf die AGB-Praxis zwingendes Recht, die Verwaltung erhielt Eingriffsmöglichkeiten, und die Gerichte nahmen eine verdeckte, selten auch eine offene Inhaltskontrolle vor. Als Folge war schon zu Beginn des 20. Jh. die Kontrolldichte beachtlich. Freilich bargen diese Formen der Inhaltskontrolle Probleme: Die Gesetzgeber und die Verwaltung konnten nur punktuell eingreifen, und die offene richterliche Inhaltskontrolle war mit dem Monopolmißbrauch an enge Voraussetzungen geknüpft. Dieser Probleme war man sich seit Beginn des 20. Jh. bewußt. Die Vorschläge zu ihrer Überwindung waren vielfältig. Die verschiedenen Autoren stellten dabei jeweils unterschiedliche Formen der Kontrolle in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Die Gründe, die für eine Notwendigkeit eine umfassende Inhaltskontrolle angeführt wurden, glichen dabei denjenigen, die bereits die Diskussion im 19. Jh. bestimmt hatten. Der entscheidende Anstoß für eine Ausdehnung der offenen richterlichen Inhaltskontrolle ging von Raiser aus. Er meinte, unbillige AGB berührten das Gemeinwohl, und dessen Verletzung rechtfertige einen Eingriff der Gerichte. Eine Individualvereinbarung unbilligen Inhalts könne den Vertragspartner zwar ebenso hart treffen. Da jedoch einer unbilligen Individualvereinbarung nicht die Gemeinschaft, sondern nur ein Einzelner ausgesetzt sei, sei das Gemeinwohl nicht berührt und die Gerichte dürften nicht eingreifen. Nach 1945 arbeitete die Literatur neue dogmatische Wege heraus, wie die Praxis die Grenzen der Monopolrechtsprechung überwinden könne. Die Rechtsprechung griff diesen Faden auf und
§ 11. Zusammenfassung
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entwickelte eine umfassende Inhaltskontrolle. Zudem wurde die Diskussion in einen größeren privatrechtstheoretischen Kontext gestellt. V. Die BGB-Gesetzgeber wich in § 139 BGB zwar vom gemeinrechtlichen Prinzip der Restgültigkeit ab. Für das AGB-Recht blieb dieser Wandel indes folgenlos. Doch mußte die Rechtsfolge der Restgültigkeit für AGB nunmehr aufwendig begründet werden. VI. Die These, mit der das erste Kapitel schloß, daß die Wurzeln des modernen AGB-Rechts zumindest bis in das 19. Jh. zurückreichen, hat sich nach alledem bestätigt. Einige Gründe, warum wir uns dieser kodifikationsübergreifenden Kontinuitätslinien nicht mehr bewußt sind, haben wir bereits oben herausgearbeitet1. In der Gesamtschau fällt noch ein weiterer Grund auf: Zu Beginn des 20. Jh. griffen Literatur und Rechtsprechung vor allem auf die Grundsätze zurück, die sich zuerst im Rahmen des Transport- und Versicherungsrechts entwickelt hatten. Im Transport- und Versicherungsrecht hatte der Gesetzgeber aber inzwischen im großen Umfang eingegriffen. Hier spielten etwa die zuvor in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Einbeziehungsvoraussetzungen keine Rolle mehr oder eine nur noch untergeordnete Rolle. Die Entwicklung kam so prima facie zu einem Abschluß. Daß die in diesen Kontexten entwickelten Lösungen verallgemeinert wurden und fortlebten, erkennt man erst auf den zweiten Blick. VII. Raisers Bedeutung für das AGB-Recht liegt nicht darin, daß er es entdeckt hat oder daß er dem Begriff der AGB zum Durchbruch verhalf und damit eine einheitliche Terminologie schuf2. Der AGB-Begriff kann bereits 1875 nachgewiesen werden3 und war im 20. Jh. schon vor 1935 in Literatur4 und Praxis5 fest verankert, ja selbst die Abkürzung AGB begegnet in der Literatur schon vor 19356. Raiser gelang es vielmehr nach Inkrafttreten des BGB erstmals die aus dem 19. Jh. übernommenen Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären. Zugleich vermochte er den Prozeß um ihre Konsolidierung und Verfeinerung abzuschließen. Auch die Besonderheiten bei der Auslegung von AGB waren schon vor Raisers Schrift anerkannt gewesen. Er konnte diese Grundsätze vielmehr in sein schlüssiges Gesamtkonzept einpassen. Schließlich liegt die Bedeutung von Raisers Schrift darin, daß er der Entwicklung hin zu einer über die Monopolrechtsprechung hinausgehende offene richterliche Inhaltskontrolle entscheidende Anstöße gegeben hat. VIII. Die Entwicklung des 20. Jh. ließe sich in der Gesamtschau als Entstehungsprozeß des AGB-Rechts im heutigen Sinne beschreiben. Im 19. und zu 1
Siehe oben § 7 I D (S. 223) und § 9 V (S. 322 f.). So HKK-BGB/Hofer (2007), §§ 305–310 (Teil I) Rn. 4. 3 Hinrichs, ZHR 20 (1875), 391 und siehe oben § 2 IV B (S. 66). Vgl. auch die Begründung zum Entwurf des Gesetzes betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere von 1896 (RGBl. 1996, S. 183) zitiert in Riesser/Bernstein (5. Aufl. 1928), Anm. 2 a. 2
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Beginn des 20. Jh. ging es darum, wie AGB unter Anwendung allgemeiner Regeln rechtlich behandelt werden. Im Verlauf des 20. Jh. kristallisierte sich ein Kanon besonderer Regeln heraus, der speziell für AGB galt. Der AGB-Begriff ist zu einem Systembegriff geworden, der den Anwendungsbereich dieses Sonderrechts bestimmt. Der Gesetzgeber konnte auf die Ergebnisse dieser Entwicklung bei Schaffung des AGBG zurückgreifen. Freilich konnten wir im Rahmen der Inhaltskontrolle feststellen, daß die Entwicklung eines systembildenden AGB-Begriffs nicht unproblematisch war. Die verschiedenen Autoren, die sich an der Diskussion um die Auswei4 Vgl. z.B. Sontag, BankA 1904, 181; Bernstein, BankA 1905, 167; Senckpiehl, Speditionsgeschäft (1907), S. 91; Oertmann, Rechtsordnung (1914), S. 310, 515 f.; Brodmann (1918), S. 101; Neustätter (1921), S. 4; Senkpiehl, DJZ 1922, 248; dens., Haftung (1923), S. 115; Carlebach, JW 1922, 88; Hueck, JhJb 73 (1923), 57, 101; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323; Soergel/Gerold/Soergel (3. Aufl. 1926), § 242 Anm. 6; Staub/Koenige (12. und 13. Aufl. 1926), § 346 Rn. 17a; Oertmann, Kommentar I (3. Aufl. 1927), S. 819; Krusemeyer (1927), S. 7; Koehler, LZ 1927, 1450; Becker, RuH 1927, 248; Müller-Erzbach (2. und 3. Aufl. 1928), S. 651; Staudinger/ Kober (9. Aufl. 1928), § 433 Anm. IIIb; Reuver, ZBlHR 1928, 65; Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft (1928), S. 654; Heidland (1929), S. 145; Guthaner (1929), S. 16; Heilbrunn (1929), S. 11; Friedenthal (1929), S. 35; Richter, JW 1929, 2033; Manigk, Revisibilität (1929), S. 159 f.; Goldschmit (1929), § 346 Anm. 21; Reuver, JW 1929, 2802; Cosack, (12. Aufl. 1930), S. 235, 279; Goldbaum (1930), § 346 S. 459; Hamelbeck (1930), S. 5; Hamburger (1930), S. 181; Manigk, JW 1930, 832; Großmann-Doerth, JW 1930, 3724; Herold, JW 1930, 3770; Löning, MJenaerIWR 1930, 17; Hedemann, Schuldrecht (2. Aufl. 1931), S. 8; Neufeld/Schwarz (1931), § 346 Rn. 24; Merk, in: Beiträge zum Wirtschaftsrecht I (1931), S. 153; Woite (1931), S. 12; Hodum (1931), S. 9; Rühl, Rechtschöpfung (1931), S. 19 f.; Weller (1931), S. 1; Wrede (1931), S. 4; Heilbrunn, JW 1931, 2281; A. Koch Banken (1931), S. 46; dens., Geschäftsbedingungen (1932), S. 1; dens., BankA 1932/33, S. 224; Michel (1932), S. 1; Düringer/Hachenburg/Werner (3. Aufl. 1932), § 346 Rn. 16; Ritter (2. Aufl. 1932), § 346 Anm. 7; Düringer/Hachenburg/Lehmann (3. Aufl. 1932), Vorbemerkung zu § 407 Rn. 9; Koenige/Teichmann/Koehler (3. Aufl. 1932), § 347 Anm. 7, Vorbem. v. § 407 Anm. 3; Graul (1932), S. 13; Koenig (1932), S. 9; Odebrett (1932), S. 2; J. v. Gierke, (4. Aufl. 1933), S. 587; Neukirch (1933), S. 2; Rospatt, BankA 1933, 487; Großmann-Doerth (1933), S. 4; Kost (1933), S. 2; Aretz (1933), S. 9; Juhnke (1933), S. 1; Koehler (1934), S. 3; Overbuschmann (1934), S. 27; Viegener (1934), S. 6; Husmann (1935), S. 1. Siehe auch die Nachweise bei Staudinger/Weber (11. Aufl. 1967), Einl. Bd. II/1a Rn. N1. 5 Vgl. z.B. RG (26.2.1904), Holdh 13 (1904), 224; RG (18.5.1904), RGZ 58, 152; OLG Karlsruhe (12.6.1906), DJZ 1907, 974; RG (20.4.1907), RGZ 66, 39; RG (22.10.1907), JW 1907, 849; RG (22.1.1908), LZ 1908, 383; RG (11.11.1913), RGZ 84, 1; KG (5.2.1921), OLGR 41 (1921), 216; RG (26.10.1921), RGZ 103, 84; RG (24.10.1922), RGZ 105, 289; OLG Hamburg (5.1.1923), SeuffA 78 (1924), 153; RG (3.1.1920), Gruchot 64 (1920), 341; RG (31.3.1924), BankA 1925, 456; OLG München (10.11.1924), LZ 1925, 272; RG (10.12.1924), RGZ 109, 299; RG (17.1.1925), RGZ 110, 59; RG (14.5.1926), RGZ 113, 427; OLG Hamburg (4.6.1928), HansRGZ (B) 1928, 630, 638; RG (2.10.1928), RGZ 122, 75; RG (5.2.1932), RGZ 135, 91. 6 Vgl. z.B. Senkpiehl, Haftung (1923), S. 115; Koehler, LZ 1927, 1450; Krusemeyer (1927), S. 9; Senckpiehl, Eger 46 (1928), 66; Koehler, Eger 48 (1929), 177; Richter, JW 1929, 2033; Beelken (1929), S. 8; Weller (1931), S. 1; Woite (1931), S. 13; Koenig (1932), S. 9; A. Koch, Geschäftsbedingungen (1932), S. 1; dens., BankA 1932/33, S. 224; Neukirch (1933), S. 2; Rospatt, BankA 1933, 487; Krischer (1934), S. 1; Husmann (1935), S. 2.
§ 11. Zusammenfassung
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tung der Inhaltskontrolle beteiligten, wählten jeweils ganz unterschiedliche Ansätze: Während die einen glaubten, die Inhaltskontrolle diene dem Gemeinwohl, meinten andere, der Schutz des individuellen schwächeren Vertragspartners sei ihr Zweck. Die Folgen dieser Unterschiede wurden nicht herausgearbeitet. Sie hätten sich vor allem an der Behandlung einseitig gestellter Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung vorformuliert worden sind, offenbart. Diese Art der Vertragsbedingungen spielte in der Diskussion kaum eine Rolle. Das hatte wohl mehrere Gründe. Vor allem AGB bereiteten in der Praxis Probleme. Daß sie im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses standen, ist daher nur natürlich. Auch aus dem Blickwinkel der Rechtssoziologie waren in erster Linie die AGB als ein Ausschnitt des Phänomens des sogenannten Massenvertrages geeigneter Untersuchungsgegenstand. Zudem blieben die wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Maßnahmen zu recht auf AGB beschränkt, und diese Beschränkung wurde in der privatrechtlichen Diskussion übernommen. Schließlich wurde der moderne AGB-Begriff vor allem auch im Stempelsteuerrecht entwickelt7. Die Stempelsteuer gehörte zu den Verkehrssteuern. Sie wurde auf Grundlage der Landesstempelsteuergesetze und des Reichsstempelsteuergesetzes erhoben, an deren Stelle 1936 das Reichsurkundensteuergesetz trat8. Stempelsteuerpflichtig war die Vollziehung einer schriftlichen Urkunde, sofern sie ihrem Inhalt nach unter einen Stempeltarif fiel9. Stempelsteuerpflichtig waren etwa die Beurkundung von Abtretungen von Rechten, Bürgschaften, Vollmachtserteilungen, Ermächtigungen und Aufträgen sowie die Beurkundung aller Verträge über sonstige vermögensrechtliche Gegenstände10. Die AGB der Banken enthielten mehrere stempelsteuerpflichtige Rechtsgeschäfte, und die Steuer errechnete sich aus der Summe der einzelnen Stempelbeträge11. Nun pflegten die Banken, bevor sie mit potentiellen Kunden in ein Vertragsverhältnis traten, diesen ihre AGB zu übersenden12: »Die Direktion der Diskonto-Gesellschaft, Filiale Hannover, gibt Ihnen hierdurch Kenntnis von den umstehend abgedruckten, im Verkehr mit ihren Geschäftsfreunden maßgebenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit dem ergebenen Ersuchen, ihr das anliegende Empfangsschreiben gefl. unterzeichnet zurückzusenden.«
Dieses Empfangsschreiben konnte aus folgendem Text bestehen: »Ich bestätige Ihnen den Empfang Ihres Schreibens vom … Vordruck Nr. 73 nebst einem Abdruck Ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen.«
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Vgl. Neustätter (1921), S. 5. Hierzu Kollat (1936), S. V ff.; Rusche/Rensch (1936), S. 49 f. Vgl. z.B. §§ 1, 3 Preußisches Stempelsteuergesetz von 1895, PreußGS 1895, S. 413. Vgl. Tarif Nr. 2, 13, 71 Nr. 2, 73 Preußisches Stempelsteuergesetz von 1895, aaO. Vgl. § 10 Preußisches Stempelsteuergesetz von 1895, aaO. Zitiert aus RG (2.10.1928), RGZ 122, 75, 76.
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§ 11. Zusammenfassung
Strittig war, ob bereits dieser Vorgang stempelsteuerpflichtig war, ob der Bankkunde also mit seiner Unterschrift die AGB rechtsgeschäftlich anerkannte. Das Reichsgericht führte aus13: »Sie [die AGB] stellten im Interesse einer Erleichterung des Geschäftsverkehrs im voraus und in typischer Weise die Bedingungen fest, unter denen der Bankier gewisse Geschäfte abzuschließen gesonnen sei, und sie bildeten, wenn später ein Geschäftsabschluß erzielt würde, mit ihren Einzelbestimmungen die lex contractus. Sie seien alsdann für den Vertragsteil bindend […]. Keineswegs werde durch die Annahme und Billigung eines die Geschäftsbedingungen eines Bankiers enthaltenden Formulars ein selbständiger Vertrag geschlossen, vielmehr seien die Bedingungen lediglich bestimmt und geeignet, Bestandteil des demnächst abzuschließenden Vertrags zu werden.«
Die Bestandteile des AGB-Begriffs i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind in dieser Definition bereits angelegt, und auf ihrer Grundlage bildete sich der moderne AGB-Begriff dann auch aus14. Der andere Kontext, in dem uns die Bestandteile des modernen AGB-Begriffs schon früh in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung entgegentreten, ist das Revisionsrecht. Anders als nach § 479 des ersten Entwurfs der CPO konnte nach § 511 CPO (1877) die Revision nicht generell auf die fehlerhafte Auslegung einer Urkunde über ein Rechtsgeschäft gestützt werden. Schon 1881 stellt das Reichsgericht fest, daß die Auslegung von Rechtsgeschäften dennoch in der Revision überprüfbar ist, wenn sie nicht auf der Feststellung des konkreten Willens der Vertragsparteien beruht15: »Besonders häufig werden Fälle der gekennzeichneten Art in das Dasein treten bei Rechtstreitigkeiten, in denen es […] auf die Bedeutung allgemeiner Bedingungen ankommt, welche von Gesellschaften, deren Zweck das kontinuierliche Eingehen einer Gattung von Rechtsgeschäften ist, im voraus für alle diese Geschäfte abgefaßt und an sich bestimmt sind, gewissen objektivrechtlichen Thatbeständen zu entsprechen.«
Ob dieser für das Stempelsteuer- und Revisionsrecht sinnvolle Begriff aber auch für die Frage nach dem Anwendungsbereich einer besonderen offenen richterlichen Inhaltskontrolle geeignet ist, wurde niemals hinterfragt.
13
RG (11.11.1913), RGZ 84, 1, 2 f. Vgl. z.B. RG (2.10.1928), RGZ 122, 75, 76 f.; J. v. Gierke, ZBlHR 1926, 323; Hamelbeck (1930), S. 5; Hodum (1931), S. 11; Michel (1932), S. 1; Kost (1933), S. 1; Neukirch (1933), S. 2. 15 RG (12.1.1881), RGZ 3, 425, 428. Betonung hinzugefügt. 14
3. Kapitel
Das geltende Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen und dessen Überwindung im 21. Jahrhundert
§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund Die in den ersten beiden Kapiteln gesammelten Erkenntnisse zur Rechtsnatur und zum Geltungsgrund von AGB werfen keine Fragen an das geltende Recht auf. Sie bestätigen nur, was nach § 305 Abs. 2 BGB ohnehin außer Zweifel steht: Der Geltungsgrund von AGB ist eine Einbeziehungsabrede. Schon der BGB-Gesetzgeber setzte die einigungsabhängige Geltung von AGB voraus. Die Debatte um § 701 Abs. 3 BGB (1900) belegt dies1, und in der Begründung seines Vorentwurfes führte v. Kübel bei Darstellung des Streites zwischen Willens- und Erklärungstheorie ein Urteil des Obertribunals Berlin zur Einbeziehungsproblematik an2. Auch andere Gesetze dieser Zeit gingen von einer Einbeziehungsabrede als Geltungsgrund aus3. Und im 19. Jh. wurde zu keinem Zeitpunkt bezweifelt, daß AGB nur gelten, wenn und weil sich die Parteien hierüber geeinigt haben. Schließlich blieb die Ansicht, welche die Geltung von AGB normativ erklärt, auch im 20. Jh. eine zu vernachlässigende Mindermeinung4. Mit der Feststellung, AGB gelten aufgrund einer Einbeziehungsabrede, ist noch nicht die Frage nach ihrer Rechtsnatur beantwortet. Zwar meinen viele mit den Begriffen der Vertrags- und Normentheorie den Geltungsgrund und die Rechtsnatur von AGB zu beschreiben5: Gelten AGB einigungsabhängig, so handele es sich um Vertragsabreden. Wirken sie einigungsunabhängig, seien sie Normen. Doch ist nur die zweite dieser Aussagen korrekt. Denn es ist möglich, von der Normqualität von AGB auszugehen und trotzdem eine Einigung als Geltungsgrund zu verlangen. Freilich ist diese Erkenntnis für das geltende Recht von untergeordneter Rolle. Denn der Gesetzgeber erkannte nicht nur die einigungsabhängige Geltung der AGB an. Er entschied sich zugleich gegen ihre Normqualität: § 305 Abs. 1 BGB bezeichnet AGB als Vertragsbedingungen. Folglich wird diese Rechtsnatur kaum mehr in Frage gestellt6. Dieser Be1
Siehe oben § 2 III (S. 57 ff.) und Jakobs/Schubert, Beratung III, S. 222 f. Schubert, Vorlagen II/1, S. 153; OTR Berlin (10.9.1868), SeuffA 25 (1872), 337. 3 Siehe oben § 2 II C 1 b (S. 42 ff.), § 3 II C (S. 134 f.) und § 4 III A (S. 157 ff.). 4 Siehe oben § 7 I C (S. 215 ff.). Zur heutigen h.M. siehe die Nachweise in Fn. 6. 5 Siehe hierzu und zum folgenden oben § 7 I C (S. 218). 6 Statt aller Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 3 Rn. 5, § 43 Rn. 11. A.A. Pflug (1986). Gegen Pflug Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 40 ff.; Fastrich (1992), S. 31 ff. Vgl. aber auch Schapp (1986), S. 80 f., der mit der Ansicht Meyer-Cordings sympathisiert. Zu Meyer-Cording vgl. oben § 7 I C (S. 222). 2
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§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
fund steht wiederum im Einklang mit den bisherigen Ergebnissen dieser Studie. Im 19. Jh. waren AGB ihrer Rechtsnatur nach Vertragsabreden. Auch der Gesetzgeber erkannte dies an, so in den Postgesetzen von 1867 und 1871. Dennoch war man sich des normativen Charakters der AGB ebenso bewußt wie der Tatsache, daß sie gerade vom Vertragspartner als Normen empfunden werden. Zu Beginn des 20. Jh. wurde der Vergleich zwischen AGB und Normen zu einem wiederkehrenden Motiv. Trotzdem wurden AGB weiter als Vertragsabreden qualifiziert. Nur von den späten 30er bis in die frühen 50er Jahre stellten Literatur und Rechtsprechung AGB und Normen gleich.
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund in vergleichender Perspektive Auch ein Rechtsvergleich stellt diesen Befund nicht in Frage: Die Klauselrichtlinie setzt voraus, daß AGB Vertragsabreden sind, deren Geltung auf einer Einigung beruht7. Gleiches gilt für den Vorschlag einer Richtlinie über Verbraucherrechte vom Oktober 20088. Ein Blick in die einzelnen europäischen Rechte erregt ebenfalls keine Zweifel. So geht man in England9, Schottland10, Österreich11 und den skandinavischen Ländern12 wie selbstverständlich davon aus, es handele sich bei AGB um Vertragsabreden. Und in einigen europäischen Rechten wird, ähnlich wie im deutschen Recht, eine Einigung als Geltungsgrund der AGB gesetzlich festgeschrieben, so etwa im portugiesischen13 und niederländischen14 Recht. Schließlich unterstellen auch die europäischen Vereinheitlichungsprojekte und das internationale Einheitsrecht, daß AGB ihrer Rechtsnatur nach Vertragsabreden sind und ihre Geltung auf einer vertraglichen Einigung beruht15. Daß es sich bei einbezogenen AGB um Vertragsabreden handelt, die nur gelten, weil sich die Parteien auf ihre Geltung geeinigt haben, steht heute in Europa also außer Zweifel. Darüber hinaus scheint sich die Diskussion um die Rechtsnatur und den Geltungsgrund in einzelnen Rechten Europas ähnlich entwickelt zu haben wie in Deutschland. So ist in Frankreich die Ver-
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Erwägungsgründe 9 und 20, Art. 2 Zif. a, Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiL 93/13/EWG. Art. 30 ff. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008, KOM (2008) 614 endg. 9 Statt aller McKendrick (7. Aufl. 2007), §§ 9.1 ff.; Chitty (2. Aufl. 1834), S. 387. 10 Statt aller McBryde (3. Aufl. 2007), §§ 7-01 ff.; Bankton (1751) I,380,4. 11 Statt aller Perner, ecolex 2009, 289; Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 132; OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957. 12 Keto-Girgin (2004), S. 96; Ring/Olsen-Ring (1999), Rn 245. 13 Vgl. Monteiro (1998), S. 122. 14 Vgl. Art. 6:231 BW. 15 Art. 2.1.19 PICC; Art. II.-4:204 ff., II.-9:103 DCFR; Art. 6:101 ff. ACQP. Für die PECL vgl. Lando/Beale (2000), S. 149 f. 8
I. Rechtsnatur und Geltungsgrund in vergleichender Perspektive
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tragstheorie heute ebenfalls herrschend16. Doch wurde von den sogenannten anticontractualistes die Ansicht entwickelt, die Geltung von AGB könne nicht vertraglich erklärt werden. Ausgangspunkt war der 1901von Saleilles geprägte Begriff des contrat d’adhésion17: Der Vertragspartner trete den vorformulierten Vertragsbedingungen nur bei. Dieser Beitritt lasse sich nicht als Vertragsschluß begreifen. Denn ein Vertrag liege nur vor, wenn dessen Inhalt Ergebnis individueller Verhandlungen sei. In der Rechtsprechung vermochte sich diese Ansicht niemals durchzusetzen. Daß die Vertragsfreiheit des Vertragspartners bei AGB auf eine bloße Abschlußfreiheit reduziert ist, stehe der Einordnung der AGB als Vertragsabreden nicht entgegen. Ähnlich war die Entwicklung in Spanien18: In der Literatur wurde seit den 1940er Jahren vereinzelt eine Normentheorie vertreten. Art. 5 Abs. 1 S. 1 spanisches AGBG verlangt nun ausdrücklich ein Einverständnis des Vertragspartners, damit die AGB wirksam einbezogen werden, und bekennt sich so zur Vertragstheorie. Dagegen scheint das italienische Recht keine Einbeziehungsabrede vorauszusetzen, also für eine einigungsunabhängige Geltung von AGB zu stehen. Art. 1341 Abs. 1 CC lautet19: »Le condizioni generali di contratto predisposte da uno dei contraenti sono efficaci nei confronti dell’ altro, se al momento della conclusione del contratto questi le ha conosciute o avrebbe dovuto conoscerle usando l’ordinaria diligenza.«
»Die von einem Vertragsteil vorformulierten allgemeinen Vertragsbedingungen sind dem anderen Teil gegenüber wirksam, wenn dieser sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kannte oder bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt hätte kennen müssen.«
AGB sind wirksam, wenn der Vertragspartner von ihnen Kenntnis haben mußte20. Diese Kennenmüssenformel als eigenständiger Einbeziehungstatbestand begegnete uns schon bei Darstellung des deutschen Rechts21: Hier beherrschte sie die Einbeziehungsdebatte seit den 1940er Jahren, und auch Art. 1341 wurde in den Codice civile von 1942 neu eingeführt. Nach herrschender Ansicht steht die Kennenmüssenformel des Art. 1341 Abs. 1 CC nicht mit den Vorschriften über den Vertragsschluß im Einklang. Und in der 16 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 196 ff.; Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 164; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 39; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), B 79, F 803; Barfuss, RIW 1975, 321; Schmidt/Niggemann, AWD 1974, 310 f. 17 Vgl. Saleilles (2. Aufl. 1929) Art. 133 Rn. 89. Zum folgenden Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 196 ff.; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 39; Gardette (2005), S. 38 ff.; Brock (1998), S. 53 ff.; Behr (1969), S. 25 ff.; Neumayer (1968), S. 22 f.; Schmidt-Salzer, AcP 167 (1967), 505 f.; Schröder (1967), S. 32 ff. 18 Hierzu Piske (2002), S. 17 ff.; Fischer (2000), S. 90 f. 19 Übersetzung aus Patti (2007). 20 Hierzu und zum folgenden siehe unten § 13 I B 3 (S. 365 ff.). 21 Siehe oben § 7 II C 4 (S. 245 f.).
342
§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
Tat erwähnt Art. 1341 Abs. 1 CC keine Einbeziehungsabrede als Geltungsvoraussetzung. Andererseits steht Art. 1341 CC unter den Abschnittsüberschriften »Dell’accordo delle parti« und »Dei requisiti del contratto«22. So liegt die Vermutung nahe, daß der Gesetzgeber den Geltungsgrund von AGB in einer Einigung sah, diese aber bei einem Wissenmüssen unterstellte und damit die Vertragsnatur von AGB und die Abrede als ihren Geltungsgrund nicht in Frage stellen, sondern allein einen neuen Einigungstatbestand einführen wollte. Auch spricht Art. 1341 Abs. 1 CC von condizioni generali di contratto23. Und auf die AGB-Auslegung finden die Regeln zur Vertragsauslegung Anwendung24. Entsprechend ist die Vertragstheorie (teoria contrattuale/ negoziale) herrschend. Doch gibt es auch Anhänger einer Normentheorie (teoria normativa)25, oder es werden zumindest Parallelen zwischen AGB und Rechtsnormen betont26. Insgesamt erscheint die Nichterwähnung einer Einbeziehungsabrede als Geltungsvoraussetzung von AGB in Art. 1341 Abs. 1 CC aus europäischer Sicht heute nur noch von historischem Interesse. Für die aktuelle Debatte um die Rechtsnatur und den Geltungsgrund von AGB in Europa ist sie ohne Bedeutung. Ähnlich ist das polnische Recht zu bewerten. Ebenso wie in Italien wurden auch in Polen schon frühzeitig besondere Geltungsvoraussetzungen für AGB, nämlich 1933, eingeführt. Diese waren in Art. 71 OR enthalten. Dessen § 1 lautete27: »Regulamin, wydany przez jedną ze stron, wiąże drugą stronę tylko wówczas, gdy został jej wręczony przy zawarciu umowy, a jeżeli posługiwanie się regulaminem jest zwyczajowo w danych stosunkach przyjęte – także wówczas, gdy druga strona mogła z łatwością dowiedzieć się o treści regulaminu.«
»Eine Richtlinie, die durch eine der Parteien herausgegeben wurde, bindet die andere Partei dann, wenn sie ihr bei Vertragsschluß ausgehändigt wurde, und wenn ihre Anwendung in den gegebenen Vertragsbeziehungen üblich ist, auch dann, wenn die andere Partei mit Leichtigkeit von ihrem Inhalt Kenntnis erlangen konnte.«
Art. 71 § 1 OR verzichtete darauf, das Einverständnis als Geltungsvoraussetzung zu nennen; die bloße Aushändigung der Richtlinien, gemeint sind
22
»Einigung der Parteien« – »Erfordernisse des Vertrages«. Vgl. De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 114. 24 Rescigno/Dell’Utri I (7. Aufl. 2008), Art. 1341 § 2; Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 369; ders. (1996), S. 187. 25 Vgl. Di Majo, in: Bessone (2. Aufl. 1995), S. 564; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § I.6; Coors (2001), S. 56; Roppo, in: Alpa/Bessone (1984), S. 31 ff. 26 Perlingieri/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 408 f.; Galgano (2007), S. 40 f. (Galgano zeigt zugleich die Grenzen des Vergleichs auf); ders., (11. Aufl. 2001), S. 237; Gazzoni (12. Aufl. 2006), S. 904; Grundmann/Zaccaria (2007), S. 207. 27 Übersetzung nach Heidenhain (2001), S. 289. 23
II. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Deregulierung
343
AGB28, genügte. Bei üblichen AGB reichte sogar die bloße Kenntnisnahmemöglichkeit aus29. Seit 2000 sind die Voraussetzungen nach zahlreichen Reformen in Art. 384 ZGB normiert. § 1 lautet30: »Ustalony przez jedną ze stron wzorzec umowy, w szczególności ogólne warunki umów, wzór umowy, regulamin, wiąże drugą stronę, jeżeli został jej doręczony przed zawarciem umowy.«
»Die von einer Partei festgelegten Vertragsmuster, insbesondere allgemeine Vertragsbedingungen, Musterverträge und Reglements sind für die andere Partei verbindlich, wenn sie ihr bei Vertragsabschluss ausgehändigt worden sind.«
Auch Art. 384 § 1 ZGB setzt kein Einverständnis des Vertragspartners für eine Einbeziehung der AGB voraus. Ist die Verwendung von Vertragsmustern üblich, dann genügt nach § 2 weiterhin, daß der Vertragspartner ihren Inhalt leicht hat zur Kenntnis nehmen können. Handelt es sich bei dem Vertragspartner um einen Verbraucher, gilt dies nur bei gewöhnlichen Verträgen in kleinen laufenden Angelegenheiten des täglichen Lebens: »W razie gdy posługiwanie się wzorcem jest w stosunkach danego rodzaju zwyczajowo przyjęte, wiąże on także wtedy, gdy druga strona mogła się z łatwością dowiedzieć o jego treści. Nie dotyczy to jednak umów zawieranych z udziałem konsumentów, z wyjątkiem umów powszechnie zawieranych w drobnych, bieżących sprawach życia codziennego.«
»Ist in den Beziehungen der gegebenen Art die Verwendung eines Vertragsmusters üblich, so ist es auch dann verbindlich, wenn die andere Partei von seinem Inhalt mit Leichtigkeit hat Kenntnis nehmen können. Das gilt jedoch nicht für Verträge mit der Beteiligung von Verbrauchern, mit Ausnahme von Verträgen, die gewöhnlich in kleinen laufenden Angelegenheiten des täglichen Lebens geschlossen werden.«
In Art. 384 ZGB ist der polnische Gesetzgeber damit nicht über die Einbeziehungsvoraussetzungen aus dem Jahre 1933 hinausgekommen.
II. Allgemeine Geschäftsbedingungen und Deregulierung Die Frage nach Rechtsnatur und Geltungsgrund von AGB berührt schließlich neuere Entwicklungen und aktuelle Diskussionen, auf die hier nur hingewiesen werden soll, um so das gezeichnete Bild abzurunden. Einer vertieften Erörterung bedürfen sie nicht, stellen sie doch die Einordnung der AGB nicht in Frage. 28 29 30
Vgl. Rukser, RabelsZ 8 (1934), 355. Hierzu Heidenhain (2001), S. 23 ff.; Zoll/Diemer-Benedict, RIW 1997, 1001. Diese und die folgende Übersetzung aus Lane/Gralla (2005).
344
§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
Zu Beginn des 20. Jh. konnten wir als allgemeine Tendenz eine Abwendung vom Vertrag und eine Hinwendung zur Norm feststellen31. So wurden im 19. Jh. die Eisenbahnreglements und die Postordnungen als AGB qualifiziert. Sie waren wirksam, wenn auf ihrer Grundlage kontrahiert worden war und sie so zum Vertragsinhalt gemacht worden waren32. Sodann wurde das Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands zunächst durch die Verkehrsverordnung für die Eisenbahnen Deutschlands und dann durch die Eisenbahnverkehrsordnung ersetzt. Die Vorschriften des Eisenbahnreglements wurden in den Rang einer Rechtsverordnung erhoben. Eine ähnliche Entwicklung konnten wir zeitversetzt für die Postordnungen beobachten. Das Verhältnis zwischen der Post und ihren Kunden wurde nicht mehr als Vertrags-, sondern als öffentlich-rechtliches Nutzungsverhältnis verstanden und die Postordnungen nicht mehr als AGB, sondern als Rechtsnormen eingeordnet. Schließlich griff die Verwaltung seit Ende des Ersten Weltkrieges vermehrt in die Gestaltung der AGB ein. Diese Entwicklung stand in unmittelbaren Zusammenhang mit der Entstehung des modernen Wirtschaftsverwaltungsrechts. Im Zuge der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die unter den Stichworten Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung zusammengefaßt werden, hat sich dieser Prozeß zum Teil umgekehrt. So ist das Verhältnis zwischen der Post und ihren Kunden seit § 7 PostG (1989) wieder privatrechtlicher Natur, das durch AGB bestimmt wird33. Freilich werden diese AGB besonders behandelt. Zunächst ordnete § 23 Abs. 2 Nr. 1a AGBG an, daß die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 2 AGBG überhaupt nicht anwendbar seien. Nunmehr modifiziert § 305a Abs. 2 BGB die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB34. Zudem folgt aus der Deregulierung und Liberalisierung eines Marktes nicht zwingend, daß das Vertragsverhältnis zwischen Anbieter und Kunden wieder durch AGB ausgestaltet wird. So handelt es sich bei den Allgemeinen Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz vom 26.10.200635, eine vorangegangene Fassung war 1942 für allgemeinverbindlich erklärt worden und galt nach dem Zweiten Weltkrieg fort36, noch heute um eine Rechtsverordnung37.
31 32 33 34 35 36 37
Siehe oben § 7 I (S. 203 ff.). Siehe oben § 2 II C 1 (S. 29 ff.) und 2 (S. 46 ff.), § 2 VIII (S. 122 ff.). Vgl. hierzu z.B. Schmid (1995), S. 36 ff. Siehe dazu noch unten § 13 VI (S. 481 ff.). BGBl. I 2006, S. 2391. Siehe oben § 7 I A (S. 212). Vgl. hierzu MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), Vor § 307 Rn. 12.
III. Allgemeine Geschäftsbedingungen und die lex mercatoria
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III. Allgemeine Geschäftsbedingungen und die lex mercatoria Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob es eine internationale lex mercatoria als autonome Rechtsordnung gibt38. Es geht dabei allein um die rechtliche Einordnung unstreitig existierender Phänomene, nämlich der Bräuche, Formulare, Bedingungen, Klauseln, Prinzipien und Grundsätze des internationalen Handels: Kommt in ihnen ein vom Handel autonom geschaffenes Recht zum Ausdruck, das Parteien als Vertragsstatut wählen können und das Gerichte auch ohne entsprechende Rechtswahl als anwendbares Recht beachten müssen? Oder handelt es sich nur um Vertragsabreden, die in den Grenzen des kollisionsrechtlich berufenen staatlichen Rechts wirken? Die Literatur beleuchtet diese Fragen aus unterschiedlichen, akademisch wie praktisch ausgerichteten Perspektiven: der des Kollisionsrechts, des Schiedswesens, der Rechtsgeschichte, der Rechtsquellenlehre, der Rechtssoziologie, der Systemtheorie, der ökonomischen Analyse sowie weiterer Spezialmaterien, wobei auch im Rahmen dieser Einzeldebatten bisher keine Einigkeit erzielt worden ist, ob es eine lex mercatoria als autonome Rechtsordnung jemals gab, gibt oder geben sollte. Zudem herrscht kein Konsens darüber, was Bestandteil einer lex mercatoria ist. Als Quellen erscheinen in der Diskussion neben den Bräuchen des internationalen Handels, das Einheitsrecht, mit den PECL und den PICC internationale Vereinheitlichungsprojekte privater Wissenschaftlergruppen, Schiedssprüche und allgemeine Rechtsgrundsätze, die allen Rechtsordnungen oder zumindest den Rechtsordnungen, die einen Vertrag berühren, gemein seien39. Vor allem um die Einordnung der PECL und der PICC hat sich ein Streit entsponnen40: Während die einen meinen, ihre Wahl als Vertragsstatut sei nicht nur in Schiedsverfahren, sondern auch in Verfahren vor staatlichen Gerichten möglich oder sollte zumindest möglich sein, wollen andere sie mit AGB gleichstellen und ihnen damit nur Geltung zusprechen, wenn sich die Parteien auf Grundlage des kollisionsrechtlich berufenen nationalen Rechts auf ihre Einbeziehung geeinigt haben. Eine Geltung dieser Regelwerke als objektives Vertragsstatut wird dagegen nahezu einhellig abgelehnt. Damit dreht sich die Kontroverse vor allem um zwei Fragen, nämlich zum einen darum, auf welcher Grundlage die Wirksamkeit der Einigung auf eines dieser Regelwerke zu beurteilen ist: im deutschen Recht etwa nach Art. 3 Rom I-VO einerseits oder nach § 305 Abs. 2 BGB bzw. im Fall des § 310 Abs. 1 S. 1 BGB nach den §§ 145 ff. BGB andererseits? Zum anderen geht es um die Wirksamkeitsgren38
Vgl. zusammenfassend Hellwege, Lex Mercatoria, in: HwbEuP (2009), S. 1020 ff. Vgl. statt aller Lando, (1985) 34 ICLQ 748 ff. 40 Vgl. hierzu Schilf (2005), passim; G. Schulze, RabelsZ 71 (2007), 852 ff.; Canaris, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 5 ff.; Lando, FS Siehr (2000), S. 391 ff.; Michaels, RabelsZ 62 (1998), 580 ff.; Bonell, ZfRV 1996, 152 ff. 39
346
§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
zen dieser Regelwerke: Sind sie in Deutschland allein an international zwingendem Recht oder an den §§ 307 ff. BGB zu messen? Unter den Befürwortern einer modernen lex mercatoria ist unbestritten, daß ihr mit den Formularen und Klauseln des internationalen Handels Phänomene hinzuzurechnen sind, die traditionell als AGB und damit als Vertragsabreden eingeordnet werden. Doch stellen diese Befürworter die Einigung als Geltungsgrund und die Vertragsnatur dieser internationalen Formulare und Klauseln nicht generell in Frage, steht doch fest, daß nicht jede Klausel des internationalen Handels Ausdruck der lex mercatoria ist. Die meisten Bedingungswerke gelten nur als Vertragsabreden innerhalb der lex mercatoria als Bezugssystem. Freilich haben es die Befürworter einer lex mercatoria bisher unterlassen herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen diese zunächst rein soziologischen Phänomene des internationalen Handels in Recht umschlagen.
IV. Allgemeine Geschäftsbedingungen, private Regelsetzung und Entstaatlichung des Rechts Die Diskussion um eine moderne lex mercatoria wurde in jüngerer Zeit in zwei größere Zusammenhänge gestellt: den der Entstaatlichung des Rechts als Folge der Globalisierung und, damit eng verknüpft, den der Möglichkeit privater Regelsetzung. Produkte privater Regelsetzung lassen sich auch außerhalb des Handels in anderen internationalen Kontexten erkennen. So wird im Sportrecht in Hinblick auf die Regeln internationaler Sportverbände von einer lex sportiva und von einer lex technica bei der Normierung technischer Standards gesprochen41. Ob es notwendig ist, von einer Entstaatlichung des Rechts oder einer Überwindung des Staates zu sprechen, und ob wir unser überkommenes Rechtsquellenverständnis und unseren tradierten Rechtsbegriff überdenken müssen, um so diese internationalen Phänomene privater Regelsetzung erfassen zu können, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden42. Denn zum einen geht es in der Diskussion um rein internationaler Phänomene. Zum anderen wurden bisher nur Fragen aufgeworfen und keine neuen Verständnisse und Begriffe entwickelt. Damit ist auch noch nicht absehbar, ob die am Ende der Debatte stehenden Erkenntnisse die Einordnung von AGB als Vertragsabreden in Frage stellen werden. 41 Hierzu statt aller Meder (2008), S. 2; Röthel, JZ 2007, 755 ff.; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 ff., jeweils mit weiteren Beispielen. 42 Vgl. hierzu umfassend Jansen/Michaels, RabelsZ 71 (2007), 345 ff.; Michaels, (2007) 14 IndianaJGLS 447 ff.; Michaels/Jansen, (2006) 54 AJCL 843 ff.; Michaels, (2005) 51 WayneLR 1209 ff.; sowie die Beiträge in Jansen/Michaels, Beyond the State (2008), passim (= (2008) ACLJ 527–843) und in Zimmermann, Globalisierung und Entstaatlichung (2008), passim.
IV. Geschäftsbedingungen, Regelsetzung und Entstaatlichung des Rechts
347
Private Regelsetzung ist freilich nicht auf eine internationale Ebene beschränkt. Mit dem Phänomen privater Regelsetzung hat sich, beschränkt auf das deutsche Recht, zuletzt Bachmann ausführlich beschäftigt43. Dabei versteht er AGB als Beispiel privater Regelsetzung44. Doch meidet er bewußt den Begriff der Norm und spricht auch nicht von privater Rechtsetzung45. So unterscheidet er sich von Autoren wie Meyer-Cording und Pflug, die AGB als Normen bezeichnen46. Bachmann geht es darum, »wie private Akteure aus eigenem Antrieb und zu eigenen Zwecken eine normativen Ordnung schaffen können und unter welchen Voraussetzungen andere Private daran gebunden sind«47. Er will das Legitimationsproblem offen ansprechen, das sich unabhängig von der Einordnung von AGB als Normen oder Vertragsabreden stellt48. Dieses Problem möchte Bachmann nicht beschränkt auf AGB, sondern für alle Formen privater Regelsetzung lösen. Er stellt somit zugleich den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Beispielen privater Regelsetzung wieder her, der im 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. noch im Bewußtsein war49. Die Legitimation privater Regelsetzung sucht Bachmann in der Kombination eines Zustimmungs- und eines Gemeinwohlelements50. Beide Elemente will er in ein bewegliches System bringen. Das Zustimmungselement finde sich in dem Einverständnis in die Einbeziehung von AGB. Transparenzgebot, Überraschungsschutz und Inhaltskontrolle seien Ausgleich dafür, daß das AGBRecht »sich mit einer abgeschwächten, weil pauschal auf die Ordnung im Ganzen erstreckten Zustimmung begnügt«51. Anders als bei staatlich gesetztem Recht, das seine Legitimation durch die Orientierung am Gemeinwohl erhalte, komme es bei der privaten Regelsetzung insbesondere (aber nicht nur) darauf an, daß sich die Regel an dem Wohl aller Adressaten orientiere. Bachmann spricht insoweit vom Gruppenwohl52. Dieses werde im Fall der AGB als Erscheinungsform privater Regelsetzung durch die Inhaltskontrolle gesichert. Sei das Gruppenwohl »durch entsprechende Ausgestaltung des Regelsetzungsprozesses oder pluralistische Organisation der regelsetzenden Gremien« gewährleistet, bedürfe es daher einer Inhaltskontrolle nicht, was § 310 Abs. 4 BGB etwa für Tarifverträge anerkenne. Bachmann, das dürfte aus dieser sehr 43 Bachmann, Private Ordnung (2006), passim. Vgl. auch Meder (2008), passim; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 ff.; Kirchhof (1987), S. 331 f. 44 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 119 ff. 45 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 20 ff. 46 Zu Meyer-Cording siehe oben § 7 I C (S. 222), zu Pflug die Nachweise in Fn. 6. Auch Köndgen, AcP 206 (2006), 508 ff. und Meder (2008), S. 2, sprechen von »privat gesetztem Recht« bzw. »Rechtsetzung durch Private«. 47 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 42. 48 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 157 ff. 49 Siehe oben § 2 VIII (S. 122 f.). 50 Zu seinem Legitimationsmodell: Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 193 ff. 51 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 234. Vgl. auch ebd., S. 265 f. mit Fn. 40. 52 Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 206 ff.
348
§ 12. Rechtsnatur und Geltungsgrund
knappen Zusammenfassung seiner Thesen deutlich werden, spricht sich damit nicht für eine Normentheorie aus, so wie sie uns im 20. Jh. entgegentrat. Er hält den Streit um die Rechtsnatur der AGB vielmehr für wenig hilfreich und will ihn mit seinem Modell der privaten Regelsetzung überwinden53. Für die hier erörterte Frage ist allein wichtig, daß sich Bachmann nicht für eine einigungsunabhängige Geltung von AGB ausspricht, sondern im Einverständnis des Vertragspartners einen wichtigen Legitimationsgrund für die Regelsetzung durch AGB sieht.
53
Bachmann, Private Ordnung (2006), S. 157.
§ 13. Geltungsvoraussetzungen Die Einbeziehungsvoraussetzungen der § 305 ff. BGB galten bereits im 19. und zu Beginn des 20 Jh. Man leitete sie aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre her. Erst als Folge der Krise der Rechtsgeschäftslehre kam es seit den 1930er Jahren zur Auflösung dieser Voraussetzungen, und mit den Geltungsvoraussetzungen des AGBG reagierte der Gesetzgeber gerade auf diese Fehlentwicklung. Dieser rechtshistorische Befund wirft die Frage auf, ob es heute wieder möglich ist, die gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären, ist doch die Krise der Rechtsgeschäftslehre überwunden.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive Bevor wir mit dieser Frage an das deutsche Recht herantreten, wollen wir die europäischen Vorgaben beleuchten und betrachten, wie im Vergleich das Einbeziehungsproblem gelöst wird. Sind außerhalb Deutschlands ähnliche Voraussetzungen normiert? Oder kommt man ohne gesetzliche Regelungen aus? Welches sind die Tendenzen der Rechtsentwicklung? Unberücksichtigt bleiben dabei Normen, welche die Einbeziehungsproblematik für Sonderfälle, etwa für bestimmte Vertragsarten, lösen.
A. Die Geltungsvoraussetzungen im Gemeinschaftsrecht Nach der Richtlinie 93/13/EWG gelten AGB, wenn und weil sich die Parteien auf ihre Einbeziehung geeinigt haben. Es entspricht ihr daher allein, von einer Abrede als allgemeine Geltungsvoraussetzung auszugehen. Im übrigen stellt sie keine Einbeziehungsvoraussetzungen auf1. Freilich verlangt sie in Erwägungsgrund Nr. 20, daß »[d]er Verbraucher […] tatsächlich die Möglichkeit haben [muß], von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen«. Diese Kenntnisnahmemöglichkeit findet sich auch in Anhang 1(i). Dieser Richtlinienanhang enthält gemäß Art. 3 Abs. 3 »eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für mißbräuchlich erklärt werden können« 1
Statt aller Riesenhuber (2. Aufl. 2006), Rn. 618; ders. (2003), S. 433 ff.
350
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
und führt unter anderem Klauseln auf, »die darauf abzielen oder zur Folge haben, daß die Zustimmung des Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluß nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte«. Obwohl Anhang 1(i) nur die Inhaltskontrolle betrifft, verallgemeinert ein Teil der Literatur dessen Aussage2: »Über den unmittelbaren Anwendungsbereich des Klauseltatbestands hinaus ist der Vorschrift nach dem vorbezeichneten Zweck denknotwendig das Prinzip zu entnehmen, daß die Zustimmung zu einer Klausel nur dann wirksam erklärt werden kann, wenn der Verbraucher von ihr auch tatsächlich Kenntnis nehmen konnte. Insofern reicht die Bedeutung über die Funktion als Klauseltatbestand im Rahmen des Anhangs hinaus und geht in die allgemeine Rechtsgeschäftslehre hinein.«
Die übrige Literatur erwähnt kein solches Prinzip der Richtlinie, und auch die nationalen Gesetzgeber sahen insoweit keinen Umsetzungsbedarf3. Die deutsche Literatur verweist darauf, daß § 305c Abs. 1 BGB, wonach Bestimmungen in AGB, »die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht«, nicht Vertragsbestandteil werden, Ausprägung des Transparenzgebots ist, das seinerseits in Art. 5 S. 1 der Richtlinie Anerkennung findet4. Sie erweckt so den Eindruck, als wäre diese Einbeziehungsgrenze auch Bestandteil von Art. 5 S. 15. Würde Art. 5 S. 1 die in § 305c Abs. 1 BGB normierte Grenze der Einbeziehung verlangen, wäre sie in Deutschland fehlerhaft umgesetzt. Denn Art. 5 S. 1 gilt für alle schriftlich niedergelegten, nicht individuell ausgehandelten Klauseln in Verbraucherverträgen, wobei unbeachtlich ist, ob diese Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen oder nur für eine einmalige Verwendung bestimmt sind. § 305c Abs. 1 BGB gilt dagegen nur für AGB, und sein Anwendungsbereich ist auch nicht über § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB erweitert. Der deutsche Gesetzgeber schien also nicht davon auszugehen, daß Art. 5 S. 1 eine entsprechende Einbeziehungsgrenze vorschreibt. Und in der Tat verlangt Art. 5 S. 1 zwar, daß einem Verbraucher schriftlich unterbreitete Vertragsklauseln klar und verständlich sein müssen, doch im unmittelbaren Anschluß an S. 1 sieht die Richtlinie in S. 2 als Rechtsfolge eines Verstoßes nur eine Auslegung zugunsten des Verbrauchers vor. Darüber hinaus ist es den nationalen Gesetzgebern unbenommen, weitere Rechtsfolgen an den Verstoß gegen das Transparenzgebot des Art. 5 S. 1 zu knüpfen6. Sie müssen dies aber nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Zusammenschau von Art. 5 S. 1 und dem bereits 2 Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Anhang Rn. 76. Vgl. auch dens., (2003), S. 113; Heiderhoff (2. Aufl. 2007), S. 160 ff. 3 Siehe die unten unter B 2 und 3 (S. 353 ff.) dargestellten europäischen Rechte. 4 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 2; v. Westphalen, EWS 1993, 165. 5 So etwa Heinrichs, FS Trinkner (1995), S. 172 f.; Hart, Jura 2001, 653. 6 Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Art. 5 Rn. 22 ff.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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erwähnten Erwägungsgrund Nr. 20, der ebenfalls bestimmt, daß Verträge »in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein« müssen7.
B. Die Geltungsvoraussetzungen in den nationalen Rechten 1. Nationale Rechte mit gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen, die denen des deutschen Rechts entsprechen Da die Klauselrichtlinie keine Geltungsvoraussetzungen enthält, sind die Ansätze in den einzelnen Rechten sehr unterschiedlich. So gibt es Rechte mit gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen, die denen des deutschen Rechts entsprechen oder ähnlich sind: Die Geltungsvoraussetzungen des niederländischen Rechts finden sich in Art. 6:231 ff. BW. Daß eine Zustimmung des Vertragspartners Voraussetzung für eine wirksame Einbeziehung ist, ergibt sich aus der Definition des Vertragspartners in Art. 6:231 BW: Er muß die AGB anerkannt haben. Der Verwender muß dem Vertragspartner zudem die angemessene Möglichkeit gewähren, von den AGB Kenntnis zu nehmen. Die Nichtbeachtung dieser Voraussetzung macht die Klauseln nach Art. 6:233 BW anfechtbar. Wie der Verwender die Kenntnisnahmemöglichkeit gewähren muß, ist in Art. 6:234 BW geregelt. Liegt diese Möglichkeit vor, dann ist unbeachtlich, wenn der Vertragspartner von den AGB keine tatsächliche Kenntnis nimmt8. § 37 Abs. 1 S. 1 estnisches OR verlangt für eine Einbeziehung von AGB einen deutlichen Hinweis vor oder bei Vertragsschluß und eine Kenntnisnahmemöglichkeit. § 37 Abs. 1 S. 2 OR vereinfacht die Einbeziehung, wenn konkret vermutet werden kann, daß der Vertragspartner von der Existenz der AGB Kenntnis hatte, und er ihren Inhalt kennenlernen konnte. In § 37 Abs. 3 OR werden überraschende und unverständliche AGB von der Einbeziehung ausgeschlossen. § 38 OR normiert schließlich einen Vorrang von Individualabreden. Das litauische Recht verlangt in Art. 6185 Abs. 2 ZGB, daß dem Vertragspartner in angemessener Weise die Möglichkeit gewährt wird, sich mit den AGB bekannt zu machen. Art. 6185 Abs. 3 ZGB klärt darüber auf, wann diese Voraussetzung im Unternehmerverkehr erfüllt ist: (1) der Verwender übermittelt die AGB dem Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß in Schriftform; (2) er weist ihn vor Vertragsschluß auf die AGB ausdrücklich hin, und diese sind ihm zugänglich; (3) er bietet dem Vertragspartner an, ihm eine Kopie der AGB zu übersenden. Nach Art. 6186 ZGB sind überraschende Klauseln von der Einbeziehung ausgeschlossen, außer der Vertragspartner stimmt ihrer Geltung ausdrücklich zu. Individualabreden genießen nach Art. 6187 ZGB Vorrang. 7 8
So aber die Kommission, Bericht v. 27.04.2000, KOM (2000) 248 endg., S. 19. Vgl. hierzu auch Mincke (2002), Rn. 236; Hartkamp (2006), S. 158 f.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Besondere Geltungsvoraussetzungen kennt auch das portugiesische AGBG. Art. 4 AGBG stellt klar, daß AGB nur gelten, wenn sie durch Annahme des Vertragspartners in den Vertrag einbezogen worden sind, und nach Art. 5 AGBG kann von einer solchen Annahme nur ausgegangen werden, wenn die AGB dem Vertragspartner zu einem Zeitpunkt und derart mitgeteilt worden sind, daß dieser noch vor Vertragsschluß Kenntnis von ihrem Inhalt nehmen konnte. Individualabreden haben nach Art. 7 AGBG Vorrang. Diese Vorschriften zur Einbeziehung gelten auch im Unternehmerverkehr, und obwohl sie ausdrücklich den AGB-Begriff verwenden und dieser Begriff, so wie er in Art. 1 Abs. 1 AGBG definiert ist, dem des deutschen Rechts entspricht, findet das Gesetz nach Art. 1 Abs. 2 AGBG gleichermaßen auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen Anwendung. In Spanien sind die Einbeziehungsvoraussetzungen gleich doppelt geregelt: Zum einen enthält das AGBG Geltungsvoraussetzungen. Sachlich ist es nur auf AGB anwendbar und folglich gelten auch dessen Einbeziehungsvoraussetzungen nur für AGB. Der AGB-Begriff des Art. 1 Abs. 1 AGBG entspricht dabei demjenigen des deutschen Rechts9. In persönlicher Hinsicht verlangt das AGBG nur, daß der Verwender Unternehmer ist. Seine Einbeziehungsvoraussetzungen gelten damit auch im Unternehmerverkehr. Nur die Fälle, in denen ein Verbraucher als Verwender auftritt, sind vom Anwendungsbereich ausgenommen10. Art. 5 AGBG verlangt in Abs. 1 und 3 einen Hinweis, eine Kenntnisnahmemöglichkeit sowie ein Einverständnis11 und in Abs. 5 die Klauseltransparenz. Die Nichtbeachtung dieser Voraussetzungen verhindert freilich die Geltung der AGB nach Art. 7 AGBG nur eingeschränkt. Schließlich normiert Art. 6 Abs. 1 AGBG einen Vorrang von Individualabreden, wobei sich ein solcher Vorrang auch aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergeben soll12. Im Unterschied zum deutschen Recht kommt der Individualabrede kein Vorrang zu, wenn die AGB-Klausel für den Vertragspartner günstiger ist. Zum anderen kennt das spanische Recht besondere Geltungsvoraussetzungen für nicht individuell verhandelte Klauseln in Verbraucherverträgen, die sich in Art. 80 Abs. 1 KSchG finden und die für alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln gelten. Auch dieser Art. 80 Abs. 1 KSchG verlangt einen ausdrücklichen Hinweis, eine Kenntnisnahmemöglichkeit und eine Klauseltransparenz, wobei im Detail Unterschiede zu den Einbeziehungsvoraussetzungen des AGBG bestehen13.
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Hierzu Hettich (2007), S. 93 ff.; Kohtes (2004), S. 107 ff.; Piske (2002), S. 56 ff. Albiez Dohrmann, FS Westermann (2008), S. 31 ff.; Adomeit/Olmedo (3. Aufl. 2007), S. 124; Hettich (2007), S. 71 ff.; Kohtes (2004), S. 103 f.; Piske (2002), S. 75 f. 11 Vgl. Trillmich (2009), S. 216 ff.; Hettich (2007), S. 117 ff.; Kohtes (2004), S. 119 ff.; Piske (2002), S. 100 ff. 12 Hierzu Kohtes (2004), S. 129 f.; Fischer (2000), S. 121; Fischer, RIW 1998, 691. 13 Vgl. zum ganzen ausführlich Trillmich (2009), S. 223 ff. 10
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
353
Vergleicht man die gesetzliche Normierung der Einbeziehungsvoraussetzungen in den Niederlanden, in Spanien, Portugal, Estland und Litauen mit der Rechtslage in Deutschland, so fallen zunächst die Gemeinsamkeiten auf: Alle Rechte verlangen für eine wirksame Einbeziehung einen Hinweis auf die AGB, eine Kenntnisnahmemöglichkeit und eine Einigung. Zwar erwähnen nur das deutsche, spanische, portugiesische und estnische Recht ausdrücklich, daß der Verwender den Vertragspartner auf seine AGB hinweisen muß. Doch ergibt sich diese Voraussetzung im niederländischen und litauischen Recht aus der Kenntnisnahmemöglichkeit: Diese wird gewährt, wenn der Verwender seine AGB übergibt oder wenn er auf sie hinweist und zugleich angibt, wo sie eingesehen werden können. Unterschiede bestehen beim Anwendungsbereich dieser Voraussetzungen. In Deutschland sind sie sachlich auf AGB beschränkt. In persönlicher Hinsicht finden sie keine Anwendung auf AGB, die gegenüber Unternehmern verwendet werden. In den Niederlanden sind sie ebenfalls auf die Einbeziehung von AGB beschränkt, doch ist ihr persönlicher Anwendungsbereich nach Art. 6:235 BW weiter. Die Voraussetzungen des spanischen AGBG gelten sachlich nur für AGB, persönlich aber auch im Unternehmerverkehr. Sie sind nur dann nicht anwendbar, wenn ein Verbraucher Verwender ist. Die Voraussetzungen des spanischen KSchG gelten in sachlicher Hinsicht dagegen für alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln, aber in persönlicher Hinsicht nicht im Unternehmerverkehr. In Portugal wiederum finden die Voraussetzungen des AGBG auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen Anwendung und sind darüber hinaus auch im Unternehmerverkehr anwendbar. Das estnische und litauische Recht beschränken die Voraussetzungen wiederum sachlich auf AGB, kennen aber keine Beschränkungen im persönlichen Anwendungsbereich dieser Voraussetzungen. All diese Beobachtungen sind für die Fragestellung, mit der wir hier an die fremden Rechte treten, indes unergiebig und brauchen daher auch nicht vertieft oder um weitere Beispiele ergänzt zu werden. Die zu beantwortende Frage lautet ja, inwieweit sich die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB auch aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herleiten lassen. Der Befund, daß auch andere Rechte solche besonderen Geltungsvoraussetzungen kennen, ist für diese Fragestellung ohne Wert. Vielmehr müßte untersucht werden, ob sich nicht auch in diesen Rechten diese Voraussetzungen aus den allgemeinen Regeln herleiten ließen. Ein solches Unterfangen würde indes den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 2. Nationale Rechte ohne gesetzlich normierte Geltungsvoraussetzungen Ertragreicher ist es daher Rechte zu untersuchen, die auf eine gesetzliche Fixierung der Geltungsvoraussetzungen verzichten. Hierzu zählen etwa das
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
französische, englische, schottische und österreichische Recht sowie, soweit ersichtlich, das tschechische14, slowakische15, dänische16, schwedische17, finnische18 und lettische Recht19. Trotz des Fehlens gesetzlicher Geltungsvoraussetzungen stellt sich die Einbeziehungsproblematik in diesen Rechten nicht anders dar als in den Rechten, die solche gesetzlichen Voraussetzungen kennen20. Dies soll am Beispiel des englischen, schottischen, französischen und österreichischen Rechts näher dargetan werden. a) Die Geltungsvoraussetzungen in England und Schottland Das englische und schottische Recht kennen keine gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen, sondern es gelten die ebenfalls nicht kodifizierten, allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts. Danach entfalten AGB ihre Wirkung, wenn sich die Parteien auf ihre Einbeziehung geeinigt haben21. Sind AGB in einer unterschriebenen Vertragsurkunde enthalten, so steht ihre Geltung in der Regel außer Zweifel22. Unbeachtlich ist dabei, wenn der Vertragspartner die AGB nicht gelesen hat oder sie sehr klein gedruckt sind23. Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob eine Einbeziehung ausgeschlossen ist, wenn der Verwender davon ausgehen mußte, daß der Vertragspartner die Klauseln nicht zur Kenntnis genommen hat24. Möchte der Verwender AGB zum Vertragsinhalt machen, ohne sie in eine zu unterschreibende Urkunde vollumfänglich aufzunehmen, und hat der Vertragspartner diese AGB nicht wirklich zur Kenntnis genommen, so verlangen das englische und schottische Recht übereinstimmend, daß der Verwender an14
Vgl. das BGB in der Übersetzung von Giese/Giese (2008). Gearbeitet wurde mit dem BGB in der Übersetzung von Giese (2007). 16 Vgl. Wegener (2004), S. 142 f. 17 Ring/Olsen-Ring (1999), Rn 246 f. 18 Keto-Girgin (2004), S. 96. 19 Vgl. das ZGB und KSchG in Übersetzung abrufbar unter http://www.ttc.lv (zuletzt besucht am 30.09.2009). 20 So auch die Einschätzung von Ranieri (3. Aufl. 2009), S. 350 f. 21 Für England: Lawson (9. Aufl. 2008), § 1.01; McMeel (2007), §§ 15.03 f.; McKendrick (7. Aufl. 2007), §§ 2.4, 3.6, 9.1 ff.; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 136 ff.; Parsons (1893), S. 109; Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 284; Chitty (2. Aufl. 1834), S. 387; Jeremy (1816), S. 39; Kühnel (1967), S. 46 ff.; Schmitz (1977), S. 16. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), §§ 701 ff.; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), §§ 3.20 ff.; Thomson (2006), § 5-09; MacMillan/ Lambie (3. Aufl. 1997), S. 98; Gloag (2. Aufl. 1929), S. 30 ff.; Bell I (5. Aufl. 1826), S. 473; Bankton (1751) I,380,4. 22 Für England statt aller Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), §§ 12-002, 12-008. Für Schottland statt aller MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22. 23 McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.3; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-004; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-002; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416; L’Etrange v. Graucob Ltd [1934] 2 KB 394. 24 Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 403; McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.3. Gegen eine Einbeziehung: Tilden Rent-a-Car Co v. Clendenning [1978] 83 DLR (3d) 400. 15
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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gemessene Schritte unternommen haben muß, sie dem Vertragspartner zur Kenntnis zu bringen. Diese einheitlich formulierte Einbeziehungsvoraussetzung verlangt zweierlei: Zum einen muß der Verwender den Vertragspartner auf die AGB hinweisen25. Unproblematisch ist dabei der Fall, daß die Vertragsurkunde einen solchen Hinweis enthält26. Ansonsten muß der Hinweis vor oder spätestens bei Vertragsschluß erfolgen. In dem englischen Fall Olley v. Marlborough Court Ltd scheiterte die Einbeziehung daher27: Ein Hotelier hatte einen Haftungsausschluß nur im zu beziehenden Zimmer ausgehängt, nicht aber an der Rezeption, wo der Vertrag geschlossen worden war. Bei einem Hinweis nach Vertragsschluß muß der Vertragspartner der Einbeziehung aber ausdrücklich zustimmen, und daran fehlte es. Nur ausnahmsweise, etwa bei längeren Geschäftsbeziehungen, kann ein stillschweigendes Einverständnis des Vertragspartners bei einem Hinweis nach Vertragsschluß, so auf Rechnungen, angenommen werden. Zudem muß der Hinweis in geeigneter Weise erfolgen: Ein Hinweis auf Geschäftspapier oder in Katalogen kann genügen28. Unter Umständen ist freilich noch ein besonderer Hinweis auf in einem Katalog erscheinende AGB nötig29. Vereinzelt wurde in England die Meinung vertreten, eine bloße Veröffentlichung in einer Zeitung könne als Hinweis auf AGB genü-
25 Für England: McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.4; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), §§ 7-005 ff.; Whincup (5. Aufl. 2006), § 7.5; Jeremy (1816), S. 39. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-02; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22; Gloag/Henderson (12. Aufl. 2007), § 5.25; Thomson (2006), § 5-09; Smith (1962), S. 769; Bell (10. Aufl. 1899), § 155. 26 Stewart, Brown, & Co v. Grime (1897) 24 R 414. 27 Olley v. Marlborough Court Ltd [1949] 1 KB 532. Vgl. außerdem für England: ChenWishart (2. Aufl. 2008), S. 404; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-010; Cheshire/Fifoot/Furmston (15. Aufl. 2007), S. 205; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 139; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-010; Pollock (6. Aufl. 1894), S. 47; Palmer v. Grand Junction Railway Co (1839) 4 M&W 749; Burnett v. Westminster Bank Ltd [1966] 1 QB 742; Hardwick Game Farm v. Suffolk Agricultural Poultry Producers Association [1969] 2 AC 31; Thornton v. Shoe Lane Parking Ltd [1971] 2 QB 163. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-07; MacQueen/ Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22; Gloag/Henderson (12. Aufl. 2007), § 5.26; MacMillan/ Lambie (3. Aufl. 1997), S. 101; SME/Davidson XV (1996), § 704; Buchanan & Co v. Macdonald (1895) 23 R 264; Lawes Chemical Co Ltd v. Ross-shire Farmers Ltd (1938) 54 ShCtRep 187; McCafferty v. Western SMT Co Ltd 1962 SLT (ShCt) 39; M’Cutcheon v. MacBrayne Ltd 1964 SC (HL) 28; Continental Tyre & Rubber Co Ltd v. Trunk Trailer Co Ltd 1987 SLT 58. 28 Für England: Olley v. Marlborough Court Ltd [1949] 1 KB 532. Für Schottland: Macdonald & Fraser v. Henderson (1882) 10 R 95; Lightbody’s Trustee v. Hutchinson (1886) 14 R 4; Smith & Son v. Waite, Nash, & Co (1888) 15 R 533; M’Connel & Reid v. Smith 1911 SC 635; Oakbank Oil Co Ltd v. Love & Stewart Ltd 1917 SC 611; Barry & Co v. Doyle 1998 SLT 1238; McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-18; Walker (3. Aufl. 1995), § 21.12 f. Etwas anders in Australien: The Mikhail Lermontow [1990] 1 Lloyd’s Rep 579. 29 Für England: Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-017; Harling v. Eddy [1951] 2 KB 739; White v. Blackmore [1972] 2 QB 651; The Eagle [1977] 2 Lloyd’s Rep 70. Für Schottland Walker (3. Aufl. 1995), § 21.8.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
gen30; durchzusetzen vermochte sich diese Meinung nicht31. Ein Aushang am Ort des Vertragsschluß muß auch nach englischem und schottischem Recht so deutlich sein, daß der Vertragspartner ihn nicht übersehen kann32. Genügt ein Aushang diesen Anforderungen nicht, muß der Verwender besonders auf ihn hinweisen33. Ein deutlicher Aushang am Ort des Vertragsschlusses kann seine Wirkung verfehlen, wenn der Verwender neben dem Aushang seine AGB dem Vertragspartner noch auf Handzetteln übergibt und dieser davon ausgehen durfte, daß die Handzettel die AGB vollständig wiedergeben; dann braucht der Vertragspartner nämlich nicht mehr auf den Aushang Acht zu geben; Klauseln, die im Aushang, aber nicht auf dem Handzettel erscheinen, gelten daher nicht34. Auch ist ein deutlicher Aushang im Geschäftslokal nicht ausreichend, wenn der Vertrag an einem anderen Ort zustande kommt, ohne daß der Vertragspartner die AGB auf andere Weise kennengelernt hat35. Zudem muß sich ein Hinweis auf bestimmte bzw. bestimmbare AGB beziehen36. Problematisch ist dabei der Fall, daß eine Bezugnahmeklausel auf AGB hinweist, die für eine andere Vertragsart ausgearbeitet worden sind: Die AGB sollen nur insoweit gelten, als sie für den konkreten Vertrag passen37. Weiter muß der Hin30 So Lord Ellenborough in Clark v. Gray (1802) 4 Esp. 177; Clayton v. Hunt (1811) 3 Camp 27; Leeson v. Holt (1816) 1 Stark 186; Munn v. Baker (1817) 2 Stark 255 (der Vertragspartner müsse die Zeitung regelmäßig lesen, damit eine Kenntnis vermutet werden könne). Siehe auch Lord Abinger in Walker v. Jackson (1842) 10 M&W und vgl. die Darstellung bei Story (1832), § 558. 31 Für England: Chitty (2. Aufl. 1834), S. 387; Rowley v. Horne (1825) 3 Bing 2. Für Schottland: Caven v. Scottish and Universal Newspapers Ltd 1976 SLT (ShCt) 92. 32 Für England: Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-017; Anson/Beale (27. Aufl. 1998), S. 164; Jeremy (1816), S. 42; Izett v. Mountain (1803) 4 East 371; Butler v. Heane (1810) 2 Camp 415; Down v. Fromont (1814) 4 Camp 38; Gouger v. Jolly (1816) Holt 317; Mayhew v. Eames (1825) 3 B&C 601; Olley v. Marlborough Court Ltd [1949] 1 KB 532; Harling v. Eddy [1951] 2 KB 739; Smith v. Taylor [1966] 2 Lloyd’s Rep 231; Mendelssohn v. Normand [1970] 1 QB 177; White v. Blackmore [1972] 2 QB 651; Birch v. Thomas [1972] 1 WLR 294. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-16 ff.; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22; Walker (3. Aufl. 1995), § 21.7; Bankton (1751) I,380,4; Birnie v. Holyroodhouse (1680) Mor 10079; Maxwell v. Todrige (1684) Mor 10079; Highland Railway Co v. Menzies (1878) 5 R 887; Macdonald & Fraser v. Henderson (1882) 10 R 95; White & Co Ltd v. Dougherty (1891) 18 R 972; Wright v. Howard, Baker, & Co (1893) 21 R 25. Kritisch gegenüber der Möglichkeit, AGB durch Aushang zum Vertragsinhalt zu machen, für das schottische Recht noch Bell I (5. Aufl. 1826), S. 474 und zuletzt Caven v. Scottish and Universal Newspapers Ltd 1976 SLT (ShCt) 92. Für das englische Recht sprachen sich Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 285 f., Best CJ in Brooke v. Pickwick (1827) 4 Bing 219 und Lord Ellenborough in Kerr v. Willan (1817) 2 Stark 53 dafür aus, daß der Vertragspartner den Aushang wirklich gesehen haben mußte. Ähnlich Clay v. Will (1789) 1 HBl 298 und für Schottland Whitehead v. Straiton (1667) Mor 10074; Chatto & Co v. Pyper (1827) 4 Mur 351. Vgl. schließlich Story (1832), § 558. 33 Birch v. Thomas [1972] 1 WLR 294. 34 Cobden v. Bolton (1809) 2 Camp 108. 35 Clayton v. Hunt (1811) 3 Camp 27. 36 Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-09. 37 Für England: Brandeis Brokers Ltd v. Black [2001] 2 Lloyd’s Rep 359. Für Schottland: Comorex Ltd v. Costelloe Tunnelling (London) Ltd 1995 SLT 1217.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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weis dort erscheinen, wo der Vertragspartner mit einem solchen Hinweis rechnen muß38. Daher scheiterte die Einbeziehung in dem englischen Fall Chapelton v. Barry Urban District Council39: Die Haftungsausschlußklauseln waren auf einem Empfangsschein abgedruckt, auf dem der Vertragspartner nicht mit Willenserklärungen des Verwenders zu rechnen brauchte. Ein Abdruck auf einer Fahrkarte reicht aus, auf ihrer Rückseite indes dann nicht, wenn ein Hinweis auf der Vorderseite fehlt oder unleserlich ist40. Weiterhin verlangte die Rechtsprechung in dem englischen Fall Spurling Ltd v. Bradshaw, daß der Hinweis umso deutlicher erfolgen muß, je unüblicher oder schwerwiegender die einzubeziehende Klausel ist41. Die moderne Literatur42 erweckt zumeist den Eindruck, diese sogenannte red hand rule gehe auf Denning LJ zurück43. Doch bereits zuvor ging man davon aus, daß die stillschweigende Zustimmung des Vertragspartners nur angemessene Klauseln umfasse44. Zudem steht ein Teil der modernen Lehre dieser red hand rule kritisch gegenüber45: Es handele sich um eine verdeckte Inhaltskontrolle, weil zum Zeitpunkt ihrer Schaffung die Grundlagen einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle noch nicht gelegt gewesen seien. Nunmehr fehle ihr die Berechtigung. Freilich halten die 38 Für England: Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), §§ 7-004 ff.; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 140; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-009; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416; Watkins v. Rymill (1883) 10 QBD 178; Richardson, Spence & Co v. Rowntree [1894] AC 217; Burnett v. Westminster Bank Ltd [1966] 1 QB 742. Für Schottland: MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22; McBryde (3. Aufl. 2007), §§ 7-03 ff.; MacMillan/Lambie (3. Aufl. 1997), S. 100; SME/Davidson XV (1996), § 703; Walker (3. Aufl. 1995), § 21.2; Smith (1962), S. 169 f.; Gloag (2. Aufl. 1929), S. 31; Hood v. Anchor Line 1918 SC (HL) 143; Taylor v. Glasgow Corporation 1952 SC 440; Continental Tyre & Rubber Co Ltd v. Trunk Trailer Co Ltd 1987 SLT 58. 39 Chapelton v. Barry Urban District Council [1940] 1 KB 532. 40 Für England: Anson (2. Aufl. 1882), S. 20 f.; Stewart v. London and North Western Railway Co (1864) 3 H&C 135; Harris v. Great Western Railway Co (1876) 1 QBD 515; Burke v. South Eastern Railway Co (1879) 5 CPD 1; Sugar v. London, Midland & Scottish Railway Co [1941] 1 AllER 172; Mendelssohn v. Normand [1970] 1 QB 177. Für Schottland: Gloag/Henderson (12. Aufl. 2007), § 5.27; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.22; MacMillan/Lambie (3. Aufl. 1997), S. 101; Gloag (2. Aufl. 1929), S. 31; Henderson v. Stevenson (1875) 2 R (HL) 71; Lyons & Co v. Caledonian Railway Co 1909 SC 1185; Williamson v. North of Scotland and Orkney and Shetland Steam Navigation Co 1916 SC 554; Hood v. Anchor Line 1918 SC (HL) 143; Gray v. London and North Eastern Railway Co 1930 SC 989; Coyle v. London, Midland, and Scottish Railway Co 1930 SLT 349; McCafferty v. Western SMT Co Ltd 1962 SLT (ShCt) 39. 41 Spurling Ltd v. Bradshaw [1956] 1 WLR 461. Siehe außerdem: Thornton v. Shoe Lane Parking Ltd [1971] 2 QB 163; The Eagle [1977] 2 Lloyd’s Rep 70. 42 Statt aller Bradgate (1999), S. 26. 43 Spurling Ltd v. Bradshaw [1956] 1 WLR 461, 466 per Denning LJ: »Some clauses which I have seen would need to be printed in red ink on the face of the document with a red hand pointing to it before the notice could be held to be sufficient.« 44 Für England: Pollock (6. Aufl. 1894), S. 47; Parsons (1893), S. 110; Van Toll v. South Eastern Railway Co (1862) 12 CB (NS) 75; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416. Für Schottland: M’Connel & Reid v. Smith 1911 SC 635. 45 Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 407 f.; McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.4.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Rechtsprechung und die vorherrschende Literaturmeinung weiter an ihr fest46. Strittig ist nur, ob diese Regel auch auf solche Fälle erstreckt werden sollte, in denen der Vertragspartner seine Zustimmung zur Einbeziehung durch Unterschrift unter die die unübliche Klausel enthaltende Vertragsurkunde ausdrücklich erklärt hat47. Wurde in geeigneter Weise auf die AGB hingewiesen, so ist unerheblich, wenn der Vertragspartner den Hinweis übersieht48. Zum anderen muß der Verwender dem Vertragspartner in angemessener Weise die Möglichkeit geben, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen49. Es soll grundsätzlich genügen, wenn der Verwender die AGB bereithält, um sie auf Verlangen zuzusenden50, oder wenn der Verwender den Vertragspartner darauf hinweist, wo dieser die AGB einsehen kann51. Der Abdruck der AGB in einem umfangreichen Katalog, der käuflich erworben werden muß, reicht dagegen nicht aus, und zwar selbst dann nicht, wenn auf diesen Katalog hingewiesen wurde52. Die Einbeziehung ist zudem ausgeschlossen, wenn die AGB dort, wohin der Verwender verweist, nicht auffindbar sind, so wenn auf einem Fax auf umseitige AGB verwiesen wird, diese aber nicht mitübersandt werden53 oder wenn die Bedingungen zu klein gedruckt und unleserlich
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Für England: Lawson (9. Aufl. 2008), § 1.10; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-009; McMeel (2007), §§ 15.40 ff.; Whincup (5. Aufl. 2006), § 7.6; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 141; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-015; Interfoto Picture Library Ltd v. Stiletto Visual Programmes Ltd [1989] 1 QB 433; AEG (UK) Ltd v. Logic Resource Ltd [1995] EWCA Civ 19; O’Brien v. MGN Ltd [2001] EWCA Civ 1279. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-10; SME/Davidson XV (1996), § 706; Walker (3. Aufl. 1995), § 19.14; Comorex Ltd v. Costelloe Tunnelling (London) Ltd 1995 SLT 1217; Montgomery Litho Ltd v. Maxwell 2000 SC 56. 47 Vgl. einerseits Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 403; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-004; Goode (3. Aufl. 2004), S. 84; Ocean Chemical Transport Inc v. Exnor Craggs Ltd [2000] 1 Lloyd’s Rep 446; Montgomery Litho Ltd v. Maxwell 2000 SC 56. Andererseits Lawson (9. Aufl. 2008), § 1.11; McMeel (2007), § 15.56; Bankway Properties v. Dunsford [2001] EWCA Civ 528. 48 Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416; Burke v. South Eastern Railway Co (1879) 5 CPD 1; Penton v. Southern Railway [1931] 2 KB 103; Hood v. Anchor Line 1918 SC (HL) 143. Siehe auch schon Story (1832), § 558. 49 Für England: McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.4; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-09; M’Connel & Reid v. Smith 1911 SC 635. 50 Für England: Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-014; Circle Freight International Ltd v. Medeast Gulf Exports Ltd [1988] 2 Lloyd’s Rep 427. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-09; Huntley/Blackie/Cathcart (2. Aufl. 2003), S. 304. 51 Für England: Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-014; Le Blanche v. London and North Western Railway Co (1876) 1 CPD 286; Watkins v. Rymill (1883) 10 QBD 178; Thompson v. London, Midland and Scottish Railway Co [1930] 1 KB 41; Penton v. Southern Railway [1931] 2 KB 103. Für Schottland: Walker (3. Aufl. 1995), § 21.14; Morris v. Clan Line Steamers Ltd 1925 SLT 321. 52 Zu den Einzelheiten McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.4; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7008; McCafferty v. Western SMT Co Ltd 1962 SLT (ShCt) 39. Anders noch Thompson v. London, Midland and Scottish Railway Co [1930] 1 KB 41. 53 Poseidon Freight Forwarding v. Davies Turner [1996] 2 Lloyd’s Rep 388.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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sind54. Schließlich muß der Verwender eine erkennbare Behinderung, einen ihm bekannten Analphabetismus und ihm bekannte fehlende Sprachkenntnisse des Vertragspartners, die dessen Kenntnisnahmemöglichkeit beeinträchtigen, berücksichtigen55. Im übrigen gehen solche Hindernisse der Kenntnisnahme zulasten des Vertragspartners56. Ob der Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme wahrnimmt, ist unbeachtlich57. Liegen beide Einbeziehungsvoraussetzungen vor, dann wird vermutet, daß sich der Vertragspartner bei Vertragsschluß konkludent mit der Einbeziehung der AGB einverstanden erklärt58, außer freilich er widerspricht ihr59. Liegen sie nicht vor, kann von einem konkludenten Einverständnis nur ausgegangen werden, wenn der Vertragspartner positiv wußte, daß der Verwender unter Einbeziehung von ihm bekannten AGB kontrahieren wollte, etwa weil er einen versteckten Aushang oder eine Veröffentlichung der AGB in einer Zeitung vor Vertragsschluß gelesen hatte60. Ansonsten können AGB nur ausnahmsweise aufgrund eines Handelsbrauchs oder eines Geschäftsgebrauchs zwischen zwei Parteien Vertragsbestandteil werden61. In einem solchen Fall 54 Für England: Van Toll v. South Eastern Railway Co (1862) 12 CB (NS) 75; Richardson, Spence & Co v. Rowntree [1894] AC 217. Für Schottland: Williamson v. North of Scotland and Orkney and Shetland Steam Navigation Co 1916 SC 554. 55 Lawson (9. Aufl. 2008), § 1.07; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-008; Whincup (5. Aufl. 2006), § 7.5; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 12-016; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416; Richardson, Spence & Co v. Rowntree [1894] AC 217; Thompson v. London, Midland and Scottish Railway Co [1930] 1 KB 41; Geier v. Kujawa, Weston & Warne Bros (Transport) Ltd [1970] 1 Lloyd’s Rep 364. 56 Anders wohl noch Davis v. Willan (1817) 2 Stark 279. 57 Für England: Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416; Watkins v. Rymill (1883) 10 QBD 178; Thompson v. London, Midland and Scottish Railway Co [1930] 1 KB 41; Penton v. Southern Railway [1931] 2 KB 103. Für Schottland: Macdonald & Fraser v. Henderson (1882) 10 R 95; White & Co Ltd v. Dougherty (1891) 18 R 972; Hood v. Anchor Line 1918 SC (HL) 143; Gray v. London and North Eastern Railway Co 1930 SC 989; McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-15; Gloag (2. Aufl. 1929), S. 32. 58 Für England: Whincup (5. Aufl. 2006), § 7.6; Pollock (6. Aufl. 1894), S. 47; Anson (2. Aufl. 1882), S. 21; Chitty/Russel (11. Aufl. 1881), S. 453; Clark v. Gray (1802) 4 Esp 177; Walker v. Jackson (1842) 10 M&W; Van Toll v. South Eastern Railway Co (1862) 12 CB (NS) 75. Für Schottland: Bell (10. Aufl. 1899), § 244; Bankton (1751) I,380,4; Stair (2. Aufl. 1693) I,13,3; Wright v. Howard, Baker, & Co (1893) 21 R 25. Kritisch Bell I (5. Aufl. 1826), S. 474 f. (der bei Aushängen ein ausdrückliches Einverständnis verlangte); Chitty (2. Aufl. 1834), S. 388. 59 Walker v. York and North Midland Railway Co (1853) 2 El&Bl 750; Parker v. South Eastern Railway Co (1877) 2 CPD 416. 60 Für England: Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 284. Für Schottland: Gloag (2. Aufl. 1929), S. 30; Henderson v. Stevenson (1875) 2 R (HL) 71. 61 Zu den Einzelheiten für England: McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.5; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), §§ 6-005, 7-011 ff.; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), §§ 12-011 f.; Spurling Ltd v. Bradshaw [1956] 1 WLR 461; Hardwick Game Farm v. Suffolk Agricultural Poultry Producers Association [1969] 2 AC 31; Hollier v. Rambler Motors (AMC) Ltd [1972] 2 QB 71; British Crane Hire Corporation Ltd v. Ipswich Plant Hire Ltd [1975] 1 QB 303; The Raphael [1982] 2 Lloyd’s Rep 42; Scheps v. Fine Art Logistic Ltd [2007] EWCH 541 (QB). Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-21 ff.; Walker (3. Aufl. 1995), § 21.8; SME/Davidson XV (1996),
360
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
wird vermutet, daß der Vertragspartner die AGB kannte und wußte, daß der Verwender unter ihrer Einbeziehung kontrahieren wollte62, und auf dieser Grundlage wird sodann angenommen, daß sich der Vertragspartner bei Vertragsschluß stillschweigend mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt63. Nicht ausreichend ist hingegen, wenn der Vertragspartner nur wußte oder wissen mußte, daß der Verwender in der Vergangenheit unter Einbeziehung von AGB kontrahiert hat64. Auch das bloße Wissen oder Wissenmüssen, daß bestimmte AGB üblich sind, genügt ohne einen Hinweis auf sie nicht65. Schließlich genießen auch nach englischem und schottischem Recht Individualvereinbarungen Vorrang vor AGB66. Und weist der Verwender auf zwei sich widersprechende Klauselkataloge hin, so gilt der für den Vertragspartner günstigere67. b) Die Geltungsvoraussetzungen in Frankreich Auch in Frankreich beurteilen sich die Einbeziehungsvoraussetzungen nach dem allgemeinen Vertragsrecht68. Der Vertragspartner muß mit der Geltung der AGB einverstanden sein. Dafür ist erforderlich, daß er ihre Existenz, ihre Bedeutung für den abzuschließenden Vertrag und ihren Inhalt kannte69. In einer unterschriebenen Vertragsurkunde enthaltene AGB sind danach in der Regel wirksam70. Unerheblich ist, ob der Vertragspartner die AGB oder ihren Inhalt wahrgenommen hat71. Die Einbeziehung ist nur ausgeschlossen, wenn 62 § 707; Rutherford & Son v. Miln & Co 1941 SC 125; M’Cutcheon v. MacBrayne Ltd 1964 SC (HL) 28; Grayston Plant Ltd v. Plean Precast Ltd 1976 SC 206; Continental Tyre & Rubber Co Ltd v. Trunk Trailer Co Ltd 1987 SLT 58; Teacher & Sons Ltd v. Bells Lines Ltd 1991 SLT 876. 62 Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-29. 63 Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-31. 64 Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-08. 65 Für England: Chitty (2. Aufl. 1834), S. 387; Scheps v. Fine Art Logistic Ltd [2007] EWCH 541 (QB). Anders für Schottland: Hain v. Laing (1853) 15 D 667. 66 Für England: Lewison (2007), § 7.04; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), §§ 12-070, 12-079; Goode (3. Aufl. 2004), S. 84; Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 343; Robertson v. French (1803) 4 East 130; Alsager v. St. Katherine’s Dock Co (1845) 14 M&W 794; Mendelssohn v. Normand [1970] 1 QB 177; BCT Software Solutions Ltd v. Arnold Laver & Co [2002] EWCA Civ 1033; Homburg Houtimport BV v. Agrosin Private Ltd [2004] 1 AC 715. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), § 7-09. 67 Munn v. Baker (1817) 2 Stark 255; Story (1832), § 558. 68 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Petit (2005), JCl Civ, Art. 1109 Rn. 37; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 35; Gardette (2005), S. 106; Sonnenberg/Autexier (3. Aufl. 2000), S. 124; Neumayer (1999), S. 265; Müller/Otto (1994), S. 135. 69 Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 35; Petit (2005), JCl Civ, Art. 1109 Rn. 37 ff.; Ferid/ Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 808; Schmidt/Niggemann, AWD 1974, 310. 70 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Petit (2005), JCl Civ, Art. 1109 Rn. 38; Mainguy (2002), JCl Com, Contrats, distribution, Fasc. 60 Rn. 14; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 39; Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 116 f.; Neumayer (1999), S. 265 f.; Brock (1998), S. 66 ff.; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 808. 71 Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 39; Sonnenberger, RIW 1990, 167.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
361
die AGB unleserlich oder unverständlich sind72. Der Geltung der AGB kann zudem entgegenstehen, wenn sie sich auf der Rückseite der unterschriebenen Vertragsurkunde befinden, ohne daß auf der Vorderseite auf sie hingewiesen wird73, oder wenn Kleingedrucktes der Unterschrift nachfolgt und daher nicht mehr davon ausgegangen werden kann, daß es von der Unterschrift gedeckt ist74. Freilich müssen die AGB nicht in der Vertragsurkunde selbst enthalten sein. Es genügt, wenn auf sie Bezug genommen wird75. Dann ist erforderlich, daß die Bezugnahmeklausel deutlich und leserlich ist76 und daß die AGB dem Vertragspartner vollständig überlassen werden oder daß sie ihm leicht zugänglich sind, so daß er ihren Inhalt vor Vertragsschluß noch zur Kenntnis nehmen kann77. Auch die Bezugnahme auf AGB im Rahmen der Vertragsanbahnung, etwa in Prospekten, kann genügen78. Ein Aushang der AGB führt nur ausnahmsweise zu ihrer Geltung, nämlich dann, wenn er üblich ist und so deutlich erfolgte, daß der Kunde ihn gar nicht übersehen konnte79. Besteht zwischen einem Prospekt und dem Vertragsschluß kein Zusammenhang und wird dieser auch nicht durch eine Bezugnahme auf die AGB im Prospekt hergestellt, so scheitert die Einbeziehung80. Eine Bezugnahme nach Vertragsschluß, etwa auf Rechnungen, reicht grundsätzlich nicht81. Etwas anderes kann bei
72 CassCom (23.10.1984), D 1985 IR 74; CassCiv (31.5.1983), GP 1984 Pan 59; CA Rouen (8.2.1974), D 1974 Somm 72; Bricks (1982), Rn. 266 ff.; Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 20; Nobis (2005), S. 490; Burckhardt (2000), S. 49; Neumayer (1999), S. 266; Brock (1998), S. 67 ff.; Sievers (1993), S. 46; Reinmüller (1969), S. 185. 73 CassCiv (3.5.1979), BullCiv I 1980 Nr. 128; CassCom (29.10.1964), GP 1965 I J 45; Terré/ Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Bénabent (10. Aufl. 2005), Rn. 67; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 39; Hübner/Constantinesco (4. Aufl. 2001), S. 170 Fn. 50; Brock (1998), S. 75; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 808. 74 TGI Paris (20.5.1968), GP 1968 II J 135; Bricks (1982), Rn. 267; Brock (1998), S. 73; Sievers (1993), S. 47. 75 Hierzu und zum folgenden Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 106 ff.; Burckhardt (2000), S. 50; Neumayer (1999), S. 266 ff.; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 809. 76 CA Lyon (4.6.1945), GP 1945 II J 75; Neumayer (1999), S. 267. 77 Rouen (17.2.1967), D 1967 Somm 94; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 122; Brock (1998), S. 89; Sievers (1993), S. 49; Sonnenberger, RIW 1990, 167. 78 Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 20, II 24; Brock (1998), S. 97 ff. 79 CA Bordeaux (20.1.1972), GP 1972 I J 426; CassCiv (3.6.1970), D 1971 J 373; Montpellier (9.11.1954), D 1955 Somm 35; Bricks (1982), Rn. 244 ff.; Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 98 ff.; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Brock (1998), S. 82 ff., 91; Neumayer (1999), S. 268; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 814; Pertschy (1992), S. 128 ff.; Barfuss, RIW 1975, 325 f.; Reinmüller (1969), S. 186 ff. 80 Müller/Otto (1994), S. 141. 81 CassCom (28.1.1975), BullCiv 1975 IV Nr. 22; CassCiv (5.12.1973), D 1974 Somm 22; CassCiv (28.4.1971), D 1972 Somm 4; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 122; Mainguy (2002), JCl Com, Contrats, distribution, Fasc. 60 Rn. 19 ff.; Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 111 ff.; Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 20, II 24; Brock (1998), S. 92 ff.; Sievers (1993), S. 51 ff.; Barfuss, RIW 1975, 321.
362
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
laufenden Geschäftsbeziehungen gelten82. Liegen diese Voraussetzungen vor, so wird unterstellt, daß der Vertragspartner der Einbeziehung zugestimmt hat83. Im übrigen wird ein stillschweigendes Einverständnis nur sehr zurückhaltend angenommen84, so etwa unter Unternehmen bei Vorliegen eines entsprechenden, den Parteien bekannten Handelsbrauchs85. Es reicht für eine Einbeziehung dagegen nicht aus, daß der Vertragspartner die AGB hätte kennen müssen86 oder daß die AGB branchenüblich sind87. Ein stillschweigendes Einverständnis wird zudem nicht angenommen, wenn es um die Einbeziehung außergewöhnlicher Klauseln geht88; zum Teil wird sogar verneint, daß eine außergewöhnliche Klausel von einem ausdrücklichen Einverständnis gedeckt wird89. Daß Handgeschriebenes Vorrang vor Gedrucktem hat und individuell vereinbarte Klauseln Vorrang vor Klauseln in AGB genießen, wird aus der allgemeinen Auslegungsregel des Art. 1156 CC hergeleitet, nach der bei der Auslegung der gemeinschaftliche Wille der Parteien zu erforschen ist. Denn in der Regel kann vermutet werden, daß die Parteien handschriftlich Ergänztem und individuell Vereinbartem den Vorzug geben wollten90. c) Die Geltungsvoraussetzungen in Österreich Mit Ausnahme des § 864a ABGB91 kennen weder das ABGB noch das KSchG besondere Vorschriften zur Einbeziehung. Doch gelten AGB auch nach österreichischem Recht nur dann, wenn sich die Parteien auf ihre Einbeziehung geeinigt haben92. Eine solche Einigung kann ausdrücklich erfolgen, etwa indem eine unterschriebene Urkunde die AGB vollumfänglich oder doch zumindest 82 Müller/Otto (1994), S. 140. Zu weiteren Ausnahmen Brock (1998), S. 95 f.; Barfuss, RIW 1975, 325; Schröder (1967), S. 54. 83 Barfuss, RIW 1975, 322. 84 Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 20. 85 Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 24. 86 Müller/Otto (1994), S. 136; Reinmüller (1969), S. 180 ff. 87 Mainguy (2002), JCl Com, Contrats, distribution, Fasc. 60 Rn. 35 ff.; Müller/Otto (1994), S. 138; Reinmüller (1969), S. 192 ff. 88 Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 20. 89 Ausführliche Analyse der Rechtsprechung bei Brock (1998), S. 76 ff. 90 CassCiv (9.2.1999), BullCiv 1999 I Nr. 44; CassCiv (17.6.1986), BullCiv 1986 I Nr. 166; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Petit (2005), JCl Civ, Art. 1109 Rn. 39; Mainguy (2002), JCl Com, Contrats, distribution, Fasc. 60 Rn. 25; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 147; Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 250 ff.; Brock (1998), S. 112; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 118, F 815. Vgl. auch Burckhardt (2000), S. 51. 91 Zu § 864a ABGB siehe unten den Text zu und nach Fn. 108. 92 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 2; Schwimann/Apathy/ Riedler (3. Aufl. 2006), § 864a Rn. 1; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 103; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 50; OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957; OGH (30.10.1996), JBl 1997, 387.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
363
eine Bezugnahme auf außerhalb der Urkunde stehende AGB enthält93. Dann steht die Geltung der AGB außer Zweifel. Strittig ist, ob eine Einbeziehung verneint werden kann, wenn der Vertragspartner ihr zwar dadurch ausdrücklich zustimmt, daß er eine die AGB in Bezug nehmende Urkunde unterzeichnet, ihm indes eine Möglichkeit zur Kenntnisnahme ihres Inhalts fehlt. Ein Teil der Literatur lehnt dies unter Hinweis darauf ab, daß dem österreichischen Recht eine mit § 305 Abs. 2 BGB vergleichbare Regel fehlt94. Fehlt eine ausdrückliche Einigung und hat insbesondere der Vertragspartner der Geltung der AGB nicht ausdrücklich zugestimmt, so muß der Verwender den Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß ausdrücklich und deutlich, etwa in Geschäftspapier oder durch einen Aushang, auf die AGB hinweisen95. Daß der Hinweis deutlich erfolgen muß, wird dabei zum Teil als Zugangsproblematik erkannt96. Zudem muß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit geben, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen97. Diese Voraussetzung wird nicht als Besonderheit des AGB-Rechts, sondern als allgemeine Regel des Privatrechts verstanden98. Ihre Erfüllung erfordert freilich nicht, daß die AGB ausgehändigt oder übergeben werden. Auch der tatsächlichen Kenntnisnahme des AGB-Inhalts bedarf es nicht, nur darf der Verwender die Kenntnisnahme nicht verhindern, etwa dadurch, daß er sie nicht auf Verlangen vorlegt. Liegen ein deutlicher Hinweis und die Kenntnisnahmemöglichkeit vor, dann wird davon ausgegangen, daß sich der Vertragspartner bei Vertragsschluß konkludent i.S.d. § 863 ABGB auch mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt99. Im übrigen werden an die Annahme einer konkludenten Zustimmung strenge Anforderungen gestellt100. Daher wird eine konkludente Zustimmung zur Einbeziehung der AGB grundsätzlich nicht unterstellt, wenn der Vertragspartner nur wußte oder wissen mußte, daß der Verwender üblicherweise unter Einbeziehung von AGB kontrahiert, ohne jedoch von diesem auf die
93
OGH (23.11.1994), RdW 1995, 259. Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2a. Anders F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 52; OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957; OGH (23.11.1994), RdW 1995, 259. 95 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 2; Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 132; Schwimann/Apathy/Riedler (3. Aufl. 2006), § 864a Rn. 2; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 103; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2a; Kiendl (1997), S. 106; OGH (20.1.1998), RdW 1998, 406; OGH (15.1.1997), RdW 1997, 391. 96 F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 52. 97 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 2; Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 132; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005), S. 103; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2a; Wurst (1997), S. 149 ff.; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 52; OGH (10.5.2006) ÖBA 2006, 930; OGH (27.3.2003), ecolex 2003, 670. 98 F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 52. 99 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 2; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 51. 100 OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957; OGH (13.9.2001), RdW 2002, 149. 94
364
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
AGB hingewiesen worden zu sein101. Auch die Einbeziehung kraft Handelsbrauchs und Verkehrssitte wird nur eingeschränkt angenommen102. Nach früherer Rechtsprechung war ein ausdrücklicher Hinweis lediglich im Versicherungs-, Transport- oder Bankwesen nicht erforderlich. Denn hier sei allgemein bekannt, daß AGB verwendet werden. Ein Vertragspartner müsse folglich damit rechnen, daß dem Vertrag AGB zugrunde gelegt werden. Er müsse sich nach ihnen erkundigen und ihrer Einbeziehung widersprechen. Die Parallelen zur deutschen Rechtsprechung vor Inkrafttreten des AGBG sind unübersehbar103. Doch hat sich der Oberste Gerichtshof für die AGB der Versicherungen von dieser Rechtsprechung nunmehr verabschiedet104, und die Literatur nimmt an, daß die alte Rechtsprechung auch im Bank- und Transportwesen keinen Bestand mehr hat105. Eine Bezugnahme auf AGB nach Vertragsschluß, etwa auf der Rechnung, führt nach österreichischem Recht nicht zu einer Einbeziehung, außer freilich der Vertragspartner erklärt sich mit der nachträglichen Einbeziehung der AGB ausdrücklich einverstanden. Eine konkludente Zustimmung kann indes regelmäßig nicht angenommen werden106. Etwas anderes kann in laufenden Geschäftsbeziehungen gelten107. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Geltung der AGB noch an dem 1979 geschaffenen § 864a ABGB scheitern108: »Bestimmungen ungewöhnlichen Inhaltes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern […] werden nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äuße-
101 P. Bydlinski, Grundzüge (7. Aufl. 2007), Rn. 436; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2 f.; Kiendl (1997), S. 105; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 53 ff. A.A. für den Handelsverkehr Schwimann/Apathy/Riedler (3. Aufl. 2006), § 864a Rn. 3. 102 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 4; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 103; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 3. Sehr weitgehend dagegen OGH (22.11.1988), RdW 1989, 126 mit abl. Anm. von Iro. 103 Siehe oben § 7 II C 4 (S. 245 f.), D (S. 247 f.) und E (S. 248 ff.). 104 OGH (19.3.2003), RdW 2003, 503; OGH (22.10.1999), RdW 2000, 142. 105 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 4; Schwimann/Apathy/ Riedler (3. Aufl. 2006), § 864a Rn. 2; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005), S. 103 f.; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 2a; Kiendl (1997), S. 105. Kritisch schon zuvor F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 53. Siehe auch OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957. 106 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 3; P. Bydlinski, Grundzüge (7. Aufl. 2007), Rn. 436; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 3; Kiendl (1997), S. 106; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 51; OGH (8.5.2003) ecolex 2003, 671; OGH (22.10.1999), RdW 2000, 142; OGH (11.2.1997), NZ 1998, 136; OGH (9.10.1984), JBl 1986, 248. 107 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 3; OGH (13.9.2001) RdW 2002, 149; OGH (22.10.1999), RdW 2000, 142. 108 Zu den Einzelheiten Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 9; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 4 f.; Zur Frage, ob § 864a ABGB anwendbar ist, wenn eine unterschriebene Urkunde eine ungewöhnliche Klausel enthält: Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 871 Rn. 6; OGH (16.4.2004), ÖBA 2004, 957.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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ren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen«.
Eine Definition der AGB enthält das ABGB nicht. Doch ist der AGB-Begriff identisch mit dem des deutschen Rechts109. Freilich meint die herrschende Lehre, daß § 864a ABGB analog angewendet werden müsse, wenn eine Klausel zwar nur einmalig verwendet werden soll, aber dennoch nicht individuell ausgehandelt worden ist110. Schließlich gehen auch nach österreichischem Recht Individualvereinbarungen AGB vor111, und das obwohl eine mit § 305b BGB vergleichbare Vorschrift im ABGB fehlt. d) Zusammenfassung Obwohl das englische, schottische, französische und österreichische Recht keine gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzung kennen, kommen sie unter Anwendung allgemeiner Vertragsrechtsgrundsätze zu Ergebnissen, die mit denen des deutschen Rechts vergleichbar sind. Die Parallelen zwischen der französischen und deutschen Rechtslage werden auch in der rechtsvergleichenden Literatur betont112, und zum Teil wird festgestellt, daß die Einbeziehungsvoraussetzungen des französischen Rechts trotz Fehlens ausdrücklicher Regelungen strenger sind als diejenigen des deutschen Rechts113. So entfalten Aushänge sehr viel eingeschränkter ihre Wirkung. Die Frage, ob sich die Geltungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB nach deutschem Recht aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ergeben, stellt sich damit nicht nur aus historischer, sondern auch aus vergleichender Perspektive. Freilich darf der vergleichende Befund nicht zu der Unterstellung verleiten, diese Frage müsse zwingend bejaht werden. Denn die vergleichende Literatur macht mit Blick auf die französische Regel, daß außergewöhnliche Klauseln von der Einbeziehung ausgeschlossen sind, eine verdeckte Inhaltskontrolle aus114. Und ein Teil der englischen Literatur behauptet dasselbe in Hinblick auf die red hand rule115. 3. Nationale Rechte mit gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen, die hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben Schließlich kennt Europa mit dem italienischen Recht und wohl auch dem polnischen Recht zumindest zwei Rechte, die zwar gesetzlich normierte Ein109 Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 130 f.; Schwimann/Apathy/Riedler (3. Aufl. 2006), § 864a Rn. 1; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 1. 110 Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 131; Gruber, FS Kramer (2004), S. 502; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 10. 111 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 2; Rummel (3. Aufl. 2000), § 864a Rn. 3; OGH (29.8.2007), ÖJZ 2008, 68. 112 Brock (1998), S. 65 ff.; Mühlhans (2005), S. 74; Gardette (2005), S. 106. 113 Brock (1998), S. 102. 114 Wittwer (2004), S. 180; Brock (1998), S. 81, 99; Barfuss, RIW 1975, 322. 115 Siehe oben die Nachweise in Fn. 45.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
beziehungsvoraussetzungen haben, aber hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben. Beispielhaft sei das italienische Recht dargestellt116: Der italienische Codice civile von 1942 führte in den Art. 1341 f. Einbeziehungsvoraussetzungen ein, die speziell für AGB gelten. Da die Klauselrichtlinie keine Regelungen zur Einbeziehung enthält, änderte der italienische Gesetzgeber bei Umsetzung der Richtlinie die Art. 1341 f. CC nicht. 1942 hatte sich ein Verbraucherschutzgedanke noch nicht herausgebildet. Daher sind die Art. 1341 f. CC nicht nur auf Verbraucherverträge anwendbar. Sie gelten allgemein117. Daß die Art. 1341 f. CC nicht als Verbraucherschutzvorschriften wahrgenommen werden, ist zudem daran erkennbar, daß sie anders als die Vorschriften zur Inhaltskontrolle nicht in den Codice del consumo von 2005 überführt wurden118. Art. 1341 CC ist auf von einem Vertragsteil vorformulierte allgemeine Vertragsbedingungen (condizioni generali di contratto predisposte da uno dei contraenti) anwendbar. Anders als das deutsche Recht erwähnt der Codice civile kein Tatbestandsmerkmal, wonach diese Bedingungen für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sein müßten. Doch verstehen Lehre und Rechtsprechung Art. 1341 CC in diesem Sinne, wenden diese Vorschrift daher nicht auf Vertragsbedingungen an, die nur für einen einzelnen Vertrag vorformuliert worden sind, und machen dieses Verständnis an dem im Gesetz verwendeten Begriff generali fest119. Wie sehen nun die Einbeziehungsvoraussetzungen aus? Art. 1341 Abs. 1 CC lautet120: »Le condizioni generali di contratto predisposte da uno dei contraenti sono efficaci nei confronti dell’ altro, se al momento della conclusione del contratto questi le ha conosciute o avrebbe dovuto conoscerle usando l’ordinaria diligenza.«
»Die von einem Vertragsteil vorformulierten allgemeinen Vertragsbedingungen sind dem anderen Teil gegenüber wirksam, wenn dieser sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses kannte oder bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt hätte kennen müssen.«
AGB werden Vertragsbestandteil, wenn der Vertragspartner sie kannte oder bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt kennen mußte. Die Kenntnis bezieht sich dabei nicht nur auf die Existenz der AGB, sondern auch auf ihren 116 Zum polnischen Recht siehe oben § 12 I (S. 342 f.) und Kempter (2007), S. 144 ff.; Heidenhain (2001), S. 230 ff.; Ebers (2008), S. 216; Liebscher/Zoll (2005), § 5 Rn. 42 ff. 117 Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 330; Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 487; Patti, JbItalR 18 (2005), 5; Grundmann/Zaccaria (2007), S. 205. 118 Zum CCons vgl. Omodei-Salè, ZEuP 15 (2007), 785 ff.; Gebauer, JbItalR 20 (2007), 3 ff.; Antoniolli, FS Hondius (2007), S. 213 ff.; Tescaro, GPR 2006, 158 ff. 119 Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 328; ders., JbItalR 18 (2005), 5; Cian/Trabucchi/ Zaccaria (7. Aufl. 2004) Art. 1341 § I.1; Triola (4. Aufl. 2004), Art. 1341 § 1; De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 115; Patti (1996), S. 1 ff.; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § I.1; Heeschen (2007), S. 7; Baier (2004), S. 90; Rausch (2004), S. 31. 120 Diese und die unten folgende Übersetzung stammen aus Patti (2007).
