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German Pages 384 Year 2014
Jörg Krappmann Allerhand Übergänge
Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft hrsg. v. Andrea Bogner, Dieter Heimböckel und Manfred Weinberg | Band 4
Editorial Differenzen zwischen Kulturen – und die daraus resultierenden Effekte – sind seit jeher der Normalfall. Sie zeigen sich in der Erkundung der »Fremden« schon seit Herodot, in der Entdeckung vorher unbekannter Kulturen (etwa durch Kolumbus), in der Unterdrückung anderer Kulturen im Kolonialismus oder aktuell in den unterschiedlichen grenzüberschreitenden Begegnungsformen in einer globalisierten und »vernetzten« Welt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit »Interkulturalität« erfuhr entscheidende Impulse durch die »anthropologische Wende« in den Geisteswissenschaften und durch das seit den 1970er Jahren etablierte Fach der Interkulturellen Kommunikation. Grundlegend ist dabei, Interkulturalität nicht statisch, sondern als fortwährenden Prozess zu begreifen und sie einer beständigen Neuauslegung zu unterziehen. Denn gerade ihre gegenwärtige, unter dem Vorzeichen von Globalisierung, Postkolonialismus und Migration stehende Präsenz im öffentlichen Diskurs dokumentiert, dass das innovative und utopische Potenzial von Interkulturalität noch längst nicht ausgeschöpft ist. Die Reihe Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft greift die rege Diskussion in den Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften auf und versammelt innovative Beiträge, die den theoretischen Grundlagen und historischen Perspektiven der Interkulturalitätsforschung gelten sowie ihre interdisziplinäre Fundierung ausweiten und vertiefen. Die Reihe wird herausgegeben von Andrea Bogner, Dieter Heimböckel und Manfred Weinberg.
Jörg Krappmann (PhD) lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Olmütz (CZ). Er veröffentlicht zu Philosophie, Literatur und Kultur auf dem Gebiet Böhmens und Mährens sowie zur Phantastik.
Jörg Krappmann
Allerhand Übergänge Interkulturelle Analysen der regionalen Literatur in Böhmen und Mähren sowie der deutschen Literatur in Prag (1890-1918)
Tato kniha vychází v rámci projektu »Koncepty moderny v moravské neˇmecké kulturˇe 1871-1939. Prˇíspeˇvek k problematice civilizacˇní kritiky a k formování identit ve strˇední Evropeˇ«, podporˇeného Grantovou agenturou Cˇeské republiky (reg. cˇ. P406/10/0948). Dieses Buch erscheint im Rahmen des Forschungsprojekts »Konzepte der Moderne in der deutschmährischen Kultur 1871-1939. Ein Beitrag zur Problematik der Zivilisationskritik und zur Bildung von Identitäten in Mitteleuropa«, das von der Grantová agentura der Tschechischen Republik (Reg. Nr. P406/ 10/0948) gefördert wurde.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld/Lars Malte Trzeschan Lektorat: Jörg Krappmann Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2075-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort | 9 Erklärungen | 23 Architrav: Kultur und Raum | 23 Sieben Säulen | 32 Drei deutsche Literaturen | 60 Ein Mähren | 84 Der Nationalitätenkonflikt | 93 Nationale Literatur – Mimesis oder Propaganda? | 93 Grenzlandliteratur | 114
Die soziale Frage | 163 Die Legende vom Ausbleiben des Naturalismus | 163 Mittendrin oder nur dabei | 230 Die Mährische Moderne | 264 Die religiöse Frage | 271 Gott ist tot (oder doch nicht?) | 271 Bekenntnis und Verwirrung | 296 Clericus Lamentabilis | 308 Redundanz oder Relevanz? – Eine Frage statt eines Schlusswortes | 333 Bibliographie | 339 Erläuterung | 339 Quellen I | 339 Quellen II | 341 Moderne Forschungsliteratur | 347
Register | 373
Man glaubt zwar, das Schicksal sei ein zufälliges, aber in Wirklichkeit passt alles, was einem widerfährt, zu einem selbst. (A. Lernet-Holenia: Mars im Widder)
Vorwort
Dieses Buch handelt von Schriftstellern und Werken, die in der Literaturgeschichtsschreibung nicht mehr berücksichtigt werden, ja teilweise noch nicht einmal in regionale Überblicksdarstellungen ihrer Wirkungszeit aufgenommen wurden. Sie gehören zu den Vergessenen der deutschen Literatur. Ihre Werke verstauben in den Regalen größerer oder regionaler Bibliotheken, wenn sie es denn überhaupt bis dorthin geschafft haben. Denn viele müssen inzwischen als verschollen deklariert werden, anheimgefallen den politischen Wirren des 20. Jahrhunderts, des Aufhebens oder Transportes nicht für Wert erachtet, wurden sie gezwungen, neuem, anderem, besserem Platz zu machen. Doch auch diejenigen, die in Bibliotheken oder Antiquariaten bis in die Gegenwart überlebten, tragen den Makel der Ignoranz offen zur Schau, den ihnen ihre vormaligen Besitzer angedeihen ließen. Nicht wenige der hier zitierten Ausgaben konnten erst dadurch zugänglich gemacht werden, indem die Druckbögen teilweise oder vollständig aufgeschnitten wurden. Gewidmet, geschenkt oder (versehentlich?) gekauft, fanden sie zwar Eigentümer, aber keine Leser. Dieses Buch handelt auch von Schriftstellern, deren Werk in keiner Literaturgeschichte fehlen darf, von Autoren, die die Segmente der Literaturgeschichte, die Epochen, mitbestimmten oder zu ihrer programmatischen und ästhetischen Ausprägung beitrugen. Stilbildend und forschungsrelevant bis auf den heutigen Tag bestimmen sie die Gegenwartsliteratur ebenso wie die Lehrveranstaltungen an Universitäten und Schulen. Ihnen werden Bibliographien, historisch-kritische Ausgaben und Handbücher gewidmet, und die ihnen zugehörige Forschungsliteratur wird von Bibliothekaren gern in Festmetern angegeben. Schließlich handelt dieses Buch von Autoren, denen ersteres Schicksal erspart, letzteres verwehrt blieb. Sie konnten zumindest zeitweise einen gewissen Rang im literarischen Leben einnehmen, sei es durch eigene Werke, sei es durch den engen Kontakt mit den Autoren von überragender Bedeutung, weswegen ihr Name in Lexika und anderen Nachschlagewerken präsent gehalten wird, ohne jedoch über spezielle Forschungsthemen und -gruppen hinaus breitere Wirkung auszustrahlen. Kennzeichnend für diese Autoren ist, dass zu ihnen meist ein bis zwei monographische Studien vorliegen, die an speziellen Instituten erarbeitet und in ein-
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schlägigen Verlagen publiziert wurden. In aktuellen Diskursen fungieren sie als Querverweise im Fußnotenapparat. Kennzeichnend ist auch, dass Anstrengungen unternommen werden, das Werk dieser Autoren durch die Publikation einzelner Romane oder Erzählungsbände wiederzubeleben.1 Ins Bewusstsein einer breiteren wissenschaftlichen oder publizistischen Öffentlichkeit rücken sie jedoch nicht mehr, so dass sie hinsichtlich des Bearbeitungsniveaus der ›großen‹ Autoren als Vernachlässigte zu bezeichnen sind. Zweifellos bestehen zahlreiche Möglichkeiten diese Einteilung zu differenzieren und zu variieren. Die Grundstruktur wird dadurch nicht beeinträchtigt. Diese drei Gruppen liegen zunächst einmal jeder literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einer Region oder einem Territorium zu Grunde, unabhängig davon, ob Repräsentanten aus jeder Kategorie in der jeweiligen Studie behandelt oder bestimmte Autorenkreise bewusst ausgeschlossen werden. Die Einteilung gilt auch für Arbeiten, die sich mit einer Epoche auseinandersetzen. Sowohl in der bayrischen und der westfälischen Literatur als auch im Barock oder der Romantik gibt es vergessene, etablierte und (womöglich zu Unrecht) vernachlässigte Autoren und Werke. Und selbstverständlich lassen sich räumliche und literaturgeschichtliche Kategorisierung miteinander kombinieren. Dies soll im Folgenden geschehen, indem die Literatur auf dem Gebiet Mährens und teilweise auch Böhmens im Zeitalter der frühen Moderne vorgestellt und diskutiert werden soll. Räumliche und epochenspezifische Zuweisungen befinden sich wissenschaftstheoretisch freilich auf unterschiedlichen Ebenen. Die Zuordnung eines Autors zu einer Region erfolgt über seine biographischen Daten. Als beispielsweise mährischer Autor gilt, wer sein ganzes oder einen Teil seines Lebens auf dem Gebiet Mährens verbrachte. Somit kann ein Schriftsteller mehreren Regionen angehören, wenn sein Lebenslauf derartiges zulässt. Die Biographie bleibt auch dann der Maßstab, wenn sich das Werk eines Künstlers geradezu monothematisch über eine andere Region äußert. An dieser Stelle müsste nun die Rechtfertigung erfolgen, ein Phänomen, das in neueren germanistischen Arbeiten verstärkt auftritt, sobald Autoren oder Themen ins Spiel kommen, die nicht auf der Ebene des überkommenen Kanons liegen. In Monographien zur regionalen Literaturforschung herrscht geradezu ein Rechtfertigungszwang, wobei unklar ist, ob es sich dabei um eine Form der Selbstlegitimierung handelt oder ob der Erklärungsnotstand gegenüber Konsultanten oder Gremien besteht, die zu kontrollierenden Einsprüchen ermächtigt sind. Die Frage nach der Urheberschaft muss auch nicht beantwortet werden, denn entscheidend 1 | Lyriksammlungen werden nur in den seltensten Fällen wiederaufgelegt. Bei ihnen führt der Weg über Anthologien oder – seltener – über Sammlungen von Einzelinterpretationen (etwa die mehrbändige Reihe Gedichte und Interpretation des Reclam Verlages). Bei dramatischen Werken gestaltet sich die Reanimierung schwieriger, da sie, so scheint es, nur über aktuelle Inszenierungen zu leisten ist. Sie sind deswegen Faktoren unterworfen, die außerhalb des gängigen Literaturbetriebs liegen.
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ist die Wirkung auf den Leser derartiger Rechtfertigungen. Auf Grund des Aufwandes, mit dem sie betrieben werden, entsprechen sie kaum mehr einer gängigen captatio benevolentiae. Der behandelte Textkorpus wird in einleitenden Passagen als ästhetisch minderwertig, bestenfalls zweitrangig deklariert, noch bevor er für sich selbst sprechen kann. Ein Vor-urteil, das sich begrenzend auf den Horizont der zu erwartenden Ergebnisse auswirkt. Fragwürdig wird dieses Verfahren jedoch erst, wenn damit ein eingeschränktes Wissenschaftsverständnis legitimiert wird. Als philologisch wertvoll gelten demnach nur Arbeiten, die sich an einer »lebendigen, sich beständig aktualisierenden, wissenschaftlichen Diskussion«2 beteiligen. Außerhalb dieser Diskussion »fehlt die Tradition der Forschung als sicherer Hintergrund für den Angriff auf Thesen und Interpretationsansätze, der Hintergrund für ein philologisch oder ein hermeneutisch gesichertes Aufgreifen von Themen«3. Diese Feststellung ist durchaus richtig, doch darf sie nicht als Hemmschuh für eine weitere Auseinandersetzung mit entlegeneren Gebieten und Literaturen wirken. Neben der detaillierten Analyse des philologisch Gesicherten, gleichbedeutend mit dem anerkannten Kanon der letzten Jahrzehnte, besteht die Aufgabe von Literaturwissenschaft und Literaturgeschichtsschreibung in der Entdeckung neuer4 und der Wiederentdeckung untergegangener Werke und ihrer Verfasser. Dieser Aufgabe ist die Germanistik auch immer wieder nachgekommen, etwa in der Rekanonisierung von Georg Büchner und Friedrich Hölderlin um die Jahrhundertwende, um zwei eindeutige Beispiele anzuführen, bei denen Nachhaltigkeit gewiss sein dürfte. Als genuine Verpflichtung der germanistischen Forschung bedarf diese Tätigkeit keiner Rechtfertigungen, auch dann nicht, wenn es sich um keine eigentliche Rekanonisierung handelt, sondern die Forschung (zunächst) auf einer vorgeschalteten Ebene abläuft. Dies ist in diesem Buch der Fall. Die untersuchten Werke werden häufig erstmals wieder zur Diskussion gestellt, sie sind ›präkanonisch‹. In den folgenden Kapiteln wird versucht, ihre Relevanz für die Epoche der, um den Naturalismus erweiterten, ästhetischen Moderne, vielfach aber auch nur für einige eng umrissene Sachfragen oder Motivkomplexe nachzuweisen. Ob es dadurch gelingt, sie einem germanistischen oder kulturwissenschaftlichen Fachpublikum interessant zu machen bzw. ob es überhaupt sinnvoll erscheint, eine Re-
2 | Daniel Hoffmann: Die Wiederkunft des Heiligen. Literatur und Religion zwischen den Weltkriegen. Paderborn Schöningh 1998. Es ließen sich zahlreiche Beispiele anführen. Hoffmanns Studie wird an dieser Stelle nur herausgegriffen, da die hier kritisierte Einstellung im Kapitel »Bemerkungen zur literaturwissenschaftlichen Position dieser Arbeit« offensichtlich betont wird. Dabei analysiert Hoffmann Texte von Georg Britting, Elisabeth Langgässer oder Ernst Penzoldt, Autoren also, die literaturgeschichtlich einen wesentlich höheren Status besitzen als viele der in diesem Buch vorgestellten. 3 | Ebd., S. 19. 4 | Die Literaturkritik als ausführendes Organ der Neubewertung wird hier in eine prozessuale Literaturgeschichtsschreibung integriert.
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kanonisierung anzustrengen, wird der weitere Verlauf der Forschung auf diesem Gebiet zeigen. Relevanz besitzen die jeweiligen Werke aber für die kultur- und geistesgeschichtliche Beschreibung des Territoriums Böhmen – Mähren – (Österreichisch)Schlesien, wenn man sie vorbehaltlos, ohne Rücksicht auf ungehörige Inhalte und geringe Auflagenzahl als literarische Zeugen des Raumes betrachtet. »Gefordert ist also ein Gesamtverständnis von Kultur, eine Lesart des Supplements, welche die uns vorliegenden Texte der Peripherie gewissermaßen als Apokryphen der Moderne auffasst – Potentiale für kulturindustrielle Innovation gleichermaßen wie für politische Subversion«5 . Dieser Anspruch, den Clemens Ruthner in Bezug auf die Auseinandersetzung mit phantastischer Literatur erhob, wird hier auf den gesamten Untersuchungsgegenstand ausgedehnt. Ohne eine Aufarbeitung auch der vernachlässigten und vergessenen Autoren ist eine übergreifende Kulturgeschichte dieses Raumes nicht zu leisten. Trotz zahlreicher Vorarbeiten zur Prager deutschen Literatur, zur sudetendeutschen und in letzter Zeit vermehrt zur mährisch-schlesischen Literatur wird auch dieses Buch mehr Lücken aufzeigen als füllen. Für abschließende Urteile ist das Datenmaterial noch zu wenig aussagekräftig und es können allenfalls Thesen oder Hypothesen formuliert werden. Im Vordergrund stehen deswegen die Analyse der Werke und ihre Einbettung in den zeitgenössischen Kontext. So weit es möglich ist, werden die Biographien und Selbstzeugnisse der Verfasser in die Interpretation einbezogen. Nicht allein, um einer Informationspflicht zu genügen, sondern wegen ihres Einflusses auf die Texte selbst. Dies gilt für etablierte und unbekannte Autoren gleichermaßen. Letztere unterliegen jedoch einem besonderen Druck, da sie in der Region aus der und für die sie schreiben beruflich eng gebunden sind. Nur wenige schafften es wenigstens für eine Zeitspanne eine freie Schriftstellerexistenz zu leben. Im Normalfall blieben sie den gesellschaftlichen Zwängen der Kleinstadt unterworfen.6 Sie waren buchstäblich stadtbekannt und kannten wiederum ihre Abnehmer. Daraus resultiert während des Schreibprozesses eine stärkere Orientierung am realen Leser als dies bei Autoren zu erwarten ist, die für eine, ihnen weitestgehend unbekannte, Leserschaft schreiben. Die reine Werkinterpretation noch dazu unter Berücksichtigung des Autors kommt etwas hausbacken daher in einer Zeit, in der ohne neues, spitzfindig angewendetes, linksgedrehtes oder schöngeredetes theoretisches Konzept kein For5 | Clemens Ruthner: Am Rande. Kanon, Kulturökonomie und die Intertextualität des Marginalen am Beispiel der (österreichischen) Phantastik im 20. Jahrhundert. Tübingen Frankke 2004. S. 58. 6 | Eine präzise Beschreibung der unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich einem Schriftsteller boten, um in der provinziellen Umgebung zu überleben, gibt Karl Hans Strobl in seinem autobiographischen Roman Der Fenriswolf (Joerg Krappmann: Aus dem Großleben einer Kleinstadt. Karl Hans Strobls Roman Der Fenriswolf. In: Brücken NF 18/1-2 (2010), S. 97-110).
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schungsprojekt mehr an Land zu ziehen ist.7 Doch die regionalen Texte, die sowieso schon außerhalb des Kanons angesiedelt sind, sollten nicht durch einen engen theoretischen Ansatz überfrachtet werden. Zum einen geraten Interpretationen zu unbekannten möglicherweise auch ästhetisch nicht auf höchstem Niveau befindlichen Werken leicht in eine Schieflage, wenn sie an neuere theoretische Konzepte angebunden werden. Diskursanalytische oder kulturwissenschaftliche Verfahrensweisen, die für die regionale Literaturforschung sicherlich ihre Berechtigung besitzen, wirken plausibler, wenn sie auf Texte angewendet werden, zu denen ein gesicherter philologischer Rahmen vorliegt. Zum anderen neigen theoretische Ansätze sui generis und in der regionalen Literaturforschung besonders dazu, missliebige oder unpassende Texte zunächst auszugrenzen, um das Gesamtgefüge nicht zu gefährden. Das sollte auf jeden Fall vermieden werden. Pointiert ließe sich sagen, dass präkanonische Texte auch eine prätheoretische Arbeitsweise verlangen. Freilich wird dadurch die Germanistik nicht neu erfunden und die Entwicklungen der Literaturtheorie finden auch in dieser Arbeit ihren Niederschlag. Ich nehme mir nur die Freiheit insgesamt eklektizistischer vorzugehen als es gemeinhin üblich geworden ist. Was an Vorstudien zur Abfassung dieser Arbeit notwendig war und was für sie leitend geworden ist, findet sich im Kapitel Sieben Säulen. Dort werden auch die Gefahren eingehender aufgezeigt, die im Dunkeln der regionalen Literaturforschung lauern. Auf diesen Säulen ruht der Architrav aus Kulturwissenschaft und Raumtheorie, der über die Einzelanalysen und thematischen Abschnitte hinaus die Schnittstellen zwischen regional orientierter Literaturwissenschaft und interkultureller Germanistik erläutert. Vor 13 Jahren startete die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur mit einem Bestand von ca. 120 Autoren. Seit dieser Zeit ist durch Recherchen in Bibliotheken und Archiven, die an zahlreiche thematisch oft unabhängige Projekte gekoppelt waren, der Fundus auf ca. 4000 Autoren angewachsen. Nur ein Teil davon wurde bisher im Internet oder in den beiden Bänden des Lexikons zugänglich gemacht.8 Der überwiegende Rest ist bis auf (teilweise ungenaue) biobibliographische Angaben und kleinere Rezensionen in lokalen Zeitungen unbearbeitet. Deswegen war eine Auswahl unumgänglich. Das zeitliche Spektrum wurde 7 | Auch in Rezensionen wird gegenwärtig gründliche philologische Textarbeit gegenüber Theoriekonzepten abgewertet: »Insgesamt legt Spierek eine fundierte, wenngleich theorie- und methodenarme, textimmanente Interpretation des Spät- und Exilwerks Winders vor«. So Steffen Höhne in einer Besprechung von Christiane Ida Spierek: Von Habsburg zu Heydrich. Wuppertal Arco 2005. In: Stifter Jahrbuch 22 (2008), S. 273. 8 | Vgl. Ingeborg Fiala-Fürst/Joerg Krappmann (Hg.): Lexikon deutschmährischer Autoren. Band 1. Olomouc Universitätsverlag 2002 und Ingeborg Fiala-Fürst/Silvie Jašková/Joerg Krappmann (Hg.): Lexikon deutschmährischer Autoren. Band 2. Olomouc Universitätsverlag 2006. Das Lexikon versteht sich als work in progress. Deswegen werden die jeweiligen Lieferungen als Loseblattsammlungen mit dazugehörigem Ordner erstellt. Eine weitere Lieferung ist für 2013 geplant.
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an die Blütezeit der Prager deutschen Literatur angeglichen, mit der die mährische deutschsprachige Literatur den ›Ahnensaal‹ teilt, der in Max Brods bekannter Kreismetapher, die Grundlage für den befruchtenden Streit von Generationen und Halbgenerationen abgibt, der sich in konzentrischen Ringen um das eigentliche Zentrum Franz Kafka bewegt. Die frühesten Vorfahren der Prager deutschen Literatur sieht Brod in Marie von Ebner-Eschenbach und Charles Sealsfield. Marie von Ebner-Eschenbach wurde als Gräfin Dubsky auf dem Landschloss in Zdisslawitz unweit von Kremsier geboren, wo sie auch weite Strecken ihres Lebens verbrachte. Besonders in den Schloß- und Dorfgeschichten beschreibt sie das mährische Flachland und die Menschen darin. Ihre Darstellungen der Verhältnisse zwischen Grundherren und Bauern wurden lange Zeit für so präzise gehalten, dass sie in soziologische Abhandlungen Eingang fanden.9 Darum kommt ihr auch in der mährischen deutschsprachigen Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle zu. Mit Charles Sealsfield verhält es sich etwas anders. Er wurde zwar als Carl Postl in dem Dörfchen Poppitz bei Znaim, also ebenfalls in Mähren geboren, trat aber in jungen Jahren in das Kreuzherrenstift in Prag ein. Nach seiner Flucht aus dem Kloster, zog er durch halb Europa und gelangte schließlich in die Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo er erst »seinen politisierten literarischen Auftritt als Beteiligter am gesellschaftspolitischen und geistesgeschichtlichen Umbruchund Krisenbewußtsein in Europa und Amerika«10 vollzieht. In seinem Werk findet sich, bis auf einige Passagen in dem habsburgkritischen Essay Austria as it is, kaum Mährisches, so dass er hauptsächlich wegen seiner späteren Rezeption für die regionale Literaturgeschichtsschreibung interessant ist11 . Beide belegen aber die Nähe zwischen Prager und mährischer deutscher Literatur, die in der späteren Forschung zu einigen Überlagerungen und Missverständnissen führte, denen die beiden Kapitel Drei Literaturen und Ein Mähren gewidmet sind, die sich noch als erweiterte Einführung in das Thema verstehen. Der eigentliche Aufstieg der Prager deutschen Literatur wird mit dem Frühwerk Rainer Maria Rilkes identifiziert,12 der sich zu Beginn seines Schaffens mit 9 | Vgl. Erika Fischer: Soziologie Mährens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Hintergrund der Werke Marie von Ebner-Eschenbachs. Leipzig Wunderlich 1939. 10 | Alexander Ritter: Statt einer Vorbemerkung: Texas, »etwas sehr wesentliches Geschichtliches« oder Empfehlungen für den philologisch vertrackten Diskurs der Postl/ Sealsfield-Forschung. In: ders. (Hg.): Charles Sealsfield. Perspektiven neuerer Forschung. Wien Edition Praesens 2004, S. 10. 11 | Vgl. Joerg Krappmann: Postl ante portas. Die vier Etappen der Sealsfield-Rezeption in Böhmen und Mähren. In: Alexander Ritter (Hg.): Charles Sealsfield. Perspektiven neuerer Forschung. Wien Edition Praesens 2004, S. 171-180. 12 | In letzter Zeit konnte nachgewiesen werden, dass es sich bei der Prager deutschen Literatur um eine Konstruktion handelt, die maßgeblich von Eduard Goldstücker vorangetrieben wurde. Vgl. Joerg Krappmann: Anschwellender Bocksgesang. Eine Prager Coverversion mit Rilke. In: Almut Todorow/Manfred Weinberg (Hg.): Prag als Topos der Literatur.
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kleineren Dramen naturalistischer Prägung durchzusetzen versuchte, bald aber durch seine parallel geschriebene Lyrik zu einem der bedeutendsten Autoren der ästhetischen Moderne wurde. Unabhängig davon, welche Lebensdauer dem Projekt Moderne zuerkannt wird, wird die Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als erster Höhepunkt dieser Strömung anerkannt. Als Epochenbezeichnung hat sich dafür der Begriff Frühe Moderne durchgesetzt, für den meist die Zeitspanne von 1890 bis 1918 angesetzt wird. Terminologie und Zeitraum werden in dieser Arbeit aufgegriffen, allerdings muss – wie das Beispiel Rilke zeigt – wegen der zeitlichen Verzögerung der literarischen Entwicklungen in Deutschland und Österreich der Naturalismus in diese Zeitspanne mit eingeschlossen werden. Zwei Themen sind es, die unstrittig diese Epoche bestimmten, das Nationale und das Soziale. Sie wurden auch in der mährischen Literatur aufgegriffen. Das Soziale als Auswirkung der Industrialisierung, die in Mähren früher und vehementer einsetzte als in anderen Regionen der Habsburger Monarchie, und als deren Folge eine Welle naturalistischer Dramen, die vor allem wegen des lange bestehenden Zensurverbotes die Aufmerksamkeit des Publikums erregten. In Überblicksdarstellungen wird gegenwärtig dem Naturalismus in der österreichischen Literatur kaum Bedeutung beigemessen.13 Nur vereinzelt werden in speziellen, thematisch eng umrissenen Untersuchungen einige wenige Autoren und Werke präsent gehalten. Diese wenigen Schriftsteller naturalistischer Prägung stammen jedoch überwiegend aus dem böhmisch-mährischen Landesteil und bilden das Rückgrat der Untersuchung. Recherchen erweiterten dieses Korpus noch um wichtige weitere Texte, die seit längerer Zeit nicht mehr Gegenstand des germanistischen Interesses sind.14 Da die naturalistischen Autoren der Region noch nie in ihrer Olomouc Universitätsverlag 2011, S. 31-45; Manfred Weinberg: Region, Heimat, Provinz und Literatur(wissenschaft). In: Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňá ček (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 41-57. Das betrifft auch den zeitlichen Rahmen. Da hier aber eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen der deutschmährischen und deutschböhmischen Provinzliteratur und der weit bekannteren Prager deutschen Literatur geschaffen werden soll, wird aus heuristischen Gründen noch mit dem überkommenen Konstruktgrenzen gearbeitet. 13 | »Z.B. ist die österreichische Literatur mit den Epochenschemata deutscher Geistesgeschichte in ihrer Eigenart kaum zu erfassen. Wir haben keine authentische idealistische Klassik, keine Vorklassik der rationalen oder emotionalen Ich-Emanzipation, keine Romantik, keinen authentischen gesellschaftspolitischen Materialismus, keinen Naturalismus«. Klaus Zeyringer/Helmut Gollner: Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650. Innsbruck Studienverlag 2012, S. 13, Hervorhebung durch den Verf. J.K. 14 | Die umfassendste Darstellung dieser Autorengruppe findet sich in den Handbüchern zur Literatur in Österreich-Ungarn der Zwischenkriegszeit, allerdings mit allen Schwächen der zeitgenössischen Literaturgeschichtsschreibung hinsichtlich Wertung und Werkbeschreibung. Nagl/Zeidler/Castle (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Bd. 3. Wien Carl Fromme 1926.; Eduard Castle/Johann Willibald Nagl (Hg.): Deutsch-öster-
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Gesamtheit beschrieben wurden, und sich zudem die Möglichkeit eröffnete, ein vernachlässigtes Kapitel der österreichischen Literaturgeschichte zu schließen,15 schien es angebracht, die soziale Frage ganz aus der Perspektive des Naturalismus zu erörtern, in dem sie ja auch literarisch ihren ersten und nachhaltigsten Niederschlag fand. Das Problem des Nationalismus gewann in Böhmen und Mähren durch die innen- und kulturpolitisch sich beharkenden Ethnien der Deutschen, Tschechen und in Österreichisch-Schlesien auch der Polen einen weit stärkeren Einfluss als in Deutschland. Die nationale Frage wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht nur zu einem, auf Lösung drängenden, außenpolitischen Thema, sondern war ein alltäglich empfundenes, wenn auch manchmal aus taktischen und ideologischen Gründen übersteigertes Alltagserlebnis. In Böhmen und Mähren entstand dadurch die Grenzlandliteratur als spezifisches literarisches Genre, das seinen Höhepunkt erst in der Zwischenkriegszeit erlebte. Die Anfänge der Grenzlandliteratur liegen jedoch am Ende des 19. Jahrhundert, und in der Frühen Moderne entstanden einschlägige Werke, die einer gesonderten Betrachtung wert sind, da sie noch unter den Gegebenheiten der Habsburger Monarchie geschrieben wurden, demnach keine Frontstellung gegen den neugegründeten tschechoslowakischen Staat beweisen mussten, der für die späteren Grenzlandromane zur Grundbedingung wurde. Die Werkanalysen konzentrieren sich im Kapitel Grenzlandliteratur ganz auf dieses Genre. Vorab wird der Nationalitätenkonflikt in den böhmischen Ländern kurz beleuchtet, zu dem inzwischen andernorts, in den Geschichts- und Kulturwissenschaften eine reichhaltige Literatur vorliegt. So homogen, trotz geringer Schwankungen in der Gewichtung, die zentrale Rolle des Nationalismus und der sozialen Frage in der frühen Moderne herausgestellt wird, so heterogen werden die Meinungen, was denn als weiteres bestimmendes Moment dieser Epoche anzusehen sei. Ein zwar nicht vollständiger, aber hoffentlich repräsentativer Querschnitt durch die einschlägigen Forschungsarbeiten zeigt, dass die binäre Faktorenkette gerne um ein drittes Glied erweitert wird, und dass sich um diesen freien Platz drei Bereiche gleichberechtigt bewerben: die
reichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Bd. 3: 1848-1890; Bd. 4: 1890-1918. Wien Fromme 1935-1937. Ebenfalls instruktiv ist die Einleitung von Herbert Zeman in die zweibändige Aufsatzsammlung zur österreichischen Literatur der Moderne. Vgl. Herbert Zeman (Hg.): Die Österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880-1890). Graz Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1989. S. 24-26. 15 | Das gilt noch stärker für die deutsche Literaturgeschichtsschreibung, die den Naturalismus weitestgehend auf den Berliner Naturalismus reduziert. Die Münchner Spielart um die Zeitschrift Gesellschaft wird nur noch als Vorstufe anerkannt, der österreichische Naturalismus ausgeblendet.
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Emanzipation der Frau, der schwindende Einfluss der Religion und der Aufstieg naturwissenschaftlich-technischer Denkweisen.16 Die Schriftstellerinnen aus Böhmen und Mähren, die der frühen Frauenbewegung nahestanden, entstammen dem Bürgertum. In ihren Werken kommt es zu keiner Radikalisierung der Ideen im Zuge der von August Bebel erstmals aufgezeigten Verbindung von Arbeiter- und Frauenbewegung. Das angestrebte Ziel war das Recht auf Bildung. Ausbildung bedeutete einen Zugang zur Arbeitswelt, der im 19. Jahrhundert für bürgerliche Frauen meist nur in Form einer Lehrtätigkeit möglich war. Selbstständige Arbeit gewährleistete in bescheidenem Maß eine unabhängige Lebensführung, die eine Transformation des ehelichen Abhängigkeitsverhältnisses in eine partnerschaftliche Lebensbeziehung einleiten sollte. Weiter reichende politische Forderungen, etwa nach einem allgemeinen Wahlrecht oder Lohngerechtigkeit werden in der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur nicht erhoben. Die schreibenden Frauen wurden von der österreichischen Frauenforschung registriert.17 Mit Ausnahme der Romane der Prager Autorin Grete Meissel-Hess fanden bisher aber nur die publizistischen Arbeiten oder gedruckte Diskussionsbeiträge Beachtung. Obwohl eine frühe Zusammenschau der Autorinnen vorliegt,18 wurden ihre zahlreichen Erzählungen und Romane, in denen die Schwierigkeiten beschrieben werden, denen sich Frauen am Übergang zu einer modernen Gesellschaft gegenüber sahen, von der Literaturwissenschaft übergangen.19 Das gilt auch für ihre männlichen Kollegen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten, wie z.B. das zum Naturalismus tendierende Schauspiel Der Herr Meister von Josef Trübswasser. Überraschenderweise liefert auch Jakob Julius David im Roman Der Übergang eine umfassende Synthese weiblicher Lebensmodelle zur Zeit der Jahrhundertwende, deren unterschiedliche Möglichkeiten von den Autoren aus Böhmen und Mähren unter ästhetisch-modernen und frühexpressionistischen Gesichtspunkten aufgegriffen und konkretisiert wurden.
16 | Gerade die frühen Organisatoren des Naturalismus wie Eugen Wolff sahen nicht die fortschreitende Technisierung als drängendes Problem, sondern die religiöse Grundordnung der Gesellschaft. Vgl. Tessy Korber: Technik in der Literatur der frühen Moderne. Wiesbaden DUV 1998. S. 54f. 17 | Vgl. die Internetquellen des Projekts Frauen in Bewegung (ARIADNE) der Österreichischen Nationalbibliothek. 18 | Vgl. Karl Schrattenthal: Deutsche Dichterinnen und Schriftstellerinnen in Böhmen, Mähren und Schlesien. Brünn Irrgang 1885. 19 | In diesem Sinne äußerte sich auch Dieter Sudhoff: »Eine Typologie der deutschsprachigen Frauenliteratur aus Böhmen und Mähren, so wünschenswert sie vielleicht wäre, kann an dieser Stelle nicht gegeben werden, doch ist ein Ziel erreicht, wenn unsere Anthologie zu derartigen Untersuchungen anzuregen vermag«. Sudhoff, Dieter (Hg.): Holunderblüte. Erzählungen deutscher Schriftstellerinnen aus Böhmen und Mähren. Wuppertal Arco 2005, S. 247.
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In einer Fülle von Werken wurde die ganze Palette von Romantisierung (Freissler) über Dämonisierung (Jaksch) bis hin zur Parodie (Strobl) ausgeschöpft.20 Über die Frauenbewegung hinaus wurden auch Texte berücksichtigt, die sich nicht mit der gesellschaftlichen Dimension der Frauenfrage beschäftigen, sondern nach individuellen Lösungen suchen. Exemplarisch steht dafür das Schaffen von Maria Knitschke aus Mährisch-Schönberg, die sich ihre literarische Freiheit erst erarbeiten musste, indem sie durch historische Stücke aus der Stadtgeschichte den Erwartungen des kleinstädtischen Publikums zunächst entsprach. Innerhalb der Prager deutschen Literatur ist die ›tschechische Geliebte‹ seit der Studie Paul Eisners zu einem literarischen Topos geworden21 . Sie tritt auch in der mährischen Literatur auf.22 Kontrastiert wird sie in dieser Arbeit mit den tschechischen Ehefrauen bäuerlicher Herkunft, die in der Grenzlandliteratur als feindliche nationalistische Vorkämpferinnen aktiviert wurden. Nietzsches häufig falsch verstandenes Schlagwort vom Tod Gottes ist ein weiteres Signum der Zeit. Der Prozess der fortschreitenden Säkularisierung löste jedoch keinen Ab-, sondern lediglich einen Umbau des religiösen Bewusstseins in der Gesellschaft aus. Im Verlauf der anhaltenden Kritik an den christlichen Kirchen als institutionelle ›Verwalter‹ der Religion entstanden Strömungen die den transzendenten Gott durch einen innerweltlichen Ersatzwert ersetzten. Es entstanden die neo-mystischen Spielarten, von denen der psychophysische Monismus in der Gestalt von Ernst Haeckel die größte Bedeutung in der Frühen Moderne erreichen konnte. In diesem Beziehungsgeflecht einer religiösen Neuorientierung stehen aber auch die zahlreichen völkischen Gruppierungen, allen voran die deutschgläubige Bewegung, die durch den gebürtigen Juden Ernst Wachler im 19. Jahrhundert inszeniert und um die Jahrhundertwende auch im literarischen Bereich bestimmt wurde. Mit ihr verschwägert ist der völkische Teil der Heimatkunstbewegung, die in Mähren und darüber hinaus durch die Publikationen und Zeitschriften Ottokar Staufs von der March gefördert wurde. Während im Deutschen Reich diese Linie ohne Gegenspieler blieb, rief in Wien Hermann Bahr unter dem Motto »Entdeckung der Provinz« eine »neue« Heimatkunst aus, die wegen ihrer Nähe zu der »jüdisch unterwanderten« Wiener Moderne, »die deutsche Heimatkunst zu gemischten Stellungnahmen ihr gegenüber veranlaßte«23 . In Österreich ist zu20 | Vgl. Ernst W. Freissler: Schwefelblüte. München Langen Müller 1913; Karl Hans Strobl: Die vier Ehen des Matthias Merenus. Leipzig Staackmann 1914; Friedrich Jaksch: ErosLicht. Reichenberg Stiepel 1920. 21 | Vgl. Pavel Eisner: N ě mecká literatura na p ů d ě Československé republiky. Od roku 1848 do naších dn ů. In: Československá vlastivěda, sv. 7. Písemnictví Praha 1933, S. 325-377. 22 | Vgl. Jan Bud ňák: Das Bild der Tschechen in der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur. Diss. Olomouc Typoskript 2007. 23 | Karlheinz Rossbacher: Heimatkunstbewegung und Heimatroman. Zu einer Literatursoziologie der Jahrhundertwende. Stuttgart Klett 1975, S. 23.
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dem die Los-von-Rom-Bewegung des Georg von Schönerer zu bedenken, die ihr Hauptverbreitungsgebiet in Oberösterreich und in Südmähren besaß, und in der Region ihre Wirkung mehr durch eine religiöse als politische Vorgehensweise entfaltete24 . Obwohl der Zufluss, den die völkische Bewegung aus der Habsburger Monarchie bezog, nicht vernachlässigt werden darf, lag ihre politische Stoßkraft doch in Deutschland. In Österreich wie auch in Bayern konnte sich nachgerade die katholische Kirche stärker behaupten. Trotzdem kam es in der mährischen Literatur früh zu kirchenkritischen Schriften. Der antikirchliche Impetus führte jedoch häufig nicht zur religiösen Abkehr, sondern in den christlichen Glauben hinein. Belege für eine Verinnerlichung des Glaubens unter dem Streben nach einem persönlichen Gotteserlebnis finden sich in Böhmen und Mähren häufiger als in vergleichbaren Regionen Österreichs oder Deutschlands. Gerade in der Heimat- und Grenzlandliteratur wird die Kirchenkritik durch die Figur des praktisch und eigenständig denkenden Geistlichen relativiert. Auch der Literaturstreit zwischen Karl Muth und Richard Kralik, der sich an einem Werk von Erika von Händel-Manzetti entzündete, hielt die Religion als Thema aktuell. Verkürzt sollen die Beispiele zeigen, dass auch in der Phase, in der durch die Nietzsche-Rezeption und gesellschaftspolitische Einschnitte die Religion in eine Krise geriet, die spätestens im Barock anzusetzende Traditionslinie in der österreichischen Literatur nicht unterbrochen wurde. In Böhmen und Mähren gewährleistet diese Kontinuität der tiefgreifende Einfluss eines mystischen Lebensgefühls, das nicht nur im Volk, sondern auch unter den Intellektuellen verankert war.25 Ist bezüglich der Religion ein deutliches Plus im Vergleich zur deutschen Literatur festzustellen, so gilt das Gegenteil für die literarische Rezeption der Naturwissenschaften und der Technik. Ein Blick in das ausführliche Literaturverzeichnis von Tessy Korbers gründlicher Monographie Technik in der frühen Moderne (1998) verrät die Skepsis gegenüber den technischen Errungenschaften in Österreich. Neben wenigen essayistischen Aufsätzen werden nur zwei im engeren Sinne literarische Titel aufgeführt: Alfred Kubins Retro-Utopie Die andere Seite (1909) und das Eisenbahndrama Die Strecke (1905) von Oskar Bendiener. Beide sind nicht dafür geeignet, eine besondere Technikbegeisterung zu illustrieren. Bendieners Schauspiel ist weniger ein Eisenbahn- als ein Eisenbahnerdrama, denn nicht die Technik, sondern das Milieu steht im Mittelpunkt, das zum Schauplatz der Verwicklungen um Eifersucht und verletzte Dienstpflicht wird. Und in die Stadt Perle, dem Handlungsort von Kubins Roman, dürfen keine Gegenstände mitgenommen werden, die nach der Mitte des 19. Jahrhunderts konstruiert oder hergestellt wur24 | Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion. Darmstadt WBG 2001, S. 207-214. 25 | Vgl. Kurt Hübner: Der mystische Rationalismus der deutschen Philosophie Böhmens im 19. Jahrhundert und seine Entwicklung. In: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste Band 17 München 1996, S. 1-16 und Demetz, Peter: Böhmische Sonne, mährischer Mond. Essays und Erinnerungen. Wien Deuticke 1996.
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den. Auch das Textkorpus dieser Arbeit ermöglicht keinen anderen Befund. Zwar werden manchmal technische Motive verwendet, wie in Karl Wilhelm Fritschs Um Michelburg oder in Karl Hans Strobls Eleagabal Kuperus. Beide Romane bestätigen jedoch Roland Innerhofers These, dass »die Grenze zwischen einer literarisierten Wissenschaft und Technik einerseits, der literarischen Darstellung okkulter, magischer und spiritistischer Lehren und Praktiken andererseits fließend«26 ist. Das Motiv der Katastrophe, das in den Weltuntergangsromanen dominiert, weist zudem »besonders stark die Tendenz auf, das apokalyptische Denken zu säkularisieren und religiöse Erklärungsmuster in einen naturwissenschaftlich-technischen Kontext zu transportieren«27. Sobald Technik und Naturwissenschaften in den bisher entdeckten Beispielen literarisch werden, sind sie mit der Religion verbunden, wenn auch häufig über eine Spielart des Okkultismus oder fiktiver Religionssysteme. Deswegen werden die wenigen, positiv oder negativ mit dem technischen Fortschritt verfahrenden Texte zur religiösen Literatur subsumiert. Ein eigener Abschnitt zur Rezeption der Naturwissenschaften entfällt, so reizvoll es gewesen wäre, ihn zu bearbeiten. Die Entwicklung der Naturwissenschaften verläuft, ähnlich wie der Weg der Philosophie in der Habsburger Monarchie, an den er gekoppelt scheint, in anderen Bahnen als in Deutschland. Eine Nachzeichnung dieser Bahnen in der Region Böhmen und Mähren muss leider auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden. »Übergangsmenschen« nannte Hermann Conradi 1889 seine Zeitgenossen in der Wilhelminischen Wirklichkeit und traf dabei den Kern der Zeit. Nur wenig später beendete der neue Kaiser Wilhelm II. die späterhin als Bismarck-Ära bezeichnete Epoche, indem er den Lotsen von Bord schickte. Der Übergang ist der letzte Roman von Jakob Julius David betitelt, der 1903 den Abstieg einer einstmals großbürgerlichen Unternehmerfamilie bis ins Lumpenproletariat hinein beschreibt. Hier gehen gleich weite Teile der Besatzung von Bord, während das Schiff in eine andere Richtung weiterfährt. Im gleichen Jahr erscheint das Schauspiel Übergangsmenschen des mährischen Autors Ernst Lohwag. Der Begriff ist damit auf dem Boulevard und beim breiten Publikum angekommen. In einer gelegentlich wüsten Gegenüberstellung werden von Lohwag alle für diese Arbeit leitenden Themen verhandelt: soziale Differenzen einschließlich unterschiedlicher ständischer Ehrbegriffe, gesellschaftliche und intellektuelle Emanzipation der Frau, Religionskritik im Sinne Nietzsches bis hin zum Pantheismus und der Phantastik. Lediglich der Nationalitätenkonflikt ließ sich wohl nicht mehr in die vier Akte pressen. In allen Bereichen hält Lohwag das Alte, das noch weiterbesteht, an das Neue, das noch nicht werden will. So viel Übergang war nie, möchte man in Anklang an eine Be26 | Roland Innerhofer: Technische Zukunftsbilder in der österreichischen Literatur um die Jahrhundertwende. In: Th. Eicher (Hg.): Grenzüberschreitungen um 1900. Oberhausen Athena 2002, S. 158. 27 | Ebd.: S. 169.
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grifflichkeit der deutschen Nachkriegsliteratur ausrufen. Aber ist der ›Übergang‹, besser der ›Übergangsmensch‹ nicht mehr als ein Begriff oder ein Lexem? In der zweiten seiner eindrucksvollen Studien zur Metapher wies Max Black auf die kognitive Leistung hin, die mit der Bildung von Metaphern verbunden ist. Erst die moderne Kinematographie ermöglichte die Wiedergabe eines in Zeitlupe galoppierenden Pferdes. »Hier wird die ›Sicht‹ notwendigerweise durch ein vom Menschen geschaffenes Instrument verwirklicht. […] Und doch wird das, was im Zeitlupenfilm zu sehen ist, sobald es erst einmal wahrgenommen wurde, zu einem Bestandteil der Welt«28 . Dadurch gelänge es den Metaphern komplexe Bezugssysteme, aber eben auch Abläufe, deren lange Dauer, ähnlich wie zu lange Rhythmen, vom Menschen ohne Hilfsbilder nicht erkannt, geschweige denn nachvollzogen werden können, zu entschlüsseln. »So können sie […] Einsicht darin hervorbringen »wie die Dinge in Wirklichkeit sind«29. Der Übergang scheint eine Metapher in diesem Sinne zu sein, der bewusst die Lebenswelt der Zeitgenossen erfasst und sie zugleich unwiederbringlich mit diesem Ablauf zusammenkettet. An Veränderungen mangelt es der Zeit der frühen Moderne nicht. Diese Veränderungen als allmählichen Übergang wahrzunehmen, ist die Leistung der Zeitgenossen. Mag der Titel diese Arbeit auf den ersten Blick etwas willfährig anmuten, so liegt das daran, dass diese Metapher für sich wirkt, nicht näher erklärt, nur literarisch dargestellt werden kann. Übergangsdenken beherrscht die zentralen Themen der frühen Moderne und ihre Literatur, nicht nur in den deutschen und österreichischen Metropolen, sondern auch in der mährischen und böhmischen Provinz. Das sollen die folgenden Ausführungen belegen.
28 | Max Black: Mehr über die Metapher. In: A. Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt WBG 19962, 29 | Ebd.
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Erklärungen A RCHITR AV : K ULTUR UND R AUM Der Objektbereich der Literaturwissenschaft ist in den letzten Jahrzehnten einem stetigen Wandel unterworfen. Bereits in Folge der poststrukturalistischen Anfänge Mitte des 20. Jahrhunderts in Frankreich wurde das Verständnis des literarischen Textes als ästhetische Leistung oder in sich organisch-harmonisch geschlossenes Kunstwerk grundsätzlich hinterfragt. Der Textbegriff wurde seitdem immer weiter ausgedehnt. Dies gab zu Hoffnungen auf eine Neuorientierung philologischer Fächer unter dem interdisziplinären Signum Geisteswissenschaften Anlass,1 in gleichem Maße entstanden aber auch Ängste, ob der literarisch ausgerichtete Zweig der Philologien als Fachdisziplin nicht seine Daseinsberechtigung verlieren könnte. Obwohl die Debatte von einigen Teilnehmern recht hitzig geführt wurde,2 lassen die meisten Antworten auf die von Wilfried Barner gestellte Frage, ob der Literaturwissenschaft ihr Gegenstandsbereich abhanden komme, deren rhetorischen Charakter erkennen.3 Die Reaktionen machen qualitativ einerseits den immer noch bestehenden Diskussionsbedarf deutlich, andererseits belegen sie, dass sich der cultural turn zu Beginn des neuen Jahrtausends auch in der Germanistik durchgesetzt hat. Jedenfalls werden die Ausweitung des Textbegriffs und die Be1 | Vgl. Wolfgang Frühwald u.a. (Hg.): Geisteswissenschaften heute. Frankfurt a.M. Suhrkamp 1991. 2 | Vgl. die Kontroverse zwischen Graevenitz und Haug. Walter Haug: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? In: DVjs 73. Jg. (1999), S. 69-93; Gerhart von Graevenitz: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Eine Erwiderung. In: DVjs 73. Jg. (1999), S. 96-115; Walter Haug: Erwiderung auf die Erwiderung. In: DVjs 73. Jg. (1999), S. 116121. Dazu auch der instruktive Kommentar von Katrin Fischer: Die Haug-Graevenitz-Debatte in der DVjs als Kontroverse um Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft(en) und wissenschaftliche Argumentation. In: Ralf Klausnitzer/Carlos Spoerhase (Hg.): Kontroversen in der Literaturtheorie/Literaturtheorie in der Kontroverse. Bern Lang 2007, S. 485-500. 3 | Vgl. Wilfried Barner: Kommt der Literaturwissenschaft ihr Gegenstand abhanden? In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 16 (1997), S. 1-8, sowie die in den nachfolgenden Jahrgangsband eingehenden Stellungnahmen dazu.
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rechtigung spezifisch kulturwissenschaftlicher Fragestellungen in den Philologien nicht mehr grundsätzlich angezweifelt. Der Literaturwissenschaft hat diese Entwicklung so weit es ihre Verankerung in die universitären Strukturen betrifft nicht geschadet, hinsichtlich ihrer Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit sogar eher genützt. Neben der Ausdehnung des Textbegriffs aber wurde noch von jeder literaturtheoretischen Kleinstwende seit dem Poststrukturalismus auch eine Erweiterung oder Ergänzung des überkommenen Kanons angestrebt. Auf theoretischer Basis ist diese Erweiterung zunächst allgemein gültig und damit nach allen Seiten hin denkbar. Realisiert wurde sie jedoch nur recht einseitig unter der Vorgabe bestimmter kultureller Weltdeutungsmuster, die implizit und a priori als gültig vorausgesetzt wurden. Aus der Perspektive einer anthropologisch-ethnologisch verstandenen kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft ergeht folgende Forderung: Interkulturelle Literaturwissenschaft hieße dann, die Methoden der kulturellen Interpretation im überdisziplinären Zusammenhang zu reflektieren, die Grenzen zwischen den philologischen Disziplinen komparatistisch aufzubrechen, den traditionellen Kanon in Frage zu stellen und Universalisierungen abzubauen. 4
Das liest sich geradezu als essentielle Zusammenfassung derjenigen Aufgaben und Ziele, die bei der Gründung der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur als wichtig markiert wurden.5 Im Vorwort wurde bereits der Anspruch auf eine Re-Kanonisierung von Texten durch den Abbau von Universalisierungen und literaturgeschichtlichen Generalisierungen erhoben, dessen Berechtigung in den nachfolgenden Säulen genauer begründet werden wird. Auch Interdisziplinarität ist in regionalen Arbeiten ein wichtiger Baustein, da erst eine eingehende Einbettung in die historischen, soziologischen und kulturpolitischen Bedingungen, die besondere Leistung eines Textes erkennbar macht. Dies gilt insbesondere für die Literatur aus und in Böhmen und Mähren im 19. und 20. Jahrhundert. Und schließlich ähnelt auch die Forderung nach einer interphilologischen Komparatistik dem territorialen Prinzip, das in den Arbeiten Olmützer Provenienz dem glottozentrischen Prinzip gegenübergestellt wird. So passgenau der Forderungskatalog also einer regional orientierten Literaturwissenschaft entspricht, so wenig ist er auf diese gemünzt.
4 | Doris Bachmann-Medick: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kultur als Text. Tübingen Francke 2004, S. 12. 5 | Zu einem differenzierten Überblick unter Berücksichtigung des bisher Geleisteten vgl. Ingeborg Fiala-Fürst: Was ist »deutschmährische Literatur«? Versuch einer Definition eines unselbstverständlichen Objektes. In: Ch. Fackelmann/W. Kriegleder (Hg.): Literatur – Geschichte – Österreich. Wien LIT 2011, S. 278-294.
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Denn Bachmann-Medick verfolgt, und damit ist sie bei weitem keine Ausnahme, damit einen anderen kulturpolitischen Anspruch. Da die Literaturwissenschaft daran beteiligt war, »die hegemoniale kulturelle Repräsentation des Westens gegenüber nichteuropäischen Kulturen« zu verfestigen, stellt sich nun die Aufgabe genau jene »Marginalisierungsprozesse im Literaturkanon zu analysieren und zu revidieren«.6 Die Revision konzentriert sich demnach auf diejenigen Themen und Kulturregionen, die erst durch die Arbeiten von Edward Said und Homi Bhabha diskursbestimmend wurden, obgleich bereits zahlreiche Vorläufer u.a. die Birmingham School unter Stuart Hall oder die skeptischeren Studien von Gayatri Spivak, den Weg in diese Richtung wiesen. Die kulturwissenschaftliche Forschung, ethnologisch-anthropologischer, inter- oder transkultureller Orientierung, hinterfragt im Zeichen des gegenwärtigen kulturpolitischen Wandels die Machtverhältnisse, die eine europäisch-christlich geprägte Entwicklung der Weltkultur seit der Aufklärung erzeugte. Dabei stehen Fragestellungen im Spannungsfeld zwischen europäischen und außereuropäischen Kulturen ebenso im Mittelpunkt wie als Problemzonen ausgemachte Kulturen in den europäischen Ländern selbst. »Das Feld der Kolonialliteratur, der Migrantenliteratur, der Literaturen der ›Dritten Welt‹ sowie der Frauenliteratur ist hierfür besonders aufschlussreich«,7 heißt es wiederum bei Bachmann-Medick und der verwendete Singular ist das eigentlich interessante an dieser Formulierung. Es ist ein einziges geschlossenes Feld, auf das sich der kulturwissenschaftliche Öffnungswille bezieht und dieses wird durch die vier Grenzpflöcke von Kolonialliteratur bis Frauenliteratur markiert. Dies ist kein Einzelbefund. Auch und gerade Einführungsbände legen auf diese thematische Beschränkung wert. Neben einem theoretischen Kapitel zu Modellen und Konzepten von Interkulturalität weist etwa die Einführung von Michael Hofmann noch drei weitere Schwerpunkte aus, deren Überschriften »Interkulturelle Aspekte der deutschen Literaturgeschichte« (darin einzelne Abschnitte zu Goethes West-östlichem Diwan, Günderodes Indienbegeisterung und Carl Einsteins Essays zur afrikanischen Kunst), »Perspektiven einer postkolonialen Literaturgeschichte« und »Deutsch-türkische Literatur« zeigen, dass hier dasselbe Feld bestellt wird.8 Fällt doch einmal der Begriff ›Regionalismus‹, dann meist in Zusammenhang mit »synkretistischen Kulturen« oder »ethnischen Minderheiten in den Industriegesellschaften«.9 Baut aber nicht auch die regionale Literatur in Böhmen und Mähren auf einer synkretistischen Kultur auf? Immerhin lebten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf dem gesamten Gebiet dieser Region, nicht nur in der Metropole Prag 6 | Beide Zitate Bachmann-Medick (Hg.): Kultur als Text. Francke Tübingen 2004, S. 37. 7 | Ebd., S. 36. 8 | Michael Hofmann: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Fink Paderborn 2006, S. 5. 9 | Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe: Zur Einführung. In: dies.(Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1996, S. 19.
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Deutsche, Tschechen und Juden wenn schon nicht zusammen, dann zumindest nebeneinander. Immerhin gibt es mit Prag und in etwas geringerem Ausmaß in Brünn Großstädte, deren Kulturleben sich aus ebenso vielen heterogenen Elementen speiste wie in anderen europäischen und außereuropäischen Großstädten auch. Dort entwickelten sich kleine Zirkel, Theater-, Literatur- oder Musikvereine, die im Laufe ihrer Tätigkeit den anders gearteten Zirkeln der Mittel- und Kleinstädte begegneten. Innerhalb dieser sind die kulturellen Unterschiede zwischen dem schlesischen Troppau, dem militärischen und religiösen Zentrum Olmütz, dem mondänen internationalen Kurort Karlsbad oder den böhmischen Grenzstädten Klattau und Tetschen größer als die Gemeinsamkeiten. Und selbst diese Kleinstadtkulturen zerfallen wieder in Einzelkulturen zwischen avantgardistischer Künstlerexistenz und bürgerlicher Lebenswelt, zwischen Revolte, Angepasstheit und Resignation.10 Von einer einheitlichen Kultur in Böhmen und Mähren ist demnach nicht auszugehen, ja noch nicht einmal von einer einheitlichen deutschen, geschweige denn sudetendeutschen Kultur. Dieses Ergebnis einer notwendigen Differenzierung der an sich schon kleinen regionalen Kulturen in noch kleinere Einheiten entspricht dem gegenwärtigen Stand zur Definition des Begriffes ›Kultur‹ selbst. Er stand ursprünglich für normative Eindeutigkeit gegenüber ›Nicht-Kultur‹ und steht nun für das patchwork individueller Lebensweisen. Inseln, Stämme, Gemeinschaften, Nationen, Zivilisationen … am Ende auch Klassen, Regionen, ethnische Gruppen, Minderheiten, Jugendliche (in Südafrika sogar Rassen, in Indien sogar Sekten) … hatten Kulturen: Arten und Weisen, wie man etwas tut, ausgeprägt und charakteristisch; jeder hatte eine für sich.11
»Dem kulturdifferentiellen Spiel scheinen kaum Grenzen setzbar«, formulierte Norbert Mecklenburg bereits 1987 und der kulturwissenschaftliche Diskurs der letzten Jahrzehnte hat diese Annahme bestätigt.12 Diese Entwicklung ist freilich neueren Datums und darf nicht einfach auf die Zeit der frühen Moderne zurück projiziert werden. Wenn bereits aus gegenwärtiger Sicht gegen einen allzu sorglosen Umgang mit dem Begriff ›Hybridität‹ kritisch eingewendet wird, ob Kulturen, 10 | Einen präzisen Einblick in die vielschichtigen Strukturen des kulturellen Kleinstadtlebens gibt Karl Hans Strobl am Beispiel Iglau in seinem frühen autobiographischen Roman. Vgl. Jörg Krappmann: Aus dem Großleben einer Kleinstadt. Karl Hans Strobls Roman Der Fenriswolf. In: Brücken NF 18/1-2 (2010), S. 97-110. An der Grenze zur Unerträglichkeit wird von Ernst Wolfgang Freißler in seinem ebenfalls autobiographischen Roman Junge Triebe (1922) das Aufwachsen zum Schriftsteller in der Provinz geschildert. 11 | Clifford Geertz: Spurenlesen. München Beck 1997, S. 53. 12 | Norbert Mecklenburg: Über kulturelle und poetische Alterität. Kultur- und literaturtheoretische Grundprobleme einer interkulturellen Germanistik. In: Alois Wierlacher: Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik. München iudicium 1987, S. 564.
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die sich gerade in der Phase des Aufbaus oder der ersten Wahrnehmung ihrer Eigenständigkeit befinden, »nicht doch zu einem holistischen Selbstverständnis neigen, um ihre Selbstbehauptungsansprüche durchsetzen zu können«,13 dann wird dieses Verhalten in der frühen Moderne noch mehr zu veranschlagen sein, in der nationale Kategorien weithin konkurrenzlos das Denken bestimmten. Auch in Böhmen und Mähren standen das Kulturleben und insbesondere die Schriftsteller auf allen Seiten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im nationalen Dienst.14 Die meisten folgten, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, dem politischen Diktat des Zeitgeistes, das für hybride Strukturen wenig Verständnis zeigte. Nationale Identität wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur dominanten sozialen Differenzqualität im öffentlichen Diskurs,15 aber erst in den späten 1920er Jahren hatte sich »ein Repertoire eines gruppenspezifischen kollektiven Gedächtnisses entwickelt«, das die Orientierung an einem nationalen Identifikationsmuster in allen Bereichen ermöglichte.16 Die Wegstrecke bis zur Ausbildung eines ›deutschen‹ Gruppenbewusstseins belegt den Facettenreichtum der Kulturlandschaft Böhmen und Mähren, deren kulturelle Heterogenität sich lange Zeit Vereinigungstendenzen widersetzen konnte. Ganz im Sinne des neuen Kulturverständnisses wird in dieser Arbeit einerseits die kulturelle Vielfalt der Region Böhmen und Mähren gegenüber vereinheitlichenden Kulturbegriffen herausgestellt, andererseits die regionale Diskursivität der Texte berücksichtigt, deren argumentative Differenzierungen ohne detaillierten Einblick in die kulturpolitischen Bedingungen der Region unverständlich sind. Dazu zwei Beispiele, die außerhalb des engen Bereiches der Frühen Moderne liegen. Der deutschjüdische Schriftsteller Oskar Wiener sammelte nach dem 1. Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei Anekdoten und Skizzen aus dem Prag seiner Generation, zu der auch die schriftstellerisch bekannteren Viktor Hadwiger, Paul Leppin und Gustav Meyrink gehörten. Sein Alt-Prager Guckkasten wird bis heute gerne herangezogen, um die romantische Atmosphäre und die magische Ausstrahlung der Stadt an der Moldau nachzuzeichnen.17 Bekannt wurde Wiener als Herausgeber der Anthologie Deutsche Dichter aus Prag, die eines der wenigen zeitgenössischen Äußerungen darstellt, die eine literaturgeschichtliche 13 | Bachmann-Medick: Kultur als Text, S. 42. 14 | Vgl. Pavel Eisner: N ě mecká literatura na p ů d ě Československé republiky. Od roku 1848 do naších dn ů. In: Československá vlastivéda, sv. 7. Písemnictví Praha 1933, S. 325-377. 15 | Vgl. Steffen Höhne: Der Bohemismus-Diskurs zwischen 1800 und 1848/49. In: brükken. Germanistisches Jahrbuch Tschechien-Slowakei NF 8/2000, S. 17. 16 | Jutta Faehndrich: Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Köln Böhlau 2011, S. 147. 17 | Vgl. Oskar Wiener: Alt-Prager Guckkasten. Wanderungen durch das romantische Prag. Prag Strache 1922.
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Zusammenfassung des heterogenen Kulturlebens der Stadt unter dem Namen Prager deutsche Literatur rechtfertigt. Wieners eigenes Schaffen trat darob in den Hintergrund und widerspricht auch seiner Etikettierung als Stadtpatrioten. Seine Erzählungen entziehen sich dem Prager Dunstkreis, spielen meistens in Kleinstädten oder gar auf dem Land, stehen thematisch und stilistisch den Dorfgeschichten des Realismus näher als den Narrativen der Moderne. In seinen Texten, aber auch in seinen weniger bekannten Anthologien wie Heimat zum Gruß oder Das deutsche Handwerkerlied,18 leistet er interkulturelle Vermittlungsarbeit nicht nur zwischen tschechischer, deutscher und jüdischer Kultur in Prag, sondern eben auch zwischen den unterschiedlichen deutschen Kulturen in Böhmen und Mähren, zwischen der Stadt- und den jeweiligen Provinzkulturen, sowie zwischen den differenten Kreisen innerhalb der Metropole selbst. Die zahlreichen Einflüsse der europäischen und deutschsprachigen Moderne, die sich in seinen Arbeiten spiegeln, verweisen zudem auf die besondere Lage der Region Böhmen und Mähren. Die Zwischenstellung zwischen der deutsch-preußischen und der österreichischhabsburgischen Lebensformation macht diese Region zum paradigmatischen Schauplatz eines europäischen Kulturtransfers.19 Das zweite Beispiel weist in die Region, genauer in die südmährische Stadt Znaim. In der Auseinandersetzung darüber, ob die Stadt das angeblich von Ottokar I. verliehene Attribut »königlich« weiterhin führen sollte, fasste die Position der nichtdeutschen Bevölkerung, die wenig elegante Formulierung erklärt sich gleich, ein namentlich nicht genannter Redakteur des örtlichen Wochenblattes zusammen: Die czechische [Parthei] will einen Generallandtag in Prag und eine Prager Regierung, kurz ein »königlich böhmisches Regiment«; die Slaven in Mähren wollen dagegen die Unabhängigkeit des Landes von Böhmen genau so wie im Jahre 1848 gewahrt wissen, sie halten an ihrem Kaiser und Markgrafen [fest], die Idee der Wenzelskrone ist ihnen unsympathisch und fremd. 20
18 | Oskar Wiener/Johann Pilz (Hg.): Der Heimat zum Gruß. Ein Almanach deutscher Dichtung und Kunst aus Böhmen. Berlin Prometheus 1914; Oskar Wiener: Das deutsche Handwerkerlied. Prag Verlag des Deutschen Vereins zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse 1907. 19 | Diese Arbeit konzentriert sich demnach wiederum auf die deutsche Kultur und wird den Austausch mit der tschechischen bzw. slawischen Kultur nur am Rande berühren. Eine literaturgeschichtliche oder kulturwissenschaftliche Betrachtung unter konsequent territorialem Aspekt steht noch auf Jahre hin aus und wird letztlich nur durch eine regionale Umorientierung der Bohemistik in Tschechien, Deutschland und Österreich bewerkstelligt werden können. 20 | N. N.: Die gemüthlichen ›Ultra-Royalisten‹ von Znaim. In: Znaimer Wochenblatt, 5. 12. 1869.
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Die Slawen in Mähren sind nun freilich nicht weniger Tschechen als die Tschechen in Böhmen Slawen sind, aber auf Grund der kompromissbereiten patriotischen Position der mährischen Tschechen und der unversöhnlich nationalen Position der Tschechen in Böhmen musste eine sprachliche Unterscheidung getroffen werden, die das Zitat in seiner ganzen heute missverständlichen Terminologie wiedergibt. Im Zuge der Badeni-Krise verschwand diese feinfühlige Differenzierung aus den Zeitungen, »die Bezeichnungen ›Slawe‹ und ›Tscheche‹ wurden spätestens seit 1897 zunehmend synonym verwendet«.21 Die langwierigen Verhandlungen um gerechte Sprachenverordnungen und Nationalitätenregelungen führten in Böhmen nie zu einem ratifizierten Ergebnis. Im anderen Landesteil hingegen kam es 1905 zum Mährischen Ausgleich. Anscheinend überlebte die Unterscheidung im Fundus des kulturellen Gedächtnisses mährischer Politiker beider nationaler Seiten. Gemeinsamkeiten mit der kulturwissenschaftlichen oder interkulturellen Sichtweise, auf die Feinheiten der »differenztheoretischen Dynamik der kulturwissenschaftlichen Debatte« kann an dieser Stelle verzichtet werden, sind demnach in großer Menge vorhanden.22 Trotzdem werden die textbezogenen Kapitel den Fokus nicht gezielt auf eine interkulturelle Interpretation richten oder Textanalysen nicht explizit unter den speziellen Vorzeichen kultureller Fragestellungen vornehmen. Der Grund dafür liegt nicht in den methodologischen Abweichungen zwischen interkulturellen und intrakulturellen Analysen, deren theoretischer Fundierung es durch die neuesten Definitionen von Kultur an Unterfütterung gebricht. Die Begründung für diese Zurückhaltung bietet das Korpus selbst. Der Textbestand dieser Arbeit befindet sich, trotz aller Bekenntnisse zur Kanonerweiterung nicht im Spektrum der neuen Theorien und Lesarten. Diese Arbeit handelt eben gerade nicht von Texten die einer holistischen oder essentialistischen Perspektive entraten, sondern diese auf den ersten Blick geradezu provozieren. Es sind oft Texte, die die konservative, bisweilen gar nationalistische Grundausrichtung ihrer Autoren plakativ hervorkehren, die nichts weniger sind als multi- oder plurikulturell. Sie entsprechen zwar der Definition einer kulturellen Differenz und Grenzüberschreitung, aber sie überschreiten eine Grenze, die kaum mehr jemanden interessiert, sondern vielfach schockiert. Bei den Austausch- und Kommunikationsversuchen zwischen der anerkannten Höhenkammliteratur und der Literatur 21 | Tereza Pavlí č ková: Die Entwicklung des Nationalitätenkonflikts in der Znaimer deutschen Presse 1850-1938. Diss. Olomouc Typoskript 2011, S. 59. In dieser Dissertation werden zahlreiche Quellen erstmals präsentiert und kommentiert, die differierende Mischpositionen innerhalb des tschechisch-deutschen Verhältnisses offenlegen, die jeder polaren Zuteilung widersprechen. Häufig ist die Stellung im Nationalen weniger von der politischen Einstellung, sondern von persönlichen Motivationen oder dem Platz im stadtgesellschaftlichen Gefüge bestimmt. 22 | Langenohl/Poole/Weinberg: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Transkulturalität. Bielefeld transcript [im Druck].
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aus der Provinz wird nachgerade in Böhmen und Mähren in der Zeit der frühen Moderne der Boden einer political correctness schnell verlassen, der interkulturellen Studien bisher zugrunde lag. Genau diesen Boden gilt es aber zu verlassen, wenn man die differenzierten Selbstbegründungs-- und Austauschprozesse aufdecken will, die eine regionale Kultur bestimmen. »Der Glaube an unerschöpfliche Werke ist einfach die Unlust, neben heiligen Schriften auch ihre verstaubten Geschwister zur Hand zu nehmen«, konstatiert Friedrich A. Kittler im Nachwort zu seinen Aufschreibesystemen.23 Diese Arbeit lebt buchstäblich von der Lust am Entstauben und der Freude an dem, was unter dem Staub zum Vorschein kommt. Denn dieses Vergessene und Verdrängte vervollständigt das Bild der Kulturlandschaft Böhmen und Mähren um die Jahrhundertwende und es ergänzt das Bild der Literatur und Kultur, wie es in den Literaturgeschichten transportiert wird. Dass dabei auch sperrigere Texte mit unangenehmen Themen zu Tage gefördert werden, ist unvermeidlich, wenn eine interkulturelle Fokussierung unter intrakulturellen Voraussetzungen wie sie in dieser Region vorliegen, angestrebt wird. Die traditionellen Interessen einer interkulturellen Germanistik werden dadurch nicht obsolet, wohl aber auf die besonderen Bedingungen einer regionalen Literaturwissenschaft umgelenkt und ausgedehnt. Eine Erweiterung, die auf Grund der einseitigen Konzentration auf bestimmte Themen und Thesen notwendig erscheint, wenn dadurch auch Veränderungen am gewohnten Werteschema vorgenommen werden müssen. Also nicht trotz, sondern vielmehr wegen der Konzentration auf intrakulturelle Belange wird das Interkulturelle der Texte in dieser Arbeit keineswegs ausgespart. Es wird jedoch mit den schlichten Mitteln einer philologischen Analyse beschrieben, ohne den terminologischen Apparat, der reichlich zur Verfügung stünde.24 Es gibt ohnehin nicht nur den Weg von der Theorie zum Einzelbeleg, sondern in der Untersuchung regionaler Phänomene und Details ergibt sich oft der interkulturelle Blick von selbst. Die Einzelbefunde selbst stellen die Theoriemodelle und großen Erzählungen in Frage. Das Randständige widerstrebt dem einfachen Zugriff, erzeugt Reibungsflächen, zwingt zur Korrektur und widersetzt sich allgemeinen Modellen. Das Regionale ist das Subversiv jedweder Verallgemeinerung. Die Literatur aus der Region Böhmen und Mähren steht im Zentrum dieser Arbeit. Damit ist zugleich auch ein Raum aufgerufen, der nach dem spatial oder topographical turn der Geisteswissenschaften auch unter Gesichtspunkten konstruierter Verräumlichungen oder kultureller Verortungen betrachtet werden könnte und wohl auch sollte. Dem stehen jedoch zwei Argumente gegenüber, die davon absehen ließen. 23 | Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900. München Fink 2003, S. 503. 24 | Zum Begriff ›Schlichtheit‹ vgl. Jörg Krappmann: Komplexität, Schlichtheit und Abstraktion in der regionalen Literaturforschung. Am Beispiel des deutschböhmischen Schriftstellers Ferdinand Bernt. In: Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňáč ek (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 23-39.
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Zum ersten müssen in einer regionalorientierten Darstellung zahlreiche Sachverhalte der historischen und soziopolitischen Grundbedingungen erläutert und bisweilen auch Lebensumstände von Autoren angeführt werden, um das Verständnis der Texte zu erleichtern, ja manchmal erst zu ermöglichen. In der Kombination dieser zweifellos positivistischen Bringschuld mit raumtheoretischen Modellen, entsteht jedoch leicht die Gefahr unter falscher Flagge zu segeln. Das ›sexy label‹ Raum verdeckt vieles und hilft so, einem methodologisch, theoretisch und heute vor allem epistemologisch schlechtem Gewissen vorzubeugen. Bei genauerem Hinsehen verbirgt sich dahinter indes nicht selten alter Wein in neuen Schläuchen – oder präziser: ein empirieorientierter Neo-Positivismus, der in seinen diversen Spielarten längst als glücklich überwunden galt. 25
Obwohl hier kein schlechtes Gewissen drückt, sollte dieser Eindruck vermieden werden. Da die tschechische Germanistik, aus wissenschaftsgeschichtlichem Blickwinkel nicht ganz zu Unrecht, mit dem schlechten Leumund behaftet ist, überwiegend positivistisch vorzugehen, schien es angebracht, in diesem Falle noch lieber neuen Wein in alte Schläuche zu füllen. Der Verzicht auf Raumtheorien fiel zweitens umso leichter, weil sie sich bisher nur in Ausnahmen mit dem Kernbereich der Region, dem freien Land, auseinandersetzten. Henri Lefebvre, neben Michel Foucault einer der Vordenker des spatial turn, »behauptete, dass die Entwicklung aller menschlichen Gesellschaften sich immer nur in Form urbaner Gesellschaften vollziehe«.26 Daran anknüpfend konzipiert Edward Soja sein Konzept eines Raumgeists über Fragestellungen der »Stadtökologie«27, »des städtischen Wirtschaftslebens«28 oder »der konzentrischen Form der urbanen Geographie«.29 Und auch für den engeren Bereich der deutschsprachigen Kultur resümiert Moritz Csaky: »Solche hybriden kulturellen Gemengelagen oder kulturelle Transiträume sind in Zentraleuropa vor allem die urbanen Milieus.«30 Da in Mähren um 1900 nur Brünn annähernd dem entspricht, was sich Soja, Csaky und andere unter einem urbanen Milieu vorstellen, schien es angebracht, von derartigen raumtheoretischen Ansätzen Abstand zu nehmen, und 25 | Alexander C. T. Geppert, Uffa Jensen, Jörn Weinhold: Verräumlichung. Kommunikative Praktiken in historischer Perspektive. In: Dies (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. Bielefeld transcript 2005, S. 18. 26 | Edward W. Soja: Vom ›Zeitgeist‹ zum ›Raumgeist‹. New Twists on the Spatial Turn. In: Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hg.): Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Bielefeld transcript 2008, S. 254. 27 | Ebd., S. 247. 28 | Ebd., S. 250. 29 | Ebd., S. 248. 30 | Moritz Csaky: Kultur als Kommunikationsraum – am Beispiel Zentraleuropas. In: Zeitschrift für Mitteleuropäische Germanistik. Heft 1/1 (2011), S. 14.
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auf eine Vorgehensweise zurückzugreifen, die sich bei der Auseinandersetzung mit regionalen kulturellen Phänomenen in Böhmen und Mähren bereits bewährt hat. »Die eigentliche Bedeutung der kleinen bzw. enger verstandenen Regionen liegt (…) in ihrem Charakter als literarischer Mikrokosmos.«31 Dieser Mikrokosmos ist jedoch augenblicklich von größeren Interpretationsordnungen geschichtlicher, politischer oder literaturgeschichtlicher Art verdeckt. Die in der Region Böhmen und Mähren zur Zeit der Frühen Moderne entstandenen Texte und ihre soziologischen und politischen Grundbedingungen müssen erst durch eine kulturelle Übersetzungsarbeit wieder aufgedeckt werden. Dazu scheint zunächst eine gründliche philologische Beschreibung notwendig, gepaart mit dem von Kurt Krolop häufig beschworenen historischen Raumgefühl. Die Begriffsbildung trägt in sich, dass diesem intuitiven Gespür mit Theorie nicht beizukommen ist. Es handelt sich eher um eine erlernte Fähigkeit, deren praktische Regeln ich in den Säulen nachzuzeichnen versuche. Trotzdem beinhaltet die Kombination eine Schubkraft für den literaturwissenschaftlichen Diskurs. Denn das historische Raumgefühl verweist auf eine gleichberechtigten Zugang von historischer Zeit einerseits und Raumbetrachtung andererseits und bietet so eine Lösung für das Problem einer Hierarchisierung von Raum oder Zeit, das den gegenwärtigen raumtheoretischen Diskurs umtreibt.32
S IEBEN S ÄULEN Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, ist die Arbeit an keinen bestimmten literaturtheoretischen oder kulturwissenschaftlichen Ansatz angebunden. Das bedeutet aber nun nicht, dass nicht zahlreiche Studien für die Erarbeitung des Themas und seine Durchführung leitend waren. Üblicherweise sind diese Vorarbeiten an der überdurchschnittlichen Repräsentanz im Anmerkungsapparat oder durch die Häufung bestimmter Namen im Literaturverzeichnis zu erkennen. Die quantitative Hervorhebung wird in diesem Fall durch die besondere Anlage des Themas behindert. Deswegen werden vorab recht schmucklos diejenigen genannt, die Ideen, Methoden, Themen, Arbeitsweisen und Ansätze vermittelten oder Probleme aufzeigten, die in meiner Studie zur Sprache kommen. Da meine Arbeit eine Vielzahl von Autoren anspricht, selten ein Autorenwerk vollständig behandelt und die Textanalysen an vielen unterschiedlichen thematischen Punkten ausnutzt, soll 31 | Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňá č ek: »Regionale Literatur revisited«. Neue Perspektiven in der Regionalforschung zur Literatur der Moderne?. In: Dies (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 8. 32 | Vgl. Michael C. Frank: Die Literaturwissenschaften und der spatial turn. In: Wolfgang Hallet/Birgit Neumann (Hg.): Raum und Bewegung in der Literatur. Bielefeld transcript 2009, S. 53-80.
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an dieser Stelle, anstatt des üblichen Forschungsberichtes, eine Art Netzwerk vorgestellt werden, das die Einzelanalysen miteinander verknüpft. Auf den folgenden sieben Säulen ist das Gerüst der Arbeit errichtet. Sie bieten zugleich die Klärung des terminologischen Apparates und der angewandten Methode(n).
Ruthner und der Kanon Die Suche nach einem verbindlichen Kanon, ist sicherlich so alt wie die Literaturgeschichtsschreibung, wahrscheinlich so alt wie die Literatur selbst. Die Suche als schöpferischer Akt wohlgemerkt, also das Aufstellen von Kriterien, was der Kanon beinhalten bzw. nicht beinhalten soll, das Rechtfertigen dieser Kriterien, die Erklärung der Sinnhaftigkeit einer Auswahl, das Ausleben individueller Idiosynkrasien und Machtpositionen. In der gegenwärtigen Gesellschaft hat die Suche nach dieser Art Verbindlichkeit Hochkonjunktur, die durch die Medienwelt kräftig geschürt wird. Die Zahl der Ranglisten in Zeitschriften und Zeitungen ist annähernd unüberschaubar, sie wird durch die Chartshows im Fernsehen noch erhöht und erreicht durch persönliche Reihungen von Lieblingsbüchern aller Genres im Internet geradezu astronomische Ausmaße. Der Kanon, der es etwas ernsthafter mit der Literatur meint, wird so konzipiert, dass er am handlichen Tragegriff leicht den Weg vom Buchshop ins heimatliche Wohnzimmer findet. Die kommerziellen Interessen, die neben der Wahrung angestammter Besitzstände der Autoren selbst, diese bewährte Taktik des kulturellen Konsumlebens bestimmen, können zu einer Trivialisierung des Kanons, aber auch zu einer bloßen Archivierungsfunktion führen. Das alles ist beschreibbar und wurde in kulturwissenschaftlichen Studien, ob in Anlehnung an Bourdieus Thesen oder nicht, bereits mehrfach beschrieben und in letzter Zeit meist mit der Erkenntnis abgeschlossen, dass einerseits »jeder Kanon die Konfrontation mit sich selbst provoziert«33 , und dass deswegen andererseits verbindliche Kriterien in einer postmodernen Gesellschaft nicht mehr auszumachen sind, ja gar nicht mehr sinnvoll erscheinen. Diese Offenheit produziert wiederum einen, wenn auch nach allen Seiten offenen Kanon, der im Sinne der ersten Erkenntnis freilich selbst sofort auf Widerspruch stößt. Über diesem geschäftigen Treiben gerät ein Kanon ins Hintertreffen, der die Germanistik wirklich betrifft, nämlich derjenige, den sie sich mittels Literaturgeschichten, Seminaren, Vorlesungen und Konferenzen selbst gibt. Wenn ich in Folge von einer Rekanonisierung der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur spreche, dann ist nur dieser bestimmte Kanon gemeint, der zwar ebenfalls von außerwissenschaftlichen oder wissenschaftsökonomischen Kräften beeinflusst wird, aber doch im Vergleich zu mediatisierten Vorgängen ein vergleichsweise ruhiges Reservat bildet oder jedenfalls (zunächst) bilden sollte. 33 | Clemens Ruthner: Am Rande. Kanon, Kulturökonomie und die Intertextualität des Marginalen am Beispiel der (österreichischen) Phantastik im 20. Jahrhundert. Tübingen Francke 2004, S. 35.
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»Die identitätsstiftende Wirkung des Kanons – durch eine kulturhegemoniale Gruppe oktroyiert – verweist zurück auf sein nationalistisches, ja imperialistisches Erbe, seine Bedeutung im alten europäischen Konzept einer ›Nationalliteratur‹ vom späten 18. bis tief ins 20. Jh. hinein«34 . Die Literatur der frühen Moderne aus Böhmen und Mähren unterliegt in ihrer zeitgenössischen Rezeption noch vollständig diesen literaturgeschichtlichen Kriterien, deren politische Implikationen nirgendwo prägnanter und umfassender als bei Jürgen Fohrmann nachzulesen sind35 . Nicht zuletzt die Germanisten aus der hier maßgeblichen Region waren am Aufbau einer Nationalliteratur beteiligt (August Sauer, Ottokar Stauf von der March) und führten diese Konzeption auch in der Zwischenkriegszeit unter den Prämissen des ethnischen Gegensatzes in Böhmen und Mähren fort (Herbert Cysarz, Josef Nadler). Lebende und ehemalige Schriftsteller wurden für diese Konzeption ohne oder mit ihrem Zutun, mit mehr oder weniger Erfolg, vereinnahmt. Ob die wenigen Einwohner des germanistischen Reservates noch die Kraft und die Macht haben, in entscheidender Weise eine Hegemonie mit identitätsstiftender Wirkung auszuüben, darf bezweifelt werden. Wenn ja, dann wird sie nicht die Gesellschaft im Ganzen, sondern lediglich den überschaubaren Rahmen der Studierenden, Doktoranden und anderen wissenschaftlichen Interessierten ›oktroyieren‹. Die Rekanonisierung, wie sie in dieser Arbeit betrieben wird, beschränkt sich auf diesen engen ›akademischen‹ Raum, strebt also keinen politischen Revanchismus an, sondern fordert nur das Recht für die regionalen Autoren dieser Zeit ein, welches anderen (ehemaligen) Randphänomenen nicht erst und nicht ausschließlich in postmodernen oder postkolonialistischen Studien zugesprochen wird. Die genrebezogene Exemplifizierung, die Ruthner vornimmt, wird hier auf einen literarischen Raum übertragen, was umso einfacher fällt, da beide Untersuchungsgegenstände am Rande des Kanons existieren und zudem oft miteinander verschmelzen. Ruthner unterscheidet mehrere Kanonisierungsmechanismen, die für den Ausschluss literarischer Texte verantwortlich sind: »Nichtkanonisierung (ein Text wird von den Kanoninstanzen nicht wahrgenommen), Negativkanonisierung (expliziter Ausschluss von Anfang an) und Dekanonisierung (Ausschluss des früher Integrierten bei einer Kanonrevision); auf letztere kann im Zuge kultureller Prozesse eine Rekanonisierung folgen«36. Die einzelnen Mechanismen sind präzise bezeichnet. Problematisch ist die Einschränkung des Rekanonisierungsprozesses allein auf vorher dekanonisierte Texte. Die Theorie erscheint an dieser Stelle zu konkret auf den derzeitigen europäischen oder europäisierten Kulturbetrieb bezogen und zudem der Vorstellung eines allumfassenden Kanons zu unterliegen. Es fehlt eine historische Kompo34 | Ebd. S. 17. 35 | Jürgen Fohrmann: Das Projekt der deutschen Literaturgeschichte. Entstehen und Scheitern einer nationalen Poesiegeschichtsschreibung zwischen Humanismus und Deutschem Kaiserreich. Stuttgart Metzler 1989. 36 | Clemens Ruthner: Am Rande, S. 20.