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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Inhalt121. Der Vertragspartner muß mithin die Möglichkeit haben, sich über den Inhalt der AGB in Kenntnis zusetzen. Freilich gehen Theorie und Praxis davon aus, daß AGB dem Vertragspartner nicht ausgehändigt oder übersandt werden müssen. Ein Hinweis auf sie genügt. Denn dann muß sich der Vertragspartner bei Anwendung der gewöhnlichen Sorgfalt selbst Kenntnis über ihren Inhalt verschaffen und sich nach ihnen erkundigen122. Voraussetzung ist nur, daß die Möglichkeit zur Kenntnisnahme für den Vertragspartner nicht mit allzu großen Schwierigkeiten verbunden ist123. Dazu gehört, daß die Klauseln lesbar sind124. Für die Frage, wann ein Wissenmüssen i.S.d. Art. 1341 Abs. 1 CC vorliegt, kommt es auf den Einzelfall an125. Als ausreichend wird etwa erachtet, wenn der Verwender seine AGB dem Vertragspartner auf Briefpapier oder Aushängen mitteilt126. Zum Teil wird ein Wissenmüssen bei überraschenden Klauseln verneint127. Dagegen ist es in Hinblick auf Art. 1341 Abs. 2 CC nicht möglich ein Wissenmüssen bei besonders unbilligen Klauseln abzulehnen128, und auch die Unklarheit einer Klausel schließt für sich genommen die Einbeziehung nicht aus129. Die Einbeziehungsvoraussetzung des Art. 1341 Abs. 1 CC muß bei Vertragsschluß vorliegen. Dafür genügt ein Hinweis vor Vertragsschluß. Denn Art. 1341 Abs. 1 CC enthält mit der Kenntnis anders als § 305 Abs. 2 BGB mit der Kenntnisnahmemöglichkeit keine objektive, sondern eine subjektive Einbeziehungsvoraussetzung. Regelmäßig hat der Vertragspartner aber bei Vertragsschluß noch die erforderliche Kenntnis, wenn er vor Vertragsschluß auf die AGB hingewiesen worden ist130. Ein Hinweis auf die AGB nach Vertragsschluß, etwa auf Rechnungen, reicht dagegen nicht aus131. Eine Einbeziehungsabrede als Geltungsvoraussetzung nennt Art. 1341 Abs. 1 CC nicht. Doch liegt die Vermutung nahe, daß der Gesetzgeber auch für AGB als Geltungsgrund eine Einigung der Parteien ansah und unterstellte, der Vertragspartner stimme bei einem Wissenmüssen der Einbezie121
De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 123; Rausch (2004), S. 37. Galgano (2007), S. 39; Grundmann/Zaccaria (2007), S. 206; Rausch (2004), S. 38. 123 Zatti/Colussi (9. Aufl. 2003), S. 404; Antoniolli/Veneziano/Monti (2005), S. 100. 124 Cesàro I (1989), S. 46. 125 Patti (1996), S. 88. 126 Vgl. Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 488; Zatti/Colussi (9. Aufl. 2003), S. 404; Coors (2001), S. 46 f.; Kindler (1993), § 15 Rn. 9. 127 Cian, JbItalR 10 (1997), 58. Vgl. Müller/Otto (1994), S. 171. 128 Siehe dazu sogleich den Text nach Fn. 136. 129 Cian/Trabucchi/Zaccaria (7. Aufl. 2004) Art. 1341 § III.3; Minervini, in: Roppo/ Gentili IV (2006), S. 501; De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 123. Zum Problem der Verständlichkeit Cian/Trabucchi/Zaccaria (7. Aufl. 2004), Art. 1341 § III.3. 130 Vgl. Cian/Trabucchi/Zaccaria (7. Aufl. 2004), Art. 1341 § III.8. 131 Cian/Trabucchi/Zaccaria (8. Aufl. 2007), Art. 1341 § III.1; Minervini, in: Roppo/ Gentili IV (2006), S. 488; Cesàro II (1993), S. 73; Kindler (1993), § 15 Rn. 20 Fn. 44. 122
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
hung stillschweigend zu132. Dafür spricht, daß sich Art. 1341 CC im Abschnitt über die Einigung der Parteien befindet133. Freilich fügt sich der Geltungsgrund, nämlich die fahrlässige Unkenntnis, nach italienischer Auffassung nur schwer in das Vertragsschlußkonzept des Codice civile ein. Es handele sich um einen Sondertatbestand, der von den allgemeinen Vorschriften abweiche134. Insgesamt entspricht die Einbeziehung nach dem 1942 geschaffenen Art. 1341 Abs. 1 CC der Rechtslage, die auch in Deutschland seit den 1930er Jahren bestand135. Auch hier beherrschte die Wissenmüssenformel Theorie und Praxis. Die Übereinstimmungen zwischen Art. 1341 CC und der Rechtslage in Deutschland zur Mitte des 20. Jh. setzen sich in einem weiteren Punkt fort: In Deutschland ging man davon aus, daß außerordentliche, unübliche, unangemessene oder unbillige Klauseln von einer konkludent erklärten Zustimmung des Vertragspartners nicht gedeckt seien136. Ganz ähnlich bestimmt Art. 1341 Abs. 2 CC, daß für eine Reihe von besonders belastenden Klauseln (clausole vessatorie) eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung des Vertragspartners notwendig ist: »In ogni caso non hanno effetto, se non sono specificamente approvate per iscritto, le condizioni che stabiliscono, a favore di colui che le ha predisposte, limitazioni di responsabilità, facoltà di recedere dal contratto o di sospendere l’esecuzione, ovvero sanciscono a carico dell’altro contraente decadenze, limitazioni alla facoltà di opporre eccezioni, restrizioni alla libertà contrattuale nei rapporti coi terzi, tacita proroga o rinnovazione del contratto, clausole compromissorie o deroghe alla competenza dell’autorità giudiziari.«
»In jedem Fall sind, außer bei ausdrücklicher schriftlicher Bestätigung, solche Bedingungen unwirksam, die zugunsten desjenigen, der sie vorformuliert hat, Haftungsbeschränkungen, die Befugnis zum Rücktritt vom Vertrag oder zur Aussetzung seiner Durchführung bestimmen oder aber zu Lasten der anderen Vertragspartei Verwirkungen, Beschränkungen der Befugnis zur Erhebung von Einwendungen, Einschränkungen der Vertragsfreiheit gegenüber Dritten, stillschweigende Verlängerung oder Erneuerung des Vertrags, Schiedsgerichtsklauseln oder Änderungen der Zuständigkeit der Gerichte vorsehen.«
So wie die frühere deutsche Einschränkung, daß unbillige AGB nicht von einer konkludenten Einwilligung gedeckt sind, gilt auch Art. 1341 Abs. 2 CC 132
Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 488 f.; Perlingieri/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 409. Kritisch Galgano (2007), S. 39 f.; Gazzoni (12. Aufl. 2006), S. 904. 133 Siehe hierzu schon oben § 12 I (S. 342). 134 Galgano (2007), S. 39; Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 335; Perlingieri/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 408 f.; Galgano (11. Aufl. 2001), S. 237; Gazzoni (12. Aufl. 2006), S. 903; Patti, JbItalR 10 (1997), 79; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § II.1. Anders wohl Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 488 f. 135 Siehe oben § 7 insbesondere II C 4 (S. 245 f.). Siehe auch Fausel (1966), S. 34. 136 Siehe oben § 7 II F (S. 254 f.).
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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im Verkehr zwischen Unternehmern137. Aber anders als nach früherem deutschen Recht reicht nach Art. 1341 Abs. 2 CC nicht bloß eine ausdrückliche Zustimmung. Sie muß gesondert und schriftlich erfolgen. Es handelt sich um eine Formvorschrift, die bei schriftlichen Verträgen eine zweite Unterschrift (doppia firma) verlangt138. Art. 1341 Abs. 2 CC ist auf die genannten Klauseln beschränkt. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf andere besonders belastende Klauseln wird abgelehnt, die Möglichkeit einer extensiven Auslegung dagegen bejaht139. In Art. 1342 Abs. 1 CC kennt das italienische Recht weiterhin eine auf Vordrucke und Formulare beschränkte Regel zum Vorrang individueller Vereinbarungen vor Klauselbestimmungen140. Sie wird als Auslegungsregel verstanden141. Art. 1340 CC bestimmt schließlich, daß übliche Klauseln gelten, außer die Parteien wollten ihre Einbeziehung gerade nicht142. Sein Verhältnis zu Art. 1341 Abs. 2 CC ist strittig. Nach herrschender Ansicht müssen unter Art. 1341 Abs. 2 CC fallende Klauseln schriftlich bestätigt werden, auch wenn sie üblich sind143. Art. 1341 Abs. 2 CC genießt mithin gegenüber Art. 1340 CC Vorrang. Für die Frage, mit der wir den Rechtsvergleich anstellen, ist nicht so sehr die Beobachtung von Interesse, daß es mit dem italienischen Recht ein Recht in Europa gibt, das gesetzlich normierte Einbeziehungsvoraussetzungen kennt, die hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben. Vielmehr ist von Bedeutung, daß die italienische Lehre glaubt, die Einbeziehungsvoraussetzungen des Art. 1341 Abs. 1 CC weichen zulasten des Vertragspartners von den allgemeinen Vertragsschlußregeln ab. Denn danach soll ein bloßes Wissenmüssen für eine Einbeziehung gerade nicht ausreichen. Doch diese Wissenmüssenformel beherrscht heute noch die deutsche Literatur außerhalb des durch § 310 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmten Anwendungsbereichs des § 305 Abs. 2 BGB144. Anders als die italienische geht die deutsche Lehre damit davon aus, daß die Wissenmüssenformel den Anforderungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre entspricht.
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Franceschelli, in: Bianca/Alpa (1996), S. 464. Zu den Einzelheiten Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 343 ff.; ders., JbItalR 18 (2005), 6 f. Vgl. auch Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 489 ff. 139 Cendon/Baldassari (2006), Art. 1341 § 1; Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 494; Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 351; ders., JbItalR 18 (2005), 6; Cesàro III (1997), S. 93; ders. (1996), S. 515; Grundmann/Zaccaria (2007), S. 206 Fn. 45. 140 Zu den Einzelheiten Patti, JbItalR 18 (2005), 7. 141 Cian, ZEuP 6 (1998), 588; Patti, JbItalR 10 (1997), 79; Fausel (1966), S. 61. 142 Art. 1340 CC betrifft usi negoziali: vgl. Antoniolli/Veneziano (2005), S. 40. 143 Cian/Trabucchi/Zaccaria (7. Aufl. 2004), Art. 1341 § VI.2; Kieninger, ZEuP 4 (1996), 474. 144 Siehe unten den Text zu Fn. 417. 138
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
C. Die Geltungsvoraussetzungen im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten 1. Die Geltungsvoraussetzungen im UN-Kaufrecht Das UN-Kaufrecht enthält keine besonderen Einbeziehungsregeln. Als Folge kommt aber nicht das kollisionsrechtlich berufene nationale Recht zur Anwendung. Vielmehr bestimmt sich die Frage nach der Einbeziehung von AGB nach den allgemeinen Vertragsschluß- und Auslegungsregeln der Konvention145. Auf ihrer Grundlage hat sich ein differenziertes Bild zu den einzelnen Einbeziehungserfordernissen entwickelt. Sind die AGB in einer von beiden Parteien unterzeichneten Vertragsurkunde vollumfänglich enthalten, so steht die Geltung der AGB in der Regel außer Zweifel. Ansonsten ist zum einen ein Hinweis auf sie erforderlich146. Der Hinweis muß vor oder bei Vertragsschluß erfolgen. Ein Hinweis auf einer Rechnung kommt grundsätzlich zu spät147. Der Hinweis muß zudem so deutlich erfolgen, daß der Vertragspartner über den Willen des Verwenders, unter Einbeziehung der AGB zu kontrahieren, nicht in Unkenntnis sein kann (Art. 8 Abs. 1 CISG). Nur dann darf der Verwender seinerseits die Erklärung des Vertragspartners vernünftigerweise so verstehen, daß dieser sich gleichzeitig mit der Einbeziehung einverstanden erklärt (Art. 8 Abs. 2 CISG). Diesem Erfordernis ist in der Regel genüge getan, wenn die AGB auf der Rückseite eines Vertrages abgedruckt sind, und auf der Vorderseite auf sie Bezug genommen wird, nicht aber, wenn ein solcher Hinweis fehlt148 oder auf die einem Angebot beigefügten AGB nicht im Angebot hingewiesen wird149. Sind AGB in einem Katalog enthalten, den der Vertragspartner in den Händen hält, so ist regelmäßig ein besonderer Hinweis auf die AGB in dem Katalog erforderlich150. Weiterhin 145
Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter (5. Aufl. 2008), Vor Art. 14–24 Rn. 4, Art. 14 Rn. 33; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari (5. Aufl. 2008), Art. 4 Rn. 20 f.; Schlechtriem/Schwenzer/ Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 52; Schmidt-Kessel, ZEuP 16 (2008), 608; Viscasillas (2008), S. 315; Lögering (2008), S. 35 f.; MK-BGB/Westermann (5. Aufl. 2008), Art. 4 Rn. 5; MK-BGB/Gruber (5. Aufl. 2008), Art. 14 Rn. 27; Huber/Mullis (2007), S. 30; Strmosljanin (2005), S. 7; DiMatteo/Dhooge/Greene/Maurer/Pagnattaro (2005), S. 64; Janssen, (2005) 10 ULR 901 ff.; ders., IHR 2005, 155 ff.; Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 40; Brunner (2004), Art. 4 Rn. 40; Stadler (2003), S. 55, 90; Luig (2003), S. 218; Wasmer (2003), S. 43; Piltz (3. Aufl. 2001), Rn. 150; Witz/Salger/Lorenz (2000), Vor Art. 14–24 Rn. 10; Hellner, in: Dubrovnik Lectures (1986), S. 339; Hoge Raad (28.1.2005), CISG-online 1002; BGH (31.10.2001), NJW 2002, 370; OGH (6.2.1996), CISG-online 224. Die Ansicht von Piltz, IHR 2004, 133 ff., die Einbeziehung bestimme sich nach Art. 14 ff. ohne Rückgriff auf Art. 8 CISG, ist abzulehnen. 146 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 54. 147 Piltz, NJW 2003, 2060; LG Neubrandenburg (3.8.2005), IHR 2006, 26. 148 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 54; MK-BGB/Gruber (5. Aufl. 2008), Art. 14 Rn. 33; Magnus, ZEuP 10 (2002), 532 f. 149 Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 41. 150 Strmosljanin (2005), S. 12; Schultheiß (2004), S. 15.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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muß auf bestimmte oder zumindest bestimmbare AGB Bezug genommen werden151. Zum anderen muß der Vertragspartner die Möglichkeit haben, sich über den Inhalt der AGB in Kenntnis zu setzen. Was notwendig ist, damit dieser Voraussetzung genügt wird, ist umstritten. Die herrschende Ansicht verlangt, daß in Bezug genommene AGB grundsätzlich übersandt oder übergeben werden152. Deshalb soll ein bloßer Aushang der AGB nicht genügen153. Ob die Einstellung der AGB im Internet ausreichen kann, ist unter den Anhängern dieser Ansicht streitig154. Die Hinterlegung der AGB bei einer Handelskammer wie etwa in den Niederlanden nach Art. 6:234(1)(b) BW tut es jedenfalls nicht155. Hat der Verwender die AGB per Fax übersandt und ist das vom Vertragspartner empfangene Exemplar schlecht lesbar, ist der Kenntnisverschaffungspflicht genügt: Der Vertragspartner muß ein neues Exemplar anfordern156. Etwas anderes kann freilich gelten, wenn bereits das vom Verwender versandte Exemplar kaum lesbar ist. Insgesamt stellt diese Ansicht strengere Anforderungen als etwa das deutsche Recht157. Umstritten ist, wie diese strengen Anforderungen dogmatisch begründet werden können: Während die einen auf den Grundsatz des guten Glaubens nach Art. 7 Abs. 1 CISG bzw. auf die aus Art. 7 Abs. 2 CISG abgeleitete Kooperations- und Informationspflicht verweisen158, glauben andere, das Übersendungserfordernis ergebe sich unmittelbar aus Art. 8 CISG. Im übrigen wird angeführt159, (a) daß im internationalen Handel Schwierigkeiten bestünden, sich Klauselwerke aus fremden Staaten zu besorgen. (b) Der Vertragspartner habe mitunter, anders als bei einheimischen AGB, keine oder falsche Vorstellungen über ihren Inhalt. (c) Es 151
Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 54. MK-BGB/Gruber (5. Aufl. 2008), Vor Art. 14 Rn. 6, Art. 14 Rn. 29 ff.; Viscasillas (2008), S. 316; Schwenzer/Mohs, IHR 2006, 241; Mittmann, IHR 2006, 103 ff.; Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 41; ders., in: Quo Vadis CISG (2005), S. 220; Janssen, in: Quo Vadis CISG (2005), S. 144 f.; ders., IHR 2004, 199; Sauthoff, IHR 2005, 22; Strmosljanin (2005), S. 10 ff.; Brunner (2004), Art. 4 Rn. 41; Schultheiß (2004), S. 14; Piltz, IHR 2004, 134; ders., NJW 2003, 2060; ders. (3. Aufl. 2001), Rn. 150; ders., NJW 1996, 2770; Ventsch/Kluth, IHR 2003, 62; Hennemann (2001), S. 72 ff.; Witz/Salger/Lorenz (2000), Vor Art. 14–24 Rn. 12; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Hau (5. Aufl. 2009), IntGV Rn. 73; Drasch (1999), S. 6; Van Alstine (1995), S. 193 f.; Teklote (1994), S. 113 f.; Ludwig (1994), S. 337; Stahl, (1993) 15 CompLYbIntBus 383; BGH (31.10. 2001), NJW 2002, 370; LG Neubrandenburg (3.8.2005), IHR 2006, 26; OLG Düsseldorf (15.2.2001), NJW-RR 2001 1562. Zustimmend auch Huber/Mullis (2007), S. 31 f.; Huber/Kröll, IPRax 2003, 311; Kröll, (2005/06) 25 JLC 46. 153 Drasch (1999), S. 7. Vgl. auch Koller, FS Honsell (2002), S. 238. 154 Vgl. Viscasillas (2008), S. 316; Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 41a; Stiegele/Halter, IHR 2003, 169; Ventsch/Kluth, IHR 2003, 224. 155 Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 41; Piltz, NJW 2003, 2060. 156 Sauthoff, IHR 2005, 22; OLG Düsseldorf (21.4.2004), IHR 2005, 24. 157 Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 41; Strmosljanin (2005), S. 15. 158 BGH (31.10.2001), NJW 2002, 370. 159 Vgl. zum folgenden MK-BGB/Gruber (5. Aufl. 2008), Art. 14 Rn. 29; Wolf/Lindacher/ Pfeiffer/Hau (5. Aufl. 2009), IntGV Rn. 73; BGH (31.10.2001), NJW 2002, 370. 152
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
würde zu Verzögerungen beim Vertragsschluß führen, erlegte man dem Vertragspartner auf, sich nach nicht übersandten AGB zu erkundigen. (d) In vielen nationalen Rechten fehle eine Inhaltskontrolle. Um so wichtiger sei es, daß dem Vertragspartner eine effektive Möglichkeit gewährt werde, sich über den AGB-Inhalt zu informieren. (e) Die Einbeziehungsvoraussetzungen des UNKaufrechts gelten gleichermaßen für Nichtunternehmer, und für diese sei es unzumutbar, sich nach AGB zu erkundigen. Verlange man aber gegenüber Nichtunternehmern eine Übersendung der AGB, müsse dies auch im Unternehmerverkehr gelten. Denn eine Differenzierung sei im Rahmen des UNKaufrechts nicht möglich. (f) Schließlich könnten so die Interessen wenig erfahrener Vertragspartner, etwa aus Entwicklungsländern, geschützt werden. Doch findet diese herrschende Auffassung auch Kritik: Es solle genügen, daß der Verwender die AGB bereit hält, um sie auf Verlangen zu übersenden, oder daß die AGB dem Vertragspartner leicht zugänglich sind160. Neben der Kenntnisnahmemöglichkeit findet sich in der Literatur zuweilen auch die Forderung, die AGB müssen verständlich sein, um wirksam einbezogen zu werden161. Besondere praktische Bedeutung und damit breite Erörterung nimmt das Problem ein, in welcher Sprache der Hinweis und die AGB gehalten sein müssen, damit beide Einbeziehungsvoraussetzungen bejaht werden können162. Wurde der Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß auf die AGB hingewiesen und hatte er zugleich die Möglichkeit, sich über ihren Inhalt in Kenntnis zu setzen, so wird vermutet, daß er sich bei Vertragsschluß mit ihrer Geltung konkludent einverstanden erklärt. Daneben besteht auch nach den Regeln des UN-Kaufrechts die Möglichkeit, daß AGB als Handelsbrauch oder als Geschäftsgebrauch zwischen zwei Parteien gelten (Art. 8 Abs. 3, Art. 9 CISG)163. Unstreitig genießen Individualabreden Vorrang vor AGB-Klauseln, und das obwohl eine ausdrückliche Normierung dieser Regel im UN-Kaufrecht fehlt. Der Vorrang wird vielmehr im Wege der Auslegung aus dem vermuteten Willen der Parteien hergeleitet: Die Parteien wollen mit ihrer individuellen Vereinbarung in der Regel von der widersprechenden AGB-Klausel abweichen164. 160 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 53; Berger, FS Horn (2006) S. 6 ff.; Kindler, FS Heldrich (2005) S. 225 ff.; Luig (2003), S. 222; Schmidt-Kessel, NJW 2002, 3445; Pötter/Hübner, EWiR 2002, 340; Herber/Czerwenka (1991), Art. 14 Rn. 11. 161 Magnus, ZEuP 5 (1997), 837. 162 Vgl. die Darstellungen bei Janssen, in: Quo Vadis CISG (2005), S. 145 f.; Sauthoff, IHR 2005, 22 f.; Strmosljanin (2005), S. 12 ff.; Schultheiß (2004), S. 16 ff.; Drasch (1999), S. 9 ff.; Teklote (1994), S. 116 ff.; OLG Düsseldorf (21.4.2004), IHR 2005, 24. 163 Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter (5. Aufl. 2008), Art. 14 Rn. 69 ff.; Staudinger/Magnus (2005), Art. 14 Rn. 40; Strmosljanin (2005), S. 25 ff.; Schultheiß (2004), S. 25 ff.; Luig (2003), S. 225 f.; Soergel/Lüderitz/Fenge (13. Aufl. 2000), Art. 14 Rn. 11; Witz/Salger/Lorenz (2000), Vor Art. 14–24 Rn. 12; Magnus, ZEuP 5 (1997), 837; OLG Zweibrücken (31.3.1998), CISG-online 481. Zu weit OGH (6.2.1996), CISG-online 224. 164 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 58.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
373
Strittig ist die Behandlung überraschender Klauseln. Eine ausdrückliche Regelung zur Geltung solcher Klauseln enthält das UN-Kaufrecht nicht. Ein Teil der Lehre sucht eine Lösung auf Grundlage der Auslegungsregeln des UNKaufrechts165: Nach Art. 8 Abs. 1 CISG seien Erklärungen einer Partei »nach deren Willen auszulegen, wenn die andere Partei diesen Willen kannte oder darüber nicht in Unkenntnis sein konnte«. Habe der Vertragspartner Kenntnis von der betreffenden Klausel, so werde sie Vertragsinhalt. Im übrigen komme es darauf an, ob der Vertragspartner von der Klausel nach ihrem Inhalt, ihrer Sprache und ihrer Gestaltung in Unkenntnis sein durfte. Ein anderer Teil der Lehre versteht nationale Vorschriften wie § 305c Abs. 1 BGB als Gültigkeitsregelungen i.S.d. Art. 4 CISG mit der Folge, daß diese nationalen Regeln, soweit sie kollisionsrechtlich berufen sind, neben dem UN-Kaufrecht anwendbar sind166. Schließlich wird auch das nicht besonders geregelte Problem der kollidierenden AGB aus dem UN-Kaufrecht, nämlich Art. 19 CISG, heraus gelöst, wobei die Einzelheiten umstritten sind167. 2. Die Geltungsvoraussetzungen der Principles of European Contract Law Die PECL enthalten in Art. 2:104(1) im Abschnitt zum Vertragsschluß eine Regel zur Geltung nicht individuell ausgehandelter Bedingungen: »Contract terms which have not been individually negotiated may be invoked against a party who did not know of them only if the party invoking them took reasonable steps to bring them to the other party’s attention before or when the contract was concluded.«
Diese Norm ist nicht auf AGB beschränkt, sondern regelt die Geltung nicht individuell ausgehandelter Bedingungen. Freilich kommt ihr in Hinblick auf die Einbeziehung von AGB besondere Bedeutung zu, und so nennt der Kommentar der Principles in erster Linie AGB als Anwendungsbeispiel168. 165 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 57. Vgl. auch MKBGB/Gruber (5. Aufl. 2008), Art. 14 Rn. 35 (Art. 8 CISG i.V.m. dem Grundsatz vom guten Glauben); Brunner (2004), Art. 4 Rn. 46; Schwenzer/Mohs, IHR 2006, 241; Stadler (2003), S. 95 (Lösung auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 CISG); Drasch (1999), S. 12 (Lösung auf Grundlage von Art. 8 Abs. 2 und 7 Abs. 1 CISG); Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Hau (5. Aufl. 2009), IntGV Rn. 73 (Lösung auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 CISG); Herber/Czerwenka (1991), Vor Art. 14 Rn. 15 (Lösung auf Grundlage von Art. 7 Abs. 1 CISG). Vgl. auch Koller, FS Honsell (2002), S. 239 ff.; Sistermann (1995), S. 38 ff. 166 Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter (5. Aufl. 2008), Vor Art. 14–24 Rn. 5, Art. 14 Rn. 35 (anders aber Schlechtriem, Internationales UN-Kaufrecht (4. Aufl. 2007), Rn. 58); Witz/Salger/ Lorenz (2000), Vor Art. 14–24 Rn. 11; Achilles (2000), Art. 14 Rn. 6; OLG Düsseldorf (21.4.2004), IHR 2005, 24. Zustimmend wohl auch Karollus (1991), S. 41. Vgl. zudem die Darstellung bei Farnsworth, (1988) 21 CornellIntLJ 443 f. 167 Siehe die Darstellungen bei Huber/Mullis (2007), S. 91 ff.; Forte, in: Scots and South African Perspectives (2006), S. 113 ff.; Strmosljanin (2005), S. 37 ff.; Staudinger/Magnus (2005), Art. 19 Rn. 21 ff.; Schultheiß (2004), S. 145 ff.; Witz/Salger/Lorenz (2000), Art. 19 Rn. 14 ff.; Drasch (1999), S. 16 ff.; Teklote (1994), S. 142 ff. 168 Lando/Beale (2000), S. 149 f.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Vertragsbedingungen, die der Vertragspartner nicht positiv kennt, binden ihn nur, wenn der Verwender angemessene Schritte unternommen hat, sie ihm zur Kenntnis zu bringen. Keine Probleme ergeben sich, wenn die Bedingungen in einer vom Vertragspartner unterzeichneten Urkunde enthalten sind: Sie werden Vertragsinhalt169. Welche Schritte der Verwender ansonsten ergreifen muß, um den Vertragspartner auf die Bedingungen aufmerksam zu machen, sagt Art. 2:104(1) PECL nicht. Aus dem Kommentar wird aber deutlich, daß zweierlei erforderlich ist170: Der Verwender muß den Vertragspartner zum einen auf die Bedingungen hinweisen, so daß dieser davon Kenntnis hat, daß überhaupt unter Einbeziehung solcher Bedingungen kontrahiert werden soll. Zum anderen muß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit gewähren, vom Inhalt dieser Bedingungen Kenntnis zu nehmen. Daß ein bloßer Hinweis nicht ausreicht, sondern daß die Kenntnisnahmemöglichkeit vom Inhalt der Vertragsbedingungen bestehen muß, soll sich auch aus Art. 2:104(2) PECL ergeben171: »Terms are not brought appropriately to a party’s attention by a mere reference to them in a contract document, even if that party signs the document.«
Umgekehrt genügt es aber auch nicht, daß der Verwender die Bedingungen zwar übersendet und damit dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit gewährt, ihn aber nicht an geeigneter Stelle darauf hinweist, daß die übersandten Bedingungen Vertragsinhalt werden sollen172. Den doppelten Bewußtseinsinhalt (Bedeutung der AGB für den Vertrag und ihr Inhalt) bringt der Wortlaut des Art. 2:104 PECL nur ungenügend zum Ausdruck. Er spricht nur davon, daß der Vertragspartner auf die AGB aufmerksam gemacht worden sein muß. Aufmerksam wird der Vertragspartner indes schon durch den bloßen Hinweis ohne Kenntnisnahmemöglichkeit und durch die bloße Übersendung ohne besonderen Hinweis. Die PECL scheinen sich bei der Formulierung des Art. 2:104(1) an der englischen und schottischen Literatur orientiert zu haben. Auch sie verlangt nur, daß der Verwender angemessene Schritte unternommen haben muß, die AGB zur Kenntnis des Vertragspartners zu bringen, versteht aber unter dieser einheitlich gefaßten Einbeziehungsvoraussetzung ebenfalls zweierlei173. Die PECL hätten diese doppelte Voraussetzung durch eine an § 305 Abs. 2 BGB angelehnte Formulierung deutlicher zum Ausdruck bringen können. Auf die Kenntnisnahmemöglichkeit soll der Ver-
169
Lando/Beale (2000), S. 149. Vgl. auch Antoniolli/Veneziano/Monti (2005), S. 98. Lando/Beale (2000), S. 149 f. Vgl. hierzu Luig (2003), S. 228 f.; Köhler, in: Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 60 f. 171 Lando/Beale (2000), S. 149 f. Vgl. hierzu Wilhelmsson, in: Towards a European Civil Code (3. Aufl. 2004), S. 437; Luig (2003), S. 228 f. 172 Lando/Beale (2000), S. 150. Vgl. auch Antoniolli/Veneziano/Monti (2005), S. 98. 173 Siehe oben den Absatz vor Fn. 25. 170
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
375
tragspartner schließlich verzichten können174. Beide Voraussetzungen des Art. 2:104 PECL müssen grundsätzlich vor oder bei Vertragsschluß erfüllt sein175. Neben Art. 2:104 PECL kann sich die Geltung von AGB auch aus Art. 1:105 PECL ergeben, sofern sie einem Handelsbrauch oder einem Geschäftsbrauch zwischen den Vertragsparteien entsprechen176. Weiter enthalten die PECL in Art. 2:209 eine Vorschrift zu widerstreitenden AGB177, und im Auslegungskapitel bestimmen sie in Art. 5:104, daß individuell ausgehandelte Bedingungen Vorrang vor nicht individuell ausgehandelten Bedingungen genießen. Kritisiert wurde bereits das Fehlen einer besonderen Vorschrift zu überraschenden Klauseln, und es wurde vorgeschlagen, daß die nach Art. 2:104(1) PECL zu ergreifenden Maßnahmen bei überraschenden Klauseln einen besonders deutlichen Hinweis im Sinne der englischen und schottischen red hand rule verlangen178. 3. Die Geltungsvoraussetzungen in den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts Art. 2.1.19(1) PICC erklärt für die Frage der Einbeziehung von AGB die allgemeinen Vorschriften über den Vertragsschluß für anwendbar. Der AGB-Begriff des Art. 2.1.19(2) PICC entspricht dabei weitgehend dem des deutschen Rechts179. Der Kommentar zu Art. 2.1.19 PICC klärt nicht darüber auf, was genau erforderlich ist, um AGB unter Anwendung der allgemeinen Vertragsschlußregeln zum Vertragsinhalt zu machen180. Für den Fall, daß die AGB nicht in einem von den Parteien unterzeichnetem Vertragsdokument enthalten sind, nennt der Kommentar nur einen ausdrücklichen Hinweis181. Eine Kenntnisnahmemöglichkeit erwähnt der Kommentar dagegen nicht, doch dürfte sich dieses Erfordernis aus den allgemeinen Vertragsschlußregeln ergeben182. Eine Übersendungspflicht, wie sie für das UN-Kaufrecht formuliert wird,
174
Lando/Beale (2000), S. 150. Vgl. hierzu Busch/Hondius/van Koorten/Schelhaas/ Schrama (2002), S. 86 f. 175 Zu einer möglichen Ausnahme siehe Lando/Beale (2000), S. 150. 176 Lando/Beale (2000), S. 150. 177 Vgl. Kröll/Hennecke, RIW 2001, 737 f.; Köhler, in: Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 63 ff.; Antoniolli/Veneziano/Musy (2005), S. 133 ff. 178 Wilhelmsson, in: Towards a European Civil Code (3. Aufl. 2004), S. 438. Vgl. auch Ulmer, FS Tilmann (2003), S. 1006. 179 Vgl. Köhler, in: Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 58; Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Art. 2.1.19 Rn. 1 ff. 180 Hierzu Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Art. 2.1.19 Rn. 6 ff. 181 UNIDROIT (2004), S. 66 f. Vgl. auch Bonell (3. Aufl. 2005), S. 154. Siehe auch Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Introduction Art. 2.1.19-2.1.22. 182 Luig (2003), S. 227.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
wird für die Principles freilich abgelehnt183. Der Kommentar führt weiter aus, die Geltung von AGB könne nach Art. 1.9 und Art. 4.3 PICC auch auf einem Handelsbrauch oder einem Geschäftsgebrauch zwischen zwei Parteien beruhen184. In einem solchen Fall liege ein stillschweigender Hinweis auf die AGB vor185. Ein bloßes Kennenmüssen auf Seiten des Vertragspartners genügt für eine wirksame Einbeziehung nicht186. Zwar verweist Art. 2.1.19 PICC auf die allgemeinen Vertragsschlußregeln. Art. 2.1.20 ff. PICC enthalten indes noch drei besondere Vorschriften. Art. 2.1.22 PICC ist widerstreitenden AGB gewidmet187. Art. 2.1.21 PICC ordnet den Vorrang von Individualvereinbarungen an188. Und Art. 2.1.20(1) PICC befaßt sich mit der Einbeziehung überraschender Klauseln: »No term contained in standard terms which is of such character that the other party could not reasonably have expected it, is effective unless it has been expressly accepted by that party.«
Der Einbeziehung überraschender Klauseln muß der Vertragspartner ausdrücklich zustimmen. Dafür ist erforderlich, daß der Verwender auf eine solche Klausel besonders, ausdrücklich oder durch eine drucktechnische Hervorhebung, hinweist und daß der Vertragspartner ihrer Einbeziehung zustimmt189. Wurde auf die überraschende Klausel besonders hingewiesen, so genügt es, wenn der Vertragspartner sein Einverständnis mit seiner Unterschrift unter die Vertragsurkunde erklärt. Einer besonderen schriftlichen Anerkennung wie nach Art. 1341 Abs. 2 CC bedarf es nicht, umgekehrt genügt aber auch ein bloßer besonderer Hinweis im Sinne der englischen und schottischen red hand rule190 nicht191. 4. Die Geltungsvoraussetzungen im Avant-projet eines Code Européen des Contrats Das Avent-projet eines Code Européen des Contrats kennt in Art. 33 S. 1 eine Regel zur Einbeziehung von AGB, die der des italienischen Art. 1341 Abs. 1 183
Bonell (3. Aufl. 2005), S. 154; Luig (2003), S. 227. Offenlassend Hof’s-Hertogenbosch (16.10.2002), NIPR 2003, Nr. 192. Differenzierend Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Art. 2.1.19 Rn. 18 ff. 184 UNIDROIT (2004), S. 67. Vgl. hierzu auch Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Art. 2.1.19 Rn. 29 ff. 185 Bonell (3. Aufl. 2005), S. 154. 186 Vogenauer/Kleinheisterkamp/Naudé (2009), Art. 2.1.19 Rn. 8 mit Nachweis auf die Materialien zu den PICC. 187 Hierzu Forte, in: Scots and South African Perspectives (2006), S. 117 ff.; Kröll/Hennecke, RIW 2001, 737 f.; Köhler, in: Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 63 f. 188 Hierzu Bonell, in: Europäisches Vertragsrecht (1997), S. 16. 189 UNIDROIT (2004), S. 70. 190 Siehe oben den Text nach Fn. 136 sowie zu und nach Fn. 41. 191 Wilhelmsson, in: Towards a European Civil Code (3. Aufl. 2004), S. 437.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
377
CC entspricht192. Eine Reihe von besonders belastenden Klauseln ist nach Art. 30 Abs. 4 ähnlich wie nach Art. 1341 Abs. 2 CC nur wirksam, wenn der Vertragspartner sie ausdrücklich schriftlich bestätigt193. Und in Art. 38 ist für Formularverträge der Vorrang von hinzugefügten Klauseln so geregelt wie in Art. 1342 Abs. 1 CC194. Wegen dieses Rückgriffs auf das diesbezüglich selbst in Italien als unbefriedigend empfundene italienische Recht sind diese Vorschriften bereits kritisiert worden195. 5. Die Geltungsvoraussetzungen in den Acquis Principles (Contract I) Die Einbeziehungsvoraussetzungen der Acquis Principles finden sich im Kapitel über nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen196. Daneben sollen die allgemeinen Vorschriften über den Vertragsschluß anwendbar sein197. Nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen binden den Vertragspartner, der sie nicht kennt, nach Art. 6:201(1) ACQP nur, wenn ihn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß in angemessener Art und Weise auf sie aufmerksam gemacht hat: »Contract terms which have not been individually negotiated bind a party who was unaware of them only if the user took reasonable steps to draw the other party’s attention to them before or when the contract was concluded.«
Abs. 1 entspricht weitgehend Art. 2:104 PECL198, so daß auch hier zweierlei erforderlich ist: Der Verwender muß den Vertragspartner auf die Bedingungen hinweisen, und er muß ihm die Möglichkeit gewähren, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen199. Auch die Acquis Principles hätten diese doppelte Voraussetzung deutlicher zum Ausdruck bringen können200. Abs. 2 entspricht sodann Art. 2:104(2) PECL201, und Abs. 4 lautet: »Consumers are not bound to terms to which they had no real opportunity to become acquainted before the conclusion of the contract.«
Eine vergleichbare Vorschrift fehlt in den PECL. Vorbild war Anhang 1(i) zur Klauselrichtlinie202. Danach können Klauseln für mißbräuchlich erklärt werden, »die darauf abzielen oder zur Folge haben, daß […] die Zustimmung des 192
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 120 Vgl. auch Patti, ZEuP 12 (2004), 123. Siehe oben den Text nach Fn. 136. Vgl. auch Patti, ZEuP 12 (2004), 122. 194 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 140. Vgl. auch Patti, ZEuP 12 (2004), 123. 195 Patti, ZEuP 12 (2004), 123. 196 Zum Begriff nicht individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen vgl. Art. 6:101 ACQP; Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:101 Rn. 1 ff. 197 Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 13. 198 Siehe oben das Zitat vor dem Absatz zu und den Text nach Fn. 168. 199 Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 14 f. 200 Siehe oben den Text nach Fn. 172. 201 Siehe oben das Zitat zu Fn. 171. 202 Pfeiffer (2008), S. 181. 193
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Verbrauchers zu Klauseln unwiderlegbar festgestellt wird, von denen er vor Vertragsabschluß nicht tatsächlich Kenntnis nehmen konnte«203. Anhang 1(i) die Klauselrichtlinie ist Teil der Inhaltskontrolle. Die Autoren der Acquis Principles folgen in Art. 6:201(4) einer Mindermeinung in der deutschen Literatur, die dem Anhang 1(i) »denknotwendig das Prinzip [entnimmt], daß die Zustimmung zu einer Klausel nur dann wirksam erklärt werden kann, wenn der Verbraucher von ihr auch tatsächlich Kenntnis nehmen konnte« und die damit dessen Aussage über die Inhaltskontrolle hinaus verallgemeinert204. Welche Funktion Art. 6:201(4) ACQP im Rahmen der Einbeziehungsproblematik haben soll, ist nicht sofort ersichtlich. Zweck kann nicht sein, anzuordnen, einem Verbraucher müsse überhaupt die Kenntnisnahmemöglichkeit gewährt werden. Denn dies ist bereits nach Abs. 1 und 2 Einbeziehungsvoraussetzung. Die Verfasser der Principles glauben, Abs. 4 qualifiziere die Kenntnisnahmemöglichkeit205. Sie entnehmen dem Anhang 1(i) der Klauselrichtlinie also nicht nur das Prinzip, daß einem Verbraucher überhaupt die Kenntnisnahmemöglichkeit, sondern daß sie in qualifizierter Form gewährt werden muß. Dies Verallgemeinerung hätte sicherlich näher begründet werden müssen. Man hätte Anhang 1(i) für die Einbeziehung auch nur das Prinzip der einfachen Kenntnisnahmemöglichkeit entnehmen können. Liegt eine wie auch immer geartete Kenntnisnahmemöglichkeit vor, so kann ein Einverständnis in die Geltung von Klauseln mit dieser Lesart grundsätzlich vermutet werden. Wird dieses Einverständnis aber selbst in einer nicht individuell ausgehandelten Klausel unwiderlegbar fingiert, so ist im Rahmen der Inhaltskontrolle dieser Klausel zusätzlich notwendig, daß der Verbraucher in Hinblick auf die einzubeziehenden Klauseln die Kenntnisnahmemöglichkeit in qualifizierter Form erhält. Das Ob der Kenntnisnahmemöglichkeit wäre so Bestandteil der Einbeziehungsproblematik, das Wie dieser Möglichkeit Bestandteil der Inhaltskontrolle bestimmter Vermutungs- und Fiktionstatbestände. Indem die Verfasser den gesamten Anhang 1(i) verallgemeinernd in die Einbeziehung transplantieren, verbleibt für die Inhaltskontrolle nichts mehr. Und in der Tat erscheint in Art. 6:305 ACQP, der im übrigen den Richtlinienanhang wiedergibt, einzig Anhang 1(i) nicht206. Die Acquis Principles bilden in Art. 6:201(4) den acquis communautaire damit nicht ab, sondern gehen über ihn hinaus. Wie sieht nun die Qualifikation des Art. 6:201(4) aus? Orientiert man sich an Anhang 1(i), so würde man denken, daß die Kenntnisnahmemöglichkeit in jeder Hinsicht effektiv ausgestaltet sein muß. In den Acquis Principles soll sich nun aber das Übersendungserfordernis bereits aus Art. 6:201(1) ergeben und 203 204 205 206
Siehe oben den Text in Absatz zu Fn. 2. Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Anhang Rn. 76. Siehe oben den Text zu Fn. 2. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 16. Hierzu auch Pfeiffer, ZEuP 16 (2008), 702.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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damit in Übereinstimmung mit dem CISG auch im Unternehmerverkehr gelten207. Insofern ist kein Spielraum für eine Verschärfung der Kenntnisverschaffungspflicht nach Abs. 4. Daß eine Übersendung dann nicht erforderlich ist, wenn der Vertragspartner die Bedingungen kennt, ergibt sich bereits aus Abs. 1208, und dies sollte auch in Verträgen mit Verbrauchern gelten. Abs. 4 spielt hier keine Rolle. Zudem soll ein bloßer Aushang den Voraussetzungen des Abs. 1 genügen209. Auch hier kommt es nach dem Willen der Verfasser zu keiner Qualifikation durch Abs. 4. Abs. 4 verschärft die Kenntnisverschaffungspflicht wohl nur in zeitlicher Hinsicht: Der Verwender muß dem Verbraucher die Bedingungen so rechtzeitig aushändigen, übersenden oder zugänglich machen, daß dieser sie noch studieren kann210. Von einem Unternehmer kann dagegen erwartet werden, daß er den Vertragsschluß hinauszögert, bis er die Bedingungen gelesen hat, sofern er sie denn lesen will. Weil die Acquis Principles in Art. 6:201(1) bereits eine sehr weitgehende Kenntnisverschaffungspflicht kennen, hat Abs. 4 folglich eine sehr viel engere Aussage als Anhang 1(i) der Klauselrichtlinie. Diese Qualifikation hätte man zudem begrifflich sehr viel schärfer fassen können. In der Wendung real opportunity, welche die Verfasser der Principles unbesehen aus der englischen Fassung des Anhangs der Klauselrichtlinie übernehmen, kommt sie nur ungenügend zum Ausdruck. Zum einen ist eine Kenntnisnahmemöglichkeit, die nicht tatsächlich besteht, überhaupt keine Kenntnisnahmemöglichkeit und würde auch den Voraussetzungen des Abs. 1 nicht genügen. Zum anderen ist die Aussage des Art. 6:201(4) ACQP eben sehr viel enger als die von Anhang 1(i). Doch spricht Abs. 4 nicht nur davon, daß der Vertragspartner tatsächlich die Möglichkeit haben muß, die Bedingungen kennenzulernen. Er verlangt, daß diese Möglichkeit vor Vertragsschluß bestehen muß, ihre Gewährung bei Vertragsschluß anders als nach Abs. 1 nicht ausreicht. Die Wendung »vor Vertragsschluß« scheint mir dabei in Abs. 1 und Abs. 4 jeweils unterschiedliches zu bedeuten. In Abs. 1 bedeutet sie, daß die Kenntnisnahmemöglichkeit gewährt werden darf, bevor die Parteien das Angebot und die Annahme erklären, also etwa in vorgelagerten Vertragsverhandlungen. Bei Vertragsschluß i.S.d. Abs. 1 erfolgt die Gewährung der Kenntnisnahmemöglichkeit, wenn der Verwender die Bedingungen in seinem Angebot aufnimmt, das der Vertragspartner sodann annimmt. In Abs. 4 kommt es allein auf die Abgabe der den Verbraucher bindenden Willenserklärung an. Nimmt der Verwender die Bedingungen in eine schriftliche, von ihm bereits unterzeichnete Vertragsurkunde auf und gewährt er dem Vertragspartner die Zeit, diese Klauseln zu stu207 208 209 210
Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 7, 12. Vgl. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 17. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 23. Vgl. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 23 f.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
dieren, bevor dieser den Vertrag unterzeichnet, so wird die Kenntnisnahmemöglichkeit i.S.d. Abs. 1 bei und i.S.d. Abs. 4 vor Vertragsschluß gewährt. Auch hier hätte man sich mehr sprachliches Feingefühl der Verfasser der Principles erwünscht. Der Vertragspartner soll, so die Verfasser der Principles, auf die Gewährung der Kenntnisnahme verzichten können, und einen solchen Verzicht könne auch ein Verbraucher erklären. Sogar ein konkludenter Verzicht sei möglich, wenn der Vertragspartner bei einem telephonischen Vertragsschluß den sofortigen Vertragsschluß verlangt211. Eine ausdrückliche Regelung dieser Ausnahme hielten die Verfasser für entbehrlich212: Sie folge aus dem Zweck der Vorschrift. Es ist bereits methodisch mißlich, daß ein Regelgeber eine Norm mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion bewußt zu weit formuliert. Zudem ist zweifelhaft, ob eine solche Reduktion möglich ist: Abs. 4 geht davon aus, daß ein Verbraucher nicht innehält und sich die Zeit nimmt, AGB zu studieren, wenn ihm die Kenntnisnahmemöglichkeit erst unmittelbar vor Abgabe seiner Vertragserklärung gewährt wird. Deshalb muß der Verwender im Interesse des Verbrauchers den Vertragsschluß so gestalten, daß ihm diese Zeit zur Verfügung steht. Die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf die Kenntnisnahmemöglichkeit bei einem telephonischen Vertragsschluß ist mit diesem Zweck nicht vereinbar. Der ratio des Abs. 4 entspricht es vielmehr allein, daß der Verwender dafür Sorge trägt, daß der Verbraucher auch in dieser Vertragsschlußsituation die AGB kennenlernen kann. Wie aber werden nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen, die einem Handels- oder einem Geschäftsgebrauch zwischen zwei Parteien entsprechen, zum Vertragsinhalt, wenn ein Hinweis auf sie fehlt? Die Verfasser glauben, diesen Fall mit Abs. 1 lösen zu können. Dem Vertragspartner seien die Bedingungen bekannt, so daß die besonderen Voraussetzungen nach dem Wortlaut des Abs. 1 nicht eingreifen213. Freilich ergibt sich die Lösung des Falles, daß eine Partei die Kenntnis des entsprechenden Handelsbrauchs bestreitet, der aber im übrigen jedem Verkehrsteilnehmer bekannt ist und sein muß, nicht aus dem Wortlaut des Abs. 1. Und eine mit Art. 1:105 PECL vergleichbare Vorschrift zur Geltung von Handels- und Geschäftsgebräuchen fehlt den Acquis Principles214. Dagegen kennen die Acquis Principles in Art. 6:202 eine mit Art. 5:104 PECL fast identische Regel zum Vorrang individuell ausgehandelte Vertragsklauseln215, und Art. 6:204 ACQP übernimmt fast wörtlich die Regel des Art. 2:209 PECL zu widerstreitenden AGB216. 211 212 213 214 215 216
Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 16. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 16. Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 14. Siehe hierzu oben den Text zu Fn. 176. Siehe oben den Text nach Fn. 177. Siehe oben den Text zu Fn. 177.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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Neben diesen Regeln, die explizit der Einbeziehung nicht individuell ausgehandelter Bedingungen gewidmet sind, enthalten die Acquis Principles weitere Vorschriften, welche die Frage der Geltung solcher Bedingungen beeinflussen, nämlich diejenigen, die vorvertragliche Informationspflichten statuieren. Art. 2:201 ACQP betrifft Informationen zur Beschaffenheit der Hauptleistungen und interessiert hier nicht. Art. 2:203–205 ACQP stellen Informationspflichten für besondere Formen des Vertragsschlusses und besondere Vertragsarten auf. Art. 2:202 ACQP normiert eine vorvertragliche Informationspflicht beim Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen durch Unternehmer an Verbraucher, die neben der Einbeziehungsvorschrift des Art. 6:201 ACQP anwendbar sein soll217. Art. 2:202(1) ACPQ lautet: »[…] where a business is marketing goods or services to a consumer, the business must, with due regard to all the circumstances and the limitations of the communication medium employed, provide such material information as the average consumer needs in the given context to take an informed decision on whether to enter into a contract.«
Betroffen sind Werbeaussagen eines Unternehmers. Nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen können in den Anwendungsbereich dieses Absatzes fallen, soweit sie Informationen enthalten, die ein durchschnittlicher Verbraucher benötigt, um eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er den Vertrag schließen möchte. Als Folge muß der Verwender bereits in der Werbeaussage auf diese Bedingungen hinweisen. Freilich ist die Informationspflicht abhängig von den Einzelumständen und dem vom Verwender gewählten Medium218. Art. 2:202(2) ACQP ergänzt sodann: »Where a business uses a commercial communication which enables a consumer to buy goods or services, the following information must be provided to the consumer where this is not already apparent from the context of the commercial communication: … pecularities related to payment, delivery, performance and complaint handling, if they depart from the requirements of professional diligence.«
Was man unter »commercial communication which enables a consumer to buy goods or services« verstehen darf, ist nicht sofort ersichtlich. Mit commercial communication meinen die Verfasser der Principles vor allem Werbeaussagen. Den Begriff übernehmen sie aus der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken219, auf deren Art. 7 Abs. 4 Art. 2:202(2) ACQP beruht220. Die Begrifflichkeiten der Richtlinie sind freilich in der Literatur als wenig klar kritisiert worden221. Hier hätte man sich gewünscht, daß die Acquis Principles 217
Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 13 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:202 Rn. 5. 219 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken, Abl EG v. 11.6.2005 L 149/22. 220 Siehe unten den Text zu und nach Fn. 235. 221 So z.B. von Augenhofer, ZfRV 2005, 211. 218
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
diese Begriffe nicht einfach übernommen, sondern schärfer gefaßt und auf das von ihnen zu regelnde Problem zugespitzt hätten. Auch der Zusatz »which enables a consumer to buy goods or services« macht den Begriff der commercial communication nicht verständlicher: Werbeaussagen selbst ermöglichen dem Verbraucher niemals einen Vertragsschluß. Eine solche Werbeaussage stellt eben kein Vertragsangebot und auch nicht zwingend eine invitatio ad offerendum dar222. Gemeint sind wohl solche Werbeaussagen, die den Eindruck erwecken, sie versorgten den Verbraucher abschließend mit allen Informationen, damit dieser sodann seine Entscheidung treffen kann, ob er den Vertrag eingehen möchte oder nicht223. Es handelt sich mithin um eine Entsprechung der Wendung »Aufforderung zum Kauf«, welche die Richtinline in Art. 7 Abs. 4 verwendet und in Art. 2(i) definiert. Diese Definition gibt Art. 2:202(2) ACQP zum einen nur verkürzt wieder. Zum anderen hätte man auch hier erwartet, daß die Verfasser einen lauterkeitsrechtlichen Begriff nicht einfach in den ihm fremden vertragsrechtlichen Kontext stellen, sondern ihn entsprechend anpassen. Die Aussage von Abs. 2 ist, daß eine Werbeaussage, die den Eindruck erweckt, sie versorge den Verbraucher abschließend mit allen Informationen, damit dieser sodann seine Entscheidung treffen kann, ob er den Vertrag eingehen möchte, auch die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie die Einzelheiten des Verfahrens zum Umgang mit Beschwerden enthalten muß. Solche Bedingungen sind typischerweise Teil von AGB. Über diese Bedingungen muß der Verwender nicht schon dann informieren, wenn sie vom Dispositivrecht, sondern nur wenn sie von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen. Unter beruflicher Sorgfalt verstehen die Verfasser der Principles in Übereinstimmung mit Art. 2(h) der Richtlinie den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, dessen Anwendung vom Verwender billigerweise gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten in dessen Branche und nach Treu und Glauben erwartet werden kann224. Wann eine solche Abweichung von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt bejaht werden kann, ist unklar. Ein Teil der deutschen Literatur will in Hinblick auf § 5a Abs. 3 Nr. 4 UWG, der Art. 7 Abs. 4 RiL 2005/29/EG umsetzt, auf § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zurückgreifen und eine solche Abweichung nur dann bejahen, wenn von den wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung abgewichen wird225. Dies würde bei Auslegung des Art. 2:202(2) ACQP wenig Sinn machen, hieße es doch, daß der Verwender über seine Bedingungen nur informieren muß, wenn diese unwirksam sind. Daher muß der Maßstab i.R.d. Art. 2: 222 Vgl. Henning-Bodewig, GRUR Int 2005, 632; Radeideh (2005), S. 273 f.; Schulte-Nölke/ Busch, ZEuP 12 (2004), 106. 223 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:202 Rn. 6, 9. 224 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:202 Rn. 9. 225 Sosnitza, WRP 2008, 1033.
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202(2) ACQP niedriger angesetzt werden. Vorzugswürdig scheint es, daß der Verwender den Vertragspartner schon über branchenunübliche Bedingungen informieren muß226. Auch hier hätte man sich erhofft, daß die Verfasser nicht einfach Begrifflichkeiten, die im übrigen schon im Lauterkeitsrecht auf Kritik stoßen227, kopieren, sondern für das von ihnen zu lösende Regelungsproblem passende Äquivalente anbieten. Die Informationen müssen nach Art. 2:206(1) ACQP klar und bestimmt sein und in einfacher und verständlicher Sprache verfaßt sein228. Ein Verstoß gegen die Informationspflichten des Art. 2:202 ACQP und gegen die Transparenzpflicht des Art. 2:206(1) ACQP kann nach Art 2:207 ACQP zwei unterschiedliche Rechtsfolgen generieren: »(2) Even if no contract has been concluded, breach of duties under Articles 2:201 to 2:206 entitles the other party to reliance damages. Chapter 8 applies accordingly. (3) If a party has failed to comply with its duties under Art. 2:201 to 2:206, and a contract has been concluded, this contract contains the obligations which the other party could reasonably expect as a consequence of the absence or incorrectness of the information. Remedies provided unter Chapter 8 apply to non-performance of these obligations.«
Die Bedeutung der Art. 2:202, 2:206 ACQP verdeutlicht sich an folgenden drei Beispielen: (a) Verstößt der Verwender gegen seine Informationspflicht aus Art. 2:202(1) ACPQ und hätte er danach bereits in seinen Werbeaussagen über den Inhalt seiner AGB informieren müssen und kommt es zu einem Vertragsschluß, ohne daß er bei Vertragsschluß auf seine AGB hinweist, so gelten die AGB nicht. Das Ergebnis ist so selbstverständlich, daß es eines Rückgriffs auf Art. 2:207(3) ACPQ nicht bedarf. (b) Erweckt eine Werbeaussage den Eindruck, sie kläre abschließend über die Zahlungs- und Lieferbedingungen auf, möchte der Verwender indes noch weitere Bedingungen einbeziehen, auf die er freilich bei Vertragsschluß nicht genügend hinweist, und das obwohl diese Bedingungen in der Branche unüblich sind229, so gelten nach Art. 2:202(2) und 2:207(3) ACPQ nur die Bedingungen aus der Werbung. Auch dieses Ergebnis ist so selbstverständlich, daß es einer besonderen Regelung nicht bedarf: In dem englischen Fall Cobden v. Bolton aus dem Jahre 1809 hatte der Verwender Handzettel verteilt, um für sein Transportunternehmen zu werben. Zugleich enthielt dieser Handzettel Haftungsausschlußklauseln. Der Vertragspartner erhielt einen solchen Handzettel und versandte mit dem Verwender ein Frachtgut von London nach Chichester. Das Frachtgut ging verloren. Der Vertragspartner machte einen An226 So auch Faust, in: Akademischer Entwurf (2008), S. 120, mit Blick auf den DCFR; Hefermehl/Köhler/Bornkamm (27. Aufl., 2009), § 5a Rn. 35. 227 Vgl. die Kritik von Köhler, GRUR 2005, 796. 228 Hierzu Twigg-Flesner, Pre-contractual duties (2008), S. 116 f. 229 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 225.
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spruch auf Schadensersatz geltend. Die auf dem Handzettel abgedruckte Klausel hätte diesen Anspruch nicht berührt. Doch der Verwender berief sich auf eine weitergehende Haftungsausschlußklausel, die er deutlich sichtbar in seinem Geschäftslokal ausgehängt hatte. Von dieser ausgehängten Klausel wäre der Anspruch des Vertragspartners erfaßt gewesen. Lord Ellenborough führte aus230: »[…] the printed papers in circulation dispensed with any necessity to attend to the notice in the office. Why should a person read the board when previously informed by the hand-bill of the terms on which the defendant carried on his business? I have a right to presume, that what is circulated by his authority contains the whole of the limitations he intends to put on his common law responsibility as a carrier, and gives a full statement of the special contract into which he enters with his customers.«
Lord Ellenborough erzielte dieses Ergebnis schlicht durch Auslegung. (c) Aber wie ist der Fall zu lösen, daß der Verwender den Vertragspartner noch vor Vertragsschluß ausdrücklich darauf aufmerksam macht, daß die Werbeaussagen unvollständig waren und er dem Vertrag noch weitere Zahlungsund Lieferbedingungen zugrundelegen möchte? Erwecken die Werbeaussagen nach Art. 2:202(2) ACQP den Eindruck, daß sie diese Bedingungen vollständig wiedergeben, so sind an die angemessenen Schritte, die der Verwender nach Art. 6:201(1) ACQP ergreifen muß, um die Aufmerksamkeit des Vertragspartners auf die weiteren Bedingungen zu lenken, sicherlich höhere Anforderungen zu stellen. Aber wenn er die Voraussetzungen des Art. 6:201(1) ACQP erfüllt, sollten diese Bedingungen eigentlich Vertragsinhalt werden. Art. 2:207(3) ACQP bestimmt nun aber, daß sich der Verwender an seine Werbeaussage festhalten lassen muß. Denkt man diese Rechtsfolge konsequent zu Ende, kann der Vertragspartner den Vertrag eingehen und trotz des ausdrücklichen Hinweises auf die weitergehenden Bedingungen und trotz seines Einverständnisses in deren Einbeziehung darauf vertrauen, daß nur die ursprünglich in der Werbeaussage enthaltenen Bedingungen Vertragsinhalt werden. Das Zusammenspiel von Art. 2:202(2), 2:207(3) und 6:201(1) ACQP könnte also dazu führen, daß der Unternehmer den Verbraucher spätestens in seiner Werbeaussage auf die Bedingungen aufmerksam machen muß und ein nachfolgender Hinweis zu spät kommt, selbst wenn er noch vor oder bei Vertragsschluß erfolgt231. Ob dieses Ergebnis rechtspolitisch sinnvoll ist, scheint mir fraglich: Dem Vertragspartner wäre auch geholfen, wenn er zwar vom Vertragsschluß Abstand nehmen muß, sofern er sich auf die weitergehenden Bedingungen nicht einlassen will, man ihm dann aber einen Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens nach Art. 2:207(2) ACQP zugesteht. 230
Cobden v. Bolton (1809) 2 Camp 108. Zum Zusammenspiel von Art. 7 Abs. 4 RiL 2005/29/EG und § 305 Abs. 2 BGB vgl. auch Seichter, WRP 2005, 1087. 231
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Zudem führt diese Lösung zu Rechtsunsicherheit. Zweck der Anerkennung ausdrücklicher Einbeziehungsregeln ist nun aber die Schaffung von Klarheit darüber, wann nicht individuell ausgehandelte Bedingungen gelten. Ob der Vertragspartner einen Vertrag mit dem Verwender in dem Vertrauen eingehen kann, daß nach Art. 2:207(3) ACQP nur die ursprünglich in den Werbeaussagen angeführten Bedingungen gelten, nicht jedoch diejenigen, auf die er bei Vertragsschluß hingewiesen wurde, ist davon abhängig, ob der Verwender nach Art. 2:202 ACQP über diese Bedingungen bereits in seiner Werbung hätte informieren müssen. Dies hängt nach Art. 2:202(1) ACQP wiederum von den Umständen des Einzelfalls und von dem Medium ab, über das die Werbung verbreitet wurde, sowie davon, ob der Vertragspartner als durchschnittlicher Verbraucher einen Hinweis auf diese Bedingungen hätte erwarten dürfen. Nach Art. 2:202(2) ACQP ist entscheidend, ob die Bedingungen, die der Verwender bei Vertragsschluß einfügen möchte, obwohl er über sie nicht in der Werbung aufgeklärt hat, branchenunüblich sind232. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird ein Verbraucher bei Vertragsschluß kaum überschauen, aber auch rückblickend nur schwer beurteilen können. Freilich scheinen die Verfasser der Principles gar nicht sagen zu wollen, daß der Unternehmer spätestens in seiner Werbeaussage auf seine Bedingungen hinweisen muß, spätere Hinweise also nicht mehr rechtzeitig sind, und daß der Verwender sich als Folge an seine Werbeaussage festhalten lassen muß. Denn sie schreiben233: »If a contract has been concluded on the basis of incomplete or incorrect information, then there may be expectations about the obligations of the party that should have provided this information regarding the performance of the contract which should be given effect, and this is stated in Art. 2:207(3) ACQP.«
Schiebt der Unternehmer seinen Hinweis nach, so wird der Vertrag gerade nicht auf Grundlage unvollständiger Informationen geschlossen. Der Unternehmer hat vielmehr die Informationen nachträglich vervollständigt. Die Verfasser gingen also davon aus, daß der Unternehmer die Informaionen nachreichen kann und dann die Rechtsfolge des Art. 2:207(3) ACQP nicht gilt. Aus dem Wortlaut der Art. 2:202, 2:207(3) ACPQ läßt sich dieses Ergebnis allerdings nicht ableiten. Damit scheinen Art. 2:202, 2:207(3) ACPQ nur in den unter (a) und (b) geschilderten Fallkonstellationen einzugreifen. Ihre praktische Bedeutung wäre mithin gering. Doch kann auch in diesen beiden Fallkonstellation das Zusammenspiel von Art. 2:202(2), 2:207(3) und 6:201 ACQP zu Wertungswidersprüchen führen: Nach Art. 2:202(2) ACQP muß der Verwender nicht schon dann über seine Zahlungs- und Lieferbedingungen in Werbeaussagen informieren, wenn diese 232 233
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 225. Twigg-Flesner, Pre-contractual duties (2008), S. 119.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
vom Dispositivrecht, sondern nur wenn sie von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen, sie also branchenunüblich sind234. Informiert der Verwender nicht über solche branchenunüblichen Bedingungen, kommen nach Art. 2:207(3) ACQP die branchenüblichen Zahlungs- und Lieferbedingungen zur Anwendung, ohne daß es eines Hinweises auf sie bedurfte. Art. 6:201 ACQP verlangt dagegen auch für branchenübliche Bedingungen, daß auf sie hingewiesen wird und daß dem Vertragspartner die Möglichkeit gewährt wird, ihren Inhalt kennenzulernen. In Hinblick auf branchenübliche AGB vereinfachen Art. 2:202(2) und 2:207(3) ACQP also eine Einbeziehung. So werden nicht die Interessen von Verbrauchern, sondern Unternehmerinteressen geschützt. Das bisher Gesagte kann wie folgt zusammengefaßt werden: Ist bereits durch die Einbeziehungsregeln der Art. 6:201 ff. gewährleistet, daß der Vertragspartner zumindest die Möglichkeit hat, sich über den Inhalt der AGB in Kenntnis zu setzen, so bedarf es keiner zusätzlichen vorvertraglichen Informationspflichten mehr, um einer möglichen Informationsasymmetrie zu begegnen. Führt man solche Informationspflichten ein, so besteht die Gefahr, daß es durch das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Regime zu Wertungswidersprüchen kommt. Art. 2:202 basiert auf Art. 7 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken235. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie richtet sich gegen Geschäftspraktiken, die deshalb als irreführend gelten, weil der Unternehmer dem Verbraucher wesentliche Informationen vorenthält, die dieser benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und die somit den Verbraucher zu einer Entscheidung veranlaßt oder veranlassen kann, die er sonst nicht treffen würde. Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie stellt klar, daß im Falle der Aufforderung zum Kauf die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden dann als wesentliche Informationen gelten, wenn diese Bedingungen von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen. Irreführende Geschäftspraktiken i.S.d. Art. 7 sind als unlautere Geschäftspraktiken nach Art. 5 der Richtlinie verboten. Art. 2:202 ACQP faßt das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken durch Vorenthaltung wesentlicher Informationen zum einen positiv und formuliert sie in Informationspflichten um236. Dieser »Paradigmenwechsel zu einem Informationsmodell des lauterkeitsrechtlichen Verbraucherschutzes« ist bereits in der Richtlinie angelegt237. 234
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 225. Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:202 Rn. 1; Twigg-Flesner, Precontractual duties (2008), S. 108 f. 236 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:202 Rn. 1, 7; Twigg-Flesner, Pre-contractual duties (2008), S. 110. 237 Fezer, WRP 2007, 1026. Vgl. auch Howells/Micklitz/Wilhelmsson (2006), S. 148; Riesenhuber (2. Aufl. 2006), Rn. 277c, 277e; Radeideh (2005), S. 271; Schulte-Nölke/Busch, ZEuP 12 (2004), 104 f. Vgl. zudem die Kritik von Armgardt; WRP 2009, 122 ff. 235
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Zum anderen, und das ist der entscheidende Schritt, transponieren die Principles dieses lauterkeitsrechtliche Informationsmodell in das Vertragsrecht. Die Richtlinie stellt ausdrücklich klar, daß ein solcher Schritt nicht erforderlich ist238. Freilich hält die Literatur die Möglichkeit vertragsrechtlicher Implikationen der Richtlinie für wahrscheinlich und denkt dabei vor allem an die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und die Haftung aus culpa in contrahendo239. Doch gehen die Acquis Principles einen Schritt weiter, indem sie diese möglichen Auswirkungen nicht nur vorwegdenken, sondern das Informationsmodell vollständig in das Vertragsrecht übertragen240. Die Verfasser der Principles beklagen, daß es ein stimmiges System der Sanktionen bei Verstößen gegen Informationspflichten im Richtlinienrecht nicht gibt241. Die Sanktion des Art. 2:207(3) ACQP haben die Verfasser nicht der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken242, sondern Art. 2(2)(d) der Richtlinie 1999/44/EG über den Verbrauchsgüterkauf243 entnommen244. Danach wird vermutet, daß Verbrauchsgüter vertragsgemäß sind, wenn sie »eine Qualität und Leistungen aufweisen, die bei Gütern der gleichen Art üblich sind und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn die Beschaffenheit des Gutes und gegebenenfalls die insbesondere in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen des Verkäufers, des Herstellers oder dessen Vertreters über die konkreten Eigenschaften des Gutes in Betracht gezogen werden«. Die öffentlichen Äußerungen des Verkäufers können so den Vertragsinhalt bestimmen. Art. 2:207(3) ACQP verallgemeinert diesen Gedanken245. Freilich genügte eine bloße Verallgemeinerung nicht. Art. 2(2)(d) der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie knüpft an eine positive, dem Verkäufer zurechenbare Äußerung an. Art. 2:202 i.V.m. 2:207(3) ACQP knüpft dagegen an die Verletzung einer Informationspflicht an.
238 Art. 3(2) RiL 2005/29/EG. Zur Diskussion der Umsetzung des Art. 7 in Deutschland vgl. Sosnitza, WRP 2008, 1030 ff.; Fezer, WRP 2007, 1028 ff. 239 Busch (2008), S. 189 ff.; Schuhmacher, FS Koppensteiner (2007), S. 149; Riesenhuber (2. Aufl. 2006), Rn. 277a ff.; Collins, 2005 ERCL 424 ff.; Howells/Micklitz/Wilhelmsson (2006), S. 71 ff. Allgemein Busch (2008), passim.; Whittaker (2007), S. 139 ff. 240 Kritisch Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 544 f.; Jansen/Zimmermann, JZ 2007, 1120. Zurückhaltend kritisch Busch (2008), S. 192; ders., GPR 2008, 159. 241 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:207 Rn. 1. Vgl. auch TwiggFlesner, Information duties (2008), S. 492. 242 Vgl. Art. 11–13 RiL 2005/29/EG. Hierzu Howells/Micklitz/Wilhelmsson (2006), S. 217 ff. 243 Richtlinie 1999/44/EG der Europäischen Parlaments und der Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs. 244 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:207 Rn. 1 f. Vgl. auch Busch, GPR 2008, 159. Vorwegnehmend Wilhelmsson (2004), S. 229 ff. 245 Acquis Group/Twigg-Flesner/Wilhelmsson (2007), Art. 2:207 Rn. 1 f.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Art. 2:202, 2:207 ACQP formulieren Verbote und Sanktionen aus verschiedenen Richtlinien um, verallgemeinern sie und kombinieren sie miteinander. Mit Blick auf die Einbeziehungsproblematik überzeugt das Produkt nicht246: Dort, wo die so geschaffenen Regeln richtige Ergebnisse erzeugen, können diese Ergebnisse bereits mit einer Vertragsauslegung erzielt werden. Im übrigen erzeugen Art. 2:202, 2:207 ACQP, wenn man sie beim Wort nimmt, Resultate, die rechtspolitisch näher begründet werden müßten, die zu Rechtsunsicherheit führen und welche die Verfasser der Principles nicht vorhergesehen haben. Auch bestehen zwischen den Einbeziehungsregeln und Art. 2:202, 2:207 ACQP Wertungswidersprüche und Abgrenzungsschwierigkeiten. Weiter merkt man diesen Artikeln ihre lauterkeitsrechtlichen Wurzeln an; eine Übersetzung in eine vertragsrechtliche Terminologie ist nicht gelungen. Und schließlich fehlt bisher eine wissenschaftliche Fundierung der Anwendung solcher Informationspflichten auf den Inhalt einseitig bestimmter Klauslen247. Die grundlegenden Studien zu dieser Thematik klammern die AGB-Problematik zumindest aus248. 6. Die Geltungsvoraussetzungen im Draft Common Frame of Reference Anders als die PECL behandelt der DCFR die Einbeziehungsproblematik nicht im Kapitel zum Vertragsschluß, anders als die Acquis Principles aber auch nicht in demjenigen zu nicht individuell Vertragsbedingungen, sondern im Kapitel zum Vertragsinhalt. Er folgt so der Systematik der englischen Literatur249. Wie die entsprechenden Vorschriften der PECL und der Acquis Principles ist Art II.-9:103 DCFR nicht auf AGB beschränkt, sondern bezieht sich auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln250. Nach Art. II.-9:103(1) DCFR darf sich der Verwender nur dann auf solche Klauseln berufen, wenn sie dem Vertragspartner bewußt waren oder wenn der Verwender angemessene Schritte unternommen hat, den Vertragspartner auf sie aufmerksam zu machen. Die Formulierung des Art. II.-9:103(1) DCFR lehnt sich ohne inhaltliche Änderungen an Art. 2:104(1) PECL und Art. 6:201(1) ACQP an251, und Art. II.-9:103(3)(b) DCFR entspricht Art. 2:104(2) PECL und Art. 6:201(2) ACQP252. Eine Vorschrift, wie sie die Acquis Principles in Art. 6:201(4) kennen253, fehlt dagegen im DCFR254. Das Problem widerstrei246
Eidenmüller/Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 544 f. Vgl. auch die umfassende Kritik von Faust, in: Akademischer Entwurf (2008), S. 131 ff. Positiv bewertet dagegen Pfeiffer, ZEuP 16 (2008), 696, den Vorstoß der ACQP und der Parallelvorschriften des DCFR. 248 Vgl. nur Fleischer (2001), passim; Grigoleit (1997), passim. 249 Kritisch Pfeiffer (2008), S. 178. 250 Zu diesem Begriff siehe Art. II.-9:103(3)(a), II.-1:110(1) DCFR. 251 Siehe oben das Zitat vor dem Absatz zu Fn. 168. 252 Siehe oben das Zitat zu Fn. 171. 253 Siehe oben den Text nach Fn. 201. 254 Hierzu Pfeiffer (2008), S. 180 f.; ders., ZEuP 16 (2008), 702. 247
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tender AGB ist nicht unmittelbar im Anschluß an Art. II.-9:103 DCFR, sondern im Abschnitt über Angebot und Annahme in Art. II.-4:209 DCFR gelöst. Dieser Artikel übernimmt fast wörtlich Art. 6:204 ACQP und ist auf standard terms beschränkt, wobei der Begriff der standard terms in Art. II.1:109 DCFR definiert ist und im wesentlichen, aber nicht vollständig mit dem deutschen AGB-Begriff übereinstimmt. Im Abschnitt zur Vertragsauslegung ordnet Art. II.-8:104 DCFR weiter einen Vorrang individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen vor nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln an. Schließlich enthält der DCFR in Art. II.-3:102 und II.-3.109 Vorschriften zu vorvertraglichen Informationspflichten, die Art. 2:202, 2:207 ACQP entsprechen255. Diese Vorschriften müssen sich daher dieselbe Kritik gefallen lassen256.
D. Zusammenfassung Ist es möglich, die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären? Mit dieser Frage wollen wir an das deutsche Recht herantreten. Ziel des Rechtsvergleichs war es, die europäischen Vorgaben zu beleuchten und zu betrachten, wie im Rechtsvergleich das Einbeziehungsproblem gelöst wird. Sind außerhalb Deutschlands ähnliche Voraussetzungen normiert? Oder kommt man ohne gesetzliche Regelungen aus? Die Ergebnisse dieses Rechtsvergleichs lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Klauselrichtlinie enthält keine Vorgaben für die Lösung des Einbeziehungsproblems. Als Folge sind die Ansätze in den einzelnen Rechten unterschiedlich: Es gibt Rechte mit gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen, die denen des deutschen Rechts ähnlich sind. Es gibt aber auch Rechte ohne solche Regelungen. Sie überlassen die Frage nach der Einbeziehung der AGB den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts. Schließlich kennt Europa Rechte, die zwar Einbeziehungsvoraussetzungen normieren, dabei aber hinter denen des deutschen Rechts zurückbleiben. 2. Diese Vielfalt setzt sich im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten fort. Sie kommen zum Teil ohne die Normierung von Geltungsvoraussetzungen aus, so daß die Einbeziehungsfrage unter Rückgriff auf die Vertragsschlußregeln beantwortet werden muß, zum Teil halten sie ausdrückliche Regelungen für Sonderprobleme der Einbeziehung bereit, oder sie stellen detaillierte Einbeziehungsregeln zur Verfügung. 3. Die Rechte und Vereinheitlichungsprojekte, die besondere Einbeziehungsvoraussetzungen normieren, definieren den Anwendungsbereich dieser 255
Hierzu Twigg-Flesner, Pre-contractual duties (2008), S. 110 f., 120 f. Siehe oben den Text ab Fn. 217 und vgl. außerdem die Darstellungen bei Faust, in: Akademischer Entwurf (2008), S. 115 ff. und Fages, 2008 ERCL 304 ff. 256
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Geltungsvoraussetzungen unterschiedlich: (a) Sie finden entweder nur auf AGB Anwendung oder aber auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen. (b) Sie gelten nur für Verbraucherverträge, oder ihr persönlicher Anwendungsbereich ist unbeschränkt. 4. Freilich sind auch Gemeinsamkeiten zwischen den Rechten Europas, dem Einheitsrecht und den Vereinheitlichungsprojekten erkennbar: (a) Der Verwender muß den Vertragspartner grundsätzlich auf die AGB oder die nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen vor oder bei Vertragsschluß hinweisen. (b) Er muß ihm die Möglichkeit gewähren, ihren Inhalt vor oder bei Vertragsschluß kennenzulernen. (c) Und der Vertragspartner muß sein Einverständnis mit der Einbeziehung erklären. Diese drei Voraussetzungen gelten in nahezu allen hier betrachteten Rechten und Regelwerken. Sie kommen allerdings in ihnen unterschiedlich deutlich zum Ausdruck. Während das deutsche Recht alle drei in § 305 Abs. 2 BGB benennt, erwähnen die PECL, die Acquis Principles und der DCFR nur, daß der Vertragspartner auf nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen aufmerksam gemacht worden sein muß. 5. Weiter gibt es Rechte, die auf die gesetzliche Normierung dieser Voraussetzungen verzichten und sie aus den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts herleiten. Damit stellt sich die Frage, ob gleiches nicht auch für das deutsche Recht möglich ist. 6. Zugleich wurde deutlich, wo die Probleme bei dem Versuch liegen werden, die allgemein anerkannten Einbeziehungsvoraussetzungen auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zurückzuführen. Da ist zum einen die Kenntnisnahmemöglichkeit: Zwar erkennen alle hier betrachteten Rechte, das Einheitsrecht und die Vereinheitlichungsprojekte im Grundsatz an, daß der Vertragspartner diese Möglichkeit haben muß. Sie geben jedoch divergierende Antworten auf die Frage, was der Verwender unternehmen muß, um dem Vertragspartner diese Möglichkeit zu verschaffen und um so zu gewährleisten, daß die AGB Vertragsinhalt werden. 7. Zum anderen sind da besonders belastende, unbillige und überraschende Klauseln. Die hier betrachteten Rechte, das Einheitsrecht und die Vereinheitlichungsprojekte kennen insofern eine Grenze der Einbeziehung. Bei Ausgestaltung dieser Grenze sind im Detail verwirrende Unterschiede zu erkennen. Zum Teil geht es um die Geltung von AGB, zum Teil aber auch um die Einbeziehung aller nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen. Zum Teil besteht eine entsprechende Grenze der Einbeziehung nur in Verbraucherverträgen, zum Teil aber auch im Unternehmerverkehr. Zum Teil werden nur überraschende Klauseln erfaßt, zum Teil sind aber auch der Einbeziehung besonders belastender oder unbilliger Klauseln Grenzen gesetzt. Zum Teil genügt ein besonderer Hinweis auf die entsprechende Klausel, um sie dennoch zum Vertragsinhalt zu machen, zum Teil ist aber auch eine ausdrückliche Zustimmung oder ein besonders zu erklärendes Einverständnis in die Einbezie-
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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hung notwendig. Zum Teil erfaßt die Grenze von vornherein nur die Fälle, in denen der Vertragspartner der Einbeziehung konkludent zustimmt, zum Teil wird sie auf die Fälle erstreckt, in denen er sein Einverständnis ausdrücklich erklärt. 8. Die vorliegende Studie verzichtet darauf, bereits in der historischen Ebene vergleichend zu arbeiten. Die vergleichende Perspektive tritt erst auf der Ebene des geltenden Rechts hinzu. Freilich konnten wir feststellen, daß im Deutschland des 19. Jh. ausländische Literatur und Rechtsprechung zitiert und beachtet wurde, und das ließ uns vermuten, daß in Europa möglicherweise in Hinblick auf die Einbeziehungsvoraussetzungen ein Gleichklang bestand257. Die Beobachtungen zum englischen und schottischen Recht bestärken diese Vermutung: Wie im Deutschland des 19. Jh. war auch in England und Schottland die Wirkung von Aushängen strittig. Der Schotte Bell verlangte wie Mittermaier eine ausdrückliche Zustimmung, und englische Autoren forderten ebenfalls wie Mittermaier, daß der Vertragspartner die Aushänge wirklich wahrgenommen haben müsse258. In Deutschland führten diese Streitfragen im Gastwirtsrecht zu Rechtsunsicherheit, so daß die Kodifikationen und Kodifikationsentwürfe des 19. Jh. die Wirkung von Aushängen einschränkten, und aus den gleichen Gründen erklärte der Common Carriers Act von 1830 in section 4 Aushänge im Transportrecht für wirkungslos. Freilich blieb die Möglichkeit einer abweichenden besonderen Vereinbarung, und die auf Fahrkarten abgedruckten Haftungsausschlußklauseln wurden als ein auf eine solche besondere Vereinbarung gerichtetes Angebot verstanden259. Zudem finden sich Indizien, daß deutsche, englische und schottische Juristen die Einbeziehungsproblematik auf gleicher Grundlage zu lösen suchten. So verweisen der Engländer Pollock bei Diskussion der rechtlichen Probleme um die Einbeziehung der auf Fahrkarten abgedruckten Haftungsausschlußklauseln und der Schotte Bankton bei Diskussion der Geltung der Aushänge der Gast- und Stallwirte mit Ulpian D. 14,3,11,2 ff. auf denselben Text, der auch die Diskussion in Deutschland maßgeblich prägte260. In dem Fall Marsh v. Horne aus dem Jahre 1826 hängte der Beklagte in seinem Ladenlokal einen damals in England üblichen Aushang aus261:
257
Siehe oben § 6 IX (S. 199 f.). Bell I (5. Aufl. 1826), S. 474; Chitty (2. Aufl. 1834), S. 388; Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 285 f.; Addison/Cave (6. Aufl. 1869), S. 472; oben § 2 II C 1 a (S. 32 f.). 259 Smith/Dowdeswell (7. Aufl. 1865), S. 289; Addison/Cave (6. Aufl. 1869), S. 475; Chitty/ Russel (11. Aufl. 1881), S. 454; Austin v. The Manchester Railway Co (1850) 10 CB 454; Carr v. Lancashire and Yorkshire Railway Co (1852) 7 Ex 707; oben § 2 III (S. 52 ff.). 260 Pollock (6. Aufl. 1894), S. 47 Fn. e.; Bankton (1751), I,380,4; und oben § 2 I (S. 24 f.). 261 Marsh v. Horne (1826) 120 B&C 322. Der genaue Wortlaut ist nicht wiedergegeben. Es liegt aber nahe, daß es sich um einen damals üblichen Aushang handelte, dessen exakter Wortlaut sich etwa in Izett v. Mountain (1803) 4 East 370 findet. Vgl. zu diesen Aushängen auch Adams (1994), S. 238 ff. 258
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
»The proprietors of coaches from this inn will not be accountable for any parcels, &c. of more value than 5l. unless entered as such, and paid for accordingly.«
Der Kläger übergab zwei Pakete mit Seide an den Beklagten, damit dieser sie nach Bath transportiere. Der Kläger wußte von dem Aushang, zahlte aber dennoch nur die normale Vergütung, obwohl der Wert der Pakete deutlich über 5l. lag. Daß die Pakete Seide enthielten, die wertvoller waren als 5l., wußte wiederum der Beklagte. Die Pakete gingen verloren, und der Kläger verlangte Schadensersatz. Der Kläger trug vor, daß sich der Beklagte nicht auf den Inhalt des Aushanges berufen könne, weil er vom Wert des Inhalts der Pakete wußte und dennoch keinen Aufpreis verlangt habe. Dieser Einwand überrascht. Denn einer solchen Auslegung steht der Aushang schlicht nicht offen. Dem Versender steht es frei, das wertvollere Frachtgut auf eigene Gefahr zu versenden oder einen besonderen Vertrag einzugehen und einen Aufpreis zu zahlen. Das ist der klare Inhalt des Aushangs. Wie also kam der Kläger auf seinen Einwand? Das Fallrecht der Zeit half ihm nicht. Es gab zahlreiche Fälle, in denen sich der Verwender auf einen entsprechenden Aushang berufen konnte, obwohl er den Wert des Frachtguts kannte262. Auch der vom Kläger zitierte Fall war nicht einschlägig: In Wilson v. Freeman hatte der Kläger dem Beklagten den Wert des Frachtguts angezeigt und diesen dazu aufgefordert, den Aufpreis zu verlangen. Aufgrund eines Versehens stellt der Beklagte diesen Aufpreis nicht in Rechnung, und er konnte sich deshalb nicht auf seinen Aushang berufen263. Die Vermutung liegt nahe, daß der Kläger Labeo D. 19,2,60,6 im Sinn hatte264: »Locator horrei propositum habuit se aurum argentum margaritam non recipere suo periculo: deinde cum sciret has res inferri, passus est. proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si propositum fuit, remissum videtur.«
»Der Vermieter eines Speichers hat durch Aushang bekanntgegeben, daß er Gold, Silber und Perlen nicht auf seine Gefahr übernehme. Dann hat er, als er erfuhr, daß solche Sachen in die Speicherräume gebracht wurden, dies geduldet. Ich habe gesagt, daß er dir haftet, wie wenn er keinen Aushang gemacht hätte, weil er durch sein Verhalten die Erklärung in dem Aushang ersichtlich zurückgenommen hat.«
Diese Einzelbeobachtungen lassen eine Studie, die das AGB-Recht im 19. Jh. vergleichend erforscht, lohnend erscheinen. Dasselbe gilt für die Entwicklungen im 20. Jh.: Die Kennenmüssenformel, welche die Frage der Einbeziehung in Deutschland seit den 1930er Jahren beherrschte, findet sich ebenfalls in Art. 1341 CC von 1942265. Das Reichsgericht 262 Harris v. Packwood (1810) 3 Taunt 264; Beck v. Evans (1812) 16 East 244; Bodenham v. Bennett (1817) 4 Price 31. 263 Wilson v. Freeman (1814) 3 Camp 527. 264 Zu diesem Text siehe schon oben § 2 I (S. 24). 265 Siehe oben den Text zu Fn. 135.
I. Die Geltungsvoraussetzungen in vergleichender Perspektive
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sprach 1941 davon, daß bei einer Unterwerfung unter AGB nicht von einer Einigung gesprochen werden könne und drängte so die Einwilligung des Vertragspartners als Geltungsvoraussetzung in den Hintergrund266. Der italienische Gesetzgeber verzichtete zeitgleich in Art. 1341 CC ebenso auf die Nennung einer Einbeziehungsabrede als Geltungsvoraussetzung wie der polnischen Gesetzgeber in Art. 71 OR von 1933267. Es ist unwahrscheinlich, daß es sich um bloße Parallelentwicklungen handelt und in Deutschland die Neuerungen in Italien und Polen nicht zur Kenntnis genommen worden sind268. In England und Schottland verlief die Entwicklung anders. Denning LJ führte zur Frage, wann AGB Vertragsbestandteil werden, noch 1948 aus269: »The best way of proving it is by a written document signed by the party to be bound. Another way is by handing him before or at the time of the contract a written notice specifying its terms and making it clear to him that the contract is on those terms. A prominent public notice which is plain for him to see when he makes the contract or an express oral stipulation would, no doubt, have the same effect. But nothing short of one of these three ways will suffice.«
Als sich in Deutschland die anerkannten Einbeziehungsvoraussetzungen auflösten, hielt man in England und Schottland an ihnen fest. Als Folge sind die Kontinuitätslinien, die in Deutschland durch die Fehlentwicklungen im 20. Jh. verdeckt sind270, in England und Schottland klar erkennbar271. Noch heute zitieren Theorie und Praxis das Fallrecht des 19. Jh. Aber auch für England lassen sich Parallelen zur deutschen Entwicklung aufzeigen, allerdings nicht auf dogmatischer, sondern auf der Ebene der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der AGB-Problematik. 1937, also nur zwei Jahre nach Erscheinen von Raisers Arbeit, legte Prausnitz, der 1904 in Hamburg geboren und 1929 in Breslau habilitiert worden und der 1933 nach England ausgewandert war272, die erste (rechtsvergleichende) Studie zu standardisierten Handelsverträgen vor273.
266
Siehe oben § 7 II E (S. 248 ff.). Siehe oben § 12 I (S. 342 f.). 268 Zum polnischen OR: Rukser, RabelsZ 8 (1934), 342 ff., 355. Das polnische OR lag bereits 1933 in deutscher Übersetzung vor. 269 Olley v. Marlborough Court Ltd [1949] 1 KB 532, 549. 270 Siehe hierzu oben § 7 I D (S. 223), § 9 V (S. 322) und § 11 VI (S. 333). 271 Vgl. zum ganzen auch Will (1994), passim. 272 Zu Prausnitz vgl. Wooldridge/Beatson/Zimmermann (2004), S. 772 ff. 273 Prausnitz (1937). Vgl auch die Besprechung von Llewellyn, (1939) 52 HarvardLR 700 f. 267
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre Treten wir nun mit unserer Frage – Ist es möglich, die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu erklären? – an das deutsche Recht heran.
A. Beidseitige ausdrückliche Einbeziehungserklärungen 1. Auslegung a) Erklärungen bei Vertragsschluß Erfolgen die Willenserklärungen, die Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages sind, ausdrücklich, und richten sie sich ausdrücklich auf die Einbeziehung der AGB, bestehen im Rahmen der Auslegung grundsätzlich keine Bedenken, die AGB als Vertragsbestandteil anzusehen, so wenn die AGB oder ein Hinweis auf sie in einer von beiden Parteien unterzeichneten Vertragsurkunde enthalten sind. Dabei sind die Einbeziehungserklärungen keine eigenständigen Willenserklärungen. Sie fallen mit den Vertragserklärungen zusammen274. Als Folge können auch der Vertrag und die Einbeziehungsabrede nicht getrennt werden275. Ohne Bedeutung ist, ob die Einbeziehungserklärungen die AGB vollumfänglich in sich aufnehmen oder nur auf außerhalb der Erklärungen stehende AGB verweisen. Früher wurde zwar zwischen materiell- und kollisionsrechtlichen Verweisungen unterschieden276: Nur bei der materiellrechtlichen Verweisung würden die einzelnen Klauseln zum Vertragsinhalt. Bei der kollisionsrechtlichen Verweisung dagegen würde nur die Geltung der AGB vereinbart, ohne die einzelnen Klauseln selbst zum Vertragsinhalt zu machen. Doch besteht dieser Unterschied nicht. Die Figur der kollisionsrechtlichen Verweisung ist ein Relikt aus der Zeit, als man AGB mit Normen und eine Einbeziehungsabrede mit einer Rechtswahlklausel des internationalen Privatrechts verglich. In beiden Fällen sind die AGB indes Teil des normativen Willens der Parteien277. Der Einwand, es handele sich um eine Fiktion, wenn man behauptete, der Wille nehme auch im Fall der sogenannten kollisionsrechtlichen Ver-
274
A.A. für das geltende AGB-Recht Schroeder (1983), S. 11, 81, 98. So die ganz h.M.: statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 25. A.A. etwa Koch, in: Bülow/Artz (2005), Rn. 43. 276 Schmidt-Salzer (1967), S. 62. Siehe oben § 7 II E (S. 253). 277 A.A. Schmidt, ZIP 1987, 1506, nach dem sich der Wille immer nur auf die Integration der AGB bezieht. Auch der Begiff des globalen Verweises, so etwa Vorschläge (1974), S. 47, erweckt den Eindruck, daß sich der normative Wille des Vertragspartners nur auf die AGB insgesamt und nicht auf jede einzelne Bedingung bezieht. 275
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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weisung den AGB-Inhalt in sich auf, ist freilich richtig278. Aber jeder normative Wille ist, wenn er keine Entsprechung im wirklichen Willen findet, ein fiktiver Wille. Dieser Einwand gibt also nur über den willenstheoretischen Ausgangspunkt des Sprechers Auskunft. Zudem können die Parteien auch bezüglich anderer Punkte auf außerhalb der eigentlichen Vertragsurkunde stehende Dokumente verweisen, so für die Bestimmung des Kaufpreises auf eine Preisliste. Auch dann bestehen keine Zweifel, daß der normative Wille der Parteien den Preis selbst umfaßt: In der Vertragsurkunde steht für den Preis ein Platzhalter. Der normative Wille ergibt sich daher nicht allein aus dieser, sondern er ist erst ermittelbar, wenn die Preisliste hinzugezogen wird. Keinen Unterschied macht es, ob der Käufer den Listenpreis kannte oder nicht. Beachtlich ist nur, ob dem Käufer der Listenpreis als normativer Willensinhalt zurechenbar ist. Verweist die Vertragsurkunde nun auf AGB, so führt das zu keinen dogmatischen Besonderheiten. Zudem hätte die Unterscheidung von materiell- und kollisionsrechtlichen Verweisungen Folgen für die Irrtumsanfechtung, die nicht sachgerecht sind: Bei einer materiellrechtlichen Verweisung sollen die AGB zum Vertragsinhalt werden. Irrte eine Partei über den AGB-Inhalt, steht ihr folglich ein Anfechtungsrecht zu. Ist bei der kollisionsrechtlichen Verweisung dagegen Vertragsinhalt, daß die AGB überhaupt gelten, ohne die einzelnen Klauseln zum Vertragsinhalt zu machen, so ist ein Irrtum über den AGB-Inhalt ein unbeachtlicher Motivirrtum. Eine Anfechtung wäre nicht möglich. Würde man eine kollisionsrechtliche Verweisung schon immer dann annehmen, wenn die Parteien auf außerhalb ihrer Erklärungen stehende AGB Bezug nehmen, so läge es in der Hand des Verwenders, die Irrtumsanfechtung des Vertragspartners auszuschließen. Denn er typisiert die Vertragserklärungen in der Regel durch entsprechende Formulare. b) Erklärungen vor Vertragsschluß Einem Vertragsschluß können Verhandlungen vorausgehen. Dabei weist der Verwender den Vertragspartner ausdrücklich darauf hin, daß er unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren möchte, und der Vertragspartner erklärt sich damit ausdrücklich einverstanden. Nachfolgend kommt es zum Vertragsschluß, wobei die AGB nicht mehr erwähnt werden, etwa weil der Vertrag durch bloßen Handschlag zustande kommt. Auch in diesem Fall steht die Geltung der AGB in der Regel außer Frage. Nur selten wird man freilich davon ausgehen können, daß sich die Parteien vor dem eigentlichen Vertragsschluß vertraglich darauf einigen wollten, den nachfolgend abzuschließenden Vertrag den AGB zu unterstellen. Denn man versteht auch jede andere vorvertragliche Verständigung zu einem Punkt des einzugehenden Vertrages, so zur Qualität 278
Vgl. etwa Pflug, AG 1992, 11 ff.
396
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
der Kaufsache, regelmäßig nicht als eigenständigen Vertrag279. Solche Erklärungen bereiten den eigentlichen Vertragsschluß nur vor. Es handelt sich um keine Willenserklärungen, sondern um bloße Willensmitteilungen280. Diese fließen bei Bestimmung des Vertragsinhalts in die Auslegung ein. Im Rahmen der Auslegung werden nämlich selbstverständlich auch Erklärungen der Parteien vor Vertragsschluß berücksichtigt281. Ohne Bedeutung ist wiederum, ob die ausdrücklichen Erklärungen die AGB vollumfänglich in sich aufnehmen oder ob sie nur auf außerhalb stehende AGB Bezug nehmen. c) Erklärungen vor und bei Vertragsschluß Es kann weiter vorkommen, daß eine Partei ihre ausdrückliche Erklärung zur Einbeziehung vor und die andere bei Vertragsschluß abgibt. AGB oder ein Hinweis auf diese tauchen in einer Urkunde auf, die zwar nur der Vertragspartner unterzeichnet, die aber vom Verwender ausgeht. Der Vertragspartner sendet einen Bestellschein des Verwenders, der die AGB enthält, ausgefüllt und unterschrieben an den Verwender. Das Vertragsangebot geht hier regelmäßig vom Vertragspartner aus, das der Verwender annimmt. Dieser kann seine Annahme auch konkludent erklären, so durch Ausführung der Bestellung. Zu diesem Zeitpunkt erklärt sich der Verwender dann nicht mehr ausdrücklich zur Einbeziehung. Auch in diesem Fall ergeben sich im Rahmen der Auslegung regelmäßig keine Probleme. d) Erklärungen nach Vertragsschluß Es kommt schließlich zu einer nachträglichen Einbeziehung, wenn sich die Parteien auf eine diesbezügliche Vertragsänderung einigen, der Verwender dabei ausdrücklich auf seine AGB hinweist und der Vertragspartner ihrer Geltung ausdrücklich zustimmt. Anders als in den oben unter (b) genannten Fällen stellen die Einbeziehungserklärungen hier Willenserklärungen und anders als in den oben unter (a) genannten Fällen stellen sie eigenständige Willenserklärungen dar. Sie sind auf eine eigenständige Rechtsfolge, nämlich die nachträgliche Einbeziehung der AGB, gerichtet. e) Zwischenergebnis und Grenzen der Einbeziehung Prägend für diese Fallgruppe ist nicht, daß die Parteien ausdrückliche Willenserklärungen abgeben. Der Vertrag selbst kann konkludent geschlossen werden. Wichtig ist nur, daß der Verwender seinen Willen, den Vertrag AGB zu unterstellen, und der Vertragspartner seine Zustimmung hierzu ausdrücklich kundtun. Trotz dieser Gemeinsamkeiten können sich die in dieser Fallgruppe zusammengefaßten Konstellationen in zahlreichen Punkten unterscheiden: 279 280 281
Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 23 Rn. 100 ff. Flume II (3. Aufl. 1979), S. 312, 616 f.; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 24 Rn. 9. Statt aller Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 49.
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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Der Zeitpunkt der ausdrücklichen Erklärungen kann vor, bei oder nach Vertragsschluß liegen. Zudem mag ihr Inhalt verschieden sein: Sie können die AGB Punkt für Punkt in sich aufnehmen oder auf außerhalb der eigentlichen Erklärungen stehende AGB Bezug nehmen. Die Einbeziehungserklärungen können eigenständige Willenserklärungen sein, so wenn die Parteien vor oder mit dem eigentlichen Vertragsschluß einen Normenvertrag schließen oder wenn sie die AGB nachträglich zum Vertragsinhalt machen wollen; die Einbeziehungserklärungen können auch in den Vertragserklärungen aufgehen, etwa wenn sich die Parteien bei Vertragsschluß ausdrücklich zur Einbeziehung erklären; oder es kann sich bei den Einbeziehungserklärungen um bloße Willensmitteilungen handeln, so wenn die Parteien sich im Rahmen von Vertragsverhandlungen ausdrücklich zur Geltung erklären. Schließlich können sich die Einbeziehungserklärungen ihrer Form nach unterscheiden. Sie können schriftlich oder mündlich erfolgen. Ja, man könnte es sogar genügen lassen, daß der Verwender durch einen Fingerzeig auf seine an sich versteckten AGB hinweist und der Vertragspartner durch ein Kopfnicken seine Zustimmung signalisiert. Ob dieser Fall bereits dieser Fallgruppe zuzuordnen ist, hängt vom Verständnis des Begriffes der Ausdrücklichkeit ab. Hierauf wird unten zurückzukommen sein282. An dieser Stelle braucht nicht Stellung bezogen zu werden. Denn die hier gebildeten Fallgruppen und damit auch die ihnen zugrundeliegenden Unterscheidungsmerkmale entscheiden nicht über die Lösung eines Falles. Grundlage ist nur, daß in Fällen, in denen sich beide Parteien ausdrücklich zur Einbeziehung äußern, das Auslegungsergebnis, das ist die Geltung der AGB, sehr viel einfacher zu ermitteln ist, als in den Fällen, in denen sich nur eine oder keine der Parteien hierzu ausdrücklich erklärt. Dies würde freilich rechtfertigen, diesen Fall bereits hier zu erörtern. Denn der Fingerzeig und das Kopfnicken lassen nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar Rückschlüsse auf den auf eine Einbeziehung gerichteten Willen zu. Zugleich offenbart sich, daß die gerade herausgearbeiteten Unterschiede der in dieser Fallgruppe zusammengefaßten Fälle nur von geringer Bedeutung sind. Liegen auf beiden Seiten ausdrückliche Einbeziehungserklärungen vor, kommt man im Rahmen der Auslegung grundsätzlich zu einer Geltung der AGB, unabhängig davon zu welchem Zeitpunkt, mit welchem Inhalt und in welcher Form die Erklärungen auch erfolgen. Freilich sind der Annahme einer Einbeziehung Grenzen gesetzt. Und bei diesen Grenzen können die Unterschiede zwischen den in dieser Fallgruppe zusammengefaßten Fallkonstellationen eine, wenn auch nur beschränkte, Bedeutung erlangen. Diesen Grenzen wollen wir uns nun zuwenden.
282
Siehe unten IV A 3 (S. 442 ff.).
398
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
f) Widerspruch Selbstverständlich ist eine Einbeziehung ausgeschlossen, wenn sich zwar beide Parteien vor Vertragsschluß ausdrücklich zur Geltung der AGB erklären, der Vertragspartner jedoch noch vor oder spätestens bei Vertragsschluß der Einbeziehung widerspricht. Durch seinen Widerspruch will er das Auslegungsergebnis verhindern, daß aufgrund seiner vorvertraglichen Erklärung die AGB als einbezogen gelten. Denn widerspricht er nicht, darf der Verwender den Vertragspartner nach Treu und Glauben regelmäßig so verstehen, daß sein vor Vertragsschluß erklärtes Einverständnis in die Einbeziehung bei Vertragsschluß noch fortwirkt. Von einer Obliegenheit zum Widerspruch sollte dabei nicht gesprochen werden283. Ein Widerspruch ist dem Vertragspartner zwar anzuraten. Aber er ist zur Vermeidung der ihm nachteiligen Rechtsfolge, das ist die Geltung der AGB, nicht zwingend notwendig. Denn grundsätzlich sind Erklärungen im Stadium der Vertragsverhandlungen bei Ermittlung des Vertragsinhalts durch Auslegung nur beachtlich, wenn die erzielte Willensübereinstimmung noch bis zum Vertragsschluß fortwirkt284. Daß sie dies nicht tut, kann sich aber nicht nur aus einem Widerspruch, sondern auch aus sonstigen Begleitumständen ergeben, etwa aus einer Unterbrechung der Verhandlungen285. Von einer Obliegenheit zum Widerspruch könnte also allenfalls gesprochen werden, wenn sich nicht schon aus diesen Begleitumständen ergibt, daß der einmal erklärte Wille zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr fortwirkt. Doch auch in diesen Fällen sollte der Obliegenheitsbegriff vermieden werden: (aa) Durch ihn käme es zu einem verfälschenden Perspektivenwechsel. Der Grund, warum im Rahmen der Auslegung eine Einbeziehung bejaht werden kann, ist die ausdrückliche Einbeziehungserklärung des Vertragspartners, nicht aber der unterlassene Widerspruch. Und Geltungsgrund der AGB ist auch nicht die Obliegenheitsverletzung selbst286. (bb) Ganz allgemein ist der Grund, warum die normative Erklärungsbedeutung einer Willenserklärung dem Erklärenden zugerechnet wird, nicht, daß er es unterlassen hat, rechtzeitig über seinen wirklichen Willen aufzuklären, sondern daß er die diese Erklärungsbedeutung tragenden Erklärungszeichen gesetzt hat. (cc) Würde man von einer Obliegenheit zum Widerspruch sprechen, so stellte sich schließlich die Frage, ob § 276 BGB analog anwendbar ist und die Folgen der Obliegenheitsverletzung nur eintreten, wenn sie verschuldet ist287. Man könnte versuchen, diese Frage durch eine Analogie zu anderen Erklärungsobliegenheiten 283
So aber ein Teil der Literatur in den 1950er Jahren: siehe oben § 7 II E (S. 250). Statt aller Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 49. 285 Siehe sogleich h (S. 403 f.). 286 So aber ein Teil der Literatur in den 1950er Jahren: siehe oben § 7 II E (S. 250). 287 Allgemein MK-BGB/Kramer (5. Aufl. 2007), Einl. zu Bd. II Rn. 52; Staudinger/Olzen (2005) § 241 Rn. 133. Kritisch Wieling, AcP 176 (1976), 347 ff. 284
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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zu beantworten: So regelt § 149 BGB den Fall, daß eine Annahmeerklärung dem Antragenden verspätet zugeht, und er erkennen mußte, daß sie dergestalt abgesandt worden ist, daß sie ihm bei regelmäßiger Beförderung rechtzeitig zugegegangen sein würde. Wegen der rechtzeitigen Absendung vertraut der Annehmende auf einen wirksamen Vertragsschluß. § 149 BGB belastet den Antragenden mit der Obliegenheit, dem Annehmenden anzuzeigen, daß die Annahmeerklärung verspätet zugegangen ist288. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, so gilt die Annahme als nicht verspätet. Der Vertrag kommt zustande oder gilt als zustande gekommen. § 149 BGB verlangt für diese Rechtsfolge ein Verschulden gleich in doppelter Hinsicht289: Der Antragende mußte erkennen, daß die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesandt worden war. Und er hat es unterlassen, seine Anzeige unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, abzusenden. Würde man vertreten, daß den Vertragspartner eine Obliegenheit zum Widerspruch trifft, und würde man für diese Obliegenheitsverletzung analog § 149 BGB ein Verschulden verlangen, so müßte man die Einbeziehung verneinen, wenn der Vertragspartner es nicht zu vertreten hat, der Geltung der AGB nicht nachträglich widersprochen zu haben. Doch wäre dieses Ergebnis offensichtlich unrichtig. Denn aufgrund seiner ausdrücklichen vorvertraglichen Erklärung ist das auf Einbeziehung gerichtete Auslegungsergebnis dem Vertragspartner zurechenbar. Dieser Zurechnungszusammenhang wird nicht dadurch zerstört, daß der Vertragspartner nicht zu vertreten hat, den Schein eines fortwirkenden Willens nicht nachträglich wieder zerstört zu haben. Aus den genannten Gründen ist es ebenfalls nicht richtig, von einer Pflicht zum Widerspruch zu sprechen290. Aber, so könnte man fragen, ist es überhaupt möglich, der Einbeziehung von AGB zu widersprechen? Der Vertragspartner wisse doch, daß der Verwender typischerweise nur unter Einbeziehung seiner AGB abschließen wolle. Deshalb könne er nicht der Einbeziehung widersprechen und sodann die vertragliche Leistung in Anspruch nehmen. Dieses Verhalten wäre widersprüchlich, und protestatio facto contraria non valet. Schon im Ansatz ist diese Argumentation verfehlt: (aa) Der Anwendung der Parömie, protestatio facto contraria non valet, steht die Vertragsnatur der AGB und die Rückführung ihrer Geltung auf eine Einigung der Parteien entgegen. Ist Geltungsgrund der AGB eine Abrede und wird die auf Abschluß des Vertrages gerichtete Willenserklärung des Vertragspartners deshalb als konkludente Zustimmung zur Geltung der AGB gedeutet, weil er sich vorvertraglich mit ihrer Einbeziehung einverstanden erklärt hat, dann muß er ihr auch noch vor Vertragsschluß widersprechen können. Bei Anwendung der Parömie würde man dagegen den Willen des Vertragspartners für unbeachtlich erklären. Beacht288 289 290
A.A. Hilger, AcP 185 (1985), 559 ff., der von einer Rechtspflicht ausgeht. Vgl. statt aller R. Schmidt (1953), S. 121. So aber ein Teil der Literatur in den 1950er Jahren: siehe oben § 7 II E (S. 251).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
lich wäre nur der Hinweis des Verwenders. Man würde dessen erklärten Einbeziehungswillen eine größere Bedeutung zumessen als dem entgegenstehenden Willen des Vertragspartners. (bb) Zudem würde man den Vertragspartner zum Hüter der Interessen des Verwenders machen. Verhandelt der Verwender in Kenntnis des Widerspruchs des Vertragspartners weiter, so darf letzterer davon ausgehen, daß dem Verwender am konkreten Vertragsschluß mehr gelegen ist, als an der Geltung seiner AGB. Möchte der Verwender auf die durch die AGB erzielten Vorteile, daß alle Verträge einem einheitlichen Schema folgen, daß das ius dispositivum zu seinem Vorteil modifiziert wird, daß er sich kostspielige Vertragsverhandlungen erspart etc., nicht verzichten, so muß er eben die Vertragsverhandlungen nach erfolgtem Widerspruch abbrechen. (cc) Der Verwender kann der Beachtlichkeit des Widerspruchs schließlich nicht mit dem Argument entgehen, auf die besonderen Umstände des Einzelfalls komme es nicht an, sobald AGB in Frage stehen291, und der Widerspruch stelle eben einen solchen besonderen Umstand dar, durch den die gerade erwünschte Typisierung des Vertragsschlusses unterlaufen werde. Denn der Vertragspartner gibt durch den Widerspruch gerade zu verstehen, daß er sich der vom Verwender geschaffenen Typisierung nicht aussetzen möchte. Und dieser Wille ist nicht von geringerer Qualität als der Wunsch des Verwenders nach Typisierung. Der Vertrag kommt nach erfolgtem Widerspruch also regelmäßig zustande, und zwar ohne daß die AGB Geltung beanspruchen können. Nur ausnahmsweise wird man einen Dissens annehmen können, so wenn der Vertragspartner erst mit seiner Annahmeerklärung der Einbeziehung widerspricht: § 150 Abs. 2 BGB. Dann kann der Verwender seinerseits den mit der abändernden Annahme verbundenen neuen Antrag durch Erfüllung konkludent annehmen. Ändert sich an diesem Bild etwas, wenn der Verwender von Anfang an, vielleicht sogar in den AGB selbst, ausdrücklich erklärt, er werde nur unter Einbeziehung der AGB kontrahieren und einen Widerspruch nicht akzeptieren? Eine solche Erklärung ist von vornherein unbeachtlich, wenn sie nur in den AGB enthalten ist. Denn AGB sollen den Vertragsinhalt bestimmen. Mit Erklärungen, welche die Durchführung der Vertragsverhandlungen regeln, braucht der Vertragspartner in ihnen nicht zu rechnen. Solche Erklärungen sollen zudem nicht nur Geltung erhalten, wenn der Vertragspartner ihnen zugestimmt hat. Der Verwender bestimmt mit ihnen vielmehr einseitig, wie er sein Verhalten verstanden wissen möchte. Zwar können solche Erklärungen typisiert erfolgen. Sie müssen jedoch gesondert mitgeteilt werden. Ist diese Voraussetzung erfüllt, so hängt die Lösung von den Umständen des Einzelfalls ab. Anders als im Ausgangsfall und auch anders als im Fall kollidierender
291 So in Hinblick auf die Anwendung der Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB etwa Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 71.
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
401
AGB dürfte nunmehr aber regelmäßig ein Dissens vorliegen292: Der Verwender hat durch die Klausel, durch die er den Widerspruch abzuwehren versucht, seinen Willen kundgetan, nur unter Einbeziehung seiner AGB zu kontrahieren. Er hat ebenfalls erklärt, daß er einen Widerspruch nicht akzeptieren werde. Deshalb darf der Vertragspartner nicht davon ausgehen, daß der Verwender den Vertrag auch ohne Einbeziehung der AGB abschließen will, nur weil er nach dem Widerspruch weiterverhandelt und es vielleicht sogar zu einem Austausch der Leistungen kommen läßt. Aber auch umgekehrt darf der Verwender nicht davon ausgehen, daß der Vertragspartner den Willen hat, unter Einbeziehung der AGB zu kontrahieren. Denn der Vertragspartner hat der Einbeziehung gerade widersprochen. Der Abwehrklausel kann nicht die Wirkung zukommen, daß der Verwender den Widerspruch als ungeschehen behandeln darf. Würde man das Gegenteil vertreten, würde man der Erklärung des Verwenders eine höhere Bedeutung beimessen als der des Vertragspartners. Anders als im Grundfall, in dem es an einer Abwehrklausel fehlt, dürfte also in diesem Fall regelmäßig ein Dissens anzunehmen sein. Gegen die Annahme eines Dissenses kann nicht eingewandt werden, daß es volkswirtschaftlich nicht wünschenswert sei, in einer solchen Situation einen Vertragsschluß zu verneinen. Die Regeln über den Vertragsschluß haben nicht zum Ziel Verträge zu generieren, die ein Außenstehender als sinnvoll betrachten würde. Sie sollen erkennen helfen, ob ein gemeinsamer (normativer) Wille der Parteien gegeben ist. Daß ein Dissens vorliegt, haben sich die Parteien selbst zuzuschreiben. Freilich könnte man versuchen, den Vertrag ähnlich wie im Fall der kollidierenden AGB mit dem Argument zu retten, daß die Parteien ihren Willen, sich vertraglich zu binden, trotz der Uneinigkeit über die Einbeziehung der AGB durch den Vollzug des Vertrages zum Ausdruck gebracht haben. Allerdings kann man wegen des eindeutigen Widerspruchs des Vertragspartners ebensowenig die Geltung der AGB annehmen, wie man wegen der Abwehrklausel von der Geltung des dispositiven Rechts ausgehen kann. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu den Fällen der widerstreitenden AGB. Versuchen beide Vertragsparteien in ihren jeweiligen Klauselwerken jeweils zu ihren Gunsten vom dispositiven Recht abzuweichen, so führt das dispositive Recht zu einem gerechten Ausgleich der kollidierenden Interessen der Parteien. Dagegen würde man in den vorliegenden Fällen durch einen Rückgriff auf das dispositive Recht dem Willen des Vertragspartners Geltung verschaffen, und so seinem Widerspruch eine höhere Bedeutung zumessen als der qualifizierten Einbeziehungserklärung des Verwenders. Um dies zu vermeiden, müßte man im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Mittelweg suchen. Und das ist unmöglich. Müßte man doch für jede in den AGB enthaltene Klausel einen Kompromiß zwischen ihr und dem dispositiven Recht finden. 292 A.A. Staudinger/Schlosser (2006), § 305b Rn. 33 ff., dessen Ansicht auf eine Theorie des letzten Wortes hinausläuft.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
g) Vorrang einer Individualabrede Daß Individualabreden Vorrang vor dem AGB-Inhalt genießen, ist eine Selbstverständlichkeit, die kaum Erwähnung verdient. Dieser Vorrang ergibt sich aus dem Parteiwillen, das für ihren Vertrag besonders Vereinbarte solle die nicht in Hinblick auf ihr konkretes Verhältnis formulierte Regel der AGB verdrängen. Lex specialis derogat legi generali, heißt es entsprechend bei der Gesetzesauslegung293. Freilich ist man nicht in der Lage, das Problem des Widerspruchs zwischen Individualabrede und AGB-Inhalt vollständig mit dieser Auslegungsregel zu erfassen. Sie setzt einen Schritt zu spät an: Nur wenn man zu dem Ergebnis kommt, daß beides, die Individualabrede und die AGB, vertraglich in Geltung gesetzt worden ist, kann man mit ihrer Hilfe auftretende Widersprüche auflösen. In dieser Form stellt sich das Problem vor allem dann, wenn die AGB und die Individualabrede in einer Vertragsurkunde erscheinen. Erklären sich die Parteien zur Geltung der AGB und einer möglichen Individualabrede dagegen im Rahmen von Vertragsverhandlungen, erscheint das Problem in anderem Gewand: Sind die AGB überhaupt zum Vertragsinhalt geworden? Ist ihre Einbeziehung nicht insoweit ausgeschlossen, als sie der Individualabrede widersprechen? Starre Antworten auf diese Fragen verbieten sich. Doch wird man wohl zumindest von der Vermutung ausgehen können, daß die Parteien in der Regel die Individualabrede und insoweit gerade nicht die AGB in Geltung setzen wollen. Der Verwender erklärt, unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren zu wollen. Der Vertragspartner signalisiert zunächst ausdrücklich seine Zustimmung. Im weiteren Verlauf der Vertragsverhandlungen legt der Vertragspartner dem Verwender indes Vorschläge für umfangreiche Individualvereinbarungen vor, neben denen kein Platz mehr für die AGB ist. Stimmt der Verwender diesen Vorschlägen ausdrücklich zu, bestehen keine Zweifel, daß nicht die AGB, sondern allein die Individualabreden in Geltung gesetzt worden sind. Man mag hier vage an den Grundsatz lex posterior derogat legi priori denken. Freilich paßt dieser Grundsatz nicht ganz, denn der frühere Vorschlag ist niemals in Geltung gesetzt worden. Nicht anders liegt der Fall, wenn der Verwender den Individualabreden nicht ausdrücklich zustimmt und beim nachfolgenden Vertragsschluß, weder die AGB noch die Individualabreden Erwähnung finden. Der Vertragsinhalt ist durch Auslegung unter Beachtung der Vorverhandlungen zu ermitteln. Die AGB gelten nicht, denn mit seinen Vorschlägen hat der Vertragspartner ihrer Geltung zugleich widersprochen. Verhandelt aber der Verwender in Kenntnis der Vorschläge des Vertragspartners weiter, so darf letzterer in der Regel davon ausgehen, daß der Verwender sich mit den Individualabreden bei Vertragsschluß einverstanden erklärt. Schließlich liegt der Fall identisch, daß die vom Vertragspartner vorgeschlagene Regel nur zum Teil 293
Vgl. auch Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 37.
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von den AGB des Verwenders abweicht. Dann widerspricht der Vertragspartner der Geltung der AGB auch nur zum Teil, und nur insoweit verhindert er ihre Einbeziehung und setzt an ihre Stelle die vorgeschlagene Individualabrede. Dreht man die Reihenfolge der ausdrücklichen Erklärungen um, so liegen die Antworten nicht mehr auf der Hand. Der Vertragspartner schlägt in den Vertragsverhandlungen bestimmte Individualabreden für die Abwicklung des Vertrages vor. Der Verwender erklärt sich damit zunächst einverstanden, verweist den Vertragspartner nachfolgend aber auf seine AGB, die sich mit den Vorschlägen des Vertragspartners nicht in Einklang bringen lassen, und der Vertragspartner erklärt sich mit ihrer Geltung einverstanden. Darf der Vertragspartner den Hinweis auf die AGB durch den Verwender als ein Ja-aberim-Übrigen verstehen – »Ja, die Individualabreden sollen gelten, aber im übrigen möchte ich, daß meine AGB zur Anwendung kommen.« –, genießen die Individualabreden Vorrang. Davon darf der Vertragspartner in der Regel wohl dann ausgehen, wenn die Individualabreden nur einen Ausschnitt der umfangreichen und ansonsten unberührten AGB betreffen. Ebenso liegt regelmäßig der Fall, daß die Individualabrede die Leistungspflichten des Verwenders bestimmen: Der Vertragspartner und der Verwender einigen sich zunächst auf bestimmte zugesicherte Eigenschaften einer Kaufsache. Die in den AGB enthaltenen Haftungsklauseln können eine solche Individualabrede nicht aushebeln. Umgekehrt ist dagegen der Fall zu entscheiden, daß der Vertragspartner einen umfangreichen Katalog von Individualabreden entwirft, der Verwender ihn nachträglich indes auf seine AGB hinweist und der Vertragspartner ihrer Einbeziehung ausdrücklich zustimmt. Ist neben den AGB überhaupt kein Raum mehr für die zunächst ins Auge gefaßten Individualabreden, so gelten regelmäßig allein die AGB, nicht die Individualabreden. h) Bezug zum Vertragsschluß Die ausdrücklichen Einbeziehungserklärungen vor Vertragsschluß und der nachfolgende Vertragsschluß müssen in Beziehung zueinander stehen294. Nur dann kann unter Heranziehung der Vorverhandlungen im Rahmen der Auslegung davon ausgegangen werden, daß die Parteien bei Vertragsschluß auch eine Einbeziehung wollten. Dieser Bezug kann aus beiden Richtungen hergestellt werden. Die Erklärungen vor Vertragsschluß können gerade in Hinblick auf einen bestimmten abzuschließenden Vertrag abgegeben werden. Die Bezugnahme in der Vergangenheit wirkt so in die Gegenwart hinein. Oder bei einem Vertragsschluß können die Parteien auf zunächst in einem anderen Kontext getätigte ausdrückliche Einbeziehungserklärungen Bezug nehmen. Der Bezug zu den vorvertraglichen Erklärungen wird so rückblickend hergestellt. 294
Vgl. allgemein statt aller Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 41 f.
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Der Bezug kann zerstört werden, indem der Vertragspartner der Einbeziehung ausdrücklich oder konkludent durch Vorschlag widerstreitender Individualabreden widerspricht295. Widerspruch einerseits und Bezug zwischen vorvertraglichen Erklärungen und nachfolgendem Vertragsschluß andererseits beschreiben damit keine scharf voneinander zu trennenden Grenzen der Einbeziehung. Sie überschneiden sich. Die zu beantwortende Fragen sind ja auch immer dieselben: Muß der Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgehen, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren will? Und darf der Verwender zum selben Zeitpunkt davon ausgehen, daß der Vertragspartner zustimmt? Es kann daher von vornherein allein darum gehen, die unterschiedlichen allgemeineren und spezielleren sowie sich überschneidenden Aspekte aufzuzeigen, welche die Beantwortung dieser Fragen beeinflussen können, ohne daß dabei eine erschöpfende Aufzählung möglich oder notwendig wäre. Der Bezug kann zudem durch Zeitablauf zweifelhaft werden. Die Parteien erklären sich zunächst ausdrücklich zur Einbeziehung, unterbrechen die Vertragsverhandlungen dann für längere Zeit, nehmen sie wieder auf und schließen sodann einen Vertrag ohne nochmaligen ausdrücklichen Hinweis auf die AGB. Ob die AGB einbezogen sind, hängt von den individuellen Umständen ab, so von dem genauen Inhalt der ursprünglichen Einbeziehungserklärungen, von der Länge der Unterbrechung der Vertragsverhandlung und davon, ob und inwieweit die Parteien nach der Unterbrechung an die bereits erzielten Verhandlungsergebnisse anknüpfen. Diese Umstände können dabei zwei Funktionen erfüllen: Sie können zum einen aufzeigen, daß der ursprüngliche Bezug durch den Zeitablauf noch nicht unterbrochen worden ist. Oder sie können aufzeigen, daß der eigentlich durch Zeitablauf unterbrochene Bezug rückblickend wieder hergestellt worden ist. Der Bezug kann schließlich fehlen, wenn den Verhandlungen mehrere Vertragsschlüsse folgen oder zunächst auf den Abschluß eines bestimmten Vertrages abzielen, dann jedoch ein ganz anderer Vertrag zustande kommt. Auch hier entscheiden die Umstände des Einzelfalls. i) Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes Daß sich der Vertragspartner darauf beruft, der Einbeziehungsakt sei so undeutlich gewesen, daß eine Einbeziehung verhindert werde, kann in der vorliegenden Fallgruppe zum einen auftreten, wenn die ausdrücklichen Erklärungen der Parteien zur Einbeziehung in schriftlichen Urkunden enthalten sind. Beide Parteien unterzeichnen etwa eine Vertragsurkunde, und die AGB oder die Bezugnahmeklausel sind so versteckt oder klein gedruckt, daß der Vertragspartner geltend macht, er habe sie übersehen und sich mit ihrer Geltung folglich nicht einverstanden erklärt. Grundsätzlich ist dieser Einwand im Rah295
Siehe oben f (S. 398 ff.) und g (S. 402 f.).
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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men der Auslegung unbeachtlich. Daß der Vertragspartner AGB oder einen Hinweis auf sie übersieht, verhindert die Einbeziehung ebensowenig, wie die Geltung einer Individualabrede durch ihr Übersehen in einer unterzeichneten Urkunde nicht beeinträchtigt wird. Der Vertragspartner muß sich die Vermutung der Richtigkeit der Urkunde entgegenhalten lassen296. Doch sind der Annahme einer Einbeziehung auch hier Grenzen gesetzt. Die AGB oder die Bezugnahmeklausel einerseits und die unterschriebene Urkunde bzw. die Unterschrift andererseits müssen äußerlich in Beziehung zueinander stehen. Nur dann darf der Verwender davon ausgehen, daß der Vertragspartner mit seiner Unterschrift auch die AGB anerkennen will. Zudem muß der Vertragspartner erkennen können, daß die AGB noch Teil der von ihm unterschriebenen Urkunde und damit seiner Willenserklärung sind. Nur dann ist ihm der auf Einbeziehung der AGB gerichtete Erklärungsinhalt zurechenbar. Daran kann es fehlen, wenn die AGB keinen Teil der unterschriebenen Urkunde bilden, sondern auf einem von der Urkunde getrennten Blatt abgedruckt sind, ohne daß in der Urkunde auf sie verwiesen oder auf andere Weise ein Zusammenhang zwischen beiden Blättern hergestellt wird. Bei § 126 BGB wird etwas Ähnliches unter dem Stichwort der Einheitlichkeit der Urkunde diskutiert297. Der Bezug zwischen Unterschrift und den AGB oder der Verweisungsklausel kann sogar fehlen, wenn sie auf demselben Blatt erscheinen. Ein solcher Fall ist bei Bestellformularen denkbar: Das Formulare ist in mehrere Teile zergliedert. Nur in einem Teil wird die Vertragserklärung abgegeben. Ein anderer optisch getrennter Teil besteht dagegen aus Informationen zu sonstigen Produkten des Verwenders. Erscheinen die AGB oder die Bezugnahmeklausel nicht in dem Teil des Formulars, in dem die rechtsgeschäftliche Erklärung abgegeben wird, kann der Einbeziehungsakt so undeutlich sein, daß er sein Ziel nicht erreicht. Bei § 126 BGB wird ein ähnlicher Gedanke unter dem Stichwort der Deckungsfunktion der Unterschrift diskutiert298. Nach alledem kann der regelmäßig vom Verwender typisierte Einbeziehungsakt so undeutlich gestaltet sein, daß er seine Wirkung verfehlt. Wie aber ist der Fall zu behandeln, daß die unterschriebene Urkunde einerseits und die AGB-Klauseln oder eine Bezugnahmeklausel andererseits eine Einheit bilden und darüber hinaus die Unterschrift äußerlich die AGB-Klauseln oder eine Bezugnahmeklausel deckt, aber die AGB-Klausel oder Bezugnahmeklausel selbst so klein oder undeutlich gestaltet sind, daß der Vertragspartner sie übersehen hat? Nur ausnahmsweise wird man im Rahmen der Auslegung die Einbeziehung verneinen können. Die Klausel muß so versteckt und so undeutlich sein, daß der Verwender die Unterschrift des Vertragspartners nicht so deuten durfte, daß sein Wille sich auch auf die Einbeziehung bezog. In 296 297 298
Statt aller MK-BGB/Einsele (5. Aufl. 2006), § 125 Rn. 39. Vgl. hierzu statt aller Staudinger/Hertel (2004), § 126 Rn. 112 ff. Vgl. hierzu statt aller Staudinger/Hertel (2004), § 126 Rn. 126 ff.
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der Regel wird in einem solchen Fall aber nicht das Ob der Einbeziehung, also der Einbeziehungsakt selbst, undeutlich sein, sondern nur das Was der Einbeziehung299. Ein Beispiel eines solchen Ausnahmefalles hält das Gastwirtsrecht bereit: Bis 1900 beschränkten die Herbergswirte ihre Haftung auf Aushängen. Seit Inkrafttreten des BGB war ihnen dies nicht mehr möglich: § 701 Abs. 3 BGB (1900)300. Es entwickelte sich nun die Praxis heraus, die Gäste Haftungsbeschränkungen unterzeichnen zu lassen. Förderlich hierfür waren insbesondere die Unsicherheiten zur Zeit des Ersten Weltkrieges und der Inflation301. Der sogenannte Hotelrevers, der die entsprechenden Klauseln enthielt, war den polizeilichen Meldeformularen beigefügt, und der Wirt ließ sich beides zusammen unterschreiben302. Nun konnte der Fall auftreten, daß dem Gast nicht bewußt war, eine Willenserklärung abzugeben, sondern er den Hotelrevers ungelesen in der Annahme unterschrieb, seine Unterschrift beziehe sich nur auf das Meldeformular. Ein Rechtsgeschäft stellt das Ausfüllen eines Meldeformulars nicht dar, und so fehlte dem Gast der Erklärungswille. Bei Lösung dieses Problems differenzierte man303. Sei der Haftungsausschluß deutlich sichtbar auf dem Meldeformular abgedruckt, dann sei unbeachtlich, wenn der Gast den Haftungsausschluß ohne Erklärungsbewußtsein unterschreibe. Nur wenn die Haftungsbeschränkung kleingedruckt sei, müsse der Wirt den Gast auf den Haftungsausschluß besonders hinweisen304. Es fehlt an der erforderlichen Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes in der Regel nicht, wenn in der unterschriebenen Vertragsurkunde AGB oder eine Bezugnahmeklausel in fremder Sprache auftauchen, welcher der Vertragspartner nicht mächtig ist. Denn er erkennt, daß seine Unterschrift etwas deckt, auch wenn er es nicht versteht. Nicht das Ob, sonder das Was der Einbeziehung ist undeutlich305. Etwas anderes gilt freilich in dem (fernliegenden) Fall, daß der Vertragspartner aufgrund der Gestaltung der Vertragsurkunde ihm fremde (asiatische) Schriftzeichen als bloße Dekoration abtun durfte. Zudem wurde wiederum im Gastwirtsrecht der Fall diskutiert, daß der Wirt den Hotelrevers einem ausländischen Gast, welcher der deutschen Sprache erkennbar nicht mächtig ist, in einer derartigen Weise übergibt, daß dieser davon ausgehen darf, er trage seinen Namen lediglich in eine Hotelliste ein. Hier sei eine Einbeziehung ausgeschlossen306. 299
Hierzu siehe unten j (S. 407 ff.) und k (S. 418 f.). Siehe oben § 2 III (S. 57). 301 Siehe oben § 9 II (S. 292). 302 Seit Einführung des § 702a Abs. 2 BGB (1966) ist diese Praxis ausgeschlossen. 303 Vgl. OLG Hamburg (4.3.1924), HansGZ (BBl) 1924, 96; Strauß (1938), S. 26 f.; Brunner (1928), S. 17; Jacobi (1928), S. 82 ff.; Haub (1929), S. 59 f. 304 Soergel/Scherling (3. Aufl. 1926), § 701 Anm. 5c; Haßfürther (1929), S. 27; Staudinger/ Engelmann/Kober (9. Aufl. 1929), § 701 Anm. VI 1; Schlemmer (1960), S. 50 ff. 305 Hierzu siehe unten j (S. 407 ff.) und k (S. 418 f.). 306 OLG Hamburg (6.11.1923), HansGZ (BBl) 1924, 1, HansRZ 1924, 224. 300
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Zum anderen kann die Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes im elektronischen Geschäftsverkehr zweifelhaft sein. Im Dialogverkehr klickt der Vertragspartner ein Bestätigungsfeld an, beim Vertragschluß im Einwegverkehr sendet er eine E-mail ab. Er gibt so jeweils eine ausdrückliche Vertragserklärung ab307. Ob sich diese auch auf die Einbeziehung von AGB erstreckt, hängt von der Gestaltung der Seite durch den Verwender ab308. So wie bei einer undeutlich gestalteten Urkunde fraglich sein kann, ob die Unterschrift die AGB oder die Bezugnahmeklausel deckt, kann hier auch von einer Deckungsfunktion des Anklickens gesprochen werden. Steht der Hinweis unmittelbar vor der Schaltfläche zur Abgabe der Vertragserklärung, erklärt sich der Vertragspartner ausdrücklich zur Einbeziehung309. Zudem kann der Vertragspartner den Bestellvorgang oft nur abschließen, wenn er zuvor ein Feld, in dem auf die AGB hingewiesen wird, angekreuzt hat. Dann steht seine ausdrückliche Einbeziehungserklärung unzweifelhaft fest. Im Verlauf des 20. Jh. wurde in Deutschland zuweilen gefordert, daß an die Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer eine Klausel wiegt310. Eine vergleichbare Regel findet sich noch heute mit der red hand rule in England und Schottland311, und sie wird hier zum Teil auch auf die Fälle, in denen der Vertragspartner der Einbeziehung ausdrücklich zustimmt, ausgedehnt312. Im Rahmen der Auslegung kann eine solche Abstufung in der vorliegenden Fallgruppe freilich nicht vorgenommen werden. j) Möglichkeit zur Kenntnisnahme Der Vertragspartner mag sich darauf berufen, daß die AGB keine Geltung beanspruchen können, weil er nicht die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt kennenzulernen: sie sind zu klein gedruckt, in einer ihm fremden Sprache gehalten, oder ihm lagen die in Bezug genommenen AGB nicht vor. Daß der Verwender dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit gewähren muß, war in Deutschland seit dem 19. Jh. anerkannt, und den Rechten, in denen sich die Einbeziehung heute noch allein nach dem allgemeinen Vertragsrechts bestimmt, ist diese Voraussetzung ebenfalls bekannt313. Auch wenn die Kenntnisnahmemöglichkeit damit als Geltungsvoraussetzung allgemeine Anerkennung findet, bleibt ihre dogmatische Herleitung unklar. Der Verweis auf den
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Vgl. z.B. Thot (1999), S. 52 ff.; Glatt (2002), S. 58 ff.; Friske (2005), S. 107 ff. Zu den Einzelheiten z.B. Hoeren (2008), S. 27 ff.; Seiler (2006), S. 402 ff.; Friske (2005), S. 126 ff.; Thot (1999), S. 74; Waldenberger, BB 1996, 2368 f. 309 Zu einem solchen Fall siehe z.B. LG Essen (13.2.2003), NJW-RR 2003, 1207. 310 Siehe oben § 7 II F (S. 256). 311 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 41. 312 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 47. 313 Siehe oben I B 2 (S. 353 ff.) und I C 1 (S. 371 f.), 3 (S. 375). 308
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Grundsatz des guten Glaubens ist sicher zu pauschal314. Die Erklärung Raisers überzeugt ebenfalls nicht315: Weil AGB die Rechte und Pflichten des Vertragspartners bestimmen, müsse er Kenntnis von ihnen erlangen. Andernfalls sei ihm die Vertragserfüllung unmöglich. Auf diese Weise ist nicht erklärbar, warum der Vertragspartner spätestens bei Vertragsschluß die Kenntnisnahmemöglichkeit erhalten haben muß. Zudem ist die Nichteinbeziehung als Rechtsfolge nicht zwingend. Es könnte dem Verwender auch nur verwehrt sein, sich auf eine Pflichtverletzung des Vertragspartners zu berufen, wenn er ihn zuvor nicht über seine durch die AGB begründeten Pflichten aufgeklärt hat. Aus dem Grundsatz der Risikoerklärung schloß Raiser, es komme zwar nicht auf die wirkliche Kenntnisnahme des AGB-Inhaltes an, aber die Möglichkeit dazu müsse bestanden haben. Auch dieser Schluß leuchtet nicht ein. Wenn der Vertragspartner sich ihm unbekannten AGB unterwerfen kann, muß es ihm ebenfalls möglich sein, sich auf AGB einzulassen, die er nicht kennenlernen konnte. Aus dem gleichen Grund ist der bloße Hinweis auf die Grundsätze der Auslegung wenig hilfreich316: Erklären die Parteien ihr Einverständnis in die Einbeziehung der AGB ausdrücklich, und nur diese Fälle betrachten wir in der vorliegenden Fallgruppe, so bestehen an dem Auslegungsergebnis, daß der Wille beider Parteien auf die Einbeziehung der AGB gerichtet ist, prima facie keine Zweifel, solange nur der Einbeziehungsakt selbst deutlich gestaltet ist317. In die ausdrückliche Erklärung des Vertragspartners den Vorbehalt hineinzulesen, er stimme nur zu, soweit er die Möglichkeit zur Kenntnisnahme hatte, ist allenfalls in Ausnahmefällen möglich. aa) Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme und die Bestimmbarkeit des Vertragsinhaltes. Der Kenntnisnahmemöglichkeit kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Die Versuche, sie aus der Rechtsgeschäftslehre herzuleiten, mußten daher mißlingen. Ihr kommt nur indirekte Wirkung zu. Durch sie wird der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bei Vertragsschluß erst bestimmbar. Jede Einigung setzt einen Einigungsinhalt voraus. Ob diesem Erfordernis genügt ist, richtet sich nach dem Grundsatz der normativen Auslegung: Der AGB-Inhalt muß für eine vernünftige Person an Stelle des Vertragspartners nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte bei Vertragsschluß feststehen oder zumindest bestimmbar sein. Das erfordert regelmäßig, daß diese Person die Möglichkeit hat, sich über den AGB-Inhalt in Kenntnis zu setzen. Die Auslegungsregeln spielen bei Ermittlung des AGB-Inhalts als Vertragsinhalt also eine doppelte Rolle. Hier geht es allein um die Frage, ob sich die 314 315 316 317
So ein Teil der Lehre für das UN-Kaufrecht, siehe oben den Text zu Fn. 158. Raiser (1935), S. 172, 175. Siehe hierzu schon oben § 7 II A (S. 229). So ein Teil der Lehre für das UN-Kaufrecht, siehe oben den Text zu Fn. 158. Siehe oben i (S. 404 ff.).
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Parteien auf die Geltung eines Klauseltextes geeinigt haben. Idealerweise bezieht sich der Wille auf einen bestimmten Textkörper. Zumindest muß aber im Wege der Auslegung bestimmbar sein, ob und welcher Klauseltext in Geltung gesetzt werden soll. In einem zweiten Schritt geht es darum, diesem Text eine Aussage abzuringen318. Die Erkenntnis, daß die Kenntnismöglichkeit nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre keine eigenständige Geltungsvoraussetzung, sondern nur beachtlich ist, als regelmäßig erst durch ihre Gewährung der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bestimmbar wird, zeigt den dogmatischen Rahmen für die Beantwortung der Frage auf, welche Maßnahmen der Verwender ergreifen muß, um dem Vertragspartner diese Möglichkeit zu verschaffen und um so zu gewährleisten, daß die AGB Vertragsinhalt werden. Die Parteien unterzeichnen eine Vertragsurkunde, die alle AGB enthält; der Vertragspartner verwendet für seine Vertragserklärung ein Bestellformular des Verwenders, in dem die AGB vollständig abgedruckt sind; oder der Verwender gestaltet die Seite, mit welcher der Bestellvorgang im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossen wird, derart, daß die AGB vollumfänglich erscheinen. Sind die AGB so klein und undeutlich gedruckt, daß von einer verständigen Person aus Sicht des Vertragspartners nach Treu und Glauben nicht mehr verlangt werden kann, ihren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen, dann ist der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt nach dem Grundsatz der normativen Auslegung nicht bestimmbar, und die Einbeziehung scheitert. Hier sind an die Deutlichkeit höhere Anforderungen zu stellen als an die Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes319: Unterschreibt der Vertragspartner ein Bestellformular, das zu klein gedruckte Klauseln enthält, so weiß er zwar, daß seine Unterschrift etwas deckt, aber für ihn ist nicht bestimmbar, was der Inhalt dieser Klauseln ist. Den Vertragspartner trifft in einem solchen Fall keine Obliegenheit, sich nach dem Inhalt der unlesbaren AGB zu erkundigen. Nur wenn für den Vertragspartner erkennbar ist, daß die AGB deutlich lesbar waren, als der Verwender sie abgesandt hat, und sie ihn aus einem Grund im unlesbaren Zustand erreichen, den der Verwender nicht zu verantworten hat, trifft den Vertragspartner eine solche Obliegenheit. Die im BGB angelegte Risikoverteilung320, wie sie uns etwa in § 149 BGB deutlich entgegentritt, wird so konsequent zu Ende gedacht: So wie jede Partei das Verspätungsrisiko trägt, trägt sie auch die Verantwortung für die äußere Gestaltung ihrer Erklärung. Bei dem Sprachenproblem können verschiedene Fallgestaltungen unterschieden werden321: (i) Die Vertragsurkunde, welche die AGB vollumfänglich 318
Siehe unten k (S. 418 f.) und die Abschnitte zur Auslegung: §§ 3, 8 und 14. Siehe oben i (S. 404 ff.). 320 Hierzu Faust (2. Aufl. 2007), § 2 Rn. 15 ff.; Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 608 f., 619. 321 Zum folgenden vgl. Kling (2008), S. 506 ff.; Dreißigacker (2002), S. 90 ff.; Spellenberg, FS Ferid (1988), S. 466 f. 319
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enthält, ist in der Verhandlungssprache gehalten. Der Vertragspartner kann sich nicht darauf berufen, für ihn sei der Inhalt der AGB unbestimmbar, weil er dieser Sprache nicht mächtig sei. Denn auf diese Sprache hat er sich in den Verhandlungen eingelassen. Bei Beantwortung der Frage, ob der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bestimmbar ist, wird daher auf eine Person mit entsprechenden Sprachkenntnissen abgestellt322. (ii) Die Sprache der Vertragsurkunde, welche die AGB vollständig in sich aufnimmt, ist nicht die Verhandlungssprache, sondern eine andere Sprache, wobei die Urkunde einsprachig gehalten ist. Der AGB-Inhalt ist bestimmbar, selbst wenn der Vertragspartner diese Sprache nicht beherrscht. Allzu formalistisch wäre freilich das Argument, der Vertragspartner habe sich durch seine Unterschrift dieser Sprache als Vertragssprache unterworfen. Entscheidend ist vielmehr, daß die Sprache der Urkunde einheitlich ist. Die Frage nach der Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts kann daher ebenfalls nur einheitlich beantwortet werden. Kommt man zu dem Ergebnis, daß die Angaben zu den essentialia negotii bestimmbar sind, ist auch der AGB-Inhalt bestimmbar323. Etwas anderes kann freilich gelten, wenn der Verwender den Eindruck erweckt, daß die Urkunde den Inhalt der Vertragsverhandlungen wiedergibt, im Rahmen der Verhandlungen die AGB aber niemals zur Sprache gekommen sind. Weiß der Verwender, daß der Vertragspartner die Vertragssprache nicht kennt, so ist ihm auch bewußt, daß sich dessen Wille nicht auf die AGB richtet. Die AGB sind nicht mangels Bestimmbarkeit ihres Inhaltes nicht Vertragsbestandteil geworden, sondern nach der Figur des erkannten Irrtums324. (iii) Schließlich ist denkbar, daß eine Urkunde zweisprachig gehalten ist. Die Angaben zu den essentialia negotii erscheinen in einer dem Vertragspartner bekannten Sprache, die AGB in einer ihm unbekannten Sprache. Auch hier wäre das Argument, der Vertragspartner habe sich durch seine Unterschrift beiden Sprachen als Vertragssprache unterworfen, zu formalistisch. Vielmehr muß differenziert werden: (D) Weiß der Verwender, daß die Vertragspartner typischerweise der Sprache der AGB nicht mächtig sind, so ist der AGB-Inhalt nicht bestimmbar. Denn für die Frage, ob der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bestimmbar ist, kommt es nach dem Grundsatz der normativen Auslegung auf den typischen Erklärungsempfänger an. Der Vertragspartner trägt das Sprachenrisiko nicht, ihn trifft keine Obliegenheit, sich nach dem Inhalt der AGB zu erkundigen, und er unterwirft sich durch seine Unterschrift nicht den ihm unverständlichen AGB. So wie es Sache des Verwenders ist, den Vertragspartner mit einer deutlich lesbaren Ausfertigung der AGB zu versor322
Vgl. Spellenberg, FS Ferid (1988), S. 485. Vgl. Kling (2008), S. 526; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 66. 324 Vgl. Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 942; MK-BGB/Kramer (5. Aufl. 2006), § 119 Rn. 62; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 33, § 36 Rn. 29; Danz, JhJb 46 (1904), 423 ff. 323
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gen325, so ist es an ihm, die AGB in einer Sprache zu halten, die sein typischer Vertragspartner versteht. Die Tatsache, daß die Angaben zu den essentialia negotii in einer von den AGB abweichenden Sprache erscheinen, ist dabei sogar ein Indiz dafür, daß der Verwender davon ausgeht, daß der Verkehrskreis, an den er sich mit einem Angebot richtet, die Sprache, in denen die AGB gehalten sind, nicht versteht326. (E) Richtet sich der Verwender mit seinem Angebot an Vertragspartner, welche die Sprache der AGB typischerweise beherrschen, so ist der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bestimmbar. Doch kann die Einbeziehung wiederum an der Figur des erkannten Irrtums scheitern, wenn dem Vertragspartner entsprechende Sprachkenntnisse fehlen und der Verwender dies weiß327. Weiterhin ist nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre auf eine erkennbare Behinderung oder einen dem Verwender bekannten Analphabetismus des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen ist328. Zwar verhindern Behinderungen und Analphabetismus nicht, daß der AGB-Inhalt nach dem Grundsatz der normativen Auslegung bestimmbar ist. Aber ist dem Verwender etwa die Behinderung, welche die Kenntnisnahme einschränkt, erkennbar oder weiß er von ihr, so ist ihm auch bekannt, daß sich der Wille des Vertragspartners nicht auf den AGB-Inhalt erstreckt. Die AGB werden nach der Figur des erkannten Irrtums nicht Vertragsinhalt329. Unter dem Stichwort der Kenntnisnahmemöglichkeit wird in der modernen Literatur die Frage erörtert, ob der Verwender dafür Sorge zu tragen hat, daß der Vertragspartner sich die Zeit nimmt, den AGB-Inhalt zu studieren330. Darauf kommt es indes nicht an. Die Kenntnisnahmemöglichkeit ist keine eigenständige Einbeziehungsvoraussetzung. Durch ihre Gewährung wird der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem Grundsatz der normativen Auslegung regelmäßig erst bestimmbar. Der AGBInhalt wird aber nicht unbestimmbar, wenn der Verwender nicht dafür Sorge trägt, daß der Vertragspartner die Zeit hat, die AGB zu lesen. Möchte der Vertragspartner die AGB studieren, so muß er sich selbst die dafür notwendige Zeit nehmen. Schließlich wird die Bestimmbarkeit des AGB-Inhalts bei umfangreichen Klauselwerken nicht durch eine fehlende Gliederungsübersicht, einen unklaren Aufbau oder eine mißverständliche Fassung des Inhalts ausgeschlos325
Siehe oben den Absatz zu Fn. 319. Vgl. auch Kling (2008), S. 534. 327 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 324. 328 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BTDrucks 14/6040 S. 150 (der Gesetzgeber ging von einer bloßen Klarstellung des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB aus). Vgl. außerdem Lorenz, in: Karlsruher Forum (2006), S. 19. 329 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 324. 330 Für die Acquis Principles siehe oben den Text zu Fn. 210, für das geltende deutsche Recht siehe unten den Text zu Fn. 569. 326
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sen331. Auch hier wirkt sich aus, daß die Kenntnisnahmemöglichkeit keine eigenständige Voraussetzung ist. Denn eine konkrete Möglichkeit der Kenntnisnahme kann durch einen unklaren Aufbau und fehlende Gliederungsübersichten durchaus beeinträchtigt werden. bb) Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme als Zugangsproblem. Nimmt zumindest der Verwender die AGB vollständig in seine Einbeziehungserklärung auf, so liegt dem Vertragspartner ein bestimmter Textkörper vor. Hier kann die Möglichkeit der Kenntnisnahme, wie wir gerade sehen konnten, daran scheitern, daß der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt nach dem Grundsatz der normativen Auslegung nicht bestimmbar ist. Nehmen die Parteien auf außerhalb der Einbeziehungserklärungen stehende AGB Bezug, so stellt sich zusätzlich ein Zugangsproblem, zusätzlich deshalb, weil selbstverständlich der Inhalt der in Bezug genommenen AGB, ebenso wie der Inhalt der Bezugnahmeklausel, bestimmbar sein muß: Durch die Einbeziehung der AGB wird der AGB-Inhalt zum Vertragsinhalt. Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Der Vertragsinhalt und der Inhalt von Angebot und Annahme entsprechen sich. Nur was Inhalt der Vertragserklärungen ist, kann zum Inhalt des Vertrages werden. Angebot und Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen. Damit sie wirksam werden, müssen sie abgegeben werden und zugegangen sein. Sind die Vertragserklärungen und ist damit auch der geschlossene Vertrag unvollständig, so ist es möglich, im Rahmen der Auslegung auf Mitteilungen, die den Vertragsschluß begleitet haben oder ihm vorausgegangen sind, zurückzugreifen. Voraussetzung für ihre Berücksichtigung ist, daß auch sie zugegangen sind. Das gilt auch für AGB, welche die Parteien nicht vollständig in ihre Erklärungen aufnehmen. Sie können für die Bestimmung des Vertragsinhalts nur herangezogen werden, wenn sie dem Vertragspartner zugegangen sind. Die Frage, ob ein Zugang der AGB erforderlich ist, um ihn in der Auslegung heranzuziehen, kann unter dem Stichwort der Kenntnisnahmemöglichkeit diskutiert werden. Denn eine Erklärung geht zu, »sobald sie in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Adressaten gelangt und ihm in dieser Weise die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft ist«332. Larenz und Wolf sprechen plastisch von einer Informationsfunktion des Zugangs333: »Sofern die Rechtsfolgen der Willenserklärung bei einer anderen Person eintreten, muß diese Person darüber informiert werden. Diese Informationsfunktion der Erklärung nennt das Gesetz Zugang und läßt damit die empfangsbedürftige Erklärung wirksam werden.«
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Zum geltenden deutschen Recht siehe unten den Text zu und nach Fn. 56. BGH (11.5.1979), NJW 1979, 2032, 2033. Betonung hinzugefügt. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 26 Rn. 1.
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Aber ist ein Zugang der AGB im Falle ihrer bloßen Inbezugnahme wirklich erforderlich? Man könnte geneigt sein, diese Frage zu verneinen: Denn der Zugang erfüllt vorliegend doch allein den Zweck, daß der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt für den Vertragspartner bestimmbar wird. Ein Vertragsinhalt soll ihm nur dann als normativer Wille zugerechnet werden, wenn er die Möglichkeit hatte, diesen Inhalt auch kennenzulernen. Ist aber die Bezugnahmeklausel bestimmt und steht fest, welcher von mehreren möglichen Klauseltexten Geltung erlangen soll, so ist dem Erfordernis, daß die Einigung einen durch Auslegung ermittelbaren Inhalt haben muß, genügt. Das in Bezug genommene Klauselwerk soll eben gelten. Auf einen Zugang des AGB-Textes kommt es dann nicht mehr an. Eine solche Argumentation basiert auf der Unterscheidung zwischen materiell- und kollisionsrechtlicher Verweisung und geht davon aus, daß bei einer Bezugnahmeklausel eine kollisionsrechtliche Verweisung vorliegt, bei der nicht der AGB-Inhalt zum Vertragsinhalt, sondern nur ihre Geltung vereinbart wird. Doch wurde bereits festgestellt, daß diese Unterscheidung nicht mit der Vertragstheorie in Einklang zu bringen ist334. Auch bei Bezugnahmeklauseln sind die AGB vollumfänglich Teil des normativen Parteiwillens. Der AGB-Inhalt muß daher als Vertragsinhalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach dem Grundsatz der normativen Auslegung bestimmbar sein, und dafür ist ein Zugang des AGB-Textes erforderlich. Die sich daraus ergebenden Folgen sollen anhand von Beispielen entwickelt werden: (i) Ein Käufer erhält ein Schreiben mit dem Inhalt: »Wir freuen uns, Ihnen das Produkt X zum Kauf anbieten zu können.« Es folgt eine Beschreibung des Produkts. Über den Kaufpreis finden sich keine Angaben. Der Käufer teilt durch Ausfüllen eines Bestellscheins sein Einverständnis mit. In der Regel wird man in einem solchen Fall einen Vertragsschluß verneinen. Mangels Angaben zum Kaufpreis liegt kein annahmefähiges Angebot vor335. Der Bestellschein stellt allenfalls eine Interessensbekundung dar. Freilich kennt das Recht Mechanismen, eine unbestimmte Kaufpreisabrede zu konkretisieren. So könnte der Kaufpreis nach § 316 BGB vom Verkäufer nach billigem Ermessen bestimmt oder durch Auslegung nach § 157 BGB ermittelt werden. Im Fall eines Werkvertrages ist nach § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung geschuldet. Durch diese Mechanismen soll vermieden werden, daß ein von den Parteien gewollter Vertrag wegen Dissens als nicht geschlossen gilt. Als Voraussetzung ihres Eingreifens muß feststehen, daß die Parteien sich vertraglich binden wollten, obwohl der Preis unbestimmt geblieben ist336. Das Angebot enthält zudem keine Angaben zur Geltung von AGB. Daher gelten auch keine AGB, außer freilich, bestimmte AGB sind zu einem Han334
Siehe oben a (S. 394 f.). Vgl. Medicus (9. Aufl. 2006), Rn. 359. 336 Zu den Einzelheiten vgl. aus der umfangreichen Literatur Witz (1989), S. 165 ff.; Larenz/ Wolf (9. Aufl. 2004), § 29 Rn. 17 ff. 335
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
delsbrauch oder zu einem Geschäftsgebrauch zwischen den beiden Parteien erstarkt337. Das Recht kennt keine Mechanismen, daß eine Partei bei Fehlen einer AGB-Abrede nach billigem Ermessen AGB auswählen darf, daß eine Einigung auf bestimmte AGB im Wege der Auslegung ermittelt wird oder daß übliche AGB gelten sollen. Für solche Mechanismen besteht auch kein Bedarf. Es droht nicht das Ergebnis, daß der Vertrag wegen Dissenses als nicht geschlossen gilt. Der Vertrag ist gültig, und auf ihn findet das Dispositivrecht Anwendung. Dieses einfache Beispiel offenbart zweierlei: Prima facie könnte man glauben, daß an die Bestimmtheit einer Einbeziehungsabrede von AGB geringere Anforderungen zu stellen sind als an die Bestimmtheit einer Preisabrede338. Denn AGB betreffen nur Nebenpunkte. Das Gegenteil ist indes richtig: Das Recht kennt Mechanismen, um unbestimmte Preisabreden zu konkretisieren und um so einen von den Parteien gewollten Vertrag zu retten. Bei unbestimmten AGB-Abreden bedarf es solcher Instrumente nicht. Zudem genügt bei einer unbestimmten Kaufpreisabrede nicht allein die Möglichkeit, den Preis zu konkretisieren. Die entsprechenden Mechanismen greifen nur ein, wenn sicher ist, daß sich beide Parteien trotz der unbestimmten Preisabrede vertraglich binden wollten. (ii) Erhält ein Vertragspartner ein Schreiben mit dem Inhalt: »Wir bieten Ihnen das Produkt X an. Den Kaufpreis teilen wir Ihnen gern auf Nachfrage mit«, dann ist das vermeintliche Angebot noch nicht annahmefähig. Der Kaufpreis ist unbestimmt, nicht über § 316 BGB bestimmbar und nicht über § 157 BGB ermittelbar. Hat das Schreiben nun zum Inhalt: »Wir bieten Ihnen das Produkt X zum Preis von 12 an. Unsere AGB teilen wir ihnen gerne auf Nachfrage mit«, so liegt zwar ein annahmefähiges Angebot vor. Die Erklärung des Verwenders zu seinen AGB ist indes unvollständig. Nimmt der Vertragspartner das Angebot an, indem er einen entsprechenden Bestellschein ausfüllt, werden die AGB nicht Vertragsbestandteil339. Denn der normative Wille des Vertragspartners müßte den AGB-Inhalt umfassen, damit dieser zum Vertragsinhalt wird. Das ist vorliegend ausgeschlossen, weil ihm die AGB nicht zugegangen sind. Zudem wurde gerade festgestellt, daß das Recht bei einer unbestimmten Kaufpreisabrede eher bereit ist, Mechanismen zu ihrer Konkretisierung bereitzustellen, als in Hinblick auf eine unbestimmte AGB-Abrede. Bejaht man in diesen Fällen die Bestimmbarkeit des AGB-Inhalts, aber nicht die Bestimmtheit des Kaufpreises, würde man dieses Verhältnis umdrehen. Schließlich müßte eine Auslegung ergeben, daß die Parteien sich unbedingt auf 337
Siehe hierzu unten D 1 (S. 432 ff.) und E (S. 436 f.). So für das österreichische Recht Leitner (2005), S. 8; ders., (2008), S. 9. 339 Anders die h.M. für den Unternehmerverkehr: Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 54; v. Westphalen, NJW 2002, 1689 f.; OLG Naumburg (19.6.2003), NJOZ 2004, 14. Wie hier etwa MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 95. 338
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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die Einbeziehung der AGB einigen wollten, obwohl ihr Inhalt für den Vertragspartner nicht bestimmbar war. Auf dem Bestellschein bringt der Vertragspartner einen solchen Willen nicht zum Ausdruck. (iii) So wie der Verkäufer den Kaufpreis nicht zwingend in seinem Angebot nennen muß, müssen auch die AGB nicht zusammen mit diesem zugehen. Es reicht aus, wenn sich der Kaufpreis oder der Inhalt der AGB aus den Vertragsverhandlungen ergibt. Denn im Rahmen der Auslegung werden selbstverständlich auch Erklärungen der Parteien, die vor Vertragsschluß abgegeben wurden, berücksichtigt340. Voraussetzung ist aber auch hier ihr Zugang oder, wie es die Lehre ausdrückt, die Erkennbarkeit für den Erklärungsempfänger341. (iv) Aber kann der Verwender den Zugang dadurch ersetzen, daß er die AGB in einer Zeitung oder im Internet veröffentlicht und dem Vertragspartner die Fundstelle angibt? Bei einem Vertragsschluß unter Anwesenden scheidet diese Möglichkeit aus. Der AGB-Inhalt wäre für eine Person an Stelle des Vertragspartners nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte bei Vertragsschluß nicht bestimmbar, wenn er zunächst das Ladenlokal verlassen müßte, um die AGB an der angegebenen Fundstelle nachzuschlagen. Bei einem Vertragsschluß unter Abwesenden liegt die Antwort dagegen nicht auf der Hand und in der Tat wurden und werden unterschiedliche Antworten gegeben. Während in Deutschland seit dem 19. Jh. die Veröffentlichung zur Gewährung der Kenntnisnahmemöglichkeit ausreichte342, tut sie dies in einem Spezialfall noch heute aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung in Art. 6:234(1)(b) BW in den Niederlanden. Für das UN-Kaufrecht wird die Veröffentlichung dagegen nicht als hinreichend angesehen343. Hat der Verwender seine AGB veröffentlicht, dann besteht keine Manipulationsgefahr. Bietet der Verwender dem Vertragspartner nur an, die AGB auf Verlangen zuzusenden, dann fehlt es nicht nur am Zugang des AGB-Inhalts beim Vertragspartner, sondern auch an der Abgabe. Er hat sich der AGB noch nicht entäußert, und es ist daher auch nicht gewährleistet, daß die AGB bereits fertiggestellt sind oder nicht nachträglich verändert werden. Läßt man eine Veröffentlichung genügen, so verzichtet man zwar auf ihren Zugang, die Abgabe eines vollendeten AGB-Textes wäre indes gewährleistet. Freilich müßte der Verwender die AGB so veröffentlichen, daß sie für eine Person an Stelle eines typischen Vertragspartners nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte feststehen oder zumindest bestimmbar sind. Daran dürfte es regelmäßig fehlen, und zwar auch dann, wenn der Verwender seine 340
Siehe oben den Text zu und den Nachweis in Fn. 281. Vgl. Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 49; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 310, 312 mit Fn. 45; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 41 f.; Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 549. 342 Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 29 ff.), § 2 IV D 6 (S. 80 ff.) und § 7 II C 3 (S. 240 ff.). 343 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 154 und Fn. 155. 341
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
AGB im Internet einstellt und den Vertragspartner auf die entsprechende Seite verweist. Wird der Vertrag nicht im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen, dann kann der Verwender nicht unterstellen, daß der typische Vertragspartner auf AGB, die er über dieses Medium bereitstellt, zugreifen kann. Doch selbst wenn man es genügen lassen wollte, daß der Verwender seine AGB im Internet einstellt, so dürfte sich der Verwender nicht darauf beschränken, nur die jeweils aktuellen AGB zur Verfügung zu stellen. Denn kommt es nur auf die Abgabe, nicht aber auf den Zugang der AGB an, so kann man dem Vertragspartner auch nicht die Obliegenheit auferlegen, sich die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gültigen AGB herunterzuladen oder auszudrucken. Er darf sich darauf verlassen, daß die auf sein Vertragsverhältnis anwendbaren AGB auch dann noch zur Verfügung stehen, wenn er sie benötigt, weil etwa bei Durchführung des Vertrages eine Störung auftritt. So wie jede Partei grundsätzlich das Verspätungsrisiko und die Verantwortung für die äußere Gestaltung ihrer Erklärungen trägt, so würde der Verwender zudem die besonderen Risiken tragen, die sich aus einer Veröffentlichung im Internet ergeben: Sind die AGB zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wegen einer technischen Störung gerade nicht verfügbar, so würden sie nicht Vertragsinhalt werden, außer freilich, diese Störung fällt in die Sphäre des Vertragspartners. Den Vertragspartner träfe nicht die Obliegenheit, vom Vertragsschluß Abstand zu nehmen, bis die AGB wieder verfügbar sind. Eine Veröffentlichung im Internet ist auch unter einem anderen Aspekt weniger zuverlässig, als die im 19. Jh. diskutierte Veröffentlichung in einer Zeitung: Werden die AGB in einer Zeitung veröffentlicht, steht der Zeitpunkt der Veröffentlichung fest. Für nach diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge gelten die AGB. Der Verwender kann nun sicher Anhand entsprechender Protokolle dokumentieren, daß er zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas im Internet eingestellt hat. Daß er aber gerade die AGB, auf die er sich berufen möchte, zu diesem Zeitpunkt eingestellt hat, steht nicht fest. Schließlich, und das scheint mir aus dem Blickwinkel der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre das treffendste Argument gegen die Möglichkeit zu sein, AGB wirksam zu veröffentlichen, um sie so bei Vertragsschluß bestimmbar zu machen, trägt jede Partei die Verantwortung dafür, daß ihre Erklärung der jeweils andere Partei vollständig zugeht. Läßt man eine bloße Veröffentlichung der AGB genügen, so würde man den Verwender eines Teils dieser Verantwortung entheben und diese Verantwortung auf den Vertragspartner verlagern. Er müßte nun dafür Sorge tragen, daß ihm die Erklärung des Verwenders vollständig vorliegt. Eine solche Verlagerung der Verantwortung ist zum einen systemwidrig. Zum anderen wirft sie Bedenken auf, weil diese Verlagerung der Verantwortung für die Vollständigkeit der Erklärung in der Regel solche Vertragsteile betreffen, die den Vertragspartner belasten. Außerhalb des Unternehmerverkehrs ist sie zudem abzulehnen, weil sie den Unternehmer bevorzugt und den Verbraucher belastet, dies aber mit dem Grundanliegen, Ver-
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braucher zu schützen, nicht in Einklang zu bringen wäre. Schließlich reicht die bloße Abgabe nur bei Erklärungen an die Öffentlichkeit aus344. Im Fall der AGB genügt aber gerade keine Erklärung an die Öffentlichkeit. Will der Verwender die Einbeziehung der AGB in ein konkretes Vertragsverhältnis bewirken, muß er ihren Zugang an den konkreten Vertragspartner gewährleisten. (v) Handelt es sich freilich um einen Klauselkatalog, der Verträgen in einer bestimmten Branche üblicherweise zugrundegelegt wird, so braucht der Verwender diese branchenüblichen AGB dem Vertragspartner dann nicht zu übersenden, wenn auch dieser der entsprechenden Branche angehört. Denn für einen Branchenangehörigen ist der Klauselinhalt auch ohne Zugang nach dem Grundsatz der normativen Auslegung bestimmbar. (vi) Hat der Verwender dem Vertragspartner die AGB bereits bei dem Abschluß früherer Verträge übersandt, so braucht er die AGB dem Verwender in der Regel nicht ein weiteres Mal zugehen zu lassen. In einer solchen Situation trifft den Vertragspartner die Obliegenheit, die AGB vom Verwender anzufordern, sollte er sie nicht mehr vorliegen haben. cc) Verzicht auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme. Spricht man von der Kenntnisnahmemöglichkeit als Geltungsvoraussetzung, so scheinen keine Gründe entgegenzustehen, sie zur Disposition der Parteien zu stellen. Warum sollte der Vertragspartner nicht ebenso auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verzichten können, wie er auch auf die wirkliche Kenntnisnahme verzichten kann? Und verzichtet er nicht konkludent auf diese Möglichkeit, wenn er der Einbeziehung ausdrücklich zustimmt, ohne den Wunsch geäußert zu haben, die AGB einzusehen? Doch ist die Kenntnisnahmemöglichkeit eben keine eigenständige Geltungsvoraussetzung. Sie ist nur insoweit von Bedeutung, als der Verwender den Vertragsinhalt regelmäßig erst durch die Gewährung dieser Möglichkeit für den Vertragspartner bestimmbar macht. Damit erscheint auch die Frage nach der Möglichkeit eines Verzichts in einem anderen Licht. Ist die Preisabrede eines Vertrages unbestimmt, so wird dann nicht von einem Dissens ausgegangen, wenn feststeht, daß die Parteien sich trotz des unbestimmt gebliebenen Preises vertraglich binden wollten, und wenn der Preis auf anderem Wege, durch Auslegung nach § 157 BGB, durch Bestimmung durch eine Partei nach § 316 BGB oder durch Rückgriff auf einen üblichen Preis nach § 632 Abs. 2 BGB, zumindest bestimmbar ist. In Ermangelung besonderer Mechanismen scheitert im Fall von AGB die Möglichkeit eines Verzichts oft bereits daran, daß sie nicht bestimmbar gemacht werden können. Unterschreibt der Vertragspartner eine Urkunde, in der eine Klausel mit dem schlichten Inhalt auftaucht: »Es gelten AGB«, so wird man dem Verwender nicht das Recht zusprechen, die AGB analog § 316 344
Allgemein Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 26 Rn. 8.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen. Ein Rückgriff auf übliche AGB ist ebenfalls ausgeschlossen. Sind die AGB in einer dem typischen Vertragspartner unverständlichen Sprache gehalten, so könnte man allerdings annehmen, es komme wegen des Verzichts bei Bestimmung des AGB-Inhalts nicht auf den typischen Vertragspartner an, sondern auf jemanden mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Wird der Vertragspartner auf veröffentlichte AGB hingewiesen, könnte man wegen des Verzichts den Zugang der AGB für entbehrlich halten, so wie man einen Kaufvertrag zum Listenpreis als geschlossen ansehen würde, wenn ein Käufer unter Bezugnahme auf eine Preisliste Waren bestellt, selbst wenn dem Käufer diese Liste nicht zugegangen ist. Hinzukommen muß aber der Wille des Vertragspartners, die AGB in Geltung zu setzen, obwohl ihr Inhalt für ihn bei Vertragsschluß nicht bestimmbar ist. An dieser Voraussetzung wird ein Verzicht regelmäßig scheitern. Unterschreibt der Vertragspartner eine Vertragsurkunde, die unlesbare AGB oder einen Hinweis auf einen ihm nicht zugegangenen Klauselkatalog enthält, so erklärt er zunächst nur die Annahme des ihm unterbreiteten Angebotes. Weil sich der Verwender ansonsten seiner Erklärungsverantwortung allzu leicht entziehen könnte, sollte in eine solche Erklärung nicht ein gleichzeitig erklärter Verzicht hineingelesen werden. Erklärt ein Verbraucher seinen Verzicht formularmäßig, so dürfte diese Erklärung unter Rückgriff auf Anhang 1(i) der Richtlinie 93/13/EWG345 nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sein. Typisiert der Verwender die Vertragsschlußsituation, etwa bei einem telephonischen Vertragsschluß, auf eine Art, daß ein Verbraucher den Vertrag typischerweise schließt, ohne die Übersendung der AGB zu verlangen, gilt nichts anderes346. k) Verständlichkeit des Inhalts der allgemeinen Geschäftsbedingungen Ist der Einbeziehungsakt deutlich genug gestaltet, ist dem Vertragspartner der AGB-Text zugegangen und ist der Text so gestaltet, daß er ihn lesen kann347, mag der Vertragspartner einwenden, der Inhalt der AGB oder einer Bezugnahmeklausel sei nicht klar und verständlich. Hieran kann die Geltung von AGB scheitern. Jeder Vertrag muß einen bestimmten oder zumindest durch Auslegung bestimmbaren Inhalt haben, um wirksam zu sein348. Perplexität führt zur Unwirksamkeit349. Kann auch durch Auslegung nicht ermittelt werden, auf welche von mehreren möglichen Klauselwerken eine Bezugnahmeklausel verweist, dann fehlt ihr die nötige Bestimmtheit, und sie ist unwirksam. Nimmt eine Verweisungsklausel mehrere sich widersprechende Be345 346 347 348 349
Zu Anhang 1(i) der Klauselrichtlinie siehe oben I A (S. 349 f.). A.A. die h.M. in Deutschland: siehe unten den Text zu Fn. 569. Hierzu oben i (S. 404 ff.), j bb (S. 412 ff.) und j aa (S. 408 ff.). MK-BGB/Kramer (5. Aufl. 2006), § 145 Rn. 4. Statt aller Medicus, AT (9. Aufl. 2006), Rn. 759.
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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dingungswerke in Bezug, so gilt sie als perplex und ist nichtig. Ebenso sind Klauseln eines Bedingungswerkes als perplex unwirksam, wenn zwischen ihnen ein nicht durch Auslegung aufzulösender Widerspruch besteht. Schließlich sind Klauseln unwirksam, denen durch Auslegung kein Sinn beigelegt werden kann. l) Überraschende, unübliche und unbillige Klauseln Im frühen 20. Jh. kristallisierte sich als weitere Grenze der Einbeziehung heraus, daß überraschende, unübliche und unbillige Klauseln sowie solche, denen der Vertragspartner »bei Kenntnis sicher widersprochen hätte«, mit denen der Vertragspartner billiger- und gerechterweise, nach Treu und Glauben oder als normal denkender Mensch bei verständiger Überlegung nicht zu rechnen brauchte oder von denen anzunehmen ist, daß das Publikum sich ihnen nicht unterworfen hätte, von einer Einbeziehung ausgeschlossen sind350. Ähnliche Regelungen finden sich im Rechtsvergleich. So steht in England, Schottland und Österreich die Einbeziehung unüblicher und besonders belastender bzw. ungewöhnlicher Klauseln unter der Bedingung, daß gesondert auf sie hingewiesen wird351, und vergleichbares wurde bereits für die PECL vorgeschlagen352. In Italien und nach dem Avant-projet eines Code Européen des Contrats bedarf eine Reihe von besonders belastenden Klauseln der schriftlichen Bestätigung353. Nach den PICC genügt dagegen eine ausdrückliche Zustimmung354. Für das UN-Kaufrecht sucht ein Teil der Literatur eine Lösung auf Grundlage der Auslegungsregeln355. So unterschiedlich diese Bestimmungen, Regeln und Lehrmeinungen im Detail sind, sie haben alle gemein, daß sie für Klauseln eines bestimmten Inhaltes die Einbeziehung erschweren. Schon Raiser kritisierte daher diese Grenze als unstatthafte Vermengung der Inhaltsund »Einbeziehungskontrolle«356, und ähnlich äußert sich ein Teil der englischen Lehre357. Stimmen beide Parteien der Einbeziehung der AGB ausdrücklich zu, so ist im Rahmen der Auslegung in der Tat kein Raum, die Einbeziehung solcher Klauseln auszuschließen358. Denn eine verständige Person darf aus Sicht des Vertragspartners eine ausdrückliche Erklärung des Verwenders zur Einbezie350
Siehe oben § 7 II F (S. 254 ff.). Siehe oben den Text zu und nach Fn. 41 und zu Fn. 108. 352 Siehe oben den Text zu Fn. 178. 353 Siehe oben den Text zu Fn. 136 und zu Fn. 193. 354 Siehe oben den Text nach Fn. 188. 355 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 165. 356 Siehe oben § 7 II F (S. 256). 357 Siehe oben den Text zu und nach Fn. 45. 358 Vgl. Kramer, ÖJZ 1973, 505; Krejci, ÖJZ 1981, 113 ff.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 3. A.A. Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 4; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1977) § 3 Rn. 5; Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 864a Rn. 9; F. Bydlinski, FS Kastner (1972), S. 61. 351
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hung nach Treu und Glauben nicht so verstehen, dieser wolle nur die in seinem Bedingungswerk enthaltenen üblichen und billigen Klauseln in Geltung setzen. Er darf diesen vielmehr nur so verstehen, daß dieser alle Klauseln in den Vertrag einbeziehen möchte. Umgekehrt darf eine verständige Person aus der Sicht des Verwenders die ausdrückliche und vorbehaltlose Erklärung des Vertragspartners nach Treu und Glauben so verstehen, daß dieser die Einbeziehung der AGB auch vollumfänglich genehmigt. Daß der Verwender damit rechnet, der Vertragspartner lese die AGB in der Hoffnung nicht, sie enthielten schon nichts überraschendes oder unbilliges, kann dieses Auslegungsergebnis nicht in Frage stellen. Der Fall eines erkannten Irrtums liegt in der Regel ebenfalls nicht vor, und zwar auch dann nicht, wenn der Verwender weiß, daß der Vertragspartner den Vertrag ungelesen unterschreibt. Die Figur des erkannten Irrtums ist nur einschlägig, wenn der Verwender positiv erkennt, daß der Vertragspartner über den Inhalt der AGB im Irrtum ist und davon ausgeht, sie enthielten allein übliche oder billige Klauseln359. Keinen Unterschied macht es wiederum, ob die ausdrücklichen Erklärungen die AGB vollumfänglich in sich aufnehmen oder nur eine Bezugnahmeklausel enthalten. Kann im Rahmen der Auslegung also überraschenden oder unbilligen Klauseln nicht die Geltung versagt werden, so kann die Einbeziehung solcher Klauseln auch nicht von besonders deutlichen Hinweisen oder einer gesondert erklärten Zustimmung abhängig gemacht werden. 2. Irrtumsanfechtung Die Einbeziehungsvoraussetzungen des modernen AGB-Rechts lassen sich in dieser Fallgruppe also weitgehend auf die allgemeinen Auslegungs- und Vertragsschlußregeln zurückführen. Freilich bleiben aus dem Blickwinkel des modernen AGB-Rechts auch Lücken. Insbesondere werden überraschende Klauseln zum Vertragsinhalt. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Vertragspartner seine Einbeziehungserklärung wegen Irrtums anfechten kann. Die Irrtumsanfechtung bei der Einbeziehung von AGB findet hier also keine umfassende Erörterung360, sondern die Darstellung ist auf diese Fragestellung zugespitzt. Beruft sich der Vertragspartner in Hinblick auf überraschende Klauseln auf einen Irrtum, so macht er nicht geltend, über den Einbeziehungsakt im Irrtum gewesen zu sein, sondern über den Inhalt der AGB. Dabei sind verschiedene Fälle zu unterschieden: Hat sich der Vertragspartner überhaupt keine Vorstellungen über den AGB-Inhalt gemacht, als er ihrer Einbeziehung durch Zeichnung einer die AGB enthaltene Vertragsurkunde zugestimmt hat, so kann er 359
Zur Figur des erkannten Irrtums siehe oben den Nachweis in Fn. 324. Dazu Loewenheim, AcP 180 (1980), 433 ff.; Grunsky, JurA 1969, 89 f.; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 68 ff.; Staudinger/Singer (2004), § 119 Rn. 26 ff. 360
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von vornherein über ihren Inhalt nicht im Irrtum gewesen sein, und zwar auch insoweit nicht, als sie überraschende Klauseln enthalten. Es liegt eine sogenannte Telquelerklärung vor361. Macht sich der Vertragspartner dagegen konkrete Vorstellungen zum AGBInhalt, die sich als fehlerhaft erweisen, so liegt ein zur Anfechtung berechtigender Inhaltsirrtum vor362. Doch kann der Vertragspartner das Risiko, daß sich seine Vorstellung als falsch erweist, bewußt mit der Folge auf sich genommen haben, daß die Anfechtung ausgeschlossen ist. Siegel prägte hiefür den Begriff der Risikoerklärung363. Wie aber ist dieser Anfechtungsausschluß zu erklären? Man kann das Verbot widersprüchlichen Verhaltens heranziehen: Wer das Irrtumsrisiko bewußt auf sich nimmt, handelt widersprüchlich, wenn er die Anfechtung erklärt, sobald sich dieses Risiko realisiert. Oder man kann die Regeln über die Irrtumsanfechtung bei einer bewußten Übernahme des Irrtumsrisikos als abbedungen ansehen364. Ob eine bewußte Übernahme des Irrtumsrisikos vorliegt, bestimmt sich aus Sicht des potentiellen Anfechtungsgegners, hier also des Verwenders. Darf er davon ausgehen, daß sich der Vertragspartner auf das Irrtumsrisiko bewußt einläßt? Da das BGB als Regel von der Möglichkeit einer Irrtumsanfechtung ausgeht, darf der Verwender hierauf nur ausnahmsweise vertrauen. Insbesondere darf er dann nicht von einer solchen Risikoübernahme ausgehen, wenn für ihn erkennbar ist, daß der Vertragspartner darauf vertraut, die von ihm ungelesen unterzeichnete Urkunde enthalte keine überraschenden AGB, oder wenn er den Vertragsschluß so gestaltet, daß dem Vertragspartner nicht die Zeit bleibt, die erst bei Vertragsschluß zur Verfügung gestellten AGB zu studieren. Zwischen dem Fall, daß sich der Vertragspartner gar keine Gedanken über den AGB-Inhalt macht, und dem Fall, daß er konkrete Vorstellungen dazu hat, liegt der Fall, daß er eine zumindest vage Ahnung ihres Inhalts hat. In diesem Fall liegt je nach den Umständen des Einzelfalls entweder eine Telqueloder Risikoerklärung vor, oder der Vertragspartner hat gerade nicht das Irrtumsrisiko übernommen365. Unbeachtlich für die Frage der Anfechtung ist, ob der Vertragspartner nur deshalb im Irrtum über den AGB-Inhalt war, weil er die AGB nicht sorgfältig gelesen hat. Denn sonst würde man ein dem deutschen BGB fremdes Ver361 Loewenheim, AcP 180 (1980), 444; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 36 Rn. 28; Staudinger/ Singer (2004), § 119 Rn. 26. Zur Telquelerklärung oben § 7 II A (S. 227). 362 Schroeder (1983), S. 39; Soergel/Hefermehl (13. Aufl. 1999), § 119 Rn. 14. 363 Siehe oben § 7 II A (S. 228). 364 Vgl. zur Abdingbarkeit der Irrtumsregeln Flume II (3. Aufl. 1979), S. 401; Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 956, und ausführlich Wiegand (2000), S. 94 ff., 132 ff. 365 Anders Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 22, der die Irrtumsanfechtung bei einer bloß vagen Vorstellung über den AGB-Inhalt als generell ausgeschlossen ansieht. Wieder anders Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 36 Rn. 27, der eine ungefähre Vorstellung für eine Anfechtung immer ausreichen lassen will.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
schuldensmoment in die Irrtumsanfechtung hineintragen. Nur für Kaufleute wird unter Verweis auf die besonderen Bedürfnisse des kaufmännischen Geschäftsverkehrs und unter Heranziehung von § 346 HGB in der Literatur das Gegenteil vertreten: Derjenige Kaufmann, der bei sorgfältiger Lektüre einer Urkunde seinen Irrtum hätte vermeiden können, soll sich nicht auf seinen Irrtum berufen dürfen366. Liegt demnach ein Irrtum vor und ist die Berufung auf den Irrtum nicht nach dem Grundsatz der Risikoerklärung ausgeschlossen, kann der Vertragspartner die Anfechtung auf die überraschende Klausel beschränken: Das Rechtsgeschäft ist i.S.d. § 139 BGB teilbar, und der Irrtum als Anfechtungsgrund beschränkt sich gerade auf die überraschende Klausel367. Freilich stellen sich bei einer solchen Teilanfechtung noch Folgefragen: Der Irrende kann zum einen seine Willenserklärung nur anfechten, wenn anzunehmen ist, daß er sie bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Kommt es darauf an, ob der Vertragspartner auf den Vertragsschluß insgesamt verzichtet hätte, wenn er von der überraschenden Klausel Kenntnis gehabt hätte368? Oder ist der Vertragspartner mit der auf die überraschende Klausel beschränkten Teilanfechtung dann erfolgreich, wenn anzunehmen ist, daß er seine Zustimmung zur Einbeziehung gerade dieser Klausel bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde? Zum anderen stellt sich das Problem der Schadensersatzpflicht des Vertragspartners nach § 122 BGB, dessen Lösung insbesondere vom Inhalt der anzufechtenden Klausel abhängt. Schließlich wird die Frage nach der Restwirksamkeit des Vertrages in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Insbesondere ist strittig, ob sich diese nach § 139 BGB oder nach § 306 BGB beurteilt369. Beide Probleme brauchen hier nicht weiter vertieft zu werden. Für unsere Fragestellung reicht die Feststellung, daß auch mit einer Irrtumsanfechtung die Interessen des Vertragspartners nicht in demselben Umfang geschützt werden wie nach § 305c Abs. 1 BGB. Nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre werden überraschende Klausel in der vorliegenden Fallgruppe, in der sich der Vertragspartner ausdrücklich mit der Einbeziehung einverstanden erklärt, Vertragsbestandteil, und der Vertragspartner kann die Wirkungen dieser überraschenden Klausel nicht in jedem Fall durch eine Teilanfechtung beseitigen.
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So z.B. Flume II (3. Aufl. 1979), S. 428. Die Einzelheiten sind umstritten; vgl. statt aller Staudinger/Roth (2003), § 142 Rn. 26; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 75. 368 So Loewenheim, AcP 180 (1980), 453; Locher, BB 1981, 820; Staudinger/Singer (2004) § 119 Rn. 28. 369 Vgl. die Darstellungen bei Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 75; Loewenheim, AcP 180 (1980), 456 ff.; Vetter, MDR 1998, 573. 367
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B. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Verwenders 1. Auslegung a) Erklärung bei, vor oder nach Vertragsschluß Nicht immer erklären sich beide Parteien ausdrücklich zur Einbeziehung. Häufig wird sich allein der Verwender hierzu äußern. Ist er zugleich derjenige, der das Angebot abgibt, und nimmt er die AGB oder einen Hinweis auf sie in dieses mit auf, so wird der Vertragsinhalt durch den Inhalt dieses Angebots bestimmt. Durch dessen ausdrückliche oder konkludente Annahme werden die AGB zum Vertragsinhalt. Der Verwender muß sich indes nicht bei Vertragsschluß zur Einbeziehung erklären und die AGB in sein Angebot aufnehmen. Er kann den Vertragspartner im Rahmen von Verhandlungen auf die AGB hinweisen: Er händigt sie aus oder druckt sie auf Briefpapier oder in Katalogen ab, das oder die er dem Vertragspartner übersendet. Nachfolgend kommt es zum Vertragsschluß. Dabei erklärt sich der Verwender nicht mehr ausdrücklich zur Einbeziehung, und der Vertragspartner hat sein Einverständnis in die Geltung der AGB zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich erklärt. Vielleicht kommt der Vertrag konkludent zustande. Da aber der Verwender seinen Willen, unter Einbeziehung der AGB zu kontrahieren, dem Vertragspartner im Rahmen der Vertragsverhandlungen ausdrücklich mitgeteilt hat und solche Erklärungen bei Ermittlung des Vertragsinhaltes berücksichtigt werden370, werden die AGB zum Vertragsinhalt. Gehört in die vorliegende Fallgruppe auch der Fall ausgehängter AGB? Eine ausdrückliche Erklärung stellt ein solcher Aushang gewiß dar371. Aber handelt es sich um eine dem Vertragspartner gegenüber abgegebene Erklärung? Im 19. und 20. Jh. wurden Aushänge zuweilen mit Veröffentlichungen in Zeitungen gleichgestellt372. Ganz so eindeutig ist diese Zuordnung indes nicht. Freilich ist der Adressat eines Aushangs nicht in der Weise individualisiert, wie es bei einer allein an einen einzelnen Vertragspartner gerichteten Erklärung der Fall ist. Aber er ist auch nicht so entindividualisiert wie bei einer bloßen Veröffentlichung in einer Zeitung. Denn der Aushang soll sich an jeden Einzelnen richten, der das Geschäftslokal betritt, um hier einen Vertrag mit dem Verwender abzuschließen. Und die weitere Anforderung an den Aushang, er müsse deutlich am Ort des Vertragsschlusses erfolgen, besagt nichts anderes, als daß er so erfolgen muß, daß der Vertragspartner ihn als eine an ihn gerichtete ausdrückliche Erklärung verstehen muß. Dann kann diese ihm als zugegangen gelten. Die Anforderungen an einen Aushang können mit anderen Worten als Zugangsproblem verstanden werden. In der Literatur wird der Zu370 371 372
Vgl. statt aller Flume II (3. Aufl. 1979), S. 312. A.A. Schroeder (1983), S. 97. Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 38), § 7 II C 3 (S. 243).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
gang einer in einem Aushang verkörperten Erklärung unter Anwesenden nicht diskutiert, sondern nur der von schriftlichen und mündlichen Erklärungen373. Der Aushang dürfte nicht mit einer schriftlichen Erklärung vergleichbar sein, auch wenn die Erklärung schriftlich fixiert ist. Denn für den Zugang kann es nicht darauf ankommen, daß der Aushang durch Übergabe in den Machtbereich des Vertragspartners gelangt. Damit würde man den Aushang bedeutungslos machen. Aushänge sind vielmehr mit mündlichen Erklärungen vergleichbar. Sie gleichen einer Sprechblase in einem Comic, die in Beziehung zum Verwender stehen muß. Der Zugang der Erklärung richtet sich deshalb auch nach der sogenannten abgeschwächten Vernehmungstheorie374: Die in dem Aushang verkörperte Erklärung ist zugegangen, wenn der Vertragspartner den Aushang wahrgenommen hat. Fehlt es an einer wirklichen Wahrnehmung, dann liegt ein Zugang nur vor, wenn der Verwender nach den Umständen des Einzelfalls keine Zweifel zu haben brauchte, daß der Vertragspartner den Aushang gesehen hat. Es genügt also nach diesem Verständnis nicht, daß der Aushang deutlich sichtbar erfolgt. Muß der Verwender Zweifel haben, daß sein Vertragspartner den deutlich sichtbaren Aushang gesehen hat, muß er ihn besonders auf den Aushang aufmerksam machen. Ein Zugang ist bei einem fernmündlichen Vertragsschluß und bei einem Abschluß durch Boten ausgeschlossen375. Selbstverständlich ist, daß ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB nach Vertragsschluß nicht ausreicht, um die AGB zum Vertragsinhalt zu machen. Aus dem Schweigen des Vertragspartners oder seinem bloßen Festhalten am Vertrag kann auf seine Zustimmung zur nachträglichen Einbeziehung der AGB nicht geschlossen werden. Der Verwender muß auf eine ausdrückliche Zustimmungserklärung des Vertragspartners hinwirken. Ausdrückliche Hinweise auf Rechnung genügen daher nicht376. Prägend für diese Fallgruppe ist damit nicht, daß der Verwender eine ausdrückliche und der Vertragspartner eine stillschweigende Willenserklärung abgeben. Antrag und Annahme können ausdrücklich oder auch stillschweigend erfolgen. Entscheidend ist, daß der Verwender dem Vertragspartner seinen Willen, den Vertrag AGB zu unterstellen, ausdrücklich kundtut, der Vertragspartner hierzu jedoch nicht ausdrücklich Stellung bezieht. Auch die in dieser Fallgruppe zusammengefaßten Fallkonstellationen können sich in zahlreichen Punkten unterscheiden: Die ausdrückliche Erklärung des Verwenders kann vor oder bei Vertragsschluß liegen. Sie kann folglich Teil einer Willenserklärung oder bloße Willensmitteilung sein. Sie kann die AGB Punkt für Punkt in sich aufnehmen oder auf außerhalb der eigentlichen Erklärung stehende 373 374 375 376
Vgl. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 26 Rn. 31 ff. Zu dieser Theorie Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 26 Rn. 36. Vgl. auch RGRK-HGB/Gadow (1941), § 346 Rn. 17a. Zum Hinweis auf Rechnungen siehe den Text zu Fn. 383, Fn. 390 und Fn. 405.
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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AGB Bezug nehmen. Und sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Doch sind diese Unterschiede nur von geringer Bedeutung. Liegt eine ausdrückliche Erklärung des Verwenders zur Einbeziehung vor oder bei Vertragsschluß vor, so kommt man im Rahmen der Auslegung grundsätzlich zu einer Geltung der AGB. Aus der Tatsache, daß sich der Vertragspartner nach dem ausdrücklichen Hinweis auf den Vertrag einläßt, kann geschlossen werden, daß er sich zugleich stillschweigend mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt. Freilich sind auch in dieser Fallgruppe der Annahme einer Einbeziehung der AGB Grenzen gesetzt. b) Widerspruch Erklärt der Verwender ausdrücklich seinen Willen, unter Einbeziehung seiner AGB zu kontrahieren, werden diese bei einem nachfolgenden Vertragsschluß zum Vertragsinhalt. Möchte der Vertragspartner dies verhindern, sollte er der Einbeziehung bis zum Vertragsschluß widersprechen oder seinen entgegenstehenden Willen auf andere Weise kundtun. Besonderheiten bestehen gegenüber der ersten Fallgruppe nicht: An der Statthaftigkeit eines Widerspruchs bestehen wiederum keine Zweifel377, und von einer Obliegenheit zum Widerspruch sollte nicht gesprochen werden378. c) Vorrang einer Individualabrede Sind sowohl AGB als auch Individualabreden vertraglich in Geltung gesetzt und tritt ein Widerspruch zwischen beiden auf, so genießen letztere Vorrang379. Ein solcher Fall wird in der vorliegenden Fallgruppe aber wohl kaum auftreten, weil eine ausdrückliche Zustimmung des Vertragspartners zur Geltung der AGB fehlt. Es stellt sich allein die vorgelagerte Frage, ob die AGB neben einer widerstreitenden Individualabrede überhaupt Vertragsinhalt geworden sind. Besonders einfach liegt wiederum der Fall, daß der Verwender zuerst auf seine AGB hinweist und der Vertragspartner im weiteren Verlauf der Verhandlungen Individualabreden einbringt. In der Regel werden die AGB nur insoweit zum Vertragsinhalt, als sie der Individualabrede nicht widersprechen. Im umgekehrten Fall – die Parteien verständigen sich zunächst auf eine Individualabrede, und erst danach, aber noch vor oder bei Vertragsschluß weist der Verwender den Vertragspartner auf seine AGB hin – dürften die oben aufgezeigten Gesichtspunkte unverändert gelten380: Darf der Vertragspartner den Hinweis auf die AGB als ein Ja-aber-im-Übrigen verstehen, werden die AGB nur insoweit Vertragsbestandteil, als sie der Individualabrede nicht widersprechen. 377 378 379 380
Siehe oben den Text zu Fn. 283. Vgl. außerdem Flume II (3. Aufl. 1979), S. 75 f. Siehe oben den Text nach Fn. 290. Siehe oben Absatz zu Fn. 293. Siehe oben A 1 g (S. 403).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
d) Bezug zum Vertragsschluß Die ausdrückliche Erklärung des Verwenders vor Vertragsschluß muß in Beziehung zum nachfolgenden Vertragsschluß stehen. Nur dann kann sie im Rahmen der Vertragsauslegung herangezogen werden. Der Bezug ist zunächst vorhanden, wenn sich der Verwender dem Vertragspartner gegenüber im Verlauf von Vertragsverhandlungen, die auf Abschluß eines konkreten Vertrages abzielen, zur Einbeziehung äußert. Der Bezug fehlt, wenn sich der Verwender in Katalogen oder Werbeschreiben zur Einbeziehung erklärt und der Verwender diese zwar an den Vertragspartner sendet, dies aber nicht im Rahmen von konkreten Vertragsverhandlungen geschieht381. Stellt in einem solchen Fall nicht der Vertragspartner den Bezug her, indem er sich auf das ihm übersandte Material bezieht, muß der Verwender erneut auf seine AGB ausdrücklich hinweisen, sobald er mit dem Vertragspartner in Verhandlungen tritt. Der einmal hergestellt Bezug kann wiederum durch Zeitablauf erlöschen. Bei Aushängen muß zudem ein räumlicher Bezug zum Vertragsschluß bestehen. Sind die AGB irgendwo angeschlagen, so mag der Vertragspartner sie bei entsprechender Deutlichkeit eventuell wahrnehmen, der Bezug zum Vertrag ist indes nicht hergestellt. Dafür müssen sie am Ort des Vertragsschlusses ausgehängt sein. Sie müssen so angebracht sein, daß der Vertragspartner sie wie in einem Comic quasi als Sprechblase des Verwenders ansehen muß382. Fehlt der Bezug zwischen Aushang und Vertragsschluß, kann er durch den Verwender hergestellt werden, indem er den Vertragspartner anderweitig, z.B. durch einen Fingerzeig, auf den Aushang ausdrücklich hinweist. Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob Hinweise auf Rechnungen in laufenden Geschäftsbeziehungen unter Unternehmern für zukünftige Verträge Bedeutung erlangen können383. Daß sie den Inhalt des bereits abgeschlossenen Vertrages nicht mehr beeinflussen können, außer freilich, der Vertragspartner stimmt der nachträglichen Vertragsänderung ausdrücklich zu, steht außer Zweifel384. Daß die Unternehmer in laufenden Geschäftsbeziehungen stehen, rechtfertigt für sich genommen noch nicht, den Hinweis auf einer Rechnung für zukünftige Vertragsschlüsse Bedeutung zuzusprechen. Denn Erklärungen auf Rechnungen beziehen sich allein auf den abzuwickelnden Vertrag. Der Bezug zu in Zukunft abzuschließenden Verträgen muß hier also besonders hergestellt werden. 381
So auch das LG Berlin (29.10.1979), BB 1980, 1770, bei Bestellung nach Erhalt eines Kataloges im Handelsverkehr: Es müsse ein »verknüpfendes Moment« zwischen Übersendung des Kataloges und der Bestellung bestehen. 382 Vgl. schon oben den Text nach Fn. 373. 383 Vgl. Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 19; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 19; Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 114; Fischer, BB 1995, 2491; OLG Hamburg (13.6.2002), WM 2003, 581, 582; OLG Karlsruhe (9.10.1992), NJW-RR 1993, 567, 568; OLG Hamburg (19.9.1984), ZIP 1984, 1241, 1242; BGH (7.6.1978), NJW 1978, 2243. 384 Siehe oben A 1 d (S. 396), den Text zu Fn. 376, Fn. 390 und Fn. 405.
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e) Deutlichkeit des ausdrücklichen Hinweises Unterschreibt der Vertragspartner eine Vertragsurkunde, die AGB enthält, und erklärt er sich so ausdrücklich mit der Einbeziehung dieser AGB einverstanden, wird ihre Geltung nur ausnahmsweise dadurch verhindert, daß sie sehr klein, versteckt oder undeutlich in der Urkunde erscheinen. Sie müssen so versteckt und undeutlich sein, daß der Verwender die Unterschrift des Vertragspartners nicht in der Weise deuten darf, daß sich der Wille des Vertragspartners auf die Einbeziehung richtet. Oben wurde von der Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes gesprochen, weil sich beide Parteien zur Einbeziehung ausdrücklich erklären, und es darum ging, ob diese Erklärungen deutlich genug auf die Einbeziehung gerichtet waren385. In der vorliegenden Fallgruppe fehlt es an einer ausdrücklichen Erklärung des Vertragspartners zur Einbeziehung. Daher stellt sich das Problem anders dar. Allein die Erklärung des Verwenders kann daraufhin überprüft werden, ob sie deutlich genug auf seinen Einbeziehungswillen hinweist. Er muß den Vertragspartner derart auf die AGB hinweisen, daß er davon ausgehen darf, der Vertragspartner erkläre sich bei dem nachfolgenden Vertragsschluß konkludent mit der Geltung der AGB einverstanden. Die Anforderungen an die Deutlichkeit sind als Folge hier sehr viel höher als in der ersten Fallgruppe: (aa) Enthält eine unterschriebene Urkunde AGB in einer fremden Sprache, so kann der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt für den Vertragspartner unbestimmbar sein386. Aber der Vertragspartner weiß, daß diese AGB für den Vertrag gelten sollen. Wem dagegen AGB in einer ihm nicht verständlichen Sprache bei Anbahnung eines Geschäftsverhältnisses zugesandt werden, darf diese in der Regel als für ihn unbeachtlich abtun. Denn jede Partei trägt die Verantwortung dafür, daß ihre Mitteilungen der anderen Partei so zugehen, daß diese ihre Bedeutung für das Vertragsverhältnis erkennen kann. Deshalb trifft den Vertragspartner auch nicht die Obliegenheit, den Verwender nach der Bedeutung der ihm übersandten Blätter zu fragen. Die Geltung der AGB scheitert also nicht erst daran, daß ihr Inhalt für den Vertragspartner unbestimmbar ist, sondern daran, daß er nicht erkannt hat, daß es sich um Vertragsbestimmungen handelt. Etwas anderes kann gelten, wenn der Verwender in einem Begleitschreiben auf die Bedeutung der fremdsprachigen AGB hinweist. Ähnliches gilt bei mündlichen Hinweisen in einer Sprache, die der Erklärungsempfänger nicht versteht387. (bb) Wer eine umfangreiche Urkunde unterschreibt, muß sich alle Klauseln, die in dieser Urkunde enthalten sind, entgegenhalten lassen. Wer einen umfangreichen Katalog erhält, muß diesen nicht nach versteckten AGB durchsuchen. Nimmt der Vertragspartner auf Grundlage des Kataloges eine Bestellung 385 386 387
Siehe oben A 1 i (S. 404 ff.). Siehe oben A 1 j aa (S. 409 ff.). Vgl. auch Kling (2008), S. 298 ff., allerdings als Zugangsproblem einordnend.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
vor, so erkennt er zwar die grundsätzliche Bedeutung der im Katalog enthaltenden Informationen für den Vertrag. Kann er aber die Informationen, die er für seinen Bestellvorgang benötigt, etwa zum Produkt, zum Preis und zum Ablauf des Bestellvorgangs dem Katalog entnehmen, ohne auf die AGB zu stoßen, so darf er den übrigen Kataloginhalt als für seinen Vertrag unbeachtlich betrachten. Der Verwender muß also an geeigneter Stelle auf die AGB in dem Katalog gesondert hinweisen. Auch hier gilt: Den Verwender trifft die Verantwortung, Mitteilungen, die den Vertragsinhalt beeinflussen sollen, so abzugeben, daß der Verwender auf sie aufmerksam wird. Dagegen trifft den Vertragspartner nicht die Obliegenheit, einen umfangreichen Katalog nach solchen Mitteilungen zu untersuchen. Dieselben Wertungen können unmittelbar auf den Vertragsschluß im elektronischen Geschäftsverkehr übertragen werden388. (cc) Bei Aushängen können die Anforderungen an die Deutlichkeit verschieden sein: Bei Verträgen, für deren Abschluß ein typischer Ort des Vertragsschlusses existiert und bei denen es üblich ist, an diesem Ort AGB auszuhängen, wie dies z.B. bei Garderoben der Fall ist, können die Anforderungen geringer sein als bei Verträgen, bei denen ausgehängte AGB unüblich sind. Bei Änderungen ausgehängter AGB ist gegenüber Stammkunden, die den Aushang in dem Glauben, seinen Inhalt zu kennen, nicht mehr beachten, ein besonderer Hinweis nötig. Denn der Verwender weiß, daß sich der Wille dieser Kunden auf die AGB mit dem alten Inhalt bezieht389. (dd) Auf Rechnungen abgedruckte AGB können auch bei laufenden Geschäftsbeziehungen unter Unternehmern nur ausnahmsweise für zukünftige Verträge wirken. Erklärungen auf Rechnungen beziehen sich allein auf den abzuwickelnden Vertrag. Deshalb muß der Verwender den Bezug zu in Zukunft abzuschließenden Verträgen herstellen390. Dieser Bezug muß aber auch besonders deutlich hergestellt werden. Denn der Vertragspartner braucht nach AGB auf Rechnungen nicht zu suchen, weil sie nicht der Ort für solche Erklärungen sind. Und nimmt er solche Erklärungen wahr, braucht er sie nur auf den abzuwickelnden Vertrag beziehen und darf sie insoweit als zu spät übergehen. Daß der Verwender in einer Vielzahl von Fällen auf fehlerhafte Weise versucht hat, seine AGB einzubringen, kann für sich genommen auch in laufenden Geschäftsbeziehungen nicht zu ihrer Geltung in künftigen Verträgen führen. Vielmehr muß der Verwender die AGB auf seiner Rechnung besonders deutlich gestalten und den Bezug für zukünftige Verträge herstellen. Und selbst dann kann dieser Bezug durch Zeitablauf wieder erlöschen.
388
Hierzu statt aller Friske (2005), S. 130 f. Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 61; OLG Hamm (8.6. 1979), BB 1979, 1789. A.A. Schroeder (1983), S. 40 (Irrtumsanfechtung). 390 Siehe oben den Text zu Fn. 376 und Fn. 383 und unten den Text zu Fn. 405. 389
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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Freilich ist es auch in dieser Fallgruppe nicht möglich, nach der Bedeutung der Klausel zu differenzieren. Der Hinweis auf Klauseln, die den Vertragspartner belasten, muß genauso deutlich erfolgen, wie auf solche Klauseln, die für ihn von geringerer Bedeutung sind. f) Möglichkeit zur Kenntnisnahme Auch in dieser Fallgruppe kann der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt deshalb der nötigen Bestimmbarkeit entbehren und aus diesem Grund nicht wirksam einbezogen sein, weil für den Vertragspartner nicht die Möglichkeit bestand, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen. Gegenüber der ersten Fallgruppe besteht hier allerdings die Besonderheit, daß der Vertragspartner der Geltung der AGB nicht ausdrücklich zugestimmt hat. Und deshalb ist die Annahme eines Verzichtes auf die Kenntnisnahmemöglichkeit praktisch ausgeschlossen391. Der Zugang kann wegen fehlender Kenntnisnahmemöglichkeit etwa bei Aushängen ausgeschlossen sein, nämlich nach der abgeschwächten Vernehmungstheorie dann, wenn der Verwender erkennt, daß der Vertragspartner der Sprache, in welcher der Aushang gehalten ist, nicht mächtig ist392. g) Verständlichkeit des Inhalts der allgemeinen Geschäftsbedingungen Auch in dieser Fallgruppe sind die AGB oder eine Bezugnahmeklausel unwirksam, wenn ihnen durch Auslegung kein Sinn beigelegt werden kann und wenn sie unauflösbare Widersprüche enthalten393. h) Überraschende, unübliche und unbillige Klauseln Erklärt sich der Vertragspartner ausdrücklich mit der Einbeziehung einverstanden, so ist kein Auslegungsspielraum vorhanden, um diese Zustimmung auf übliche oder billige Klauseln zu beschränken394. Existiert ein solcher Spielraum, wenn der Vertragspartner sein Einverständnis nur konkludent erklärt, indem er nach dem ausdrücklichen Hinweis den Vertrag mit dem Verwender eingeht? Kann dieser Spielraum zugunsten des Vertragspartners ausgefüllt werden? In jede Auslegung fließen wertende Elemente ein. Die Erklärung wird aus der Sicht einer vernünftigen Person nach Treu und Glauben ausgelegt. Man könnte also die These aufstellen, der Verwender dürfe vernünftigerweise und nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen, der Vertragspartner erkläre sich mit jeder noch so überraschenden Klausel stillschweigend einverstanden. Für die Richtigkeit dieser These spricht ein Blick in die Geschichte: Diese Einbeziehungsgrenze war in Deutschland zunächst auf die Fälle beschränkt, in denen der Vertragspartner sein Einverständnis in die Einbezie391 392 393 394
Siehe oben A 1 j cc (S. 417 f.). A.A. Klein (2008), S. 525 f. Siehe oben A 1 k (S. 418 f.). Siehe oben A 1 l (S. 419 f.).
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hung konkludent erklärt395. Und auch in England wird vor allem ihre Ausdehnung auf die Fälle kritisiert, in denen ein ausdrückliches Einverständnis des Vertragspartners vorliegt396. Zwei Parteien treten in Vertragsverhandlungen. Die erste Partei hat ein Gut, das die zweite unbedingt erwerben möchte. Die erste weiß um ihre vorteilhafte Verhandlungsposition und nimmt in ihren Antrag ganz außergewöhnliche Vertragsbedingungen auf. Die zweite Partei stimmt dem Angebot nicht ausdrücklich, sondern konkludent zu, indem sie der ersten Partei den Kaufpreis übergibt. Niemand würde die Geltung der außergewöhnlichen Vertragsbestimmungen in Frage stellen. Der Vertragsinhalt wird durch das Angebot bestimmt. Nun könnte man einwenden, es handele sich in diesem Beispiel nicht um AGB, und bei AGB liege die Sache eben ganz anders: Den Inhalt von Individualabreden kenne die andere Partei in der Regel. Dagegen nehme sich der Vertragspartner regelmäßig nicht die Zeit, um AGB zu lesen. Er vertraue vielmehr darauf, daß die AGB schon nichts Überraschendes oder Außergewöhnliches enthalten. Das wisse auch der Verwender. Wenn er in seine AGB überraschende oder außergewöhnliche AGB aufnehme, ohne daß der Vertragspartner widerspricht, so habe er sogar ein zusätzliches Indiz dafür, daß der Vertragspartner den AGB-Inhalt nicht zur Kenntnis genommen habe. Freilich läßt sich die gewünschte Rechtsfolge – nur die überraschenden oder außergewöhnlichen AGB sind von der Einbeziehung ausgeschlossen – nicht mit dem Instrumenten der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre erzielen. Behauptet man, der Verwender müsse wissen, der Vertragspartner habe den Inhalt der AGB nicht zur Kenntnis genommen, wenn er den Vertrag widerspruchslos eingehe, obwohl die AGB Unbilliges und Überraschendes enthalten, so liegt der Schluß nahe, es handele sich um eine Anwendung der Figur des erkannten Irrtums. Positiv erkannt hat der Verwender den Irrtum des Vertragspartners freilich nicht. Und wäre diese Figur einschlägig, so würden die AGB insgesamt nicht zur Geltung kommen. Zudem trägt der Verwender nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre nur die Verantwortung dafür, daß er die AGB dem Vertragspartner spätestens bei Vertragsschluß übermittelt, ihren Bezug zum abzuschließenden Vertrag deutlich macht und sie in einer Form zur Verfügung stellt, die ihren Inhalt nach dem Grundsatz der normativen Auslegung bestimmbar macht. Sind die AGB dem Vertragspartner in dieser Form zugegangen, obliegt es ihm sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die AGB sind Teil des Angebots, und nimmt der Vertragspartner das Angebot vorbehaltlos an, werden sie zum Vertragsinhalt.
395 396
Siehe oben § 7 II F (S. 254). Siehe oben den Text zu und nach Fn. 41.
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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2. Irrtumsanfechtung Die Einbeziehungsvoraussetzungen des modernen AGB-Rechts lassen sich auch in dieser Fallgruppe weitgehend auf die allgemeinen Auslegungs- und Vertragsschlußregeln zurückführen. Nur in Hinblick auf überraschende Klauseln bleiben die Anforderungen nach den allgemeinen Regeln wieder hinter dem modernen AGB-Recht zurück. Steht dem Vertragspartner insoweit eine Irrtumsanfechtung offen? Ein schriftliches Angebot des Verwenders enthält AGB oder eine Bezugnahmeklausel; die AGB hängen im Ort des Vertragsschlusses aus; der Verwender weist den Vertragspartner auf Briefpapier oder in Katalogen in geeigneter Weise auf die AGB hin. Der Vertragspartner wird auf die AGB aufmerksam, macht sich indes keine Vorstellungen über ihren Inhalt. Er nimmt das Angebot, das die AGB in sich aufnimmt, an: ausdrücklich durch die schlichte Erklärung, er nehme den Antrag an, ohne sich dabei ausdrücklich zur Geltung der AGB zu äußern, oder konkludent durch Beginn der Vertragserfüllung. Es liegt eine Telquelerklärung vor. Der Inhalt der Annahmeerklärung bestimmt sich nach dem Inhalt des Angebots, den sich der Vertragspartner, wie auch immer er sich herausstellen wird, zu eigen macht. Er kann sich daher über diesen Inhalt nicht irren397. Macht sich der Vertragspartner dagegen vom Inhalt der AGB konkrete Vorstellungen, und glaubt er, sie enthielten nichts Überraschendes, so irrt er zwar über den Inhalt seiner Erklärung, und bei diesem Irrtum handelt es sich auch um einen zur Anfechtung berechtigenden Inhaltsirrtum. Aber die Irrtumsanfechtung kann nach dem Grundsatz der Risikoerklärung ausgeschlossen sein398. Nur wenn keine Risikoerklärung vorliegt, ist eine Anfechtung möglich, und diese Anfechtung kann der Vertragspartner auf die überraschende Klausel beschränken399. Hat der Vertragspartner eine vage Ahnung vom Inhalt der AGB, liegt wiederum je nach den Umständen des Einzelfalls eine Telquel- oder eine Risikoerklärung vor, oder der Vertragspartner hat gerade nicht das Irrtumsrisiko übernommen400. Ohne wiederum auf die problematischen Fragen der Kausalität des Irrtums und der Anfechtungsfolgen nach § 122 BGB eingehen zu müssen401, können wir für unsere Fragestellung festhalten, daß auch mit einer Anfechtung die Interessen des Vertragspartners nicht in demselben Umfang geschützt werden, wie nach § 305c Abs. 1 BGB. Nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre werden überraschende Klauseln auch in der vorliegenden Fallgruppe Vertragsbestandteil, und der Vertragspartner kann ihre Wirkungen nicht in jedem Fall durch eine Teilanfechtung beseitigen.
397 398 399 400 401
Siehe oben den Text zu Fn. 361. Siehe oben den Text nach Fn. 362. Siehe oben den Text zu Fn. 367. Siehe oben A 2 (S. 421). Siehe oben den Text nach Fn. 367.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
C. Ausdrückliche Einbeziehungserklärung nur des Vertragspartners Die nun zu behandelnde Fallgruppe ist uns in der Geschichte und im Rechtsvergleich nicht begegnet. Sie dürfte tatsächlich ausgesprochen selten auftreten und soll nur aus Gründen der Vollständigkeit erwähnt werden. Eine ausdrückliche Einbeziehungserklärung des Verwenders fehlt völlig. Oder sie liegt zwar vor, genügt aber nicht den oben herausgearbeiteten Anforderungen: Der Aushang hängt etwa versteckt. Erklärt der Vertragspartner dem Verwender nun bei Vertragsschluß: »Sie haben mich überhaupt nicht auf ihre AGB hingewiesen. Die sollen doch sicher gelten!«, oder: »Den Aushang hätte ich fast übersehen«, bestehen im Rahmen der Auslegung gerade wegen dieser ausdrücklichen Erklärung des Vertragspartners keine Probleme, die Einbeziehung zu bejahen. Ein solcher Fall bereitet ebenso wenige Probleme wie die Fälle der ersten Fallgruppe402.
D. Beidseitige stillschweigende Einbeziehungserklärungen Hat keine der Parteien ihren Einbeziehungswillen ausdrücklich erklärt und liegen auch keine sonstigen Umstände vor, die auf einen solchen Willen hindeuten, muß eine Einbeziehung regelmäßig abgelehnt werden. Im folgenden geht es um die Bestimmung dieser sonstigen Umstände, aus denen auf einen solchen Einbeziehungswillen geschlossen werden kann. 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Geschäftsgebrauch Daß es sich zum Geschäftsgebrauch zwischen zwei Parteien entwickeln kann, nur unter Einbeziehung von AGB zu kontrahieren, war in Deutschland seit dem 19. Jh. und ist auch außerhalb Deutschlands anerkannt403. Ob die AGB bei einem späteren Vertragsschluß trotz fehlender Verweisung zum Vertragsbestandteil werden, hängt vom Einzelfall ab, insbesondere davon, welchen Inhalt der Geschäftsgebrauch hat404: Allein die Tatsache, daß AGB in früheren Verträgen galten, reicht nicht für die Annahme eines Geschäftsgebrauchs. Hat der Verwender in seinen Angeboten immer ausdrücklich auf die AGB hingewiesen und sollten diese Angebote den Vertragsinhalt abschließend bestimmen, darf der Vertragspartner bei Fehlen eines Hinweises in einem nachfolgenden Angebot davon ausgehen, daß 402
Siehe oben A (S. 394 ff.). Siehe oben § 2 VI D (S. 100 ff.), § 7 II C 1 (S. 239). Für England und Schottland siehe oben den Text zu Fn. 61. 404 Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 19; OLG Hamburg (13.6.2002), WM 2003, 581; LG Karlsruhe (29.12.1995), BB 1996, 1580; BGH (12.2.1992), NJW 1992, 1232. Stark einschränkend Schroeder (1983), S. 72 f. Sehr großzügig dagegen Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 22. 403
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sie nicht mehr zum Vertragsinhalt werden sollen. Geschäftsgebrauch ist gerade, daß nur das ausdrücklich Erklärte gelten soll. Zudem müssen die AGB in den früheren Geschäften wirklich in Geltung gesetzt worden sein. Nur dann ist die Einbeziehung der AGB zu einem Geschäftsgebrauch geworden. Es reicht daher nicht, wenn in den früheren Geschäften zwar unwidersprochen, aber doch nur erfolglos in Rechnungen auf AGB hingewiesen worden ist405. Weiter muß ein Bezug zu den früher geschlossenen Verträgen bestehen. Dieser kann durch einen Widerspruch des Vertragspartners zerstört werden. Schließlich muß der Verwender dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit gewähren, um den Vertragsinhalt bestimmbar zu machen. Ist Inhalt des Geschäftsgebrauchs die Geltung ganz bestimmter AGB, so ergibt sich diese Voraussetzung wie selbstverständlich: Denn bestand bei den vorausgegangen Vertragsschlüssen, die Ausgangspunkt des Geschäftsgebrauchs sein sollen, nicht die Möglichkeit zur Kenntnisnahme, so wurden sie auch nicht aufgrund ausdrücklicher Erklärung Vertragsinhalt und ein auf Einbeziehung gerichteter Geschäftsgebrauch konnte sich nicht bilden. Ist Geschäftsgebrauch dagegen, daß AGB überhaupt gelten, daß sie also in ihrer jeweiligen Fassung einbezogen werden sollen, so ergibt sich die Voraussetzung der Kenntnisnahmemöglichkeit aus einer analogen Anwendung des § 315 Abs. 2 BGB. Hat eine Partei das Recht, eine Vertragsleistung einseitig zu bestimmen, dann erfolgt die Bestimmung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Dafür ist nicht ausreichend, daß die erste Partei einfach erklärt, sie habe bestimmt. § 315 Abs. 2 BGB erfordert, daß die erste Partei der anderen Partei den Inhalt der Bestimmung mitteilt. Sollen die AGB in ihrer jeweils geltenden Fassung Vertragsinhalt werden, hat also der Verwender das Recht, die AGB zu ändern und ihren Inhalt neu zu bestimmen, so werden die AGB mit ihrem geänderten Inhalt analog § 315 Abs. 2 BGB nur dann zum Vertragsinhalt, wenn der Verwender diesen neu bestimmten Inhalt dem Vertragspartner mitteilt. Ein auf Einbeziehung gerichteter Geschäftsgebrauch kann sich zwischen zwei Unternehmern ebenso herausbilden wie zwischen zwei Verbrauchern oder zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher: Ein Verbraucher kauft ein bestimmtes Produkt regelmäßig bei einem bestimmten Unternehmer. Ort des Vertragsschluß sind immer die Geschäftsräume des Unternehmers. Dort hängen die AGB deutlich sichtbar aus. Als Folge gelten sie für jeden einzelnen Vertrag. Bestellt der Verbraucher das Produkt nun einmal, etwa weil er aufgrund einer Krankheit die Geschäftsräume des Unternehmers nicht aufsuchen kann, telephonisch, so werden die AGB Vertragsbestandteil, 405
Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 114; OLG Hamburg (13.6.2002), WM 2003, 581; OLG Hamburg (19.9.1984), ZIP 1984, 1241. Zustimmend wohl auch OLG Karlsruhe (9.10.1992), NJW-RR 1993, 567. A.A. Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 19. Siehe hierzu schon oben den Text zu Fn. 376, Fn. 383 und Fn. 390.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
selbst wenn der Unternehmer bei dem telephonischen Vertragsschluß nicht nochmals auf seine AGB hinweist. Die AGB sind zum Geschäftsgebrauch geworden. 2. Branchenüblichkeit der allgemeinen Geschäftsbedingungen Branchenübliche AGB können im Unternehmerverkehr ohne entsprechenden Hinweis des Verwenders zum Vertragsinhalt werden. Als Beispiele nennt die Literatur die ADSp und die AGB der Banken. Sie begründet diese vereinfachte Einbeziehung mit der »starken Verkehrsgeltung« dieser AGB406. Freilich ginge es zu weit, von einer kenntnisunabhängigen Geltung zu sprechen. Kenntnisunabhängig entfalten AGB ihre Wirkung nur, wenn sie sich zu einem Handelsbrauch verdichtet haben. Doch sollen branchenübliche AGB selbst dann ohne Hinweis zum Vertragsinhalt werden, wenn sich ein solcher Handelsbrauch noch nicht herausgebildet hat. Sie werden zum Vertragsinhalt, weil der Verwender ihre Kenntnis unterstellen durfte und sie daher Teil des normativen Willens des Vertragspartners sind407. Daß diese Fälle nicht zur Regel verallgemeinert werden dürfen, ist sofort offensichtlich. Denn wiederum wird der Verwender der Verantwortung enthoben, seinen Willen dem Vertragspartner gegenüber vollständig zu erklären, und diesem wird folglich die Obliegenheit auferlegt, sich nach den vom Verwender benutzten AGB zu erkundigen. An das Merkmal der Üblichkeit sind deshalb hohe Anforderungen zu stellen. Die oftmalige oder regelmäßige Verwendung genügt nicht, um den Verwender aus seiner Verantwortung zu entlassen. Denn dann stünde bei fehlendem Hinweis nicht mit Gewißheit fest, daß der Verwender unter Einbeziehung der AGB kontrahieren will. Der Vertragspartner müßte sich nach dessen konkretem Willen erkundigen. Branchenüblich sind AGB demnach, wenn sie nur in Ausnahmefällen nicht verwendet werden408. Die Branchenüblichkeit der AGB genügt für sich genommen nicht409. Es muß auch berücksichtigt werden, auf welche Weise sie in dieser Branche üblicherweise einbezogen werden. Wird auf branchenübliche AGB immer ausdrücklich hingewiesen, etwa auf Geschäftspapier oder Formularen, so ist erforderlich, daß ein solcher Hinweis im konkreten Fall nicht möglich war. Denn erfolgt ein ausdrücklicher Hinweis immer und ist er in der üblichen Form möglich, darf der Vertragspartner aus dessen Fehlen schließen, der Verwender wolle nicht unter Einbeziehung der AGB kontrahieren. Zumindest aber steht aus Sicht des Vertragspartners der Einbeziehungswille des Verwen406
Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 57 Statt aller Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 49. 408 Statt vieler Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 36; Müller-Graff, FS Pleyer (1988), S. 412. Nicht streng genug Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 81. 409 Einschränkend auch Wolf/Ungeheuer, JZ 1995, 80. 407
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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ders nicht fest. Dieses Risiko trägt der Verwender, nicht der Vertragspartner, dem man andernfalls eine Obliegenheit auferlegen würde, den Verwender auf die Unklarheit seiner Erklärung aufmerksam zu machen und sich nach dessen wirklichem Willen zu erkundigen. Der Vertragspartner muß der entsprechenden Branche angehören410. Nur dann hat er den notwendigen Einblick, um erkennen zu können, ob die AGB auch branchenüblich sind und wie die AGB üblicherweise zum Vertragsinhalt gemacht werden. Es genügt daher nicht, daß der Vertragspartner branchenkundig ist, ohne der Branche anzugehören411. Liegen diese Voraussetzungen vor, so werden AGB auch ohne einen entsprechenden Hinweis des Verwenders zum Vertragsinhalt, außer freilich, der Vertragspartner hat ihrer Geltung widersprochen oder die Umstände des Einzelfalls lassen den Schluß zu, daß die Parteien gerade nicht unter Einbeziehung der AGB kontrahieren wollten412. 3. Veröffentlichung allgemeiner Geschäftsbedingungen Im 19. Jh. stellte die Veröffentlichung von AGB in einer Zeitung keinen eigenständigen Einbeziehungstatbestand dar. Sie machte einen Hinweis gegenüber dem Vertragspartner nicht entbehrlich. Sie hatte allein die Funktion, dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit zu gewähren413. Auch in England setzte sich bereits zu Beginn des 19. Jh. die Ansicht durch, die bloße Veröffentlichung von AGB in einer Zeitung genüge nicht, weil nicht gewährleistet sei, daß der Vertragspartner sie wahrnehme414. Zu Beginn des 20. Jh. bekam die Veröffentlichung in Deutschland eine zusätzliche Funktion. Sie konnte den Zugang des Hinweises entbehrlich machen. Mit den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre kann diese Entwicklung nicht in Einklang gebracht werden. 4. Die Wissenmüssenformel Zu Beginn des 20. Jh. umschrieb die Wissenmüssenformel nur die vorstehend dargestellten Fallgruppen: Wer ausdrücklich auf AGB hingewiesen worden ist, muß wissen, daß der Verwender unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren will, und kann sich deshalb nicht darauf berufen, er habe den ausdrücklichen Hinweis nicht zur Kenntnis genommen. Ebenso kann niemand geltend machen, er habe einen am Ort des Vertragsschlusses deutlich sichtbar angeschlagenen Aushang übersehen und deshalb keine Kenntnis von den 410
Statt vieler Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 19. So aber etwa Locher (3. Aufl. 1997), S. 53. 412 Zu den Einzelheiten vgl. statt aller Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 173; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 305. 413 Siehe oben § 2 II C 1 a (S. 29 ff.), § 2 IV D 6 (S. 80 ff.). 414 Siehe oben den Text zu Fn. 30. 411
436
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
AGB gehabt. Nichts anderes gilt, wenn es zu einem Geschäftsgebrauch zwischen zwei Parteien geworden ist, unter Einbeziehung von AGB zu kontrahieren, oder wenn die Geltung branchenüblicher AGB in Frage steht. Seit der Mitte des 20. Jh. wurde die Kennenmüssenformel zu einem eigenständigen Einbeziehungstatbestand. Man ging schon immer dann von einer Zustimmung des Vertragspartners zur Einbeziehung der AGB aus, wenn er nur wissen mußte, daß solche AGB existieren. Die Frage drehte sich nunmehr darum, unter welchen Umständen ein Kennenmüssen des Vertragspartners angenommen werden kann. Und diese Frage beantwortete man verwenderfreundlich und ging über die bis dahin anerkannten Fallgruppen hinaus415. Mit den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre war diese Entwicklung nicht vereinbar, und deshalb wird die Wissenmüssenformel von der modernen Lehre auch zu Recht abgelehnt416. Nur bei der Frage um die Geltung von AGB im Unternehmerverkehr spielt sie in Deutschland noch heute eine Rolle417. Doch auch hier darf sie nicht dazu führen, daß über die oben aufgeführten Fallgruppen hinaus eine Einbeziehung bejaht wird. Schließlich sind auch die Figuren der fahrlässigen Willenserklärung und des faktischen Vertrages aufgrund von sozialtypischen Verhaltens nicht mit der Rechtsgeschäftslehre vereinbar418. 5. Die Figur des erkannten Irrtums Auch die positive Kenntnis des Vertragspartners, daß der Verwender üblicherweise unter Einbeziehung von AGB kontrahiert, reicht nicht aus, um die Geltung dieser AGB im konkreten Fall bejahen zu können419. Notwendig ist, daß der Vertragspartner positiv weiß, daß der Verwender auch im konkreten Fall unter Einbeziehung von AGB kontrahieren wollte. Und auch diese positive Kenntnis genügt nur dann, wenn dem Vertragspartner die AGB bekannt waren und ihr Inhalt so für ihn bestimmbar war.
E. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen kraft Handelsbrauch Der Handelsbrauch i.S.d. § 346 HGB ist kein Gesetz. Seine Wirkungen entfaltet er durch Vermittlung des § 346 HGB. Dafür ist nicht erforderlich, daß jeder, der zum beteiligten Verkehrskreis gehört, wirklich Kenntnis von diesem Handelsbrauch erlangt hat oder sich dessen Wille auf den Handelsbrauch be415
Siehe oben § 7 II C (S. 237 ff.), insbesondere unter 4 (S. 254 f.). Statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 50. 417 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 91 f.; Dietlein/Rebmann (1976), § 24 Rn. 3. 418 Statt aller Flume II (3. Aufl. 1979), S. 95 ff.; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 30 Rn. 21 ff.; MK-BGB/Kramer (5. Aufl. 2007), Einl. Bd. II Rn. 63 ff. 419 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 127. 416
II. Die Geltungsvoraussetzungen und die allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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zieht. Der Handelsbrauch gilt kenntnis- und willensunabhängig. Voraussetzung für seine Entstehung ist eine gleichmäßige Übung durch den beteiligten Verkehrskreis über einen angemessenen Zeitraum. Er muß als maßgeblich angesehen, also gebilligt werden: Er wird befolgt, weil die am Verkehr Beteiligten dies erwarten und auch erwarten dürfen420. Wenden wir diese Voraussetzungen auf AGB an, so ist sofort klar, daß AGB ihrem Inhalt nach nur selten zum Handelsbrauch erstarken. Es fehlt in der Regel bereits an der Gleichmäßigkeit der Übung. Denn oft weichen die Klauseln verschiedener Unternehmer einer Branche voneinander ab. Sollen AGB ihrem Inhalt nach zum Handelsbrauch erstarken, so genügt auch nicht, daß sich Parteien in dieser Branche gleichmäßig auf Klauseln eines bestimmten Inhalts einigen. Dann kann allenfalls der Akt der Einbeziehung Handelsbrauch sein. Der Klauselinhalt wird nur dann zum Handelsbrauch, wenn der von der Klausel geregelte Fall in einer Vielzahl von Fällen eintritt und dann über einen längeren Zeitraum gleichmäßig im Sinne der Klausel verfahren wird. Aber selbst wenn eine solche gleichmäßige Übung über einen angemessenen Zeitraum vorliegen sollte, so fehlt es regelmäßig an einer Billigung durch die am Verkehr Beteiligten. Die in den AGB getroffene Regelung wird nur vom Verwender gebilligt. Der Vertragspartner wird sie dagegen nur als notwendiges Übel hinnehmen. Etwas anderes kann gelten, wenn die Mitglieder einer Branche in wechselnden Rollen auftreten, mal als Verwender und mal als Vertragspartner421. In vielen Branchen wird es gleichmäßige Übung sein, daß überhaupt unter Einbeziehung von AGB kontrahiert wird. Können AGB also nicht nur ihrem Inhalt nach, sondern kann auch die Tatsache, daß unter Einbeziehung von AGB kontrahiert wird, zu einem Handelsbrauch erstarken422? Diese Tatsache ist für die Annahme eines Handelsbrauchs zu unbestimmt. Es kommt auf den Inhalt der AGB an. Er soll Vertragsbestandteil werden. Existieren in einer Branche mehrere konkurrierende Klauselwerke, wäre nicht klar, welches zur Anwendung kommt. Zudem müßte für die Annahme eines Handelsbrauchs die Tatsache, daß unter Einbeziehung von AGB kontrahiert wird, von allen am Verkehr Beteiligten gebilligt werden. Das ist aber nur dann der Fall, wenn auch alle am Verkehr Beteiligten AGB verwenden. An einer Billigung fehlt es hingegen, wenn in einer Branche typischerweise nur eine Seite, z.B. nur die Lieferanten von Waren, aber nicht die Abnehmer, AGB verwenden. Dann werden die AGB von den Vertragspartnern wiederum nur als notwendiges Übel hingenommen, aber nicht gebilligt.
420 421 422
Siehe schon oben § 2 VI A (S. 94 f.). Staub/Koller (4. Aufl. 2001), § 346 Rn. 11, 21; Schroeder (1983), S. 71. Bejahend Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 188.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
III. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im unternehmerischen Verkehr Die oben aufgeworfene Frage, ob es möglich ist, die gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen aus den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abzuleiten, kann nach alledem bejaht werden: Ein Hinweis auf die AGB, eine Kenntnisnahmemöglichkeit und eine Einbeziehungsabrede sind nach diesen Grundsätzen regelmäßige Voraussetzungen für ihre Geltung. Diese Erkenntnis hat unmittelbare Bedeutung für die Einbeziehung von AGB im unternehmerischen Verkehr. Denn nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB findet § 305 Abs. 2 BGB keine Anwendung auf AGB, »die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden«. Die Einbeziehung bestimmt sich dann nach den gerade dargestellten Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Vorsicht ist dagegen bei einem Rückgriff auf die vor Inkrafttreten des AGBG von Theorie und Praxis entwickelten Grundsätze geboten423, befand die Rechtsgeschäftslehre sich doch damals in der Krise, und dies hatte zu einer Auflösung der Einbeziehungsvoraussetzungen geführt. Insbesondere darf nicht unbesehen an die Wissenmüssenformel angeknüpft werden424. Zudem muß nicht auf eine methodisch fragwürdige Ausstrahlungswirkung des § 305 Abs. 2 BGB auf den Unternehmerverkehr425 oder auf den nicht sonderlich aussagekräftigen Grundsatz von Treu und Glauben426 zurückgegriffen werden, um die Geltung dieser Einbeziehungsvoraussetzungen dogmatisch begründen und ihre Anwendung im Detail ausgestalten zu können.
IV. Die Geltung allgemeiner Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr Aber auch für die Frage nach der Einbeziehung von AGB im nichtunternehmerischen Verkehr kommt der Darstellung der Geltungsvoraussetzungen nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Bedeutung zu: Die Regeln der §§ 305 ff. BGB treten nicht an die Stelle der allgemeinen Auslegungs- und Vertragsschlußregeln. Sie sollen diese nur ergänzen und modifizieren. Insbeson423
Für einen solchen Rückgriff MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 89; Bunter, AcP 181 (1981), 38; BGH (3.2.1986), NJW-RR 1986, 1311. Kritisch Larenz, AT (7. Aufl. 1989), S. 555. 424 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 416 und Fn. 417. 425 So aber MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 89; Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 158; MK-BGB/Kötz (1. Aufl. 1978), § 2 AGBG Rn. 22; Müller-Graff, FS Pleyer (1986), S. 404 ff. 426 So aber Thamm/Detzer, BB 1989, 1133; BGH (30.5.1983), NJW 1983, 2772; BGH (3.2.1986), NJW-RR 1986, 1311.
IV. Geltung der Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr
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dere die Frage, ob ein Einverständnis i.S.d. § 305 Abs. 2 a.E.427 BGB vorliegt, soll sich nach diesen allgemeinen Regeln bestimmen, die damit den Verständnis- und Auslegungshintergrund des AGB-Rechts darstellen. Darüber hinaus können wir der eingangs gestellten Frage nachgehen, inwieweit die Normierung besonderer Einbeziehungsvoraussetzungen überhaupt notwendig ist428. Auch wenn sich diese Voraussetzungen der §§ 305 ff. BGB bereits aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ergeben, hat nicht ihre Kodifizierung Klarheit und Rechtssicherheit geschaffen und im Detail das Schutzniveau zugunsten des Verbrauchers angehoben?
A. Der ausdrückliche Hinweis nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB 1. Die Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 BGB § 305 Abs. 2 BGB hat eine Ausschlußfunktion. Die vor Einführung des AGBG als so problematisch empfundenen Fälle, in denen von einer Einbeziehung ausgegangen wurde, obwohl ein ausdrücklicher Hinweis fehlte und der Vertragspartner allenfalls um die Existenz der AGB wissen mußte, sollen zumindest im Anwendungsbereich des § 305 Abs. 2 BGB nicht mehr auftreten429. Das zentrale Wortpaar der Norm offenbart dies: AGB werden »nur dann« Vertragsbestandteil, wenn die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfüllt sind. Fehlt ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB, werden sie nicht Vertragsbestandteil. Nun konnten wir aber feststellen, daß ein Wissenmüssen für eine Geltung der AGB nicht ausreicht430. Insoweit hat § 305 Abs. 2 BGB also allenfalls klarstellende Wirkung. Eine klarstellende Norm richtet keinen Schaden an. Doch bleibt es im Fall des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht dabei. Der Gesetzgeber hat nämlich die Einbeziehung auch in Situationen ausgeschlossen, in denen sie auf keine Bedenken stößt. Die Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB geht nach dem Wortlaut der Norm weiter, als dies die ratio der Norm verlangt. So ist die Einbeziehung selbst dann ausgeschlossen, wenn sich der Vertragspartner trotz eines fehlenden ausdrücklichen Hinweises mit der Einbeziehung ausdrücklich einverstanden erklärt431. Um auch in diesem Fall von einer Einbeziehung ausgehen zu können, müßte der Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB wie folgt lauten: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluß […].«
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Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 25, 41. Siehe oben § 1 III (S. 13 f.). MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 47 f. Siehe oben II D 4 (S. 435). Siehe oben II C (S. 432).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
De lege lata sollte § 305 Abs. 2 BGB insoweit korrigierend ausgelegt werden. Und in der Tat geht die Rechtsprechung in diese Richtung. Der Bundesgerichtshof nahm 1986 zur Frage Stellung, ob »der ausdrückliche Hinweis des Verwenders auf die AGB dann entbehrlich ist, wenn der Kunde selbst einen Vertragsantrag abgibt, der die Einbeziehung der ihm bekannten AGB zum Gegenstand hat. Dem ist sicherlich für den Fall zuzustimmen, daß der Kunde in seinen Vertragsantrag ausdrücklich die AGB des Verwenders einbezieht«432. Denn, so ergänzt die Literatur, »der gesetzgeberische Zweck, dem Kunden Klarheit über die Geltung der AGB zu verschaffen, kann auch bei einem ›Selbsthinweis‹ des Kunden erfüllt sein«433. Doch führt diese Korrektur ihrerseits zu Problemen bei Anwendung des § 305 Abs. 2 BGB. Verwendet der Vertragspartner für seine Offerte ein vom Verwender ausgehendes Bestellformular, das einen Hinweis auf die AGB enthält, wird das Formular durch Ausfüllen des Vertragspartners zu seiner Erklärung und der in ihr enthaltene Hinweis zu einem Selbsthinweis. In einem solchen Fall wird der gesetzgeberische Zweck nur dann erfüllt, wenn der dem Vertragspartner vom Verwender untergeschobene Selbsthinweis seinerseits bestimmten Anforderungen genügt. Literatur und Rechtsprechung wollen daher auf § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB zurückgreifen, und die Möglichkeit zur Kenntnisnahme leiten sie aus dessen Nr. 2 ab434. Sie wollen die Korrektur des § 305 Abs. 2 BGB also nur dann vornehmen, wenn der Vertragspartner zu seiner ausdrücklichen Einbeziehungserklärung nicht durch Formulare des Verwenders veranlaßt wird435, also der Selbsthinweis nicht vom Verwender vorformuliert wird. Auf Grundlage der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre kommt man zu keinen anderen Ergebnissen436. Auch in dem Fall eines Geschäftsgebrauchs zwischen zwei Parteien scheint die Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 BGB unangebracht437. Kauft ein Verbraucher regelmäßig bei einem bestimmten Unternehmer, wird der Vertrag immer in dessen Geschäftsräumen abgeschlossen und hängen dort dessen AGB deutlich sichtbar aus, so sollten keine Bedenken an ihrer Geltung bestehen, wenn der Verbraucher einmal eine telephonische Bestellung aufgibt, etwa weil er aufgrund einer Krankheit die Geschäftsräume des Unternehmers nicht aufsuchen kann, und der Unternehmer, obwohl er normalerweise keine telephonischen Bestellungen entgegennimmt, sich ausnahmsweise wegen der Krankheit seines Stammkunden darauf einläßt, und zwar selbst wenn ihn der Unternehmer nicht nochmals auf seine AGB hinweist. In einer solchen Situation erscheint es fast treuwidrig, wollte sich der Vertragspartner auf die Nicht432
BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112, 113. Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 27. 434 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 37; BGH (24.3.1988), NJW 1988 2106. 435 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 12. Weitergehend Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 132. 436 Siehe oben II A 1 i (S. 404 ff.) und j (S. 407 ff.). 437 Siehe oben II D 1 (S. 433 f.). 433
IV. Geltung der Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr
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geltung der AGB berufen. Dennoch ist eine Geltung der AGB nach § 305 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Und für eine korrigierende Auslegung ist ebenfalls kein Raum. Denn der Gesetzgeber wollte in dem Fall, daß keine Partei eine ausdrückliche Einbeziehungserklärung abgibt, eine Einbeziehung gerade verhindern. 2. Der Begriff des Hinweises Der Begriff des Hinweises wurde oben wie auch in den vorangegangen Kapiteln bewußt als zu eng befunden und daher vermieden. An seiner Stelle wurde von Einbeziehungserklärungen gesprochen. Dagegen führte der Gesetzgeber ihn im heutigen § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ein und beschränkte sich so auf die Fälle, in denen AGB nicht Teil der Vertragserklärungen sind, sondern neben diesen stehen und erst durch Bezugnahme (»Hinweis«) zum Vertragsbestandteil werden. Vom Wortlaut der Vorschrift ist damit der Fall nicht erfaßt, daß eine unterschriebene Vertragsurkunde die AGB vollständig in sich aufnimmt. Hier fehlt ein Hinweis auf die AGB. Wegen der Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 BGB läge es nahe, eine Einbeziehung zu verneinen, ein unsinniges Ergebnis. Diesen Schluß zieht daher auch niemand. Die herrschende Meinung legt § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB entweder korrigierend aus438 oder glaubt, § 305 Abs. 2 BGB sei auf Formularverträge nicht anwendbar439. Die oben vorgeschlagene Lesart des § 305 Abs. 2 BGB: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluß […]«,
würde solche Auslegungsprobleme nicht verursachen. Erscheinen die AGB in einer unterschriebenen Vertragsurkunde, erklärt sich der Vertragspartner ausdrücklich mit ihrer Geltung einverstanden. Auf die übrigen Voraussetzungen käme es nicht an. Freilich sind die oben herausgearbeiteten Grenzen der Einbeziehung zu beachten440. Ebenso müssen eigentlich auch diejenigen, die § 305 Abs. 2 BGB nicht auf Formularverträge anwenden wollen, auf diese Grenzen der Einbeziehung, so wie sie sich aus der Rechtsgeschäftslehre ergeben, zurückgreifen, wollten sie nicht von ihrem Ausgangspunkt, § 305 Abs. 2 BGB sei nicht anwendbar, abweichen und die Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB doch partiell wieder anwenden441.
438 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 55; BGH (27.4.1988), NJW 1988, 2465; OLG Frankfurt (18.6.1986), NJW 1986, 2712. 439 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 103; BGH (27.10.1994), NJW 1995, 190. Einschränkend Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 32. A.A. Stoffels ( 2. Aufl. 2009), Rn. 266: § 305 Abs. 2 BGB sei bei Formularverträgen anwendbar und stets erfüllt. 440 Siehe oben II A 1 f-l (S. 398 ff.). 441 So aber Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 32; Heinrich, NJW 1995, 1396.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
3. Der Begriff der Ausdrücklichkeit Oben diente die Unterscheidung von ausdrücklichen und stillschweigenden Geltungserklärungen der Darstellung. Ihr kam keine weitergehende Bedeutung zu. Insbesondere konnte eine Einbeziehung bejaht werden, wenn es an einem ausdrücklichen Hinweis fehlte. Eine genaue Abgrenzung war entbehrlich. Wegen der Ausschlußwirkung des § 305 Abs. 2 BGB entscheidet nunmehr die Auslegung des Begriffs der Ausdrücklichkeit über die Einbeziehung. Fehlt es an einem solchen Hinweis, so ist die Geltung der AGB ausgeschlossen: Der Begriff der Ausdrücklichkeit findet sich in zahlreichen Gesetzen, ohne dabei einheitlich verwendet zu werden442. Zu § 305 Abs. 2 BGB nennt die Lehre oft nur einen wörtlichen (schriftlichen oder mündlichen) Hinweis443. Dennoch wird der Begriff der Ausdrücklichkeit nicht in diesem engen Sinne verstanden. Der Wille des Verwenders, unter Einbeziehung seiner AGB zu kontrahieren, muß unzweideutig zum Ausdruck kommen444. Das kann auch durch einen Fingerzeig auf die AGB geschehen445. Nicht genügen sollen allein Handlungen, »die in erster Linie einen anderen Zweck verfolgen und aus denen nur mittelbar« auf einen Willen des Verwenders, unter Einbeziehung der AGB zu kontrahieren, geschlossen werden kann446. Theorie und Praxis stellen zahlreiche Anforderungen an den Hinweis, die sie aus dem Begriff der Ausdrücklichkeit, dem Schutzzweck des § 305 Abs. 2 BGB und dem Transparenzgebot herleiten: Der Hinweis müsse lesbar und deutlich erfolgen447. Er dürfe nicht versteckt448, müsse vielmehr auffällig449 und einem Kunden von durchschnittlicher Aufmerksamkeit450 bzw. einem durchschnittlichen Kunden auch bei nur flüchtiger Betrachtung erkennbar sein451. Fehle auf der Vorderseite eines Bestellformulars ein Hinweis, so genüge ein Abdruck auf der Rückseite des Formulars dem Erfordernis der Ausdrücklich-
442 So in §§ 244, 700 BGB, 22, 405 HGB, 38, 1031 ZPO: Medicus, AT (9. Aufl. 2006), Rn. 335; Schroeder (1983), S. 90 ff. 443 So z.B. Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 12. 444 BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112; Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 105; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 45. Allgemein Flume II (3. Aufl. 1979), S. 63. Enger Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 24 Rn. 15 ff. 445 Locher (3. Aufl. 1997), S. 42. Einschränkend Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 124, 133. A.A. Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 17. 446 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 54. 447 Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 13, BGH (29.11.1983), NJW 1984, 801; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112. 448 PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305 Rn. 41; Mehrings, BB 1998, 2375; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112, 1134; OLG Düsseldorf (15.10.1981), BB 1983, 84. 449 Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 26. 450 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 54; Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 2; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112. 451 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 110; Metz, NJW 1991, 2805; LG Essen (13.2.2003), NJW-RR 2003, 1207; OLG Frankfurt (18.6.1986), NJW 1986, 2712.
IV. Geltung der Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr
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keit ebensowenig452 wie der Abdruck in Katalogen453 oder die bloße Übergabe der AGB454. Die Unbeachtlichkeit von Hinweisen in Katalogen wird zum Teil auch aus den Worten »die andere Vertragspartei« hergeleitet. Wer derart auf seine AGB hinweist, macht nicht den Vertragspartner, sondern die Öffentlichkeit auf seine AGB aufmerksam455. Auch müsse sich der Hinweis auf einen bestimmten Vertrag beziehen456. Erfolge ein Hinweis auf die umseitigen AGB, so würden solche Klauseln, die vor der Überschrift »Allgemeine Geschäftsbedingungen« abgedruckt sind, nicht Vertragsbestandteil457. Zudem müsse der Hinweis grundsätzlich vor der Unterschrift stehen458, denn nur dann könne davon ausgegangen werden, daß der Unterzeichnende den Hinweis auch wahrgenommen habe459. Der Hinweis müsse klar und unmißverständlich sein460. Zum einen müsse dabei unmißverständlich sein, daß der Verwender überhaupt unter Einbeziehung seiner AGB kontrahieren wolle461. Zum anderen müsse sich aus dem Hinweis eindeutig ergeben, welche Klauseln einbezogen werden sollen462. Er müsse auf bestimmte AGB verweisen463. Dabei soll genügen, wenn auf ein zwar nur unbestimmt bezeichnetes Klauselwerk verwiesen, ein bestimmtes Klauselwerk jedoch beigefügt wird464. Bei einem Hinweis auf mehrere Klauselwerke müsse ihr Rangverhältnis klar sein465. Sonst, das folge aus dem Transparenzgebot, sei eine Einbeziehung ausgeschlossen. Dasselbe gelte, wenn auf AGB verwiesen werde, die nicht für den abgeschlossenen Vertragstyp geschaffen seien, also z.B. für einen Mietvertrag auf Allgemeine Lieferbedingungen. Nur ausnahmsweise, nämlich wenn unmißverständlich mitgeteilt werde, daß die in der Tat an sich unpassenden AGB gelten sollen und wenn klar sei, wie 452 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 54; Vortmann, EWiR 1990, 967; OLG Nürnberg (21.3.1990), WM 1990, 1370; LG Berlin (10.6.1980), NJW 1982, 343; LG Münster (25.7.1979), VersR 1980, 100. A.A. OLG Celle (26.11.1985), NJW-RR 1986, 833 (Hinweis auf der Rückseite eines Lottoscheines genüge). 453 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 110; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 130; BGH (20.3.1986), NJW 1986, 1748 (ausdrücklicher Hinweis durch Abdruck der AGB auf der letzten Seite eines achtseitigen Katalogs). A.A. OLG München (28.1.1998), NJWRR 1999, 1358 (Abdruck der AGB in einem 24-seitigen Katalog). 454 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 37. A.A. Locher (3. Aufl. 1997), S. 42. 455 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 9. 456 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 9. 457 PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305 Rn. 42; OLG München (28.1.1998), NJW-RR 1999, 1358; BGH (14.1.1987), NJW 1987, 2131. 458 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 129. 459 So die Begründung bei Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 27. 460 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 124; Löhnig, NJW 1997, 1688 f.; v. Westphalen, BB 1990, 2; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112. 461 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 37. 462 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 29. 463 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 106. 464 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 126. 465 Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 26.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
die in Bezug genommenen AGB modifiziert werden sollen, könne von einer Geltung ausgegangen werden466. Diese Anforderungen ergeben sich zum größten Teil bereits aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre467. § 305 Abs. 2 BGB führt insoweit nicht zu einer Anhebung des Schutzniveaus zugunsten des Vertragspartners. Aber sind die ratio des § 305 Abs. 2 BGB, der Begriff der Ausdrücklichkeit und das Transparenzgebot nicht Kristallisationspunkte, um die diese Anforderungen besonders eingängig erklärt werden können? Hat § 305 Abs. 2 BGB daher nicht zu Rechtsklarheit geführt? Ich denke nicht. Wer diese Anforderungen aus dem Begriff der Ausdrücklichkeit herleiten will, verdeckt nicht nur den Zusammenhang zur Rechtsgeschäftslehre. Er überfordert auch diesen Begriff: Druckt der Verwender AGB auf der Rückseite eines Vertragsformulars ab, erklärt er sich ausdrücklich zur Einbeziehung. Verweist das Formular auf der Vorderseite nicht auf die Rückseite, so deckt die Unterschrift des Vertragspartners auf der Vorderseite nicht mehr die AGB. Die Einbeziehung scheitert an seinem fehlenden Einverständnis. Nicht das Wie des Verwenderhinweises ist in diesem Fall problematisch, sondern das Ob der Zustimmung des Vertragspartners. Auch Willenserklärungen mit einem unbestimmten Inhalt können ausdrücklich erfolgen. Sie sind dann nicht wirkungslos, weil es an der Ausdrücklichkeit mangelt, sondern weil ihnen auch durch Auslegung kein Sinn beigelegt werden kann468. Daß aus dem Begriff der Ausdrücklichkeit Anforderungen hergeleitet werden, die nichts mit der Ausdrücklichkeit zu tun haben, führt auch dazu, daß die Ausnahmen zu diesen Anforderungen nicht erklärbar sind. So weist die Literatur darauf hin, daß ausnahmsweise der Hinweis auch nach einer Unterschrift stehen kann, wenn trotz dieser Platzierung des Hinweises von der Gestaltung der Urkunde her klar ist, daß er Teil der unterschriebenen Urkunde sein soll469. Ob der Hinweis nun vor oder nach der Unterschrift steht, ist für die Ausdrücklichkeit des Hinweises ohne Belang. Er erfolgt in beiden Fällen ausdrücklich. Problematisch ist wiederum nicht die Erklärung des Verwenders, sondern allein die des Vertragspartners. Fraglich ist nämlich, ob der Vertragspartner der Einbeziehung durch seine Unterschrift zugestimmt hat. Und die Antwort auf diese Frage wird man nicht aus dem Begriff der Ausdrücklichkeit, dem Schutzzweck des § 305 Abs. 2 BGB oder dem Transparenzgebot herleiten können, sondern allein unter Rückgriff auf die Regeln der Rechtsgeschäftslehre finden. Die Herleitung all dieser Anforderungen aus dem Begriff der Ausdrücklichkeit, dem Schutzzweck des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB und dem Transparenzge466
Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 106. Siehe oben ausführlich II A 1 (S. 394 ff.). 468 Vgl. auch AG Frankfurt (1.10.2002), NJW-RR 2003, 641, das zu Recht das Bestimmtheitserfordernis nicht mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGBG in Verbindung bringt. 469 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 129. 467
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bot legt zudem den Umkehrschluß nahe, außerhalb des durch § 310 Abs. 1 S. 1 BGB definierten Anwendungsbereich des § 305 Abs. 2 BGB dürfe der Hinweis undeutlich, versteckt oder mißverständlich formuliert sein oder eine Einbeziehung sei ganz unproblematisch zu bejahen, wenn die AGB auf der Rückseite eines unterschriebenen Auftragsformulars erscheinen, ohne daß auf der Vorderseite auf die Rückseite verwiesen wird. Dieser Schluß wird zu Recht nicht gezogen470. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 305 Abs. 2 BGB müssen diese Anforderungen damit ohnehin auf die allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zurückgeführt werden. Dort, wo die Literatur unter Berufung auf den Schutzzweck des § 305 Abs. 2 BGB bei den Anforderungen an die Ausdrücklichkeit über das durch die allgemeine Rechtsgeschäftslehre vorgegebene Maß hinausgeht, werden die Ergebnisse schließlich bedenklich: Daß aus dem Erfordernis der Ausdrücklichkeit folge, der Hinweis müsse so gestaltet sein, daß er selbst bei flüchtiger Betrachtung nicht übersehen werden könne471, ist so nicht richtig. Es muß zwischen den Fällen, in denen der Vertragspartner ausdrücklich und in denen er nur konkludent der Einbeziehung zustimmt, unterschieden werden. Unterschreibt der Vertragspartner einen Bestellschein, der ihn ausdrücklich auf die AGB hinweist, und erklärt er somit ausdrücklich sein Einverständnis in die Einbeziehung der AGB, muß die Bezugnahmeklausel so versteckt und so undeutlich sein, daß der Verwender die Unterschrift des Vertragspartners nicht so deuten darf, daß sein Wille sich auch auf die Einbeziehung bezieht. Nur dann kann bereits im Rahmen der Auslegung die Einbeziehung verneint werden472. Erwirkt der Verwender hingegen keine ausdrückliche Erklärung des Vertragspartners zur Einbeziehung, sondern schließt er diese Zustimmung nur aus der Tatsache, daß der Vertragspartner mit ihm den Vertrag eingeht, so muß er alles getan haben, daß der Vertragspartner gar nicht anders konnte, als die AGB oder den Hinweis auf sie und ihre Relevanz für den Vertrag wahrzunehmen473. Aus dem Wechselspiel des Ausdrücklichkeitserfordernisses und der Voraussetzung, der Hinweis müsse bei Vertragsschluß erfolgen, schließt eine Literaturmeinung, daß grundsätzlich in der Form auf die AGB hingewiesen werden müsse, in der auch der Vertrag geschlossen werde, daß also bei einem 470 Vgl. z.B. OLG Düsseldorf (29.6.2001), NJW-RR 2001, 1531; BGH (3.12. 1987), NJW 1988, 1210 (Bezugnahme auf die »Vorschriften und Bedingungen der Straßenbauverwaltung von Rheinland-Pfalz« als zu unbestimmt); BGH (14.1.1987), NJW 1987, 2431 (vom Hinweis i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 AGBG waren die Klauseln auf der Rückseite des Formulars, auf die auf der Vorderseite durch die Formulierung »umseitige AGB« hingewiesen worden war, nicht mehr erfaßt, die vor der Überschrift »Allgemeine Geschäftsbedingungen« abgedruckt waren; der BGH betonte, daß er zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn § 2 AGBG nicht anwendbar gewesen wäre). 471 Siehe die Nachweise oben in Fn. 451. 472 Siehe oben II A 1 i (S. 404 ff.). 473 Siehe oben II B 1 e (S. 427 ff.).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
schriftlichen Vertragsschluß der Hinweis schriftlich, bei einem mündlichen Vertragsschluß der Hinweis mündlich sein müsse474. Bei einem mündlichen Vertragsschluß reiche daher nicht, wenn die AGB einfach übergeben werden. Erforderlich sei, daß sie von einem entsprechenden ausdrücklichen und nicht nur beiläufigen mündlichen Hinweis begleitet seien. Und auch ein schriftlicher Hinweis reiche bei einem mündlichen Vertragsschluß nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn der Vertragspartner sich bei seiner mündlichen Vertragserklärung auf ein schriftliches Angebot des Verwenders beziehe, das einen ausdrücklichen Hinweis enthalte. Auch das ist so nicht richtig. Der Verwender wird bei einem schriftlichen Vertragsschluß Probleme haben, den mündlichen Hinweis zu beweisen. Er muß zudem die Vermutung entkräften, daß die Vertragsurkunde den Vertragsinhalt vollständig wiedergibt. Er muß nachweisen, daß ein Bezug zwischen dem mündlichen Hinweis und dem nachfolgenden Vertragsschluß bestand. Und er muß darlegen, daß der Hinweis deutlich erfolgte. Gelingt ihm all dies, so sollten an der Einbeziehung keine Zweifel bestehen. 4. Der Zeitpunkt des ausdrücklichen Hinweises Gemäß § 305 Abs. 2 BGB muß der ausdrückliche Hinweis bei Vertragsschluß erfolgen. Ein Vertrag kommt durch Angebot und Annahme zustande. Es liegt daher die Auslegung nahe, daß der ausdrückliche Hinweis Teil des Angebots des Verwenders sein oder zumindest im Augenblick der Erklärung des Angebots erfolgen muß. Mit dieser Auslegung weicht § 305 Abs. 2 BGB von der Einbeziehung, nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre ab: Denn ein ausdrücklicher Hinweis vor Vertragsschluß, also im Rahmen von Vertragsverhandlungen, scheint den Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB nicht zu genügen. Eine Einbeziehung scheint nach § 305 Abs. 2 BGB selbst dann ausgeschlossen, wenn sich der Vertragspartner nach dem ausdrücklichen Hinweis, aber noch im Rahmen der Vertragsverhandlungen ausdrücklich mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt. Und auch der ganz unproblematische Fall, daß der Vertragspartner für sein Angebot ein vom Verwender ausgehendes Formular benutzt, das den ausdrücklichen Hinweis enthält, bereitet Schwierigkeiten. Denn der Verwender weist auf seine AGB zwar ausdrücklich hin, aber eben nur vor Vertragsschluß, indem er das Bestellformular an den Vertragspartner übersendet. Bei Vertragsschluß, also bei Abgabe von Angebot und Annahme, weist nur der Vertragspartner auf die AGB ausdrücklich hin. Ein solch weitgehender Schutz des Vertragspartners ist nicht gerechtfertigt. Selbst wenn der Vertragspartner nur im Rahmen von Vertragsverhandlungen 474 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 45. Ablehnend Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 110, 120; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 8.
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ausdrücklich auf die AGB hingewiesen wird, so weiß er doch regelmäßig, daß der Vertrag AGB unterstellt werden soll. Ein Schutzbedürfnis besteht hier schon deshalb nicht, weil auch nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre der vorvertragliche Hinweis und der nachfolgende Vertragsschluß in Beziehung zueinander stehen müssen475. In den Fällen, in denen sich der Vertragspartner im Rahmen der Vertragsverhandlungen und damit noch vor Vertragsschluß mit der Geltung der AGB einverstanden erklärt, ist dieses Ergebnis de lege lata nur vermeidbar, indem man von einem Rahmenvertrag i.S.d. § 305 Abs. 3 BGB ausgeht, auch wenn man vergleichbaren ausdrücklichen Erklärungen über zu treffende Individualabreden nicht die Bedeutung eines Normenvertrages zu kommen lassen, sondern sie allein im Rahmen der Auslegung des nachfolgend abgeschlossenen Vertrages berücksichtigen würde. Hier zwingt der Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB zu Hilfskonstruktionen, um andernfalls eigentlich zwingenden, aber wenig sachgerechten Ergebnissen zu entgehen. Mit der oben favorisierten Formulierung des § 305 Abs. 2 BGB: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender bei Vertragsschluß […]«,
würde es dieses Anwendungsproblem nicht geben. Auch der Fall, daß der Verwender erst nach Vertragsschluß auf seine AGB hinweist, der Vertragspartner einer Einbeziehung aber ausdrücklich zustimmt, würde mit dieser Fassung des § 305 Abs. 2 BGB keine Probleme bereiten. Schon heute glaubt die herrschende Meinung, der Fall einer nachträglichen Einbeziehung könne mit der geltenden Fassung des § 305 Abs. 2 BGB gelöst werden476. Freilich bedarf es dazu eines Kniffes. Liest man § 305 BGB ganz unbefangen, so erweckt er den Eindruck, als meine er den Vertrag, dessen Bestandteil die AGB werden sollen, mit »bei Vertragsschluss«, also etwa einen Kaufvertrag. Im Fall der nachträglichen Einbeziehung müsse dagegen »bei Vertragsschluss« als »bei Abschluß des auf die nachträgliche Einbeziehung gerichteten Änderungsvertrages« gelesen werden477. Mit diesem Verständnis kann man in der Tat den Fall der nachträglichen Einbeziehung lösen. Freilich führt diese Lesart auch zu Ungereimtheiten: (a) Weicht man bei vorvertraglichen Hinweisen über § 305 Abs. 3 BGB aus, und liest man bei nachträglichen Hinweisen das Tatbestandsmerkmal »bei Vertragsschluss« so, wie gerade aufgezeigt, dann entläßt man es eigentlich in die Bedeutungslosigkeit. (b) Der Begriff des Vertrages würde sich in § 305 Abs. 2 BGB auf verschiedene Verträge 475 476
Siehe oben II A 1 h (S. 403 f.) und II B 1 d (S. 426). Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 12; BGH (16.12.1982), NJW 1983, 816,
817. 477 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 107; v. Westphalen, EWiR 1986, 744; KG (6.1.1994), NJW-RR 1994, 1265.
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beziehen. Der Hinweis müßte »bei Vertragsschluss« erfolgen, also bei Abschluß des Änderungsvertrages. Rechtsfolge ist, daß die AGB »Bestandteil eines Vertrags« werden. Hier ist nun aber nicht der Änderungsvertrag gemeint, sondern der Vertrag, der geändert werden soll, also etwa ein Kaufvertrag. (c) Dasselbe Problem ergibt sich für die Auslegung des § 305 Abs. 1 BGB. Die AGB sind für eine Vielzahl von z.B. Kaufverträgen vorformuliert, aber nicht für eine Vielzahl von Änderungsverträgen. (d) Das Besondere bei der nachträglichen Einbeziehung von AGB ist, daß der Vertragspartner grundsätzlich ausdrücklich zustimmen muß. Das verlangt auch die herrschende Meinung478. Doch diese Differenzierung findet sich nicht in § 305 Abs. 2 BGB. Bei einem ausdrücklichen Hinweis auf die AGB nach Vertragsschluß scheitert die Einbeziehung also gar nicht an dem Tatbestandsmerkmal »bei Vertragsschluss«479, sondern regelmäßig an dem fehlenden ausdrücklichen Einverständnis des Vertragspartners. Eben wurden die Probleme aufgezeigt, die sich ergeben, wenn man das Tatbestandsmerkmal »bei Vertragsschluss« so auslegt, daß der Hinweis Teil des Vertragsangebots des Verwenders sein muß. Es kann jedoch auch anders, nämlich zeitlich, verstanden werden. Ein ausdrücklicher Hinweis, der dem Vertragsschluß unmittelbar vorausgeht oder, wie es die Rechtsprechung ausdrückt, »im Zusammenhang mit Erklärungen und Verhandlungen der Vertragspartner gegeben [wird], die zum Zustandekommen des angestrebten konkreten Vertrages führen«, reicht aus480. Mit dieser Auslegung kann man den Fall einer sachgerechten Lösung zuführen, daß der Vertragspartner ein vom Verwender ausgehendes Bestellformular ausfüllt, das einen ausdrücklichen Hinweis enthält481. Unmittelbar vor Ausfüllen wird der Vertragspartner ausdrücklich auf die AGB hingewiesen. Mit seiner Unterschrift macht er den Bestellschein zu seiner eigenen Willenserklärung und stimmt so der Einbeziehung zu. Doch auch mit dieser Auslegung zwingt § 305 Abs. 2 BGB zu einer etwas umständlichen Analyse dieses Falles, die sich erübrigen würde, wenn generell auch vorvertragliche Hinweise genügen würden. 478 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 75; KG (6.1.1994), NJW-RR 1994, 1265; LG Gießen (24.1.1996), NJW-RR 1996, 630; LG Frankfurt (26.3.1991), NJW 1991, 2842. Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 157 und Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 6 verlangen nicht ein ausdrückliches, sondern nur ein eindeutiges Einverständnis. A.A. Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 13, 18 (auch im Fall eines nachträglichen Hinweises genüge eine konkludente Zustimmung; das bloße Schweigen auf die nachträgliche Übersendung der AGB stelle aber kein konkludentes Einverständnis dar); Schroeder (1983), S. 96 (erfolge der Hinweis besonders deutlich, genüge ein konkludentes Einverständnis). Vgl. auch LG Frankfurt (25.11.1987), NJW-RR 1988, 955, 956 (Stehenlassen des Kfz als konkludent erklärtes Einverständnis in die Geltung der AGB bei erst nachträglich gewährter Kenntnisnahmemöglichkeit). 479 So aber etwa Bamberger/Roth/Becker (2. Aufl. 2007), § 305 Rn. 45. 480 BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112, 113. Aus der Literatur statt aller Staudinger/ Schlosser (2006), § 305 Rn. 118; v. Westphalen, EWiR 1986, 744. 481 Hierzu statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 118.
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Aber auch mit dieser Auslegung der Wendung »bei Vertragsschluss« müßte de lege lata eine Einbeziehung in all den Fällen abgelehnt werden, in denen der Verwender den Vertragspartner im Rahmen von zeitlich gestreckten Vertragsverhandlungen und damit vor, aber nicht in unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertragsschluß auf seine AGB hingewiesen hat, der Vertragspartner in Kenntnis dieses Sachverhalts den Vertrag mit dem Verwender eingegangen ist und somit auch er von der Geltung der AGB ausging, freilich ohne sich zur Einbeziehung ausdrücklich zu äußern. Aber auch diesen Schluß zieht ein Teil der Literatur nicht. Er will genügen lassen, daß »irgendwann einmal im laufe der Vertragsverhandlungen ausdrücklich auf AGB hingewiesen wurde«482. So liest man »bei Vertragsschluß« als »in den Vertragsverhandlungen« oder als »vor oder bei Vertragsschluß«. Vorzugswürdig wäre es also gewesen, hätte der Gesetzgeber formuliert: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß […]«,
Daß nicht jede vorvertragliche Erklärung Bedeutung erlangen kann, ist bereits oben deutlich geworden: Die vorvertraglichen Erklärungen bzw. der vorvertragliche Hinweis und der nachfolgende Vertragsschluß müssen in Beziehung zueinander stehen483. Die Fälle, die Rechtsprechung und Lehre unter Rückgriff auf das Tatbestandsmerkmal »bei Vertragsschluss« lösen, so z.B. der Fall, daß der Hinweis nur in Bezug auf frühere Vertragsschlüsse abgegeben worden war484, sind also nicht anders zu lösen, wenn man vorvertragliche Erklärungen grundsätzlich als beachtlich anerkennt. Und wo der Bezug besteht, setzen sich Theorie und Praxis ohnehin über dieses Tatbestandsmerkmal hinweg485: Ein vorvertraglicher Hinweis soll bis zum Vertragsschluß fortwirken, wenn er in Hinblick auf einen ganz konkreten Vertragsschluß abgegeben worden ist. Das ist ein praktisch sinnvolles Ergebnis. Nur ist es mit dem Wortlaut des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB kaum in Einklang zu bringen. Rechtsprechung und Lehre legen also schon heute § 305 Abs. 2 BGB im Sinne der eben vorgeschlagenen Fassung korrigierend aus, und lesen an Stelle des »bei« ein »spätestens bei«486. Das Tatbestandsmerkmal »bei Vertragsschluss« führt aber nicht nur zu Auslegungsproblem. Es verleitet in einigen Fallkonstellationen auch zu einer 482
Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 118. Siehe oben II A 1 h (S. 403 f.) und II B 1 d (S. 426). 484 Statt aller Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 13; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 289; OLG Hamburg (29.9.1989), VersR 1989, 1268. 485 Statt aller Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 158 f.; v. Westphalen, BB 1990, 2; ders., EWiR 1986, 744; LG Ansbach (24.7.1989), NJW-RR 1990, 563; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112. A.A. Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 117. 486 So ausdrücklich Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 6. 483
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Absenkung des Schutzniveaus zulasten des Vertragspartners. Versteht man nämlich »bei Vertragsschluss« in einem zeitlichen Sinne so, daß der Hinweis nur in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zum Vertragsschluß stehen muß, so scheint auch ein Hinweis, der unmittelbar nach Vertragsschluß erfolgt, noch zu genügen, und das vertritt in der Tat ein Teil der Lehre487: »Nicht ausreichend ist ein Hinweis, der erst nach Vertragsschluss gemacht wird […]. Anders verhält es sich, wenn dem Kunden an der Kasse eines Warenhauses beim Bezahlen der ausgesuchten Waren Quittungen oder Rechnungen mit einem Hinweis auf die AGB ausgehändigt werden. Hier ist der Vertrag nicht schon abgeschlossen, wenn der Kunde die Ware an der Kasse präsentiert und der angestellte Verkäufer Preis und Warennummer in die Registrierkasse eingibt; wie auch sonst bei Barkäufen des täglichen Lebens setzt der Vertragsschluss hier voraus, dass die Ware an der Kasse übergeben und der Kaufpreis bezahlt wird. Wenn der Kunde in diesen Fällen mit Erhalt des Kassenbons auf die AGB hingewiesen wird und zugleich die Möglichkeit der Kenntnisnahme erhält, kann er immer noch vom Vertragsschluss Abstand nehmen. Ebenso rechtzeitig werden die Voraussetzungen von Abs. 2 erfüllt, wenn sich der Hinweis auf die AGB auf einem Reparaturschein oder Fahrschein, auf einer Garderobenmarke, einer Eintrittskarte oder auf dem Parkschein eines Parkhauses befindet.«
Der Vertrag wird in dem beschriebenen Szenario regelmäßig vor Erhalt des Kassenbons geschlossen. Eine Einbeziehung ist nur noch möglich, wenn der Vertragspartner ausdrücklich zustimmt. Die zitierte Meinung will dagegen ein Festhalten am geschlossenen Vertrag als stillschweigendes Einverständnis in die nachträgliche Einbeziehung deuten. Und sie will nicht einmal einen Widerspruch gegen die Einbeziehung gelten lassen. Der Vertragspartner müsse vom bereits geschlossenen Vertrag wieder Abstand nehmen, wenn er sich den AGB nicht aussetzen will. Unklar ist, woraus der Vertragspartner sein Recht zu Abstandnahme herleiten soll und wie die Abstandnahme dogmatisch einzuordnen ist, als Rücktritt, Anfechtung oder Widerspruch. Für Garderobenmarken und Eintrittskarten wird von der Literatur zum Teil darauf verweisen, daß der Vertrag erst mit ihrer Aushändigung perfekt wird488. Dennoch werden die AGB nicht Vertragsbestandteil. Denn es fehlt an einem Verhalten des Kunden, das als konkludente Zustimmung ausgelegt werden kann. Die kommentarlose Entgegennahme durch den Kunden kann nicht als ein solches Verhalten gelten. Denn erst nach Entgegennahme kann der Kunde die Garderobenmarke etc. lesen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Vertrag aber bereits geschlossen. Freilich hängt hier viel von den Umständen des Einzelfalls ab489. Schließlich, 487 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 74. Ablehnend z.B. Ulmer/Brandner/ Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 134; Mehrings, BB 1998, 2378; LG Berlin (10.6.1980), NJW 1982, 343. 488 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 121. 489 Vgl. z.B. OLG Hamm (13.1.1997), NJW-RR 1998, 199: Hinweis auf einer an der Kasse erhaltenen Quittung genügte, weil der Vertragspartner diesen noch vor dem endgültigen Abschluß des Vertrages zu Kenntnis nehmen konnte.
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und das scheint mir entscheidend zu sein, ist ein Kassenbon, ebenso wie eine Garderobenmarke, der falsche Ort, um auf AGB hinzuweisen. Sie sind nicht der Ort für Vertragserklärungen490. Versteht man § 305 Abs. 2 BGB vor dem Hintergrund der Rechtsgeschäftslehre als dogmatischen Rahmen der Einbeziehungsproblematik, ist diese Ansicht schlicht unhaltbar, und sie verdeutlicht die Gefahren, die aus einem isolierten Verständnis und einer autonomen Auslegung dieser Norm resultieren können: Es kommt zu einer bloßen Interessenabwägung ohne dogmatische Rückkoppelung.
B. Der Hinweis durch Aushang nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB 1. Der Hinweis durch Aushang als ausdrücklicher Hinweis Neben dem ausdrücklichen Hinweis nennt § 305 Abs. 2 BGB den Hinweis durch Aushang. Das Oder (»ausdrücklich oder […] durch deutlich sichtbaren Aushang«) suggeriert dabei, daß ein Aushang kein ausdrücklicher Hinweis ist. Ein Hinweis durch Aushang ist indes ein ausdrücklicher Hinweis491. § 305 Abs. 2 BGB hätte also heißen müssen: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich, durch einen Aushang jedoch nur, wenn ein sonstiger ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist und der Aushang deutlich sichtbar am Orte des Vertragsschlusses erfolgt, auf sie hinweist […].«
2. Die unverhältnismäßigen Schwierigkeiten eines sonstigen ausdrücklichen Hinweises Nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist ein Aushang nur beachtlich, wenn ein sonstiger ausdrücklicher Hinweis nach Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist. Eine solche Einschränkung der Beachtlichkeit von Aushängen kennt die Rechtsgeschäftslehre nicht. Für die Frage, wann solche unverhältnismäßigen Schwierigkeiten bestehen, wird differenziert: Sie können sich aus einer Automatisierung des Vertragsschlusses ergeben, wenn kein persönlicher Kontakt zwischen den Parteien besteht, so bei Schließfächern, Fahrkartenautomaten oder in Parkhäusern492. Sie können 490 Statt aller Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 30. Zweifelhaft deshalb LG Frankfurt (25.11.1987), NJW-RR 1988, 955 (Parkschein); OLG Hamm (13.1.1997), NJW-RR 1998, 199 (Quittung eines Einkaufsmarkt). 491 So auch Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 19. Siehe oben II B 1 a (S. 423 f.). 492 Statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 31; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 60; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 138.
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sich zudem aus der Notwendigkeit einer zügigen Abwicklung des Vertragsschlusses ergeben, so an Garderoben und bei Versteigerungen493; streitig war, ob hierunter auch in chemischen Reinigungen geschlossene Verträge fielen494. Schließlich können sie daraus folgen, daß der Gehilfe des Verwenders nicht dazu geeignet ist, rechtlich erhebliche Erklärungen abzugeben, so wiederum an Garderoben495. Zunächst blieb die Literatur bei diesen drei Fallgruppen stehen, und sprach sich so für eine strenge Anwendung dieser Einschränkung aus. Doch nachfolgend wurde sie immer weiter gelockert. So sollen nach der heute herrschenden Meinung Aushänge im täglichen Massenverkehr, in Bagatellfällen bzw. Geschäften des täglichen Lebens von geringer Bedeutung möglich sein496. Dabei soll genügen, wenn ein mündlicher oder schriftlicher Hinweis eine erhebliche497 oder überflüssige498 Erschwerung, eine unnötige Behinderung499 oder eine unzumutbare Belästigung500 der Geschäftsabwicklung oder einen unnötigen Formalismus501 darstellen würde. Als weitere Beispiele, in denen ein Aushang möglich ist, ergänzt die Literatur daher Vertragsschlüsse in Kaufhäusern und Selbstbedienungsläden über geringwertige Alltagsartikel und Verträge über Theater-, Kino- und Freibadbesuche sowie über Besuche sonstiger Freizeitveranstaltungen502. Die Literatur glaubt, daß sie nur eine weite Auslegung vornimmt und allein diese dem durch § 305 Abs. 2 BGB anerkannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht wird503. Doch durch Auslegung ist diese Ausdehnung nicht zu erreichen. Es handelt sich um eine Gesetzeskorrektur, die sich über den Wortlaut der Norm hinwegsetzt. Denn unverhältnismäßige Schwierigkeiten liegen in diesen Beispielen nicht vor. Freilich steht diese Ausdehnung der Beachtlichkeit von Aushängen im Einklang mit dem Zweck des Abs. 2 zu gewährleisten, daß der Vertragspartner davon Kenntnis nimmt, daß dem Vertrag AGB zugrunde gelegt werden sollen. Der Gesetzgeber ging noch davon aus, daß das bei einem sonstigen ausdrücklichen Hinweis besser gewährleistet ist als bei einem Aushang. Nunmehr erkennt die herrschende Meinung an, daß genau umgekehrt in vielen Fällen ein Aushang den Interessen des Vertragspartners eher gerecht wird als ein ausdrücklicher Hinweis. Wer an einen Automa493
Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 3; BGH (23.5.1984), NJW 1985, 850. Vgl. hierzu die Darstellung bei G. Schmidt, VersR 1978, 594 f. 495 Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 3. 496 Statt aller Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 13; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 31; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 272 f. 497 Locher (3. Aufl. 1997), S. 45 f. 498 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 31. 499 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 139. 500 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 130. 501 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 14. 502 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 60 f. 503 So ausdrücklich Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 139. 494
IV. Geltung der Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr
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ten tritt, wird sich ohnehin auf schriftliche Bedienhinweise konzentrieren. Wenn dabei seine Aufmerksamkeit auch auf AGB gelenkt wird, so ist gewährleistet, daß er den Hinweis wahrnimmt. Eine heute technisch mögliche Computerstimme, die den Kunden bei dem ersten Knopfdruck auf die AGB mündlich hinweist, wäre schlicht albern. Und die AGB müssen, um die Kenntnisnahmemöglichkeit zu gewährleisten, ohnehin ausgehängt werden. In Selbstbedienungsläden würden Kunden den erstmaligen Hinweis auf die AGB sicher als hilfreich, jeden weiteren, von einem Kassierer monoton dahergesagten Hinweis als aufdringlich empfinden. Im Kino nimmt der Vertragspartner einen Aushang an der Kasse eher war, als etwa einen Hinweis auf einer Eintrittskarte, die er üblicherweise nicht auf solche Hinweise untersucht. Ein Aushang erfüllt in diesen Fällen den Zweck der Nr. 1 eher als ein sonstiger ausdrücklicher Hinweis504. Die heute herrschende Meinung reduziert nach alledem den Nebensatz »wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist« teleologisch. Jedoch führt diese teleologischen Reduktion auch zu Problemen: Die Literatur differenziert nach der Bedeutung des abgeschlossenen Geschäfts505: Ein Aushang soll danach bei Massengeschäften des täglichen Lebens generell möglich sein. Soweit zur Begründung auf den Bagatellcharakter dieser Geschäfte verwiesen wird, ist das irreführend. Klauseln, welche die Haftung für Folgeschäden ausschließen, können selbst bei Massengeschäften mit Bagatellcharakter weitreichende Konsequenzen haben. Kauft ein Kunde dagegen einen teuren handgearbeiteten Füllfederhalter, so hat der Vertrag keinen Bagatellcharakter. Freilich sind die Folgeschäden, die durch die AGB beschränkt werden können, zumindest vorhersehbar und können eher als Bagatellschäden eingeordnet werden. Der Bagatellcharakter des Geschäftes sollte also ohne Bedeutung sein. Zudem führt die Differenzierung zwischen Alltagsgeschäften, Massengeschäften und Geschäften mit Bagatellcharakter einerseits und allen übrigen Geschäften zu Abgrenzungsschwierigkeiten, die ein planendes Handeln des Verwenders unmöglich werden lassen. Auf die Sicht des Verwenders kann es für die Abgrenzung nicht ankommen. Für eine Bank sind alle Bankgeschäfte Alltagsgeschäfte. Auf die Sicht des konkreten Vertragspartners darf aber auch nicht abgestellt. Dann wäre für jemanden, der einmal im Jahr ein Kino besucht, dieser Kinobesuch kein Alltagsgeschäft mit Massen- oder Bagatellcharakter, sondern etwas besonderes. Aber auch eine typisierende Betrachtung bereitet Probleme. Die Benutzung eines Parkhauses ist in der Regel ein Alltagsgeschäft. Ein Parkhaus eines Flughafens wird oft indes für längere Zeiträume während eines Urlaubs benutzt. Hier liegt typischerweise kein Alltags504 505
Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 14. Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 61.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
geschäft vor. Bei Kino- und Theaterbesuchen sollen Aushänge möglich sein. Dasselbe wird dann auch für Opernbesuche gelten müssen. Andernfalls käme es bei Dreispartenhäusern in Kleinstädten zu nicht hinnehmbaren Unterscheidungen. Aber ist auch der Besuch einer Opernpremiere noch ein alltägliches Massengeschäft mit Bagatellcharakter? Wohl kaum. Aus Sicht des Veranstalters, der Besucher, der Öffentlichkeit und der Presse sind Opernpremieren etwas außergewöhnliches. Und wie sieht es mit einem Besuch der Bayreuther Festspiele aus? Will man auch in Flughafenparkhäusern und für den Kauf eines Billett an der Opernkasse für eine Premiere einen Aushang genügen lassen, kann man also nicht auf den Bagatellcharakter des Vertrages abstellen. Folge der Differenzierung nach der Art des Vertrages ist weiterhin, daß in ein- und demselben Warenhaus ein Aushang je nach der wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäftes mal beachtlich und mal unbeachtlich sein soll506. Eine solche Differenzierung stößt auf Bedenken. In demselben Kaufhaus wären in der einen Abteilung, in der Alltagsartikel verkauft werden, Aushänge möglich, in einer anderen Abteilung, in der hochwertige Waren, eventuell nach einer individuellen Beratung verkauft werden, dagegen nicht. Werden in derselben Abteilung des Kaufhauses Gegenstände des täglichen Lebens und hochwertige Luxusgüter verkauft, so dürften Aushänge nach dieser Differenzierung nur in Bezug auf den Kauf der Alltagsartikel ihre Wirkung entfalten. Zu denken wäre etwa an Weinabteilungen in Kaufhäusern, wo preisgünstige Tafelweine zur Selbstbedienung aufgestellt sind, teure Spitzenweine hingegen verschlossen sind und nur auf Nachfrage herausgegeben werden. Kauft derselbe Kunde sowohl einen Tafel- als auch einen Spitzenwein, so schließt er an der Kasse nur einen Kaufvertrag ab. Für denselben Kaufvertrag wären in Hinblick auf die verschiedenen Kaufgegenstände unterschiedliche Formen des Hinweises notwendig. Ähnliche Konstellationen können in Elektronikmärkten auftreten, in denen der Kunde alle Waren, egal ob es sich um Alltagsprodukte oder um hochwertige elektronische Geräte handelt, gemeinsam an der Kasse zahlt. Eine solche Differenzierung würde die Vertragspartner wohl nur verwirren. Sie würde ihn zudem überfordern, müßte er doch bei ein- und demselben Einkauf mit jeder Form eines Hinweises rechnen: er muß lesen, horchen, Ausschau halten. Stellt man indes auf den Zweck des Hinweises ab, den Vertragspartner darüber in Kenntnis zu setzen, daß überhaupt AGB einbezogen werden sollen, so bestehen keine Bedenken, in Kaufhäusern, in denen der Vertrag an zentralen Kassen auf immer gleiche Weise zustande kommt, Aushänge immer genügen zu lassen, und zwar unabhängig von der Art des gekauften Produktes. Die Hinweisfunktion durch einen Aushang ist hier ebenso erfüllt wie durch eine sonstige schriftliche Bezugnahmeklausel.
506
Statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 130.
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Wir können nach alledem festhalten: Der Zweck von § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist zu gewährleisten, daß der Vertragspartner so auf die AGB hingewiesen wird, daß er nicht von der Geltung der AGB überrascht wird. Doch ging der Gesetzgeber irrtümlich davon aus, daß Aushänge diesem Zweck grundsätzlich weniger genügen als sonstige ausdrückliche Hinweise. Aber gerade bei Verträgen, die an Schaltern oder an Kassen in Kaufhäusern und Selbstbedienungsläden geschlossen werden, erfüllt ein Aushang den Zweck des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich eher als ein sonstiger ausdrücklicher Hinweis. Auch die Literatur erkennt, daß die Einschränkung der Beachtlichkeit von Aushängen in § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu weit geht und setzt sich über den Wortlaut dieser Vorschrift hinweg. Doch folgen aus der von der Literatur vorgeschlagenen korrigierenden Auslegung unüberwindbaren Abgrenzungsschwierigkeiten, und sie wird dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht. Vorzugswürdig ist daher, auf eine Einschränkung der Möglichkeit AGB auszuhängen im Wortlaut des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ganz zu verzichten: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich, durch einen Aushang jedoch nur, wenn dieser deutlich sichtbar am Orte des Vertragsschlusses erfolgt, auf sie hinweist […].«
Und schon heute sollte § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB in diesem Sinne verstanden werden. Für die Grenzen der Möglichkeit, durch einen Aushang AGB in den Vertrag einzuführen, kann sodann auf die Rechtsgeschäftslehre zurückgegriffen werden. So können die Interessen des Vertragspartners in ausreichender Weise berücksichtigt werden. 3. Anforderungen an den Aushang Nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB muß der Aushang am Ort des Vertragsschlusses erfolgen. Daher reicht ein Aushang im Wartezimmer einer Arztpraxis nicht aus507, denn ein Wartezimmer ist kein Ort des Vertragsschlusses, sondern des Wartens, an dem zum Zeitvertreib Zeitschriften, nicht aber Aushänge gelesen werden. Problematisch sind auch sogenannte »Betretens-AGB«, also Aushänge, die am Eingang eines Geschäftes angeschlagen sind und durch die der Kunde sich etwa Taschenkontrollen unterwirft. Hier soll der Ort des Aushanges zugleich der Ort des Vertragsschlusses sein, so daß den Anforderungen des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB genügt ist508. Freilich wird mit einer solchen Auslegung das Tatbestandsmerkmal »am Orte des Vertragsschlusses« jeder Bedeutung beraubt. Denn bei den »Betretens-AGB« wird der Ort des Aushangs erst durch den Aushang zum Ort des Vertragsschlusses. Das ist aber offen507 508
So aber Locher (3. Aufl. 1997), S. 46. Vgl. z.B. v. Westphalen, NJW 1994, 367; Christensen, JuS 1996, 878.
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sichtlich nicht durch § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB gewollt. Grundlage dieser Vorschrift ist, daß der Vertragspartner, wenn er ohnehin eine rechtsgeschäftliche Handlung vornimmt, Aushängen Beachtung schenken muß, die vor oder neben dem Verwender angeschlagen sind. Die rechtsgeschäftliche Handlung des Verwenders und dessen Aushang bilden eine Einheit. Es sind also neben dem Aushang immer noch rechtsgeschäftliche Handlungen notwendig. Hieran fehlt es bei den »Betretens-AGB«. Daß der Aushang am Ort des Vertragsschlusses erfolgen muß, entspricht im übrigen den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre509. Der Aushang muß deutlich erfolgen. Theorie und Praxis leiten daraus zahlreiche Anforderungen ab: Der Aushang darf nicht »in einer Fülle anderer Anschläge, vor allem solchen werbenden Inhalts, untergehen«510. Insoweit geht das AGB-Recht nicht über die Anforderungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre hinaus511. Auch muß er bestimmt und lesbar sein. Der Text darf also nicht zu klein gedruckt sein512. Stammkunden müssen besonders darauf hingewiesen werden, wenn ausgehängte AGB geändert werden513. Diese Anforderungen folgen freilich nicht aus dem Deutlichkeitserfordernis. So können auch nicht lesbare AGB deutlich sichtbar aushängen. Sie ergeben sich vielmehr aus den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre514. Theorie und Praxis leiten mithin aus dem Begriff der Deutlichkeit Anforderungen an den Aushang ab, die nichts mit dessen Deutlichkeit zu tun haben. Ähnliche Tendenzen konnten wir für das Ausdrücklichkeitserfordernis feststellen515. Wo die Literatur unter Berufung auf den Schutzzweck des § 305 Abs. 2 BGB bei den Anforderungen an die Deutlichkeit des Aushanges über diejenigen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre hinausgeht, werden die Ergebnisse bedenklich: Das gilt für die Forderung, der Text des Aushangs müsse klar, einfach und leicht verständlich sein516. Man kann in Frage stellen, daß der Inhalt schwer verständlicher Aushänge bestimmbar ist517. Oder man kann problematisieren, ob nicht eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vorliegt. Aber an der Tatsache, daß auch ein schwer verständlicher Klauselinhalt deutlich sichtbar ausgehängt werden kann, bestehen keine Zweifel. Weiter besteht auch hier Gefahr, daß eine autonome Auslegung des Deutlichkeitserfordernisses zu einer Absenkung des Schutzniveaus zulasten des 509 510 511 512 513 514 515 516 517
Siehe oben II B 1 d (S. 426). Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 132. Siehe oben II B 1 e cc (S. 428). So aber z.B. Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 32. So aber z.B. MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 61. Siehe oben II B 1 a (S. 423 f.), e cc (S. 428), f (S. 429). Siehe oben IV A 3 (S. 442 ff.). Statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 31. Siehe oben II B 1 f (S. 429) mit II A 1 j (S. 407 ff.).
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Verbrauchers führt: Oben wurde festgestellt, daß die Anforderung an den Aushang, er müsse deutlich am Ort des Vertragsschlusses erfolgen, nichts anderes besagt, als daß die in dem Aushang verkörperte Erklärung dem Vertragspartner zugehen muß. Der Zugang dieser Erklärung richtet sich nach der abgeschwächten Vernehmungstheorie: Danach genügt nicht immer, daß der Aushang deutlich sichtbar erfolgt. Muß der Verwender Zweifel haben, daß sein Vertragspartner den deutlich sichtbaren Aushang gesehen hat, muß er ihn besonders auf den Aushang aufmerksam machen518. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht. Nach alledem hätte der Gesetzgeber darauf verzichten können, besondere Anforderungen an den Aushang zu formulieren. § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB könnte schlicht lauten: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist […].«
C. § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB als Formvorschrift? Ein Teil der Literatur versteht § 305 Abs. 2 BGB als Formvorschrift519. Freilich kann man nicht den gesamten § 305 Abs. 2 BGB als Formvorschrift begreifen. Denn der Vertragspartner kann sein Einverständnis auch stillschweigend erklären. Nur an das Verhalten des Verwenders stellt § 305 Abs. 2 BGB besondere Anforderungen. Doch auch von diesen Anforderungen kann allenfalls der Verwenderhinweis der Nr. 1 als Formerfordernis eingeordnet werden. Nr. 2 bestimmt nur, daß überhaupt die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gewährt werden muß, nicht aber, in welcher Form dies zu geschehen hat520. Damit stellt sich die Frage, ob § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Formvorschrift ist. § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB wäre eine atypische Formvorschrift. Daß nicht der gesamte Vertrag, sondern nur die Erklärung einer Partei formbedürftig wäre, es sich also um ein einseitiges Formerfordernis handeln würde, ist aus §§ 518 Abs. 1, 766, 780 und 781 BGB bekannt und wäre damit nichts Ungewöhnliches521. Aber anders als dort wäre nicht die Erklärung der zu schützenden Partei formbedürftig, sondern gerade die Erklärung des Gegenübers. Gegen die Einordnung des § 305 Abs. 2 Nr. 1 als Formvorschrift spricht aber folgendes522: Das Ausdrücklichkeitserfordernis ist viel zu unbestimmt. Der 518
Siehe oben II B 1 a (S. 424). So etwa Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 102. 520 A.A. Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 15: auch Nr. 2 sei Formvorschrift. 521 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 27 Rn. 21 f. 522 Vgl. außerdem die systematische Argumente von Schroeder (1983), S. 88 ff. Auch bei § 700 Abs. 2 (MK-BGB/Henssler (5. Aufl. 2009), § 700 Rn. 19; Bamberger/Roth/Gehrlein 519
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Ausdrücklichkeit wird nicht nur durch Schriftlichkeit oder Mündlichkeit genügt523. Auch ein schweigender Fingerzeig auf einen nicht deutlich sichtbaren Aushang reicht aus524. Und deshalb wird die Ausdrücklichkeit auch in der Rechtsgeschäftslehre nicht als besondere Form verstanden525. Zudem wirkt die Rechtsfolge nicht passend: Die Einbeziehungsabrede wäre nach § 125 BGB S. 1 »nichtig«526. Aber diese Rechtsfolge wäre im Rahmen des § 305 Abs. 2 BGB ohne Bedeutung, denn § 305 Abs. 2 BGB normiert selbst, daß die AGB nicht Vertragsbestandteil werden. Die Nichtigkeitsfolge paßt noch aus einem weiteren Grund nicht: Nichtig kann nur ein tatbestandsmäßig existentes Rechtsgeschäft sein. § 305 Abs. 2 BGB enthält aber Tatbestandsvoraussetzungen der Einbeziehung. Schließlich können Formvorschriften nur für Willenserklärungen bestehen527. Der Aushang ist aber regelmäßig keine Willenserklärung, und auch sonstige ausdrückliche Hinweise müssen nicht Teil einer Willenserklärung sein528. Sie müssen lediglich bei Vertragsschluß erfolgen. Nach alledem handelt es sich nicht um eine Formvorschrift, sondern um eine Regel, durch welche die Auslegung formalisiert wird529.
D. Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme nach § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB Daß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit verschafft, vom AGB-Inhalt Kenntnis zu nehmen, ist nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre keine eigenständige Einbeziehungsvoraussetzung530: Sie ist nur insoweit von Bedeutung, als durch sie der AGB-Inhalt bestimmbar wird. Und sie kann als Zugangsproblem verstanden werden. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB macht die Kenntnisnahmemöglichkeit dagegen zur Einbeziehungsvoraussetzung. Sind damit sachliche Änderungen verbunden? 1. Auslegung im Lichte der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre Zunächst fallen wieder die Übereinstimmungen mit den Anforderungen nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auf531: Bei einem Vertragsschluß unter (2. 523 Aufl. 2008), § 700 Rn. 2; Erman/Herrmann (12. Aufl. 2008), § 700 Rn. 5; a.A. Staudinger/ Reuter (2006), § 700 Rn. 16; Soergel/Teichmann (12. Aufl. 2000), § 700 Rn. 8), § 22 Abs. 1 HGB (MK-HGB/Heidinger (2. Aufl. 2005), § 22 Rn. 32; Staub/Hüffer (4. Aufl. 1995), § 22 Rn. 25) und § 405 Abs. 1 HGB (MK-HGB/Häuser (2. Aufl. 2007), § 405 Rn. 3) entspricht es der h.M., daß es sich um keine Formvorschriften handelt. 523 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 267 Fn. 14. 524 Schroeder (1983), S. 89. Siehe oben II A 1 e (S. 397) und II B 1 d (S. 426). 525 Flume II (3. Aufl. 1979), S. 63 f., 244 ff.; Schroeder (1983), S. 89. 526 So in der Tat Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 15. 527 Statt aller Flume II (3. Aufl. 1979), S. 249. 528 Siehe oben II A 1 a-e (S. 394 ff.) und II B 1 a (S. 423 ff.). 529 So ausdrücklich auch BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112, 113. 530 Siehe oben II A 1 j (S. 407 ff.) und II B 1 f (S. 429). 531 Siehe oben II A 1 j (S. 407 ff.).
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Anwesenden müssen die AGB übergeben, ausgehängt, ausgelegt oder mündlich mitgeteilt werden532. Ein Verweis auf veröffentlichte oder im Buchhandel erhältliche AGB reicht nicht533. Ebenso ist ungenügend, wenn der Verwender die AGB bloß bereithält, um sie nach Aufforderung auszuhändigen534. Bei einem Vertragsschluß unter Abwesenden genügt es nicht, wenn die AGB nur in den Geschäftsräumen ausliegen oder aushängen535. Nicht ausreichend ist zudem, wenn der Verwender mit dem Hinweis auf die AGB anbietet, die AGB auf Wunsch kostenlos zu übermitteln536, oder wenn der Verwender dem Vertragspartner die Fundstelle veröffentlichter AGB angibt537. In der Regel müssen die AGB bei einem Vertragsschluß unter Abwesenden vielmehr unaufgefordert übersandt werden538. Daß der Verwender dem Vertragspartner schon zu einer früheren Gelegenheit die Kenntnisnahmemöglichkeit verschafft hat, genügt nur, wenn er ihn ausdrücklich darauf hinweist, daß die AGB schon übermittelt worden sind, und der Vertragspartner die AGB noch in den Händen hält539. Daß ein Klauselwerk allein veröffentlichte branchenübliche AGB enthält, erlaubt es dem Verwender nur, von der Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit abzusehen, wenn der Vertragspartner wegen Branchenzugehörigkeit die in Bezug genommenen AGB kennen mußte540. Schließlich müssen die dem Vertragspartner zugegangen AGB so gedruckt sein, daß sie lesbar sind541. Das Sprachenproblem ist zwar im Detail umstritten542, doch stimmen die vorgeschlagenen Lösungen im wesentlichen mit der532
MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 62; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 14; OLG Köln (18.9.1986), NJW-RR 1987, 53. 533 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 145. 534 OLG Düsseldorf (15.10.1981), BB 1983, 84. 535 Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 34. 536 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 35; BGH (10.6.1999), NJW-RR 1999, 1246; LG Frankfurt (3.12.1991), NJW-RR 1992, 441 mit Anm. Huff, EWiR 1992, 521; OLG Düsseldorf (15.10.1981), BB 1983, 84. 537 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 18. 538 Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14. 539 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 63. 540 Gottschalk, AcP 206 (2006), 569 f.; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 57; Heinrichs, NJW 1995, 1396; LG Bonn (15.12.1999), MDR 2000, 264; OLG Naumburg (22.6.1999), NJW-RR 2000, 391; BGH (10.6.1999), NJW-RR 1999, 1246; OLG Düsseldorf (23.6.1995), NJW-RR 1996, 1442; BGH (19.5.1994), NJW 1994, 2547; BGH (14.2.1991), NJW-RR 1991, 727; BGH (9.11.1989), NJW 1990, 715; BGH (20.10.1988), NJW 1989, 836; BGH (16.12.1982), WM 1983, 268. 541 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 16 (Transparenzgebot); LG München (13.7.1995), VuR 1996, 36; BGH (16.12.1982), WM 1983, 268. 542 Jetzt umfassend Kling (2008), S. 511 ff. Vgl. außerdem MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 59, 66; Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 33; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 844; Heinrichs, NJW 1998, 1599; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 19; Weimar, DB 1978, 243; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 17; BGH (10.3.1983), JR 1983, 436 m. Anm. Schubert.
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jenigen Lösung überein, die oben aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre hergeleitet wurde543. Ein Teil der Literatur spricht sich unter Berufung auf die Rationalisierungsfunktion der AGB und ihren Massencharakter für eine generell-objektive Anwendung der Einbeziehungsvoraussetzungen von § 305 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB aus544. Sie glaubt entsprechend, es stelle einen Systembruch dar, wenn § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nunmehr fordert, daß der Verwender bei Verschaffung der Möglichkeit zur Kenntnisnahme eine ihm erkennbare körperliche Behinderung des Vertragspartners angemessen berücksichtigen muß. Freilich läßt sich dieses Erfordernis ganz ungezwungen aus der Rechtsgeschäftslehre herleiten545. Und auch die herrschende Meinung nimmt bei Anwendung des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB keine generell-objektive Betrachtung vor, sondern erkennt etwa an, daß die Kenntnisnahmemöglichkeit nicht gewährt zu werden braucht, wenn der Vertragspartner die AGB ohnehin kennt546. 2. Autonome Auslegung Weil die Voraussetzung, daß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft, keine unmittelbare Entsprechung im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre findet, besteht hier die erhöhte Gefahr, daß § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht im Lichte der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre, sondern autonom ausgelegt wird. Für eine solche autonome Auslegung bietet der Wortlaut dieser Norm in der Tat Anlaß. So kann man den Verschaffensbegriff ins Zentrum der Auslegung des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB rücken547: Der Verwender muß dem Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit »verschaffen«. Daraus könnte man folgern, daß nicht der Vertragspartner die Initiative ergreifen muß, wenn er die AGB einsehen möchte. Vielmehr muß der Verwender die notwendigen Vorkehrungen treffen. Dem Vertragspartner wird über das bloße Lesen der AGB hinaus nichts abverlangt548. Freilich wäre eine solche Argumentation nicht zwingend: Es muß nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft werden. Das impliziert, daß der Vertragspartner noch selbst Schritte ergreifen muß, um diese Möglichkeit zu nutzen. Auch der Verwender, der dem Vertragspartner anbietet, ihm die AGB auf Wunsch zu übersenden, verschafft die Kenntnisnahmemöglichkeit. 543 Siehe oben II A 1 j aa i-iii (S. 409 ff.). Ausdrücklich auf diese Grundsätze verweist Staudinger/Singer (2004), § 119 Rn. 19. 544 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 154a; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 71; Schäfer, JZ 2003, 880. 545 Siehe oben den Text zu Fn. 329. 546 Statt aller PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305 Rn. 58. 547 In diese Richtung Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14. 548 So wohl in der Tat Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 55.
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Der Vertragspartner nimmt diese Möglichkeit wahr, indem er die AGB beim Verwender anfordert. Veröffentlicht der Verwender seine AGB in einer Tageszeitung, so verschafft er dem Vertragspartner die Möglichkeit der Kenntnisnahme, und dieser kann die Möglichkeit dadurch nutzen, daß er die Zeitung erwirbt549. Der Verschaffensbegriff bietet also zwischen den beiden Extremen – der Verweigerung der Kenntnisgewährung einerseits und der Verschaffung positiver Kenntnis andererseits – einen weiten Auslegungsspielraum. Auch die Wendung »in zumutbarer Weise« hilft bei Ausfüllung dieses Auslegungsspielraums nur bedingt: Die Verwender muß die Kenntnisnahmemöglichkeit so verschaffen, daß der Vertragspartner sie in zumutbarer Weise wahrnehmen kann550. Diese Zumutbarkeitsgrenze offenbart freilich, daß vom Vertragspartner vom Gesetz unter Umständen mehr verlangt wird, als das bloße Lesen der ihm dargereichten AGB. Solange Theorie und Praxis nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben, die sich bereits aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ergeben, realisiert sich die Gefahr einer autonomen Auslegung nicht. Bedenklich ist dabei nur, daß sie glauben, über diese allgemeinen Anforderungen hinauszugehen. 3. Der Zweck der Kenntnisnahmemöglichkeit Zum Teil führt die autonome Auslegung der Kenntnisnahmemöglichkeit freilich zu einer Anhebung der Anforderungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zugunsten des Vertragspartners. An sich ist daran nichts auszusetzen. Problematisch ist allerdings, daß ein solches erhöhtes Schutzniveau im Gesetzestext keinen Niederschlag findet. So wird die Ansicht vertreten, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme solle dem Vertragspartner ermöglichen, sich im Streitfall und bei der Vertragsabwicklung über den Inhalt der AGB zu informieren551. Das müßte aber eigentlich bedeuten, daß die AGB dem Vertragspartner immer ausgehändigt werden müssen. Und so vertritt es in der Tat ein Teil der Literatur552. Bei einem Vertragsschluß im Internet soll etwa erforderlich sein, daß die AGB herunterladbar oder ausdruckbar sind553. Nur bei kürzeren AGB genüge es, wenn sie nur auf der Seite lesbar sind554. So läßt sich ebenso wie bei einer Übersendung der AGB der Gefahr einer nachträglichen Änderung der AGB durch den Verwen549
So in der Tat für im Buchhandel erhältliche AGB Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 31: Verweise der Verwender auf derartig erhältliche AGB, so habe der Vertragspartner die Kenntnisnahmemöglichkeit, ohne daß sie vom Verwender selbst verschafft werden müßte. 550 Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 5. 551 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 138. 552 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 145. 553 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 37; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 844; LG Münster (21.1.2000), DB 2000, 663, 664 mit Anm. Wilkens, DB 2000, 668. 554 Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14.
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der begegnen555. Solch hohe Anforderungen stellt § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB jedoch nicht an den Verwender556. Hängen die AGB am Ort des Vertragsschlusses aus, so hat der Verwender den Anforderungen der Nr. 2 genügt, aber der Vertragspartner hält kein Exemplar der AGB bei einem Streitfall in seinen Händen557. Andere sehen in § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB die Anordnung von Informationspflichten gegenüber Verbrauchern558. Schon der Begriff der Pflicht ist in diesem Zusammenhang problematisch. Es handelt sich allenfalls um eine Obliegenheit. Aus diesem Zweck den Schluß zu ziehen, der Verwender sei verpflichtet, den Vertragspartner über den Inhalt der AGB aufzuklären, steht mit dem Wortlaut (»Kenntnis zu nehmen«) nicht mehr in Einklang. 4. Die Kenntnisnahmemöglichkeit und das Transparenzgebot Die Literatur sieht § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB als Ausdruck des AGB-rechtlichen Transparenzgebots559. Sie leitet dieses Gebot aus der Wendung »in zumutbarer Weise« her560. Entsprechend verlangt sie, daß die AGB verständlich sein müssen und nicht widersprüchlich sein dürfen561. Die Verständlichkeit müsse dabei freilich nur formal und sprachlich gegeben sein; es gehe nicht darum, daß der Vertragspartner im einzelnen verstehe, wie besonders belastend die AGB für ihn sein können; solche inhaltliche Erwägungen flössen allein in die Inhaltskontrolle ein562. Zudem müsse der Inhalt der AGB hinreichend bestimmt sein563. Nur dann habe der Vertragspartner die Möglichkeit, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Der Umfang der AGB müsse weiterhin in Verhältnis zur Bedeu555
MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 65. Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 14. 557 Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 32, 35; Locher (3. Aufl. 1997), S. 47; Dietlein/ Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 5; BGH (23.5.1984), NJW 1985, 850. 558 Reich, NJW 1978, 517. 559 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 19; Niederführ (1985), S. 37 ff.; OLG Stuttgart (25.3.1988), NJW-RR 1988, 786; OLG Hamburg (26.3.1986), NJW-RR 1986, 1440; OLG Stuttgart (19.12.1980), NJW 1981, 1105, sprechen noch von einem Verständlichkeitsgebot; BGH (21.6.1990), NJW 1990, 3197, von einem Klarheitsgebot. 560 Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305 Rn. 84; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger (4. Aufl. 2009), § 305 Rn. 28; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 69; Staudinger/ Coester (2006), § 307 Rn. 171; v. Westphalen, NJW 2002, 17; Müller, NJW 1996, 1520; Heinrichs, FS Trinkner (1995), S. 159; Schäfer (1991), S. 39 ff.; BGH (11.12.2003), NJW-RR 2004, 780. Anders Kreienbaum (1998), S. 76 ff. 561 Statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 41; Brandner, FS Locher (1990), S. 317; OLG Hamm (22.8.1997), NJW-RR 1998, 1090; LG Karlsruhe (8.11.1985), NJW-RR 1986, 152; LG Braunschweig (17.10.1985), NJW-RR 1986, 639; BGH (16.12.1982), WM 1983, 268. A.A. Gottschalk, AcP 206 (2006), 570 f.; Köndgen, NJW 1989, 947; Löwe/v. Westphalen/ Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 17. 562 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 53; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), § 307 Rn. 11. 563 Statt aller Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 38. 556
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tung des Geschäfts stehen564. Bei Abschluß eines unbedeutenden Geschäfts sei dem Vertragspartner nicht zuzumuten, den Inhalt eines umfangreichen Klauselwerks zur Kenntnis zu nehmen. Auch verlangt die Literatur ein Mindestmaß an Übersichtlichkeit565. Umfangreichere AGB müßten klar gegliedert sein566. Nur dann sei es dem Vertragspartner zuzumuten, sich einen Überblick über die AGB zu verschaffen. Es sei ihm dagegen nicht zuzumuten, ein Klauselwerk auf der Suche nach einer einschlägigen Bestimmung vollständig durchzulesen. Der Aufbau eines Klauselwerks müsse ferner dem üblichen Aufbau entsprechen, und bei umfangreicheren Klauselwerken sei ein Inhaltsverzeichnis voranzustellen567. Daß die Kenntnisnahmemöglichkeit in zumutbarer Weise verschafft werden muß, bedeute weiterhin, daß umfangreiche AGB ausgehändigt werden müssen568. Ansonsten könne dem Vertragspartner nicht zugemutet werden, ihren Inhalt auch wirklich zu Kenntnis zu nehmen. Zudem müsse dem Vertragspartner die Zeit gegeben werden, sich über den Inhalt der AGB zu informieren569. Schließlich müßten AGB nicht nur lesbar, sondern mühelos bzw. gut lesbar sein570. Die in Theorie und Praxis unter Hinweis auf dieses Gebot gelösten Fälle können zum einen sehr viel überzeugender und differenzierter anders begründet werden. Der Rückgriff auf das Transparenzgebot führt zu einer unnötigen Vervielfachung der Rechtsfolgen571. Und dort, wo die Literatur über das hinausgeht, was nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre notwendig ist, um den AGB-Inhalt als Vertragsinhalt im Wege der Auslegung bestimmbar zu machen, sind die unter Rückgriff auf das Transparenzgebot formulierten Anforderungen zum anderen abzulehnen: (a) Sind AGB so unverständlich oder widersprüchlich, daß ihr Sinn durch Auslegung nicht ermittelt werden kann, dann sind sie schon nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre unwirksam572. Bleibt ihr Sinn auch nach Auslegung mehrdeutig, so greift 564 Statt aller Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 152; Thamm/Detzer, BB 1989, 1136; LG Freiburg (7.4.1992), NJW-RR 1992, 1018; BGH (16.12.1982), NJW 1983, 816. Weitergehend Mehrings, BB 1998, 2378. 565 Siehe nur Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14; OLG Saarbrücken (22.9.1987), NJW-RR 1988, 858; BGH (16.12.1982), NJW 1983, 816. 566 Statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 140. 567 PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305 Rn. 74. 568 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 56; BGH (26.2.2009), NJW 2009, 1486. 569 Locher (3. Aufl. 1997), S. 49; BGH (26.2.2009), NJW 2009, 1486. 570 Statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 140. A.A. Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 154; Locher (3. Aufl. 1997), S. 48 f. (allein solche AGB seien von der Einbeziehung ausgeschlossen, die nur mit Mühe zu entziffern sind). 571 Kritisch auch Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 16; Löwe/ v. Westphalen/Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 17; Dietlein/Rebmann (1976) § 2 AGBG Rn. 5. Ausdrücklich gegen die Annahme einer unnötigen Vervielfachung der Rechtsfolgen Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 150, der allerdings nur die contra proferentem-Regel als weitere mögliche Rechtsfolge einer Unklarheit nennt. 572 Siehe oben II A 1 k (S. 418 f.).
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die Regel des § 305c Abs. 2 BGB. Und nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich aus der Unverständlichkeit einer Klausel ergeben, daß sie den Vertragspartner unangemessen benachteiligt und deshalb unwirksam ist. Es verbleiben keine Fälle, in denen die Einbeziehung deshalb verneint werden müßte, weil der Vertragspartner wegen der Unverständlichkeit der AGB nicht die Möglichkeit hatte, ihren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Wer bereits die Einbeziehung von Klauseln, die zwar schwer verständlich sind, denen aber dennoch im Wege der Auslegung ein Sinn abgerungen werden kann, verneint, muß anders als derjenige, der solche Klauseln im Rahmen der Inhaltskontrolle prüft, zudem dem Vertragspartner günstige Klauseln ausscheiden573. (b) Die Forderung, daß der Umfang der AGB und die Bedeutung des Geschäfts in Verhältnis zueinander stehen müssen, daß also bei Abschluß eines unbedeutenden Geschäfts dem Vertragspartner nicht zuzumuten sei, den Inhalt eines umfangreichen Klauselwerks zur Kenntnis zu nehmen, führt zu kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen. Soll die Bedeutung nach dem Wert der zu erbringenden Leistungen erfolgen? Dann müßten die AVB für eine Reisekrankenversicherung, die heute für wenige Euro abgeschlossen werden kann, sehr kurz ausfallen. Sollen alltägliche Geschäfte immer als unbedeutend gelten? Dann dürfte es für den öffentlichen Nahverkehr überhaupt keine AGB geben. Auch die Versendung eines Standardbriefes ist so unbedeutend, daß es unverhältnismäßig erscheint, vom Vertragspartner zu verlangen, überhaupt AGB zur Kenntnis zu nehmen. Zudem erfüllen AGB unter anderem die Funktion gesetzlich nicht oder nur unvollkommen geregelte Vertragstypen auszugestalten. Für solche AGB kann es von vornherein nicht auf die Bedeutung des Geschäftes ankommen. Ohne umfangreiche AGB, ist der Abschluß eines solchen Vertrages überhaupt nicht möglich. Schließlich ist problematisch, daß man mit diesem Verständnis von § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB selbst inhaltlich nicht zu beanstandenden AGB die Geltung versagen würde. (c) Verlangt die Literatur übersichtlich gestaltete, dem üblichen Aufbau entsprechende Klauselwerke, die über eine Gliederungsübersicht verfügen, so erklärt sie das Idealbild eines Klauselwerks zum Maßstab und verweigert allen übrigen Klauselwerken die Geltung. Schon mit dem Wortlaut des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind solch hohen Anforderungen kaum in Einklang zu bringen, müßte man doch behaupten, daß allein das Idealbild eines Klauselwerks dem Vertragspartner zuzumuten ist. Der Begriff der Zumutbarkeit deutet aber eher auf Anforderungen hin, die unter diesem Idealbild liegen. Auch sind eine übersichtliche Gestaltung, ein üblicher Aufbau und eine Verständlichkeit nicht Voraussetzung für eine Möglichkeit zur Kenntnisnahme des AGB-Inhalts, sondern ein Schlüssel für ein Verstehen ihrer Bedeutung und für ein Erkennen des Zusammenspiels zwischen den einzelnen Bedingungen und dem durch sie verdrängten ius dispositivum574. § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB verlangt nun aber nur, daß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des AGB-Inhalts verschafft, nicht aber daß er gewährleistet, daß der Vertragspartner auch die Möglichkeit hat, die Bedeutung der AGB zu verstehen. Zudem ist es unangemessen, einem umfangreichen Klauselwerk, das seinem Inhalt nach billig ist, nur deshalb die Geltung zu versagen, weil es keine Gliederungsübersicht enthält. Freilich kann das Fehlen einer Gliederungsübersicht, eine unübersichtliche Gestaltung oder ein unüblicher Aufbau dazu 573 574
So auch die Bedenken von Gottschalk, AcP 206 (2006), 571. Wie hier Kreienbaum (1998), S. 90.
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führen, daß der Vertragspartner unangemessen benachteiligt wird. Dann sind die AGB insgesamt nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Aber weil diese Rechtsfolge sinnvoller Weise nur eintreten sollte, wenn eine solche unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners vorliegt, und weil der »Einbeziehungskontrolle« des § 305 Abs. 2 BGB eine solche Einbeziehungsvoraussetzung fremd ist, gehört das Problem in die Inhaltskontrolle. Zudem kann eine Klausel, die systematisch falsch verortet ist, über § 305c Abs. 1 BGB ausgeschieden werden575. (d) Verweist ein Klauselwerk auf ein anderes, so gebietet nach Ansicht der Literatur das in § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB normierte Transparenzgebot, daß dem Vertragspartner die Möglichkeit verschafft wird, auch den Inhalt dieses in Bezug genommenen Klauselwerks zur Kenntnis zu nehmen576. Doch ist die Heranziehung eines AGB-rechtlichen Transparenzgebots in diesem Fall überflüssig. Selbstverständlich muß auch der Inhalt des zweiten Klauselwerks bestimmbar sein. (e) Die Klausel eines Reiseveranstalters, die die »Haftungshöchstgrenzen und -beschränkungen nach den internationalen Abkommen von Warschau, Den Haag, Guadalajara u.a. für Luftfrachtführer […] auch [auf] die Beförderungen, die diesen Abkommen nicht unterliegen« erstreckt, ist nicht deshalb unwirksam, weil sie gegen das AGB-rechtliche Transparenzgebot oder, wie es das Oberlandesgericht Hamburg ausdrückte, gegen das Verständlichkeitsgebot577 verstößt, sondern schlicht, weil sie zu unbestimmt ist. (f) Verweisen die einbezogenen AGB ihrerseits auf zahlreiche andere AGB oder verweist die Bezugnahmeklausel auf mehrere Klauselwerke und entsteht hierdurch eine »ganz unübersichtliche Gemengelage von Vorschriften«, so scheitert die Einbeziehung nicht an der fehlenden Möglichkeit zur Kenntnisnahme578. Es dürfte vielmehr an der nötigen Bestimmbarkeit des Vertragsinhalts fehlen. Für eine Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB mit der Folge, daß der Vertragspartner sich die ihm jeweils günstigste Bestimmung herauspicken kann, ist nur dann Raum, wenn das Rangverhältnis der verschiedenen Klauselwerke grundsätzlich durch Auslegung ermittelt werden kann, der Vertragsinhalt also grundsätzlich bestimmt genug ist, und nur für einzelne Klauseln Zweifel des Rangverhältnisses bestehen bleiben579. Ist die Staffelverweisung bestimmt genug, kann im übrigen eine unangemessene Benachteiligung vorliegen, so daß die Unwirksamkeit aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB folgt580. (g) Wird in einem Mietvertrag mit Allgemeinen Lieferbedingungen auf AGB Bezug genommen, die nicht für diese Vertragsart konzipiert sind, so fehlt es allein deshalb nicht an der Möglichkeit zur Kenntnisnahme581. Die Lieferbedingungen kann der Ver575
Hierzu Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 12. So etwa MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 69. 577 So aber OLG Hamburg (26.3.1986), NJW-RR 1986, 1440. 578 So aber Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 62; OLG Stuttgart (25.3.1988), NJWRR 1988, 786. 579 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 112 will dagegen § 305c Abs. 2 BGB in diesen Situationen immer heranziehen. 580 BGH (21.6.1990), NJW 1990, 3197 mit Anm. Brandner, EWiR 1990, 1147 f.; BGH (16.3.2006), NJW-RR 2006, 1350 (v. Westphalen, NJW 2007, 2229, glaubt zu unrecht, der BGH hätte die Frage im Rahmen der Einbeziehung problematisiert). 581 So aber Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 152. 576
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tragspartner ja durchaus zur Kenntnis nehmen. Doch ist die Bezugnahme regelmäßig perplex. Der Vertragspartner darf grundsätzlich davon ausgehen, daß die Bezugnahme auf die genannten Bedingungen irrtümlich erfolgte und nicht gewollt war. Die vielleicht wirklich gewollten AGB werden mangels Erklärung nicht Vertragsbestandteil. Sollte der Verwender dagegen seinen Willen, unter Einbeziehung dieser unpassenden AGB zu kontrahieren, klar zum Ausdruck gebracht haben, fehlt es ebenfalls nicht an der Möglichkeit zur Kenntnisnahme, sondern an der Möglichkeit des Verstehens, wie diese unpassenden AGB zur Anwendungen kommen sollen. Dann kann der Inhalt deshalb zu unbestimmt sein, weil nicht klar ist, auf welche Art die AGB modifiziert werden sollen. Im übrigen sind die AGB wirksam einbezogen. (h) Die unnötige Verwendung juristischer Sprache soll bei Geschäften des täglichen Lebens die Einbeziehung verhindern, wenn sich das Angebot des Verwenders vor allem an durchschnittliche Verbraucher richtet582. Doch kann die Verwendung juristischer Sprache gerade der genauen Fassung dienen, die verlorenginge, wenn der Verwender versuchen würde, den AGB-Inhalt in Alltagssprache zu übersetzen. Aus demselben Grund verwendet auch der Gesetzgeber nicht Alltagssprache, sondern genaue juristische Fachbegriffe. »Im Prinzip können AGB nicht leichter verständlich sein als das Gesetz, dessen Regelung sie substituieren, abändern oder ergänzen«, so faßt es Köndgen zusammen583. Zudem verursacht diese Ausformung des Transparenzgebots wiederum kaum lösbare Abgrenzungsfragen: Wann ist die Verwendung juristischer Sprache unnötig? Was sind in diesem Zusammenhang Geschäfte des täglichen Alltags? Doch wohl auch alle Geschäfte mit Banken, der Post und mit Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. In Einzelfällen kann freilich ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners bestehen. Doch dann stehen andere rechtliche Instrumente zu Verfügungen584: Werden durch die Verwendung juristischer Terminologie Unklarheiten in die AGB hineingetragen, kommt die contra proferentem-Regel zur Anwendung. Kommt es ausnahmsweise zu einer unangemessenen Benachteiligung des Vertragspartners aufgrund der Fassung der Klausel, so ist sie nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Ohne Vorliegen einer solchen unangemessenen Benachteiligung sollte dagegen nicht von einer Nichtgeltung der AGB ausgegangen werden. (i) Eine salvatorische Klausel wie etwa: »Die Haftung ist ausgeschlossen, soweit dies im Rahmen der Rechtsordnung zulässig ist«, ist sicherlich nicht deshalb unwirksam, weil ihr Inhalt zu unbestimmt ist585. Auch dürfte für die Anwendung der contra proferentem-Regel wenig Raum sein586. Sie kann jedoch nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sein. Oder man kann sie aus dem Blickwinkel des Verbots einer geltungserhaltenden Reduktion problematisieren587. Auch hier ist ein Rückgriff auf ein AGBrechtliches Transparenzgebot, um die Einbeziehung an § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB scheitern zu lassen, unnötig588. Zudem hält die Begründung für eine Heranziehung des 582 Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 142; OLG Karlsruhe (18.10.1985), NJW-RR 1986, 91, 92. Kritisch Heinrichs, NJW 2003, 11 ff.; Casper, NJW 1997, 240 f. 583 Köndgen, NJW 1989, 947. 584 Gottschalk, AcP 206 (2006), 571. 585 Eine Einbeziehung verneint MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 71. 586 Ebenso MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 31. 587 Hierzu Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 625. 588 So aber Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 2 AGBG Rn. 9.
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Transparenzgebotes einer kritischen Würdigung nicht stand589: »Solche Klauseln gewährleisten nicht das […] geforderte Mindestmaß an Verständlichkeit, weil der Kunde die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften nicht nur nicht ausfindig machen, sondern auch die etwa aufgefundenen Vorschriften wegen ihres rechtlich-technischen Charakters in ihre praktischen Tragweite für die in Rede stehende Klausel nicht einschätzen kann.« Es geht also nicht um eine Kenntnismöglichkeit, sondern um die Möglichkeit des Verstehens.
5. Der Zeitpunkt der Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit Auch bei § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist in Hinblick auf den Zeitpunkt der Kenntnisnahmemöglichkeit eine korrigierende Auslegung angebracht590. § 305 Abs. 2 BGB verlangt, daß die Kenntnisnahmemöglichkeit bei Vertragsschluß gewährt wird. Die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit vor Vertragsschluß sollte aber auch genügen, soweit ein Bezug zum konkreten Vertrag besteht. Weder nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre noch nach dem Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB ist dagegen ausreichend, wenn die Kenntnisnahmemöglichkeit erst nach Vertragsschluß gewährt wird und der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt auch erst nach Vertragsschluß für den Vertragspartner bestimmbar wird591. 6. Der Verzicht auf die Kenntnisnahmemöglichkeit Die Gefahren, die aus einer isolierten Auslegung des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB resultieren, verdeutlichen sich auch bei den Ausnahmen, die von § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB zugelassen werden. Bei telephonischen Vertragsschlüssen, beim Teleshopping und im M-Commerce bereitet die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit Probleme. Ursprünglich wollte ein Teil Lehre von § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB keine Ausnahmen zulassen. Wollte der Verwender also gewährleisten, daß die AGB zum Vertragsinhalt werden, so mußte er den Vertragspartner darauf hinweisen, daß der Vertrag nicht bereits am Telephon zustande kommt, sondern erst, wenn der Vertragspartner die bestellte Ware zusammen mit den AGB erhält592. Schon früh erlaubte man jedoch einen Verzicht auf die Kenntnisnahmemöglichkeit593: Könne der Vertragspartner bei Einräumung der Kenntnisnahmemöglichkeit auf die tatsächliche Kenntnisnahme verzichten, so muß es ihm auch möglich sein, auf die bloße Kenntnisnahmemöglichkeit zu verzichten. Allerdings verlangte man zunächst noch 589
MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 71. Siehe oben IV A 4 (S. 446 ff.). A.A. v. Münch, MMR 2006, 203. 591 So aber Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 149; LG Frankfurt (25.11.1987), NJW-RR 1988, 955. Dagegen Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 147a. 592 MK-BGB/Kötz (1. Aufl. 1978), § 2 AGBG Rn. 13. 593 Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 34; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1. Aufl. 1977), § 2 AGBG Rn. 16; Dietlein/Rebmann (1976), § 2 AGBG Rn. 7, 11. 590
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eine ausdrückliche Verzichtserklärung durch den Vertragspartner. Nur wenn der Verwender den Vertragspartner darauf hinweise, daß ein telephonischer Vertragsschluß eigentlich nicht möglich sei, weil er ihm den AGB-Inhalt nicht zur Kenntnis bringen kann, könne ein stillschweigender Verzicht angenommen werden, wenn der Vertragspartner sich dennoch auf den Vertrag einlasse594. Inzwischen geht die Literatur einen Schritt weiter595: § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB sei dispositiv. Weise der Verwender den Vertragspartner bei einem telephonischen Vertragsschluß nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausdrücklich auf seine AGB hin, schweige der Vertragspartner auf diesen Hinweis und äußere er insbesondere nicht den Wunsch nach Übermittlung der AGB, so erkläre »er damit konkludent und im Wege der Individualvereinbarung auf die Verschaffung einer Möglichkeit zur Kenntnisnahme« zu verzichten596. Auch im sogenannten M-Commerce liege ein Verzicht des Vertragspartners vor. Im MCommerce bestehe das Problem, daß die auf Seite des Vertragspartners zum Vertragsschluß verwendeten mobilen Endgeräte heute oft noch nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen, umfangreiche AGB darzustellen oder zu speichern. Verwende der Vertragspartner solche Endgeräte für einen Vertragsschluß, so verzichte er damit konkludent auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des AGB-Inhalts597. Andere meinen, beim M-Commerce genüge eine Kenntnisnahmemöglichkeit nach Abschluß des Vertrags, oder wollen in Analogie zu § 305a Nr. 2b BGB598 auf diese Voraussetzung verzichten599. Auch diese Entwicklung ist Bedenken ausgesetzt: Die Grenzen, in denen ein Verzicht möglich ist, und die Voraussetzungen eines solchen Verzichts sind unklar. Geht man schon immer dann von einem konkludenten Verzicht aus, wenn der Verwender den Vertragspartner gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB auf seine AGB hinweist und der Vertragspartner sich sodann, ohne den Wunsch nach Übermittlung der AGB zu äußern, auf den Vertrag einläßt, so entläßt man § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB in die Bedeutungslosigkeit. Man würde einen konkludenten Verzicht schon immer dann annehmen müssen, wenn die Möglichkeit zur Kenntnisnahme nicht gewährt worden ist und der Vertragspartner hiergegen keinen Widerspruch eingelegt hat. Die Forderung, es müsse sich um eine Individualabrede600 und dürfe sich nicht um eine formularmäßige Erklärung handeln601, ist hier keine taugliche 594 595
Schroeder (1983), S. 54 f. Statt aller Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 37. A.A. Müller, MDR 1997,
608 ff. 596 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 63. Kritisch Köhler, NJW 1998, 187; Giemulla/Schmid, NJW 1999, 1060 f.; AG Krefeld (1.4.1996), NJW-RR 1997, 245. 597 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 65. 598 Zu § 305a Nr. 2b BGB siehe unten VI (S. 479 ff.). 599 Kessel/Kuhlmann/Passauer/Schriek, K&R 2004, 524 ff. 600 So Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305 Rn. 37; Metz, NJW 1991, 2806. 601 Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 11.
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Begrenzung602. Geht man schon dann von einem stillschweigend erklärten Verzicht des Vertragspartner aus, wenn dieser nach dem ausdrücklichen Hinweis auf die AGB, ohne nach den AGB zu fragen, mit den telephonischen Vertragsverhandlungen fortfährt, so liegt zwar keine formularmäßige Erklärung vor, aber wohl ebenso wenig eine Individualabrede. Es handelt sich um einen vom Verwender typisierten Ablauf des Vertragsschlusses, und aus einer typischerweise nicht erfolgenden Nachfrage nach den AGB schließt man auf einen Verzichtswillen. Die Verzichtsmöglichkeit auf Vertragsschlußsituationen zu beschränken, in denen die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit technisch unmöglich oder mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist, ist ebenfalls kein tauglicher Ansatzpunkt. Diese Begrenzung wäre dogmatisch nicht erklärbar und würde kaum lösbare Abgrenzungsprobleme aufwerfen. Das Risiko, daß der AGB-Inhalt dem Vertragspartner nicht mit dem vom Verwender gewählten Kommunikationsweg zugehen kann und dieser Inhalt dem Vertragspartner damit nicht bestimmbar ist, trägt nach allgemeinen Grundsätzen zudem allein der Verwender. Dieses Risiko darf nicht unbesehen auf den Vertragspartner verlagert werden. Notwendig ist nicht allein, daß der Vertragspartner den Vertragsschluß will, sondern daß sein Wille sich ausdrücklich auch auf die Einbeziehung der AGB bezieht603. 7. Zusammenfassung Die Anerkennung der Kenntnisnahmemöglichkeit als eigenständige Einbeziehungsvoraussetzung hat zu zahlreichen Auslegungsproblemen und Verwerfungen geführt, die durch folgende Lesart des § 305 Abs. 2 BGB vermeidbar sind: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, werden sie nur dann Bestandteil eines Vertrages, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und 2. sie der anderen Vertragspartei zugehen und ihr Inhalt auch im übrigen für diese Vertragspartei bestimmbar ist, […].«
Eine solche Fassung des § 305 Abs. 2 BGB würde eine Anknüpfung an die allgemeine Rechtsgeschäftslehre als Verständnis- und Auslegungshintergrund unmittelbar ermöglichen.