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nente, die auch mit einem Wandel des Herrschaftssystems rechnet. So ist durchaus vorstellbar, dass in totalitären Herrschaftssystemen aus politischen oder rassistischen Gründen negativ kanonisierte Texte nach einer ›Revolution‹ wieder in den Kanon integriert werden. Der im Nationalsozialismus geltende Kanon wurde nach dem zweiten Weltkrieg einer umfassenden Revision unterzogen, die gerade die ausgeschlossenen Werke der verbrannten und verfemten, jüdischen Autoren wieder ins Recht setzte. Hierbei handelt es sich um den für die deutschsprachige Literatur wohl einschneidendsten Fall einer Dekanonisierung und anschließender Rekanonisierung. Anders verhält es sich mit der sogenannten Samisdat-Literatur während der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei, die bereits zum Zeitpunkt ihrer Produktion aus dem gültigen Kanon ausgeschlossen wurde. Nach dem Willen der Machthaber sollte sie gar nicht erst in das Bewusstsein der Bevölkerung dringen, unterlag also vorab einer Negativkanonisierung, wobei zumindest eine Art subversiver Kanonisierung in den Kreisen der Regimegegner anzunehmen ist. Nicht ausgeschlossen ist diese Entwicklung auch bei Texten, die zunächst nicht von den Kanoninstanzen wahrgenommen wurden, beispielsweise bei nicht oder an entlegener Stelle veröffentlichten Werken von Autoren, die ihre Kanonrelevanz bereits durch andere Texte nachgewiesen haben. Man denke an Friedrich Hölderlins Hymne Friedensfeier, die nach der Entdeckung der vollständigen Handschrift 1954, eine Publikationswelle auslöste37. In abgeschwächter Form können sogar die Nachlasswerke Kafkas unter diese Kategorie gerechnet werden. Obwohl die Zusammenhänge hier nur angesprochen werden konnten, dürften die Schwierigkeiten deutlich geworden sein. Sie verschwinden zwar nicht, sobald man spezifische zeitlich und sozial klar umrissene Kanones untersucht, aber sie vereinfachen sich in der Beschreibung und Begründung. Das liegt daran, dass die Kanoninstanzen klarer hervortreten, die von Ruthner folgendermaßen benannt werden: 1. eine mehr oder weniger breite Rezeption (dabei wäre freilich zwischen ›synchronen‹ und ›diachronen‹ Lesern zu unterscheiden); 2. der sog. ›kritische Rahmen‹, d.h. eine allgemeine Kenntnisnahme bzw. (positive?) Rezension in den Medien; 3. eine wohlwollende akademische Kritik in Form eines gewissen Aufkommens an Studien, Dissertationen und Monographien; und schließlich 4. die Aufnahme in Literaturgeschichten, Leselisten, Lesebücher, Lehrpläne u.a. kulturbzw. bildungspolitische Maßnahmen der Kanonpflege. 38
37 | Vgl. Eduard Lachmann (Hg.): Der Streit um den Frieden. Nürnberg Glock und Lutz 1957; Lüders, Detlef (Hg.): Friedrich Hölderlin. Sämtliche Gedichte. Kommentarband. Wiesbaden Aula 1989, S. 307-318. 38 | Clemens Ruthner: Am Rande, S. 21f.
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Für den Umgang mit Texten der Regionalliteratur ist eine Aufarbeitung dieser vier Instanzen in diachroner Sicht sinnvoll, ergibt sich doch daraus im Idealfall die Rezeptionsgeschichte eines Werkes, wobei die unterschiedliche Gewichtung der Aktanten jeweils am Einzelfall diskutiert werden muss. Auf der synchronen Ebene der literaturwissenschaftlichen Gegenwart sind für regionale Autoren die Punkte 1 und 2 zu vernachlässigen. Selbst für Reprints und Neuauflagen ist kein größeres mediales Interesse zu erwarten, ja die Praxis zeigt, dass Rezensionen zu diesen Texten meist von Spezialisten und Liebhabern aus dem akademischen Bereich geschrieben werden und folglich unter Punkt 3 fallen. Und auch nur in diesem Punkt ist eine Rekanonisierung beeinflussbar und somit erstrebenswert. Das von Ruthner eingeforderte Wohlwollen darf aber nicht als unkritische oder affirmative Haltung missverstanden werden, sondern als Wille zum Ungewöhnlichen, als ein Ausbruch aus dem allzu engen Pokrustesbett der allseits akzeptierten und freilich auch kanonisierten Hochliteratur. Auch für die regionale Literaturforschung gilt die Faustregel Qualität vor Quantität, denn eine Unzahl fadenscheiniges Interesse bekundender oder wissenschaftlich unsauberer Arbeiten birgt die Gefahr einer (neuerlichen) Dekanonisierung, die die Diskussion über die Texte und Autoren wiederum für ungewisse Zeit zum Verstummen bringen würde.39 Die Rekanonisierung wie sie hier verstanden wird, hat die (Re-)integration einiger Autoren und Werke in den wissenschaftlichen Diskurs zum Ziel und ist zugleich ein Plädoyer für eine weitere Öffnung der Literaturwissenschaft auch ihrem regionalen Gegenstand gegenüber. Ein interdisziplinärer Vergleich soll die Argumentation zuspitzen. Eine Orientierung an der ausgelobten Höhenkammliteratur ist in etwa so, als ob sich die biologische Forschung allein an den Primaten als höchstentwickelten Lebewesen orientieren, die Einzeller und all das Eklige, was mehr kreucht, denn fleucht, außer Acht lassen würde. Jeder Biologe, der einmal Grundlagenforschung betrieben hat, würde entgegnen, dass strukturelle und prozessuale Elemente im Aufbau der Organismen nur am Einfachen, Kleinen und Ekligen isoliert nachzuweisen sind. Und eklig sind sie die regionalen Autoren, da sie wegen ihres diskontinuierlichen Auftretens sowie soziologischen und individuellen Besonderheiten den geregelten Epochenverlauf der Literaturgeschichtsschreibung stören. Bei weitem kein Problem nur für die ›klassische‹ Literaturgeschichtsschreibung. Gerade Josef Nadler, der seine Literaturgeschichte regional, nach Stämmen und Landschaften gliederte, musste sich von Joseph Körner der unzulässigen Glättung bezichtigen lassen. Die regionale Literaturforschung schlägt den gegensätzlichen Weg ein, indem sie Diskordanzen nicht einebnet, sondern besonders auf sie hinweist. Ein erstes Ziel wäre erreicht, wenn die Fachdiskurse ihre Kanones durch deutschmährische und deutschböhmische Autoren erweitern würden. Ob die in dieser Arbeit geleisteten Präliminarien genügen, um diese Autoren späterhin innerhalb der Gruppe 39 | Negativbeispiele dieser Art sind die Publikationen von Ivan Stupek und František Mezihorák.
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zu integrieren, die Ruthner unter Punkt 4 recht heterogen versammelt, somit also auch innerhalb der übergreifenden Literaturgeschichten, ist ein nachrangiges Problem.
Welche Moderne? Ähnlich wie der Kanon hat auch die Forschung zur Moderne Konjunktur. Dem nachhaltigen Interesse liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Moderne die Gegenwart maßgeblich bestimmt, und zwar unabhängig davon, ob man das ›Projekt Moderne‹ als noch nicht abgeschlossen betrachtet oder die Moderne an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als vergangene Epoche versteht, auf der das aktuelle Denken und Bewusstsein beruht. Der Wert der Moderne als Achsenzeit für die Gegenwart wird durch die unterschiedlichen zeitlichen Konzeptionen nicht berührt. Inzwischen ist die Literaturwissenschaft dazu übergegangen beide Konzepte als gleichberechtigt anzusehen. Die Moderne als Makroepoche, die sich von der Aufklärung bis in die Gegenwart erstreckt, also mit individuellen Abweichungen, der von Silvio Vietta40 beschriebene Zeitraum, und die Moderne als Mikroepoche, d.h. die Zeitspanne kurz vor und nach der Jahrhundertwende. Darstellungen der Moderne als Mikroepoche scheiterten in der Vergangenheit häufig daran, dass die sich widersprechenden und gegeneinander arbeitenden Strömungen dieser Zeit nicht zu einem kongruenten Ganzen geformt werden konnten. Besonders die Diskrepanz zwischen dem rationalistischen Fortschrittsdenken der 1880er Jahre und den nur wenig später einsetzenden a-rationalen Gegenkonzepten bereitete Probleme, die eine Ausweitung des Zeitraumes in beiden Richtungen nahelegten, da sie dort in Prozesse langer Dauer integriert oder auf Grund wichtigerer Entwicklungen marginalisiert werden konnten. Dieses Verfahren rief jedoch in den letzten Jahren Unmut hervor: Als alleiniger Bezugsrahmen muß die Makroepoche die neue Literatur um 1900 allerdings in ihrer Eigenart und Innovationskraft verschwimmen lassen, da sie die revolutionären Entwicklungen in den Naturwissenschaften und die Kulmination des Industrialisierungs- und Technisierungsprozesses am Ende des Jahrhunderts nicht angemessen gewichtet, die die ästhetische Antwort der Literatur in anderer Weise herausfordern als 100 oder 150 Jahre zuvor. 41
40 | Vgl. Silvio Vietta: Die literarische Moderne. Eine problemgeschichtliche Darstellung der deutschsprachigen Literatur von Hölderlin bis Thomas Bernhard. Stuttgart Metzler 1992. 41 | Christiane Barz: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Leipzig und Berlin Edition Kirchhof und Franke 2003, S. 17.
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Christiane Barz wendet sich unter Berufung auf Walter Müller-Seidel, Helmut Koopmann und vor allem Odo Marquardt gegen die Dominanz des Naturalismus in den Definitionen der Moderne als Mikroepoche. Tatsächlich ist damit die Gefahr einer Abwertung gegenläufiger Tendenzen verbunden. Zivilisationskritische und fortschrittsskeptische Stimmen werden vorschnell unter dem Schlagwort des »deutschen Antimodernismus« zusammengefasst42 , den Karl Müller folgendermaßen definiert: »Die Antimoderne ist die Stilisierung des Epigonalen, Herkömmlichen als ›modern‹, und zwar durch die damaligen Ideologen (Schriftsteller, Literaturhistoriker, Kulturpolitiker) selbst«43 . Unter dem Ideologieverdacht verdichten sich nicht nur die literarischen, sondern alle geistigen Gegenbewegungen zu einem deutschen Sonderweg, der dann in mehr oder weniger direkter Linie auf den Nationalsozialismus bezogen und für dessen Aufstieg verantwortlich gemacht wird. Gegen diese »Denunziation«44 der modernekritischen Literatur und Kultur um die Jahrhundertwende stellt Barz das Modell einer komplementären Moderne, das sie in Kurzform charakterisiert: 1. zur Moderne gehört auch eine der Modernisierung gegenläufige Tendenz und mithin auch die Kritik an den Erscheinungen der modernen Welt, 2. die Kritik will die Moderne nicht rückgängig machen, sondern setzt ihre Irreversibilität voraus, und damit sind 3. vermeintlich ›antimoderne‹ Positionen in den Diskurs der Moderne eingebunden. Die Epoche bringt also ihre eigene Gegenposition hervor. 45
Dieses Modell wird in dieser Arbeit angewendet, indem bei der Erstellung des Korpus keine Vorverurteilung in der ideologischen Sicht Müllers erfolgte. Wertungen dieserseits wurden, so weit nötig, nur in den Textanalysen vorgenommen. Allerdings scheint bei Barz wiederum der Naturalismus aus der Moderne herauszufallen, da er diese polare Konstellation noch nicht aufweist. Hierin kann man Barz bezüglich der regionalen Literatur Böhmens und Mährens nicht folgen, denn deren Entwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts weist fließende Übergänge, keine Brüche auf. Dem Übergang vom Naturalismus zur ästhetischen Moderne ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Vorweg sei aber auf die Zeitschrift Moderne Dichtung verwiesen, die 1890 in Brünn mit einem naturalistischen Programm antrat, in de-
42 | Vgl. Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus. Darmstadt WBG 1995. 43 | Karl Müller: Zäsuren ohne Folgen. Das lange Leben der literarischen Antimoderne Österreichs seit den 30er Jahren. Salzburg Otto Müller 1990, S. 44. 44 | Christiane Barz: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Leipzig und Berlin Edition Kirchhof und Franke 2003, S. 23. 45 | Ebd.
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ren erster Ausgabe aber auch der bekannte Artikel Hermann Bahrs46 zur Moderne erschien, der erste Abnützungserscheinungen des Naturalismus festhielt. Bahr propagierte kurz darauf schließlich die Überwindung des Naturalismus (1891). Die Redaktion wurde bereits ein Jahr nach Gründung der Zeitschrift nach Wien verlegt und von diesem Standortwechsel an überlagern sich die früheren naturalistischen Beiträger mit denjenigen aus der Wiener Moderne. In diesem Fall eignet sich die regionale Literaturforschung als Korrektiv einer Literaturgeschichtsschreibung, die den Epochenwandel zu restriktiv als kontinuierlichen Ablauf erklärt. Da der Naturalismus auch wegen der Phasenverschiebung der kulturellen Entwicklung in Deutschland und Österreich für die mährische Literatur unverzichtbar ist, wird auch der Begriff der kulturellen Moderne von Barz nicht übernommen, sondern weiterhin von früher Moderne gesprochen. Ein komplementäres Moderneverständnis erlaubt die Integration der Gegensätze, welche die Moderne zur Genüge besitzt. Sie erlaubt auch eine gerechtere Beurteilung von regionalen Autoren, die die Moderne, wenn auch nicht in vorderster Front, mitbestimmten und von ihr bestimmt wurden, da die Gegensätze im Gesamtwerk der regionalen Autoren oft unvermittelt aufeinander prallen. Teilweise geschieht das auch innerhalb einzelner Texte. Der Übergang in die Moderne kann abseits, aber nicht jenseits dieses Konzeptes auch beschrieben werden als Wechsel des wissenstheoretischen Paradigmas. Aus der Zahl der Publikationen zur Moderne in den letzten Jahren ragt der Anteil an Schriften heraus, der sich mit der Phantastik, dem Okkultismus, der Esoterik oder mit religiösen oder säkularisierten Entgrenzungsphänomenen beschäftigt. Definitionsversuche ergaben, dass die einzelnen Spielarten nicht eindeutig bestimmbar sind, zwar unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Ebenen angehören, aber in der literarischen Praxis nicht sauber getrennt wurden. Als Sammelbegriff hat sich die Bezeichnung andere Episteme durchgesetzt, die meistens auf ältere Formen des Wissens zurückgreift und sich dadurch von der neuen rational-naturwissenschaftlichen Episteme absetzt.47 Auch Clemens Ruthner greift zur Illustrierung seines offenen Kanonbegriffs auf die Phantastik als Form der anderen Episteme zurück: »Phantastik zeigt sich damit einerseits […] dem wissenschaftlichen Fortschrittsgedanken verpflichtet und entwickelt sich als parallele Spekulation zu diesem; andererseits herrscht in ihr aber auch jener Zug des Labyrinthischen, der Hang zur Verdunklung und Perhorreszierung von Episteme, was eine eigentümliche Dialektik schafft«48.
46 | Hermann Bahr: Die Moderne. In: Moderne Dichtung Jg. 1 Heft 1 (1. Januar 1890), S. 13-15. 47 | Dadurch sind aber Genredefinitionen nicht obsolet geworden wie die präzise Auseinanderlegung der Strukturelemente phantastischer Literatur und der verschiedenen Realitätsbegriffe, auf denen sie basiert (Wünsch 1991). 48 | Clemens Ruthner: Am Rande, S. 262.
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Damit wiederholt die Literatur der anderen Episteme in nuce die komplementär-polare Denkbewegung der frühen Moderne. Ruthner selbst verschränkt seine, an der phantastischen Literatur entwickelten, kanontheoretischen Überlegungen mit der geographischen Randlage der Autoren. Die Mährer Karl Hans Strobl und Franz Spunda, aber auch der Balte Werner Bergengruen werden namentlich erwähnt. Der Literatur aus Böhmen und Mähren kommt damit eine wichtige Rolle in der Erforschung der Ränder zu. Den allgemeinen Auf- und Anstieg der Literatur der anderen Episteme in der frühen Moderne erklärt Ruthner mit dem »Klima des Paradigmenwechsels, das der gewaltsame Zusammenbruch imperial geprägter bürgerlicher Weltordnungen in Mitteleuropa«49 mit sich brachte. Das in der phantastischen Literatur erregte Gefühl der Unsicherheit und der Furcht und seine häufige Aufhebung im Magischen oder Transzendenten traf das Lebensgefühl der Zeitgenossen. Auch die apokalyptischen Visionen, wie sie u.a. von Kubin, Strobl oder Werfel entworfen wurden, trafen den Zeitgeist. Der Zusammenbruch der Habsburger Monarchie war eine Folge des Weltkrieges und seine Auswirkungen in der Literatur liegen deswegen außerhalb des untersuchten Zeitabschnitts. Die Vorahnung des bevorstehenden Untergangs war aber in den Provinzen der Monarchie schon früh präsent. »Als der Weltkrieg ausbrach, waren die Prager deutschen Autoren besonders gut darauf vorbereitet, in diesem Ereignis den Anbruch des Endes einer Epoche zu sehen«50. Die Vorbereitung lag im rasanten Schwund der politischen Bedeutung des Liberalismus in Österreich, und in der Bedrohung, die von ihm ausging. Die überwiegend deutschjüdische Literaturszene Prags war über die sogenannte Vätergeneration mit dem Liberalismus als politischer Überzeugung fest verbunden und trug auch selbst mit dazu bei, dass der Liberalismus in Prag bis in die Zwischenkriegszeit ein Reservat hatte. Der entscheidende Grund, der das bis dahin noch provinzielle Prager deutsche Schrifttum zu einer Literatur von Weltinteresse werden ließ, ist darin zu suchen, daß die Prager Deutschen […] die erste Gesellschaftsgruppe der bürgerlichen Welt waren, deren Dichter erfühlten, daß dieser Welt der Abgrund und das Ende drohten. 51
Es ist annähernd das gleiche Kennzeichen, ein sich bis zur Weltuntergangsstimmung steigerndes Unsicherheitsempfinden, das den Aufstieg der Prager deutschen und der phantastischen Literatur bedingt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich in der Prager deutschen Literatur dieser Zeit phantastische oder magisch-okkulte Texte häufen. Die Parallele bietet eine zusätzliche Erklärung für den 49 | Ebd. S. 114. 50 | Kurt Krolop: Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts«. In: E. Goldstücker (Hg.): Weltfreunde. Prag 1967, S. 64. 51 | Eduard Goldstücker: Die Prager deutsche Literatur als historisches Phänomen. In: ders. (Hg.). Weltfreunde Prag Academia 1967, S. 30.
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Topos des magischen Prag, darf jedoch nicht überbewertet werden, da zur Bildung dieses Topos auch andere Faktoren beitrugen, etwa der Abriss des alten Prager Ghettos und die neuromantischen Erinnerungen an diese Zeit. Die phantastische Literatur der frühen Moderne in Mähren ist nicht sehr reichhaltig. Karl Hans Strobl trat bereits kurz nach 1900 mit phantastischen Erzählungen hervor, sein bedeutender Zeitroman Eleagabal Kuperus, der zahlreiche Motive der Phantastik beinhaltet, erschien aber erst 1918 und liegt damit genau an der Grenze des hier anvisierten Zeitabschnitts. Die Mehrzahl der Werke, vor allem die Romane des Olmützer Schriftstellers Franz Spunda, erschienen erst in der Zwischenkriegszeit. Deswegen werden die wenigen Texte im hier behandelten Korpus, die Bezüge zur Phantastik aufweisen, als Literatur der anderen Episteme gemeinsam mit der religiösen Literatur verhandelt. Die Berechtigung für diese Verbindung von phantastischer und religiöser Literatur unter der Spitzmarke »andere Episteme« beziehe ich aus der religionswissenschaftlichen Wende in der Phantastikforschung, die durch die Studien von Marco Frenschkowski eingeleitet und vorangetrieben wurde52 . Erst Frenschkowski entdeckte den Wert der schlanken Abhandlung Das Heilige (1917) von Rudolf Otto, »das einflussreichste religionswissenschaftliche Buch des 20. Jhs.«53 , für die Phantastik und die Literatur der anderen Episteme in der Moderne, bis zu aktuell gepflegten Genres wie Fantasy, Science oder Weird Fiction. Dadurch ist aber schon der Sprung auf die nächste Säule gelungen.
Das Heilige und die gottlose Mystik Der literaturwissenschaftliche Brückenschlag zwischen der Literatur im Umfeld von Phantastik und Okkultismus, der Literatur der anderen Episteme im Weiteren und der religiösen Literatur im eigentlichen Sinne durch Frenschkowski u.a. gelang zu Beginn des neuen Jahrtausends. Vorangegangen war ab Mitte der 1970er Jahre eine Neubewertung der phantastischen Literatur durch eine an französische Theoretiker angelehnte Theoriedebatte in der Germanistik54 . Die Phantastikforschung blieb von da an, mit dem frühen Höhepunkt zur Mitte der 1980er Jahre55 52 | Vgl. Marco Frenschkowski: Religionswissenschaftliche Prolegomena zu einer Theorie der Phantastik. In: Freund/Lachinger/Ruthner (Hg.): »Der Demiurg ist ein Zwitter«. München Fink 1999, S. 37-57; Marco Frenschkowski: Ist Phantastik postreligiös? In: Ruthner/ Reber/May (Hg.): Nach Todorov. Tübingen Francke 2006, S. 31-51. 53 | Marco Frenschkowski: Ist Phantastik postreligiös? S. 38. 54 | Rein A Zondergeld./H.E. Wiedenstried (Hg.): Lexikon der phantastischen Literatur. Stuttgart Weitbrecht 1998, S. 407f. 55 | Vgl. Peter Cersowsky: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Strukturwandel des Genres, seinen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und zur Tradition der »schwarzen Romantik« insbesondere bei Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Kafka. München Fink 19892.
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und abgesehen von geringeren Schwankungen bis heute eine der aktiven Nischen der deutschen Literaturwissenschaft. In den 1990er Jahren setzte auch eine Wiederbelebung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit religiöser (christlicher) Literatur ein, wobei die katholische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit genoss56. Das mag den Anschein erwecken, dass diese Erneuerungswelle eine Folge der Phantastikforschung oder gar eine Gegenbewegung zu jener gewesen wäre. Das kann punktuell auch nicht ausgeschlossen werden, aber der Hauptgrund ist anderswo, nämlich in der Besonderheit der Forschung zu religiösen und säkularisierten Entgrenzungsphänomenen zu suchen. Während die Literaturwissenschaft im allgemeinen nach stetiger Differenzierung ihres Forschungsgegenstandes strebt, was in den meisten Fällen auch gelingt, und die Literaturgeschichtsschreibung in Epochendarstellung zu einer Konzentration auf wenige markante Autoren, Werke und Ereignisse neigt, geht die Forschung zu den im weitesten Sinne religiösen Phänomenen der Moderne den umgekehrten Weg. In den letzten Jahren kamen neue Zuflüsse hinzu, zum einen durch die Wiederentdeckung alter religiöser Denksysteme z.B. der Gnosis57 oder des Mythos58 für die deutschsprachige Literatur der Moderne, zum anderen durch den Nachweis der Bedeutung außereuropäischer Religionen für diese Zeit59 . Dadurch wuchs nicht nur der Bestand an Autoren an, die unter diesen Gesichtspunkten den traditionellen Kanon der Moderne erweiterten, sondern auch die Klassiker der Moderne wurden unter dem neuen Bezugssystem einer Revision unterzogen. Das macht die Moderne gerade für die Rekanonisierungsbestrebungen der regionalen Literaturforschung interessant, die per definitionem gegen die Verengung der Epochen angeht. Diese Ausweitung kann durch die Kulturwissenschaft unterstützt worden sein, aber alle angeführten Studien befinden sich, jedenfalls nach meinem Verständnis, noch innerhalb der Grenzen und Möglichkeiten, die 56 | Vgl. Karl Josef Kuschel: »Vielleicht hält Gott sich einige Dichter…«. Literarisch-theologische Porträts. Mainz Grünewald 1991; Jutta Osinski: Katholizismus und deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Paderborn Schöningh 1993; Susanna Schmidt: »Handlanger der Vergänglichkeit«. Die Literatur des katholischen Milieus 1800-1950. Paderborn Schöningh 1994. 57 | Vgl. Michael Pauen: Dithyrambiker des Untergangs. Gnostisches Denken in Philosophie und Ästhetik der Moderne. Berlin Akademie 1994; Sloterdijk, P/Macho, Th. (Hg.): Weltrevolution der Seele. Zürich Artemis 1993. 58 | Vgl. Peter Tepe: Mythos & Literatur. Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung. Würzburg Königshausen & Neumann 2001. 59 | Vgl. Yoo Dong Lee: Taoistische Weltanschauung bei Franz Kafka. Frankfurt a.M. Lang 1985; Jinhyung Park: Rainer Maria Rilkes Selbstwerdung in buddhistischer Sicht. Frankfurt a.M. Lang 1990; Joseph Peter Strelka: Buddhistische Religiosität in der österreichischen Literatur von 1848 bis 1955. In: ders. Mitte, Maß und Mitgefühl. Wien Böhlau 1997, S. 6173; Joseph Peter Strelka: Kafka und China. In: I. Fiala-Fürst/J. Krappmann: Deutschböhmische Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2001, S. 327-346.
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eine philologisch ausgerichtete Literaturwissenschaft vorgibt. Es besteht also keine Gefahr, dass der Germanistik durch diese Ansätze ihr Gegenstand abhanden kommt.60 Ziel dieser Forschungen ist es »das Verhältnis von Theologie und Literatur offener zu gestalten«61 , um »die Geschichte dieses Spannungsfeldes zu rekonstruieren«62 . Dieses Spannungsfeld umfasst in der frühen Moderne auch die philosophischen, oder allgemeiner geisteswissenschaftlichen Theoreme, die eine Versöhnung zwischen den materialistischen Naturwissenschaften und der Religion anstrebten. Die Naturwissenschaften hingegen nutzten die Krise der Religion am Ende des 19. Jahrhunderts und die »bedenkenlose Wissenschaftsgläubigkeit«63, um ihrerseits ihre Erfolge auch auf den religiösen Bereich auszudehnen. Der Monismus Ernst Haeckels erreichte durch seine Verbreitung in populärwissenschaftlichen Schriften für einige seiner Anhänger den Status einer Ersatzreligion.64 Allerdings führt auch hier eine, auf einen Teilausschnitt konzentrierte Perspektive zu einer Verzerrung der tatsächlichen Umstände. Das ist das Problem zum Beispiel der Habilitationsschrift von Monika Fick Sinnenwelt und Weltseele (1993). Fick zeichnet äußerst erhellend die Geschichte des Monismus zum psychophysischen Monismus nach. Dadurch gelingen ihr Erklärungen, wie die Suche nach dem Sinn der Natur zur Suche nach dem Leben als Sinn des Weltganzen werden konnte. Die Textanalysen von Werken u.a. Hauptmanns, Musils und Rilkes werden daraufhin unter dieser Perspektive vorgenommen und sind ebenfalls in sich schlüssig. Nur dienen dieselben Autoren und mitunter dieselben Texte auch zur Exemplifizierung der Rezeption anderer Strömungen und Theoreme aus dem weiten Bereich der anderen Episteme zwischen Religion und Wissenschaft, wie u.a. gottlose Mystik65, Weltflucht66, magische Praktiken67 oder Okkultismus68. Die Basisbibliothek, die 60 | Vgl. die lebhaft und nicht immer vorurteilslos geführte Diskussion in den Jahrbüchern der Schiller-Gesellschaft Bd. XLII (1998) und XLIII (1999). 61 | Susanna Schmidt: »Handlanger der Vergänglichkeit«. Die Literatur des katholischen Milieus 1800-1950. Paderborn Schöningh 1994, S. 13. 62 | Ebd.: S. 14. 63 | Monika Fick: Sinnenwelt und Weltseele. Der psychophysische Monismus in der Literatur der Jahrhundertwende. Tübingen Niemeyer 1993, S. 51. 64 | Die Gründung des deutschen Monistenbundes 1906 verstärkte diese Wirkung noch. 65 | Vgl. Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende. Paderborn Schöningh 1997. 66 | Vgl. Christiane Barz: Weltflucht und Lebensglaube. Aspekte der Dekadenz in der skandinavischen und deutschen Literatur der Moderne um 1900. Leipzig und Berlin Edition Kirchhof und Franke 2003. 67 | Vgl. Robert Stockhammer: Zaubertexte. Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880-1945. Berlin Akademie 2000. 68 | Vgl. Gisli Magnusson: Rilke und der Okkultismus. In: Krappmann, J./Fiala-Fürst, I. (Hg.): Phantastik – Okkultismus – (Neo-)Mystik. Olomouc Universitätsverlag 2004, S. 115-
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Alfred Kubin seinem Adepten Fritz von Herzmanovsky-Orlando empfiehlt, verdeutlicht annähernd die Vielfalt und Kontiguität an Anregungen, die einem Autor dieser Zeit zur Verfügung standen69 . Überdies wurden von dieser Mannigfaltigkeit auch Autoren beeinflusst, die als Kernautoren einer bestimmten Richtung gelten. Als Schüler Haeckels popularisierte Wilhelm Bölsche den Monismus in auflagenstarken Werken wie Das Liebesleben in der Natur. In seinem Roman Die Mittagsgöttin lassen sich aber auch weitere Elemente der anderen Episteme vom Okkultismus über den Spiritismus bis zur Phantastik nachweisen. Im 1912 erschienenen Essayband Hinter der Weltstadt werden einige der Forderungen, die die avantgardistische Literatur der Moderne mitbegründen halfen, gar wieder revidiert. Stattdessen wird der Anschluss an ältere Positionen gesucht und unter anderem die standesbezogene Humanität einer Marie von Ebner-Eschenbach hervorgehoben. Nun ist bei Autoren wie Hauptmann, Musil und Rilke ein hoher Abstraktionsgrad mehrfach belegt, der bei vielen Autoren der deutschmährischen Literatur nicht so einfach vorauszusetzen ist. Er muss erst aus ihrem biographischen Werdegang und ihren Werken rekonstruiert werden. Mithin scheint es in der regionalen Literaturforschung geboten, offen mit diesem Themenkomplex umzugehen. Einschränkungen werden nur dort vorgenommen, wo sie sichtlich nicht dem Wissensstand des jeweiligen Verfassers entspringen können. Damit ist ein Stück weit auch die theoretische Zurückhaltung erklärt, da die in Frage kommenden theoretischen Modelle mit ihrem »Verzicht auf die ›regulative Idee‹ der Autorintention«70 zu Überinterpretationen führen könnten.71
132; Priska Pytlik: Okkultismus und Moderne. Ein kulturhistorisches Phänomen und seine Bedeutung für die Literatur um 1900. Paderborn Schöningh 2005. 69 | Fritz von Herzmanovsky-Orlando: Der Briefwechsel mit Alfred Kubin 1903-1952 (= Sämtliche Werke Band VII). Hg. und kommentiert von Michael Klein. Wien Residenz 1983, S. 44-46. 70 | Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende. Paderborn Schöningh 1997, S. 11. 71 | Auch wenn Selbstaussagen auf Grund der häufigen Stilisierungen keine sicheren Quellen darstellen, sind sie doch zur Verortung der Autoren innerhalb des breiten Feldes der anderen Episteme unverzichtbar. Vgl. auch Joerg Krappmann: Drei kritische Thesen zur Terminologie und Praxis der Phantastikforschung. In: J. Krappmann/I. Fiala-Fürst (Hg.): Phantastik – Okkultismus – (Neo-)Mystik. Olomouc Universitätsverlag 2004, S. 51-62.
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Jägerlatein Unter allen in den letzten Jahren unternommenen Versuchen der Prager deutschen Literatur unter Anwendung der Methodenvielfalt der letzten Jahrzehnte Neues abzugewinnen, ist Christian Jägers Habilitationsschrift Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel Prager- und sudetendeutscher Werke (2004) sicherlich der ambitionierteste. Positiv an diesen Versuchen ist die Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes. Dadurch kommen auch randständige Autoren innerhalb der Prager deutschen Literatur, vor allem aber Autoren aus der böhmischen und mährischen Provinz in den Genuss einer Neubewertung.72 Jäger sticht aus diesen Versuchen deutlich heraus, da er seinen theoretischen Zugang sorgfältig handhabt73 und ihn trotz einiger weniger Zugeständnisse an das äußerst heterogene Textkorpus in den Werkanalysen durchhält.74 Wie der Titel verrät, untersucht Jäger die Literatur aus Böhmen und Mähren unter den Prämissen der von Deleuze und Guattari aufgestellten Theorie einer kleinen Literatur. Diese wiederum entwickelten ihren Ansatz anhand einer Tagebuchnotiz Franz Kafkas (25. Dezember 1911), die sie einerseits in ihrer Bedeutung, andererseits in ihrer Reichweite missverstanden.75 Das mag zwar anzweifelbar sein, schadet aber insofern nichts, als man aus der formallogischen Schulweisheit weiß, dass ein Schluss aus zwei falschen Prämissen durchaus als wahr gelten kann. Die Schlüssigkeit des Konzeptes einer minoritären Literatur steht an dieser Stelle auch nicht zur Debatte,76 sondern lediglich ihre Anwendung auf die Literatur aus Böhmen und Mähren durch Jäger. Übergeordneter Anspruch Jägers ist es »dem literaturwissenschaftlichen Diskurs ein wenig von der gesellschaftlichen Relevanz zurück[zu]geben, die er seit
72 | Vgl. das umsichtige Kapitel zu F.C. Weiskopf in Tazuko Takebayashi: Zwischen den Kulturen. Deutsches, Tschechisches und Jüdisches in der deutschsprachigen Literatur aus Prag. Hildesheim Olms 2005. 73 | Im positiven Gegensatz etwa zu den methodologischen und literaturtheoretischen Unsicherheiten bei Susanne Fritz (2005) oder dem wenig schlüssigen Gemisch aus Gendertheorie, Postkolonialismus und Diskursanalyse bei Escher (2009). 74 | Anders bei Tazuko Takebayashi, der jedoch die zunehmende Ignoranz gegenüber ihrem, von Wierlachers interkultureller Germanistik diktierten Theoriekapitel zum Vorteil gereicht. 75 | Unter anderem unterliegen sie der irrwitzigen Annahme Kafka habe die Literatur in hebräischer Sprache, mithin also auch das Alte Testament, die Mischna usw., als kleine Literatur bezeichnet, wohingegen Kafka an dieser Stelle über die jiddische Literatur spricht (Kafka 1949: 147-150). Zur allgemeinen Kritik an den theoretischen Grundlagen von Deleuze/Guattari vgl. Klingmann (1990). 76 | Diese findet sich bei: Opletalová, Veronika: Rezension zu Christian Jäger: Minoritäre Literatur. In: Stifter Jahrbuch NF 21 (2007), S. 205-210.
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den siebziger Jahren zusehends verloren hat«77. In diesem Fall soll die Relevanz durch Werkanalysen einzelner Autoren aus der Literatur Böhmens und Mährens erfolgen, deren Auswahlkriterium nicht ganz aufgedeckt wird, aber wohl in größtmöglicher Vielfalt begründet liegt. Neben bekannten Autoren der Prager Moderne (Leppin, Oskar Baum) und des Expressionismus (Ungar) widmen sich die Kapitel auch Ludwig Winder, dem aus Mähren zugezogenen Mitglied des engeren Prager Kreises, dem Dadaisten Melchior Fischer und in einem Sammelabschnitt den pragerdeutschen Autorinnen.78 Zur ergänzenden Korrektur dieses Bildes zieht Jäger mit Hans Watzlik und Guido Erwin Kolbenheyer zwei der bekanntesten, aber auch der umstrittensten deutschböhmischen Schriftsteller heran und als weibliches (nicht mährisches) Pendant die aus Buchbergstal bei Würben stammende Hedwig Teichmann, die von Mühlberger in der zweiten Auflage seiner Literaturgeschichte in einer kurzen Notiz der Heimatliteratur zugerechnet wird, während er sie 1929 in der ersten Auflage auch noch unter den völkischen Autoren führte79 . Methodisch orientiert Jäger sich an der Chromatik, eine »verallgemeinerte Stilistik«, die die Definition der »abstrakten Maschine« erlaubt, die je nach Autor/ Werk »die Theorie aus ihrem Gegenstand herleitet, der sich nun allerdings nicht auf den Text verkürzen läßt, sondern dessen Position in einem Feld zu bestimmen versucht«, das »das Unbewußte ebenso umfaßt wie die Gesellschaft und beides in seiner Verkettung zu denken trachtet«80. Grundbedingung für eine chromatische Analyse ist die Betrachtung des Gesamtwerkes, da nur so die zentrale Perspektive des Schreibens, die Individuierung des Werks, aufgezeigt werden kann. Als Thema für eine solche Untersuchung bietet sich die Literatur Böhmens und Mährens nicht nur wegen der offensichtlichen Analogie zu Deleuze/Guattaris Kafka-Studie an, sondern wegen der klaren Dichotomisierung dieser Region in Prager deutsche und sudetendeutsche Literatur, die Jäger für allzu vereinfachend hält. Diese Fragestellung zielt auf Relativierung der Extreme und das Ergebnis der Untersuchung lautet schließlich auch: es gibt »weder die pragerdeutsche noch die sudetendeutsche Literatur«81, wobei die Betonung auf den bestimmten Artikeln liegt. 77 | Christian Jäger: Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel prager- und sudetendeutscher Werke. Wiesbaden DUV 2005, S. 37. 78 | Erfreulicherweise werden auch die frühen Werke Elisabeth Jansteins besprochen, die sie in den Zeitschriften Der Friede und Die Aktion publizierte. Unklar ist jedoch, warum die in Iglau geborene, in Wien lebende und im englischen Exil verstorbene Autorin im Kapitel über die pragerdeutschen Autorinnen verhandelt wird. 79 | Josef Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939. München Langen-Müller 1981, S. 350; Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen. Augsburg Stauda 1929, S. 87. 80 | Alle Zitate Christian Jäger: Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel prager- und sudetendeutscher Werke. Wiesbaden DUV 2005, S. 35. 81 | Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende. Paderborn Schöningh 1997, S. 11.
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Anspruch, Fragestellung und Ergebnis der Arbeit ist zunächst einmal beizupflichten. Trotzdem handelt es sich um keinen zufriedenstellenden Versuch, da manche Interpretationen den offensichtlichen Intentionen der Autoren und den historisch-sozialen Bedingungen der Zeit widersprechen. Letzteres wird hervorgerufen durch eine Reihe von sachlichen Fehlern, die auf einem unzulänglichen Umgang mit den spezifischen Umständen beruhen, die bei der Literatur aus Böhmen und Mähren zu veranschlagen sind. Unabhängig davon, ob man die Autorintention als Interpretationskategorie zulässt oder wie Jäger ablehnt, sollte die jeweilige Grundeinstellung gegenüber dem Leser deutlich gemacht und durchgehalten werden. Wenn jedoch im Kapitel zu Oskar Baum sowohl seine frühe Erblindung als auch seine jüdische Herkunft die Interpretationen einiger Texte weitgehend bestimmen, dann sind die Kategorien bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischt und erlauben die Frage, warum so nicht auch in anderen lohnenderen Abschnitten, etwa bei einigen der Prager Autorinnen oder bei Hermann Ungar vorgegangen wurde. Ärgerlicher sind Fälle, in denen die »abstrakte Maschine« weniger den Text selbst als die Voreinstellung des Interpreten geriert. Innerhalb der Ausführungen zu Teichmanns Roman Im Banne der Heimat (1922), ein typisches Produkt der Grenzlandliteratur, deren genrespezifische Komponenten Jäger jedoch nicht reflektiert, findet sich folgendes Zitat aus dem Originaltext: Im Gegenteil, der entfesselte Drache spie sein Gift immer tiefer ins Land, seine mächtige Tatze griff immer tiefer in deutsche Rechte ein. »Störrische« Beamte wurden entlassen, deutsche Schulen aufgelöst, Lehrer brotlos gemacht und unbequeme Beamte versetzt. Die deutschen Städte erhielten tschechische militärische Besatzung, Gemeindeverwaltungen wurden aufgelöst […]. Kein Mensch durfte mehr deutsche Farben tragen, in gemischten Orten nur heimlich deutsch sprechen. 82
Für Jäger ist diese Sprache »eigenartig stammelnd, die Syntax elliptisch, so dass sich die Minorisierungserfahrung als tiefsitzend schockhafte mitteilt. Der ansonsten gefällig dahinfließende Plauderton Teichmanns versagt vor dem Schrecken, den er mitzuteilen versucht«83 . Teichmanns ›Gestammele‹ folgt, von Jäger unbemerkt, tatsächlich einer ausgeklügelten und perfiden nationalistischen Metaphorik, die in nationalen Konfliktgebieten im 19. und 20. Jahrhundert häufig verwendet wurde. Der Feind, in diesem Fall das Tschechentum, wird animalisiert (Drache, Tatze) und folgerichtig heißt es am Ende der Passage ›kein Mensch‹ sprich ›kein Deutscher‹, dürfe sich mehr zu seiner Nationalität bekennen. Abgesehen davon, dass die Bewertung der Sprache Teichmanns als Stammeln den um Deutschkennt82 | Hedwig Teichmann: Im Banne der Heimat. Dresden 1922, S. 208. Zitiert nach: Christian Jäger: Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel prager- und sudetendeutscher Werke. Wiesbaden DUV 2005, S. 220. 83 | Ebd.: S. 220f.
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nisse an Grund- und Hauptschulen bemühten Lehrern die Zornesröte ins Gesicht treiben würde, kann auch von einem, in der Sprache sich manifestierenden Schrecken nicht die Rede sein. Die allmähliche Veränderung der nationalen Verteilungsund Machtverhältnisse in Böhmen und Mähren, die spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in der deutschen und tschechischen Tagespresse eifrig diskutiert wurde, ist wenig dazu geeignet, einen plötzlichen Schockzustand hervorzurufen. Überdies gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Anzahl einschlägiger literarischer Umsetzungen dieser Thematik, in deren Tradition sich Teichmann hier bewegt. Die Theorie, die Minorität finden muss, beherrscht den Text und konstruiert Unsinn. Dieser wird verschärft durch die politische Voreingenommenheit des Autors, denn laut Jäger ist »nichts von dem, was Teichmann als frappant und augenscheinlich frappiert schildert, […] aus der Sicht der raison d’etat ungewöhnlich oder abwegig, sondern völlig normal und rational«84 . Auch wenn die Tatsache bekannt ist, dass Hedwig Teichmann später aus dem national-völkischen Lager zum Nationalsozialismus überlief, darf ein Roman aus dem Jahr 1922 nicht von hinten her gedeutet, muss differenziert betrachtet werden. Im Zitat werden immerhin Berufsverbot, Einschränkung der sprachlichen Rechte und Eigenständigkeit, sowie militärische Besatzung als repressive Maßnahmen gegenüber der deutschen Minderheit beschrieben, die nach heute gültigen Kriterien der Minderheitenpolitik zumindest unter dem Signum der Fragwürdigkeit diskutiert werden würden. Um der Autorin, aber auch der ›Individuierung des Werkes‹ gerecht zu werden, sollten diese Argumente mit der historischen Wirklichkeit und den Lebensumständen abgeglichen werden, um den Grad der zweifelsohne nationalistischen Überzeichnung festzustellen. Das geringe Aufarbeitungsniveau der politisch-sozialen Situation in den böhmischen Ländern durch Jäger kann hier nicht im Einzelnen dokumentiert werden. Es verdichtet sich in Aussagen wie z.B. Kolbenheyer wäre »einer der wenigen sudetendeutschen Intellektuellen«85 gewesen. Wer das geistige Niveau der Provinzler derartig niedrig ansetzt, muss selbstverständlich erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass »als sudetendeutsch bezeichnete Autoren nach Prag studieren [gehen] und bisweilen sogar wie Emil Fischer für die dortige Presse«86 arbeiten. Die politische und künstlerische Vielfalt der Prager Presselandschaft, die sich allein bei einem Vergleich zwischen den Redaktionen des Prager Tagblattes und der Deutschen Zeitung Bohemia erschlossen hätte, wird ignoriert. Ebenso wenig darf allein die Beiträgerschaft von Hans Watzlik an Mühlbergers Zeitschrift Witiko, dem letzten landespatriotisch ausgerichteten Versuch, so gedeutet werden, dass er »neben jüdischen und urbanen Autoren für eine gemeinsame Kultur«87 eintrat. Das widerspricht 84 | Ebd.: S. 221. 85 | Ebd.: S. 551. 86 | Ebd.: S. 8. Hervorhebung durch den Verf. J.K. 87 | Ebd.: S. 546.
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den neueren Erkenntnissen über den Bohemismusdiskurs, dessen Bedeutung für die Autoren in Böhmen und Mähren von Jäger nicht wahrgenommen wird.88 Die heutzutage in Kreisen der Unternehmensberatung oft zitierte win – win – Situation, die der Ansatz Jägers durchaus ermöglichen würde, schlägt in ihr Gegenteil um, denn alle Seiten verlieren. Die regionale Literatur verliert, da sie aus dem Regen, in dem sie lange Zeit von der germanistischen Forschung stehen gelassen wurde, durch Jäger in die Traufe der Verallgemeinerung als sudetendeutsche Literatur gerät. Auch wenn der Begriff ›sudetendeutsche Literatur‹ in der Zwischenkriegszeit u.a. auch von Josef Mühlberger verwendet wurde und seine Herkunft zunächst nicht im politischen Agitationsfeld zu suchen ist, wurde er doch instrumentalisiert und steht in weiten Teilen der Bevölkerung unter Generalverdacht. Ein Vorurteil, welches anscheinend auch von Jäger geteilt wird. Kolbenheyer, Watzlik und Teichmann sind in gewisser Hinsicht sicherlich repräsentativ für einen Teil der Deutschen in der Tschechoslowakei. Als Korrektiv fehlt jedoch ein Autor, der sich nicht oder jedenfalls nur so weit wie es ein totalitäres Regime erfordert in die Machenschaften der Nationalsozialisten verstrickt hat. Beispiele allein in der deutschmährischen Literatur gibt es genügend. Hans Flesch-Bruningen, Mechtilde Lichnowsky oder August Scholtis würden auch thematisch und von den bevorzugten Gattungen her das Konzept der Arbeit nicht sprengen, das wahrscheinlich ein deutschjüdischer Autor aus der Provinz oder ein aktiver katholischer Widerstandskämpfer überfordern würde. Jäger kritisiert an regionalliterarischen Untersuchungen, dass »genau die Vorauswahl bestimmt, wie die Landschaft aussehen wird«89, muss sich diesen Schuh aber selbst anziehen lassen. Die Teilung in pragerdeutsche und sudetendeutsche Literatur evoziert zudem eine Geschlossenheit des sudetendeutschen Raumes, der in seiner Heterogenität unterschätzt wird, obwohl gerade dies vermieden werden sollte90. An keiner Stelle geht Jäger auf die kulturellen und bildungspolitischen Unterschiede zwischen Böhmen und Mähren ein. Die kulturelle Metropole für den Deutschböhmen Watzlik war Prag und späterhin Berlin, für die Deutschmährerin Hedwig Teichmann aber Wien. Daraus ergaben sich für die kulturelle und politische Ausrichtung der
88 | Bereits zum Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit (Habilitationsschrift Humboldt-Universität zu Berlin 2001) hätten wichtige Beiträge eingearbeitet werden können, z.B. Robert Luft: Zwischen Tschechen und Deutschen in Prag um 1900. Zweisprachige Welten, nationale Interferenzen und Verbindungen über ethnische Grenzen. In: Brücken Neue Folge 4 (1996), S. 143-169 und Steffen Höhne: Ethnische Diskurse in den böhmischen Ländern. In: Bohemia 40 (1999), S. 306-330; Steffen Höhne: Der Bohemismus-Diskurs zwischen 1800 und 1848/49. In: Brücken Neue Folge 8 (2000), S. 17-45. 89 | Ebd.: S. 8. 90 | Ebd.: S. 10.
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Autoren markante Unterschiede,91 die auch zur Jahrhundertwende die Prager deutsche Literatur beeinflussten92 . Die Differenzierungsproblematik betrifft also auch die Prager deutsche Literatur, da der schon erreichte Stand der Forschung nicht konsequent ausgebaut, ja hinter ihm zurückgeblieben wird. Prag verliert jedoch am wenigsten, da Jägers Werkanalysen in mancher Hinsicht etwas Erfrischendes haben und der gefestigte Forschungsstand als Regulativ gegen historisch und autorbezogen fragwürdige Formulierungen wirkt. Zu den Hauptverlierern gehört die regionale Literaturforschung, die von Jäger weitgehend ignoriert wird. Eine Hinterfragung der bisherigen theoretischen Grundlagen der regional orientierten Literaturwissenschaft, die doch zumindest in kritischer Abgrenzung bei der Analyse ›provinzieller‹ Autoren vonnöten gewesen wäre, fällt vollständig aus.93 Aus der literaturgeschichtlichen und -wissenschaftlichen Praxis der letzten Jahrzehnte werden »lediglich Dominanzen benannt«, die da lauten: »Karl [sic!] Krolop, Josef Mühlberger, Margarita Pazi, Jürgen Serke und Dieter Sudhoff«94 . Nicht alle sind unumstritten, aber alle sind oder waren dominant. Zur näheren Bestimmung des Forschungshorizontes ist man also auf das Literaturverzeichnis angewiesen und, so viel Zeugma muss sein, erstaunt. Auch ohne den berüchtigten Zählmeister aus Wagners Meistersingern ist die Rechnung schnell gemacht. Abzüglich 14 einzeln veranschlagten Beiträgen aus dem Band zur Weltfreundekonferenz von 1965, einigen Nachworten, Anthologien, zeitgenössischen Rezensionen und den wenigen älteren Beiträgen zu den bearbeiteten Autoren selbst, ergibt sich eine Zahl von knapp zehn Studien, wenn man die Bibliographie von Jürgen Born und die Essays des Journalisten Hans Heinz Hahnl 91 | Aus zeitgenössischer Sicht lieferten Julius Bab und Willi Handl (Wien und Berlin. Vergleichendes zur Kulturgeschichte der beiden Hauptstädte Mitteleuropas. Berlin Oesterheld & Co. 1918) einen launigen, aber aus interkultureller Perspektive heute noch aufschlussreichen Vergleich zwischen Wien und Berlin. Präziser, allerdings nur aus Sicht des deutschen Kaiserreichs beschäftigt sich Birgitt Morgenbrod (»Träume in Nachbars Garten«. Das Wien-Bild im deutschen Kaiserreich. In: G. Hübinger/W.J. Mommsen (Hg.): Intellektuelle im Deutschen Kaiserreich. Frankfurt a.M. Fischer 1993, S. 111-123) mit den kulturellen und kulturpolitischen Differenzen. 92 | Vgl. Kurt Krolop: Hinweis auf eine verschollene Rundfrage: »Warum haben Sie Prag verlassen?«. In: Germanistica Pragensia IV (1966), S. 47-64. Die älteren Arbeiten Krolops, die verstreut in schwer zugänglichen Zeitschriften oder Sammelbänden erschienen, liegen nun in einem Band vor. Vgl. Kurt Krolop: Studien zur Prager deutschen Literatur. Hg. v. Ehlers/Höhne/Nekula Wien Edition Praesens 2005. 93 | Wie das Literaturverzeichnis zum Erkennen gibt, wurden die Arbeiten von Norbert Mecklenburg, Hans Peter Ecker, Norbert Oellers, Walter Schmitz und Jürgen Joachimsthaler, um nur die wichtigsten Namen zu nennen, nicht eingesehen. 94 | Christian Jäger: Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel prager- und sudetendeutscher Werke. Wiesbaden DUV 2005, S. 12.
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mitzählt, also weniger als ein normaler Band der Brücken enthält, die, so weit ich es sehe, gar nicht berücksichtigt wurden. Tschechische Germanisten sucht man vergeblich. Auch die angekündigten ›Dominanzen‹ sind spärlich besetzt. Von Kurt Krolop findet sich nur die Dissertation zu Winder und der Weltfreundeaufsatz, von Mühlberger nur die zweite Auflage seiner Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen, von Dieter Sudhoff die Monographie zu Ungar und die Einleitung in die Prager deutschen Erzählungen. Nicht, dass es mir um Vollständigkeit ginge, aber genügt diese Auswahl, um Aussagen von folgender Reichweite treffen zu können: Im Bereich der Erforschung deutschsprachiger Literatur zwischen Jahrhundertbeginn und Ende des zweiten Weltkrieges aus dem tschechoslowakischen Raum existieren keine vergleichbaren Untersuchungen, die auf die vorstehenden Analysen leitend hätten wirken können, so dass ein fast leeres Feld konturiert wird in der Wahl von Untersuchungsraum und – zeit, das als einzige Größe Kafka aufweist.95
An dieser Stelle kann die Antwort noch zurückgehalten werden, da sich das Adjektiv »vergleichbar« auch auf die Methode beziehen könnte, und ja tatsächlich keine Arbeit unter den Vorgaben von Deleuze/Guatari in der böhmisch-mährischen Literatur vorliegt. Allenfalls darf angemerkt werden, dass diese Formulierung ungeschickt gewählt ist, darob auch eine Interpretation von »vergleichbar« im Sinne bisher mangelnder Qualität möglich wäre, wozu die Metapher des leeren Feldes zweifellos ihren Teil beiträgt. Doch wenig später heißt es tatsächlich, dass die Arbeit geschrieben wurde, »um zu einer ersten Karte deutschsprachiger Literatur im tschechischen Raum zu gelangen«96. In diesem Falle einer wissenschaftsgeschichtlichen Traditionsverweigerung sei es erlaubt auf die germanistische Vorzeit zurückgreifen und einige Persönlichkeiten anzuführen, denen füglich das Recht zukommt, als erste die literarische Landschaft Böhmen, Mähren und Österreichisch Schlesien vermessen zu haben: Christian d’Elvert, Oskar Teuber, Karl Schrattental, Rudolf Wolkan, Josef Mühlberger und Wilhelm Szegeda, aus deutschösterreichisch nationaler Perspektive noch Ottokar Stauf von der March, Alfred Maderno und Herbert Cysarz, dazu die breit angelegten Literaturgeschichten von Nagl/Zeidler/Castle und Josef Nadler. Letztendlich verliert also auch Jäger selbst, da sich die aufgelisteten Mängel und die Unsicherheiten über die Zusammenhänge gegen seinen eigenen, gut gemeinten und leider rar gewordenen Anspruch richten. Die wissenschaftliche Beschreibung eines regionalen literarischen Phänomens, und das sind die Prager deutsche Literatur und die ›sudetendeutsche‹ Literatur jede für sich und eben auch beide zusammen, ist anderen Kriterien unterworfen als gattungsgeschichtliche, thematische oder epochengeschichtliche Untersuchungen. Regionale Literaturforschung gewinnt schnell eine politische oder weltanschauliche Dimension, vor 95 | Ebd.: S. 544. 96 | Ebd.
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allem wenn es sich wie im Fall Böhmens und Mährens um ein national und damit auch kulturell umkämpftes Gebiet handelt. Die Gefahr von Jägers Buch allgemein wurde beschrieben.97 Für denjenigen, der mit der Literatur und den historisch und kulturpolitischen Entwicklungen auf diesem Gebiet einigermaßen vertraut ist, ist die Lektüre trotzdem eine spannende und nützliche. Jägers Minoritäre Literatur zeigt aber auch, dass sich gerade Böhmen und Mähren wenig als Experimentierfeld oder Verkostungsstube neuer Theorien eignen. Jedenfalls erscheint dies nur dann möglich, wenn der unter anderen methodischen Schwerpunkten, seien es positivistische oder nur philologische, erreichte Wissenstand auch über die Literatur hinaus mitreflektiert wird. In diesem Sinne ist das Buch ein wichtiges, und bildet eine, wenn auch poröse Säule dieser Arbeit.
Kurt Krolop und das historische Raumgefühl Der Wissenstand für die Prager deutsche Literatur auszumachen, ist leicht, da er sich in einer Person konzentriert. Inzwischen sind es drei Festschriften, die einerseits die eigenen wissenschaftlichen Leistungen Kurt Krolops herausstellen, andererseits belegen, dass noch jede Arbeit, die sich der Literatur aus und in Prag im engeren oder weiteren Sinn widmet(e), Krolops Vorarbeiten als tragende Säule anerkennen muss(te), wenn der Bau nicht in sich zusammenfallen soll.98 Unumstritten stehen die beiden Konferenzen in Liblice am Beginn einer modernen Auseinandersetzung um die Prager deutsche Literatur. Leider wurden zu lange nur die vereinheitlichenden Beiträge von Paul Reimann und Eduard Goldstücker als konzeptionelle und definitorische Beschreibungen der Prager deutschen Literatur wahrgenommen, während Kurt Krolops Studie Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts« zwar als hervorragende Darstellung des literarischen Umfelds, aber eben nur als solche
97 | Sie wird potenziert durch Rezensenten, die nicht mit der Forschungsgeschichte und der Literatur dieses Raumes vertraut sind und deswegen auf die theoretische Leistung abheben, ohne den regionalliterarischen Flurschaden zu berechnen. So gewinnt das Buch für Uwe Schütte »den Charakter einer Geschichte einer historischen Landschaft […], die es für solche Leser interessant macht, die sich primär über die Prager-sudetendeutsche Literaturszene informieren wollen« (Uwe Schütte: Rezension zu Christian Jäger: Minoritäre Literatur. In: Zeitschrift für Germanistik XVI – 1/2006, S. 174-176.) 98 | Vgl. Ehlers/Höhne/Maidl/Nekula (Hg.): Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Tschechoslowakei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag. Frankfurt a.M. Lang 2000; Kurt Krolop: Studien zur Prager deutschen Literatur. Hg. v. Ehlers/Höhne/Nekula Wien Edition Praesens 2005; Becher/ Höhne/Nekula (Hg.): Kafka und Prag. Literatur-, kultur-, sozial- und sprachhistorische Kontexte. Köln Böhlau 2012.
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Eingang in die Forschung fand99 Freilich verleiten die 236 Fußnoten, die auf eben so vielen Seiten, dem 25seitigen Text nachgestellt sind zu dieser Auffassung, aber der Aufsatz ist auch in methodologischer und kulturwissenschaftlicher Sicht »regionale Literaturschreibung as its best. Natürlich schafft auch Krolop eine Einheit, aber er zeigt die Vielheit in dieser Einheit im Detail auf«100. Die filigrane Kontextualisierung, die Krolop vornimmt, führt eben nicht nur, wie man annehmen könnte, zu einer präzisen Kenntnis der Prager deutschen Literatur als Stadtliteratur, sondern weist im Gegenteil stets darüber hinaus auf die regionale Literatur in Böhmen und Mähren. Trotz aller Fest- und Geburtstagshuldigung steht eine auf die Arbeitsweise Krolops konzentrierte Studie noch aus, und auch hier kann nicht der Ort für eine umfassende methodisch-theoretische Auswertung sein. Da die Methode Krolop aber für diese Arbeit und die Olmützer Schule leitend ist, soll zumindest ein knapper Einblick anhand eines kürzeren Artikels über Rilkes schriftstellerische Anfänge im nordböhmischen Regionalkontext gegeben werden.101 Ausgangspunkt ist im besten Sinn des New Historicism eine Anekdote. Als Rilke mit dem Ansuchen um Abdruck im November 1892 einige seiner Gedichte an die Redaktion der Mittheilungen des Nordböhmischen Excursions-Clubs schickte, unterzeichnete er aus Gewohnheit mit Maria René Rilke. In Folge kommt es zu einem Briefwechsel zwischen dem Fräulein Rilke und Anton Paudler, dem »prominentesten Redakteur« und »eigentlichen spiritus rector«102 der Zeitschrift mit dem Ergebnis, dass schließlich das Gedicht Wohin? veröffentlicht wird. Wie es das Schicksal so will erscheint es direkt neben dem Nachruf auf Rilkes Onkel, Jaroslav Rilke Ritter von Rüliken, der zu den Gründungsmitgliedern des Exkursions-Clubs gehörte. Man könnte nun Publikation und Mitgliedschaft als interregionale Variante des von Karl Tschuppik für Prag beklagten Phänomens »Nepotismus und Cliquenwesen« verbuchen,103 aber darum geht es Krolop nicht. Vielmehr wird nun René Rilkes titelgebende räumliche Sinnsuche mit der inhaltlichen Komponente des Nachrufs verwoben, in dem Jaroslav Rilkes zeitlebens bestehende 99 | Vgl. Kurt Krolop: Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts«. In: E. Goldstücker (Hg.): Weltfreunde. Prag 1967, S. 47-96; zur Kritik am Umgang Joerg Krappmann: Anschwellender Bocksgesang. Eine Prager Coverversion mit Rilke. In: Almut Todorow/Manfred Weinberg (Hg.): Prag als Topos der Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2011, S. 31-45. 100 | Manfred Weinberg: Region, Heimat, Provinz und Literatur(wissenschaft). In: Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňá ček (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 48. 101 | Kurt Krolop: Maria René »für eine Vertreterin des schönen Geschlechtes angesehen«. Rilkes Anfänge im nordböhmischen Regionalkontext. In: Ders.: Studien zur Prager deutschen Literatur. Wien Edition Praesens 2005, S. 11-18. 102 | Ebd.: S. 13. 103 | Karl Tschuppik: Über Nepotismus und Cliquenwesen. In: Prager Tagblatt. Nr. 93/ XXXI (4.04.1906), S. 6-7.
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enge Beziehung zu seiner Heimat Böhmisch-Leipa, wo auch die Mittheilungen erscheinen, betont wird. Im gleichen Heft der Mittheilungen erschien nun auch, nebst Nachruf und Gedicht, Anton Paudlers Artikel Eine deutschböhmische Literatur (1893), in der er einige an der von ihm mitherausgegebenen Anthologie Spitzberg-Album. Dichtungen aus Nordböhmen gewonnenen grundsätzlichen Einsichten zur regionalen Literatur präsentiert.104 Krolop folgert: »der siebzehnjährige Poet dürfte nicht umhin gekonnt haben, auch diese, seine Gedichtpublikation umrahmenden, familien- und stammesgeschichtlichen einschlägigen Beiträge zur Kenntnis zu nehmen«105 . Einmal auf die Spur gesetzt, Rilkes späterhin deklarierte Heimatlosigkeit mit dieser heimatlichen Grundbindung zu korrigieren, führt der Weg zu den finanziellen Unterstützungen, die dem Dichter von der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen gewährt wurden, in der August Sauer eine führende Position einnahm. Seine Aufnahme in das Förderprogramm ersucht Rilke 1899 nun nicht mehr so überraschend mit dem Argument einer festen Heimatbindung: »Im übrigen muß ich nicht betonen, dass ich mich, trotz meiner längeren Abwesenheit von Prag (…) im Gefühle nicht entfernt habe von meiner Heimat; im Gegentheil: sie wird mir immer untrennbarer Eines mit meiner Kindheit und so immer theurer, intimer und fruchtbarer für meine Kunst«106. Da sich diese Bekundungen bis zum 1. Weltkrieg eher noch verstärken, scheinen sie doch mehr eigenem Empfinden als opportunistischen Gepflogenheiten bei Antragsstellungen zu entsprechen. Es geht hier aber nicht um den Ertrag für die Rilke-Forschung, sondern um die Methode.107 Aus einer positivistisch-philologischen Neugier entspringt die genaue Zeichnung des kulturellen Hintergrunds der gesamten Region. Die Differenz zwischen dem bedeutenden Schriftsteller und seinen weniger bekannten Mitstreitern im Kulturleben der Provinz ist zu beiderseitigen Vorteil aufgehoben. Um dies jedoch zu bewerkstelligen, ist die Kenntnis entlegener Texte und Quellen notwendig, die Lust sie aufzustöbern, sowie die Fähigkeit sie auch literaturgeschichtlich und kulturwissenschaftlich einzuordnen. Letzteres entspricht dem von Kurt Krolop häufig beschworenen historischen Raumgefühl. Die Vermischung von Lyrik, Studien, Anthologien, Briefen und Todesnachrichten beweist überdies, dass der Überwin-
104 | Vgl. Anton Paudler/Franz Hantschel (Hg.): Spitzberg-Album. Dichtung aus Nordböhmen. Leipa Widinsky 1883. 105 | Kurt Krolop: Maria René »für eine Vertreterin des schönen Geschlechtes angesehen«. Rilkes Anfänge im nordböhmischen Regionalkontext. In: Ders.: Studien zur Prager deutschen Literatur. Wien Edition Praesens 2005, S. 15. 106 | Ebd.: S. 16. 107 | Der Ertrag darf immerhin auch nicht zu gering angesetzt werden, da die Briefwechsel Rilke/Paudler und Rilke/Sauer bis zu Krolops Aufsatz von 1998 unveröffentlicht und wohl auch unentdeckt blieben.
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dung der Grenze zwischen Gattungen, zwischen Literatur und Gebrauchstexten, kein poststrukturalistisches Modell zugrunde liegen muss.
Ein Amerikaner in Wien Es ist vielleicht nicht ungewöhnlich, aber doch unüblich einer wissenschaftlichen Monographie ein Geleitwort voranzustellen. Im Fall von William M. Johnstons Synopse Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1939108 sind zwei Gründe denkbar, die dafür den Ausschlag gegeben haben könnten. Da es sich um den ersten Band der Reihe Forschungen zur Geschichte des Donauraumes handelt, könnte das von Friedrich Heer verfasste Geleitwort als Einführung in Konzeption und Ziele der Reihe gemeint sein, wenn denn nicht Heer mit keiner Zeile, noch nicht einmal mit dem Wort selbst, auf die Reihe eingehen würde, sich hingegen ausschließlich auf den zweiten Grund konzentriert: »Ein amerikanischer Kolumbus entdeckt einen Kontinent.«109 Johnston wagt es, mit der schönen Unbefangenheit eines Mannes aus der Fremde, der nicht verwirrt ist durch Haß und Neid und Zwist unserer innerösterreichischen Kämpfe, einen uns Österreichern weitgehend unbekannten Kontinent vorzustellen. […] Johnston stellt sich in seiner Einleitung selbst die Frage: wie kommt es, daß so viele glänzende Erscheinungen des österreichischen Geisteslebens vergessen oder schief angesehen, abgewertet wurden?110
Im Zusammenhang dieser Arbeit ist die Antwort auf die Frage, wodurch diese Entwicklung ausgelöst wurde, weniger wichtig als die Entwicklung der Rezeption des österreichischen Geisteslebens selbst. Übersieht man, und man wird sich schwer dabei tun, die Publikationen in der Nachfolge Johnstons zum Zeitraum zwischen 1848 und 1938, dann ist die Einstufung der österreichischen Kultur und Literatur in diesem Zeitraum als unbekannter Kontinent im Februar 1974 kaum nachzuvollziehen. Allein die Bücher, die sich mit der Wiener Moderne beschäftigen, füllen Regale. Auch wenn bei Heer die kulturpessimistische Attitüde des Konservativen mit zu veranschlagen ist,111 handelt es sich bei dieser Wiederentdeckung um einen der gelungensten Fälle von Rekanonisierung. Sie bestimmt inzwischen über den akademischen Bereich hinaus auch die markt- und werbestrategischen Überlegun-
108 | William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938. Wien Böhlau 1980 2. 109 | Friedrich Heer: Entdeckung eines Kontinents. In: William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848-1938. Wien Böhlau 1980 2, S. 13. 110 | Ebd. 111 | Gegen die Überzeichnung als leeres Feld spricht schon das ausgiebige Literaturverzeichnis bei Johnston.
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gen der Ökonomen. Johnstons Buch also als Hoffnungsträger für die regionale Literatur aus Böhmen und Mähren? Auch, aber nicht nur. Zu den Vorzügen der Arbeit gehören auch die mutigen Textinterpretationen, eigenwilligen Querverbindungen und ungewöhnlichen Feststellungen von Schüler-Lehrer Verhältnissen, denen zuliebe Heer die unverstellte Perspektive des amerikanischen Historikers betont. Der essayistische Stil, die Mischung von verbürgten Tatsachen und verwegenen Schlussfolgerungen streifen in manchen Passagen die Grenze zum Tragikomischen.112 Sie verleihen der Studie aber auch den Grad an Lesbarkeit, der sie bis heute auszeichnet.113 Selten sind die Vergleiche, Wertungen und Aussagen richtig falsch, meistens ist etwas am Falschen richtig und der Leser verbringt viel, aber lohnende Zeit damit, den genauen Sachverhalt zu recherchieren. Ein Beispiel aus dem Abschnitt zu Böhmen und Mähren, der mit »Böhmischer Reformkatholizismus« überschrieben ist, mag einen Einblick in die Arbeitsweise Johnstons geben. Für ihn prägt das lange 19. Jahrhundert in Böhmen der »Vernichtungskampf zwischen Tschechen und Deutschen in Böhmen«114 . Er führt die historischen Gründe an, die zu der Auseinandersetzung führten, und zeigt an einigen Beispielen die unterschiedliche Bewertung kultur- und innenpolitischer Entwicklungen in Böhmen und Mähren durch die beiden Volksstämme. Entscheidendes Kriterium für die Dissonanz zwischen Deutschen und Tschechen ist aber für Johnston letztendlich die Sprache: »Nach 1880 etwa weigerten sich die Deutschen Prags, Tschechisch zu lernen, und zogen es vor, jenes ›Kuchelböhmisch‹ zu sprechen, bei welchem schlecht ausgesprochene Wörter in deutsche Syntax gezwängt wurden«115 . Kuchelböhmisch (oder auch Kucheldeutsch) ist ein Neologismus, der seine Herkunft in sich trägt. Er nimmt Bezug auf die tschechischen Dienstboten, die in den Häusern der deutschen Oberschicht ihre Arbeit versahen, und sich deswegen die deutsche Sprache so weit anlernten, dass sie mit der ›gnädigen Frau‹ im Haushalt und eben auch in der Küche kommunizieren konnten. Der Begriff wird also im deutschen oder auch deutschjüdischen Bürgertum genau umgekehrt verwendet wie bei Johnston. Johnston bezieht sich in der Beschreibung des »Kuchelböhmisch« fast ausschließlich auf die Erinnerungen Fritz Mauthners. Mauthners Jugend verlief nun tatsächlich anders als die der meisten literarischen Kollegen in 112 | »Ein weiterer Repräsentant dieser Epoche [des Biedermeiers, J.K.] war der außergewöhnlich langlebige Rudolf von Alt (1812-1905), der die Bauwerke Wiens in seinen Gemälden – typischen Veduten – minutiös detailliert festhielt. Im hohen Alter noch wurde er – ohne sich darüber selbst klar zu werden – zu einem Pionier des Pointilismus, als er dazu überging, Farbflecken einander gegenüberzustellen, da seine Hand keinen Pinselstrich mehr auszuführen vermochte« (William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 151). 113 | 2006 erschien wiederum im Böhlau-Verlag eine Neuauflage. 114 | William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 271. 115 | Ebd.: S. 273.
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Böhmen und Mähren, denn er wuchs in der mehrheitlich tschechischen Kleinstadt Hořitz auf. Um mit seiner Umwelt zu kommunizieren, war er also sehr früh gezwungen, einige tschechische Lexeme und Phraseologismen in seine deutsche Muttersprache zu integrieren. Der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung lebte jedoch in Städten mit höherem deutschen Bevölkerungsanteil. Die besondere Situation Mauthners darf demnach nicht verallgemeinert werden. Falsch, weil zu einseitig, ist sicherlich auch die Einlassung, die Deutschen hätten sich pauschal geweigert, Tschechisch zu lernen. Für das Bürgertum in Prag und anderen Städten war ein Erlernen des Tschechischen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen nicht notwendig, da auch die tschechische Klientel Handelsgespräche in deutscher Sprache führen konnte. Anders verhält es sich mit der deutschjüdischen Bevölkerung, die, besonders wenn sie Handelskontakte zu ländlichen Gegenden unterhielt, sehr wohl Tschechisch sprach. Zudem gibt es eine Reihe von künstlerischen und geistigen Bestrebungen innerhalb der Deutschen in Böhmen und Mähren, die gerade gen Ende des 19. Jahrhunderts versuchten, durch Übersetzungen den nationalen Konflikt zu befrieden. Und schließlich gab es auch das Phänomen des Bilingualismus, der nicht immer, aber häufig die Folge von deutsch-tschechischen Mischehen war. Gänzlich unklar, aber deswegen interessant, bleibt die von Johnston gewählte Jahreszahl 1880, da sie keinem der mit dem sogenannten »Sprachenkampf« in Verbindung gebrachten Daten entspricht.116 Trotz der falschen Beweisführung und Gewichtung der These kommt Johnston jedoch zu dem richtigen Schluss, dass die Deutschen in den böhmischen Ländern den politischen Konflikt mit dem aufstrebenden Tschechentum immer stärker auch als Bedrohung ihrer kulturellen Hoheit empfunden hätten. Sie fürchteten, »daß die Tschechen sie eines Tages überwältigen würden«117. Daraus gewinnt Johnston ein überraschendes Erklärungsmoment für die Entwicklung der Literatur und Philosophie in Böhmen: »Deutsche Intellektuelle begannen den Rassenkonflikt auf den Kosmos zu projizieren, sie schufen Visionen von einem Bürgerkrieg im Himmel, bei welchem ein guter und ein bösartiger Gott einander bekämpften«118 . Die Mischung aus religiösem und politischem Dualismus identifiziert Johnston als gnostische Kosmologie im Sinne Marcions, und spricht weiterhin von den Marcioniten in Prag, zu denen er hauptsächlich Paul Adler, Franz Kafka, Max Brod, Paul Kornfeld und Franz Werfel zählt. Natürlich ist es unzulässig die Prager deutsche Literatur auf diese wenigen Autoren zu reduzieren, und selbstverständlich sind dualistische Kosmogonien und Mythologien ein Kennzeichen aller gnostischen Strömungen, nicht nur der Sonderform des Marcionismus. Sieht man jedoch von diesen Schwächen ab, dann erkennt Johnston hier aus seiner ›ameri116 | Pillersdorfer Handschreiben (1848), Beginn der Regierung Taaffe (1879), Kuchelbader Schlacht (1881), Trennung der Prager Universitäten (1882), Badeni-Stürme (1897). 117 | William M Johnston.: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 275. 118 | Ebd.
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kanischen‹ Perspektive ein Merkmal der Prager deutschen Literatur, das erst viel später in Monographien zu den einzelnen Autoren Bestätigung gefunden hat.119 Johnston selbst dehnt den Wirkungskreis seiner gnostischen Interpretation nicht über Prag hinaus aus. Philosophie und Kulturwissenschaft konstatierten aber in der Folge allgemein ein »wachsendes Interesse an gnostischen Vorstellungen«120 in der frühen Moderne. Die Berücksichtigung der Gnosis als Denkmodell schafft einen neuen Zugang zur Erklärung der phantastischen Literatur in Böhmen und Mähren (u.a. Kubin, Strobl, Spunda), der mit religionswissenschaftlichen Ansätzen besser beizukommen ist als mit dem strukturalistischen Instrumentarium der Phantastikforschung seit Todorov.121 Der Hinweis auf die ›gnostische‹ Grundlage apokalyptischer Untergangsvisionen in der deutschsprachigen Literatur aus Böhmen und Mähren ist schließlich auch für die Grenzlandliteratur fruchtbar zu machen, die oft die politischen Argumentationen durch religiöse Momente überhöht. Die literarische Entwicklung (nicht nur) in Prag ist für Johnston Ausdruck einer Entwicklung der österreichischen Philosophie, die bewusst andere Wege einschlug als die Philosophie in Deutschland. Hauptmerkmal einer spezifisch österreichischen Philosophie ist nach Johnston der bis ins 20. Jahrhundert reichende Einfluss von Leibniz und Herbart. In diesem Zusammenhang weist Johnston auf Philosophen hin, die aus Böhmen und Mähren stammen oder in dieser Region ihr Wirkungsfeld fanden (u.a. Robert Zimmermann, Christian von Ehrenfels, Josef Popper-Lynkeus oder Othmar Spann). Sie fielen aus dem Kanon der Philosophiegeschichte ebenso heraus wie die Schriftsteller dieser Region. Eine gesonderte österreichische Philosophie stieß bis vor kurzem manchmal noch auf vehemente Ablehnung. Inzwischen ist auch auf dem Gebiet der österreichischen Philosophie eine Rekanonisierungsbewegung entstanden, die zum Teil auf Johnstons Arbeit beruht, und mit dem hier angestrebten Versuch zur deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur in vielem vergleichbar ist.122 119 | Vgl. Wilhelm Haumann: Paul Kornfeld. Leben – Werk- Wirkung. Würzburg Königshausen & Neumann 1996; Becker, Britta: Metaphysische Sehnsucht und existentielle Verzweiflung. Kabbalistische Motivik und Gnosis ohne Erlösung in Erzählungen Franz Kafkas. Freiburg Diss. 2003. 120 | Michael Pauen: Dithyrambiker des Untergangs. Gnostisches Denken in Philosophie und Ästhetik der Moderne. Berlin Akademie 1994, S. 9. 121 | Als Katalysator gnostischer Mythologeme in der Moderne wird nun auch die umfassende Gnosisinterpretation des Mährers Eugen Heinrich Schmitt anerkannt. 122 | Vgl. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik: Vergessene Impulse der Wiener Philosophie um die Jahrhundertwende. Eine philosophiehistorische Skizze wider den main stream verdrängenden Erinnerns. In: J. Nautz/R. Vahrenkamp (Hg.): Die Wiener Jahrhundertwende. Wien Böhlau 1996 2, S. 181-201; Kurt Hübner: Der mystische Rationalismus der deutschen Philosophie Böhmens im 19. Jahrhundert und seine Entwicklung. In: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste Band 17 München 1996, S. 1-18; Peter
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Die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur in Olmütz Die Arbeitsbedingungen der eigenen Institution zu loben, ist wohl eher in einer Danksagung angebracht als in einer Einleitung zu den Grundlagen einer wissenschaftlichen Studie. Da es hier aber hauptsächlich um wichtige Vorarbeiten inhaltlicher und methodischer Art geht, ohne die die Arbeit nicht oder so nicht zustande gekommen wäre, sind die Mitglieder der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur eben auch eine der tragenden Säulen, für die dieses Kapitel konzipiert wurde. Beide Platzierungen sind gleich denkbar und so erscheint es vielleicht unziemlich, aber doch auch unabwendbar, dass dieses Kapitel in einer Mischform ausklingt. Unter der Führung der Arbeitsstelle erschienen seit ihrer Gründung 1998 24 Publikationen wissenschaftlicher Art, 5 Übersetzungen in der Reihe poeta moravicae, es wurden 14 Konferenzen abgehalten und zahlreiche wichtige Kontakte zu internationalen Institutionen geknüpft. Dazu kam der Aufbau zweier neuer Studiengänge, Mediävistik und Judaistik, die in ihrer wissenschaftlichen Ausrichtung ebenfalls auf das Gebiet Böhmen und Mähren spezialisiert sind. Der Aufbau wäre nicht so zügig vonstatten gegangen, wenn nicht in der Zeit des totalitären Regimes bereits wichtige Vorarbeiten geleistet, Kenntnisse zur deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur präsent gehalten worden wären. Ohne den sicheren Rückgriff auf die Publikationen von Lucy Topol’ská und Ludvík Václavek, die seit einigen Jahren gesammelt vorliegen123, hätten sich die ersten Ansätze gewiss in dem Gewirr der Quellen und Archivalien verloren. Über die wissenschaftlichen Arbeiten hinaus wurden von beiden Wissenschaftlern (und Lehrern im besten, weil einzigem Sinn des Wortes) Richtlinien und methodische Grundsätze vorgegeben, die einen Weg durch die Detailfülle und aus der Detailfalle wiesen. Trotz der Vorarbeiten konnte von einer Detailfülle vor zehn Jahren noch nicht die Rede sein. Diese wurde erst allmählich durch Zeitungs- und Zeitschriftenrecherche, durch Sichten der Sekundärliteratur und systematisches Durchforsten von Archiven auf den Stand gebracht, der heute zu einem geringen Teil in Internetdatenbanken und im Lexikon der deutschmährischen Autoren dokumentiert ist. Ohne die unterschiedlichen Materialien der sogenannten »Mappen«, die von Studierenden aller Ausbildungsstufen angesammelt wurden, hätte dieses Buch, so wie es nun vorliegt, nicht geschrieben werden können. Viele der Studierenden, die bereits im Grundstudium zum Mitarbeiterstab der Arbeitsstelle stießen, wandten sich in Diplomarbeiten und Dissertationen selbst regionalliterarischen Themen zu. Das ist sicherlich der Tatsache zuzuschreiben, dass deutschmährische und deutschböhmische Themen häufig zum Gegenstand von Seminaren und VorStachel: Leibniz, Bolzano und die Folgen. Zum Denkstil der österreichischen Philosophie, Geistes- und Sozialwissenschaften. In: Karl Acham (Hg.): Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften Bd. 1. Wien Passagen 1999, S. 253-296. 123 | Vgl. L. Topol’ská/L. Václavek: Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Olomouc Universitätsverlag 2000.
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lesungen gemacht wurden, zeugt aber eben auch von der Akzeptanz der Studierenden diesem wenig zeitgeistig anmutendem Unterrichtsgegenstand gegenüber. Da die regionale Literatur auf den ersten Blick und wohl auch einige weitere kaum das Potential zum Hype hat, weder cool noch scharf daherkommt, müssen die Gründe für das kontinuierliche Interesse auf einer anderen Ebene liegen. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Zusammenspiel von Entdeckerlust und Selbstbestätigung, um die doppelte Freude, einerseits einem an sich spröden Thema Neues und Interessantes abgewonnen zu haben und andererseits Lob und Anerkennung für die geleistete Arbeit von den Leitern der Arbeitsstelle und den Gästen einzuheimsen, die auf der Suche nach Material die Arbeitsstelle bevölkern. Es ist die Bestätigung auf dem wissenschaftlichen Sektor etwas Wichtiges geleistet zu haben, die bei Referaten und Hausarbeiten bis hin zu Abschlussarbeiten, die sich der Hochliteratur widmen, gemeinhin ausbleibt. Wohl eines der wenigen Beispiele für eine positive Interpretation des Sprichwortes: Unter den Blinden ist der Einäugige König. In diesem Fall war ich in vielen Bereichen der Blinde und froh, auf das Material der Studenten zurückgreifen zu können. Deswegen wird in dieser Arbeit nicht nur aus wissenschaftlichen Aufsätzen und Monographien zitiert, sondern vielfach auch aus diesen unveröffentlichten studentischen Abschlussarbeiten, eine Textgattung, die sonst eher dazu bestimmt ist in Universitätsarchiven ehrwürdigen Staub aufzusaugen. Durch das Internet ist nun ein Medium gefunden, sie unkompliziert und in großer Zahl dem interessierten Publikum zugänglich zu machen, wodurch eine Rekanonisierung der regionalen Literatur zugleich dokumentiert und gefördert werden kann. Damit sind die Säulen bezeichnet und der Bogen zurückgeschlagen an den Anfang des Kapitels.
D REI DEUTSCHE L ITER ATUREN In den Jahren 1990 bis 1992 erreichte die Auseinandersetzung mit der Prager deutschen Literatur einen Höhepunkt, der durch eine Zusammenarbeit tschechischer Forscher und ihrer Kollegen aus der ›freien‹ Welt geprägt war. Eine wissenschaftliche Kooperation, die seit den Zeiten des Prager Frühlings und damit den (zumindest in der tschechoslowakischen Germanistik) berühmten Konferenzen in Liblice unterbunden war. Ermöglicht wurde diese neue Gemeinsamkeit durch den Fall der kommunistischen Gewaltherrschaften, nicht nur an Moldau und March. Doch sind die politischen Veränderungen kein hinreichender Grund für die zahlreichen Publikationen zur Prager deutschen Literatur, die zu Beginn der 90er Jahre im Vergleich zu den sporadischen Forschungsergebnissen der vorangegangenen Jahrzehnte in diesem Bereich einen ungeheuren Aufschwung dokumentieren. Eingedenk produktionstechnischer Abläufe, Planung von Konferenzen, Themenwahl und Einarbeitungszeit scheint die Zeitspanne zwischen »Samtener Revolution« und dem Erscheinungsdatum der Monographien und Sammelbände
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recht kurz bemessen für die Erarbeitung von Studien oder größeren wissenschaftlichen Texten. Für die notwendige Inkubationszeit hatte aber bereits Jürgen Serke mit seinen Böhmischen Dörfern gesorgt, die 1987 erschienen und eher zufällig durch die veränderten politischen Rahmenbedingungen Unterstützung erfuhren. Serke entstammt nicht der universitären Germanistik, sondern dem Journalismus. Dies ist der Arbeit anzumerken und vielfach wurde kritisiert, dass das textanalytische Vermögen des Verfassers mit dem zweifelsohne großen Gespür für eine fesselnde Präsentation der Autorenbiographien nicht im Einklang stehe. Die Kritik, die späterhin gerade von der tschechischen Germanistik erhoben wurde, ist hinsichtlich der Fehler im bibliographischen Apparat und wegen der mangelnden Kenntnis und Fehleinschätzung der zeitgenössischen Bedingungen berechtigt.124 Trotzdem entfachten die Böhmischen Dörfer eine Neugier für Themen und Autoren, die bis zu dieser Zeit nur am Rande des germanistischen Interesses standen. Dieser Trend der westdeutschen Germanistik, sich mit Schriftstellern aus den böhmischen Ländern zu befassen, traf auf deren Öffnung für den europäischen Wissenschaftsraum und ermöglichte so die Konjunktur der Prager deutschen Literatur. Unterstützt wurde dieser rasche Zusammenschluss durch diejenigen Germanisten in der Tschechoslowakei und in der DDR, die in der Zeit der »Normalisierung«125, teilweise unter erheblichen Repressionen, ihre Forschungen weitergeführt hatten. Michael Schardt und Dieter Sudhoff sehen in dieser Phase sogar einen »Paradigmenwechsel«, eine Abkehr von der Konzentration auf die großen Prager Autoren Rilke, Kafka und Werfel, die zugleich eine Wende zu dem »gesamten Spektrum der Prager deutschen Literatur zwischen Neuromantik und Neuer Sachlichkeit«126 indizierte. Auch ein hoffnungsvoller Ausblick in die Zukunft fehlt nicht:
Es ist daher kein Wunder, daß gerade in den letzten Jahren, im Zuge eines europäischen Umdenkens, hier ein Bewußtseinswandel eingesetzt hat, der endlich auch die relativ weniger bekannten, gleichwohl aber literarisch bedeutenden Autoren (wie Ernst Weiß, Hermann Ungar oder Leo Perutz) nachhaltig in den Blick der Öffentlichkeit rückt. Davon zeugen diverse Werkausgaben ebenso wie eine forcierte wissenschaftliche Aufarbeitung der verlorenen deutschen und jüdischen Tradition in Böhmen. Der demokratische Umbruch in der Tschechoslowakei dürfte diese Entwicklung und das Leserinteresse noch weiter fördern.127
124 | Ludvík E. Václavek: Die Prager deutsche Literatur und Kurt Krolop. In: Brücken Neue Folge 4 (1996), S. 219f. 125 | Realsozialistischer Euphemismus für erzwungene Linientreue in der Zeit nach 1970. 126 | Dieter Sudhoff/Michael M. Schardt (Hg.): Prager deutsche Erzählungen. Stuttgart Reclam 1992, S. 10. 127 | Ebd.
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Nach 15 Jahren ist es an der Zeit, diese Erwartungshaltung auf ihre Ergebnisse zu überprüfen. Dies ist gleichbedeutend mit einer allgemeinen Diagnose des gegenwärtigen Standes der Forschung zur Prager deutschen Literatur. Der Fokus ist bei diesem Überblick auf die übergeordneten Konzeptionen, Thesen, Wertungen und Terminologien gerichtet, die sich auf die Prager deutsche Literatur als Phänomen der Moderne beziehen. Monographien zu einzelnen Autoren werden nur vereinzelt als Belegstellen herangezogen oder in den folgenden thematischen oder motivgeschichtlichen Kapiteln berücksichtigt. Im Vordergrund soll der Befund stehen wie er auch Eingang in die literaturgeschichtlichen Epochendarstellungen findet, die ebenfalls vom Einzelfall abstrahieren müssen. Das Resultat entspricht – so viel sei vorweggenommen – der medizinischen Wortwahl. »Autoren im Schatten Kafkas«128, Hartmut Binders bis heute gern zitierter Untertitel ist das Schlagwort für die Konjunkturphase zu Beginn der 90er Jahre. Binder, Vollmer und Sudhoff widmen sich in dieser Studie u.a. Hans Klaus, Karl Brand und Ernst Feigl. Binder fasst in der Einleitung die Metapher wortgetreuer auf als die meisten derjenigen, die sie danach im Munde führten. Die Autoren Binders standen zu ihrer Zeit tatsächlich im Schatten Kafkas, erreichten selten eine Bedeutung, die über Prag hinausreichte und fielen auch in zeitgenössischen Literaturgeschichten nur als Marginalien auf und damit kaum ins Gewicht. Doch bereits kurz nach Erscheinen der Prager Profile wurde das Bild auf alle Autoren ausgeweitet, die nicht zum Triumvirat (nebst Kafka, Rilke und Werfel)129 der international Anerkannten gehörten, ohne Rücksicht darauf, ob ihre literarischen Leistungen den durch die Schaffenszeit Kafkas vorgegebenen Rahmen vorgelagert waren, oder ihn überschritten. Nicht Kafka selbst ist es, der den Schatten wirft, sondern die Forschung zu Kafka, die in ihrer Konzentration auf den Ausnahmecharakter seines Werkes auch sein Leben zur Ausnahme werden lässt. Banale Alltäglichkeiten kommen durch die Erhöhung Kafkas für die Textanalysen ebenso wenig mehr in Betracht wie seine Anbindungen an die zeitgenössische Literatur
128 | Hartmut Binder (Hg.): Prager Profile. Vergessene Autoren im Schatten Kafkas. Berlin Gebr. Mann 1991. 129 | Max Brod ist diesbezüglich ein Sonderfall, da seine internationale Anerkennung nicht oder nur in zweiter Linie durch seine literarische Produktion begründet ist. Die Geltung definiert sich vielmehr über seine Rolle als Förderer der jungen Prager Autoren und seine enge Verknüpfung mit dem Werk Kafkas. Zudem bieten seine beiden autobiographischen Schriften der Forschung einen authentischen, wenn auch subjektiven, Einblick in die Prager Literaturszene. Nur innerhalb des ›Ostblocks‹ hatte auch Egon Erwin Kisch eine Ausnahmestellung in der germanistischen Forschung inne, die sich u.a. an den Inhaltsverzeichnissen der Zeitschrift Brücken ablesen lässt. Seine Werke galten als systemkonform, da er als ›Kundschafter des Proletariats‹ (Milan Tvrdík: Die germanistische Konferenz in Liblice. In: Philologica Pragensia. Jg. 68 (1986) Heft 3, S. 114) angesehen wurde.
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und Kultur in Prag und in der Provinz, jedenfalls so weit sie seinen Rang in der Sichtweise der Interpreten verringern würden.130 Es wäre vermessen hier den Weg der Kafka-Forschung nachzuzeichnen, aber es lassen sich doch zwei konkurrierende Dominanten angeben. Zum einen die ausgiebige biographische Forschung, die vor allem von Hartmut Binder betrieben wurde.131 Hier wird penibel jedem Pragbezug nachgespürt, um ihn in Relation zu den literarischen Texten zu setzen. Ein sicherlich übertriebener Biographismus, der für die Rezeption anderer Prager deutscher Schriftsteller schädlich ist, da sie nur noch als Staffage für das große Werk Kafkas dienen. Im Gegensatz dazu steht diejenige Kafkaforschung, die sich allein auf die Textgestalt bezieht und den Autor selbst nur in so weit gelten lässt als er zu psychologischen oder gar psychoanalytischen Theoriespielen taugt. Die Bedeutung Prags für Kafka wurde dabei immer geringer, bis seiner Herkunft aus den kulturellen Kontexten Böhmens und Mährens schließlich gar keine Relevanz mehr zugesprochen wurde.132 Damit wurde natürlich auch eine Aufarbeitung des literarischen Umfelds von Kafka obsolet. Rilke und Werfel entwickelten, wenn auch in geringerem Umfang, einen limitierenden Einfluss auf die Behandlung der Prager Autoren, da sich die Forschung eher werkimmanenten Aspekten zuwendete oder andere Lebensabschnitte betonte.133 Ohne Kafka kommen freilich auch diejenigen Sammelbände nicht aus, die Ende der 80er Jahre die Konjunkturphase der Literatur aus Prag einleiteten. »Prager deutschsprachige Literatur zur Zeit Kafkas« lautet der Titel zweier Konferenzen in Klosterneuburg, wodurch dem neuen Trend Ausdruck gegeben wird. Unter130 | Deswegen gibt es trotz der anhaltenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kafka noch keine Studien, die seine Zuneigung zur Heimatkunstbewegung (Kunstwart) oder zur österreichischen Provinzkunst (Bartsch, Ginzkey) untersuchen. Vgl. hierzu die Lektüre die Kafka seinem Freund Max Brod empfiehlt (Max Brod: Der Prager Kreis. Stuttgart 1966, S. 91). 131 | Hartmut Binder (Hg.): Kafka-Handbuch. Stuttgart Kröner 1979. 132 | Höhepunkt dieser Entwicklung ist sicherlich die Monographie von Oliver Jahraus: Kafka. Leben-Schreiben-Machtapparate. Stuttgart Reclam 2006. Die tschechische Germanistik versuchte stets zwischen den beiden Positionen regulierend einzugreifen, konnte sich aber aus den bekannten politischen Gründen lange Zeit nicht durchsetzen. Ansätze zu einer Überwindung der Spaltung zeigen die Beiträge in Becher/Höhne/Nekula (Hg.): Kafka und Prag. Köln Böhlau 2012. 133 | Im von Manfred Engel herausgegebenen Handbuch sind die Kulturräume, die für das Schaffen Rilkes von Bedeutung waren, im Kapitel »Kontakte und Kontexte« zusammengefasst. Ägypten, Frankreich, Italien, Russland, Skandinavien, Spanien und der Schweiz sind jeweils eigene Abschnitte gewidmet, Prag und Böhmen nicht, obwohl dazu interessante Einsichten vorliegen. Vgl.: Manfred Engel (Hg.): Rilke Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart Metzler 2004; P. Demetz/J.W. Storck/H.-D. Zimmermann (Hg.): Rilke – ein europäischer Dichter aus Prag. Würzburg Königshausen & Neumann 1998.
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suchungsobjekt sind nun diejenigen Autoren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts, jedenfalls in den Augen Berliner Feuilletonisten, Prager Herkunft als conditio sine qua non für ein erfolgreiches Schriftstellerdasein erscheinen ließen. Die Neubewertung umfasste in etwa den Zeitraum, den Max Brod im »Prager Kreis« vorgegeben hatte, von Fritz Mauthner und Auguste Hauschner, deren literarische Sozialisation noch vor der Moderne lag, über den Vorexpressionisten Paul Leppin und die Altersgenossen Kafkas bis zu den jüngeren Prager Autoren, etwa Johannes Urzidil und Jan (Hans) Gerke. Die Studien im Einzelnen sollen weder aufgelistet noch besprochen werden. Ihr Wert für die Literaturwissenschaft ist unbestritten, wenn er auch – das liegt in der Natur der Sache – nicht bei allen Beiträgen gleich hoch anzusetzen ist. Überschaut man die Publikationstätigkeit dieser Phase als Ganzes, so sind jedoch zwei Auffälligkeiten zu bemerken, die in gewisser Hinsicht miteinander in Verbindung stehen. Schnell bildete sich eine stabile Hierarchie heraus, eine Abstufung der Autoren unterhalb der großen Exponenten, die am Rezeptionsgrad ablesbar ist. Ihre Akzeptanz manifestiert sich einerseits in den wissenschaftlichen Studien, die ihnen gewidmet sind, andererseits unterschwellig in Aufzählungen exemplifizierenden Charakters wie im oben angeführten Zitat von Schardt/Sudhoff. Neben E. Weiß, Perutz und Ungar bevölkern die erste Stufe unter dem Sockel Meyrink und Urzidil, etwas abgesetzt folgen Kornfeld, Winder und Egon Erwin Kisch. Diese Hierarchie unterliegt zwar sanften temporären Schwankungen, die sich allerdings nur auf die hinteren Positionen auswirken. Unberührt davon bleiben einzelne Autoren, die auch bei wiederholter Begutachtung durch den literaturgeschichtlichen Rost fallen. Sie sind die zweite Auffälligkeit und es sind keineswegs bloß Randfiguren der Prager Literaturszene, die davon betroffen sind. So gelang es bisher nicht, Oskar Baum in eine höhere Stellung zu manövrieren, obwohl er laut Brod zum ersten Viergestirn des engeren Prager Kreises zählte und trotz der Wiederveröffentlichung seines Romans Die Tür ins Unmögliche in der einschlägigen, von Serke initiierten Reihe des Zsolnay Verlags.134 Ähnlich und doch anders verhält es sich mit Felix Weltsch. Innerhalb der Germanistik ist sein Schaffen lebendig, doch steht sein theoretisches Werk außerhalb des genuinen Interesses philologischer Analysen. Die Philosophen im Umfeld der Prager deutschen Literatur haben es generell schwer, sich gegen die methodologischen und gnoseologischen Entwicklungen in ihrer Fachdisziplin zu behaupten, die spätestens seit den 20er Jahren in ihren Hauptströmungen eine andere Richtung einschlugen. Liberalismuskritik und Kantapologetik, Kosmogonie und Rassenhygiene haben ihre Aktualität für die Philosophie verloren, wurden durch den Nationalsozialismus diskreditiert oder ins
134 | Oskar Baum: Die Tür ins Unmögliche. Wien Zsolnay 1988.
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Niemandsland zwischen den Fachdisziplinen verwiesen, so dass weder Max Steiner noch Christian von Ehrenfels nach dem 2. Weltkrieg reüssieren konnten.135 Warum aber konnte sich Oskar Baum nicht durchsetzen? Allein an der etwas unglücklichen Edition der Tür ins Unmögliche, die ohne kommentierende Einlassung eines Herausgebers auskommen musste, kann es nicht liegen, denn auch die Textausgaben von Perutz oder Winder in dieser Reihe sind nicht leserfreundlicher gestaltet. Zumindest Skepsis ist angebracht, ob »die wesentlich bedeutenderen Erzählungen oder Romane aus dem Leben der Blinden«136 ein breiteres Publikum gefunden hätten als der 1919 publizierte, expressionistisch angehauchte Roman. Warum immer noch nicht Otto Roeld und immer wieder nicht Hermann Grab? Beide werden im Schlussabschnitt des Prager Kreises von Max Brod dringlich zur Neuauflage empfohlen, und die Verlage folgten dieser Aufforderung des Mentors der Prager Literatur, im Fall Hermann Grabs sogar mehrfach. Otto Roeld, der eigentlich Rosenfeld hieß, bis er »den Senf aus seinem Namen eliminiert hatte« wie Torberg bezüglich seines eigenen Umgangs mit seinem jüdischen Geburtsnamen süffisant anmerkt,137 wird inzwischen selbst in eingehenderen Publikationen zur Prager Literatur nicht mehr berücksichtigt. Sein Roman Malenski auf der Tour (1930), eines der beeindruckendsten Zeugnisse der Neuen Sachlichkeit in den böhmischen Ländern, nimmt in vielen Punkten psychologische und gesellschaftskritische Aspekte vorweg, die Arthur Miller in Tod eines Handlungsreisenden knapp 20 Jahre später dramatisierte. Bezeichnenderweise fehlt Roelds Name auch in der Bibliographie zur Prager deutschen Literatur, die von Jürgen Born herausgegeben wird, dessen Dokumentationsstelle in Wuppertal der institutionalisierte Ausdruck des Willens der Konjunkturphase ist, die Prager deutschen Literaten aus ihrem Schattendasein zu befreien.138 Den Ausgaben Grabs fehlen nicht die fachkundigen Kommentare wie Oskar Baum. Ernst Schönwiese schrieb ein Nachwort für den Erzählungsband Hochzeit in Brooklyn und Peter Staengle zeichnet für eben dieses in der publikumswirk-
135 | Zu Max Steiner vgl.: Kurt Krolop: Ein Prager Frondeur in Berlin: Max Steiner. In: M. Pazi/H.D. Zimmermann (Hg.): Berlin und der Prager Kreis. Würzburg Königshausen & Neumann 1991, S. 81- 100 und Jörg Krappmann: Max Steiner. Apologet der Konsequenz. Olomouc Universitätsverlag 2009. Zu Ehrenfels vgl. Reinard Fabian (Hg.): Christian von Ehrenfels. Leben und Werk. Amsterdam Rodopi 1986. 136 | Klára Šim ů nková: Die jüdische Thematik im Werk zweier deutscher Autoren aus Prag. Oskar Baum und Ludwig Winder auf der Suche nach ihrer (jüdischen) Identität. Olomouc Masch. Diplomarbeit 1995, S. 13. 137 | Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch oder der Untergang des Abendlandes in Anekdoten. München dtv 199115, S. 120. 138 | Vgl. Jürgen Born (Hg.): Deutschsprachige Literatur aus Prag und den böhmischen Ländern 1900-1925. München Saur 1993 2.
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samen Taschenbuchausgabe zum Stadtpark im Fischer Verlag.139 Doch auch bei diesem Versuch hielt sich die Resonanz in bescheidenem Rahmen. Obwohl die literarischen Vergleiche und Beeinflussungen, die Weg- und Zeitgenossen für das Werk Grabs fanden, mit Kafka und Proust nun nicht gerade zurückhaltend ausfielen, zählt er noch immer zum festen Bestandteil aller Veröffentlichungen, die sich mit den Vergessenen oder Verkannten der deutschen Literatur beschäftigen. Zu Hermann Grab gibt es noch weniger wissenschaftliche Äußerungen als zu Baum und vielen anderen140, denn die drei erwähnten Autoren stehen hier nur als Stellvertreter für zahlreiche andere Angehörige der Prager deutschen Literatur, die bisher ihrer wissenschaftlichen und/oder literarischen Entdeckung harren. Fragt man nach dem Grund für diese Nichtberücksichtigung, so kann die Antwort nicht einheitlich ausfallen. Das Problem des vernachlässigenden Rezeptionsverhaltens zerfällt zudem in zwei Sektoren, einen marktorientierten und einen kritisch-interpretativen, die sich in den letzten Jahrzehnten sehr weit auseinander bewegt haben. Der erste Sektor kann hier nicht zur Debatte stehen. An einer erfolgreichen Buchpublikation sind gegenwärtig ästhetische Gesichtspunkte nur mehr in geringem Ausmaß beteiligt. Verlage, die von Verkaufszahlen abhängig sind, vertrauen auf empirische Umfragen unter den Lesern/Käufern und andere demoskopische Instrumente und unterhalten Marketingabteilungen, die das finanzielle Risiko bei Publikationen minimieren sollen. Nicht, ob und wo ein Autor (wieder-)gedruckt wird, ist entscheidend für eine gute Position in den Verkaufslisten, sondern wie der Verfasser und sein Buch medial vermarktet werden. Kritische Leser mögen an dieser Stelle einwenden, dass dieser Klageruf über die Ökonomisierung des Buchmarktes in die argumentative Leere führe. Gab es nicht schon im frühen 20. Jahrhundert triviale Bestseller und standen diese nicht neben – ebenso verkaufsträchtigen – Autoren, die bis heute in Seminaren und Vorlesungen als Träger der Hochkultur vermittelt werden? Der kritische Leser hat in diesem Fall recht, dazu genügt ein möglicherweise ernüchternder, jedenfalls aber aufschlussreicher Blick in die Bibliographie von Richards.141 Topseller der Zwischenkriegszeit sind die Buddenbrooks mit einer Auflage von 1,3 Millionen bis zum Jahr 1936. Remarques Im Westen nichts Neues hält Platz drei und mit Die Weise von Liebe und 139 | Hermann Grab: Hochzeit in Brooklyn. Mit einem Nachwort von Ernst Schönwiese. Wien Bergland Verlag 1957; Hermann Grab: Der Stadtpark und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort von Peter Staengle. Fischer Frankfurt a.M. 1985. 140 | Lucy Topol’ská: Die Welt des Prager Stadtparks im Werk von Hermann Grab. Germanica Olomucensia VI Prag 1986, S. 115-123 (Neudruck in: Ingeborg Fiala-Fürst (Hg.): Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Olmütz Universitätsverlag 2000, S. 298-308). Der Beitrag beinhaltet auch die Kritik an der zwar biographisch wertvollen, aber werkanalytisch untauglichen Dissertation von Hobi. Vgl.: Karl Hobi: Hermann Grab. Leben und Werk. Diss. Freiburg (Schweiz) 1969. 141 | Donald Ray Richards: The German Bestseller in the 20th Century. A complete Bibliography and Analysis 1915-1940. Bern Lang 1968.
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Tod des Cornets Christoph Rilke ist auch ein Dichter aus Prag in den vordersten Rängen zu finden. Vor und nach Rilke rangieren Waldemar Bonsels Biene Maja, die zahllosen Romane Rudolf Herzogs und unvermeidlich mehrfach Hedwig CourthsMaler. Das Gegensatzpaar Qualität und Trivialität ist folglich kein Kriterium für literarischen Erfolg oder Misserfolg. Allgemeingültige Kriterien lassen sich in diesem Bereich kaum angeben, sie gelten meist nur für Gruppen oder Zeitabschnitte. Letztlich entscheidet die interpretative Einordnung und Rezeptionsgeschichte des einzelnen Textes.142 Kann in diesem Sektor eine Erfolgsanalyse nicht geleistet werden, so treten im zweiten Sektor, der kritischen oder geisteswissenschaftlichen Rezeption, die Indizien klarer zu Tage, am klarsten in der, nun schon mehrfach angesprochenen Anthologie Prager deutsche Erzählungen des Reclam Verlages. Jede Anthologie fußt auf Auswahlkriterien und besitzt repräsentativen Charakter. Der Repräsentationsgrad ist abhängig von der Zahl der Auswahlsammlungen, die es zu einem literarisch oder regional abgegrenzten Gebiet gibt. Eine Anthologie zu deutschsprachigen Erzählungen nach 1945 wird nicht exklusiv tradiert werden, da jeder Taschenbuchverlag eine derartige Zusammenstellung bereits auf den Markt gebracht hat. Da Anthologien zur Prager deutschen Literatur seltener sind, wird die Auswahl von Schardt und Sudhoff zwar nicht den normativen Charakter eines Konstantinos Kephalas erreichen, doch darf ihr Wirkungspotential auch zwanzig Jahre nach der Erstauflage nicht zu gering angesetzt werden. Drei Kriterien legen die Herausgeber ihrer Auswahl zugrunde, explizit ein gattungstheoretisches und ein, wissenschaftsgeschichtlich bedingt, ideologisches, implizit ein semi-gattungstheoretisches. Offensichtlich ist die Konzentration auf erzählende Texte. Diese Einschränkung führt zu kleineren Verzeichnungen, da sicherlich Camill Hoffmann oder Elisabeth Janstein in einer Lyrikanthologie besser zur Geltung gekommen wären und auch bei Rilke und Werfel ließe sich anmerken, dass Gedichte zumindest ihre Prager Schaffensphase besser charakterisiert hätten. Dabei handelt es sich jedoch um unausweichliche Folgeerscheinungen einer begrenzten Auswahl. Folgenschwerer ist, dass ein Topos der Prager Literatur nur implizit bedient wird, den Rolf Geißler in seiner ganzen Problematik umreißt: Die poetische Literatur aus und über Prag enthält den genius loci dieser Stadt bis auf den heutigen Tag, so sehr wissenschaftliche und politische Rasenmäher ihn auch zu eliminieren versuchen. Für die Literatur ist Prag nur oberflächlich ein geographischer Ort, ein sozialer Raum. Das, was man den Geist der Stadt nennen muß, bricht bei allen künstlerischen Erzeugnissen immer wieder durch. Man hat ihn als phantastisch und magisch zu beschreiben versucht, ohne immer klar angeben zu können, was man damit meint. Jedenfalls zieht er sich durch die Geschichte von den Gründungslegenden über die Alchemistenküchen des 142 | Vgl. die Differenzen zwischen dem durchaus erhellenden Vorwort und den Werkinterpretationen in: Marianne Weil (Hg.): Wehrwolf und Biene Maja. Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen. Berlin Edition Mythos 1986.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE 16. und 17. Jahrhunderts bis zu heutigen Autoren, dem »Schwarzen Theater« und den Fernsehserien von »Pan Tau« und dem »Fliegenden Ferdinand«.143
Um nicht ebenfalls als Rasenmäher in die Regale funk- und fernsehbekannter Heimwerkermärkte zu wandern, muss der angedeutete Einwand ausführlicher erläutert werden. Nicht erst seit Rippelino wird Prag als magische Stadt empfunden und beschrieben und nicht erst seit Claudio Magris verlaufen sich literarische Studien gern in Gässchen, Hinterhöfen und Durchhäusern, obwohl sie eigentlich dazu angetreten waren, die unheimliche, die mystische und magische Stadt Prag als Mythos zu entlarven.144 Mitte des 19. Jahrhunderts setzt im deutschen Sprachraum eine Dämonisierung und Mystifizierung der Prager Judenstadt ein, die Peter Demetz für den Aufstieg Prags als Hort der Mystik verantwortlich macht.145 Zur Jahrhundertwende wurde dieser Topos von der Prager deutschen und der europäischen Literatur aufgegriffen und nach dem Abriss des Ghettos auch in andere Stadtviertel Prags übertragen.146 Für Herbert Fritsche, einen der frühesten monographischen Bearbeiter Gustav Meyrinks, ist Prag 1935 ohne Abstriche die »Hochburg abendländischer Geheimwissenschaft«, prädestiniert zur Imagination okkulter Weltbilder.147 Im frühen 19. Jahrhundert überwiegt noch die Zahl der Besucher, die der ›Magie‹ der Stadt nicht unterlagen, etwa Grillparzer oder Johann Friedrich Reichardt, dem Prag »doch im ganzen eine herrliche, alte Stadt« ist, »so winklicht und finster es auch in mehreren ihrer Straßen aussehen mag«.148 Also nicht wegen, sondern trotz der von der Neoromantik propagierten Atmosphäre wirkt die Stadt auf den 143 | Rolf Geißler: Zur Lesart des magischen Prag (Perutz, Meyrink, Kafka). In: literatur für leser 1989 (2), S. 159. 144 | Angelo Maria Ripellino: Magisches Prag. Tübingen Wunderlich 1982 (Erstdruck Turin 1973); Claudio Magris: Prag als Oxymoron. In: Neohelicon. Acta comparationis litterarum universarum 7 (1979/80), Bd. 2, S. 11-65. 145 | Vgl. Peter Demetz: Die Legende vom magischen Prag. In: Ders.: Böhmische Sonne – Mährischer Mond. Wien Deuticke 1996, S. 143-166. 146 | Als Beginn der europäischen Rezeption des ›magischen‹ Prag gilt allgemein der Roman The Witch of Prague (1891) von Francis M. Crawford, der ab 1929 in deutscher Übersetzung vorlag. Zu Crawford vgl. Rein A. Zondergeld/Holger E. Wiedenstried: Lexikon der phantastischen Literatur. Stuttgart Weitbrecht 1996, S. 96f. 147 | Herbert Fritsche: August Strindberg – Gustav Meyrink – Kurt Aram. Drei magische Dichter und Deuter. Prag Neubert & Söhne 1935, S. 2. 148 | Johann Friedrich Reichardt: Vertraute Briefe geschrieben auf einer Reise nach Wien und den österreichischen Staaten zu Ende des Jahres 1808 und zu Anfang 1809. Eingeleitet und erläutert von Gustav Gugitz. München 1915. Zitiert nach: Traugott Krischke (Hg.): Einladung nach Prag. München Langen Müller 1966, S. 112. Bemerkenswert ist, dass diese nüchterne Reisebeschreibung zeitgleich mit Meyrinks Golem und damit zum Höhepunkt des magischen Prag erschien.
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Betrachter. Diese Zeugnisse bestätigen die Ausbreitung des Mythos Prag zur Jahrhundertwende in Form eines doppelten Regresses. »Die Schriftsteller, die Prag in den sechziger Jahren beschwören, mythisieren es in dergleichen Weise, wie es bereits fünfzig Jahre vorher geschehen war.«149 Die Prager Autoren der expressionistischen Zeit leugnen diesen Mythos nicht, obwohl sie ihn nicht ausdrücklich für die Anziehungskraft Prags verantwortlich machen. Für ihre Abwanderung aus der Stadt geben sie durchwegs realitätsbezogene, d.h. politische, soziale oder finanzielle Gründe an.150 Dass die tschechische Prager Literatur gleichzeitig und gleichrangig am Ausbau dieses Topos Anteil hatte, wurde bereits mehrfach nachgewiesen und muss hier nicht im Einzelnen aufgelistet werden. Somit greifen heute kritische Einwände nicht mehr, die eine »traditionelle Gegenüberstellung des deutschsprachigen und tschechischen Prag-Bildes (mythisierte Stadt der Vergangenheit versus aufstrebende Metropole der Zukunft)« als zu vereinfachend reklamieren.151 Allerdings sollte auch in diesem Bereich der Rippelino-Faktor nicht zu hoch werden. Die Aussage, »daß im Stadtgrundriß von Prag zahlreiche irrationale Momente zur Geltung kommen«152 , ist wenig hilfreich. Derartige spekulativen Urteile unterstützen das Misstrauen, welches die Vertreter neuer Methoden, seien sie kulturwissenschaftlicher, diskursanalytischer oder dekonstruktivistischer Prägung, gegenüber der traditionellen philologischen Germanistik hegen. Das Unbehagen am Überkommenen verursacht wiederum eine oft vorschnelle Abkehr von Ergebnissen und Positionen, die über einen langen Zeitraum wissenschaftlicher Auseinandersetzung erarbeitet wurden.153 Erwartungsgemäß wurden in einer Stadt, die ihren Reiz in der »Spannung zwischen Geistigem und Körperlichem, Transzendentalem und Weltlichem, Rätselhaftigkeit und Banalität«154 findet, auch Gegenbilder konzipiert, die einer einseitigen Etikettierung der Stadt als »magische« widersprechen. Die am Sozialismus 149 | Magris: Prag als Oxymoron, S. 14. 150 | Vgl. Kurt Krolop: Hinweis auf eine verschollene Rundfrage: »Warum haben sie Prag verlassen?«. In: Germanistica Pragensia IV (1966), S. 47-64. Nun auch in: Kurt Krolop. Studien zur Prager deutschen Literatur. Festschrift zum 75. Geburtstag. hg. v. K.-H. Ehlers, S. Höhne, M. Nekula. Wien Edition Praesens 2005, S. 89-102. 151 | Georg Escher: Ghetto, Großstadt, Genius loci. Pragliteratur des 20. Jahrhunderts als Stadtnarrativ. www.oeaw.ac.at/likt/archiv/jourfixe/05_03/04escher.pdf (18.05.2009). 152 | Kv ě ta Hyršlová: Prag als Stadt der Desillusionen für deutschreibende Prager Dichter. In: Prager deutschsprachige Literatur zur Zeit Kafkas (Teil 2). Wien Braumüller 1991, S. 47. [Hervorhebung vom Verf. J.K.]. 153 | In dieser Abkehr besteht auch der größte Fehler in Christian Jägers Arbeit zur pragerdeutschen und sudetendeutschen Literatur. Vgl. die Passagen zu Jäger im Kapitel »Sieben Säulen«. 154 | Kvě toslav Chvatík: Die Prager Moderne. Erzählungen, Gedichte, Manifeste. Suhrkamp Frankfurt a.M. 1991, S. 347.
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orientierten Autoren der Zwischenkriegszeit u.a. Louis Fürnberg und F.C. Weiskopf entwarfen rationale Stadtbilder unter Einbezug der Arbeitervorstädte, die auch schon in Oskar Wieners Verstiegenen Novellen zum Handlungsort werden.155 Eine Zwischenposition nimmt Herbert Cysarz ein, der, neben August Sauer, wirkmächtigste Germanist der deutschen Universität in Prag. Seine Ankunft in Prag beschreibt er als Eintauchen in eine Metropole pueriler Kraft. Die mitschwingende Begeisterung und der Gestus der Überraschung werfen zudem ein Licht auf die Zustände in Wien. Babeltürme in Glas und buntem Stein, Ministerien und andere Zentralen, Gesandtschaften und internationale Repräsentationen mehr, Konzernburgen und Bankfestungen, Mammutwarenhäuser und Lichtspielpaläste, unterirdische Theater- und Konzertsäle, Großgaststätten und Massenbüffets, Orgien der Reklame. Straßauf und -ab Ausschachtungen, Gerüste, sausende Aufzüge, ein Aufbau, der oft genug einem Niederreißen, einem Verwirren aller Sphären glich. Moränen von Schutt und Sand neben Neonfassaden und brüllenden Lautsprechern […]. Und ein Wohnungsmarkt, Wohnungswucher, von einer dem Wiener Ankömmling schwindelerregenden Intensität, von einem Tempo, das sich manchmal überschlug […]. Überall jugendlich berstende Vitalität und Aktivität, fröhlicher Schweiß, ungedämpftes Geschrei wie auf der Börse, auf dem Jahrmarkt; Motorengetöse und menschliches Rennen, Eifern und Wetteifern.156
Von Wien nach Prag – aus der lauschigen deutschösterreichischen Habsburgermetropole in die tschechische Großstadt, so würde es das Bild fordern, das traditionell in völkisch-konservativen Kreisen gezeichnet wurde.157 Doch der deutschnationale Germanist Cysarz ist weitab davon, diesen Zustand ungebremsten Großstadtgetriebes national festzuschreiben.158 Der tschechische und der deutsche Bevölkerungsteil (das ›jüdische Prag‹ wird übergangen) sind am Aufbauszenario der Zwi155 | Oskar Wiener: Verstiegene Novellen. Berlin Harmonie 1907. Hingewiesen sei auf eine gedruckte Vortragsreihe des Bundes proletarischer Freidenker Ortsgruppe Prag, in der versucht wurde mit (natur-)wissenschaftlichen Argumenten gegen eine Ausbreitung okkultistischer und parapsychologischer Phänomene in den böhmischen Ländern vorzugehen. Wissenschaft und Okkultismus. Prag Verlag Bund proletarischer Freidenker 1931. 156 | Herbert Cysarz: Zehn Jahre Prag. Erinnerungen an die Jahre 1928-1938 samt Rückblicken und Ausblicken. In: Rudolf Jahn (Hg.): Grenzfall der Wissenschaft: Herbert Cysarz. Frankfurt a.M. Heimreiter 1957, S. 85. 157 | Den langwierigen Kampf gegen ein klischeebeladenes Wienbild dokumentiert der Sammelband von Ehalt/Heiß/Stekl (Hg.): Glücklich ist, wer vergisst…? Das andere Wien um 1900. Wien Böhlau 1986. 158 | Der tschechische Literaturkritiker Arne Novák beschreibt Prag mit ähnlichen Bildern, reklamiert aber das ›moderne‹ Prag für den tschechischen Bevölkerungsteil. Vgl. Gabriela Veselá: Das Rudolfinische Prag in der deutschsprachigen Literatur um die Jahrhundertwende. In: Philologica Pragensia. Jg. 68 (1986), Heft 3, S. 134f.
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schenkriegszeit im gleichen Maße beteiligt wie am historischen, magischen Kern Prags. Die Historie ragt stets in die Gegenwart und entfacht »ein zürückbebendes Fragen und Fürchten, ein Bezaubertwerden sowohl im ästhetischen als auch im hexenhaft okkultistischen Sinn« .159 Neben den zahlreichen, mehrfach belegten Bekundungen zum ›Mythos Prag‹ beweist diese Einschätzung eines keinesfalls Ortsunkundigen, aber doch außerhalb des genuinen Spektrums der Prager Kreise Stehenden, die Existenz eines genius loci. Er prägt die Selbstzeugnisse und literarischen Texte der Prager Autoren und bestimmt so die Lebensumstände und Empfindungen der geschilderten Handlungen und Figuren, sei er rückblickend idealisiert oder bewusst an den realiter herrschenden Gegebenheiten vorbeikonstruiert. »Das Wort Magie taucht überall auf, wo man sich mit Prag oder mit Prager Literatur beschäftigt.«160 Dieser Sachverhalt ist unproblematisch, solange die Gegenbilder nicht verdrängt werden, wie dies in der Reclam Ausgabe geschieht. Von Hermann Grab, Hans Natonek und anderen hätten Erzählungen das magische Bild der Prager Literatur, das von Meyrink, Leppin und Hadwiger entworfen wird, korrigieren können. Stattdessen wird selbst durch den Abdruck der wenig bekannten Erzählung Frau Blaha’s Magd von Rilke der Eindruck erweckt, die Prager deutsche Literatur würde nur aus Narrativen aus dem Arsenal der phantastischen Literatur bestehen.161 Ein »von Zeit zu Zeit boomendes Textformat« nennt Ruthner die phantastische Literatur,162 auch Genre wurde vorgeschlagen. Manchmal wird Phantastik auch nur als ein Motiv oder Kompositionselement (nicht nur) narrativer Texte verwendet. Der Streit um die genaue Bezeichnung dauert noch an.163 Deswegen wurde zu Beginn des Kapitels etwas künstlich von einem semi-gattungstheoretischen Auswahlkriterium gesprochen, um den Bereich der darunter subsumierten Texte möglichst groß zu halten. Doch nicht nur das Textformat boomt immer wieder, sondern auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser fast aber doch nicht ganz-Gattung erreichte in den 1980er und 1990er Jahren einen 159 | Cysarz: 10 Jahre Prag, S. 86. 160 | Geißler: Zur Lesart des magischen Prag, S. 163. 161 | Zur naturalistischen Deutung dieser Erzählung vgl. Jörg Krappmann: Anschwellender Bocksgesang. Eine Prager Coverversion mit Rilke. In: Almut Todorow/Manfred Weinberg (hg.): Prag als Topos der Literatur, S. 42f. 162 | Clemens Ruthner: Im Schlagschatten der Vernunft. Eine präliminare Sondierung des Phantastischen. In: C. Ruthner/U. Reber/M. May (Hg.): Nach Todorov. Beiträge zu einer Definition des Phantastischen in der Literatur. Tübingen Francke 2006, S. 7. 163 | Vgl. Thomas Wörtche: Genre? Wozu? In: J. Krappmann/I. Fiala-Fürst (Hg.): Phantastik – Okkultismus – (Neo-)Mystik. Olmütz Universitätsverlag 2004, S. 19-32 und Stefan Schäfer: Ein Schiff ist kein Schiff ist ein Schiff. Phantastik als semantisches Problem? In: Ebd., S. 101-114, sowie den Sammelband Ruthner/Reber/May: Nach Todorov. Tübingen Francke 2006 und Durst, Uwe: Theorie der phantastischen Literatur. Tübingen Francke 2001.
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»regelrechten Boom«, der »mit zahlreichen Neueditionen phantastischer Texte« einherging.164 Da in den zentralen Autoren und Motiven der Prager deutschen Literatur und der phantastischen Literatur Überlappungen vorhanden sind, lag eine Engführung beider Konjunkturen nahe. Diese führte zu günstigen Resultaten auf beiden Seiten. Die Prager Literatur wurde durch Werkanalysen und den Zulauf an Wissenschaftlern bereichert, die sich vordem nicht mit dieser Region beschäftigt hatten, und die Phantastikforschung konnte ihren Gegenstand durch die Einbeziehung von Autoren wie Kafka oder Werfel vom Hautgout des Trivialen befreien. Über den Erfolgen wuchs aber zugleich die Gefahr einer Identifikation,165 die eben mit dazu beitrug, dass Autoren wie Baum, Roeld oder Grab, die diesem Anspruch an die Prager deutsche Literatur nicht genügten, auch nicht wiederentdeckt wurden. Aus dem Blickwinkel der literarischen Phantastik wird ein weiterer Mangel deutlich, nämlich die Absenz von Schriftstellern, die sehr wohl diesen Anspruch in ihrem Werk erfüllten, von der Forschung zur Prager deutschen Literatur aber nicht beachtet wurden. Warum fehlt Karl Hans Strobl, Herausgeber der einflussreichen Sammlung Geschichten um Mitternacht166, nicht nur in dieser am Magischen orientierten Anthologie, sondern in den meisten Arbeiten zur Prager Literatur? Strobl, aus Iglau stammend, lernte Prag während seiner Studienjahre kennen und verfasste späterhin Romane, in denen er Prag zum Ort der Handlung wählte. Seine unheimlichen Geschichten und sein krudes Globalisierungsszenario Eleagabal Kuperus,167 gehören seit einiger Zeit zum Kernbestand der Phantastikforschung, nachdem sie lange nur als Geheimtipp gehandelt wurden. Der Pragbezug ist bei Strobl jedenfalls deutlicher ausgeprägt als bei anderen Autoren, die in der Anthologie der Prager deutschen Literatur zugerechnet werden, etwa die ebenfalls in Iglau gebürtigen Oskar Jellinek und Ernst Sommer. Die Beantwortung dieser Frage erschließt sich aus dem dritten Auswahlkriterium der Anthologie, das etwas provokativ als »ideologisches« ausgewiesen wur164 | Peter Cersowsky. Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Kafka – Kubin – Meyrink. München Fink 1989 2, S. 11. Cersowsky bezeichnet nur den ersten Aufschwung der literarischen Phantastikforschung, da er zum Zeitpunkt der Erstauflage (1983) noch nicht absehen konnte, dass sich das Interesse an der Phantastik in der Folgezeit noch steigern würde. 165 | Ein früher Versuch, »expressionistisches Grauen und phantastisches Prag« gleichzusetzen, fand zunächst keine Nachfolger. Vgl. Jens Malte Fischer: Deutschsprachige Phantastik zwischen Décadence und Faschismus. In: R.A. Zondergeld. Phaicon 3 (1978), S. 112ff. 166 | K.H. Strobl (Hg.): Geschichten um Mitternacht. Eine Reihe phantastischer Erzählungen. Wien Verlag der Gesellschaft für graphische Industrie 1923-24 (6 Bände); ders. (Hg.): Der Orchideengarten. Phantastische Blätter. München Dreiländerverlag 1920-23 (24 Hefte). 167 | Karl Hans Strobl: Eleagabal Kuperus. München Georg Müller 1910 (2 Bände).
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de. Der Ideologieverdacht betrifft die Herausgeber der Anthologie erst in zweiter Linie. Sie schreiben nur die Grundeinstellung der Veranstalter der WeltfreundeKonferenz in Liblice abermals fest. Diese Konferenz im Jahr 1965 setzte sich zum Ziel, das Spektrum der Literatur in und aus den böhmischen Ländern über Kafka hinaus zu beleuchten, dem zwei Jahre zuvor eine erste Konferenz gewidmet war, die vor allem politisch hohe Wellen in der realsozialistischen Welt schlug. Als Sprecher der tschechischen Akademie der Wissenschaften unternimmt Paul Reimann einleitend Anlauf, die Prager deutsche Literatur zu umschreiben: Wenn wir den Kreis dieser Schriftsteller überblicken, muß auch gesagt werden, daß die Prager deutsche Literatur, so wie wir sie abgrenzen, nichts zu tun hat mit dem, was in früheren Jahrzehnten abwechselnd als deutschböhmische oder als sudetendeutsche Literatur präsentiert wurde. Sowohl Egon Erwin Kisch als auch Rudolf Fuchs, mit denen ich mehr als einmal über diese Frage gesprochen habe, lehnten es nachdrücklich ab, dem zugerechnet zu werden, was man damals als sudetendeutsche Literatur bezeichnete;168
Bindeglied für diese Gruppe von Schriftstellern ist für Reimann ihre »humanistische Grundhaltung«, »die Ablehnung des Chauvinismus«, sowie »eine freundschaftliche Beziehung zu den nationalen, kulturellen Bestrebungen der slawischen Völker, insbesondere des tschechischen Volkes«.169 Durch den polaren Gegensatz zwischen Prager deutscher und sudetendeutscher Literatur erhält das vermeintliche Bindungselement der einen Gruppe ausschließenden Charakter für die andere. Es könnte nun eine Liste von Autoren angeführt werden, die der ›sudetendeutschen‹ Literatur angehörten und deren humanistische Grundhaltung unbestreitbar ist. Diese Rechtfertigung im Einzelfall würde aber dem ebenso schwerwiegenden wie pauschalen Urteil Reimanns zu viel Ehre zukommen lassen. Das fragwürdige Verfahren ein Kollektiv moralisch abzuwerten, schlägt ohnehin auf den Verfasser zurück. ›Deutschböhmisch‹ und ›sudetendeutsch‹ wurden als Begriffe geprägt, um eine heterogene Gruppe unter regionalem bzw. territorialem Gesichtspunkt zusammenzufassen. Ursprünglich wertneutral wurden sie im 20. Jahrhundert als Kampfbegriffe in den nationalen Auseinandersetzungen instrumentalisiert. Nach der Gründung der Tschechoslowakei wurde der Ausdruck ›Deutschböhmen‹ – »ebenso wie ›Deutschmähren‹ – bei Strafe verboten und statt dessen die durch Jesser populär gemachte Bezeichnung ›Sudetendeutsche‹ als allein zulässige Terminologie festgelegt«, die trotz aller Gegenargumente zur Deskription der deutschen Volksgruppe beibehalten wurde, da sie am wenigsten auf nationalgeographi-
168 | Paul Reimann: Literatur im Kampf um einen neuen Humanismus. In: E. Goldstücker (Hg.): Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur. Prag Academia 1967, S. 7f. 169 | Ebd., S. 9.
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sche Machtansprüche hindeutete.170 Außerhalb der böhmischen Länder erreichten beide Termini erst 1930 nach den ersten Wahlerfolgen der NSDAP weitere Verbreitung.171 Rein rechtlich gesehen waren aber alle Autoren der Prager deutschen Literatur nach 1918, auch Kisch und Fuchs, Sudetendeutsche und schrieben sudetendeutsche Literatur. Die vehemente Abwehr einer solchen Zugehörigkeit durch Kisch, Fuchs und aller anderen Zeitgenossen, die sich nicht vom und für den Nationalsozialismus vereinnahmen ließen, resultiert aus der Gleichsetzung von sudetendeutscher Literatur mit der tendenziösen Blut- und Bodendichtung. Bis heute bestreiten manche Schriftsteller, die ihre Wurzeln in Böhmen, Mähren oder Schlesien haben, bei Lesungen ihre Zugehörigkeit zur sudetendeutschen Literatur. Fritz Beer verweigerte noch 2002 seine Mitarbeit an einer Olmützer Dissertation, da er ohne böse Absicht, aber unvorsichtig als Sudetendeutscher angesprochen worden war.172 Kein Wunder angesichts solcher anathematischer Aussagen seitens der Literaturwissenschaft: Im Zuge der innenpolitischen Radikalisierung gewannen die völkischen Elemente zunehmend die Oberhand und bestimmten das Bild der ganzen sudetendeutschen Literatur der Zwischenkriegszeit, und zwar bis in die Gegenwart.173
Der Begriff ›sudetendeutsch‹ ist und bleibt diskreditiert, auch in Ländern, die mit der Problematik zwischen Deutschen und Tschechen nur auf diplomatischem Wege in Berührung kamen.174 Der Begriff ›deutschböhmisch‹ wurde bereits im 16. Jahrhundert verwendet, als nationale Machtstellungen kaum eine Rolle spiel-
170 | Andrea Hohmeyer: Aufklärung über »Böhmische Dörfer«. Zu den Schwierigkeiten einer adäquaten Nomenklatur in Darstellungen über Böhmen und Mähren. In: A. Hohmeyer/ J.S. Rühl/I. Wintermeyer (Hg.): Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften. Festschrift für Erich Metzner, S. 283. 171 | So kann Otto Pick noch 1929 feststellen: »Der Begriff ›deutschböhmisch‹ oder ›sudetendeutsch‹ war etwa in Berlin eine ungebräuchliche Vokabel und heute noch weiß sich ein reichsdeutscher Kritiker – trotz Nadler und Mühlberger – unter sudetendeutschem Schrifttum nichts Rechtes vorzustellen. » Otto Pick: Zwanzig Jahre deutsches Schrifttum in Prag. In: Witiko 2 (1929), S. 119. 172 | Vgl. dazu und zur Problematik der gegenwärtigen Stellung ›sudetendeutscher‹ Autoren: Jörg Krappmann: Erinnerungsraum Mähren. In: Sudetenland 3/2006, S. 264-273. 173 | Stefan Bauer: Das Bild der Heimat in der sudetendeutschen Trivialliteratur nach 1948. In: P. Heumos (Hg.): Heimat und Exil. Emigration und Rückwanderung, Vertreibung und Integration in der Geschichte der Tschechoslowakei. Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum. Bd. 21. München Oldenbourg 2001, S. 49f. [Hervorhebung von mir, J.K.]. 174 | Vgl. Martin Esslin: Österreichische Literatur und das Österreichbild in der angelsächsischen Welt. In: M. Wagner (Hg.): Im Brennpunkt: ein Österreich. Vierzehn Beiträge auf der Suche nach einer Konstante. Wien Europaverlag 1976, S. 51-59.
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ten.175 Seine nationalistische Aufladung erhielt er erst im 20. Jahrhundert und nur kurzzeitig, so dass eine weitere Verwendung dieses Terminus möglich erscheint. Die Verquickung zwischen ›deutschböhmisch‹ und ›sudetendeutsch‹ bei Reimann zeigt jedoch die Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden sind. Um dies zu präzisieren, bedarf es eines längeren Zitates von Eduard Goldstücker, der auf der Weltfreunde-Konferenz differenzierter als Reimann die Prager deutsche Literatur definierte. Unter dem Begriff Prager deutsche Literatur verstehen die Veranstalter unserer Konferenz das literarische Werk einer bedeutenden Reihe von Dichtern und Schriftstellern, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entweder in Prag geboren wurden oder, aus der böhmischen oder mährischen Provinz stammend, vor dem Zusammenbruch der österreichischungarischen Monarchie in Prag die entscheidenden Jahre ihres künstlerischen Reifens durchlebten und in den meisten Fällen hier auch ihre literarische Tätigkeit aufnahmen. […] Die Frage der nationalen Zugehörigkeit der Prager deutschen Literatur ist umso komplizierter, als es in den böhmischen Ländern und sogar auch in Prag selbst noch eine andere, in deutscher Sprache geschriebene Literatur gab, die sich als »deutschböhmisch« bezeichnete. Dieser Ausdruck wurde nach dem ersten Weltkrieg und insbesondere nach der nationalsozialistischen Machtergreifung durch die Bezeichnung »sudetendeutsch« ersetzt. […] Die Prager deutsche Literatur in unserem Sinne unterscheidet sich von dieser sogenannten sudetendeutschen Literatur dadurch, daß kein einziger ihrer Verfasser, obwohl sie sich als Angehörige des deutschen Volkes fühlten, den militanten nationalistischen Standpunkt gegenüber den Tschechen einnahm und selbstverständlich keiner von ihnen unter dem Einfluß des Antisemitismus stand.176
Der angebotene Zeitrahmen umfasst lediglich die Hochphase der Prager deutschen Literatur, in der es gelang den provinziellen Charakter einer Regionalliteratur zu überwinden. Das entspricht nicht ganz dem Selbstverständnis der Prager Autoren selbst, die erst in den ersten Werken Max Brods und dem Anschluss an den Expressionismus in Berlin, den eigentlichen Niveauanstieg erkannten.177 Goldstücker möchte ausdrücklich die ersten Gedichtsammlungen Rilkes einbeziehen und dehnt das Phänomen Prager deutsche Literatur dadurch auf den gesamten Bereich der Moderne als Mikroepoche aus. Obwohl Rilke seine frühen Prager Schriften in den späteren Werkausgaben eher duldete als wertschätzte und die 175 | vgl.: Andrea Hohmeyer: Aufklärung über »Böhmische Dörfer«, S. 282ff. 176 | Eduard Goldstücker: Die Prager deutsche Literatur als historisches Phänomen. In: Weltfreunde, S. 21-25. 177 | Vgl. Friedrich Thieberger: Die Stimme. In: F. Weltsch (Hg.): Dichter, Denker, Helfer. Max Brod zum 50. Geburtstag. Mährisch-Ostrau 1934; Hans Tramer: Die Dreivölkerstadt Prag. In: Robert Weltsch zum 70. Geburtstag von seinen Freunden. Tel Aviv 1961, S. 138203; sowie m.E. Kurt Krolop: Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts«. In: Weltfreunde, S. 47-96.
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Wiederveröffentlichung bestimmter Frühwerke gänzlich untersagte, macht diese Einteilung Sinn, da sie das Schaffen der Prager Autoren mit den gesamteuropäischen Literaturströmungen parallelisiert und Möglichkeiten zu einer vergleichenden Beurteilung schafft. Vergleichbarkeit ist auch der Grund, warum diese Einteilung für die deutschsprachige Literatur aus Mähren übernommen wurde, die allzu oft der reduzierenden Tendenz unterlag, nur die Publikationstätigkeit nach der Gründung der Tschechoslowakei zu beachten, die von den politischen, speziell nationalen Auseinandersetzungen stärker beeinflusst war als die deutschmährische Literatur der ›frühen‹ Moderne. Das Beharren auf der Zugehörigkeit Rilkes zur Prager deutschen Literatur ist zudem ein Beleg dafür, dass Goldstücker nicht gewillt ist, der langlebigen These Eisners vom dreifachen Ghetto generelle Geltung zuzugestehen, obwohl sie auch seinen Erklärungsansatz bestimmt. In der Kontroverse um Homogenität oder Heterogenität der Prager deutschen respektive der sudetendeutschen Literatur vertritt Goldstücker aber ebenso wie Reimann die Position einer einheitlichen Gruppenbildung auf beiden Seiten. Diese Position wurde in den letzten Jahren mehrfach angezweifelt und kann auf Grund eindeutiger Gegenbeweise als überholt gelten.178 Die Hartnäckigkeit, mit welcher an ihr von prominenter Seite (Goldstücker, Serke, Schardt/Sudhoff) festgehalten wurde, bescherte ihr jedoch eine überlange Lebensdauer und hohe öffentliche Akzeptanz bis heute. Die These besticht fraglos durch ihre Schlichtheit. Auf der einen Seite die guten Prager, makellos in ihrer moralischen und politischen Gesinnung, auf der anderen Seite die bösen, d.h. nationalistischen, faschistischen und antisemitischen Provinzler, die sich der wissenschaftlichen und (weit schlimmer) moralischen Verdammung nur durch Zuzug in die Hauptstadt entziehen können (H. Ungar, L. Winder u.a.).179 Gegenbeispiele werden ausgeblendet, Gegenstimmen überhört. 178 | Einen historischen Überblick über die Debatte gibt Andrea Hohmeyer: »Böhmischen Volkes Weisen«. Die Darstellung der deutschsprachigen Dichtung in den böhmischen Ländern. Münster Lit 2002, S. 320-359. Vgl. auch: Michael Berger: Im Schatten des »Prager Kreises«. Fünf Anmerkungen zu einem vernachlässigten Kapitel germanistischer Literaturgeschichtsschreibung. In: Stifter Jahrbuch NF 5 (1991), S. 131-139. Selbstverständlich finden sich auch in allen Publikationen der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur derartige Belege. 179 | Eine gewisse Konsequenz hinsichtlich dieser These kann man Ota Filip zusprechen, wenn er sogar Robert Musil der Prager deutschen Literatur zurechnet. Die realen Gegebenheiten missachtet hingegen Filips Unterstellung, der Münchner Adalbert-Stifter-Verein (unter der Führung von Peter Becher) trage als sudetendeutsche Organisation den Namen Stifters zu unrecht. Dieser Verein betreibt seit Jahrzehnten eine deutsch-tschechische Kulturarbeit jenseits aller revanchistischen Scheuklappen, die sudetendeutschen Organisationen gern undifferenziert nachgesagt werden. Die Unterstellung belegt aber wiederum die Langlebigkeit des gut-böse Schemas. Vgl. Ota Filip: Vertreibungen und Exil in der Literatur. In: Sudetenland 3/2006, S. 323.
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Friedrich Jaksch, 1894 in Budweis geboren und ebenfalls Absolvent der Prager deutschen Universität, gründete 1923 in Reichenberg die Bücherei der Deutschen mit dem Anspruch, »ein gewaltiges Denkmal und einen mächtigen Stützpunkt deutscher Kultur und deutschen Geisteslebens«180 in der Tschechoslowakei zu errichten. Trotz der Forderung nach überparteilicher Zusammenarbeit wurde diese Bibliothek, die bereits fünf Jahre später 92.000 Bände und 800 laufende Zeitschriften umfasste, in deutschnationaler Weise funktionalisiert.181 Ebenfalls noch im Gründungsjahr der Bibliothek gab Jaksch den Sammelband Der neue Roman heraus, der neben Robert Musils Novelle Tonka auch Prosa von Baum, Brod, Winder und Paul Zech enthielt.182 Darüberhinaus eine Legende von Dietzenschmidt, eine Erzählung des Schlesiers Max Herrmann-Neiße und Texte von u.a. Alfred Endler, Fritz Lampl und Albrecht Schaeffer. 1937 verfasste Jaksch, unter dem Pseudonym Friedrich Bodenreuth, den Grenzlandroman Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland,183 der zwar in einigen Passagen das Zusammenleben zwischen Tschechen und Deutschen authentisch, mit vielen Details wiedergibt, letztendlich aber doch die These eines unvermeidlichen Entscheidungskampfes zwischen deutscher und tschechischer Nation vertritt. Bereits seit 1935 stand er wegen seines politischen Engagements für die Henlein-Partei unter Überwachung der tschechischen Behörden.184 Jakschs Ruhm als Schriftsteller gründete sich wiederum auf den Gedichtband Eros-Licht,185 der in eigenständiger Weise Elemente des Expressionismus mit einer Ästhetik im Sinne der Wiener Moderne verband, und auf seine dramatischen Arbeiten. Erste Erfolge erntete er durch die Inszenierung von Der Schattenbaum und Die Stunde des Vergessens, die am 26. Mai 1917 unter der
180 | Flugblatt zum Spendenaufruf. Archiv der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur in Olomouc, Jaksch/12. 181 | Obwohl Jaksch eine »völkische Pflicht« zur Unterstützung der Bibliothek als »fadenscheinig« und »abgenutzt« bezeichnete. Friedrich Jaksch: Die Bücherei der Deutschen in ihrem zehnjährigen Bestande. In: In Treue vereint. Bundesarbeit im Jeschken-Iser-Gau 4. Folge (1933), S. 38-40. 182 | Friedrich Jaksch (Hg.): Der neue Roman. Reichenberg Gebrüder Stiepel 1923. 183 | Friedrich Jaksch: Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland. Berlin Hans von Hugo Verlag 1937. Eine erste Auflage erschien im gleichen Verlag und im selben Jahr unter dem Titel Stoffer Jakobs. 184 | Vgl. Lucie Ceralová: Friedrich Jaksch – der Märchenprinz. Leben und Werk. Diplomarbeit. Olomouc Typoskript 1999, S. 32-36. Als »Märchenprinz« sprach Jaksch im deutschen Radio in Prag für Kinder und gab ab März 1930 eine zweiwöchig erscheinende Zeitung für Kinder (Lachpeterl und Maienliesl) heraus, die ihr Erscheinen bereits im August desselben Jahres wieder einstellte. 185 | Eros-Licht. Wege eines Ringenden. Reichenberg Gebrüder Stiepel 1922. Vorabdruck einiger Gedichte in: Deutsche Arbeit XIX. Jg. (1920), Hft. 16.
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Regie von Fritz Bondy und Hans Demetz am Königlichen deutschen Landestheater in Prag uraufgeführt wurden.186 Damit ist der Exkurs zu Jaksch wieder auf die Weltfreunde-Konferenz zurückgeführt, denn Hans Demetz hielt in Liblice einen Vortrag, der im Gegensatz zu den Ausführungen Goldstückers stand und wohl auch deswegen weniger beachtet wurde. In Demetz »persönlichen Erinnerungen an den Prager deutschen Dichterkreis«,187 die politische Wertungen im Einzelfall keineswegs aussparen,188 ist keine Spaltung in zwei Gruppen zu erkennen, freilich auch kein anderes ordnendes Schema. Demetz nimmt sich überdies die Freiheit seine Erinnerungen auch auf seine Dramaturgentätigkeit in Brünn auszudehnen. Trotzdem zeigt das noch in den 1960er Jahren erinnerte Neben- und Miteinander von sog. Prager deutschen Autoren wie Rilke, Leppin, Brod, und Kornfeld auf der einen, sowie deutschböhmischen bzw. sudetendeutschen Autoren (Rudolf Rittner, Hedda Sauer, Karl Hans Strobl)189 auf der anderen Seite, dass die tatsächlichen Verhältnisse im Kulturleben Prags und der böhmischen und mährischen Provinz einer schlichten Polarisierung widersprechen. Weitere Belege dafür sind die beiden Erinnerungsbücher Max Brods, in denen ebenfalls nicht mit Lob gegenüber Schriftstellern gespart wird, die dem deutschböhmischen Lager entstammten oder später – wie Jaksch – aus der ästhetischen Moderne in dieses abwanderten (Richard Schaukal). Sogar der überzeugte Sozialist Egon Erwin Kisch entwickelte eine Vorliebe für die Prag-Romane Karl Hans Strobls.190 Welche Spannungen dennoch zwischen den einzelnen Kreisen und Autoren herrschten, zeigt das Schicksal von Josef Mühlbergers Zeitschriftenprojekt Witiko, bei dem Anspruch und Wirklichkeit spätestens ab dem dritten Jahrgang auseinander klafften.191 Der rasche Niedergang der Zeitschrift beweist, dass eine nachträgliche Idealisierung des Witiko als dauerhafte gemeinsame Plattform aller ästhetischen und politischen Strömungen in den böh186 | Theaterplakat. Fond Divadelního odd ě lení Národního muzea, H6C, plakáty r. 19172, inv. č. 28.542, P-IV-A, 6/92. 187 | Hans Demetz: Meine persönlichen Beziehungen und Erinnerungen an den Prager deutschen Dichterkreis. In: E. Goldstücker: Weltfreunde, S. 135-145. 188 | Vgl. die Kenzeichnung von Ottokar Stauf von der March als »waschechter Antisemit«. Stauf hieß mit eigentlichem Namen Chalupka, nicht wie von Demetz angegeben Chalupsky. Ebd., S. 137. 189 | Außerdem erwähnt Demetz Leo Greiner und die Brüder Hans Müller und Ernst Lothar, alle in Brünn geboren, die nach der Einteilung von Reimann und Goldstücker auch der deutschböhmischen (hier besser deutschmährischen) Literatur angehören, aber ebenfalls keinerlei Berührungspunkte mit der nationalen Literatur aufweisen. 190 | Vgl. Josef Polá ček: Zu Egon Erwin Kischs Entwicklung vor dem ersten Weltkrieg. In: E. Goldstücker: Weltfreunde, S. 281ff. Zur kritischen Einstellung Kischs gegenüber den Tschechen vgl. diesen Aufsatz und die zahlreichen anderen Arbeiten Polá č eks. 191 | Vgl. Michael Berger: Witiko (1928-1931) – eine Zeitschrift zwischen Provinz und Metropole. In: Brücken 1992, S. 51-63.
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mischen Ländern der Grundlage entbehrt. Die angeführten Belege gegen eine zu scharfe Polarisierung sollen nicht das Gegenteil erwirken. Von einem harmonischen Zusammenleben waren die Zustände in Prag und den Regionen weit entfernt. Die Gemeinsamkeiten dürfen aber nicht marginalisiert werden. Sie sind ein Bestandteil der kulturgeschichtlichen Entwicklung der böhmischen Länder, nicht mehr, aber auch nicht weniger als die oft überakzentuierten Übersetzungen tschechischer Schriftsteller durch Angehörige der Prager deutschen Literatur, wie sie von Eduard Goldstücker definiert wurde. Nun zurück zum Exkurs. Anfang März 1929 richtete die Schriftleitung der Deutschen Hochschulwarte ein Ansuchen an Jaksch, um die Druckerlaubnis für einige Gedichte einzuholen, die in der Sondernummer Der Prager Student im Gedichte erscheinen sollten. Der inzwischen anerkannte Schriftsteller untersagte den Abdruck, da er sich nicht mehr mit den belanglosen Texten identifizieren könne. Erst als sich Paul Kisch als Mitherausgeber der Sammlung zu erkennen gab und Jaksch als »Viellieber Ritter Prometheus« und damit auf die gemeinsame Mitgliedschaft in der Studentenverbindung Schlaraffia192 ansprach, erteilte dieser dem »Viellieben Freund Schmisso« die Genehmigung.193 Die fast gleichaltrigen Studenten hatten sich bereits während Jakschs Jurastudium kennengelernt. Kisch verfasste 1913 bei August Sauer eine Dissertation über Hebbel und die Tschechen, Jaksch folgte 10 Jahre später mit einer Arbeit über den gleichen Autor.194 Das »freundliche Lulu«, das sich beide an den Briefschlüssen zurufen, war wohl eines der letzten, bevor Jaksch mit seinem Namen ab- und sich unter Pseudonym der »Dichtung im Daseinskampf« anschloss.195 Paul Kisch wurde 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt er192 | Über die Schlaraffia, die 1859 zur Pflege der Kunst und des Humors in Prag gegründet wurde, sind häufig noch die »irrigen Auffassungen und unzutreffenden Urteile« im Umlauf, die gegen Ende des 1. Weltkrieges zur Abfassung einer Aufklärungsschrift führten, in der Geschichte, Bundesleben und Zweck der Vereinigung zusammengefasst sind. Die Schlaraffia war (ist) weder eine deutschnationale Studentenverbindung noch eine freimaurerische Loge, eher ließe sie sich – auch ihrem Selbstverständnis nach – mit dem künstlerischen Salonleben der Ludlamshöhle in Wien vergleichen, die, politischer Umtriebe bezichtigt, 1826 aufgelöst wurde. In der Phase vor ihrer offiziellen Gründung setzte sich die Schlaraffia überwiegend aus Mitgliedern des Deutschen Landestheaters in Prag zusammen. Vgl. O.R. Zwilling: Schlaraffia. Leipzig Carl Ziegenhirt 1918 (Zitat S. 5 unpaginiert), sowie E. Lennhoff/O. Posner/D.A. Binder (Hg.): Internationales Freimaurer Lexikon. München Herbig 2006, S. 748. 193 | Briefe vom 6.3.1929, 20.3.1929 und 23.3.1929. Archiv der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur Jaksch/7-9. 194 | Paul Kisch: Hebbel und die Tschechen. Prag 1913; Friedrich Jaksch: Die bildstilistischen Turbulenzerscheinungen in Friedrich Hebbels Werken. Ein Beitrag zur Psychologie des dichterischen Schaffens. Prag 1923. 195 | Vgl. Herbert Cysarz: Dichtung im Daseinskampf. Fünf Vorträge. Karlsbad-Drahowitz Adam Kraft 1935.
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mordet, Friedrich Jaksch 1947 im Konzentrationslager Buchenwald, nun unter sowjetischer Verwaltung. Die These einer homogenen Prager deutschen Literatur ist demnach nur unter dem Verlust breiter literarischer Kreise aufrecht zu erhalten. Wer sie unkritisch bedient, klammert, bewusst oder unbewusst, den Großteil des literarischen und geistigen Lebens in den böhmischen Ländern aus. Auch in diesem Sinne bestätigt Peter Demetz die privaten Eindrücke seines Vaters und liefert darüber hinaus ein Plädoyer für eine interkulturelle Sichtweise der regionalen Literatur: Wir sind hüben und drüben bedacht auf geschlossene Kontinuitäten nationaler Kulturen, trennen vorsätzlich, was im engeren Raum zusammenwirkte, und vergessen jene Tendenzen und Texte, die zwischen die kategorialen Stühle fallen.196
Die ausgeklammerten Autoren werden in den Sog des Vergessens gerissen, wenn sie nicht das Glück haben, in anderen Kontexten (z.B. Epochenfragen, andere Metropolen wie Wien oder Berlin, oder Genres) präsent zu bleiben oder Fürsprecher zu finden. Demetz bezog seine Feststellung ursprünglich auf das gemeinsame Zusammenleben zwischen Deutschen, Juden und Tschechen ohne »einwandfreie kulturelle Grenze«197. In der Geschichtsschreibung der böhmischen Länder wurde die These durch die Arbeiten von Ferdinand Seibt seit den 1960er Jahren zum Allgemeingut.198 Die Literaturgeschichtsschreibung hinkte dieser Entwicklung lange hinterher. Bis heute liegt keine Literatur- oder Kulturgeschichte Böhmens und Mährens vor, die auf einem territorialen Prinzip beruht, das Andrea Hohmeyer in ihrer ausgreifenden Dissertation so definiert: Um der Literatur Böhmens, Mährens und Sudetenschlesiens endlich wieder den Platz in der europäischen Kulturlandschaft einzuräumen, der ihr aufgrund ihres Reichtums gebührt, bietet es sich an, sie künftig unter einem territorialen Gesichtswinkel zu betrachten. Die Rede ist von einer territorialen Literaturgeschichte, zumindest bis 1945, die von der Basis einer gemeinsam erlebten, aber auch gemeinsam erlittenen Geschichte der Deutschen, Tschechen und Juden in einem politisch und historisch zusammengewachsenen Raum ausgeht, der langhin eindeutige Grenzen hatte und gerade heute wieder hat.199
Hohmeyer tritt in ihrer Arbeit als Anwalt der ›sudetendeutschen‹ Literatur auf, denn diese ist es, die nach dem zweiten Weltkrieg zwischen alle kategorialen Stühle fiel. Im Gegensatz zum Streit um eine Homogenität/Heterogenität allein der 196 | Zitiert nach Jürgen Serke: Böhmische Dörfer, S. 34. 197 | Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 275. 198 | Vgl. u.a. Ferdinand Seibt: Deutschland und die Tschechen. Geschichte einer Nachbarschaft in der Mitte Europas. München List 1974 (überarbeitete Neuausgaben München Piper 1993, 19952; Friedrich Prinz (Hg.): Böhmen und Mähren. Berlin Siedler 1993. 199 | Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 116.
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Prager deutschen Literatur vertritt sie den Standpunkt, dass auch die böhmische und die mährisch-schlesische Literatur heterogene Gebilde seien, die nicht vorschnell unter dem Sammelbegriff sudetendeutsche Literatur abzuqualifizieren seien. In diesem Sinne verschwimmen nicht nur die kulturellen Grenzen zwischen den Nationen, sondern auch die politischen Demarkationslinien innerhalb der deutschen Literatur der böhmischen Länder. Letztere müssen in ihrer Künstlichkeit besprochen werden, um zu einer territorialen Literaturgeschichtsschreibung vorzudringen. Eine genaue Untersuchung der Texte der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur, ist die Vorbedingung für ihre objektive Eingliederung in den territorialen und überterritorialen Kontext. Derzeit liegen nur in Einzelfällen Textinterpretationen dieser Literatur vor und auch Hohmeyer ist nicht in der Lage (und es ist von dieser Arbeit auch nicht zu erwarten), mehr als biobibliographische Daten zu geben. Ein Drittel von Hohmeyers Buch, immerhin 220 Seiten, sind der literaturhistoriographischen Analyse gewidmet, ausgehend von Josef Nadlers erster Fassung der Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften bis zu Serkes Böhmischen Dörfern. Sie begibt sich in diesen Kapiteln auf die Suche nach einer adäquaten Behandlung der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur und wird selten fündig. Innerhalb der Beiträge der Weltfreunde-Konferenz ist es für sie allein Goldstückers Beitrag, der »wirklich neue Gedanken und Wege aufzeigte, da nur er über den sozialistischen Aspekt hinaus interpretierte und sowohl dem bürgerlichen wie dem jüdischen Aspekt der Prager deutschsprachigen Dichtung positive Beachtung schenkte«.200 Hier scheint die eingeschränkte Auswahl der Autorin einen Streich gespielt zu haben. Da sie außer auf Goldstücker nur auf die Beiträge von Jähnichen, Reimann, Václavek und Vajda eingeht, übersieht sie in ihrer Verallgemeinerung den sicherlich besten Beitrag des Bandes von Kurt Krolop, der nach wie vor den Grundstock aller Forschungen zur Prager deutschen Literatur darstellt.201 Zutreffend ist hingegen wieder ihre Feststellung, »daß sich keiner der hier genauer behandelten Referenten von der sozialistischen Ideologie und ihren Termini lossagen wollte.«202 Die Frage ist jedoch, ob sie gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Von Květoslav Chvatík wird Alexander Dubček zwar noch 1991 als Liberaler bezeichnet,203 doch muss seine Liberalität, die er in den 1960er Jahren bekundete, immer in Bezug auf seine sozialistische Grundüberzeugung relativiert werden, die er auch nach dem Umbruch 1989 nicht revidierte. Der Prager Frühling erlaubte den Wissenschaftlern in der Tschechoslowakei mehr Freiheiten als bisher, jedoch innerhalb der Schranken einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Dies belegen die heftigen Debatten 200 | Ebd., S. 633. 201 | Kurt Krolop: Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts«. In: Weltfreunde, S. 47-96; nun auch in Krolop: Studien, S. 19-52. 202 | Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 633. 203 | Chvatík: Die Prager Moderne, S. 348.
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um Kafka im Vorfeld und während der ersten Konferenz in Liblice 1963. Die zweite Konferenz verlief deshalb in ruhigeren Bahnen, weil kein weiterer tabuisierter Bereich beschritten wurde, wie es die ›sudetendeutsche‹ Literatur gewesen wäre. Die klare Trennung der Prager deutschen von der deutschböhmischen Literatur und die Betonung der sozialistischen Aspekte der Prager deutschen Literatur erlaubte die Konzentration auf das damals Wesentliche. Nach übereinstimmender Aussage der Mitveranstalter der Weltfreunde-Konferenz war in der Folgezeit eine Ausweitung der Konzeption auf die Literatur in der Provinz vorgesehen. Ob dies mit dem theoretischen Instrumentarium, das weitestgehend in einer soziologischen Präzisierung der Eisnerschen Ghettothese bestand, hätte geleistet werden können, darf bezweifelt, kann aber nicht ausgeschlossen werden.204 Für die Prager deutsche Literatur jedenfalls wurden bedeutende Ergebnisse erzielt und wichtige Bereiche aufgearbeitet. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beiträge der Weltfreunde-Konferenz ideologisch belastet sind, da sie in einem ideologischen Umfeld entstanden. Texte, die in einem totalitären Regime verfasst wurden, zwingen in der Retrospektive zu einer kritischen Hinterfragung und der Suche nach Zugeständnissen gegenüber den Kontrollorganen der Machthaber. Das gilt für Wissenschaft und Literatur in gleichem Maße. Dass die deutschböhmische und die deutschmährische Literatur bis in die Gegenwart Leidtragende dieser Zugeständnisse sind, liegt nicht in der Verantwortung der Teilnehmer der Liblicer Konferenz(en). Vielmehr verstellte die kontinuierliche, häufig uneingeschränkte Anwendung dieser Ergebnisse den Blick auf andere Zusammenhänge. Nachhaltigkeit einmal ohne positives Vorzeichen. Wie im Fall Kafkas stellt nicht der Dichter als Person die ihn umgebende Literatur in den Schatten, sondern die nachfolgende wissenschaftliche System- und Thesenbildung ließ viele Schriftsteller, die unter anderen Sichtweisen mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, im Dunkeln stehen. Vorwort und Zusammenstellung der Anthologie Prager deutsche Erzählungen ist dafür ein illustres, leider nicht das einzige Beispiel. Die in doppelter Hinsicht zentralistische Perspektive ließ die Prognose von Schardt/Sudhoff nicht eintreffen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung sicherlich nicht so utopisch anmutete wie sie heute beurteilt werden muss. Die angekündigte »forcierte wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen und jüdischen Tradition in Böhmen«205 blieb im Vergleich zu den Schwerpunktthemen der Germanistik in den letzten anderthalb Jahrzehnten einigermaßen kraftlos. Der Paradigmenwechsel gar, an dessen Schwelle man sich 1992 vermutete, fand nicht statt.
204 | Karel Krej č ís Referat zur Entwicklung der Zeitschrift Witiko zielte in diese Richtung, wurde aber wie einige andere nicht in die Publikation aufgenommen, da sie »keine neuen Erkenntnisse enthielten oder nur entfernt mit der Thematik der Konferenz zusammenhingen« wie die Herausgeber im Vorwort anmerken. E. Goldstücker: Weltfreunde, S. 5. Vgl. auch A. Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 631f. 205 | Schardt/Sudhoff: Prager deutsche Erzählungen, S. 10.
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»Die starke Konzentration auf den Prager Kreis hat […] den Blick auf die kulturhistorischen Traditionen der deutschsprachigen Literatur in diesem Raum verstellt sowie deren sogenannten (sic!) Peripherien in den böhmischen und mährischen Regionen in den Hintergrund gedrängt«.206 So urteilen die Herausgeber des Sammelbandes Brücken nach Prag und verfestigen damit unterschwellig die Dichotomie zwischen Prager deutscher Literatur im Zentrum und Provinzliteratur am Rande. Die angestrebte Erweiterung des Blickfeldes wird durch die Beiträge selbst entkräftet, von denen sich allein neun mit dem Dreigespann Kafka, Rilke, Werfel beschäftigen. Gegen den wissenschaftlichen Wert dieser Publikation ist nichts einzuwenden, nur wurde eben abermals kein »besonderes Schwergewicht auf die wechselseitigen Wirkungen der deutschsprachigen Literatur dieses Raumes« gelegt.207 Stattdessen ist es wiederum die »inselhafte Ausgrenzung Prags aus dem böhmischen Meer«,208 die Peter Becher noch 2000 als den gemeinsamen Nenner der Darstellungen zur Literatur der böhmischen Länder entlarven und damit verurteilen konnte. Gleichwohl werden auch in diesem Sammelband Ansätze zu einem ›Bewusstseinswandel‹ erkennbar, der in diesem Buch durch thematische Analysen der deutschmährischen Literatur weitergeführt wird. Um sich nicht den eigenen Forschungsgegenstand klein reden zu lassen, ist es jedoch notwendig, ein wenig sophistische Sprachkritik zu betreiben. Wenn Autoren wie Leppin, Kornfeld, Natonek und Urzidil als »Hintergrundschor«209 bezeichnet werden, dann sind Rilke, Kafka und Werfel bildlich gesprochen die großen Solisten auf der literarischen Bühne der böhmischen Länder. Welche Rolle bleibt dann aber für die Autoren übrig, die im Interesse noch hinter den genannten zurückstehen? Bestenfalls, um im Bild zu bleiben, die Rolle des Billetabreissers und Eisverkäufers, leider aber oft genug nur die Rolle des Zuschauers. Eigentlich müsste man von drei Literaturen auf dem Gebiet des Königreiches Böhmen sprechen. Einerseits dissoziiert sich die Prager deutsche Literatur aus den soeben beschriebenen wissenschaftsgeschichtlichen Gründen von der ›sudetendeutschen‹ Provinzliteratur. Andererseits zerfällt auch die Literatur der Provinz wieder in die beiden geographischen und politischen Einheiten Böhmen und Mähren. Im Titel der Essaysammlung Böhmische Sonne, mährischer Mond von Peter Demetz wird das Trennende zwischen den Landesteilen nur sanft angedeutet, in
206 | K.-H. Ehlers/S. Höhne/V. Maidl/M. Nekula (Hg.): Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Tschechoslowakei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag. Frankfurt a.M. Lang 2000, S. 7 (unpaginiert). 207 | Ebd. [Hervorhebung vom Verf. J.K.]. 208 | Peter Becher: Sudetendeutsche Schriftsteller im Dritten Reich. In: Frank-Lothar Kroll (Hg.): Böhmen. Vielfalt und Einheit einer literarischen Provinz. Berlin Duncker & Humblot 2000, S. 68. 209 | Schardt/Sudhoff: Prager deutsche Erzählungen, S. 10.
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Rücksicht auf die Verortung des Autors in beiden Regionen.210 Schärfer äußert sich der Ostrauer Schriftsteller Joseph Wechsberg: Die tiefen, fast mystischen, intellektuellen und emotionellen Unterschiede zwischen Böhmen und Mähren kann man einem unschuldigen, unkundigen Fremden ebensowenig erklären, wie die zwischen Preußen und Bayern, England und Irland, oder dem Norden und Süden der Vereinigten Staaten. Der Unterschied ist größer als zwischen Tag und Nacht, und bei dieser einfachen Erklärung muß es eben bleiben. 211
Der ausgerufene Erklärungsnotstand im Wissenschaftlichen wird durch diese Arbeit nicht behoben. Die Kluft soll aber auch nicht weiter vertieft werden. Den Bearbeitungsraum insgesamt auf Böhmen auszudehnen, war unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Für die deutschmährische Literatur wurden durch die Mitarbeiter der Arbeitsstelle in Olmütz Vorarbeiten geleistet, die für die deutschböhmische Literatur fehlen.212 Eine Ausnahme ist die Literatur des Böhmerwaldes, deren Erfassung und Auswertung vor allem Václav Maidl in mehreren Publikationen vorangetrieben hat. Trotzdem wurden böhmische Autoren in die Darstellung einbezogen, wenn ihre Werke für die themenbezogene Argumentation relevant waren. Der Schwerpunkt im Textkorpus liegt aber auf der deutschsprachigen Literatur aus Mähren, die ihrerseits, wie das folgende Kapitel zeigen wird, nicht ganz unproblematisch ist.
E IN M ÄHREN Die deutschmährische Literatur besitzt im hier zentralen Zeitraum von 1880-1918 kein geistiges und künstlerisches Zentrum auf eigenem Gebiet, jedenfalls keines, das über eine gewisse Konstanz verfügen würde. Damit fehlt auch der Ort, an dem es möglich gewesen wäre, eine Dichtervereinigung oder eine andere künstlerische Gruppierung mit einiger Dauerhaftigkeit zu bilden. Das erschwert die Beschreibung und Zuordnung von Texten in einer Epoche, die sich durch ihren ausgeprägten Willen zur Gruppen- und Kreisbildung auszeichnet wie die ästhetische Moderne. Eine Ausnahme bildet die Zeitschrift Moderne Dichtung, die ab 1890 für kurze Zeit in Brünn herausgegeben wurde. In ihr publizierten namhafte Autoren der deutschen und österreichischen Moderne (u.a. Hermann Bahr, Otto Julius Bierbaum, Arno Holz und Detlev von Liliencron) neben wenigen regionalen Talenten. Einige von ihnen organisierten späterhin literarische Lesungen, in deren Rahmen auch Robert Musil 1900 seine Novelle Varieté vortrug. Eine anhaltende 210 | Peter Demetz: Böhmische Sonne, mährischer Mond. Wien Deuticke 1996. 211 | Joseph Wechsberg. Lebenskunst und andere Künste. Zürich Ex libris 1963, S. 43. 212 | Eine Arbeitsstelle für deutschböhmische Literatur ist nun endlich in Prag im Aufbau begriffen.
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überregionale Bedeutung als kulturelles Zentrum konnte aber auch Brünn nicht erreichen.213 Noch geringer ist die Bedeutung von Olmütz anzusetzen.214 Als Zentrum fungiert für Mähren wie bisher die Kaiserstadt Wien, nun allerdings nicht mehr nur als politisches Machtzentrum und Finanzmetropole. Man gravitiert nach Wien lautet der Titel einer boshaften Theaterglosse des Brünner Schriftstellers und Literaturkritikers Eugen Schick, der sich über das Verhalten des Publikums mokiert, alle Erzeugnisse der Residenzstadt unkritisch denen der Provinz vorzuziehen.215 In vielen Städten Mährens, die bis auf Brünn samt und sonders Kleinstädte waren,216 war die Industrialisierung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so weit gediehen, dass sich das gehobene Bürgertum von seiner Konzentration auf die Provinz löste. Die nachfolgende Generation der Gründerväter, die um die Jahrhundertmitte Geborenen, wurde zwecks besserer Ausbildungsmöglichkeiten nach Wien geschickt und fand dort Gelegenheit, sich von den neuesten Errungenschaften auf geistigem und vor allem künstlerischen Gebiet zu überzeugen. Zweifellos fand die Kulturvermittlung vordringlich auf öffentlichem Parkett statt und diente nebst niveauvoller Unterhaltung auch der standesgemäßen Kontaktaufnahme. Die Aufnahme ›avantgardistischer‹ Einflüsse in der Provinz ist darum auch in einer ersten Phase über das Theater, die Oper und Konzertveranstaltungen zu denken. Die junge Generation wollte auch nach der Rückkehr in die Provinz auf die neuen Kunstformen nicht verzichten und initiierte auf den
213 | Zu den Schwierigkeiten des kulturellen Lebens in Brünn zur Zeit der Moderne vgl.: Vojen Drlík: Robert Musil – Brno inkognito. In: Robert Musil. Ein Mitteleuropäer. (Hg. v. J. Munzar). Brünn Universitätsverlag 1994, S. 123-133. 214 | Im Umfeld des Wartburgfestes entstand 1817 durch Joseph Leonhard Knoll die Olmützer Dichterschule, die jedoch nicht als kontinuierliche Künstlergruppe anzusehen ist. Dazu ist ihr ästhetisches Programm zu sehr vom politischen Zeitgeschehen bestimmt. Obwohl Ausläufer der Gruppe (Joseph C. von Wieser, Franz Donneh) noch bis in die 1880er Jahre tätig sind, werden sie nicht zum Gegenstand dieser Arbeit, da ihre Spätwerke für die frühe Moderne keine Bedeutsamkeit erlangen. Vgl.: Ludvík Václavek: Olmützer deutsche Dichter im 19. Jahrhundert. In: L. Topol’ská/L. Václavek: Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Olomouc Universitätsverlag 2000, S. 127-140. 215 | Eugen Schick: Man gravitiert nach Wien. In: Die Schaubühne II (1906), Nr. 6, S. 178-179. 216 | Das gilt auch für die Garnisonsstadt Olmütz, trotz ihrer historischen Bedeutung für die Entwicklung der Habsburger Monarchie im 19. Jahrhundert Olmütz besaß bei der Volkszählung 1890 19.761 Einwohner (einschließlich der über 3700 Mann starken Garnison) und damit nur um ca. 7.000 Einwohner mehr als Mährisch-Schönberg, das gemeinhin als Provinzstadt angesehen wird. Hinsichtlich der Vielzahl an kulturellen und bildungspolitischen Einrichtungen übertraf Olmütz freilich die meisten anderen Provinzstädte. Vgl. Lukáš Moty č ka/Veronika Opletalová (Hg.): Literarische Wanderungen durch das deutsche Olmütz. Olomouc Universitätsverlag 2012.