602 603
Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 138. Siehe oben II A 1 j cc (S. 417 f.).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
E. Das Einverständnis des Vertragspartners nach § 305 Abs. 2 BGB Als dritte Einbeziehungsvoraussetzung nennt § 305 Abs. 2 BGB das Einverständnis des Vertragspartners. Ob ein solches Einverständnis vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, so auch, wie oben deutlich wurde, das Ob und Wie eines Hinweises sowie die Kenntnisnahmemöglichkeit. Weist der Verwender den Vertragspartner ausdrücklich auf seine AGB hin, kann eben unproblematisch von einem auch stillschweigend erklärten Einverständnis ausgegangen werden, und die Kenntnisnahmemöglichkeit erfüllt den Zweck, daß der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt bestimmbar wird604. Nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre handelt es sich bei dem ausdrücklichen Hinweis und der Möglichkeit zur Kenntnisnahme also um keine eigenständigen Einbeziehungsvoraussetzungen, die neben dem Einverständnis geprüft werden können, sondern eben nur um zwei, freilich besonders bedeutsame, Faktoren, die bei Beantwortung der Frage, ob ein Einverständnis des Vertragspartners vorliegt, eine Rolle spielen. 1. Die Einbeziehungsabrede als einzige Einbeziehungsvoraussetzung Dagegen erweckt der Gesetzeswortlaut den Eindruck, als handele es sich bei dem Hinweis nach Nr. 1 »und« der Kenntnisnahmemöglichkeit nach Nr. 2 »und« dem Einverständnis um drei selbständige Einbeziehungsvoraussetzungen, die man in der Fallprüfung unverbunden nacheinander prüfen kann. Auf dieser Grundlage bewegen sich auch Rechtsprechung und Lehre605. Ein solches Verständnis hat zahlreiche praktische Konsequenzen: Versteht man § 305 Abs. 2 BGB so, daß er drei selbständige Einbeziehungsvoraussetzungen enthält, stellt sich die Frage, was man noch bei der dritten Voraussetzung, also bei dem Einverständnis des Vertragspartners, prüfen soll. Eigentlich müßte man die in Nr. 1 und Nr. 2 normierten Einbeziehungsvoraussetzungen nochmals prüfen. Man müßte also z.B. im Rahmen der Prüfung des Einverständnis fragen, ob durch die Verschaffung der Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt für den Vertragspartner nach den Grundsätzen der normativen Auslegung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmbar war, so daß diese Grundanforderung an jede vertragliche Abrede erfüllt ist. Eine solche doppelte Prüfung des Verwenderhinweises und der Kenntnisnahmemöglichkeit erscheint aber überflüssig, und sie unterbleibt deshalb auch. Oben wurde die Ansicht vertreten, man müsse die Einbeziehungsvoraussetzungen der Nr. 1 und der Nr. 2 im Lichte der Rechtsgeschäftslehre auslegen. 604
Siehe oben II B 1 (S. 423 ff.) und II A 1 j (S. 407 ff.). So etwa Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 11; OLG Hamburg (14.1.1988), TranspR 1988, 304; BGH (18.6.1986), NJW-RR 1987, 112; BGH (16.12.1982), NJW 1983, 816. 605
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Doch konnten wir beobachten, daß Theorie und Praxis unter Rückgriff auf den Schutzzweck der Einbeziehungsvoraussetzungen und unter Anknüpfung an den Begriff der Ausdrücklichkeit sowie den der Deutlichkeit hierüber hinausgingen. Den Unterschied zwischen der hier vertretenen und der herrschenden Meinung können wir nun auch anders fassen: Die hier vertretene Ansicht prüft der Sache nach nur das Vorliegen eines Einverständnisses; der Verwenderhinweis und die Kennntnisnahmemöglichkeit werden im Rahmen der Prüfung, ob ein solches wirksames Einverständnis vorliegt, relevant, und sie werden nur aus diesem Blickwinkel verstanden und ausgelegt. Sie werden also quasi subjektiv, eben aus dem Blickwinkel der Prüfung des Einverständnisses, begriffen. Die herrschende Meinung dagegen reißt die Einbeziehungsvoraussetzungen der Nr. 1 und Nr. 2 aus diesem Zusammenhang heraus und versteht sie objektiv. Als Folge erleidet das Einverständnis als Einbeziehungsvoraussetzung entgegen der Absicht des Gesetzgebers einen Bedeutungsverlust. Dieser Bedeutungsverlust offenbart sich in der Literatur, die zum Einverständnis kaum mehr zu sagen weiß, als daß es auch konkludent erklärt werden könne und daß ein solch konkludent erklärtes Einverständnis bei Einhaltung der ersten beiden Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB anzunehmen sei606. Medicus gibt sogar unumwunden zu607: »Im Übrigen hat die Erklärung des Einverständnisses aber keine selbständige Bedeutung: Wenn der Hinweis auf die AGB erfolgt ist und diese zugänglich gemacht worden sind, steht fest, dass der Verwender zu diesen AGB abschließen will. Dann wird der Vertragsschluss durch den anderen Teil objektiv stets auch das Einverständnis mit den AGB bedeuten. Zu behandeln bleiben also nur die beiden anderen Erfordernisse.«
Dieser Bedeutungsverlust des Einverständnisses als Einbeziehungsvoraussetzung wird, wie oben deutlich wurde, noch dadurch verstärkt, daß Literatur und Rechtsprechung zahlreiche Faktoren, die eigentlich auch nach der geltenden Gesetzeslage beim Einverständnis geprüft werden müßten, bereits im Rahmen des Verwenderhinweis und der Kenntnisnahmemöglichkeit abhandeln und damit ebenfalls objektiv verstehen. Sie leiten das Erfordernis, daß bei einer vom Vertragspartner unterschriebenen Urkunde der ausdrückliche Hinweis grundsätzlich vor der Unterschrift stehen muß aus dem Ausdrücklichkeitserfordernis her, obwohl auch in diesem Fall an der Ausdrücklichkeit des Verwenderhinweises keine Zweifel bestehen. Allein die Antwort auf die Frage, ob die Unterschrift des Vertragspartners die Bezugnahmeklausel noch deckt und damit Teil seiner Willenserklärung ist, ist problematisch. Das Erfordernis, daß der Hinweis auf bestimmte AGB Bezug nehmen muß, wird ebenfalls un606 Statt aller Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 161; Müller-Graff, JZ 1977, 249. Dagegen Koch/Stübing (1977), § 2 AGBG Rn. 5 ff., 8 ff., 14. 607 Medicus, AT (9. Aufl. 2006), Rn. 408.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
ter dem Stichwort der Ausdrücklichkeit diskutiert, obwohl allein problematisch ist, ob eine Einigung mit bestimmbarem Inhalt vorliegt. Auch diese Faktoren werden dann nicht nochmals im Rahmen der Einbeziehungsabrede geprüft. Vor diesem Hintergrund kann abschließend zu der oben bereits kritisierten Ansicht, daß es bei Nr. 1 und 2 nicht auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls ankomme, sondern daß diese Einbeziehungsvoraussetzungen objektiv-generalisierend angewendet werden müßten, Stellung bezogen werden608: »Die auch vom Gesetzgeber akzeptierte Rationalisierungsfunktion der AGB verlangt es, dass weite Bereiche des AGB-Rechts von dem Einzelfall abstrahieren. Gerade bei der Einbeziehung von AGB ist daher regelmäßig nicht auf die Verhältnisse und Fähigkeiten des konkreten Partners abzustellen, sondern auf einen Durchschnittskunden. Das gilt sowohl für den Einbeziehungs-Hinweis nach Nr. 1 wie auch für die Möglichkeit der Kenntnisnahme (Abs. 2 Nr. 2). […] Lediglich für das Einverständnis des Partners […] spielen die Umstände des Einzelfalls bei der Einbeziehung eine Rolle.«
Wie folgendes Beispiel zeigt, ist diese Differenzierung schlicht nicht möglich: Ein Rollstuhlfahrer wird durch einen deutlich sichtbaren Aushang, den nur er von seinem Rollstuhl aus nicht sehen kann, auf AGB hingewiesen. Für den Verwender ist erkennbar, daß der Rollstuhlfahrer den Hinweis nicht sehen kann. Die in Bezug genommenen AGB liegen an einer Stelle zur Kenntnisnahme aus, die auch der Rollstuhlfahrer problemlos erreichen kann. Wendet man die Einbeziehungsvoraussetzungen der Nr. 1 und der Nr. 2 generell-objektiv an, so muß man von ihrer Erfüllung ausgehen. Nur im Rahmen der Nr. 2, nicht aber im Rahmen der Nr. 1 sollen nach dieser Ansicht körperliche Behinderungen berücksichtigt werden. Ein deutlich sichtbarer Hinweis liegt jedoch für den Durchschnittskunden vor. Auch der Rollstuhlfahrer hat die Möglichkeit, sich vom Inhalt der AGB Kenntnis zu verschaffen, auch wenn er keinen Anlaß hat, diese Möglichkeit wahrzunehmen, weil er ja den Hinweis nicht sehen kann. Aber liegt ein konkludent erklärtes Einverständnis vor? Berücksichtigt man, wie von dieser Meinung erlaubt, nun die Umstände des Einzelfalls, so muß man ein solches Einverständnis ablehnen: Da der Verwender erkennen kann, daß der Vertragspartner den Hinweis nicht sehen kann, darf er nicht davon ausgehen, daß dieser mit Vertragsschluß zugleich der Geltung der AGB zustimmt. Eine Geltung der AGB könnte nur dann bejaht werden, wenn auch bei Prüfung des Einverständnisses generell-objektiv vorgegangen wird. Vorzugswürdig ist nach alledem, die in § 305 Abs. 2 BGB genannten Kriterien nicht als drei selbständige Einbeziehungsvoraussetzungen zu verstehen. § 305 Abs. 2 BGB enthält nur eine einzige Einbeziehungsvoraussetzung, und das ist die Einbeziehungsabrede. Den auf Einbeziehung der AGB gerichteten 608 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305 Rn. 71. Siehe bereits oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 544–546.
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Willen des Verwenders setzt das Gesetz dabei voraus. Nur das notwendige Einverständnis des Vertragspartners erwähnt § 305 Abs. 2 BGB. Bei der Frage, ob ein wirksames Einverständnis vorliegt spielen die anderen in § 305 Abs. 2 BGB genannten Faktoren eine Rolle. Von einem wirksamen Einverständnis darf nur ausgegangen werden, wenn die Voraussetzungen von Nr. 1 und Nr. 2 erfüllt sind. Nr. 1 und Nr. 2 nennen dabei nur Mindestvoraussetzungen609. Denn insbesondere der Zweck der Nr. 1 war ein negativer: Es sollten die Fälle ausgeschlossen werden, in denen die Rechtsprechung von einem stillschweigenden Einverständnis des Vertragspartners ausging, obwohl ein Hinweis auf die AGB durch den Verwender fehlte. Nr. 1 enthält deshalb auch keine Aussagen darüber, welche Anforderungen an den Hinweis gestellt werden müssen. Wie groß muß er sein? Genügt ein Hinweis in einem Katalog oder in Preislisten? Wie muß ein Aushang gestaltet sein, wenn durch ihn zuvor ausgehängte AGB geändert werden, damit die AGB mit dem geänderten Inhalt auch für Stammkunden, die den Aushang in dem Glauben, seinen Inhalt zu kennen, nicht mehr beachten, für zukünftige Verträge gelten? In welcher Sprache muß der ausdrückliche Hinweis oder der Hinweis durch Aushang sein? In welcher Sprache muß die Möglichkeit verschafft werden, vom Inhalt der AGB Kenntnis zu nehmen? All diese Fragen können sinnvoll nur unter Rückgriff auf die Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre beantwortet werden. Nur mit diesem Verständnis des § 305 Abs. 2 BGB wird man dem Willen des Gesetzgebers gerecht. Er bekannte sich zur Vertragstheorie und wollte die Einbeziehung vom Einverständnis des Vertragspartners abhängig machen610: »Soll sich die Verwendung von AGB auf dem Boden des Vertragsrechts vollziehen und demgemäß wenigstens dem Grundsatz nach an dem Erfordernis einer Willensübereinstimmung beider Vertragsparteien festgehalten werden, so ist es notwendig, daß der Verwender seine Bedingungen offenlegt und seinen Vertragspartner auf die beabsichtigte Einbeziehung hinweist.«
Folgende Fassung des § 305 Abs. 2 BGB hätte all das sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, so kann von einem solchen Einverständnis nur dann ausgegangen werden, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß zumindest 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und 2. sie der anderen Vertragspartei zugehen und ihr Inhalt auch im übrigen für diese Vertragspartei bestimmbar ist.«
Auf diese Weise sollte § 305 Abs. 2 BGB de lege lata gelesen werden. 609 610
Entwurf (1975), S. 37. Entwurft (1975), S. 36.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
2. Die Änderung allgemeiner Geschäftsbedingungen in Dauerschuldverhältnissen Grundsätzlich reicht bei einer nachträglichen Einbeziehung für die Annahme eines konkludenten Einverständnisses nicht aus, daß der Vertragspartner am Vertrag festhält. Er muß der nachträglichen Einbeziehung ausdrücklich zustimmen611. Das entspricht auch der Rechtslage, wie sich die Einbeziehung nach den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre darstellt612. Freilich läßt die herrschende Meinung hiervon im AGB-Recht eine Ausnahme zu. Bei Dauerschuldverhältnissen können ganz vielfältige Gründe dazu führen, daß der Verwender seine AGB für den laufenden Vertrag nachträglich ändern möchte. Er muß diese Änderungen nachträglich in den Vertrag einführen. Dafür sind ein ausdrücklicher Hinweis, die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit sowie das Einverständnis des Vertragspartners notwendig. Unter Abweichung von den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre verlangt die herrschende Meinung allerdings nicht, daß der Vertragspartner sein Einverständnis ausdrücklich erklären muß613: »Rspr. und hM sehen aber in der widerspruchslosen Fortsetzung des Vertragsverhältnisses durch den Kunden nach Zugang des Hinweises dessen konkludente Zustimmung zur Vertragsänderung. Demgegenüber halten manche – wie bei der nachträglichen Einbeziehung von AGB in einen Vertrag – auch bei der Änderung der AGB regelmäßig die ausdrückliche Zustimmung des Kunden für erforderlich, wenn die Änderung für ihn nachteilig ist. Die Konsequenzen dieser Mindermeinung sind indessen nicht hinnehmbar. Da viele Vertragspartner, wie die Erfahrung in anderen Bereichen zeigt, auch bei wiederholtem Drängen des Verwenders passiv bleiben, träte eine Versteinerung der betreffenden Vertragsverhältnisse ein. Auch wären Lücken die Folge, die nur unzureichend und zT gar nicht durch dispositives Gesetzesrecht gefüllt werden können. Überdies ginge die Einheitlichkeit der Verträge und damit der Rationalisierungseffekt der AGB verloren, wenn manche Kunden der Änderung zustimmen und andere nicht.«
Mich überzeugt diese Argumentation nicht: Der vorausschauende Verwender kann sich durch Änderungsklauseln sichern614. Vergißt er eine solche Klausel in die AGB aufzunehmen, so geht das zu seinen Lasten. Auch darf der Vertragspartner passiv bleiben und muß der nachträglichen Vertragsänderung nicht zuzustimmen. Entstehende Lücken können im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gefüllt werden. Und die Einheitlichkeit der Verträge und der Rationalisierungseffekt sind zunächst nur Motive, die den Verwender ein611
Siehe oben die Nachweise in Fn. 478. Siehe oben II B 1 a (S. 424). 613 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 78. Ablehnend dagegen wohl Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 172; Freund (1998), S. 57 ff. 614 Zu dieser Möglichkeit MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 79 ff.; Eckelt (2008), S. 132 ff.; Freund (1998), S. 86 ff.; Baur (1983), passim. 612
IV. Geltung der Geschäftsbedingungen im nichtunternehmerischen Verkehr
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seitig zur Schaffung seiner AGB bewegen und die den Vertragspartner nicht zu kümmern brauchen. Die Einheitlichkeit der Verträge wäre zudem auch nach der herrschenden Meinung gefährdet. Der Vertragspartner wird wohl oft nur deshalb untätig bleiben, weil er weiß, daß sein Schweigen als Ablehnung und nicht als Zustimmung gilt. Die gegenteilige Rechtsprechung wird ihn überraschen. Der nächsten ihm angetragenen Änderung von AGB wird er widersprechen.
F. Die Beschränkung des § 305 Abs. 2 BGB auf allgemeine Geschäftsbedingungen Die Fragestellung, mit der wir an das geltende deutsche Recht in diesem Abschnitt herantreten, lautet, ob es möglich ist, die gesetzlich normierten Einbeziehungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abzuleiten. Diese Frage fand eine positive Antwort. Die Folgefrage, ob die Normierung der Geltungsvoraussetzungen in § 305 Abs. 2 BGB ein mehr an Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und ein höheres Schutzniveau zugunsten des Vertragspartners geschaffen hat, wurde dagegen verneint. Nur beiläufig wurde ein alternativer Formulierungsvorschlag des § 305 Abs. 2 BGB entwickelt, der die Auslegungsprobleme des geltenden § 305 Abs. 2 BGB vermeidet. Nur aus Gründen der Vollständigkeit soll daher auf einen Aspekt hingewiesen werden, der an dieser Stelle nicht umfassend hergeleitet werden kann, weil er eben die Fragestellung des vorliegenden Abschnitts nicht unmittelbar berührt, aber auf den unten im Rahmen der Inhaltskontrolle ausführlich zurückzukommen sein wird615. § 305 Abs. 2 BGB regelt die Einbeziehung von AGB in den Vertrag. Die Probleme, auf die der Gesetzgeber reagieren wollte, bestehen allerdings ebenso bei Geschäftsbedingungen, die der Verwender nicht für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert hat, sondern nur für einen einzigen Vertrag, ohne sie aber in den Vertragsverhandlungen zur Disposition zu stellen. Sie treten nur faktisch fast ausschließlich im Zusammenhang mit AGB auf. Im übrigen bestehen zwischen AGB und nur für einen einzigen Vertrag einseitig gestellten Vertragsbedingungen keine Unterschiede. Literatur und Rechtsprechung tragen diesen Umständen schon heute dadurch Rechnung, daß sie das Tatbestandsmerkmal »für eine Vielzahl von Verträgen« in § 305 Abs. 1 BGB ausgesprochen großzügig auslegen616. Ehrlicher wäre es jedoch, auf diese Tatbestandsmerkmal ganz zu verzichten. § 305 Abs. 2 BGB sollte also lauten:
615 616
Siehe unten § 15 (S. 527 ff.). Statt aller Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 4.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
»Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung einseitig gestellter Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, so kann von einem solchen Einverständnis nur dann ausgegangen werden, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß zumindest 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und 2. sie der anderen Vertragspartei zugehen und ihr Inhalt auch im übrigen für diese Vertragspartei bestimmbar ist.«
Ebenso sind die Einbeziehungsvoraussetzungen des spanischen KSchG, des portugiesischen Rechts, der PECL, der ACQP und des DCFR nicht auf AGB beschränkt617. Schon heute sollte § 305 Abs. 2 BGB auf alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen analog angewendet werden618, so wie die österreichische Lehre eine analoge Anwendung des § 864a ABGB vorschlägt619.
V. Gemeinsame Geltungsvoraussetzungen im unternehmerischen und nichtunternehmerischen Verkehr A. Die Auslegungsregel des § 305b BGB Bereits oben konnten wir feststellen, daß sich der Vorrang der Individualabrede vor dem AGB-Inhalt wie selbstverständlich aus §§ 133, 157 BGB ergibt. Die Auslegungsregel620 des § 305b BGB ergänzt insoweit weder die allgemeine Rechtsgeschäftslehre, noch modifiziert er sie. Zum Teil wird eingewandt, § 305b BGB enthalte keine Auslegungsregel621: Durch Auslegung müsse der Bedeutungsgehalt der AGB-Klausel und der Individualabrede ermittelt werden, um so feststellen zu können, ob zwischen beiden ein Widerspruch besteht. § 305b BGB betreffe sodann die nachgelagerte Frage, wie dieser Widerspruch aufzulösen ist. Freilich handelt es sich auch hierbei um ein Auslegungsproblem: Im Zweifel wollten die Parteien eben, daß der Individualabrede Vorrang zukommt. Nicht einsichtig ist es auch, § 305b BGB für zwingend zu erklären622: Da es auf den Willen der Parteien nach § 305b BGB überhaupt 617
Siehe oben I B 1 (S. 351 ff.) und I C 2 (S. 373 ff.), 5 (S. 377 ff.), 6 (S. 388 f.). A.A. Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305a Rn. 8. 619 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 110. 620 Als Auslegungsregel verstehen den § 305b BGB auch Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305b Rn. 1, 4, 7; Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305b Rn. 1; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 37 ff.; Locher (3. Aufl. 1997), S. 62 ff.; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 4 Rn. 1. 621 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 346; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305b Rn. 1; PK-BGB/ Lapp (4. Aufl. 2008); Bamberger/Roth/Schmidt (2. Aufl. 2007), § 305b Rn. 1; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305b Rn. 2; Zoller, JZ 1991, 851 ff.; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1977), § 5 Rn. 3. 622 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 346. 618
V. Gemeinsame Geltungsvoraussetzungen
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nicht ankomme, könne es auch keine Auslegungsvorschrift sein. Waren sich die Parteien bei Vertragsschluß einig darüber, wie ein Widerspruch zwischen den AGB und einer Individualabrede aufzulösen ist, so muß dieser übereinstimmende Wille gelten. Den eigentlich problematischen Fall erfaßt § 305b BGB nicht: Erklären sich die Parteien zur Geltung der AGB und einer möglichen Individualabrede im Rahmen von Vertragsverhandlungen, stellt sich die Frage, ob die AGB überhaupt zum Vertragsinhalt geworden sind oder ob ihre Einbeziehung nicht insoweit ausgeschlossen ist, als sie der Individualabrede widersprechen. Wir hatten oben festgestellt, daß sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre starre Antworten verbieten, auch wenn man in der Regel von der Vermutung ausgehen kann, daß die Parteien die Individualabrede und insoweit gerade nicht die AGB in Geltung setzen wollen. So liegt es vor allem, wenn sich die Parteien zuerst zur Geltung der AGB und erst nachfolgend zu einer zu treffenden Individualabrede äußern. Erklären sich die Parteien dagegen zunächst zu einer zu treffenden Individualabrede und verweist der Verwender nachfolgend auf seine AGB, dann können sich die AGB durchsetzen, wenn der Vertragspartner den Hinweis des Vertragspartners nicht als ein Jaaber-im-Übrigen (»Ja, die Individualabreden sollen gelten, aber im übrigen möchte ich, daß meine AGB zur Anwendung kommen«) verstehen darf623.
B. Die Grenze der Einbeziehung des § 305c Abs. 1 BGB Hat sich der Vertragspartner mit der Geltung der AGB ausdrücklich einverstanden erklärt, oder hat ihn der Verwender zumindest auf die AGB ausdrücklich hingewiesen, so ist es im Rahmen der Auslegung nicht möglich, überraschende oder außergewöhnliche Klauseln von der Einbeziehung auszuschließen624. Eine Irrtumsanfechtung steht dem Vertragspartner dann nicht offen, wenn er eine Telquel- oder Risikoerklärung abgegeben hat625. Insoweit bleibt die Schutz des Vertragspartners nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre hinter dem der §§ 305 ff. BGB zurück. Dafür daß nur insoweit eine durch gesetzliche Regelungen zu schließende Schutzlücke besteht, spricht auch ein Blick ins österreichische Recht und in die PICC626. In Österreich bestimmt sich die Einbeziehung grundsätzlich nach den allgemeinen Vertragsschlußregeln. Nur für die Geltung ungewöhnlicher Klauseln hält das ABGB in § 864a eine besondere Vorschrift bereit. Ähnlich halten es die PICC. Sie enthalten in Art. 2.1.20 eine Regel zu überraschenden Klauseln. Daneben normieren sie in Art. 2.1.21 noch den Vorrang von Individualabreden und 623 624 625 626
Siehe ausführlich oben II A 1 g (S. 402 f.). Siehe oben II A 1 l (S. 419 f.) und II B 1 h (S. 429 f.). Siehe oben II A 2 (S. 420 f.) und II B 2 (S. 431). Siehe oben I B 2 c (S. 362 f.) und I C 3 (S. 376).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
kennen in Art. 2.1.22 eine Vorschrift zu widerstreitenden AGB. Im übrigen erklären sie aber in Art. 2.1.19 die Regeln über den Vertragsschluß für anwendbar. Fraglich ist aber die dogmatische Einordnung des § 305c Abs. 1 BGB durch den Gesetzgeber. § 305c Abs. 1 BGB führt dazu, daß die Einverständniserklärung des Vertragspartners »kraft Gesetzes unwiderlegbar dahin auszulegen [ist], daß sie sich auf derartige Klauseln nicht bezieht«627. Daß diese Auslegung unwiderleglich sein soll, stößt auf Bedenken, so bei Klauseln, die dem Vertragspartner günstig sind. Zwar wendet die herrschende Meinung § 305c BGB nicht auf sogenannte überraschende Vergünstigungen an und begründet dies damit, »dass Abs. 1 nur Klauseln nennt, mit denen der Kunde nicht zu rechnen ›brauchte‹, nicht aber solche, auf die er nicht hoffen konnte«628. Mit dieser Formel dürfte der Fall, daß die AGB eines Kaufvertrages für eine Kaffeemaschine die Verpflichtung enthält, Kaffe zu beziehen, nicht lösbar sein, wenn der Bezugspreis für den Kaffee besonders günstig ist. Die zusätzliche Verpflichtung ist in einem solchen Fall sicher rechtlich ungünstig, wirtschaftlich kann sie für den Verwender aber vorteilhaft sein. Hier sollte man die Entscheidung dem Vertragspartner überlassen, ob er den günstigen Bezugspreis ausnutzen oder sich von der überraschenden Verpflichtung lösen will. Und in diese Richtung geht auch die Lehre, die behauptet, daß »Abs. 1 unanwendbar ist, wenn der Vertragspartner es so wünscht«629. Mit dem Wortlaut des § 305c Abs. 1 BGB wie mit seiner dogmatischen Einordnung steht ein solches Wahlrecht nicht im Einklang. Die Lehre deutet § 305c Abs. 1 BGB vielmehr auf diese Weise in ein Anfechtungsrecht um630: »Das Wesen der Anfechtbarkeit besteht darin, daß der Anfechtungsberechtigte die Entscheidung über die Geltung oder Nicht-Geltung des Rechtsgeschäfts hat.«
Zudem scheint auch auf der Seite der Tatbestandsvoraussetzungen die Annahme eines Anfechtungsrechts näher zu liegen631: »Die Prüfung nach § 305c Abs. 1 erfolgt in drei Schritten. Zunächst ist festzustellen, welche Vorstellungen und Erwartungen der Kunde vom Inhalt des abgeschlossenen Vertrages nach den Umständen hatte und haben durfte. Sodann ist der Inhalt der streitigen AGB-Klausel zu ermitteln. Schließlich ist zu fragen, ob die Diskrepanz zwischen Vorstellung des Kunden und dem Inhalt der AGB-Klausel so groß ist, dass sich die Annahme rechtfertigt, es handele sich um eine ›überraschende‹ Klausel iS des § 305c Abs. 1.«
627 628 629 630 631
Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 25. Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 4. Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 4. Flume II (3. Aufl. 1979), S. 557. Ebenso Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004) § 35 Rn. 36. MK-BGB/Baseddow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 5.
VI. Sonderregeln der Einbeziehung
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Der dritte Schritt offenbart, daß es sich eigentlich um eine Erweiterung der Irrtumsanfechtung handelt632. Waren die oben gewonnenen Erkenntnisse zur Einbeziehung nach der allgemeinen Rechtsgeschäftlehre also in Hinblick auf § 305 Abs. 2 BGB auch für die Auslegung der lex lata von Bedeutung, müssen wir in Hinblick auf § 305c Abs. 1 BGB mit einer Kritik an der lex lata schließen. Der Gesetzgeber hätte dem Vertragspartner bei überraschenden Klauseln ein besonders auszugestaltendes Anfechtungsrecht einräumen sollen.
VI. Sonderregeln der Einbeziehung § 305 Abs. 2 BGB regelt die Einbeziehung von AGB im nichtunternehmerischen Verkehr nur in ihrer Grundform, und ebenso richtet sich die Geltung von AGB im unternehmerischen Verkehr nur in ihrer Grundform nach den Regeln der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Daneben gibt es zahlreiche Normen, die in Hinblick auf Klauseln eines bestimmten Inhalts, auf bestimmte Vertragsarten oder Vertriebsformen zusätzliche Anforderungen formulieren. Da sind zum einen Formvorschriften. Durch sie werden an die Einbeziehungsabrede bzw. die Einverständniserklärung des Vertragspartners i.S.d. § 305 Abs. 2 BGB besondere Erfordernisse geknüpft633. Zum anderen gibt es in Hinblick auf bestimmte Vertriebsformen und Vertragsarten besondere Anforderungen an die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit. So muß der Unternehmer dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen nach § 312c Abs. 2 S. 1 BGB die AGB mitteilen, und zwar in Textform und grundsätzlich »rechtzeitig vor Abgabe« der Vertragserklärung des Verbrauchers. Nach § 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB muß der Unternehmer im elektronischen Geschäftsverkehr dem Kunden die Möglichkeit verschaffen, die AGB »bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern«. Für Reiseverträge bestimmt § 6 Abs. 3 BGB-InfoV, daß die AGB »dem Reisenden vor Vertragsschluss übermittelt werden« müssen. Und für die Einbeziehung von AVB in Versicherungsverträge verlangt § 7 Abs. 1 S. 1 VVG, daß sie dem Versicherungsnehmer »rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung […] in Textform mitzuteilen« sind. Vergleichbare gesetzliche Bestimmungen waren uns bereits in der Rechtsgeschichte begegnet. So verlangte in Sachsen § 35 der Ausführungsverordnung vom 20.10.1862 zum VI. Abschnitt des das Immobiliar-Brandversicherungswesen betreffende Gesetz vom 23.8.1862634: 632 Vgl. schon F. Bydlinski, FS Meier-Hayoz (1982), S. 72: »Durchaus bemerkenswert ist, dass […] die überraschenden Klauseln schon im Auslegungsweg negiert, also nicht erst durch Irrtumsanfechtung aus dem Vertrag eleminiert werden.« 633 Zu den Einzelheiten statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 176. 634 Siehe oben § 2 IV D 3 (S. 77).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
»Auf den Formularen zu den Declarationen (Antragsbogen), welche den Versicherungsnehmern von der Versicherungsanstalt oder deren Agenten zugestellt zu werden pflegen, muss sich ein Abdruck der Versicherungsbedingungen befinden, so dass der Versicherungsnehmer vor Abschluss der Versicherung sich von den Bedingungen, welche er einzugehen hat, genau zu unterrichten im Stande ist«.
Und § 10 Abs. 1 S. 1 VAG (1901) lautete635: »Vor dem Abschlusse des Versicherungsvertrags ist dem Versicherungsnehmer ein Exemplar der […] allgemeinen Versicherungsbedingungen […] auszuhändigen.«
§ 10 VAG (1901) wurde 1923 aufgehoben. Durch die Geldentwertung waren die Verwaltungskosten der Versicherer stark gestiegen, ohne daß sie die Prämien in laufenden Versicherungsverträgen anpassen konnten. Dies bedrohte zahlreiche Versicherer in ihrer Existenz. Der Gesetzgeber wollte den Versicherern die durch § 10 VAG (1901) auferlegten Druckkosten ersparen. Denn die Versicherungsaufsicht wirkte ohnehin darauf hin, daß die AVB dem Versicherungsnehmer ein zweites Mal mit Übersendung des Versicherungsscheines ausgehändigt wurden. Der Versicherungsnehmer erhielt die AVB als Folge doppelt636. Ein Verstoß gegen § 10 VAG (1901) führte zudem nicht zur Nichteinbeziehung der AVB637, handelte es sich doch um eine Vorschrift des Versicherungsaufsichtsrechts. Auch heute gilt nach herrschender Meinung nichts anderes: Ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 S. 1 VVG führt nicht ohne weiteres zur Nichteinbeziehung, sondern nur, wenn zugleich die Geltungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB, der neben den Vorschriften des VVG anwendbar ist638, nicht beachtet werden. Eine Nichtbeachtung des § 7 Abs. 1 S. 1 VVG führt vor allem dazu, daß die Frist für den Widerruf des Versicherungsnehmers nicht zu laufen beginnt: § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VVG639. Ähnliches gilt für einen Verstoß gegen §§ 312c Abs. 2 S. 1, 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und § 6 Abs. 3 BGB-InfoV. Er verhindert nach herrschender Ansicht nicht die Geltung der AGB. Ihre Geltung bestimmt sich vielmehr allein nach den Grundregeln der Einbeziehung, im nichtunternehmerischen Verkehr also nach § 305 Abs. 2 BGB. Die Nichtbeachtung dieser besonderen Anforderungen hat andere Rechtsfolgen, wirkt sich insbesondere wieder auf den Beginn von Widerrufsfristen aus640. Eine abweichende Meinung will dagegen § 305 Abs. 2 BGB im 635
Siehe oben § 7 II B (S. 235). Vgl. hierzu Koenige/Petersen (3. Aufl. 1927), § 10 Anm. 1. 637 Schneider (1908), Einl. II 2. 638 Hk-VVG/Schimikowski (2009), § 7 Rn. 25; Bruck/Möller/Beckmann (9. Aufl. 2008), Einf. C Rn. 55 f.; PK-VVG/Ebers (2008), § 7 Rn. 21. 639 Statt aller Hk-VVG/Schimikowski (2009), § 7 Rn. 20; Bruck/Möller/Beckmann (9. Aufl. 2008), Einf. C Rn. 55 f.; PK-VVG/Ebers (2008), § 7 Rn. 22, 51, 55. 640 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 62; Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 312c Rn. 12, § 312e Rn. 8; Palandt/Sprau (68. Aufl. 2009), § 6 BGB-InfoV Rn. 3; Woitke, BB 2003, 2471; Grigoleit, NJW 2002, 1157. 636
VI. Sonderregeln der Einbeziehung
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Lichte der §§ 312c Abs. 2 S. 1, 312e Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB auslegen, so daß diese Vorschriften bestimmen, wie einem Verbraucher die Kenntnisnahmemöglichkeit zu verschaffen ist641. Einen Schritt weiter gehen die neuesten Rechtsvereinheitlichungsprojekte. Nach Art. II.-9:103(2) DCFR und Art. 6: 201(3) ACQP ist es Geltungsvoraussetzung, daß der Verwender nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen im elektronischen Geschäftsverkehr dem Vertragspartner in Textform zugänglich macht642. Eine entsprechende Sanktion verlangt die Richtlinie 2000/31/EG bei einem Verstoß gegen Art. 10 freilich nicht643. Zahllose weitere Beispiele ließen sich anführen. Sie könnten im Rechtsvergleich dargestellt und ihre Wurzeln im Gemeinschaftsprivat- und Einheitsrecht könnten aufgespürt werden. Für die vorliegende Arbeit wäre mit einer solchen Darstellung indes kein Erkenntnisgewinn verbunden. Freilich kommt der Analyse der Geltungsvoraussetzungen nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auch im vorliegenden Zusammenhang eine Bedeutung zu. Denn nur wenn sich der Gesetzgeber der Einbeziehung in ihrer Grundform bewußt ist, kann er Sonderregeln der Einbeziehung aufstellen. Das soll am Beispiel des § 305a BGB aufgezeigt werden: § 305a BGB regelt die Geltung der Tarife und Ausführungsbestimmungen der Eisenbahnen, der Beförderungsbedingungen der Straßenbahnen, Omnibusse, Kraftfahrzeuge im Linienverkehr, die AGB für Beförderungsverträge von Postsendungen und für Verträge über Telekommunikations-, Informations- und andere unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln erbrachten Dienstleistungen. Die Formulierung: »Auch ohne Einhaltung der in § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Erfordernisse«, legt nahe, daß § 305a BGB nur als Ausnahme zu § 305 Abs. 2 gedacht ist, daß also der Anwendungsbereich des § 305a BGB ebenso wie der des § 305 Abs. 2 BGB durch § 310 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt wird644. Doch wäre eine solche Auslegung mißlich. Denn § 305a BGB weicht nicht nur von der Einbeziehung nach § 305 Abs. 2 BGB, sondern auch von der nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ab. Würde man vom Anwendungsbereich des § 305a BGB nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB solche AGB ausnehmen, die gegenüber Unternehmern verwendet werden sollen, so würde sich die Einbeziehung der von § 305a BGB erfaßten AGB bei Unternehmern und Nichtunternehmern unterscheiden, und zwar wären, wie wir sehen werden, die Geltungsvoraussetzungen gegenüber Unternehmern strenger645. 641 MK-BGB/Wendehorst (5. Aufl. 2007), § 312c Rn. 70, 136, § 312e Rn. 103; Staudinger/ Schlosser (2006), § 305 Rn. 103; Grabitz/Hilf/Marly (2001), A4 Art. 10 Rn. 15. 642 Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 5, 14. 643 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt. 644 So in der Tat Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305a Rn. 1. 645 A.A. Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 9.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
§ 305a Nr. 1 BGB betrifft die Einbeziehung der »mit Genehmigung der zuständigen Verkehrsbehörde oder auf Grund von internationalen Übereinkommen erlassenen Tarife und Ausführungsbestimmungen der Eisenbahnen« und der »nach Maßgabe der Personenbeförderungsgesetze genehmigten Beförderungsbedingungen der Straßenbahnen, Obusse und Kraftfahrzeuge im Linienverkehr in den Beförderungsvertrag«. Neben dem Erlaß bzw. der Genehmigung der erfaßten Bedingungen nennt die Nr. 1 keine weiteren Geltungsvoraussetzungen. Nur noch das Einverständnis des Vertragspartners kommt als allgemeine Voraussetzung des § 305a BGB hinzu646. Freilich werden die erfaßten AGB auch immer veröffentlicht647, und ein Teil der Literatur will ein Veröffentlichungserfordernis in § 305a Nr. 1 BGB hineinlesen: AGB seien nur nach ihrer Veröffentlichung i.S.d. § 305a Nr. 1 BGB »erlassen«648. Der Vertragspartner hat so die Möglichkeit, die Bedingungen einzusehen, wenn er sie denn findet. § 305a Nr. 2 BGB betrifft die Einbeziehung solcher AGB, die im Amtsblatt der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen veröffentlicht sind. Neben der Veröffentlichung verlangt § 305a Nr. 2 BGB, daß die AGB in den Geschäftsstellen des Verwenders bereitgehalten werden. Die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals bereitet Schwierigkeiten: Anders als § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB für Aushänge (»am Ort des Vertragsschlusses«) verlangt § 305a Nr. 2 BGB keinen örtlichen Bezug und anders als § 305 Abs. 2 BGB (»bei Vertragsschluss«) auch keinen zeitlichen Bezug zum Vertragsschluß. Würde man § 305a Nr. 2 BGB beim Wort nehmen, würde eine Einbeziehung ausgeschlossen sein, wenn die AGB irgendwann einmal in irgendeiner Geschäftsstelle nicht vorrätig waren. Man darf vermuten, daß die Einbeziehung mit dieser Auslegung immer scheitern müßte. Ein absurdes Ergebnis: Zwar kann ein Vertragspartner aus Flensburg wohl kaum jemals in Erfahrung bringen, ob die AGB in der Geschäftsstelle des Verwenders in Garmisch-Partenkirchen zu jeder Zeit bereitgehalten worden sind. Doch selbst wenn ihm dies ausnahmsweise gelingt, wäre nicht einsichtig, warum das die Geltung der AGB für den in Flensburg geschlossenen Vertrag berühren sollte. Umgekehrt kann es aber auch nicht genügen, daß der Verwender die AGB zumindest in einer Geschäftsstelle bereitgehalten hat. Dann würde der Plural in § 305a Nr. 2 BGB (»Geschäftsstellen«) keinen Sinn machen. Man muß die Vorschrift korrigierend auslegen und in sie den örtlichen und zeitlichen Bezug zum Vertragsschluß hineinlesen: Die Einbeziehung ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Verwender die AGB in seiner dem Ort des Vertragsschluß am nächsten gelegenen Geschäftsstelle zum Zeitpunkt des Ver646 647 648
Rn. 2.
Siehe unten den Text zu und nach Fn. 656. Vgl. hierzu Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 4; Hilpert, NZV 2007, 290. MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 7; Staudinger/Schlosser (2006), § 305a
VI. Sonderregeln der Einbeziehung
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tragsschluß nicht bereitgehalten hat. Mit dieser Auslegung ist Ratio des Bereithaltenserfordernisses, daß der Vertragspartner die Möglichkeit hat, sich über den Inhalt der AGB zu informieren, wenn er den Weg zur nächstgelegenen Geschäftsstelle auf sich nehmen will. Und nur diese Auslegung steht im Einklang mit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre als Verständnishintergrund des § 305a BGB649. Nicht überzeugen kann daher die Auslegung, daß es immer unschädlich ist, wenn die AGB in einzelnen Geschäftsstellen nicht vorhanden sind650. Steht die Einbeziehung von AGB in Beförderungsverträge über Postsendungen in Frage, so schränkt lit. a den Anwendungsbereich des § 305a Nr. 2 BGB ein. Nur wenn der Vertrag durch Einwurf in Briefkästen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wird, soll die Veröffentlichung und Bereithaltung der AGB für eine Einbeziehung genügen. Das zeigt nochmals die Notwendigkeit der gerade entwickelten korrigierenden Auslegung: Wirft der Vertragspartner einen Brief in Flensburg in einen Briefkasten ein, der direkt vor einer Postfiliale steht, so ist es für die Geltung der AGB in diesem Vertragsverhältnis vollkommen unbeachtlich, ob in der Woche zuvor die AGB in einer Postfiliale in Garmisch-Partenkirchen nicht vorrätig waren. Es kann allein darauf ankommen, ob in dieser einen Postfiliale in Flensburg zum Zeitpunkt des Einwurfs des Briefes die AGB bereitgehalten wurden. Freilich verbleiben i.R.d. § 305a Nr. 2 lit. a BGB auch mit dieser korrigierenden Auslegung Zweifelsfälle: Wie ist zu entscheiden, wenn der Brief außerhalb der Öffnungszeiten eingeworfen wird, und die in dieser Filiale sonst ausgehängten AGB zu diesem Zeitpunkt nicht vorrätig waren? Soll das die Einbeziehung ausschließen, obwohl der Vertragspartner außerhalb der Öffnungszeiten ohnehin nicht die Möglichkeit hatte, die AGB einzusehen? Wird der Vertrag in den Geschäftsräumen abgeschlossen, bleibt es dabei, daß die AGB hier deutlich sichtbar ausgehängt werden müssen. Für Verbraucher als Vertragspartner ergibt sich dies aus § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB und für Unternehmer aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Die Differenzierung zwischen in und außerhalb der Geschäftsräume abgeschlossenen Verträgen entspricht dem praktischen Bedürfnis, der Post einerseits allzu große Investitionen zu ersparen, die entstehen würden, wenn sie an jeden Briefkasten die AGB aushängen müßte, andererseits von § 305 Abs. 2 BGB nur soweit als nötig abzuweichen. Sie überzeugt dennoch nicht: Bei einem Briefkasten, der vor dem Eingang einer Postfiliale steht, bedarf es nach § 305a Nr. 2 lit. a BGB keines Hinweises auf die AGB. Steht der Briefkasten dagegen bereits im Ein649
Siehe oben II B 1 d-f (S. 429 ff.). So aber Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305a Rn. 18; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 5; Staudinger/Schlosser (2006), § 305a Rn. 11 (»Einzelne Vorratslücken wären ein nicht zu rechtfertigendes Zufallsgeschenk an den Kunden«). Wie hier dagegen MKBGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 16. 650
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
gangsbereich der Filiale, dann ist nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB zumindest ein Hinweis durch Aushang erforderlich651. Diese Differenzierung wird Postkunden wohl eher verwirren. Vorzugswürdig wäre es gewesen, für alle durch Einwurf von Postsendungen in Briefkästen abgeschlossen Beförderungsverträge einen Hinweis auf dem Briefkasten auf die veröffentlichten AGB mit Angabe der Fundstelle zu verlangen. Ein solcher Hinweis wäre der Post auch zumutbar. Denn Aufdrucke mit den Entleerungszeiten haben Briefkästen ohnehin. Die Einbeziehungsvoraussetzungen wären so lediglich modifiziert worden. Auf den Hinweis nach § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB hätte man überhaupt nicht verzichtet. Nur die Anforderungen an die Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit hätte man abgesenkt. Gemäß § 305a Nr. 2 lit. b BGB genügt bei »Verträgen über Telekommunikations-, Informations- und anderen Dienstleistungen, die unmittelbar durch Einsatz von Fernkommunikationsmitteln und während der Erbringung einer Telekommunikationsdienstleistung in einem Mal erbracht werden«, gemeint sind etwas Informationsdienste wie die Telephonauskunft oder Telephonate im Call-by-call-Verfahren652, die Veröffentlichung und Bereithaltung der AGB in den Geschäftsräumen nur, wenn sie »nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten vor dem Vertragsschluss zugänglich gemacht werden können«. Auch diese Bestimmung wirft mehrere Fragen auf: (1) Ist es nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich, dem Vertragspartner die AGB vor – gemeint ist wohl nicht nur vor, sondern auch bei, ansonsten ist die Bezugnahme auf § 305 Abs. 2 BGB nicht sinnhaft, der ja auch darauf abstellt, daß die AGB bei Vertragsschluß zugänglich gemacht werden müssen – dem Vertragsschluß zugänglich zu machen, so genügt die Veröffentlichung und die Bereithaltung in den Geschäftsstellen des Verwenders. Aber warum kommt es auf die Bereithaltung in Geschäftsstellen überhaupt an? Bei Telephonaten im Call-by-Call-Verfahren wird der Vertragspartner kaum eine Geschäftsstelle aufsuchen, sondern sich allein an die Veröffentlichung halten. Sinnvoll ist es daher, das Tatbestandsmerkmal »Geschäftsstelle« so zu lesen, daß nur Geschäftslokale gemeint sind, wo Verträge über die Dienstleistungen des Verwenders geschlossen werden können653. Freilich verliert dieses Tatbestandsmerkmal mit dieser Auslegung für § 305a Nr. 2 lit b BGB jede Bedeutung, denn die von dieser Vorschrift erfaßten Verträge werden niemals in Geschäftslokalen geschlossen. (2) Liegen die Voraussetzungen des § 305a Nr. 2 lit b BGB vor, so brauchen weder die Einbeziehungsvoraussetzungen des § 305 Abs. 2 Nr. 1 noch die des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB beachtet werden. Es ist also weder ein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB nötig, noch muß der Verwender dem Vertragspartner die Möglichkeit zur Kenntnisnahme gewähren. 651 652 653
Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305a Rn. 14. Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 7; Fischer/Galster, VersR 2004, 74. PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305a Rn. 11.
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Voraussetzung des § 305a Nr. 2 lit. b BGB ist aber lediglich, daß es unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereitet, dem Vertragspartner die AGB vor dem Vertragsschluß zugänglich zu machen und damit ihm die Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu gewähren. Daß der ausdrückliche Hinweis nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich wäre, verlangt die Vorschrift nicht, und man fragt sich deshalb, warum auch dieser Hinweis nach § 305a Nr. 2 lit. b BGB nicht erbracht werden muß654. (3) Keine unverhältnismäßigen Schwierigkeiten, die AGB zugänglich zu machen, bestehen übrigens, wenn der Vertragspartner etwa die Telephonauskunft von einer Telephonzelle desselben Anbieters aus anruft. Die AGB können hier leicht ausgehängt werden. § 305a BGB verlangt schließlich, daß der Vertragspartner mit der Geltung der AGB einverstanden ist655, und entsprechend will auch die herrschende Meinung an dieser Einbeziehungsvoraussetzung festhalten. Doch ist sie problematisch656. Ein Einverständnis ist durch Auslegung zu ermitteln, und von einem konkludent erklärten Einverständnis kann nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre nur ausgegangen werden, wenn der Vertragspartner vor oder bei Vertragsschluß auf die AGB hingewiesen wird und er die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Inhalts der AGB erhält, so daß der AGB-Inhalt bestimmbar wird. Ein ausdrücklicher Hinweis und die Möglichkeit zur Kenntnisnahme werden durch § 305a BGB aber gerade für entbehrlich erklärt. Würde man also den Gesetzgeber beim Wort nehmen und das Einverständnis prüfen, müßte man eine Einbeziehung wohl in allen Fällen des § 305a BGB ablehnen657. § 305a BGB muß daher korrigierend ausgelegt werden658: Ein Einverständnis ist in den Fällen des § 305a BGB entbehrlich, und das obwohl der Gesetzgeber von seiner Grundentscheidung, die Geltung von AGB auf eine entsprechende Einigung zwischen den Parteien zurückzuführen, nicht abweichen wollte. Nicht möglich scheint mir dagegen, davon auszugehen, der Vertragspartner erkläre sein Einverständnis »abstrakt« und »im Allgemeinen« »durch die faktische Inanspruchnahme«659. Eine solche Formulierung erinnert zu sehr an den faktischen Vertrag durch sozialtypisches Verhalten660. Auch ist unbeachtlich, daß allgemein bekannt ist, daß die
654
Vgl. hierzu auch die Darstellung bei Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 8. Vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6857, S. 52. 656 Kritisch auch MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 3; Spindler, CR 2004, 206; Freise, VersR 2004, 974. Anders Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 295; Staudinger/Schlosser (2006), § 305a Rn. 1. 657 So auch der Schluß von MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 3. 658 Ähnlich Ditscheid/Rudloff, K&R 2005, 259. 659 So aber Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305a Rn. 6, 8; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 3; Bamberger/Roth/Becker (2. Aufl. 2007), § 305a Rn. 3; Ulmer/ Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305a Rn. 4. 660 So auch die Kritik bei Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305a Rn. 4. 655
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Anbieter der von § 305a BGB erfaßten Leistungen AGB verwenden661. Das liefe auf die Wissenmüssenformel hinaus662. Ulmers freilich nicht als Kritik gemeinte Beobachtung, § 305a BGB »bedeute eine partielle Rückkehr zur früher allgemein für die AGB-Einbeziehung geltenden Rechtslage vor Erlaß« des AGBG663, ist also richtig. Vorzugswürdig wäre es wohl gewesen, ganz offen auf das Einverständnis als Einbeziehungsvoraussetzung i.R.d. § 305a BGB zu verzichten664, wie es der Entwurf der Regierungsfraktionen zur Schuldrechtsreform noch tat: »Auch ohne Einhaltung der Erfordernisse des § 305 Abs. 2 gelten als einbezogen […]«665. Dieser Entwurf erinnerte an die Formulierung von § 50 Abs. 2 des Gesetzes über das Postwesen des Deutschen Reiches von 1871666.
VII. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher Am 8.10.2008 hat die Kommission einen Vorschlag einer Richtlinie über Rechte der Verbraucher vorgelegt667. Dieser Vorschlag ist Ergebnis einer Revision des Verbraucherrechts-Acquis. Diese Richtlinie soll eine Reihe von Richtlinien ersetzen, so auch die Richtlinie 93/13/EWG668. Der Richtlinienvorschlag gibt dabei das Mindestharmonisierungskonzept, das dem europäischen Verbraucherschutz bisher zugrundelag, auf und zielt auf eine Vollharmonisierung669. Die Vorschriften über mißbräuchliche Klauseln finden sich in den Art. 30 ff. des Vorschlags.
A. Stellt der Richtlinienvorschlag Einbeziehungsvoraussetzungen auf? Liest man die Artikelüberschriften des fünften Kapitels des Richtlinienvorschlags über »Verbraucherrechte in Bezug auf Vertragsklauseln«, so gewinnt 661
So aber Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305a Rn. 3. So in der Tat Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), § 305a Rn. 2. 663 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305a Rn. 2. Zustimmend Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305a Rn. 2. 664 So auch Freise, VersR 2004, 974. 665 BT-Drs. 14/6040, S. 8, 151 ff. 666 Hierzu siehe oben § 2 II C 2 (S. 46 ff.). 667 KOM (2008) 614 endg. Kritisch hierzu etwa Reich, EuZW 2008, Heft 22, V. Zu den Regeln über mißbräuchliche Klauseln Stuyck, in: Howells/Schulze (2009), S. 128 ff. 668 Vgl. hierzu Anhang IV des Richtlinienvorschlags. 669 Vgl. Art. 4 des Richtlinienvorschlags. Dieser Wechsel deutete sich bereits an: vgl. etwa das Grünbuch v. 8.2.2007, Kom (2006) 744 endg., S. 11 ff. Kritisch Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Wilhelmsson, ZEuP 16 (2008), 225 ff.; Reich, EuZW 2008, Heft 22, V; Tettinger, ZGS 2009, 106 ff.; Micklitz/Reich, VuR 2007, 128; Mak, ERPL 2009, 55 ff.; Zypries, ZEuP 17 (2009), 227 f.; Berger, ZEuP 17 (2009), 453 f.; Rott/Terryn, ZEuP 17 (2009), 458 ff. 662
VII. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher
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man den Eindruck, er enthalte keine Einbeziehungsvoraussetzungen und überlasse ihre Regelung damit trotz der angestrebten Vollharmonisierung weiterhin den einzelnen Mitgliedstaaten. Art. 30 definiert den »Geltungsbereich«, Art. 31 stellt »Anforderungen an die Transparenz von Vertragsklauseln«, Art. 32 enthält »Allgemeine Grundsätze«, der Sache nach handelt es sich um die Generalklausel der Inhaltskontrolle, in Art. 33 findet sich eine »Beweislast«-Regel, Art. 34 und 35 verweisen auf eine schwarze und eine graue Klauselliste im Anhang des Richtlinienvorschlags, Art. 36 befaßt sich mit der »Auslegung von Vertragsklauseln«, Art. 37 mit den »Wirkungen missbräuchlicher Vertragsklauseln« und Art. 38 f enthalten zwei Regeln, die in dieser Studie nicht weiter interessieren. Einen Artikel mit etwa der Überschrift »Einbeziehung von Klauseln in den Vertrag« sucht man vergebens. Daß der Vorschlag Einbeziehungsvoraussetzungen enthält, ergibt sich auch nicht aus dessen Systematik. Das fünfte Kapitel entbehrt überhaupt jeder systematischen Ordnung. Art. 36, der die Auslegung betrifft, ist zwischen die Vorschriften zur Inhaltskontrolle in Art. 32, 34 sowie 35 und Art. 37 zu den Rechtsfolgen der Inhaltskontrolle eingestellt. Die Beweislastregel des Art. 33 steht zusammenhangslos zwischen der Generalklausel der Inhaltskontrolle in Art. 32 und den Verweisungen der Art. 34 und 35 auf die schwarze und graue Klauselliste im Anhang. Art. 33 lautet: »Macht der Gewerbetreibende geltend, dass eine Vertragsklausel im einzelnen ausgehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast.«
Eine entsprechende Regel enthält die Richtlinie 93/13/EWG in Art. 3 Abs. 2 S. 3. Hier spricht aber auch die Generalklausel der Inhaltskontrolle in Art. 3 Abs. 1 von »einer Vertragsklausel, die nicht im einzelnen ausgehandelt wurde«, so daß diese Verortung sinnhaft ist. Der Richtlinienvorschlag enthält in Art. 32 Abs. 1 keine entsprechende Formulierung, sondern spricht schlicht von »Vertragsklauseln« und verweist damit auf den Geltungsbereich in Art. 30. Art. 33 hätte damit also in Anschluß an Art. 30 stehen müssen. Aber auch Art. 30 spricht nicht von »im einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln«. Diese Wendung taucht anders als in der Richtlinie 93/13/EWG im Richtlinienvorschlag nur in Art. 33 auf. Die Beweislastregel des Art. 33 ist also nicht nur falsch verortet. Sie hat auch sprachlich keinen Bezugspunkt. Wendet man sich nun den einzelnen Artikeln zu, so könnte allein Art. 31 (»Anforderungen an die Transparenz von Vertragsklauseln«) die Einbeziehung regeln: »(1) Vertragsklauseln müssen in klarer und verständlicher Sprache ausgedrückt und lesbar sein. (2) Die Vertragsklauseln sind dem Verbraucher so zur Verfügung zu stellen, dass er vor dem Abschluß des Vertrags tatsächlich die Möglichkeit hat, sich mit ihnen vertraut zu machen, wobei die Art des verwendeten Kommunikationsmittels angemessen zu berücksichtigen ist.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
(3) Der Gewerbetreibende hat die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers zu jeder Zahlung einzuholen, die über das Entgelt für die Hauptvertragspflicht des Gewerbetreibenden hinausgeht. Hat der Gewerbetreibende vom Verbraucher keine ausdrückliche Zustimmung eingeholt, sondern sie dadurch herbeigeführt, dass er Voreinstellungen verwendet hat, die vom Verbraucher abgelehnt werden mußten, wenn er die zusätzliche Zahlung vermeiden wollte, so hat der Verbraucher Anspruch auf Erstattung dieser Zahlung. (4) Die Mitgliedstaaten erlassen keine Formvorschriften, die regeln, in welcher Weise die Vertragsklauseln auszudrücken oder dem Verbraucher zur Verfügung zu stellen sind.«
Ob Art. 31 Einbeziehungsregeln enthält ist unklar. Gegen diese Annahme spricht zum einen dessen Überschrift: »Anforderungen an die Transparenz von Vertragsklauseln«. Die Bedeutung des sogenannten Transparenzgebots beschränkt sich nun nach herrschender Ansicht aber nicht auf die Einbeziehungsproblematik, und in Art. 31 Abs. 1 wird dieses Transparenzgebot als allgemeines Prinzip formuliert. Abs. 3 und Abs. 4 beschäftigen sich indessen eindeutig mit zwei besonderen Fällen der Einbeziehungsproblematik. Regelt Abs. 2 die Einbeziehungsvoraussetzungen also allgemein670? Dagegen spricht, daß die Einbeziehungsproblematik aufgrund der Artikelüberschrift so allein aus dem Blickwinkel des Transparenzgebots geregelt werden würde. Andererseits hat auch Abs. 4 nichts mit der Klauseltransparenz zu tun. Die Artikelüberschrift scheint demnach als Auslegungshilfe wenig hilfreich zu sein. Für die Annahme, Abs. 2 regele die Klauseleinbeziehung, spricht freilich, daß Abs. 3 und Abs. 4 eben zwei Sonderfälle der Einbeziehung behandeln. Abs. 2 wäre demnach die vorangestellte allgemeine Einbeziehungsregel. Gegen die Annahme, Abs. 2 formuliere Einbeziehungsvoraussetzungen, spricht wiederum, daß Abs. 2 zwar Anforderungen an den Verwender normiert: Er muß dem Verbraucher die Vertragsklauseln in bestimmter Weise zur Verfügung stellen. Abs. 2 läßt aber die Rechtsfolge eines Verstoßes offen. Sollte Art. 31 Abs. 2 in seiner jetzigen Fassung Bestandteil einer Richtlinie werden, so wäre seine Funktion bis zu einer Klärung durch den EuGH offen.
B. Wie regelt Art. 31 Abs. 2 des Richtlinienvorschlages die Einbeziehung? Unterstellt man, Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Anforderungen des Art. 31 Abs. 2 sei die Nichteinbeziehung der Klauseln, welche Einbeziehungsvoraussetzungen stellt Art. 31 Abs. 2 dann auf? Er verlangt nur, die »Vertragsklauseln sind dem Verbraucher so zur Verfügung zu stellen, dass er vor dem 670 Bejahend etwa Micklitz/Reich, EuZW 2009, 286. Verneinend dagegen Rott/Terryn, ZEuP 17 (2009), 484, die betonen, daß Art. 31 Abs. 2 die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das darin normierte Transparenzgebot offenlasse.
VII. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher
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Abschluß des Vertrags tatsächlich die Möglichkeit hat, sich mit ihnen vertraut zu machen«. Normiert Art. 31 Abs. 2 damit allein die Kenntnisnahmemöglichkeit? Eine solche Lesart liegt in der Tat nahe. Freilich formulieren auch andere Rechte, wie etwa das englische und schottische, und mit den PECL, den ACQP und dem DCFR Vereinheitlichungsprojekte nur eine einheitlich Einbeziehungsvoraussetzungen, verstehen hierunter aber ganz im Sinne des deutschen Rechts einen Hinweis und die Kenntnisnahmemöglichkeit671. Eine solche Auslegung steht Art. 31 Abs. 2 indes nicht offen. Art. 2:104(1) PECL verlangt, daß der Verwender von Vertragsklauseln »took reasonable steps to bring them to the other party’s attention before or when the contract was concluded«. Der Verwender muß seinen Vertragspartner auf die Vertragsklauseln aufmerksam machen. Darunter kann man in der Tat verstehen, daß der Vertragspartner auf die Existenz und den Inhalt aufmerksam gemacht werden muß, auch wenn diese doppelte Voraussetzung deutlicher hätte im Text der PECL zum Ausdruck gebracht werden können. Ähnliches gilt für die ACQP und den DCFR. Den Anforderungen des Art. 2:104(1) PECL genügt es nicht, wenn der Verwender AGB mit einer Vertragsurkunde an den Vertragspartner übersendet, in der Vertragsurkunde aber nicht auf die beigefügten AGB hinweist672. Dem Wortlaut des Art. 31 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags würde dagegen die bloße Übersendung der AGB mit der Vertragsurkunde ohne zusätzlichen Hinweis auf die AGB genügen. Wollte der Verfasser des Vorschlags in Art. 31 Abs. 2 also nicht nur die Kenntnisnahmemöglichkeit, sondern auch einen Hinweis als Einbeziehungsvoraussetzungen formulieren, so hätte er dies nicht nur sehr viel undeutlicher als der deutsche § 305 Abs. 2 BGB getan. Art. 31 Abs. 2 bliebe auch hinter Art. 2:104(1) PECL zurück. Gegen die Annahme, Art. 32 Abs. 2 wolle neben der Kenntnisnahmemöglichkeit auch einen Hinweis des Verwenders auf seine AGB als Einbeziehungsvoraussetzung aufstellen, spricht freilich, daß auch die Klauselrichtlinie in Erwägungsgrund Nr. 20 und in Anhang 1(i) nur die Kenntnisnahmemöglichkeit regelt. Wenn der Verfasser hierüber hinaus gehen wollte, hätte man eine deutlichere Sprache des Richtlinienvorschlags erwartet. Zudem nennt Art. 32 Abs. 2 kein Einverständnis des Vertragspartners als Einbeziehungsvoraussetzung. Ob Art. 32 Abs. 2 auf ein Einverständnis verzichten möchte, etwa mit der Folge, daß ein Widerspruch des Kunden gegen die Einbeziehung nach einer zur Verfügungstellung der AGB unbeachtlich wäre, scheint fraglich. Wie schon bei den ACQP stellt sich beim Richtlinienvorschlag das Problem, in welchem Verhältnis die Informationspflichten und die Einbeziehungsvoraussetzungen zueinander stehen673. Art. 5 Abs. 2d bestimmt, daß ein 671 672 673
Siehe oben I B 2 a (S. 354 ff.), I C 2 (S. 373 ff.), I C 5 (S. 377 ff.), I C 6 (S. 388 f.). Siehe oben den Text zu Fn. 172. Siehe oben den Text zu und nach Fn. 217.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
Gewerbetreibender den Verbraucher über »die Zahlungs-, Liefer- und Leistungsbedingungen sowie das Verfahren zum Umgang mit Beschwerden, falls diese Bedingungen von den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt abweichen«, informieren muß. Berufliche Sorgfalt wird in Art. 2 Abs. 14 definiert als der »Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise erwartet werden kann, dass der Gewerbetreibende ihn gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet«. Bedeutet das, daß ein Gewerbetreibender den Verbraucher nur über solche AGB informieren muß, die nicht den Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben entsprechen? Legt man Art. 32 Abs. 2 auf diese Weise im Lichte des Art. 5 Abs. 2d aus, bedarf es für eine wirksame Einbeziehung üblicher und billiger AGB weder eines Hinweises noch der Kenntnisnahmemöglichkeit. Die Richtlinie würde genau das Ergebnis einführen, daß der deutsche Gesetzgeber durch die Einführung der Einbeziehungsvoraussetzungen vermeiden wollte. Daneben verursacht Art. 32 Abs. 2 des Vorschlags zahlreiche unnötige Auslegungsprobleme, die durch eine sorgfältigere Fassung vermeidbar wären. Unklar ist etwa, ob von dem Erfordernis der Kenntnisnahmemöglichkeit des Art. 32 Abs. 2 Ausnahmen gemacht werden können. Im deutschen Recht wird ein Verzicht auf die Kenntnisnahmemöglichkeit des § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB zugelassen, wenn die Gewährung der Kenntnisnahmemöglichkeit nicht machbar ist und der Vertragspartner dennoch einen Vertragsschluß wünscht674. Wie schon bei Art. 6:201(2) ACQP stellt sich weiter die Frage, was mit der Qualifikation gemeint ist, die Kenntnisnahmemöglichkeit müsse »tatsächlich«, im englischen heißt es »real«, bestanden haben. Wegen der unterschiedlichen Systematik können nicht einfach die Ansichten zu Anhang 1(i) der Richtlinie 93/ 13/EWG oder zu Art. 6:201(4) ACQP auf die Auslegung von Art. 32 Abs. 2 übertragen werden675.
C. Art. 31 des Richtlinienvorschlags als Vollharmonisierung? Art. 31 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags als Vollharmonisierung der Einbeziehung zu verstehen, ist unmöglich. Liest man Art. 31 Abs. 2 so, daß er allein die Kenntnisnahmemöglichkeit als Geltungsvoraussetzung normiert, dann regelt er die Einbeziehung nicht vollständig, sondern enthält nur eine Mindestvoraussetzung, um eine Einbeziehung bejahen zu können. Daß Art. 31 Abs. 2 mit dieser Lesart allein eine Mindestvoraussetzung aufstellt, schließt denknotwendig aus, daß es sich um eine Vollharmonisierung der Einbeziehungsproblema674 675
Siehe hierzu oben II A 1 j cc (S. 417 f.) und IV D 6 (S. 467 ff.). Siehe hierzu oben den Text zu und nach Fn. 201.
VII. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher
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tik handelt. Allein die Voraussetzung der Kenntnisnahmemöglichkeit könnte man als Gegenstand der Vollharmonisierung ansehen. Damit wäre freilich wenig gewonnen. Denn daß einem Verbraucher eine Kenntnisnahmemöglichkeit gewährt werden muß, steht in allen Rechten Europas außer Zweifel. Unterschiede bestehen nur bei der Frage, was dem Verwender abverlangt wird, um die Erfüllung dieser Voraussetzung zu gewährleisten, und ob von ihr nicht Ausnahmen zugelassen werden können. Diese Fragen löst Art. 32 Abs. 2 nicht676. Zwar würde der Richtlinienverschlag bezüglich der Kenntnisnahmemöglichkeit die Rechtszersplitterung überwinden. An ihre Stelle würde aber bis zur Klärung dieser Einzelfragen durch den EuGH ein Zustand der Rechtsunsicherheit treten. Liest man Art. 31 Abs. 2 so, daß er nicht nur die Kenntnisnahmemöglichkeit, sondern auch einen Hinweis auf die Vertragsklauseln verlangt, so normiert er immer noch allein zwei Mindestvoraussetzungen einer Einbeziehung. Denn das Einverständnis des Vertragspartners in die Einbeziehung ergibt sich mit einer solchen Lesart nicht aus Art. 31 Abs. 2. Ein Rückgriff auf die Rechte der Mitgliedstaaten wäre zur Ergänzung des Art. 31 Abs. 2 zwingend notwendig. Auch mit dieser Auslegung kann es sich folglich nicht um eine Vollharmonisierung der Einbeziehung handeln. Und neben die Rechtsunsicherheit bezüglich der Einzelheiten der Kenntnisnahmemöglichkeit würden mit dieser Interpretation des Art. 31 Abs. 2 zusätzlich zahlreiche, in den einzelnen Rechten längst geklärte Fragen treten, wie der Verwender im einzelnen seiner Hinweisobliegenheit nachkommen muß. Liest man schließlich Art. 31 Abs. 2 in der Art, daß er einen Hinweis auf die Vertragsklauseln, eine Kenntnisnahmemöglichkeit und ein Einverständnis für eine wirksame Einbeziehung voraussetzt, dann würden sich in ihm die Geltungsvoraussetzungen finden, die auch § 305 Abs. 2 BGB enthält. Freilich wäre es auch mit dieser Lesart nur schwer möglich, von einer Vollharmonisierung auszugehen. Vielmehr würde die Geltungsvoraussetzung des Einverständnisses auf die Vertragsschlußregeln der Mitgliedstaaten verweisen: Wo muß eine Unterschrift stehen, damit sie AGB noch deckt? Wie muß eine konkludente Zustimmung zur Einbeziehung beschaffen sein? In welcher Beziehung müssen Hinweis und Vertragsschluß zueinander stehen, damit von einem konkludenten Einverständnis des Vertragspartners ausgegangen werden kann? Wie sieht es beim Einsatz von Vertretern oder Boten aus? All diese Fragen können nur unter Rückgriff auf die nationalen Vertragsschlußregeln beantwortet werden. Wollte man eine einheitliche Lösung auf Grundlage des Art. 31 Abs. 2 suchen, so müßte man nicht nur die Einverständnisvoraussetzung in den Art. 31 Abs. 2 hineinlesen, sondern diese ungeschriebene Tatbe-
676 Zur Frage, was dem Verwender abverlangt wird, enthält freilich Erwägungsgrund Nr. 47 des Richtlinienvorschlags eine Auslegungshilfe.
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
standsvoraussetzung zum Anlaß nehmen, in Hinblick auf die Einbeziehungsabrede einheitliche Vertragsschlußregeln zu entwickeln. Aus deutscher Sicht ist weiterhin problematisch, daß der Richtlinienvorschlag keine überraschenden Klauseln von der Einbeziehung ausschließt. Eine Norm zum Vorrang von Individualabreden fehlt ebenfalls im Vorschlag. Greift man zur Auflösung von Widersprüchen zwischen AGB und Individualabreden auf die Vertragsschluß- und Auslegungsregeln der einzelnen Mitgliedstaaten zurück, so wäre eine einheitliche Lösung des Problems für Europa nicht möglich. Umgekehrt bietet Art. 31 Abs. 2 keinen Ansatzpunkt, aus dem eine einheitliche Lösung heraus entwickelt werden könnte. Schließlich wären besondere Einbeziehungsregeln wie die des § 305a BGB mit Art. 31 Abs. 2 des Vorschlages kaum in Einklang zu bringen. Auch Art. 31 Abs. 4 des Richtlinienvorschlags ruft Bedenken hervor, wenn man ihn als Vollharmonisierung versteht. Die Vorschrift zielt auf das italienische Erfordernis der doppia firma des Art. 1341 Abs. 2 CC677. Unklar ist aber, ob das Verbot des Art. 31 Abs. 4 darüber hinaus geht. Würde man Art. 31 Abs. 4 so verstehen, daß er bezüglich solcher Vertragsklauseln, die unter die Art. 30 ff. des Richtlinienvorschlags fallen, also bezüglich von »Vertragsklauseln, die vom Gewerbetreibenden oder einem Dritten im Voraus abgefaßt wurden und denen der Verbraucher zugestimmt hat, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, ihren Inhalt zu beeinflussen«, jede Art von Formvorschrift versagt, wären alle Formvorschriften des BGB betroffen. Mit dieser Auslegung des Art. 31 Abs. 4, die dessen Wortlaut am ehesten entspricht, bräuchten etwa formularmäßige Bürgschaftserklärungen nicht mehr der Form des § 766 BGB, sondern müßten nur den Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 2 des Richtlinienvorschlags entsprechen, ein geradezu absurdes Ergebnis, daß der Verfasser des Richtlinienvorschlages nicht gewollt haben kann. Art. 31 Abs. 4 müßte also einschränkend ausgelegt werden. So könnte man daran denken, daß nur solche Formverbote von Art. 31 Abs. 4 erfaßt sein sollen, die sich nicht auf einen gesamten Vertrag, sondern auf bestimmte Klauselinhalte beziehen. Dann wäre die Fortgeltung der Schriftformerfordernisse der §§ 38 Abs. 3 Nr. 1, 1031 Abs. 5 ZPO und des § 702a Abs. 2 BGB fraglich, wobei sich bei § 702a Abs. 2 BGB das zusätzliche Problem stellte, daß er auf dem Übereinkommen des Europarates über die Haftung der Gastwirte für die von ihren Gästen eingebrachten Sachen vom 17.12.1962 beruht. In Hinblick auf Art. 31 Abs. 3, der nur eine ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers verlangt und eine Rückerstattung des zuviel Bezahlten anordnet, scheint schließlich das Schriftformerfordernis des § 3 Abs. 1 S. 1 BRAGO ebenso problematisch zu sein wie der Rückforderungsausschluß des § 3 Abs. 1 S. 2 BRAGO. Schließlich wird Art. 31 Abs. 3 S. 2 die Anwendung des § 814 BGB beeinflussen. Dies al-
677
Hierzu siehe oben den Text zu und nach Fn. 136.
VII. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher
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les kann hier nicht weiter vertieft, noch sollen weitere Beispiele angeführt werden. Deutlich ist aber, daß Art. 31 Abs. 3 und Abs. 4 im Sinne einer Vollharmonisierung weitreichende Auswirkungen auf das deutsche Recht haben werden. In der Begründung erfährt man, warum der Richtlinienvorschlag das Mindestharmonisierungskonzept aufgibt und auf eine Vollharmonisierung zielt678: »Den Unternehmen entstehen durch die Einhaltung des zersplitterten Verbraucherrechts erhebliche Kosten. Umfragen ergeben, dass diese Kosten für die meisten Unternehmen ein bedeutendes Hemmnis darstellen, das ihre Bereitschaft, an Kunden im Ausland – und zwar insbesondere an Verbraucher in kleinen Mitgliedstaaten – zu verkaufen, verringert. Werden hiergegen nicht auf Gemeinschaftsebene gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, so wird sich nichts daran ändern, dass diese Kosten in Form höherer Preise an die Verbraucher weitergereicht werden, oder – was noch schlimmer ist – die Unternehmer werden sich weiterhin weigern, an Kunden im Ausland zu verkaufen, oder Verbraucher je nachdem, in welchem Land sie wohnen, unterschiedlich behandeln (geografische Diskriminierung).«
Freilich werden diese Nachteile durch eine Vollharmonisierung der Einbeziehungsvoraussetzungen i.S.d. Art. 31 des Richtlinienvorschlages nicht behoben. Art. 31 ist in seiner Anwendung auf Vertragsklauseln in Verträgen zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher beschränkt. Art. 1341 Abs. 2 CC gilt dagegen auch im Unternehmerverkehr. Der italienische Gesetzgeber wäre also nicht gezwungen, Art. 1341 Abs. 2 CC abzuschaffen. Er müßte seinen Anwendungsbereich einschränken. Ähnliches gilt für die Mitgliedstaaten, welche die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB oder von nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen nicht nur in Verbraucherverträgen, sondern auch in Unternehmerverträgen besonders regeln679. Würden diese Mitgliedstaaten den Art. 31 Abs. 2 nur für Verbraucherverträge umsetzen, so würden in diesen Rechtsordnungen für Verbraucherverträge und für Unternehmerverträge unterschiedliche Regeln gelten. Liest man Art. 31 Abs. 2 in der Art, daß er einen Hinweis auf die Vertragsklauseln, eine Kenntnisnahmemöglichkeit und ein Einverständnis für eine wirksame Einbeziehung voraussetzt, und würde man das Einverständnis nicht unter Rückgriff auf die Vertragsschlußregeln der einzelnen Mitgliedstaaten, sondern einheitlich auslegen, dann würde sich in Deutschland das Einverständnis in die Einbeziehung in einem Verbrauchervertrag anders beurteilen, als in einem Unternehmervertrag. Es scheint nach alledem fraglich, ob die Vollharmonisierung wirklich eine Vollharmonisierung bewirkt. Zu befürchten ist eher eine weitere Rechtszersplitterung. Da sich Unternehmer aus dem Ausland mit ihren Angeboten nicht nur an Verbraucher, sondern auch an andere Unternehmer richten 678 679
KOM (2008) 614 endg., S. 3. Siehe oben I B 1 (S. 351 ff.).
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§ 13. Geltungsvoraussetzungen
und weil ein Unternehmer in manchen Fällen gar nicht erkennen kann, ob sein Vertragspartner Verbraucher oder Unternehmer ist, muß er weiterhin die Kosten investieren, von denen ihn das Konzept der Vollharmonisierung gerade entlasten will. Die Gefahr einer Rechtszersplitterung wird sogar durch das Richtlinienrecht selbst erhöht. So stellt die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG in Art. 22 Informationspflichten des Dienstleisters auf. Nach Art. 22 Abs. 1f stellen die Mitgliedstaaten »sicher, dass die Dienstleistungserbringer den Dienstleistungsempfängern folgende Informationen zur Verfügung stellen: […] f) gegebenenfalls die vom Dienstleistungserbringer verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und Klauseln«680. Obwohl der Wortlaut des Art. 22 dies nicht zwingend vorgibt, geht die Literatur davon aus, Art. 22 Abs. 1f normiere Einbeziehungsvoraussetzungen681. Hinter den Geltungsvoraussetzungen einer dem Konzept der Vollharmonisierung folgenden Verbraucherrechterichtlinie würden die Anforderungen des Art. 22 zurücktreten682. Anders als eine Verbraucherrechterichtlinie ist Art. 22 Dienstleistungsrichtlinie in seiner Anwendung nicht auf Verbraucher als Dienstleistungsempfänger beschränkt683. Zudem sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, »zusätzliche Informationsanforderungen für Dienstleistungserbringer, die in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassen sind, vorzuschreiben« (Art. 22 Abs. 5). Bemerkenswert ist dabei, daß die Dienstleistungsrichtlinie die Einbeziehungsvoraussetzungen für AGB aufstellt, während sich der Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher über AGB hinausgeht. Neben die vollharmonisierten Einbeziehungsvoraussetzungen einer Verbraucherrechterichtlinie würden also in Hinblick auf Nichtverbraucher als Vertragspartner die nicht harmonisierten Geltungsvoraussetzungen der Mitgliedstaaten und im Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie die auf ihrer Grundlage zu erlassenen besonderen Geltungsvoraussetzungen treten.
D. Zusammenfassung Art. 31 des Richtlinienvorschlags bedarf der Überarbeitung. So ist unklar, ob Art. 31 Abs. 2 Einbeziehungsvoraussetzungen enthält. Sollte er solche Vor680
Die Richtlinie weist hier eine Unklarheit in der deutschen Fassung auf. Die Stellung des »gegebenenfalls« suggeriert, daß es im Belieben der Mitgliedstaaten steht, ob sie sicher stellen, daß der Dienstleistungserbringer die AGB zur Verfügung stellt. Richtig müßte es heißen: »die vom Dienstleistungserbringer gegebenenfalls verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und Klauseln«; vgl. die englischen Fassung: »the general conditions and clauses, if any, used by the provider«. 681 So Schmidt-Kessel, GPR 2008, 67, 69. 682 Vgl. Schmidt-Kessel, GPR 2008, 65. 683 Vgl. Schmidt-Kessel, GPR 2008, 64.
VIII. Zusammenfassung
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aussetzungen normieren, müßten sie deutlicher hervortreten. Auch hier bietet sich der oben herausgearbeitet Formulierungsvorschlag an684.
VIII. Zusammenfassung A. Die historischen Betrachtungen zur Entwicklung der Einbeziehungsvoraussetzungen im 19. und 20. Jh. warfen die Frage auf, ob es möglich ist, die gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten. Daß es lohnenswert ist, mit dieser Frage an das geltende Recht heranzutreten, offenbarte auch der unternommene Rechtsvergleich: Es gibt Rechte in Europa, welche die Einbeziehungsvoraussetzungen aus den allgemeinen Lehren des Vertragsrechts ableiten und dennoch Geltungsvoraussetzungen kennen, die denen der §§ 305 ff. BGB entsprechen. Zugleich deutete der Vergleich an, wo es Probleme bereiten wird, die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zurückzuführen, nämlich zum einen in Hinblick auf die Einbeziehungsvoraussetzung der Kenntnisnahmemöglichkeit und zum anderen in Hinblick auf den Ausschluß überraschender Klauseln von der Einbeziehung. B. In Bezug auf die Kenntnisnahmemöglichkeit erwiesen sich diese Probleme nicht als unüberwindlich. Zwar stellt die Kenntnisnahmemöglichkeit nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre keine eigenständige Geltungsvoraussetzung dar. Doch wird erst durch sie der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt nach dem Grundsatz der normativen Auslegung bestimmbar. Sollen AGB Vertragsinhalt werden, so ist zudem ihr Zugang beim Vertragspartner erforderlich. Auch dieses Zugangserfordernis kann unter dem Stichwort der Kenntnisnahmemöglichkeit diskutiert werden. Dagegen kann die Geltung überraschender Klauseln nicht bereits im Rahmen der Auslegung ausgeschieden werden. Und auch eine Irrtumsanfechtung bietet dem Vertragspartner nicht den gleichen Schutz, der ihm durch § 305c Abs. 1 BGB gewährt wird. Daher ist eine ausdrückliche Regel zu überraschenden Klauseln geboten. Freilich sollte die Einbeziehung überraschender Klauseln nicht ipso iure ausgeschlossen sein. Vielmehr sollte dem Vertragspartner ein Anfechtungsrecht eröffnet werden. Daneben offenbarten sich zahlreich weitere Faktoren, die bei der Beantwortung der Frage, ob AGB zum Vertragsinhalt geworden sind, eine Rolle spielen können. C. Die Erkenntnis, daß sich die in §§ 305 ff. BGB normierten Einbeziehungsvoraussetzungen weitgehend aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herleiten lassen, ist für das geltende Recht bei der Frage nach der Geltung von AGB im unternehmerischen Verkehr von unmittelbarer Bedeutung. 684
Siehe oben IV F (S. 476).
496
§ 13. Geltungsvoraussetzungen
D. Im nichtunternehmerischen Verkehr ging es darum, die §§ 305 ff. BGB vor der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre als Verständnishintergrund auszulegen: Dabei konnten wir feststellen, daß § 305 Abs. 2 BGB keine drei selbständigen Geltungsvoraussetzungen enthält. Schon der Begriff der Einbeziehungsvoraussetzung ist irreführend. Auch auf den Begriff der Einbeziehungskontrolle685 oder die Bezeichnung der Einbeziehungsvoraussetzungen als Schutzmechanismus sollte verzichtet werden686. Es geht allein darum, durch Auslegung zu ermitteln, ob der Vertragspartner der Einbeziehung zugestimmt hat. Die Auslegung von Willenserklärungen dient aber niemals dem Schutz einer Partei. Die Formalisierung der Auslegung in § 305 Abs. 2 BGB wirkt in erster Linie klarstellend. An Rechtsklarheit haben aber beide Parteien gleichermaßen ein Interesse. Nun beugt sich zwar ein Verbraucher bei Unklarheiten über die Einbeziehung der Übermacht des Verwenders, läßt sich auf einen Rechtsstreit nicht ein und nimmt die AGB als einbezogen hin. Insofern schützt diese Rechtssicherheit in der Tat den Vertragspartner. Doch erhält nur der Verwender Planungssicherheit. Er weiß, welche Mindestvoraussetzungen er erfüllen muß, um sicherzustellen, daß seine AGB Vertragsbestandteil werden. Insoweit kommt die Herstellung von Rechtsklarheit auch dem Verwender zugute. § 305 Abs. 2 BGB enthält vielmehr nur eine Geltungsvoraussetzung: die Einigung über die Einbeziehung. Die »Einbeziehungsvoraussetzungen« der Nr. 1 und Nr. 2 sind als besonders bedeutsame Faktoren bei Beantwortung der Frage, ob eine solche Einigung vorliegt, zu verstehen. Diese Erkenntnis beeinflußt die Auslegung des § 305 Abs. 2 BGB: Das Hinweiserfordernis in Nr. 1 und das Erfordernis der Verschaffung der Kenntnisnahmemöglichkeit in Nr. 2 werden aus dem Blickwinkel ausgelegt, ob sich die Parteien auf die Einbeziehung geeinigt haben. So konnte zu zahlreichen Auslegungsproblemen Stellung bezogen werden. Die Abweichungen von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre erwiesen sich dabei als äußerst gering687. Theorie und Praxis legen dagegen die Einbeziehungsvoraussetzungen der Nr. 1 und Nr. 2 autonom und objektiv aus. Als Folge weichen sie zum Teil zum Nachteil des Vertragspartners von der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre ab. Und die Abweichungen zugunsten des Vertragspartners sind schon mit dem geltenden Gesetzestext nicht vereinbar. Beiläufig wurde auch ein Formulierungsvorschlag des § 305 Abs. 2 BGB entwickelt, der das hier vertretene Verständnis sehr viel besser erfaßt:
685 So aber etwa Hk-BGB/Schulte-Nölke (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 10; Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 171; Schmidt, JuS 1987, 932; Medicus, JuS 1986, 764. 686 So aber etwa MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 14; Bunte, AcP 181 (1981), 38. 687 A.A. die h.M.: Statt aller Jauernig-BGB/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 12.
VIII. Zusammenfassung
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»Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung einseitig gestellter Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, so kann von einem solchen Einverständnis nur dann ausgegangen werden, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß zumindest 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und 2. sie der anderen Vertragspartei zugehen und ihr Inhalt auch im übrigen für diese Vertragspartei bestimmbar ist.«
Vorzugswürdig ist freilich, auf die Kodifizierung von Einbeziehungsvoraussetzungen ganz zu verzichten.
§ 14. Auslegung I. Die contra proferentem-Regel Im 19. Jh. war die contra proferentem-Regel nicht auf die Auslegung von AGB beschränkt1. Doch war man sich ihrer Bedeutung für die Auslegung von AGB bewußt. Sie galt freilich nur subsidiär. Auch nach 1900 wurde niemals in Frage gestellt, daß AGB bei Unklarheiten gegen ihren Verwender ausgelegt werden, und das obwohl die contra proferentem-Regel nach damals vorherrschender Ansicht nicht mit dem zu Beginn des 20. Jh. entwickelten Grundsatz der normativen Auslegung in Einklang gebracht werden kann2. Das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu diesem Grundsatz blieb in der Folgezeit ungeklärt. Der AGBG-Gesetzgeber beschränkte sich auf die Kodifizierung der contra proferentem-Regel. Den Streit um ihr Verhältnis zur normativen Auslegung löste er nicht. Damit stellt sich noch heute die Frage nach der Bestimmung dieses Verhältnisses.
A. Die contra proferentem-Regel in vergleichender Perspektive 1. Die contra proferentem-Regel im Gemeinschaftsrecht Nach Art. 5 S. 2 RiL 93/13/EWG gilt bei »Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel […] die für den Verbraucher günstigste Auslegung«. Art. 5 S. 2 ist nicht auf die Auslegung von AGB beschränkt, sondern regelt die Auslegung aller nicht individuell ausgehandelten Klauseln. Anders als § 5 AGBG (1977) ist § 305c Abs. 2 BGB nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB daher auch nicht mehr allein auf AGB anwendbar. Das deutsche Recht differenziert vielmehr: In Verbraucherverträgen gilt § 305c Abs. 2 BGB auch für vorformulierte Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher wegen der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluß nehmen konnte. In allen übrigen Fällen, also insbesondere im Unternehmerverkehr, bleibt es dabei, daß § 305c Abs. 2 BGB nur auf AGB Anwendung findet. Doch wann bestehen Zweifel i.S.d. Art. 5 S. 2? Diese Frage kann nur unter Rückgriff auf die nationalen Rechte beantwortet werden. Die Richtlinie hält 1 2
Siehe oben § 3 I (S. 130 f.). Siehe oben § 8 I (S. 275 ff.).
I. Die contra proferentem-Regel
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nämlich keine weiteren Auslegungsregeln bereit. Freilich meinen einige, Art. 5 stehe gerade deshalb gleichrangig neben den nationalen Auslegungsregeln und eine Subsidiarität der contra proferentem-Regel widerspreche der Richtlinie3. Doch müßte dann jeder Auslegungsspielraum zugunsten des Verbrauchers ausgefüllt werden4. Das liefe auf einen Vorrang der contra proferentem-Regel hinaus. Verbraucherschutzgesichtspunkte zwingen nicht zu einem solchen Verständnis. Zudem dürfte die Richtlinie nicht davon sprechen, daß Zweifel zugunsten des Verbrauchers aufgelöst werden, sondern müßte normieren, daß jede auslegungsbedürftige Klausel zu seinen Gunsten interpretiert wird. Die Meinung, die der Sache nach von einem Vorrang der contra proferentem-Regel ausgeht, setzt also den Begriff des Zweifels mit dem Begriff der Auslegungsbedürftigkeit gleich. Die Richtlinie müßte mithin unbedingt fordern: »Klauseln werden zugunsten des Verbrauchers ausgelegt.« Art. 5 S. 2 verdrängt nach alledem nicht die nationalen Auslegungsregeln. Die Richtlinie schweigt aber auch zum Verhältnis ihrer contra proferentem-Regel zu diesen nationalen Regeln. 2. Die contra proferentem-Regel in den nationalen Rechten Die Richtlinie löst unser Problem also nicht. Treten wir nun an die Rechte Europas heran, so ist die Beobachtung, daß sie die contra proferentem-Regel kennen, vor dem Hintergrund der europäischen Vorgaben wenig überraschend, und sie hilft bei Beantwortung unserer Frage nicht weiter. Auch der Befund, daß die contra proferentem-Regel jeweils einen unterschiedlichen Anwendungsbereich hat, bietet für die Entwicklung einer Lösung unseres Problems keine Ansatzpunkte: So setzte der slowakische Gesetzgeber Art. 5 S. 2 der Richtlinie in § 54 Abs. 2 BGB um. Zwar spricht dieser § 54 Abs. 2 BGB davon, daß bei Zweifeln über den Inhalt von Verbraucherverträgen die dem Verbraucher günstigere Auslegung zu wählen ist, und scheint damit nicht nur auf die Auslegung nicht individuell ausgehandelter Bedingungen anwendbar zu sein. Doch ergibt sich diese Beschränkung aus der Definition des Verbrauchervertrages in § 52 Abs. 1 BGB. Ebenso ist die contra proferentem-Regel nach § 38B Abs. 1 S. 1 dänisches VertragsG, § 10 schwedisches VerbrVertragsbdG und Kapitel 4 § 3 finnisches KSchG auf die Auslegung nicht individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen in Verbraucherverträgen beschränkt. Dagegen ist die contra proferentem-Regel in Art. 6193 Abs. 4 litauisches ZGB eine allgemeine Regel der Vertragsauslegung. Schließlich ist es für unsere Frage ohne Bedeutung, daß einige Rechte die contra proferentem-Regel in unterschiedlicher Ausformung mehrfach regeln. So werden in Lettland 3 Rausch (2004), S. 176; Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Art. 5 Rn. 47; Kapnopoulou (1997), S. 149 f. 4 So in der Tat Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Art. 5 Rn. 47.
500
§ 14. Auslegung
unklare Bestimmungen nach § 1509 ZGB gegen den Gläubiger und mehrdeutige und unklare Bestimmungen in Verbraucherverträgen nach § 6 Abs. 21 KSchG zugunsten des Verbrauchers ausgelegt. Vielmehr müssen wir auch im Rechtsvergleich das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu den allgemeinen Auslegungsregeln betrachten. Dies soll beispielhaft am italienischen, französischen, spanischen, englischen und schottischen Recht erfolgen. a) Die contra proferentem-Regel in Italien Das italienische Recht normiert die contra proferentem Regel gleich doppelt, nämlich zum einen in Art. 1370 CC: »Le clausole inserite nelle condizioni generali di contratto o in moduli o formulari predisposti da uno dei contraenti s’interpretano, nel dubbio, a favore dell’altro.«
»In AGB, Vordrucken oder Formularen enthaltene, von einem Vertragsteil vorformulierte Klauseln sind bei Zweifeln zugunsten des anderen Teils auszulegen.«
Zum anderen fügte der Gesetzgeber 1996 bei Umsetzung der Klauselrichtlinie Art. 1469-quater in den CC ein, der 2005 in den Art. 35 CCons5 überführt wurde. Dessen zweiter Absatz lautet: »In caso di dubbio sul senso di una clau- »Bei Zweifeln über den Sinngehalt einer sola, prevale l’interpretazione più favore- Klausel setzt sich die für den Verbraucher vole al consumatore.« günstigere Auslegung durch.«
Die Folge von Unklarheiten ist identisch: Die Klausel wird zugunsten des Vertragspartners ausgelegt. Doch unterscheiden sich die Normen in ihrem Anwendungsbereich. Art. 1370 CC ist auf AGB beschränkt. Dagegen erfaßt Art. 35 Abs. 2 CCons alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen6. Mit der Beschränkung des Art. 1370 CC auf AGB geht ein im Vergleich zu Art. 35 Abs. 2 CCons umfassenderer persönlicher Anwendungsbereich einher7: Art. 35 Abs. 2 CCons ist auf Verbraucherverträge beschränkt. Art. 1370 CC findet dagegen auch auf Verträge unter Unternehmern Anwendung. Zur Umsetzung des Klauselrichtlinie hat der Gesetzgeber also nicht den Art. 1370, der ebenso wie die Art. 1341 f. 1942 in den Codice civile Eingang fand8, in seinem sachlichen Anwendungsbereich erweitert, sondern er hat die Unklarheitenregel ein zweites Mal normiert. Das Verhältnis beider Unklarhei5
Vgl. zum CCons Omodei-Salè, ZEuP 15 (2007), 785 ff.; Gebauer, JbItalR 20 (2007), 3 ff.; Antoniolli, FS Hondius (2007), S. 213 ff.; Tescaro, GPR 2006, 158 ff. 6 Vettori/Meucci (2007), Art. 35 § 2; Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 384; Scognamiglio, in: Gabrielli II (2. Aufl. 2006), S. 1123 f.; Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 564, 567; Alpa/Patti/Giammaria (2003), Art. 1469-quater § 3.1; Cesàro/Di Giovine I (1996), Art. 1469-quater § 8; Patti, JbItalR 10 (1997), 87. 7 Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 566 f.; Alpa/Patti/Giammaria (2003), Art. 1469-quater § 3.1; Cesàro/Di Giovine I (1996), Art. 1469-quater § 8. 8 Alpa/Fonsi/Resta (2. Aufl. 2001), S. 179. Zu Art. 1341 f. CC siehe oben § 13 I B 3.
I. Die contra proferentem-Regel
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tenregeln zu den übrigen Auslegungsregeln des Codice civile stellt sich jeweils unterschiedlich dar: Art. 1370 CC ist nur subsidiär anwendbar9. Die contra proferentem-Regel gehört zum Kanon der objektiven Auslegungsregeln10, die erst angewendet werden können, wenn die subjektive Auslegung ohne Ergebnis ist11. Insbesondere ist Art. 1362 Abs. 1 CC vorrangig12, nach dem bei der Vertragsauslegung die gemeinsame Absicht der Parteien erforscht wird. Art. 1363 CC normiert sodann eine systematische Auslegung, die neben Art. 1370 CC anwendbar ist13. Unstreitig ist, daß Art. 1370 CC lex speciales zu Art. 1368 Abs. 2 CC ist14. Denn auch Art. 1368 Abs. 2 CC enthält eine Unklarheitenregel, die indes eine Auslegung zugunsten des Unternehmers festlegt15: »Nei contratti in cui una delle parti è un imprenditore, le clausole ambigue s’interpretano secondo ciò che si pratica generalmente nel luogo in cui è la sede dell’impresa.«
»Bei Verträgen, bei denen eine der Parteien ein Unternehmen ist, sind mehrdeutige Klauseln gemäß der am Ort des Sitzes des Unternehmens allgemein beachteten Verkehrsübung auszulegen.«
Daneben kennt der Codice civile noch weitere Unklarheitenregeln. Nach Art. 1369 CC sollen mehrdeutige Ausdrücke im Zweifel in dem Sinn verstanden werden, welcher der Natur und dem Gegenstand des Vertrages am meisten entspricht. Und Art. 1371 CC normiert eine Auslegung zugunsten des Belasteten. Den Art. 1368 Abs. 2 und 1369 CC entsprechende Vorschriften kannte schon der Codice civile vor 1942 in Art. 1133 f., und die Unklarheitenregel des Art. 1371 CC war vor 1942 in Art. 1137 sogar sehr viel weiter formuliert und entsprach so einer gängigen Spielart der contra proferentem-Regel im 19. Jh.16. Das Verhältnis des Art. 35 Abs. 2 CCons zu den Auslegungsregeln des Codice civile stellt sich anders dar. Die Meinung, nach welcher der contra profe9 Rescigno/Livi I (7. Aufl. 2008), Art. 1370 § 1; Cian/Trabucchi/Zaccaria (8. Aufl. 2007), Art. 1370 § II.1; Capobianco, in: Roppo/Vettori II (2006), S. 360; Minervini, in: Roppo/ Gentili IV (2006), S. 501; Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 371; Triola (4. Aufl. 2004), Art. 1370 § 1; De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 128 f.; Cesàro III (1997), S. 85; Cesàro II (1993), S. 61. 10 Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 501. 11 Capobianco, in: Roppo/Vettori II (2006), S. 360; Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 501; Alpa/Fonsi/Resta (2. Aufl. 2001), S. 184; De Nova, in: Rescigno X/2 (2. Aufl. 1997), S. 128 f.; Franceschelli, in: Bianca/G. Alpa (1996), S. 497 f. 12 Patti/Patti (1993), Art. 1341 § II.9; Triola (4. Aufl. 2004), Art. 1370 § 1; Patti (1996), S. 187. Vgl. auch die Darstellung bei Geri (1991), Art. 1370 § 3. 13 Capobianco, in: Roppo/Vettori II (2006), S. 361; Alpa/Fonsi/Resta (2. Aufl. 2001), S. 190; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § II.9. 14 Rescigno/Livi I (7. Aufl. 2008), Art. 1370 § 4; Scognamiglio, in: Gabrielli II (2. Aufl. 2006), S. 1129 f.; Capobianco, in: Roppo/Vettori II (2006), S. 363. 15 Übersetzung aus Patti (2007). 16 Siehe hierzu oben § 3 I (S. 130 f.).
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§ 14. Auslegung
rentem-Regel des Art. 5 der Richtlinie ein Vorrang zukommt17, wird aufgegriffen: Eine Subsidiarität des Art. 35 Abs. 2 CCons gegenüber den Auslegungsregeln des Codice civile wird als nicht richtlinienkonform abgelehnt18. Streitig ist, ob auch die subjektive Auslegung des Art. 1362 Abs. 1 CC hinter Art. 35 Abs. 2 CCons zurücktritt19: Ein Teil der Literatur bejaht dies. Denn bei Verbraucherverträgen sei ein gemeinsamer Wille der Parteien nicht ermittelbar, werde der Vertragsinhalt doch allein vom Unternehmer bestimmt. Ein anderer Teil der Lehre wendet ein, auch Art. 35 Abs. 2 CCons sei nur im Zweifel anwendbar. Ein Vorrang gegenüber allen Auslegungsregeln des Codice civile sei daher nicht zwingend, und das Problem der Ermittlung des gemeinsamen Willens der Parteien bestehe auch im Anwendungsbereich des Art. 1370 CC. Hier wird jedoch von der vorherrschenden Ansicht die Möglichkeit der Ermittlung des gemeinsamen Willens beider Parteien nicht generell verneint20. Für die Lösung unseres Problems scheint damit das italienische Recht wenig hilfreich zu sein. Denn zum einen ist das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu den übrigen Regeln der Vertragsauslegung auch in Italien umstritten, wenn auch die überwiegende Ansicht von der Subsidiarität dieser Regel ausgeht. Zum anderen normiert der Codice civile die Vertragsauslegung anders als das deutsche Recht, so daß naturgemäß die Diskussion um das Verhältnis dieser Auslegungsregeln zur contra proferentem-Regel ebenfalls auf einer anderen Grundlage geführt wird. Im Zentrum steht nicht das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu einem alles umfassenden Auslegungsgrundsatz, wie ihn das deutsche Recht mit dem Grundsatz der normativen Auslegung kennt, sondern es geht in Italien um das Wechselspiel zwischen den einzelnen Auslegungsregeln. b) Die contra proferentem-Regel in Frankreich Auf die Auslegung von AGB finden grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften zur Vertragsauslegung Anwendung21. Die Auslegung eines Vertrages setzt dessen Auslegungsbedürftigkeit voraus, und an dieser fehlt es, soweit der Vertrag klar und bestimmt ist22. Jede Auslegung hat mithin einen gewissen Grad an Unklarheit zur Voraussetzung. Im übrigen entsprechen die Regeln zur Vertragsauslegung denen, die uns bereits im italienischen Recht begegnet
17
Siehe oben den Text und die Nachweis in Fn. 3. Alpa/Patti/Giammaria (2003), Art. 1469-quater § 3.1; Minervini (1999), S. 139 ff. 19 Vgl. Capobianco, in: Roppo/Vettori II (2006), S. 360 f.; Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 566 f. 20 Vgl. Patti (1996), S. 194; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § II.9. 21 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 815. 22 Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 36. 18
I. Die contra proferentem-Regel
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sind23. Vorrangig ist nach Art. 1156 CC der gemeinsame Wille der Vertragsparteien zu erforschen. Freilich geht die vorherrschende französische Lehre davon aus, daß im Falle von AGB die Ermittlung des gemeinsamen Willens der Parteien in der Regel nicht möglich ist mit der Folge, daß sich Richter bei ihrer Auslegung in erster Linie von Gerechtigkeitserwägungen leiten lassen24. Ist der Vertrag zweideutig, so soll er in dem Sinn verstanden werden, mit dem der Vertrag Wirkung entfaltet (Art. 1157 CC) und der dem Vertragsgegenstand (Art. 1158 CC) sowie dem Sinn am Ort des Vertragsschlusses entspricht (Art. 1159 CC). Von üblichen Bestimmungen wird vermutet, daß sie mitvereinbart sind (Art. 1160 CC). Eine systematische Auslegung normiert Art. 1161 CC. Und eine Unklarheitenregel enthält schließlich Art. 1162 CC25: »Dans le doute, la convention s’interprète »Im Zweifel wird ein Vertrag gegen den contre celui qui a stipulé et en faveur de ausgelegt, der sich etwas ausbedungen, celui qui a contracté l’obligation.« und zugunsten dessen, der die Verpflichtung übernommen hat.«
Zwar enthält Art. 1162 CC ausdrücklich nur eine Auslegung zugunsten der Vertragspartei, die eine Verpflichtung übernommen hat. Doch wird auf seiner Grundlage allgemein gegen denjenigen ausgelegt, der eine Vertragsbedingung formuliert hat und seine Bedeutung für die Auslegung insbesondere von AGB wird erkannt26. Freilich gilt Art. 1162 CC nur subsidiär27. Eine ähnliche Unklarheitenregel setzt auch Art. 1602 CC fest: »Tout pacte obscur ou ambigu s’interprète »Jede unklare oder doppelsinnige Vereincontre le vendeur.« barung wird gegen den Verkäufer ausgelegt.«
Der Bedeutung des Art. 1602 CC für die Auslegung von AGB waren sich Theorie und Praxis schon immer bewußt, und auf seiner Grundlage gingen Unklarheiten in AGB seit jeher zulasten des Verwenders28. Freilich gilt auch Art. 1602 CC nur subsidiär29. Mit Umsetzung der Klauselrichtlinie wurde die contra proferentem-Regel nun ein weiteres Mal in Art. L 133-2 Abs. 2 S. 1 CCons30 normiert: 23 Das Avant-projet de réforme du droit des obligation in der Fassung vom 22.9.2005 bildet in Art. 1136–1141 die folgend dargestellten Auslegungsregeln im wesentlichen ab. 24 Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 172; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 200; Flour/Aubert I (6. Aufl. 1994), Rn. 406; Sonnenberger, RIW 1990,168. 25 Diese und die folgende Übersetzung stammen aus Heinsheimer (1932). 26 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 451; Simler (2001), JCl Civ, Art. 1156 à 1164 Fasc. 10 Rn. 57; Vogenauer (2007), S. 147 f.; Burckhardt (2000), S. 51; Sievers (1993), S. 58 f. 27 Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 241; Wolgast (1965), S. 40 f. 28 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 451; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 815. 29 Veaux (1998), JCl Civ, Art. 1602 Rn. 11 f. 30 Zu diesem Gesetz vgl. Witz/Wolter, ZEuP 3 (1995), 35 ff.; Heuer (2002), passim.
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§ 14. Auslegung
»Elles s’interprètent en cas de doute dans »Sie werden im Zweifel in dem dem Verle sens le plus favorable au consommateur braucher oder Nichtunternehmer günstiou au non-professionnel.« geren Sinn verstanden.«
Die nochmalige Festschreibung der contra proferentem-Regel war vor allem aus zwei Gründen notwendig31: (aa) Art. 1162 CC enthält ausdrücklich nur eine Auslegungsregel zugunsten dessen, der eine Verpflichtung übernimmt. In AGB muß das nicht immer der Verbraucher sein. Auch ist Art. 1602 CC seinem Wortlaut nach auf die Auslegung von Kaufverträgen beschränkt. Im Vergleich zu Art. 5 S. 2 der Richtlinie war eine lückenlose Anwendung der contra proferentem-Regel daher nicht gewährleistet. (bb) Ein Verstoß gegen die Auslegungsregeln des Code civil ist zudem nur sehr eingeschränkt überprüfbar. Anders als die Vorschriften des Code de la consommation zur Inhaltskontrolle ist die contra proferentem-Regel des Art. L 133-2 Abs. 2 S. 1 auf die Auslegung vorformulierter Vertragsbedingungen beschränkt. Dies wird an dem Begriff présentées in Art. L 133-2 Abs. 1 CCons festgemacht32. In Hinblick auf das Verhältnis des Art. L 133-2 Abs. 2 S. 1 CCons zu den Auslegungsregeln des Code civil ergibt sich im Umkehrschluß aus Art. L 132-1 Abs. 5 S. 1 CCons, daß, mit Ausnahme des Art. 1162, die Art. 1156 ff. CC neben der contra proferentem-Regel anwendbar bleiben, wobei die französische Lehre von einer Subsidiarität des Art. L 133-2 Abs. 2 S. 1 CCons ausgeht33. Auch für das französische Recht können wir damit festhalten, daß die contra proferentem-Regel nur von subsidiärer Geltung ist. Im übrigen stellen sich die Auslegungsregeln im Code civil anders dar als im deutschen Recht. Wie der italienische Codice civile normiert der französische Code civil einzelne Auslegungsregeln, so daß nicht das Verhältnis der contra proferentem Regel zu einem allumfassenden Auslegungsgrundsatz, wie ihn das deutsche Recht mit dem Grundsatz der normativen Auslegung kennt, geklärt werden muß, sondern das Wechselspiel zwischen den einzelnen Auslegungsregeln und der contra proferentem-Regel. c) Die contra proferentem-Regel in Spanien In Spanien ist die contra proferentem-Regel gleich dreifach geregelt. Sie findet sich zum einen als allgemeine, subsidiäre Auslegungsregel in Art. 1288 CC. Zum anderen ist sie in Art. 6 Abs. 2 AGBG normiert. Dieser Art. 6 Abs. 2 ist 31 Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 172; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 451; Simler (2001), JCl Civ, Art. 1156 à 1164 Fasc. 20 Rn. 24; Mazeaud/Chabas II/1 (9. Aufl. 1998), Rn. 352 ff.; Gardette (2005), S. 166; Brock (1998), S. 108, 112 ff.; Sonnenberger, RIW 1990, 168; Coßmann (2002), S. 268; Morin, VuR 1995, 382. 32 Burckhardt (2000), S. 52. 33 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck (2. Aufl. 2005), Rn. 772; Gardette (2005), S. 179.
I. Die contra proferentem-Regel
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auf die Auslegung von AGB beschränkt. Nach Art. 6 Abs. 3 AGBG bleiben die Auslegungsregeln des Código civil anwendbar. Schließlich ist die contra proferentem-Regel in Art. 80 Abs. 2 des Ende 2007 neugefaßten KSchG enthalten. Dieser Art. 80 Abs. 2 regelt die Auslegung von Klauseln in Verbraucherverträgen und ist damit in seinem sachlichen Anwendungsbereich weiter, als er nicht nur die Auslegung von AGB erfaßt, in seinem persönlichen Anwendungsbereich indes enger, weicht aber im übrigen von der contra proferentem-Regel des AGBG nicht ab. Ebenso wie Art. 1288 CC sollen auch Art. 6 Abs. 2 AGBG und Art. 80 Abs. 2 KSchG nur von subsidiärer Geltung sein34. Der Código civil enthält in den Art. 1281 ff. ebenso wie der Code civil und der Codice civile einzelne Auslegungsregeln, so daß wohl auch hier das Verhältnis zwischen diesen einzelnen Auslegungsregeln und der contra proferentem-Regel im Vordergrund steht. d) Die contra proferentem-Regel in England und Schottland Der Gesetzgeber für England und Schottland setzte Art. 5 S. 2 der Richtlinie zunächst in regulation 6 UTCCR 199435 um, den er 1999 durch regulation 7(2) einer neuen Verordnung gleichen Namens ersetzte36. Doch bereits zuvor war in beiden Rechten eine gleichlautende Regel richterrechtlich anerkannt, die nicht auf die Auslegung von unklaren Klauseln in Verbraucherverträgen beschränkt, sondern von allgemeiner Anwendung war37, und die neben regulation 7(2) UTCCR 1999 anwendbar bleibt38. Freilich wichen beide Regeln leicht voneinander ab. Regulation 7(2) UTCCR 1994 normiert eine Auslegung zugunsten des Verbrauchers39. Die Regel des common law verlangt in ihrer englischen Ausprägung dagegen eine Auslegung zulasten desjenigen, der sich auf eine Klausel beruft40, in ihrer schottischen Ausprägung eine Ausle34
Vgl. Hettich (2007), S. 159 ff.; Kohtes (2004), S. 129 ff.; Fischer, RIW 1998, 694. SI 1994 No. 3159. 36 SI 1999 No. 2083. 37 Für England: McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.6; Peel (2007), S. 53 ff.; White v. Warrick & Co Ltd (1953) 2 AllER 1021; Hollier v. Rambler Motors (AMC) Ltd [1972] 2 QB 71; Photo Production Ltd v. Securicor Transport Ltd [1980] AC 827. Für Schottland: Ailsa Craig Fishing Co Ltd v. Malvern Fishing Co Ltd [1983] 1 WLR 964; Scottish Special Housing Association v. Wimpey Construction UK Ltd 1986 SLT 173. 38 McBryde (3. Aufl. 2007), §§ 8-38 ff. 39 Hierzu Lewison (2007), § 7.09. 40 McKendrick (7. Aufl. 2007), § 9.6; Whincup (5. Aufl. 2006), § 7.10. A.A Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7-015; Chitty/Guest I (30. Aufl. 2008), § 14-009 (die zwei contra proferentem-Regeln identifizieren, eine zur Auslegung gegen denjenigen, der sich auf eine Klausel beruft, die andere zur Auslegung gegen denjenigen, der die Klausel verfaßt hat); Cheshire/Fifoot/ Furmston (15. Aufl. 2007), S. 213 (Auslegung gegen denjenigen, der die Klausel entworfen hat und sich nunmehr auf diese Klausel berufen will); Anson/Beale (27. Aufl. 1998), S. 159, 167 (bei Haftungsausschlußklauseln Auslegung gegen denjenigen, der sich auf die Klausel berufen will, im übrigen gegen denjenigen, der die Klausel entworfen hat). Vgl. auch Lewison (2007), § 7.08; McMeel (2007), §§ 8.07 ff. 35
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§ 14. Auslegung
gung zulasten desjenigen, der den Vertrag entworfen hat41. Besonders streng wenden englische und schottische Gerichte diese allgemeine contra proferentem-Regel bei der Auslegung von Haftungsausschlußklauseln an42. Auch in England und Schottland ist die contra proferentem-Regel nur von subsidiärer Geltung. Sie tritt hinter den übrigen Auslegungsregeln zurück43, und diese Auslegungsregeln sind mit denen vergleichbar, die wir bereits im Deutschland des 19. Jh. und noch heute in den anderen europäischen Rechten beobachten konnten44. 3. Die contra proferentem-Regel im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten Das UN-Kaufrecht normiert die contra proferentem-Regel nicht ausdrücklich. Trotzdem kommt sie nach vorherrschender Meinung auch unter dem CISG zur Anwendung45. Die PECL kennen sie dagegen in Art. 5:103: »Where there is doubt about the meaning of a contract term not individually negotiated, an interpretation of the term against the party which supplied it is to be preferred.«
In welchem Verhältnis Art. 5:103 PECL zu den Auslegungsregeln der Art. 5:101 f. PECL steht, darüber klären die PECL nicht auf. Zudem handelt es sich nach dem Willen der Verfasser um eine bloße Sollvorschrift (»is to be preferred«), von der ein Richter abweichen darf46. Die contra proferentem-Regel der PICC findet sich in Art. 4.6, wobei auch hier das Verhältnis zu den übrigen Auslegungsregeln der Art. 4.1 ff. offenbleibt47. Dagegen stellt Art. 40 Abs. 1 Avant-projet eines Code Européen des Contrats klar, daß die in Art. 40 Abs. 3 normierte contra proferentem-Regel erst zur Anwendung kommt, 41 Freeman v. Maxwell 1928 SC 682; Napier Ltd v. Crosbie 1964 SC 129; Neilson v. Stewart 1991 SC (HL) 22; McBryde (3. Aufl. 2007), § 8-39; Gloag/Henderson (12. Aufl. 2007), § 7.04; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 3.47. A.A. MacMillan/Lambie (3. Aufl. 1997), S. 99; Smith v. UMB Chrysler (Scotland) Ltd 1978 SC (HL) 1 (Auslegung gegen denjenigen, der sich auf die Klausel berufen will); Walker (3. Aufl. 1995), § 21.10 (Auslegung gegen denjenigen, der die Klausel entworfen hat und sich nunmehr auf diese Klausel berufen will). Siehe auch die Darstellung bei SME/Davidson XV (1996), § 758. 42 Für England: Shell Chemicals UK Ltd v. P&O Roadtanks Ltd [1995] 1 Loyd’s Rep 297, 301; The Raphael [1982] 2 Lloyd’s Rep 42; McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.6 f. Für Schottland: McBryde (3. Aufl. 2007), §§8-69 ff.; SME/Davidson XV (1996), § 719; Murray v. Caledonia Crane & Plant Hire Ltd 1983 SLT 306. 43 McBryde (3. Aufl. 2007), § 8-41. 44 Vgl. z.B. die Darstellung bei Gloag/Henderson (12. Aufl. 2007), §§ 7.01 ff. 45 Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 47; Brunner (2004), Art. 4 Rn. 45; Hennemann (2001), S. 98. 46 Lando/Beale (2000), S. 294. 47 Für ihre Subsidiarität Vogenauer/Kleinheisterkamp (2009), Art. 4.6 Rn. 5. Auch Art. 4.6 soll eine Sollvorschrift sein: Vogenauer/Kleinheisterkamp (2009), Art. 4.6 Rn. 9.