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Provinzbühnen und in den kleinstädtischen Konzertsälen einen Programmwechsel, der häufig bei der ortsansässigen Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stieß.217 Erst allmählich entwickelte die deutsche Universität in Prag eine Anziehungskraft auf das Bürgertum in Mähren. Prag konnte jedoch erst nach der Gründung der Tschechoslowakei Wien als Bildungszentrum übertreffen. Diese enge Anlehnung an Wien ist ein markanter Unterschied zu den Verhältnissen in Böhmen, für dessen deutschen Bevölkerungsteil schon im 19. Jahrhundert Prag die erste Anlaufstation für Studenten und Kunstbeflissene war. Dadurch wurde Deutschböhmen wesentlich früher mit der ab Mitte des 19. Jahrhunderts aufkeimenden nationalen Frontstellung konfrontiert als Mähren, und die deutschböhmischen Schriftsteller, die in Prag studiert hatten, entwickelten einen höheren Bedarf nach Verarbeitung ihrer Erlebnisse im Zusammenleben der beiden Nationen als ihre mährischen Kollegen. Diese These wie auch die Bestimmung kultureller Zentren für die Region wird gestützt durch eine Synopse der biobibliographischen Daten, die von der Arbeitsstelle in Olmütz bisher erfasst wurden. Einen endgültigen Beweis für die Richtigkeit dieser Annahmen kann nur die Interpretation der belletristischen und nichtfiktionalen Texte erbringen. Diese Textarbeit steckt noch in den Anfängen. Da kaum Ansätze zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschmährischen Literatur vorliegen, fehlen die Theoreme und Thesen, die die Forschung zur Prager deutschen Literatur etwa bereithält und anhand derer eine kritische und zielgerichtete Ordnungstätigkeit möglich wird. Die angebotenen Thesen haben somit den Status heuristischer Richtwerte. Ausnahmen bestätigen in diesem Fall nicht die Regel, sondern stellen die aufgestellten Thesen stets neuerlich in Frage. Erschwerend kommt hinzu, dass Mähren keinen einheitlichen Kulturraum bildet. Außer dem üblichen Erfordernis regionaler Literaturforschung zwischen den Produktionsorten der Literatur – Dorf, Kleinstadt oder Provinzmetropole – zu differenzieren und außer der Verpflichtung den jeweiligen Status nationaler und sprachlicher Verteilung zu berücksichtigen, fallen in der deutschmährischen Literatur zwei Besonderheiten an, die einfachen Verallgemeinerungen widerstreben.218
217 | Vgl. Eva Hudcová: Der Bürger und sein Theater in einer mährischen Kleinstadt. Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg. Olomouc Universitätsverlag 2008. 218 | Aufschlussreich für das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Situation und literarischer Produktion ist die Dissertation von Erika Fischer. Nebst einer Präsentation umfassenden statistischen Materials über Mähren ist diese Arbeit einer der Vorläufer der heutigen literatursoziologischen Ansätze. Die theoretischen Unsicherheiten im Umgang mit der neuen Methode zeigen sich in den unvermittelten Querverbindungen zwischen den soziologischen, an Hans Freyer orientierten, Abschnitten und den literaturgeschichtlichen Passagen, die August Sauer verpflichtet sind. Vgl.: Erika Fischer: Soziologie Mährens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Hintergrund der Werke Marie von Ebner-Eschenbachs. Leipzig Wunderlich 1939.
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Die erste Besonderheit bilden die überwiegend von deutschen besiedelten Enklaven im tschechisch besiedelten Gebiet. Exemplarisch dafür ist die kulturelle Entwicklung der Stadt Iglau, die am weitesten westlich nach Böhmen vorgeschobene Gemeinde Mährens. Neben ihrer Grenzlage zwischen Böhmen und Mähren steht sie auch am Schnittpunkt zwischen deutschem und tschechischem Sprachraum. Hier ist von einer erhöhten Sensibilisierung für die nationalen Konflikte auszugehen. Die propagandistischen Parolen der Sudetendeutschen Partei und später der Nationalsozialisten, die den »Daseinskampf« der Auslandsdeutschen,219 das Ausharren für deutsches Volkstum und die Vorreiterfunktion der Sudetendeutschen zur Klärung der »mitteleuropäischen Schicksalsfrage« besonders hervorhoben,220 fielen hier auf fruchtbareren Boden als in den Städten und Gemeinden des geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes. In der Zwischenkriegszeit drückte sich die suggerierte und späterhin empfundene Frontstellung in einer regen Volkstumsarbeit mit zunehmend kämpferischem Charakter aus. Ersichtlich am Wirken von Anton Altrichter und Ignaz Göth, die ab den 1920er Jahren die deutschnationale Kulturarbeit in Mähren maßgeblich bestimmten.221 Doch auch in der Moderne zeichnen Iglauer Autoren für eine nationale Sichtweise in der mährischen Literatur. Karl Hans Strobl, gebürtiger und bekennender Iglauer, verfasste von der Jahrhundertwende bis zum 1. Weltkrieg vier Romane, die in unterschiedlicher Intensität die nationalen Spannungen in den böhmischen Ländern thematisieren.222 Strobl ging 1894 für sein vierjähriges Jurastudium nicht nach Wien, sondern immatrikulierte sich an der deutschen Universität in Prag. Die Bücher entstanden während seiner Jahre im österreichischen Finanzdienst in Brünn. Handlungsort der Romane bleibt jedoch Prag und seine Umgebung. Strobl reflektiert seine persönlichen Erlebnisse im Studentenleben, in deren Zentrum – nebst allerlei Ausschweifungen und deutschtümelnden Unfug – die Badeni-Stürme von 1897 stehen, die bei allen Zeitzeugen – wegen ihrer antisemitischen Untertöne besonders bei den jüdischen Autoren der Prager deutschen Literatur – bleibende Spuren hinterließen.223 Damit wird in Person und Werk Strobls die heuristische These des Unterschiedes zwischen der kulturellen Orientierung von Deutschböhmen und Deutschmähren zu219 | Vgl. Herbert Cysarz: Dichtung im Daseinskampf. Karlsbad-Drahowitz Adam Kraft 1936. 220 | Gustav Fochler-Hauke: Deutscher Volksboden und deutsches Volkstum in der Tschechoslowakei. Heidelberg Vowinckel 1937, S. 9. 221 | Vgl. Petra Knápková: Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Iglaus. Olomouc Universitätsverlag 2010. dies.: Ignaz Göth, der Iglauer Heimatforscher und die Schutzvereine. In: P. Becher/I. Fiala-Fürst: Literatur unterm Hakenkreuz. Prag Vitalis 2005, S. 210-223. 222 | Karl Hans Strobl: Die Vaclavbude (1902); Die gefährlichen Strahlen (1906); Der Schipkapaß (1908). Alle erschienen im Verlag Fontane Leipzig, sowie Das Wirtshaus »Zum König Przemysl«. Leipzig Staackmann 1913. 223 | Vgl.: Christoph Stölzl: Kafkas böses Böhmen. Zur Sozialgeschichte eines Prager Juden. Frankfurt a.M. Ullstein 1989, S. 62-66.
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gleich widerlegt und bestätigt. Strobl geht bewusst nicht nach Wien, da er sich früh von der Politik der Habsburger Monarchie absetzte und den Weg der nationalen Einigung Deutschlands unter Bismarck unterstützte. Das deutsche Element sah er an der Universität und in dem Burschenschaftsleben Prags besser repräsentiert als in Österreich, dessen deutschnationale Tendenzen erst durch die Los-von-Rom-Bewegung Schönerers im Entstehen begriffen waren. Zugleich sind Deutschböhmen und Prag für Strobl die Orte, an denen sich der Nationalitätenkonflikt deutlicher als in Mähren manifestiert. Zwar sind die Ressentiments gegenüber den tschechischen Einwohnern auch in Strobls Iglauer Schlüsselroman Der Fenriswolf (1903) zu spüren. Sie lassen sich aber (noch) durch gemeinsamen Jux in der Schlaraffia übertünchen. Abgesehen vom Fenriswolf liegt einzig im Roman Die gefährlichen Strahlen der Handlungsort nicht in Böhmen, sondern in einer fiktiven Stadt, die jedoch leicht als Brünn zu identifizieren ist. »Der Verfasser setzt sich hier weniger mit den Tschechen als Gegnern auseinander, sondern er analysiert die Schwächen und Fehler seiner deutsch-national eingestellten Landsleute«.224 In dieser Richtung äußert sich auch die zeitgenössische Literaturkritik, deren Resonanz weit geringer ausfiel als gegenüber den nationalen Studentenromanen aus dem Prager Milieu.225 Strobl selbst verweist allerdings in seinen Erinnerungen auf Erlebnisse in Iglau, die seine Aversionen gegen die tschechische Bevölkerung – bereits im Elternhaus vermittelt – zusätzlich bekräftigten. Ist damit Iglau als Hort des deutschen Nationalismus desavouiert? Ist weiterhin auf begrifflicher Ebene eher von deutschmährischer Literatur ohne Iglau (und anderer Enklaven) zu sprechen? Nein, denn auch in diesem Fall ist von Verallgemeinerungen vorerst abzusehen. Schließlich gibt es innerhalb der Schriftsteller und anderen Kulturschaffenden aus Iglau genügend Gegenbeispiele (z.B. Carl Meinhard, Josef Trübswasser oder Siegmund Werner). Als prominenteste Autorin aus Iglau etablierte sich Elisabeth Janstein, die in ihrem Werk Anschluss an den österreichischen Expressionismus findet und auch in ihren journalistischen Arbeiten frei von nationalistischen Auswüchsen bleibt. Ihre Ausbildung erhielt Janstein im nahegelegenen Wien, ›typisch‹ für deutschmährische Lebensläufe. Ist also doch der ›atypische‹ Lebenslauf Strobls, sein Studium in Prag, verantwortlich für »sein frohes Bekenntnis zum angestammten Volkstum und seine mutige Tatkraft für das bedrohte Grenzlanddeutschtum«, wie es eine, 1931 erlassene Ehrenurkunde vermeldet?226 Der zirkulöse Prozess kann nun mit einem Verweis auf den englischen Historiker Edward H. Carr abgekürzt werden: 224 | Marta Maschke: Der deutsch-tschechische Nationalitätenkonflikt in Böhmen und Mähren im Spiegel der Romane von Karl Hans Strobl. Berlin dissertation.de-Verlag im Internet 2003, S. 185. 225 | Vgl.: Ebd., S. 186. 226 | Abschrift der Ehrenurkunde des Deutschen Ausland-Institutes in Stuttgart für Karl Hans Strobl (1931). SOKA Jihlava, Nachlass Strobl, Karton 3. Zitiert nach dem Wiederabdruck bei M. Maschke: Der deutsch-tschechische Nationalitätenkonflikt, S. 328.
E RKL ÄRUNGEN Die Frage, ob am Anfang die Gesellschaft oder das Individuum war, gleicht der Frage nach der Henne und dem Ei. Ob man sie nun unter einem logischen oder einem historischen Aspekt behandelt, man kann in keinem Fall etwas über sie aussagen, was nicht einer Richtigstellung durch das Gegenteil, d.h. durch eine ebenso einseitige Aussage, bedürfte. 227
Weniger an theoretischen Problemen der Geschichtsschreibung interessierte Historiker umgehen derartige Probleme, indem sie sich auf eine beschreibende Ebene zurückziehen, die in bewusst vereinfachender Weise die Kernlinie der Entwicklung, gewissermaßen den Masterplan des Geschehens herauszuarbeiten versucht. Doch Aussagen übergreifender Art wie sie in historischen Darstellungen zu Böhmen und Mähren möglich und notwendig sind, können für die deutschmährische Literatur (noch) nicht getroffen werden. Deswegen bescheiden sich Bearbeiter regionaler Literaturen gerne mit der Ebene der Beschreibung, der Darstellung des Vorhandenen. Diese Selbstbeschränkung, durchaus vom Gegenstand gefordert, wird in Rezension oder kritischen Forschungsberichten leicht als Mangel identifiziert und als »Detailhuberei« abgelehnt.228 Obwohl derartige Kritik den Problemhorizont zu wenig berücksichtigt, besteht sie nicht ganz zu unrecht. Das diskursive Verhalten der gegenwärtigen Literaturwissenschaft zieht klare Thesenbildungen vor, die anhand theoretischer Modelle als tauglich oder untauglich beurteilt werden können. Ein Verzicht auf wirksame Thesen führt in der regionalen Literaturforschung nicht zum gewünschten Erfolg, nämlich der intensiven Auseinandersetzung einer möglichst großen Gruppe von Wissenschaftlern mit einer vergessenen, verkannten, ja fast verlorenen Literatur. Detailwissen und Autorenlisten, bibliographische Notizen und Kulturstatistiken, seien sie auch mühsam den Archiven abgerungen, sind nicht geeignet ein breiteres wissenschaftliches Publikum zu rekrutieren, da sie keinen Raum für Diskussionen oder kritische Nachfragen lassen. Daraus resultiert ein Präsentationsdilemma, das zu beklagen zwar angenehm, aber unredlich wäre. Der hier vorgeschlagene methodische Ausweg besteht in genauen Textbeschreibungen und -interpretationen unter Berücksichtigung des eigenständigen (inter-)kulturellen Kontextes der böhmischen Länder, um daraus eine ästhetische Kohärenz zu entwickeln, die (vorläufige) Thesen für den gesamten Bereich der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur ermöglicht. Der Akt der Thesenbildung sieht sich der essayistischen Vorgehensweise von William Johnston verpflichtet und der Technik der »kreativen Abduktion«, die Umberto Eco der Indizienverknüpfung von Sherlock Holmes zugeschriebenen hat.229
227 | Edward Hallett Carr: Was ist Geschichte? Stuttgart Kohlhammer 1981, S. 31. 228 | Eine unangenehme Begleiterscheinung der Nachwendezeit sind die ehemals regimetreuen Wissenschaftler, die sich nach 1990 zu profilieren versuchten, indem sie diejenigen Regimekritiker, denen sie ihre Materialbasis verdankten, wegen ihrer theoretischen Defizite diffamierten. 229 | Vgl. Umberto Eco: Die Grenzen der Interpretation: München Hanser 1992, S. 326ff.
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Bevor der Einstieg in die literarischen Textanalysen erfolgen kann, ist als Bringschuld noch die zweite Besonderheit der deutschmährischen Literatur nachzureichen. Bisher wurde von deutschböhmischer und deutschmährischer Literatur gesprochen, wobei dem mährischen Teil die Literatur aus Österreichisch-Schlesien stillschweigend eingegliedert wurde. Diese Annexion bedarf einer Erklärung. 1742 gelang es Friedrich II. von Preußen seine Machtbestrebungen durch den Gewinn der Provinz Schlesien im Frieden von Berlin zu saturieren.230 Er untermauerte damit die europäische Großmachtstellung Preußens. Die Kultur Schlesiens im Allgemeinen und die schlesische Literatur im Speziellen wurden dadurch zum Gegenstand der preußischen, später der polnischen Geistesgeschichte. Jedoch blieb ein kleiner Teil Schlesiens (die Teilung erfolgte etwa im Verhältnis 1:7 zugunsten Preußens) unter der Herrschaftsgewalt der Habsburger. Nach Einschätzung Franz Stephans von Lothringen, dem Gatten Maria Theresias, nur ein undankbarer Rest, in dem außer Bergen und Armut nichts zu holen sei.231 Die – nach dieser Einschätzung – unumgänglichen Bestrebungen Österreich-Ungarns, wenigstens einen Teil der bedeutenden Industrie- und Gewerbegebiete zurückzuholen, scheiterten und die Teilung wurde im Frieden von Dresden 1745 bestätigt und im Frieden von Hubertusburg 1763 endgültig manifestiert. An der Kargheit der Berglandschaft und der Armut weiter Landstriche änderte sich auch im Verlauf der 200 Jahre seit dem Frieden von Berlin nichts. Nur die Teschener Region, besonders das Industriegebiet um Mährisch-Ostrau nahm einen wirtschaftlichen Aufschwung im 19. Jahrhundert. Diese regionale Entwicklung führte dazu, dass Schlesien neben Niederösterreich mit 118 Einwohner pro Quadratkilometer die am Dichtesten besiedelte Provinz Österreichs bis 1918 war. Trotz seiner geringen Ausdehnung war auch das österreichisch verwaltete Restgebiet Schlesiens keineswegs homogen. Die Grenzziehung spielte dabei keine so große Rolle, da lediglich das Breslauer Bistumsland auseinandergerissen wurde.232 Vielmehr bestanden bereits vor dem Berliner Frieden, in den, nun zusammengeschweißten Regionen Schlesiens (Troppauer Land – Freiwaldau/Zuckmantel – Jägerndorf – Teschen – Olmützer Vorland) erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer historischen und kulturellen Entwicklung. Darüber hinaus war auch der Anteil der deutschen Bevölkerung in diesen Gebieten unterschiedlich. Während Stadt und Bezirk Jägerndorf rein deutsch besiedelt waren, bildete Troppau eine rein 230 | Zur europäischen Dimension der Teilung Schlesiens vgl. Julian Bartosz/Hannes Hofbauer: Schlesien. Europäisches Kernland im Schatten von Wien, Berlin und Warschau. Wien Promedia 2000, S. 59ff. 231 | Vgl. ebd. S. 62. 232 | In dieser kurzen Übersicht kann nicht auf die späteren geopolitischen Veränderungen (etwa die Teilung der Stadt Teschen) eingegangen werden. Interessant wäre eine eigene Studie zur Kulturgeschichte des Hultschiner Ländchens, das trotz seiner fast 90 Jahre langen Zugehörigkeit zur tschechisch-schlesischen Region von Teilen der Bevölkerung bis heute als Fremdkörper betrachtet wird.
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deutsche Insel, innerhalb des tschechisch besiedelten Troppauer Bezirkes. Gerade die bei Habsburg verbliebenen Fürstentümer Schlesiens wechselten vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit häufig ihren Besitzer, weswegen Dauer und Qualität der Kulturkontakte zwischen deutscher und tschechischer, polnischer oder ungarischer Bevölkerung uneinheitlich sind. Diese Heterogenität des Untersuchungsgebietes wird noch durch terminologische Unsicherheiten verschärft. Die Bezeichnung ›Schlesien‹ ohne Zusatz wird in der neueren Reiseliteratur233, teilweise auch in historischen Übersichtsdarstellungen,234 ausschließlich für den ehemalig preußischen, nun polnischen Teil verwendet. Das österreichische bzw. tschechische Restgebiet entschwindet in diesen Studien dem Blick der Autoren spätestens nach der bestätigten Abtrennung 1763. Ähnlich unterscheiden Abhandlungen und Reportagen über die Tschechoslowakei oder Tschechien häufig nur zwischen Böhmen und Mähren, wobei dessen schlesische Landesteile in die Überlegungen miteinbezogen werden. Präzisere Studien verwenden den Begriff ›Mährisch Schlesien‹.235 In der tschechischen Regionalforschung hat sich die Bezeichnung ›Österreichisch-Schlesien‹ durchgesetzt, die auch von den Enzyklopädien vom 18. bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts glossiert wurde. Er kommt auch hier zur Anwendung. Dieses Österreichisch- Schlesien ist nicht identisch mit dem ›Sudetenschlesien‹ das bis heute ohne definitorische Klarheit in der Literatur der Vertriebenen auftaucht. Dieser Begriff ist geographisch wesentlich umfassender, da er anscheinend den gesamten Gebirgszug der Sudeten an der tschechischpolnischen Grenze, mithin auch das Riesengebirge und die Gegend um Reichenberg als schlesisch deklariert.236 Die österreichisch-schlesischen Autoren waren Mitte des 18. Jahrhunderts einer plötzlichen Veränderung der politischen Situation ausgesetzt, der sich die persönlichen Lebensumstände erst langsam anpassten. Trotzdem kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die neue geopolitische und soziale Verbindung mit Mähren zu
233 | Vgl. Bartosz, Julian/Hofbauer, Hannes: Schlesien. Europäisches Kernland im Schatten von Wien, Berlin und Warschau. Wien Promedia 2000. Gawin/Schulze/Vetter: Schlesien. Deutsche und polnische Kulturtraditionen in einer europäischen Grenzregion. Köln DuMont 1999. 234 | Vgl. Bartsch, Heinrich: Geschichte Schlesiens. Würzburg Bechtermünz 1985. 235 | In Arbeiten des völkischen oder nationalsozialistischen Spektrums findet sich auch die Bezeichnung »Tschechoslowakisch Schlesien«. Vgl. Pfitzner, Josef: Grundzüge der Geschichte Schlesiens. In: Lodgman, Rudolf/Stein, Erwin (Hg.): Die sudetendeutschen Selbstverwaltungskörper. Band 8 Schlesien. Berlin-Friedenau Deutscher Kommunal Verlag 1930, S. 18-36. 236 | Beispielsweise blieb Josef Mühlberger aus Trautenau am Fuße der Schneekoppe, der sich in seinen literaturgeschichtlichen und autobiographischen Arbeiten durch eine differenzierte Landeskenntnis auszeichnet, seinem Selbstverständnis nach Schlesier.
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Verschmelzungstendenzen, gerade auch im Bereich der Kultur.237 Eine Annäherung an Mähren konnte umso leichter vollzogen werden als es im kulturellen Entwicklungsstand kaum bemerkenswerte Unterschiede gab. Österreichisch-Schlesien war vom 18. Jahrhundert bis in die frühe Moderne in kultureller Hinsicht nie etwas anderes gewesen als Provinz. Dieses Schicksal teilt es mit Mähren. Dies sieht auch Josef Pfitzner, selbst Schlesier aus Petersdorf bei Jägerndorf, dessen fragwürdige ideologische Gesinnung in diesem Zusammenhang unbedenklich scheint: Aber bei all diesen Dingen führte Schlesien nicht, es machte nur die in Gesamtösterreich sich vollziehende Entwicklung mit […]. Ein Gleiches war im kulturellen, geistigen Leben der Fall. Gerade die letzten achtzig Jahre wiesen den Höhepunkt des Zuges aus Schlesien nach Wien und den Alpenländern auf. Schlesien gab seine Intelligenz im weitesten Maße an die Zentrale ab und machte ähnlich wie Mähren den Eindruck einer geistig erschlafften, ausgesogenen Provinz. 238
Das Zusammenwirken von politischer Absonderung vom schlesischen Hauptgebiet, innerer Zersplitterung der Region und dem Zusammenwachsen mit Nordmähren führte dazu, dass sich auch in Österreichisch-Schlesien kein literarisches Zentrum herausbilden konnte, obwohl freilich Jägerndorf, Troppau und Ostrau eine höhere literarische Tradition aufzuweisen haben als die kleineren Städte und Dörfer der schlesischen Berglandschaft. Der zeitgenössische literarische Erfolg und eine Rezeption in Literaturgeschichten waren wie in den Provinzregionen Mährens abhängig vom Überschreiten der engen schlesischen Bezüge. Die Daheimgebliebenen gerieten in völlige Vergessenheit. Wegen der historischen Entwicklung und der literatursoziologischen Bedingtheiten ist es kaum möglich und vielleicht gar nicht sinnvoll, einen selbstständigen literaturgeschichtlichen Abriss Österreichisch-Schlesiens zu erarbeiten. Jedenfalls steht diesem Vorhaben augenblicklich der geringe Aufarbeitungsgrad des Textbestandes durch die Literaturwissenschaft entgegen. Deswegen wird ÖsterreichischSchlesien im weiteren Verlauf vereinfachend der deutschmährischen Literatur zugeschlagen. Nur punktuell wird auf Besonderheiten dieser Region eingegangen, wenn der Inhalt des Textes eine Differenzierung erfordert.
237 | Dieser Vorgang lässt sich an den literarischen Zeitschriften gut ablesen, die trotz ihrer betont engen regionalen Ausrichtung (etwa Nordmährerland) selbstverständlich Autoren anderer Regionen als Mitarbeiter aufnehmen, auch wenn diese keinerlei Bezüge zur Region in ihren Werken aufweisen können. 238 | Josef Pfitzner: Grundzüge der Geschichte Schlesiens., S. 35.
Der Nationalitätenkonflikt N ATIONALE L ITER ATUR – M IMESIS ODER P ROPAGANDA? Moderne, im zeitlichen Umfang der Mikroepoche, wie sie hier verstanden wird, ist ein Begriff der Kunstgeschichte, der Literatur- und Musikwissenschaft. In der Geschichtsschreibung findet der Terminus in weit geringerem Umfange Anwendung als man vermuten könnte. Stattdessen hat sich mit »Zeitalter des Imperialismus« ein anderer Begriff durchgesetzt, der die allgemeine Epochenbezeichnung bereits durch ein markantes Merkmal ersetzt, das für die Historiker im Vordergrund steht.1 Der Imperialismus als weltpolitische Spielart des Nationalismus bestimmt die Zeit von 1880 bis 1914 als Vorbereitungsphase für die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Diese Konzeption bedingt ein Primat der Außenpolitik und der Diplomatie. Innenpolitische und damit auch kulturelle Belange werden nur insofern aktuell als sie die diplomatischen Prozesse behindern oder unterstützen. Aus dieser traditionell historischen Sicht wäre es darum wohl korrekter von Literatur und Kultur im Zeitalter des Imperialismus zu sprechen als von einer Literatur der (Frühen) Moderne. Dass dies dann doch nicht geschieht, liegt nicht an der geringen Eleganz, die der Begriff ausstrahlt. Cassirers Prägung eines Zeitalters der Aufklärung ist nicht eleganter und wird trotzdem in den Geisteswissenschaften auch außerhalb der Philosophie rege verwendet. Das Unbehagen entstammt den allzu einseitigen Implikationen des Begriffs Imperialismus, für den das Zusammenspiel von Machtpolitik, wirtschaftlicher Expansion und Nationalismus charakteristisch ist. Das Bild der Moderne jedoch ist für den Literaturwissenschaftler von ganz anderen als politischen Elementen besetzt. Das ist freilich richtig, darf aber nicht dazu verleiten die historische Sichtweise zu vernachlässigen, wie es zuweilen in der Beurteilung nationalistischer Tendenzen in der Literatur erfolgt. Von 1880 bis 1914 war der Nationalismus eine gängige Praxis der europäischen Politik und 1 | Vgl. Wolfgang J. Mommsen: Das Zeitalter des Imperialismus. Frankfurt a.M. Fischer 1985 und Gregor Schöllgen: Das Zeitalter des Imperialismus (Grundriß der Geschichte Band 15) München Oldenbourg 1986. Anders interpretiert Lothar Gall offensichtlich diese Epoche, der seinen, in der Reihe Grundriß der Geschichte vorangehenden, Beitrag mit »Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1890« betitelt.
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nationale Konflikte waren das anerkannte, häufig auch erwünschte, Mittel, um die eigenen machtpolitischen Ambitionen durchzusetzen. Der jüdischer Prager Philosoph Max Steiner, der in der Fackel publizierte und in Berlin zum Vorbild von Kurt Hiller und seinem Kreis der Aktivisten wurde, formulierte in der ihm eigenen inneren Konsequenz seines Denkens wohl die entschiedenste Befürwortung staatlichen Expansionsstrebens. Das Gesetz von der Konstanz der politischen Freiheit zeigt, daß eine Gesamtvermehrung der Freiheit im Staate nur auf zwei Wegen zu erreichen ist: durch materielle Arbeit und durch Krieg. Nicht die Legislative kann Freiheit schaffen, wie der Liberalismus glaubt; noch weniger die Revolution, wie der Sozialdemokrat wähnt. Gesetzgebung und Aufstand führen einen Austausch der Freiheit herbei, einen Übergang der Entwicklungsmöglichkeit von der einen Klasse auf die andere. Man überlasse daher die parlamentarischen Spießbürgerideale dem Liberalismus und die revolutionäre Phrase der Sozialdemokratie. Man rüste sich zum Kriege, um die Güter fremder Nationen zum Besitztum des eigenen Volkes zu machen, und man übe den Geist, Mittel zu erfinden und neue Werte zu schaffen. 2
So deutlich wurde der imperialistische Anspruch nationaler Denkweisen nur selten aufgedeckt. Eher nahm man den Krieg als letzte Konsequenz billigend in Kauf. Der Nationalismus war nachgerade das Ruhekissen einer kritischen Epoche der Modernisierung, die den einzelnen, auch den einzelnen Künstler, vor Probleme stellte, seine Rolle in der nicht mehr gemeinschaftsorientierten Gesellschaft zu finden. Die zeitspezifischen Schlagworte Orientierungslosigkeit und Entfremdung waren eben nicht nur solche. Sie charakterisieren auch die Lebensumstände eines großen Teils der Bevölkerung. Bersten die Heilsgewissheiten, so hilft nur die Suche nach neuem Heil, das oft genug nur in der Flucht gefunden werden kann. Aus dieser Flucht, die ebenso gut als Sinnsuche dargestellt werden kann, resultiert das »Warenhaus der verkappten Religionen«,3 also die zahllosen Vereinigungen, Ideologeme, Geheimgesellschaften, Bewegungen und anderen Verbindungen politischer, religiöser oder (natur-)wissenschaftlicher Art, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in unüberschaubarer Fülle entstanden und die Epoche der Frühen Moderne entscheidend charakterisierten. Dieser Prozess kennzeichnete die gesamte europäische Moderne, besaß aber in Deutschland wegen der verspäteten und von unterschiedlichen Konstrukten geprägten nationalstaatlichen Entwicklung eine Einschränkung.
2 | Max Steiner: Die Welt der Aufklärung. Nachgelassene Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Kurt Hiller. Berlin Ernst Hofmann & Co. 1912, S. 97f. 3 | Carl Christian Bry: Verkappte Religionen. Gotha Klotz 1925, S. VIII.
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T Der einzige politische Glaube, den es gab, das war der Nationalismus, aber er hatte in Deutschland nicht die ruhige Selbstgewissheit einer langen Tradition und sicherer Erfolge, die ihn zur Vermittlung von Tradition und Modernität befähigt hätte. 4
Nipperdey bezieht sich in seinem Vergleich auf die gewachsenen Strukturen im Widerstreit zwischen Konservatismus und Liberalismus in Frankreich und England, die in Deutschland binnen der kurzen Zeitspanne von Reichsgründung und Erstem Weltkrieg aufeinander prallten und so nicht zu einer evolutionären Ausgewogenheit gelangten. Hinsichtlich der politisch-kulturellen Grundbedingungen für die Literatur in Böhmen und Mähren ist nun die Frage zu klären, ob die Habsburgermonarchie eher dem westlichen Modell oder dem deutschen zuneigte. Die Antwort muss jedoch auf eine andere Ebene delegiert werden, da Österreich-Ungarn kein Nationalstaat im Sinne Frankreichs, Englands oder auch Deutschlands seit 1871 war. Deswegen dominierten nicht außenpolitische Expansionsbestrebungen die Politik der Doppelmonarchie, sondern im Vielvölkerstaat selbst herrschte spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Atmosphäre nationaler Zwietracht, die sich sowohl innerhalb der beiden Reichshälften als auch über das gesamte Staatskonstrukt ausbreitete. Daran änderte auch wenig, dass bis in die Endphase der Monarchie hinein Beamte und Funktionsträger der Monarchie angewiesen waren, supranational zu agieren. Außerhalb des kaiserlichen Verwaltungsapparates und dem teilweise auch übernational eingestelltem Adel und den Intellektuellen überwog gegen Ende des Jahrhunderts der Drang nach Durchsetzung nationaler Rechte. Gerade in den Landesteilen, in denen sich wie in den böhmischen Ländern die Mehrheitsverhältnisse knapp gestalteten, konnte sich kein gebändigter Nationalismus im Sinne Nipperdeys entwickeln. Ganz im Gegenteil wurde von den einzelnen nationalen Gruppen, die den Imperialismus der Großmächte kritisierten, aber oft genug sich als Imperialismus im Kleinen gerierten, eine hektische Jagd auf nationale Erfolge entfesselt. In der Epoche der Frühen Moderne war der Nationalismus in ganz Europa ein historisches Faktum und bestimmte den politischen und kulturellen Diskurs. Die historisch gewachsene deutsch-tschechische Konfliktgemeinschaft5 wurde durch diesen allgemeinen Diskurs besonders heftig aufgestachelt, da in Böhmen und Mähren annähernd gleich starke nationale Gruppen aufeinander trafen. Die Tschechen beflügelt durch den raschen wirtschaftlichen Aufstieg im Zuge einer zunehmenden Industrialisierung des Landes, die Deutschen im Gefühl der nationalen Überlegenheit, die sie aus der reichen Tradition Deutschösterreichs und Deutschlands bzw. angestammten historischen Rechten ableiteten. Die deutsche Seite geriet dabei immer mehr in eine Abwehrposition gegenüber der dynami4 | Thomas Nipperdey: Nachdenken über die deutsche Geschichte. München dtv 19912, S. 67. 5 | Der Begriff wurde geprägt von Jan K řen: Konfliktní spole č enství. Češi a N ěmci 17801918. Praha 1990. Deutsche Ausgabe: Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780-1918. München Oldenbourg 1996.
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schen Entwicklung der Tschechen. In der Literatur der Zeit wurde der nationale Konflikt zunächst mit Pathos ausgetragen. Die Autoren verfielen aber in Anbetracht der historischen Tatsachen in zunehmenden Maße in einen resignativen Ton, der sich erst in den 1930er Jahren, angestachelt durch die Ereignisse im Deutschen Reich, wieder veränderte. Doch schon der Chefkommentator der Zeitung Deutsche Wacht beschließt seinen Aufmacher am 15. August 1902, der sich mit der Ausbreitung tschechischer Schulen im ehemals rein deutschen Siedlungsgebiet auseinandersetzt mit der Klage: »Wie aus dem jetzigen Chaos Licht entspringen soll, ist eine unlösbare Frage«.6 Dass die Deutsche Wacht selbst an einem Kompromiss in dieser Sache nicht interessiert war, dokumentiert sie auf jeder Seite mit dem Aufruf »kaufet nur bei deutschen Gewerbetreibenden«.7 Für die flächendeckende Akzeptanz des Nationalismus sorgten literarische Erzeugnisse, die unterschwellig, aber kontinuierlich auf das Bewusstsein der Bevölkerung einwirkten. Weite Teile der regionalen Literatur inszenierten so eine stetige Dramatisierung des nationalen Konfliktes. Der Nationalismus bestand demnach in den Regionen aus tatsächlichen soziopolitischen Gegebenheiten und Akten der Performanz. So etwa in den Schriften Johann Peters, eines böhmischen Dorfschullehrers, der zeitweilig in Niederösterreich wirkte und an Roseggers Zeitschrift Heimgarten mitarbeitete. Peter gab 1894 eine Auswahl seiner Gedichte heraus, die mit einem Lob auf die im Hintergrund wirkenden Pädagogen einsetzt: Würde des Lehrstandes Des Menschentumes höchste Krone Ist wahre, reine Menschlichkeit; Sie ist des Lebens Wunderblüte, Des Daseins Zauberherrlichkeit. Drum wollen wir sie sorgsam mehren In Wort und Tat durch unsre Lehren. […] Hier sitzt das kleine Zukunftswesen Mit einem Blick so engelsmild, Und schaut empor zu dir, o Lehrer, Wie auf ein hehres Gottesbild! Du bist ihm Vater, Freund und Führer, Bist Bruder ihm, und doch – Regierer! 6 | Karl Pröll: Die slavischen Angriffs-Schulen im deutschen Sprachgebiet Oesterreichs. In: Deutsche Wacht für die Bezirke Hohenstadt, Müglitz und Schildberg Jg. 2 15.8.1902, S. 1. 7 | Ebd.
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T […] So führst du fragend und belehrend Den Zögling ein ins weite Feld Der Wissenschaften und der Künste, Und schenkst ihm so die Geisteswelt Mit allen ihren Wissensschätzen Und Formeln, Regeln und Gesetzen. […] Und so erblüht im Schoß der Schule Des Volkes Macht und Herrlichkeit, Des Staates Wohl, des Geistes Freiheit, Des Lebens Glück und Seligkeit. Und dieses Glückes sel’ge Labe Ist edlen Lehrers treue Gabe. 8
Als Panegyriker seines eigenen Berufsstandes wählt Peter in diesem Gedicht den gleichen Duktus, den er auch in den Lobreden auf Österreich und den Kaiser verwendet. Dass hier eine Verherrlichung des Lehrberufes betrieben wird, liegt auf der Hand und entspricht der gewählten Gattung. Trotzdem sind die Funktionen des Lehrers in der böhmisch-mährischen Provinz, wenn auch mit Abstrichen, treffend beschrieben. Der Einfluss eines Dorflehrers ist zu Ende des 19. Jahrhunderts höher anzusetzen als heute, da er in der dörflichen Gemeinschaft häufig der Einzige war, der über Bildung und einen Zugang zu aktuellen Informationen zum Tagesgeschehen verfügte.9 Der Wissensschatz, den das hehre Gottesbild Johann Peter in das Hirn seiner emporblickenden Schüler senkt, umfasst die Liebe zur Natur, zur Heimat und zu Gott und Vaterland. Nur selten schlägt er einen nationalistischen Ton an, der aber gerade deswegen Wirkung erzielt:
8 | Johann Peter: Der Poet im Dorfschulhause. Ausgewählte Gedichte. Großenhain und Leipzig Baumert & Ronge 1894, S. 3ff. 9 | Der Adambauer in Roseggers Erdsegen gibt seinem Knecht, der in Wirklichkeit Journalist ist, den folgenden gutgemeinten Ratschlag: »Wenn du aber mit Zeitungen umthätest! Einen Knecht, der Zeitung liest, kunnten wir wohl nit brauchen. Sei froh, daß dir der liebe Gott einen ehrengeachteten Stand gegeben hat, der mit den lumpigen Faxen nichts zu schaffen hat.« Peter Rosegger: Erdsegen. Volksausgabe Dritte Serie Bd. 3. Leipzig Staackmann 1913-1916, S. 76.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Meine Heimat Vom Böhmerwalde bin ich her, dem deutschen Hochwaldrecken, wo Riesenforste, schwarz und schwer, die braunen See’n umhecken! Wo aus des Moores Wüstenein Die Moldau los sich ringet, Und festgefügtes Urgestein Der Slaven Flut bezwinget. […] Und durch die Gründe schreitet stolz Der freie Sohn der Wildnis, Vom Urgestein und Felsenholz Das lebensvollste Bildnis. Die Axt ist seine Hab’ und Ehr’ Und Kraft ist seine Würde Und droht ihm auch das Leben schwer, Er meistert seine Bürde! Im Herzen trägt er einen Schatz: Die Lieb’ zum deutschen Volke! Ihn hütet er und ist am Platz, Wenn dräut die Unheilswolke, Die von dem slav’schen Osten her Sich zieht wie eine Schlange Doch ist sie noch so wetterschwer, Dem Waldler wird nicht bange! Mit deutscher Faust und deutschem Mut Weiß er sein Gut zu schützen, Und sollt’ an ihm des Erbfeinds Brut Ihr ganzes Gift verspritzen. Der Mann der Wolf und Bär bezwang, Und der den Urwald meistert: Deutsch wird er bleiben lebenslang, Fürs Deutschtum nur begeistert!10
10 | Johann Peter: Der Poet im Dorfschulhause, S. 9ff.
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Die deutschnationale Einstellung ist laut Peter nichts, was auf dem Lehrplan stehen müsste. Die »Liebe zum deutschen Volke« ist dem Böhmerwäldler seit Urzeiten gegeben, eine angeborenen Herzensangelegenheit, die der intellektuellen Erziehung durch den Pädagogen Peter nicht bedarf. Indem das Slawentum als ›Erbfeind‹ in den Text eingebunden ist, wird auch der deutsch-slawische (tschechische) Antagonismus zu einer naturgegebenen Angelegenheit, die sich einer rationalen Auseinandersetzung entzieht. Wie viel Wert Peter auf die Abwertung der Slawen legt, zeigt der Reim »Gift spritzen« auf »schützen«, der einzige unreine Reim des Gedichtes, und auch das schiefe Bild der schlangenhaft von Osten in den Böhmerwald ziehenden Wolke, ist dieser Absicht geschuldet. Doppelzüngigkeit und Heimtücke sind zwei immer wiederkehrende Attribute der Tschechen in den Grenzlandromanen der Frühen Moderne.11 In diesen Romanen, ebenso wie im Gedicht Peters ist es nicht der klare Kampf auf Leben und Tod, der der slawischen Schlange vorgeworfen wird, damit kann der ›Deutsche‹ – siehe Wolf, siehe Bär – umgehen, sondern der hinterlistige Angriff auf seine nationale Überzeugung. Die exponierte Stellung des Gedichtes am Anfang des Bandes beweist aber dann doch, dass die didaktische Leistung des Lehrers sich auch auf den nationalen Bereich erstreckt. Das angestammte Nationalverständnis soll durch den Lehrer erinnert und wachgehalten werden, damit der Deutsche dem herannahenden Unwetter einer slawischen Besiedlung der Heimat widerstehen kann. »Meine Heimat« ist das Gedicht überschrieben und damit schlägt Peter die Brücke von der germanischen Historie in die Gegenwart. Beide einleitenden Gedichte sind selbstreflexiv und funktional aufeinander bezogen. Der Lehrer besitzt die Macht, der deutschen Jugend den Glauben an ihre ursprüngliche nationale Kraft zu erhalten oder wiederzugeben. Darum ist die Figur des Lehrers von großer Bedeutung für die böhmische und mährische Literatur der frühen Moderne und darüber hinaus. Sie gehört zum Standardinventar der Grenzlandromane und harrt schon seit langem einer genaueren Untersuchung.12 Hier sollte nur gezeigt werden, dass sich der herrschende Nationalismus der Zeit auch in Texten widerspiegelt, die sich auf den ersten Blick nicht explizit mit dieser Thematik auseinandersetzen. Die nationalen Äußerungen bekommen so einen anderen Stellenwert als in Anthologien, die unter dem Gesichtspunkt der Bekundung nationaler Zugehörigkeit zusammengestellt wurden. Da in dieser Arbeit fast ausschließlich eigenständig publizierte und namentlich gekennzeichnete Texte analysiert werden, können manche Urteile 11 | Vgl. Karsten Rinas: Die sudetendeutsche und die tschechische Grenzlandliteratur im Vergleich. In: Störtkuhl/Stüben/Weger (Hg.): Aufbruch und Krise. München Oldenbourg 2010, S. 583-605. 12 | Einige Studien liegen bereits vor: Marie Krappmann: Emil Merker = Erwin Moser? Eine literaturgeschichtliche Spurensuche. In: Ingeborg Fiala-Fürst/Jaromír Czmero (Hg.): Amici Amico III. Festschrift für Ludvík E. Václavek. Olomouc Universitätsverlag 2011, S. 251-259 und Kristina Lahl: Rolle und Funktion des Lehrers in ausgewählten sudetendeutschen und Prager deutschen Romanen. In: Peter Becher (Hg.): Prag – Provinz. [im Druck]
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in der sonst kenntnisreichen und umsichtigen Habilitationsschrift von Andreas Schumann Heimat denken korrigiert werden.13 Schumann selbst merkt an, dass Anthologien aus den Grenzgebieten, die er den Kerngebieten der deutschen Literatur gegenüberstellt, meist schon im Titel ihr Programm offenlegen.14 Hie deutsch! Dichterstimmen zu Schutz und Trutz für das Deutschtum in Böhmen. Herausgegeben zum Besten der Wehr gegen die Unterdrückung der deutschen Sprache in Böhmen ist in nahezu barocker Ausführlichkeit eine Sammlung von Hermann Thom überschrieben.15 Die Textauswahl unterliegt in diesen Schriften dem propagandistischen Vorhaben, »der Abgrenzung vom ›Fremden‹, hier also Tschechischen, der Selbstbehauptung und dem Wunsch der Aufnahme in eine ›deutsche‹ Gemeinschaft, in der Hoffnung, dort als gleichwertig akzeptiert zu werden«.16 Die Akzeptanz erfolgt aber – siehe Peter – nicht immer über einen Vergleich der regionalen Grenzkultur mit den Leistungen der Kerngebiete. Jedenfalls in Böhmen und Mähren ist das Selbstbewusstsein so groß, dass auch Stimmen durchdringen, die ihre traditionellen Kulturwerte nicht »gleichsam als Aufnahmegesuch«17 in die übergeordnete Gemeinschaft Deutschland oder Österreich verstanden wissen wollen. Bis 1918 genügte die Treue zum Kaiserhaus, um ein vollwertiges Mitglied innerhalb der deutschösterreichischen Kommunität der Habsburger Monarchie zu sein. Am deutlichsten wird dies in Texten, die von ihrer Gattungskonstitution her, eines nationalen Elementes oder heimatlichen Bezuges nicht bedürfen, z.B. der phantastische Weltverschwörungsroman Eleagabal Kuperus (1910) von Karl Hans Strobl oder die satirischen Kleinstadterzählungen Hermann Wagners, die auch an anderen Schauplätzen spielen könnten.18 Diese Beispiele belegen das Bewusstsein einer kulturellen Eigenständigkeit in Böhmen und Mähren, dem ein gewisser Grundstolz auf die Leistungen des Heimatlandes zugrunde liegt. Schon im Mittelalter entwickelte dieser Stolz ein politisches Selbstverständnis, das als Landespatriotismus bekannt wurde. Zunächst von Königtum und Adel als Instrument der Herrschaftsausübung installiert, fasste er spätestens im 14. Jahrhundert auch in der Bevölkerung Fuß.19 Der konstitutionelle Landespatriotismus blieb für weite 13 | Andreas Schumann: Heimat denken. Regionales Bewußtsein in der deutschsprachigen Literatur zwischen 1815 und 1914. Köln Böhlau 2002. 14 | Ebd., S. 77 (Anmerkung 130). 15 | Hermann Thom [d.i. Hermann Meyer]: Hie deutsch! Leipzig Thom 1897. Vgl. auch Adolf Hagen/Erich Fels: Wehr und Waffen. Deutsche Dichtungen des jungen Österreich von A.H. und E.F. Leipzig Wigand 1885. 16 | Schumann: Heimat denken, S. 64. 17 | Ebd. 18 | Vgl. Hermann Wagner: Die feindlichen Mächte. München Georg Müller 1909. Darin sehr unvermittelt die kleine Erzählung Die Lage der Deutschen in Böhmen. 19 | Vgl. Ernst Erich Metzner: Böhmisch-mährischer Landespatriotismus in deutschsprachigen Dichtungen des Mittelalters und der Neuzeit. In: I. Fiala-Fürst/J. Krappmann (Hg.): Deutschböhmische Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2001, S. 135ff. Aus Václav Černý
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Teile des Adels und ab dem 18. Jahrhundert auch der bürgerlichen Intellektuellen bestimmend und entbehrte auf Grund seiner Herkunft im Mittelalter einer nationalen Komponente. Der Landespatriotismus sperrte sich demnach auch gegen den im Gefolge der Französischen Revolution aufkommenden Nationalismus. Ideelle Grundlage für notwendige Anpassungsprozesse an die historische Entwicklung in der Aufklärung fand man in der Herderschen Konzeption des Volksgedankens. Das landespatriotische Denken, das an einem starken Böhmen interessiert war, ohne Ansehen der unterschiedlichen, auf diesem Territorium lebenden, nationalen und ethnischen Einheiten, erlebte einen letzten Höhepunkt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Gegengewicht gegen den ›modernen‹ Nationalismus. In der Literatur wird diese Haltung durch die Aufnahme tschechischer Themen bezeugt.20 Zu dieser Zeit gingen ausgleichende Bemühungen aber schon an den tatsächlichen Verhältnissen in Böhmen und Mähren vorbei. Der idealistische Anspruch mit dem die Zeitschrift Ost und West 1837 angetreten war, scheitert an den disparaten nationalen Zielsetzungen ihrer tschechischen und deutschen Beiträger.21 Als Idealvorstellung eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens aller Völker in den böhmischen Ländern verschwand der Landespatriotismus aber bis zum gewaltsamen Ende der ersten Tschechoslowakischen Republik nicht aus der Diskussion. Weite Teile der Prager deutschen Literatur pflegten diese Gesinnung und auch noch Mühlbergers Zeitschriftenprojekt mit dem programmati-
spricht hingegen der gar nicht so internationale Sozialismus seiner Zeit, wenn er den Landespatriotismus als »Konzeption tschechischen Ursprungs« bezeichnet. Václav Černý: Rainer Maria Rilke: Prag, Böhmen und die Tschechen. Brno Artia 1966, S. 26. 20 | Karl Egon Ebert: Wlasta (1829), Böhmische Kolatschen (1833), Bretislaw und Jutta (1835); Moritz Hartmann: Kelch und Schwert (1845); Karl Herloßsohn: Der letzte Taborit (1834); Wallensteins erste Liebe (1844); Die Mörder Wallensteins (1847); Uffo Horn: König Ottokar (1838); Alfred Meißner: Ziska (1846). Eine antiböhmische, aber promährische Position nahm Grillparzer in seiner Bearbeitung des Ottokarstoffes (1825) ein. Vgl. Joerg Krappmann: Ottokar ist Grillparzer oder die vorschnelle Verallgemeinerung der Mährer als Böhmen. In: Fiala-Fürst, I./Krappmann, J. (Hg.): Deutschböhmische Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2001, S. 117-125. 21 | »Der Anachronismus von Ost und West lässt sich gerade in der schon erwähnten Fehleinschätzung liberaler Intellektueller ablesen, die mit Hilfe konstitutioneller Rechte die Frage der Nationalität und deren separierendes Potential marginalisieren zu können glaubten.« Steffen Höhne: Nationale Antagonismen in Böhmen. Zum Programm von Ost und West. In: Brücken Neue Folge 9-10 (2001/02), S. 81. Höhne konnte in seinen Arbeiten nachweisen, dass die nationalen Gegensätze, die oft zu Unrecht auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert werden, bereits zu Anfang des Jahrhunderts die politischen und sozialen Verhältnisse in Böhmen und Mähren bestimmten.
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schen Titel Witiko lässt sich unter landespatriotischen Gesichtspunkten werten.22 Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist es nicht mehr der Landespatriotismus als politisches Konstrukt, der die Anziehungskraft ausübt, sondern die ihm innewohnende Toleranz und Humanität. Stifter wollte in seinem 1865-67 erschienenen Roman Witiko noch »eine utopistische Antwort auf die politischen Verwerfungen und Erschütterungen seiner Zeit, der Zeit des aufkommenden Nationalismus (und damit zugleich auch die aufkommende Demokratiebewegung)«23 geben. Bald danach gewann der Nationalismus (und wenig später auch die Demokratie) in Böhmen und Mähren die Oberhand. Beide weisen, wenn auch aus unterschiedlichen Positionen, die konservative Utopie des Landespatriotismus in ihre historischen Schranken. Mühlbergers Zeitschrift Witiko zielt nicht mehr auf den politischen Systemwandel, sondern auf die inhaltlichen Werte des Landespatriotismus als ausgleichendes Element innerhalb der nationalen Konflikte. Dieser Überblick ist sehr vereinfachend. Er unterscheidet sich aber im Prinzip nicht von den differenzierten Ergebnissen der Bohemismusdebatte, die seit einigen Jahren stärker in der Fokus der Geschichtswissenschaft und teilweise auch der Literaturwissenschaft gerückt wurde. Die wichtigsten Ergebnisse dieses diskursanalytisch und/oder kulturwissenschaftlich vorgehenden Projektes sind die Habilitationsschrift von Steffen Höhne24 , sowie die daran anknüpfenden Artikel in der Zeitschrift Brücken seit dem Jahr 2000. Die prinzipielle Übereinstimmung zwischen dem oben beschriebenen Landespatriotismus und dem Bohemismus wird an der Definition Höhnes deutlich: Unter Bohemismus soll ein Integrationsmodell für die böhmischen Länder verstanden werden, welches die nationalen Divergenzen und Interessen zwischen Tschechen und Deutschen zugunsten übernationaler Einstellungen aufzulösen sucht und dabei von einer prinzipiellen Gleichheit im Sinne einer nicht-prioritären, auch sprachlichen Gleichberechtigung der Böhmen »slawischen wie deutschen Stammes« – so eine Formel von Augustin Smetana 1848 – ausgeht. 25
Zwei Begriffe also für das gleiche Phänomen? Nicht ganz, denn für den Historiker ist es durchaus sinnvoll zwischen dem älteren Modell des Landespatriotismus 22 | Vgl. Michael Berger: »Witiko« (1928-1931) – eine Zeitschrift zwischen Provinz und Metropole. In: Brücken. Neue Folge Bd. 1 (1991/92), S. 53ff. 23 | Metzner: Böhmisch-mährischer Landespatriotismus, S. 140. 24 | Steffen Höhne: Öffentliche Diskurse um Nationalität und Ethnizität im Spannungsfeld von böhmischem Landespatriotismus und nationaler Desintegration. Ein Beitrag zur Entstehung der ›deutsch-tschechischen Konfliktgemeinschaft‹ im Zeitalter der Restauration (1815-1848) aus philologischer Perspektive. Jena 2000. 25 | Steffen Höhne: Der Bohemismus-Diskurs zwischen 1800 und 1848/49. In: Brücken Neue Folge 8 (2000), S. 18. Binnenzitat bei Augustin Smetana: Die Bestimmung unseres Vaterlandes Böhmen vom allgemeinen Standpunkte aufgefasst. Prag 1848.
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und dem Bohemismus im 19. Jahrhundert zu unterscheiden, da beide eben unterschiedlichen historischen Perioden entstammen und anderen soziopolitischen Bedingungen unterliegen. Sollen divergenz- und konsensbetonende Topoi26 zur Zeit des tschechischen Erwachens (und deren diskursive Verwendung) herausgearbeitet werden, müssen die Begrifflichkeiten dem Untersuchungszeitraum angepasst werden. Aus übergeordneter Perspektive erscheint Landespatriotismus der tragendere Begriff zu sein, da man sich durch ihn auch der Notlösungen enthebt, die Bestrebungen Stifters als »Spätbohemismus« und die vermittelnden Aktivitäten innerhalb der Prager deutschen Literatur der Zwischenkriegszeit als »Neobohemismus« zu bezeichnen.27 Zudem wird der Bereich nicht deutlich, auf den sich »Bohemismus« bezieht. Handelt es sich um Böhmen im engeren Sinn oder um die böhmischen Länder. »Im ersteren Fall wäre neben dem böhmischen auch nach dem mährischen Landespatriotismus zu fragen, denn auch ein solcher, ein Moravismus, zeichnet sich in dieser Epoche ab«.28 Die Publikationen zum Bohemismus-Diskurs sind in dieser Frage nicht einheitlich.29 Da sich diese Untersuchung, wenn auch mit böhmischen Ausnahmen, auf die mährische deutsche Literatur konzentriert, die einzelnen Phasen dieses Diskurses nicht kommentiert und mit literarischen Texten arbeitet, wird von einer Übernahme des Begriffs »Bohemismus« abgesehen. Der in den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert gern verwendete Begriff ›Utraquisten‹ ist mit dem hier skizzierten Landespatriotismus nicht deckungsgleich. »Utraquismus bedeutete das klare Bekenntnis zu einer nationalen Doppelidentität«.30 Diese Definition schließt landespatriotische Varianten aus, bei denen sich Personen einer Nationalität zugehörig fühlen, ohne dadurch eine gewisse Überlegenheit in kultureller oder ethnischer Hinsicht abzuleiten oder gar Machtansprüche zu stellen. Für diese Variante ist auch Bilingualität keine notwendige Voraussetzung, wenngleich sich Lufts These einer Diskrepanz zwischen den eindeutigen nationalen Umfrageergebnissen und den tatsächlichen nationalen und sprachliche Verhältnissen in Prag in der böhmischen und mährischen Provinz be26 | Zum Toposbegriff vgl. Höhne ebd., S. 30ff. 27 | Ebd., S. 29. Der Begriff »Neo-Bohemismus« zuerst bei Berger, Michael: Von der böhmischen Heimat ins sudetendeutsche Grenzland. In: Brücken Neue Folge 3 (1995), S. 255. 28 | Anna M. Drabek: Zur historischen Ausgangslage des Bohemismus-Diskurses. In: Brücken Neue Folge (2000), S. 10. 29 | In der oben zitierten Definition spricht Höhne von »böhmischen Ländern« und im Text werden den Tschechen die »Deutschböhmen« gegenübergestellt. In beiden Fällen wird also Mähren miteinbezogen. Im Gegensatz dazu besteht der untersuchte Textkorpus aus Publikationen, die in Prag erschienen. Mährische Zeitungen und Zeitschriften wurden (noch) nicht einbezogen. Ebenso fehlt bei den allgemeinen Ausführungen zu landespatriotischen Konzepten im 20. Jahrhundert ein Verweis auf den Mährischen Ausgleich von 1905. 30 | Robert Luft: Zwischen Tschechen und Deutschen in Prag um 1900. In: Brücken Neue Folge 4 (1996), S. 154.
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stätigt. Zwischen der Position von Höhne, der Bohemismus als Ausnahmeerscheinung in einem seit Beginn des 19. Jahrhunderts sich nationalistisch verschärfenden nationalen Diskurs versteht und dem Einwurf Robert Lufts, dass die Zahl der bewussten Utraquisten31 in den böhmischen Ländern durch eine, bis heute nachwirkende »Geringschätzung nationaler Zwischenstellungen und Interferenzen«32 verschleiert würde, ist der Landespatriotismus als ideelles Prinzip ein (vielleicht nur vorläufiger) Mittelweg zur Analyse literarischer Texte. Nationalismus und landespatriotische Toleranz sind die beiden Gegenpole, die sich im Untersuchungszeitraum gegenüberstehen. Die Literatur der Frühen Moderne in Böhmen und Mähren wird von diesem Gegensatz bestimmt. Trotz des polaren Charakters treten viele Facetten und Abtönungen zu Tage, selbst in Texten, die als Paradigma der nationalistischen Grenzlandliteratur angesehen werden. Das unterscheidet die ›nationale‹ Literatur der Frühen Moderne von der programmatischen Literatur in der ersten tschechoslowakischen Republik. Die Figuren in Watzliks Roman O, Böhmen! vermitteln ein Panorama des Konservatismus vor dem 1. Weltkrieg, vom Völkischen bis zum liberalkonservativen und habsburgtreuen Monarchisten.33 Gottfried Rothackers 1936 erschienener Roman Das Dorf an der Grenze konzentriert sich hingegen ausschließlich auf den ›Daseinskampf‹ des deutschen Protagonisten in einer feindlichen tschechischen Umgebung.34 Bei diesem Ergebnis handelt es sich um keine generalisierende Bestimmung der Grenzlandliteratur, sondern um eine Tendenz, die durch eingehende Analysen der jeweiligen Texte Differenzierungen erfährt.35 Die Literaturwissenschaft wertete in den letzten 60 Jahren, auf Grund der Entwicklung vom Aufstieg des Nationalsozialismus bis zum Zweiten Weltkrieg, diejenigen Autoren und Werke höher, die sich dem Toleranzprinzip verschrieben hatten und einen Ausgleich zwischen den Völkern in Böhmen und Mähren anstrebten. Das war zweifelsohne richtig. Die Literatur der interkulturellen Vermittlung steht den demokratischen Grundwerten näher, die das Bild der Nachkriegszeit im west31 | Die Mischehen, die Luft in Berufung auf Adolph Ficker (Die Völkerstämme der österreichisch-ungarischen Monarchie, ihre Gebiete, Gränzen und Inseln. Wien 1869, S. 34) zu den utraquistischen Ausgangsbedingungen zählt, kamen in ländlichen Regionen häufig aus der Not heraus zustande. Brautfahrten ins tschechische Gebiet sind häufig Bestandteil der Grenzlandromane. Dort werden Mischehen auch teilweise instrumentalisiert, um den Expansionsdrang der Tschechen zu verdeutlichen, der selbst vor dem ›Verkauf‹ der eigenen Töchter nicht zurückschreckt. Vgl. auch das nachfolgende Kapitel. 32 | Robert Luft: Zwischen Tschechen und Deutschen, S. 150. 33 | Hans Watzlik: O Böhmen! Leipzig Staackmann 1917. 34 | Gottfried Rothacker (eigentlich Bruno Novak): Das Dorf an der Grenze. München Albert Langen/Georg Müller 1936. 35 | Vgl. Karsten Rinas: 1918 als Symmetrieachse der sudetendeutschen und der tschechischen Grenzlandliteratur? In: Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňá č ek (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 193-206.
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lichen Teil Europas prägten und prägen.36 Da sich die Vertreter dieser Literatur in der Minderheit befanden, entsprechen sie auch der gängigen Praxis der Literaturgeschichtsschreibung das Besondere hervorzuheben, Avantgarden zu ermitteln und Außenseiter zu bevorzugen. Zu bemängeln ist jedoch – nicht nur aus kulturwissenschaftlicher Perspektive – der Umgang mit der Gruppe der national(-istisch) en Schriftsteller. Diese stellten bei weitem die Mehrheit der Literaturproduktion in Böhmen und Mähren in der frühen Moderne. Sie gerieten aber, bis auf einige wenige (Strobl, Watzlik), die als Negativbeispiel herhalten müssen, in Vergessenheit, da die übernationale Gruppe im alleinigen Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stand. Dies ist aus zwei Gründen falsch. Der erste Grund ist die heterogene Zusammensetzung der Gruppe der (angeblich) nationalen Autoren, der eine kollektive Abwertung nicht gerecht wird. Zumal, da die Abwertung auf einer relativ geringen Menge an Forschungsergebnissen beruht. […]; ich mahne nicht das Fehlen von Spezialuntersuchungen an, die es in größerer Zahl gibt, oft von Slawisten oder von Germanisten aus den verschiedensten mitteleuropäischen Ländern (leider vielfach an nicht leicht zugänglichen Stellen). Zu kritisieren ist allein, daß diese Spezialuntersuchungen von den Germanisten, die Geschichten der Literatur Österreichs geschrieben haben, nicht beachtet worden sind. 37
Scheichls Urteil ist im Grunde zutreffend, aber zu optimistisch formuliert. Die Zahl der ›Spezialuntersuchungen‹ von Berger, Maidl, Václavek u.a. nimmt sich gegenüber der beachtlichen Produktion von Forschungsliteratur in anderen Bereichen gering aus. Außerhalb der böhmischen Länder versiegt die wissenschaftliche Beschäftigung mit einzelnen ›provinziellen‹ Autoren in Monographien oder Dissertationen im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Ausnahmen bestätigen hier lediglich die Regel.38 Es entstand so der Eindruck, die Mehrheit der Bevölkerung in Böhmen und Mähren (und das ist die nationale Gruppe) habe kaum literarische Werke hervorgebracht. Dieses wenige würde noch dazu in konstanter Langmut immer gleicher Motive mit hölzernen Figuren in einschichtigen Landschaften heruntergeleiert werden. Ein Eindruck, der in etwas geringerem Ausmaß auch die nationale tschechische Literatur betrifft, obwohl dort die Literatur des nationalen 36 | Das gilt auch für diejenigen Autoren, die keine Anhänger der Demokratie waren z.B. Marie von Ebner-Eschenbach oder Ferdinand von Saar. 37 | Sigurd Paul Scheichl: Mitteleuropäische Defizite in Geschichten der Literatur Österreichs. In: W. Schmitz/J. Joachimsthaler (Hg.): Zwischeneuropa – Mitteleuropa. Sprache und Literatur in interkultureller Konstellation. Dresden Thelem 2007, S. 275. 38 | Zuletzt widmete Christian Jäger in seiner Habilitationsschrift ein eigenes Kapitel Hedwig Teichmann aus Buchbergstal (Železná). Vgl. auch die Aufsätze von Knápková, Krappmann, Maidl und Schäfer in dem Sammelband Literatur unterm Hakenkreuz. Böhmen und Mähren. (Hg. v. Peter Becher und Ingeborg Fiala-Fürst) Prag Vitalis 2005.
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Erwachens keiner kollektiven Abwertung unterworfen ist wie die nationalen Texte auf (sudeten-)deutscher Seite.39 Nationalismus ist jedoch ein komplexes Phänomen, das als Bestandteil des Projektes Moderne akzeptiert werden muss.40 Trotz der negativen Auswirkungen, die dem Denken in nationalen Kategorien rückwirkend zugeschrieben werden, existierte am Ende des 19. Jahrhunderts ein Verständnis von Nation und Volk, das man als gewinnbringend für die Entwicklung der europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert erachtete. Max Brod, dem nachträgliche (Um-)Interpretationen in seinen autobiographischen Schriften nicht fremd sind, verteidigte noch gegen Ende seines Lebens einen aufgeschlossenen Umgang mit nationalen Ressentiments: Ich blieb bei meiner Überzeugung, daß die Distanzen und Unterschiede der Völker, wenn sie an der Oberfläche unserer menschlichen Beziehungen nur recht offen und klar ausgesprochen würden, eine desto innigere menschliche Gemeinschaft im Kern, in den allerwesentlichsten Zusammenhängen stiften würden. Diese neue Art dialektischen Zusammenhangs nannte ich eben Distanzliebe; ihr erhofftes Endresultat sollte ein alle Menschen umfassender Bund sein, der die Verschiedenheit der Völker nicht verschleiern, aber in verstehender Liebe überbrücken sollte und den ich »Nationalhumanismus« nannte. 41
Curt Hohoff, ein weiterer kulturpolitischer Beobachter des 20. Jahrhunderts beschreibt fast gleichzeitig die Entwicklung des Nationalismus vor dem 1. Weltkrieg und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Die eigentümliche Beschränkung des naturalistischen Weltbilds [auf die Naturwissenschaften, J.K.] hatte Parallelen im Lebensstil des Volkes. Man wandte sich nicht nur von der Philosophie ab, sondern ökonomischen Vorstellungen zu. […] Das edle Nationalgefühl entartete zum Chauvinismus, der Blick der Nationen Europas wandte sich auf das eigene Volk. 42
39 | So gibt es eine tschechische Grenzlandliteratur, die dem Hauptstrom der deutschen Grenzlandliteratur teilweise vorausgeht (u.a. Vaclav Beneš-Šumavský (1888): Kdo s koho. Obraz ze sou časného života moravského [Wer den Sieg davonträgt. Ein Bild aus dem gegenwärtigen Leben in Mähren]. Jan Klecanda (1889): Ve službách národa [Im Dienste des Volkes]; Antonín Ne č ásek (1906): Ja řmo millionů. Román útisku národního a sociálního [Das Joch der Millionen. Roman der nationalen und sozialen Unterdrückung]. Diese nationale Literatur wird in der aktuellen Bohemistik vernachlässigt, und derzeit von Karsten Rinas in der Arbeitsstelle zur deutschmährischen Literatur monographisch erfasst. 40 | Vgl. Ernest Gellner: Nationalismus. Berlin Siedler 1999. 41 | Max Brod: Streitbares Leben. München Herbig 1969, S. 52f. 42 | Curt Hohoff: Schnittpunkte. Stuttgart DVA 1963, S. 77.
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Als Hohoff dies formulierte, hatte er als Redakteur des Hochland bereits den zweiten Ausbruch des Chauvinismus kommentierend begleitet und ihn daraufhin als Soldat miterlebt. Wie Brod wird Hohoff durch seine Erlebnisse und Erfahrungen nicht davon abgehalten, dem Nationalen auch Positives abzugewinnen. Umso mehr muss man diese Meinung den Verfassern nationaler Texte zugestehen, die diese Erfahrungen noch nicht haben konnten. Von den nationalistischen Grenzlandromanen zum Nationalhumanismus Brods ist zwar ein weiter Weg, und die Gemeinsamkeiten fallen oftmals nur gering aus. Auch weckt die Berufung auf ein edles Nationalgefühl im 21. Jahrhundert Skepsis. Doch jeder Text hat das Recht auf eine unvoreingenommene Analyse, die feststellt, ob und inwieweit er auf der Skala der nationalorientierten Literatur in Chauvinismus und nationalistische Propaganda abgesunken ist. Zweitens widerspricht der literarische und ästhetische Erfahrungshorizont der Autoren aus Böhmen und Mähren einer bedenkenlosen Geringschätzung der nationalen Gruppe. Der Anteil der Metropole Prag an den literarischen Trends der Moderne ist hinlänglich bekannt.43 Der Beitrag der mährischen Landeshauptstadt Brünn wird über die beiden zentralen Persönlichkeiten Hermann Bahr und Robert Musil wahrgenommen.44 Eine systematische Bearbeitung steht zwar noch aus, aber das Vorhandene genügt, um auch Brünn zumindest für den Zeitraum kurz vor und nach der Jahrhundertwende den Rang eines literarischen Zentrums in den böhmischen Ländern zuzugestehen. Als Schul- und Universitätsstädte waren beide Städte der Anlaufpunkt ihrer jeweiligen Region. Inwieweit sich darüber hinaus die ›Moderne‹ in Böhmen und Mähren verbreitet hat, ist bisher nicht systematisch erfasst. Üblicherweise wird eine zeitliche Verzögerung angenommen zwischen dem Auftreten avantgardistischer Literaturströmungen in den kulturellen Zentren einer Region oder eines Landes und den Ausstrahlungen in die ›Provinz‹. Zudem wird diese Entwicklung meistens an eine vermittelnde Instanz aus der Künstler43 | Vgl. zu Prag: Kurt Krolop: Studien zur Prager deutschen Literatur (Hg. von Ehlers/ Höhne/Nekula). Wien Edition Praesens 2005; Ingeborg Fiala-Fürst: Der Beitrag der Prager deutschen Literatur zum deutschen literarischen Expressionismus. Saarbrücken Röhrig 1995; Margarita Pazi/Hans Dieter Zimmermann (Hg.): Berlin und der Prager Kreis. Würzburg Königshausen & Neumann 1991. 44 | Hermann Bahr zentraler Aufsatz Die Moderne erschien zuerst in der ersten Nummer der naturalistischen Brünner Zeitschrift Moderne Dichtung. Dadurch dehnte sich der Blick auch auf den Kreis um deren Herausgeber Eduard Michael Kafka aus. Dazu vgl. Peter Sprengel/Gregor Streim: Berliner und Wiener Moderne. Wien Böhlau 1998, S. 45-114. Vgl. zu Musils Umfeld in Brünn: Vojen Drlík: Robert Musil – Brno inkognito. In: Robert Musil. Ein Mitteleuropäer. Brünn Institut für Germanistik 1994, S. 123-133. Vgl. zur Moderne in Brünn: Dieter Krywalski: Brünn – Poetizität einer Stadt. Die mährische Hauptstadt als Modell »Kakaniens«. In: ders.: Weit von hier wohnen wir, weit von hier. Prag Vitalis 2002, S. 334-359; Silvie Léblová: Sechs vergessene deutschsprachige Schriftsteller aus Brünn. Ihr Leben und Werk im Überblick. Olmütz Diplomarbeit 2001.
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und Intellektuellenschicht gebunden, die den weltstädtischen Moden in ihrer Heimatstadt zum Durchbruch verhilft. Eine zuverlässige Studie liegt für das Theaterwesen in der Kleinstadt MährischSchönberg (Šumperk) vor.45 Träger des Modernisierungsprozesses war dort die zweite Generation des industriellen Patriarchats der Stadt, die Söhne (weniger Töchter) eingesessener Industrieller, die zur Ausbildung nach Wien geschickt wurden und dort auch ihren Bildungs- und Kunsthorizont erweiterten. Bei ihrer Rückkehr wollten sie auch in der Kleinstadt nicht auf die gewohnten Vergnügungen verzichten und griffen in das traditionell an Komödien, Lustspielen und Operetten ausgerichtete Repertoire des kleinstädtischen Theaters ein. Ein Hindernis bei der Durchsetzung eines ambitionierteren Programms waren die schlechten Auftrittsmöglichkeiten. In Mährisch-Schönberg wurde noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Vereinsheimen und Nebenräumen von Gaststätten gespielt, deren räumliche und theatertechnische Bedingungen nur selten renommiertere Schauspieler in die Stadt locken konnten. Dieser bis 1800 allgemein übliche Zustand verbesserte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts nur wenig. Er wurde erst durch den Bau eines Deutschen Vereinshauses behoben, das am 26. Dezember 1902 eingeweiht wurde.46 Sein Kernstück war ein großer Theatersaal, dessen Bühne und technische Ausstattung vom Bühneninspektor des Wiener Burgtheaters Bretschneider besorgt wurde.47 Das Theater in der mährischen Kleinstadt war nun an die Verhältnisse in Wien, Brünn und Prag angepasst. Bis dahin waren zeitnahe Aufführungen Ausnahmen. Einzig bei den umschwärmten Operetten von Carl Millöcker Der arme Jonathan (1890) und Carl Zeller Der Vogelhändler glückte eine Aufführung im Premierenjahr.48 Meist bedurfte es mehrerer Jahre bis ein Stück in die Provinz vordrang. Doch den Besuchern war Aktualität und avantgardistische Haltung kein Maßstab. Gemocht wurde, was neu war. Neu für Mährisch-Schönberg. »Für die meisten im Horizont der kleinstädtischen Umwelt gefangenen Besucher war es typisch, dass ihnen ›die guten Autoren ebenso wenig bekannt [waren], wie die schlechten‹«.49 Die ›Generation der Söhne‹ beschleunigte durch ihre Großstadterfahrungen den Rezeptionsprozess um die Jahrhundertwende. Die Moderne war noch modern als sie in Nordmähren ankam. Max Halbes Skandalstück Jugend und Hauptmanns Versunkene Glocke wurden 1901 45 | Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg. Der Bürger und sein Theater in einer mährischen Kleinstadt. Olomouc Universitätsverlag 2008. 46 | Vgl. Dieter Klein: Deutsche Theaterbauten in Böhmen. In: Stifter NF 6 (1992), S. 75. 47 | Vgl. Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg, S. 212. Als Architekt wurde der Wiener Georg Berger verpflichtet, nicht das Atelier von Ferdinand Fellner und Edmund Helmer in Wien, das in Böhmen und Mähren nach gleichem Muster mindestens neun Theater erbaute. Vgl. Klein: Deutsche Theaterbauten, S. 77. 48 | Ebd., S. 167f. 49 | Ebd., S. 148. Binnenzitat aus: Theater. In: Grenzbote des nordwestlichen Mährens 1907, Nr. 52.
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aufgeführt, Schnitzlers Dramen schon im neuen Theatersaal (Liebelei 1903, Anatol 1912, Das weite Land 1912). Die geringe Zuschauerresonanz und die knapp gehaltenen Berichte in der regionalen Presse verweisen auf den wunden Punkt. Das Bürgertum der Kleinstadt reagierte wo nicht mit Ablehnung, so doch häufig mit Unverständnis auf die Dramen des Naturalismus und der (Wiener) Moderne.50 Sie verfehlten das Bedürfnis der kleinbürgerlichen Einwohner nach kontemplativer Unterhaltung. Es gab zwar auch einige Erfolge, so musste die Versunkene Glocke wegen Besucherandrangs wiederholt werden, nur verschwindet dieser Erfolg fast hinter den acht Aufführungen die der Hüttenbesitzer von Georg Ohnet zwischen 1889 und 1909 erlebte.51 Den Schwerpunkt des Repertoires bildeten die deutschen und österreichischen Nachfolger des französischen Gesellschaftsstücks. Die Schauspiele von Franz von Schönthan und dem Autorenpaar Blumenthal/Kadelburg dominierten im gesamten deutschen Sprachraum die Bühnen zur Zeit des Realismus. Sie führen auch, nebst Julius Rosen und Rudolf Kneisel, die Liste der meistgespielten Dramatiker in Mährisch-Schönberg an. Unter den Autoren der Frühen Moderne können sich nur zwei, Ludwig Anzengruber und Hermann Sudermann, auf dieser Liste im Vorderfeld behaupten.52 Die gestiegenen kulturellen Ansprüche des Patriziats führten zum Zerfall der homogenen patriarchalischen Stadtstruktur. Die einfachen Bürger waren nicht gewillt auf ihr Recht auf einfache Unterhaltung zugunsten einer Repräsentation ständischen Kulturwillens zu verzichten. Das mit großen Ambitionen inszenierte Projekt »Deutsches Vereinshaus« scheiterte und das Theater verkümmerte in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg am Rande der Insolvenz. Mährisch-Schönberg ist als frühes Zentrum der Industrialisierung in der Habsburger Monarchie kein Paradigma für alle Regionen in Mähren und Böhmen. In ländlichen Gemeinden wird das Patriziat eher von Großbauern geprägt, deren kultureller Horizont den ihrer Mitbürger kaum überstieg. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Verbreitung der literarischen Moderne in annähernd vergleichbaren Städten in Mähren (Iglau, Olmütz, Troppau) und Böhmen (Budweis, Eger, Leitmeritz) ähnlich verlief. Aus der theatergeschichtlichen Entwicklung in MährischSchönberg lassen sich deswegen allgemeine Ergebnisse zur Frühen Moderne formulieren. 50 | Die zeitgenössische Unsicherheit zwischen Epochenbegriff Moderne und dem Adjektiv ›modern‹ als Zustandsbeschreibung eines aufgeschlossenen Publikums zu unterscheiden, zeigt eine Rezension zur Aufführung eines Dramas von Hauptmann, dessen Darstellungen einer »ungeschminkten Wirklichkeit« laut Rezensent der örtlichen Zeitung »nicht dem Geschmacke eines Jeden zusagen, sondern die verzärtelten Sinne eines modernen erzogenen Menschenkindes sogar geradezu abzustoßen geeignet sind« [Hervorhebung vom Verf. J.K.]. In: Grenzbote des nordwestlichen Mährens 1901, Nr. 51, Rubrik Theater. 51 | Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg, S. 151. 52 | Ebd., S. 164. Überraschend ist, dass zwar Stücke von Sardou und Feuillet in MährischSchönberg gegeben wurden, jedoch keine des jüngeren Dumas.
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Die mährische und böhmische Provinz ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts trotz gegenläufiger Aussagen nicht (mehr) »kulturell isoliert«.53 Durch Theateraufführungen und Konzerte konnten sich die Bürger mit den neuesten Tendenzen in der Literatur und Musik ebenso vertraut machen wie durch den Kulturteil regionaler und überregionaler Zeitungen und Zeitschriften, die nicht nur in Prag, sondern auch in den Kaffeehäusern der Kleinstädte auslagen. Allerdings war das Publikum hinsichtlich der Akzeptanz dieser Novitäten gespalten. Das hatte Auswirkungen auf die Schreibweise der regionalen Autoren. Die konventionelle oder unterhaltende Literatur fand ihre Abnehmer in großer Zahl vor Ort. Wer sich jedoch mit gebotener Qualität an den avantgardistischen Strömungen der Moderne beteiligte, war zum Umzug in eines der kulturellen Zentren gezwungen oder musste versuchen, einen der kulturbeflissenen Patrizier als Mäzen zu gewinnen. Auch eine Publikation in einem zeitgemäßen Verlag konnte zu einem größeren Publikum und damit Absatzmarkt führen, bedurfte aber zumeist ebenfalls eines Fürsprechers.54 Mischformen dieser Wege waren möglich und nicht unüblich.55 Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass in den dramatischen Gattungen für die Mehrheit der Rezipienten und damit auch für viele Autoren aus der Provinz Ästhetik und Wirkabsicht des Realismus bestimmend blieben. Dies gilt ohne Vorbehalte auch für die Epik. Die literaturgeschichtlich bedeutenden Erzähler der mährischen Literatur um die Jahrhundertwende, Jakob Julius David, Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar, sind sämtlich noch dem Realismus verpflichtet, obwohl sich in ihrem Werk schon Einschübe der Frühen Moderne zeigen. Noch mehr gilt die Vorherrschaft des Realismus für diejenigen Autoren, die sich einer nationalen Literatur verpflichtet fühlen. Sie belegen für die böhmischen Länder »die über ein Jahrhundert dauernde Erfolgsgeschichte des poetischen/bür53 | »Kulturell isoliert scheinen eher die Sudetendeutschen zu sein, in die Provinz verbannt, vom Nachrichtenstrom ebenso abgeschlossen wie verkehrstechnisch eingeschränkt.« Christian Jäger: Minoritäre Literatur. Das Konzept der kleinen Literatur am Beispiel pragerund sudetendeutscher Werke. Wiesbaden DUV 2005, S. 8. Ein Blick auf das Streckennetz der Habsburger Monarchie entkräftet auch das verkehrstechnische Argument. 54 | Das gilt nicht nur für die Provinzliteratur wie die wichtige Mittlerfunktion Brods für die Prager deutsche Literatur beweist. Allgemein zu den Mechanismen des Verlagswesens in der Moderne: Ernst Johann: Die deutschen Buchverlage des Naturalismus und der Neuromantik. Weimar Böhlaus Nachf. 1935. 55 | Für Mährisch-Schönberg wäre Marie Knitschke zu nennen, die einer verarmten Patrizierfamilie der Stadt entstammte. Für das Publikum zuhause verfasste sie Dramen aus der Historie der Stadt und Dialektgeschichten, daneben unterhielt sie aber einen regen Briefverkehr u.a. mit Paul Ernst, Gerhart Hauptmann und Ernst von Wolzogen. Einige ihrer zahlreichen Schauspiele wurden in Wien und Berlin verlegt und verschafften ihr für kurze Zeit einen Bekanntheitsgrad über die Region hinaus. Vgl. Zden ěk Filip: Maria Knitschke – eine Schriftstellerin aus der Provinz. In: Brücken Neue Folge 1 (1991/92), S. 77-81 und Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg, S. 124-134.
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gerlichen Realismus und seiner stilistischen Derivate«, die Uwe Ketelsen für die deutsche Literatur (nicht nur in der Provinz) nachwies.56 Inwieweit die nationalen Autoren zur Jahrhundertwende erzähltheoretische Konsequenzen aus den »brüchig gewordenen Ausdrucksmöglichkeiten« ziehen,57 ist von den Rezeptionsvorgaben, der Intention und den kulturellen Bildungserfahrungen des Autors abhängig. Der Übergang in die Moderne zeigt sich etwa bei Karl Hans Strobl oder bei Gustav Leutelt, während ein Anton Ohorn noch ganz den Stilelementen des Realismus vertraut. Die literarischen Prinzipien, denen die Autoren folgen, streben auch in der regionalen Literatur allmählich auseinander, die ›Metamaxime‹ des Realismus behält aber ihre uneingeschränkte Gültigkeit: Darstellung der Welt wie sie ist. Diese Formel darf jedoch nicht zu vereinfachend gesehen werden. Die ausgedehnte Forschung zum Realismus seit Auerbach hat gezeigt, dass die alltagssprachliche Benutzung des Begriffsfeldes Realität – realistisch nicht nur heute nicht mit der literaturgeschichtlichen Verwendungsweise übereinstimmt, sondern bereits im 19. Jahrhundert von den Akteuren der Epoche als komplexe Beschreibung der Welt als Ganzheit verstanden wurde. Die Vertreter des Realismus strebten nach keiner detailgetreuen Kopie der sichtbaren Welt, sondern es ging ihnen um die Schilderung und Erklärung »alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen«.58 Die Maxime ließe sich demnach präziser formulieren als Darstellung der Welt wie sie ›wirklich‹ ist. Der Interpretation von ›wirklich‹, der hinter allem stehenden ›Kraft‹, ist die ganze Begriffsbestimmung des Realismus unterworfen. Denn es kann darunter eine Kraft im Sinne des Materialismus, eine monistisch-idealistische Lebenskraft in der Prägung Haeckels oder das Unbekannte und Unerklärliche verstanden werden, das nicht mit wissenschaftlichen Mitteln analysiert werden kann. Die vordergründig des literarischen Hauses verwiesene Transzendenz gelangt so als mögliche Erklärung des Diesseits zur Vordertüre wieder herein. Hinter einer so verstandenen Darstellung der wirklichen Kräfte, die das Leben des Menschen und damit den Gang der Welt bestimmen, steht die Faustische Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aus der Maxime des Realismus lassen sich beide Richtungen ableiten, eine streng realistische im alltagssprachlichen Sinn und eine, die zwei Sphären anerkennt, eine oberflächliche und eine nur durch die Kunst der Darstellung aufzeigbare, die in ständiger Verbindung miteinander stehen.
56 | Uwe-K. Ketelsen: »Du suchst geheim der Dinge innerste Verwandtschaft«: Gedichte auf das ›Ruhrland‹. Ein Kapitel aus der Geschichte der Provinzliteratur im Zeitalter der industriellen Modernisierung. In: E. Bialek/J. Rzeszotnik (Hg.): Briefe in die europäische Gegenwart. Breslau Neisse 2004, S. 189. 57 | Ebd., S. 190. 58 | Theodor Fontane: Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848. In: J. Billen/H. Koch (Hg.): Was will Literatur? Bd. 1, S. 179.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Am Fluchtpunkt dieser Tendenz steht nicht mehr die erzählte Realität, sondern die Realität der Erzählung sui generis, die die Grundvorstellung des Realismus, nämlich eine referenzialisierbare Realität, aushebelt. Das Idealistische bzw. Unrealistische am Realismus ist eine Funktion realistischen Erzählens selbst: Idealistisches/Unrealistisches oder idealistisch/ unrealistisch zu erzählen, dient gerade dazu, der Realität eine Tiefendimension zu verleihen und Erfahrungen erzählbar zu machen, die von der Realität ausgeschlossen werden, aber diese gleichzeitig mit konstituieren.59
Im Fall der Autoren aus den böhmischen Ländern können beide Ansätze zu einer thematischen Auseinandersetzung mit dem Nationalitätenkonflikt führen. Ein Festhalten an der Darstellung der Wirklichkeit auf diesem Territorium kommt an einer Wahrnehmung des nationalen bzw. nationalistischen Diskurses nicht vorbei. Die Verhältnisse in Böhmen und Mähren werden von diesem Diskurs maßgeblich bestimmt und die überregionale, ja globale, Geltung dieses Diskurses wird durch die epochalen Zuschreibungen der Geschichtswissenschaft untermauert. Das Zeitalter des Imperialismus bedeutet in den böhmischen Ländern ein Zeitalter des Nationalismus. Die literarische Darstellung von Böhmen und Mähren wie sie sind, heißt in den poetologischen Grenzen des Realismus ein Schreiben in nationalen Kategorien. Über der Klarheit dieser Feststellung darf die Grundbedingung der Diskursanalyse nicht übersehen werden, die hier, um den Stil nicht durch eine andere Terminologie zu zerstören, ebenfalls nach Ketelsen wiedergegeben wird: Es scheint mir problematisch zu sein, hier – was nur zu häufig geschieht – von der ›Realität‹, wie sie ›wirklich‹ gewesen sei, zu sprechen. Diese ›Wirklichkeit‹ kennen wir nur aus Texten, im Zweifelsfall sogar nur aus jenen, die wir interpretieren. Die ›Wirklichkeit‹ ist zunächst auch nur das Produkt diskursiver Operationen und ihres Zusammenspiels (was ja noch lange nicht bedeutet, daß es sie nicht gäbe). 60
Die idealistisch und irrealistisch verfahrenden Autoren sind an dieser Form von ›Wirklichkeit‹ nicht interessiert. Ihre Suche nach der Kraft, die den Lauf der Welt, das Schicksal des Menschen, das Diesseits als Ganzheit ›wirklich‹ verursacht, wiederstrebt ohnehin dem einfachen Realitätsbegriff. Sie setzen abstrakte oder transzendente Kräfte als Tiefendimension der Welt. Für die nationale Gruppe der Autoren heißt diese Kraft Nation, Stamm oder am häufigsten Volk, meist in Verbindung mit einer bestimmten Landschaft oder einfach Heimat. Auf die psychotische Untergangsstimmung antworten sie mit einer Widerstandshaltung, die 59 | Oliver Jahraus: Unrealistisches Erzählen und die Macht des Erzählers. Zum Zusammenhang von Realitätskonzeption und Erzählinstanz im Realismus am Beispiel zweier Novellen von Raabe und Meyer. In: Zeitschrift für deutsche Philologie Bd. 122 Heft 2 (2003), S. 225. 60 | Uwe Ketelsen: Du suchst geheim der Dinge innerste Verwandtschaft, S. 191f (Anmerkung 14).
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sich in der Literatur oft genug in Durchhalteparolen erschöpft. Die grundlegende Kraft, die das ›Ausharren‹ an der Sprachgrenze ermöglicht, ziehen die Nationalen aus der Besinnung auf das eigene (deutsche) Volk, in seinem historischen Werden von den idealisierten Ursprüngen bis zur einseitig interpretierten Gegenwart. Diese Weltanschauung mag sich heute überlebt haben.61 Sie entspricht aber dem Erfahrungshorizont einer ganzen Generation von Schriftstellern der böhmischen Länder. Nationale oder nationalistische Literatur entstand in der deutschsprachigen Literatur auch außerhalb der böhmischen Länder. Sie wurde aber nicht mit der gleichen Nichtbeachtung bestraft.62 Im vorherigen Kapitel wurde gezeigt, welchen Erschwernissen und ideologischen Vorbehalten die Literatur aus Böhmen und Mähren unterlag. Die veränderten politischen Bedingungen und auch der zeitliche Abstand ermöglichen nun eine Aufarbeitung dieser Literatur, ohne sie dem Generalverdacht ›sudetendeutscher‹ und damit faschistischer Propaganda auszusetzen. Literarische Werke werden in der Geschichtswissenschaft schon seit längerem als Speicher kulturellen Gedächtnisses anerkannt, was eine mimetische Darstellungsintention impliziert. Im Zeitalter des Imperialismus und Nationalismus wird der Historiker sein Augenmerk darauf richten, in welcher Weise die nationalen Konflikte – hier zwischen Tschechen und Deutschen – sich in den literarischen Werken widerspiegeln. Über dieses historische Erkenntnisinteresse hinaus hat der Philologe oder Literaturwissenschaftler andere Möglichkeiten, den Textgehalt zu entschlüsseln und auch zumeist einen größeren Lektürekanon, um gattungs- oder epochenspezifische Merkmale nachzuweisen. In der regionalen und territorialen Forschung bietet sich somit die Möglichkeit zu einer wirklichen interdisziplinären Arbeitsstruktur, in der die Ergebnisse beider Seiten zum Erkenntnisgewinn in den jeweiligen Einzeldisziplinen beitragen. Die Zeit zwischen 1880 und 1918 steht, nicht nur in Böhmen und Mähren, unter dem Einfluss des Nationalismus und deswegen wäre es fahrlässig, den Bemühungen der Historiker und Kulturwissenschaftler, die bereits vorangeschritten sind, nicht auch literaturwissenschaftliche und literaturhistorische Anstrengungen folgen zu lassen. Dieses Defizit soll in den nächsten Kapiteln durch Einzelanalysen einschlägiger Texte verringert werden. 61 | Die vorsichtige Formulierung wurde wegen Meinungen wie der folgenden gewählt: »Wenn es überhaupt zu einer Erweckung eines gesamtdeutschen Nationalgefühls kam (was man je nach Standpunkt begrüßen oder ablehnen kann), dann ist das in erster Linie den Völkischen zuzuschreiben. Im Nationalitätenkampf des alten Österreich haben sie in der Bewahrung des Deutschtums eine politische Leistung vollbracht […]. Das erklärt auch, daß es sie in Österreich immer noch gibt.« Aus dem Brief eines gewissen W.O. vom 27.5. 1968 an Armin Mohler. Armin Mohler: Die konservative Revolution in Deutschland, S. 137. 62 | Vgl. die einschlägigen Publikationen von J. Hermand, U.-K. Ketelsen, K. Vondung usw. Im weiteren Sinne zählen auch Rossbachers grundlegende Bearbeitung der Heimatkunstbewegung und die Arbeiten Andreas Schumanns hierher. Hinzu kommen Monographien über einzelne Autoren wie Gustav Frenssen, Hermann Löns usw.
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G RENZL ANDLITER ATUR Den bis heute bekanntesten Teil der nationalen Literatur in den böhmischen Ländern bilden die sogenannten Grenzlandromane. Der Begriff fußt auf der nationalsozialistischen Grenzlandideologie, die das Auslandsdeutschtum als Vorposten und Wächter des Deutschtums für außenpolitische Machtansprüche instrumentalisierte.63 Von den Verfassern der Grenzlandromane wurde diese Ideologie aufgegriffen und ab Mitte der 1920er Jahre auch in die Titel der Texte übernommen. Eine theoretische Begründung erfuhren die Grenzlandromane nicht während ihrer Entstehungszeit, sondern erst nachdem diese Gattung durch das Münchner Abkommen 1938 obsolet geworden war. Der Grenzlandroman fand als Stichwort späterhin keinen Eingang in die Standardwerke der Literaturwissenschaft. Sowohl in Wilperts Sachwörterbuch als auch im Reallexikon der Literaturwissenschaft werden die wenigen Grenzlandromane, die als Beispiel herangezogen werden, anderen Begriffen subsumiert, der Blut-und-Boden-Literatur oder dem Bauernroman. In literaturgeschichtlichen Arbeiten zur Literatur der böhmischen Länder blieb der Begriff jedoch erhalten. Als erster fasste Michael Berger 1995 zusammen, was bis dahin schon in der Praxis unter Grenzlandroman verstanden wurde: Nicht unähnlich der Intention Mauthners, sollte demnach der grenzlanddeutsche Schriftsteller in und mit seinen Werken den slawischen Verschlingungstrieb entlarven und das Erwachen des völkischen (eingeschlossen des rassischen) Lebenswillens eines Volkstums auf dem Weg von der Not- und Schicksalsgemeinschaft zur deutschen Volksgemeinschaft darstellen und befördern helfen.64
Kurz vorher umriss Hubert Orlowski die Grenzlandliteratur in einem weiteren Maßstab und verschaffte dem Begriff größere Akzeptanz. Trotz seiner gängigen Verwendungsweise bestehen einige Unklarheiten über die Reichweite des Begriffes und seine konkrete Formulierung.65 Prototyp und Paradigma des Grenzlandromans, das deutet das Zitat von Berger schon an, ist Fritz Mauthners 1887 erschienener Roman Der letzte Deutsche von Blatna.66 Mauthner bezieht in diesem Roman 63 | Versatzstücke dieser Ideologie kursierten aber in Böhmen und Mähren bereits vor der Gründung nationalsozialistischer Parteien. Vgl. besonders Karl Hans Strobl: Vorposten des Deutschtums in Böhmen. In: Die Gartenlaube Nr. 11 (1912), S. 222ff. 64 | Michael Berger: Von der böhmischen Heimat ins sudetendeutsche Grenzland. Differenzierungsprozesse in der deutschböhmischen Literatur von 1848 bis 1939. In: Brücken Neue Folge 3 (1995), S. 265f. 65 | Es existieren einige Konkurrenzbegriffe, z.B. der Terminus »Ostmarkenroman« für die Region Posen. Vgl. Maria Wojtczak: Literatur der Ostmark. »Posener Heimatliteratur«. In: I. Golec/T. Namowicz (Hg.): Literatur im Kulturgrenzraum Band 2. Lublin Folium 1994, S. 115-129. 66 | Fritz Mauthner: Der letzte Deutsche von Blatna. Dresden Minden 1887.
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eine deutschnationale Position, die das Deutschtum im Abwehrkampf gegen die aufstrebende tschechische Nation sieht. Sein Bild von der Konfliktgemeinschaft ist von einer Untergangsstimmung geprägt, weil er die vollständige Tschechisierung aller deutschen Gebiete in den kommenden Jahrzehnten als wahrscheinlich annimmt. Im Gegensatz zu den meisten Romanen aus den 1920er und 1930er Jahren zeichnet er aber ein differenzierteres Bild der Tschechen und geht auf ihre Motivationen und Beweggründe ein, zeigt sich zudem beeindruckt von ihrem geschlossenen politischen Vorgehen. Vielleicht veranlasste diese Differenzierung Mühlberger dazu, einen anderen Entstehungszeitpunkt für die Gattung zu setzen. Obwohl auch er Mauthners Roman im Kontext der nationalen Spannungen analysiert, ist für ihn erst der Roman Deutsches Erbe von Anton Ohorn (1901) gattungskonstituierend.67 Mühlberger verhält sich damit, freilich unter völlig anderen Vorzeichen, wie die nationalsozialistische Literaturgeschichtsschreibung, der Mauthners jüdische Herkunft nicht ins arisch deutschnationale Einheitsbild passte. Sie bevorzugte Musterautoren, die sich zumindest vordergründig mit den Idealen der Partei identifizierten ließen, Hohlbaum, Strobl und Watzlik. Diese Reduzierung wird der Gattung nicht gerecht und blendet Werke aus, die dem Grenzlandroman zu einer gerechteren Beurteilung verhelfen könnten als bisher geschehen. Die, trotz ihrer Herkunft, langlebige Identifizierung von Grenzlandroman und nationalsozialistischer Parteiliteratur ließ diese Gattung nach Hohmeyer als »qualitativ recht eingeschränkte Prosa erscheinen«.68 Sie leitet dieses Urteil von Grenzlandromanen der 1930er Jahre her, die im Zentrum ihrer Argumentation stehen, da »man die Termini ›Grenzlanddeutschtum‹ und ›Grenzlandschicksal‹ nur für den Zeitraum der ersten tschechoslowakischen Republik verwenden«69 sollte. Folglich wäre auch der Grenzlandroman ein Phänomen, das sich erst nach 1918 entwickeln konnte, als sich diese Terminologie allgemein durchsetzte. Trotzdem wird auch bei Hohmeyer Der letzte Deutsche von Blatna als »erster Roman dieses Genres« angeführt,70 so dass der Eindruck erweckt wird, es gäbe bis 1918 kein Grenzlanddeutschtum, wohl aber einen Grenzlandroman. 67 | »›Deutsches Erbe‹ eröffnet die lange Reihe von Grenzlandromanen.« Josef Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939. München Langen Müller 1981, S. 131. In der ersten Fassung dieser Literaturgeschichte wird auch von Mühlberger Mauthner als Vorläufer der Gattung gesehen. Mühlberger korrigierte seine Einschätzung mglw. auf Grund der tendenziösen Vereinnahmung Mauthners für die sudetendeutsche Argumentation in der Nachkriegszeit. Vgl. Joseph Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen in den letzten 50 Jahren. Kassel Stauda 1929, S. 87 und Viktor Aschenbrenner: Nachwort. In: Fritz Mauthner: Der letzte Deutsche von Blatna. München Aufstieg-Verlag 1975, S. 187-192. 68 | Andrea Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 384. 69 | Ebd., S. 381. 70 | Ebd., S. 385.
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Das Problem verdeutlicht eine Liste der Grenzlandromane, die in der einschlägigen Forschungsliteratur meistens angeführt werden: 1887 Fritz Mauthner: Der letzte Deutsche von Blatna 1897 Fritz Mauthner: Die böhmische Handschrift 1917 Hans Watzlik: O Böhmen 1921 Robert Hohlbaum: Grenzland 1924 Rudolf Haas: Heimat in Ketten 1927 Hugo Scholz: Noch steht ein Mann 1934 Wilhelm Pleyer: Der Puchner 1935 Gottfried Rothacker: Das Dorf an der Grenze 1937 Gottfried Rothacker: Die Kinder von Kirwang 1937 Wilhelm Pleyer: Die Brüder Tommahans 1937 Friedrich Jaksch: Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland 1938 Robert Lindenbaum: Land der Äcker 1939 Hugo Scholz: Menschen an der Grenze Nach dieser Tabelle erreicht das Genre seinen Höhepunkt in den Jahren nach der Regierungsübernahme Hitlers 1933. In den 20er Jahren erscheinen einige Werke, die von dem meistgenannten Roman Watzliks noch in der Endphase des ersten Weltkrieges eingeleitet werden, womit tatsächlich eine Konzentration im Sinne Hohmeyers vorzuliegen scheint. Mauthner wirkt als Ausnahme, als erratischer Vorläufer der Grenzlandromane. Zwischen dem letzten Deutschen aus Blatna und Watzliks Roman liegen dreißig Jahre. Eine Spätwirkung Mauthners, die sich mit der Wirkung der Dramen Büchners im Naturalismus vergleichen ließe, oder besser, da Mauthner die Hauptphase des Grenzlandromans ja noch erlebte, mit den frühbarocken Gedichten Weckherlins. Dieses Bild ist jedoch verzerrt, da es nur eine Auswahl des tatsächlichen Bestandes an Grenzlandliteratur in Böhmen und Mähren wiedergibt. Grundlage dieser Fehleinschätzung sind zwei Aufsätze von Herbert Cysarz, die im Abstand von fünf Jahren die Entwicklung der Literatur der böhmischen Länder beleuchten. 1934 hält Cysarz die nationale Literatur für noch nicht in der Lage, die Lebensfragen des sudetendeutschen Schrifttums, so der Titel des Aufsatzes, befriedigend zu beantworten: Zwei Völker befehden sich, setzen sich leidenschaftlich auseinander, in unzähligen Reden und Widerreden. Die beiden Schrifttümer hingegen, ganz überwiegend, zeigen die Völker einander entweder überhaupt nicht als Völker (wie man sich etwa auf diplomatischer Plattform in englischer und französischer Sprache verständigt) – oder in Zerrspiegeln. Der Deutsche im Spiegel des tschechischen Schrifttums des jüngsten Jahrhunderts, der Tscheche im Spiegel des deutschen Schrifttums im gleichen Zeitraum: Wir sammeln diese Belege und werden sie gesammelt zur Erörterung stellen; nur vorlegen und nichts hinzufügen, denn es verschlägt uns die Sprache, zumal der ersterwähnte Teil des Materials (deutscherseits
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T gibt es immerhin Rilkes »Zwei Prager Geschichten« und einiges Ähnliche, die breitere Ebene liegt auch hier viel zu niedrig).71
1939 erscheint der Aufsatz Die großen Themen der sudetendeutschen Schrifttumsgeschichte, in dem die markige Kritik durch hymnische Befürwortung ersetzt ist.72 Dazwischen liegt die Annexion Böhmens und Mährens. Dazwischen erschienen aber eben gerade diejenigen Grenzlandromane, die gattungsbestimmend bleiben sollten und die Cysarz für ihre kompromisslose Bearbeitung des Nationalitätenkampfes lobt. Seine 1934 noch angemahnte Auseinandersetzung mit dem Volkstumskampf sieht er durch die Romane von Friedrich Jaksch, Wilhelm Pleyer und Gottfried Rothacker eingelöst. Ähnlich wurde dies auch von anderen Literaturhistorikern gesehen. So feierte Adalbert Schmidt Pleyer als »Schöpfer des politischen Zeitromans der Sudetendeutschen«.73 Eine andere zeitliche und, wie zu zeigen sein wird, auch inhaltliche Gewichtung ergibt sich, wenn die ›standardisierte‹ Liste durch Texte der Grenzlandliteratur ergänzt wird, die im Bearbeitungszeitraum der frühen Moderne erscheinen, darunter die von Mühlberger und Cysarz in den oben angeführten Zitaten herausgehobenen Texte von Ohorn und Rilke:74
71 | Herbert Cysarz: Lebensfragen des sudetendeutschen Schrifttums. In: Ders.: Dichtung im Daseinskampf. Karlsbad-Drahowitz Adam Kraft 1934, S. 17. 72 | Herbert Cysarz: Die großen Themen der sudetendeutschen Schrifttumsgeschichte. In: Pirchan/Weizsäcker/Zatschek (Hg.): Das Sudetendeutschtum. Brünn Prag 1939, S. 567ff. Selbstständig bereits 1938 erschienen im Verlag Rohrer Brünn 1938. Unter anderem Gesichtspunkt, aber mit ähnlicher Aussage Herbert Cysarz: Deutsches Südostschicksal im jüngsten Sudeten- und Ostmarkschrifttum. In: Dichtung und Volkstum. Bd. 40 (1939), S. 61ff. 73 | Adalbert Schmidt: Die sudetendeutsche Dichtung der Gegenwart. Reichenberg Sudetendeutscher Verlag 1938, S. 106. Pleyer war bereits 1926 mit Erzählungen hervorgetreten, die sich noch zwischen Heimat- und Grenzlandliteratur bewegen. Vgl. dazu: Peter Scholz: »… im Wort ein Täter…« Über den Schriftsteller Wilhelm Pleyer (1901-1973). In: Brücken 1988/1989, S. 60-74. 74 | Aus der späteren Phase werden meist übersehen: Hugo Maria Kriz: Kampf um Eisenburg. Leipzig Goldmann 1934, Ernst Frank: Kameraden, wir marschieren. Großschönau Kaiser 1936, Bruno Hübler: Unser Acker ist Deutschland. Berlin Volksbund für das Deutschtum im Ausland 1938 und Erwin Ott: Die Gejagten. Troppau Heinz & Co. 1940. Eine umfangreiche Liste findet sich – leider etwas versteckt – im Anmerkungsapparat des ebenso strittigen wie richtungsweisenden Aufsatzes von Michael Berger: Von der böhmischen Heimat ins sudetendeutsche Grenzland. In: Brücken Neue Folge 3 (1995), S. 276. Die Auswahl enthält jedoch auch Titel, die nicht der Grenzlandliteratur im herkömmlichen Sinne zuzuordnen sind.
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1899 Rainer Maria Rilke: Zwei Prager Geschichten 1901 Anton Ohorn: Deutsches Erbe 1906 Ferdinand Bernt: Zwischen zwei Sprachen 1908 Ottokar Stauf von der March: Aus den heimatlichen Bergen 1911 Karl Wilhelm Fritsch: Um Michelburg 1914 Alois Fietz: Tote Scholle Die frühe Moderne ist damit ungefähr genauso stark vertreten wie die Phase nach 1933. Die Texte von Rilke und Stauf von der March sind Erzählungen, die Bearbeitung des Themas von Bernt ein Drama. Deswegen ist es angebracht, von Grenzlandliteratur statt von Grenzlandroman zu sprechen, eine Konvention, die sich in den neueren Arbeiten durchgesetzt hat. Die Vorreiterrolle von Mauthner, die auch die Erweiterung der Liste nicht völlig aufheben konnte, wird noch weiter eingeschränkt, wenn die zahlreichen nationalen und nationalistischen Gedichte berücksichtigt werden.75 Die im vorherigen Kapitel besprochenen Gedichte von Johann Peter erschienen 1894 und sind nur ein Beleg dafür, dass das Thema auch in der Lyrik Aufnahme fand. Peters Charakter- und Sittenbilder aus dem deutschen Böhmerwalde von 1886 gehen Mauthner voran und könnten durch ihre Zwischenstellung zwischen ethnologischer Studie und subjektiv-fiktiver Meinungsäußerung als »Grenzlandessays« deklariert werden.76 Eine großstädtische Sonderform der Grenzlandliteratur sind die Prager Studentenromane, die die nationalen Kämpfe in der Hauptstadt reflektieren und meist im burschenschaftlichen Milieu angesiedelt sind. Diese wurden sogar überwiegend vor 1914 verfasst.77 Damit dürfte ausreichend belegt sein, dass das sogenannte Grenzland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchgehend ein wichtiges Thema in der Literatur der böhmischen Länder war. Innerhalb dieses Abschnitts werden Texte aus Böhmen und Mähren behandelt. Nach einer These Jiří Veselýs führten die nationalen Gegensätze »in Prag und in anderen großen böhmischen Städten zu scharf antagonistischen Beziehungen, während solche Probleme in
75 | Dieser Hinweis schon in Hohmeyer: Böhmischen Volkes Weisen, S. 385. 76 | Johann Peter: Charakter- und Sittenbilder aus dem deutschen Böhmerwalde. Graz Leykam 1886. 77 | Karl Hans Strobl: Die Vaclavbude (1902), Der Schipkapaß (1908), Das Wirtshaus ›Zum König Przemysl‹; Julius Kraus: Prag. Ein Roman von Völkerzwist und Menschenhader (1908); Robert Hohlbaum: Der ewige Lenzkampf (1908), 1936 leicht verändert unter dem Titel Die Prager Studenten neu aufgelegt; Franz Höller: Die Studenten. Roman einer Gemeinschaft (1934); Rolf Hain: Männer von Morgen (1936). Zu den Prager Studentenromanen liegt bereits eine Monographie vor, vgl.: Walter G. Wieser: Der Prager deutsche Studentenroman in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Wien Österreichische Gesellschaft zur Erforschung der Studentengeschichte 1994.
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Mähren leichter, friedlicher gelöst wurden.«78 Die Analysen werden zeigen, ob diese These auch in der Literatur ihren Widerhall findet.
Alois Fietz: Tote Scholle79 Im Mittelpunkt der Romanhandlung steht die schleichende tschechische Übernahme des fiktiven deutschen Böhmerwalddorfes Taubitz um die Jahrhundertwende.80 Das Dorf liegt direkt an der Sprachgrenze. Das tschechische Siedlungsgebiet kann, etwa bei Brautfahrten, leicht in einem halben Tag mit dem Gespann erreicht werden. Der Expansionsdrang der Tschechen wird gefördert durch den habgierigen und intriganten Großbauer Schenkenberg, der unterstützt von tschechischen Geldern durch Ankäufe und Rechtshändel seinen Landbesitz vermehrt, im Gegenzug aber als einflussreichste Persönlichkeit des Dorfes dafür sorgt, dass die tschechischen Bauern im deutschen Gebiet Fuß fassen können. Schenkenbergs Beispiel animiert auch die kleineren Bauern dazu, ihre Höfe an Tschechen zu verkaufen, die zudem Preise zu zahlen gewillt sind, die weit über dem tatsächlichen Wert der Grundstücke liegen. Während Schenkenberg gänzlich aus egoistischen Motiven handelt, werden die kleineren Bauern durch die geringe Ertragskraft ihrer Höfe und die Aussicht auf ein sorgenfreies und weniger arbeitsintensives Leben zum Verkauf verleitet. Ausschlaggebend für die tschechische Besiedlung deutscher Dörfer, denn der Roman deutet an vielen Stellen unmissverständlich an, dass es sich im Fall von Taubitz nicht um einen Einzelfall, sondern um ein Musterbeispiel handelt, ist das geschlossene Auftreten der Tschechen als Volk bzw. Nation (nur an einer Stelle wird »die Neuzeit mit ihrer Aufklärung« für den Aufstieg der Tschechen verantwortlich gemacht, Fietz, Tote Scholle, S. 110). Alle Bauern sind organisiert im Sokol, dem tschechischen Turnverein, und vor allem in der Národní jednota Pošumavská. Dieser Nationale Böhmerwaldbund ermöglicht es den Bauern, durch die Vergabe zinsloser Kredite als potente Käufer aufzutreten. Demgegenüber ist die Organisationsstruktur deutscher Institutionen nur gering ausgeprägt. Dies bemerkt selbst der Dorflehrer Renk, der sich weitestgehend aus den nationalen und innerdörflichen Zwistigkeiten heraushält: Der deutsche Schulverein hat schon unendlichen Volkssegen gestiftet, […] leider wird er viel zu wenig unterstützt, ebenso wie die anderen deutschen Schutzvereine. Wenn der völkische Gedanke in allen deutschen Schichten Wurzel geschlagen hätte wie bei den Tsche78 | Ji ř í Veselý: Zur nationalen und sozialen Problematik in der deutschsprachigen mährischen Literatur. In: Philologica Pragensia Jg. 68 (1986) Heft 3, S. 120. 79 | Alois Fietz: Tote Scholle. Eines deutschen Dorfes Kreuzweg. Berlin Deutsche Landbuchhandlung 1914. 80 | Die einzige konkrete Zeitangabe, »nun waren nicht ganz hundert Jahre um«, bezieht sich auf den Tod des Ortsrichters Kaspar Schenkenberger 1802. Ebd., S. 191f.
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Die Uneinigkeit der deutschen Bevölkerung zeigt Fietz bereits in den beiden einleitenden Kapiteln und gibt in der Charakterisierung des Großbauern und Gastwirtes Schenkenberg und seines Gegenspielers, des Kleinbauern Wollner, zugleich die Struktur der weiteren Handlung vor. Schenkenbergs Ziel ist die Sicherung eines guten finanziellen Auskommens seiner Kinder, die sich späterhin erzählen sollen wie der Vater »achtzehn Stunden schwer gearbeitet« hat, zur »Arbeit statt Bier Wasser trank« und »wie er in schäbigem, geflicktem Anzug einherging wie der Aermste im Orte«. (TS, S. 7) Dass jedoch auch hier der sprichwörtliche Undank des Vaters Lohn sein wird, wird dem Leser schnell einsichtig, da der älteste Sohn den übertriebenen Fleiß und Geiz Schenkenbergs nur mit Beleidigungen quittiert. Um seinen Besitz zu vermehren, schreckt Schenkenberg auch vor unlauteren Methoden wie Betrug, Anstiftung zum Meineid oder Erpressung nicht zurück. Diese kriminelle Energie trennt ihn von dem Protagonisten des Romans, dem lauteren Kleinbauern Anton Wollner, der ansonsten ebenfalls alles daran setzt, seinem Sohn den Hof in möglichst rentablem Zustand zu hinterlassen. Damit soll auch der Bestand des deutschen Böhmerwalddorfes gesichert werden, denn die Scholle ist für ihn unabdingbar mit dem eigenen Volk verbunden. Wollners völkischer Überzeugung, eine frühe Formulierung der Blut-und-Boden-Ideologie, opponiert Schenkenberg scheinbar heftig: Was d’da heranlantschst, ist a Unsinn […]! A Hetzerei is! Tschech oder Deutscher! Alle beide haben’s gleiche rote Blut, sein Menschen – nix als wie Menschen! Obs itzt a andre Sprache haben, derwegen sein sie doch net zu verachten! (TS, S. 15f.)
Das Plädoyer für nationale Toleranz wird jedoch durch die negative Charakterzeichnung und die kriminelle Vorgehensweise Schenkenbergs sogleich wieder unterlaufen. Dem Leser wird signalisiert, dass ›undeutsches‹ Denken nicht nur das eigene Volk, sondern auch die eigene Moral beschädigt. Schenkenbergs Reichtum gründet sich zu einem gewissen Teil auf seine Zusammenarbeit mit den tschechischen Bauern und ihren Hintermännern, die ins Dorf drängen. Sein Verhalten sorgt schließlich dafür, dass sich die Warnungen Wollners zu Beginn des Romans bewahrheiten. Taubitz unterliegt immer mehr tschechischem Einfluss, wodurch die letzten deutschen Einwohner zur Flucht nach Amerika gezwungen werden. Die heftige Entgegnung ist deswegen auch eine Rechtfertigung des eigenen Handelns. Doch Schenkenberg spielt auf beiden Seiten falsch. Auf keinen Fall käme es ihm in den Sinn, seinen eigenen Hof an einen Tschechen zu übergeben, dieser bleibt für den Fortbestand seiner Familie reserviert.
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Auch Wollners Pläne werden von den Umständen im Dorf und vom Wandel der Zeiten zunichte gemacht. Der älteste Sohn Franz verliebt sich in ein tschechisches Mädchen und tritt ihr zuliebe dem Sokol bei, was ihn beim Vater in Ungnade fallen lässt. Hans, der mittlere Sohn, lehnt die Übernahme des Hofes ab, da ein Studium mehr Aussicht auf Erfolg verspricht und als Wollner, in Umgehung der Tradition den Hof seiner Tochter übergeben will, ist diese schon dem Oberlehrer versprochen. Ohne Nachfolger sieht Wollner seinen deutschen Hof ebenfalls an die tschechische Seite gefallen. Franz kehrt jedoch, inzwischen mit einer Deutschen verheiratet, auf den Hof zurück, so dass der Bauer in dem Glauben sterben kann, er habe seine Scholle deutsch erhalten. Ein trügerischer Glaube, denn der Roman bricht bald darauf jäh ab: Und als die letzten Deutschen von ihrer Scholle weggeekelt waren, da verschwanden alsbald die letzten deutschen Zeichen. Von den Grabmälern des Friedhofes die deutschen Inschriften, und in dem alten deutschen Kirchlein wurden tschechische Gebete verrichtet, tschechische Lieder angestimmt! Und drohend zog sich das Unwetter von neuem über dem Nachbarort Malschen zusammen. - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - -- – - – - – - – - – - – - – Wann endlich wirst du, großes deutsches Volk, erwachen (TS, S. 343)
Fietz’ Roman ist demnach eines der markantesten Zeugnisse für die Untergangsstimmung, die sich am Ende der Habsburger Monarchie unter den Deutschen in Böhmen und Mähren eingenistet hatte. Das Pendel der Geschichte schien sich auf die Seite derjenigen zu neigen, die einer allzu forschen deutschen Siegeshoffnung eine realistischere Einschätzung der tatsächlichen sozioökonomischen Entwicklung gegenüberstellten. Beide Einstellungen waren bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet. In der programmatischen Schrift Czechisierung oder Germanisierung ist Theodor Pisling der festen Überzeugung, »daß nicht nur alle Theorien, sondern auch alle bisherigen Erfahrungen für den Sieg des Deutschthums in Böhmen sprechen«.81 Mehr Einsicht und Voraussicht beweist Mauthner, der »ganz Böhmen in absehbarer Zeit den Tschechen anheimfallen« sieht.82 Fietz folgt dieser pessimistischen Einschätzung und bringt sie auf den modernen Stand seiner Zeit, mithin auf den Stand der frühen Moderne. Die Sichtweise ist freilich geprägt von der deutschnationalen, teilweise völkisch argumentierenden, Überzeugung des Protagonisten. Der Handlungsverlauf erhält durch das Ordnungsschema des Romans, den Untertitel und die Kapitelüberschriften eine tiefere Interpretationsebene.83 »Es ist 81 | Theodor Pisling: Germanisirung oder Czechisirung? Ein Beitrag zur Nationalitätenfrage in Böhmen. Leipzig Winter 1861, S. 5. 82 | Zitiert nach Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen, S. 116. 83 | Der Roman ist in 42 Kapitel eingeteilt, deren Überschriften, so weit sie nicht direkt auf die Handlung bezogen sind (»Jakob bleibt deutsch«, »Dem Wollner gehen sie an den
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vollbracht« überschreibt Fietz sein letztes Kapitel, das die endgültige Vertreibung aller Deutschen aus dem Dorf resümiert. Der Verweis auf die Heilsgeschichte findet sein Pedant im Untertitel des Romans (Eines deutschen Dorfes Kreuzweg) und im ersten Kapitel, das zwar kein eigentliches Bibelzitat in der Kapitelüberschrift führt, dafür aber um einen religiösen Akt kreist. Anhand eines Gesprächs zweier Bauern wird Schenkenberg vor seinem ersten Auftritt als gotteslästerlicher Teufelsbündler charakterisiert, dessen Meineid in der Folge keinen Segen bringen würde. Eine Vorausdeutung, die sich im Laufe des Romans mehr als deutlich bewahrheitet. Parallelisiert wird das Gespräch über den als Frevel empfundenen Meineid mit dem noch weiter gehenden Teufelspakt, den Schenkenberg, der das Gespräch der Bauern zufällig mitgehört hat, zumindest einzugehen bereit ist.84 Die Vorausdeutung des Niedergangs gilt aber nicht nur für Schenkenberg und seine Familie, sondern schließt die gesamte deutsche Bevölkerung von Taubitz mit ein. Wie ist nun diese religiöse Klammer von Anfang und Schluss zu deuten? Wer trägt die Verantwortung für den Niedergang der Deutschen im Roman? Ist es die geringe völkisch-deutsche Überzeugung der Bevölkerung selbst, wie Wollner meint, oder der unterstellte, allenfalls fahrlässig ausgesprochene Teufelspakt Schenkenbergs? Ist der Niedergang Gottes Werk, der sich auf die Seite der Tschechen geschlagen hat? Oder ist umgekehrt der christliche Gott Ursache der Ereignisse, der strafende Gott, der es auf die heidnischen Germanen abgesehen hat? Jedenfalls scheint das institutionelle Christentum aus der Handlung verbannt zu sein. Das Dorf beherbergt noch nicht einmal einen Pfarrer. Die wenigen religiösen Äußerungen lassen sich der Umgangssprache zuordnen oder entstammen – wie auch das Anfangskapitel zeigt – einem in ländlichen Regionen verbreiteten Aberglauben. Allerdings verbleiben die Aussagen der Dorfbevölkerung mit Ausnahme Wollners im allgemeinen nationalen Duktus der Zeit und lassen keine Rückschlüsse auf einen etwaigen deutschgläubigen Abfall der Dorfgemeinschaft zu. Doch auch Wollner vertritt das völkische Denken nicht mit der Konsequenz wie Jörg Markwart in Watzliks O Böhmen! Den Protagonisten Wollner für das Schicksal von Taubitz zur Rechenschaft zu ziehen, widerspricht der internen Dichtungslogik des Romans.
Kragen«), aus Bibelzitaten (»Richtet nicht, daß ihr nicht gerichtet werdet!« – Matth. 7,1; »Viele sind berufen, wenige auserwählt« – Matth. 20,16), Gleichnissen (»Er ist verloren gewesen und ist wiedergefunden worden«), klassischen Zitaten (»Kurz ist der Wahn und lang die Reu’«, F. Schiller: Lied von der Glocke) oder Sprichwörtern (»Die Raben wittern das Aas«) gebildet sind. 84 | »›Tritt her, Teufel, von dem der Lorenz Zwingler redete, tritt her, und gib mir Gold – auf gleich Wag’ mit mir, und ich verkauf dir mein Leben! Verlang noch mehr! Mach mich zum siechen Krüppel – nur Gold und Höfe, große herrliche Höfe für meine Kinder.‹ Er erschrak schier vor seinen eigenen Gedanken, und es fuhr ihm schaudernd über den Leib. Langsam stapfte er heimwärts.« (Fietz, Tote Scholle, S. 5).
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Die Einzelschicksale sind überdies nicht das intendierte Zentrum der religiösen Ebene des Romans, die in diesem Falle tatsächlich erst vom Autor, nicht vom Erzähler dem Text übergestülpt wird. Sie können durch individuelle Schuldhaftigkeit, Charakterschwäche oder einfach Fehlentscheidungen erklärt und begründet werden. Schenkenberg, als Auslöser eines möglichen Fluches, und seine Familie erleiden ihr Schicksal bereits weit vor Ende des Romangeschehens. Zuletzt harren in Taubitz nur mehr die wenigen Rechtschaffenen aus, die sich nicht an den Ränken Schenkenbergs und seiner Anhänger beteiligten. Nicht der (mehr oder minder schuldig gewordene) Einzelne, sondern das gesamte Dorf unterliegt einer Passion, das deutsche Dorf wohlgemerkt in einem Status vor der Besiedelung durch tschechische Bauern. Der Idealzustand liegt damit vor dem Beginn der Erzählzeit, denn zu Beginn des Romans leben bereits zwei Tschechen innerhalb der Dorfgemeinschaft und die Degeneration des deutschen Geistes durch tschechisches Kapital ist schon weit vorangeschritten. Das deutsche Dorf erduldet das Leid, das ihm durch die hereindrängenden Tschechen zugeführt wird und unterliegt diesem. Der eigentliche Beginn des beinahe deterministisch verlaufenden Niedergangsprozesses muss vor der Handlung liegen, die dem Leser präsentiert wird. Der Auslöser des Prozesses ist den Figuren des Romans nicht bekannt. Sie stellen lediglich Mutmaßungen darüber an: Herabsetzung des Bauernstandes seit der Aufklärung, Landflucht der Jugend, fehlendes Verantwortungsbewusstsein des Lehrstandes, geringer nationaler Zusammenhalt, ausgeprägtes Profitstreben, Schwinden der natürlichen Frömmigkeit. Die Kritikpunkte sind auf verschiedene Figuren verteilt und bilden erst zusammen das Inventar einer konservativen Kultur- und Gesellschaftskritik an den sich liberalisierenden Verhältnissen der Zeit. Da die Argumente nicht zusammenhängend vorgetragen werden, sind sie zu schwach, um ein eindeutiges Erklärungsmuster abzugeben. Die ›wahre‹ Ursache wird auf der Handlungsebene nicht aufgedeckt. Auch das Tschechentum als Nation ist auf der Handlungsebene dafür nicht haftbar zu machen, dazu vermeidet Fietz zu eindrücklich die undifferenzierte und plakative schwarz-weiß-Zeichnung, die für den Grenzlandroman in der Zwischenkriegszeit konstatiert wurde.85 Die nationale Stoßkraft des Romans steht zwar außer Frage, und das spiegelt sich auch in der nationalistischen Sprache, mit der das Vorgehen der Tschechen im deutschen Siedlungsgebiet verurteilt wird, doch Fietz gelingt es, auch die deutschen Dörfler in ihrer Charakterlosigkeit und Profitgier negativ zu gestalten. Zudem werden die Motive für den tschechischen Ex-
85 | Vgl. Georg R. Schroubek: Regionalismus und Nationalismus in der deutschböhmischen Literatur 1918 – 1938. In: K. Bosl/F. Seibt (Hg.): Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. München Oldenbourg 1982, S. 63-77. Friedrich Bodenreuths Alle Wasser Böhmens fließen nach Deutschland (1937) zeigt jedoch, dass auch noch kurz vor der Errichtung des Protektorats ausgeglichenere Positionen möglich waren.
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pansionsdrang von den deutschen Bauern anerkannt.86 Chauvinistisch wird der Roman – freilich immer unter dem Vergleichsmaßstab, dass hier ein nationaler Text vorliegt – erst im letzten Kapitel, das die Ereignisse nach dem Tode Wollners beschreibt. Die letzten deutschen Einwohner flüchten vor der »Geißel der zu Macht gelangten Tschechen« und werfen in Panik »alle ihre Besitze von sich, um aus dem Fegefeuer erlöst zu werden« (Fietz, Tote Scholle, S. 342f.). Erst im letzten Kapitel des Romans erfolgt eine Abwertung der Tschechen als kulturelles Kollektiv und die ausgedehnte religiöse Metaphorik nötigt den Leser geradezu die tschechische Geißel, unter der die Deutschen nun nicht mehr nur in Taubitz leiden, als Geißel Gottes zu verstehen. An den Opfertod des Dorfes knüpft sich, wenn die Parallele zwischen nationalem Abwehrkampf und Kreuzweg konsequent eingehalten wird, die Frage, wem dieses Opfer nützt. Christi Tod am Kreuz erlöst die Christenheit. Wen erlöst der Untergang der deutschen Bevölkerung von Taubitz? Die Gattung des Grenzlandromans impliziert Nation oder Volk als Sinnträger, und Fietz hält sich an die Gattungsmerkmale. Taubitz durchläuft die Passionsgeschichte stellvertretend für die Gesamtheit der Deutschen in den böhmischen Ländern. Nur das deutsche Taubitz stirbt, während sowohl der reale Ort selbst als tschechisches Dorf weiter existiert als auch einige ehemalige deutsche Bewohner des Dorfes in Amerika vermutlich ihr Auskommen gefunden haben. Die Auferstehung jedoch, die die christliche Heilsgeschichte erst vollendet, ist in eine ungewisse Zukunft verlagert. Das deutsche Volk (und damit auch der zeitgenössische deutsche Leser) steht am Ende des Romans zwischen Golgatha und Auferstehung, noch mitten im Verlauf der Heilsgeschichte. Der Roman schließt darum mit dem dringlichen Mahnruf, dem Opfer der Deutschen von Taubitz nachträglich Sinn zu geben: »Wann endlich wirst du, großes deutsches Volk erwachen?« (TS, S. 343) Die realpolitischen Verhältnisse in den böhmischen Ländern, der Expansionsdrang der Tschechen und der stetige Rückzug der Deutschen werden durch den religiösen Kontext zunächst verschärft, zugleich aber in einem nationalen Sinngebungsprozess überhöht. Die Deutschen in Böhmen müssen durch das Fegefeuer der tschechischen Besiedelung gehen, um die nationalen Nachlässigkeiten zu büßen und als nationalbewusstes Volk zu erwachen. Die katholische Theologie fasst die Auferstehung heute nicht mehr als das reale Ereignis auf, das in seiner Unglaublichkeit und Singularität von den Evangelisten kaum in Worte und Bilder gefasst werden konnte. (vgl. die unterschiedlichen Fassungen in den vier Evangelien.) Die Erfahrung der Auferstehung ist für die moderne Theologie allein eine Erfahrung des Glaubens, die als Grunderlebnis das Fundament des Christentums bildet. Dieser Transformationsprozess war zu Beginn des
86 | Die Tschechen haben »in ihrem eing’schlossenen Landteil wirklich keinen rechten Platz, die Bauersleut. Unter denen steckt noch a gut alt’s Stück treuer Bodenständigkeit! Im Tschechischen drin ist a Strich Grund schwer zu kaufen.« Fietz, Tote Scholle, S. 109.
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20. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossen.87 Der religiöse Bildungsstand von Fietz ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht rekonstruierbar.88 Der Text lässt beide Lesarten zu. Wollner fordert seine Mitstreiter mehrfach dazu auf, an die deutsche Sache zu glauben, ohne damit konkrete politische Ziele oder auch nur eine Verbesserung der Lage in Taubitz zu verbinden. Insofern ist eine Aufforderung zu festem Glauben an die deutsche Sache als religiöse Hilfestellung in einer individuellen Notlage denkbar. Der abschließende Mahnruf des Erzählers und die geringe religiöse Motivation der Handlung sprechen aber für eine intendierte reale Wiederauferstehung der Deutschen, die dann Grundlage einer Umkehr der Machtverhältnisse in den böhmischen Ländern werden könnte. Offen bleibt die Frage, ob das deutsche Volk von selbst in der Lage sein wird, aus seinem nationalpolitischen Schlaf zu erwachen oder ob dazu ein Erwecker auftreten muss.89 Die Auferstehungsmetaphorik sowie die enge Verknüpfung von christlichen und völkischen Elementen verbindet Tote Scholle mit anderen konservativen Texten der deutschen und österreichischen Literatur. In der Zwischenkriegszeit erschien eine Reihe deutschnationaler oder völkischer Zukunftsromane, die ihre teils abstrusen Handlungen durch die notwendige Rettung des deutschen Volkes aus einer ungewöhnlichen Notlage legitimieren. Häufig enthalten auch diese Utopien Mahnrufe an das untergehende deutsche Volk, die sie mit Tote Scholle vergleichbar machen. Beispielsweise fordert Ferdinand Eugen Solf Deutschlands Auferstehung bereits im Titel seines 1921 publizierten Romans und konkretisiert den bei Fietz unbestimmt gebliebenen Zeitpunkt des Erwachens auf 1934.90 Doch nicht nur diese erschreckend genaue Zeitangabe unterscheidet ihn von Fietz. Am deutlichsten wird die Differenz in der Figur eines zwar fiktiven, aber greifbaren Erlösers. In Anlehnung an Guido von List ist die Auferstehung bei Solf und zahlreichen anderen Zukunftsromanen an die Figur eines ›Starken von oben‹ gebunden, der das deutsche Volk aus seiner misslichen Lage befreit.91 Auch Anton Wollner gelingt es, die ›echten‹ Deutschen des Dorfes um sich zu scharen, um den tschechischen ›Eindringlingen‹ Widerstand zu leisten, aber seine Mission gerät sowohl politisch als 87 | Vgl. dazu sehr anschaulich Friedrich Heer: Abschied von Höllen und Himmeln. Vom Ende des religiösen Tertiär. Frankfurt a.M. Ullstein 1990, S. 59ff. 88 | In mehreren Auflagen erschien ab 1910 in der Aschendorffschen Verlagsbuchhandlung in Münster der Broschürenzyklus Biblische Zeitfragen, gemeinverständlich erörtert, der an ein an Glaubensfragen interessiertes Laientum gerichtet war. Maßgeblich für eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik hätten die Schriften von Ignaz Rohr zu den einzelnen Evangelien oder Dinters Kommentar zur Auferstehung Jesu wirken können, die sich auf die Kritik seitens der historischen Religionswissenschaft konzentrieren. 89 | Der Aufruf ist auch eine Anspielung an die buditelé (Erwecker) des tschechischen Wiedererwachens am Ende des 18. Jahrhunderts. 90 | Ferdinand Eugen Solf: 1934. Deutschlands Auferstehung. Naumburg Tancré 1921. 91 | Vgl. Jost Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus. Weinheim Beltz Athenäum 1995 2, S. 117-130.
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auch individuell zu einem Fiasko. Die einberufene Versammlung zur Gründung einer Ortsgruppe des Deutschen Kulturvereins scheitert kläglich an den Partikularinteressen der Bauern. Auch die Anwesenheit eines Handwerkers, der in den umliegenden Dörfern als Heilsbringer der deutschen Sache angesehen wird, kann Wollners Anliegen nicht entscheidend unterstützen. Seine integrierende Kraft reicht auch nicht über seinen Tod hinaus, da bereits fünf Jahre danach alle Freunde und Verwandte, die er auf dem Totenbett auf die Wahrung des Deutschtums in Taubitz eingeschworen hatte, das Dorf verlassen haben. Der geringe messianische Erfolg Wollners mag daher rühren, dass Fietz an den Realismus gebunden bleibt und seinen Protagonisten nicht mit technischen Wundermitteln ausstattet wie etwa Joseph Delmot seinen Kapitän Mader.92 Die technische Überlegenheit des deutschen Ingenieurs steht im Vordergrund, der durch die Konstruktion von Strahlenapparaten (so bei Solf) und anderen, der raschen Entwicklung der modernen Naturwissenschaft entlehnten, ins Megalomane gesteigerten Erfindungen seine völkische Sendung zum erfolgreichen Abschluss führt.93 Wollner ist zwar der einzige Einwohner von Taubitz, der seine deutschnationale Überzeugung nicht in Frage stellt, hebt sich aber darüber hinaus nicht von den anderen Dorfbewohnern ab. Sein Horizont bleibt durch die auf das Dorf konzentrierte Perspektive des Romans begrenzt. Die Verquickung von religiösen und nationalen Elementen war zur Entstehungszeit des Romans am häufigsten innerhalb der Völkischen Bewegung anzutreffen, deren österreichischer Zweig noch einer systematischen Untersuchung harrt. Der Österreicher Guido von List wurde zum Vorbild auch vieler deutscher Gründer völkischer Verbände und Glaubensgemeinden. Die Leserschaft des Heimdall, einer der führenden Zeitschriften der Völkischen, »rekrutierte sich aus Angehörigen der deutschsprachigen Minderheiten in den Sprachgrenzregionen der Donaumonarchie, wo – unter anderem in den Schutzvereinen – alldeutsches Ge92 | »Was alle Reden nicht vollbrachten, wozu alle Propaganda nicht imstande gewesen, die unüberwindlichen Quarzlinsenstrahlen hatten es vermocht, die Deutschen zusammenzuschweißen. […] Die größten Ehren, die je einem Deutschen zuteil wurden, erfuhr Kapitän Mader. Er war der Abgott der Deutschen geworden. Der unsterbliche Nationalheros seines Volkes.« Joseph Delmot: Die Stadt hinter dem Meere (1925). Zitiert nach J. Hermand: Der alte Traum, S. 129. 93 | In dieser Tradition steht auch noch der Olmützer Schriftsteller Leopold Pospischil (alias Kurt Loando), der in Reichssender II meldet (Trautenau Kuriositäten-Verlag 1936), den Protagonisten Karl Holm gleich zwei Strahlenapparate konstruieren lässt, wovon ihm einer Unsichtbarkeit verleiht, der andere Metall zum Schmelzen bringt. Die überzogene Übernahme der traditionellen Motive des Ingenieursromans bietet ein weiteres Argument für eine satirische Stoßrichtung des Romans, die schon in der Aufarbeitung der politischen Zeitverhältnisse vermutet wurde. Vgl. Stefan Schäfer: Kavalleriepferde beim Ausritt. Kurt Loandos Roman Reichssender II meldet. In: Fiala-Fürst, I./Krappmann J. (Hg.): Deutschböhmische Literatur. Olomouc Universitätsverlag 2001, S. 209-222.
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dankengut und Los-von-Rom-Forderungen eine breite Basis hatten.«94 Größten Niederschlag in den böhmischen Ländern fand fraglos die Los-von-Rom-Bewegung, die sich im Anschluss an die Badeni-Krise vom April 1897 zu etablieren begann. Die alldeutsche Bewegung selbst sowie ihre charismatische Leitfigur Georg von Schönerer stehen am Rande der eigentlichen völkischen Bewegung, deren Ideologie sie fast nur im religiösen Bereich übernahmen.95 Obwohl die Völkischen mehr von Wiedergeburt als von Auferstehung des deutschen Volkes sprachen, ist der mahnende Weckruf am Ende von Tote Scholle durchaus im Einvernehmen mit dem völkischen Sprachgebrauch. Der mährische Schriftsteller und Journalist Ottokar Stauf von der March feierte die völkischen Führer insbesondere wegen ihrer Erweckung des Deutschen als »Pioniere einer großen deutschen Zukunft«.96 Völkische Bekundungen verteilt Fietz in seinem Roman auf Nebenfiguren wie den Kleinbauern Robert Viehmann: Mit einem Male kam es ihm zum Bewußtsein, daß es eine große Schmach für einen Ort sei, in völkischer Lauheit den in verschwindender Minderheit eingedrungenen Feind nach Belieben wirtschaften zu lassen, ihm den Nährboden noch auszudüngen, statt mit unerbittlicher Hacke das keimende Unkraut zu tilgen. Mit einem Male begriff er, daß man im Heimatsorte dem eindringenden Tschechen als rechter deutscher Mann alle Knüppel in den Weg werfen müsse und doch dem Tschechentume in seinem Ringen um Macht und Anerkennung höhere Achtung schenken könne als einem völkisch lauen Zusehen deutscher Volksteile (TS, S. 142f.) [Hervorhebungen durch den Verf. J.K.]
Derartige sprachliche Entgleisungen finden sich häufig in völkischen Texten. Sie verdichten sich dort zu einer biologischen Rassenlehre. Im Roman von Fietz sind sie jedoch so vereinzelt, dass von einer konsequenten Umsetzung rassenbiologischen Denkens nicht gesprochen werden kann. Ebenso fremd sind Fietz andere tragende Säulen des ›völkischen Glaubens‹, der Antiklerikalismus, die Germanenverehrung oder der Antisemitismus. Die im Zitat beklagte »völkische Lauheit« wirkt, gemessen an den radikalen Aussagen in programmatischen Texten der völkischen Bewegung, auf den Romantext selbst zurück. Noch vager und unabgeschlossener als im Umgang mit religiösen Themen präsentiert sich der Roman demnach auf völkisch-nationalem Gebiet. Die Anhaltspunkte im Roman genügen weder für eine Zuordnung zu den Völkischen noch zu Schönerers Los-von-RomBewegung. Wahrscheinlich erschien Tote Scholle deshalb in keinem der einschlägigen Verlage der böhmisch-mährischen Grenzlandliteratur, sondern im Berliner Verlag Deutsche Landbuchhandlung, deren Gründer und Starautor in einer Person Heinrich Sohnrey war. Sohnrey hatte sich zunächst durch Dorfgeschichten aus 94 | Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion. Darmstadt WBG 2001, S. 208. 95 | Vgl. ebd. 96 | Zitiert nach ebd., S. 280.
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seiner Heimat Niedersachsen und Jugendbücher einen Namen gemacht. Mit dem deutsch-polnischen Grenzlandroman Die Lebendigen und die Toten, der ein Jahr vor Tote Scholle erschien, stieg er zu einem ernstzunehmenden Vertreter der konservativen Weltanschauung auf.97 Das Grazer Tagblatt lobte ihn als »nordischen Rosegger«98 und bezieht sich damit auf den Rosegger, der sich in Werken wie Erdsegen (1900) der Heimatkunstbewegung, oder Provinzkunst wie sie in Österreich genannt wurde, bereits anverwandelt hatte. Als Erfolgsschriftsteller der frühen Moderne konnte sich Sohnrey den Luxus leisten, heftig mit der Heimatkunstbewegung zu liebäugeln, ohne ihr letztendlich anzugehören. Der Roman wirkt über weite Strecken als epische Adaption von C.F. Meyers Gedicht Chor der Toten, in dem ebenfalls musterhaft das konservative Verständnis der Welt als Kugel thematisiert wird. Die Toten verlassen die Welt nicht, sondern befinden sich nur in einem anderen Zustand. Tote und Lebende sind gleich gegenwärtig und können unter bestimmten Bedingungen in Kontakt treten. Im Mittelpunkt der Handlung stehen eine Liebesgeschichte und der Gegensatz zwischen einem aufgeklärten deutschen Gelehrten und den polnischen Vertretern des Katholizismus. In der Kennzeichnung des polnischen Klerus als hintertriebener Machtclique, die den Aberglauben der Einheimischen schürt und ausnutzt, zeigt sich der Gegensatz zwischen Sohnrey und Fietz, ja überhaupt zwischen deutscher und österreichischer Heimatkunst. Für den ausschlaggebenden Teil der deutschen Konservativen konnte eine Renaissance des deutschen Volkes nur erfolgen, wenn es sich von der römisch-katholischen Kirche abschottete. Der (preußische) Protestantismus galt vielen als deutsche Religion, sofern sie nicht völkischen Systemen huldigten. Diese befürworteten eher eine deutschgläubige Religion, die sich aus der germanischen Mythologie herleitete.99 Aber auch innerhalb der völkischen Bewegung sah man den Protestantismus als Nährboden zur Entwicklung germanischer Glaubensgemeinschaften. Unter der überwiegend katholischen deutschen Bevölkerung in Böhmen und Mähren konnte dieser protestantische Konservativismus in der Moderne nur sporadisch Boden gewinnen.100 Erst die Erkenntnis, in der neugegründeten Tschechischen Republik eine Minderheit zu sein, verstärkte später die Orientierung an der reichsdeutschen Politik (mit Bismarck als integrierender Persönlichkeit). Für den deutschböhmischen Katholiken Fietz dominiert ungebrochen der Kreuzweg als elementarer Baustein des katholischen Dogmas das Schicksal des deutschen Teiles von Taubitz. Für das Verlagsprogramm der Deutschen Landbuchhandlung ist Tote Scholle nicht wegen der Schilderung der nationalen Gegensätze relevant, sondern we97 | Heinrich Sohnrey: Die Lebendigen und die Toten. Erlebnisse eines Einsamen. Berlin Deutsche Landbuchhandlung 1913. 98 | Die Antonomasie ist dem 7 Seiten starken Werbeteil zu Werken Sohnreys entnommen, der dem Roman von Fietz angegliedert ist. 99 | Vgl. Puschner: Die völkische Bewegung, S. 214-239. 100 | So gab es in den böhmischen Ländern 1908 nur eine Deutschbund-Gemeinde in Reichenberg. Ebd., S. 380.
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gen der eingehenden Beschreibung des notleidenden Bauernstandes.101 Drastisch schildert der Roman das harte Leben im Böhmerwald, das für die nachfolgende Generation kaum Anreize bietet. Die Jugendlichen des Dorfes wandern darum in die Städte ab oder proben den Aufstand gegen die Berufswahl per Erbfolge. Die grassierende Landflucht am Ende des 19. Jahrhunderts war auch das frühe Thema von Heinrich Sohnrey, der die geringe Achtung vor dem Bauernstand in der Bevölkerung für diese Entwicklung verantwortlich machte. In zahlreichen Artikeln in Zeitschriften, die Sohnrey herausgab, vor allem aber in dem programmatischen Vortrag Die Bedeutung der Landbevölkerung im Staate von 1896 könnte Fietz Bestätigung für seine eigenen Beobachtungen gefunden haben.102 Für die angestammten Leser der Deutschen Landbuchhandlung stellte sich die nationale Thematik des Grenzlandes lediglich als ein verschärfendes Moment einer allgemeinen gesellschaftlichen Schieflage dar. Die Verbindung zwischen (nationalem) Entscheidungskampf und religiöser Metaphorik verweist endlich auf Johnstons These vom Marcionismus in Prag, der so ein Geltungsbereich über die Metropole hinaus zugeschrieben würde. Auch Fietz stellt die Deutschen von Taubitz in einen so großen nationalen Konflikt, »daß nur noch eine Apokalypse die Flut, die sich da auf sie zu bewegte, aufhalten könne«103 . Die anderen Werke von Fietz bestätigen jedoch einen bewussten Umgang mit der gnostischen Gedankenwelt in Tote Scholle nicht. Viel eher scheint hier ein Weg eingeschlagen, der später »erstmals in der Geschichte Europas die im gnostischen und manichäischen Dualismus angelegten destruktiven Potentiale vom Kopf auf die Füße stellt«.104 Die unbestimmten nationalen Hilferufe wurden von den nationalsozialistischen Ideologen systematisch verstärkt und die Frage 101 | Erst in der Zwischenkriegszeit orientierte sich der Verlag stärker an der nationalistischen Instrumentalisierung des Grenz- und Auslandsdeutschtums. Sichtbar macht diesen Richtungswechsel die Neuauflage von Sohnreys Roman Die Lebendigen und die Toten. 1929 wurde er als Fußstapfen am Meer wiederöffentlicht und mit dem Zusatz Grenzlandroman versehen. Sohnrey unterstützte mit seinem Verlag und in seinen Zeitschriften auch die Landvolkbewegung, die in Schleswig-Holstein kurzfristig politischen Einfluss gewinnen konnte. Vgl. Mohler: Die konservative Revolution, S. 306f. 102 | Heinrich Sohnrey: Die Bedeutung der Landbevölkerung im Staate und unsere besondere Aufgabe auf dem Lande. Berlin Trowitsch 1896. Sohnrey trat mehrfach als Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften in Erscheinung. Im relevanten Zeitraum erschienen: Das Land 1895-1932, Die Landjugend 1896-1918, Deutsche Dorf-Zeitung 1901-1918. Auch für den Meineid Schenkenbergs und anderer deutscher Bauern, einem zentralen, immer wiederkehrenden Motiv des Romans, verfasste Sohnrey eine Denkschrift. Vgl. Heinrich Sohnrey: Der Meineid im deutschen Volksbewußtsein. Ein volkstümlicher Vortrag nebst weiteren Mitteilungen über die Eidesnot unseres Volkes. Leipzig Werther 1894. 103 | William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 275. 104 | Micha Brumlik: Die Gnostiker. Der Traum von der Selbsterlösung des Menschen. Frankfurt a.M. Eichborn 1992, S. 367.
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nach dem Erwecker des deutschen Volkes eindeutig beantwortet. »Die arischen Gottmenschen, erweckt durch den Lichtbringer Adolf Hitler, sollten antreten zur letzten Schlacht, zum Endkampf gegen die Mächte der Dunkelheit.«105 Die Darstellung des nationalen Konfliktes in Tote Scholle ist zu ambivalent und regional begrenzt, um Fietz zum unmittelbaren Wegbereiter des Nationalsozialismus zu stempeln. Sein Roman zeigt aber, welches Potential der Nationalsozialismus für seinen Aufstieg nutzbar machen konnte.
Karl Wilhelm Fritsch: Um Michelburg 106 Keine destruktive Zustandsbeschreibung, sondern eine eher unbestimmte Ortsangabe wählt Fritsch als Titel seines Romanerstlings, und ebenso wie bei Fietz wird der Titel zur Richtschnur der Handlung. Statt der engen Konzentration auf den Niedergang einer deutschen Dorfgemeinschaft im Grenzland spielt Fritschs Roman an mehreren Orten in Mähren. Dies gelingt Fritsch, indem er zwei Handlungsstränge lose miteinander verbindet, die schließlich beide auf dem Deutschen Volkstag in Brennburg, dem Kulminationspunkt der Handlung, verknüpft werden. Trotz der fiktiven Namen lassen sich die Handlungsorte und damit auch die dargestellte Zeit des Romans identifizieren. Brennburg ist Brünn, die Hauptstadt der Provinz Mähren. In Brünn kam es anlässlich der Auseinandersetzungen um den Mährischen Ausgleich 1905 zu Straßenschlachten, bei denen der tschechische Tischlergeselle František Pavlík durch ein Bajonett der zur Schlichtung berufenen Regierungstruppen zu Tode kam. Fritsch arbeitete bis zu seiner Versetzung nach Iglau 1904 als Finanzkonzipist in Brünn und stand auch danach in engem Kontakt zu den dortigen künstlerischen und politischen Kreisen.107 Die minutiöse Darstellung der Unruhen im Roman geht deswegen wohl auf authentische Berichte zurück. Die titelgebende, ›rein deutsche‹ Stadt Michelburg wird als Zentrum des mährischen Weinbaus beschrieben. Diese besondere Hervorhebung des Weines, die sich in den Gesprächen der Figuren widerspiegelt, ermöglicht neben anderen bestimmenden Angaben im Romantext (geographische Lage, Sitz eines Bezirksgerichts usw.) eine Identifizierung Michelburgs als südmährischen Kleinstadt Nikolsburg.108 105 | Michael Hesemann: Hitlers Religion. München Pattloch 2004, S. 266. 106 | Karl Wilhelm Fritsch: Um Michelburg. Berlin – Schöneberg Buchverlag der »Hilfe« 1911. 107 | Vgl. Zden ě k Mare č ek: Vom Mitarbeiter Strobls zum Mitglied der kosmopolitischen Gesellschaft. Zum Werk des Brünner Prosaisten Karl Wilhelm Fritsch (1874-1938). In: I. Fiala-Fürst/J. Krappmann: Deutschböhmische Literatur. Olmütz Universitätsverlag 2001, S. 272ff. 108 | Zudem besuchte Fritsch in Nikolsburg das Gymnasium, worauf im Roman angespielt wird (UM, S. 22). Denkbar ist auch eine Ableitung des Namens Michelburg aus der Verschmelzung des deutschen (Nikolsburg) und tschechischen (Mikulov) Ortsnamens. Im Üb-
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Um den Stammtisch im »Weißen Bären« kreist der eine Handlungsstrang des Romans. Das geruhsame Gebaren der Honoratioren wird durch die Ankunft des neuen Gerichtsadjunkts Wladimir Brandel gestört, der, obwohl von deutscher Abstammung, von Kindheit an tschechisch erzogen wurde. Den nationalen Vorbehalten der Stammtischbrüder begegnet Brandel durch seine geübten Umgangsformen und seine Objektivität von Amts wegen. Das Wohlwollen der Gesellschaft erringt er jedoch, als er zur Wacht am Rhein »mit seinem sonoren Baß einige begleitende Töne« beiträgt.109 Auf eine erste Bewährungsprobe wird Brandel nach einer spontanen Provokation deutscher Dorfjugend durch Mitglieder des tschechischen Sokol gestellt. Die übliche Schlägerei endet mit einem Gerichtsprozess, bei dem der tschechische Abgeordnete Dr. Bednar als Zeuge vernommen werden soll.110 Bednar besteht auf seinem Recht einer tschechischen Verhandlungsführung und versucht so, einen Präzedenzfall in der deutschen Stadt Michelburg zu schaffen. Nach Protesten in der Bevölkerung, bei der sich vor allem die Bauern aus den umliegenden Dörfern hervortun, wird der Prozess gegen den Willen Brandels nach Lattenberg vertagt, das mehrheitlich von Tschechen bewohnt ist. Damit endet im Grunde genommen der Michelburger Handlungsstrang. Der vertagte Prozess zieht jedoch weitere Kreise bis in die Hauptstadt Brennburg, da das Ziel der tschechischen Politik und Presse, einen Keil in das deutsche Michelburg zu treiben, nicht erfüllt wurde. Eine zweite Ebene erhält der Roman durch die Forschungsreise des Gymnasialprofessors Otto Klauberer aus Brennburg (sprich Brünn) an die Sprachgrenze. Klauberer, dessen Bekanntheitsgrad in der Region heutige Dialektologen vor Neid erblassen lässt, präsentiert sich zunächst als leicht verschrobener, aber leutseliger Gelehrter, der sich, wegen seiner Tschechischkenntnisse und der politisch indifferenten Haltung, mit den einfachen Landbewohnern beider Nationen gut verträgt.111 In Michelburg macht er lediglich Station wegen seines Freundes Hausenbigl. Hausenbigl, ein naturwissenschaftlich gebildeter Privatgelehrter und Erfinder, ist ein Außenseiter in der Michelburger Gesellschaft, dessen seltene Stadtbesuche als Vorboten schlechter Nachrichten angesehen werden. Wegen seiner Bekanntschaft mit Hausenbigl tritt auch Klauberer kaum mit den Figuren in Kontakt, die den ersten Handlungsstrang beherrschen. Er wird erst nach seiner Rückkehr im zurigen ist für die Interpretation eine Identifizierung nicht maßgeblich, entscheidend ist die soziopolitische Ausgangslage. 109 | »Das Verhalten des Adjunkten aber schien den Stammgästen unbegreiflich. Man hatte schon geglaubt, den Gast beleidigt zu haben, und war nun ganz erstaunt, als Brandel das Singen des Liedes keineswegs als einen Verstoß beurteilte. Das Anstoßen mit ihm wollte gar kein Ende nehmen (.).« Fritsch: Um Michelburg, S. 33. 110 | Fritsch schreibt alle tschechischen Namen ohne diakritische Zeichen. 111 | Während des Gehens liest er, wodurch er schon mal einen geschlossenen Flügel eines Friedhofstores übersieht (Fritsch: UM, S. 92), oder er bearbeitet seine Anmerkungen. Bis heute eine Spezialität Brünner Germanistikdozenten.
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nehmenden Maße in die politische Ausweitung des an sich unbedeutenden, regionalen Konflikts hineingezogen. Er erkennt den phrasenhaften Charakter der politischen Propaganda in den tschechischen Medien und wird Opfer eines tätlichen Übergriffs durch tschechische Randalierer. Seine individualistische und übernationale Position gibt er aber erst auf, nachdem er, der sich an seinen Schreibtisch zurückgezogen hatte, durch einen Steinwurf fast ein Auge verliert: Sehen Sie, Herr Doktor, dort im Schreibtische liegt noch ein großes Manuskript eines Werkes. […] Es ist noch nicht fertig. Aber fast denke ich, daß ich es jetzt werde etwas umarbeiten müssen. Ich will kein kahles Werk für Stubengelehrte daraus machen. Es soll Leben bekommen; denn in mir, trotz meiner vorgeschrittenen Jahre ist es wieder jung geworden. Vielleicht wird mein Werk, wenn ich es jetzt beende, für mein Volk, das mir erst jetzt wieder nahe steht, von größerem Vorteil sein, als wenn es in einer staubigen Bibliothek die Schwindsucht bekommt. (Fritsch: Um Michelburg, S. 214; im weiteren Verlauf als UM)
Obwohl er die »Zweifel an der Berechtigung bzw. an dem Sinn des nationalen Kampfes« im Roman Fritschs anerkennt, findet Zdeněk Mareček in diesem »Wandel des apolitischen Mundartforschers zum Mitkämpfer um den nationalen Besitzstand der Deutschen in Mähren«112 und im allgemein politischen Ausklang des Romans bestätigende Argumente für eine Zugehörigkeit von Um Michelburg zur nationalistischen Literatur. Fritschs Veröffentlichungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit und seine Beteiligung an einer kosmopolitischen Gesellschaft, die von der tschechischen Avantgarde anerkannt wurde,113 zeugen jedoch von einer gegensätzlichen politischen Einstellung. Somit wäre es zwischen 1911 und 1919 in Werk und Gedankenwelt Fritschs zu einem radikalen Bruch gekommen. Mareček, der einzige zuverlässige Biograph Fritschs, findet für diesen Bruch keine Argumente und bezeichnet seine Verortung des Romans im nationalen Kontext als vorläufige.114 Der Wandel fände seine Begründung letztlich nur allgemein im Erlebnis des 1. Weltkrieges. Das ist immerhin möglich und Fritsch stünde mit einer durch den Krieg bewirkten Abkehr von nationalen politischen Positionen nicht allein. Er selbst beharrte aber darauf, dass der Roman schon davor »vielfach unsinnigerweise als ein nationales Propagandabuch angesehen« wurde.115 Die Schwierigkeiten im Umgang mit Um Michelburg liegen in der polyphonen Struktur des Romans. Zwar gibt es einen durchaus auktorialen Erzähler, doch gibt Fritsch seinen Figuren viel Raum, ihre Meinungen bezüglich des Nationalitätenkampfes ausführlich und meist kommentarlos zu präsentieren. Deswegen fällt es schwer, eine bestimmte Figur als ›Sprachrohr‹ des Autors zu isolieren. Während in 112 | Beide Zitate bei Mare č ek: Vom Mitarbeiter Strobls, S. 275. 113 | Ebd., S. 270. 114 | Ebd., S. 277. 115 | Diese Einschätzung nimmt Fritsch allerdings nach dem Krieg vor. Die Wahrheit. Jg. 3 (1921), Nr. 4, S. 55-57. Hier zitiert nach Mare ček: Vom Mitarbeiter Strobls, S. 275.
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Tote Scholle eindeutig der aufrechte Deutsche Wollner die nationale Weltanschauung von Fietz transportiert, kommen im Roman Fritschs immerhin vier Akteure für diese Rolle in Frage. Die Komposition des Textes bietet Prof. Klauberer als Identifikationsfigur an. Mit seiner Forschungsreise setzt die Handlung ein und die dabei gesammelten empirischen Daten werden am Ende des Textes von Klauberer zum ›Vorteil‹ für das deutsche Volk ausgewertet. Die Entwicklung, die er nimmt, führt nicht von politischer Indifferenz zu glühendem Nationalismus, sondern von einer weltfremden zu einer weltoffenen Position, vom wissenschaftlichen Elfenbeinturm ins Kaffeehaus, denn dort, im Brennburger Café Triest bemerkt Klauberer erstmals den Einfluss des Zeitgeschehens auf sein Leben. Die reichhaltige Auswahl an deutschen Zeitungen, die er als ehemaliger Stammgast zu schätzen wusste, ist tschechischen Blättern gewichen; lediglich die sozialistische Arbeiterzeitung liegt noch in deutscher Sprache aus. Der nunmehr tschechische Betreiber hält eine Namensänderung in »Zur Stadt Prag« für opportun.116 Das Pendant im Nationalbewusstsein findet Klauberer später im Wirtshaus »Zum alten Deutschen«. Er begreift beide Haltungen noch als normalen Ausdruck bodenständiger Volkszugehörigkeit, seine übernationale Position wird davon nicht berührt. Bei Tischgesprächen in beiden Lokalen wechselt er mühelos vom Deutschen ins Tschechische, vom Italienischen ins Französische. Die Taktik der Presse, jeden kleinsten Vorfall nationalistisch auszunutzen, nimmt er zur Kenntnis, misst ihm aber keine weiterführende Bedeutung zu. Erst als er durch einen »Knüttelhieb« durch tschechische Randalierer verletzt wird, werden die nationalen Auseinandersetzungen für ihn real: »Es ist eben doch ein Kampf um die Macht. Ein Kampf, der wirklich existiert, und zwar nicht bloß in den Zeitungsspalten.« Die Gassentür wurde aufgerissen. »Sakramentske potvory!« brüllte der Eingetretene tschechisch. […] »Die Turner, diese deutschen Lumpen, haben dreingedroschen wie Irrsinnige. Und vom Hauptring sind den Unsern die Deutschen in den Rücken gefallen, und so eingekeilt mußten wir natürlich unterliegen. Aber sie sollen es nur so weiter treiben, diese Deutschen, bis nur unsre Brüder vom Lande hereinkommen dann werden wir schon sehen, wem Brennburg gehört.« »Verzeihen Sie, mein Herr, aber Sie scheinen mir kein Logiker zu sein,« sagte Klauberer, sich vor den Eintretenden hinstellend. »Nein, wenn Sie wollen, aber ein überzeugter Tscheche!« »Ich will Sie nicht beleidigen, aber ihre Beweisführung, daß Brennburg tschechisch ist, scheint mir nicht ganz richtig. Erlauben Sie! Gesetzt den Fall, es kommen soundso viele Tausende vom Lande nach Brennburg herein – was ist damit bewiesen? Daß die Provinz eben soundso viele tausend Tschechen aufbringen kann. Und wir Deutschen haben noch 116 | Eine deutliche Reminiszenz Fritschs an Mauthners Der letzte Deutsche von Blatna, wo das Gasthaus von Stephan Silber »Zum römischen Kaiser« die neue Anschrift »Stjepan Silbr – Hostinec« erhält.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE niemals geleugnet, daß das flache Land zur Mehrheit tschechisch ist. Wenn aber, bitte mich nicht zu unterbrechen, wie ich dies sogar in einem Ihrer Blätter las, in den tschechischen Provinzorten Flugzettel verteilt werden mit der Aufforderung, am Pfingstsonntage in Massen nach Brennburg zu kommen, um zu beweisen, daß Brennburg tschechisch ist, nun so werden Sie es mir nicht übel vermerken dürfen, wenn ich dies Ganze etwas komödienhaft finde.« (UM, S. 185f.)
Das Gespräch zwischen Klauberer und dem tschechischen Demonstranten wurde nicht nur aus inhaltlichen Gründen so ausführlich widergegeben, sondern auch um einen Einblick in Stil und Diktion zu geben, mit denen Fritsch seine Figur ausstattet. Die Gewähltheit des Ausdrucks und die übertriebene Höflichkeit sind in der gegebenen Situation völlig unangebracht und die besonnene Aufnahme durch den abgekanzelten Gesprächspartner, der eben einer Straßenschlacht entkommen ist, bemerkenswert. Andererseits ist es eben diese Höflichkeit im Umgang mit Andersdenkenden, die Klauberer auszeichnet. Seine Argumentation ist auf der Handlungsebene des Romans schlüssig, denn für alle Figuren in Um Michelburg ist ausschlaggebend, welche Nation die Mehrheit in Städten und Gemeinden stellt. Die Stelle illustriert überdies, wie unaufgeregt Fritsch über weite Strecken den nationalen Konflikt schildert. Sein ›Daseinskampf‹ ist, gemessen an der existentiellen Darstellung bei Fietz und den nationalsozialistischen Grenzlandromanen der dreißiger Jahre, nur ein Geplänkel. Doch obwohl er die Mechanismen durchschaut, verfängt sich Klauberer im nationalen Diskurs der Zeit. Bis zuletzt versucht er sich von der politischen Ebene in seine wissenschaftliche Arbeit zu flüchten, bei der ihn jedoch, am Schreibtisch sitzend, ein fehlgeleiteter Steinwurf ereilt. Von der Macht des Faktischen überwältigt, schließt er sich der konfrontativen ›Freund – Feind – Gesinnung‹ an. »Die deutschen Protagonisten werden zumeist als stolze, schlichte, z.T. einfältige Einzelgänger und Eigenbrötler eingeführt, die erst durch leidvolle Erfahrung den Weg zu einer Volksgemeinschaft finden.«117 So lautet einer der Topoi, die einen idealtypischen Grenzlandroman ausmachen. Setzt man statt schlicht und einfältig, weltfremd und verschroben, und vernachlässigt die pikaresken Züge in Klauberers Wesen als zeitbedingte Klischees über den Professorenstand, stimmt die Entwicklungslinie Klauberers mit dieser Definition überein. Im Gegensatz zum Idealtypus konzentriert sich der Roman nicht auf die Entwicklung des Professors, ja stellt ihm in seinem Freund Hausenbigl einen Konterpart gegenüber, der sich bis zum Ende nicht von den nationalen Gegensätzen blenden lässt. Hausenbigl wird zusammen mit Klauberer ebenfalls Opfer des Überfalls, wirkt aber bei dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen, dem Versuch der tschechischen Demonstranten das Deutsche Haus zu stürmen, ausgleichend auf die dort Versammelten ein. In der gereiz-
117 | Wolfgang Reif: Kalter Zweifrontenkrieg. Der Grenzlandroman konservativer und (prä-)faschistischer Autoren der Zwischenkriegszeit. LiLi 24, 95 (1994), S. 42.
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ten Stimmung der aufgebrachten Menschenmenge ist er als einziger in der Lage, die Ereignisse objektiv zu bewerten: »Ja, in der langen Gassen is an alten Herrn a Uhr abgezwickt worden.« »Na, vielleicht auch ein wenig Erfindung dabei«, bemerkte ernst ein ergrauter Herr. »Bei so einem Auflauf fehlen eben auch Taschendiebe nicht«. »Man wird’s ja noch hören, aber das mit’n Professor Klauberer is Wahrheit […].« »Man wird aber doch nicht sagen können, daß diese aufgeregten Mengen irgendwelche Absicht hatten, gerade den Professor zu verletzen«, warf der ergraute Herr ein. »Das behauptet niemand, aber es bleibt immerhin eine sonderbare Kulturtat, Lehranstalten zu demolieren,« bemerkte ein anderer Zuhörer. »Es sollen ja bei den gestrigen Krawallen auch tschechische Anstalten schlecht weggekommen sein.« Diese ruhig ausgesprochene Bemerkung hatte einen förmlichen Sturm zur Folge.« (UM, S. 198f.)
Dieser Sturm auf dem Balkon des Deutschen Hauses setzt sich auf dem Stadtplatz fort. Die Tötung des tschechischen Demonstranten, die den Tumult schließlich beendet, wird von dem ergrauten Herren Hausenbigl mit »das sind die letzten Folgen« (UM, S. 201) kommentiert. Letale Gewalt als letztes Stadium des schwelenden Nationalitätenkonfliktes, den niemand bereit war aufzuhalten, als er noch am Anfang stand. In Anlehnung an den berühmten Aphorismus Grillparzers sieht Hausenbigl das Zeitalter der Bestialität heraufdämmern, den »Untergang der Welt« (UM, S. 216). Auch der Michelburger Stadtarzt Pohl verfährt nach dem Leitspruch »wehret den Anfängen«, bezieht ihn aber auf den einsetzenden tschechischen Expansionsdrang. Seine Vision von der tschechischen Entfaltung in Michelburg entspricht den Handlungsabläufen zahlreicher Grenzlandromane. Ist einmal ein Tscheche in der Stadt, meist ein honoriger Bürger, etwa ein Advokat oder Arzt, dann sammeln sich bald andere um ihn. Durch kleine Sammlungen erwirbt das tschechische Grüppchen bald ein Haus, aus dem wenig später eine »Beseda« wird. Nachdem schließlich Kindergärten und Schulen folgten, »da konnte man nicht mehr zweifeln, daß sich diese tschechische Gesellschaft im Orte auch bereits häuslich niedergelassen hatte«. (UM, S. 165) Als Märchen wird diese Geschichte von den Michelburgern abgetan. Sie findet aber später ihre reale Bestätigung in der fiktiven Welt des Romans. Der tschechische Abgeordnete Dr. Bednar, Wladimir Brandel und ein Professor gründen »eine kleine tschechische Gesellschaft […], der sich in neuester Zeit noch zwei andre Herren, sowie der Bezirksrichter angeschlossen haben«. (UM, S. 212) Das Unheil nimmt, aus der deutschnationalen Perspektive Pohls, nun auch in Michelburg seinen Lauf.118 118 | Fritsch zeichnet Pohl bei seinem ersten Auftritt als Völkischen, der gegen die Rassenmischung zwischen Germanen und Slawen wettert. Weitere Merkmale, die eine spe-
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Daran ist eher unwillig Wladimir Brandel beteiligt, sicherlich die gebrochenste Figur des Romans. Seine Stellung zwischen den beiden Nationen dokumentiert bereits die oben beschriebene Eingangsszene. Brandel ist sich dieser interkulturellen Lage bewusst. Er kämpft mit seinen Hassgefühlen, die er gegenüber den Deutschen empfindet, weil sie ihn in der Kindheit aus ihrer Gemeinschaft ausschlossen. Aus diesem Hass heraus heiratet er die Tochter des Stammtischvorsitzenden Pfeiler, obwohl er weiß, dass sie den Studenten Fiedler liebt. Nach dessen Selbstmord aus unerfüllter Liebe empfindet er Reue, die sich in der Ehe noch steigert: Ja, mißbraucht. Ja, gehaßt habe ich diese Nation, die mich hinausgeworfen; gehaßt hab ich sie, und um diesen Haß in Generationen weiterzutragen, dazu hab’ich dich mißbraucht, ja, mißbraucht! Brandel schaute einige Augenblicke lang in die starren Augen seiner Frau. Ja, ja, es gibt da kein Mißverstehen, verachte mich jetzt, wenn du willst. Ich kann dich nicht verachten, du hast einen schweren Kampf gekämpft. Und bin unterlegen. Nein, nicht unterlegen, du hast dich zu einer Überzeugung durchgerungen. (UM, S. 172)
Diese Überzeugung ist im Zeitalter des Imperialismus eine protschechische, aber keine nationalistische. Vom tschechischen Politagitator Bednar daraufhin zur Rede gestellt, verteidigt sich Brandel: »ich werde immer dort zu finden sein, wo es um das Recht des tschechischen Volkes geht, aber niemals, wo es Unrecht will.« (UM, S. 173) Ähnlich wie Hausenbigl wahrt Brandel trotz aller Anfechtungen seine Objektivität im Nationalitätenstreit. Weder der Erzähler noch Dr. Bednar werten diese Einstellung ab. Zumindest Bednar hätte guten Grund dafür, Brandel, wie in nationalen Zusammenhängen üblich, der Lauheit oder des Renegatentums zu bezichtigen, untergräbt dieser doch seinen Einfluss auf das deutsche Michelburg. Doch die Bilder von Fügner, Jungmann und Rieger an der Wand von Brandels Arbeitszimmer vergegenwärtigen dem tschechischen Politiker die historischen Voraussetzungen, unter denen sich der Aufstieg des tschechischen Nationalgedankens ereignete.119 Auch diese führenden Vertreter hatten, ihrem deutschen Namen zum Trotz, der tschechischen Nation den Weg gebahnt. zifisch völkische Haltung von einer allgemein deutschnationalen unterscheiden, bleiben aber aus. 119 | Ahistorisch und wenig konziliant wird Brandel von Mare č ek beurteilt, da er »trotz seines Vornamens kein echter Tscheche« sei (vgl. Mare č ek: Vom Mitarbeiter Strobls, S. 277, Hervorhebung von den Verf. J.K.). Dadurch gelingt es Mare ček, Brandel aus der nationalen Rechnung zu substrahieren. Übrig bleiben auf tschechischer Seite der Nationalist Bednar und ein unbestimmtes, allgemein pöbelhaft und feige agierendes, tschechisches Kollektiv. Nur so ist es möglich, den Roman entgegen seines Textgehaltes in das gewohnte Schema des nationalistischen Grenzlandromans zu zwängen. Diese Einschätzung Brandels ist zudem ein weiterer Beleg für die Langlebigkeit von »nationalem Purismus« und der Bewertung
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Die vier Hauptpersonen des Romans nehmen jeweils einen eigenständigen Standpunkt in den nationalen Auseinandersetzungen ein, die sie aus ideologischen oder politischen Voreinstellungen ableiten oder individuell aus ihren konkreten Lebensumständen heraus konstruieren. Daneben treten Figuren auf, deren Einstellung von Fritsch nicht eigens motiviert wird. Diese ergänzen Ansichten über die nationale Frage, die im historischen Rahmen der frühen Moderne ebenso in Erscheinung traten, aber für Fritsch erzähltechnisch nicht den Protagonisten zuzuordnen waren. Dazu gehören der Preuße Hollemann, der sich in großdeutschen Vereinigungsphantasien ergeht, der deutschtümelnde und immer besoffene Stammtischparlierer Haunzipfel, der »Europamüde« Baller, für den in Amerika alles besser ist und die Witwe Mikuletzky,120 für die die Demonstrationen folgerechte Entladungen eines Hasses sind, »der seit Jahrhunderten in den beiden Lagern aufgespeichert war«. (UM, S. 191) Sie vervollständigen das Panorama des zeitgenössischen Nationalismus, das Fritsch aus dem Blickwinkel Michelburgs entwirft. Kann nun aus diesem Knäuel von Meinungen die Intention des Autors isoliert werden? Darauf zwei methodisch unterschiedliche Antworten: Fritsch wuchs in Bystřice pod Hostýnem (Bistritz am Hohstein), einem überwiegend von Tschechen bewohnten Gebiet, auf und erlangte gute Tschechischkenntnisse, bevor er nach Nikolsburg ans Gymnasium ging. Die sprachliche und kulturelle Situation von Bystřice klingt im Roman in der Beschreibung des Dorfes Kopitau an, aus dem Wladimir Brandel stammt. Mit Brandel verbindet Fritsch auch der ähnliche Beruf, der Aufenthalt in Nikolsburg, die Umstände der Hochzeit (Datierung, jüngere Ehefrau), sowie die Geburt eines Sohnes im Jahr 1905. Fritsch war von seiner Herkunft her zudem mit nationalen Zwischenstellungen innerhalb der Familien vertraut. Die autobiographischen Anspielungen in der Figur Brandel berechtigen zu einer gewissen Identifikation mit dem Autor Fritsch. Brandels Verhalten kann dadurch als richtungsweisend für den Michelburger Handlungsstrang entdeckt werden. Für die Gesamtinterpretation des Romans taugt die Identifikation trotzdem nicht, da Brandel am Geschehen in Brennburg kaum beteiligt ist. Dort jedoch taucht überraschend Hausenbigl auf. Durch diesen Auftritt, der der ursprünglichen Figurencharakteristik Fritschs zuwider läuft, wird der weltabgekehrte und unpolitische Erfinder zum Regulator im Brennpunkt der Ereignisse und damit auch zum Ausgangspunkt der Sinndeu-
»binationaler oder bikultureller Prägungen« (Robert Luft: Zwischen Tschechen und Deutschen in Prag um 1900, S. 150). 120 | Das Motiv einer »mystischen Erbfeindschaft zwischen Tschechen und Deutschen« wurde zunächst von tschechischer Seite (Palacký) in den Nationalitätenkonflikt getragen. Vgl. Hellmut Diwald: Deutschböhmen, die Deutschen Prags und das tschechische Wiedererwachen. In: Zft.f. Religions- und Geistesgeschichte 10 (1958), S. 131. Dass Fritsch dieses Motiv der Witwe Mikuletzky unterlegt, die mit einem glühenden tschechischen Nationalisten verheiratet war, zeigt, wie gut der Roman recherchiert ist.