I. Die contra proferentem-Regel
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wenn die Auslegung nach Art. 39 zu keinem Ergebnis führt. Die Acquis Principles (Contract I) enthalten in Art. 6:203(1) allein die contra proferentem-Regel. Weitere Auslegungsregeln finden sich in den Acquis Principles bisher nicht, so daß sich die Frage nach dem Verhältnis der contra proferentem-Regel zu solchen übrigen Auslegungsregeln eigentlich nicht stellt. Die Verfasser der ACQP stellen freilich klar48: »It is limited to cases where there is serious doubt about the interpretation after general methods of interpretation taking into account all relevant circumstances have been applied.«
Art. 5:203(1) ACQP soll also nur nachrangig zur Anwendung kommen. Warum es nach dem Willen der Verfasser nicht ausreichen soll, daß nach Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln Zweifel am Sinn der Vertragsbedingung bestehen bleiben, sondern daß sie ernsthafte Zweifel (»serious doubt«) verlangen, ist nicht einsichtig. Die contra proferentem-Regel des DCFR ist in dessen Art. II.-8:103 normiert. Auch der DCFR klärt nicht über das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu den übrigen Auslegungsregeln auf, die in Art. II.-8:101 ff. DCFR anders als in der Klauselrichtlinie und in den Acquis Principles explizit geregelt sind. Nach Art. II.-8:101(1) DCFR kommt es zunächst auf den gemeinsamen Willen der Parteien an, und nach Art. II.-8:101(2) DCFR hat eine Vertragsbedingungen die Bedeutung, wie sie eine Partei versteht, wenn die andere Partei bei Vertragsschluß wußte oder wissen mußte (»could reasonably be expected to have been aware«), welchen Sinn die erste Partei dieser Bedingung beilegen will. Im übrigen soll es nach Art. II.-8:101(3) auf den Sinn einer Vertragsbedingung ankommen, »which a reasonable person would give to it«. Dabei dürfen unter anderem die Umstände des Vertragsschlusses, Vorverhandlungen, der Vertragszweck, die Vertragsnatur, Sitten und Gebräuche, Treu und Glauben berücksichtigt werden. In der Regel werden sich Auslegungszweifel bereits durch Rückgriff auf diese Umstände ausräumen lassen. Die Bedeutung der contra proferentem Regel bleibt mithin unklar.
B. Die contra proferentem-Regel im deutschen Recht Ein Rechtsvergleich hilft bei Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis der contra proferentem-Regel zum Grundsatz der normativen Auslegung also nicht weiter: Zum einen ist auch außerhalb Deutschlands das Verhältnis der contra proferentem-Regel zu den übrigen Auslegungsregeln umstritten. Zum anderen stehen außerhalb Deutschlands einzelne Auslegungsregeln im Zentrum der Auslegungslehre, und nicht ein allumfassender Auslegungsgrund48
Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:203 Rn. 9.
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§ 14. Auslegung
satz. Folglich stellt sich auch das Verhältnis dieser Regeln zur contra proferentem-Regel anders dar. Wir müssen uns der Antwort auf die aufgeworfene Frage also anders nähern: 1. Drei Lösungsmöglichkeiten Drei Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis der contra proferentemRegel zum Grundsatz der normativen Auslegung sind denkbar: In der Regel können Unklarheiten durch Anwendung des Grundsatzes der normativen Auslegung aufgelöst werden. Verbleibende Unklarheiten führen zur Nichtigkeit der Abrede. Man könnte, wie es die wohl herrschende Meinung tut49, die Ansicht Raisers teilen50, die contra proferentem-Regel sei anzuwenden, wenn der Grundsatz der normativen Auslegung bzw. der Grundsatz der objektiven Auslegung51 zu keiner Klärung führt. An die Stelle der Nichtigkeit würde eine Auslegung zulasten des Verwenders treten. Die contra proferentem-Regel und die normative Auslegung würden zueinander nicht in Konkurrenz treten. Beide hätten einen klar voneinander abgegrenzten Anwendungsbereich. Die contra proferentem-Regel wäre nach diesem Verständnis nicht einmal eine Auslegungsregel52. Sie würde erst zur Anwendung kommen, wenn die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ergebnislos abgebrochen worden wäre. Sie wäre vielmehr mit § 140 BGB vergleichbar: Eine an sich unwirksame Abrede würde mit einem nach der contra proferentem-Regel zu ermittelnden Sinn aufrechterhalten werden. Man könnte auch der Ansicht sein, die contra proferentem-Regel trete an die Stelle des Grundsatzes der normativen Auslegung. Besteht ein Auslegungsspielraum, so wird dieser immer zugunsten des Vertragspartners ausgefüllt. Ein solcher Vorrang der contra proferentem-Regel wird in der Literatur zu Art. 5 S. 2 der Klauselrichtlinie vertreten53. Schließlich könnte man versuchen, eine Position zwischen diesen Polen einzunehmen: Man könnte die contra proferentem-Regel und den Grundsatz der normativen Auslegung etwa gleichrangig nebeneinander stellen. Oder man könnte versuchen, die contra proferentem-Regel aus dem Grundsatz der normativen Auslegung herzuleiten; mit einem solchen Verständnis würden die 49 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305c Rn. 18; Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 124; Stoffels (2. Aufl 2009), Rn. 370; v. Westphalen, NJW 2008, 2234 f.; MKBGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 29; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305c Rn. 33; Heinrichs, NJW 2003, 1637; ders., NJW 1998, 1452; MK-BGB/Kramer (5. Aufl. 2006), § 155 Rn. 6; Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 62; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 5 AGBG Rn. 2, 12; Roth, WM 1991, 2086; Sambuc, NJW 1981, 314; Wacke, JA 1981, 667; BGH (11.3.1997), NJW 1997, 3434. 50 Siehe oben § 8 I (S. 278 f.). 51 Zur objektiven Auslegung siehe unten II (S. 517 ff.). 52 So auch ausdrücklich Wacke, JA 1981, 668. 53 Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 3.
I. Die contra proferentem-Regel
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contra proferentem-Regel und der Grundsatz der normativen Auslegung nicht nebeneinander und auch nicht, wie von der herrschenden Meinung vertreten, hintereinander stehen; die contra proferentem-Regel wäre vielmehr Teil des Grundsatzes der normativen Auslegung; dieses Verständnis entspricht wohl der Auffassung in der deutschen Literatur, welche die contra proferentem-Regel auf § 157 BGB zurückzuführen versucht54 oder in ihr einen Auslegungsgrundsatz erkennt, der über § 305c Abs. 2 BGB hinaus Bedeutung erlangt55. 2. Der Zweck der contra proferentem-Regel Welche der drei Lösungsmöglichkeiten zu wählen ist, darüber kann nur der Zweck der contra proferentem-Regel entscheiden. Raiser meinte die contra proferentem-Regel diene dem öffentlichen Interesse56: »Die Regel gilt nur subsidiär. Sie soll im öffentlichen Interesse verhindern, daß die Unklarheit der AGB. zu allgemeiner Rechtsunsicherheit führt. Wo daher die Auslegung diese Unklarheit ohnedies beseitigen kann, oder wo die Unklarheit nur eine nebensächliche oder durch dispositives staatliches Recht leicht zu ersetzende Bestimmung trifft und der Vertrag im übrigen aufrecht erhalten bleibt, ist für die Regel kein Raum.«
Durch die Nichtigkeitsfolge werde eine allgemeine Rechtsunsicherheit erzeugt, die verhindert werden müsse, weil potentiell eine Vielzahl von Verträgen betroffen sei, selbst wenn die Vertragsnichtigkeit gerichtlich nur bezogen auf einen konkreten Fall festgestellt werde. Diese Betonung von Allgemeinwohlinteressen war zeitbedingt, und sie war vor allem auch hilfreich, ja geradezu notwendig, um die offene richterliche Inhaltskontrolle aus ihren traditionellen Schranken zu befreien57. Aus heutiger Sicht überzeugt sie indes nicht mehr, und die Literatur erwähnt ein solches öffentliches Interesse daher auch nicht mehr. Freilich taucht noch heute eine vergleichbare Begründung der contra proferentem-Regel auf, die den Hinweis auf das Allgemeinwohl durch Schutzzweckerwägungen ersetzt58: »Gemäß § 5 AGBG gehen Zweifel bei der Auslegung […] zu Lasten des Verwenders […]. Dadurch wird im Interesse des Vertragspartners […] erreicht, daß die zivilrechtlich ansonsten maßgeblichen Rechtsfolgen eines Dissenses, namentlich die des Nichtzustandekommens des Vertrags, grundsätzlich nicht zum Zuge kommen.« 54
Siehe schon oben § 8 I (S. 277) und MK-BGB/Busche (5. Aufl. 2006), § 157 Rn. 8. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 56; Soergel/Wolf (13. Aufl. 1999), § 157 Rn. 99; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 316. 56 Raiser (1935), S. 262. Siehe hierzu schon oben § 8 I (S. 278 f.). 57 Siehe oben § 9 II D (S. 301 ff.). 58 Präve (1998), Rn. 298. Ebenso Locher (3. Aufl. 1997), S. 67; Roth, WM 1991, 2085; Honsell, JA 1985, 261; Wacke, JA 1981, 667 f. 55
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§ 14. Auslegung
Freilich folgt aus der Unwirksamkeit einer Klausel wegen Unklarheit nicht zwingend die Gesamtnichtigkeit des Vertrags: § 306 BGB. Auf eine pönale oder präventive Funktion der contra proferentem-Regel wird heute kaum mehr verwiesen59. Vielmehr bezeichnet die Literatur die contra proferentem-Regel heute als Schutzmechanismus60 oder spricht von einer »Auslegungskontrolle«61 und unterstellt damit ebenfalls den Schutzcharakter dieser Regel. Schutzgrund soll die Überlegenheit des Verwenders sein62. Diesem Schutzzweck widerspricht es, wendete man die contra proferentem-Regel nur an, sofern der Grundsatz der normativen Auslegung zu keinem Ergebnis führt, und ließe man sie als subsidiär hinter diesem Grundsatz zurücktreten. Würde sie doch so eine nur marginale Rolle spielen, weil Unklarheiten in der Regel schon durch eine normative Auslegung aufgelöst werden können. Andererseits verlangen Schutzzweckerwägungen nicht, daß man der contra proferentem-Regel einen Vorrang vor dem Grundsatz der normativen Auslegung zugesteht, könnte sich der Vertragspartner mit einem solchen Verständnis doch selbst dann auf die ihm günstigste Auslegung berufen, wenn jede vernünftige Person aus seiner Sicht nach Treu und Glauben und auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls die Klausel in einem anderen Sinn verstehen würde. Neben dem Schutzzweck findet sich noch ein zweiter Gedanke, der die contra proferentem-Regel tragen soll, nämlich der der Verantwortung63: Wer es übernimmt, eine Klausel zu formulieren, der trägt auch die Verantwortung für Unklarheiten und muß sie gegen sich gelten lassen. Ein solcher Verantwortungsgedanke ist freilich auch Grundlage des Grundsatzes der normativen Auslegung64: »Die Entscheidung des Gesetzgebers für den Vertrauensschutz bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen beruht auf einer berechtigten Interessenbewertung von allgemeiner Bedeutung. Zwar steht im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich der selbstbestimmte Wille des Erklärenden im Mittelpunkt. Soweit jedoch mit den durch 59 Oben § 8 I (S. 277). Eine pönale, präventive, abschreckende und erzieherische Funktion nennen noch: PK-BGB/Lapp (3. Aufl. 2006), § 305c Rn. 3; Canaris/Grigoleit, in: Towards a European Civil Code (3. Aufl. 2004), S. 461; Baumann (2004), S. 68; Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 62; Wacke; JA 1981, 667 f.; Knütel, JR 1981, 224. 60 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 14, § 305c Rn. 20; Knütel, JR 1981, 224. Aus rechtsvergleichender Sicht Baumann (2004), S. 67. 61 Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), Vor § 307 Rn. 1. 62 Staudinger/Singer (2004), § 133 Rn. 62. 63 Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 305c Rn. 18; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 365; Wolf/ Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 124; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305c Rn. 61; Bamberger/Roth/Schmidt (2. Aufl. 2007), § 305c Rn. 34; Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 101; Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305c Rn. 33; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 33; Riesenhuber (2003), S. 357; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 5 AGBG Rn. 1; Honsell, JA 1985, 261; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1977), § 5 Rn. 8. Siehe schon oben § 8 I. 64 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 14
I. Die contra proferentem-Regel
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die Willenserklärung erzeugten Rechtsfolgen in die Rechtssphäre des Empfängers eingegriffen wird, muß sich dieser darauf einstellen können und darf von der Willenserklärung deshalb nur so betroffen werden, wie sie von ihm zu verstehen war. Das Bedürfnis nach Vertrauensschutz schränkt deshalb die reine Willensherrschaft ein. Hinzu kommt die Beherrschbarkeit durch den Erklärenden, der das von ihm benutzte Ausdrucksmittel und die Ausdrucksform grundsätzlich frei wählen kann. Deshalb ist es grundsätzlich gerechtfertigt, ihm die Verantwortung für die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie vom Erklärungsempfänger bzw. der Allgemeinheit zu verstehen war, aufzuerlegen. Dies macht den selbstbestimmten Willen nicht bedeutungslos. Er ist aber nicht isoliert nach den Vorstellungen des Erklärenden zu ermitteln, sondern wie er sich aus der Sicht des Erklärungsempfängers bzw. der Allgemeinheit unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes darstellt.«
Der contra proferentem-Regel liegt damit der Gedanke zugrunde, daß den Erklärenden in bestimmten Situationen eine gesteigerte Verantwortung für seine Erklärung trifft, die es rechtfertigt, die Erklärung nicht nur so zu verstehen, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, sondern gegen ihn auszulegen. Auch wenn man davon ausgeht, daß der contra proferentemRegel der Gedanke der Erklärungsverantwortung des Verwenders zugrunde liegt, ist eine Subsidiarität im Sinne Raisers wie auch ein unbedingter Vorrang dieser Regel gegenüber dem Grundsatz der normativen Auslegung ausgeschlossen. In der Literatur erscheinen Schutzzweck und Verantwortungsgedanke oft nebeneinander65. Und in der Tat scheinen beide das Problem nur aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und damit austauschbar zu sein: Die gesteigerte Verantwortung des Verwenders bewirkt einen Schutz auf Seiten des Vertragspartners. Dennoch macht es einen Unterschied, ob man als Ratio der contra proferentem-Regel einen Schutzzweckgedanken oder einen Verantwortungsgedanken anerkennt: Glaubt man, die contra proferentem-Regel werde von Schutzzweckerwägungen getragen, so würde sie nur neben den Grundsatz der normativen Auslegung treten66. Denn Ziel der Auslegung ist es, den normativen Willen der Parteien zu ermitteln, und bloße Schutzzweckerwägungen haben dabei keinen Raum. Führt man die contra proferentem-Regel hingegen ebenso wie den Grundsatz der normativen Auslegung auf einen Verantwortungsgedanken zurück, so scheint diese Regel nur eine Qualifikation der normativen Auslegung zu sein. Die contra proferentem-Regel stände nicht neben diesem Grundsatz, sondern wäre ihm immanent, würde §§ 133, 157 BGB nicht ergänzen, sondern könnte auf sie zurückgeführt werden. Im Rahmen der contra proferentem-Re65
So bei MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 20, 28. So PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305c Rn. 65: »Absatz 2 ist eine Ergänzung zu den allgemeinen Auslegungsvorschriften der §§ 133 und 157 BGB speziell für AGB.« 66
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§ 14. Auslegung
gel tritt die Ausdruckssorgfalt des Verwenders im Vergleich zur normativen Auslegung in den Vordergrund, die Auslegungssorgfalt des Vertragspartners dagegen in den Hintergrund67. Wer glaubt, die contra proferentem-Regel beruhe auf Schutzzweckerwägungen, hat Probleme, ihren Anwendungsbereich überzeugend zu definieren: Ist ein Unternehmer als Vertragspartner schutzbedürftig? Bedarf er des Schutzes vielleicht nur, wenn ihm gegenüber AGB zur Anwendung kommen? Sind Verbraucher schutzbedürftiger als Unternehmer? Ist Folge, daß zu ihren Gunsten die contra proferentem-Regel nicht nur eingreift, wenn ihnen gegenüber AGB angewendet werden, sondern auch dann wenn es um die Auslegung nicht individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen geht? Diese Fragen werden in Europa ganz unterschiedlich beantwortet68, und eine alle überzeugende Antwort zu finden, dürfte unmöglich sein. Stellt man hingegen auf den Verantwortungsgedanken ab, so erhält man den Rahmen, eine schlüssige Antwort zu entwickeln: Wer AGB einseitig stellt, den trifft sicherlich eine erhöhte Verantwortung für den Inhalt seiner Erklärung. Das gleiche gilt aber nicht schon dann, wenn Vertragsbedingungen nicht individuell ausgehandelt werden. Einigen sich zwei Parteien darauf, daß es eine Partei übernehmen soll, einen Vertragsentwurf auszuarbeiten, und unterzeichnet die andere Partei diesen ohne weitere Verhandlungen, so besteht der Vertrag aus nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen. Dennoch kann man nicht sagen, daß diejenige Partei, die den Vertrag ausgearbeitet hat, eine erhöhte Erklärungsverantwortung trifft. Denn die andere Partei hat ihr die Formulierung des Vertrages übertragen, und durch den Grundsatz der normativen Auslegung ist der Verständnishorizont des Vertragspartners genügend berücksichtigt. Daß allein die Tatsache, daß eine Partei die Vertragsbestimmungen formuliert hat, nicht die Anwendung der contra proferentemRegel rechtfertigt, zeigt sich auch daran, daß ansonsten alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen allein mit der contra proferentem-Regel auszulegen wären. Auch trifft einen Unternehmer entgegen § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB und entgegen Art. 5 S. 2 der Klauselrichtlinie nicht schon dann eine gesteigerte Erklärungsverantwortung, wenn AGB auf Vorschlag eines neutralen Dritten (Notar) einem Verbrauchervertrag zugrundegelegt werden. Eine erhöhte Erklärungsverantwortung trifft vielmehr den Verwender einseitig gestellter Vertragsbedingungen, also solcher Vertragsbedingungen, die er nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt. Es kommt für die Anwendung der contra proferentem-Regel also nicht darauf an, daß faktisch keine Verhandlungen über die von einer Partei vorformulierten Vertragsbedingungen stattgefunden haben, sondern darauf, daß sich der Verwender auf solche Verhandlungen nicht einläßt. Stellt man allein auf den Verantwortungsgedanken 67 68
Vgl. allgemein hierzu Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 16. Siehe oben A (S. 498 ff.).
I. Die contra proferentem-Regel
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ab, so muß zudem unerheblich bleiben, ob Verwender oder Vertragspartner Verbraucher oder Unternehmer sind. Freilich könnte man versuchen einzuwenden, daß die Rechtsfolge der contra proferentem-Regel, nämlich die Auslegung unklarer Klauseln zugunsten des Vertragspartners, nur mit Schutzzweckerwägungen, nicht aber mit dem Verantwortungsgedanken erklärt werden kann. Dieser Einwand geht indes fehl: Bei einseitig gestellten Vertragsbedingungen erklärt der Verwender implizit, daß er nur so und nicht anders gewillt ist, zu kontrahieren. Er nimmt dem Vertragspartner so jeden Anreiz, sich mit den Vertragsbedingungen auseinanderzusetzen und bei Unklarheiten nachzufragen. Als Folge muß er sich an der ihm ungünstigen Auslegung festhalten lassen. Nach alledem scheint es vorzugswürdig, die contra proferentem-Regel auf einen Verantwortungsgedanken zurückzuführen. Für bloße Schutzzweckerwägungen ist bei der Auslegung zum einen kein Raum. Zum anderen bietet allein der Verantwortungsgedanke einen Rahmen, um die Frage nach dem Anwendungsbereich der contra proferentem-Regel zu beantworten. Der Schutz des Vertragspartners ist somit nicht Zweck der contra proferentem-Regel, sondern allenfalls ein Reflex ihrer Anwendung. Es sollte in Bezug auf diese Auslegungsregel daher auch nicht von einer »Auslegungskontrolle« gesprochen werden. 3. Die Auflösung des Grundsatzes der normativen Auslegung in einzelne Auslegungsregeln Steht fest, daß die contra proferentem eine Qualifikation des Grundsatzes der normativen Auslegung ist und folglich nicht neben diesem Grundsatz steht, sondern aus ihm heraus erklärt werden kann, so ist noch nichts über ihr Verhältnis im einzelnen ausgesagt. Das Problem, das Verhältnis beider zueinander zu definieren, stellt sich immer dann, wenn die contra proferentem-Regel und der Grundsatz der normativen Auslegung zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen führen, wenn also durch den Grundsatz der normativen Auslegung eine Unklarheit gerade nicht zugunsten des Vertragspartners aufgelöst wird. Würde man in einem solchen Fall der contra proferentem-Regel immer den Vorzug lassen, so würde man im Ergebnis doch jeden Auslegungsspielraum einseitig zugunsten des Vertragspartners ausfüllen. Würde man indes umgekehrt meinen, die contra proferentem-Regel komme nur zur Anwendung, wenn auch der Grundsatz der normativen Auslegung die Unklarheit zugunsten des Vertragspartners auflöse, dann würde man ihr jede eigenständige Bedeutung absprechen. Wollte man eine Zwischenposition zwischen beiden Polen einnehmen und wollte man zugleich der contra proferentem-Regel eine eigenständige Bedeutung zugestehen, so dürfte man nicht jeden Auslegungsspielraum mit dem Grundsatz der normativen Auslegung ausfüllen, sondern müßte »irgendwo« halt machen und sodann die contra proferentem-
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§ 14. Auslegung
Regel anwenden. Wo genau diese Grenze zu ziehen ist, wo mit anderen Worten also eine Unklarheit verbleibt, die unter Anwendung der contra proferentem-Regel aufgelöst werden kann, scheint bis heute nicht abschließend geklärt zu sein. Freilich ist eine Grenzziehung auch nicht ohne weiteres möglich. Denn die contra proferentem-Regel ist eine Auslegungsregel, die darüber Auskunft gibt, was Auslegungsergebnis ist. Der Grundsatz der normativen Auslegung klärt darüber auf, wie ein Auslegungsergebnis zu ermitteln ist. Er beschreibt eine Methode69. Eine Auslegungsregel und eine Auslegungsmethode können aber überhaupt nicht sinnvoll in Beziehung zueinander gesetzt werden. Wir konnten oben beobachten, daß sich außerhalb Deutschlands nicht die Frage nach dem Verhältnis der contra proferentem-Regel zu einer Auslegungsmethode stellt, sondern daß hier einzelne Auslegungsregeln, darunter auch die contra proferentem-Regel, in Beziehung zueinander gesetzt werden70. Ähnlich war es im Deutschland des 19. Jh.71. Erst zu Beginn des 20 Jh. ist der Grundsatz der normativen Auslegung aus einer Synthese dieser einzelnen Auslegungsregeln hervorgegangen72. Damit erscheinen die contra proferentem-Regel und der Grundsatz der normativen Auslegung zwei unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Auslegungslehre zu entstammen. Der Gesetzgeber hat in § 305c Abs. 2 BGB eine Auslegungsregel gesetzlich festgeschrieben, der eine eigenständige Bedeutung nur vor Entwicklung des Grundsatzes der normativen Auslegung zukam. Möchte man das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der normativen Auslegung und der contra proferentemRegel bestimmen, so muß man auch den Grundsatz der normativen Auslegung wieder in die einzelnen Auslegungsregeln auflösen und die contra proferentem-Regel in Beziehung zu diesen Auslegungsregeln stellen. Dann bestimmt man nicht das Verhältnis von Methode und Regel, sondern, und das allein ist möglich, von Regel und Regel. Der Vorschlag, den Grundsatz der normativen Auslegung in die einzelnen Auslegungsregeln aufzulösen, um sodann ihr Verhältnis zur contra proferentem-Regel zu bestimmen, ist dabei aus dogmatischer Sicht unbedenklich. Denn diese Auslegungsregeln haben ihre Bedeutung auch nach Entwicklung des Grundsatzes der normativen Auslegung nicht eingebüßt73: »Die Auslegung arbeitet mit Erfahrungssätzen, ohne allerdings grundsätzlich den Einzelsätzen strikte Geltung zuzuerkennen. Die in der Tradition überlieferten und in anderen Kodifikationen niedergelegten Auslegungsregeln sind deshalb zwar nach unse-
69 Ahnlich unterscheiden Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 100, methodisch-formale und inhaltlich-materiale Auslegungsregeln. Vgl. auch Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 555. 70 Siehe oben A (S. 498 ff.). 71 Siehe oben § 3 I (S. 126 ff.). 72 Siehe oben § 8 (S. 273 ff.). 73 Flume II (3. Aufl. 1979), S. 315.
I. Die contra proferentem-Regel
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rem Recht nicht verbindliche Normen, nicht ›durchgreifende Grundsätze‹, aber deshalb doch als Erfahrungssätze ›praktischer Logik‹ beachtlich.«
Das Verhältnis zwischen diesen einzelnen Auslegungsregeln, die in ihrer Synthese den Grundsatz der normativen Auslegung ausmachen, und der contra proferentem-Regel könnte man durch einen einfachen Vorrang der einen oder anderen Regel bestimmen. Damit offenbart sich, daß die Aussage, die contra proferentem-Regel gelte nur subsidiär, Unterschiedliches bedeuten kann: Sie kann im Sinne Raisers beschreiben, daß die contra proferentem-Regel erst nach Abschluß der normativen Auslegung zur Anwendung kommt, um eine an sich unwirksame Klausel zu retten74. Oder Subsidiarität kann heißen, daß die contra proferentem-Regel in der Ordnung der einzelnen Auslegungsregeln nur nachrangig anwendbar ist. In diesem Sinne wurde die contra proferentemRegel im Deutschland des 19. Jh. und wird sie noch heute außerhalb Deutschlands als subsidiär bezeichnet75. Nachdem sich der Grundsatz der normativen Auslegung herauskristallisiert hatte, ging man weiter von der Subsidiarität der contra proferentem-Regel aus, ohne diese Bedeutungsverschiebung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu erkennen. Akzeptiert man, daß die contra proferentem-Regel und der Grundsatz der normativen Auslegung von einem Verantwortungsgedanken getragen werden, verbietet es sich, diese Auslegungsregeln und die contra proferentem-Regel in ein starres Stufenverhältnis zu stellen, so wie auch die übrigen, im Grundsatz der normativen Auslegung zusammengefaßten Maximen in keine strikte, logische Ordnung gebracht werden können. Vielmehr stehen die unterschiedlichen Auslegungsregeln in einem Wechselspiel zur contra proferentem-Regel. Bei Anwendung jeder einzelnen Auslegungsregel muß im Einzelfall geprüft werden, ob das mehr an Verantwortung des Erklärenden zu ihrer modifizierten Anwendung oder Ersetzung führt. Das wollen wohl auch die Verfasser der PECL sagen, wenn sie die Anwendung der contra proferentem-Regel in das Ermessen des Richters stellen und sie daher nur als Sollvorschrift ausgestaltet haben76. Damit hängen die Einzelheiten zur Anwendung der contra proferentem-Regel von den Umständen eines konkreten Falles ab, und eine abschließende Erörterung scheint damit unmöglich. Klar dürfte aber sein, daß für eine Anwendung der contra proferentem-Regel kein Raum ist, wenn sich die Parteien einig sind, wie eine objektiv unklare Vertragsbedingung auszulegen ist, oder wenn eine der Parteien bei Vertragsschluß erkennt, wie die andere Partei die unklare Bedingung versteht. Die contra proferentem-Regel kann in der Regel auch dann nicht angewendet werden, wenn sich aus den Umständen, die den Vertragsschluß begleiten, ergibt, wie die unklar formulierte Vertragsbedingung verstanden werden soll. 74 75 76
Siehe oben den Text zu Fn. 50 und § 8 I (S. 278 f.). Siehe § 3 II A (S. 132) und § 14 I A 2 (S. 499 ff.). Siehe oben den Text zu Fn. 46.
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§ 14. Auslegung
Freilich können sich aus der gesteigerten Erklärungsverantwortung des Verwenders Grenzen bei der Berücksichtigung solcher Umstände ergeben. Stellt der Verwender seine Vertragsbedingungen nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen, so tut er damit kund, daß er seinen Willen abschließend in den Vertragsbedingungen zum Ausdruck gebracht hat. »So und nicht anders«, das ist die Erklärung die hinter dem Akt des einseitigen Stellens der Vertragsbedingungen steht. Der Verwender darf dann aber auch nicht erwarten, daß der Vertragspartner die konkreten Umstände, die zum Vertragsschluß geführt haben, bei ihrer Auslegung heranzieht. Er ist vielmehr an die typisierte Auslegung gebunden77. Führt eine typisierte Auslegung zu keinem Ergebnis, ist Raum für die contra proferentem-Regel. Mußte dagegen eine vernünftige Person aus Sicht des Verwenders nach Treu und Glauben aufgrund der Umstände, die den Vertragsschluß begleiten, erkennen, daß der Vertragspartner die Bedingungen in einer bestimmten Weise verstanden hat, so gilt diese Auslegung. Für eine Anwendung der contra proferentem-Regel ist kein Raum. Noch heute ist anerkannt, daß in der Regel eine solche Auslegung zu wählen ist, die dem Vertragszweck, dessen Natur und dessen Gegenstand am ehesten entspricht78. Steht eine Klausel zwei Auslegungen offen und ist die eine Auslegung für den Vertragspartner günstiger als die andere, steht die günstigere Auslegung jedoch im Widerspruch zum Vertragszweck, zu dessen Natur oder Gegenstand, so muß der Vertragspartner in der Regel die ungünstigere Auslegung gegen sich gelten lassen. Differenzierter stellt sich dagegen das Verhältnis der contra proferentemRegel zur Auslegungsmaxime dar, daß die Parteien im Zweifel das Übliche wollten. Werden in einer Branche objektiv unklare Begriffe in einem bestimmten Sinn gebraucht, so muß ein branchenzugehöriger Vertragspartner diese branchenübliche Auslegung selbstverständlich gegen sich gelten lassen. Gehört der Vertragspartner dagegen nicht zur Branche, dann muß sich der Verwender an die branchenübliche Bedeutung festhalten lassen, wenn diese Auslegung für den Vertragspartner günstiger ist. Denn dann darf unterstellt werden, daß der Verwender die Klausel so verstanden wissen wollte, eben weil dieses Verständnis üblich ist, und daß der Vertragspartner die Klausel so verstehen durfte, eben weil diese Auslegung für ihn günstiger ist. Ist die übliche Auslegung für den nicht branchenzugehörigen Vertragspartner hingegen ungünstig, so obliegt es dem Verwender sich deutlicher auszudrücken, wenn er die Klausel in diesem Sinne verstanden wissen möchte. Auch bei Verträgen kommt es zu einer systematischen Auslegung79. Vertragsbedingungen werden nicht isoliert betrachtet, sondern in ihrer Gesamt77 78 79
Siehe dazu sofort II (S. 517 ff.). Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 43. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 37 f.
II. Die objektive Auslegung
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heit verstanden. Richtet sich der Verwender mit seinem Angebot nicht gerade an Juristen, so dürfen im Rahmen der normativen Auslegung von Vertragspartnern freilich nicht deren Fähigkeiten erwartet werden, um eine Verknüpfung zwischen zwei isoliert stehenden Klauseln herzustellen. Ist eine solche systematische Auslegung für den Vertragspartner vorteilhaft, so ist der Verwender freilich an sie gebunden. Im übrigen muß er in den Vertragsbedingungen die Verknüpfung zwischen zwei Klauseln ausdrücklich herstellen, wenn er die eine im Licht der anderen verstanden wissen will. Konnte von einer vernünftigen Person aus Sicht des Vertragspartners nicht erwartet werden, daß er diese Verknüpfung erkennt, und ist eine isolierte Auslegung für den Vertragspartner von Vorteil, so gilt die so ermittelte Bedeutung80. Einen ähnlichen Einfluß muß die contra proferentem-Regel bei der Auslegung von Rechtsbegriffen in AGB haben81.
II. Die objektive Auslegung Neben der contra proferentem-Regel hat sich im Verlauf des 20. Jh. in Deutschland die objektive Auslegung als weitere Besonderheiten herausgebildet, die auch heute noch der herrschenden Meinung entspricht. Unter dem Stichwort der objektiven Auslegung wird dabei diskutiert, daß AGB nicht so gelten, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des konkreten Vertragspartners nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. An die Stelle des konkreten Vertragspartners tritt vielmehr der typische Vertragspartner. Die Auslegung ist insoweit also typisierend82. Freilich handelt es sich dabei kaum um eine Besonderheit des AGB-Rechts, die sich nicht schon aus der allgemeinen Auslegungslehre herleiten ließe83. Flume führt zur normativen Auslegung aus84: »Die zu berücksichtigenden Umstände sind aber nicht nach der Person des Erklärungsempfängers zu bestimmen, nicht ›seine‹ Umstände, sondern die Umstände der Erklärung sind maßgeblich für die normative Auslegung. Wenn die Auslegung also auch auf den Erklärungsempfänger bezogen ist, so ist sie doch auch wieder von ihm gelöst, indem die Umstände der Erklärung – sei es, daß sie als besondere bei dem Erklärungsakt in Erscheinung getreten oder als allgemeine Umstände für gegenwärtig zu erachten sind – als solche die Auslegung bestimmen, ungeachtet dessen, ob der Erklärungsemp80 Vgl. auch MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 30; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305c Rn. 81. 81 Zur Auslegung von Rechtsbegriffen in AGB vgl. Dreher, AcP 189 (1989), 342 ff. 82 Anwk-BGB/Kollmann (2005), § 305c Rn. 41. 83 So auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 106; Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 128; Lindacher, FS Horn (2006), S. 86. Allgemein Faust (2. Aufl. 2007), § 2 Rn. 10; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 10. 84 Flume II (3. Aufl. 1979), S. 311.
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§ 14. Auslegung
fänger sie perzipiert hat, wenn sie nur als für ihn perzibierbar gewertet werden und ihre Kenntnis und Beachtung bei dem Verständnis der Erklärung deshalb als ihm zurechenbar ist.«
Weil im Massenverkehr individuelle, bei der Auslegung im übrigen zu berücksichtigende Umstände nicht in Erscheinung treten, ist die Auslegung typisierend. Um eine wirkliche Besonderheit handelt es sich dagegen, daß die konkreten Umstände des Einzelfalls stets unbeachtlich sein sollen85. Von der im Wege der typisierenden Auslegung ermittelten Bedeutung der AGB darf nicht schon dann abgewichen werden, wenn die hervortretenden Umstände des Einzelfalls auf einen anderslautenden Parteiwillen hindeuten. Ein solcher abweichender Wille der Parteien soll nur dann beachtlich sein, wenn sie eine von diesem Sinn abweichende Individualabrede getroffen haben86: »Der Grundsatz der objektiven Auslegung von AGB verbietet zwar, auf die individuellen Momente des konkreten Vertragsschlusses und auf die Meinungen und Vorstellungen der an ihm im Einzelfall beteiligten Parteien Rücksicht zu nehmen. Andererseits hindert dieser Grundsatz nicht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Parteien im Einzelfall übereinstimmend der streitigen AGB-Klausel eine Bedeutung beigelegt haben, die von derjenigen abweicht, die ihr nach dem Grundsatz der objektiven Auslegung zukommt. Ebenso kann berücksichtigt werden, dass der aus den besonderen Umständen des Einzelfalls zu entnehmende Wille der Vertragsparteien vom Inhalt der ›objektiv‹ ausgelegten AGB abweicht. Freilich bedarf es, um das von den Parteien im Einzelfall übereinstimmend Gewollte als maßgeblich zu erklären, nicht einer Durchbrechung oder Einschränkung des Grundsatzes der objektiven AGB-Auslegung. Vielmehr gilt das Gewollte deshalb, weil es den Gegenstand einer Individualabrede bildet, der gemäß § 305b der Vorrang vor den AGB zukommt.«
Die Besonderheit der objektiven Auslegung ist nach alledem nicht, daß sie typisierend vorgeht. Denn eine solche Typisierung ist im Regelfall, in dem konkrete Umstände überhaupt nicht hervortreten, auch nach dem Grundsatz der normativen Auslegung angezeigt. Die objektive Auslegung weicht vielmehr nur insoweit von der allgemeinen Auslegungslehre ab, als sie selbst im Ausnahmefall, in dem konkrete Umstände auf einen vom typischen Bedeutungsgehalt abweichenden Parteiwillen hindeuten, diese Umstände zumindest im Rahmen der Auslegung unberücksichtigt läßt.
85 Prütting/Wegen/Weinreich/Berger (4. Aufl. 2009), § 305c Rn. 15; Hk-BGB/SchulteNölke (5. Aufl. 2007) § 305b Rn. 1 Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 5 AGBG Rn. 6. 86 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 26. Vgl. auch PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008), § 305c Rn. 59; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305c Rn. 73, 84; Bork (2. Aufl. 2006), Rn. 1771; Soergel/Hefermehl (13. Aufl. 1999), § 133 Rn. 31 f.; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 317; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1977), § 5 Rn. 4 f.; Dietlein/Rebmann (1976), § 5 Rn. 3.
II. Die objektive Auslegung
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A. Die objektive Auslegung in vergleichender Perspektive Die Klauselrichtlinie verlangt nicht nach einer solchen objektiven Auslegung. Ein Teil der Literatur wendet mit Blick Art. 4 Abs. 1 sogar ein, daß der Richtlinie eine solche Auslegung widerspricht. Art. 4 Abs. 1 verlangt, daß die »Mißbräuchlichkeit einer Vertragsklausel […] unter Berücksichtigung […] aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände […] beurteilt« wird. Werde im Rahmen der Inhaltskontrolle auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt und komme es hier zu keiner typisierenden Betrachtung, so müsse dies umsomehr für die Auslegung gelten87. Auch ist eine objektive Auslegung den Rechten Europas weitgehend fremd. So geht man in Italien davon aus, daß auf die Auslegung von AGB alle Auslegungsregeln des Codice civile Anwendung finden, also auch diejenigen, die eine Ermittlung des gemeinsamen Willens beider Vertragsparteien anordnen88. Damit ist die Möglichkeit einer objektiven Auslegung ausgeschlossen89. Im spanischen Recht steht bei der Auslegung von AGB die Ermittlung des gemeinsamen Willens der Vertragsparteien ebenfalls im Vordergrund90. In Österreich kennt man zwar eine typisierende Auslegung. Doch ist sie nur anwendbar, solange, und dies ist tatsächlich die Regel, die Parteien im konkreten Einzelfall von dieser typischen Bedeutung nicht abweichen wollen91. Ähnliches gilt für das englische Recht: Zwar betonen die Gerichte, daß bei der Auslegung von AGB in der Regel die besonderen Umstände des Einzelfalls in den Hintergrund treten und, gerade mit Hinblick auf die Funktion der AGB, eine typisierende Auslegung anzustreben ist. Sie schließen indes nicht grundsätzlich die Heranziehung solcher besonderen Umstände, die auf ein entgegenstehendes Verständnis hindeuten, im Rahmen der Auslegung aus92. Schließlich wandte das französische Recht auf die Auslegung von AGB zunächst nur die allgemeinen Regeln an und nahm damit in Kauf, daß AGB jeweils unterschiedlich ausgelegt wurden. Erst jüngst wenden sich Theorie und Praxis einer objektiven Auslegung zu. Vor allem die Literatur verweist hierfür auf Argumente, die an das deutsche Recht erinnern93: Die AGB hätten einen normativen Charakter und allein eine objektive Auslegung entspreche ihrem Zweck, 87
Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 130; Schmidt-Salzer, JZ 1995, 231. Siehe oben den Text zu Fn. 12 sowie zu und nach Fn. 19. 89 Vgl. kritisch Patti, in: Gabrielli I (2. Aufl. 2006), S. 371 f.; ders. (1996), S. 194, 204 f.; Cian, ZEuP 6 (1998), 590; Patti/Patti (1993), Art. 1341 § II.9. 90 Vgl. Hettich (2007), S. 147. 91 OGH (29.8.2007), ÖJZ 2008, 68. Vgl. Fenyves, FS Bydlinski (2002), S. 123 f. 92 Lewison (2007), § 7.04; Glynn v. Margetson & Co [1893] AC 351; AIB Group (UK) Ltd v. Martin [2002] 1 WLR 94. 93 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 460; Simler (2001), JCl Civ, Art. 1156 à 1164 Fasc. 20 Rn. 92 ff.; Mazeaud/Chabas II/1 (9. Aufl. 1998), Rn. 356; Flour/Aubert I (6. Aufl. 1994), Rn. 410; Berlioz (2. Aufl. 1976), Rn. 276 ff.; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 122; Sievers (1993), S. 63. 88
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§ 14. Auslegung
eine Vielzahl von Fällen einheitlichen Regeln zu unterwerfen. Und schließlich geht die herrschende Meinung für das UN-Kaufrecht davon aus, daß es zwar in der Regel nicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ankomme, daß aber eine Berücksichtigung solcher konkreten Umstände nicht ausgeschlossen sei, wenn sie auf einen anderslautenden Willen der Parteien hindeuten94.
B. Die objektive Auslegung im deutschen Recht Die völlige Ausblendung aller konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Auslegung findet im Rechtsvergleich also keine Stütze. Auch in der deutschen Literatur ist sie nicht unumstritten95. Für einen Teil der Lehre ist die objektive Auslegung »gegenüber der Auslegung unter Berücksichtigung individueller Umstände des Vertragsschlusses dogmatisch nachrangig, aber praktisch die Regel«96, und sie verkennt damit nicht, daß im Regelfall keine besonderen Umstände hervortreten, die nach einer vom typischen Bedeutungsgehalt der AGB abweichenden Auslegung verlangen. Nur will sie bei Vorliegen solcher Umstände diese bereits im Rahmen der Auslegung berücksichtigen. Lüderitz faßte diese Meinung 1966 treffend zusammen97: »Die Forderung nach einheitlicher Auslegung kann daher nur für den Regelfall, d.h. als Erfahrungs-, nicht als Rechtssatz Geltung beanspruchen.«
Die Begründung, die für die Ausblendung aller konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Auslegung vorgetragen werden, überzeugt nicht: Es solle »dem Umstand Rechnung [ge]tragen [werden], daß es sich bei AGB um Vertragsbedingungen handelt, die nicht – wie bei Individualverträgen – auf ein konkretes Rechtsverhältnis zu einem einzelnen Kunden zugeschnitten sind, sondern die der Verwender ein für allemal aufgestellt hat, um die Vertragsbeziehungen für eine Vielzahl künftiger Abschlüsse mit einem mehr oder weniger großen Kreis künftiger Kunden gleichförmig zu regeln«98. Entscheidend soll also der Zweck der AGB sein, einheitlich eine Vielzahl von Fällen zu re94
Vgl. etwa Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel (5. Aufl. 2008), Art. 8 Rn. 40; Brunner (2004), Art. 4 Rn. 45; Witz/Salger/Lorenz (2000), Art. 8 Rn. 14. 95 Ablehnend Palandt/Heinrichs (67. Aufl. 2008), § 305c Rn. 15; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 359 ff. (der zwar von einer objektiven Auslegung spricht, aber nur eine typisierende Auslegung meint); Bamberger/Roth/Schmidt (2. Aufl. 2007), § 305c Rn. 40; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 43 Rn. 32; Jauernig/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305c Rn. 6 (sie spricht zwar von einer objektiven Auslegung, will aber ein gemeinsames Verständnis bereits im Rahmen der Auslegung berücksichtigen); Lindacher, FS Horn (2006), S. 86 f.; Drexl (1998), S. 350; Wolf/Ungeheuer, JZ 1995, 83; Schmidt-Salzer, JZ 1995, 223 ff.; ders., VersR 1995, 1261 ff. 96 Palandt/Heinrichs (67. Aufl. 2008), § 305c Rn. 16. Ähnlich Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 106; Staudinger/Schlosser (2006), § 305c Rn. 128, 130. 97 Lüderitz (1966), S. 238. 98 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 18. Ähnlich Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 75; Soergel/Hefermehl (13. Aufl. 1999), § 133 Rn. 31.
II. Die objektive Auslegung
521
geln. Das ist nun aber allein das Motiv des Verwenders, warum er AGB aufstellt. Der Vertragspartner weiß um diesen Zweck der AGB. Deshalb werden die AGB typisierend ausgelegt. Aber dort, wo der Verwender im Rahmen der Vertragsverhandlungen zurechenbar bei einem konkreten Vertragspartner den Eindruck erweckt, daß die AGB in einem anderen Sinn verstanden werden sollen, muß sich der Verwender an diese individuelle Auslegung halten lassen und er kann sich nicht auf die typische Bedeutung der AGB berufen. Und erkennt der Verwender vor oder bei Vertragsschluß, daß ein konkreter Vertragspartner AGB in einem anderen als dem objektiven Sinn versteht, so muß diese Auslegung gelten. In einem solchen Fall gibt es ein gemeinsames Verständnis über die Bedeutung der AGB, das durch Auslegung ermittelt werden kann. Die These, daß es im Fall von AGB gar keinen gemeinsamen Willen der Parteien gebe, der durch Auslegung ermittelt werden könnte, weil die AGB einseitig aufgestellt werden, ist damit falsch99. Umgekehrt haben es die Anhänger der objektiven Auslegung bisher unterlassen, auf die in der Vergangenheit vorgetragene Kritik einzugehen: So führte Lüderitz schon 1966 aus100: »Die Lage ändert sich, wenn der Aufsteller der AGB seinerseits den Eindruck erweckt, er berücksichtige die besondere Lage des Kunden, oder dem Kunden besondere Umstände auf seiten des Aufstellers erkennbar werden. Daß hier der Kunde erkennen müsse, er dürfe einer untypischen Bedeutung nicht vertrauen, obwohl aus seiner Perspektive der Erklärende die AGB so verstand, daß also der Kunde den Aufsteller möglicherweise ›besser‹ als dieser sich selbst verstehen muß – dies fordern hieße dem wirtschaftlich Schwächeren fürsorgerische Aufgaben gegenüber dem Stärkeren zumuten. Der Ausschluß solcher Umstände des Einzelfalls ist mit Treu und Glauben nicht vereinbar.«
Ein Teil der modernen Lehre wird sich freilich daran stoßen, daß Lüderitz von wirtschaftlich Schwachen und Starken spricht. Aber selbst wenn wir die Aussage dieses Details entkleiden, bleibt ein Gedanke zurück, den die Vertreter der objektiven Auslegung kaum überwinden können: Der Vertragspartner wird seiner Auslegungsverantwortung gerade gerecht, wenn er bei Verständnisschwierigkeiten nachfragt. Erhält er eine Antwort, wie eine Klausel zu verstehen ist, so muß diese Auslegung gelten. Erweckt der Verwender im konkreten Fall beim Vertragspartner zurechenbar den Eindruck, die AGB seien anders als im typischen Sinn zu verstehen, so würde man den Verwender aus seiner Verantwortung entlassen, würde man dieses untypische Verständnis unberücksichtigt lassen. Zur Erklärungssorgfalt gehört es eben auch, daß der Verwender die Erklärung nicht in einer Art und Weise abgibt, die sie in einem anderen als von ihm gewollten Licht erscheinen läßt. Die objektive Auslegung 99 So aber PK-BGB/Lapp (4. Aufl. 2008, § 305c Rn. 3. Zu vergleichbaren Argumenten im italienischen und französischen Recht siehe oben den Text zu Fn. 19 und 24. 100 Lüderitz (1966), S. 237.
522
§ 14. Auslegung
verändert das Verhältnis von Ausdrucks- und Auslegungssorgfalt einseitig zugunsten des Verwenders. Weiterhin spricht gegen die Ausblendung der konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Auslegung die Vertragsnatur der AGB. Der Sache nach behandelt die herrschende Meinung in Deutschland AGB wie dispositive Normen. Auch für deren Auslegung ist es unbeachtlich, wie sie zwei Vertragsparteien verstanden haben. Liegt indes ein abweichendes Verständnis vor, so ist davon auszugehen, daß die Parteien das Dispositivrecht abbedingen wollten. Die herrschende Meinung in Deutschland, die im Rahmen der Auslegung von AGB die konkreten Umstände des Einzelfalls stets für unbeachtlich erklärt, bleibt so an der an sich überwundenen Normentheorie haften. Die objektive Auslegung wird von ihren Anhängern nicht konsequent angewandt. So betont etwa Basedow mit Blick auf § 305b BGB101: »Aus dem Gesagten folgt, dass § 305b keine Auslegungsregel ist. Vielmehr setzt § 305b voraus, dass die Auslegung von Individualabrede und AGB-Klausel bereits stattgefunden und zu dem Ergebnis geführt hat, dass ein Widerspruch zwischen beiden besteht. Vielfach wird sich aber schon aus der Auslegung der AGB-Klausel ergeben, dass eine Kollision in Wahrheit nicht besteht und § 305b deshalb unanwendbar ist. Ist zB ein Gebrauchtwagen verkauft und dabei vereinbart worden, dass einzelne Teile fabrikneu sein sollen, so kann der Verkäufer sich in Bezug auf die fabrikneuen Teile schon deshalb nicht auf den in einer AGB-Klausel niedergelegten Gewährleistungsausschluss (jetzt: Ausschluss der Ansprüche wegen eines Mangels) berufen, weil diese Klausel – richtig ausgelegt – sich nicht auf die fabrikneuen Teile bezogen hat. Ebenso ist eine individualvertragliche Skontoklausel mit einer Vorschussklausel in AGB vereinbar, da der mit einer Gewährung von Skonto verbundene Preisnachlass keinen Einfluss auf die Frage hat, ob ein Vorschuss zu zahlen ist. Mangels eines Widerspruchs zwischen Individualabrede und AGB-Klausel bedarf es hier nicht der Anwendung des § 305b.«
Mit den angeführten Individualvereinbarungen berücksichtigt Basedow also sehr wohl Umstände des Einzelfalls bei Auslegung der AGB. Dem Grundsatz der objektiven Auslegung würde es allein entsprechen, wenn der Gewährleistungsausschluß und die Vorschußklausel zunächst ohne Rücksicht auf die Individualvereinbarung ausgelegt werden und sodann auftretende Widersprüche allein über § 305b BGB aufgelöst würden. Die deutsche Lehre betont zwar, daß das Erfordernis einer abweichenden Individualvereinbarung höhere Anforderungen stellt, als dies für eine Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Auslegung der Fall wäre102. Überzeugen vermag dies indes nicht: Ob die Parteien eine vom objektiven Sinn der AGB abweichende Individualvereinbarung getroffen haben, ist ebenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln, und die Umstände 101 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305b Rn. 2. Ebenso Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1977), § 5 Rn. 3 f. 102 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 86.
III. Die Revisibilität der Auslegung
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des Einzelfalls, die im übrigen Europa bei der Auslegung der AGB herangezogen werden, müssen nach deutschem Recht zur Bejahung einer Individualvereinbarung führen103. Insoweit bleibt der deutsche Sonderweg ohne praktische Bedeutung104.
III. Die Revisibilität der Auslegung Damit ist zugleich die Frage nach der Revisibilität der Auslegung gelöst. Die herrschende Meinung in Deutschland geht davon aus, daß die Auslegung von AGB anders als die von Individualvereinbarungen analog § 545 Abs. 1 ZPO vollumfänglich im Revisionsverfahren nachprüfbar ist105. Eine solche Revisibilität der Auslegung von AGB fordert die Klauselrichtlinie nicht, und auch in den nationalen Rechten findet sich diese Ausnahme zu den Grundsätzen der normalen Vertragsauslegung nicht106. Sie ist auch für das deutsche Recht abzulehnen. Es liegt schon keine planwidrige Regelungslücke vor, die Voraussetzung für eine Analogie ist107. Die Auslegung von Individualvereinbarungen ist der Überprüfung in der Revisionsinstanz entzogen, weil dem Richter der Tatsacheninstanz bei Deutung der Willenserklärung ein Beurteilungsspielraum zusteht108. Damit steht und fällt die Frage nach der Revisibilität der Auslegung von AGB mit der Antwort auf die Frage nach der Berechtigung ihrer objektiven Auslegung: Wer der Meinung ist, AGB seien immer unter Ausblendung der konkreten Umstände des Einzelfalls auszulegen, der darf die Frage nach der Revisibilität der Auslegung von AGB bejahen. Wer dagegen den hier vertretenen Standpunkt einnimmt, daß AGB nur objektiv ausgelegt werden können, solange nicht konkrete Umstände des Einzelfalls eine abweichende Auslegung erfordern, kann auch nur insoweit eine Revisibilität der Auslegung gutheißen. Im übrigen fehlt es an der für eine Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit zwischen der Gesetzesauslegung und der AGB-Auslegung.
103
Vgl. auch Werba (2005), S. 133. Vgl. auch Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305c Rn. 106. 105 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 364; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 339; MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305c Rn. 45 (mit Hinweis auf die Auswirkungen der Zivilprozeßrechtsnovelle 2002); Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305c Rn. 71; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305c Rn. 33. Zur Revisibilität der Auslegung von Individualvereinbarungen Schäfer, NJW 2007, 3463. 106 Vgl. für Frankreich CassCiv (4.6.1985) BullCiv 1985 I Nr. 175; CassCiv (15.1. 1976), BullCiv 1976 I Nr. 18; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 816. 107 Siehe oben § 3 II C (S. 134 ff.). 108 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 28 Rn. 130. 104
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§ 14. Auslegung
IV. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher Wie schon für die Einbeziehung109 stellt sich auch für die Auslegung die Frage nach den Auswirkungen des Richtlinienvorschlags der Kommission über Verbraucherrechte vom 8.10.2008110. In Art. 36 Abs. 1 normiert der Vorschlag nur die contra proferentem-Regel: »Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung.« Weitere Auslegungsregeln enthält der Vorschlag nicht. Welche Konsequenzen hat es nun, daß der Richtlinienvorschlag dem Konzept der Vollharmonisierung folgt? Besondere nationale Auslegungsregeln, die speziell für die Auslegung solcher Klauseln, die von der Richtlinie erfaßt sind, entwickelt wurden, dürften nach Inkraftsetzung des Richtlinienvorschlags keinen Bestand mehr haben. Hiervon wäre im deutschen Recht der Grundsatz der objektiven Auslegung erfaßt. Freilich müßte sich das deutsche Recht nur in Hinblick auf Verbraucherverträge von dem Grundsatz der objektiven Auslegung verabschieden. Für AGB in Verträgen, die nicht von einer solchen Verbraucherrechterichtlinie erfaßt wären, also insbesondere für Verträge zwischen Unternehmern, dürfte das deutsche Recht dagegen an dem Grundsatz der objektiven Auslegung festhalten. Schon deshalb ist zweifelhaft, ob der Richtlinienvorschlag die Rechtszersplitterung überwinden kann. In Hinblick auf die contra proferentem-Regel des Art. 5 S. 2 RiL 93/13/ EWG kommt es zudem zu einer Rechtszersplitterung allenfalls deshalb, weil sie im Rahmen der nationalen Auslegungslehre einen unterschiedlichen Stellenwert einnimmt und sich in eine jeweils unterschiedliche nationale Auslegungslehre einfügen muß. Aber diesen Zustand könnte eine Richtlinie, die dem Konzept der Vollharmonisierung folgt, nur dann überwinden, wenn sie die Auslegung von Vertragsklauseln umfassend regeln würde. Das tut der Richtlinienvorschlag aber gerade nicht. Indem er anordnet, daß die contra proferentem-Regel nur bei Auslegungszweifeln eingreift, verweist er gerade auf die nationalen Auslegungsregeln. Ob solche Zweifel bestehen, kann auf Grundlage dieser nationalen Auslegungslehren unterschiedlich beantwortet werden. Die Rechtszersplitterung wäre so nicht überwunden. Ja, es scheint geradezu widersinnig zu sein, von einer Vollharmonisierung zu sprechen, wenn in Wirklichkeit nur ein einziges Detail harmonisiert wird. Freilich könnte man Art. 36 Abs. 1 des Vorschlags auch anders auslegen: Man könnte die Ansicht vertreten, daß der Begriff des Zweifels in Art. 36 Abs. 1 des Vorschlags nicht auf die nationalen Auslegungslehren verweist, sondern einheitlich zu verstehen ist. Das hieße aber, über den Begriff des Zweifels eine autonome Lehre der Vertragsauslegung zu schaffen. Bis sich eine 109 110
Siehe hierzu oben § 13 VII (S. 486 ff.). KOM (2008) 614 endg.
V. Zusammenfassung
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solche einheitliche Auslegungslehre in der Rechtsprechung des EuGH herauskristallisieren würde, müßte ein langer Zustand der Rechtsunklarheit in Kauf genommen werden. Zudem wäre auch mit einem solchen Ansatz nicht die beklagte Rechtszersplitterung zu überwinden. Denn die so entwickelte Auslegungslehre würde nur für Verbraucherverträge gelten.
V. Zusammenfassung A. Das Verhältnis zwischen der contra proferentem-Regel und dem Grundsatz der normativen Auslegung zu bestimmen, ist nicht ohne weiteres möglich. Denn bei dem Grundsatz der normativen Auslegung handelt es sich um eine Auslegungsmethode, die darüber aufklärt, wie ein Auslegungsergebnis zu ermitteln ist. Die contra proferentem-Regel ist dagegen eine Auslegungsregel, die darüber Auskunft gibt, was Auslegungsergebnis ist. Eine Auslegungsmethode und eine Auslegungsregel können nicht in Beziehung zueinander gesetzt werden. Der Standort der contra proferentem-Regel in der modernen Auslegungslehre kann nur bestimmt werden, wenn auch der Grundsatz der normativen Auslegung in die einzelnen Auslegungsmaximen, aus denen er hervorging und die auch heute noch bei Anwendung dieses Grundsatzes eine große praktische Bedeutung spielen, aufgelöst wird. Das Verhältnis zwischen diesen Auslegungsregeln, die in ihrer Synthese den Grundsatz der normativen Auslegung ausmachen, und der contra proferentem-Regel muß bestimmt werden. Dann bestimmt man nicht das Verhältnis von Methode und Regel, sondern von Regel und Regel, und das allein ist möglich. Die contra proferentem-Regel beruht ebenso wie der Grundsatz der normativen Auslegung auf einem Verantwortungsgedanken: Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß den Erklärenden in bestimmten Situationen eine gesteigerte Verantwortung für seine Erklärung trifft, die es rechtfertigt, die Erklärung nicht nur so zu verstehen, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, sondern gegen ihn auszulegen. Eine solche Situation liegt bei Verbrauchern wie auch bei Unternehmern als Vertragspartner vor, wenn der Verwender Vertragsbedingungen einseitig stellt. Ebenso wie die einzelnen Auslegungsregeln, die in ihrer Gesamtheit den Grundsatz der normativen Auslegung ausmachen, nicht in einem starren Stufenverhältnis zueinander stehen, können auch die contra proferentem-Regel und diese übrigen Auslegungsregeln nicht in eine strikte, logische Ordnung gebracht werden. Vielmehr muß bei Anwendung jeder einzelnen Auslegungsregel im Einzelfall geprüft werden, ob das mehr an Verantwortung zu ihrer modifizierten Anwendung oder gar ihrer Ersetzung führt. Die contra proferentem-Regel ist nach alledem nicht subsidiär zum Grundsatz der normativen Auslegung und findet auch nicht vorrangig Anwendung.
526
§ 14. Auslegung
Sie kann auf den auch dem Grundsatz der normativen Auslegung zugrundeliegenden Verantwortungsgedanken zurückgeführt werden, ist damit Teil dieses Grundsatzes und führt zu seiner qualifizierten Anwendung. B. Nach dem Grundsatz der objektiven Auslegung kommt es bei der Auslegung nicht darauf an, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des konkreten Vertragspartners nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. An die Stelle des konkreten Vertragspartners tritt vielmehr der typische Vertragspartner. Bei diesem typisierenden Aspekt der objektiven Auslegung handelt es sich freilich um keine Besonderheit der Auslegung von AGB. Um eine wirkliche Besonderheit handelt es sich dagegen, daß die konkreten Umstände des Einzelfalls nach der herrschenden, aber nicht unumstrittenen Meinung in Deutschland stets unbeachtlich sein sollen. Die konkreten Umstände des Einzelfalls, aus denen sich ein vom typischen Sinn der AGB abweichendes Parteiverständnis ergibt, sollen nur beachtlich sein, wenn sie auf eine entsprechende Individualvereinbarung hindeuten. Dieser zweite Aspekt des Grundsatzes der objektiven Auslegung hat sich in Deutschland erst im Laufe des 20. Jh. herauskristallisiert. Er findet keine Entsprechung im Rechtsvergleich. Und er ist auch für das deutsche Recht abzulehnen. Die für ihn vorgebrachten Begründungen überzeugen nicht. Gegen die herrschende Meinung, die alle individuellen Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Auslegung völlig ausblenden will, spricht, daß sie an der an sich überwundenen Normentheorie verhaften bleibt, indem sie AGB-Klauseln mit Bestimmungen des dispositiven Rechts gleichstellt. In der Regel treten individuelle Umstände, die im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden müssen, aber auch gar nicht hervor, so daß es bei der typisierenden Auslegung bleibt. Deuten individuelle Umstände des konkreten Falles indes ausnahmsweise auf ein abweichendes Parteiverständnis hin, dürfen sie im Rahmen der Auslegung nicht unberücksichtigt bleiben. C. Die Auslegung von AGB ist nicht immer revisibel, sondern nur solange AGB objektiv ausgelegt werden und damit im konkreten Einzelfall keine individuellen Umstände vorhanden sind, welche die Auslegung beeinflussen.
§ 15. Inhaltskontrolle Ein mangelndes Problembewußtsein gegenüber dem einseitig aufgestellten AGB-Inhalt konnten wir im 19. Jh. nicht feststellen1. Vielmehr kristallisierten sich bereits die Formen der Inhaltskontrolle heraus, die bis heute prägend sind. Auch die Gründe, die im 20. Jh. für die Notwendigkeit einer Kontrolle angeführt wurden, waren mit dem Monopolmißbrauch und der Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien bereits zur Mitte des 19. Jh. herausgearbeitet worden. Die Kontrolldichte war als Folge bereits im ausgehenden 19. Jh. und zu Beginn des 20. Jh. beträchtlich. Problematisch war freilich, daß es sich nur um punktuelle Eingriffe handelte. Die Notwendigkeit, über diese punktuellen Eingriffe hinauszugehen, erkannte man zu Beginn des 20. Jh.2. Dabei konkurrierten unterschiedliche Konzepte. Einige sprachen sich für die vermehrte Einführung zwingenden Rechts aus. Vor allem zur Zeit des Nationalsozialismus setzte man auf wirtschaftsverwaltungsrechtliche Maßnahmen. Als Folge von Raisers Arbeit trat die offene richterliche Inhaltskontrolle wieder ins Zentrum der Betrachtungen. Nach 1945 arbeitete die Literatur an seine Studie anknüpfend neue Möglichkeiten heraus, wie die Praxis die Grenzen der Monopolrechtsprechung überwinden könne, und ebnete so den Weg für das AGBG. Rückblickend konnten wir indes ein Defizit dieser Entwicklung feststellen. Obwohl vor allem in den 1970er Jahren der persönliche Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle kontrovers diskutiert wurde – Soll sie nur zugunsten von Verbrauchern oder auch von Kaufleuten erfolgen? –, wurde die Beschränkung der Inhaltskontrolle auf AGB nicht in Frage gestellt, und der AGB-Begriff fand so als Systembegriff Eingang in das AGBG. Doch hätte dieser Begriff auf Grundlage der in der Literatur erörterten Schutzgründe kritisch hinterfragt werden müssen. Raiser glaubte, die Inhaltskontrolle diene dem Gemeinwohl, das durch unbillige AGB betroffen werde. Unbillige Individualvereinbarungen mögen zwar den konkreten Vertragspartner ebenso hart treffen wie unbillige AGB. Da durch sie das Gemeinwohl aber nicht berührt sei, könne eine Inhaltskontrolle nicht stattfinden. Andere meinten dagegen, der Schutz der schwächeren Vertragspartei sei Zweck der Inhaltskontrolle. Die Schutzbedürftigkeit eines konkreten Vertragspartners hängt aber nicht davon ab, ob 1 2
Hierzu und zum folgenden ausführlich oben § 4 (S. 138 ff.). Hierzu und zum folgenden ausführlich oben § 9 (S. 287 ff.).
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§ 15. Inhaltskontrolle
einseitig gestellte Vertragsbedingungen für eine Vielzahl von Verträgen oder nur für einen einzigen Vertrag vorformuliert worden sind. Damit stellt sich aus rechtshistorischer Sicht an das geltende Recht die Frage, ob der AGB-Begriff als Systembegriff des BGB noch Bestand haben kann. Müssen nicht alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen Gegenstand der Inhaltskontrolle sein? Freilich ist die Begrenzung der Inhaltskontrolle auf AGB auch in der Vergangenheit auf Kritik gestoßen: Seit den 70er Jahren forderten einzelne Autoren immer wieder, daß alle einseitig gestellten bzw. alle nicht ausgehandelten Vertragsbedingungen der Inhaltskontrolle unterfallen müßten3. Diese Ansichten stießen auf Ablehnung4, konnte sich die herrschende Meinung doch darauf zurückziehen, dem Gesetz entspreche es, die Schutzbedürftigkeit typisierend nur zu bejahen, wenn unangemessene Klauseln in einer Vielzahl vorformulierter Verträge Verwendung finden5. Die Erkenntnis, daß der AGB-Begriff in der Diskussion, die zum AGBG führte, niemals ernsthaft hinterfragt worden ist, fordert dazu heraus, mit der aufgeworfenen Frage erneut und vor allem ergebnisoffen an das geltende Recht zu treten. Damit rückt ein Aspekt in den Vordergrund, der in den vorstehenden Abschnitten vernachlässigt werden konnte6: Der Rechtsvergleich ergab, daß der Anwendungsbereich der Geltungsvoraussetzungen in Europa ganz unterschiedlich definiert wird. Einige Rechte beschränken sie auf die Einbeziehung von AGB, andere beziehen sie auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln. In einigen Rechten sind sie in persönlicher Hinsicht von allgemeiner Anwendung und gelten auch im Unternehmerverkehr. In anderen Rechten müssen sie nur in Verbraucherverträgen beachtet werden. Oben konnte die Frage nach dem Anwendungsbereich der Geltungsvoraussetzungen vernachlässigt werden, weil Ergebnis war, daß eine Normierung besonderer Einbeziehungsvoraussetzungen nicht notwendig ist. Nur beiläufig wurde festgestellt, daß, wenn Einbeziehungsvoraussetzungen normiert werden, sich diese auf alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen beziehen müssen. Auch die Frage nach dem Anwendungsbereich der contra proferentem-Regel stand nicht im Zentrum unserer Betrachtungen, obwohl sich dieser im Vergleich ähnlich verwirrend darstellte. Denn es wurde das Verhältnis der contra proferentem-Regel zum Grundsatz der normativen Auslegung beleuchtet und dabei ergab sich, daß die contra proferentem-Regel als Teil des Grundsatzes der normativen Auslegung verstanden werden muß. Doch haben wir auch hier beiläufig feststellen können, daß es allein dem Zweck der contra proferentemRegel entspricht, sie auf alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen anzu3 4 5 6
So z.B. Kramer, ZHR 146 (1982), 105 ff. Vgl. auch Bunte, NJW 1987, 921 ff. Vgl. statt aller Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), Vor § 8 Rn. 26 ff. Statt aller Stein (1982), S. 58, 98. Zum folgenden § 13 I B (S. 351 ff.), IV F (S. 475 f.) sowie § 14 I A 2 (S. 499 ff.).
§ 15. Inhaltskontrolle
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wenden7. Nunmehr tritt die Frage nach dem Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen. Doch ist sofort eine Einschränkung zu machen: Gegenstand eines Unterlassungsklageverfahrens können nur AGB sein. Obwohl der Richtlinie 93/13/ EWG der AGB-Begriff als Systembegriff fremd ist und sie die Inhaltskontrolle im Individualverfahren auf alle nicht individuell ausgehandelten Klauseln erstreckt, sind die Vorgaben in Hinblick auf Unterlassungsklageverfahren der Sache nach auf AGB beschränkt. So statuiert Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie: »Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung mißbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.«
Die von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen sind nur für den Fall erforderlich, daß ein Verwender seine mißbräuchlichen Klauseln in der Vergangenheit genutzt hat und zu befürchten ist, daß er sie in der Zukunft weiter nutzen wird (»ein Ende gesetzt wird«). Das ist nur bei Klauseln denkbar, die zumindest für eine Mehrzahl von Verträgen vorformuliert worden sind8. Folglich beschränkten sich auch die Mitgliedstaaten bei Umsetzung des Art. 7 der Richtlinie auf AGB. Dabei verwenden die entsprechenden Normen oft den AGB-Begriff oder eine Entsprechung, so etwa in Österreich § 28 KSchG (»Allgemeine Geschäftsbedingungen)9, in Italien Art. 37 CCons (»condizioni generali di contratto«)10, in Frankreich Art. L 421-2 und Art. L 421-6 CCons (»le type de contrat«)11, in Spanien Art. 12 AGBG (»condiciones generales«)12 und in England und Schottland regulation 10 UTCCR 1999 (»contract term drawn up for general use«)13. Schließlich kennen die Rechte Europas in unterschiedlicher Ausprägung eine Inhaltskontrolle durch die Verwaltung. Sie steht etwa in Skandinavien traditionell im Vordergrund14. In Frankreich besteht seit 1978 die Möglichkeit, daß der Conseil d’Etat auf Empfehlung einer Commission des clauses abusives durch Dekret die Verwendung mißbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen verbietet15. Im übrigen Eu7
Siehe oben § 14 I B 2 (S. 512 f.). Vgl. Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Art. 7 Rn. 7. 9 Hierzu Lurger/Augenhofer (2. Aufl. 2008), S. 249 ff. 10 Hierzu Vettori/Lucchesi (2007), Art. 37 § 1. 11 Hierzu umfassend Franke (2002), S. 66 ff. 12 Vgl. Hettich (2007), S. 175 ff.; Piske (2002), S. 228 ff.; Fischer (2000), S. 124 ff. 13 Hierzu Chitty/Whittaker I (30. Aufl. 2008), §§ 15–132 ff.; Office of Fair Trading v. Foxton Ltd [2009] 3 AllER 697 ff. 14 Vgl. statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007) Vor § 305 Rn. 23, 25, 27. 15 Hierzu Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck (2. Aufl. 2005), Rn. 754; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 325; Raymond (2005), JCl Com, Concurrence, consommation, Fasc 820 Rn. 10 ff.; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 79; Mazeaud/Chabas II/1 (9. Aufl. 1998), Rn. 88-2; Baier (2004), S. 156 ff.; Coßmann (2002), S. 129 ff., 202 ff.; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 821 ff.; Klima, RIW 1992, 98 ff. 8
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§ 15. Inhaltskontrolle
ropa ist eine solche Kontrolle durch die Verwaltung zumindest in einzelnen Branchen, wie im Bank- und Versicherungswesen, von Bedeutung16. Gegen eine Beschränkung dieser Formen der Inhaltskontrolle auf AGB ist nichts einzuwenden. Denn hier steht das öffentliche Interesse, den Markt von unangemessenen AGB zu reinigen, als überindividueller Schutzgrund naturgemäß im Vordergrund17. Die folgenden Betrachtungen sind demnach auf die offene richterliche Inhaltskontrolle im Individualverfahren beschränkt.
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive A. Die richterliche Inhaltskontrolle im Gemeinschaftsrecht Die Klauselrichtlinie ist nicht auf die Inhaltskontrolle von AGB beschränkt. Sie nennt vorformulierte Standardverträge nur beispielhaft18 und unterstellt alle nicht im einzelnen ausgehandelten Klauseln der Kontrolle19. Eine Vertragsklausel gilt nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 als nicht im einzelnen ausgehandelt, »wenn sie im voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb […] keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte«. Der Klauselrichtlinie ist der AGBBegriff als Systembegriff damit fremd. Sie geht von einem anderen Systembegriff aus, dem der nicht individuell ausgehandelten Klausel. In persönlicher Hinsicht erfaßt die Richtlinie nur Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern20. Die Richtlinie wäre Anlaß gewesen, in Deutschland den AGB-Begriff als Systembegriff kritisch zu hinterfragen. Eine solche Debatte blieb, von einzelnen Ausnahmen abgesehen21, indes aus. Der deutsche Gesetzgeber reagierte auf die Vorgaben der Richtlinie vielmehr mit einer Zweiteilung. Bei Verbraucherverträgen werden von der Inhaltskontrolle nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB alle vorformulierten Vertragsbedingungen erfaßt, auch wenn sie nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte. Zudem modifizierte der deutsche Gesetzgeber den AGB-Begriff des § 305 Abs. 1 BGB durch § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB: In Verbraucherverträgen gelten AGB als vom 16 Für Deutschland vgl. etwa die Nachweise bei MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), Vor § 307 Rn. 16, § 307 Rn. 145, 198, 232; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 401 ff.; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 96 f. Zu den kartellrechtlichen Kontrollverfahren vgl. nur Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 404 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 76 ff. 17 Mit Blick auf Art. 7 RiL 93/13/EWG siehe nur EuGH (26.10.2006), Rs C-168/05 (Mostazza Claro/Móvil), Slg. 2006, I-10421 Rn. 27. 18 Art. 3 Abs. 2 S. 1 und Erwägungsgrund 9 RiL 93/13/EWG. 19 Art. 3 Abs. 1 und Erwägungsgrund 12 S. 2 RiL 93/13/EWG. 20 Art. 1 Abs. 1 und Erwägungsgrund 10 S. 2 RiL 93/13/EWG. 21 Vgl. Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45 ff.
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive
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Unternehmer gestellt, es sei denn, daß sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden. Nur die Inhaltskontrolle von Vertragsbedingungen, die insbesondere gegenüber Unternehmern verwendet werden, ist weiterhin auf AGB i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB begrenzt. Ist es damit noch sachgerecht, mit Blick auf die §§ 305 ff. BGB von einem AGB-Recht zu sprechen? Leitet die Richtlinie nicht die Ablösung des AGB-Begriffs als Systembegriffs ein? Auch die Klauselrichtlinie fordert damit dazu auf, mit der Frage, die hier aus historischer Perspektive entwickelt wurde, an das geltende Recht heranzutreten. Ansätze einer Inhaltskontrolle, die von der Klauselrichtlinie abweichen, enthält die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG22. Nach Art. 22 Abs. 1f stellen die Mitgliedstaaten »sicher, dass die Dienstleistungserbringer den Dienstleistungsempfängern folgende Informationen zur Verfügung stellen: […] f) gegebenenfalls die vom Dienstleistungserbringer verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und Klauseln«. Nach Art. 22 Abs. 4 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, »dass die Informationen, die der Dienstleistungserbringer gemäß diesem Kapitel zur Verfügung stellen oder mitteilen muss, klar und unzweideutig sind«. Ein Teil der Literatur meint hier eine Inhaltskontrolle erkennen zu können, die persönlich unbeschränkt ist, also auch zugunsten von Unternehmern als Vertragspartner greift, die aber auf eine bloße Transparenzkontrolle reduziert und sachlich auf die Prüfung von AGB beschränkt ist23. Doch kann der Begriff »Klauseln« in der Wendung »die vom Dienstleistungserbringer verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingung und Klauseln« auch so verstanden werden, daß er über die zuvor genannten AGB hinausgeht und, gerade so wie die Klauselrichtlinie, alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln erfaßt. Mit beiden Auslegungen würde die Transparenzkontrolle der Dienstleistungsrichtlinie von der Inhaltskontrolle in ihrem Anwendungsbereich abweichen: Mit der von der Literatur bevorzugten Lesart wäre, anders als nach der Klauselrichtlinie, die Kontrolle auch in Verbraucherverträgen auf AGB beschränkt. Mit der anderen Auslegung wären auch in Verträgen unter Unternehmern alle nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsklauseln Kontrollgegenstand.
B. Die richterliche Inhaltskontrolle in den nationalen Rechten Die Klauselrichtlinie wurde in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich umgesetzt, denn sie gibt nur eine Mindestharmonisierung vor24. Ob die nationalen Rechte über ihre Vorgaben hinausgehen oder sie bloß abbilden, ist dabei 22 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt. 23 Schmidt-Kessel, GPR 2008, 67. A.A. Schauer, 2008 ERCL 9 f., der betont, den Mitgliedstaaten stehe frei, eine Sanktion auszuwählen, etwa ein Widerrufsrecht oder Schadensersatz. 24 Vgl. Art. 8 RiL 93/13/EWG.
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§ 15. Inhaltskontrolle
auch historisch bedingt und hängt davon ab, ob die nationalen Rechte bereits vor Umsetzung der Richtlinie eine weitergehende richterliche Inhaltskontrolle im Individualverfahren kannten. So führte der italienische Gesetzgeber zwar bereits 1942 die Einbeziehungsproblematik einer Lösung zu25. Die Grundlage einer Inhaltskontrolle schuf er damals indes nicht. Obwohl die Literatur seit langem für eine Inhaltskontrolle eintrat, verneinte die Rechtsprechung die Möglichkeit eines solchen Eingriffs in den Vertrag26. Der Gesetzgeber reagierte erst als Folge der Klauselrichtlinie. Er setzte sie 1996 zunächst in den Art. 1469-bis ff. CC um27. 2005 gliederte er diese Vorschriften in den Codice del consumo aus28. Die Inhaltskontrolle ist ebenso wie die der Richtlinie nach Art. 33 Abs. 1 CCons auf Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern beschränkt29 und erfaßt gemäß Art. 34 Abs. 4 CCons alle Klauseln, die nicht Gegenstand individueller Verhandlungen waren30. Der italienische Gesetzgeber folgte also insoweit der Richtlinie. Nur in Art. 36 Abs. 2 CCons ging er über die Richtlinie hinaus und erstreckte die Inhaltskontrolle auch auf individuell ausgehandelte Klauseln in Verbraucherverträgen31. Ähnlich ist die Rechtslage in Spanien, Polen, Lettland und der Slowakei: In Spanien findet sich zwar in Art. 12 ff. AGBG die richterliche Inhaltskontrolle im Verbandsklageverfahren. Die richterliche Inhaltskontrolle im Individualverfahren ist in Art. 8 Abs. 1 AGBG hingegen nur unvollständig geregelt. Sie 25
Siehe oben § 13 I B 3 (S. 365 ff.). Hierzu Patti, JbItalR 18 (2005), 9 f.; Rausch (2004), S. 51 ff.; Coors (2001), S. 58 ff.; Jayme, IPRax 1982, 38 f. Zu Ansätzen einer Inhaltskontrolle Jayme, JbItalR 3 (1990), 135 ff.; Rausch (2004), S. 54 ff.; Coors (2001), S. 71 ff. 27 Hierzu Galgano (11. Aufl. 2001), S. 304 ff.; Patti, JbItalR 18 (2005), 10 f.; ders., JbItalR 10 (1997), 77 ff.; Cian, ZEuP 6 (1998), 586 ff.; ders., JbItalR 10 (1997), 55 ff.; Gallo (1999), S. 426 ff.; Sirena, JbItalR 11 (1998), 67; Antoniolli (1999), S. 144 ff.; Nebbia (1999), S. 309; Rizzo, JbItalR 11 (1998), 53 ff.; Wurmnest, ZEuP 12 (2004), 971 ff.; Herkenrath (2002), S. 75 ff.; Coors (2001), S. 126 ff.; Lühring (2000), S. 88 ff. 28 Zum Codice del consumo Gebauer, JbItalR 20 (2007), 3 ff.; Omodei-Salè, ZEuP 15 (2007), 785 ff.; Antoniolli, FS Hondius (2007), S. 213 ff.; Tescaro, GPR 2006, 158 ff. Kritisch zu dieser Ausgliederung Patti, in: Remien (2008), S. 111 f. 29 Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 517 f.; Perlingiere/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 411 f. Kritisch zu dieser Beschränkung Patti, in: Remien (2008), S. 112. 30 Vettori/Meucci (2007), Art. 34 § 4 ; Stanzione/Sciancalepore/Salito (2006), Art. 34 § 4; Catelani/Graziuso (2006), Art. 34 § 4; Perlingiere/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 412; Cian, ZEuP 6 (1998), 587; ders., JbItalR 10 (1997), 58 f.; Sirena, JbItalR 11 (1998), 68; Patti, JbItalR 18 (2005), 13 ff.; ders., JbItalR 10 (1997), 78; Baier (2004), S. 92 ff.; Heeschen (2007), S. 92 ff. Strittig ist, auf welcher Ebene von Bedeutung ist, daß Klauseln nicht individuell ausgehandelt sind: wird so der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle beschränkt oder fließt dies in die Inhaltskontrolle ein, so daß inidividuell ausgehandelte Klauseln nicht mißbräuchlich sind?: hierzu Minervini, in: Roppo/Gentili IV (2006), S. 533 f.; Alpa/Patti/Scarano (2003), Art. 1469ter Abs. 4 § 2. 31 Perlingiere/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 412; Patti, JbItalR 18 (2005), 17; ders., JbItalR 10 (1997), 86; Lühring (2000), S. 100. 26
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive
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erfaßt zwar auch AGB im Unternehmerverkehr, geht aber nicht über die allgemeinen Kontrollmaßstäbe hinaus32. Die Klauselrichtlinie wurde im Ende 2007 neugefaßten KSchG umgesetzt. Die hier geregelte Inhaltskontrolle ist nach Art. 82 f. KSchG auf nicht individuell ausgehandelte Klauseln in Verbraucherverträgen beschränkt33. Das polnische Recht kennt ebenfalls nur eine besondere Inhaltskontrolle nicht individuell ausgehandelter Klauseln in Verträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern34. Und auch nach lettischem Recht erfolgt gemäß § 6 KSchG nur eine besondere Inhaltskontrolle von nicht individuell ausgehandelten Klauseln in Verbraucherverträgen. Eine Inhaltskontrolle etwa von AGB im Unternehmerverkehr ist dem lettischen Recht, soweit ersichtlich, fremd35. Die Inhaltskontrolle des slowakischen Rechts ist im Abschnitt über Verbraucherverträge des BGB geregelt. § 53 Abs. 1 BGB enthält die Generalklausel. Trotz des weiten Wortlauts des § 53 Abs. 1 BGB ist die Kontrolle auf nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen beschränkt, wie sich aus der Definition des Verbrauchervertrages in § 52 Abs. 1 BGB ergibt. Das italienische, spanische, polnische, lettische und slowakische Recht kennen damit eine Inhaltskontrolle, die einerseits in ihrem persönlichen Anwendungsbereich auf Verbraucherverträge beschränkt ist, andererseits sachlich zwar über eine bloße Kontrolle von AGB hinausgeht, sich aber dennoch nicht auf alle Vertragsbedingungen in Verbraucherverträgen bezieht, sondern nur nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen erfaßt. Andere Rechte gehen dagegen über die Richtlinie hinaus und erweitern entweder den persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle oder stellen ein differenziertes Modell zur Verfügung. Nur in persönlicher Hinsicht geht das portugiesische Recht über die Richtlinie hinaus: Die Generalklausel der Inhaltskontrolle in Art. 15 AGBG gilt ihrem Wortlaut nach zwar nur für AGB. Gemäß Art. 1 Abs. 2 AGBG ist das Gesetz aber auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen anwendbar, und zwar nicht nur in Verbraucherverträgen, sondern auch im Unternehmerverkehr. Nur für Verbraucherverträge gelten freilich die absoluten und relativen Klauselverbote der Art. 21 f. AGBG. Die Klauselverbote der Art. 18 und 19 AGBG sind dagegen von allgemeiner Geltung36. Ähnlich wie das portugiesische verfährt das österreichische Recht. Es kennt in § 879 Abs. 3 ABGB eine Generalklausel der Inhaltskontrolle von 32 Hierzu Trillmich (2009), S. 299 ff.; Hettich (2007), S. 172 ff.; Kohtes (2004), S. 132 ff.; Piske (2002), S. 173 ff.; Fischer (2000), S. 122 f.; Fischer, RIW 1998, 691. 33 Trillmich (2009), S. 124 ff., 143 ff. 34 Hierzu kritisch Kempter (2007), S. 150 ff.; Heidenhain (2001), S. 234 f. Vgl. außerdem Bourgoignie (2001), S. 36 ff. 35 Gearbeitet wurde mit dem KSchG und dem lettischen ZGB in der unter http://www. ttc.lv abrufbaren Übersetzung (zuletzt besucht am 30.09.2009). 36 Vgl. hierzu auch Ebers (2008), S. 217.
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§ 15. Inhaltskontrolle
AGB37. § 879 Abs. 3 ABGB ist dabei nicht auf die Kontrolle von AGB in Verbraucherverträgen beschränkt, sondern ist auch bei zwischen Unternehmern geschlossenen Verträgen einschlägig38. Darüber hinaus wird von Literatur und Rechtsprechung eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die Inhaltskontrolle aller einseitig vorformulierter Vertragsklauseln, also auch solcher, die nicht mehrfach verwendet werden sollen, bejaht, und zwar selbst dann, wenn der Vertragspartner Unternehmer ist39. Hintergrund dieser analogen Anwendung des § 879 Abs. 3 ABGB ist, daß die Beschränkung der Inhaltskontrolle auf AGB in § 879 Abs. 3 ABGB nicht mit der Richtlinie in Einklang steht40. Als Folge wird die Generalklausel der Inhaltskontrolle in ihrem persönlichen Anwendungsbereich unbeschränkt auf alle Vertragsbedingungen angewendet, die einseitig vorformuliert sind. Für Verbraucherverträge wird § 879 ABGB dann durch § 6 KSchG konkretisiert und ergänzt41. Dieser § 6 KSchG enthält in seinen beiden ersten Absätzen zwei Kataloge von Klauselverboten. Der eine gilt auch für Individualvereinbarungen und der andere nur für solche Klauseln, die nicht individuell ausgehandelt worden sind42. Nur in sachlicher Hinsicht geht das französische Recht über die Richtlinie hinaus: Ebenso wie in Italien wurde auch in Frankreich eine richterliche Inhaltskontrolle erst 1995 mit Umsetzung der Richtlinie eingeführt43. Zuvor hatte sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, punktuell, etwa für Transportverträge oder Abzahlungsgeschäfte, zwingendes Recht zu erlassen44. Art. L 132-1 Abs. 1 CCons enthält die neugeschaffene Inhaltskontrolle45. Kontroll-
37 Hierzu Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 879 Rn. 22 ff.; Rummel/Krejci (3. Aufl. 2000), § 879 Rn. 231 ff. 38 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 879 Rn. 22; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 105; OGH (13.6.2005) ecolex 2006 120. 39 Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 879 Rn. 22; P. Bydlinski, Grundzüge (7. Aufl. 2007), Rn. 437; Rummel/Krejci (3. Aufl. 2000), § 879 Rn. 235 f.; Kiendl (1997), S. 135; OGH (12.8.2004), JBl 2006, 103 mit abl. Anm. von Leitner. 40 Vgl. hierzu Ebers (2008), S. 198. 41 Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer/Langer (2004), § 6 Rn. 1. Zu den Einzelheiten Lurger/ Augenhofer (2. Aufl. 2008), S. 121 ff.; Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger/Kathrein (2. Aufl. 2007), § 6 Rn. 1 ff.; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 105. 42 Deixler-Hübner (1996), Rn. 41. 43 Hübner/Constantinesco (4. Aufl. 2001), S. 168. Zu den Ansätzen einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle vor Umsetzung der Richtlinie Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 81; Coßmann (2002), S. 208 ff.; Lühring (2000), S. 17 ff.; Brock (1998), S. 120 ff.; Zweigert/Kötz (3. Aufl. 1996), S. 332; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 829; Klima, RIW 1992, 101 f. 44 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 201; Müller/Otto (1994), S. 131; Sonnenberger, RIW 1990, 166; v. Hippel, RabelsZ 41 (1977), 258. 45 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck (2. Aufl. 2005), Rn. 602, 754; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 320; Claret (2002), JCl Civ, Art. 1109 Fasc. 10 Rn. 107 ff.; Lühring (2000), S. 78 ff. Zur Umsetzung der Richtlinie Tilmann (2002), S. 25 ff.; Berger-Walliser, RIW 1996, 459 ff.; Witz/Wolter, ZEuP 3 (1995), 885 ff.; Morin, VuR 1995, 381 ff.
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive
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gegenstand sind alle mißbräuchlichen Klauseln und nicht nur Klauseln, die nicht Gegenstand von individuellen Verhandlungen waren46. AGB sind in Art. L 132-1 Abs. 4 CCons nur beispielhaft genannt. So wie nach der Richtlinie sind Verträge mit Verbrauchern, daneben aber auch solche mit Nichtunternehmern erfaßt47. In persönlicher und in sachlicher Hinsicht gehen die skandinavischen Rechte über die Richtlinie hinaus48: Das finnische, schwedische und dänische VertragsG enthalten jeweils in § 36 Abs. 1 eine Generalklausel, die weder auf Verbraucherverträge noch auf AGB und auch nicht auf nicht individuell ausgehandelte Vertragsbestimmungen beschränkt, sondern von allgemeiner Geltung ist. Für Verbraucherverträge konkretisieren und modifizieren die einzelnen Rechte in unterschiedlicher Weise diese Generalklausel, so das finnische KSchG in den Kapiteln 3 und 4, das dänische VertragsG in § 38C und das schwedische VerbrVertragsbdG in § 1149. Andere Rechtsordnungen gehen ebenfalls in persönlicher und sachlicher Hinsicht über die Vorgaben der Richtlinie hinaus, differenzieren dabei indes. So normiert das litauische Recht50 in Art. 6188 Abs. 1 ZGB eine Generalklausel für die Inhaltskontrolle von Klauseln in Verbraucherverträgen. Sie ist nicht auf die Kontrolle nicht individuell ausgehandelter Klauseln beschränkt. Nur für Verbraucherverträge geht die litauische Inhaltskontrolle damit über die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Abs. 2 ergänzt sodann eine schwarze Liste von Klauseln, die als mißbräuchlich gelten. Diese schwarze Liste greift allerdings nur, wenn die Klausel nicht individuell ausgehandelt worden ist. Hält eine Klausel dieser Inhaltskontrolle nicht stand, so ist sie unwirksam. Art. 6186 Abs. 3 ZGB enthält eine zweite Generalklausel. Sie ist nicht auf Verbraucherverträge beschränkt, gilt also auch im Unternehmerverkehr. Kontrollgegenstand sind aber nur AGB. Das litauische Recht geht also auch in persönlicher Hinsicht über die Klauselrichtlinie hinaus, begrenzt die Kontrolle hier aber sachlich. Hält eine AGB-Klausel dieser Inhaltskontrolle nicht stand, so ist der gesamte Vertrag anfechtbar.
46 Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 179; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 321 ff.; Herkenrath (2002), S. 112 f.; Burckhardt (2000), S. 61 f.; Lühring (2000), S. 79 f.; Brock (1998), S. 41 ff. 47 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 321 f.; Hübner/Constantinesco (4. Aufl. 2001), S. 170. Zu den Nichtunternehmern Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 178; Raymond (2005), JCl Com, Concurrence, consommation, Fasc. 820 Rn. 35 ff.; Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 30; Baier (2004), S. 163 ff.; Herkenrath (2002), S. 88 f.; Coßmann (2002), S. 134 ff.; Burckhardt (2000), S. 54 ff.; Lühring (2000), S. 27 ff.; Brock (1998), S. 11 ff. 48 Vgl. zum folgenden Wilhelmsson (1999), S. 14 ff. 49 Hierzu Ebersohl (2003), S. 211 ff.; Ebers (2008), S. 219 f. 50 Die fast identische Wiederholung des Art. 6188 ZGB in Art. 11 KSchuG a.F. findet sich in der Fassung vom 1.12.2007 nicht mehr. Hierzu noch MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 42; Ebers (2008), S. 214.
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§ 15. Inhaltskontrolle
Auf eigene Weise differenzieren das englische und schottische Recht: Da ist zum einen die Inhaltskontrolle nach dem UCTA 197751: Kontrollgegenstand sind allein Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln. Die Inhaltskontrolle ist gemäß s. 1(3) des Acts grundsätzlich nur dann einschlägig, wenn derjenige, der sich auf eine solche Klausel beruft, Unternehmer ist. Section 2 erfaßt Klauseln, welche die Haftung für Fahrlässigkeit und Vorsatz52 ausschließen oder beschränken. Diese Kontrolle ist weder auf AGB noch auf nicht individuell ausgehandelte Klauseln und auch nicht auf Bedingungen in Verbraucherverträgen beschränkt. Section 3 reguliert sodann Klauseln, welche die Haftung wegen Vertragsbruchs ausschließen oder begrenzen. Nach s. 3(1) erstreckt sich diese Kontrolle in Verbraucherverträgen auf alle Klauseln und nicht bloß auf AGB oder nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen. Handelt es sich um keinen Verbrauchervertrag, so sind Kontrollgegenstand von s. 3 dagegen nur Haftungsausschluß- und -begrenzungsklauseln in AGB (standard terms of business), wobei der AGB-Begriff des UCTA 1977 weder definiert wird noch in Literatur und Rechtsprechung abschließend geklärt ist53. Doch kristallisiert sich ein Verständnis heraus, daß einerseits im Vergleich zum deutschen Recht weiter geht. So soll es für die Anwendbarkeit der Inhaltskontrolle der s. 3 unbeachtlich sein, wenn die standard terms of business Gegenstand von Vertragsverhandlungen waren54. Auf der anderen Seite ist der Begriff der standard terms of business in s. 3 aber auch enger als der deutsche AGB-Begriff. Denn von der Inhaltskontrolle sollen solche AGB ausgeschlossen sein, die der Verwender von einem Dritten übernimmt55. Freilich wird sowohl die Erweiterung als auch der Verengung nicht am Begriff der standard terms of business selbst festgemacht, sondern an dem übrigen Wortlaut der s. 3. Sections 5 bis 7 enthalten sodann Regeln der Inhaltskontrolle bei besonderen Vertragsarten. Die Haftung für die Verletzung bestimmter Pflichten kann etwa bei Kaufverträgen nach s. 6 gegenüber Verbrauchern überhaupt nicht, gegenüber allen andern Käufern nur im Rahmen der Angemessenheit (reasonableness) ausgeschlossen werden. Die Richtlinie setzte der Gesetzgeber für England und Schottland nicht durch eine Reform des UCTA 1977 um. Er implementierte sie vielmehr im 51 Nachfolgend wird nur die Rechtslage in England dargestellt. Für Schottland enthält der UCTA 1977 in s. 15 ff. leicht modifizierte Vorschriften. Vgl. Ervine (4. Aufl. 2008), § 9-23 ff.; McBryde (3. Aufl. 2007), § 18-02 ff.; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), §§ 7.55 ff.; SME/Davidson XV (1996), §§ 722 ff.; Lütkenhaus (1987), S. 40 ff. 52 Section 2 des Acts spricht nur von Fahrlässigkeit (negligence). Doch stellt s. 1(4) des Acts den Vorsatz gleich; vgl. McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.10. 53 Vgl. die Darstellungen bei McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.11. Aus der Rechtsprechung vgl. nur The Flamar Pride [1990] 1 Lloyd’s Rep 434. 54 McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.11; St Albans City and District Council v. International Computers Ltd [1996] 4 AllER 481. 55 McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.11. Offenlassend British Fermentation Products Ltd v. Compair Reavell Ltd (1999) 66 ConLR 1.
I. Die richterliche Inhaltskontrolle in vergleichender Perspektive
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Verordnungswege, nämlich durch die UTCCR 199456, die er 1999 durch eine neue Verordnung gleichen Namens ersetzte57. Die UTCCR 1999 sind zum einen auf die Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen beschränkt, wobei der Verbraucherbegriff in regulation 3(1) von dem in s. 12 UCTA 1977 abweicht58. Sie erfassen zum anderen nur solche Klauseln, die nicht individuell ausgehandelt worden sind. Dieses Nebeneinander zweier nicht aufeinander abgestimmter Kontrollmechanismen im UCTA 1977 einerseits und den UTCCR 1999 andererseits hat zu Abgrenzungsproblemen geführt und ist auf Kritik gestoßen59. Inzwischen haben die Law Commission und die Scottish Law Commission die Arbeit aufgenommen, den UCTA 1977 und den UTCCR 1999 zusammenzuführen60: Dabei soll die Inhaltskontrolle in Verbraucherverträgen auch auf individuell ausgehandelte Vertragsbestimmungen erstreckt werden, denn selbst bei individuellen Verhandlungen sei zu befürchten, daß der Verbraucher die Bedeutung und Folgen der Vertragsbestimmungen wegen seiner intellektuellen Unterlegenheit nicht abschätzen kann61. In Verträgen unter Unternehmern soll sich die Kontrolle an der bisherigen Rechtslage des UCTA 1977 orientieren62. Nur in Hinblick auf Kleinunternehmer mit neun oder weniger Angestellten soll die weitergehende Kontrolle von Verbraucherverträgen greifen, wobei sie auf AGB beschränkt bleiben soll und der Vertragswert nicht £ 500 000 übersteigen darf63.
C. Die richterliche Inhaltskontrolle im Einheitsrecht und in den Vereinheitlichungsprojekten Das UN-Kaufrecht und die PICC enthalten keine Vorschriften zur richterlichen Inhaltskontrolle. Die PECL dagegen kennen in Art. 4:110 eine solche Inhaltskontrolle. Ebenso wie die Inhaltskontrolle der Klauselrichtlinie erfaßt sie alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen, ist aber anders als die der Richtlinie nicht auf die Kontrolle solcher Klauseln in Verbraucherverträgen beschränkt. Vielmehr werden auch nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen in Verträgen zwischen Verbrauchern und zwischen 56
SI 1994 No. 3159. SI 1999 No. 2083. 58 Vgl. hierzu auch Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 444 f.; Tilmann (2001), S. 33. 59 Vgl. McKendrick (7. Aufl. 2007), § 17.6; Goode (3. Aufl. 2004), S. 101; Bradgate (1999), S. 29 ff. 60 Hierzu McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.16. 61 Law Commission/Scottish Law Commission, Report No. 292/199 (2005), §§ 3.50 ff.; Law Commission/Scottish Law Commission, Consultation Paper No. 166/Discussion Paper No. 119 (2002), § 4.50. 62 Law Commission/Scottish Law Commission, Report No. 292/199 (2005), §§ 4.4 ff. 63 Law Commission/Scottish Law Commission, Report No. 292/199 (2005), §§ 5.1 ff. 57
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§ 15. Inhaltskontrolle
Unternehmern auf ihren Inhalt hin kontrolliert64. Der DCFR folgt dagegen dem deutschen Ansatz. Wie die Klauselrichtlinie beschränkt er die Inhaltskontrolle bei Verträgen zwischen einem Unternehmer als Verwender und einem Verbraucher als Vertragspartner gemäß Art. II.-9:403 nicht auf AGB, sondern erstreckt sie auf alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln. Verträge zwischen zwei Unternehmern und Verträge zwischen zwei Nichtunternehmern werden von der Richtlinie nicht erfaßt. Hier beschränkt der DCFR die Inhaltskontrolle in Art. II.-9:405 f. auf standard terms, wobei die Definition des Begriffs der standard terms in Art. II.-1:109 mit dem AGB-Begriff des deutschen Rechts weitgehend übereinstimmt. In Verträgen zwischen zwei Unternehmern ist zudem der Prüfungsmaßstab ein anderer65. Wieder anders halten es die ACQP (Contract I). Die Inhaltskontrolle erfaßt auch im Unternehmensverkehr alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln. Nur der Kontrollmaßstab ist gemäß Art. 6:301 ACQP ein jeweils unterschiedlicher.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle Die Frage nach dem Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle stellt sich damit auch aus vergleichender Perspektive66: Sollen nur AGB, auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen, nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen oder gar alle Vertragsbedingungen Kontrollgegenstand sein? Bei Beantwortung dieser Frage darf die zweite, den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle ebenfalls betreffende Frage nicht unberücksichtigt bleiben: Sollen nur Verbraucherverträge der Inhaltskontrolle unterworfen werden, oder soll sie darüber hinaus gehen und insbesondere auch Verträge erfassen, an denen ein Unternehmer als Vertragspartner beteiligt ist? Denn auch diese Frage wird in Europa unterschiedlich beantwortet. Auch wenn die Frage nach dem persönlichen Anwendungsbereich anders als die Frage nach dem Kontrollgegenstand vor Inkrafttreten des AGBG in Deutschland kontrovers diskutiert wurde und somit die Entscheidung des Gesetzgebers, daß auch AGB in Verträgen zwischen Kaufleuten von der Inhaltskontrolle erfaßt sein sollen, bewußt gefallen ist, die Begründung, die für diesen weiten Anwendungsbereich damals und heute angeführt wurde und wird, nämlich daß die durch die Rechtsprechung entwickelte offene richterliche Inhaltskontrolle auch Handelsgeschäfte betraf67, verliert aus rechtsvergleichender Perspektive an Kraft. 64 Lando/Beale (2000), S. 266. Zu den Einzelheiten vgl. etwa Wolf, in: Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung (2000), S. 114 ff. 65 Vgl. hierzu Schulte-Nölke, in: Akademischer Entwurf (2008), S. 61. 66 Vgl. auch Zoll, GPR 2008, 112 ff.; Micklitz, FS Hondius (2007), S. 387 ff. 67 Vgl. MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 70.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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Die Frage nach dem Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle kann nur unter Rückgriff auf ihren Schutzgrund beantwortet werden. Ihn gilt es herauszuarbeiten. Freilich ist die Frage nach dem Warum der Inhaltskontrolle so alt wie die Inhaltskontrolle selbst, und die verschiedenen Begründungsansätze sind in der jüngeren Literatur wiederholt und ausgiebig diskutiert worden68. Ausgangspunkt dieser Darstellungen waren indes vor allem vertragsrechtstheoretische Überlegungen, und sie wollten die AGB-Kontrolle in größere Zusammenhänge stellen, etwa die Gemeinsamkeiten mit Erscheinungsformen der Inhaltskontrolle außerhalb des AGB-Rechts herausarbeiten69. Oder es ging ihnen darum, die AGB-Kontrolle im Spannungsfeld zwischen formaler Vertragsfreiheit einerseits und materialer Vertragsfreiheit und materialer Vertragsgerechtigkeit andererseits einzuordnen70. Soweit die Literatur den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle aus dem Blickwinkel ihres Schutzgrundes erörterte, problematisierte sie vor allem ihren persönlichen Anwendungsbereich, ob die Kontrolle also auch Unternehmer schützt, und bezüglich des sachlichen Anwendungsbereichs die Kontrolle notarieller Verträge71. Für die hier interessierende Frage muß der Schutzgrund daraufhin untersucht werden: 1. wie sich auf seiner Grundlage der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle bestimmt; 2. ob er die Inhaltskontrolle von anderen Schutzinstrumenten abzugrenzen vermag; liegt er auch anderen Schutzmechanismen zugrunde, handelt es sich nicht um den konkreten Schutzgrund der Inhaltskontrolle, sondern um ein übergreifendes Schutzprinzip; 3. ob er über die offene richterliche Inhaltskontrolle hinausschießt und nach einer Kontrolle von Abreden verlangt, die außerhalb der Kontrolle liegen; und 4. ob auf seiner Grundlage die Ausgestaltung der Inhaltskontrolle in den §§ 307 ff. BGB erklärt werden kann.
Es kann dabei nicht darum gehen, die Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB umfassend abzubilden. Vielmehr kann die Ausgestaltung der Inhaltskontrolle auch vor dem Hintergrund des gefundenen Schutzgrundes kritisiert werden. Allzu weit darf die Kritik an der lex lata aber nicht gehen. Denn dann könnte der hier vorgestellte Ansatz nicht mehr als Erklärungsmodell des geltenden Rechts dienen und für sich in Anspruch nehmen, die der Inhaltskontrolle zugrundeliegenden Wertungen aufzudecken.
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Vgl. etwa Heinrich (2000), S. 174 ff.; Habersack (1992), S. 103 ff. Vgl. vor allem Fastrich (1992), passim. Vgl. etwa Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff.; Reuter, AcP 189 (1989), 199 ff. Vgl. etwa Habersack, AcP 189 (1989), 403 ff.; Roth, BB 1987, 977 ff.
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§ 15. Inhaltskontrolle
A. Begründungsversuche Wenden wir uns mit diesem Programm den wichtigsten Begründungsversuchen zu, denen wir in der Rechtsgeschichte begegnet sind und die sich noch heute in der modernen Literatur finden72. 1. Schutz des Gemeinwohls Raiser griff auf das Gemeinwohl zurück, das durch unbillige AGB betroffen werde73. Denn AGB sei die Gemeinschaft als Ganzes und nicht nur ein einzelnes Glied der Gemeinschaft ausgesetzt. Daher sei eine richterliche Kontrolle geboten. Unbillige Individualvereinbarungen mögen zwar den einzelnen Vertragspartner ebenso hart treffen wie unbillige AGB. Sie berührten indes das Gemeinwohl nicht. Deshalb sei auch ein Eingriff in den Vertrag nicht zu rechtfertigen. Mit dieser Begründung müßte die Inhaltskontrolle auf AGB beschränkt bleiben. Eine Kontrolle aller einseitig gestellten Vertragsbedingungen, aller nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln oder gar aller Vertragsabreden wäre ausgeschlossen. Dagegen dürfte die Inhaltskontrolle nicht nur AGB in Verbraucherverträgen erfassen, sondern müßte sich auch auf AGB in Verträgen, in denen Unternehmer als Vertragspartner auftreten, erstrecken. Denn das Gemeinwohl wäre auch in diesen Fällen berührt. Ob der einzelne Unternehmer des Schutzes bedarf, ist nach dieser Begründung gerade nicht ausschlaggebend. Darüber hinaus verlangt der Schutz des Gemeinwohls als Zweck der Inhaltskontrolle nach einer Kontrolle von Abreden, die außerhalb der Kontrolle liegen, so insbesondere von Preisvereinbarungen. Der Preis von Waren wird üblicherweise vom Anbieter einseitig bestimmt. Zeichnet ein Anbieter Waren mit einem überhöhten Preis aus, und kauft ein Kunde zu diesem Preis, so wird er die Wirksamkeit des Vertrages nicht in Frage stellen können, obwohl auf Grundlage dieser Ansicht eine Verletzung des Gemeinwohls bejaht werden müßte. Denn dem überhöhten Preis ist nicht nur der konkrete Kunde, sondern ihm sind zahlreiche Kunden ausgesetzt. Eine Preiskontrolle kennt das BGB indes nur unter besonderen Umständen (§ 138 Abs. 2 BGB). Prima facie stellt dieser Befund das Gemeinwohl als möglichen Schutzgrund der §§ 307 ff. 72
Unberücksichtigt bleibt im folgenden etwa der Ansatz von Bachmann, Private Ordnung (2006). Er spricht von privater Regelsetzung. Ihre Legitimation sucht er in der Kombination eines Zustimmungs- und eines Gemeinwohlelements. Beide Elemente will er in ein bewegliches System bringen. Das Zustimmungselement finde sich in dem Einverständnis in die Einbeziehung von AGB. Die Inhaltskontrolle sei Ausgleich dafür, daß das AGB-Recht »sich mit einer abgeschwächten, weil pauschal auf die Ordnung im Ganzen erstreckten Zustimmung begnügt«: S. 234. Freilich konnten wir oben (§ 13) feststellen, daß eine abgeschwächte Zustimmung gerade nicht genügt. 73 Siehe oben § 9 II D (S. 301 ff.).