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tung für den Interpreten. Nicht mit einem ›Happy end‹,121 mit Klauberers Bekenntnis zum deutschen Volk, endet dann auch folgerichtig der Roman, sondern mit dem desillusionierenden Titel von Hausenbigls einziger schriftlicher Hinterlassenschaft: »Über den Untergang der Welt« (UM, S. 216). Die abschließende apokalyptische Vision macht Um Michelburg über die herkömmliche Gattungszuordnung hinaus mit dem Roman von Fietz vergleichbar. Die Vision Hausenbigls geht über Fietz’ Untergangsszenario hinaus. Bei Fritsch ist die Apokalypse global, in Tote Scholle betrifft sie lediglich den deutschen Teil von Taubitz bzw. den deutschen Bevölkerungsteil der böhmischen Länder. Dadurch ist aber Um Michelburg dem Genre des Grenzlandromans enthoben, da die Intentionen, die damit verbunden sind, nicht mehr erfüllt werden. In beiden Handlungssträngen finden sich Stimmen, die einer nationalistischen Politik kritisch gegenüber stehen. Fritschs Groll gegenüber der zeitgenössischen Literaturkritik ist verständlich, denn keineswegs handelt es sich bei Um Michelburg um einen »völkischen Roman«.122 Im Gegenteil, Fritsch versucht bereits 1911 »die Lösung großer völkischer Probleme […] im Sinne eines gesunden Kosmopolitismus«.123 Diese Einschätzung von Bösl bleibt jedoch die Ausnahme. Die übrigen Kritikerurteile beweisen, dass Fritsch den realen Leser, der im nationalen Diskurs der Zeit stand, überforderte. Vermutlich, weil der Lösungsversuch scheitert, denn weder Brandel noch Hausenbigl sind in der Lage, die nationalen Kämpfe dauerhaft zu befrieden. Letztlich endet der Roman hoffnungslos und spiegelt, obgleich unter anderen Vorzeichen, die Untergangsstimmung der Deutschen in Böhmen und Mähren zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Beide Romane sind Beispiele für die Grenzlandliteratur der Frühen Moderne in Böhmen und Mähren. Beispiele, aber keine Paradigmen. Grundkonflikt und Motivstruktur entsprechen den vorliegenden Mustern der Gattung (Berger, Kindermann, Reif), die aus der Analyse der Hochphase der Grenzlandromane in den 1930er Jahren abgeleitet wurden. Die Gemeinsamkeiten dürfen jedoch nicht dazu verführen, bei diesen frühen Formen eine Pauschalität des Beurteilens walten zu lassen, die bei der späteren Grenzlandliteratur eine gewisse Berechtigung hat: Autostereotype stehen Heterostereotypen gegenüber, Vorurteile werden kolportiert und manifestiert. […] Der völkische Gegner wurde auf wenige Eigenschaften, Haltun-
121 | Mare ček: Vom Mitarbeiter Strobls, S. 275. 122 | Vgl. Nagl/Zeidler/Castle (Hg.): Deutsch-Österreichische Literaturgeschichte. Band 3, Wien Carl Fromme 1926ff, S. 1370. 123 | Joachim Bösl: Südmährens Dichter und Sänger. Eine Erntelese. Nikolsburg Alois Bartosch 1926, S. 284f. Zitiert nach Mare č ek: Vom Mitarbeiter Strobls, S. 290.
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T gen und rassische Merkmale reduziert, bis zur Unkenntlichkeit entindividualisiert und schematisiert.124
Das gilt für die Schemaliteratur eines Rothacker oder m.E. Pleyer,125 keinesfalls für den vielstimmigen Grenzlandroman von Fritsch. Auch der deutschnationale Versuch von Fietz lässt sich dieser Schablone nicht unterordnen. Trotz aller negativen Charaktereigenschaften, die den Tschechen zugeschrieben werden, liegen im Roman ausreichend deutsche Negativbeispiele vor; trotz einiger Kollektivabwertungen ist der Grad der Entindividualisierung noch sehr gering. Die frühe Phase der Literatur ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass die nachfolgend schematisierten Ansichten erst allmählich aus dem politischen Diskurs in die nationale Literatur integriert werden. Darum sind die beiden Romane keine Paradigmen, weder für sich noch in Form von kontrastiven Polen, zwischen denen sich die anderen Erzeugnisse der Grenzlandliteratur vor 1914 ansiedeln. Sie begründen und beinhalten keine Gattungskohärenz.
Anton Ohorn: Deutsches Erbe 126 Der unsichere Umgang mit der neuen Gattung ist wohl am deutlichsten an dem Roman ablesbar, den Mühlberger als Beginn der Grenzlandliteratur auslobt, Deutsches Erbe von Anton Ohorn. In diesem Werk überlappen sich zwei Muster, der Grenzland- und der triviale Unterhaltungsroman. Ohorn schickt seinen Protagonisten, den außerordentlichen Professor Dr. Otto Sagan, im Rahmen von historischen Studien über einen abgefallenen Dominikanermönch in das nordböhmische Dorf Bergel. Dort angekommen bewirken sein Auftreten und seine Archivrecherchen ein Feuerwerk von tragischen Wendungen und glücklichen Fügungen, die jeder neuzeitlichen Telenovela zur Ehre gereichen würden. Kaum angekommen verliebt er sich in Magdalene, die Tochter des Barons von Brauneck. Auf dem Erbsitz der Braunecks lasten schwere Schulden, da der Baron seinem liederlichen und spielsüchtigen Sohn, bevor er ihn verstieß, mehrfach aus der Klemme helfen musste. Der tschechische Emporkömmling Zoufal, Besitzer des Nachbargutes, setzt Brauneck unter Druck, indem er die Hypotheken kündigt, die er heimlich zusammengekauft hat. Dazu bewegen ihn einerseits politische Gründe, die Besitzungen von Brauneck an der Sprachgrenze sollen dem Tschechentum zufal124 | Michael Berger: Von der böhmischen Heimat ins sudetendeutsche Grenzland, S. 267. 125 | Pleyer zählt erst mit seinen späteren Werken zur Schemaliteratur. Vgl. Wojciech Kunicki: Wilhelm Pleyers Bild des Tschechen im Roman Der Puchner. Ein Grenzlandschicksal (1934). In: A. Kowalczyk/J. Pacholski: Stereotype in interkultureller Wahrnehmung. Nysa 2005, S. 101-106. 126 | Anton Ohorn: Deutsches Erbe. Roman aus den nationalen Verhältnissen Böhmens. Znaim Karl Vornemann 1903.
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len, andererseits die amourösen Umtriebe seines Sohnes Vladimir, der ebenfalls Magdalene begehrt. Magdalene opfert sich für ihren Vater und verspricht Vladimir Zoufal die Ehe, falls er ein Jahr zuwartet und gleichzeitig alle tschechischnationalen Aktivitäten einstellt. In dieser Frist erhofft sie eine Lösung durch Sagan oder ihren Beichtvater, den Dominikanermönch Berthold zu erreichen. Der Mönch ist der gute Geist des Hauses Brauneck und zugleich der aufrechteste Kämpfer für die deutsche Sache. Er erkennt als erster den verstoßenen Sohn Max, der geläutert und deutschnationaler denn je aus dem Exil zurückgekehrt ist. Magdalenes Rechnung geht damit auf, da ihr Bruder als ›deus ex Amerika‹ nach Überprüfung der Sachlage seinen millionenschweren Chef per Telegramm (»in Amerika ist man solche Wege gewöhnt«, Deutsches Erbe, S. 243) um die Hand seiner Tochter und freilich auch um eine angemessene Mitgift bittet. Damit ist Magdalene frei für Sagan, der inzwischen kurzfristig inhaftiert war, da man ihn des Eifersuchtsmordes an Vladimir Zoufal verdächtigte. Zoufal wurde jedoch zufällig das Opfer eines armen Wilderers, dessen Notlage er selbst mitverschuldet hatte. Am Ende entpuppt sich der Mönch noch als ehemaliger Pfarrer Fridolin, der aus unbotmäßiger Liebe zu Sagans Mutter in die böhmische Einsiedelei gezogen war, und die Mutter als entfernte Verwandte des abtrünnigen Mönchs Berthold vom Bergl, der der Anlass für Sagans Reise nach Böhmen gewesen war, und der sich wiederum auch als Ahnherr der Braunecks erweist. Ein insgesamt grauenvoller Kitsch, dessen zahlreiche Verzweigungen und Nebenfiguren von einer groben Inhaltsangabe kaum abgedeckt werden können. Die Sprache ergeht sich zudem in zuckersüßen Idyllisierungen und hinterlässt gerade dadurch bei der Lektüre einen bitteren Nachgeschmack. Idylle und Kitsch sind es jedoch auch, die den Roman für die Fragestellung interessant machen. Das Genre Unterhaltungs- bzw. Liebesroman verpflichtet Ohorn auf ein glückliches Ende, das dem Grenzlandroman mit seinen drohenden Untergangsvorstellungen fremd ist. Die Verschmelzung von Liebeshandlung und nationalen Spannungen führt auch in letzteren zu einem guten Ausgang. Brauneck wird gerettet und durch den Einfluss aller Beteiligten werden die Tschechen so weit zurückgedrängt, dass sie bei den nachfolgenden Wahlen wegen Aussichtslosigkeit gar keinen Kandidaten mehr aufstellen. In Umkehrung zu den deutschen Untergangsszenarien bei Fietz und Fritsch lautet der nicht weniger pathetische Schlusssatz bei Ohorn: Hier in diesem stillen Winkel des Böhmerlandes herrscht deutsche Sprache und Sitte, deutsche Art und deutscher Geist: Edelmann und Priester, Lehrer und Bauer, sie alle hüten treulich ihr deutsches Erbe. (Ohorn, Deutsches Erbe, S. 327; im weiteren Verlauf als DE)
Zwischen der Erstauflage von Deutsches Erbe (1901) und den Romanen von Fritsch und Fietz liegen zehn und mehr Jahre. Die unterschiedlichen Romanschlüsse könnten demnach einer raschen Umwälzung der soziologischen Verhältnisse in Böhmen und Mähren geschuldet sein. Die Verarbeitung des Themas in den beiden Romanen Mauthners zeigt aber schon am Ende des 19. Jahrhunderts Züge
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einer pessimistischen Untergangsstimmung. Die tatsächlichen soziographischen Entwicklungen waren für die Verteidigungshaltung der Deutschen in Böhmen und Mähren letztlich weniger ausschlaggebend als die allgemeine politische Stimmungslage.127 Übergeordnete Fragestellungen dieser Art verbietet eigentlich schon die schludrige Machart dieses Romans. So bleibt bis zum Ende unklar, ob es die »nationalen Gegensätze [sind], um deren Wiedergabe es ihm hauptsächlich zu tun war«,128 oder ob Ohorn das massenhaft bediente Genre des Liebes- und Verwickelungsromans durch Einbettung in ein aktuell diskutiertes Thema beleben wollte. Eine Strategie, die er auch in seinen Werken über Gewissenskonflikte von Klosterschülern verfolgte, mit denen er seinen Erfolg begründete.129 Der Romanschluss spricht gegen eine Variation des Grenzlandromans. Die Werbetexte, die der Ausgabe beigefügt sind, betonen zwar stets die politische Schubkraft des Textes, haben aber auch ihre Schwierigkeiten in der genregemäßen Zuordnung des Romans.130 Neben einiger Besonderheiten in der Zeichnung tschechischer Figuren, die im folgenden Kapitel näher beleuchtet werden, hebt sich Deutsches Erbe durch die Figur des Dominikanermönchs Berthold vom Gros der nationalen Romane ab, die ohne Bezug auf kirchliche Institutionen auskommen. Fietz’ Roman hat zwar eine religiöse Bedeutungsebene, er verzichtet aber innerhalb der Handlung ebenso wie Fritsch in Um Michelburg auf Repräsentanten der Kirche. Ohorn erkannte also früh »die Aussichtslosigkeit des Beginnens, ohne den alten Glauben oder gar im 127 | Aufschlussreich für das Ausmaß der nationalen Verschiebungen in Böhmen ist Johannes Zemmrich: Die Sprachgebiete Böhmens nach der Volkszählung von 1900. Geographische Zeitschrift Jg. 11 (1905), S. 344-346. »Diese Verteilung nach Bezirken ist vor allem für die politischen Verhältnisse von Bedeutung; […] genau 200 Orte haben Minderheiten von 20-50 v.H., darunter sind 148 mit deutscher Mehrheit. Um diese 200 Orte unter den 12820 ganz Böhmens wogt vor allem der nationale Kampf. 26 dieser Orte, meist kleinere Dörfer, haben seit 1890 ihre nationale Mehrheit gewechselt. Auch hier zeigen sich die Tschechen im Vorteil, denn sie haben in 20 Orten die deutsche Mehrheit verdrängt, nur in 6 Orten sind sie in die Minderheit gekommen«. (Ebd., S. 345). 128 | Rezension aus dem Leipziger Tagblatt; beigefügt dem Werbeteil zu Anton Ohorn: Das Tagebuch des Mönchs. Leipzig Tiefenbach o.J. [1910]. 129 | Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das ausgedehnte Werk Ohorns, der selbst Klosterschüler in Tepl war. Am bekanntesten wurden das Drama Die Brüder vom St. Bernhard (»sensationeller Erfolg«, Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen, S. 131) und der Roman Das Tagebuch des Mönchs. 130 | »Das Liebesidyll zwischen ihm [Otto Sagan, J.K.] und Magdalene ist von überaus anmutiger Wirkung, und bildet ebenfalls einen brillanten Kontrast zu dem grellen Kolorit der nationalen Zwistigkeiten. So nimmt der Roman nach jeder Richtung hin das Interesse gefangen und dürfte seiner Tendenz sowohl als auch seiner romantischen Wirkung wegen bald den Rang eines echten Familienbuches beanspruchen.« Rezension aus dem Leipziger Tagblatt; beigefügt dem Werbeteil zu Anton Ohorn: Das Tagebuch des Mönchs. Leipzig Tiefenbach o.J.
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Kampf mit der alten Kirche das katholische Österreich für den nationalen Kampf zu gewinnen«.131 Koschs Kritik bezieht sich auf das vernichtende Urteil gegenüber katholischen Geistlichen in Hohlbaums Romanerstling Österreicher.132 Im Gegensatz zu Hohlbaum, dem Kosch zu Gute hält, dass er nicht dem »frivolen Spott der Los-von-Rom-Periode« verfallen sei, zeigt der überzeugte Schönerianer Ohorn einen katholischen Mönch, der im Nationalitätenkonflikt klar eine deutschnationale Position bezieht.133 Seine politische Überzeugung und sein praxisorientierter Glaube bringen den Mönch in Konflikt mit der katholischen Amtskirche, die ihn, um Schaden abzuwenden, auf eine höhere, aber weniger einflussreiche Stelle, befördern möchte. Die praktischen Normbrüche des Mönchs (z.B. Bestattung eines Protestanten auf dem katholischen Friedhof) finden ihre theoretische Absicherung in den Schriften seines Namensvetters Berthold vom Bergl aus dem 15. Jahrhundert, die Berthold als Klosterprior aufbewahrt. Die Übereinstimmung der Namen und das Wohlwollen, das der Mönch des 20. Jahrhunderts dem abtrünnigen Geistlichen gegenüberbringt, berechtigt zu einer Gleichsetzung beider im ideellen Bereich. Darum wird auch die folgende Stelle, an der Berthold vom Bergl der katholischen Kirche den Weg weist, die Meinung des Priors in Glaubensfragen wiedergeben: Abfallen muß von ihr der Haß der freien Forschung, abfallen muß die alte blinde Lieblosigkeit, die einsichtslose, gewalttätige Herrschsucht, sonst kommt die Stunde, da das Volk sich erhebt gegen Rom und seinen Anhang. (DE, S. 178)
In den Schriften aus dem 15. Jahrhundert verbirgt Ohorn seine eigene politische Haltung. Die vorgeblich alten Betrachtungen des Berthold von Bergl legitimieren schon den neuen Kurs ihres Autors und der Los-von-Rom-Bewegung. Die im Zitat angekündigte Volkserhebung wird später hinsichtlich der Person Luthers konkretisiert und liegt damit ganz auf der Linie der österreichischen Alldeutschen unter Schönerer, die sich 1898 mit dem Evangelischen Bund zur Wahrung der DeutschProtestantischen Interessen verbündet hatten.134 Für den Deutschböhmen Ohorn, 131 | Wilhelm Kosch: Robert Hohlbaum. Ein Dichter des Deutschtums. Breslau Schlesische Druck AG 1926. 132 | Robert Hohlbaum: Österreicher. Ein Roman aus dem Jahre 1866. Leipzig Staackmann 1914. Der Roman ist zwar ein Zeugnis der Frühen Moderne in Mähren, wurde aber wegen seiner historischen Perspektive aus dem Korpus ausgegliedert. 133 | Zum Verhältnis Ohorns zu Schönerer und seine Konversion zum Protestantismus vgl. Kurt A. Huber: Anton Ohorn (1846-1924). Ein Beitrag zum Priesterproblem im 19. Jahrhundert. In: Archiv für Kirchengeschichte in Böhmen, Mähren und Schlesien 6 (1982), S. 276ff. und Bernhard Rost: Anton Ohorn. Lebensbild eines Dichters der Gegenwart. Leipzig Tiefenbach 1911. Letztere Schrift entstand aus einer Freundschaft mit Ohorn heraus, der seinen eigenen Werdegang unter dem Titel Aus Kloster und Welt (Mügeln 1918) niederlegte. 134 | Vgl. Uwe Puschner: Die völkische Bewegung, S. 208f.
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der inzwischen in Chemnitz sein Wirkungsfeld gefunden hatte, war dieser Weg nachvollziehbar.135 Dem überwiegend katholisch geprägten Publikum in Böhmen und Mähren, das er bei dieser Thematik als zusätzlichen Leserkreis voraussetzen konnte, bietet er eine Identifikationsfigur an, die Nationalismus und Katholizismus in Einklang bringt. Denn der ›moderne‹ Mönch Berthold bleibt trotz aller Kritik auf dem Boden der katholischen Kirche, besonders unter Berücksichtigung der Bestrebungen des böhmischen Reformkatholizismus.136 Ganz im Sinne von Kosch werden die katholischen Geistlichen in dem Erzählband Aus den heimatlichen Bergen von Ottokar Stauf von der March beschrieben.137 Stauf kam nach eigenem Bekunden als Kind in die Pflege seines Onkels, des Dorfpfarrers von Nikles bei Mährisch-Schönberg.138 »Im innigen Verkehr mit diesem Seelenhirten war der Grund zu Staufs fernerer Geistes- und Gemütsbildung gelegt«, und auch sein positives Verhältnis zum niederen Klerus ist von dieser Erziehung geprägt.139 In der Erzählung Die Visitation kommt der Dechant zur Firmung in ein deutschmährisches Bergdorf und treibt vergnügte Konversation mit den Kindern und der Bevölkerung. Eingebettet ist die Geschichte des Dorfpfarrers Linhart, der sich mit dem Bischof Kohn in Olmütz, der »Gottesgab’ aus’m Volk Israel« überworfen hat.140 Um ihn zu überwachen, wird ihm vom »Herrgott der Olmützer Diözes’«141 der Kaplan Přemysl Mrkwitschka zugeteilt. Der tschechische Prediger wird mit körperlichen Attributen ausgestattet, die in böhmisch-mährischen Heimatromanen stereotyp auftreten (Himmelfahrtsnase, dürre Gestalt; Klachl). Zudem betätigt er sich als Spitzel, erfüllt damit das Kriterium der Verschlagenheit. Durch seine geringen Deutschkenntnisse macht er sich und die katholische Kirche lächerlich. Nach Meinung der Geistlichen im Gefolge des Dechanten untergräbt der tschechische Kaplan sogar die Moral des einfachen Kirchenvolkes und treibt es
135 | In der Erzählung Der neue Pfarrer wird Ohorn 15 Jahre später (In: Wenn die Schwalbe zieht Leipzig Tiefenbach 1916) den angekündigten, hasserfüllten Kampf zwischen evangelischer und katholischer Kirche ausfechten. 136 | Dass Ohorn hier bewusst vorsichtig zu Werke geht, belegt seine eindeutige Festlegung auf den nationalprotestantischen Weg im zweibändigen Werk Das neue Dogma (1895), das in der zweiten Ausgabe ab 1903 unter dem Titel Los von Rom erschien. Vgl. auch Kurt A. Huber: Anton Ohorn, S. 278. 137 | Ottokar Stauf von der March: Aus den heimatlichen Bergen. Nordmährische Geschichten. Freudenthal Krommer 1908. 138 | Eine Kurzbiographie von Stauf gibt Leopold Wolfgang Rochowanski: Hämetgsang. Buch schlesischer und mährischer Mundartdichter. Freudenthal Krommer 1912, S. 126f. 139 | Anonymus: Ottokar Stauf von der March. In: Deutschmährische Heimat. Jg. 9 (1923), Nr. 6/7, S. 145. 140 | Stauf: Aus den heimatlichen Bergen, S. 128. Der antisemitische Grundton Staufs fällt in diesem Erzählband sonst noch vergleichsweise moderat aus. 141 | Ebd., S. 129.
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der »Los-von-Rom Bewegung« oder den »Lutherischen«142 in die Hände. Doch der ortsansässige Pfarrer wiegelt die Befürchtungen ab: »No, so arg wirds ni’ wern, denk ich,« beruhigte Pater Seff, unsere deutschen Bauern sein konservativ bis in die Knochen und gut katholisch, einerseits aus innerem Bedürfnis, andererseits – leider – aus Gewohnheit. Aber schaden wirds sicherlich u n s, dem sogenannten niederen Klerus und wird die Seelsorge noch beschwerlicher mach’n als sie schon ies’.143
Auffällig ist die doppelte Abgrenzung der deutschen Geistlichen in der Erzählung von Stauf und im Roman von Ohorn. Einerseits gibt es Divergenzen zwischen niederem und hohem Klerus, anderseits zeigt sich deutlich die Kluft zwischen deutschen und tschechischen Repräsentanten der katholischen Kirche. Beide Bereiche sind durch die offizielle Kirchenpolitik miteinander verwoben, die durch ihre übernationale Ausrichtung dafür verantwortlich ist, dass tschechische Pfarrer in deutschen Gemeinden eingesetzt werden. Derselbe Zwiespalt zwischen nationaler Einstellung und übernationaler Kirchenpolitik müsste eigentlich auch die tschechischen Geistlichen in Konflikte bringen, doch diese Problematik wird von den Autoren übergangen. Da sie nur marginal in die Handlung integriert sind, wirken sie umso mehr als unerschütterliche Vertreter des tschechischen Nationalstrebens. Die Binnenhandlung endet abrupt und wirkt sich nicht auf die idyllische Grundstimmung der Dorfgeschichte aus. Stauf vertraut wie seine Figur des Dorfpfarrers 1908 noch auf die einigende Kraft des Katholizismus, die ein Zerbröckeln der deutschen Kräfte in Böhmen und Mähren verhindern wird. Damit vertritt er auch die Ideale der Heimatkunstbewegung, deren deutschösterreichische Vertreter er in seiner kurzlebigen, aber einflussreichen Zeitschrift Neue Bahnen versammelte. Wie in vielen seiner Texte arbeitet Stauf auch in dieser Erzählung mit sprechenden Namen. Dem tschechischen Kaplan Přemysl Mrkwitschka, ein echter Zungenbrecher für die Dorfgemeinde, wird der deutsche Pfarrer Linhart gegenübergestellt. Der Name Linhart wurde von den Lesern Staufs als offene Anspielung auf Friedrich Lienhard verstanden, einen der »Hauptsprecher der Heimatkunst«.144 Stauf von der March gilt bekanntlich als Begründer der österreichischen Heimatkunstbewegung, die sich von der traditionellen Heimatliteratur und dem Provinzrealismus absetzen wollte, die sich in Österreich im Gegensatz zu Deutschland kontinuierlicher im 19. Jahrhundert entwickelt hatte. Trotz der Akzeptanz der deutschen Vorbilder (Lagarde, Langbehn) und ihrer Nacheiferer (u.a. Bartels, Lienhard, Wachler) geht die österreichische Heimatkunstbewegung zu ihrem deutschen Pendant auf »Distanz und will nicht mit ihr identifiziert werden«.145 Der Unterschied lag bei vielen österreichischen Heimatkünstlern in einer Abwehrhaltung 142 | Ebd.: S. 132-133. 143 | Ebd. 144 | Rossbacher: Heimatkunstbewegung, S. 15. 145 | Ebd., S. 24.
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gegen den rasenden Antisemitismus etwa eines Adolf Bartels begründet, der die auch unter österreichischen Nationalen latent vorhandenen Vorbehalte gegen das Judentum bei weitem überstieg. Im Falle Staufs ist es aber nicht der ›mangelnde‹ Antisemitismus,146 sondern sein Festhalten an den überkommenen Werten des Katholizismus, die ihn von der norddeutsch-protestantischen Stoßrichtung der Heimatkunstbewegung trennen. Dieser, besonders in Böhmen und Mähren, weit verbreitete Wertekatholizismus ist das Hauptproblem bei der Anwendung von Forschungsergebnissen zur Völkischen Ideologie auf österreichische Verhältnisse. Die Einzelanalysen zeigen schon bis hierher, dass die Definitionen zum Grenzlandroman zwar den allgemeinen Gehalt des Werkes einigermaßen umschreiben, der Mannigfaltigkeit der Verarbeitungen aber nur unzulänglich gerecht werden können. Im kleineren Bereich der böhmischen und mährischen Grenzlandliteratur wiederholt sich deswegen ein Problem, das der regionalen Literaturforschung in ihrer Gesamtheit Schwierigkeiten bereitet: »es gibt jeweils zu viele Ausnahmen.«147 Jedenfalls gilt dies für die Grenzlandliteratur der Frühen Moderne. Die spätere Produktion speziell der 1930er Jahre, als die Strategie der Sudetendeutschen Partei oder die Doktrin des Nationalsozialismus die Freiheiten der Verfasser einschränkten, mag dem widersprechen. Aber auch zu dieser Zeit, darauf hat Karsten Rinas mehrfach hingewiesen, nahmen sich die Autoren aus Böhmen und Mähren größere Freiheiten heraus als ihre Kollegen im Reich und anderen deutschen Ostgebieten.148 »Genreprägende Züge sind am ehesten dort auszumachen, wo über das Einzelwerk hinausgreifende Konzepte wirken«, heißt es bei Norbert Mecklenburg.149 Aber übergreifende Konzepte dieser Reichweite sind eben in der Frühen Moderne, die sich gerade durch einen Überfluss an Entwürfen profilierte, nicht wirksam. Die für die Einzeltexte wichtigen politischen Programme (Heimatkunst, Los-von-Rom-Bewegung, Altkatholizismus usw.) erreichten trotz ihres zeitweiligen Erfolges immer nur Teile der Gesellschaft. Sie traten außerdem nicht mit der Geschlossenheit der späteren Ideologien und Verbände auf, wovon die zahl146 | »Immer und immer wieder begegnet man dem jüdischen Literatenschwarm, als gäbe es in Österreich überhaupt nur jüdische Literaten oder als wären bloß sie der Rede wert. So wird deutschösterreichische Literaturgeschichte geschrieben!« Ottokar Stauf von der March: Wir Deutschösterreicher. Wien Feige 1913, S. 8 [Hervorhebungen im Original gesperrt, J.K.] 147 | Norbert Mecklenburg: Erzählte Provinz. Regionalismus und Moderne im Roman. Königstein/Ts. Athenäum 19862, S. 13. 148 | Rinas, Karsten: Die sudetendeutsche und die tschechische Grenzlandliteratur im Vergleich. In: Störtkuhl/Stüben/Weger (Hg.): Aufbruch und Krise. Das östliche Europa und die Deutschen nach dem 1. Weltkrieg. München Oldenbourg 2010, S. 583-605; ders.: 1918 als Symmetrieachse der sudetendeutschen und der tschechischen Grenzlandliteratur? In: Sabine Voda Eschgfäller/Milan Hor ňá ček (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 193-206. 149 | Ebd.
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reichen Abspaltungen ein beredtes Zeugnis ablegen. Auf die Genreproblematik wird noch zurückzukommen sein. Zunächst muss die Fragestellung dahingehend erweitert werden, ob sich in einer Atmosphäre, in der sich nationale Verteidigungspositionen und Aggressionsstrategien auch innerhalb der Literatur beider Seiten gegenseitig hochschaukelten, tolerante Standpunkte bei der literarischen Darstellung der Grenzlandthematik einnehmen ließen.
Ferdinand Bernt: Zwischen zwei Sprachen 150 Bernts dramatische Bearbeitung des nationalen Gegensatzes ist ein Sonderfall in der Grenzlandliteratur, deren Autoren eher auf die appellative Wirkung des Gedichts oder die Darstellungsmöglichkeiten der Epik vertrauen.151 Grundkonflikt der Tragödie ist wie üblich das Einbrechen der Tschechen in das deutsche Siedlungsgebiet. Die oft sehr allgemeine und diffuse Bedrohung in den Grenzlandromanen benötigt hier gattungsbedingt einen konkreten Anlass. Diesen findet Bernt in einem gängigen Motiv bei literarischen Werken, die im bäuerlichen Milieu angesiedelt sind. Der deutsche Bauer Wilhelm Scheiner kann nicht verstehen, warum er dem tschechischen Bauern Sounek Durchfahrtsrecht genehmigen muss, obwohl ihm dadurch sein bestes Anbaugebiet zerstört wird. Verschärft wird dieser Konflikt durch die zunehmende Verarmung der deutschen Bauern in dieser Region, die im Falle Scheiners noch durch die hohen Prozesskosten beschleunigt wird. Der Konflikt setzt sich in der jüngeren Generation fort. Die Söhne Hermann Scheiner und Bedřich Sounek stehen sich ebenfalls unversöhnlich gegenüber. Beide studieren in Prag und tragen den Gestus der nationalen (burschenschaftlichen) Auseinandersetzungen der Metropole in die dörfliche Gemeinschaft.152 Während der Streit am Dorfe mit Worten geführt wird und sich auf konventionelle ›Gewaltausübung‹ (etwa die Entlassung des renitenten tschechischen Knechtes) beschränkt, besitzt Hermann Scheiner ein Springmesser, das ihn in Prag vor Überfällen tschechischer Nationalisten schützen soll. Bei dem Streit zwischen deutschen und tschechischen Arbeitern im Dorfwirtshaus, dem Höhepunkt des Dramas, ersticht Hermann mit diesem Messer im Affekt Bedřich Sounek.
150 | Ferdinand Bernt: Zwischen zwei Sprachen. Tragödie in vier Aufzügen. Leipzig Staackmann 1906. 151 | Auch in der Literatur zum deutsch-polnischen ›Grenzland‹ gibt es mit Hans Kyser nur einen Autor, der sich dem Drama widmet. Seine Werke entstanden allerdings erst in den 1930er Jahren. Vgl. Wolfgang Reif: Kalter Zweifrontenkrieg, S. 35. Beide Dramen werden bei Wilpert (Deutsches Dichter-Lexikon 1988 3) unter der Einschätzung »vorwiegend zeitbedingter Dramatiker« versteckt und in der Bibliographie nicht aufgeführt. Wahrscheinlich passen sie nicht zum Bild des ehemaligen Naturalisten und Leiters des S. Fischer Verlages. 152 | Nach Mühlberger waren »Studentenkrawalle in Prag« Anlass für die Abfassung des Dramas. Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen, S. 150.
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Das Dorfwirtshaus ist einer der wenigen Orte der gleichberechtigten Zusammenkunft zwischen Deutschen und Tschechen. Dafür sorgt sein Besitzer, der Wirt und Viehhändler Heinrich Höll.153 Er ist der einzige aus der dörflichen Gemeinschaft, der mit Sounek zusammenarbeitet und seine Gaststube deswegen beiden Seiten zugänglich macht. Auf Anraten Souneks investiert er in den Ausbau des Dorfes zu einem touristischen Zentrum für Wochenendbesucher aus Prag. Der in Aussicht stehende finanzielle Profit lässt ihn darüber hinwegsehen, dass er damit zur tschechischen Besiedelung des Dorfes beiträgt. Die Figur des Wirtes Höll ist mit dem Gastwirt aus dem Roman Tote Scholle von Fietz vergleichbar. Im Gegensatz zu Fietz ist es in Zwischen zwei Sprachen jedoch der deutsche Wirt, der seine Tochter mit einem Tschechen, dem Sohn Souneks, vermählen will, um die Bindung zu seinem Geschäftspartner zu festigen. Hölls Tochter Grete widersetzt sich den Heiratsplänen ihres Vaters und hält unverbrüchlich zu ihrem Verlobten Hermann Scheiner. Wider Erwarten ist es nicht diese Dreiecksgeschichte um Liebe und Pflicht, die zur Tötung von Bedřich Sounek führt. Der ungewollte Totschlag ist Folge der aufgestachelten nationalen Emotionen im Dorfwirtshaus, die vor allem vom jungen Holzknecht Mathes Korzendörfer geschürt werden. Dem Stereotyp des tschechischen Heftigen, dem Bedřich Sounek entspricht, ist dadurch der deutsche Heftige an die Seite gestellt.154 Der eigentlich besonnene Hermann richtet sich aus Entsetzen vor seiner Affekttat durch einen Sprung in den Steinbruch selbst. Grete Höll, die Zeugin des Selbstmords ist, verfällt daraufhin dem Wahnsinn. Die junge Generation ist ausgelöscht und der Konflikt verlagert sich zurück auf die beiden Bauern. In einer letzten Konfrontation auf dem umstrittenen Feld beugt sich Scheiner der Rechtmäßigkeit des Durchfahrtsbeschlusses, nachdem er den eigentlichen Grund für Souneks Vorgehen erkannt hat: Sounek (vortretend in gemildertem Ton): Scheiner, kann ich nicht mehr zurück, tut mir leid. Zu meinem Feld muß ein Weg führen. Feld muß mein gehören, ganz! Wenn der frühere Besitzer, aus Freundschaft für Euch, das Feld halb brach liegen ließ und Dünger in Butten zum Felde trug, so muß ich hinfahren können! Ich, der Sounek! Raum will ich haben! Platz muß sein für mich und alle, die nach mir kommen. Ist einmal so. Unser Volk mehrt sich von Tag zu Tag. Es wird groß. Wo soll es hin? Auswandern? Auch der Tscheche liebt seine Heimat! Deswegen kam ich hierher an die Grenze, um das Land unsrer Urfahren zurückzugewinnen von den Deutschen. Im Namen meines Volkes kam ich hierher. Nun mußt du mir Raum geben, Scheiner! Land für mein Volk, weiter fordere ich nichts! Ob ich sterbe über meinem Schaffen, gleichgültig ists. Mein Volk lebt!
153 | Ein wegen des Nachnamens anzunehmender jüdischer Hintergrund der Figur findet im Dramentext selbst keine Bestätigung. 154 | Zum Begriff des Heftigen vgl. Jan Budňák: Das Bild der Tschechen in der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur. Olmütz Dissertation 2007, S. 252-281.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Scheiner (nach einer Pause inneren Kampfes, heftig): Fahr zu! Fahr drüber! Aber red nix mehr zu mir! Jetza kenn ich dich erst ganz. So schlecht bist fei net, daß man kein ehrlich Wort mit dir redn dürft, aber a Wand trennt uns. Ich komm net mehr drüber. Vielleicht meine Nachfahrn. Was du für dein Volk tust, sei dir vergebn. (Bernt: Zwischen zwei Sprachen, S. 102f.)
Im Unterschied zu anderen einschlägigen Literaturgeschichten der Zeit fehlt der Name Bernts im umfangreichen Sichtungsband Wir Deutschösterreicher von Stauf von der March. Ausgang und Handlungsverlauf des Dramas machen klar, warum. Bernt verteilt negative und positive Figurencharakterisierungen konsequent auf beide ethnischen Seiten. Obwohl er in der Figurenkonstellation die Oppositionsmuster der nationalen Literatur übernimmt (standhafter deutscher vs. nationalgesinnter tschechischer Bauer, wehrhafter deutscher vs. fanatischer tschechischer Student, tschechischer Bodenspekulant und habgieriger deutscher Wirt), und obwohl er seinen Figuren die stereotypen Argumente des nationalen Konfliktes in den Mund legt, weist der Tenor des Werkes in eine andere Richtung. Der Entscheidungskampf zwischen den beiden Bauern wird vermieden. Der Kampf der Nationen wird ebenso wie in anderen Werken der Grenzlandliteratur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt, er wird aber nicht als unvermeidlich angesehen. Den Nachfahren wird zumindest die Möglichkeit eingeräumt, die trennende Wand zwischen den beiden Nationen zu überwinden. Die beiden Gegner tolerieren die Haltung des jeweils anderen. Wenn der Nationalismus eine »geistige und politische Haltung bezeichnen« soll, »die fremde Nationen und ethnische Gruppen als minderwertig betrachtet und ihnen weniger Recht zubilligt«,155 dann verhalten sich die beiden Bauern nicht in diesem Sinne. Sie gelangen zwar zu keiner wirklichen Versöhnung, aber sie finden einen gewaltlosen Weg eines miteinander Auskommens unter Respektierung gleicher rechtlicher Normen. Wilhelm Scheiner akzeptiert die Taten seines Nachbarn Sounek als gerechten Kampf um nationale Interessen.156 Ohne diese Akzeptanz, die durch Hetzer auf beiden Seiten unterminiert wird, prallen die Nationen aufeinander, was zum Tode beider Söhne und, so scheint die Botschaft der Tragödie zu sein, zum Untergang beider Nationen führt. Das Drama entstand zur Zeit des Mährischen Ausgleichs und übernimmt teilweise dessen Position, die die Rechte der beiden Völker festschreibt. Bernt starb 155 | Miroslav Hroch: Nationales Bewußtsein zwischen Nationalismustheorie und der Realität der nationalen Bewegungen. In: Eva Schmidt-Hartmann (Hg.): Formen des nationalen Bewußtseins im Lichte zeitgenössischer Nationalismustheorien. München Oldenbourg 1994, S. 41f. 156 | Unter dieser Fragestellung näherte sich Mare č ek unter anderem dem Roman von Fritsch. Mare ček, Zden ě k: Ein gerechter Kampf für nationale Interessen? Zu zwei Romanen der Brünner Autoren Karl Wilhelm Fritsch und Guido Glück. In: Sborník prací Filozofické fakulty brn ě nské univerzity R 3, Brünner Beiträge für Germanistik und Nordistik (1998), S. 57-72.
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im ersten Weltkrieg in einem Gefangenenlager in Kroatien. Deswegen muss die spannende Frage unbeantwortet bleiben, ob Bernt auch die neugegründete Tschechoslowakei als tolerierbares Modell des Zusammenlebens beider Nationen angesehen hätte. Aus Wolkans Perspektive von 1925 besaß Bernt »das Talent, ein wahrer Heimatdichter zu werden«.157 Das Werturteil bezieht sich an dieser Stelle auf die Romane Bernts. An Zwischen zwei Sprachen findet er die Thematisierung des nationalen Kampfes bemerkenswert, ist jedoch gerade mit dem Ausgang des Stückes, »daß der Tscheche im Kampf obsiegt«, nicht einverstanden.158 Wäre Bernt für Wolkan auch ein großer Heimatdichter geblieben, hätte er den Weg von Zwischen zwei Sprachen weiterverfolgt?159
Rilke: Zwei Prager Geschichten Sicherlich kein Heimatdichter der böhmischen Länder war Rainer Maria Rilke. Seinem Selbstverständnis nach war er das noch nicht einmal für Prag, obwohl die frühen Gedichte, besonders aus der Sammlung Larenopfer bis heute gern zur Illustration Prager Städtebilder herangezogen werden. Die Berechtigung, in eine Abhandlung zur Grenzlandliteratur aufgenommen zu werden, bezieht sich bei Rilke einzig durch die Kennzeichnung der beiden Prager Geschichten als Prototypen einer ›guten‹ Grenzlandliteratur durch Cysarz. Da der Ort der Handlung bei Rilke Prag ist, bedarf es vielleicht eines Zusatzkommentars. Auch in den bisher behandelten Texten wird Grenzland/Grenze nicht im Sinne von Landesgrenze eingesetzt. Unter Grenze verstehen die Autoren diejenigen Regionen, in denen das deutsche auf das tschechische Siedlungsgebiet trifft. Der Grenzverlauf ist demnach aus historisch bevölkerungspolitischer Sicht flexibel. Im urbanen Milieu, besonders in den Großstädten Brünn und Prag, kann diese Grenze meist nicht konkret räumlich bestimmt werden. Stadtteile, Straßen oder gar einzelne Häuserzüge sind nicht eindeutig ›national‹ bestimmbar. Die Grenze verläuft hier entlang gesellschaftlicher, institutioneller oder individueller Fixierungen. Im Gegensatz zur Intention ihres Autors wurden die beiden Erzählungen meist als abgeschlossene eigenständige Werke rezipiert.160 Bezeichnend dafür ist 157 | Rudolf Wolkan: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen und in den Sudetenländern. Augsburg Stauda 1925, S. 162. 158 | Ebd., S. 167. 159 | Zum Wert des Dramas für methodologische Überlegungen zur Regionalliteratur vgl. Krappmann, Joerg: Komplexität, Schlichtheit und Abstraktion in der regionalen Literaturforschung. Am Beispiel des deutschböhmischen Schriftstellers Ferdinand Bernt. In: Voda Eschgfäller, Sabine/Hor ňáč ek, Milan (Hg.): Regionalforschung zur Literatur der Moderne. Olomouc Universitätsverlag 2012, S. 23-39. 160 | In einem Brief Rilkes an seinen Verleger Bonz heißt es: »Die zweite Novelle hängt mit der ersten ganz lose durch das Milieu und einen Teil der Personen zusammen, so daß dieses Buch schon als einheitlich zu betrachten ist und Sie weit mehr befriedigen dürfte, als
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die Monographie Helmut Naumanns, der sich als einer der wenigen überhaupt mit dem erzählerischen Frühwerk Rilkes auseinandersetzte.161 Dort findet sich nur eine umfassende werkimmanente Analyse von König Bohusch, während die zweite Erzählung Die Geschwister nicht beachtet wird. Die allgemeine Forschungsmeinung geht dahin, dass in den Geschwistern einige Motive und die Figur des tschechischen Nationalisten Rezek aus König Bohusch übernommen wurden, dass die Erzählung aber »keinesfalls deren Fortsetzung bildet«.162 Dieser These soll im Weiteren hinsichtlich der Thematik des Nationalitätenstreites, denn um diesen ist es auch Cysarz zu tun, ihre Schärfe genommen werden. Eine Konzentration auf die nationale Komponente der Erzählungen findet sich in Übereinstimmung mit der Interpretation des Autors. In einer Selbstanzeige in Hardens Zukunft bekennt Rilke: Absicht dieses Buches war, der eigenen Kindheit irgendwie näher zu kommen. […] Vorwand waren nur zwei kleine Geschichten. Prag, diese Stadt voll finsterer Gassen und geheimnisvoller Höfe, ist der Schauplatz. Träumerisch und traurig sind die selten handelnden Menschen. Slavische Sehnsucht ist in ihren Stimmen und sie leben von der frühen Frömmigkeit ihrer unverbrauchten Gefühle. Und so kam durch den Vorwand ein Neues dazu: die Geschichte einer Völkerkindheit. Ein paar Worte erzählen im Vorübergehen von dem Schicksal eines Volkes, das seine Kindheit nicht ausbreiten kann neben dem älteren, ernsten, erwachsenen Brudervolk. Und in diesen fast zufällig laut gewordenen Worten scheint mir jetzt meines Buches bester Wert zu liegen. Denn alle seine Wärme kommt von dort her; und gerade, wo es tendenziös zu werden scheint, wird es weit und wissend und menschlich.163 das bunte Programm des Vorigen.« Rilke: Werke Band IV Frankfurt a.M. Insel 1987, S. 982. Fraglos produziert diese Formulierung einen Widerspruch. Da sich Bonz allerdings von Rilke einen Roman erhoffte, dürfte der Einheitlichkeit der beiden Erzählungen mehr Bedeutung zukommen als der nur losen Verknüpfung. 161 | Helmut Naumann: Studien zu Rilkes frühem Werk. Rheinfelden Schäuble 1991. Den Vernachlässigungsgrad dokumentiert die Bibliographie zum erzählerischen Frühwerk im von Bernard Dieterle bearbeitet Abschnitt im Rilke Handbuch. Auch Freedman, der ansonsten sehr an der Motivationslage und dem persönlichen Umfeld Rilkes interessiert ist, marginalisiert die beiden Erzählungen. Vgl. Ralph Freedman: Life of a Poet. Rainer Maria Rilke. New York Farrar Straus & Giroux 1996, S. 74f. 162 | Bernard Dieterle: Erzählungen. In: M. Engel (Hg.): Rilke Handbuch. Stuttgart Metzler 2004, S. 251. 163 | Die Zukunft. Jg. VII, Nr. 37 (10. Juni 1899), S. 486. Zitiert nach: Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Hg. v. Rilke Archiv. Insel 1961, Bd. 4, S. 981f. Die Nähe zur Kindheit bzw. die Gleichsetzung von Kindheit und Kunst ist in den Jahren um 1900 ein zentrales Thema in der Selbstfindung Rilkes als Dichter. Vgl. dazu sehr umsichtig Sascha Löwenstein: Poetik und dichterisches Selbstverständnis. Eine Einführung in Rainer Maria Rilkes frühe Dichtungen (1884-1906). Würzburg Königshausen & Neumann 2004, S. 139-142. Allerdings werden die Zwei Prager Geschichten dort nicht berücksichtigt.
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Das Argument der Völkerkindheit, das sich Rilke hier zu eigen macht, wird in den Geschwistern von dem radikalen Studenten Rezek vertreten, der bereits in der ersten Erzählung als führendes Mitglied einer konspirativen Gruppe von Nationalisten eingeführt wurde. Rilke greift hier, allerdings nur vage und ohne Interesse an der historischen Sachlage, auf die sog. Omladina-Affäre aus dem Jahr 1893 zurück. Mehr liegt ihm am Wandel seiner Hauptfigur. Rezek ist, neben den Künstlern im Café National, die einzige Figur, die in beiden Geschichten auftritt. Seine Beziehung zu den jeweils anderen Figuren ist es, die die Handlungen vorantreibt. In König Bohusch benutzt er die Titelfigur, um einen sicheren Ort für seine geheimen Zusammenkünfte zu erhalten. Vorgeblich ist er von den Überlegungen Bohuschs eingenommen und anerkennt dessen Talent als Volksredner. Damit provoziert er den Wandel in Bohuschs Verhalten, der schließlich zu seinem Ende führt. Bohusch sieht sich nun in der Lage, seine Gedanken zu äußern, und sorgt unbewusst für die Aufdeckung der Verschwörung.164 Rezek tötet daraufhin Bohusch als mutmaßlichen Verräter. Auch am Tod von Zdenko Wanka aus den Geschwistern trägt er eine Mitschuld. Er überredet den unpolitischen Zdenko, der »von all diesem Drückenden gar nichts gemerkt hatte«,165 sich am nationalen Kampf der Tschechen zu beteiligen. Obwohl dieser, zunächst von nationaler Begeisterung ergriffen, Zweifel am Sinn des Kampfes bekommt, kann er sich nicht von der Führungskraft Rezeks lösen. Er stirbt schließlich an einer Lungenentzündung, die er sich in der Untersuchungshaft zuzog. Die tödliche Krankheit resultiert folglich aus der Zusammenarbeit mit der Studentengruppe um Rezek. Unter den zentralen Figuren ist es nur Zdenkos Schwester Luisa, die den näheren Kontakt mit Rezek überlebt. Auch sie, die seit ihrer Jugend einer phantasmagorischen Vision nachhängt, entgeht dem Tod nur knapp. Bei einem Besuch der Daliborka verfällt sie Rezek, da er sich in rational zynischer Weise über die bewusst mystisch gehaltenen Erzählungen über die Gefangenen des Hungerturms erhebt. Er erscheint ihr nun als Verkörperung des »lüsternen Prinzen« Julius Cäsar,166 des heimlichen Sohnes Rudolf II., den sie in ihrer Vision als todbringenden Bedränger ihrer Unschuld erkannt hat. Rezek übersieht in seiner Konzentration auf die politische Agitation ihre Hingabe, »denn sie schien ihm kein Mitstreiter zu sein, dessen Gewinnung wertvoll wäre«.167 Durch die Umstände um den Tod ihres Bruders geschwächt erleidet sie durch die persönliche Zurücksetzung einen mehrmonatigen Fieberanfall, aus dem sie jedoch gestärkt hervorgeht, »was dahinter war, schien eine einzige, große Ver164 | Die beiden Erzählungen werden hier nur hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Nationalitätenkonflikt gedeutet. Darum werden die zahlreichen anderen Motive (u.a. Vater-Sohn Konflikt, Gewinn und Verlust der ›Stimme‹, Dichtungstheorie) vernachlässigt, die eine Gesamtinterpretation berücksichtigen müsste. 165 | Rilke: Werke Band IV, S. 177. 166 | Bernard Dieterle: Erzählungen, S. 252. 167 | Rilke: Werke Band IV, S. 201.
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gangenheit und Versöhnung zu sein, aus welcher kein Schatten mehr in dieses neue, reiche Leben hineinragte«.168 Folgerichtig tritt ab diesem Zeitpunkt auch Rezek nicht mehr in Erscheinung. Er wird ersetzt durch den deutschen Untermieter Ernst Land, der Luisas neue Vitalität unterstützt. Nun, da »sie sich zum ersten Mal selbst gefunden« hat,169 reagiert sie auch auf den Tod der Mutter gefasster als auf das Ableben ihres Bruders. Durch ihr neu gewonnenes Selbstbewusstsein gelingt es ihr, das falsche Mitleid der adeligen deutschen Familie zurückzuweisen, deren Spott sie bisher ausgesetzt war.170 Am Ende der Erzählung Die Geschwister ergreift sie selbst die Initiative in der, nur angedeuteten, Beziehung zu Ernst Land: Die beiden jungen Menschen schwiegen. Dann begann das Mädchen: »Ich möchte so gern etwas besser deutsch lernen, vielleicht können Sie ein wenig böhmisch brauchen dafür.« »Ja«, atmete Land auf, »ich liebe Ihre Sprache.« »Also,« bat Luisa heiter, »dann kommen sie doch, wenn Sie Zeit haben, eine Weile nach vorn. Es giebt ein paar Bücher da, auch deutsche.« 171
Jan Budňák sieht das Verdienstvolle in Rilkes Prager Erzählungen darin, »daß die Hauptgestalten (Bohusch, Zdenko, Luisa) in ihrem Innern den Kampf zwischen den wetteifernden Auffassungen des Tschechischen austragen«.172 Die drei Figuren repräsentieren drei unterschiedliche Modelle mit dem Nationalismus umzugehen, der sich in Rezek manifestiert. In König Bohusch begründet Rezek sein subversives Engagement mit dem hasserfüllten Widerstand gegen die Deutschen, die das tschechische Volk wie Sklaven unterdrücken. In den Geschwistern schränkt er diese einseitige Position zugunsten der Metapher der Volkskindheit ein: Wie ein Kind ist unser Volk. Manchmal seh ich es ein: unser Haß gegen die Deutschen ist eigentlich gar nichts Politisches, sondern etwas – wie soll ich sagen? – etwas Menschliches. Nicht, daß wir uns mit den Deutschen in die Heimat teilen müssen, ist unser Groll, aber daß wir unter einem so erwachsenen Volk groß werden, macht uns traurig. […] Wir ha-
168 | Ebd., S. 213. 169 | Ebd., S. 215. 170 | Luisas im Kampf gegen die Krankheit errungener Lebenswille und die gleichzeitige Zurückweisung jeder Form von Mitleid ist ein weiterer Beleg für Rilkes Nietzsche-Rezeption in dieser Schaffensperiode. Der Einfluss Nietzsches wurde im frühen Erzählwerk bisher nur in der Erzählung Ewald Tragy aufgespürt. Vgl. Theo Meyer: Nietzsche und die Kunst. Francke Tübingen 1993, S. 200ff. 171 | Ebd., S. 220. 172 | Jan Bud ňák: Das Bild des Tschechen in der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur. Olomouc Dissertation 2007, S. 141f.
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T ben nur Greise und Kinder, was die Kultur betrifft. Wir haben unsern Anfang und unser Ende zu gleicher Zeit. Wir können nicht dauern. D a s ist unsere Tragödie, nicht die Deutschen.173
Der Erzählerkommentar verweist im Vorfeld dieses politischen Monologes von Rezek auf die Ereignisse um König Bohusch. Rilke legte demnach Wert auf die chronologische Abfolge der beiden Erzählungen. Grund dafür ist der Wandel in Rezeks Denken, denn die Redeweise vom traurigen tschechischen Volk übernimmt er eben von Bohusch: Die Eltern sind traurig, und die Kinder sind es auch und bleiben es. […] Und dann lernen sie so zeitig den Haß. Die Deutschen sind überall, und man muß die Deutschen hassen. Ich bitte Sie, wozu das? Der Haß macht so traurig.174
Die traurige Stimmung des tschechischen Volkes erzeugt Rilke durch die Verknüpfung mehrerer Szenen, die er bereits in den Larenopfern beschrieben hatte. Das Bild vom böhmischen Land (Mittelböhmische Landschaft) findet sich dort ebenso wie die harte Lage der Fabrikarbeiter (Hinter Smichov) und die Melancholie des slawischen Volksliedes (Volksweise, Das Heimatlied). Auch die Perspektive, die Bohusch gegenüber dem tschechischen Volk einnimmt, entspricht derjenigen Rilkes in den Larenopfern. Beide sind intime Kenner der Großstadt Prag und beide sind 173 | Rilke: Werke Band IV, S. 183. [Die gesperrte Hervorhebung im Original, die Hervorhebung in kursiv von mir, J.K.] Greisenhaft sind die Künstler aus dem Café National, weil sie ihre kulturelle Bildung aus der reifen deutschen und französischen Kultur gewonnen haben, nicht aus dem ›jungen‹ tschechischen Volk. Diese Kritik war auch der Auslöser der sog. Tschechischen Frage. In seinem programmatischen Artikel zur Gründung der Zeitschrift Č as (Die Zeit) 1886 beklagte Hubert Gordon Schauer die Abhängigkeit der tschechischen Kultur von der deutschen und russischen. Darauf bezog sich später Masaryk in den Aufsätzen zur tschechischen Nationsbildung, die von 1895-1897 erschienen und nicht nur in der tschechischen Presse breit diskutiert wurden. Vgl. Miloš Havelka: Die Debatte über den Sinn der tschechischen Geschichte. In: Brenner/Franzen/Haslinger/Luft (Hg.): Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert. München Oldenbourg 2006, S. 46ff und Kurt Krolop: Die ›lächerliche Nationalitätsfrage‹: Österreichischdeutsch-tschechische Aspekte eines mitteleuropäischen Problems. In: Germanistentreffen Bundesrepublik Deutschland – CSFR. Bonn DAAD o.J. [1993], S. 29-31. Dass Rilke hier aus der Position eines tschechischen Patrioten die französische Kultur angreift, ist ein Affront, denn ab 1891 »war eine neue Welle der Sympathie für alles Französische durch das tschechische Volk gegangen«. Peter Demetz: René Rilkes Prager Jahre. Düsseldorf Diederichs 1953, S. 157. 174 | Rilke: Werke Band IV, S. 116. Vgl. dazu einen Aphorismus von Phia Rilke: »Schon in der Wiege lehrt man uns lachen, doch wie bald verlernen wir es.« Phia Rilke: Ephemeriden. Prag Neugebauer 1900. Zitiert nach: Peter Demetz: René Rilkes Prager Jahre. Düsseldorf Diederichs 1953, S. 17.
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»nie weit hinaus« gekommen ins tschechische Land.175 Die Verbindung der einzelnen Szenen erlaubt Bohusch, über den Eindruck hinaus, den die Larenopfer bei den Zeitgenossen Rilkes hinterließen, argumentativ mit diesem Bild zu verfahren. Dadurch verändert sich der Stellenwert dieses Tschechenbildes. Die Gedichte Rilkes in den Larenopfern sind interkulturelle Fremdbilder eines Prager deutschen Autors.176 In König Bohusch werden diese Bilder zum Bestandteil einer Argumentation zweier Tschechen über nationale Eigenheiten ihres Volkes. Der Eindruck, dass es sich hierbei um ein tschechisches Selbstbild handelt, wird noch durch die Figurenrede unterstützt, die kaum vom Erzähler unterbrochen wird. Rezek, dem Bohusch sonst »einfach lästig« ist,177 übernimmt dieses angebliche Selbstbild in der zweiten Erzählung und bekräftigt so dessen überzeugende Wirkung. An der Jahrhundertwende ist dieser Dialog zwischen zwei nationalgesinnten Tschechen trotzdem schwer vorstellbar, widerspricht doch die Traurigkeit dem tschechischen Selbstverständnis als heiter und fröhlich. »Die positive Selbstbeschreibung [der Tschechen] erfolgt über das sanguinische Temperament, die Definition ex negativo über das melancholische, d.h. die Melancholie dient als Antiprogramm, als Feind- und Fremdbild.«178 Das Melancholische, das ebenso wie die Metapher des dunklen Ostens, von deutschen Schriftstellern häufig als Beschreibungskategorie für die slawische Andersartigkeit herangezogen wurde, wird von Rilke in einen Kausalzusammenhang integriert. Die Melancholie der Tschechen entspringt für Rilke keinen charaktertypologischen Überlegungen, sondern wird durch den hasserfüllten Nationalismus erzeugt, der von Kindheit an und generationenübergreifend die ursprüngliche Entwicklung belastet. So negativ der verschlagene Rezek auch gezeichnet sein mag, ist es doch er, der die These von dem jungen tschechischen Volk ausspricht, die Rilke als Haupt-
175 | Rilke: Werke Band IV, S. 115. Ins Deutsche gewendet formuliert Fritsch durch den Ingenieur Hausenbigl: »Und Nationen werden alt, und neue Nationen übernehmen das Erbe und wirtschaften damit weiter. Und die kulturältere Nation fühlt endlich, daß ihr die jüngere, die sozusagen auf ihrem Boden aufgewachsen ist, allmählich über den Kopf wächst. […] Wir Deutschen sind die Kulturälteren, die Tschechen haben fast alle Grundlagen ihrer Kultur von uns übernommen. Sie bauen jetzt aus. […] Nur unsre kulturelle Überlegenheit bringt es zustande, daß wir uns, wo wir hier im Lande doch so sehr in der Minderheit sind, ihrer erwehren.« Fritsch, Um Michelburg, S. 42f. 176 | Zur Definition des Fremdbildes in Abgrenzung zum ›Stereotyp‹ vgl. Jan Bud ňák: Tschechenbilder. Olomouc 2007, S. 40-69. 177 | Rilke: Werke Band IV, S. 143. 178 | Gudrun Langer: »Largus, amans, hilaris…« Zur sanguinischen Prägung des tschechischen Autostereotyps im 19. Jahrhundert. In: Hohmeyer/Rühl/Wintermeyer (Hg.): Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften. Münster LIT 2003, S. 360. Nach Langer galt dieses Selbstbild ursprünglich für alle Slaven und wurde erst durch Čelakovský (1839) für das tschechische Volk beansprucht.
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merkmal seiner Erzählungen in der Selbstanzeige übernimmt.179 Sein junger Aktivismus hebt sich ab von den greisenhaften, überreifen Haltungen der Künstler im Café National, deren Opportunismus Rilke mit deutlicher Ironie überzieht.180 Rilkes Einschätzung der Omladina-Bewegung entspricht damit den tatsächlichen Verhältnissen, da sie allgemein als naive Widerstandsbewegung angesehen wird.181 Rilke beschreibt den tschechischen Nationalismus in der Figur Rezeks als »historische Möglichkeit, mit der Bohusch und die Geschwister konfrontiert werden«.182 Die Gefahr, die von ihm ausgeht, besteht in der Macht, die er über die Personen ausübt. Nur Luisa entzieht sich dieser Gewalt nach langem inneren Kampf und findet zu einer ausgleichenden Position. Die unterschiedliche Einstellung zum Nationalismus im großstädtischen Prag und auf dem böhmischen Land, das auf tschechischer wie deutscher Seite um die Jahrhundertwende diskutiert wurde, greift Rilke ebenfalls in beiden Erzählungen auf. Das Gespräch zwischen Rezek und Bohusch entzündet sich an der Aufklärungsabsicht des eingesessenen Pragers Bohusch gegenüber dem vom Land zugereisten Rezek. Doch Rilkes Erzählungen widerstreben dem Bild vom aufgeklärten Großstädter und nationalbewussten Landbewohner, ein Gegensatzpaar, das, zumal in der agrarromantischen Optik der Heimatkunstbewegung, die deutsche Literatur in Böhmen und Mähren mitbestimmte. In den Geschwistern ist es Luisa Wanka, aus dem tschechischen Städtchen Krummau/Český Krumlov, die dem Nationalismus widersteht. Stadt und Land werden nicht konfrontiert. Beide Räume sind dem Nationalismus gleichermaßen ausgesetzt. Dafür steht exemplarisch die Figur des deutschen Untermieters der Familie Wanka: Ernst Land, »der mitten in der Stadt herangewachsen« war,183 zieht in die tschechisch besiedelte Vorstadt, um sich mit dem Volk vertraut zu machen. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der auf Ablehnung stößt. Bei den tschechischen Bewohnern ist die Skepsis auf sprachliche Defizite zurückzuführen. Doch auch Rosalka, die Dienstmagd der Familie Wanka, 179 | Václav Černý sieht Rezek von Rilke »mit starker Sympathie« skizziert und für Rio Preissner gehört er »ohne Zweifel zu den bestgezeichneten Gestalten« in den Erzählungen. Beide Einschätzungen von tschechischer Seite sind übertrieben, kommen der Charakteristik der Figur aber näher als die Interpreten aus anderen Ländern, die die Figur durchweg negativ auffassen. Die klare Trennlinie zeigt, dass Rilke als Böhme die nationale Denkweise der Tschechen realistisch wiedergibt. Vgl. Václav Černý: Rainer Maria Rilke, Prag, Böhmen und die Tschechen. Brünn Artia 1966, S. 38f. und Rio Preissner: Rilke in Böhmen. In: I. Solbrig/J.W. Sorck (Hg.): Rilke heute. Stuttgart Suhrkamp 1975, S. 229. 180 | In Ewald Tragy wird dieses Verhalten präzisiert, die Titelfigur staunt »über das Fertige aller dieser Überzeugungen, die sorglose Leichtigkeit.« Rilke: Werke Band IV, S. 549. 181 | Vgl. Antonín M ě š ť an: Die tschechische Jugendbewegung in der tschechischen Literatur. In: P. Becher (Hg.): Deutsche Jugend in Böhmen 1918-1938. Benediktbeuren Rieß 1993, S. 132. 182 | Bernard Dieterle: Erzählungen, S. 254. 183 | Rilke: Werke Band IV, S. 208.
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die des Deutschen mächtig ist, beäugt den ›Eindringling‹ mit Misstrauen. Die gleiche Ablehnung hätte wohl ein Vorhaben unter umgekehrten Vorzeichen auch bei der eingesessenen deutschen Bevölkerung Prags gefunden.184 Trotz einer Fokussierung der Zwei Prager Geschichten auf den tschechischen Nationalismus erreicht Rilke über eine kurze Charakterisierung der Familien von Meerheim und Land auch eine differenzierte Darstellung der deutschen Position. Die Lösung des Nationalitätenkonflikts, die er durch die beiden Erzählungen anbietet, liegt in einer gegenseitigen Verständigung, die zunächst von konventionellen Grenzen wie Herkunft und Sprache absieht. Rilke verwirft dabei den Nationalismus nicht kurzerhand, sondern setzt sich mit seinen Argumenten auseinander. Inwieweit er die Lösung auch in einem Verschmelzen beider Völker sieht, kann anhand der beiden Erzählungen nicht bewiesen, lediglich angedeutet werden.185 Ein Indiz ist die Liebesbeziehung, die sich am Ende der Geschwister zwischen Luisa und Ernst Land anbahnt. Ein weiteres Indiz ist darin zu sehen, dass Luisa und Ernst beide ebenfalls schon deutsch-tschechischen Mischehen entstammen. Luisa und ihre Mutter sprechen deutsch, und nur bei Luisa wird ein leichter slawischer Akzent vermerkt. Frau Wanka entschuldigt die tschechische Ausrichtung ihres Sohnes damit, dass ihr Mann »ein guter Tscheche gewesen wäre«, und unterstreicht hiermit ihre andere Perspektive.186 Ernst Land schließlich entdeckt seinen Sinn für das tschechische Volk, in der Sehnsucht nach den slawischen Liedern, die ihm seine früh verstorbene Mutter sang.187 Ins Zentrum der Interpretation rückt so auch eine Passage, die im Text als Feststellung markiert ist. »Überhaupt: wem die Mutter nicht den Weg in die Welt gezeigt hat, der sucht und sucht und kann keine Türe finden.«188 Frau Wanka zeigt ihrer Tochter zweimal den Weg. Zuerst durch ihr – trotz aller Schicksalsschläge – unerschütterliches Festhalten am Leben
184 | Die Familie von Meerhelm lehnt z.B. eine Einladung Zdenko Wankas nur ab, weil er »die böhmische statt der deutschen Universität bezogen« hat. Rilke: Werke Band IV, S. 172. 185 | Die von Storck ins Felde geführte Passage aus einem Brief an Mary Gräfin Dobržensky vom 26. Januar 1921 kann zur Beweisführung nicht herangezogen werden, da sie bereits die Meinung eines Außenstehenden spiegelt. Umso wahrscheinlicher erscheint es aber, dass Rilke hier auf die Verhältnisse um die Jahrhundertwende zurückgreift. »Mir ist der Aufstieg des jungen böhmischen Staates ein Natürliches und Zuversichtliches und ich bin der Meinung, daß die Deutschen in Böhmen bei einigem guten Willen ihre Lage mit den aufsteigenden Kräften der neuen nationalen Tschechoslowakei versöhnen können.« Zitiert nach: Joachim W. Storck: Rilke als Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik. In: Blätter der Rilke-Gesellschaft Heft 13 (1986), S. 43. 186 | Rilke: Werke Band IV, S. 172. 187 | Vgl. ebd., S. 209. 188 | Ebd. Die autobiographischen Implikationen dieses und anderer ›Prager‹ Werke Rilkes können an dieser Stelle nicht aufgezeigt werden.
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und danach durch das Inserat des Fremdenzimmers »in einer böhmischen und in einer deutschen Tageszeitung«.189 Auch wenn diese Auslegung den Text möglicherweise zu sehr strapaziert, bleibt festzuhalten, dass Rilke eine eigenständige Vorstellung von der Lösung der Nationalitätsfrage in Böhmen und Mähren besaß, die sich besonders nach seinem Umzug nach Berlin, vielleicht vermittelt durch den Abstand zu den Verhältnissen in Prag, konkretisierte. Ein abschließendes Ergebnis zu diesem Themenkomplex ist nur zu erzielen, wenn die literarischen Äußerungen Rilkes zum Nationalitätenkonflikt als Einheit verstanden werden, zu der neben den Zwei Prager Geschichten und dem erst 1929 veröffentlichten Ewald Tragy auch die Larenopfer und die frühen naturalistischen Dramenversuche gehören.190 Lohnenswert erscheint auch, die »Debatten über den Sinn der tschechischen Geschichte« mit den Nationalismuskonzepten in Rilkes Prager Werken in Beziehung zu stellen.191 Der Disput um die ›tschechische Frage‹, wie die Auseinandersetzung um tschechischen Nationalcharakter und Nationsbildung nach einem Essay von Masaryk verkürzt genannt wurde, erreichte ihren ersten Kulminationspunkt in den Jahren 1895-1897, also zur Entstehungszeit fast aller Werke Rilkes, die sich mit Prag und dem Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen beschäftigen. Obzwar die meisten Beiträge in tschechischen Zeitschriften erschienen, fand die Debatte auch in der deutschsprachigen Publizistik ihren Widerhall. Im Zentrum stand neben der historischen Kontinuität einer nationalen tschechischen Entwicklung auch die Frage, wie die junge tschechische Nation gegenüber den entwickelten Kulturen in Europa bestehen könne. Die vielfach und in mancher Hinsicht zu Recht gescholtene Studie von Rio Preisner scheint in dem Punkt richtig anzusetzen, dass Rilke in seinen Prager Texten tatsächlich eine geschichtsphilosophische Konzeption Böhmens entwirft.192 Als Gegner Masaryks griff der Prager Historiker Antonín Rezek in diese Debatte ein, der nach jungtschechischen Anfängen zu einer konservativ realistischen Geschichtsinterpretation gefunden hatte. Während der Regierung Badeni wurde Rezek vom damaligen Kulturminister Paul Gautsch von Frankenturm als Ministerialrat für tschechische Angelegenheiten in den Ministerrat geholt und vertrat 189 | Ebd., S. 204. [Hervorhebung von mir, J.K.]. 190 | Die tschechischen Bearbeiter Rilkes (Demetz, Černý, m.E. Mágrova) plädierten früh für eine Gesamtinterpretation des Frühwerks aus böhmischer Perspektive. Am eindringlichsten fordert Preissner eine Auseinandersetzung mit der »Komplexität des ›Syndroms Böhmen‹ […] in verschiedensten Ebenen und Gattungen«. Preissner: Rilke in Böhmen, S. 227. Eine derartig fokussierte Monographie steht immer noch aus. 191 | Vgl. Miloš Havelka: Die Debatten über den Sinn der tschechischen Geschichte 1895-1989. In: Brenner/Franzen/Haslinger/Luft (Hg.): Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert. München Oldenbourg 2006, S. 45-60. 192 | Zur Kritik an Preissner vgl. Helmut Naumann: Studien zu Rilkes frühem Werk. Berlin Schäuble 1991, S. 29-69.
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dort, ab 1897 als Sektionschef, eine entschlossene protschechische Politik.193 Es ist hier nicht der Ort, die Verbindung zwischen dem Historiker Rezek und der Figur des tschechischen Studenten in den Zwei Prager Erzählungen lückenlos nachzuweisen.194 Für den zeitgenössischen Leser in Böhmen und Mähren, der an den aktuellen politischen Ereignissen Anteil nahm, muss sich diese Querverbindung, ob von Rilke gewollt oder nicht, geradezu aufgedrängt haben.195 Bei Rezek und anderen tschechischen Historikern und Politikern ist kein Platz für Rilkes These von der Volkskindheit. Stattdessen setzte man auf eine Nachkommenschaft des modernen Tschechentums von den Hussiten. Man setzte also eine Entwicklung über einen historischen Zeitraum voraus, so dass in der Metapher Rilkes gesprochen die Tschechen eine gewisse Reife vorweisen können. Trotzdem wurden die Larenopfer und die Zwei Prager Geschichten von den tschechischen Rezensenten gerade wegen ihrer empathischen Beschreibung der Tschechen positiv besprochen. Daß Rilkes »Tschechophilie« damals ohne Widerspruch und ohne kritische Analyse akzeptiert wurde, ist vielleicht nur psychologisch zu deuten, etwa in dem Sinne, dass das national-politische Programm vor 1918 noch nicht in tiefere Schichten der nationalen Mentalität eingegangen war. Nur so ist zu verstehen, dass die Tschechen sich mit der global sympathisierenden Geste eines fremden Dichters zufriedengaben und dabei die augenfällige Tatsache übersahen, dass diese Geste ihnen die Rolle eines »kindlichen Volkes« oder eines »volkstümlichen« Menschenschlages schlechthin zuwies.196
Peter Demetz und Václav Černý hielten Rilkes Verständnis der Tschechen als kindlich, volkstümlich und naturverbunden für ein Missverständnis. Nimmt man aber Stromšíks Blick in die Mentalität ernst, dann zerfallen die Tschechen vor der Staatsgründung in zwei Gruppen.197 In eine Gruppe, die politisch mit einer natio193 | Vgl. K. Ku čera: Antonín Rezek. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 18151950, Band IX. Wien Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 1988, S. 108f. 194 | Ein kurzer Hinweis auf den Historiker Rezek als Namensgeber für die Figur erfolgte bereits durch Peter Demetz: René Rilkes Prager Jahre. Düsseldorf Diederichs 1953, S. 155. Demetz zeigt an weiteren Beispielen, dass Rilke »niemals ein ursprünglicher Erfinder von Namen, Gestalten und Situationen« war (Ebd., S. 84). 195 | Der Anteil der tschechischen Intelligenz, die zumindest in der Lage war, Deutsch zu lesen, ist um die Jahrhundertwende noch relativ hoch. Dem rein tschechischsprachigen Publikum wurden die Zwei Prager Geschichten erst durch die Übersetzung 1908 zugänglich. Vgl. Ji ř í Stromšík: Die Tschechen und Rilke. In: Brücken NF 4 (1996), S. 48. 196 | Ji ř í Stromšík: Die Tschechen und Rilke. In: Brücken NF 4 (1996), S. 50. 197 | Anscheinend war aber bereits kurz vor dem Weltkrieg die Argumentation in breitere Schichten gedrungen. Erkennbar wird dies in den Reaktionen auf Franz Werfels Glosse zu einer Wedekind-Feier, die im Prager Tagblatt am 18. April 1914 erschien. Dort heißt es: »Denn es ist nicht zu leugnen, die tschechische Kultur kann nur ein Kind der deutschen
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nalen Frontstellung argumentiert und eine weitere, zahlenmäßig größere Gruppe, die eben genau diese politische Ausrichtung nur unzureichend verinnerlicht hat und gerade deswegen den interkulturellen Ausgleichsbemühungen, die Rilke in den Zwei Prager Geschichten präsentiert, Verständnis entgegen bringt. Das Missverständnis ist ein Missverständnis. Zwei offengebliebene Fragen sind jedoch zum Abschluss des Kapitels noch zu beantworten. Zunächst, warum gerade der Deutschnationale Cysarz die Prager Geschichten Rilkes als gelungenes Beispiel der Darstellung der nationalen Verhältnisse in Böhmen heraushebt. Der ebenfalls national eingestellte Ottokar Stauf von der March verriss die Larenopfer wegen des »Hereinzerren(s) tschechischer Worte«198 und Storck spricht gar von einer Feindseligkeit der deutschnationalen Seite gegenüber Rilke, »die sich bis zu den Erscheinungsformen einer publizistischen Hexenjagd steigert«.199 Cysarz hat sein Urteil später nicht mehr wiederholt. Auch nicht in dem speziell seiner Prager Zeit gewidmeten Erinnerungsband, in dem er Rilke aber immer noch als Meister in der Schilderung der »idiosynkratische(n) Reize und grenzenlose(n) Geheimnisse der Golemstadt« würdigt.200 Die Vorbildfunktion hinsichtlich des Grenzlandromans übernimmt nun wie in vielen anderen Veröffentlichungen von deutschnationaler Seite Watzliks O Böhmen! Cysarz hatte seine Berufung nach Prag, nach eigenem Bekunden, nicht einmal eine Berufung überhaupt zielstrebig betrieben. In seinen literatur- und geisteswissenschaftlichen Arbeiten bis zur Nachfolge auf den Lehrstuhl August Sauers 1928 beschäftigte er sich nicht mit der Gegenwartsliteratur aus Böhmen und Mähren. In den ersten drei Jahren in Prag galt seine Arbeitskraft neuen Überblicksvorlesungen, die »das Gesamt der deutschen Literatur vom 15. Jahrhundert bis ins 20. durchmaßen«.201 Hinzu kamen quellenkritische Übungen, Seminare und Publikationen. Der erste Nachweis einer Beschäftigung mit böhmisch-mährischer Literatur ist eine Rezension zu einem Lyrikband Hans Deißingers von 1933. Cysarz benötigte demnach einige Jahre, um sich in diese Thematik einzuarbeiten.202 Bis zu den ersten umfangreicheren Aufsätzen in Dichtung im Daseinskampf hatte er sich einen Überblick über die wichtigsten Publikationen der letzten zwei Jahrzehnte verschafft. Er hatte aber wohl kaum Kenntnis von den Romanen und ErzählunKultur sein, in deren Mitte sie lebt« (Franz Werfel: Zwischen Oben und Unten. München Langen-Müller 1980, S. 591). In der tschechischen Presse setzte daraufhin eine nationalpolitische Diskussion ein (mit Beiträgen u.a. von Josef Kodíček, Arne Novak, Otokar Fischer und Viktor Dyk), die Werfels Verwendung der Kindheitsmetapher als Affront ansah (vgl. Krolop 1964 und Krolop 1995). 198 | Zitiert nach Demetz: René Rilkes Prager Jahre, S. 130. 199 | Storck: Rilke als Staatsbürger der Tschechoslowakischen Republik, S. 48. 200 | Herbert Cysarz: Prag im deutschen Geistesleben. Mannheim Kessler 1961, S. 64. 201 | Herbert Cysarz: Zehn Jahre Prag. In: R. Jahn (Hg.): Grenzfall der Wissenschaft. Herbert Cysarz. Frankfurt a.M. Hohenreiter Verlag 1957, S. 111. 202 | Vgl. auch Herbert Cysarz: Vielfelderwirtschaft. Bodman Hohenstaufen 1976, S. 166f
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gen, die hier als Grenzlandliteratur der Frühen Moderne vorgestellt wurden. Auch seine Monographie zur Weltkriegsliteratur bestätigt diesen Eindruck; Rilke und Werfel sind zum Teil mit wenig aussagekräftigen Texten aufgenommen, die Weltkriegsromane der mährischen Literatur (u.a. von Robert Mimra und Erwin Ott) fehlen.203 Eine ›erste Summe‹ über die deutsche Literatur der böhmischen Länder gelang Cysarz erst 1938, mithin vier Jahre nach dem Verweis auf Rilke.204 Bis zu diesem Zeitpunkt nahm er eine Zwischenstellung an der deutschen Prager Universität ein. Die späteren autobiographischen Zeugnisse sind zwar mit Vorsicht zu genießen, doch scheint sich Cysarz erst durch seinen Ruf nach München endgültig von der Gruppe der Traditionalisten um Ernst Schwarz und Wilhelm Wostry gelöst zu haben, die trotz aller Betonung des deutschen nationalen Elementes »auch die beiderseitigen Vorteile einer friedlichen Entwicklung für beide Völker in Böhmen und Mähren« berücksichtigten.205 Die Erzählungen könnten somit in ihrer Darstellung des tschechischen Nationalismus und der aufgezeigten Lösung des Konfliktes der Anschauung von Cysarz zu Beginn der 1930er Jahre nahe gekommen sein.206 Spätestens ab 1934 ist es aber nur das Bild des jungen, aufstrebenden, tschechischen Volks, das Rezek und mit Einschränkung auch Bohusch vertreten, das Cysarz in sein Verständnis von der Entwicklung der Deutschen als Kollektiv integriert. Die Dynamik und die Geschlossenheit der tschechischen Nation zählten zu den prägendsten Eindrücken von Cysarz bei seiner Ankunft in Prag. Eine »jugendlich berstende Vitalität und Aktivität« unterscheidet für ihn das tschechische Prag von der allzu melancholischen Stimmung in Wien nach dem Untergang der Habsburger Monarchie.207 Der Einblick in die politischen Verhältnisse in Böhmen und Mähren und sicherlich auch der Aufstieg des Nationalsozialismus im Deutschen Reich veränderten seine Sicht auf Österreich. Der Individualismus wird als Prinzip Alt-Österreichs entdeckt, dem neuen Gemeinschaftsgedanken gegenübergestellt und schließlich preisgegeben: Die alte Monarchie, bei all ihrem weltgeschichtlichen Recht und Verdienst, hat vieles Sudetendeutsche für ihre eigensten Zwecke verbraucht; sie hat ein kaiserlich-königliches
203 | Vgl. Herbert Cysarz: Zur Geistesgeschichte des Weltkriegs. Halle Niemeyer 1931. 204 | Herbert Cysarz: Prag im deutschen Geistesleben, S. 112. 205 | Robert Luft: Deutsche und Tschechen in den böhmischen Ländern. In: Brenner/ Franzen/Haslinger/Luft (Hg.): Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert. München Oldenbourg 2006, S. 387. 206 | Rilke vertritt ja keine einseitig tschechische Lösung, sondern einen Landespatriotismus, der durch die aktuellen Bedingtheiten des deutsch-tschechischen Verhältnisses ergänzt wurde. Deswegen ergeht auch von der Seite Černýs der Vorwurf, dass gewisse Darstellungen Rilkes »einen jungen Tschechen jener Zeit die Augen mit Tränen der Erbitterung gefüllt« hätten. Černý: Rilke, Prag, Böhmen und die Tschechen, S. 37. 207 | Herbert Cysarz: Zehn Jahre Prag, S. 85.
D ER N ATIONALITÄTENKONFLIK T Fellachentum gezüchtet, das schon aus seinem volklichen Grundmangel künstlerisch unfruchtbar bleiben mußte. 208
Für die ›sudetendeutsche‹ Literatur bedeutet diese Reduktion, dass sie »hier und heute geschaffen werden« muss, wenn sie eine angemessene Stellung innerhalb der deutschen Literatur behaupten will.209 Die engeren Kontakte zu sudetendeutschen Kulturpolitikern und Schriftstellern, die sich aus dieser Einstellung ergaben, machten Cysarz in den letzten Jahren seiner Prager Amtszeit selbst zum Handelnden im ›Volkstumskampf‹, dessen literarische Ergebnisse er dann ausschließlich förderte. Es ist darob nicht verwunderlich, dass er die nach 1934 einsetzende, an der kollektiven Ideologie ausgerichtete Grenzlandliteratur als Aufbruch zu neuen Ufern feierte. Die Literatur der Zwischenzeit, die zwischen der Suche nach Neuem und dem Festhalten am Alten schwankte, kann für den Kulturpolitiker Cysarz nicht das Vorbild sein. Für den Literaturhistoriker Cysarz haben die kulturellen Werte der Habsburgermonarchie als notwendiger Ausgangspunkt für zukünftige Leistungen der sudetendeutschen ›Schicksalsgemeinschaft‹ Bestand. »Die älteste Edelschicht ist alt-österreichisches Vermächtnis, aus Wiener und Pariser Neuromantik gespeist, das sterbende Vaterland Rainer Maria Rilkes«.210 Die zweite und letzte noch offene Frage betrifft Jiří Veselýs These, der Nationalitätenkonflikt habe in Mähren friedlichere Lösungen gezeitigt als in Böhmen. Die Grenzlandliteratur der Frühen Moderne bestätigt diese These teilweise. Unterschiedlich ist vor allem die stilistische Aufbereitung des Themas. Stauf von der March und Fritsch konzentrieren sich nicht allein auf die Darstellung der nationalen Gegensätze. Sie fügen vergnügliche Episoden ein, die die Szenerie auflockern. Der kauzige Professor und der versponnene Wissenschaftler bei Fritsch sowie die gewieften und volkstümlichen Dorfpfarrer bei Stauf sind Figuren wie sie auch in unterhaltenden Dorfgeschichten oder im Heimatroman geschildert werden. So eingebettet überschreiten die kämpferischen Auseinandersetzungen und selbst der resignative Ausgang des Romans Um Michelburg nicht die Grenze zur Tragik. In Staufs Heimatgeschichten überwiegt sogar der heitere Ton. Dagegen wird der Kampf zwischen den beiden Ethnien bei dem Deutschböhmen Ferdinand Bernt und noch entschiedener bei Alois Fietz zwar noch nicht unter volksbiologischen Prämissen, aber doch in existentieller Weise ausgetragen. Kein Anflug von Humor durchdringt den schicksalshaften Niedergang des Dorfes Taubitz oder die, zwar juristische einwandfreie, aber doch als Affront empfundene, Entmachtung des deutschen Großbauern im Drama Bernts. Diese Ebene strebt auch Ohorn an, doch seine schablonenhaft strahlenden Helden, die sich jeder Konfrontation gewachsen zeigen, konterkarieren diese Absicht. Das Happy End in der Kolportage Ohorns 208 | Herbert Cysarz: Vorwort. In: Wir tragen ein Licht. München Langen-Müller 1934, S. 10. 209 | Ebd., S. 9. 210 | Ebd., S. 13.
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und der Verweis auf die Unvermeidlichkeit des ›Weltendes‹ bei Fritsch belegen jedoch, dass unter dem Vorzeichen der glücklichen oder unglücklichen Lösung der nationalen Konflikte keine regionale Einheitlichkeit vorliegt. Zwischen zwei Sprachen finden auch der deutsche und der tschechische Bauer an der Sprachgrenze in Böhmen eine gemeinsame Kommunikationsebene. Quantitativ sind die mährischen Autoren in der Minderheit, was auf eine geringere Aktualität des Themas deutet.211 Allerdings fällt hier die geringe Aufarbeitung der deutschmährischen und deutschschlesischen Literatur besonders ins Gewicht. Einige bibliographierte Titel (z.B. der Roman Das Sudetenschloß von Hermann Heß, der 1914 erschienen sein soll) konnten nicht eingesehen werden, obwohl sie auf Grund ihres Titels dem Genre zugehören könnten. Der Materialbestand der Grenzlandliteratur in der Frühen Moderne ist letztendlich zu gering, um die These Veselýs vorbehaltlos zu bewahrheiten. Wenn überhaupt, wird sie nur für diesen zeitlichen Abschnitt Gültigkeit beanspruchen können, da die mährischen Grenzlandromane der Zwischenkriegszeit keine signifikanten Unterschiede zu ihren böhmischen Gegenstücken aufweisen
211 | Die quantitative Verteilung gilt, trotz der einschlägigen Publikationen von Hohlbaum, Ott und Rothacker, auch für die spätere Phase.
Die soziale Frage D IE L EGENDE VOM A USBLEIBEN DES N ATUR ALISMUS Im Vergleich zur ästhetischen Moderne gilt der Naturalismus als eine kompakte Epoche der Literaturgeschichte, die trotz aller ihrer »inneren Gegensätze eigentlich ohne ungelöste Fragen« nicht nur hinsichtlich Datierbarkeit und Verlauf auskommt.1 Nicht zuletzt im Gefolge Viettas ist dagegen die Zahl der allgemeinen, zeitlichen und qualitativen, Bestimmungsversuche der Moderne Legion. Über die allgemeinen Definitionen hinaus, lässt es sich auch kaum eine Spezialuntersuchung entgehen, zumindest in der Einleitung auf die Problematik der Moderne als Makro- oder Mikroepoche hinzuweisen bzw. Moderne und Antimoderne zu kontrastieren oder in einem komplementären Ansatz zu verschmelzen. »Mit dem Band steht nach drei Jahrzehnten endlich wieder eine kompetente Einführung für Studium und Lehre zur Verfügung«,2 ein derartiger Werbespruch wäre hinsichtlich einer literaturgeschichtlichen Verortung der Moderne weder möglich noch nötig. Der Kommentar gilt Wolfgang Bunzels Einführung in den Naturalismus und die avisierten drei Jahrzehnte der Lücke berechnen sich nach den Naturalismusdarstellungen von Cowen, Mahal und Scheuer Mitte der 1970er Jahre.3 Nun ist natürlich die literaturwissenschaftliche Landschaft der Zwischenzeit nicht bar jeder 1 | Ludvík E. Václavek: Einheitlichkeit oder Widerspruch? Naturalismus und Moderne in der deutschsprachigen Literatur um 1900. In: Neohelicon IX (1982) Bd. 1, S. 131. Nun auch in L. Topol’ská/Ludvík Václavek: Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Olomouc Universitätsverlag 2000, S. 57-67. 2 | Aus dem Mitgliedermagazin der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Nr. 1/2008, S. 45. 3 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008; Günther Mahal: Naturalismus. München Fink 1975 (= UTB 363). Roy C. Cowen: Naturalismus. Kommentar zu einer Epoche. München Winkler 1973. In diesem Jahr wurden im Reclam-Verlag auch kommentierte Textbände zur Theorie, Prosa und den Einaktern des Naturalismus vorgelegt. Erst 1988 erschien in derselben Reihe der Interpretationsband Dramen des Naturalismus. Helmut Scheuer (Hg.): Naturalismus. Bürgerliche Dichtung und soziales Engagement. Stuttgart Kohlhammer 1974.
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naturalistischen Forschung. Die geringe Quantität umfassender Arbeiten ist aber, im Vergleich zu zeitlich ähnlich beschränkten Epochen wie dem Expressionismus, doch symptomatisch. Innerhalb der österreichischen Literatur ist das Gefälle zwischen Moderne und Naturalismus noch stärker. In dem breit angelegten Sammelwerk zur österreichischen Literatur, das von Herbert Zeman herausgegeben wurde, fehlt ein eigenständiger Beitrag zum Naturalismus oder einem seiner Vertreter.4 Selbst der Beitrag zur Wechselbeziehung zwischen österreichischer und skandinavischer Literatur konzentriert sich auf Jens Peter Jacobsen und die persönlichen Beziehungen zwischen Georg Brandes und Arthur Schnitzler.5 Einzig Zeman selbst berücksichtigt in seiner einleitenden Studie auch die Versuche österreichischer, besonders mährischer Autoren, den »norddeutschen Naturalismus« für österreichische Verhältnisse nutzbar zu machen.6 Für die überwiegende Mehrheit gehört der Naturalismus scheinbar nicht zum Profil der österreichischen Literatur. Diesen Befund bestätigt die deutsche Naturalismusforschung. In Mahals »maßgeblichem Grundsatzwerk« kommen österreichische Autoren nur als Belegstelle (Schnitzler), als kommentierendes Zitat (Broch) oder als negative Folie (Hamerling) in den Blick, von der sich der Naturalismus abheben will.7 Eine Sonderstellung wird Anzengruber zugesprochen, dessen Dramen die ersten Erfolge der naturalistischen Berliner Bühnen ermöglichten. Die Kriterien Mahals erfüllt er jedoch nur in einem Punkt, der dramatisierten Darstellung der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Unterschicht. Darüber hinaus verfehlen er und seine »österreichischen Bauernnovellen«,8 wie auch Fontane, Tolstoi und Dostojewski, eine »Rubrizierung als Naturalisten«.9 Etwas besser ergeht es den österreichischen Autorinnen im Umfeld des Naturalismus. In einem Exkurs zur Frauenfrage erwähnt Mahal die Ebner, Elsa Bernstein, Franziska von Kapff-Essenther und Irma von Troll-Borostyani als Schriftstellerinnen, deren Karrieren durch den Naturalismus maßgeblich initiiert wurden.10 4 | Herbert Zeman (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart (1880-1980). Graz Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1989. 5 | Klaus Bohnen: Skandinavische »Moderne« und österreichische Literatur. Zu einem ›Literaturgespräch‹ an der Jahrhundertwende. In: Ebd., S. 317-341. Die Ibsen-Verehrung in Wien wird eingangs angesprochen. 6 | Herbert Zeman: Die österreichische Literatur der Jahrhundertwende – eine literarhistorische Skizze. In: Ebd., S. 42. 7 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 132. 8 | Mahal: Naturalismus, S. 28. 9 | Ebd., S. 88. 10 | Ebd., S. 134f. Anscheinend wird hier auf Marie von Ebner-Eschenbachs Dramen Ohne Liebe und Am Ende Bezug genommen, die 1890 respektive 1897 an der Freien Bühne inszeniert wurden.
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Angaben zu ihrer Herkunft fehlen jedoch, wodurch auch nicht auffällt, dass alle angeführten Schriftstellerinnen mit Ausnahme von Clara Viebig und Helene Böhlau aus den habsburgischen Ländern stammen. Bunzel fügt einige weitere Autorinnen hinzu, deren Werk durch das gewachsene Interesse an Frauenliteratur in den letzten Jahrzehnten mehr Aufmerksamkeit erregte, übernimmt aber sonst das Schema Mahals.11 Der österreichische Naturalismus ist bei Bunzel vollständig ausgeblendet, die Autoren des Übergangs vom Realismus zum Naturalismus – Anzengruber, David, Ebner-Eschenbach, Saar – fehlen, die Rolle Bahrs wird heruntergespielt. Eine derartige Verteilung ist kein Einzelfall, sondern die Regel, die sich bei einem Blick in die gängigen Literaturgeschichten bestätigt.12 Damit übernehmen Bunzel und andere die Selbstdarstellung Bahrs als Überwinder des Naturalismus und Begründer der Moderne in Österreich. Bahrs Rolle als Initiator des Jungen Wien wurde zuletzt von Peter Sprengel und Gregor Streim kritisch hinterfragt und hinsichtlich ihrer genealogischen Gültigkeit zurückgewiesen. Sie erkennen jedoch an, dass Bahr »durch seine publizistische und organisatorische Tätigkeit wie kein anderer dazu beigetragen« hat,13 die jungen österreichischen Modernen als eigenständige Gruppe über die Grenzen Wiens hinaus bekannt zu machen. In der Folgezeit oktroyierte, besser unterstellte, er dem losen Zusammenschluss von Schriftstellern ein Programm, das oft genug nicht im Einklang mit den literarischen Erzeugnissen der Verfasser stand. Bahrs Ziel mit der Stilisierung einer Wiener Kultur ein Gegengewicht gegen die weitestgehend noch vom Naturalismus geprägte Berliner Moderne zu schaffen, scheiterte nach wenigen Jahren, da es die vielfältigen literarischen Entwicklungen, die eben nicht nur in Wien, sondern auch in den habsburgischen Provinzen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts voranschritten, nicht genügend berücksichtigte und dadurch einschränkte: Bahr assoziert mit diesem Begriff eine mit der österreichischen Tradition versöhnte Kunst, eine historisch begründete Wiener Identität, eine Einheitlichkeit der künstlerischen Bestrebungen, das Zusammenwirken aller Künste und den Anspruch auf eine über den künstlerischen Bereich hinausgehende Wirkung. Der Begriff ›Wiener Kultur‹ steht so für das Pro-
11 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 81f. Der österreichischen Literatur sind aus dieser Liste Elsa Bernstein, Ada Christen, Maria Janitschek, Franziska von Kapff-Essenther, Emilie Mataja und Alberta von Maytner zuzuzählen. 12 | Dies ist in den zeitgenössischen Literaturgeschichten noch anders (Nagl/Zeidler/ Castle 1926). In Mühlbergers erster Literaturgeschichte wird der Naturalismus in Böhmen und Mähren sogar zum Strukturprinzip (Mühlberger 1929). 13 | Peter Sprengel/Gregor Streim: Berliner und Wiener Moderne. Wien Böhlau 1998, S. 86.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE gramm einer ästhetisch-gesellschaftlichen Integration in einem eingegrenzten regionalem Raum.14
Diese ›Rezentralisierung‹ Wiens als Hort österreichischer Kultur stieß nicht nur in den österreichischen Provinzen, die sich gerade von der Hauptstadt abzunabeln versuchten, sondern vor allem auch bei vielen Deutschnationalen auf wenig Gegenliebe, die seit der Reichsgründung der in ihren Augen verschenkten, großdeutschen Lösung nachtrauerten. Während sich der Spuk um die Sonderstellung der Wiener Literatur, auch durch die Invektiven eines Karl Kraus, um die Jahrhundertwende bald legte, zahlt die aktuelle Naturalismusforschung der Literatur österreichischer Provenienz sozusagen mit Bahrer Münze heim, was diese einst angezettelt hatte. Die Inszenierung der Wiener Moderne in Berlin, bei der »Bahr direkt und indirekt eine herausragende Rolle spielte«,15 prägte nachhaltig das Verständnis vom ausschließlich deutschen Naturalismus. Einmal ohne Zutun Bahrs erfolgte die spezielle Orientierung der deutschen Naturalismusforschung auf Berlin, das sich jedoch erst in den 1890er Jahren gegenüber München, dem zweiten Konzentrationspunkt des Naturalismus, durchsetzte. Während die Berliner Gruppe u.a. stärker an einer internationalen Anbindung der neuen Literaturströmung interessiert war, verteidigten die Münchner den Naturalismus als Erneuerung der deutschen ›National-Literatur‹. Weniger den Vorbildern aus dem europäischen Ausland sollte nachgeeifert werden, sondern die neue Literatur sollte aus den deutschen Regionen emporwachsen. Im ersten Heft der Gesellschaft betonte Michael Georg Conrad »die Brückenfunktion Münchens zu den deutschsprachigen Kulturräumen in der Mitte und im Südosten Zentraleuropas«.16 Wegen dieses regionalen, und wohl auch wegen des nationalen Bezugs wurde die Zeitschrift zur Anlaufstelle für Autoren aus der Habsburger Monarchie, die die Ziele und Forderungen des Naturalismus unterstützten, in Österreich selbst aber kein geeignetes Publikationsorgan vorfanden. Die regionale Ausrichtung zog aber auch Autoren an, die keineswegs alle politischen und ästhetischen Forderungen des Naturalismus gutheißen konnten. Die Beiträge von Ottokar Stauf von der March und anderer böhmisch-mährischer Autoren in der Gesellschaft beweisen, dass auch die österreichische Heimatkunstbewegung als »ganz legitime Folgeerscheinung des Naturalismus« zu werten ist.17 Wesentlich stärker als der konsequente Naturalismus in Berlin bewahrte der Münchner Kreis um die Gesellschaft die Heterogenität, mit welcher die gesamte Richtung in der Anthologie Moderne Dichter-Charaktere einst angetreten war. Vereinzelt ist diese Wechselwirkung zwischen alter und neuer Literatur auch bei Vertretern des ›norddeutschen‹ 14 | Ebd., S. 107. 15 | Ebd., S. 95. 16 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus, S. 47. 17 | Werner Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom Jungen Deutschland bis zum Naturalismus. Stuttgart Reclam 1975, S. 827.
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Naturalismus zu beobachten. Am prominentesten und erstaunlichsten wohl bei Arno Holz, der 1884 eine Anthologie zu Ehren des soeben verstorbenen Emanuel Geibel herausgab18 und bis ins Buch der Zeit hinein in manchen Gedichten an einem Stil festhält, der sich »lückenlos in die Goldschnittliteratur der Zeit einfügt«.19 Diese Heterogenität bestimmt auch das Bild der zeitgenössischen Literaturgeschichten, sofern sie überhaupt den Naturalismus als eigenständige Epoche zulassen. Einig sind sich die Literaturgeschichten der Moderne nur in der herausragenden Stellung von Gerhart Hauptmann, Arno Holz und Hermann Sudermann. Hinter diesem Dreigestirn wird je nach literarischen Vorlieben, aber auch nach religiösen und politischen Voreinstellungen eine Anzahl anderer Autoren dem Naturalismus zugerechnet.20 Für den katholischen Konservativen Otto von Leixner steht der Naturalismus vollständig unter dem Einfluss »fremder Vorbilder«, von denen die »Einwirkung der Franzosen« sich besonders nachteilig für die deutsche Literatur auswirkt.21 Die Entwicklung in Frankreich bewirke auch in Deutschland eine Hinwendung der Autoren zu sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Ideen, und damit zu einer Entfremdung der Naturalisten von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Schreiben von Literatur. Obwohl Leixner den Naturalismus in Deutschland als notwendige Übergangsphase für junge Schriftsteller akzeptiert, wirbt er für Autoren, die den ausländischen Vorbildern nicht unterlagen u.a. für Ernst von Wolzogen als »Realist in deutschem Sinne«.22 Die nationalen Bekundungen des Münchner Kreises richteten sich vor allem gegen Kritiker wie Leixner, konnten aber das Bild vom auslandsabhängigen Naturalismus unter den Zeitgenossen nicht mehr revidieren. Leixner, einer der einflussreichsten Kritiker seiner Zeit, Herausgeber der Gegenwart und Redakteur der Deutschen Romanzeitung, wurde 1847 auf Schloss Saar in Mähren geboren. Trotz seiner österreichischen Herkunft unterliegt auch seine, zwischen 1880 und 1916 mehrfach aufgelegte Literaturgeschichte einer allgemeinen Tendenz der Literaturgeschichtsschreibung. Die österreichischen Natu18 | Arno Holz (Hg.): Emanuel Geibel. Ein Gedenkbuch. Berlin Parrisius 1884. 19 | Günter Helmes: Auf Geibel komm raus! Der junge Arno Holz zwischen Tradition und Innovation. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Arno Holz (= Text + Kritik Heft 121) München 1994, S. 17. 20 | Sudermann verliert im Laufe der Zeit allgemein an Bedeutung. Die nach wie vor in der studentischen Ausbildung einflussreichen Daten deutscher Dichtung dokumentieren, dass nicht alle Überblickswerke die Verengung im gleichen Maße betreiben. Unter der Rubrik »wichtigste Autoren des Naturalismus« listen Frenzels neben Hauptmann und Holz nicht unstrittig auch Anzengruber, Halbe und Liliencron. Herbert A. und Elisabeth Frenzel: Daten deutscher Dichtung. Band 2. München dtv 1990 25, S. 464. 21 | Otto von Leixner: Geschichte der deutschen Literatur Bd. 2. Leipzig Otto Spamer 1910 8, S. 932. 22 | Ebd., S. 920.
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ralisten können sich im üblichen Prozess der Epochenbeschreibung durch wenige wichtige Autoren nicht behaupten, während sich die Reihen deutscher Naturalisten bedeutend langsamer lichten. Noch 1930 führt Werner Mahrholz 33 Gestalter des Naturalismus an, darunter viele heute in Vergessenheit geratene Namen, beispielsweise Ludwig Finckh, Fritz Stavenhagen oder Heinz Tovote.23 Nur zwei Österreicher, Bahr und Schönherr, zieren diese Liste. Ein Umstand, der allerdings nicht auf eine Unkenntnis der österreichischen Literatur durch Mahrholz zurückzuführen ist. Das beweisen die umsichtigen Kapitel zu anderen Epochen der Moderne. Damit steht fest, dass die Nichtberücksichtigung des österreichischen Naturalismus keiner komprimierenden Sichtweise der neueren Naturalismusforschung unterliegt. Die österreichischen Autoren, die sich dem Naturalismus zumindest zeitweise verschrieben, waren kaum und ohne größere Haltbarkeit in das Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit gerückt. Daran änderte auch die umfangreiche österreichische Literaturgeschichte der Zwischenkriegszeit nichts, obwohl sie nach wie vor für regionale Literaturwissenschaft eine Fundgrube ist.24 Die Auspizien für eine Reanimation stehen denkbar schlecht. Trotzdem soll im Folgenden der These widersprochen werden, dass es in der Habsburger Monarchie keinen relevanten Naturalismus gegeben habe. Überspitzt und in Anlehnung an Langmann gesagt: es gibt nur einen österreichischen Naturalismus und dieser ist mährisch.25 Da sich aus besagten Gründen die rezenten Literaturgeschichten zur Erstellung eines Korpus als wenig hilfreich erwiesen, wurde nebst dem Quellenmaterial, das die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur zusammengetragen hat, auf Überblicksdarstellungen zurückgegriffen, die ihren Fokus auf die österreichische Literatur legen und damit auch eine böhmisch-mährische Perspektive besitzen. Zu Rate gezogen wurden die Werke von Ottokar Stauf von der March (1913), Alfred Maderno (1920), Rudolf Wolkan (1925), Oswald Floeck (1926), Josef Mühlberger (1929) und Wilhelm Szegeda (1934). Nadler beharrt bei seinem stammesgeschichtlichen Projekt auf einer Vorherrschaft Preußens und Schlesiens bei der Ausbildung des Naturalismus und berücksichtigt die österreichische Literatur an dieser Stelle nicht, da sie seine theoretische Position zerstören würde. Erstaunlicherweise fehlt der gesamte Themenkomplex Naturalismus in Mühlbergers Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen von 1981. Eine Tatsache, die nur sehr unzureichend mit Mühlbergers Konzentration auf die Jahre nach der Jahrhundertwende begründet werden kann, erlaubt er sich doch auch sonst bei wichtigen Werken oder Autoren (z.B. bei Fritz Mauthners Der letzte Deutsche von Blatna) Rückgriffe ins 19. 23 | Vgl. Werner Mahrholz: Deutsche Literatur der Gegenwart. Probleme – Ergebnisse – Gestalten. Berlin Sieben-Stäbe-Verlag 1931. 24 | Castle, Eduard/Nagl, Johann Willibald (Hg.): Deutsch-österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Dichtung in Österreich-Ungarn. Bd. 3: 1848-1890; Bd. 4: 1890-1918. Wien 1935-1937. 25 | »Es giebt nur eine Kunst und diese ist realistisch.« Philipp Langmann: Realistische Erzählungen. Leipzig Friese 1895, Vorwort S. IV.
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Jahrhundert. Lediglich Philipp Langmanns Drama Bartel Turaser wird beiläufig im kurzen Kapitel »Arbeiterdichtung« erwähnt.26 Dabei handelt es sich nicht um Unkenntnis, sondern um eine bewusste Entscheidung. In der ersten Fassung der Literaturgeschichte, die 1929 erschien, findet sich ein eigenes Kapitel zur naturalistischen Dichtung, das einen nahezu vollständigen Überblick über die Entwicklung dieser Epoche in Böhmen und Mähren bietet.27 Allerdings belegen die von Mühlberger vorgenommenen Wertungen eine Geringschätzung des Naturalismus im Allgemeinen und seiner Repräsentanten in Böhmen und Mähren im Besonderen. Wegen ihres Bekanntheitsgrades (vgl. die anderen Literaturgeschichten) konnte er Ende der 1920er Jahre die Naturalisten nicht übergehen, ohne seinen Anspruch auf einen vollständigen Überblick über die ›sudetendeutsche‹ Dichtung zu gefährden. 1981 bestand bis eben auf Langmann diese Gefahr nicht mehr, wodurch Mühlberger diesen ungeliebten Abschnitt aussparen konnte. Der Ausbildungsgrad und die literaturwissenschaftliche Qualifikation der Verfasser divergieren ebenso wie ihre politische Ausrichtung und ihre Vorstellung vom Naturalismus. Keiner tritt unvoreingenommen an sein Thema heran. Als germanistische Philologen im eigentlichen Sinne sind nur Wolkan, der seit 1908 eine Professur in Wien innehatte, und Floeck anzusehen, der zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Literaturgeschichte Honorardozent an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag war. Er hatte 1905 in Wien mit einer Arbeit über die Elementargeister bei Fouqué und anderen romantischen Dichtern promoviert.28 Szegeda war Bürgerschullehrer und Kommunalpolitiker in Pohrlitz bei Nikolsburg. Verstärkt in den 1920er Jahren war er selbst als Autor von Romanen hervorgetreten. Vor dem Erscheinen der Literaturgeschichte hatte er sich bereits durch die Organisation von zwei Anthologien zur sudetendeutschen und tschechischen Literatur ausgezeichnet. 1924 erschien eine kleinere Arbeit zur südmährischen Regionalliteratur.29 Auch Stauf von der March war Schriftsteller und Übersetzer. Sein Drama Der tolle Stuart (1902) brachte ihm zeitweise einen Ruf als »Erneuerer des
26 | Josef Mühlberger: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen 1900-1939. München Langen Müller 1981, S. 167. 27 | Vgl. Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen. Augsburg Stauda 1929, S. 34-79. 28 | Die Arbeit erschien in den Jahresberichten 1909/1910 des Staatsgymnasiums in Bielitz. Die Tätigkeit an der technischen Hochschule und nicht am deutschen Teil der Prager Universität verhinderte seine Erfassung in der Forschung zur Entwicklung der Prager Germanistik, die in den letzten Jahren verstärkt vorangetrieben wurde. Vgl. Milan Tvrdík/ Lenka Vodrázková: Die Germanistik in den Böhmischen Ländern im Kontext der europäischen Wissenschaftsgeschichte (1800-1945). Wuppertal Arco 2006 und Lenka Vodrázková-Pokorná: Die Prager Germanistik nach 1882. Frankfurt a.M. Lang 2006. 29 | Vgl. auch Andrea Hohmeyer: Wilhelm Szegeda. In: I. Fiala-Fürst/J. Krappmann (Hg.): Lexikon deutschmährischer Autoren (LDA). Olomouc Universitätsverlag 2002.
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historischen Lustspieles« ein,30 den er jedoch nicht bestätigen konnte. Seit 1892 war er als Publizist für mehrere Blätter tätig und wurde als unerbittlicher Kritiker der Decadénce bekannt. In den Jahren 1901-1905 gab er die Zeitschrift Neue Bahnen heraus, die sich an Michael Georg Conrads Gesellschaft orientierte. Conrad zählte neben Bleibtreu und Liliencron auch zu den prominentesten Beiträgern in Neue Bahnen.31 1913 war Stauf Herausgeber der nationalkonservativen Satirezeitschrift Scherer. Alfred Maderno (eigentlich Schmidt) schließlich hält in seiner Einleitung »zehn Jahre Buchkritik mit Berücksichtigung der deutschösterreichischen Dichtung« für eine ausreichende Grundlage zur Beschäftigung mit diesem »Kapitel der deutschen Literaturgeschichte«.32 Laut Kurt Krolop, der Maderno wegen seiner ignoranten Haltung gegenüber der Prager deutschen Literatur ohne philologische Manschetten als »blindes Huhn« bezeichnete, ein Trugschluss.33 Alle fünf Literaturgeschichten sind nach der Wende und Teilung der Germanistik als Disziplin verfasst, die nach Jürgen Fohrmann »das ursprüngliche Projekt der Literaturgeschichte zum Scheitern« brachte.34 Die bisher vorherrschende philologische Literaturgeschichtsschreibung wurde am Ende des 19. Jahrhunderts um die Komponente Literaturwissenschaft erweitert, die eine andere Zielsetzung verfolgte: In der Tat beinhaltet der neue Begriff der Literaturwissenschaft ein ganzes Programm. Es lagert dem Gegenstandsbereich nun bewußt ein Forschungsinteresse vor und läßt sich in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit davon leiten. Vergleichende Literaturgeschichte, Psychologie des Dichters, Seelen- und Stammesgeschichte: Alle diese Varianten haben einerseits gemeinsam, daß sie nicht mehr naiv auf die autonome Ausdruckskraft der Quellen setzen, sondern sie erst über theoretische Bemühungen zum Sprechen bringen wollen, und daß sie andererseits in diesen Quellen nicht vorherrschend mehr die nationale Stimme zu hören glauben. 35
Nadlers Weiterentwicklung des Ansatzes von August Sauer fällt, das Zitat deutet es an, unter diese Programmatik der Literaturwissenschaft und wird damit für die Erstellung eines Korpus naturalistischer Dichtung aus den böhmischen Ländern un30 | Erich Ruprecht/Dieter Bänsch (Hg.): Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890-1910. Stuttgart Metzler 1970, S. 306. 31 | Vgl. Ludvík Václavek: Ottokar Stauf von der March. In: LDA. 32 | Alfred Maderno: Die deutschösterreichische Dichtung der Gegenwart. Leipzig Gerstenberg 1920, S. 1. 33 | Kurt Krolop: Ein Prager Frondeur in Berlin: Max Steiner. In: M. Pazi/H.D. Zimmermann (Hg.): Berlin und der Prager Kreis. Würzburg Königshausen & Neumann 1991, S. 81. 34 | Jürgen Fohrmann: Das Projekt der deutschen Literaturgeschichte. Stuttgart Metzler 1989, S. 235. 35 | Ebd.
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brauchbar, da er gerade diese relative Gleichzeitigkeit von literarischen Strömungen in unterschiedlichen Landschaften, dem »Systemzwang zuliebe« opfert.36 Nur scheinbar unter den Bedingungen der neuformulierten Literaturwissenschaft setzt ein zweiter Strang der deutschen und österreichischen Literaturgeschichtsschreibung in der alten nationalen Tradition fort. Dem nationalen Sinnkonstrukt werden nun ebenfalls programmatisch Konstituenten wie Rasse und Volk vorgeschaltet, die zuvorderst den Aufbau des Nationalen begründen helfen. Für Fohrmann ist Adolf Bartels der Prototyp dieser, jede philologische Redlichkeit außer Kraft setzende Darstellung der deutschen Literatur. Madernos Versuch, eine deutschösterreichische Identität in der Literatur aufzuspüren und sie als ästhetischen Wert seinen Urteilen zugrunde zu legen, ist eine etwas dünne Risposta der Leitstimme Bartels. Alle anderen verwendeten Literaturgeschichten folgen noch dem alten Muster einer philologischen Literaturgeschichte nationaler Prägung wie sie im 19. Jahrhundert üblich waren. Ihre Ordnungskriterien sind Herkunft, Gattungszugehörigkeit und Chronologie ohne diese als leitende Erkenntnisprinzipien den Darstellungen voranzustellen. Das gilt trotz aller Einseitigkeit und antisemitischen Ausfälle auch für Stauf von der March, dessen literaturgeschichtliche Konzentration auf deutschösterreichische Autoren keine umfassende Gültigkeit für die deutsche Literatur insgesamt beansprucht, sondern sich als Ergänzung zu den bestehenden Arbeiten der »Obenleichthindrüberhuscher« versteht.37 Seine Entrüstung darüber, »daß fast kein einziger Literaturhistoriker norddeutscher Abstammung der deutschösterreichischen […] Literatur vollkommen gerecht geworden ist«, entzündet sich an Moeller van den Bruck und Adolf Bartels.38 Der Kenntnisstand der meisten Autoren zur Literatur aus Böhmen und Mähren wird unterstützt durch ihre Herkunft. Wolkan wuchs in Böhmen auf, Stauf und Szegeda in Mähren. Oswald Floeck war bereits seit 1912 als Gymnasiallehrer in Prag tätig.39 Nur Maderno besitzt damit keine eigenen Erfahrungen mit den böhmischen Ländern. Damit dürfte ausreichend begründet sein, aus welchen Quellen sich das Textkorpus zum Naturalismus vordringlich in Mähren zusammensetzt und wie diese
36 | Josef Körner: Metahistorik des deutschen Schrifttums. In: Deutsche Rundschau Nr. 180 (1919), S. 466-468. Hier zitiert nach Fohrmann ebd., S. 234. 37 | Ottokar Stauf von der March: Wir Deutschösterreicher. Notwendige Ergänzungen zur deutschen Literaturgeschichte der Gegenwart. Wien Heinrich Feige 1913, S. 2. 38 | Ebd., S. 3. Stauf paraphrasiert hier eine Passage aus dem Aufsatz Berliner Blau des Olmützer Schriftstellers Karl Maria Klob, Neue Bahnen Jg. 2 (1902), S. 354-356. Ebenfalls in Karl Maria Klob: Literatur und Theater. Ulm Kerler 1909, S. 173-179. 39 | Vgl. Andreas Schumann: Bibliographie zur deutschen Literaturgeschichtsschreibung 1827-1945. München Saur 1994, S. 239. Da Floeck als einziger sich nicht auf die österreichische oder böhmisch-mährische Literatur konzentriert, ist er auch der einzige, der bibliographisch von Schumann erfasst wird.
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beschaffen sind. Die Etablierung der jeweiligen Autoren in den Literaturgeschichten zeigt das Verteilungsschema. Autor
Stauf
Maderno Wolkan Mühlber- Floeck Szegeda Mühlberger 1929 ger 1981
Adamus/ Bronner
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Bendiener Langmann
x
x
x
Reß x
x
Saudek
x
x
x
Schick Trübswasser
x
x
Rittner
Schamann
x
x
x x
x
x
x
Den ausgiebigsten Niederschlag finden die naturalistischen Autoren in den Literaturgeschichten von Stauf, Maderno und Floeck, weil deren Perspektive auf die Gegenwart ausgerichtet ist. Wolkan und Szegeda beschreiben hingegen die Literatur in Böhmen und den Sudetenländern vom Mittelalter an, bei Szegeda sind dem Abschnitt zur deutschen Literatur noch Kapitel zur tschechischen und slowakischen Literatur vorangestellt. Der »Gegenwart« wird bei Wolkan gut ein Drittel des Gesamtumfanges gewidmet, Szegeda konzentriert sich zu zwei Dritteln innerhalb des deutschen Teiles auf die Literatur seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Berücksichtigt man, dass Bendiener als jüdischer Autor bei dem völkischen Antisemiten Stauf keine Berücksichtigung finden konnte, sind die anderen drei Literaturgeschichten quantitativ ähnlich, jedoch in ihrer Autorenverteilung unterschiedlich. Entgegen der Erwartung verzeichnet die ›akademische‹ Literaturgeschichte von Floeck ebenso viele Autoren des böhmisch-mährischen Naturalismus wie die sicherlich niveauärmste von Maderno. Nicht alle in der Übersichtstabelle zum Naturalismus in Mähren und Böhmen aufgelisteten Schriftsteller werden im folgenden Kapitel behandelt werden. Dazu kurze Begründungen. Das einzige literarische Werk von Robert Reß ist die Gedichtsammlung Farben (1899), die er unter dem Einfluss von Arno Holz verfasste, mit dem er seit 1892 bekannt war. Die Gedichte sind kaum als eigenständige Leistung zu würdigen, sondern dienen der Sicherung der eigenen Position unter den
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»Gegenkreislern«40 wie Richard Dehmel die Schriftstellergemeinschaft um Arno Holz in Anspielung auf den bedeutenderen George-Kreis verspottete. Bestenfalls werden die Gedichte als »gutwilliges Mißverstehen einer Technik« gewürdigt,41 die auf keiner inneren ästhetischen Überzeugung fußt. Reß wurde in der Folge der wichtigste Verteidiger von Arno Holz gegen die Anfeindungen in der Presse.42 1925 legte er eine monumentale Monographie vor, in der er das Zahlenprinzip, das Holz seinem Phantasus zugrunde legte, zu einer umfassenden Kosmogonie ausbaute. Der Verdacht liegt nahe, dass Reß hauptsächlich wegen seiner Nähe zum konsequenten Naturalisten Holz in die Literaturgeschichten aufgenommen wurde, obwohl er in seinen Verteidigungsschriften gerade diese Einengung des Dichters auf seine frühen naturalistischen Texte verurteilte. Ähnlich biographisch motiviert ist die Nennung des Schauspielers Rudolf Rittner. Er wurde schlagartig berühmt, nachdem er die Hauptrolle in Max Halbes Jugend 1893 verkörperte. Danach befreundete er sich mit Gerhart Hauptmann, dessen Dramen er auf vielen Bühnen zum Erfolg verhalf, und die er späterhin selbst inszenierte. Sein eigenes Drama Narrenglanz (1906), das auf einer »kurfürstlichen Burg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts« spielt,43 steht jedoch kaum mit dem Naturalismus in Verbindung. Zentrum des Stückes ist die Rolle des Schauspielers und seine Möglichkeit auf die Welt einzuwirken. Da die Handlungszeit des Dramas in der frühen Neuzeit angesiedelt ist, fällt es zudem unter das Ausschlusskriterium dieser Arbeit, keine historischen oder historisierenden Texte aufzunehmen. Der Untertitel von Oskar Bendieners dramatischem Erstling Die Strecke, ein Eisenbahn-Drama (1906) suggerierte den Literaturhistorikern ebenfalls eine Nähe zum Naturalismus. Allerdings ist das Aufbegehren der Arbeiter in diesem Stück lediglich die Kulisse für ein Eifersuchtsdrama, in dem Bendiener den psychischen Derivationen zwischen Liebe und Verbrechen nachspürt. Nachdem diese Werke aus den genannten Gründen ausgesondert wurden, besteht das Textkorpus nun aus folgenden Werken, der im eigentlichen Sinne als naturalistisch eingestuften Autoren. Philipp Langmann: Arbeiterleben! 1893; Realistische Erzählungen 1895; Bartel Turaser 1898; Franz Schamann: Liebe 1901; Eugen Schick: Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten (1902); Empfindsames Notierbüchlein (1905); 40 | Zitiert nach Gerhard Schulz: Arno Holz. München Beck 1974, S. 71. 41 | Ebd. 42 | Vgl. Robert Reß: Arno Holz und seine künstlerische weltkulturelle Bedeutung. Dresden Reißner 1913. 43 | Rudolf Rittner: Narrenglanz. Berlin Oesterheld & Co. 1906. Personenverzeichnis, unpaginiert.
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Josef Trübswasser: Der Herr Meister (1900) Franz Adamus: Familie Wawroch (1899) Robert Saudek: Gymnasiastentragödie (1907) Lediglich bei Langmann stimmen alle zeitgenössischen Literaturhistoriker überein. Auslöser dieser seltenen Konformität ist der kurzfristige Erfolg des sozialen Dramas Bartel Turaser. Das Stück ist der einzige der im Folgenden vorgestellten Texte, der sich bis heute am Rande eines erweiterten Literaturkanons halten konnte. Dadurch entsteht der Eindruck Langmann wäre »der einzige naturalistische Dramatiker österreichischer Provenienz« gewesen.44 Obwohl genau dieser Einschätzung widersprochen werden soll, scheint es angebracht den Überblick über den Naturalismus in Böhmen und Mähren mit Langmann zu beginnen.
Philipp Langmann: Bartel Turaser 45 Der Erfolg des ersten Schauspiels von Langmann wurde maßgeblich von dem Aufführungsverbot von Hauptmanns Drama Die Weber in Österreich und den böhmischen Ländern mitbestimmt, das bis 1898 galt. Im gleichen Jahr beklagte noch Jakob Julius David die Rückständigkeit der Wiener Theaterszene und forderte den Aufbau einer Freien Bühne nach deutschem Muster.46 Nach der euphorischen Aufnahme Ibsens blieb dem Wiener Theaterpublikum also der Zugang zu zahlreichen Leistungen des deutschen Naturalismus verwehrt. Umso überschwänglicher reagierte es auf Langmann als Dramatiker österreichischer Provenienz. Die Skandale bei Aufführungen naturalistischer Dramen in Berlin hatten sich freilich bis nach Wien herumgesprochen, und so mag auch die Vorfreude auf eine Sensation bei einem Teil des Premierenpublikums mitgespielt haben. Allerdings nur bei einem geringen Teil, da beide Premieren am 11. Dezember 1897 gleichzeitig auf Bühnen inszeniert wurden, deren Publikum die Behandlung der sozialen Frage nicht fremd war. Für den Erfolg im Volkstheater in Wien macht Renate Riedl neben der gelungenen Besetzung einschränkend geltend, dass das Publikum nach vorausgegangenen Missgriffen der Intendanz die dramatische Wirkung des Stückes wohlwollend aufnahm.47 Eine ähnliche Vorgeschichte ist aber für das Lessingtheater 44 | Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870-1900. München Beck 1998, S. 427. 45 | Philipp Langmann: Bartel Turaser. Leipzig Friese 1898 2. [im folgenden zitiert als BT]. 46 | Jakob Julius David: Die Wiener Saison. In: Bühne und Welt Jg. 1 Nr. 4 (November 1898), S. 192. 47 | Renate Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk. Diss. Wien 1947 [masch.], S. 107. Diese, von Castle und Kralik begutachtete Dissertation ist nach wie vor die einzige Monographie zu Langmann. Sie besteht zu weiten Teilen aus ausführlichen Inhaltsangaben und Wertungen, die der damaligen Universitätsgermanistik geschuldet sind. Ihre Stärken liegen in den biographischen und theatergeschichtlichen Daten, sowie im Hinweis
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in Berlin nicht bekannt und kann wohl auch nicht bei den anderen Stationen des Stückes ohne weiteres vorausgesetzt werden. In der spärlichen Forschungsliteratur zu Langmann besteht Konsens darüber, dass sein weiterer Lebens- und Schaffensweg ein neuerliches »tragisches Beispiel für rasch verblassenden Ruhm« ist.48 Eines der tragischsten unter den vielen tragischen, denn die Fallhöhe war höher, Auf- und Abstieg rasanter und die Tilgung gründlicher als bei anderen Dichtern, die nur durch ein Werk die Literaturgeschichte bereicherten. Die rasche Übersetzung des Werkes in andere Sprachen, darunter Mark Twain ins Englische,49 verschafften Langmann internationale Anerkennung. Die tschechische Übersetzung durch Karel Želenský50 führte zu fast gleichzeitigen Aufführungen des Stückes im Švanda-Theater und im Neuen deutschen Theater in Prag. Auch hier reüssierte es und wurde von Teilen der tschechischen Publizistik »als ein Drama aus dem Leben tschechischer Arbeiter aufgefaßt«.51 Deswegen konnte es sich in den böhmischen Ländern länger behaupten, während in Berlin eine für die Saison 1899/1900 anberaumte Wiederinszenierung kaum mehr Resonanz beim Publikum fand.52 Dass Publikum und Kritik in der Beurteilung des Stückes nicht immer einer Meinung waren, zeigte sich ebenso bald. Bei der Verleihung des Grillparzer-Preises 1899 wurde Langmann übergangen.53 Den Zuschlag erhielt erneut Hauptmann für Fuhrmann Hentschel, obwohl dieser bereits drei Jahre zuvor mit diesem Preis ausgezeichnet worden war. Nicht nur Erich Schmidt, sondern auch die österreichischen Mitglieder der Kommission stimmten gegen Bartel Turaser, so gerne man »durch eine solche Auszeichnung ein junge[s] aufstrebende[s] österr. Talent
auf den reichhaltigen Nachlaß. Leider ist die Arbeit nicht mit Quellenverweisen versehen. Die beiden Aufsätze von Jiř í Veselý vervollständigen das Bild Langmanns durch Rezensionen zu Bartel Turaser aus der deutschen und tschechischen Presse, durch einen kurzen Briefwechsel zwischen Langmann und Emil Soffé und durch eine Tagebuchnotiz Marie von Ebner-Eschenbachs. Gerade der eigens Langmann gewidmete Aufsatz von 1984 ist eine, häufig nur durch stilistische Nuancen notdürftig kaschierte Paraphrase der ungedruckten Dissertation von Riedl. 48 | Hans Heinz Hahnl: Hofräte – Revoluzzer – Hungerleider. Vierzig verschollene österreichische Literaten. Wien Edition Atelier 1990, S. 133. 49 | Vgl. R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 107. 50 | Filip Langmann: Bartoš Tu ř anský. Drama o t ř ech jednáních. Praha Šimá č ek 1899. 51 | Právo lidu Jg. 7, Nr. 219 (9.8. 1898), S. 8. Zitiert nach und übersetzt von: Ji ř í Veselý: »Es gibt nur eine Kunst, und diese ist realistisch!« In: Acta Universitatis Carolinae. Germanistica Pragensia IX (1984), S. 105. 52 | Vgl. R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 107. 53 | Für Riedl lebt Langmann um 1900 fälschlicherweise von den Dotationen des Grillparzerpreises. R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 6.
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gefördert haben möchte«.54 Als Talent wurde er besonders von Otto Julius Bierbaum gefördert, der schon die prosaischen Anfänge in den ersten Nummern der Zeitschrift Moderne Dichtung verfolgen konnte, bei der beide Mitarbeiter waren. Sein Lob erstreckt sich auf die drei Bände Erzählungen, Novellen und Studien, die vor dem eigentlichen Durchbruch entstanden: Aber es bleibt bestehen: er ist wirklich ein Dichter. Ich weiß außer ihm keinen, der es in deutscher Sprache so verstünde, Proletarierleben dichterisch zu gestalten und doch Innen- und Außenperspektiven zu geben. Viele, so auch Hauptmann wirken in der Hauptsache doch durch den Stoff und ihre Erfolge werden mehr durch den Zeitzug sozialen Mitleids als durch innerlich dichterische Qualitäten getragen. Bei Langmann geht die Wirkung vom Dichter selber aus, von dieser Art eindringlicher Erfassung des Lebens, die Versöhnlichkeit verrät, ohne den Tatsachen zwang anzutun. 55
Schon vor Bartel Turaser, der seinem Autor wahlweise die Ehrung als österreichischer oder mährischer Hauptmann eintrug, zog Bierbaum also einen Vergleich mit dem bedeutendsten deutschen Naturalisten, der für Langmann nicht schmeichelhafter hätte ausfallen können. Noch im Jubeljahr 1898 kündigte er seine Stelle bei der Arbeiterunfallversicherung, um für die schriftstellerische Karriere frei zu sein. Langmann schoss schnell, aus heutiger Sicht zu schnell, weitere Stücke nach. Im Abstand von nur wenigen Jahren erschienen das Volksstück Die vier Gewinner (1898) und die Tragödien Unser Tedaldo (1899) und Gertrud Antleß (1900), sowie zwei Dramen (Korporal Stöhr 1901, Die Herzmarke 1902), mit denen er wiederum versuchte, das Arbeitermilieu Mährens als Erfolgskatalysator zu nutzen. Bereits 1907 stellte Langmann die Versuche ein, seine Dramen am Deutschen Theater in Berlin unterzubringen. Die, allen erfolglosen Schriftstellern bekannte Phrase Otto Brahms, »zu unserem lebhaften Bedauern«, führt Langmann in einer Randbemerkung des Absagebriefes bissig zu Ende: »sind wir urteilslos genug uns Durchfall auf Durchfall zu holen, hartnäckig, launenhaft & ohne Gefühl für Kunst – Ihr Otto Brahm«.56 So lebhaft konnte das Bedauern Brahms auch gar nicht sein, denn es war binnen sechs Jahren die sechste Absage, die er Langmann erteilte. 1911 erschien die letzte selbstständige Publikation Langmanns. Danach hielt er sich nur noch durch zeitweilige Beiträge in Zeitschriften und Kalendern über Wasser. Der Großteil seines Nachkriegsschaffens harrt einer Entdeckung in der Wiener Stadt-
54 | Protokoll der Jury-Sitzung vom 3.1. 1899 (Dr. Wilhelm Ritter von Harthel). In: Peter Sprengel/Gregor Streim: Berliner und Wiener Moderne. Wien Böhlau 1998, S. 656. 55 | Otto Julius Bierbaum in: Die Zeit Nr. 1002 (17. September 1896). Zitiert nach R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 105. 56 | Brief Otto Brahms vom 1.5. 1907 an Langmann. In: Ebd., S. 669.
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und Landesbibliothek.57 1931 starb der einstige »Messias der Proletarierdichtung«58 völlig verarmt in Wien. Der naheliegenden Versuchung, Langmann und den österreichischen Naturalismus als eine Art akzidentielle Schicksalsgemeinschaft zu beschreiben, muss zugunsten des Dramentextes widerstanden werden. Eine vergleichende Analyse zwischen den Webern und Bartel Turaser liegt bisher nicht vor. Die Apostrophierung Langmanns als österreichischer Hauptmann drängte sich den Zeitgenossen hauptsächlich wegen der vorgeblichen thematischen Kongruenz auf. Dabei sind die motivischen und strukturellen Übereinstimmungen zwischen beiden Dramen so groß, dass man Bartel Turaser als Antwort Langmanns auf seinen erfolgreichen Vorgänger lesen kann. Die erste Szene öffnet den Blick in das Wohnhaus des Färbereiarbeiters Bartholomäus Turaser. Ein Raum der Armut, mehr notdürftig hergerichtete Scheune als Haus und trotzdem »das letzte Erbstück, der in früheren Geschlechtern wohlhabenden Bauernfamilie«. (Langmann, Bartel Turaser, S. 6; im weiteren Verlauf als BT; Regiebemerkung vor dem ersten Akt) Turaser versorgt sein Neugeborenes und bereitet mit den kärglichen Mitteln, die ihm nach zweiwöchigem Leben aus der Streikkasse geblieben sind, einen Brei für seinen bettlägerigen Sohn. Während des gesamten ersten Aktes, der fast die Hälfte des Stückes umfasst, blicken die Zuschauer dem kranken Kind direkt ins Gesicht, denn sein Lager soll nach der Regieanweisung »rechts vorn […] mit dem Fußende zum Auditorium« platziert sein. Das gebrechliche Kind rückt damit wortwörtlich in den Vordergrund, wenn auch nicht ins unmittelbare Zentrum des Geschehens. Auslöser des Streiks, der Lohnerhöhung und bessere Arbeitsbedingungen zum Ziel hat, ist ein Übergriff des verhassten Färbermeisters Kleppl, der dem Ansuchen Marie Zelbers um eine Stelle für ihre Schwester nicht eher zustimmen will, »ehe sie mir [nicht] zu Willen ist« (BT, S. 19). Die sexuelle Nötigung, die Turaser vor Gericht bezeugen kann und will, gibt den Arbeitern das lange gesuchte Druckmittel gegen den übermächtigen Meister in die Hand. Kleppls Amtsmissbrauch begründet den allgemeinen Ausstand gegenüber der Fabrikleitung. Der erste Akt spielt am Vortag dieses Prozesses und Kleppl unternimmt einen letzten Versuch, Turaser zum Widerruf zu bewegen. Er bietet ihm, mehrfach den Gesundheitszustand der Kinder bedauernd, über einen halben Jahreslohn, wenn er vor Gericht keinen 57 | Teile des Nachlasses werden in der Diplomarbeit von Pavla Pavišová Das novellistische Spätwerk Philipp Langmanns (Olomouc Typoskript 2002) aufgearbeitet. Anhand der fünf aus der Handschrift übertragenen Erzählungen wird deutlich, dass Langmann sich in der Zwischenkriegszeit auf eine präzise Beschreibung des kleinbürgerlichen Milieus, vor allem in Wien, konzentrierte. Im Gegensatz zu den frühen Erzählungen aus dem Leben der Arbeiter treten hier verstärkt kritisch-satirische Einsprengsel in den Vordergrund. Die vollständige Aufarbeitung dieses – hinsichtlich der Menge an belletristischen Texten – monströsen Nachlasses würde eine große Lücke in der Forschung zur deutschmährischen Literatur und darüber hinaus schließen. 58 | R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 22.
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Eid auf seine Aussage leistet. Der Konflikt Turasers, sich zwischen der Versorgung seiner Familie und dem eigenen Gerechtigkeitsgefühl entscheiden zu müssen, bestimmt ab sofort die Handlung. Turasers Redlichkeit gerät dadurch unter Druck. Die Solidarität mit den Arbeitskollegen steht scheinbar nicht auf dem Spiel, da Kleppls Angebot eine sofortige Arbeitsaufnahme aller Arbeiter ohne nachfolgende Restriktionen enthält. Der Arbeitskampf steht sowieso auf der Kippe, da sich die Arbeiter mit den dürftigen Zuschüssen aus der Streikkasse nicht länger erhalten können. Auch die betroffenen Schwestern haben inzwischen eine bessere Stelle gefunden und müssen sich der Gewalt des Meisters nicht mehr aussetzen. Turaser sieht sich in der Frage der Entscheidung auf sich selbst zurückgeworfen. Ideelle Gerechtigkeit steht gegen existentielle Not. Den Ausschlag für ein Umdenken Turasers gibt schließlich, wie von Kleppl vorausgesehen, seine ebenso praktische wie egoistische Ehefrau: Ja, ehrlich sein, das ist schön, o ja, gewiß, mir gefällt es auch, aber haben muß man dazu! Was haben und ehrlich sein, das trifft bald einer. Aber so wie du, und sich auf den Werweißwas herausspielen, das geht nicht. (.) Mein lieber Freund, zu solchem Luxus geht es uns nicht gut genug. Bis es dir besser geht, dann kannst deinem Sport nachgehen, bis wir alle zu essen haben, dann kann der Hausvater sagen, ich hab einen Charakter, aber früher nicht! – Nein früher nicht! (BT, S. 50)
Turaser entscheidet sich für seine Familie und beeidet seine Aussage nicht. Juristisch ist er dadurch nicht zu belangen, ein Meineid, wie mehrfach behauptet wurde,59 liegt nicht vor. Turaser zieht lediglich den Wahrheitsgehalt seiner vormals eindeutigen Aussage in Zweifel.60 Der Ausbeuter Kleppl wird freigesprochen – und hält sein Wort nicht! Alle Färber werden entlassen und Marie Zelber wird wegen unehrenhafter Falschaussage verurteilt, wodurch sie ihre neue Stellung verliert. Schließlich erfüllt sich auch Turasers Hoffnung auf ein zufriedenes Familienleben nicht, denn beide Kinder sterben kurz hintereinander. Getötet durch das Überangebot an Speisen, die Turaser zur Beruhigung seines Gewissens auffahren lässt, und an die ihre ausgezehrten Körper nicht mehr gewöhnt sind. Der doppelte Schicksalsschlag entzieht seiner vormals getroffenen Entscheidung die Grundlage. Zudem wird er von den Arbeitskollegen angefeindet, in deren Augen er nichts mehr ist als ein unsolidarischer Streikbrecher. Mit der weitgehenden Isolierung Turasers geht der Verlust seines guten Rufes und vor allem seines guten Gewissens einher, das er zu Beginn des Dramas als 59 | Vgl. die Rezensionen von Hermann Bahr in der Zeit und Paul Wilhelm in der Gesellschaft; zitiert bei H.H. Hahnl: Hofräte – Revoluzzer – Hungerleider, S. 128-131, sowie J. Vesely: »Es gibt nur eine Kunst, und die ist realistisch.« S. 103. 60 | »Ich hab gesagt, ich hab nichts gehört, ich hab es nicht so deutlich gehört, daß ich es beschwören könnt, daß ich es gehört hab«. (BT, S. 98).
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einzigen nicht käuflichen und damit unbestechlichen Wert anerkannte (vgl. BT, S. 15f.). Die Erkenntnis, »alle sind gewichen, gewichen von mir wie vor dem Auswurf« (BT, S. 109), wirft ihn abermals auf sich selbst zurück. Den Tod seiner Kinder und seinen persönlichen Abstieg versteht er als Strafe für sein selbstverschuldetes Tun. Ausflüchte transzendenter Art, die ihm angeboten werden, lehnt er ab.61 Sein Fehler war es, der Versuchung des Geldes durch den »Meister Satan« (BT, S. 22) nicht widerstanden zu haben. Die aufgebrachte Lage beruhigt sich mit der Zeit. Marie versöhnt sich mit Turaser und auch die früheren Freunde bauen ihm goldene Brücken: »Für unsereinen ist die Verführung gar zu mächtig. Es ist schwer, ein ehrlicher Mensch zu bleiben, wenn man nichts zu essen hat.« (BT, S. 122) Doch Turaser ist nicht gewillt, persönliche Not gegen Gerechtigkeitsempfinden auszuspielen. Obwohl die Richtigstellung seiner Aussage nun keine Auswirkungen mehr haben kann, stellt er sich der Gerichtsbarkeit, denn: »Zum Schuft muß man geboren sein. Wir sind aber ehrliche Menschen«. (BT, S. 127) Langmann ist, obgleich derselbe Jahrgang wie Hauptmann, ein Naturalist in zweiter Generation. In Bartel Turaser gelingen ihm bereits Seitenhiebe auf die Elemente, die der beginnende Naturalismus erst in die deutsche Theatergeschichte einführen musste. Die ominöse soziale Frage, die von den Naturalisten um 1880 zum ersten Mal explizit dargestellt wurde62 und den politischen Meinungsstreit des ausgehenden Jahrhunderts beherrschte, wird zum Gegenstand der Ironie durch die Arbeiter selbst. Naßwetter, einer der streikenden Färber karikiert die Verteidigungsposition des Meisters vor Gericht: Hier sehen sie einen Ehrenmann, ein Opfer seines Berufes und seiner Pflichterfüllung. Die soziale Frage wirft ihren Schatten auf Schuldige und Unschuldige. Die soziale Frage – man unterscheide genau – die soziale Frage kennt keine Unterschiede. (BT, S. 26)
Dieser respektlose Umgang mit den eigenen Zielen ist glaubwürdig, da auch die vormaligen Proletarier sich zum ehrbaren Arbeiter gewandelt haben. Dennoch ist Langmanns Drama von 1897 ein naturalistisches. Es entstand zwei Jahre nach der Grenzscheid 1895, für deren Überschreiten Bunzel feststellt: »Jene Werke, die auch 61 | »Aber das ist ein schönes Wort: Bestimmung. Da wird man so ruhig dabei. Wenn die Idee nur nicht gar so keck wär. Ja, gar so keck. So viel dürfen wir uns vor die andren Würmer und Fliegen nicht einbilden, daß es irgendwo schon voraus geschrieben steht – -« (BT, S. 108). 62 | Als Thema verschwand die soziale Frage seit dem Vormärz nicht mehr aus der deutschen Literatur. Besonders im kritischen Realismus wurde sie gerne aufgegriffen und taucht auch in den Erzählungen von Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach auf. Der grundlegende Unterschied besteht in dem Raum, der den Arbeitern für eigene Äußerungen im Text gegeben wurde und in der funktionalen Einbindung. Vgl. dazu auch das Kapitel »Mittendrin oder nur dabei«.
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weiterhin Strukturmerkmale aufwiesen, die dem Naturalismus entsprechen, stammen meist von Epigonen«.63 Ja, Langmanns Drama Bartel Turaser ist epigonal, aber im besten Sinne. Es bedeutete auch für seinen Autor den Abschluss einer Schaffensperiode, die mit den Erzählungen, die später unter dem Titel Arbeiterleben! zusammengefasst wurden, begonnen hatte. Ein Umweg über diese Erzählungen ist notwendig, um die Intentionen, die Langmann im Turaser verfolgte aufzudecken, und dadurch möglicherweise auch Erklärungen für den Erfolg des Dramas und Langmanns späteres Scheitern zu liefern.
Arbeiterleben! 64 Zur Zeit der Abfassung der Erzählungen war Langmann bei der Arbeiter-UnfallVersicherungsgesellschaft in Brünn angestellt. Die beschriebenen Ereignisse entnahm er wohl direkt den Fällen, die ihm täglich auf den Schreibtisch landeten. Durch die Überprüfung der Angaben kam er in Kontakt mit den Arbeitern, so dass sein Schreiben eine Authentizität erlangte, die kaum einer der deutschen Naturalisten erreichte. H.R. Fischer, der einzige Berliner Naturalist, der aus den niedrigsten Schichten des Proletariats stammte, warf seinen bürgerlicheren Kollegen vor, die Verhältnisse der Arbeiter zu schildern, »ohne in Werkstellen Umschau gehalten, ohne in Proletarierwohnungen gelebt und ohne mit den Armen der niedrigsten Stände verkehrt zu haben.«65 Langmanns Erzählungen sind nicht aus der Entfernung geschrieben. Schon vor seiner Zeit bei der Versicherung war er als Chemiker in der Bandwirkfabrik S. Blach & Sohn in Lettowitz angestellt.66 Deswegen erzählt er, wenn auch manchmal andere Textil- und Metallarbeiter in den Blick geraten, immer wieder, so auch im Turaser, Episoden aus dem Alltag der Färber. Die Sorglosigkeit beim Umgang mit Chemikalien in den Betrieben und die daraus resultierenden miserablen Arbeitsbedingungen erzwangen Langmanns beruflichen Seitenwechsel, der zugleich den Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit markiert. Nachdem Langmann einzelne Erzählungen in der Modernen Rundschau und der Gesellschaft publiziert hatte, erschien der Band Arbeiterleben! 1893 im Verlag von 63 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 57. 64 | Philipp Langmann: Arbeiterleben! Leipzig Wilhelm Friedrich 1893. [im weiteren zitiert als AL + Titel der Erzählung]. 65 | H.R. Fischer: Berliner Zigeunerleben. Bilder aus der Welt der Schriftsteller, Künstler und des Proletariats. Berlin S. Fischer 1890, S. 45f. Zitiert nach: Klaus-Michael Bogdal: Schaurige Bilder. Frankfurt a.M. Syndikat 1978, S. 215, Anm. 73. Mit Fischer verbindet Langmann auch die nahezu vollständige Tilgung aus literaturgeschichtlichen Darstellungen des Naturalismus. 66 | Ab Ende 1890 war er kurzfristig Fabrikleiter der Weberei Czajanek in Mistek. Vgl. J. Veselý: »Es gibt nur eine Kunst…«, S. 101f.
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Wilhelm Friedrich in Leipzig. Friedrich galt schon vor seiner Verurteilung im Leipziger Realistenprozess 1890 als wichtigster Förderer naturalistischer Autoren.67 Er zog sich bald darauf wegen »der Streitereien mit den Behörden und des Gezänks der modernen Schriftsteller untereinander«68 aus dem Verlagsgeschäft zurück, so dass die weiteren Werke Langmanns bei Robert Friese erschienen. Die Sammlung hebt sich markant von den üblichen naturalistischen Darstellungen ab, die das Leben des großstädtischen Proletariats in »schaurigen Bildern« wiedergeben.69 Die Missstände in den Fabriken und die soziale Not der Arbeiter werden keinesfalls idealisierend übergangen, aber der Blickwinkel Langmanns ist dabei nicht voyeuristisch. Ihm geht es um einen realistischen Einblick in das Alltagsleben der Industriearbeiter, eine Identifikation des Lesers mit den Dargestellten. Neben der Härte der Arbeit mit ihrer stets gegenwärtigen Brutalität und Grausamkeit gewährt er auch derben Späßen, Liebesabenteuern und der Freizeitgestaltungen einigen Raum, um der Gefahr eines Ermüdungsprozesses »von der Neugierde über den schaudernden Blick bis zur Abwendung« zu entgehen.70 Ein eher tragischer als anklagender Unterton sorgt dafür, dass das sozialkritische Bewusstsein für die Lage der Arbeiter nicht verloren geht, denen selbst in höheren Chargen, Vorarbeiter oder Meister, der Eintritt ins Bürgertum verwehrt bleibt.71 Die sechs Texte der Sammlung entsprechen dem neuen Stilwillen des Naturalismus, die Welt nicht mehr als geschlossenes, organisches Ganzes zu beschreiben, sondern in eigenwilligen, subjektiv herausgegriffenen Szenen und Erlebnissen. Nur in zwei Texten (Ein Unfall, Die Hummel) wird eine Geschichte erzählt, allerdings mit Aussparungen und Sprüngen, die eine aktive Mitarbeit des Lesers erfordern. Von Riedl wurde für diese Prosa der Begriff »Episode« vorgeschlagen.72 In der Forschungsliteratur zum Naturalismus und bei den kritisierenden und produzierenden Zeitgenossen begegnet einem jedoch häufiger ›Studie‹. Beide Begriffe sind jedenfalls dem Terminus ›Skizze‹ vorzuziehen, der einer Schreibweise der Wiener Moderne (Peter Altenberg u.a.) vorbehalten bleiben soll. Im Werk mährischer Autoren der Jahrhundertwende (etwa bei Eugen Schick) finden sich beide Er-
67 | Vgl. G. Mahal: Naturalismus. München Fink 1975, S. 28 u. 35, sowie Ernst Johann: Die deutschen Buchverlage des Naturalismus und der Neuromantik. Weimar Böhlaus Nachf. 1935, S. 23f. 68 | Herbert Lehnert: Vom Jugendstil zum Expressionismus. Geschichte der deutschen Literatur Band V. Stuttgart Reclam 1978, S. 39. 69 | Klaus-Michael Bogdal: Schaurige Bilder. Der Arbeiter im Blick des Bürgers. Frankfurt a.M. Syndikat 1978. 70 | Ebd., S. 60. 71 | Der Werkmeister Stüber, der sich in die Tochter eines Unternehmers verliebt hat, wird mit einem Verweis auf »das ganz und gar Absurde dieses Gedankens« in seinen Brautwerbeversuchen abgekanzelt. (AL, Wie sie untergeht, S. 24). 72 | R. Riedl: Philipp Langmann. Leben und Werk, S. 12.
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zählgattungen nebeneinander. Deswegen ist eine klare Unterscheidung zwischen naturalistischer Studie und Skizze geboten, um Verwechslungen zu vermeiden. Wie meistens setzt auch die Handlung in Ein Unfall unvermittelt ein: »… Schneider, Grüll, Pawlowsky.« »Aber der Bleicher ist doch….?« »Der Jakob ist da – er ist oben.« (Langmann, Arbeiterleben!. Ein Unfall. S. 1. Im weiteren Verlauf als Al. Ein Unfall.)
Der Gesprächsfetzen entstammt dem montäglichen Werkappell auf dem Fabrikhof. Der Vorarbeiter setzt sich über den Einwurf hinweg und deckt gegenüber dem Direktor den Bleicher Jakob Pawlowsky. Dieser ist tatsächlich oben an seinem Arbeitsplatz, aber nicht wohlauf. Nach einem durchzechten Wochenende liegt er kaum ansprechbar »unter der Holzstiegen« (Al, Ein Unfall, S. 4). Als der Direktor seinen Zustand bemerkt, ist es bereits für eine Umverteilung der Arbeit zu spät. Er muss selbst Hand anlegen, um die Ware nicht verderben zu lassen. Während er sich vorbereitet, schickt er den Halbwüchsigen Maxl zum Schlosser, der die stillstehende Maschine an die Transmission anschließen soll. Der Junge trifft aber nur auf die Gesellen, die ihn abweisen. Um den Direktor zu besänftigen und Jakob eine Strafe zu ersparen, beschließt er den Riemen selbst aufzulegen. Der Riemen war nicht besonders schwer, aber schlüpfrig, pappig – er hob ihn mit Leichtigkeit und zwängte ihn an die Scheibe. Fest – so fest, daß sie sich endlich hätte bewogen fühlen können, das Leder auf ihren Rücken zu nehmen. – Schsssst – klatsch. Sie nahm ihn aber nicht und rollte weiter, freiheitfroh wie ein junges Pferd, das soeben den Sattel abgeworfen hat. – - Noch einmal! Gieb acht! – Das Pferd ist tückisch. Noch einmal! – Gieb acht auf deinen Hemdärmel! – - Er kommt der Keilnase zu nahe! – Gieb acht! – - Um Gotteswillen! – Der Keil streift schon den Ärmel! – Maxl aber drückt mit Jugendkraft den schmierigen Riemen an das Eisen. – Da – jetzt endlich ist es dem Keil gelungen, sich in die Ärmelspalte zu verfangen. – Eins – schon hat er ein Stück des Ärmels fünfmal herumgedreht und den darin befindlichen Arm festgeklemmt. – Eins, s c h o n, s c h o n biegt sich der Arm, er bricht, er bricht noch einmal – ein fünftes, sechstesmal – hinüber, hinüber, herum – - – herum, der ganze Körper fliegt, fliegt, rotiert um die Welle – humpf – humpf – humpf – humpf – humpf – das sind die runden Beine, welche jedesmal an die Decke schlagen – humpf – humpf – humpf – humpf – kein Laut – kein Schrei – das ist der Kopf – humpf – humpf – achtzigmal in der Minute. -…………………… …………………………………………….…………………………………………………………………. ------------------------- Aaaaaah – - – aaaa – - – aaa – aalt – Aaaaaaaaaaa – - haa – haaaa – aaaalt – - – haalt!!!! - – - Der Techniker rast durch die Säle zur Maschine, zum Sperrventil, sein Weißes im Auge ist blau – seine Lunge und sein Herz stockt – - – endlich ruht die Bestie. – Bestie!! Bestie!!
D IE SOZIALE F RAGE Das Schwungrad steht stille, der Regulator sieht unschuldig drein, als wüßte er von nichts – von der Kurbel fällt ein Öltropfen … (Al, Ein Unfall, S. 11f)
Die Präzision, mit der Langmann den Unfall erfahrbar macht, erlaubt keine Kürzungen. Die Darbietungsweise wechselt zwischen Erzählerbericht und Kommunikationsversuchen, die der erlebten Rede nahe kommen. Interpunktion, Lautmalereien und Wortwiederholungen, Kennzeichen der phonographischen Methode, geben das Tempo vor.73 Insgesamt weist der Text alle Merkmale des konsequenten Naturalismus auf. Langmann setzt die technischen Mittel des Sekundenstils allerdings nicht um ihrer selbst willen ein, sondern lässt sie aus dem Handlungsablauf heraus ›organisch‹ entstehen. Sie bleiben funktional auf den Spannungsfaden gerichtet. Die Modernität in der Schreibweise ist für ein Erstlingswerk erstaunlich, noch dazu, da Langmann kaum auf Vorarbeiten zurückgreifen konnte. In Buchform erschien bis dahin lediglich Papa Hamlet von Holz und Schlaf.74 Das Paradebeispiel des konsequenten Naturalismus, die papierne Passion, in denen die beiden Autoren erstmals die Grenze zum abstrakt Sprachlichen überschritten, erschien erst 1892 und lag bis zur Abfassung von Ein Unfall nur als Zeitschriftenabdruck vor.75 Die endemische Hervorhebung dieses Textes beweist, dass der konsequente Weg in der Prosa der Zeit keine nennenswerten Nachahmer fand. Schließlich wurden auch weniger abstrakte Umsetzungen von der Kritik noch Jahre später mit Unverständnis entgegengenommen.76 Der tödliche Unfall wird von Langmann durch mehrere Faktoren motiviert, demnach nicht nur als Folge einer unglücklichen Verkettung von Umständen, die das Getriebe einer Fabrik so mit sich bringt, verstanden. Neben den mangelhaften Schutzmaßnahmen bei maschinellen Verrichtungen und der Kinderarbeit, zwei Themen, die im Naturalismus erstaunlicherweise eher selten bearbeitet wurden,77 sind es mehrere Akte mangelnder oder übertriebener Solidarität, die das Unglück auslösen.78 Der Vorarbeiter, der über die Arbeitsunfähigkeit Jakobs durchaus informiert ist, meldet ihn nicht als dienstuntauglich, und bringt damit den Fabrikleiter 73 | Die Zerlegung der Handlung in Einzelbilder – nicht nur im dramatischen Schlussabschnitt –, denen Textfetzen oder Geräusche zugeordnet werden, ist mit den Anfängen der Comic strips vergleichbar, die sich demnach auch ohne die Fortschritte in der Kinematographie hätten herausbilden können. 74 | Bjarne B. Holmsen: Papa Hamlet. Leipzig C. Reißner 1889. 75 | A. Holz/J. Schlaf: Neue Gleise. Berlin Fontane & Co. 1892, S. 7-35. Erstabdruck in der Zeitschrift Freie Bühne für modernes Leben 1 (1890), S. 274-288. 76 | Vgl. W. Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 63. 77 | Vgl. Bogdal: Schaurige Bilder, S. 60f. 78 | Auf die Solidarität als Thema der Studie verweist am Rande schon Gerhard Schulz in: Prosa des Naturalismus. Reclam Stuttgart 1973, S. 29.
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in Nöte. Für den Erfolg seiner Strategie baut er auf die Unerfahrenheit des jungen Direktors, dem er sich überlegen glaubt.79 Er bewirkt dadurch jedoch das Gegenteil seiner Absicht. Jakob ist an diesem Tag unabkömmlich, die Arbeit nicht von anderen mitzuleisten, da bereits zwölf Abmeldungen vorliegen. Auch Max handelt übertrieben solidarisch, indem er den Ausfall Jakobs zu kompensieren versucht. Er bedenkt dabei weder die Anforderungen der Maschine noch die zeitüblichen arbeitsrechtlichen Bedingungen. Seiner kindlichen Perspektive ist zuzuschreiben, dass er tatsächlich glaubt, helfen zu können. Mangelhafte Solidarität bekunden die Schlossergesellen, die die relative Gleichstellung des Jungen im Arbeitsprozess nicht begreifen und seiner Aufforderung nicht nachkommen, sowie zuvorderst der betrunkene Jakob. Der Alkoholmissbrauch, das Standardthema des Naturalismus, ist somit letztendlich die Ursache für die späteren tragischen Folgen. Die Unverantwortlichkeit Jakobs belegt der Direktor mit deutlichen Worten. Der Arbeiter wird als »Schwein« beschimpft, als »Lump, der auf dem Miste krepieren wird« und schließlich als »Aas«. (Al, Ein Unfall, S. 4f) Diese Stelle ist die erste und zugleich einzige im veröffentlichen Werk Langmanns, an der er in der Beschreibung der Arbeiter zu animalischen Metaphern greift. Die wirkliche Bestie ist jedoch die Maschine selbst, nicht die bête humaine in ihrer proletarischen Verrohung.80 Am entscheidenden Punkt der Handlung wird sie aktiv, ihr »gelingt es« den Knaben zu fassen und zu zerschmettern. Vergleiche zwischen animalischer, gefährlicher Natur und Technik gehören nicht zum Repertoire des frühen Naturalismus, weil zunächst »nicht die Maschine zum Verantwortlichen für das zeitgenössische soziale Elend gemacht wurde«.81 Erst später und nur vereinzelt werden die Maschinenparks der Fabriken und die ihnen innewohnende brutale Gewalt problematisiert.82 In den späteren Werken Langmanns gibt es Passagen, die eine gewisse Faszination für die Kraft und die Präzision der modernen Technik ausstrahlen, aber auch dort wird die latente Gewalt, die von den Geräten ausgeht, nicht unterschlagen.83 Mit Ein Unfall erweist sich der Deutschmährer Langmann als früher Exponent des Naturalismus, der nicht nur die gängigen Stilelemente verwendet, sondern in79 | Der Vorarbeiter sieht »mit kurzem, scheuen und forschendem Blick auf den jungen Direktor und erlaubte sich ein flüchtiges, ironisches Lächeln, da er bemerkte, wie vertieft dieser in seine schwierige Aufgabe war […]«. (AL, Ein Unfall, S. 1). Womöglich spielen hier persönliche Erfahrungen aus Langmanns Tätigkeit als Fabrikleiter eine Rolle, die er mit nur 28 Jahren angetreten hatte. 80 | Entstehung und Verlauf dieses Bildbereiches ist ausführlich dokumentiert in Bogdal: Schaurige Bilder, S. 47-84. 81 | Tessy Korber: Technik in der Literatur der frühen Moderne. Wiesbaden DUV 1998, S. 52. 82 | Vgl. Conrad Alberti: Maschinen. Leipzig Friedrich 1895. 83 | Vgl. Die Schlacht bei Sempach. In: Langmann: Realistische Erzählungen. Leipzig Robert Friese 1895, S. 55-75.
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novativ mit ihnen umgeht. Bis auf den lakonischen Schlusssatz entspricht der Text den kompositorischen und inhaltlichen Anforderungen naturalistischer Prosa und wurde deswegen zum letzten Relikt des ehemaligen Ruhmes seines Autors.84 Typisch ist sie für sein Werk nicht, denn zahlenmäßig überwiegen weniger grausame Schilderungen aus dem notgeprägten Alltag der Arbeiter. Die Gewalt wird meist in das Innere der Figuren verlegt oder tritt bei zwischenmenschlichen Problemen hervor, unter anderem in der Erzählung Schimml, in welcher die Titelgestalt in der Arbeitspause Opfer eines rüden Scherzes wird. Die skurril ausgemalte Vorfreude des harmlosen Außenseiters Schimml auf sein Mittagessen verfliegt in dem Augenblick, als er den ersten Bissen zu sich nimmt, denn die Kartoffeln wurden mit Seife versetzt. Aufsteigende Rachegefühle entlädt er an den neuen Stiefeln seines Kollegen Turaser, den er als Täter vermutet. Er versenkt sie in den großen Indigobehälter der Färberei. Dort landet er bald »mit einem Ruck, einem knochenknackenden« (Al, Schimml, S. 73) selbst, denn die Stiefel gehörten dem riesenhaften Vorarbeiter Adolf. Schimml sackt schließlich weinend zusammen, verprügelt und gedemütigt durch seine Arbeitskollegen, die auch am nächsten Tag seine Kollegen bleiben müssen. Rachsucht, Neid und Missgunst als Folge von physischer und psychischer Dauerbelastung und die unausweichlichen Auswirkungen auf die Familien der Arbeiter sind die eigentlichen Themen Langmanns. Den Bearbeitungen in den anderen Studien soll nicht mehr nachgegangen werden, da sich hier ein Weg eröffnet, den Bogen zu Bartel Turaser zurückzuschlagen. Langmann übernimmt aus Schimml den Ort (Färberei) und die zentralen Figuren (Schimml, Adolf, Turaser) in sein späteres Drama. Dieser Zusammenhang blieb in der Forschung bisher unbeachtet, und unbeachtet blieb infolgedessen auch das Ziel, das Langmann damit verfolgte. Die Studien zur Lage der Proletarier aus bzw. seit Arbeiterleben! werden zur informellen Basis für die Spielhandlung des Dramas. Auf der Bühne selbst müssen die Abgründe der Realität nicht mehr dargestellt werden, da sie als vor-dramatische Exposition bekannt sind. Es genügt ihre Erwähnung als Auslöser des individuellen Konflikts, in dem Turaser sich befindet. Langmann hat sich durch seine Studien als Naturalist erwiesen und kann nun zu einer Weiterentwicklung der Arbeiterproblematik voranschreiten. Er bricht endgültig mit den schaurigen Bildern und konstruiert den Arbeiter als ehrbaren Mann, der sich nur durch seine schlechte Bezahlung, nicht aber in seinen Moralbegriffen von den ›normalen Bürgern‹ unterscheidet. Er respektiert damit in Aufbau, Sprachwahl und Aussage seines Dramas eine Debatte innerhalb der Sozialdemokratie, die mit dem Beginn seines literarischen Schaffens einsetze und kurz vor der Abfassung von Bartel Turaser auf dem Parteitag in Gotha 1896 ihren Kulminationspunkt fand. Die Frontlinie in diesem Streit, 84 | Ein Unfall wurde in die Anthologie Prosa des Naturalismus (Stuttgart Reclam 1973) aufgenommen und ist damit die letzte Textausgabe Langmanns, die eine weitere Verbreitung erlangte.
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die auch parteiinterne Flügelkämpfe widerspiegelt, ist gut dokumentiert und mehrfach kommentiert.85 Um Langmanns Vorgehen nachzuvollziehen, genügt der Kompromissvorschlag August Bebels, der den aufbrandenden Unmut gegenüber der Literatur der Jüngstdeutschen, die abwechselnd als »absolute, stinkende Schweinerei«86, »unerbaulich und ekelhaft«87, »unverhüllt animalisch« oder gleich als »Diskreditierung des gesamten Arbeiterstandes« verunglimpft wurde, einordnete bzw. um im Bild zu bleiben, kanalisierte. Er empfahl dem leitenden Redakteur der Zeitschrift Neue Welt, an deren Literaturteil sich die Auseinandersetzung aufgestachelt hatte, »mit größerer Energie seinen Rotstift zu benutzen«, da »wir in der Partei Elemente haben, die politisch und ökonomisch auf dem radikalsten Standpunkte stehen, daß es aber auch bei uns Leute gibt, die in Bezug auf Literatur und Kunst durchaus konservativ sind«.88 Der ermittelte Konsens lief schließlich darauf hinaus, dass eine wirklich fortschrittliche Literatur »dem sozialdemokratischen Wunschbild des aufrechten und integren Arbeiters« entsprechen sollte.89 Langmann setzt in Bartel Turaser den besagten Rotstift an und streicht dem Naturalismus seine »hyperbolischen« Spitzen zusammen,90 die zu diesem Zeitpunkt schon von vielen Zeitgenossen, nicht nur von Sozialisten, als Sensationslust der Autoren, Verunglimpfung der Arbeiter und Selbstzweck empfunden wurden. Dadurch gelingt ihm eine gemilderte naturalistische Dramensprache, die die soziale Frage als zweifelsohne dringliche Zeitfrage für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich werden lässt. In Langmanns abgespeckter Version ist kein Platz mehr für Gewalt- und Sexszenen, die Standardthemen des Naturalismus, Alkohol und Prostitution, fehlen, der Dialekt beschränkt sich auf wenige, in Böhmen allgemein verbreitete Lexeme, und vulgär spricht im Stück lediglich manchmal der Meister. Die Not der Familie 85 | Vgl. Ursula Münchow: Naturalismus und Proletariat. In: Weimarer Beiträge 10 (1964) H. 4, S. 599-617; Dietger Pforte: Die deutsche Sozialdemokratie und die Naturalisten. In: Helmut Scheuer (Hg.): Naturalismus. Stuttgart Kohlhammer 1974, S. 175-205; Günther Mahal: Naturalismus. München Fink 1975, S. 135.148; Norbert Rothe (Hg.): NaturalismusDebatte 1891-1896. Berlin Akademie 1986; Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 71-77. 86 | N. Rothe: Naturalismus-Debatte, S. 220. 87 | Ebd., S. 200. 88 | Beide Zitate N. Rothe: Naturalismus-Debatte, S. 231. Bebels Einlassungen beziehen sich allgemein auf den Umgang der Sozialdemokratie mit neueren Tendenzen in der Literatur und wurden auch maßgeblich für die Herausbildung einer materialistischen Literaturtheorie. Im Kontext der Diskussion richten sie sich aber direkt gegen seinen Vorredner Karl Liebknecht, der geradewegs eine (klein-)bürgerliche Kunstauffassung vertrat. 89 | W. Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 77. 90 | Zur Begriffsverwendung vgl. Josef Polá č ek: Zum »hyperbolischen« Roman bei Conradi, Conrad und Hollaender. In: Helmut Scheuer (Hg.): Naturalismus. Stuttgart Kohlhammer 1974, S. 68-92.
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Turaser ist greifbar, wird aber nicht überstrapaziert. Stattdessen wird der Religion und vor allem der moralischen Reflexion eine Stellung eingeräumt, die von späteren Kritikern als übertrieben angesehen wurde, es vielleicht auch ist, allerdings nur dann, wenn man den Willen Langmanns nicht berücksichtigt, der dem oft unter Wert dargestellten Arbeiter seine Ehre und Redlichkeit zurückgeben will. Zu diesem Zweck integriert er mit der engen Vater-Kind-Beziehung ein Motiv, das m.W. so in der Literatur der Frühen Moderne nicht mehr verwendet wurde. Die Eingangsszene führt Turaser als treusorgenden Familienvater ein. Das Verhältnis geht aber über das gängige Maß an Fürsorge weit hinaus, ja wird im Verlauf des Stückes zum Angelpunkt der Entscheidungen Turasers. Der Tod seiner Kinder, besonders seines Sohnes Bartel, löst einen Umdenkprozess aus, da er selbst merkt, wie weit er sich von den Idealen, die er seinem Sohn vermittelte, entfernt hat. So ein Kind… man weiß gar nicht, was man da neben sich hat. Das hört zu, sieht zu, denkt nach und denkt nicht nach und versteckt alles in sich. […] Er hat mich fortwährend so angeschaut … so angeschaut. […] Als wär er an mir irr geworden. […] Wenn ich bedenk, daß sein Leben in meiner Hand gelegen ist, daß er mir anvertraut worden von der Vorsehung, und wie ich mit ihm umgegangen bin! – - Daß ich nicht gewußt hab, was so ein zartes Gemüt braucht. […] Ist es denn ums essen und trinken allein?! – Die Reinheit braucht’s! – Das Wenige, was er gehabt hat, Vater und Mutter, das ist ihm getrübt worden; auf was er hätt stolz sein können … (BT, S. 109-111)
Der eigentlich mehrseitige Dialog wurde zur Verdeutlichung zum klassisch anmutenden Monolog Turasers kompiliert. Im Gegensatz zu Rudolf Christoph Jennys Titelparole Not kennt kein Gebot und der Brechtschen Formel hebt Langmann den Arbeiter aus den materialistischen Vorgängen heraus und --- hebt ihn zu hoch. Im Bemühen um die moralische Integrität des Arbeiters erhebt er Turaser über seinen Stand und schafft eine Figur, die sich ›idealistischen‹ Vorstellungen unterordnet. Langmann geht nicht den Weg vieler Naturalisten der ersten Stunde, die nach anfänglich heftiger Zuneigung den »Arbeiter aus dem Bereich des Gesellschaftlichen, Zivilisatorischen und Kulturellen« ausschließen.91 Eher entspricht die Umsetzung eines neuen Arbeiterbildes einer Erkenntnis Wilhelm Bölsches: »Mit dem Rohen, mit dem Unerzogenen werden wir die Welt nicht befreien, mögen wir ihm sagen, was wir wollen, ihm geben, was wir wollen. […] An die Kinder muß sich unsere Arbeit wenden«.92 Das Zitat entstammt einem Essay, in welchem er Marie von Ebner-Eschenbach als Vordenkerin der humanitären Seite des Naturalismus würdigt, der eben die soziale Frage »zur Kinderfrage« geworden sei.93
91 | Bogdal: Schaurige Bilder, S. 80. 92 | Wilhelm Bölsche: Hinter der Weltstadt. Jena Diederichs 1904 (1. Auflage 1901), S. 203. 93 | Ebd.