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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BGB in Frage: Genügt die Tatsache, daß dem überhöhten Preis eines Anbieters potentiell eine Vielzahl von Kunden ausgesetzt ist, für dessen Kontrolle nicht aus, so sollte auch die bloße Tatsache, daß die Gemeinschaft unbilligen AGB ausgesetzt ist, ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht für ihre Kontrolle ausreichen74. Zudem müßten die konkret-individuellen Umstände des Einzelfalls bei der Angemessenheitsprüfung im Rahmen der offenen richterlichen Inhaltskontrolle unberücksichtigt bleiben. Würden diese Umstände gegen die Unangemessenheit der Klausel sprechen, so könnte sie dennoch das Gemeinwohl verletzen. Umgekehrt muß das Gemeinwohl nicht betroffen sein, wenn die Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise zu dem Urteil führen, daß die Klausel den konkreten Vertragspartner unangemessen benachteiligt. In der Tat war früher eine generell-überindividuelle Betrachtung herrschend75. Nunmehr bestimmt § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB im Anschluß an Art. 4 Abs. 1 der Klauselrichtlinie, daß bei Verbraucherverträgen »bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 und 2 […] auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen« sind. Die Konsequenzen dieser Vorschrift sind umstritten. Als herrschend kristallisiert sich die Meinung heraus, daß in Verbraucherverträgen eine konkret-individuelle Angemessenheitsprüfung auf einer zweiten Prüfungsstufe ergänzend neben die generell-überindividuelle Prüfung tritt, wohingegen insbesondere in AGB, die gegenüber einem Unternehmer zur Anwendung kommen, es bei der generell-überindividuellen Betrachtung bleibt76. Die konkret-individuelle Betrachtung im Rahmen der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen wäre auf Grundlage dieses Schutzzwecks nicht erklärbar. Aber auch andere Details der Inhaltskontrolle stehen nicht mit dem Gemeinwohlgedanken im Einklang. Das Gemeinwohl wäre nämlich nur unvollkommen geschützt. Denn das Urteil im Individualverfahren wirkt nur zwischen den Verfahrensbeteiligten. Oder um es anders auszudrücken: Im Unternehmerverkehr kann eine generell-überindividuelle Betrachtung dazu führen, daß eine Klausel zum Schutze des Gemeinwohls als unangemessen angesehen wird, obwohl sie unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls dem Vertragspartner gegenüber gerade nicht unangemessen wäre und er des Schutzes nicht bedarf, aber das Urteil kommt der Allgemeinheit trotzdem 74
Siehe aber unten B 2 (S. 583 ff.). Vgl. die Darstellung bei MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 310 Rn. 70 ff. 76 Ausführlich Borges (2000), passim. Siehe weiter Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), § 310 Rn. 19; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 479 f.; Prütting/Wegen/Weinreich/Berger (4. Aufl. 2009), § 310 Rn. 11; Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 116 f.; Brandner, MDR 1997, 314; Heinrichs, NJW 1996, 2193; ders., NJW 1993, 1820 f.; Ulmer, in: Karlsruher Forum (1998), S. 29. A.A. Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 307 Rn. 86 ff., der eine Berücksichtigung der individuellen Umstände generell für möglich erachtet. 75
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nicht zu Gute, sondern allein dem im konkreten Einzelfall nicht schutzbedürftigen Unternehmer. Die Anhänger des Gemeinwohls als Schutzgrund würden auf diesen Einwand wohl antworten, daß die AGB-Kontrolle eher mit der inzidenten Prüfung einer untergesetzlichen Norm als Rechtsgrundlage von Verwaltungshandeln im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vergleichbar ist. Auch der nicht schutzbedürftige Unternehmer wird die Wirksamkeit einer Klausel nur in Frage stellen, wenn er durch sie in irgendeiner Weise betroffen ist. Ob eine AGB-Klausel eine wirksame Grundlage für das Handeln des Verwenders im konkreten Fall darstellt, wird inzident geprüft, und sie stellt nur dann eine wirksame Grundlage dar, wenn sie angemessen ist. Die Frage nach der Schutzbedürftigkeit des konkreten Verwenders stellt sich nicht. Es genügt eine Klauselbetroffenheit, die sich schon daraus ergibt, daß die Klausel entscheidungserheblich ist. Damit wird Raisers Kritik, nach der Monopolrechtsprechung sei es die »Art des Zustandekommens […], die solche Verträge sittenwidrig macht«77, nicht dagegen ihr bloßer Inhalt, erst verständlich78: »Nicht Mißbrauch der Vertragsfreiheit durch den Unternehmer, sondern Monopolmißbrauch lautet das Stichwort für das Eingreifen der Gerichte. Der Akzent wird vom Inhalt der AGB. auf das Mittel ihrer Durchsetzung durch den Unternehmer verlegt, das die an sich von der Rechtsordnung unterschiedslos anzuerkennenden Bestimmungen der AGB. zu sittenwidrigen stempelt.«
Für Raiser bildet die Vertragsfreiheit die Ermächtigung für die Aufstellung von AGB. Im Rahmen der Inhaltskontrolle wird nur geprüft, ob die AGB inhaltlich noch von dieser Ermächtigungsgrundlage gedeckt sind. Wer dagegen die Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners für entscheidend hält, für den müssen die Umstände bei Vertragsschluß, etwa ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien, entscheidend sein. Denn hier zeigt sich erst, ob ein Vertragspartner konkret oder typischerweise schutzbedürftig ist. In den Augen Raisers wäre das keine reine Inhaltskontrolle mehr. Es stellt sich schließlich noch eine grundsätzliche Frage: Das Gemeinwohl, heute sprechen wir vom öffentlichen Interesse, mag der aufsichtsrechtlichen Kontrolle oder der richterlichen Kontrolle im Verbandsklageverfahren zugrundeliegen. Aber hat es auch im Individualverfahren Raum? Die moderne Literatur ist kritisch und tut die Betonung des Gemeinwohls zur Begründung der Inhaltskontrolle als zeitbedingtes Phänomen ab79.
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Raiser (1935), S. 279. Raiser (1935), S. 283. So etwa Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 18.
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2. Schutz des Marktes Freilich taucht auch heute noch ein mit dem Gemeinwohlgedanken verwandter Begründungsansatz in der Literatur auf. Nach verbreiteter Ansicht soll durch die Inhaltskontrolle auch der Markt, die Wirtschaftsordnung bzw. der Wirtschaftsverkehr geschützt werden, indem die Nachteile eines nicht funktionierenden Konditionenwettbewerbs kompensiert werden80. Wie beim Gemeinwohl handelt es sich um ein überindividuelles Schutzgut. Auch nach dieser Begründung müßte die Inhaltskontrolle auf AGB beschränkt bleiben. Durch eine unbillige Individualabrede wird der konkrete Vertragspartner, aber nicht der Markt als Ganzes beeinträchtigt. Der Markt als Schutzgrund wirft dieselben Fragen und Probleme auf, wie das Gemeinwohl: Wieso ist eine offene richterliche Preiskontrolle ausgeschlossen, selbst wenn die Preise vom Anbieter einseitig und für eine Vielzahl von Verträgen im voraus festgesetzt werden und wenn diese Preise überhöht sind? Denn ebenso wie im Fall der AGB könnte man hier von einem Marktversagen ausgehen. Zudem müßten mit diesem Ansatz die Umstände des Einzelfalls bei der Angemessenheitsprüfung unberücksichtigt bleiben. Ihre Hinzuziehung im Rahmen der Inhaltskontrolle von Verbraucherverträgen nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB wäre nicht erklärbar. Und schließlich wäre der Markt nur unzureichend geschützt, denn das Urteil im Individualverfahren wirkt nur zwischen den Verfahrensbeteiligten. 3. Schutz der Rechtsordnung Pappenheim wollte Eingriffe in die AGB-Praxis damit rechtfertigen, daß »ein allgemeines Interesse der Rechtsordnung daran [besteht], dass das Verhältnis des Gesetzes zu der es ausschaltenden Vereinbarung aus dem Verhältnis der Regel zur Ausnahme nicht in sein Gegenteil verkehrt wird. Das Ansehen des Gesetzes muss leiden, wenn es die Lebensverhältnisse, zu deren Regelung es bestimmt ist, tatsächlich nicht mehr beherrscht«81. Heute wird auf das »Ansehen des Gesetzes« nicht mehr verwiesen82. Dagegen findet sich der Gedanke, durch die Inhaltskontrolle müsse verhindert werden, daß die vom Gesetzgeber als Regel gedachte Norm zur Ausnahme wird, noch heute in der Literatur83. Mit diesem Begründungsansatz müßte die Inhaltskontrolle auf AGB beschränkt bleiben, dürfte aber nicht nur AGB in Verbraucherverträgen erfassen, sondern müßte sich auch auf AGB in Verträgen, in denen Unternehmer 80 Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 4; Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), Vor § 305 Rn. 8; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 59; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 29, 76; v. Bernuth, BB 1999, 1285; Frey, ZIP 1993, 973 f. 81 Pappenheim, FS Cohn (1915), S. 291 f. Siehe oben § 9 II A (S. 295 ff.). 82 Vgl. aber Kommission, Bericht v. 27.04.2000, KOM (2000) 248 endg., S. 14. 83 Zöllner (1996), S. 45; Dietlein/Rebmann (1976), § 8 Rn. 1. Anders Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 23 f. Ablehnend auch Enderlein (1996), S. 252 f.
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§ 15. Inhaltskontrolle
als Vertragspartner auftreten, erstrecken. Auf eine Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners kommt es für das Eingreifen der Inhaltskontrolle nach dieser Ansicht nicht an. Freilich kann sie nicht erklären, daß auch solche AGB auf ihre Angemessenheit überprüft werden, die nicht das dispositive Recht abbedingen, sondern die typenfremde Verträge ausgestalten84. Selbst solche AGBKlauseln, die lückenhaft ausgestaltete Typenverträge um zusätzliche Regelungen ergänzen, könnten nach dieser Ansicht nicht auf ihre Angemessenheit hin kontrolliert werden. Und schließlich könnte mit diesem Ansatz die Transparenzkontrolle des § 307 Abs. 3 S. 2 BGB nicht erklärt werden. 4. Bindung des einseitigen Normsetzers Nach Großmann-Doerth geriert sich der Verwender wie ein Gesetzgeber. Er müsse daher eine Regelung entwerfen, die ihrem Gerechtigkeitsgehalt nach eines Gesetzes würdig ist85. Als Folge sei derjenige, der einer solchen Norm ausgesetzt sei, geschützt. Auch dieser Gedanke klingt noch in der modernen Literatur an86. Zwar dachte Großmann-Doerth nur an die AGB-Praxis. Aber auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen sind als Kontrollgegenstand erfaßt. Denn sie sind mit einem Einzelfallgesetz vergleichbar. Dagegen unterfallen bloße nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen nicht der Inhaltskontrolle. Daß die Bedingungen faktisch nicht individuell ausgehandelte worden sind, muß nach diesem Begründungsansatz unerheblich bleiben. Notwendig ist vielmehr, daß der Verwender die Vertragsbedingungen nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt. Mit diesem Akt des einseitigen Stellens erklärt der Verwender implizit, daß er nur so und nicht anders zu kontrahieren gewillt ist, und dieses So-und-nicht-Anders ist mit einem Normbefehl vergleichbar. Freilich darf die Kontrolle einseitig gestellter Vertragsbedingungen mit diesem Modell nicht auf Verbraucherverträge beschränkt bleiben. Auch Unternehmer sind der Normsetzung des Verwenders einseitig gestellter Vertragsbedingungen ausgesetzt. Da nicht der Schutz des Vertragspartners, sondern die Bindung desjenigen, der die Möglichkeit einseitiger Normsetzung ausnutzt, an den Gerechtigkeitsgehalt der Rechtsordnung im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht, und der Schutz des Vertragspartners somit nur Reflex dieser Bindung ist, kann es auch nicht darauf ankommen, ob ein Unternehmer als konkreter Vertragspartner schutzbedürftig ist. Der Verwender ist mit diesem Begründungsansatz bloß insoweit daran gebunden, Regelungen zu entwerfen, die ihrem Gerechtigkeitsgehalt nach eines Gesetzes würdig sind, als der Gesetzgeber die betreffende Frage auch einer gesetzlichen Regelung unterwerfen würde. So ist erklärbar, warum auch einseitig 84
Vgl. zur Problematik der Inhaltskontrolle gesetzlich nicht geregelter Verträge nunmehr umfassend Stoffels (2001), S. 357 ff. 85 Siehe oben § 9 II C (S. 299 ff.). 86 Zöllner (1996), S. 45; Soergel/Stein (12. Aufl 1991), Einl. Rn. 3.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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gestellte Vertragsbedingungen zu typenfremden Verträgen einer Angemessenheitskontrolle unterzogen werden können und warum Preisabreden grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle unterworfen sind. Nicht einleuchtend ist indes, warum nach § 307 Abs. 3 S. 2 BGB Preisabreden auf ihre Transparenz hin kontrolliert werden können. Diesem Begründungsansatz entspricht weiterhin die früher herrschende generell-überindividuelle Angemessenheitsprüfung87. Sie müßte freilich auch bei der Kontrolle von AGB in Verbraucherverträgen durchgreifen. Hier verlangt § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB nunmehr im Anschluß an die Klauselrichtlinie nach einer konkret-individuellen Angemessenheitsprüfung. Weiterhin birgt dieser Begründungsansatz bisher ungelöste methodische Probleme: (a) So ist unklar, wieso aus einem Vergleich zwischen einseitig gestellten Vertragsbedingungen und Normen auf die Berechtigung umfassender Eingriffe in den Vertrag geschlossen werden kann. Vergleich und Schluß mögen intuitiv miteinander verknüpft sein. Doch bedarf es der näheren Begründung, warum sich auch der private Regelsetzer an denselben Maßstäben wie der Gesetzgeber messen lassen muß88. (b) Zudem vermengt dieser Ansatz zwei Ebenen. Tatsächlich versucht der Gesetzgeber im Dispositivrecht einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Parteien zu finden. Aus der Beobachtung, wie der Gesetzgeber sich tatsächlich verhält, wird für den privaten Regelgeber auf einen sanktionierten Normbefehl geschlossen. (c) Auch folgt die Nichtigkeit einer Klausel als Rechtsfolge der Inhaltskontrolle nicht zwingend aus dem Vergleich zwischen Norm und einseitig gestellter Vertragsbedingung. Mißlingt dem Gesetzgeber ein billiger Interessensausgleich, wäre die in Kraft gesetzte Norm nur im absoluten Ausnahmefall verfassungswidrig und könnte für nichtig erklärt werden. In der Regel werden die Gerichte versuchen, die Norm im Wege der Auslegung anzupassen. Man könnte nun behaupten, daß gleiches auch im Rahmen der Inhaltskontrolle von AGB gelten müsse. Rechtsfolge ihrer Unangemessenheit wäre eine verdeckte richterliche Inhaltskontrolle im Wege der Auslegung. Doch brauchen diese Probleme hier nicht gelöst zu werden. Denn gegen diesen Begründungsansatz bestehen grundsätzliche Bedenken: Er stellt nicht den Schutz des Vertragspartners, des Markts oder des Gemeinwohls in den Vordergrund, sondern die Bindung des Verwenders als Quasi-Gesetzgeber an den Gerechtigkeitsgehalt unsere Rechtsordnung. Die Freiheit des Verwenders wird mithin nicht dort eingeschränkt, wo dies zum Schutz des Vertragspartners oder überindividueller Interessen geboten ist. Es werden nicht die miteinander konkurrierenden Freiheitssphären und die sich gegenüberstehenden Interessen zum Ausgleich gebracht. Vielmehr ist die Freiheit des Ver87 88
Siehe oben den Text zu und nach Fn. 75. Vgl. auch Fastrich (1992), S. 58.
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wenders von vornherein und unabhängig von eventuell betroffenen Interessen beschränkt. Das mag zu der am Liberalismus zweifelnden ersten Hälfte des 20. Jh. gepaßt haben. Heute sind solche Gedanken indes nicht mehr zeitgemäß. 5. Schutz vor einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit, vor einer einseitigen Ausübung der Vertragsfreiheit oder vor Fremdbestimmung Ebenfalls seit Mitte des 19. Jh. meinte man, daß der Verwender seine Vertragsfreiheit mißbrauche, wenn er in einen Klauselkatalog unbillige Vertragsbedingungen aufnehme, daß in einem solchen Fall allenfalls von einer einseitigen Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Verwender gesprochen werden könne oder daß es mit dem Prinzip der Vertragsfreiheit unvereinbar sei, wenn der Verwender in Selbstbestimmung über den Vertragspartner zu bestimmen versucht, und daß der Vertragspartner vor einer solchen Fremdbestimmung geschützt werden müsse. Auch in der modernen Literatur finden sich diese Argumentationsfiguren89. Mit der Figur des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit, heute spricht man von einem institutionellem Rechtsmißbrauch, weil die Institution der Vertragsfreiheit mißbraucht wird90, kann der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nicht bestimmt werden91: Mißbraucht nur derjenige seine Vertragsfreiheit, der unbillige AGB aufstellt? Oder liegt ein solcher Mißbrauch schon dann vor, wenn der Verwender unbillige Vertragsbedingungen einseitig stellt, selbst wenn er sie nicht mehrfach benutzen möchte? Aus der Figur des Mißbrauchs der Vertragsfreiheit kann eine eindeutige Antwort auf diese Fragen nicht hergeleitet werden. Zudem kann mit ihr die offene richterliche Inhaltskontrolle nicht von anderen Kontrollmechanismen abgegrenzt werden. So kann auch von demjenigen gesagt werden, er mißbrauche seine Vertragsfreiheit, der sich oder einem Dritten unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen etwas versprechen oder gewähren läßt (§ 138 Abs. 2 BGB). Der Mißbrauch der Vertragsfreiheit ist nach alledem nicht der konkrete Schutzgrund der offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Diese Figur beschreibt allenfalls ein übergreifendes Schutzprinzip, das der Konkretisierung bedarf. 89
Palandt/Grüneberg (68. Aufl. 2009), Vor § 305 Rn. 8; Bamberger/Roth/Schmidt (2. Aufl. 2007), § 307 Rn. 1; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 5, 47 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 321; v. Bernuth, BB 1999, 1285; Präve (1998), Rn. 333; Locher, JuS 1997, 391; Heinrichs, NJW 1995, 153; Singer (1995), S. 43 f.; Michalski, DB 1994, 666; Roth, BB 1992, Beilage Nr. 4, 2; v. Hoyningen-Huene (1991), Rn. 22; Hönn (1982), S. 148; Hensen, JA 1981, 135; Flume II (3. Aufl. 1979), S. 610, 670; Löwe, JuS 1977, 421. Kritisch Zöllner (1996), S. 37 f.; ders., AcP 196 (1996), 14 f.; Enderlein (1996), 251 f.; Lieb, AcP 178 (1978), 201 f. 90 Hoyningen-Huene (1991), Rn. 107 f. 91 Zum folgenden auch Stoffel (2. Aufl. 2009), Rn. 84; Fastrich (1992), S. 49 f.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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Mit den Gedanken, der Vertragspartner sei vor einer einseitigen Ausübung der Vertragsfreiheit oder vor Fremdbestimmung zu schützen, dürfte die offene richterliche Inhaltskontrolle nicht auf AGB beschränkt bleiben. Werden Bedingungen, die nur zu einmaligen Verwendung bestimmt sind, einseitig gestellt, kommt es ebenfalls nur zu einer einseitigen Ausübung der Vertragsfreiheit. Daß Vertragsbedingungen nur faktisch nicht Gegenstand individueller Vertragsverhandlungen waren, darf dagegen nicht ausschlaggebend sein. Überläßt eine Partei der anderen die inhaltliche Gestaltung des Vertrages, und unterschreibt sie dann diesen Vertrag unbesehen, so wurde der Vertrag nicht individuell ausgehandelt. Aber es liegt keine Fremdbestimmung des Vertragspartners durch den Verwender vor, vor der jener geschützt werden müßte. Der Vertragspartner hat auf die Möglichkeit, den Vertragsinhalt zu beeinflussen, vielmehr verzichtet. Notwendig ist auch hier, daß der Verwender die Vertragsbedingungen nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt und daß dem Akt des einseitigen Stellens der Vertragsbedingungen der Erklärungsinhalt eines So-und-nicht-Anders innewohnt. Freilich dürfte die Inhaltskontrolle nicht auf Verbraucherverträge beschränkt bleiben. Ist es einem Verwender möglich, gegenüber einem Unternehmer auf diese Weise seine vorformulierten Vertragsbedingungen durchzusetzen, so liegt auch insoweit eine nur einseitige Ausübung der Vertragsfreiheit vor, und stellt der Schutz der damit einhergehenden Fremdbestimmung des Vertragspartners die Rechtfertigung für einen Eingriff in den Vertrag dar, so müssen auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen im Unternehmerverkehr Kontrollgegenstand sein. Schließlich nimmt auch der Anbieter, der das Entgelt einseitig festlegt, einseitig die Vertragsfreiheit in Anspruch. Dem Interessenten bleibt nur noch die Abschlußfreiheit. In Hinblick auf den Preis liegt eine Fremdbestimmung vor. Und dennoch kennt das geltende Recht keine allgemeine Angemessenheitskontrolle der Entgeltabrede (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB). 6. Schutz vor unrichtigen Verträgen Schmidt-Rimpler führte 1941 den Begriff der Richtigkeitsgewähr in die AGBrechtliche Debatte ein92. Nur bei dem echten Individualvertrag sei eine Richtigkeitsgewähr des Vertragsinhalts gegeben, weil dieser Inhalt Ergebnis der Parteiverhandlungen sei. Daher verbiete sich ein richterlicher Eingriff. Anders liege es bei AGB. Hier habe der Vertragspartner keinen Einfluß auf die Ausgestaltung der AGB und deshalb entfalle die Richtigkeitsvermutung. Auf diesen Gedanken wird heute noch in der Diskussion um die offene richterliche Inhaltskontrolle zurückgegriffen93. Dabei darf der Begriff der Richtigkeit nicht 92 93
Siehe oben § 9 III (S. 310 f.). Vgl. z.B. Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 14 ff.
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so verstanden werden, daß der Vertragsinhalt ohne weiteres an Maßstäben gemessen wird, die außerhalb des Vertrages stehen94. Richtigkeit ist im vorliegenden Zusammenhang vielmehr subjektiv zu begreifen. Grundsätzlich ist der Vertragsinhalt richtig, weil die Parteien ihn wollten. Unter bestimmten Umständen kann jedoch nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Parteien den Vertragsinhalt für sich als richtig anerkennen. Schmidt-Rimpler glaubte, daß solche Umstände dann vorliegen, wenn der Vertragsinhalt, wie dies bei AGB der Fall ist, nicht Ergebnis eines freien Aushandelns ist. Die AGB-Kontrolle wäre nach dieser Ansicht nur bei oberflächlicher Betrachtung eine reine Inhaltskontrolle im Sinne Raisers. Denn es kommt entscheidend auf die Art des Zustandekommens des Vertrages an95: Bei individuellen Vertragsverhandlungen könne unterstellt werden, durch die Art des Zustandekommens des Vertrages sei die subjektive Richtigkeit des Vertragsinhalts gewährleistet; bei AGB entfalle die Vermutung der subjektiven Richtigkeit. Daß die Umstände, die zum Vertragsschluß führen, anders als bei der Monopolrechtsprechung nicht konkrete Voraussetzung der Kontrolle sind, liegt allein daran, daß sie der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Kontrolle bereits typisierend zugrundeliegen. Die Art des Zustandekommens des Vertrages spielt damit, wenn auch auf anderer Ebene, eine wichtige Rolle. Obwohl auch Schmidt-Rimpler nur über AGB sprach, sind von dem Vorschlag alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen erfaßt96. Ob die Vertragsbedingungen, die der Verwender nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt, nun für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind oder nur für einen einzigen, ist unerheblich. In beiden Fällen fehlt es daran, daß die Bedingungen Ergebnis gemeinsamer Verhandlungen sind. Zudem müßten auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen im Unternehmerverkehr Kontrollgegenstand sein. Auch Schmidt-Rimplers Vorschlag genügt nicht den oben aufgestellten Anforderungen an den zu identifizierenden konkreten Schutzgrund: Zum einen kann mit ihm die Inhaltskontrolle nicht von anderen Schutzinstrumenten des Privatrechts abgegrenzt werden. So liegt er etwa auch § 138 Abs. 2 BGB oder der Täuschungsanfechtung zugrunde. Es handelt sich mithin nicht um den konkreten Schutzgrund der offenen richterlichen Inhaltskontrolle, sondern allenfalls um ein übergreifendes Prinzip, das mehrere Schutzmechanismen verbindet97. Zum anderen verlangt der von Schmidt-Rimpler formulierte Schutzgrund nach einer Kontrolle von Abreden, die außerhalb der Inhaltskontrolle liegen. So wären von ihm auch alle ausgezeichneten Preise von Waren und Dienstleistungen erfaßt. Für eine solche Angemessenheitskontrolle 94 95 96 97
Hierzu und zum folgenden Habersack (1992), S. 50. Vgl. nur Canaris, AcP 200 (2000), 284; Fastrich (1992), S. 53. So auch Kramer, ZHR 146 (1982), 106. Vgl. auch Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 82.
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des Preises müssen indes besondere Umstände hinzutreten, wie im Fall des § 138 Abs. 2 BGB. Schließlich wendet Canaris ein, daß zwar »das Aushandeln eines Vertrages, wenn es vorliegt, ein elementares Gerechtigkeitskriterium darstellt; nur den Umkehrschluß, daß ein Fehlen des Aushandelns eine Verletzung der (materialen) Vertragsfreiheit und der Vertragsgerechtigkeit indiziere«, sei so nicht zutreffend98. 7. Verbraucherschutz In den 1930er Jahren wurde der Gedanke des Verbraucherschutzes in die Diskussion eingeführt, er beherrscht sie seit den 1970er Jahren99, und auch die Klauselrichtlinie wird vom Verbraucherschutzgedanken getragen100. Für sich genommen genügt auch der Verbraucherschutzgedanke nicht den oben formulierten Anforderungen an den zu identifizierenden Schutzgrund101: Dieser Gedanke unterliegt nicht nur der offenen Inhaltskontrolle, sondern einer Vielzahl verschiedener Schutzinstrumente. Und er kann für sich genommen nicht erklären, warum die Kontrolle auf bestimmte Vertragsbedingungen beschränkt bleibt. Warum ist der Verbraucher nicht bei unbilligen Individualvereinbarungen schützenswert? Warum soll er nicht vor unbilligen Preisabreden geschützt werden? Die Beantwortung dieser Fragen ist ebenso wie die Abgrenzung der richterlichen Inhaltskontrolle von den anderen Schutzinstrumenten des Verbraucherschutzrechts nur unter Rückgriff auf einen konkreteren Schutzgrund möglich102. Für das deutsche AGB-Recht stellt sich noch ein weiteres Problem103: Die offene richterliche Inhaltskontrolle geht über Verbraucherverträge hinaus. AGB im Unternehmerverkehr sind ebenfalls einer Inhaltskontrolle unterworfen. Es stellt sich mithin die Frage, ob der konkrete Schutzgrund, der nach einer Inhaltskontrolle zugunsten von Verbrauchern verlangt, auch über das Verbraucherschutzrecht hinausstrahlt oder ob der Inhaltskontrolle im Unternehmerverkehr eventuell von einem anderen Schutzgrund getragen wird. 8. Schutz bei Ungleichgewichtslagen Nach verbreiteter Ansicht ist Schutzgrund der Inhaltskontrolle eine Ungleichgewichtslage104. Nur dort, wo zwischen den Parteien ein Gleichgewicht 98
Canaris, AcP 200 (2000), 285. Siehe oben § 9 II E (S. 305) und IV (S. 320). 100 Heinrichs, NJW 1996, 2194; ders., NJW 1993, 1818. 101 Ablehnend auch Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 3, 7. Vgl. allgemein Bülow/Artz (2. Aufl. 2008), Rn. 8; Hommelhoff (1996), S. 4 f. Anders dagegen Prütting/Wegen/Weinreich/ Berger (4. Aufl. 2009), Vor § 305 Rn. 2–4; Eichenhofer, JZ 1996, 860; v. Hippel (1982), S. 41 ff. 102 Vgl. auch Heiderhoff (2. Aufl. 2007), S. 117 f. 103 Kötz, JuS 2003, 210; Schäfer, FS Ott (2002), S. 280; Dauner-Lieb (1983), S. 40 ff. 104 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 81 ff.; Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), Einl. Rn. 4; Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 307 Rn. 1; Bülow/Artz (2. Aufl. 2008), Rn. 503; Er99
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bestehe, so wird unter Rückgriff auf den von Schmidt-Rimpler geprägten Begriff formuliert, sei eine Richtigkeitsgewähr gegeben105. Auch bestehe bei Ungleichgewichtslagen die Gefahr, daß eine Partei ihre Vertragsfreiheit einseitig ausübe, die andere Partei hingegen fremdbestimmt werde. Und zwischen Unternehmern und Verbrauchern bestehe schließlich typischerweise ein Ungleichgewicht, so daß Verbraucher des Schutzes bedürfen. Prima facie vermag das Ungleichgewicht damit die allgemeinen Prinzipien des Verbraucherschutzes sowie des Schutzes vor unrichtigen Verträgen und vor Fremdbestimmung zu konkretisieren. Freilich bedarf auch der Begriff des Ungleichgewichts der Präzisierung. Die Literatur unterscheidet nach den Ursachen des Ungleichgewichts. Es kann sich aus einer wirtschaftlichen, intellektuellen, psychischen, informationellen oder situativen Unterlegenheit des Vertragspartners ergeben. Einige Autoren verweisen dabei nebeneinander auf all diese Ursachen, andere stellen einzelne Ursachen als allein maßgeblich in den Vordergrund. a) Schutz bei wirtschaftlicher Unterlegenheit des Vertragspartners Eine wirtschaftliche Unterlegenheit des Vertragspartners soll sich zum einen daraus ergeben, daß er im Gegensatz zur anderen Vertragspartei auf den konkreten Vertragsschluß angewiesen ist106: »Eine wirtschaftliche Unterlegenheit ergibt sich regelmäßig daraus, daß der Unterlegene den Vertrag zur Befriedigung seiner Bedürfnisse abschließen will, während der andere, überlegene Teil auf diesen Vertragsabschluß nicht angewiesen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der überlegene Teil wegen des Umfangs seines Geschäftsbetriebs mit einer Vielzahl anderer Vertragspartner ohne weiteres auf den Vertragsabschluß mit einem einzelnen verzichten kann.«
Dieser Aspekt ist für sich genommen nicht in der Lage, ein Eingreifen der Gerichte zu rechtfertigen. Denn auf seiner Grundlage müßten Gerichte auch 105 man/Roloff (12. Aufl. 2008), Vor § 305 Rn. 1; Staudinger/Schlosser (2006), Vor § 305 Rn. 3; Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 44; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 26; Coester, FS Ansay (2006), S. 62 f.; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 2 Rn. 49, § 43 Rn. 1; Burckhardt (2000), S. 38 f.; Soergel/Wolf (13. Aufl. 1999), Vor § 145 Rn. 39; Roth, JZ 1999, 530; Hönn, FS Kraft (1998), S. 259 ff.; Schwerdtfeger, DStR 1997, 459; Enderlein (1996), S. 255; Wolf, FS Brandner (1996), S. 299; Hommelhoff (1996), S. 8; Preis (1992), S. 255 f., v. Hoyningen-Huene (1991), Rn. 22, 274 ff.; Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), Einl. Rn. 3; Dauner-Lieb (1983), S. 72 ff.; Hönn, JZ 1983, 678 f.; ders. (1982), S. 147 ff.; v. Hippel (1982), S. 41 ff.; Köhler, ZHR 144 (1980), 602; Sonnenschein, NJW 1980, 1490; Wiedemann, FS Kummer (1980), S. 179 ff.; Lieb, AcP 178 (1978), 202 f.; Heinrichs, NJW 1977, 1505; Horn, AcP 176 (1976), 320 f.; Dietlein/Rebmann (1976), S. 25; Niederführ (1985), S. 9 ff. Vgl. zudem Rittner, AcP 188 (1988), 127 ff. Ablehnend Oechsler (1997), S. 147. 105 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 82; Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 5; Ulmer/Brandner/ Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 26; Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 1; Dietlein/Rebmann (1976), S. 25. 106 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 7.
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Preisabreden überprüfen107. Und individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen könnten ebenfalls Kontrollgegenstand sein. Zudem zeigt sich an § 138 Abs. 2 BGB, daß eine wirtschaftliche Unterlegenheit wegen einer Bedürfnisbefriedigung nicht für eine allgemeine Angemessenheitskontrolle ausreicht. Denn § 138 Abs. 2 BGB verlangt mit der Ausbeutung einer Zwangslage mehr als nur eine wirtschaftliche Unterlegenheit und mit einem auffälligen Mißverhältnis mehr als nur eine unangemessene Benachteiligung. Nun könnte man zwar behaupten, daß nach § 138 Abs. 2 BGB die Preisabrede selbst kontrolliert werden kann, und daher naturgemäß die Schwelle eines richterlichen Eingriffs in den Vertrag höher ist. Aus dem Gedanken der wirtschaftlichen Unterlegenheit allein kann man diese Differenzierung indes nicht ableiten. Unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Unterlegenheit wird noch ein weiterer Gedanke formuliert108: »Die wirtschaftliche Unterlegenheit kann sich auch daraus ergeben, daß alle relevanten Marktanbieter nur zu im wesentlichen gleichen Bedingungen, etwa im Sinne einheitlicher AGB, abzuschließen bereit sind.«
Auch dieser Gedanke ist für sich genommen einerseits zu weit, als mit ihm die Gerichte auch in Preisabreden eingreifen könnten, wenn sich herausstellen sollte, daß alle Marktanbieter nur zu einem im wesentlichen gleichen und überhöhten Preis anbieten. Zum anderen ist der Gedanke zu eng. Denn eine Inhaltskontrolle von AGB und von nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen setzt nicht voraus, daß sie in einer Branche einheitlich zur Anwendung kommen. Schließlich wird in Hinblick auf die Inhaltskontrolle von AGB folgendes angeführt109: »Ohne Rücksicht auf die Rolle als Marktteilnehmer und unter grundsätzlicher Einbeziehung auch der Unternehmer stellen §§ 305 ff. für die richterliche Inhaltskontrolle von AGB auf das Merkmal der Vorformulierung ab. […] In seinem hauptsächlichen Anwendungsbereich, der sich auf AGB bezieht und auch für Unternehmer gilt, verlangt § 305 Abs. 1 die Vorformulierung für eine Vielzahl von Verträgen. Die Vorformulierung der Vertragsbedingungen genügt danach für sich allein nicht. Entscheidend ist vielmehr die Mehrfachverwendung in weiteren Verträgen. In der Kombination von Vorformulierung und Mehrfachverwendung zeigt sich ein brauchbares und verläßliches Kriterium für Verhandlungsmacht, denn wer Vertragsbedingungen im voraus für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, gibt damit im Regelfall zu erkennen, daß er auf Verhandlungen nicht angewiesen ist und, wenn die AGB ohne Änderung mehrfach verwendet werden, auch die notwendige Verhandlungsmacht besitzt, die einseitig aufgestellten Bedingungen durchzusetzen. Die auf diese Weise dokumentierte Störung im Verhandlungsgewicht rechtfertigt es, unangemessene Vertragsbedingungen im Wege richterlicher Inhaltskontrolle für unwirksam zu erklären.« 107 108 109
So auch die Kritik von Leuschner, AcP 207 (2007), 495. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 7 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 29 f.
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Ein Teil der Literatur glaubt, das Ungleichgewicht zwischen den Parteien könne deshalb nicht Schutzgrund der richterlichen Inhaltskontrolle sein, weil sie nicht den Nachweis eines konkreten Ungleichgewichts zur Voraussetzung habe110. Dieser Einwand geht indes fehl. Schutzinstrumente werden aus Gründen der Rechtssicherheit typisiert. Besteht zwischen dem AGB-Verwender und dem Vertragspartner typischerweise ein Ungleichgewicht, so kann der Gesetzgeber auf den Nachweis eines konkreten Ungleichgewichts zwischen den Parteien verzichten. Und die Autoren des oben angeführten Zitats glauben, daß der Inhaltskontrolle von AGB eine solche Typisierung zugrundeliegt. Freilich kann eine Typisierung nur dann als gelungen gelten, wenn die Randbereiche, in denen ein Schutz trotz des Fehlens eines konkreten Ungleichgewichts gewährt oder in denen ein Schutz trotz des Vorhandenseins einer konkreten Ungleichgewichtslage versagt wird, vernachlässigbar sind. Das ist im deutschen Recht indes nicht der Fall. Sicherlich bereitet es Probleme, die typischen Situationen herauszuarbeiten, in denen »das Verhandlungsgleichgewicht dermaßen gestört ist, daß eine verantwortliche Zurechnung des Verhandlungsergebnisses entfallen muß« und in denen ein Marktteilnehmer »an der angemessenen Durchsetzung seiner Interessen im vertraglichen Verhandlungsprozeß« gehindert ist111. Aber auch im Unternehmerverkehr sind AGB grundsätzlich immer Kontrollgegenstand. Prima facie besteht indes zwischen zwei Unternehmern typischerweise kein wirtschaftliches Ungleichgewicht. Und in Verträgen zwischen zwei Verbrauchern werden AGB ebenfalls auf ihren Inhalt überprüft, und das obwohl auch zwischen zwei Verbrauchern prima facie ein solches Ungleichgewicht typischerweise fehlt. Es handelt sich in beiden Fällen nicht um sogenannte asymmetrische Vertragsverhältnisse, die dadurch geprägt sind, daß sie »für die eine Partei Teil ihrer beruflich-gewerblichen Existenz sind, während sie der anderen Partei für private Zwecke dienen«112, sondern um sogenannte symmetrische Vertragsverhältnisse. Die Motivation, warum sich ein Unternehmer den AGB eines anderen Unternehmers und warum sich ein Verbraucher den AGB eines anderen Verbrauchers unterwirft, kann gerade nicht in der wirtschaftlichen Überlegenheit des jeweiligen Verwenders gesehen werden113. Das verdeutlicht nicht zuletzt das Problem der kollidierenden AGB: Würde sich nur der wirtschaftliche Unterlegene den AGB des wirtschaftlich Überlegenen unterwerfen, dürfte es nicht das Phänomen geben, daß sich beide Parteien den AGB der jeweils anderen Partei unterwerfen. Ja, selbst Unternehmer, die der anderen Partei wirtschaftlich überlegen sind, nehmen AGB oft hin114. Und in Verbraucherverträgen, also in Ver110 111 112 113 114
So etwa Fastrich (1992), S. 82. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 5 f. MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 310 Rn. 36. Kötz, JuS 2003, 211. Kötz, JuS 2003, 211.
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trägen zwischen einem Unternehmer als Verwender und einem Verbraucher als Vertragspartner, wäre das Element der Mehrfachverwendung nicht einleuchtend: Der Verbraucher ist doch auch schutzbedürftig, wenn der Unternehmer nur zum einmaligen Gebrauch vorformulierte Vertragsbedingungen verwendet und diese nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt. Und dieses Schutzbedürfnis wird in Folge der Richtlinienumsetzung nunmehr auch im deutschen Recht anerkannt (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). b) Schutz bei informationeller Unterlegenheit des Vertragspartners Eine informationelle Unterlegenheit liegt immer dann vor, »wenn ein Teil aus Mangel an vertragsrelevanten Informationen seine Interessen nicht sachgerecht wahrnehmen kann«115. Für die Beantwortung der Frage, wann eine solche Unterlegenheit besteht, werden Fallgruppen gebildet116: »Eine solche informationelle Unterlegenheit kann auf mangelnder Erfahrung beruhen, so wenn der in seinem Geschäftsbereich erfahrene Gewerbetreibende einem branchenunerfahrenen Kunden gegenübertritt.«
Mit diesem Gedanken kann die AGB-Kontrolle in symmetrischen Vertragsverhältnissen nicht immer gerechtfertigt werden. Und in Verbraucherverträgen könnten alle Vertragsabreden, auch solche, die individuell ausgehandelt worden sind, einer Kontrolle unterzogen werden. Eine solche Kontrolle ist dem deutschen Recht fremd. Die bloße Unerfahrenheit reicht für eine Kontrolle nicht aus. So verlangt § 138 Abs. 2 BGB mit der Ausbeutung der Unerfahrenheit mehr als nur ihr bloßes Vorliegen, und diese Ausbeutung muß sich in einem groben Mißverhältnis und nicht nur in einer Unangemessenheit niederschlagen. Nun mag man einwenden, daß § 138 Abs. 2 BGB eine Kontrolle von Entgeltabreden ermöglicht und daß damit auch die Eingriffsschwelle höher liegen muß. Aus dem Schutzgrund der Unerfahrenheit allein läßt sich diese Differenzierung indes nicht herleiten. Weiterhin wird auf einen Verheimlichungseffekt verwiesen, der gerade bei der Verwendung von AGB auftrete: der Vertragspartner könne oft nicht überblicken, welche praktischen Konsequenzen sich hinter den Formulierungen in AGB für seine Rechtsposition verbergen117. Wäre dieser Verheimlichungseffekt Anlaß der Inhaltskontrolle, so dürfte eine Angemessenheitskontrolle immer dann nicht stattfinden, wenn die Unangemessenheit einer Klausel besonders klar und verständlich hervortritt. Wie sich aus dem Umkehrschluß aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt, kann indes auch eine klare und verständliche Bestimmung Gegenstand der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sein.
115 116 117
Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 8. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 9. Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 9.
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c) Schutz bei situativer Unterlegenheit des Vertragspartners Schließlich wird auf eine situative Unterlegenheit des Vertragspartners hingewiesen118: »Der situativ bedingte Vorsprung des Verwenders beruht zunächst darauf, dass er die Vertragsbedingungen für die von ihm künftig abzuschließenden Geschäfte ohne Hast und unter Zuhilfenahme fachkundigen Rats in seinem Sinne konzipieren kann, während sein Gegenüber in der Abschlusssituation regelmäßig darauf verzichten muss, die ihm vorgelegten Bedingungen zum Gesprächsgegenstand zu machen. In dieser Situation ist er in aller Regel überfordert, den Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu erfassen und auf dieser Basis konkrete Änderungsvorschläge zu unterbreiten.«
Zum Teil wird bezüglich dieser situativen Unterlegenheit auch von einer psychischen oder informationellen Unterlegenheit des Vertragspartners gesprochen119. Mit dieser Ausprägung der informationellen Unterlegenheit dürfte eine Inhaltskontrolle bei Vertragsschlüssen unter Abwesenden, insbesondere im Fernabsatz und im elektronischen Geschäftsverkehr, kaum zu rechtfertigen sein. Denn hier kann sich der Vertragspartner die Zeit zur Lektüre in der Regel nehmen. Die den §§ 307 ff. BGB zugrundeliegende Typisierung könnte mithin nicht als gelungen gelten. Zudem ist nicht einsichtig, warum die Inhaltskontrolle in symmetrischen Vertragsverhältnissen auf AGB beschränkt bleibt. Werden dem Vertragspartner vorformulierte Vertragsbedingungen in einer Vertragsschlußsituation präsentiert, die der Verwender nach reiflicher Überlegung verfaßt hat, ohne sie indes mehrfach verwenden zu wollen, so ist der Vertragspartner situativ unterlegen. Schließlich führt § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB dazu, daß in Verbraucherverträgen AGB auch dann als vom Unternehmer gestellt angesehen werden, wenn sie dem Vertrag auf Vorschlag eines neutralen Dritten zugrunde gelegt werden120. Eine situative Unterlegenheit des Verbrauchers gegenüber dem Verwender liegt in einem solchen Fall aber nicht vor. 9. Korrektur eines Marktversagens bei einer Informationsasymmetrie Die Anhänger einer ökonomischen Analyse des Rechts lehnen ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien als Schutzgrund der Inhaltskontrolle ab. Sie sehen die Rechtfertigung des richterlichen Eingriffs in den Vertrag vielmehr darin, daß es aufgrund einer Informationsasymmetrie zu einem Marktversagen komme, das korrigiert werden müsse121: 118 Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 83 unter Bezugnahme auf Lieb, AcP 178 (1978), 202. Ebenso Leuschner, AcP 208 (2007), 495; Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 3; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 27; Fastrich (1992), S. 91. 119 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 9 f. 120 Vgl. hierzu MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 310 Rn. 56 ff. 121 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 4. Vgl. ebenso Kötz, Undogmatisches (2005), S. 236 ff.; dens., JuS 2003, 210; dens. (1996), S. 212; Zweigert/Kötz (3. Aufl. 1996), S. 326; v. Stebut (1982), S. 247.
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»Vielfach wird immer noch angenommen, daß der Grund für die widerspruchslose Hinnahme der AGB in der wirtschaftlichen, sozialen, intellektuellen oder psychologischen Übermacht des Unternehmers liege; daraus leitete man her, dass es dem früheren AGBG in erster Linie um den Schutz des Unerfahrenen und Schwachen gegen den Starken und Mächtigen ging. Damit stimmt es freilich schlecht zusammen, dass es für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften nicht auf den Nachweis einer wirtschaftlichen oder sonstigen Unterlegenheit des Kunden oder einer entsprechenden Überlegenheit des Verwenders ankommt. Vor allem treffen aber die dieser Auffassung zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen nicht zu. Dies zeigt schon der Umstand, dass AGB auch in solchen Branchen widerspruchslos hingenommen werden, in denen unter den Anbietern erbitterter Wettbewerb besteht und von ihrer wirtschaftlichen oder sonstigen Übermacht nicht die Rede sein kann.«
Mit dem ersten Einwand hatten wir uns schon auseinandergesetzt: Es ist unschädlich, daß der Nachweis eines konkreten Ungleichgewichts keine Voraussetzung für das Eingreifen der Inhaltskontrolle ist, solange in ihrem Anwendungsbereich typischerweise eine solche Ungleichgewichtslage besteht. Doch das wird von den Vertretern dieser Ansicht bestritten. Sie verweisen dabei nicht nur auf die bereits angesprochenen symmetrischen Vertragsverhältnisse. Selbst in Verbraucherverträgen könne von einem Ungleichgewicht in Märkten mit einem hohen Wettbewerb nicht gesprochen werden. Freilich richtet sich diese Kritik nur gegen eine wirtschaftliche Unterlegenheit des Vertragspartners als Schutzgrund. Ob ein situatives Ungleichgewicht besteht, hängt von der Vertragsschlußsituation ab. Sie kann auch in Märkten mit einem hohen Wettbewerb bestehen. Wenden wir uns aber der Korrektur eines Marktversagens als Schutzgrund zu122: »Der wirkliche Grund dafür, dass der Kunde mit dem Unternehmer über AGB nicht verhandelt, sondern sie widerspruchslos hinnimmt, liegt […] in einem partiellen Marktversagen, genauer: in dem Informations- und Motivationsgefälle zwischen Verwender und Kunden. Für Kunden lohnt es sich nicht, Zeit und Geld in diejenigen Bemühungen zu investieren, derer es bedürfte, um entweder im Verhandlungswege eine Änderung der AGB zu erreichen oder andere Anbieter ausfindig zu machen, deren AGB-Texte in diesem oder jenem Punkt eine für ihn günstigere Regelung enthalten. Schon durch die Lektüre und den Vergleich der mehreren Bedingungstexte, durch die Formulierung von Gegenvorschlägen und durch die Führung von Verhandlungen werden Mühe und Kosten verursacht, die aufzubringen nicht sinnvoll ist. Denn es mag zwar sein, dass der Kunde auf diese Weise das eine oder andere vertragliche Risiko auf
122 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 5. Vgl. auch dens., AcP 200 (2000), 487. Ebenso Schlösser, Jura 2008, 81 f.; Schäfer/Ott (4. Aufl. 2005), S. 513 ff.; Adams (2. Aufl. 2004), S. 119 ff.; Kötz, JuS 2003, 211; Schäfer, FS Ott (2002), S. 280 ff.; Kötz (1996), S. 212 f.; Beimowski (1989), S. 15 ff.; Adams, BB 1989, 781 ff.; ders. (1984), S. 655 ff.; Kötz, Gutachten DJT (1974), S. A32 f.; Kliege (1966), passim. Zustimmend Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 85 ff.; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), Vor § 305 Rn. 1; Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), Vor § 307 Rn. 31 ff.; Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 3. Kritisch Drexl (1998), S. 332 ff.
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den Verwender zurückwälzen kann. Aber der Aufwand, dessen es dazu bedarf, steht außer Verhältnis zu dem für den Kunden erreichbaren Nutzen. […] Es trifft also zwar zu, dass dort, wo AGB Vertragsinhalt werden, die Vertragsfreiheit nicht funktioniert und es daher zu einem ›Marktversagen‹ kommt, das gesetzlich korrigiert werden muss. Dieses ›Marktversagen‹ hat aber – ökonomisch gesprochen – seinen Grund nicht in der wirtschaftlichen oder sonstigen Übermacht der Verwender, sondern in den prohibitiv hohen ›Transaktionskosten‹, die dem Kunden durch die Führung von Vertragsverhandlungen entstehen.«
Basedow spricht in diesem Zitat von einem Informations- und Motivationsgefälle. Das Informationsgefälle ist ein informationelles Ungleichgewicht, eben eine Informationsasymmetrie, das Motivationsgefälle ist ein psychologisches Ungleichgewicht123. Die Anhänger dieser Meinung wenden sich damit nicht, wie sie selbst vorgeben, gegen ein Ungleichgewicht als Schutzgrund der offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Sie arbeiten vielmehr zum einen mit dem Marktversagen die Folge des Ungleichgewichts heraus und stellen diese Folge in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Zum anderen sehen sie die Ursache dieses Marktversagens nicht in einer wirtschaftlichen Ungleichgewichtslage, sondern in einem Informations- und Motivationsgefälle. Damit nimmt die hier vorgestellte Meinung eine Zwischenstellung zwischen den oben erörterten Ansichten ein. Das Gemeinwohl, der Markt und die Rechtsordnung sind überindividuelle Schutzgüter. Das Gemeinwohl als überindividuelles Schutzgut war nach Raiser bereits dadurch verletzt, daß unbillige AGB verwendet werden. Die Ursache, ob diese AGB nur wegen einer Informationsasymmetrie, wegen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts oder aus anderem Grund verwendet werden, ist aus dem Blickwinkel des Gemeinwohls nur von sekundärer Bedeutung. Der Schutz des Einzelnen ist nur Reflex. Dagegen steht beim Schutz vor einem Monopolmißbrauch, vor einem Mißbrauch der Vertragsfreiheit, vor einseitiger Ausübung der Vertragsfreiheit und vor Fremdbestimmung sowie beim Schutz von Verbrauchern und beim Schutz bei Ungleichgewichtslagen der Individualschutz im Zentrum. Die Wirkungen der AGB auf den Markt als Ganzes sind aus dem Blickwinkel dieser Schutzgründe von nur untergeordneter Bedeutung. Aus dem Blickwinkel dieser Schutzgüter ist die Marktbereinigung ein bloßer Reflex des Individualschutzes. Die hier vorgestellte Meinung nimmt beide Seiten in sich auf. Eine Informationsasymmetrie in einem konkreten Vertrag (individuales Moment) führt nur deshalb zu einer Inhaltskontrolle, weil die in einer Vielzahl von Fällen bestehenden, gleichgelagerten Informationsasymmetrien den Markt als Ganzes beeinflussen (überindividuelles Moment). Und umgekehrt wird der Markt vor unangemessenen Bedingungen nur dann geschützt, wenn sie auf Informationsasymmetrien zurückzuführen sind. Diese gleichzeitige Berücksichtigung eines individuellen und eines überindividuellen Schutzgrundes führt zu Problemen bei Bestim123
Vgl. schon Hönn (1982), S. 149.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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mung des Anwendungsbereichs der Inhaltskontrolle. Betont man den überindividuellen Aspekt der Korrektur eines Marktversagens, so muß man die Inhaltskontrolle wohl auf AGB beschränken. Informationsasymmetrien können prima facie dagegen auch bei Vertragsbedingungen auftreten, die nur für einen einzigen Vertrag vorformuliert worden sind. Das hängt freilich davon ab, wie man den Begriff der Informationsasymmetrie definiert124. Mit Blick auf Verträge unter Unternehmern beleuchtet Kieninger die Ursachen des Motivationsgefälles näher125: »Auch dort, wo […] Kaufleute wirtschaftlich gleich stark, gleich rechtskundig und gleich geschäftserfahren sind, also von ›wirtschaftlicher‹ oder ›intellektueller‹ Unterlegenheit der einen Vertragspartei nicht die Rede sein kann, werden […] die AGB der anderen Vertragspartei vielfach unbesehen hingenommen […] auf Grund der nüchternen Tatsache, dass durch eine genaue Prüfung der AGB, durch die Formulierung von Gegenvorschlägen und durch die Führung von Abänderungsverhandlungen ein Aufwand an Zeit und Mühe entstünde, der dem Kunden schon deshalb als nicht lohnend erscheinen muß, weil er im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf eine glatte Abwicklung des Vertrages und auf die Kulanz seines Vertragspartners vertraut und vertrauen soll. Wer somit AGB aufstellt und sich dabei den Umstand zunutze macht, dass sie von der anderen Vertragspartei regelmäßig aus den genannten Gründen unbeanstandet akzeptiert werden, muß sich gefallen lassen, dass ihr Inhalt auf seine Angemessenheit überprüft wird; der Einwand, es sei der Kunde, weil wirtschaftlich, intellektuell oder sozial nicht unterlegen, zur Abwehr der AGB imstande gewesen, geht fehl, weil in zahlreichen Fällen jene ›Unterlegenheit‹ für die Hinnahme der AGB gar nicht ursächlich ist.«
Auch mit diesem Modell kann das geltende Recht nicht vollständig erklärt werden, wie sich aus folgendem Beispiel ergibt. Basedow führt aus126: »Warum sollte der Käufer eines Staubsaugers durch Verhandlungen zu erreichen suchen, dass der Rücktransport des defekten Geräts zum Zweck seiner Nachbesserung statt auf eigene Kosten auf Kosten des Verkäufers zu erfolgen hat, wenn im Durchschnitt nur einer von 100 Staubsaugern fehlerhaft ist und auch in diesem Fall sich die Beförderungskosten auf wenige Euro belaufen? Anders liegen die Dinge aus der Sicht des Herstellers/Verkäufers, der weiß, dass sich unter den Tausenden von veräußerten Geräten […] immer auch einige schadhafte finden werden und dass sich der Aufwand für die Formulierung einer dieses Risiko abwälzenden AGB-Klausel deshalb eines Tages lohnen wird.«
Kötz ergänzt zum gleichen Beispiel aus Sicht des Käufers127: »Wenn man in diesem Fall unterstellt, dass der Rücktransport des Geräts 20 Euro kostet, so wäre jeder Kunde ein Narr, der mehr als 20 Cent in den Versuch investiert, die Transportkosten dem Verwender aufzulasten.« 124
Dazu sogleich den Text nach dem Zitat zu Fn. 127. MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 74. Vgl. auch MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 4. 126 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 5. 127 Kötz, JuS 2003, 212. 125
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Die Informationsasymmetrie besteht also nicht, weil der Käufer sich nicht über die Vertragsbedingungen informieren kann. Ihm wird ja die Kenntnisnahmemöglichkeit gewährt. Die Asymmetrie existiert, weil die Transaktionskosten, die anfallen würden, wenn der Vertragspartner die Bedingungen studiert und auf Verhandlungen drängt, außer Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen stehen. Nur deshalb verzichtet der Vertragspartner auf das Studium der Bedingungen. Und nur deshalb kommt es zu einem Marktversagen. Als Folge komme es trotz eines Wettbewerbs unter den Unternehmern zu keiner Verbesserung der AGB. AGB seien mithin »als Wettbewerbsparameter ungeeignet«128. Deshalb müsse durch die Inhaltskontrolle eine Mindestqualität der AGB gewährleistet werden129. Konsequenterweise müßte die Inhaltskontrolle dann ausgeschlossen sein, wenn ein Marktversagen nicht auf eine Informationsasymmetrie zurückzuführen ist, wenn also die Transaktionskosten nicht prohibitiv hoch sind. Dann kann vom Vertragspartner erwartet werden, daß er die AGB studiert und auf unangemessene AGB reagiert130: »Da die gesetzlichen Haftungsregeln gerade diejenige Risikoverteilung zu verwirklichen suchen, die von rational entscheidenden Individuen bei Abwesenheit von Transaktionskosten ohnehin vereinbart worden wären, ist die Kontrolle abweichender Klauseln am Maßstab der gesetzlichen Risikoverteilung dann legitim, wenn sich nachweisen läßt, daß solche Klauseln typischerweise in Situationen vereinbart werden, in denen die benachteiligte Partei durch hohe Transaktionskosten an der Artikulation ihrer wahren Präferenzen gehindert ist.«
Sollen AGB in einem Rahmenvertrag die Grundlage für eine längere Geschäftsbeziehung zweier Unternehmer bilden, etwa zwischen einem Staubsaugerhersteller und einer großen Elektromarktkette, kann sich der Aufwand von Abänderungsverhandlungen für beide Seiten lohnen. Gleiches gilt in Hinblick auf AGB, die ein Dauerschuldverhältnis regeln sollen. Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, weiß um die Bedeutung der AVB für die Frage, ob die Versicherung bei einer Berufsunfähigkeit zahlt. Auf eine glatte Vertragsabwicklung kann der Vertragspartner nicht hoffen, und ein Vergleich der AVB verschiedener Anbieter kann sich auszahlen. Aufgrund der Aufklärungsarbeit der Verbraucherschutzzentralen nehmen viele Verbraucher einen solchen Vergleich auch vor. Schließt der Versicherungsnehmer dennoch einen Vertrag zu Konditionen ab, die er als unbillig erachtet, dann nur weil er einen Anbieter ohne diese Klauseln nicht finden und keinen Anbieter zu einem Vertragsschluß ohne diese Klauseln bewegen konnte. Wer einen Mietvertrag abschließt, weiß bereits positiv, daß am Ende des Mietverhältnisses ärgerliche und teure Schönheitsreparaturen anstehen. Auf eine glatte Abwicklung des 128 129 130
MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 6. Kötz, JuS 2003, 213. Behrens (1986), S. 170 f.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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Vertrages hofft der Mieter diesbezüglich ebensowenig wie auf eine Kulanz des Vermieters. Auch hier würde es sich lohnen, vor Abschluß des Vertrages mit dem Vermieter in Verhandlungen zu treten. Der Mieter unterläßt dies in dem Wissen, daß sich der Vermieter auf eine Änderung der Klausel ohnehin nicht einlassen und eventuell auf einen Vertragsschluß mit ihm ganz verzichten wird, sollte er auch nur einen Verhandlungsversuch unternehmen. Die hier diskutierte Ansicht müßte in all diesen Fällen eine Inhaltskontrolle ablehnen. Denn die durch das Studium der Vertragsbedingungen, durch das Führen von Abänderungsverhandlungen und durch die Suche anderer Anbieter verursachten Transaktionskosten können jeweils sehr wohl im Verhältnis zum erhofften Nutzen stehen. Aber auch in dem von Basedow und Kötz gebildeten Beispiel wird der Käufer nicht aufgrund kühler Kalkulation, daß der zu erwartende Nutzen und die anfallenden Transaktionskosten außer Verhältnis stehen, auf ein Studium der Bedingungen und auf Verhandlungsversuche verzichten131. Er wird sich in der Regel gar keine Gedanken machen. Die hier vorgestellte Meinung gibt vor, die Wirklichkeit zu erklären und daraus Rückschlüsse zu ziehen, doch interpretiert sie die Wirklichkeit nur aus der Sicht eines Ökonomen und zieht aus dieser Interpretation Rückschlüsse. Macht sich der Vertragspartner ausnahmsweise solche Gedanken, stellt sich sofort die Frage nach seiner Schutzbedürftigkeit: Besteht hier eine Informationsasymmetrie? Liegt nicht eher ein bewußter Informationsverzicht vor? Hat er die anfallenden Transaktionskosten mit dem zu erwartenden Schaden gegeneinander abgewogen und sich bewußt gegen das Studium der AGB und gegen Verhandlungsversuche über den AGB-Inhalt entschieden, übernimmt er damit nicht zugleich auch eigenverantwortlich das Risiko, daß sich der Schaden realisiert? Diese Frage wird man nur dann verneinen können, wenn man die Korrektur des Marktes als überindividuelles Schutzgut als allein beachtlich in Vordergrund rückt. Doch welche Bedeutung kommt dann noch der Informationsasymmetrie zu? Der Ökonom kann sagen, daß es in vielen Fällen tatsächliche Ursache des Marktversagens ist. Doch der Jurist muß Farbe bekennen und erläutern, welche normative Rolle es spielt. Zudem legt die Rechnung von Kötz in dem Beispiel von oben132 den Schluß nahe, daß dem Käufer Verhandlungsversuche dann abverlangt werden, wenn die Transaktionskosten weniger als 20 Cent betragen würden, und daß eine Inhaltskontrolle dann nicht stattfindet, wenn er diesen Betrag nicht aufgewendet hat. Der Käufer muß also umso höhere Transaktionskosten aufwenden, je höher der zu erwartende Schaden oder das Schadensrisiko ist. Wendet er diese Kosten nicht auf, kommt es zu keiner Inhaltskontrolle, obwohl das Schutzbedürfnis wegen der Höhe des Schadensrisikos zu bejahen ist. Oder um es an131 132
Vgl. auch die Kritik von Drexl (1998), S. 338. Siehe oben das Zitat zu Fn. 127.
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ders auszudrücken: Je belastender eine Klausel ist, desto geringer ist das Motivationsgefälle, aber umso höher ist das Schutzbedürfnis des Vertragspartners. Auch scheint mir die Beispielsrechnung von Kötz für Verbraucherverträge nicht zu passen: Nur der Unternehmer kann auf diese Weise kalkulieren und die Transaktionskosten in Verhältnis zu den statistischen Schadenskosten setzen. Für den Käufer ist der Schaden dagegen ein einmaliges Ereignis. Ihn trifft ein Schaden von 20 Euro, oder er bleibt ohne Schaden. Die 20 Cent Schaden pro Vertrag sind für ihn eine fiktive Summe. Das erkannte bereits Roquette 1938133. Der Verbraucher, der die 20 Euro für den Rücktransport nicht aufbringen kann, ist daher gut beraten, mehr Zeit und Aufwand in Verhandlungen zu investieren. Schäfer und Leyens, die nicht den Wert der einzelnen Klausel, sondern den Wert des Vertrages zu den Transaktionskosten in Verhältnis setzen wollen134, müssen sich diesem Vorwurf nicht aussetzen. Freilich dürfte ihr Vorschlag, ebenso wie der von Kötz, in der Praxis kaum umsetzbar sein135: Für den Vertragspartner ist kaum absehbar, wie ein Gericht die Transaktionskosten beziffern wird. Damit weiß er auch nicht, ob er diese Kosten mit Blick auf den Wert der Klausel (der für ihn im übrigen auch nicht absehbar ist, weil er die AGB gerade nicht studiert) oder des gesamten Vertrages hätte aufwenden müssen. Zudem entgehen auch Schäfer und Leyens nicht dem Problem, daß sie bei Verträgen von hohem Wert, etwa bei einem Auto- oder Hauskauf, bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder bei Mietverträgen, bei denen folglich die Klauseln regelmäßig solche Risiken betreffen, die den Vertragspartner besonders hart treffen, eine Kontrolle ausschließen, sie hingegen bei Alltagsgeschäften bejahen. Der Verweis auf das Informations- und Motivationsgefälle paßt weiter nicht für aus nur einer Klausel bestehende Bedingungswerke, und doch können sie gemäß § 305 Abs. 1 S. 2 BGB AGB sein und der Inhaltskontrolle unterfallen136. Gibt ein Theaterbesucher seinen Mantel an einer Garderobe ab und sieht er einen knapp formulierten Haftungsausschluß, so besteht kein Informationsgefälle. Und wüßten die Theaterbesucher, daß sich die Garderobiere auf Verhandlungen einläßt, so würden einige diese Chance sicherlich nutzen. Ein Motivationsgefälle wäre nicht vorhanden. Das Wissen um die Aussichtslosigkeit von Verhandlungsversuchen und die Hoffnung, es werde schon nichts passieren, hält die Theaterbesucher von solchen Versuchen ab. Die ökonomische Analyse pickt sich aus dem Strauß von Gründen, die den Vertragspartner dazu veranlassen, auf ein Studium der AGB und auf Vertragsverhandlungen zu verzichten, einen einzigen heraus und erklärt diesen zum allein maßgeblichen Grund. Stellen wir uns als Referenz einen Markt vor, in dem die 133 134 135 136
Siehe oben § 9 II E (S. 305 ff.). Schäfer/Leyens (unveröffentlichtes Manuskript) unter IV 1 b. Vgl. auch die Kritik von Drexl (1998), S. 338. Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 30.
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Vertragspartner die AGB der Anbieter kennen. Zudem ist es ihnen möglich, die durch die AGB verursachten Nachteile zu beziffern und dem Preis der Produkte hinzuzurechnen. Eine Informationsasymmetrie besteht nicht. Dennoch kann der Vertragspartner die AGB aufgrund seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit nicht wegverhandeln. Alle Anbieter kontrahieren unter ähnlichen AGB, die wir aus Blick des dispositiven Rechts als anstößig ansehen: der eine zu einem günstigeren Preis, aber mit für den Vertragspartner ungünstigeren AGB, der andere zu einem teureren Preis mit günstigeren AGB, so daß den Vertragspartner insgesamt identische Gesamtkosten treffen. In einem solchen Fall müßte die ökonomische Analyse eine Inhaltskontrolle verneinen. Eine Antwort auf die Frage, warum die übrigen Gründe, in unserem Beispiel also das wirtschaftliche Ungleichgewicht, unbeachtlich sind, haben ihre Vertreter in der deutschen AGB-rechtlichen Literatur noch nicht gegeben. Zudem setzt dieser Erklärungsansatz voraus, daß die AGB vom Verwender massenweise verwendet werden. Nur dann kann von einem Motivationsgefälle gesprochen werden. Dazu paßt nicht, daß schon die Absicht, Vertragsbedingungen nur dreimal zu verwenden, sie zu AGB werden lassen und die Inhaltskontrolle eingreift137. Ebenso ist vor dem Hintergrund des hier diskutierten Vorschlags nicht erklärbar, daß AGB auch dann vorliegen sollen, wenn ein Verwender Vertragsbedingungen, die von einem Dritten für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert worden sind, nur ein einziges Mal verwenden will138. Stehen die Mühen, die AGB zu studieren, für den Verwender nicht außer Verhältnis zum erhofften Nutzen, so sollte prima facie gleiches für den Vertragspartner gelten. Ein Informations- und Motivationsgefälle scheidet in den Fällen nicht individuell ausgehandelter Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, sogar ganz aus. Die Kosten des Verwenders, solche Bedingungen auszuarbeiten, dürften identisch mit den Kosten des Vertragspartners sein, diese Bedingungen zu studieren139. Und dennoch ordnet § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB für Verbraucherverträge eine Inhaltskontrolle solcher Bedingungen an. Schließlich kann auch die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB nicht aus diesem Ansatz hergeleitet werden. Nach § 310 Abs. 4 S. 3 BGB stehen etwa Tarifverträge Rechtsvorschriften i.S.d. § 307 Abs. 3 BGB gleich, mit der Folge, daß sie nicht auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden. Das ist bedeutsam, wenn der Tarifvertrag nicht aufgrund der Tarifbindung, sondern nur durch eine Einbeziehungsabrede zum Vertragsinhalt gemacht wird140. Indes kann in einem solchen Fall ein Motivations- und Informationsgefälle zwischen den Vertragsparteien durchaus bestehen. Eine Kontrolle müßte also grundsätzlich möglich sein. 137 138 139 140
Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 18. Statt aller Jauernig/Stadler (13. Aufl. 2009), § 305 Rn. 4. Fastrich (1992), S. 101. Statt aller Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 310 Rn. 150.
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Nach alledem ist die hier vorgestellte Ansicht derselben Kritik ausgesetzt, die sie an der Meinung, Schutzgrund der Inhaltskontrolle sei eine Übermacht des Verwenders, übt: Mit der Annahme, Schutzgrund sei die Korrektur eines Marktversagens, das seinerseits seine Ursache in einem Motivations- und Informationsgefälles hat, ist schlecht vereinbar, daß es für die Anwendbarkeit der Inhaltskontrolle nicht auf den Nachweis eines solchen Gefälles ankommt. Und eine gelungene Typisierung findet sich im Gesetz ebenfalls nicht, weil es der Inhaltskontrolle Vertragsabreden unterstellt, die von diesem Schutzgrund nicht mehr erfaßt sind. All die gerade aufgezeigten Fälle müßten vielmehr aus der Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB ausgeschieden werden. Sie wären wieder mittels der Generalklauseln des § 138 BGB und des § 242 BGB zu lösen. Daß diese Generalklauseln indes nur bedingt tauglich sind, die Inhaltskontrolle zu erklären, hat die Rechtsentwicklung, die zum AGBG geführt hat, gezeigt. Schließlich ist ein letzter Punkt bedenkenswert. Betrachten wir nochmals Kieningers Begründung für diese Ansicht141: »Auch dort, wo die beteiligten Kaufleute wirtschaftlich gleich stark, gleich rechtskundig und gleich geschäftserfahren sind, […] werden […] die AGB der anderen Vertragspartei vielfach unbesehen hingenommen, dies nicht aus bloßer Trägheit, sondern auf Grund der nüchternen Tatsache, dass durch eine genaue Prüfung der AGB, durch die Formulierung von Gegenvorschlägen und durch die Führung von Abänderungsverhandlungen ein Aufwand an Zeit und Mühe entstünde, der dem Kunden schon deshalb als nicht lohnend erscheinen muß, weil er im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf eine glatte Abwicklung des Vertrages und auf die Kulanz seines Vertragspartners vertraut und vertrauen soll.«
Die letzten zwei Worte des Zitates scheinen mir für dieses Erklärungsmodell ebenso essentiell wie problematisch zu sein. Daß der Vertragspartner die AGB aus dem Grund nicht studiert, weil er auf eine glatte Vertragsabwicklung hofft und ihm die Kosten und Mühen außer Verhältnis zur Wahrscheinlichkeit des Eingreifens der AGB scheinen, mag als tatsächliche Beobachtung oft richtig sein. Aber daraus zu schließen, daß dieses Vertrauen auch schutzwürdig und deshalb eine Inhaltskontrolle geboten ist, scheint mir doch einer näheren Begründung zu bedürfen. Denn man könnte auch umgekehrt behaupten, daß zumindest im Unternehmerverkehr derjenige, der ohne Vorliegen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts ungelesenen AGB zustimmt, das Risiko übernimmt, daß sein Vertrauen enttäuscht wird. Möchte er dieses Risiko nicht übernehmen, muß er sich eben, so könnte man sagen, dazu motivieren, sich über den AGB-Inhalt zu informieren. Auch die Vertreter der ökonomischen Analyse präsentieren damit keine befriedigende Rechtfertigung für die mit einer offenen richterlichen Inhaltskontrolle verbundenen Eingriffe in den Vertrag. Freilich sind ökonomische 141 MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 74. Betonung hinzugefügt. Ähnlich Enderlein (1996), S. 254; Koller, FS Steindorff (1990), 670; Leuschner, AcP 207 (2007), 503 ff.
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Erwägungen damit nicht vollkommen nutzlos. Sie spielen bei der Konkretisierung der Generalklausel des § 307 BGB eine bedeutende Rolle142. Doch scheint mir die Formel, »dass eine AGB-Klausel als unangemessen bewertet werden sollte, wenn sie von derjenigen Vertragsvereinbarung abweicht, zu der die Parteien gelangt wären, wenn man sich das Marktversagen wegdenkt und annimmt, dass sie über den streitigen Punkt in einer idealen Welt ohne Transaktionskosten verhandelt hätten«143, untauglich zu sein144: Zum einen wirft diese Formel eine kaum zu beantwortende Frage auf, nämlich die nach dem hypothetischen Verhandlungsergebnis, außer freilich man unterstellt die Parteien hätten sich auf die effizienteste Lösung geeinigt. Auch werden von dieser Formel der Privatautonomie nicht nur äußere Grenzen gezogen. Die Parteien müssen, nimmt man diese Formel beim Wort, eine Punktlandung machen. Alles was nicht dem Idealbild entspricht, wird als unangemessen bewertet. Der Jurist belehrt den Kaufmann nicht nur darüber, was rechtlich möglich, sondern auch darüber, was kaufmännisch sinnvoll gewesen wäre. Schließlich dürfte nach dieser Meinung Rechtsfolge der Inhaltskontrolle nicht sein, daß das dispositive Recht gilt. Das hypothetische Verhandlungsergebnis in einer idealen Welt ohne Transaktionskosten müßte doch wohl an die Stelle der unangemessenen AGB treten, und das Einverständnis in die Geltung der AGB müßte in ein Einverständnis in die effizienteste Lösung umgedeutet werden.
B. Die Trennung individueller und überindividueller Schutzkonzepte Aus keinem der Schutzgründe heraus läßt sich die Inhaltskontrolle der §§ 307 ff. BGB vollständig erklären. Zudem ist unbefriedigend, daß nebeneinander auf verschiedene Schutzgründe verwiesen wird. Denn die Inhaltskontrolle müßte auf ihrer Grundlage jeweils unterschiedlich ausgestaltet werden. Besonders deutlich wird dies, wenn man die Gründe einander gegenüberstellt, die einerseits dem Schutz des individuellen Vertragspartners und die andererseits dem Schutz überindividueller Güter dienen. Wer behauptet, das AGB-Recht wolle beides gleichzeitig schützen145, erkennt nicht die jeweils unterschiedlichen Folgen, die aus diesen verschiedenen Ausrichtungen resultieren. Auch außerhalb Deutschlands wird zur Begründung der Inhaltskontrolle nebeneinander auf unterschiedliche Schutzgründe verwiesen: Der Schutz bei 142
Dazu etwa Kötz, JuS 2003, 213 f.; Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 182 ff. MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 39. 144 Kritisch auch Drexl (1998), S. 332 ff.; Horn, AcP 176 (1976), 321 f. 145 So etwa Lass, JZ 1997, 68. Vgl. auch Leuschner, AcP 207 (2007), 493 ff.; Becker, WM 1999, 711 f. Anders Staudinger/Sack (2003), § 138 Rn. 161, der betont, die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle sei allein individualschützend. 143
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Ungleichgewichtslagen steht auf europäischer Ebene146 und etwa in England147, Schottland148, Italien149, Frankreich150 sowie in Österreich151 im Vordergrund. Daneben glaubt die Kommission, die Klauselrichtlinie schütze nicht nur den einzelnen Vertragspartner, sondern darüber hinaus auch die Wirtschaftsordnung als überindividuelles Gut152. Auch die europäische Literatur153 sowie englische154, österreichische155 und italienische156 Autoren nennen neben individuellen Schutzgründen ein Marktversagen als Schutzgrund. Und in der europäischen Literatur wurde jüngst vorgeschlagen, die Richtlinie solle allein auf Grundlage des Marktschutzes erklärt werden157. Die Betonung 146 Princ. 9 f., 46 DCFR; Hesselink, ERCL 2008, 262; Nebbia, (2007), S. 21; Ferrante (2005), S. 117; Weatherill (2005), S. 115 ff.; Nebbia/Askham (2004), S. 255; Benkinger (2004), S. 56 f.; Reich/Micklitz (4. Aufl. 2003), S. 493 f., 498 ff.; Grundmann (1999), § 2.10 Rn. 16; Hondius (1987), S. 237; Burckhardt (2000), S. 46 ff.; EuGH (26.10.2006), Rs C-168/05 (Mostazza Claro/ Móvil), Slg. 2006, I-10421 Rn. 25; EuGH (24.1.2002), Rs C-372/99 (Kommission/Italien), Slg. 2002, I-819 Rn. 14. 147 Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 15 f., 439 f.; Lawson (9. Aufl. 2008), § 9.01 ff.; McKendrick (7. Aufl. 2007), § 17.1; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 1-004 f.; MacDonald (2007), S. 153 f.; Cheshire/Fifoot/Furmston (15. Aufl. 2007), S. 252 f.; Woodroffe/Lowe (7. Aufl. 2007), § 8.04; Whincup (5. Aufl. 2006), §§ 7.1, 7.36; Howells/Weatherill (2. Aufl. 2005), S. 261; Law Commission/Scottish Law Commission, Report No. 292/199 (2005), §§ 5.12 ff.; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 14 f., 18; Bigwood (2003), S. 273 ff.; Law Commission/Scottish Law Commission, Consultation Paper No. 166/Discussion Paper No. 119 (2002), S. XII; Harvey/Parry (6. Aufl. 2000), S. 126; Cranston/Scott/Black (3. Aufl. 2000), S. 73 ff.; Brownsword (2000), § 3.2; Law Commission/Scottish Law Commission, Report No. 69/39 (1975), §§ 11, 147. 148 Ervine (4. Aufl. 2008), § 9-05; MacQueen/Thomson (2. Aufl. 2007), § 7.25 ff.; Thomson (2006), § 5-10; Walker (3. Aufl. 1995), § 20.8; Smith (1962), S. 755. 149 Gazzoni (12. Aufl. 2006), S. 906 f.; Perlingieri/Donisi (5. Aufl. 2005), S. 344 f.; Perlingieri/Rizzo (5. Aufl. 2005), S. 410 ff.; Cian/Trabucchi/Zaccaria (7. Aufl. 2004) Art. 1469-ter § I.3; Alpa/Patti (2003), Introduzione § 2; Galgano (11. Aufl. 2001), S. 304 f.; Cian (1998), S. 24; ders., JbItalR 10 (1997), 59; Patti, JbItalR 18 (2005), 14 f.; ders., JbItalR 10 (1997), 83. 150 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck (2. Aufl. 2005), Rn. 426; Carbonnier (22. Aufl. 2000), Rn. 35; Ferid/Sonnenberger I/1 (2. Aufl. 1994), F 801; Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 175; Burckhardt (2000), S. 67; Brock (1998), S. 5 f.; Berger-Walliser, RIW 1996, 459 ff.; Witz/Wolter, ZEuP 3 (1995), 888 f. 151 Leitner (2008), S. 13 ff.; Schwimann/Apathy/Riedler (3. Aufl. 2006), § 879 Rn. 30; Leitner (2005), S. 9, 12 ff.; Rummel/Krejci (3. Aufl. 2000), § 879 Rn. 234; Krejci (1981), S. 135. Im übrigen spricht die Literatur von einer »verdünnten Willensfreiheit« des Vertragspartners als Grund der Inhaltskontrolle und betont damit auch den Individualschutz: Koziol/P. Bydlinski/ Bollenberger (2. Aufl. 2007), § 879 Rn. 22; Kletečka (13. Aufl. 2006), S. 134; P. Bydlinski, AT (3. Aufl. 2005) S. 102; Faber (2003), S. 18. 152 Kommission, Bericht v. 27.04.2000, KOM (2000) 248 endg., S. 14. 153 Eidenmüller, in: Akademischer Entwurf (2008), S. 92 f. Vgl. auch Micklitz (2008), S. 32 ff.; Hatzis (2008), S. 43 ff. 154 Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 438 f.; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 20. 155 Faber, ÖJZ 2003, 789; Graf (1997), S. 96 f. 156 Antoniolli (1999), S. 137 ff. 157 Mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen Schilling, (2008) 33 ELR 336 ff.; Antoniolli (1999), S. 137 ff.; (Schutz vor Marktversagen aufgrund einer Informationsasymmetrie); Heiderhoff (2. Aufl. 2007), S. 168; dies. (2004), S. 422 ff. (Förderung des Binnenmarktes durch Herstellung von Verbrauchervertrauen); wie Heiderhoff auch Rösler (2004), S. 191 f.
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überindividueller Schützgründe steht freilich im Widerspruch dazu, daß auch in diesen Rechten die Kontrolle konkret-individuell ist158. In der englischen Literatur wird schließlich behauptet, Aufgabe der Inhaltskontrolle sei schlicht, die Angemessenheit des Inhalts von Verträgen allgemein oder zumindest von Verbraucherverträgen zu gewährleisten sowie zu garantieren, daß der Vertragsinhalt nicht in Widerspruch zur sozialen Gerechtigkeit (»social justice«) tritt159. Aber nicht nur die Debatte um den richtigen Schutzgrund ist unbefriedigend. Auch die deutsche lex lata weist Mängel auf. Dem AGBG lag ursprünglich der AGB-Begriff als Systembegriff zugrunde. Er entschied über den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle. Ihre Beschränkung auf AGB konnte allein auf Grundlage überindividueller Schutzgüter erklärt werden. Die Umsetzung der Klauselrichtlinie brachte Modifikationen, die sich heute in § 310 Abs. 3 BGB finden. Der Ausweitung der Inhaltskontrolle auf Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluß nehmen konnte, sowie die Berücksichtigung der den Vertragsschluß begleitenden Umstände im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zielt auf den Schutz des individuellen Vertragspartners. Doch blieben diese Modifikationen auf Verbraucherverträge beschränkt. Im übrigen hält das deutsche Recht an seiner ursprünglichen Konzeption fest. Beide Systembegriffe, der AGB-Begriff des deutschen Rechts und der Begriff der nicht individuellen Vertragsbedingungen der Richtlinie, folgen unterschiedlichen Schutzkonzepten, die nicht miteinander vereinbar sind160. Aus alledem muß der Schluß gezogen werden, daß das individuelle und das überindividuelle Schutzkonzept konsequent voneinander zu trennen sind: Es gibt nicht nur eine, sondern zwei Ausprägungen der offenen richterlichen Inhaltskontrolle. Der Schutzgrund, dieser beiden Ausprägungen ist ein jeweils unterschiedlicher. Der Schutzgrund der individualschützenden Inhaltskontrolle ist ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien, die überindividuell ausgerichtete Inhaltskontrolle hat dagegen eine marktbereinigende Funktion. Beide Formen der offenen richterlichen Inhaltskontrolle verlangen nach einer jeweils unterschiedlichen Ausgestaltung. Diese Zweiteilung liegt schon dem geltenden deutschen Recht zugrunde, wird indes dadurch verdeckt, daß sich beide Ausprägungen in den §§ 307 ff. BGB finden, der Gesetz158 Für England: Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 469 ff.; Treitel/Peel (12. Aufl. 2007), § 7075 ff., 7-099 ff.; Cheshire/Fifoot/Furmston (15. Aufl. 2007), S. 241 f.; McKendrick (7. Aufl. 2007), § 11.14; Whincup (5. Aufl. 2006), §§ 7.20, 10.11. Für Schottland: Walker (3. Aufl. 1995), § 20.75. Für Italien: Cian, JbItalR 10 (1997), 61. Für Österreich: Faber, ÖJZ 2003, 793; dies. (2003), S. 25. 159 Chen-Wishart (2. Aufl. 2008), S. 464, 482 ff. Vgl. aber auch McKendrick (7. Aufl. 2007), §§ 11.9, 17.7; Atiyah/Smith (6. Aufl. 2005), S. 326. 160 Anders etwa Heinrichs, NJW 1996, 2194; ders., NJW 1993, 1818.
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geber sie also nicht scharf voneinander geschieden hat161. Um so wichtiger ist es, daß die Wissenschaft die Unterschiede zwischen beiden Varianten herausarbeitet162. 1. Die Inhaltskontrolle als Individualschutz Idealerweise treten die Vertragsparteien in Verhandlungen. Jede Partei bringt dabei ihre Interessen in den Verhandlungsprozeß ein. Im Idealfall stellt das Verhandlungsergebnis sodann einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Parteiinteressen dar. Glaubt eine Partei, der Vertrag werde einseitig die Interessen ihres Gegenübers berücksichtigen und sie selbst unangemessen benachteiligen, weil es ihr nicht gelingt, ihre Interessen in den Verhandlungen durchzusetzen, oder weil sich der Gegenüber auf solche Vertragsverhandlungen nicht einläßt, so nimmt sie idealerweise von einem Vertragsschluß Abstand und sucht nach einem anderen Anbieter, der bereit ist, zu angemesseneren Konditionen zu kontrahieren. Diese zweite Möglichkeit, der Verzicht auf den Vertragsschluß, wird in der Literatur zu wenig betont163. Aber genauso reagieren Kunden in der Regel auf überhöhte einseitig bestimmte Preise, von denen der Anbieter nicht in Verhandlungen abweicht. Vertragsverhandlungen und Abstandnahme vom Vertragsschluß: Das sind mithin die Handlungsoptionen, die eine Partei hat, um auf unangemessene Vertragsbedingungen zu reagieren. In vielen Fällen kommt es indes zum Vertragsschluß, ohne daß Verhandlungen zu den Einzelheiten des Vertragsinhalts stattfanden. Ist dieser Inhalt angemessen, besteht kein Anlaß für einen Eingriff in den Vertrag. Ein Eingriff verbietet sich ebenfalls, wenn es auf einer autonomen Entscheidung einer Partei beruht, daß sie den Vertrag trotz unangemessenen Inhalts eingegangen ist. Sie mag etwa den Vorschlag ihres Gegenübers als billig empfinden und verzichtet deshalb darauf, in Verhandlungen einzutreten oder vom Vertragsschluß Abstand zu nehmen. Daß sich ein Außenstehender an diesem Vertragsinhalt stößt, rechtfertigt keine Inhaltskontrolle. Oder die Partei erkennt zwar, daß der Vertrag in einem Punkt nicht angemessen ist, ihr ist dieser Punkt indes zu nebensächlich, als daß sie dafür Verhandlungen führen oder auf den Vertragsschluß verzichten möchte. Dieses Motiv, nicht in Verhandlungen einzutreten und nicht vom Vertragsschluß Abstand zu nehmen, muß das Recht akzeptieren. Ein Anlaß für eine Inhaltskontrolle besteht nicht. Pathologisch sind jedoch die Fälle, in denen die Entscheidung einer Partei, auf Verhandlungen zu verzichten und auch nicht vom Vertragsschluß abzusehen, nicht als vollkom161
Vgl. auch schon Antoniolli (1999), S. 137 ff., 140 ff. Zur individualschützenden Variante zuletzt ausführlich Drexl (1998), S. 328 ff. 163 Betonend etwa Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 21; Fastrich (1992), S. 79 ff.; Leuschner, AcP 207 (2007), 498. 162
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men autonom, frei, informiert, unbeeinträchtigt und unbeeinflußt bezeichnet werden kann164. a) Das Ungleichgewicht als Schutzgrund Daß eine Partei nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagiert hat, stellt für sich genommen keinen Schutzgrund dar. Ob Anlaß für eine Inhaltskontrolle besteht, kann nur beurteilt werden, wenn man die Frage nach dem Warum stellt165: Warum unterläßt es eine Partei, ihre Handlungsoptionen auszuüben? Daß die möglichen Antworten auf diese Frage vielfältig sind, haben die oben vorgestellten Meinungen, insbesondere diejenige, die den Schutzgrund in einem Ungleichgewicht zwischen den Parteien sieht, offenbart166: Eine Partei mag auf den Vertragsschluß angewiesen, schlecht informiert oder unerfahren sein, sie mag die Konsequenzen einer Vertragsbestimmung nicht übersehen, sie mag sich machtlos fühlen, sie mag glauben, ihr Gegenüber lasse sich ohnehin nicht auf Vertragsverhandlungen ein, ihr mag der Anreiz fehlen, auf Verhandlungen zu drängen, weil sie auf eine glatte Vertragsabwicklung hofft, sie mag aus Kurzsichtigkeit bei ihrer Entscheidungsfindung nicht den gesamten Vertragsinhalt, sondern etwa nur das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung berücksichtigen, sie mag sich mit anderen Worten nicht vom Wettbewerbsparameter der Vertragsbedingungen ansprechen lassen, oder sie mag schlicht ganz bewußt darauf spekulieren, daß die Kosten der Lektüre außer Verhältnis zum Nutzen dieses Aufwandes oder zum aus dem Vertrag gezogenen Nutzen stehen. Der Verweis auf ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien erweckt oft den Eindruck, als rechtfertige jedes Ungleichgewicht einen Eingriff in den Vertrag. Doch nicht jede Antwort auf die Frage, warum es eine Partei unterläßt, die ihr offenstehenden Handlungsoptionen auszuüben, kann eine Inhaltskontrolle begründen167. Denn daß zwischen zwei Parteien bei Vertragsschluß irgendeine Art von Ungleichgewicht besteht, ist ein alltägliches Phänomen, ja wohl sogar die Regel. Nicht in jedem Fall schreitet das Recht zum Schutz der unterlegenen Partei ein. Und sieht es ein Schutzbedürfnis, so sind die möglichen Schutzmechanismen vielfältig: Droht eine Partei mit der Ausübung ihrer Übermacht, kann dem Unterlegenen eventuell ein Anfechtungsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB zustehen. Schlägt sich die Unterlegenheit in einer Zwangslage nieder und beutet die andere Partei diese Zwangslage aus, so kann der Vertrag unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nichtig sein. Und das Verbraucherschutzrecht reagiert mit Widerrufsrechten. Vorlie164 165 166 167
Vgl. statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), Vor § 305 Rn. 4. Zweigert/Kötz (3. Aufl. 1996), S. 326; Drexl (1998), S. 343. Vgl. auch Drexl (1998), S. 340 ff. Vgl. nur Fastrich (1992), S. 217 ff.
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gend müßten die Gründe, warum eine Partei trotz eines unangemessenen Vertragsinhalts nicht nach weiteren Verhandlungen verlangt oder vom Vertragsschluß Abstand genommen hat, gesichtet, typisiert und in solche Gründe unterteilt werden, die eine Inhaltskontrolle rechtfertigen und die dies nicht tun. Ein solcher Ansatz ist freilich nicht praktikabel168: Die Ursachen, warum eine Partei darauf verzichtet, auf einen unangemessenen Vertragsinhalt mit weiteren Verhandlungen oder mit einer Abstandnahme vom Vertrag zu reagieren, sind zu vielfältig, als daß sie abschließend erfaßt werden könnten. Zudem müßte die Frage beantwortet werden, welche Ursachen beachtlich sind und in welchen Fällen die Rechtsordnung von der unterlegenen Partei verlangt, ihre Handlungsoptionen auszuüben, um selbst ihre Interessen zu hüten. Die Antwort auf diese Frage würde dabei ihrerseits von zahlreichen Faktoren abhängen: Ist die unterlegene Partei ein Verbraucher? Hat die überlegene Partei die Vertragsbedingungen zur Disposition von Vertragsverhandlungen gestellt? Sind die Bedingungen umfangreich oder kurz? Sind sie schwer verständlich? Daß ein Verbraucher bei seiner Entscheidung, ob er einen Vertrag mit einseitig gestellten und sehr umfangreichen Vertragsbedingungen, deren Bedeutung er kaum erfassen kann, beeinträchtigt ist, möchte man wohl ohne Hinzutreten weiterer Umstände bejahen. Eine Inhaltskontrolle scheint gerechtfertigt. Aber gilt gleiches, wenn einem Verbraucher eine einzige, grob unbillige, leicht verständliche Vertragsbedingung gestellt wird, auf die er bei Vertragsschluß besonders hingewiesen wird? Man denke nur an eine Operngarderobe: Wird ein unverschämt hohes Entgelt verlangt, wird der Opernbesucher seinen Mantel unter den Sitz legen, wie er es sonst auch im Kino zu tun pflegt. Hängt ein anstößiger Haftungsausschluß aus, den der Besucher wahrnimmt, und gibt er seinen Mantel dennoch ab, handelt er dann nicht selbstverantwortlich? Ist seine Hoffnung, es passiere schon nichts, schützenswert? Soll die Tatsache, daß der Betreiber der Garderobe den Schaden besser kontrollieren und versichern kann, eine Kontrolle rechtfertigen? Kann nicht auch von dem Opernbesucher verlangt werden, daß er seine ihm zustehenden Handlungsoptionen ausübt, obwohl er Verbraucher ist? Die Beantwortung der Frage, ob das Bedürfnis besteht, eine Partei durch eine Inhaltskontrolle zu schützen, hängt mithin von zahlreichen Variablen ab. Ihre Berücksichtigung würde ein nicht hinnehmbares Maß an Rechtsunsicherheit in die Inhaltskontrolle hineintragen, und als Folge würde sich kaum ein Vertragspartner gegen den Inhalt einer Klausel wehren. Das Prozeßrisiko wäre zu groß. Die offene richterliche Inhaltskontrolle wäre als Schutzinstrument ineffektiv.
168
Wackerbarth, AcP 200 (2000), 52 f.; Zöllner, AcP 196 (1996), 24 ff.
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b) Die Art und Weise des Vertragsschlusses Daher gehen die Rechte Europas einen anderen Weg. Sie arbeiten Umstände heraus, auf deren Grundlage von einem Ungleichgewicht ausgegangen werden kann und kodifizieren sodann einen unwiderleglichen Vermutungstatbestand169. Man könnte nun meinen, daß die Stellung der am Vertrag Beteiligten wichtigste Zutat des Vermutungstatbestandes ist. Denn der Verbraucherschutzgedanke dominiert seit den 1970er Jahren das deutsche AGB-Recht und liegt auch der Klauselrichtlinie zugrunde170. Man könnte also glauben, daß immer dann ein Ungleichgewicht vorliegt, wenn auf der einen Seite ein Verbraucher und auf der anderen Seite ein Unternehmer steht. Diesen Weg geht etwa das französische Recht. Ein solcher Vermutungstatbestand wäre indes untauglich171. Denn ein Ungleichgewicht kann auch zwischen zwei Unternehmern bestehen. Nun könnte man das für unbeachtlich erklären und sagen, daß in Verträgen zwischen zwei Unternehmern einer Partei die Möglichkeit offenstehen soll, dieses Ungleichgewicht positiv nachzuweisen. Aber damit wären wir wieder dem Dilemma ausgesetzt, das durch die Bildung eines Vermutungstatbestandes gerade vermieden werden soll: Die Formulierung eines solchen Tatbestandes soll uns gerade von der Aufgabe entlasten, die verschiedenen Ursachen eines Ungleichgewichts zu identifizieren, zu typisieren und zu bewerten. Die Stellung der am Vertrag Beteiligten ist damit aber nicht vollkommen unbeachtlich. Sie spielt nur eine andere Rolle. Sie ist nicht Grundlage des Vermutungstatbestandes, sondern Korrektiv eines notwendigerweise zunächst zu weit gefaßten Vermutungstatbestandes172. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages. aa) Allgemeine Geschäftsbedingungen. Im Einklang mit den §§ 305 ff. BGB sind AGB von der Inhaltskontrolle erfaßt. Der AGB-Begriff besteht nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB aus drei Bestandteilen173: AGB sind vorformulierte Vertragsbedingungen, sie sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, und sie werden dem Vertragspartner vom Verwender bei Vertragsschluß gestellt. Fraglich ist nun, ob diese drei Bestandteile für ein Eingreifen einer individualschützenden Inhaltskontrolle wirklich, wie ursprünglich nach deutschem Recht, kumulativ vorliegen müssen oder ob nicht einzelne Bestandteile verzichtbar sind. 169
Vgl. für Deutschland etwa Bunte, NJW 1987, 924. Hierzu MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 310 Rn. 22. 171 Vgl. auch Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 7; Roth, JZ 1999, 531. 172 Siehe unten d (S. 575 ff.). 173 Unberücksichtigt bleibt hier die Frage, ob die §§ 305 ff. BGB nur auf Vertragsbedingungen oder etwa auch auf Einwilligungen als einseitige Erklärungen anwendbar sind; zu dieser Frage vgl. Ohly (2002), S. 436 ff. 170
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bb) Vorformulierte Vertragsbedingungen. Gibt eine Partei ein individuelles Angebot ab, und nimmt die andere Partei dieses durch ein schlichtes Ja an, so ist der Vertragsinhalt von der ersten Partei formuliert, und wenn sie sich den Text schon vor der Vertragsschlußsituation zurechtgelegt hatte, ist er auch vorformuliert worden. Daß Vertragsbedingungen vorformuliert sind, reicht mithin für sich genommen als Vermutungsgrundlage für ein Ungleichgewicht nicht aus174. cc) Einseitig gestellte Vertragsbedingungen. Notwendig ist vielmehr ein Akt des einseitigen Stellens. Erklärt der Verwender, daß er nur so und nicht anders gewillt ist zu kontrahieren und stellt er damit die Vertragsbedingungen nicht ernsthaft zur Disposition von Vertragsverhandlungen, und unterwirft sich der Vertragspartner diesem Vertragsinhalt, dann kann ein solches Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien vermutet werden, das der unterlegenen Partei die Ausübung der Handlungsoptionen eines rationalen Marktteilnehmers unmöglich macht. Um ein einseitiges Stellen bejahen zu können, ist mithin nicht der Nachweis einer Überlegenheit des Verwenders notwendig175. Vielmehr ist ein erfolgreiches einseitiges Stellen Vermutungsgrundlage für ein entsprechendes Ungleichgewicht. Die herrschende Meinung läßt für ein Stellen i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB genügen, wenn der Verwender die Einbeziehung veranlaßt; durch den Begriff des Stellens soll nur der Verwender identifiziert werden176. Freilich folgt diese Auslegung nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser verlangt, daß der Verwender die Bedingungen »der anderen Vertragspartei stellt«. Die herrschende Meinung liest indes, daß der Verwender die Bedingungen »der anderen Vertragspartei zur Verfügung stellt«. Der bloße Akt der Zurverfügungstellung läßt aber nicht auf ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien schließen. Die hier vertretene Auslegung stellt mithin höhere Anforderungen an den Akt des Stellens. Das allein entspricht dem Willen des Gesetzgebers des AGBG, der zum Merkmal des Stellens formulierte177: »In der hierhin zum Ausdruck gebrachten Einseitigkeit der Auferlegung liegt der innere Grund und Ansatzpunkt für die rechtliche Sonderbehandlung von AGB gegenüber Individualabreden.«
Freilich sind die in der Literatur problematisierten Fälle auch nach der hier vertretenen Auslegung nicht anders zu lösen178: Benutzt der Vertragspartner 174 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 31. A.A. offenbar Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 305 Rn. 14: »Die Vorformulierung ist ein formales Merkmal und ein Indiz für das Vorliegen einseitiger Gestaltungsmacht.« 175 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 26. 176 Roth, BB 1992, Beilage Nr. 4, 8; Erman/Roloff (12. Aufl. 2008), § 305 Rn. 12. 177 Entwurf (1975), S. 33. 178 Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), § 305 Rn. 26 f.
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für sein Angebot ein Formular des Verwenders und enthält dieses Bedingungen, so sind diese vom Verwender gestellt. Denn durch die Ausgabe der Formulare hat der Verwender zu verstehen gegeben, daß er nur so und nicht anders zu kontrahieren bereit ist. Wer dann im weiteren Verlauf das eigentliche Angebot abgibt, ist unbeachtlich. Die hier entwickelte Auslegung steht zudem im Einklang mit dem am Individualschutz ausgerichteten Zweck der Inhaltskontrolle und steht nicht im Widerspruch zu § 305 Abs. 2 BGB179. Ob Vertragsklauseln einseitig gestellt sind, bestimmt sich nach §§ 133, 157 BGB. Es genügt also nicht, daß der Verwender den Klauselinhalt ernsthaft zur Disposition von Vertragshandlungen gestellt hätte, wenn der Vertragspartner solche Verhandlungen gewünscht hätte. Ein Stellen ist nur zu verneinen, wenn eine verständige Person aus Sicht des Vertragspartners nach Treu und Glauben die Einführung der Bedingungen in die Vertragsverhandlungen durch den Verwender nicht als ein So-und-nicht-Anders verstehen durfte. Der Akt des einseitigen Stellens und das Aushandeln i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB schließen sich mithin einander aus180. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB hat nur eine klarstellende Funktion und ihm fehlt eine über § 305 Abs. 1 S. 1 BGB hinausgehende Aussage181. Neben dem Akt des einseitigen Stellens kommt der Vorformulierung keine eigenständige Bedeutung zu182. Ob der Verwender die Bedingungen, die er nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen stellt, nun in der Vertragsschlußsituation spontan formuliert oder ob er sie sich vorher zurecht gelegt hat, ist für den Vertragspartner oft nicht erkennbar und für sein Schutzbedürfnis unbeachtlich. Zu eng ist es daher, wenn die Literatur Vertragsbedingungen nur dann als vorformuliert ansieht, »wenn sie zeitlich vor dem Vertragsschluss fertig formuliert vorliegen«183. dd) Für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Da AGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, kann vermutet werden, ihr Verwender wolle auf jeden Fall nur so und nicht anders kontrahieren. Das entspricht dem mit den AGB verfolgten Rationalisierungseffekt. AGB sind mithin das wichtigste Beispiel einseitig gestellter Vertragsbedingungen. Doch auch Vertragsbedingungen, die nur für einen einzigen Vertrag bestimmt sind, können einseitig gestellt werden, und hier besteht ebenso wie bei AGB ein Schutzbedürfnis des Vertragspartners. Denn zum einen bleibt dem 179
Vgl. aber die Einwände von Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 27. Vgl. die Definition des Begriffs des Aushandeln in § 305 Abs. 1 S. 3 durch BGH (3.11.1999), NJW 2000, 1110, 1111. 181 Statt aller MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 33, 43; Gottschalk, NJW 2005, 2493. A.A. Soergel/Stein (12. Aufl. 1991), § 1 Rn. 12. 182 Den Akt des einseitigen Stellens betont auch Roth, JZ 1999, 531, und er ist auch bei Drexl (1998), S. 339 f., 344 ff., 490, Zentralbegriff. 183 So etwa MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 13. 180
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Vertragspartner oft verborgen, ob Bedingungen für eine Vielzahl von Verträgen bestimmt sind: Verwender sind heute nicht mehr gezwungen, vorgedruckte Formulare oder Klauselwerke bereitzuhalten, sondern können den Vertrag erst in einer konkreten Vertragsschlußsituation ausdrucken. Zum anderen ist es aus dem Blickwinkel des Individualschutzes unbeachtlich, ob identische Bedingungen auch in anderen Verträgen Verwendung finden. Weiterhin erfolgt die Abgrenzung nach der herrschenden Meinung willkürlich184. Die dreimalige Verwendung soll ausreichen. Daß aber ein Schutzbedürfnis bei einer zweimaligen Verwendung noch nicht185, aber bei dreimaliger Benutzung dann doch besteht186, ist kaum erklärbar. Daß eine dreimalige Verwendung ausreichen soll, ist auch nicht mit dem Wortlaut des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB in Einklang zu bringen. Nenne ich drei Uhren mein eigen und erzähle, ich hätte eine Vielzahl von Uhren, würden mich die meisten Zeitgenossen einen Aufschneider schimpfen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch beginnt eine Vielzahl eben noch nicht mit der Zahl Drei. Daß die herrschende Meinung nur eine dreimalige Verwendung verlangt, deutet daher auf eine Aufweichung dieser Voraussetzung hin. Dafür spricht auch, daß schon die bloße Absicht der dreimaligen Verwendung ausreichen soll187. Zudem soll es genügen, wenn eine Vertragspartei Klauseln zwar nur einmalig verwenden will, sich bei Abfassung des Vertrages aber eines AGB-Klauselwerkes bedient188, und aus einer abstrakt generellen Fassung von Vertragsbedingungen wird geschlossen, daß diese Partei sich bei Formulierung des Vertrages eines solchen Klauselwerks bedient hat189. Das Vielzahlkriterium ist nach alledem für die individualschützende Ausprägung der Inhaltskontrolle aufzugeben. Der hier gewählte Standpunkt unterscheidet sich damit grundlegend von demjenigen, den etwa Larenz und Wolf vertreten. Sie schreiben190: »In der Kombination von Vorformulierung und Mehrfachverwendung zeigt sich ein brauchbares und verläßliches Kriterium für Verhandlungsmacht, denn wer Vertragsbedingungen im voraus für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, gibt damit im Regelfall zu erkennen, daß er auf Verhandlungen nicht angewiesen ist und, wenn die AGB ohne Änderung mehrfach verwendet werden, auch die notwendige Verhandlungsmacht besitzt, die einseitig aufgestellten Bedingungen durchzusetzen.«
Auch bei Larenz und Wolf treten die drei Bestandteile des AGB-Begriffs nicht gleichrangig nebeneinander. Für die Vermutung des Ungleichgewichts kommt 184
Ebenso Kramer, ZHR 146 (1982), 107 ff.; Drexl (1998), S. 412. BGH (26.9.1996), NJW 1997, 135. 186 BGH (27.9.2001), NJW 2002, 138; v. Westphalen, NJW 2002, 1688. 187 Statt aller Staudinger/Schlosser (2006), § 305 Rn. 20. 188 BGH (23.6.2005), ZIP 2005, 1604. 189 OLG Dresden (28.2.2001), WM 2002, 2167, 2168 f. v. Westphalen, NJW 2006, 2228, spricht von einem »Mehrfachverwendungsanschein«. 190 Larenz/Wolf (9. Aufl. 2004), § 42 Rn. 30. 185
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es für sie entscheidend auf die Kombination von Vorformulierung und Mehrfachverwendung an. Der Akt des Stellens tritt zurück. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Akt des Stellens allein entscheidend. Neben den oben genannten Argumenten, etwa daß es für den Vertragspartner kaum erkennbar ist, ob Vertragsbedingungen vorformuliert oder spontan formuliert worden sind, und daß es aus dem Blickwinkel des Individualschutzes nicht erheblich sein kann, ob die Vertragsbedingungen auch noch in anderen Verträgen verwendet werden, besteht zwischen dem Akt des einseitigen Stellens und einem Ungleichgewicht auch ein engerer Zusammenhang als zwischen einer Kombination von Vorformulierung und Mehrfachverwendung einerseits und der Überlegenheit andererseits. Deshalb scheint mir der Akt des einseitigen Stellens auch geeigneter zu sein, um auf dessen Grundlage ein Ungleichgewicht zu vermuten. ee) Nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen. Der Klauselrichtlinie ist der AGB-Begriff als Systembegriff fremd. Ihr liegt auch nicht der Begriff der einseitig gestellten Vertragsbedingungen zugrunde. Vielmehr unterstellt Art. 3 Abs. 1 alle Vertragsklauseln, die nicht im einzelnen ausgehandelt worden sind, der Inhaltskontrolle. Der Begriff der nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsbedingungen ist freilich zu weit. Daß faktisch keine Vertragsverhandlungen stattgefunden haben und die Vertragsbedingungen daher nicht individuell ausgehandelt sind, kann nicht entscheidend sein. Vertragsbedingungen sind nämlich auch dann nicht individuell ausgehandelt worden, wenn die eine Partei der anderen Partei die inhaltliche Gestaltung des Vertrages überläßt und dann diesen Vertrag unbesehen unterschreibt. Individuelle Vertragsverhandlungen finden auch dann nicht statt, wenn eine Partei ein Angebot formuliert und die andere Partei dieses Angebot ohne Einwände annimmt, obwohl die erste Partei ihr Angebot durchaus zur Disposition von Verhandlungen gestellt hat. Auf Grundlage der Beobachtung, daß keine individuellen Verhandlungen stattgefunden haben, kann mithin nicht vermutet werden, daß zwischen den Parteien ein Ungleichgewicht besteht. Daß erkennt freilich auch die Richtlinie an. Denn in Art. 3 Abs. 2 bestimmt sie, daß eine Vertragsklausel »immer dann als nicht im einzelnen ausgehandelt zu betrachten [ist], wenn sie im voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte«. Der letzte Teil der Definition, daß die Vertragsbedingungen im voraus abgefaßt worden sind und der Vertragspartner nicht die Möglichkeit hatte, auf ihren Inhalt Einfluß zu nehmen, findet sich in dem Begriff der nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsbedingungen nicht wieder, sondern beschreibt vielmehr eine von mehreren möglichen Ursachen dafür, warum die Vertragsbedingungen nicht im einzelnen ausgehandelt wurden. Dieser Begriff ist daher irreführend und sollte durch einen anderen Begriff ersetzt werden. Im übrigen trifft auch die Defini-
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tion des Art. 3 Abs. 2 der Klauselrichtlinie nicht den Kern. Sie verlangt, daß die Klausel »im voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb […] keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte«. Zum einen hatten wir oben gesehen, daß die Vorformulierung für sich genommen als Vermutungsgrundlage für ein Ungleichgewicht nicht ausreicht191. Zum anderen ist allein wegen der Vorformulierung eine Einflußnahme des Vertragspartners auf den Inhalt der Vertragsklausel nicht ausgeschlossen, sondern nur wenn sich der Verwender weigert, von der (vor)formulierten Klausel abzuweichen192. Praktische Konsequenzen hat die Begriffswahl der Richtlinie für die Inhaltskontrolle von Notarverträgen. Formulare, die auf Vorschlag eines Notars einem Vertrag zugrundegelegt werden, unterfallen Art. 3 der Richtlinie und gelten nach der Fiktion des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB als vom Unternehmer gestellt193. Ebenso sollen notarielle Einzelverträge sowohl unter Art. 3 der Richtlinie also auch unter § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB fallen194. Beides ist aus dem Blickwinkel des Zweckes der individualschützenden Variante der Inhaltskontrolle fraglich. Denn die Art und Weise des Vertragsschlusses läßt in diesen Fällen nicht auf ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien schließen. ff) Individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen. Handeln zwei Vertragsparteien einen Vertrag im einzelnen aus, so kann selbst dann nicht vermutet werden, ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien habe sich bei Vertragsschluß ausgewirkt, wenn die eine Partei Verbraucher und die andere Partei Unternehmer ist195. gg) Zwischenergebnis. Die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages drückt nach alledem nicht den eigentlichen Schutzgrund aus196 und der Schutzgrund der Inhaltskontrolle korrespondiert auch nicht mit einer bestimmten Vertragsschlußsituation197. Daß wir die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages bei der Aufgabe, den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle zu bestimmen, in den Mittelpunkt stellen, ist eine reine Verlegenheitslösung. Denn den eigentlichen Schutzgrund, das Ungleichgewicht zwischen den Parteien, können wir nicht typisierend erfassen198.
191 Siehe oben bb (S. 570). Vgl. außerdem die Kritik am Merkmal der Vorformulierung in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB bei Coester-Waltjen, FS Medicus (1999), S. 67. 192 Siehe Reich/Micklitz (4. Aufl. 2003), S. 500 f.; Wolf, FS Brandner (1996), S. 301. A.A. Grabitz/Hilf/Pfeiffer (1999), A5 Art. 3 Rn. 20. 193 Statt aller Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 138 ff. 194 MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 305 Rn. 64 f. 195 Canaris, FS Lerche (1993), S. 887 f.; Hommelhoff, AcP 192 (1992), 90 f. A.A. etwa Schilling, (2008) 33 ELR 344; Beale, FS Alpa (2007), S. 194 f. 196 So aber Wackerbarth, AcP 200 (2000), 76. 197 So aber Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 3. 198 So auch Drexl (1998), S. 344 ff.
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c) Die Unangemessenheit der Vertragsbedingung Neben den Akt des einseitigen Stellens muß zusätzlich noch eine unangemessene Benachteiligung der unterlegenen Partei treten. Nur dann kann vermutet werden, daß sich die Unterlegenheit des Vertragspartners auch im Vertragsinhalt niedergeschlagen hat. Die Unangemessenheit der Vertragsbedingung erfüllt damit eine doppelte Funktion199. Sie ist einerseits Kontrollmaßstab. Andererseits ist sie Indiz dafür, daß die eine Partei ihre Bedingung nur aufgrund ihrer Überlegenheit durchsetzen konnte. Die Angemessenheit ist im Umkehrschluß damit nicht materielle Wirksamkeitsvoraussetzung einer Vertragsbedingung oder legitimiert erst die einseitige Regelsetzung200. Daß man aus Gründen der Rechtssicherheit der unterlegenen Partei nicht aufbürdet, den konkreten Grund ihrer Unterlegenheit darzutun und die Ursächlichkeit dieses Schutzgrundes für den unangemessenen Vertragsinhalt nachzuweisen, und daß man auf eine Prüfung verzichtet, ob die unterlegene Partei wirklich schutzbedürftig war oder ob sie nicht zumindest hätte vom Vertragsschluß Abstand nehmen müssen, bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Vorteil für die unterlegene Partei. Denn die Angemessenheitskontrolle erfaßt so mehr Fälle als bei einer konkreten Prüfung des Schutzgrundes. Daß dieser Nachteil dem Verwender auferlegt wird, kann leicht gerechtfertigt werden: Es ist der Akt des einseitigen Stellens, der ihm diesen Nachteil zurechenbar macht. d) Die Notwendigkeit eines Korrektivs Halten wir das bisher gesagte fest: Durch die offene richterlichen Inhaltskontrolle soll eine Partei geschützt werden, die wegen eines Ungleichgewichts nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagieren konnte. Es ist indes unmöglich, die Gründe dieses Handlungsdefizits zu identifizieren, zu typisieren, in Beziehung zueinander zu setzen, in beachtliche und unbeachtliche zu unterteilen und sodann in eine operationale Norm zu gießen, die über die Anwendbarkeit der Inhaltskontrolle entscheidet und die Rechtssicherheit garantiert. Deshalb ist das Vorliegen eines Ungleichgewichts nicht Anwendungsvoraussetzung der Inhaltskontrolle. Es wird vielmehr vermutet, wenn eine Partei den Vertragsinhalt einseitig bestimmen konnte. Zudem wird unterstellt, daß die unterlegene Partei aus einem beachtlichen Grund auf die Ausübung ihrer Handlungsoptionen verzichtet hat. Der kausale Nexus zwischen Ungleichgewicht und konkretem Vertragsinhalt wird vermutet, wenn letzterer unangemessen ist. Doch dürfen wir dabei nicht stehen bleiben. Zwar haben wir durch diesen Vermutungstatbestand bereits zwei Arten von Vertragsabreden von der Inhaltskontrolle ausgenommen, nämlich zum einen Individualvereinbarungen: 199 200
So wohl auch Drexl (1998), S. 490. So aber Bachmann (2006), S. 205 ff.
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Bei Individualvereinbarungen unterstellen wir, daß kein strukturelles Ungleichgewicht zwischen den Parteien besteht, das es einer Partei ermöglicht, den Vertragsinhalt einseitig zu bestimmen, bzw. wir verlangen bei Vorliegen eines solchen Ungleichgewichts von der unterlegenen Partei, daß sie ihre eigenen Interessen wahrt, indem sie zumindest von einem Vertragsschluß Abstand nimmt, wenn sie ihre Interessen nicht berücksichtigt findet. Zum anderen haben wir bloße nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen von der Inhaltskontrolle ausgeschieden. Aber dennoch erfaßt die Inhaltskontrolle mehr Fälle, als von ihrem Schutzgrund getragen werden, und auch oben wurden die vorgestellten Begründungsversuche daran gemessen, ob sie nach einer Kontrolle von Abreden verlangen, die außerhalb der Kontrolle liegen. Es muß mithin ein Korrektiv eingeführt werden, und es muß möglich sein, dieses Korrektiv aus dem Schutzgrund selbst herzuleiten: Es ist zwar unmöglich, die Gründe, warum eine Partei nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagiert, zu erfassen. Umgekehrt ist es aber möglich, typische Fallkonstellationen zu identifizieren, in denen eine unterlegene Partei diese Handlungsoptionen regelmäßig ausübt, ausüben kann oder in denen zumindest erwartet werden kann, daß sie diese Optionen ausübt, und in denen das die Inhaltskontrolle rechtfertigende Schutzbedürfnis daher nicht besteht. Diese Fälle können von der Inhaltskontrolle wieder ausgenommen werden. Das überschießende Moment beim Anwendungsbereich wird so reduziert. Nur weil die Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragsparteien nicht faßbar ist, muß man sie also als Grundlage der Inhaltskontrolle nicht ablehnen201. Sie kann zwar nicht bei Formulierung der Voraussetzungen der Inhaltskontrolle genutzt, aber bei Korrektur des zu weiten Vermutungstatbestandes herangezogen werden. aa) Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen. Das Korrektiv betrifft Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen. Wird der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nicht über den Schutzgrund, sondern über die Art und Weise des Vertragsschlusses definiert, sind auch Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen von ihr erfaßt. Denn nahezu alle Leistungen, die wir in Anspruch nehmen, haben einen vom Anbieter einseitig festgelegten Preis, den er nicht zur Disposition von Verhandlungen stellt. Man könnte nun fragen, ob Parteien in Hinblick auf Entgeltabreden typischerweise ihre Handlungsoptionen selbst dann ausüben, wenn das Entgelt von der anderen Partei einseitig bestimmt wird, sie also auf einen unangemessenen Preis zumindest mit einer Abstandnahme vom Vertragsschluß reagieren. Würde man diese Frage positiv beantworten, dann wäre der Vermutungsgrundlage, nämlich daß bei einem einseitig gestellten Vertragsinhalt Vertragspartner regelmäßig auf die Aus201
So aber etwa Zöllner, AcP 196 (1996), 24 ff.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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übung dieser Handlungsoptionen verzichten, in Hinblick auf Entgeltabreden die Grundlage entzogen. Aber selbst bei einer negativen Beantwortung dieser ersten Frage, würde sich die Anschlußfrage stellen, ob der Vertragspartner überhaupt des Schutzes bedarf, ob also der Verzicht auf die Ausübung seiner Handlungsoptionen aus beachtlichen Gründen erfolgte oder ob nicht bezüglich des Entgelts von jedem Marktteilnehmer grundsätzlich verlangt wird, daß er in Verhandlungen tritt, wenn er den verlangten Preis als unangemessen empfindet, und, sollte sich der Gegenüber auf solche Verhandlungen nicht einlassen, von einem Vertragsschluß Abstand nimmt. Die erste Frage zielt auf eine tatsächliche Beobachtung: Unterlassen es Parteien bei einseitig festgelegten Preisen ebenso wie bei sonstigen Vertragsbedingungen ihre Handlungsoptionen auszuüben? Der zweiten Frage liegt dagegen eine normative Erwägung zugrunde: Verlangen wir von jeder Partei, daß sie sich vom Preis ansprechen läßt? Die Antwort auf diese zweite Frage ergibt sich aus einem Umkehrschluß aus § 138 Abs. 2 BGB: Nur unter den dort aufgeführten, sehr engen Voraussetzungen kann sich eine Partei gegen das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wenden. In allen übrigen Fällen wird von der unterlegenen Partei grundsätzlich verlangt, in Hinblick auf die Entgeltabrede von ihren Handlungsoptionen Gebrauch zu machen. So ist die Herausnahme von Entgeltabreden aus dem Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB schlüssig aus dem hier entwickelten Modell erklärbar202. Freilich unterliegt dieses Korrektiv seinerseits Grenzen203: Die unterlegene Vertragspartei kann auf eine unangemessene Entgeltabrede nur dann durch den Eintritt in Vertragsverhandlungen oder durch die Abstandnahme vom Vertragsschluß reagieren, wenn diese Entgeltabrede so transparent ausgestaltet ist, daß sie die Unangemessenheit der Abrede auch erkennen kann. Im geltenden Recht findet sich dieser Gedanke in § 307 Abs. 3 S. 2 BGB. bb) Deklaratorische Klauseln. Die Herausnahme deklaratorischer Klauseln aus der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB ergibt sich nicht aus der Bindung des Richters an das Gesetz204. Vielmehr entfällt bei deklaratorischen Klauseln das Indiz dafür, daß der Verwender sie nur aufgrund seiner Überlegenheit durchsetzen konnte205. 202 Wie hier Stoffels, JZ 2001, 844. Vgl. zu den verschiedenen Begründungen für die Regelung des § 307 Abs. 3 S. 1 BGB zudem Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), § 307 Rn. 18; Billing (2006), S. 1 ff.; Dylla-Krebs (1999), S. 118 ff. Zu den umstrittenen Einzelheiten und Abgrenzungsproblemen vgl. MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 3 ff., 12 ff.; Westermann, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz (1987), S. 135 ff. 203 Stoffels, JZ 2001, 845. 204 So etwa Erman/Roloff (12. 2008), § 307 Rn. 38; Dylla-Krebs (1999), S. 66. 205 Siehe oben c (S. 575).
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cc) Unternehmer. Ob von der Inhaltskontrolle auch Verträge mit Unternehmern als Vertragspartner erfaßt sein sollen, war bei den Vorarbeiten zum AGBG umstritten gewesen206, wurde seit dessen Inkrafttreten immer wieder kritisch hinterfragt207 und ist auch aus vergleichender Perspektive nur schwer zu beantworten208. Für ihre Anwendung auch auf AGB in Unternehmerverträgen werden zahlreiche Gründe angeführt: Werde nur der Verbraucher geschützt, dann trage etwa in Lieferketten der unternehmerische Letztverkäufer die durch die Inhaltskontrolle geschaffenen Kosten. Denn der Vorverkäufer könne Risiken unbeschränkt auf ihn abwälzen, während ihm durch die Inhaltskontrolle Grenzen gesetzt seien209. Bedenkt man indes, daß es dem Letztverkäufer möglich ist, diese Risiken in seinen Preis einzukalkulieren, so verliert dieses Argument an Kraft. Auch die bloße Beobachtung, daß ebenfalls im Unternehmerverkehr ein Vertrag bei Verwendung von AGB rechtstatsächlich keine Richtigkeitsgewähr biete, ist für sich genommen kein Argument dafür, Unternehmer in den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle hereinzunehmen210. Gleiches gilt für die Beobachtung, daß auch im Unternehmerverkehr prohibitiv hohe Transaktionskosten die Parteien davon abhalten, AGB genauer zu prüfen211. Die Frage, ob der Unternehmer schutzwürdig ist oder ob er selbstverantwortlich das Risiko übernimmt, daß sich ihr Inhalt als unangemessen herausstellt, kann auf Grundlage dieser Beobachtungen nicht beantwortet werden. Im übrigen wird die Schutzbedürftigkeit von Unternehmern oftmals nur behauptet, aber nicht weiter begründet212: »[D]enn die Schutzbedürftigkeit vor allgemeinen Geschäftsbedingungen beruht offenbar nicht auf einer subjektiv/persönlichen Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen, sondern vor allem auf den mit ihrer Verwendung gegenüber jedermann verbundenen Gefahren der Undurchsichtigkeit und der Unzumutbarkeit, sich im einzelnen damit zu beschäftigen sowie des Versuchs, Abänderungen zu erreichen.«
Oder es wird schließlich angeführt, eine Inhaltskontrolle von AGB in Verträgen zwischen Unternehmern sei auch vor Inkrafttreten des AGBG ausgeübt worden213, eine richtige, aber doch wenig tragende Erkenntnis. Auf der individualschützenden Seite der Inhaltskontrolle bestehen nur zwei Optionen: Bejaht man ein Schutzbedürfnis eines Unternehmers als Vertragspartner, darf die Kontrolle nicht auf AGB beschränkt bleiben, sondern muß auf alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen erstreckt werden214. Verneint 206 207 208 209 210 211 212 213 214
Siehe oben § 9 IV (S. 320 f.). Vgl. Heinrichs, in: Zehn Jahre AGB-Gesetz (1987), S. 30 f. Siehe oben I B (S. 531 ff.) und C (S. 537 f.). Brandner/Ulmer, BB 1991, 703; Löwe/v. Westphalen/Trinkner (1973), § 24 Rn. 5. So aber Fastrich (1992), S. 244. So aber Kötz (1996), S. 220 ff. Lieb, AcP 183 (1983), 358 f. So etwa MK-BGB/Basedow (5. Aufl. 2007), § 310 Rn. 3. Siehe oben b (S. 569 ff.). So vertritt es in der Tat Drexl (1998), S. 412.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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man hingegen ein Schutzbedürfnis, dürfen auch AGB nicht Kontrollgegenstand sein. Die zweite Option verdient den Vorzug: Von Unternehmern wird erwartet, daß sie versuchen auf den unangemessenen Vertragsinhalt Einfluß zu nehmen oder, wenn ihnen dies nicht gelingt, daß sie vom Vertragsschluß Abstand nehmen, und zwar selbst dann wenn zwischen ihnen und einem anderen Unternehmer ein Ungleichgewicht besteht215. Sie haben die notwendige Geschäftserfahrung, daß sie die ihnen offenstehenden Handlungsoptionen selbstverantwortlich ausnutzen. Verzichten sie hierauf, handeln sie auf eigenes Risiko. Ein Schutzbedürfnis besteht nicht216. Dieser Gedanke ist dem deutschen Recht nicht fremd. So finden etwa die schützenden Formvorschriften der §§ 766, 780 und 781 BGB gemäß § 350 HGB keine Anwendung, wenn auf Seiten des Bürgen bzw. des Schuldners ein Handelsgeschäft vorliegt217. Aus dem Blickwinkel des Individualschutzes ist damit die Inhaltskontrolle nicht zugunsten von Unternehmern als Vertragspartner einschlägig. Damit ist freilich noch nicht geklärt, ob es nicht aus überindividuellen Gründen zu einer Inhaltskontrolle kommen muß218. e) Die Einzelheiten zur individualschützenden Inhaltskontrolle Wie die individualschützende Form der Inhaltskontrolle einzuordnen und auszugestalten ist, kann hier nicht vertieft werden, denn dies geht über die oben aufgeworfene Frage hinaus. Nur fünf Punkte sollen angedeutet werden: (aa) Es handelt sich nicht um eine reine Inhaltskontrolle im Sinne Raisers219, kommt es doch zur Bestimmung ihres Anwendungsbereichs entscheidend auf die Art des Zustandekommens des Vertrages an. Nur wenn bei Vertragsschluß zwischen den Parteien ein (vermutetes) Ungleichgewicht bestand, das es einer Partei ermöglichte, den Vertragsinhalt einseitig zu bestimmen, wird dieser auf seine Angemessenheit hin überprüft. (bb) Die Angemessenheitskontrolle muß individuell-konkret erfolgen, wie es auch § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB verlangt. Das folgt aus ihrer individualschützenden Ausrichtung. Die These, nur die Billigkeit sei ein individualisierender Kontrollmaßstab, wohingegen der Maßstab der Angemessenheit generalisierend sei220, überzeugt nicht. Auch die Behauptung, die Angemessenheitsprüfung müsse überindividuell-generell erfolgen, weil sie sich am dispositiven 215
A.A. etwa Fastrich (1992), S. 244. Kritisch gegenüber der Anwendung der Inhaltskontrolle auf AGB im Unternehmerverkehr im geltenden Recht etwa auch Lenkaitis/Löwisch, ZIP 2009, 441 ff.; Ohlendorf-von Hertel (1988), passim; Berger, NJW 2001, 2152, (der das Problem über § 305 Abs. 1 S. 3 BGB lösen will). 217 Freilich knüpft das HGB weiterhin an die Kaufmannseigenschaft und nicht an den Unternehmerbegriff an, hierzu Pfeiffer, NJW 1999, 169 ff. 218 Siehe unten 2 (S. 583 ff.). 219 Siehe oben den Text zu Fn. 77 und Fn. 95. 220 So Hoyningen-Huene (1991), Rn. 26 ff.; Fastrich (1992), S. 6, 12, 16 f., 310 ff. 216
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Recht orientiere221, leuchtet nicht ein. Bei dem Abwägungsvorgang, ob eine Abweichung vom dispositiven Recht angemessen ist, können die Umstände des Einzelfalls durchaus berücksichtigt werden. Auch die Unterscheidung der Inhaltskontrolle als Rechtskontrolle von einer bloßen Billigkeitskontrolle und Vertragshilfe ist wenig aussagekräftig222. Soll mit dem Begriff der Rechtskontrolle ausgedrückt werden, daß sie sich am dispositiven Recht orientiert, so folgt daraus eben nicht, daß bei der Frage, ob eine Abweichung vom dispositiven Recht angemessen ist, die Umstände des Einzelfalls außen vor bleiben müssen. Nur im Fall des § 309 BGB handelt es sich um eine reine Rechtskontrolle in diesem Sinne. Schließlich wird darauf verwiesen, daß die Angemessenheitskontrolle von AGB deshalb überindividuell-generell ist, weil auch die zu kontrollierenden AGB nicht auf den konkreten Vertrag zugeschnitten sind223. Aus dem Blickwinkel des Individualschutzes ist dieses Argument nicht plausibel. Daß die Berücksichtigung konkret-individueller Umstände bei der Angemessenheitsprüfung generell möglich ist, heißt freilich nicht, daß überhaupt nicht typisierend vorgegangen werden kann224. Bei Massengeschäften treten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Regelfall keine individuellen Umstände hervor. Daher erfolgt die Angemessenheitsprüfung in der Regel auch typisierend. Damit die Einzelfallumstände berücksichtigt werden können, müssen sie für den Verwender bei Vertragsschluß erkennbar sein. Später in Erscheinung tretende Umstände sind nur im Rahmen einer Anwendungskontrolle nach § 242 BGB beachtlich. Die Unterschiede zwischen der hier vertretenen Ansicht und der herrschenden Meinung werden damit nur im Ausnahmefall bedeutsam. Übrigens will auch die herrschende Meinung konkretindividuelle Umstände ausnahmsweise berücksichtigen: Eine Klausel soll nicht wegen Intransparenz nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sein, wenn die Intransparenz im konkreten Fall durch eine individuelle Aufklärung geheilt worden ist225. Auf Grundlage der herrschenden Meinung ist diese Ausnahme eine Anomalität. Schließlich ist die individualschützende Ausrichtung der Inhaltskontrolle für die Frage der Berücksichtigung von Allgemein- und Drittinteressen von Bedeutung226. (cc) Auch die Bedeutung der Klauseltransparenz im Rahmen der individualschützenden Inhaltskontrolle wird nun deutlich227: Der Vertragspartner reagiert aus ganz unterschiedlichen Gründen auf unangemessene Vertragsklauseln nicht mit den ihm offenstehenden Handlungsoptionen. Er tritt nicht in Vertragsverhandlungen ein, um seine Interessen durchzusetzen, und er nimmt 221 222 223 224 225 226 227
So etwa Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), § 307 Rn. 114. Auf diese Unterscheidung stellt ab Fastrich (1992), S. 310. So Staudinger/Coester (2006), § 307 Rn. 109; Hoyningen-Huene (1978), S. 156. Ebenso Wolf/Lindacher/Pfeiffer (5. Aufl. 2009), § 307 Rn. 77 ff., 86 ff. Ulmer/Brandner/Hensen/Fuchs (10. Aufl. 2006), § 307 Rn. 346. Zur Berücksichtigung von Allgemeininteressen Baetge, AcP 202 (2002), 972 ff. Zum Transparenzbegriff siehe nur Lerch (2004), S. 244 ff.
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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auch nicht vom Vertragsschluß Abstand. Grundvoraussetzung für die Ausübung beider Handlungsoptionen ist, daß die Bestimmung so klar und verständlich ist, daß er ihre Bedeutung erkennen und ihre Folgen für seine Rechtsposition abschätzen kann. Daher ist es richtig, daß die Klauseltransparenz gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB in die Angemessenheitskontrolle einfließt228. In Hinblick auf Entgeltabreden wird grundsätzlich von jedem Marktteilnehmer verlangt, daß er seine Entscheidung, ob er den Vertrag eingehen soll, an ihr ausrichtet, daß er folglich selbst bei Vorliegen einer Unterlegenheit, die ihm offenstehenden Handlungsoptionen ausübt. Entgeltabreden werden deshalb nicht auf ihre Angemessenheit kontrolliert: § 307 Abs. 3 S. 1 BGB. Auch hier ist freilich wieder Grundvoraussetzung für die Ausübung der Handlungsoptionen, daß die Entgeltabrede transparent ist. Ist sie dies nicht, kann der Vertragspartner sein Handeln nicht an ihr ausrichten und er braucht dies auch nicht zu tun: § 307 Abs. 3 S. 2 BGB. Im Rahmen der Einbeziehung kommt der Klauseltransparenz hingegen keine eigenständige Bedeutung zu229. Die Intransparenz einer Klausel kann weder die Ausdrücklichkeit eines Hinweises noch die Kenntnisnahmemöglichkeit verhindern. Nur wenn der Klauselinhalt aufgrund mangelnder Transparenz nicht mehr bestimmbar ist, ist eine Einbeziehung ausgeschlossen. Das folgt aus den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre. Und der contra proferentem-Regel liegt nicht der präventive Gedanke zugrunde, eine Klauseltransparenz zu fördern, sondern ein Verantwortungsgedanke. Wer es übernimmt, eine Klausel zu formulieren, der trägt die Verantwortung für Unklarheiten. Wer eine solche Klausel einseitig stellt, den trifft eine erhöhte Erklärungsverantwortung. Er muß Unklarheiten als Folge gegen sich gelten lassen230. Wegen dieser vollkommen unterschiedlichen Bedeutung der Klauseltransparenz im Rahmen der Einbeziehung, der Auslegung und der Inhaltskontrolle verbietet es sich, von einem einheitlichen Transparenzgebot als ein dem AGB-Recht, oder besser: dem Recht der einseitig gestellten Vertragsbedingungen, zugrundliegendes allgemeines Prinzip zu sprechen231. (dd) Der hier entwickelte Erklärungsansatz ermöglicht es, die Inhaltskontrolle von anderen individualschützenden Kontrollinstrumenten, insbesondere § 138 Abs. 2 BGB, abzugrenzen. In Hinblick auf Entgeltabreden muß 228 Die Funktion des Transparenzgebots war zunächst strittig; vgl. aus der umfangreichen Literatur nur Köndgen, NJW 1989, 943; Wagner-Wieduwilt, WM 1989, 37 ff.; Koller, FS Steindorff (1990), S. 667 ff.; Westermann, FS Steindorff (1990), S. 816 ff.; Hansen, WM 1990, 1521; Schäfer (1991), S. 117 ff.; Heinrichs, FS Trinkner (1995), S. 157 ff.; Hebestreit (1995), passim; Kreienbaum (1998), S. 106 ff. Zu den umstrittenen Einzelheiten des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB vgl. nur Armbrüster, DNotZ 2004, 437 ff.; MK-BGB/Kieninger (5. Aufl. 2007), § 307 Rn. 53 ff.; Stoffels (2. Aufl. 2009), 564. 229 A.A. die h.M.; siehe hierzu ausführlich oben § 13 IV D 4 (S. 462 ff.). 230 Siehe oben § 14 I B 2 (S. 510 ff.). 231 So aber die h.M.; vgl. nur Ulmer/Brandner/Hensen (10. Aufl. 2006), Einl. Rn. 58.
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jede Vertragspartei die ihr offenstehenden Handlungsoptionen ausüben. Selbst bei einem Ungleichgewicht zwischen den Parteien muß die unterlegene Partei auf unangemessene Forderungen mit Verhandlungsversuchen und mit einem Verzicht auf den Vertragsschluß reagieren. Nur unter den Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB besteht auch in Hinblick auf die Entgeltabrede ein Schutzbedürfnis der unterlegenen Partei. In Bezug auf die übrigen Abreden braucht der Vertragspartner bei Vorliegen eines Ungleichgewichts dagegen auf ihm angetragene unangemessene Vertragsbedingungen nicht gleichermaßen zu reagieren. Hier kommt es zur Angemessenheitskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. (ee) Aber nicht nur die Abgrenzung zu anderen individualschützenden Kontrollinstrumenten ist möglich. Vielmehr fügt sich die hier vorgeschlagene individualschützende Inhaltskontrolle in das System der Schutzinstrumente ein. Es enthält die drei Elemente, denen Canaris für die Frage der Lösung vom Vertrag zentrale Bedeutung zuspricht und die sich auch in dessen Erklärungsmodell der Inhaltskontrolle finden232. Er führt aus233: »Geradezu den Charakter eines Grundmodells scheint mir § 138 Abs. 2 BGB zu haben. Diese Vorschrift baut nämlich auf drei Elementen auf, die zentral für nahezu jede Lösung der Problematik sind, auch wenn sie diese nicht immer konstituieren. Die erste tatbestandliche Voraussetzung besteht bekanntlich darin, daß der Vertrag durch die ›Zwangslage, die Unerfahrenheit, den Mangel an Urteilsvermögen oder die erhebliche Willensschwäche‹ des Bewucherten zustande gekommen ist.«
Diese erste tatbestandliche Voraussetzung findet hier ihre Parallele in der vermuteten Unterlegenheit des Vertragspartners. »Hinzukommen muß […] als […] inhaltliches Element das ›auffällige Mißverhältnis‹ zwischen Leistung und Gegenleistung.«
Dieses inhaltliche Element liegt hier in der Unangemessenheit. »Die dritte Voraussetzung besteht darin, daß der Wucherer die Zwangslage usw. ›ausgebeutet‹ haben muß; darin tritt das Erfordernis in Erscheinung, daß der zur Nichtigkeit führende Defekt grundsätzlich dem anderen Teil zurechenbar sein muß.«
Hier führt der Akt des einseitigen Stellens zur Zurechnung des Defekts. Wie die Unangemessenheit234 erfüllt damit auch der Akt des einseitigen Stellens eine doppelte Funktion: Er ist Vermutungsgrundlage für das Ungleichgewicht235, und er macht den Defekt zurechenbar.
232 233 234 235
Canaris, AcP 200 (2000), 280, 326. Canaris, AcP 200 (2000), 280. Hierzu siehe oben c (S. 575). Hierzu siehe oben b (S. 569 ff.).
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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2. Die Inhaltskontrolle als überindividueller Schutz Neben diese individualschützende tritt eine zweite Art der offenen richterlichen Inhaltkontrolle. Sie zielt auf einen überindividuellen Schutz. a) Korrektur eines Marktversagens Als ihr Schutzgut kristallisiert sich in der modernen Diskussion der Markt heraus236. Durch eine offene richterliche Inhaltskontrolle werden die Nachteile eines nicht funktionierenden Konditionenwettbwerbs kompensiert. Warum es zu keinem solchen Wettbewerb kommt, ist dabei unerheblich. Die Vertreter einer ökonomischen Analyse wollen freilich nur eine Informationsasymmetrie als Ursache anerkennen237. Dagegen wurde bereits oben eingewandt, daß es so zu einer Vermengung individual- und überindividuell schützender Momente kommt238. Auch müßte die Inhaltskontrolle unterbleiben, wenn gerade keine Informationsasymmetrie vorliegt239. Eine solche Beschränkung ist nicht nur dem geltenden Recht fremd. Sie wurde bisher auch nicht von den Vertretern der ökonomischen Analyse erklärt. Und stellt man allein auf das Funktionieren Marktes als überindividuelles Schutzgut ab, so müssen die Ursachen eines Marktversagens unbeachtlich bleiben. Die Inhaltskontrolle soll unabhängig von konkreten Ungleichgewichtslagen eine Mindestqualität der AGB gewährleisten. Die überindividuelle Variante der Inhaltskontrolle steht damit in einem anderen Kontext als ihre individualschützende Schwester. Während letztere neben andere individualschützende Instrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre und des Verbraucherschutzrechts tritt, stellt sich erstere ergänzend neben die Kontrollmechanismen des Wettbewerbsrechts und neben die offene richterliche Inhaltskontrolle im Unterlassungsklageverfahren. b) Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle Der Anwendungsbereich dieser Form der Inhaltskontrolle muß sich an ihrem Schutzzweck orientieren. Der Markt als überindividuelles Schutzgut ist nur betroffen, wenn Vertragsbedingungen mehr als einmal verwendet werden sollen. Bei einmaliger Verwendung ist allein der konkrete Vertragspartner berührt, nicht aber der Markt als Ganzes. Ob nun eine zwei-, drei- oder nur eine vielmalige Verwendung genügt, darüber ließe sich streiten240. Um einen umfassenden Schutz zu gewährleisten, scheint es vertretbar, eine beabsichtigte zweimalige Verwendung ausreichen zu lassen. 236 237 238 239 240
Siehe oben A 2 (S. 543) und A 9 (S. 554 ff.). Siehe oben A 9 (S. 554 ff.). Siehe oben den Text vor Fn. 124. Siehe oben den Text nach Fn. 129. Siehe oben 1 b dd (S. 571 ff.).
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Neben dem Merkmal der Mehrfachverwendung verliert das der Vorformulierung an Bedeutung. Spätestens bei ihrer zweiten Verwendung werden Vertragsbedingungen als vorformuliert gelten können. Ob ihr Verwender sie bereits bei ihrem ersten Gebrauch vorformuliert oder spontan (freilich mit der Absicht, sie auch in Zukunft zu verwenden) ersonnen hatte, ist aus dem Blickwinkel des Schutzzwecks unbeachtlich. Für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der individualschützenden Inhaltskontrolle ist das Merkmal des Stellens allein entscheidend, und es kann nicht im Sinne der herrschenden Meinung verstanden werden241. Dem Akt des Stellens muß der Bedeutungsinhalt eines So-und-nicht-anders innewohnen. Nur dann kann ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien vermutet werden. Dahinter treten die Merkmale der Vorformulierung und der Vielfachverwendung als unbedeutend zurück242. Für den Anwendungsbereich der überindividuell schützenden Inhaltskontrolle tritt nun die Mehrfachverwendung als maßgeblicher Anknüpfungspunkt hervor. Da diese Ausprägung der Inhaltskontrolle nicht bei Ungleichgewichtslagen schützen soll, kann es nicht darauf ankommen, ob der Verwender seine Vertragsbedingungen nicht zur Disposition von Vertragsverhandlungen gestellt hat. Der Markt ist bereits dann beeinträchtigt, wenn unangemessene Vertragsbedingungen, aus welchem Grund auch immer, mehrfach in Geltung gesetzt werden. Daher kann der Begriff des Stellens hier wie von der herrschenden Meinung ausgelegt werden. Es genügt, wenn der Verwender die Einbeziehung veranlaßt hat; durch den Begriff des Stellens soll nur der Verwender identifiziert werden243. c) Die Unangemessenheit der Vertragsbedingung Der Inhalt der Vertragsbedingung muß unangemessen sein. Nur dann kann von einem Marktversagen gesprochen werden. Die Unangemessenheit erfüllt damit auch im Rahmen der überindividuell schützenden Inhaltskontrolle eine doppelte Funktion244. d) Die Notwendigkeit eines Korrektivs Kommt es für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der überindividuell schützenden Inhaltskontrolle zunächst nur darauf an, daß Vertragsbedingungen mehrfach verwendet werden, so erfaßt sie Fälle, die nicht mehr von ihrem Schutzgrund getragen werden. Es muß mithin ein Korrektiv eingeführt werden, und es muß möglich sein, dieses Korrektiv aus dem Schutzgrund selbst herzuleiten: Dieses Korrektiv betrifft wiederum Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen. Anders als bei der individualschützenden Inhaltskon241 242 243 244
Siehe oben 1 b cc (S. 570 f.). Siehe oben den Text nach Fn. 190. Siehe oben die Nachweise in Fn. 176. Siehe oben 1 c (S. 575).
II. Der Anwendungsbereich der richterlichen Inhaltskontrolle
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trolle beruht dieses Korrektiv nicht auf der Erwägung, daß von jeder Partei verlangt wird, in Hinblick auf Entgeltabreden von ihren Handlungsoptionen Gebrauch zu machen245. Vielmehr liegt dem Korrektiv die Beobachtung zugrunde, daß in Hinblick auf Entgeltabreden der Wettbewerb regelmäßig funktioniert, und zwar selbst dann, wenn der Preis für eine Mehrzahl von Verträgen festgesetzt wird. Kommt es auch bezüglich von Entgeltabreden zu einem Marktversagen, so nicht allein deshalb, weil das Entgelt für eine Mehrzahl von Verträgen festgesetzt ist, sondern nur aufgrund anderer, hinzutretender Umstände. In einem solchen Fall tritt die offene richterliche Inhaltskontrolle hinter den ebenfalls marktschützenden, spezielleren Kontrollmechanismen des Wettbewerbsrechts zurück. Zudem werden deklaratorische Klauseln von der Inhaltskontrolle ausgenommen. Bei der individualschützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle entfällt bei deklaratorischen Klauseln das Indiz dafür, daß der Verwender sie nur aufgrund seiner Überlegenheit durchsetzen konnte246. Für die überindividuell schützende Inhaltskontrolle fehlt es hingegen am Indiz für ein Marktversagen. Das Korrektiv betrifft ferner im einzelnen ausgehandelte Vertragsbedingungen, selbst wenn sie faktisch mehrfach verwendet werden. Anders als bei der individualschützenden Kontrolle kommt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB hier als neben § 305 Abs. 1 S. 1 BGB eine eigenständige Bedeutung zu247. Anders als bei der individualschützenden Inhaltskontrolle betrifft das Korrektiv indes nicht Unternehmer als Vertragspartner248. Auch im Verkehr zwischen Unternehmern funktioniert der Konditionenwettbewerb nicht, so daß eine Inhaltskontrolle erforderlich ist. e) Die Einzelheiten zur überindividuell schützenden Inhaltskontrolle Auch die Einzelheiten zur überindividuell schützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle können hier nur skizziert werden249: (aa) Sie ist anders als die individualschützende Angemessenheitskontrolle eine reine Inhaltskontrolle im Sinne Raisers250. (bb) Anders als bei der individualschützenden Inhaltskontrolle muß die Angemessenheitskontrolle hier überindividuell-generell erfolgen. (cc) Da beide Ausprägungen der Inhaltskontrolle einem verschiedenen Schutzzweck dienen, müssen sie nicht zwingend einen identischen Kontrollmaßstab haben. Die überindividuell schützende Inhaltskontrolle soll eine Mindestqualität mehrfach verwendeter Vertragsklauseln gewährleisten. Das würde es rechtfertigen, einen weniger strengen Kontrollmaßstab zugrundzulegen. (dd) Die überindividuell schützende Ausprägung der Inhaltskontrolle 245 246 247 248 249 250
Siehe oben 1 d aa (S. 576 f.). Siehe oben 1 d bb (S. 577). Siehe oben 1 b cc (S. 571). Siehe oben 1 d cc (S. 578 f.). Siehe oben 1 e (S. 579 ff.). Siehe oben den Text zu Fn. 77, Fn. 95 und Fn. 219.
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muß nicht in Beziehung zu anderen individualschützenden Kontrollmechanismen, sondern zu den Kontrollmechanismen des Wettbewerbsrechts, zur Kontrolle im Unterlassungsklageverfahren und zur aufsichtsrechtlichen Kontrolle gesetzt werden251. (ee) Ihren Zweck erfüllt die überindividuell schützende Inhaltskontrolle nur ungenügend. Dem Verwender wird nicht untersagt, eine unangemessene Vertragsbedingung weiterzuverwenden. Denn das Urteil im Individualverfahren wirkt nur zwischen den Verfahrensbeteiligten. Dem Urteil kommt allenfalls Signalwirkung zu. Oder anders ausgedrückt: Im Individualverfahren ist es dem Verwender verwehrt, sich auf solche mehrfach verwendeten Vertragsbedingungen zu berufen, deren Verwendung aus Gründen des Marktschutzes etwa im Unterlassungsklageverfahren untersagt werden könnten. f) Bedeutung der überindividuell schützenden Form der Inhaltskontrolle neben ihrer individualschützenden Ausprägung Bedeutung kommt der überindividuell schützenden Form der Inhaltskontrolle vor allem im Unternehmerverkehr zu. Aber auch für Verbraucherverträge ist sie nicht bedeutungslos. Nach der hier entwickelten Ansicht ist die individualschützende Inhaltskontrolle nur anwendbar, wenn der Unternehmer Vertragsbedingungen in der Art einseitig gestellt hat, daß der Verbraucher davon ausgehen durfte, der Unternehmer werde nur so und nicht anders kontrahieren252. Fehlt es an einem solchen Akt des einseitigen Stellens, aber benutzt der Unternehmer seine Vertragsbedingungen mehrfach, so kann die überindividuell schützende Inhaltskontrolle eingreifen. 3. Bedeutung der Trennung individueller und überindividueller Schutzkonzepte für das geltende Recht Die Zweiteilung der Inhaltskontrolle in eine individual- und eine überindividuell schützende Ausprägung liegt dem deutschen Recht bereits zugrunde. Das zeigt sich in der auf Verbraucherverträge beschränkten Ausdehnung der Inhaltskontrolle auf vorformulierte, nur zur einmaligen Verwendung bestimmte Vertragsbedingungen (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) und in der ebenfalls auf Verbraucherverträge beschränkten Berücksichtigung der den Vertragsschluß begleitenden Umstände im Rahmen der Angemessenheitskontrolle (§ 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB). Der hier vorgestellte Ansatz bietet ein geeignetes Modell, diese Unterschiede der Inhaltskontrolle von Vertragsbedingungen in Verbraucherverträgen erklärbar zu machen. Für die Auslegung des AGB-Begriffs nach geltendem Recht können zudem die Ausführungen zum Anwendungsbereich der überindividuell schützenden Inhaltskontrolle unmittelbar 251 252
Hierzu vgl. etwa Stoffels (2. Aufl. 2009), Rn. 404 ff. Siehe oben 1 b cc. (S. 570 f.)
III. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher
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herangezogen werden253. Und auch die Unterschiede im Kontrollmaßstab nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB sind erklärbar. Der hier entwickelte Ansatz bietet also ein geeignetes Erklärungsmodell für das geltende Recht, und auf Grundlage dieses Modells ergeben sich neue Perspektiven für die Auslegung der §§ 305 ff. BGB. Doch nicht alle Details der lex lata lassen sich mit der hier entwickelten Lehre erklären. Insoweit lassen sich auf Grundlage des hier vertretenen Modells Forderungen an die Fortentwicklung des deutschen Rechts und an die europäischen Vorgaben formulieren: So geht es etwa zu weit, daß die Inhaltskontrolle in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf alle vorformulierten Vertragsbedingungen, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind, soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluß nehmen konnte, erstreckt wird. Es kommt entscheidend darauf an, daß die nur einmalig verwendeten Bedingungen vom Vertragspartner gestellt sind254. Aus gleichem Grund kann § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB nicht als gelungen gelten, indem er auf die Voraussetzung des Stellens der Sache nach verzichtet255.
III. Ausblick: Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher Die Richtlinie 93/13/EWG kennt, sieht man von Art. 7 ab, allein die individualschützende Variante der Inhaltskontrolle, auch wenn sie den Anwendungsbereich nach der hier entwickelten Meinung nicht richtig trifft. Kontrollgegenstand sollten nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen, sondern einseitig gestellte Vertragsbedingungen in Verbraucherverträgen sein256. Der Richtlinienvorschlag der Kommission über Verbraucherrechte vom 8.10.2008257 verwendet in Art. 30 Abs. 1 zwar nicht mehr ausdrücklich den Begriff der nicht im einzelnen ausgehandelten Klauseln, um den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle zu bestimmen. Doch will der Richtlinienvorschlag offenbar weiterhin an ihm festhalten. Das zeigt sich zum einen daran, daß Art. 30 Abs. 1 nunmehr die Umschreibung enthält, die in der Richtlinie 93/13/EWG in Art. 3 Abs. 2 S. 1 zur Definition dieses Begriffs verwendet wird: »Dieses Kapitel gilt für Vertragsklauseln, die vom Gewerbetreibenden oder einem Dritten im Voraus abgefasst wurden und denen der Verbraucher zugestimmt hat, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, ihren Inhalt zu beeinflussen […].« 253
Siehe oben 2 b (S. 583). Siehe oben 1 b cc (S. 570 f.) und ee (S. 573 f.). 255 Siehe oben den Text zu Fn. 193. 256 Siehe oben 1 b cc (S. 570 f.) und ee (S. 573 ff.). 257 KOM (2008) 614 endg. Vgl. hierzu auch den Überblick bei Effer-Uhe/Watson, GPR 2009, 11. 254
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§ 15. Inhaltskontrolle
Zum anderen offenbart sich an Art. 33, daß der Richtlinienvorschlags am Begriff der nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel festhalten möchte. Dieser Art. 33 lautet: »Macht der Gewerbetreibende geltend, dass eine Vertragsklausel im einzelnen ausgehandelt wurde, so obliegt ihm die Beweislast.«
Art. 33 hätte freilich in unmittelbaren Anschluß an Art. 30 stehen sollen. Zudem fehlt ihm der sprachliche Bezugspunkt. Denn der Begriff der nicht im einzelnen ausgehandelten Vertragsbedingungen kehrt in den Art. 30 ff. nicht wieder258. Schließlich stellen auch Begründung und Erwägungsgründe des Vorschlags klar, daß die Art. 30 ff. weiterhin für nicht individuell ausgehandelte Vertragsklauseln gelten sollen259. Damit ist auch der Richtlinienvorschlag der Kritik ausgesetzt, den richtigen Systembegriff nicht genau zu treffen. Unklar ist, welche Folgen es hat, daß der Richtlinienvorschlag gemäß Art. 4 auf eine Vollharmonisierung der Inhaltskontrolle zielt. Diese Folgen interessieren an dieser Stelle nur in Hinblick auf den Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle260. Fraglich ist vor allem, ob es den Mitgliedstaaten weiterhin möglich sein wird, die Kontrolle wie nach französischem Recht261 auch auf individuell ausgehandelte Vertragsklauseln in Verbraucherverträgen zu erstrekken. Dagegen spricht Erwägungsgrund Nr. 45 S. 2262: »Die Vorschriften über missbräuchliche Klauseln sollten nicht für Vertragsbedingungen gelten, denen der Verbraucher nach einer vorhergehenden Verhandlung zugestimmt hat.«
Sollte der Idee der Vollharmonisierung eine solche Erstreckung der Inhaltskontrolle auf alle Vertragsklauseln in Verbraucherverträgen widersprechen, stellt sich sofort die Anschlußfrage, ob die Mitgliedstaaten überhaupt noch zwingendes Recht erlassen dürfen. Diese Frage stellt sich, weil nicht nur der deutsche Gesetzgeber vor Einführung der offenen richterlichen Inhaltskontrolle oftmals durch zwingendes Recht auf eine unbillige AGB-Praxis reagiert hat263. Die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten könnten daher auch nach Inkrafttreten des Richtlinienvorschlags darauf verfallen, zwingendes Recht zu erlassen, wenn sie über das Schutzniveau der Richtlinie hinausgehen wollen. Sollte ein solches Vorgehen nicht mit der Richtlinie im Einklang stehen, ergibt sich das Problem, ob auch diejenigen zwingenden Vorschriften, mit denen die Gesetzgeber in der Vergangenheit auf eine unbillige AGB-Praxis reagiert haben, im Widerspruch zur Richtlinie stehen. Und schließlich ist unklar, ob Verord258 259 260 261 262 263
Siehe schon oben § 13 VII A (S. 487). KOM (2008) 614 endg., S. 11 der Begründung und Erwägungsgrund Nr. 45. Vgl. im übrigen Kieninger, RabelsZ 73 (2009), 793 ff. Siehe oben den Text zu und die Nachweise in Fn. 46. Zu Erwägungsgrund Nr. 45 vgl. auch Rott/Terryn, ZEuP 17 (2009), 483. Siehe oben § 4 III (S. 157 ff.), § 9 I (S. 287 ff.) und zu Frankreich die Nachweise in Fn. 44.
IV. Zusammenfassung
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nungen der mitgliedstaatlichen Wirtschaftsverwaltungsrechte zur Regelung bestimmter Vertrags- und Benutzungsverhältnisse fortbestehen können. Zu kurz gegriffen wäre der Hinweis, daß es sich bei solchen Rechtsverordnungen gerade nicht um Vertragsklauseln handelt und daß sie daher auch nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Denn die Vergangenheit zeigt, daß auch durch solche wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Maßnahmen auf eine unbillige AGB-Praxis reagiert wurde264. Es bestände also die Gefahr, daß die Mitgliedstaaten punktuell dort, wo sie ein höheres Schutzniveau wünschen, wieder diesen Weg gehen wollen. Sollte die Richtlinie ihnen diesen Weg versperren, wäre der Fortbestand bereits bestehender Verordnungen auf den Prüfstand zu stellen. Sollte der Richtlinienvorschlag umgesetzt werden, hätte dies für die Rechte der Mitgliedstaaten mithin tiefgreifende und von der Kommission kaum vorhergesehene Konsequenzen. Dagegen ist es den Mitgliedstaaten selbstverständlich unbenommen, eine Inhaltskontrolle für nicht individuell ausgehandelte Vertragsklauseln in Verträgen zwischen Unternehmern zu regeln oder eine solche Inhaltskontrolle auf AGB zu beschränken. Denn die Richtlinie erfaßt nur Verbraucherverträge. Da der Richtlinienvorschlag nur die individualschützende Ausprägung der Inhaltskontrolle kennt, wäre den Mitgliedstaaten also unbenommen in Hinblick auf Unternehmerverträge eine überindividuell schützende Inhaltskontrolle anzuerkennen.
IV. Zusammenfassung Die historischen Betrachtungen zur Entwicklung der Inhaltskontrolle warfen die Frage nach ihrem Anwendungsbereich auf: Sollen von der offenen richterlichen Inhaltskontrolle im Individualverfahren nur AGB, alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen oder gar alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen erfaßt sein? Obwohl sich die Diskussion um die Inhaltskontrolle im 20. Jh. auf AGB konzentrierte, konnten wir feststellen, daß nach einigen Schutzkonzepten, die im 20. Jh. als Grundlage der Inhaltskontrolle herausgearbeitet worden waren, die Inhaltskontrolle nicht hätte auf AGB beschränkt bleiben dürfen. Auch ein Rechtsvergleich warf die Frage nach dem Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle auf. In den einzelnen europäischen Rechten und den Vereinheitlichungsprojekten ist dieser Anwendungsbereich ganz unterschiedlich definiert. Der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle kann nur unter Rückgriff auf den Schutzgrund definiert werden. Unter diesem Blickwinkel wurden die einzelnen Schutzgründe, die in Literatur und Praxis präsentiert werden, erörtert. Dabei ergab sich, daß keiner der Schutzgründe für sich genommen die Inhalts264
Siehe oben § 7 I A (S. 204 ff.) sowie § 9 I (S. 287 ff.) und III (S. 307 ff.).
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§ 15. Inhaltskontrolle
kontrolle des geltenden Rechts vollständig abzubilden vermag. Insbesondere offenbarte sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Individualschutz und dem Schutz überindividueller Güter. Während das deutsche AGB-Recht ursprünglich unter Einfluß Raisers eher auf den überindividuellen Schutz zielte, dient die Inhaltskontrolle der Richtlinie eher dem Individualschutz. Mit Umsetzung der Richtlinie nahm das deutsche Recht beide Schutzkonzepte in sich auf. Daß der Individualschutz und der überindividuelle Schutz nach einer jeweils unterschiedlichen Ausgestaltung der Inhaltskontrolle verlangen, wird dabei bisher nicht berücksichtigt. Auf Grundlage dieser Analyse wurde vorgeschlagen, eine individualschützende und eine überindividuell schützende Ausprägung der Inhaltskontrolle zu unterscheiden. Durch die individualschützende offene richterliche Inhaltskontrolle soll eine Partei geschützt werden, die wegen eines Ungleichgewichts nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagieren konnte. Freilich ist es unmöglich, die Gründe dieses Handlungsdefizits zu identifizieren, zu typisieren, in Beziehung zueinander zu setzen, in beachtliche und unbeachtliche zu unterteilen und sodann in eine operationale Norm zu gießen. Deshalb ist das Vorliegen eines Ungleichgewichts nicht Anwendungsvoraussetzung der Inhaltskontrolle. Es wird vielmehr vermutet, wenn eine Partei den Vertragsinhalt einseitig bestimmt hat. Zudem wird unterstellt, daß die unterlegene Partei aus einem beachtlichen Grund auf die Ausübung ihrer Handlungsoptionen verzichtet hat. Der kausale Nexus zwischen Ungleichgewicht und konkretem Vertragsinhalt wird vermutet, wenn letzterer unangemessen ist. Definiert man den Anwendungsbereich der individualschützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle derart über die Art und Weise des Zustandekommens des Vertrages und nicht über das Vorliegen eines Ungleichgewichts, so erfaßt sie mehr Fälle, als von ihrem Schutzgrund getragen werden. Deshalb wurde ein Korrektiv eingeführt. Dieses Korrektiv beruhte auf der Erwägung, daß es zwar unmöglich ist, die Gründe, warum eine Partei nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagiert, zu erfassen, daß es aber möglich ist, typische Fallkonstellationen zu identifizieren, in denen eine unterlegene Partei diese Handlungsoptionen regelmäßig ausübt, ausüben kann oder in denen zumindest erwartet werden kann, daß sie diese Optionen ausübt, und in denen das die Inhaltskontrolle rechtfertigende Schutzbedürfnis daher nicht besteht. Diese Fälle können von der Inhaltskontrolle wieder ausgenommen werden. Von diesem Korrektiv waren Entgeltabreden und Leistungsbeschreibungen, deklaratorische Klauseln sowie Unternehmer erfaßt. Zur Ausgestaltung dieser individualschützenden Inhaltskontrolle konnten wir festhalten, daß sie individuell-konkret erfolgt. Für den Anwendungsbereich dieser Form der Inhaltskontrolle ist allein maßgeblich, daß Vertragsbedingungen von ihrem Verwender einseitig gestellt werden.
IV. Zusammenfassung
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Als Schutzgut der überindividuell schützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle wurde die Kompensation der Nachteile eines nicht funktionierenden Konditionenwettbewerbs identifiziert. Warum es zu keinem solchen Wettbewerb kommt, ist dabei unerheblich. Insbesondere darf diese überindividuell schützende Form der Inhaltskontrolle nicht auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen es zu einem Marktversagen aufgrund einer Informationsasymmetrie kommt. Vielmehr soll die Inhaltskontrolle unabhängig von Informationsasymmetrien oder sonstigen Ungleichgewichtslagen eine Mindestqualität der AGB gewährleisten. Während die individualschützende Inhaltskontrolle neben die sonstigen individualschützenden Kontrollinstrumente der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre tritt, stellt sich ihre überindividuell schützende Ausprägung neben die Kontrollmechanismen des Wettbewerbsrechts und neben die offene richterliche Inhaltskontrolle im Unterlassungsklageverfahren. Für ihre Anwendbarkeit genügt es, wenn Vertragsbedingungen mehrfach verwendet werden: Der Markt als überindividuelles Schutzgut ist immer dann betroffen, wenn, aus welchem Grund auch immer, mehrfach verwendete Vertragsbedingungen einen unangemessenen Inhalt aufweisen. Auf ein einseitiges Stellen der Bedingungen kommt es dagegen nicht an. Bei dieser Form der Inhaltskontrolle erfolgt die Angemessenheitskontrolle überindividuell-generell. Ihr kann ein anderer Kontrollmaßstab zugrundegelegt werden als der individualschützenden Inhaltskontrolle. Anders als die individualschützende Inhaltskontrolle findet sie auch Anwendung auf in Unternehmerverträgen mehrfach verwendete Bedingungen. Mit der Unterscheidung dieser beiden Ausprägungen der Inhaltskontrolle können vor allem die durch § 310 Abs. 3 BGB eingeführten Differenzierungen erklärt werden. Freilich ergab sich aus ihr auch eine Kritik an der lex lata: So ist der AGB-Begriff in § 305 Abs. 1 BGB korrekturbedürftig. Auf die Merkmale, daß Vertragsbedingungen vorformuliert oder für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sein müssen, kommt es für die individualschützende Inhaltskontrolle nicht an, und für die überindividuell schützende Inhaltskontrolle ist es unbeachtlich, ob die Vertragsbedingungen vorformuliert oder einseitig gestellt sind. Entgegen § 310 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BGB kommt es für die individualschützende Inhaltskontrolle dagegen allein darauf an, daß die Vertragsbedingungen einseitig gestellt sind.
§ 16. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit Die historischen Erkenntnisse zu den Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit werfen keine Fragen an das geltende Recht auf. Sie bestätigen nur, was nach § 306 Abs. 1 BGB ohnehin außer Zweifel steht: Die Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit einzelner Klauseln berühren nicht die Wirksamkeit des übrigen Vertrages. Ein Rechtsvergleich stellt diesen Befund ebenfalls nicht in Frage: Die Klauselrichtlinie enthält keine Geltungsvoraussetzungen1 und regelt daher auch nicht die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung. Diejenigen bei Unwirksamkeit sind in Art. 6 Abs. 1 dahingehend normiert, daß der Vertrag bindend bleibt, wenn er ohne die mißbräuchlichen Klauseln bestehen kann. Ob die Parteien den Vertrag ohne die Klauseln abgeschlossen hätten, ist unerheblich. Die Unwirksamkeit einer Klausel soll nur auf den restlichen Vertrag durchschlagen, wenn dessen Restgültigkeit ohne diese Klausel unmöglich ist. Vor diesem Hintergrund überrascht wenig, daß in Europa das Prinzip der Restgültigkeit des Vertrages unstreitig ist. In Italien etwa sind Klauseln, die einer Inhaltskontrolle nicht standhalten, nach Art. 36 Abs. 1 CCons nichtig. Im übrigen bleibt der Vertrag wirksam. Anders als der verdrängte2 Art. 1419 Abs. 1 CC kennt Art. 36 Abs. 1 CCons dabei nicht die Einschränkung, daß der ganze Vertrag nichtig ist, wenn die Parteien ihn ohne den von der Nichtigkeit betroffenen Teil nicht geschlossen hätten. Zudem macht Art. 36 Abs. 1 CCons die Restwirksamkeit des Vertrages nicht davon abhängig, daß ein Fortbestehen des Vertrages ohne die mißbräuchliche Klausel möglich ist3. Doch dürfte diese Einschränkung selbstverständlich sein4. Die durch die Nichtigkeit einer Klausel entstandene Lücke wird nach Art. 1374 CC in erster Linie durch das dispositive Recht gefüllt5. Für Frankreich normiert Art. L 132-1 Abs. 6 CCons als Rechtsfolge der In-
1
Siehe oben § 13 I A (S. 349 ff.). Catelani/Graziuso (2006), Art. 36 § 2; Gazzoni (12. Aufl. 2006), S. 907; Stanzione/Sciancalepore/Siano (2006), Art. 36 § 5; Heeschen (2007), S. 120. 3 Alpa/Patti/Bellelli (2003), Art. 1469-qinquies Abs. 1 § 3. 4 Stanzione/Sciancalepore/Siano (2006), Art. 36 § 5. A.A. Catelani/Graziuso (2006), Art. 36 § 2. 5 Alpa/Patti/Bellelli (2003), Art. 1469-qinquies Abs. 1 § 3; Lühring (2000), S. 100. 2
§ 16. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
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haltskontrolle, daß die Klauseln als nicht geschrieben gelten6. Strittig ist, ob es sich hierbei aufgrund der Anordnung des Art. L 132-1 Abs. 9 CCons, wonach die Vorschriften des Art. L 132-1 CCons Ausdruck des ordre public sind, um eine absolute Nichtigkeit oder ob es sich wegen des Schuttzwecks der Unwirksamkeitsordnung um eine relative Nichtigkeit handelt7. Nach Art. L 1321 Abs. 8 CCons bleibt in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 1 der Klauselrichtlinie der Vertrag im übrigen wirksam, sofern er ohne die mißbräuchliche Klausel bestehen kann8. An die Stelle der nichtigen Klausel tritt das dispositive Recht9. Auf eine weitere Darstellung der nationalen Rechte kann verzichtet werden. Zwar weisen sie im Detail Unterschiede auf. Aus rechtshistorischer Perspektive kann zu diesen Unterschieden indes nicht Stellung bezogen werden. Ihre Diskussion liegt damit außerhalb des für diese Arbeit gewählten methodischen Ansatzes. Dagegen lohnt ein Blick auf die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung in den PECL, im DCFR und in den ACQP (Contract I). Art. 2:104(1) PECL lautet: »Contract terms which have not been individually negotiated may be invoked against a party who did not know of them only if the party invoking them took reasonable steps to bring them to the other party’s attention before or when the contract was concluded.«
Bedingungen, die dem Vertragspartner nicht zur Kenntnis gebracht worden sind, können ihm gegenüber nicht geltend gemacht werden. Diese Bestimmung wirft Probleme auf: Soll sich der Vertragspartner bei Bedingungen, die zu seinen Lasten gehen, auf die Nichtbeachtung der Voraussetzungen des Art. 2:104 PECL berufen können, soll es ihm aber zugleich möglich sein, Rechte aus Bedingungen desselben Klauselwerks, die für ihn Vorteilhaftes bestimmen, geltend zu machen? Der Wortlaut des Art. 2:104(1) PECL (»may be invoked against«) legt diese Auslegung nahe. Eine solche Rosinentheorie wäre mit der Einordnung des Art. 2:104 PECL in das Kapitel zum Vertragsschluß indes nicht vereinbar. Das Klauselwerk ist entweder Vertragsbestandteil geworden, oder eine Einbeziehung muß verneint werden. Eine Geltung nur der Bedingungen, die dem Vertragspartner Vorteile gewähren, kann mit den Regeln über den Vertragsschluß nicht begründet werden. Aber ist Rechtsfolge der Nichtbeachtung der Einbeziehungsvoraussetzungen nach 6
Vgl. hierzu Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 329; Lühring (2000), S. 82. Vgl. Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 187; Raymond (2005), JCl Com, Concurrence, consommation, Fasc. 820 Rn. 89; Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 34; Coßmann (2002), S. 271; Brock (1998), S. 200. 8 Hierzu Calais-Auloy/Steinmetz (7. Aufl. 2006), Rn. 187; Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 329; Lühring (2000), S. 83. 9 Terré/Simler/Lequette (9. Aufl. 2005), Rn. 329; Sonnenberger/Dammann (3. Aufl. 2008), Rn. II 34; Brock (1998), S. 201. 7
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§ 16. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
Art. 2:104 PECL damit, daß nur der Vertragspartner das Klauselwerk als Ganzes als einbezogen behandeln darf und sich der Verwender dann nicht auf die Nichtgeltung des Bedingungswerkes berufen kann, umgekehrt aber der Verwender sich nicht auf die Bedingungen berufen kann, wenn der Vertragspartner sie insgesamt als nicht einbezogen behandeln will? So wird man diese Vorschrift in der Tat verstehen müssen. Doch ist auch diese Rechtsfolge der Nichtbeachtung der Einbeziehungsvoraussetzungen des Art. 2:104(1) PECL aus vergleichender und dogmatischer Perspektive bedenklich: Zum einen erinnert sie an die estoppel-Analyse des englischen Rechts, die dort keine Anhänger mehr findet10. Zum anderen handelt es sich um eine Art der relativen Unwirksamkeit. Relativ unwirksam kann aber nur eine Abrede sein, die tatbestandlich vorliegt, und Art. 2:104 PECL regelt gerade die Frage, ob eine Einigung über die Einbeziehung tatbestandlich gegeben ist. Wird eine Einigung abgelehnt, dann kann sich keine Partei auf den Einigungsinhalt berufen. Schließlich scheinen Schutzzweckerwägungen nicht geeignet zu sein, eine relative Unwirksamkeit zu begründen. Zum Schutz des Vertragspartners wird die Frage, ob eine Einigung über die Einbeziehung vorlag, besonders sorgfältig geprüft. Um Rechtsklarheit zu schaffen, mag man die Einbeziehungsvoraussetzungen, die sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts ergeben, ausdrücklich normieren. Ist aber Ergebnis dieser Prüfung, daß die Vertragsbedingungen nicht Vertragsinhalt geworden sind, so können sie überhaupt keine Geltung beanspruchen. Art. II.-9:103(1) DCFR entspricht im Wortlaut Art. 2:104 PECL und muß sich daher dieselbe Kritik gefallen lassen: »Terms supplied by one party and not individually negotiated may be invoked against the other party only if the other party was aware of them, or if the party supplying the terms took reasonable steps to draw the other party’s attention to them, before or when the contract was concluded.«
Art. 6:201(1) ACQP formuliert die Rechtsfolge der Nichtbeachtung der Einbeziehungsvoraussetzungen zwar etwas anders, doch ist er ähnlichen Bedenken ausgesetzt: »Contract terms which have not been individually negotiated bind a party who was unaware of them only if the user took reasonable steps to draw the other party’s attention to them before or when the contract was concluded.«
Der Wortlaut dieser Bestimmung legt nahe, daß nicht individuell ausgehandelte Vertragsklauseln nur den Vertragspartner nicht binden, sofern die Einbeziehungsvoraussetzungen unbeachtet blieben, daß sie den Verwender dagegen binden. Nach der Abschnittsüberschrift geht es indes um die Einbeziehung der nicht individuell ausgehandelten Vertragsklauseln in den Vertrag (»Inclu10
Vgl. hierzu McMeel (2007), §§ 15.03 f.
§ 16. Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit
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sion … of terms«). Und auch die Verfasser gingen davon aus, daß sie hier Einbeziehungsvoraussetzungen formulieren11. Doch eine Vertragsklausel ist entweder in den Vertrag einbezogen, dann gilt sie für und gegen beide Parteien, oder sie ist nicht in den Vertrag einbezogen, dann bindet sie indes keine der Parteien. Eine nur relative Geltung zugunsten der einen und zu Lasten der anderen Partei läßt sich auf dieser Grundlage nicht erklären.
11
Acquis Group/Pfeiffer/Ebers (2007), Art. 6:201 Rn. 5.
§ 17. Zusammenfassung I. Ziel des dritten Kapitels dieser Studie war es, mit Fragen, die sich aus den historischen Betrachtungen der ersten beiden Kapitel ergaben, an das geltende Recht heranzutreten. Da die Ergebnisse der ersten beiden Kapitel für den Geltungsgrund und die Rechtsnatur, die sogenannte Einbeziehungskontrolle, die Auslegung, die Inhaltskontrolle sowie die Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit unterschiedlich ausfielen, waren auch die Fragen, mit denen wir an das geltende Recht traten, für diese Problemkreise jeweils verschieden. II. Die sogenannte Normentheorie zur Erklärung der Rechtsnatur von AGB und ihres Geltungsgrundes war in Deutschland eine zu vernachlässigende Episode, die einen gesetzgeberischen Eingriff nicht erforderlich gemacht hätte. Ein rechtsvergleichender Überblick bestätigte diesen Eindruck: Zwar wurde auch in anderen Rechtsordnungen auf die Vergleichbarkeit von AGB und Normen hingewiesen. Doch wird nirgends ernsthaft in Frage gestellt, daß AGB ihre Wirkung nur entfalten, soweit sich die Parteien über ihre Geltung geeinigt haben, und daß es sich bei einbezogenen AGB ihrer Rechtsnatur nach um Vertragsabreden handelt. III. Die historischen Betrachtungen zur Entwicklung der Einbeziehungsvoraussetzungen im 19. und 20. Jh. warfen die Frage auf, ob es möglich ist, die gesetzlich normierten Geltungsvoraussetzungen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herzuleiten. Auch aus vergleichender Perspektive stellte sich diese Frage: Es gibt Rechte in Europa, welche die Einbeziehungsvoraussetzungen aus den allgemeinen Lehren des Vertragsrechts ableiten und dennoch Geltungsvoraussetzungen kennen, die denen der §§ 305 ff. BGB entsprechen. Zugleich deutete der Vergleich an, wo es Probleme bereiten wird, die Einbeziehungsvoraussetzungen der §§ 305 ff. BGB auf die Grundsätze der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre zurückzuführen, nämlich zum einen in Hinblick auf die Einbeziehungsvoraussetzung der Kenntnisnahmemöglichkeit und zum anderen in Hinblick auf den Ausschluß überraschender Klauseln von der Einbeziehung. In Bezug auf die Kenntnisnahmemöglichkeit erwiesen sich diese Probleme nicht als unüberwindlich. Zwar stellt die Kenntnisnahmemöglichkeit nach den Grundsätzen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre keine eigenständige Geltungsvoraussetzung dar. Doch ist sie von Bedeutung als erst durch sie der AGB-Inhalt als Vertragsinhalt nach dem Grundsatz der normativen Ausle-
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gung bestimmbar wird. Sollen AGB Vertragsinhalt werden, so ist zudem ihr Zugang beim Vertragspartner erforderlich. Auch dieses Zugangserfordernis kann unter dem Stichwort der Kenntnisnahmemöglichkeit diskutiert werden. Dagegen kann die Geltung überraschender Klauseln nicht bereits im Rahmen der Auslegung ausgeschieden werden. Und auch eine Irrtumsanfechtung bietet dem Vertragspartner nicht den gleichen Schutz, der ihm durch § 305c Abs. 1 BGB gewährt wird. Daher ist eine ausdrückliche Regel zu überraschenden Klauseln geboten. Freilich sollte die Einbeziehung überraschender Klauseln nicht ipso iure ausgeschlossen sein. Vielmehr sollte dem Vertragspartner ein Anfechtungsrecht eröffnet werden. Zudem sollte dieses Anfechtungsrecht nicht auf überraschende Klauseln in AGB beschränkt bleiben, sondern auf überraschende Klauseln in einseitig gestellten Bedingungen erstreckt werden. Daneben offenbarten sich zahlreich weitere Faktoren, die bei der Beantwortung der Frage, ob AGB zum Vertragsinhalt geworden sind, eine Rolle spielen können. Die Erkenntnis, daß sich die in §§ 305 ff. BGB normierten Einbeziehungsvoraussetzungen weitgehend aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre herleiten lassen, war für die Frage nach der Geltung von AGB im unternehmerischen Verkehr von unmittelbarer Bedeutung. Im nichtunternehmerischen Verkehr ging es darum, die §§ 305 ff. BGB vor der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre als Verständnishintergrund auszulegen: Dabei konnten wir feststellen, daß § 305 Abs. 2 BGB keine drei selbständigen Geltungsvoraussetzungen enthält, sondern mit der Einigung über die Einbeziehung nur eine einzige. Die »Einbeziehungsvoraussetzungen« der Nr. 1 und Nr. 2 sind als besonders bedeutsame Faktoren bei Beantwortung der Frage, ob eine solche Einigung vorliegt, zu verstehen. Vor diesem Hintergrund konnte zu zahlreichen Auslegungsproblemen Stellung bezogen werden. Beiläufig wurde auch ein Formulierungsvorschlag des § 305 Abs. 2 BGB entwickelt, der das hier vertretene Verständnis besser erfaßt: »Erklärt die andere Vertragspartei ihr Einverständnis mit der Geltung einseitig gestellter Geschäftsbedingungen nicht ausdrücklich, so kann von einem solchen Einverständnis nur dann ausgegangen werden, wenn der Verwender vor oder bei Vertragsschluß zumindest 1. die andere Vertragspartei ausdrücklich auf sie hinweist und 2. sie der anderen Vertragspartei zugehen und ihr Inhalt auch im übrigen für diese Vertragspartei bestimmbar ist.«
Dieser Formulierungsvorschlag bietet sich auch auf europäischer Ebene an. Hier ist eine befriedigende Formel für eine Normierung der Einbeziehungsregeln noch nicht gefunden worden. Doch wurde betont, daß auf die Kodifizierung von Einbeziehungsvoraussetzungen auch verzichtet werden kann. Zumindest im deutschen Recht ergeben sie sich mit Ausnahme der Einbeziehungsgrenze der überraschenden Klauseln bereits aus der allgemeinen Rechts-
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geschäftslehre. Entscheidet man sich indes aus Gründen der Rechtssicherheit zu einer Kodifikation der Einbeziehungsvoraussetzungen, dürfen diese nicht auf AGB beschränkt bleiben. Vielmehr stellt sich ein identisches Problem für alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen. Der entwickelte Formulierungsvorschlag war entsprechend auch nicht auf AGB beschränkt. IV. Für die Auslegung stellte sich aus historischer Sicht zum einen die Frage nach dem Verhältnis zwischen der contra proferentem-Regel und dem Grundsatz der normativen Auslegung. Dieses Verhältnis zu bestimmen, war nicht ohne weiteres möglich. Denn bei dem Grundsatz der normativen Auslegung handelt es sich um eine Auslegungsmethode, die darüber aufklärt, wie ein Auslegungsergebnis zu ermitteln ist. Die contra proferentem-Regel ist dagegen eine Auslegungsregel, die darüber Auskunft gibt, was Auslegungsergebnis ist. Auslegungsmethode und Auslegungsregel können aber nicht sinnvoll in Beziehung zueinander gesetzt werden. Der Standort der contra proferentemRegel kann nur bestimmt werden, wenn auch der Grundsatz der normativen Auslegung in die einzelnen Auslegungsmaximen, aus denen er hervorging, aufgelöst wird. Das Verhältnis zwischen diesen Auslegungsregeln und der contra proferentem-Regel muß bestimmt werden. Dann bestimmt man nicht das Verhältnis von Methode und Regel, sondern von Regel und Regel. Die contra proferentem-Regel beruht ebenso wie der Grundsatz der normativen Auslegung auf einem Verantwortungsgedanken. Den Erklärenden trifft in bestimmten Situationen eine gesteigerte Verantwortung für seine Erklärung, die es rechtfertigt, die Erklärung nicht nur so zu verstehen, wie sie eine vernünftige Person aus Sicht des Empfängers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte, sondern gegen ihn auszulegen. Eine solche Situation liegt bei Verbrauchern wie auch bei Unternehmern als Vertragspartner vor, wenn der Verwender Vertragsbedingungen einseitig stellt. Ebenso wie die einzelnen Auslegungsregeln, die in ihrer Gesamtheit den Grundsatz der normativen Auslegung ausmachen, nicht in einem starren Stufenverhältnis zueinander stehen, konnten auch die contra proferentem-Regel und diese übrigen Auslegungsregeln nicht in eine strikte, logische Ordnung gebracht werden. Vielmehr muß bei Anwendung jeder einzelnen Auslegungsregel im Einzelfall geprüft werden, ob das mehr an Verantwortung zu ihrer modifizierten Anwendung oder gar Ersetzung führt. Zudem stellte sich aus historischer Sicht die Frage, ob der sogenannte Grundsatz der objektiven Auslegung berechtigt ist. Er kristallisierte sich in Deutschland erst im Laufe des 20. Jh. heraus und findet keine Entsprechung im Rechtsvergleich. Einer kritischen Würdigung hielt er nicht stand. Gleiches galt für die Regel des deutschen Rechts, daß die Auslegung von AGB immer revisibel sein soll. V. An der Notwendigkeit einer besonderen Inhaltskontrolle bestehen keine Zweifel. Hier warfen die rechtshistorischen Erkenntnisse die Frage nach dem Anwendungsbereich der offenen richterlichen Inhaltskontrolle auf: Sollen von
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der offenen richterlichen Inhaltskontrolle im Individualverfahren nur AGB, alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen oder gar alle nicht individuell ausgehandelten Vertragsbedingungen erfaßt sein? Obwohl sich die Diskussion um die Inhaltskontrolle im 20. Jh. auf AGB konzentrierte, konnten wir feststellen, daß nach einigen Schutzkonzepten, die im 20. Jh. als Grundlage der Inhaltskontrolle herausgearbeitet worden waren, die Inhaltskontrolle nicht hätte auf AGB beschränkt bleiben dürfen. Auch ein Rechtsvergleich warf die Frage nach dem Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle auf. In den einzelnen europäischen Rechten und den Vereinheitlichungsprojekten ist dieser Anwendungsbereich ganz unterschiedlich definiert. Auf Grundlage der Erkenntnis, daß der Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle nur unter Rückgriff auf den Schutzgrund definiert werden kann, wurden die einzelnen Schutzgründe, die in Literatur und Praxis präsentiert werden, erörtert. Dabei ergab sich, daß keiner der Schutzgründe für sich genommen die Inhaltskontrolle des geltenden Rechts vollständig abzubilden vermag. Insbesondere offenbarte sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Individualschutz und dem Schutz überindividueller Güter, die jeweils nach einer unterschiedlichen Ausgestaltung der Inhaltskontrolle verlangen. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wurde vorgeschlagen, eine individualschützende und eine überindividuell schützende Ausprägung der Inhaltskontrolle zu unterscheiden: Durch die individualschützende offene richterliche Inhaltskontrolle soll eine Partei geschützt werden, die wegen eines Ungleichgewichts nicht wie ein rational handelnder Marktteilnehmer mit den ihr offenstehenden Handlungsoptionen auf einen unangemessenen Vertragsinhalt reagieren konnte. Für den Anwendungsbereich dieser Form der Inhaltskontrolle ist allein maßgeblich, daß Vertragsbedingungen von ihrem Verwender einseitig gestellt werden. Als Schutzgut der überindividuell schützenden Ausprägung der Inhaltskontrolle wurde die Kompensation der Nachteile eines nicht funktionierenden Konditionenwettbewerbs identifiziert. Für ihre Anwendbarkeit genügt es, wenn Vertragsbedingungen mehrfach verwendet werden. Mit der Unterscheidung dieser beiden Ausprägungen der Inhaltskontrolle konnten die durch § 310 Abs. 3 BGB eingeführten Differenzierungen erklärt werden. Freilich ergab sich aus ihr auch eine Kritik an der lex lata: So ist der AGB-Begriff in § 305 Abs. 1 BGB korrekturbedürftig. Auf die Merkmale, daß Vertragsbedingungen vorformuliert oder für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sein müssen, kommt es für die individualschützende Inhaltskontrolle nicht an, und für die überindividuell schützende Inhaltskontrolle ist es unbeachtlich, ob die Vertragsbedingungen vorformuliert oder einseitig gestellt sind. Entgegen § 310 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BGB kommt es für die individualschützende Inhaltskontrolle allein darauf an, daß die Vertragsbedingungen einseitig gestellt sind. VI. Erweist sich also der in dieser Studie gewählte historische Ansatz für die Einbeziehungsproblematik, die Auslegung und die Inhaltskontrolle als fruchtbar, gilt gleiches nicht für die Regeln zu den Rechtsfolgen bei Nichteinbezie-
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hung und Unwirksamkeit. Eine Klarstellung, daß § 139 BGB im vorliegenden Zusammenhang nicht gilt, scheint geboten. VII. Provokant formuliert lautet das Ergebnis dieses dritten Kapitels, daß die Existenz eines AGB-Rechts de lege ferenda nicht zu rechtfertigen ist. Die Einbeziehungsvoraussetzungen und die contra proferentem-Regel können aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre abgeleitet werden. Die übrigen Besonderheiten bei der Auslegung von AGB können nicht aufrechterhalten werden. Will der Gesetzgeber Einbeziehungsvoraussetzungen kodfizieren, so dürfen diese nicht auf AGB beschränkt bleiben, sondern müssen sich auf alle einseitig gestellten Vertragsbedingungen beziehen. Die Inhaltskontrolle darf nicht auf AGB beschränkt bleiben, sondern muß in ihrer individualschützenden Ausprägung auf alle einseitig gestellten, in ihrer überindividuell schützenden Form auf alle mehrfach verwendeten Vertragsbedingungen erstreckt werden. Entstand im Deutschland des 20. Jh. das AGB-Recht, so wird es sich im 21. Jh. auflösen. Die Überwindung des AGB-Begriffs als Systembegriff des BGB deutet sich bereits in § 310 Abs. 3 BGB an.
§ 18. Ausblick Die Ergebnisse dieser Arbeit finden sich in der Einleitung und in den einzelnen Kapitelzusammenfassungen. An dieser Stelle kann ich mich daher auf einen Ausblick beschränken: Neben die Klauselrichtlinie sind in den letzten Jahren mit den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, den Principles of European Contract Law, dem Avant-projet eines Code Européen des Contrats, den Acquis Principles (Contract I) und dem Draft Common Frame of Reference eine Reihe von Texten getreten, die von Wissenschaftlergruppen mit dem Ziel erarbeitet worden sind, als Grundlage für eine europäische Privatrechtswissenschaft oder auch als Vorlage für den europäischen Gesetzgeber zu dienen. Hinzu kam jüngst der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher. In dem hier untersuchten Bereich hat bisher keiner dieser Texte in jeder Hinsicht befriedigende Antworten auf die einzelnen Regelungsprobleme zu geben vermocht. Dies gilt im besonderen für den Richtlinienvorschlag, aber auch für die Acquis Principles (Contract I) und den Draft Common Frame of Reference. Die letztgenannten beschreiten etwa auf dem Gebiet der Einbeziehungsproblematik neue Wege und schlagen Regeln vor, die sich so bisher weder im acquis communautaire noch in den einzelnen europäischen Rechten finden und die als wenig ausgereift gelten können. Die Erarbeitung solcher Regeltexte sollte nunmehr ein Ende finden und die europäischen Privatrechtswissenschaften in das nächste Stadium ihrer Entwicklung eintreten. Sie muß sich Grundlagenfragen zuwenden: Bedarf es einer gesetzlichen Regelung der Einbeziehungsvoraussetzungen? Oder kann die Einbeziehungsproblematik nicht auch auf Grundlage der Grundsätze des allgemeinen Vertragsrechts befriedigend gelöst werden? In welchem Verhältnis steht die contra proferentem-Regel zu den allgemeinen Regeln der Vertragsauslegung? Was ist der Schutzgrund der Inhaltskontrolle? Ist sie individualschützend oder überindividuell schützend? Oder gibt es neben einer individualschützenden Ausprägung noch eine überindividuell schützende Inhaltskontrolle? Welche Konsequenzen haben diese Schutzzweckerwägungen für die Ausgestaltungen der Inhaltskontrolle? Diese Fragen können die verschiedenen Regeltexte nicht offen ansprechen. Sie setzen vielmehr eine bestimmte Antwort voraus, obwohl ein Konsens über die richtige Antwort auf europäischer Ebene noch nicht gefunden worden ist, ja eine Diskussion über den einzuschlagenden Weg auf europäischer Ebene
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§ 18. Ausblick
noch gar nicht begonnen hat. Doch weil die Antworten auf diese Fragen in den einzelnen Rechten Europas höchst unterschiedlich ausfallen, müssen diese Regeltexte, bevor sie weiterentwickelt oder gar mit Gesetzeskraft ausgestattet werden können, der Wissenschaft übergeben werden. Nicht mehr Wissenschaftlergruppen, sondern einzelne Wissenschaftler sind aufgefordert, diese Texte aus dem Blickwinkel ihres nationalen Rechtes oder unter Anwendung ihres methodischen Ansatzes kritisch zu beleuchten. Hat sich bezüglich dieser Grundlagenfragen ein Konsens gebildet und wurden auf Basis dieses Konsenses die einzelnen Regeln kritisch hinterfragt, erst dann ist es möglich, diese Regeltexte zu überarbeiten und das Ergebnis dieser Arbeit mit Gesetzeskraft auszustatten. Bis dahin werden Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte vergehen.
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Personen- und Sachregister Abzahlungsgeschäft 145, 156–157, 164, 172, 185 Acquis Principles 340, 345, 377–388, 476, 507, 538, 593–595 Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen 210, 218–222, 242, 247–248, 262–263, 277 Allgemeine Geschäftsbedingungen – als fertig bereitliegende Rechtsordnung 217, 251 – Begriff 66, 333–336 – Gleichstellung mit Normen 215–222, 277, 284, 312, 326, 331 – Vergleich mit Normen 213–215, 284, 312, 331, 545 allgemeine Versicherungsbedingungen 65–66, 100, 120–122, 135, 142, 153– 155, 159–162, 165–171, 172–184, 195, 207, 364 Allgemeinverbindlichkeitserklärung 206–212, 220, 290, 301, 344 Analphabetismus 359, 411 Änderung von AGB in Dauerschuldverhältnissen 474–475 Anschütz, August 99 Anwendungskontrolle siehe unter Inhaltskontrolle Arbeitsordnung siehe Fabrikordnung Arbeitsrecht 2, 8, 90, 140, 164–165, 170, 172, 187, 207, 222, 288, 331 außergewöhnliche Klauseln siehe überraschende Klauseln Aushang 3, 24, 30, 32–33, 38, 52–60, 102–103, 120–121, 125, 141–142, 162– 163, 184–185, 196, 245, 355, 365, 367, 391, 451–457 siehe auch Hinweis – Deutlichkeit 25–25, 30, 34, 54, 121, 124, 196, 231, 236, 356, 361, 424, 455– 457
– Lesbarkeit 25, 90 – Ort 24, 30, 34, 39, 54, 57, 124, 196, 231–232, 356–357, 424, 428, 455–457 – Zeitpunkt 54, 196, 229–230, 232 – Zugang 423–424 Auslegung 126–137, 273–286, 498–526 – Bedeutung des Üblichen 116–117, 129, 136, 196, 262, 273, 286 – Bedeutung des Wortlauts 110, 127, 273, 286 – normative 8–9, 14, 226, 229, 233, 237, 250, 268–269, 274, 280, 285, 332 – und Ungültikeit 132, 278–279 Auslegung von AGB 132–136, 196, 214, 273–286, 498–526 – contra proferentem 1, 3, 9, 14, 126, 130–132, 132–133, 136, 161, 173, 182, 196, 217, 273, 275–280, 285–284, 289, 332, 498–517, 524–525, 528 siehe auch Inhaltskontrolle (verdeckte) – – Gefahrtragung 276 – – öffentliches Interesse 279 – – Prävention 277, 510 – – Ratio 131, 276–277, 285–286, 509– 513 – – Schutzfunktion 277, 510–513 – – Straffunktion 277, 510 – – Subsidiarität 278–280, 286, 498– 517 – – Ungleichgewicht 276, 510 – – Verantwortungsgedanke 132, 277, 510–513 – – Verhältnis zur normativen Auslegung 278–280, 286, 513–517 – objektive 9, 14, 126, 133, 136–137, 280–283, 286, 332, 517–523, 524, 526 – Revisibilität 9, 14, 126, 134–136, 137, 196, 214, 222, 283–285, 286, 331–332, 336, 523, 526
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Personen- und Sachregister
– typisierende 129, 133, 135, 136, 196, 214, 280–283, 286, 332, 517–523, 526 – Unklarheitenregeln 128–132, 273 siehe auch Auslegung von AGB (contra proferentem) Auslegung von Pönalbestimmungen 133, 178, 182 Auslegung von Verträgen 126–132, 273–275 siehe auch Auslegung Autonomie 39, 41–42, 67, 83, 99–100, 207, 219, 345 Avant-projet eines Code Européen des Contrats 376–377, 419, 506 Bachmann, Gregor 347–348 Bähr, O. 107–109 Bankrecht 88–89, 239, 267, 271, 364 Bankton, Lord 391 Baron, Julius 131 Basedow, Jürgen 557, 559 battle of forms siehe kollidierende AGB Behinderung 359, 411, 472 Bell, George Joseph 391 Benecke, Wilhelm 65, 80, 84–87, 128 Bestimmbarkeit der AGB und des AGBInhalts 356, 371 siehe auch unter Kenntnisnahmemöglichkeit Bezugnahme auf AGB siehe Hinweis Börsenusancen 99, 102, 135, 195 branchenübliche Klauseln 386, 434–435 Brand, Jürgen 6, 90, 164 Brückner, Hermann 144 Bütow, Paul 82 Canaris, Claus-Wilhelm 549, 582 Coing, Helmut 277 contra proferentem-Regel siehe unter Auslegung von AGB Danz, Erich 222 Dauerschuldverhältnisse 474–475 Deckungsfunktion der Unterschrift 225, 228, 361, 405, 407 Denning LJ 357, 393 Deregulierung 343–344 Dernburg, Heinrich 107, 131, 164, 186, 324
Deutlichkeit des Einbeziehungsaktes 404–407 siehe auch unter Aushang und Hinweis Draft Common Frame of Reference 340, 345, 388–389, 476, 507, 538, 594 Ehrenberg, Victor 72, 86–88, 183–184, 189, 305 Einbeziehung 11, 162–163, 178, 331– 333 siehe auch Geltungsgrund und Geltungsvoraussetzungen – als Auslegungsproblem 44, 103, 109– 112, 116–119, 271 – dogmatischer Rahmen 4–5, 14, 103– 122, 196, 198, 225, 229, 236, 243, 268, 270, 349, 394–437, 495 – gegenüber Kaufleute bzw. Unternehmern 220–221, 254, 438 Einbeziehungserklärung siehe Aushang und Einverständnis sowie Hinweis Einheitsmietvertrag 211 Einigung über die Geltung von AGB 215, 353–354, 362, 374–375 siehe auch Einverständnis einseitig gestellte Vertragsbedingungen 14, 300, 304, 311–312, 321, 323, 335, 475–476, 513, 525, 528, 540, 544, 547– 548, 570–571, 590, 599–600 Einverständnis in die Geltung von AGB 67, 124, 196, 470–475 – ausdrücklich 52, 57–58, 224, 226, 231, 355, 363, 394–422, 432 – Bezug zum Vertragsschluß 403–404 – stillschweigend 33, 53, 58, 87, 102, 112, 196, 207, 229–237, 237–238, 245, 269, 271, 359, 363, 372, 423–431, 432– 437 Eisenbahnen siehe Transportrecht und Reglements elektronischer Geschäftsverkehr 407, 428 Emmerich, Volker 320 Endemann, Wilhelm 45–46, 51, 123, 213 englisches Recht 14, 340, 354–360, 365, 383–384, 391–393, 407, 419, 505–506, 519, 536–537, 564, 594 Entstaatlichung des Rechts 346–348
Personen- und Sachregister
Erklärungstheorie 104, 106, 108, 114, 121, 274, 285, 339 estnisches Recht 351, 353 Fabrikordnung 90, 145–146, 165, 186, 207–208, 222 Fahrkarten 31, 39, 357 fahrlässige Willenserklärung 9, 251, 270, 436 faktischer Vertrag 9, 248–249, 270, 331, 436 faktisches Monopol siehe unter Inhaltskontrolle Falk, Ulrich 7 Fastrich, Lorenz 140 fertig bereitliegende Rechtsordnung siehe unter AGB Flume, Werner 316, 517 formeller Begriff der Vertragsfreiheit siehe unter Inhaltskontrolle Frachtbrief 34–36, 38–39, 44, 102–103, 110, 112, 124 französisches Recht 14, 340–341, 354, 360–362, 365, 502–504, 519, 529, 534– 535, 564, 592–593 Frier, Bruce W. 2 Fuld, Ludwig 155, 185 Gadow 238 Garderobenmarke siehe Hinweis Gastwirte 3, 16, 52–60, 125, 141–142, 162–163, 184–185, 187–188, 196, 355, 391 geltungserhaltende Reduktion 12, 191– 194, 198, 324, 328 Geltungsgrund von AGB 8, 13, 21–125, 196, 199, 203–223, 339–348 Geltungsvoraussetzungen von AGB 8, 13, 21–125, 199, 224–272, 349–497 siehe auch Einbeziehung Gemeinschaftsrecht 340, 349–351, 498– 499, 519, 523, 530–531, 564, 592 Gemeinwohlgedanke siehe unter Inhaltskontrolle Gepäckschein 30–31, 39, 232 siehe auch Hinweis Gerber, Carl Friedrich v. 35, 41, 122– 123, 213
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Geschäftsgebrauch 97, 239, 246–247, 359–360, 372, 375–376, 380, 414, 432– 434 Globalisierung 346 Goldschmidt, Levin 30–32, 35, 38–39, 44, 46, 54, 65, 82, 113, 116, 124–125, 247 Graul, Hans-Heinrich 284 Großmann-Doerth, Hans 214–215, 264, 295, 299–301, 303, 312, 318, 321– 322, 544 Grunsky, Wolfgang 317 gute Sitten siehe unter Inhaltskontrolle Haferkamp, Hans-Peter 6–7 Hamelbeck, Bernhard 229 Handelsbrauch 84–86, 93–103, 219, 261–264, 345, 359–360, 368, 372, 375– 376, 380, 413–414, 436 – kodifizierter 98–99, 101, 143, 263 Handelsgewohnheitsrecht 93–103, 220 Handelsübung 93–103 Haupt, Günter 211–212, 243–245, 258, 311 Haus, Rudolf 268 Hausordnung 88, 144–145, 156, 185 Hedemann, Justus Wilhelm 302, 305 Heilbrunn, Otto 328 Heitzer, J. 88, 155 Helm, Johann Georg 223, 318, 321 Henkel, Thomas 7 Herschel, Wilhelm 216–217, 260, 328 Heuervertrag 2 Hinrichs 132, 183 Hinweis auf AGB 87, 90, 196, 220, 271, 351–352, 355, 374 siehe auch Aushang – Ausdrücklichkeit 226, 229–237, 245, 363, 394–422, 423–431, 439–451 – Begriff der Ausdrücklichkeit 442–446 – Begriff des Hinweises 441 – Bezug zum Vertragsschluß 403–404, 426 – Deutlichkeit 76, 111, 224–225, 229, 231–232, 361, 363, 370, 427 – Größe 76, 232 – Lesbarkeit 76, 360–361 – Ort 111, 233, 237
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Personen- und Sachregister
– Zeitpunkt 23, 30–32, 76, 102, 124, 196, 229–230, 235, 247, 355, 361, 363– 364, 367, 370, 375, 377, 390, 394–397, 424, 446–451 Hodum, Gustav 261 Hoeniger, Heinrich 286 Hofer, Sibylle 6, 146, 190, 318 Hoffmann, Moritz 56 Höhne, C. 186 Hueck, Alfred 318 Individualabreden, Vorrang von 4, 74, 351–352, 360, 362, 365, 369, 372, 375– 376, 380, 389, 402–403, 425, 476–477 Informationsgefälle siehe unter Inhaltskontrolle Informationspflichten 381–389 Inhaltskontrolle 10, 138–190, 287–323, 527–591 – Angemessenheitskontrolle 140, 317, 579–580 – Anwendunbsbereich 14, 300, 311, 320 siehe auch einseitig gestellte Vertragsbedingungen und nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen – Anwendungskontrolle 138, 157, 172– 186, 188–189, 193–194, 197–198, 290, 294–295, 317, 586 – aufsichtsrechtliche Kontrolle 140, 154, 160, 165–172, 188, 189, 197, 287, 301, 322, 542 siehe auch Inhaltskontrolle (Verwaltung) – Billigkeitskontrolle 140, 316, 579–580 – deklaratorische Klauseln 577, 585 – faktisches Monopol 43, 50 87 151– 153, 157–160, 174–175, 184, 189, 197 – formeller Begriff der Vertragsfreiheit 5–6, 307, 313, 323, 539 – Gemeinwohl 10, 288, 303, 319, 322– 323, 332, 335, 527, 540, 556 – generell-überindividuelle Prüfung 541, 543, 545 – Gesetzesanmaßung 299–301, 314, 544–545 – gute Sitten 146–148, 152–153, 155, 182, 189, 193, 197, 289, 291–294, 302– 303, 310, 313, 315–316
– individualschützende 10, 14, 307, 319, 322–323, 335, 563–582, 590, 599 – Informationsasymmetrie 155, 189, 553–563 – konkret-individuelle Prüfung 541, 543, 565, 579–580 – Kontrollgegenstand siehe einseitig gestellte Vertragsbedingungen und nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen – Leitbildfunktion des Dispositivrechts 292, 295, 300, 304, 315 – Marktversagen 543, 554–563, 564 – materieller Begriff der Vertragsfreiheit 5–6, 160, 184, 189–190, 197–198, 539, 549 – Mißbrauch der Vertragsfreiheit 144, 156, 164, 184, 190, 291, 293–294, 297– 298, 301–303, 310, 314, 325, 546–547 – Monopolrechtsprechung 1, 10, 175, 214, 258, 289, 291–292, 294–299, 301, 303, 306, 309, 313, 315–316, 322–323, 325–326, 332, 527 siehe auch Inhaltskontrolle (faktisches Monopol) – Motivationsgefälle 155, 189, 554–563 – Natur des Vertrages 147–148, 153– 154, 156, 177, 197 – offene richterliche 1, 3, 87, 138, 140, 146–157, 158, 171, 172, 182, 184, 188– 189, 193, 197, 288–289, 297–299, 301– 302, 308, 313, 322, 332, 357, 530–591 – öffentliches Interesse 314, 316 – öffentliche Ordnung 146–148, 154, 189, 193, 197 – persönlicher Anwendungsbereich siehe Inhaltskontrolle (Unternehmer und Verbraucher) – Präventivkontrolle 172, 309 – Preisabreden 540, 543, 545, 547–548, 551, 553, 576–577, 585 – Rechtskontrolle 580 – Regel-Ausnahme-Verhältnis von vertraglicher Abrede und Dispositivrecht 295, 321, 543–544 – Richtigkeitsgewähr 311, 314, 547– 549, 550 – schwarze Liste 304, 309, 313, 320, 533, 535
Personen- und Sachregister
– Selbstkontrolle 139, 313 – Sittenwidrigkeit siehe unter Inhaltskontrolle (gute Sitten) – Sozialstaatsprinzip 319, 321 – Treu und Glauben 146–147, 153, 173, 178–179, 182, 189, 197, 316, 319 – typenfremde Verträge 544–545 – überindividuell schützende 10, 14, 303, 307, 314, 316, 319, 530, 543, 563– 566, 583–587, 590–591, 599 – Ungleichgewicht 142, 160, 187, 197– 198, 527, 549–554, 564–565, 567–568, siehe auch Inhaltskontrolle (Informationsasymmetrie und Motivationsgefälle) – – intellektuelles 155, 189, 314, 320 – – situatives 189, 554 – – soziales 184 – – wirtschaftliches 155, 164, 189, 294– 299, 305, 307, 313–314, 320, 550– 553 – Unterlassungsklageverfahren 529, 583, 586 – Unternehmer 320, 527, 530–539, 544, 548, 578–579, 585 – Verbotsgesetz siehe Inhaltskontrolle (zwingendes Recht) – Verbraucher 305–307, 309, 316, 320, 322, 527, 530–539, 549, 569, 586 – verdeckte Inhaltskontrolle 139, 172– 186, 188–189, 256–258, 318, 332, 357 – – Auslegung 4, 132–133, 139, 156, 173–186, 188, 193, 278, 289 – – dogmatische Einordnung von Klauseln 173–179, 182, 188 – – Schikaneverbot 173–176, 182, 188– 189, 293 – – teleologische Reduktion 173, 176– 177, 182, 188 – Verfahrensvorschriften für die Aufstellung von AGB 186 – Verwaltung 4, 139, 291, 313, 332, 529– 530 siehe auch Inhaltskontrolle (aufsichtsrechtliche Kontrolle) – Wettbewerbsrecht 288, 313, 583, 585– 586 – Zusammenschluß der Vertragspartner 139, 187, 264, 290–291
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– zwingendes Recht 4, 43, 139, 146, 148, 151, 153, 157–165, 184, 188–189, 197–198, 288, 290, 293, 297, 301, 305, 308, 322, 332, 527, 534, 588 internationales Privatrecht 216, 218, 253 Irrtum 112–115, 119–120, 229, 249, 253, 274, 420–422, 431 – entschuldbarer 105–106, 113–114, 119, 124, 226, 228, 262 – wesentlicher 104 Isaac, Martin 277 italienisches Recht 341–342, 365–369, 377, 392, 419, 500–502, 519, 529, 531, 592 Jastrow 156–157, 198, 291, 312 Katalog siehe Hinweis Kennenmüssen siehe Wissenmüssen Kenntnisnahmemöglichkeit 33, 38, 73– 74, 78–79, 82, 90, 103, 111–112, 124, 220, 225, 229, 233–235, 237, 240, 244– 245, 260–261, 271, 343, 349–353, 358– 359, 361, 363, 367, 371–372, 374–380, 390, 407–418, 429, 433, 458–469, 495 – Bestimmbarkeit des AGB-Inhalts 408–412, 495 – Transparenzgebot 462–467 – Verzicht 375, 380, 417–418, 467–469 – Zeitpunkt 467 – Zugang der AGB 412–417, 495 Kieninger, Eva-Maria 557, 562 Klausing, Friedrich 304 Kleinertz, Rolf 279 Koch, R. 144 Koch, Wilhelm 38–39 Koehler, Walter 214, 241, 247 Koehne, Carl 207 kollidierende AGB 13, 264–265, 373, 375–376, 380, 388–389 Köndgen, Johannes 466 Konditionenwettbewerb 145, 543, 583 König 82 konkretes Ordnungsdenken 217 Kontinuitäten, kodifikationsübergreifende 7–8, 11, 236, 265–267, 274, 276, 280, 283, 285, 322, 333
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Personen- und Sachregister
Konzessionierung 31, 43, 50, 80, 159, 165–172, 287 Kost, Jakob 281–28, 559 Kötz, Hein 557, 559–560 Krause, Hermann 248, 250, 252–253 Krauß, Matthias 48 Krise der Rechtsgeschäftslehre 9, 270, 331, 349 Kübel, Franz Philipp v. 57, 59, 159–160, 169, 189–190, 197–198, 305, 339 Laband, Paul 97–98, 101, 116, 123 Lange, Heinrich 246 Larenz, Karl 226, 274–275, 307, 412, 572 Lehmann, Karl 328 Leo, Martin 264 Leonhard, Franz 283 lettisches Recht 354, 499–500, 533 Lewis, William 183 lex contractus 39–41, 67, 91, 101, 122– 123, 222, 335 lex mercatoria 345–346 Leyens, Patrick C. 560 litauisches Recht 351, 353, 499, 535 Lüderitz, Alexander 520–521 Lukes, Rudolf 318, 327 Mackeldey, Ferdinand 129 Malß, Conrad 82, 86 Manigk, Alfred 248, 251 Massenverkehr 243, 245, 248, 250, 258, 281, 314, 335 materieller Begriff der Vertragsfreiheit siehe unter Inhaltskontrolle Mayer, Otto 205 Medicus, Dieter 471 Meeske, Helmut 251, 253 mehrfach verwendete Vertragsbedingungen 15, 583–584 Meiss, Wilhelm 278 Meyer-Cording, Ulrich 347 Mezger 246 Michel, Ulrich 256–257, 291 Mietrecht 2, 88, 155–156, 185, 208, 211, 288, 292–294, 296 Mißbrauch der Vertragsfreiheit siehe unter Inhaltskontrolle
Mittermaier, Carl Joseph Anton 32, 38, 50, 82, 86, 112, 213, 247, 391 Möbelleihvertrag 185 siehe auch Abzahlungsgeschäft Möglichkeit zur Kenntnisnahme siehe Kenntnisnahmemöglichkeit Monopolrechtsprechung siehe unter Inhaltskontrolle Motivationsgefälle siehe unter Inhaltskontrolle Müller-Erzbach, Rudolf 276 Neukirch, Erich 328 nicht individuell ausgehandelte Vertragsbedingungen 353, 373, 377, 390, 476, 498–499, 506, 528, 530–539, 540, 544, 560, 565, 573–574, 586, 587–588 niederländisches Recht 340, 351, 353, 371 Nipperdey, Hans Carl 295, 298–299, 301, 325–326, 328 Nolte, Vincent 80, 84–87, 128 normativer Charakter von AGB 8–9, 14, 122–123, 136, 196, 203, 213–214, 221–222, 277–278, 326, 331–332, 519 Normentheorie 8, 13, 21, 39, 42, 120, 122, 205, 208, 215, 218–220, 222, 251, 277, 284, 339, 341–342, 522, 526 Normenvertrag 207, 318, 397 Nußbaum, Arthur 213, 304 Oertmann, Paul 222, 304 öffentliche Ordnung siehe unter Inhaltskontrolle öffentlich-rechtliche Anstalten 50, 159, 205, 344 österreichisches Recht 340, 354, 362– 365, 419, 477, 519, 529, 533–534, 564 Otto 41 Pagenstecher, Max 328 Pappenheim, Max 2, 295–298, 301, 303, 305, 318, 321–322, 543 Pflug, Hans-Joachim 347 Pohlhausen, Robert 15, 29–30, 39, 41, 80, 103, 141, 147, 149–150, 172 Pollock, Sir Frederick 391
Personen- und Sachregister
polnisches Recht 342–343, 365, 393, 533 portugiesisches Recht 340, 352–353, 476, 533 Post 47, 205 siehe auch Transportrecht und Reglements Prausnitz, Otto 393 Preisliste siehe Hinweis Principles of European Contract Law 340, 345, 373–375, 419, 476, 506, 515, 537–538, 593–594 Principles of Internationale Commercial Contracts 340, 345, 375–376, 419, 477, 506, 537 private Regelsetzung 346–348 Prölß, Erich R. 277 Puchta, Georg Friedrich 7, 131 Rahmenvereinbarung 30, 101, 224, 230, 447 Raiser, Ludwig 1, 8–11, 203, 223, 227– 228, 233, 243, 245, 248, 253, 256–259, 261, 265, 268–269, 271, 278, 286, 291, 295, 301–305, 309, 319, 321–323, 325– 326, 332–333, 393, 407, 419, 508–509, 515, 527, 540, 542, 548, 556, 579, 590 receptum-Haftung 16, 25–27, 43, 47, 49, 53–56, 141 Rechnung 102, 235, 355, 361, 364, 367, 370, 424, 426, 428 siehe auch Hinweis (Zeitpunkt) Recht der AGB als bürgerlich- und handelsrechtliche Materie 11, 198, 266–267 Rechtsfolgen bei Nichteinbeziehung und Unwirksamkeit 10, 191–194, 197– 198, 222, 324–330, 331, 333, 592–595 Rechtsnatur von AGB 8, 21–125, 49, 90–91, 196, 199, 203–223, 269, 339– 348 Rechtssoziologie 8, 123, 206, 213, 222, 331, 335 Regelsberger, Ferdinand 117, 120, 131 Reglements – der Eisenbahnen 27, 29–46, 51, 54, 79, 82, 84, 91–93, 100, 109, 120, 121–123, 136, 141–143, 147–153, 157–159, 195, 204, 207, 213, 288, 344
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– der Posten 26, 47, 195, 344, 481–486 – der Telegraphenanstalten 26, 49–52, 122, 142, 147–153, 158, 195, 213 – der Transportanstalten 25–52, 120, 135, 141–142, 147–153, 157–159, 171– 172, 193, 204, 463, 481–486 Repgen, Tilman 6 Reyscher, August Ludwig 50, 147–148, 159, 205 Richter, Wolfgang 247 Risikoerklärung 228–229, 259, 421, 431, 477 Röder, Tilmann J. 40 Roquette, Hermann 295, 305–307, 322, 560 Rückert, Joachim 7, 198 Rühl, Helmut 215, 217, 243, 248, 305– 306 Saleilles, Raymond 341 Savigny, Friedrich Carl v. 105–106, 119 Schäfer, Hans-Bernd 560 Schäffle 187 Schermaier, Martin Josef 104 Scherner, Karl Otto 42 Schmidt-Rimpler, Walter 310–311, 547– 548, 550 Schmidt-Salzer, Joachim 229, 253, 282, 318, 320, 326 Schmitt, Carl 217 Schneider, K. 144 Schöneberg, v. 305 Schott 122 schottisches Recht 340, 354–360, 365, 391–393, 407, 419, 505–506, 529, 536– 537, 564 Schreiber, Otto 304 Siebert, Wolfgang 250 Siegel, Julius 227–228, 259, 421 Sittenwidrigkeit siehe Inhaltskontrolle (gute Sitten) skandinavische Rechte 340, 354, 499, 529, 535 slowakisches Recht 354, 499, 533 sozialtypisches Verhalten 9, 248–249, 270, 436 spanisches Recht 341, 352–353, 476, 504–505, 519, 529, 532–533
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Personen- und Sachregister
Sprachenproblem 24, 58, 125, 359, 372, 406, 407, 409–411, 427, 429, 459 Stallwirte 3, 391 Staub, Hermann 120, 266 Stempelsteuer 230, 267, 335–336 strukturelles Ungleichgewicht siehe unter Inhaltskontrolle (Ungleichgewicht) Tarifvertrag 207 Tecklenborg, Heinrich 88 Telegraphenanstalten 49–52, 205 siehe auch Transportrecht und Reglements Telquelerklärung 227, 259, 421, 431, 477 Thibaut, Anton Friedrich Justus 130 Titze, Heinrich 276 Transparenz 12, 76, 84, 143, 172, 260, 347, 350, 462–467, 545, 577, 580 Transportrecht 2–3, 16, 25–52, 140, 160, 184, 187–189, 198–199, 222, 239, 267, 271, 276, 287, 333 Treu und Glauben siehe unter Inhaltskontrolle tschechisches Recht 354 Tuhr, Andreas v. 259–260 überraschende Klauseln 254–260, 347, 351–352, 357, 362, 364–365, 367, 373, 375–376, 390, 407, 419–420, 429–431, 477–479, 495 – arglistige Täuschung 260 – Auslegung 257–258 – culpa in contrahendo 260 – Irrtum 254–255, 258–259, 420–422, 431, 477–479 – red hand rule 357, 365, 375–376, 407 – verdeckte Inhaltskontrolle 256–258, 357, 365 Ungleichgewicht siehe unter Inhaltskontrolle UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts siehe Principles of International Commercial Contracts UN-Kaufrecht 340, 345, 370–373, 419, 506, 520, 537 Unterwerfung 36, 50, 75, 80, 83, 93, 102, 108, 112, 120, 123, 159, 185, 215–216,
246, 251–252, 259, 264, 269, 281–282, 284, 305, 393, 520 unübliche Klauseln siehe überraschende Klauseln utile per inutile non vitiatur 192, 198 Vereinheitlichung von AGB 44–46, 84– 86, 98–100, 143, 218, 239, 290 Verkehrssitte 9, 86, 231, 237, 240–242, 245, 248–249, 269, 271, 331, siehe auch Handelsbrauch Veröffentlichung von AGB 30–36, 38– 39, 46, 52, 74, 80–84, 87, 101, 108, 120, 124, 196, 209, 219, 234, 240–245, 269, 355, 435 Versicherungsaufsichtsrecht 65, 165– 171, 287 Versicherungsrecht 2–4, 16, 60–88, 140, 156, 186, 189, 198–199, 211, 239, 267, 271, 276, 288, 333 Versicherungsschein 71–73, 101, 103, 124 Verständlichkeit der AGB 372, 418– 419, 429 Vertragsfreiheit – Begriff der Vertragsfreiheit siehe unter Inhaltskontrolle (materieller Begriff der Vertragsfreiheit und formeller Begriff der Vertragsfreiheit) – Mißbrauch siehe unter Inhaltskontrolle Vertragstheorie 13, 21, 28–29, 40, 42, 45, 47, 49, 51, 67, 90–91, 100, 122, 196, 203–207, 215, 218, 222–223, 339, 341– 342, 413, 522 Vielzahl 571–573 Vogenauer, Stefan 130, 275 Voigtel 185 Völderndorff, Otto Freiherr v. 99 vorformulierte Vertragsbedingungen 570 Vorrang von Individualabreden siehe Individualabreden Vorschlag einer Richtlinie über Verbraucherrechte 340, 486–495, 523–525, 587–589 vorvertragliche Informationspflichten siehe Informationspflichten
Personen- und Sachregister
Wächter, Carl Georg v. 41, 131 Weber, Max 215 Wettbewerbsparameter, AGB als 145, 558 Wettbewerbsrecht siehe unter Inhaltskontrolle (Wettbewerbsrecht) Widerspruch gegen die Einbeziehung von AGB 54–55, 73, 118, 122, 250, 364, 398–401, 404, 425 widerstreitende AGB siehe kollidierende AGB Willenstheorie 29, 103–104, 106–107, 110, 113–115, 126–127, 225, 273, 339 Windscheid, Bernhard 7, 108–109
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Wirtschaftsverwaltungsrecht 8, 204– 213, 287, 308–309, 323, 331, 335, 344, 527, 589 Wissenmüssen 31, 105, 124, 226, 228– 229, 237–239, 245–246, 271, 341–342, 360, 362–364, 366–369, 376, 392, 435, 438, 439 Wohlhaupter, Eugen 2 Wolf, Manfred 412, 572 Zusammenschluß der Vertragspartner des Verwenders siehe unter Inhaltskontrolle zwingendes Recht siehe unter Inhaltskontrolle