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Die enge, tragisch endende Vater-Kind-Beziehung machte das Drama endgültig für breite Schichten konsensfähig, die mit den inhaltlichen Schwerpunkten und Gestaltungsprinzipien des Naturalismus wenig anfangen konnten, und erklärt zu einem Teil den Erfolg des Stückes. Ob Langmann das Dilemma des Naturalismus erkannte und vorsätzlich seinen Protagonisten die eigenen »Denkund Empfindungsgrenzen« überschreiten lässt,94 kann wegen der mangelnden Selbstzeugnisse des Autors nur vermutet werden. Mit höherer Wahrscheinlichkeit entspringt die Grenzüberschreitung der Taktik, Beanstandungen der Literaturkritiker zu vermeiden. Wiederum war Marie von Ebner-Eschenbach auf der richtigen Spur, als sie in den Tagebüchern, ganz gegen ihre Gewohnheit,95 ausführlicher auf Langmanns Stück eingeht: »Ausgezeichnet. Ungleich kräftiger, dramatischer, besser componiert als die Weber, ohne die es vielleicht nicht geschrieben worden wäre«.96 Bereits in einer der ersten Besprechungen zu den Webern spricht Wilhelm Bölsche in lobender Absicht einige Eigenschaften des Stückes an, die bald in negative Urteile einflossen.97 Darunter stechen zwei hervor. Zum einen die fehlende Integrationsfigur, der Protagonist, der alleinige Held, auf den sich das Publikum konzentrieren kann. Es ist inzwischen Konsens geworden, Hauptmann als ersten zu würdigen, der die Masse der Arbeiter als kollektiven Helden dramatisierte. Die Neuerung wurde von der bürgerlichen und teilweise auch von der sozialdemokratischen Kritik angefochten. »Anstatt das Interesse des Publikums wenigen Personen ungetheilt zuzuwenden, greift Hauptmann aus der Masse bald diesen, bald jenen heraus, wer ihm gerade in den Wurf kommt und stellt ihn in den Vordergrund«,98 heißt es in der Nationalzeitung und Maximilian Harden ergänzt:
94 | Vgl. Georg Lukacs: Deutsche Literatur im Zeitalter des Imperialismus. Berlin Aufbau 1950, S. 24-33, Zitat S. 25. 95 | Vgl. Norbert Gabriel: Die Tagebücher der Marie von Ebner-Eschenbach. In: F. Valouch/J. Starek (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach. Leben und Werk. Brünn Universitätsverlag 1999, S. 40ff. 96 | Tagebucheintrag zum 2.3.1898. Zitiert nach Ji ř í Veselý: Zur nationalen und sozialen Problematik in der deutschsprachigen mährischen Literatur. In: Philologie Pragensia 29 (1986) Heft 3, S. 129. Vgl. auch Sigfrid Hoefert: Das Drama des Naturalismus. Stuttgart Metzler 1993 4, S. 74. 97 | Wilhelm Bölsche: Gerhart Hauptmanns Webertragödie. In: Theo Meyer (Hg.): Theorie des Naturalismus. Stuttgart Reclam 1973, S. 280f. Erstveröffentlicht in Freie Bühne 3. Jg. (1892) H. 2, S. 181ff. 98 | Eugen Zabel in Nationalzeitung (Berlin) vom 28. Februar 1893. Zitiert nach: Hans Schwab-Felisch: Die Weber. Frankfurt a.M. Ullstein 1983, S. 188.
D IE SOZIALE F RAGE Die Aufgabe aber, an einem Menschengeschick den ganzen Jammer zu zeigen und die Fülle der Noth, so daß man in der Perspektive auch das Leben und das Vergehen der übrigen Unterdrückten erblicken kann, diese Aufgabe hat er nicht bewältigt. 99
Langmann reagiert auf diesen Einwand. Er bringt zwar auch die Masse der Färber auf die Bühne, aber Turaser ragt aus ihr heraus. Er steht meist im Mittelpunkt, und selbst in den wenigen Szenen, in denen er nicht auf der Bühne steht, kreisen die Dialoge um ihn und seine Entscheidung. Zum anderen wurde das Aufsplittern der Handlung, der episodenhafte Charakter der Weber kritisiert, die daraus resultiert, dass Hauptmann die drei Einheiten des klassischen Dramas auflöst. Langmann hält zumindest zwei der Einheiten wieder ein, denn alleiniger Schauplatz des Dramas ist das Wohnhaus Turasers, in dessen Vorhaus auch die Streikversammlungen abgehalten werden, und auch alle politischen und sozialen Konflikte, die angedeutet werden, fließen in der Person Turasers zusammen. Konfiguration und Konstellation werden so rigide gehandhabt, dass sämtliche handelnden Figuren in irgendeiner Weise mit Turaser verbunden sind. Lediglich einen großen Zeitsprung, zwischen der Überfütterung der Kinder und ihrem Begräbnis erlaubt sich Langmann, der jedoch durch die klare Platzierung an der Aktgrenze zu keinen Verständnisproblemen bei den Zuschauern führte. Schwierigkeiten in der Verständlichkeit des Dialektes, die Hauptmann noch zu einer gemilderten zweiten Fassung genötigt hatten, schließt Langmann ebenso von vorneherein aus, wie die Diskussion darüber, ob es sich um ein historisches, nachträglich zu aktualisierendes Stück handele. Bartel Turaser spielt in der Gegenwart und manche Zuschauer mögen sich aus der Zeitung noch an den realen Fall erinnert haben, der dem Stück zugrunde liegt.100 Schließlich ist auch die Aussage eindeutig. Deutungsschwierigkeiten wie sie durch die Rolle des alten Hilse im letzten Akt der Weber auftraten, sind nicht auszumachen, da sie im Vorfeld ausgeräumt werden.101 Insgesamt überführt Langmann die offene Dramenform der Weber in eine geschlossene, um ohne Zensureingriffe die Öffentlichkeit zu erreichen und eine geschlossene Vorstellung in einem Theaterverein zu vermeiden. Zugleich entspricht die Rückkehr zur Geschlossenheit einer Forderung, die hinsichtlich eines ›idealen‹ Arbeiterdramas in der Nachfolge der Weber gelegentlich erhoben wurde. Ein halbes Jahr vor der Uraufführung von Bartel Turaser wettert der einflussreiche Theaterkritiker Karl Frenzel: 99 | Maximilian Harden in: Die Zukunft vom 11. März 1893. Zitiert nach: Ebd., S. 194. 100 | Vgl. R. Riedl: Philipp Langmann, S. 25f. und Karel Krej č í: Oskar Jellinek. Leben und Werk. Brünn Universitätsverlag 1967, S. 131. Krej č í identifiziert die Fabrik Doberer & Co. in Brünn-Zeile als Ort des Zwischenfalls. 101 | Vermutlich als Parallelfigur zu Hilse ist der alte Färber Adolf gestaltet, der sich an die traditionellen patriarchalischen Handlungsmuster hält. Seine Einstellung wird von Turaser in Abgrenzung zu den anderen Arbeitern ausdrücklich anerkannt.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE […] die Noth der schlesischen Weber kann man nicht in lauter Arabesken und zersplitterten Szenen auf die Bühne bringen; hier muß, wenn überhaupt eine Wirkung erzeugt werden soll, die Lawine sich vor unseren Augen zusammenballen und donnernd und zerstörend herabstürzen.102
Freilich gehen durch diese Umarbeitung die innovativen Episierungstendenzen verloren. Bartel Turaser ist sicher kein »Todesurteil für das, was man bisher als dramatischen Nerv bezeichnet hat«.103 ja wirkt auf den heutigen Betrachter eher als Regression des literarischen Sturmes, den der deutsche Naturalismus zu entfachen trachtete. Wie akribisch Langmann die Weber als Referenztext nutzt, zeigt abschließend ein kleines Detail. Der Unternehmer Dreissiger ruft bei Hauptmann die loyalen Färbergesellen gegen die aufständischen Weber herbei, »echte und rechte Kettenhunde des Kapitals und als solche noch wesentlich unsympathischer als der Fabrikant selbst«.104 So beschreibt Konrad Haenisch ihre Wirkung, ein Freund Hauptmanns und Zeitzeuge der ersten Aufführung. Bei Langmann sind es hingegen die streikenden Färber, die sich gegen die Fabrikleitung auflehnen. Eine andere Berufsgruppe wird nicht ›diskreditiert‹. Die Akzeptanz der Färber ist sicherlich autobiographisch begründet, verbindet Bartel Turaser aber mit den ersten Erzählungen aus Arbeiterleben! Ohne einen Rückgriff auf diese frühen Studien ist Langmanns naturalistischer Werdegang nicht beschreibbar. Konstanten im Denken Langmanns werden dann als Halbherzigkeiten verkannt. Von Beginn an zeigt er zum Beispiel nicht wie andere Naturalisten »wie über den patriarchalischen Starrsinn des Unternehmertyps des 19. Jahrhunderts die wirtschaftlich-technische Entwicklung hinweggeht«.105 In vielen Erzählungen, am deutlichsten vielleicht in Die vier Gewinner106 verhält er sich positiv gegenüber den patriarchalischen Verhältnissen, die den Industrialisierungsprozess in Mähren und auch in anderen österreichischen Provinzen noch bis zur Jahrhundertwende bestimmten.107 In Bartel Turaser übernimmt der abgeklärte Färber Adolf diesen Part. Seine Erinnerung an bessere Zeiten ist zugleich eine Kritik an der Entwicklung der Wirtschaft im 19. Jahrhundert. Die persönliche Führungsstruktur des Familienbetriebes schuf auch 102 | Karl Frenzel: Die Berliner Theater. In: Deutsche Rundschau Bd. 91 (1897), S. 134. Der Gebrauch von ›Arabeske‹ in diesem Kontext ist wohl eine süffisante Anspielung Frenzels auf den Roman Münchhausen, eine Geschichte in Arabesken von Karl L. Immermann. 103 | Wilhelm Bölsche: Gerhart Hauptmanns Webertragödie, S. 281. 104 | Konrad Haenisch: Gerhart Hauptmann und das deutsche Volk. Berlin Dietz 1922, S. 111. 105 | Tessy Korber: Technik in der Literatur der frühen Moderne. Wiesbaden DUV 1998, S. 63. 106 | Philipp Langmann: Realistische Erzählungen. Leipzig Friese 1895, S. 1-36. 107 | Vgl. meinen Aufsatz: Intrakulturelle Verwerfungen in der Provinz. Theater- und Vereinsleben in Mährisch-Schönberg. In: Germanoslavia 2013 (im Druck).
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für die Arbeiterschaft erträgliche Verhältnisse. Die Missstände treten erst nach dem Wandel in die namen- und damit verantwortungslose Fabrik auf. Ganz explizit unterstützt diese Fortschrittsskepsis, eine an sich überflüssige und eben nur für den Leser, nicht für den Zuschauer des Stückes wahrnehmbare Bemerkung im Klappentext, wo die einzelnen Figuren zusammengefasst werden als »Färbereiarbeiter in der Baumwollenwarenfabrik vormals Daberger & Söhne«. (BT, S. 5) Langmann als Dramatiker und als österreichischer Naturalist ist gemessen an der deutschen Literaturgeschichte eine verspätete Erscheinung. Dadurch ist er in der Lage, aber auch unter dem Zwang, auf die Ereignisse in Deutschland zu reagieren. Das Stück zeugt dann auch von der Auseinandersetzung mit der Kritik aus unterschiedlichen politischen Lagern, von sozialistisch bis konservativ, bezieht auch die Weiterentwicklung der naturalistischen Literatur mit ein, und passt so das Drama an die Verhältnisse in Österreich an. Berücksichtigt man neben seiner Leistung auf dem Gebiet der naturalistischen Prosa die Tatsache, dass gerichtliche Verurteilungen von Künstlern in der Habsburger Monarchie noch keineswegs als Kavaliersdelikt aufgefasst wurden,108 dann kann man Langmann zwar als allzu vorsichtigen und bedächtigen, schwerlich aber als »Naturalisten minderen Rangs« bezeichnen.109 Trotz aller Vorzüge handelt es sich bei Bartel Turaser um keine avantgardistische Literatur. Die epigonale Anknüpfung an die naturalistische Dramatik in Deutschland, speziell an sein Vorbild Gerhart Hauptmann ist spürbar. Die Veränderungen, die Langmann vornimmt, berechtigen kaum dazu von Spätnaturalismus zu sprechen, wenn der Begriff eine gewisse Trennschärfe erreichen soll. Er entfernt sich, trotz aller Individualitäten, nie so weit vom Epochenschema wie es für Adalbert von Chamisso oder die schwäbische Dichterschule mit recht gegenüber der Früh- und Hochromantik reklamiert werden konnte. Aber die sanften Korrekturen berechtigen dazu dem Drama eine gelungene Epigonalität zuzusprechen, denn Langmann wirtschaftet im Sinne Immermanns redlich mit den »geborgten Ideen«.110
108 | Im Gegensatz dazu beschreibt Haenisch, allerdings aus der nachträglichen Perspektive der Weimarer Republik, seine achtmonatige Gefängnisstrafe »als Preßsünder« geradezu als Leseurlaub. Konrad Haenisch: Gerhart Hauptmann und das deutsche Volk, S. 105. 109 | Unter dieser Kapitelüberschrift rangiert Langmann in: Sigfrid Hoefert: Das Drama des Naturalismus. Stuttgart Metzler 1993 4, S. 74f. 110 | Karl Immermann: Die Epigonen. In: ders.: Werke Band 2. Hg. v. Benno von Wiese. Frankfurt a.M. Athenäum 1971 Buch 2, Kapitel 10, S. 121.
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Josef Trübswasser: Der Herr Meister 111 Wie schmal in der literarischen Praxis der Grat zwischen gelungener und tatsächlicher Epigonalität verläuft, zeigt das einzige naturalistische Drama des aus Brünn stammenden und in Iglau wirkenden Fachlehrers Josef Trübswasser. Hier wird der Name zum Programm, denn der Verfasser fischt bedenklich sorglos in den Motivreservoiren der Moderne. Kirchenkritik, Kulturkampf, Ausbeutung in den Fabriken, Aufstieg der Christlich-sozialen, sexuelle Willkür, Gewerbefreiheit, Fortschrittskritik, Antisemitismus, Darwinismus, Bildungsnotstand, Prostitution, Turnbewegung, Wiener Zentralismus und die heimatliche Schönheit der Sudeten, das alles wird in dem kurzen Drama zur Sprache gebracht, jedoch nur ausnahmsweise dramatisiert. Die Motive und Themen sind beileibe nicht alle als naturalistische ausgewiesen, trotzdem urteilt Szegeda über Trübswasser: Auch er ist Naturalist und hat in dem Drama »Der Herr Meister« ein prächtiges Arbeiterstück, das ähnlich wie in den »Webern« von Hauptmann die Gemeinheit eines Arbeitervorgesetzten, des Herrn Meisters, glaubhaft dargestellt.112
Abgesehen vom anakoluthischen Relativsatz sind Zweifel an der literaturgeschichtlichen Verortung des Stückes angebracht. Für Naturalismus spricht zunächst das grobe Handlungsgerüst, das in der Tat Kompositionselemente aus den Webern und überdies den Grundkonflikt aus Bartel Turaser übernimmt. Als Gruppenbild mit Bube präsentiert sich die Familie Seykora im ersten Akt. Drei Generationen leben in der Wiener Hinterhofwohnung und verdingen ihren Unterhalt durch Näharbeiten für die naheliegende Fabrik. Die Großmutter, eine Schneiderwitwe, kann sich noch an den früheren kleinbürgerlichen Wohlstand erinnern, den der Wohnraum, in dem der erste und dritte Akt spielen, immer noch ausstrahlt. Die Szenerie beherrscht »eine große Nähmaschine« (Trübswasser, Der Herr Meister, S. 5. Im weiteren Verlauf als DHM), zugleich Grundlage des Broterwerbs und Symbol für den Niedergang, der ehemals rein manuell geführten Werkstatt. Mutter Anna und ihre ältere Tochter Ella wurden in früherer Zeit wie andere Näherinnen auch, von dem Werkmeister Korschenn vergewaltigt.113 Dieser 111 | Josef Trübswasser: Der Herr Meister. Schauspiel in vier Akten. Dresden Pierson 1900. Die Schreibweise des Namens ist uneinheitlich, da manchmal das Fugen -s weggelassen wird. Da im überwiegenden Teil der Rezensionen und der Titelvignette des Dramas der Name mit ›s‹ verwendet wird, schließe ich mich dieser Verwendung des Namens an. 112 | Wilhelm Szegeda: Tschechoslowakische und deutsche Literaturgeschichte. Brünn Selbstverlag 1934, S. 132. 113 | »Frau Seykora: Aber hab’ ich’s denn wissen können, daß er auch noch die Tochter haben will, nachdem er schon … die Mutter ….! […] Nur aus purer Schlechtigkeit hat er’s g’macht, und alle andern, die dorthin arbeiten und nur halbwegs wem gleichschau’n, haben’s auch nicht besser! […] Ich hab’s zu spät erfahr’n, was mit der Ella vor’gangen is.
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hat es nun auf die jüngere Tochter Bertha abgesehen. Als ein erstes Druckmittel, die ausbleibenden Ratenzahlungen für die von der Fabrik gestellte Nähmaschine, nicht zum gewünschten Erfolg führt, schikaniert er die Familie durch verschärfte Warenkontrollen.114 Am Höhepunkt des Dramas soll die Mutter selbst ihr Kind dem Meister zuführen. Bertha, die bisher von den Vorfällen nichts ahnte, wird heimlich Zeuge dieser Forderung und begibt sich in die Fabrik, um den Meister von seinem Weg abzubringen. Dieser ist, man ahnt es, davon nicht beeindruckt, und bedrängt Bertha. Als er sich auf sie werfen will, verfängt er sich – Ein Unfall! – im Riemen der Transmission und wird zu Tode geschleudert. Die Schlussszene muss, wenn auch Langmanns Prosastudie kein Maßstab sein konnte, ein Wagnis für Regie, Darsteller und Publikum gewesen sein, als das Stück am 7. Juli 1900 im Deutschen Volkstheater in München uraufgeführt wurde. An Hauptmann wurden die Besucher zusätzlich durch die Eingangssequenz des vierten Aktes erinnert, in der sich die Willkür des Meisters in Warenannahme und Lohnauszahlung manifestiert.115 So weit entspricht das Sujet von Herr Meister den Themen naturalistischer Dramen. Doch das Stück besitzt eine zweite Handlungsschleife, die wenigstens in der gelesenen Version den nachhaltigeren Eindruck hinterlässt. In deren Mittelpunkt stehen neben der bereits eingeführten Bertha, ihr jüngerer Bruder Alois und der Lehrer Gustav Hofrichter. Lässt sich die Fabrikhandlung als Arbeiterstück lesen, so bildet der zweite Teil eine bürgerliche Aufstiegsgeschichte im Wiener Vorstadtmilieu. Im Gegensatz zu Ella wurden die jüngeren Kinder bisher vom Elend ferngehalten. Beide besuchen eine Lehranstalt, die Bertha gegen Ende des Dramas auch erfolgreich abschließt. Ihr Mentor ist Gustav, der auch bei der Mutter die bessere Ausbildung der Tochter durchsetzte. Sein Beruf wird ihm in Wien allerdings durch den Aufstieg der Christlich-Sozialen Partei und den Einfluss der Kirche auf den Schulalltag verleidet. Auf einer Wahlversammlung der Partei, deren Hauptredner ausgerechnet Meister Korschenn ist, ergreift er das Wort zur Rechtfertigung seines Berufes: Gustav: Und wie der Bergmann drunten in der Finsternis des Berges nach Schätzen sucht, so gräbt und gräbt der Lehrer in der Brust des Kindes. Und stiller Jubel zieht durch sein Herz, wenn es ihm gelungen ist, das Gold der Tugend und den Demant des Wissens in der jungen Seele hervorzuschürfen. Das ist der Lehrer! […] da bricht der weltenalte Groll der[…] Sie war noch a halbes Kind. Gezwungen hat er s’ und gedroht, er giebt uns ka Arbeit mehr und wir können betteln geh’n.« (DHM, S. 54f.). 114 | »Frau Seykora: Nix is recht g’macht, alles is schlecht. Da (zeigt es) so steckt er die Daumen herein und in einem Riß fliegt die Naht auseinander.« (DHM, S. 52). 115 | Die Warenabnahme als perfides Unterdrückungsmittel wurde bereits 1844 auf dem Gemälde Die schlesischen Weber von Carl Wilhelm Hübner drastisch dargestellt. Auf dieses Sujet griffen in der Folge mehrere Autoren, unter ihnen auch Hauptmann zurück. Vgl. Franziska Schößler: Einführung in das bürgerliche Trauerspiel und das soziale Drama. Darmstadt WBG 2008, S. 111.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE jenigen hervor, denen ein freies Volk ein Greuel ist, weil sie es nicht mißbrauchen können, die den geistigen Mord predigen, um angeblich die Seele zu retten, bei denen die Erde in Dunkel gehüllt sein muß, damit ihr spärliches Lichtlein zur Geltung komme. […] Unwissend sollen die Kinder bleiben, damit sie nicht erfahren, wer in wahnsinnigem Religionshaß und neronischer Herrschbegier die Menschen in Rudeln zur Folter und auf den Scheiterhaufen schleppte […]. (DHM, S. 37f.)
Rede und Wiederrede erstrecken sich über mehrere Textseiten und bestimmen den gesamten zweiten Akt. Dabei wiederholen beide Seiten die Argumente des Kulturkampfes, der über die offizielle Gesetzgebung hinaus zur Jahrhundertwende noch lebhaft diskutiert wurde.116 Die Rede Gustavs, die mit historischen und biblischen Bildern und Halbzitaten unterlegt ist, erreicht die versammelten Wähler nicht. Er wird von der erbosten Menge aus dem Saal geschrien. Der Leser jedoch erkennt die Diskrepanz zwischen den scheinheiligen religiösen Phrasen und dem Verhalten des Meisters.117 Trotz dieses politischen Einschubs, der »den politischen Sieg der Vorstädte über die Ringstraßenwelt«118 und damit den Aufstieg Karl Luegers im Zuge der Wiener Gemeinderatswahlen recht plastisch wiedergibt, und der Beschreibungen des Arbeitermilieus, hat das Stück nur von seiner Entstehungszeit her Teil an der Moderne. Als Vorzug moderner Dichtung wurde die harte Fügung der Stile angesehen: »Pathos steht neben Parodie«.119 Bei Trübswasser wird meist Pathos zur Parodie, etwa wenn es nicht gelingt der tugendhaften Bertha, die immerhin gerade ihre Lehramtsprüfung abgelegt hat, die Bedeutung des Wortes »Bosheit« beizubringen.120 Derartige Beispiele könnten ebenso angehäuft werden wie dichtungslogische Inkonsequenzen.121 Sie führen allenfalls zur Belustigung, aber nicht zum Kern des Dramas. Zur Aufführung des Stückes in Iglau am 20. Todestag des Verfassers erschien im Mährischen Grenzboten eine Besprechung von Ignaz Göth, die dem Ziel näher kommt: 116 | Joseph Fontana sieht Tirol als zähesten Streiter im Kampf gegen eine Liberalisierung der Schule. Er erklärt aber auch dort den Kulturkampf um 1890 für beendet. Vgl. Joseph Fontana: Der Kulturkampf in Tirol. Bozen Athesia 1978, S. 394-409. 117 | »Korschenn: Mehr Religion! Nur ein religiöser Mensch kann ein wahrhaft sittlicher Mensch sein. Wir alle sind religiös.« (DHM, S. 32). 118 | Èva Madaras: Das geistig-kulturelle Leben in Wien und Budapest um die Jahrhundertwende. In: Arbeiten zur deutschen Philologie XX (Debrecen 1991), S. 8. 119 | Gerhart Schulz: Arno Holz. München Beck 1974, S. 37. 120 | Nicht zu beweisen ist, ob Bertha vielleicht deswegen so tugendhaft, sittsam und brav sein muss, weil sie nach Trübswassers 1896 geborener Tochter Hertha benannt wurde. 121 | Ella wird zu Beginn des Stückes als Bordsteinschwalbe gezeichnet, die deswegen von der Wählerversammlung entfernt werden soll und von der die Großmutter buchstäblich kein Stück Brot annehmen will. Im letzten Akt stellt sich jedoch heraus, dass sie als Kassiererin im Kaffeehaus arbeitet.
D IE SOZIALE F RAGE Das Schauspiel bringt ein Stück geschauten Lebens in Familie und Gesellschaft auf die Bühne. Nicht Zeitgeist schaut uns entgegen, wenn auch vielfach sehr viel Echtes und Soziales darin steckt, sondern die Anschauungen vergangener Jahrzehnte zeigen hier ihr echtes Gesicht.122
Göth, so viel muss man wissen, war einer der aktivsten Kämpfer für das deutsche Volkstum in der Tschechoslowakei. Seine politischen Aktionen, die in die Zeit der Rezension fallen, brachten ihm 1926 eine Verurteilung zur Kerkerhaft ein. Im Nationalsozialismus bekleidete er später hohe Posten in der deutschen Kulturpolitik in Böhmen und Mähren. Diese Entwicklung des Zeitgeistes ist gemeint, in der Göth steht, und von dieser Position aus ist Trübswasser eine überholte Erscheinung, der noch, im Sinne des Titels dieser Arbeit, im Übergang verhaftet ist. Der Lehrer Gustav Hofrichter als Sprachrohr des Lehrers Josef Trübswasser tritt ein für die Trennung von Kirche und Staat, die Berufsausbildung von Frauen und die Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (Darwin) und damit für Kernpunkte liberaler Politik am Ende des 19. Jahrhunderts.123 Als Vertreter des Bürgertums wendet er sich gegen die individuellen Verfehlungen des bürgerlichen Meisters und den religiös verbrämten Populismus seiner Partei, die ebenfalls im Bürgertum fußt. Von Sozialismus, ob national oder international, ist im Stück nicht die Rede. Zwar bedarf es keines sozialdemokratischen Parteibuches, um naturalistische Literatur zu schreiben, aber in Der Herr Meister wirkt die soziale Frage doch aufgesetzt. Deswegen werden Egid Filek und Karl Hans Strobl, in ihrer Iglauer Zeit enge Vertraute Trübswassers, zurecht behaupten, »daß der ›Herr Meister‹ viele Jahre in der Schreibtischschublade des Dichters lag und zu einer Zeit entworfen wurde, da Trübswasser von den erwähnten Dramen [Die Weber und Bartel Turaser, J.K.] keine Ahnung gehabt hat«124 , denn die Aussage des Stückes ist auch ohne Einbettung in die naturalistische Rahmenhandlung unmissverständlich. Allerdings sind einige Motive und Szenen derart deckungsgleich, dass man annehmen darf, Trübswasser habe auf dem Weg von der Schreibtischschublade in die Druckerei nachträglich Anleihen bei den damals erfolgreichen Vorbildern genommen.125 122 | Ignaz Göth: Der Herr Meister. Schauspiel in 4 Akten von Joseph Trübswasser. In: Mährischer Grenzbote vom 30. Mai 1922. Zitiert nach: Petra Knápková: Josef Trübswassser. In: LDA (2003). 123 | Auch wenn man die autobiographischen Bezüge der Figur in Frage stellt, ist die Vereinnahmung Trübswassers für den deutschen Nationalismus und den Kampf gegen den Liberalismus eine mutwillige, der Entstehungszeit geschuldete Verzeichnung Altrichters. Vgl. Anton Altrichter: Josef Trübswasser. Zum 40. Todestage. In: Igelland vom 21.6. 1942, S. 142f. 124 | Zitiert nach: Petra Knápková: Josef Trübswassser. In: LDA (2003). 125 | Diesen mehrfachen Überarbeitungsprozess schildert Strobl in dem Iglauer Schlüsselroman Der Fenriswolf (Leipzig Hermann Seemann Nachfolger 1903), in dem Trübswas-
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Die ›Lehrerhandlung‹ dominiert auch bei der Lösung des dramatischen Konfliktes gegenüber der ›Arbeiterhandlung‹. Als Bertha den Gang in die Fabrik wagt, steht für Gustav und den Leser der glückliche Ausgang schon fest. Durch eine plötzliche und unerwartete Erbschaft ist es Gustav nun möglich zusammen mit der inzwischen zur Braut avisierten Bertha und ihrer gesamten Familie in seine Heimat zurückzukehren. Für die Seykoras sind die Arbeitsbedingungen in der Fabrik und die Vergehen des Meisters für ihren weiteren Lebensweg nicht mehr relevant. Das brutale Ende des Tyrannen ist ein dramaturgischer Effekt. Bezogen auf den inhaltlichen Zusammenhang des Stückes befriedigt er lediglich die Rachegelüste, die sich zwischen den Figuren und möglicherweise auch bei den Zuschauern aufgebaut haben. Die Lösung des Konfliktes verführt zu Über- und Unterinterpretationen wie sie in der regionalen Literaturforschung nicht selten auftreten: noch bevor Gustav von der Erbschaft in Kenntnis gesetzt wird, entspricht die Flucht aus der Stadt seiner kritischen Revision der sozialen und politischen Missstände. Die Großstadt ist für ihn das Gift, das seine Ideale »betäubt und verderbt«. Zum Fluchtpunkt wird daraufhin die Idylle der heimatlichen Sudeten, denn »die draußen sind gesund geblieben«. (beide Zitate DHM, S. 47) Ist Der Herr Meister also der folgerichtige Abschluss der unbefriedigten Hassliebe der Naturalisten zur modernen Großstadt? Findet in jenem Stück der Übergang vom Naturalismus zur Heimatkunst literarischen Ausdruck? Zeugt Gustavs Kampf gegen die übermächtige Wahlversammlung nicht von einer ›Durch‹-Mentalität wie sie Lienhard für die Heimatkunst gefordert hatte?126 Weist Trübswasser den Weg aus der Decadence zur ›Gesundung‹? Es lassen sich Argumente dafür finden. Innertextuell die Sprache, mit der Gustav und teilweise auch Bertha zu Werke gehen. Sie entstammt, so individuell sie auch auf die persönlichen Lebensumstände der Figuren rückbezogen erscheint, Programmschriften der Moderne oder Forderungskatalogen der bürgerlichen Frauenbewegung und will sich so gar nicht in die Alltagskommunikation der Faser unter dem Namen Klappenbach figuriert. Die Entstehung des Dramas ist dort genau nachgezeichnet, von der Anregung Trübswassers durch Egid von Filek (im Roman Athanasius Edler von Hoschek) über den ›qualvollen‹ Schaffensprozess des zwischen künstlerischer Hybris und Depression schwankenden Autors und die Protegierung des Stückes durch einen fahrenden Schauspieler bis zu den Umständen der Aufführung in München. Vgl. Jörg Krappmann: Aus dem Großleben einer Kleinstadt. Karl Hans Strobls Roman Der Fenriswolf. In: Brücken NF 18/1-2 (2010), S. 97-110. 126 | »Wir wünschen nicht Flucht aus dem Modernen, sondern ein Durch, eine Ergänzung, eine Erweiterung und Vertiefung nach der menschlichen Seite hin; […] wir wünschen ganze Menschen mit einer ganzen und weiten Gedanken-, Gemüts- und Charakterwelt, mit modernster und doch volkstümlicher Bildung;« Friedrich Lienhard: Heimatkunst? Zitiert nach: G. Wunberg (Hg.): Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890-1910. Stuttgart Metzler 1970, S. 345. Zuerst erschienen in: Das litterarische Echo Jg. 2 (1899/1900), Heft 20, Sp. 1394-1398.
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milie Seykora schicken. Dafür spricht auch, dass Trübswasser Aufsätze und Kurzprosa zuerst in der Gesellschaft, später dann vermehrt in Stauf von der Marchs Neuen Bahnen veröffentlicht, und damit genau in den beiden Organen, die den noch naturalistisch beeinflussten Anhängern der Heimatkunst publikationstechnische Brücken bauten. Gegen die Heimatkunst spricht, dass Trübswasser bei der Beschreibung des Gegensätzlichen beider Lebenswelten zu einseitigen Idealisierungen neigt. Besonders die Ebene der ländlichen Heimat entbehrt realistisch-kritischer verfahren, die von der Heimatkunstbewegung als verpflichtend angesehen wurden, um sich von Vorstufen wie z.B. der Dorfgeschichte abzusetzen. Die triviale Liebesbeziehung, die Verherrlichung der Familie als Hort des Trostes, die plötzliche Erbschaft, die ihm eine Rückkehr in die Heimat gestattet und das allseitige Happy End machen eine Etikettierung des Herrn Meister als Heimatkunst unmöglich, erlauben nur die der schlichten Heimatliteratur. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung von Trübswassers Schauspiel äußerte sein mährischer Landsmann Ferdinand Gruner Bedenken gegen die zweite Reihe der Heimatkunstbewegten: »Es heften sich der Heimatkunst noch immer Dilettanten an die Fersen, die an den jungen Gluten dieser Bewegung ihr armseliges Süpplein kochen wollen«.127 Ob Gruner, der mit dem böhmischen Reformkatholizismus sympathisierte, Trübswasser wegen seiner Kritik an der willfährigen Verbindung der Kirche mit der politischen Scheinheiligkeit gutiert oder wegen der mangelnden realistischen Natürlichkeit zu den Dilettanten gezählt hätte, muss dahingestellt bleiben. Aber auch dann, wenn Trübswasser ein »Nur-Provinzler« gewesen wäre128, darf das Gemisch an Ideen und Motiven in Der Herr Meister ernstgenommen werden. Es ist einerseits ein weiteres Indiz dafür, dass die Modernisierungstendenzen um 1900 in der regionalen Literatur Böhmens und Mährens eher als Kontinuum denn als Bruch empfunden wurden, und andererseits beweist der Drang Trübswassers nach Aufzählung aller Neuerungen, Fehlentwicklungen und bewährten Muster, dass die Moderne auch als Mikroepoche verstanden ein »irrisierender«129 Begriff sein kann. Die Literaturgeschichtsschreibung spricht in diesen Fällen gern von halbgaren Ideen, was vielleicht im Zeitalter einer falsch verstandenen Nouvelle cuisine gar nicht mehr als Fehler erscheint. Doch Trübswassers Ideen sind nicht bissfest, sie sind zerkocht. Es ist ein Brei verschiedenster Versatzstücke, die noch nicht einmal alle der Moderne zugehören. Das Stück ist bestenfalls eine vorliterarische Ursuppe, womit der Name wieder ins Spiel käme, aber eben deswegen vielsagend.
127 | Ferdinand Gruner: Heimatkunst. Zitiert nach: G. Wunberg (Hg.): Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890-1910. Stuttgart Metzler 1970, S. 360. Erstveröffentlicht in: Literarische Warte Jg. 2 (1901), H. 12, S. 758-762. 128 | Ebd., S. 359. 129 | Christiane Barz: Weltflucht und Lebensglaube. Leipzig Kirchhoff und Franke 2003, S. 17.
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Franz Adamus: Die Familie Wawroch Als die Buchfassung der Familie Wawroch 1899 erschien,130 galt noch das Pseudonym, das sich der österreichisch-schlesische Schriftsteller Ferdinand Bronner aus Rücksicht auf seine Tätigkeit als Realschullehrer in Jägerndorf gab. Wie Ernst von Wolzogen es im Geleitwort vorausgesagt hatte, blieb es jedoch nicht lange unentdeckt, und der wirkliche Name des Verfassers kursierte bereits bei der Uraufführung des Dramas am 21. April 1900 am Deutschen Volkstheater in Wien. Die genauen Umstände dieser Aufführung, ja überhaupt das meiste, was biographisch über Adamus-Bronner bekannt ist, ist der voluminösen und kenntnisreichen Biographie Friedbert Aspetsbergers über Arnolt Bronnen zu entnehmen.131 Aspetsberger zeichnet die familiären und politischen Bedingungen genau nach, die 1930 in der Aberkennung der Vaterschaft Adamus-Bronners für seinen rechtlichen, aber wohl nicht leiblichen Sohn Bronnen führten. Die persönlichen Animositäten zwischen Vater und Sohn wiederholen nur in drastischerer Form, den eigenen Konflikt Adamus-Bronners mit seiner Herkunft. Er wurde 1867 als »Sohn streng orthodoxer Eltern in dem galizischen Städtchen Oswiecim – die Juden nannten es früher deutsch Auschwitz –, Kreis Krakau, geboren«.132 Aufwachsend in Bielitz (Bielsko-Biala) entfremdet er sich dem Judentum und assimiliert sich an das Deutschtum, das für ihn in erster Linie eine überlegene Kultur darstellt. »Sein erhoffter Aufstieg über Werte der Bildung stand im Gegensatz zur Welt der jüdischen Kaufleute, Fabrikanten, Advokaten usw., in die er nicht leicht eindringen konnte und deshalb nicht eindringen wollte«.133 In seiner frühen Studienzeit in Wien sympathisiert er mit deutschnationalen Kreisen, und deren antijüdische Haltung provozierte 1887 seinen Übertritt zum evangelischen Glauben. In seiner bis 1918 reichenden Autobiographie Nur Wahrheit verschleiert er seine Herkunft, die ihn jedoch bei Aufstieg des Nationalsozialismus wieder einholt, als sein Sohn, der sich der nationalsozialistischen Rassenideologie beugt, eine Vaterschaftsklage einreicht. Im Gegensatz zum Forschungsinteresse Aspetsbergers ist dieses Kapitel nicht biographisch ausgerichtet. Die Vater-Sohn Konflikte und die jüdische Religion spielen aber in der Familie Wawroch eine so große Rolle, dass der biographische Hintergrund zumindest in Ansätzen umrissen werden sollte. Auf die einfachste Fabel reduziert, wird Familie Wawroch zu einem phantasielosen Parallelstück der Weber: Die auf Grund der ausbeuterischen Arbeitsbedingungen unzufriedenen Arbeiter des mährisch-schlesischen Bergbaugebietes erheben 130 | Franz Adamus (d.i. Ferdinand Bronner): Familie Wawroch. Ein österreichisches Drama in vier Akten. Mit einem Geleitwort von Ernst Freiherren von Wolzogen. München Langen 1899. (im weiteren FW). 131 | Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹. Wien Böhlau 1995. 132 | Arnolt Bronnens verleugnetes Judentum. In: Abwehrblätter Jg. 40 (November 1930), S. 146f. Zitiert nach Ebd., S. 45. 133 | Ebd., S. 55.
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sich zum Streik, der nach zwei Wochen erfolglos durch das Militär niedergeschlagen wird, wobei der alte Wawroch, der außerhalb der Arbeiterschaft stehende Rädelsführer erschossen wird. Auf den ersten Blick scheint der Vergleich mit Hauptmann mehr Berechtigung zu besitzen als bei Langmann. Doch ebenso wie dieser benutzt Adamus-Bronner die Weber, die er nun auch in Österreich als bekannt voraussetzen kann, als Folie, um seine eigenen Vorstellungen zu transportieren, die im Gegensatz zu Langmann nicht auf die Wiederherstellung der Integrität der Arbeiterschaft abzielen. Die anders gelagerte Intention zeigt die Familientragödie der Wawrochs, die sozusagen die zweite, glaubt man dem Titel, die eigentliche Fabel des Stückes bildet. Robert Wawroch fühlt sich auf Grund seiner höheren Bildung und auch wegen seiner Schulfreundschaft mit dem Unternehmersohn Worliček nicht als Angehöriger der Arbeiterklasse. Er arbeitet als Maschinist, da er sein begonnenes Ingenieursstudium abbrechen musste, nachdem sein Vater, den er dafür verantwortlich macht, seine Angestelltenstelle wegen seiner politischen Aktivitäten und wohl auch wegen seines erhöhten Alkoholkonsums verlor. Als einziger im Haushalt kann er auf ein festes Einkommen zurückgreifen und versorgt so auch seine Mutter und die beiden Schwestern. Der Fall in die Armut scheint unausweichlich als der alte Wawroch unter Unterstützung Wiener Sozialdemokraten zum Streikführer avanciert. Für Robert bedeutet die neue Position seines Vaters den Verlust seiner gut bezahlten Stelle. Er sagt sich von der Familie los und tritt in Olmütz in die Armee ein, genau in die Einheit, die wenig später zur Niederschlagung des Streiks angefordert wird. Bei der Gewehrsalve, die den Aufstand brutal beendet, gibt Robert den letzten Schuss ab und tötet gezielt seinen wehrlosen Vater. Von seinem schlechten Gewissen an den Rand des Wahnsinns getrieben, verstirbt er bei der Enthüllung eines Erinnerungskreuzes für die Opfer des Streiks. Für Aspetsberger, der dem Drama einen eigenen Abschnitt widmet, ist die Familie Wawroch deswegen: ein sozialpolitisches Drama von großer Brisanz, das um eine, in die sich radikalisierenden sozialpolitischen Verhältnisse gebettete Familientragödie geschürzt wird und das darüber hinaus – wie der Untertitel ja kundtut – »ein österreichisches Drama« in der Darstellung der sozialen Gegensätze, die zunehmend in nationale abgedrängt werden, sein will. 134
Tatsächlich gibt sich Adamus-Bronner alle Mühe ein Gesamtbild des österreichischen Staatswesens auf die Bühne zu bringen. Die auftretenden Arbeiter stammen aus unterschiedlichen Regionen der Habsburger Monarchie und sprechen auch den jeweiligen Dialekt ihrer Herkunftsregion (Mähren, Schlesien, Steiermark, Wien). Der mährisch-schlesische Dialekt überwiegt und im Text werden mehrfach die Städte »Wutkowitz« (= Witkowitz) und Bielitz genannt, so dass die Verortung des fiktiven Handlungsortes Schönau im österreichisch-schlesischen Kohlenrevier 134 | Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹. Wien Böhlau 1995, S. 68.
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eindeutig ist. Unter die deutschsprachigen Arbeiter mischen sich auch tschechische, sowie ein Franzose. Im Gegensatz zu dem geschlossenen schlesischen Raum in Hauptmanns Webern setzt sich die Arbeiterschaft bei Adamus-Bronner nicht nur aus Einheimischen, sondern auch aus Wander- und Gastarbeitern zusammen. Er trägt damit den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen Rechnung, was sich auch in der Verlagerung des Milieus von der gewerblichen Textilproduktion zum hochindustrialisierten Bergbau ausdrückt. Den österreichisch-deutschen Antagonismus repräsentieren die preußischen Arbeiter, die von der Unternehmensleitung zur Umgehung der Streikmaßnahmen ins Land geholt werden. Neben den Arbeitern, die in sich noch in verschiedene Bildungs- und Ausbildungsstufen untergliedert sind, treten Angehörige aller gesellschaftlichen Schichten auf, wobei die bürgerlichen Unternehmer, die Vertreter der Staatsmacht und die Geistlichen, zwar den Handlungsverlauf entscheidend beeinflussen, aber erst im vierten Akt, nach der Niederschlagung des Streiks die Bühne ›erobern‹. Obwohl die Arbeiter bis auf den letzten Akt fast alle Szenen des Dramas beherrschen, ist Familie Wawroch kein Arbeiterstück im üblichen Sinne. Nicht allein die gemeinsame schlesische Herkunft verursachte, dass Ernst von Wolzogen in seinem langen Vorwort gleichsam die Patenschaft für das Stück übernahm. Für den ebenfalls aus Schlesien stammenden Literaturhistoriker Otto von Leixner zählt Wolzogen zu den deutschen Realisten, die sich selbstständig zu einer Kritik der sozialen Verhältnisse durchrangen und auf den Naturalismus als Übergangsphase verzichten konnten, während viele andere deutsche Autoren erst mühsam ihre Stellung zwischen den Anregungen aus dem Ausland finden mussten.135 Leixner schließt an den Modernebegriff des Positivisten Wilhelm Scherer an, der sich auf die innerdeutschen Entwicklungen konzentrierte.136 Diese Zugangsweise übernahm später Wilhelm Bölsche, der die Moderne in Anlehnung an Darwins biologische Erkenntnisse nicht als revolutionäre, d.h. plötzliche Erscheinung, sondern als evolutionäre, gemäß den gesellschaftlichen und künstlerischen Bedingungen folgerichtige Entwicklung verstand. Weniger für Bölsche als für Leixner und Wolzogen war damit eine antisozialistische, d.h. auch weitestgehend nationale Stoßrichtung verbunden, die Bronner in der Familie Wawroch aufnimmt. Im Vergleich mit den politischen Aussagen der Werke von Langmann oder Trübswasser nähert sich Adamus-Bronner den zentralen Themen des Naturalismus also von der entgegengesetzten Richtung. In kaum einem anderen Drama, das sich um diese Zeit mit den Problemen der Arbeiter auseinandersetzte, wird die Rolle der Sozialdemokratie so negativ gedeu135 | Vgl. Otto von Leixner: Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig Spamer 1910, S. 919ff. 136 | Vgl. Werner Kohlschmidt: Geschichte der deutschen Literatur vom Jungen Deutschland bis zum Naturalismus. Stuttgart Reclam 1982 2, S. 939f. und Werner Michler: An den Siegeswagen gefesselt. Wissenschaft und Nation bei Wilhelm Scherer. In: K. Amann/K. Wagner (Hg.): Literatur und Nation. Wien Böhlau 1996, S. 233-266.
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tet wie in der Familie Wawroch. Wenn Wolzogen als Stärke des Dramas ausmacht, nicht »Gerechte und Ungerechte« zu unterscheiden (Adamus, Familie Wawroch, S. X.; im weiteren Verlauf als FW), müssen die drei Abgeordneten der Wiener Sozialdemokratie, davon ausgenommen werden. Durch ihre Parolen vor den schwer alkoholisierten Arbeitermassen am Abend des ersten Maifeiertages schüren sie in unverantwortlicher Weise nicht nur die Bereitschaft zum Streik, sondern auch zur Gewalt, die nach ihren Erfahrungen aus der Hauptstadt notwendig zu ebensolchen Gewaltmaßnahmen durch die staatliche Macht führen muss.137 Das tragische Ende wird von ihnen billigend in Kauf genommen. Die Rede des Arbeiterführers Kalischer, eine der wenigen hochdeutschen Passagen im Stück, wirkt in ihrer Phrasenhaftigkeit wie aus politischen Werbezetteln und Parteiaufrufen zusammengesetzt. Im Bemühen um einen persönlicheren Ton entgleitet ihm die Sprache vollends ins banal Pathetische: Du armer Bergmann, der du dich den ganzen Tag in fortwährender Lebensgefahr schindest und plagst und noch nicht einmal so viel verdienst, um einmal am Tag ein Stückchen Fleisch mit Frau und Kindern essen zu können, du mußt dir vom Munde absparen und in die Bruderlade einzahlen! Und die Beamten, die zu fressen und zu saufen genug haben und nichts thun, als rabiat sein und eure Mädel und eure Frauen verführen – (Stürmische Rufe: Verfluchte Kerls! Wir wer’n as ihn’ ok heimzohln!) – die brauchen nichts zu zahlen. Ist das Gerechtigkeit? (FW, S. 43f.)
Der allgemeinen Ablehnung der Suggestivfrage folgt die Forderung, dass Gerechtigkeit nur durch Wahlerfolge der Sozialdemokraten zu erzielen sei. Das Ende der Rede, die auf ein klassenloses Arbeiterparadies hinausläuft, verdeutlicht, warum Aspetsberger auch eine »Inszenierung als Komödie« für möglich hält: Kalischer: Dann braucht ihr euch keine unnötigen Abzüge gefallen zu lassen, keine willkürlichen Lohnherabsetzungen (Rufe: Nein, niemols nich!) – dann habt ihr auch Geld, um zu leben! Und wenn euch etwas nicht recht ist, macht ihr Strike – (Stürmische Rufe: Ja, Strick, Strick mochen wer!) – und dann werden wir sehen, wer wird bitten kommen, daß ihr arbeiten sollt, ihr zur Bergdirektion oder die Bergdirektion zu euch! Heikovsky: Sie missens dann zu uns kummen! satraceni! Strick! Wiederholte Rufe: Jo, Strick! stryk! stricken mer! Hackelberger: Was die alleweil mit’n Strickn hobn! Söl, Schwinghammer, dos lass’ mer unsre Weiber mochen! (Lachen der Steirer) (FW, S. 45.)
Die Steirer, die sich hier so köstlich unterhalten, sind nur per Zufall in die Streikversammlung geraten. Als Hüttenarbeiter stehen sie eine soziale Stufe über den
137 | Unmissverständlich werden sie im Personenverzeichnis als »Agitatoren aus Wien« geführt.
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einfachen Bergmännern.138 Dieser geringe soziale Unterschied ermöglicht ihnen eine übergeordnete Position in den Auseinandersetzungen zwischen den Bergarbeitern und den Unternehmern. Die sozialdemokratischen Parolen verfangen bei ihnen nicht. Obwohl sie sich nicht gegen die Bergarbeiter stellen, ja mit ihnen bis zur Eskalation der Versammlung freundschaftlich auf einer Ebene verkehren, lehnen sie den Arbeitskampf ab und setzen auf Verhandlungen.139 Ihre ausgewogene und objektive Stellung bewahren sie auch gegenüber Robert Wawroch, der sich der aufgestachelten Versammlung entgegenstellt: Robert (heftig): Eire Not! Immer eire Not! Was liegt daran, wenn auch ein paar zu Grunde gehen! es sterben noch viel zu wenig! Wenn dafir nur andere freie und große Menschen werden könnten! Es giebt viel zu viel Vieh auf dieser Welt! (Stürmische Unterbrechung: A Gemeinheit is ok dos! Hiirn w’r ni on! – hanba!) […] Schaut eich doch um unter den Tieren! Sind da vielleicht alle gleich? […] Gibt es nicht höhere und niedere Tiere? – Ebenso giebt es auch höhere und niedere Menschen! […] Ihr zeigt hin auf die Reichen und sagt: Seht wie herrlich die leben! So gut müßt ihr’s auch haben! […] Ja, was ist denn also der Unterschied zwischen eich und den vielgeschmähten Geldprotzen? Gar keiner! […] Höheres, Größeres, Heiligeres kennt ihr auch nicht! […] Ach, zertreten mecht’ ich diese Brut der Gemeinheit! Und eiren ganzen Zukunftsstaat – mit Respekt zu sagen – auf den scheiß ich! (FW, S. 56-61)
Die Provokation endet im Tumult, der von den Steirern und dem Wirt nur notdürftig geschlichtet wird. Die Kritik am einseitigen materialistischen Gesellschaftsmodell verbindet Robert Wawroch mit Bartel Turaser. Die individuelle Erkenntnis Turasers, dem materialistischen Gewinnstreben, wenn auch aus gutem Glauben und in auswegloser Situation, Ehre und Gewissen geopfert zu haben, wird von Wawroch verallgemeinert. Die persönliche Ehre ist nur einer der höheren und heiligeren Werte, die Wawroch dem aus seiner Perspektive, rein materialistisch motivierten Sozialneid gegenüberstellt. Er propagiert stattdessen eine Ordnung der Ungleichheit wie sie in den Programmen des deutschen und österreichischen Konservatismus der Jahrhundertwende üblich ist.140 Die Akzeptanz eines gesell138 | Die steirischen Hüttenarbeiter bezahlen im Gasthaus anstandslos ihre Rechnung, während die Bergarbeiter noch ausstehende Beträge (teilweise) begleichen oder neu anschreiben lassen. 139 | Vgl. Otfried Schwarz: Das Recht in den sozialen Dramen. Erlangen Diss. 1936, S. 36f. 140 | Vgl. Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945. Darmstadt WBG 2001.
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schaftlichen Stufenmodells, das sich an der konkreten Situation des Staates und nicht an politischen Konstrukten und Theorien orientiert, ist eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale konservativen Denkens, und war dies auch schon vor Auftreten Nietzsches141 , dessen Sprachgewalt sich Robert Wawroch bedient.142 Die Einheit, von der alle gesellschaftliche Ordnung ihren Ausgang nimmt, ist das Volk, in seiner gegliederten Vielfalt, zugleich aber seinem unverwechselbar aus Herkunft und Sitten geprägten Charakter. Sein Aufbau ist ständisch, und die Freiheit des einzelnen besteht nicht in der allgemeinen Zubilligung von Wahlmöglichkeiten, sondern in der individuellen Entfaltung in der vorgegebenen Ordnung des Ganzen.143
Der Familie Wawroch ist ein langer Auszug aus Platons Staatslehre vorangestellt, der als Ahnherr des ständischen und konkreten Denkens der Konservativen gelten kann. Trotz aller Antikerezeption, die nachgerade im Werk Hauptmanns aufgedeckt werden konnte, ist ein derartig expliziter Verweis auf die Antike innerhalb des Naturalismus eine Besonderheit, die bei der Interpretation des Dramas nicht übergangen werden darf. Adamus-Bronner greift auf eine freie Übersetzung zurück, die den politischen Charakter der Sokrateischen Argumentation besonders herausstellt und sich damit maßgeblich von den aktuell greifbaren Platon-Ausgaben unterscheidet.144 Sie soll deswegen im Ganzen zitiert werden: Bürger, ihr seid Brüder, aber Gott hat euch verschieden gemacht. Einige von euch haben die Gabe des Herrschens, und sie hat er aus Gold gebildet, und darum genießen sie die höchsten Ehren; andere aus Silber, sie sollen der Beistand jener sein; andere wieder, die Ackerbauer und Handwerker sein sollen, hat er aus Kupfer und Eisen gemacht; und diese Arten werden sich im allgemeinen in den Kindern erhalten. Aber da ihr ursprünglich aus derselben Familie stammt, so wird ein goldner Vater manchmal einen silbernen Sohn haben, oder ein silberner Vater einen goldnen Sohn. Und Gott verkündet den Herrschenden 141 | Aspetsberger bezeichnet Robert Wawrochs Thesen ohne eingehende Analyse als »nietzscheorientierte Phrasen von der Ungleichheit der Menschen«. Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹. Wien Böhlau 1995, S. 67. 142 | Eine Zusammenstellung der Parallelstellen zwischen Wawrochs Argumentation und Nietzsches Also sprach Zarathustra gibt Andrea Rudolph: Modernität und mährisch-schlesische Regionalität im Naturalismus. Franz Adamus’ Familie Wawroch. In: Regionalität als Kategorie der Sprach- und Literaturwissenschaft. Herausgegeben vom Instytut Filologii Germa ń skiey der Uniwersytet Opolski. Frankfurt a.M. Lang 2002, S. 449-451. 143 | Gerhard Göhler/Ansgar Klein: Politische Theorien des 19. Jahrhunderts. In: Hans Joachim Lieber (Hg.): Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart. Bonn Bundeszentrale für politische Bildung 1993, S. 318. 144 | Modernere Übersetzungen bleiben näher am Text, so dass eher die Dialektik der Dialoge und die Richtigkeit ihrer Schlussfolgerungen im Mittelpunkt stehen. Vgl. u.a. Erich Loewenthal: Platon. Sämtliche Werke Bd. 2. Darmstadt WBG 2004, S. 120f.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE als obersten Grundsatz, vor allem über ihre Nachkommenschaft zu wachen und acht zu geben, was für Bestandteile ihrem Wesen gesellt sind. Denn wenn der Sohn eines goldnen oder silbernen Vaters eine Beimischung von Kupfer oder Eisen hat, denn befiehlt die Natur auch eine Veränderung seines Standes, und das Auge des Herrschenden soll nicht Mitleid mit seinem Kinde empfinden, weil es auf der Leiter niederzusteigen und Ackerbauer oder Handwerker zu werden hat; gerade wie vielleicht aus dem Handwerkerstande andere hervorgegangen sind, die zu Ehren emporsteigen und Aufseher oder Beistände werden. Denn eine Weissagung verkündet, wenn ein kupferner oder eiserner Mann den Staat beschütze, dann werde der Staat zu Grunde gehen. (FW, S. IV)
Das ständische Modell Platons wird von Adamus-Bronner nicht einfach auf die Verhältnisse des monarchistischen österreichischen Staates übertragen. Der vierte Akt der Buchausgabe zeigt die Herrschenden zu sehr als Zyniker, um sie einem ›modernen‹ Publikum als Identifikationsfiguren für einen gerechten Staat anbieten zu können.145 Da sich die ökonomische Führungsschicht, in Person der Unternehmersgattin Worlicek, der geistliche Stand und letztendlich auch die Sozialdemokraten durch ihre unverantwortliche Aufwiegelung der Arbeiter diesem Zynismus anschließen, bleibt die Frage nach demjenigen, dem die goldene Gabe des Herrschens zukommt. Robert Wawroch ist es nicht, denn auch sein sozialdarwinistischer Konservatismus schreckt vor der Vernichtung von Menschenleben nicht zurück. Diese kritische Sicht der Figur wird von Andrea Rudolph nicht geteilt, die den einzigen neueren Beitrag zur Familie Wawroch vorlegte. Ihr gilt Robert als Identifikationsfigur, da er gegen den im Drama vorherrschenden Determinismus »mit deutlichem Bezug auf Friedrich Nietzsche« rebelliert:146 Mit der zentralen Gestalt des Robert stellt der Autor die Frage nach dem Entscheidungsund Handlungsspielraum des einzelnen innerhalb der sozialen und ethnischen Determination. Auch andere Gestalten unternehmen Ausbruchsversuche aus den vorgeschriebenen
145 | Vgl. die Kommentare bei der Einweihung des Erinnerungskreuzes: »Voll wahren, tiefen Schmerzes treten wir heute an dieser Stätte, an der vor wenigen Wochen das Blut so vieler armer, irregeleiteter Menschen geflossen ist. […] Sie sind dem strafenden Arm der himmlischen Gerechtigkeit anheimgefallen.« (Frau Worli č ek, FW, S. 160) »Um so mehr als von Seiten der Gewerken, wie wir fest überzeugt sind, das Möglichste geschieht, um das Dasein der ihnen Untergebenen zu einem erträglichen, ja in vielen Fällen behaglichen zu gestalten. Man gönnt ja dem Bergarbeiter in seinem schweren und gefahrvollen Berufe allgemein ein gutes Auskommen; maßlose Ansprüche aber, die das ganze Erwerbsleben der Nation auf den Kopf stellen würden, müssten einmütig zurückgewiesen werden. (Der Regierungsvertreter, FW, S. 162). 146 | Andrea Rudolph: Modernität und mährisch-schlesische Regionalität im Naturalismus, S. 449.
D IE SOZIALE F RAGE Rollenmustern, aber keine formuliert das Bedürfnis nach Selbstbestimmung so bewußt wie Robert.147
Für Rudolph wird das Drama so zu einer antiken Tragödie und Robert Wawroch zu dem starken Protagonisten, der sich gegen die entfremdende materialistische Umwelt stellt und mit dessen »Schicksal kathartisch für das Recht ideeller Wertbestimmung geworben wird«.148 Die besondere Rolle Robert Wawrochs sei zugestanden, wie aber ist sein Verhalten zu bewerten. Fragt man nach den Motiven, die seinem Handeln zugrunde liegen, so steht der individuelle soziale Aufstieg an vorderster Stelle. Solange dieser reibungslos verläuft, besteht für Robert kein Grund sich gegen seinen Vater oder die gesellschaftlichen Verhältnisse aufzulehnen. Zumindest wird in der überlangen Exposition des ersten Aktes nichts darüber berichtet. Der Vater-Sohn-Konflikt bricht erst aus, als der eingeschlagene Lebensweg des Vaters die Pläne des Sohnes durchkreuzt. Die Sozialdemokratie und die Arbeiterschaft, die ihre politische Basis bedeutet, werden erst durch das Engagement des Vaters zum feindlichen Angriffsziel des Sohnes, der psychologisch nicht überraschend eine entschiedene Gegenposition zum Vater einnimmt. Da die Gründe für den Ausbruchsversuch Roberts im Familiären liegen, lösen sie auch nur die Familientragödie aus. Er stört zwar den Ablauf der Streikversammlung, aber seine provokanten Thesen stacheln die Arbeiter nur in der Richtung auf, die von den sozialdemokratischen Agitatoren sowieso vorgesehen war. Sein eigensinniges Verhalten trägt demnach wenig zur sozialpolitischen, ›österreichischen‹ Handlung des Dramas bei. Robert scheitert schließlich daran, dass er weder seine eigenen idealen Ansprüche in der gegebenen Situation in die Tat umsetzen kann noch den Nietzscheanischen Machtwillen mitleidslos auszuhalten bereit ist. Im Schlussmonolog des Stückes erkennt er seine individuelle Schuld, die nicht auf die politischen und ökonomischen Bedingungen zurückzuführen ist. Damit widerspricht er der Deutung der Ereignisse durch die Bergarbeiter: Hufnagel: No, und der Robert, der Wawroch Robert, der hot gor miss’n auf sein eig’nen Votter schiss’n! An wem liggt die Schuld? An unsere ganze national-sozialen Verhältnisse! (FW, S. 168)
Doch weder die Verhältnisse noch der »verdammte Militarismus« sind schuld am Tod des alten Wawroch. Die Verantwortung dafür muss allein Robert angetragen werden,149 denn sein Schuss fällt gezielt nach der befohlenen Salve seiner Kameraden. Nicht die unausweichliche Kraft des Schicksals zwingt Robert auf seinen Va147 | Ebd. 148 | Ebd., S. 453. 149 | Im Nebentext hält sich Adamus/Bronner eine deterministische Hintertür offen. Wenn er vor seinem Zusammenbruch im letzten Akt nochmals charakterisiert wird (»Robert in ziemlich verwahrlostem Zustande; sein bleiches und nervös zuckendes Gesicht erinnert
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ter zu schießen, sondern er stillt durch den Schuss seine individuelle »Rachsucht gegen den Zerstörer seines ganzen Lebens«.150 Die aktuellen Verhältnisse im österreichischen Staat, für die die Lage in mährisch Schlesien nur ein aktuelles Beispiel ist, werden deswegen von Adamus-Bronner nicht befürwortet. Der »Ernst der existentiellen Bedrohung der Arbeiter« bleibt gewahrt und die gesellschaftlichen Spannungen dominieren das Stück.151 Die Bergarbeiter können sich aber auch nicht selbst aus der Notlage befreien. Sie sind zu sehr verstrickt in einen Kreislauf von Armut, Schulden, Alkoholismus, Hunger und Unterdrückung, als dass sie zu einer planvollen Entwicklung des politischen Systems fähig wären, die nicht an kurzfristigen Lösungen ausgerichtet ist. Das angestaute Gewaltpotential taugt nur zu einer Revolution nicht zu einer allmählichen Evolution der politischen Verhältnisse.152 Ihre über die Quantität zu legitimierende sozialpolitische Kraft ist nicht zu nutzen, sondern sie sind lediglich als Masse parteipolitisch auszunutzen. Da Adamus-Bronner auch den herrschenden Ständen kein Vertrauen gegenüber bringt, ja sie im Sinne der Weissagung Platons als diejenigen Kupfernen und Eisernen betrachtet, die den Staat zugrunde richten, entsteht die Frage, ob überhaupt und welche Lösungsmöglichkeiten in der Familie Wawroch aufgezeigt werden, und wer der politisch-gesellschaftliche Träger sein soll, der den möglichen Ausweg bewerkstelligt. Um die entlegene Antwort plausibel zu machen, bedarf es eines komprimierten Überblicks über die Verteilung positiver und negativer Wertungen gegenüber den politischen Einstellungen, die den unterschiedlichen Figuren im Stück zugesprochen werden. Anerkannt wird die soziale Frage als drängendes politisches Problem und anerkannt werden die praktischen Forderungen der Arbeiter nach raschen Verbesserungen. Das gilt auch für die Forderungen der Sozialdemokraten, solange sie nicht für parteipolitische Taktik missbraucht oder als sozialistische Utopie idealisiert werden. Zumindest in Grundzügen wird die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs akzeptiert. Dafür stehen Schulbildung und abgebrochenes Studium Robert Wawrochs. Der Aufstieg ist jedoch nur durch eine Förderung der Arbeiterschaft durch den Staat oder die Unternehmer möglich. Roberts Aufstieg wird unterbrochen als sein Vater als Schreiber entlassen wird durch einen rötlichen Vollbart stark an seinen Vater«. FW, S. 160) erscheint er letztlich doch als Gefangener seiner Biographie und der seines Vaters. 150 | Heinrich Houben: Soziale Dramen. In: Bühne und Welt Jg. 1 (1898/1899) 2. Halbjahresband, S. 955. 151 | Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹, S. 66. 152 | Der hilflose Aktivismus zeigt sich am Ende der Streikversammlung: »Kalischer (halblaut zu Wawroch): Na, verkündigen Sie: die Resolution ist einstimmig angenommen. Wawroch (sich mit Mühe erhebend und automatisch nachlallend): Die Revolution ist – hmpf – einstimmig angenommen! (Kalischer und Hinterhuber verbeißen ihr Lachen, Weinlacher platzt damit heraus) Willinger: Wos sogt er? Die Revolution? Einige Stimmen: Jo, die Revolution! – Wer mocha a Resolutiun!« (FW, S. 65).
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und bricht vollends ab, nachdem die Familie des Fabrikbesitzers (Vater und Sohn) ihm die Unterstützung versagt. Schließlich wird auch das Streben nach höheren Werten, wozu ausdrücklich auch die Religion gehört, befürwortet und gegen den Materialismus abgegrenzt, der den Arbeiter auf seine animalischen Funktionen reduziert. Gleicht man dieses, freilich wegen der Literarizität des Textes nicht ausformulierte, politische Programm mit den Staatsmodellen ab, die um die Jahrhundertwende kursierten, wird man auf die staatssozialistischen Ideen konservativer Kreise verwiesen, die am nachdrücklichsten von Adolph Wagner formuliert wurden. Wagner war Anhänger der konstitutionellen Monarchie und eines starken Nationalstaates. Er befürchtete jedoch, dass die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf internationalem Parkett leiden könnte, »wenn die Konkurrenz auch im Innern uneingeschränkt walte«.153 Zur Einschränkung schlug er eine Ausweitung der Kompetenzen des Staates in der Sozialpolitik vor. Durch Fürsorgemaßnahmen sollte der Staat die Auswüchse des freien kapitalistischen Waltens einschränken und die daraus entstehenden Ungleichheiten in der Vermögensverteilung abmildern, für das man heute gern das Bild der Schere verwendet. Sein Ziel war es »immer weiteren Volkskreisen die Sicherheit und Selbständigkeit der wirtschaftlichen Existenz zu verschaffen«.154 Wagner sympathisierte früh mit der ChristlichSozialen Arbeiterpartei des Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker. Stoecker wollte durch die Gründung ein konservatives und religiöses Gegengewicht gegen die sozialdemokratischen Agitationen schaffen und drängte ebenso wie Wagner auf eine staatliche Lösung der sozialen Frage. Neben seinem sozialen Engagement war er wegen seiner vehementen Angriffe gegen das Judentum bekannt. Sein Antisemitismus war jedoch frei von völkischen oder rassistischen Elementen, entsprang dem missionarischen Eifer des evangelischen Theologen. Mit der vollzogenen Konvertierung galt ein Jude für Stoecker als ›vollwertiger‹ deutscher Staatsbürger. Diese Verbindung aus nationalen, sozialen und assimilierungsfreundlichen Programmpunkten war für den aus ärmlichen jüdischen Verhältnissen stammenden Adamus-Bronner attraktiv und erklärt vielleicht seine Entscheidung für das evangelische und nicht für das in Österreich überwiegende katholische Bekenntnis. Wagner wiederum war in Österreich kein Unbekannter. Er hatte seine Karriere an der Handelsakademie in Wien begonnen und bis 1863 auch mehrere Publikationen zur österreichischen Finanz- und Sozialordnung vorgelegt. Als führender Nationalökonom der Gründerzeit wirkte er auch auf die national-konservativen Kreise in der Habsburger Monarchie. Die Umsetzung der sozialpolitischen Zielvorstellungen von Wagner und Stoecker scheint in der Familie Wawroch bei den steirischen Hüttenarbeitern er-
153 | Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit, S. 203. 154 | Adolph Wagner: Briefe – Dokumente – Augenzeugenberichte 1851-1917. Hg. v. Heinrich Rubner. Berlin Duncker & Humblot 1978, S. 163. Zitiert nach: Ebd., S. 204.
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reicht.155 Ihre wirtschaftliche Existenz ist im Rahmen der gesellschaftlichen Möglichkeiten gesichert. Da sie sich in ihre vorgegebene Rolle fügen, stabilisieren sie die politischen Verhältnisse. Sie schließen sich keiner der streitenden Parteien an, bleiben über das gesamte Stück hinweg angenehm unaufgeregt. Basis für ihre ökonomische Besserstellung ist die berufliche Ausbildung, Grundlage für ihre Objektivität ist der höhere Bildungsgrad, der im Text sowohl an ihrer sprachlichen Kompetenz (komplexe Syntax, Verständnis der Fremdwörter, Wortspiele) als auch am kritischen Umgang mit fadenscheinigen Argumentationen nachzuweisen ist. Innerhalb ihrer christlich geprägten Glaubensvorstellungen entwickeln sie auch eine gewisse religiöse Toleranz, die sich deutlich von den antisemitischen Hetzparolen der Arbeiter abhebt. Die steirischen Hüttenarbeiter sind die Schlüssel- und Identifikationsfiguren des Stückes. Sie stehen für die legitime Forderung des einfachen Volkes nach einer sachgerechten schulischen und beruflichen Bildung, die einen begrenzten wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht. Dadurch wird dem Sozialneid, den Adamus-Bronner allen Konflikten zugrunde legt, der Boden entzogen und staatliche Gewaltmaßnahmen überflüssig. Diese Interpretation bezieht sich auf die Druckfassung des Dramas. Es ist fraglich, ob das Publikum bei Bühnenaufführungen, die ja in der praktischen Inszenierungsarbeit auch Streichungen am Text beinhaltet, die Steirer als ruhenden Pol im stark dramatischen Geschehen wahrnehmen konnte. Die Reaktionen auf die Aufführungen belegen, »daß die ›Bühnenfassung‹ in einem anderen politischen und sozialen Klima durchaus anpassungsfähig war«.156 Das Stück fand Anerkennung im Lager der Völkischen, Nationalisten und Monarchietreuen, und wurde zugleich vom sozialdemokratischen Abgeordneten Engelbert Pernerstorfer gelobt. Für die sich widersprechenden Auffassungen ist die Darstellung des Judentums mitverantwortlich, die nicht weniger anpassungsfähig interpretierbar ist wie die politische Intention des Stückes. Der Jude Schmelz ist der Besitzer des Wirtshauses, in dem sich die entscheidenden Szenen des Dramas abspielen. Mit seiner Entscheidung, den (ver-)hungernden Arbeiterfrauen und Kindern keinen Kredit mehr einzuräumen, trägt er entscheidend zur Eskalation des Streikes bei, in dessen Verlauf sein Lokal gestürmt und ausgeraubt wird. Seine Argumentation ist aus kaufmännischer Sicht nachvollziehbar, ist es doch geläufige Praxis der Arbeiter zu Monatsbeginn im »Grünen Baum« zu verkehren, dessen anscheinend deutscher Wirt auf Barzahlung besteht. Schmelz, der in gutem Glauben anschreiben lässt, ist erst dann zu keinen Zugeständnissen mehr bereit, als er per Zufall – die ursprünglich im »Grünen Baum« 155 | Die Steiermark galt am Ende des 19. Jahrhunderts als Eisenschmiede der Monarchie, und die Produkte der Hüttenwerke waren international anerkannt. Adamus-Bronner geht es in diesem Fall offensichtlich nur um eine realistische Wiedergabe der Arbeitsverhältnisse. Eine besondere sozialpolitische Bedeutung der Steiermark konnte jedenfalls nicht ermittelt werden. 156 | Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹, S. 69.
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angesetzte Streikversammlung wird polizeilich aufgelöst – erkennt, dass die Arbeiter (wie immer mit Ausnahme der Steirer) auch am Tag der Auszahlung nicht gewillt sind beim »Juden« zu bezahlen. Als Wirt ist Schmelz im Recht, als Jude ist er es nicht, denn als Jude steht er »unter anderen Gesetzen der Beurteilung« als sein Konkurrent.157 Das Drama erschien 1899 also im gleichen Jahr wie Houston Stewart Chamberlains Grundlagen des 19. Jahrhunderts, die nicht ohne Grund in Wien geschrieben, und nicht ohne denselben Grund rasch ins Tschechische übersetzt wurden.158 Was Adamus-Bronner darstellt, ist die Grundlage der Grundlagen, ein nah an der mährisch-schlesischen Realität beschriebener Antijudaismus und seine möglichen ›Begründungen‹ im Verhalten einzelner. Er gibt sich nicht wie Trübswasser mit der Verurteilung der rechtspopulistischen Christlich-Sozialen zufrieden, sondern zeigt den Vorrat an antijüdischen Vorurteilen, auf dem sie ihre politische Strategie aufbauten. Deswegen verzichtet er in der Figurenzeichnung bis in Sprache und Gestik nicht auf die zeitüblichen Klischeevorstellungen. Oberflächlich betrachtet, wirkt Schmelz als Karikatur des geldgierigen Juden wie er auch in der antisemitischen Presse erscheint. Er ist – allerdings ebenso wie die Arbeiter und die Parteiführer – nur am materialistischen Fortkommen interessiert, entsagt sich aller ›höheren Werte‹ und vor allem jeglichen religiösen und d.h. in Bezug auf das Judentum auch nationalen Stolzes. Als sich sein Sohn Wilhelm (!)159 über die Beleidigungen durch die Arbeiter erbost und ihnen nichts mehr bringen will, weist er ihm seine Rolle zu: Schmelz: Geh Wilusch, geb’ im den Schnaps! Wirste dich mit d’n Goj herausstell’n? Soll er sag’n Jud’! Biste kein Jud’? […] Was geht das dich an, was sie reden? Du schau auf das Geschäft! Un’ soll’n se red’n, was se woll’n. (FW, S. 10f.)
Das mauschelnde Deutsch, dessen Nachbildung in keiner antijüdischen Propagandaschrift fehlen durfte, unterstützt die Darstellung des jüdischen Stereotyps. 157 | »Wir stehen unter anderen Gesetzen der Beurteilung als andere Völker; ob wir nun wollen oder nicht – was wir Juden tun, vollzieht sich auf einer Bühne – unser Los hat sie gezimmert. Art und Unart anderer Völker wird selbstverständlich hingenommen. Aber alle Welt darf auf Publikumssitzen lümmeln und die Juden anstarren«. Richard Beer-Hofmann in: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten. Band I: 1897-1918. Heidelberg Schneider 1972, S. 327f. Zitiert nach: Marcel Reich-Ranicki: Über Ruhestörer. München dtv 1993 3, S. 44. 158 | Vgl. Werner Michler: Houston Stewart Chamberlain. Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. In: C. Niedermeier/K. Wagner (Hg.): Literatur um 1900. Wien Böhlau 2001, S. 79f. 159 | Wilhelm Schmelz ist die Hauptfigur von Bronners späterer Komödie Schmelz, der Nibelunge (Wien Wiener Verlag 1905). Dort versucht er sein Judentum, an das er nicht glaubt, durch Eintritt in die radikal germanische Burschenschaft Nibelungia zu kompensieren. Vgl. ebd., S. 73-75.
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In dieser Sprache kommuniziert Schmelz jedoch nur mit seiner deutsch-tschechischen Kundschaft. Der innerjüdische Dialog mit dem Kaufmann Rosenberg (!) verläuft in gutem galizischem Jiddisch, das sich, einschließlich der slawischen Einsprengsel, von aktuellen Lehrbüchern nur durch das Auslassen der hebräischen Schrift unterscheidet.160 Die Bühnenwirkung der jüdelnden und jiddischen Gespräche auf das Publikum der Jahrhundertwende ist für heutige Interpreten nach dem Holocaust kaum abzuschätzen, ebenso wenig auch, inwieweit die regulativen Kommentare der Arbeiter (»Die Christen sein oft noch Ärger« FW, S. 49) als solche wahrgenommen, überhört oder als sozialistisch-internationalistisches Geschwätz abgetan wurden. Die Intention des Textes oder gar des Autors in dieser Frage ist nicht annähernd rekonstruierbar. Hermann Bahr hatte den »Eindruck, als wollte es sich der Autor des Stücks mit allen Parteien verderben«. Plausibler erscheint, dass er es allen recht machen wollte.161 Vor allem sich selbst. Schließlich erlebte er die beschriebenen Milieus am eigenen Leib, hatte selbst den Weg vom armen galizischen Juden zum Christlich-Sozialen beschritten, kannte Diskriminierung und jüdische Reak160 | »Rosenberg: No, wie gehts geschäft? Schmelz: Hast e’ Frag’! Meine ›Ssonem‹ [Feinde] gesugt! … Un’ was gehnsie heint eppes schon so frih spazier’n? Bei Tug schon off die ›Schickses‹ [Dienstmädchen]? Rosenberg: Wie heißt: Schickses? – Wenn ich hab zugemacht s’Geschäft – Schmelz: Wie heißt zugemacht? Rosenberg: Wie heißt zugemacht? – (Erregt) ’ch hob’ take [wirklich] zigemacht! Kimmen mer nischt un du heint e’Schock Weiber vin die gruben in’ lamentieren in’ schrajen, ’ch miß sie geb’n off Borg! Se nemmen schon lang nix mehr beimer, se sennen mer noch choiw [schuldig] e’ pur Gilden vin friher – ’er’ ech leigen ’s Lebedige off’n Toiten herauf? ’ch geb’ se’ nix mehr!« (FW, S. 124f.). 161 | Wie brüchig die Existenz eines konvertierten Juden innerhalb deutschnationaler und völkischer Kreise war, zeigt der Wandel Ernst von Wolzogens zu einem glühenden Antisemiten. Unter dem Eindruck der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg, der in seiner Interpretation Plan einer jüdisch-demokratisch-bolschewistischen Weltverschwörung war, zeichnet er folgendes Zukunftsbild: »Was droht also aus unseren [sic!] Deutschland zu werden? Ein Versuchsfeld für die vom internationalen Judenrat geleitete Sozialdemokratie; ein Lausoleum für die Ostjuden, die bei uns gereinigt und westeuropäisch frisiert werden, bevor man sie auf die übrige Menschheit losläßt«. Ernst Freiherr von Wolzogen: Harte Worte, die gesagt werden müssen. Leipzig Hammer-Verlag 1919 2, S. 13. Inwieweit und wie lange hätte die gemeinsame Ablehnung der Sozialdemokratie den Ostjuden Ferdinand Bronner von diesen Hetztiraden befreit? Eine Antwort gibt vielleicht das Schicksal des Vorreiters des deutschgläubigen Neuheidentums Ernst Wachler, der vor dem Weltkrieg von der Heimatkunstbewegung (u.a. auch von Stauf von der March) als Inbegriff einer neuen deutschen Religion und Weltanschauung gepriesen wurde, nach dem Weltkrieg aber von den gleichen Kreisen wegen seiner jüdischen Herkunft zunehmend angefeindet wurde und im September 1944 als rassisch verfolgter im KZ Theresienstadt umgebracht wurde. Vgl. Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Darmstadt WBG 2001, S. 225-234.
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tion darauf. Eindeutig ist, dass die herausragende Rolle der Steirer auch in diesem Kontext gilt. Bauer, einer der Hüttenarbeiter heiratet Laura, die älteste Tochter von Schmelz gegen den Willen des Vaters, der sie verstößt. Sie konvertiert und wird daraufhin von den Steirern gemäß der deutschen Christlich-Sozialen Richtung im Sinne Stoeckers ohne Umschweife akzeptiert. Die Urteile der Literaturgeschichtsschreibung sind einhellig und monoton. Sie sehen die Familie Wawroch als »Arbeiterdrama«162 , »echtes Proletarierstück«,163 »kräftig bewegte(s) soziale(s) Drama«164 oder »krasse Elendstragödie«165 in der Nachfolge Hauptmanns und Langmanns. Allein über dieses thematische Moment erfolgt ihre Zuteilung Adamus-Bronners zum Naturalismus. Doch das Drama erfüllt auch die Kriterien der aktuellen Auseinandersetzung um den Naturalismus. Aus Raumgründen sollten die Textbeispiele in engen Grenzen gehalten werden. Die wenigen Auszüge genügen aber, um Bronners Bemühen um eine individuelle Sprachfärbung der einzelnen Figuren zu verdeutlichen, die Rückschlüsse auf ihre Herkunft und psychische Disposition erlaubt. Dadurch erzielt er die Bühnenwirksamkeit und die dramatischen Steigerungseffekte, die die Dramen seit Hauptmann auszeichneten. Auch die Ausführung zu eher formalen Kennzeichen konnten kurz gehalten werden, da das Stück die Entwicklung der naturalistischen Dramatik zur offenen Dramenform in allen Teilen nachvollzieht. Betont wurde stattdessen, wo die Familie Wawroch über den bestehenden Rahmen hinausgreift, nämlich in der gesamtgesellschaftlichen Kritik der sozialpolitischen Verhältnisse der Habsburger Monarchie. Bronner plädiert für eine Lösung der sozialen Frage durch die staatstragenden Schichten. Seine Lösung beruht nicht auf einer sozialistischen Umschichtung der Gesellschaft, sondern nimmt Positionen vorweg, die in der Zwischenkriegszeit innerhalb der konservativen Revolution wieder aufgegriffen werden. Dem deutschen Naturalismus ist diese rechtskonservative Auffassung weitgehend fremd. Sie fordert auch eine Absage an alle deterministischen Konzeptionen und einen vereinfachten Materialismus. Das Thema jüdische Integration wird nicht »nur am Rande« behandelt166, sondern ist einer der stärksten Reizpunkte im voranschreitenden ›österreichischen Drama‹ der Jahrhundertwende, das Adamus-Bronner durch eine Fokussierung auf die mährisch-schlesische Bergbauregion zuspitzt. Es ist ihm deswegen nicht vorzuwerfen, dass er die religiöse Seite zugunsten der gesellschaftlichen Konnotationen vernachlässigt.
162 | Herbert Zeman: Die österreichische Literatur der Jahrhundertwende, S. 25. 163 | Heinrich Houben: Soziale Dramen, S. 954. 164 | Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen, S. 48. Mühlberger gibt leider ohne Begründung an, dass Familie Wawroch noch vor Hauptmanns Webern entstanden sei. 165 | Oswald Floeck: Die deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 70. 166 | Friedbert Aspetsberger: ›arnolt bronnen‹ S. 67.
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Robert Saudek Die Aufnahme in dieses Kapitel verdankt der 1880 in Kolin in Böhmen geborene Robert Saudek dem offeneren Naturalismusbegriff von Oswald Floeck, denn für Floeck sind die Auseinandersetzungen mit dem Bezugsfeld Lehrer – Erziehung – Schule eine Folgeerscheinung des Naturalismus. Bestätigung fände diese These durch die Erzählung Der erste Schultag aus Papa Hamlet, zweifelsohne ein Musterbeispiel der Kleinprosa des konsequenten Naturalismus. Floeck konzentriert sich in dem betreffenden Abschnitt aber auf das Drama und sieht deswegen als Initiationstext Max Dreyers Schauspiel Probekandidaten (1899), »in dessen Gefolge eine ganze Reihe mehr oder minder gelungener Tendenzstücke gegen Schule und Lehrstand aufmarschierten, […] die nicht wenig zur Untergrabung der Autorität als solcher beitrugen«.167 Auf dem Scheitelpunkt dieser Welle erschienen 1904 die von Holz und Jerschke verfasste Tragikomödie Traumulus und Robert Saudeks Eine Gymnasiastentragödie.168 Trotz der komödiantischen Elemente wirkt die vorgenommene Schul- und damit Gesellschaftskritik im Traumulus auf den Leser. Die Wirkung der ernst aufgegriffenen Themen bei Saudek, Religion, Vererbung, Nationalismus, Großstadt und nicht zuletzt moderne Erziehungsmodelle verpufft dagegen durch die platten und zugleich überzogen pathetischen Figurenreden: Seemann: Mein Gott ich habe dich angerufen um ein Zeichen und habe geschworen, dir zu dienen, wie dir noch nie gedient wurde, wenn du meine Bitte erfüllst und zeigst, daß ideale Jugendkraft und Laster nicht gleich sind vor deinen Augen. Du hast meine Bitte erhört und hast Lienhardt in Reue sterben lassen. Hilf, rette Herpich, daß er leben kann und zeige denen, die an dir zweifeln, daß du bist und der Menschen Schicksal leitest. Großer Gott, du hast meine Bitte erhört.169
Der hier in alttestamentarischer Wortgewalt Gott anruft ist ein 17-jähriger Schüler in der Obersekunda eines böhmischen Provinzgymnasiums. Seemann ist der Führer einer kleinen Gruppe, die in ihrer selbstproduzierten Zeitschrift ein Spottgedicht auf den Direktor des Gymnasiums anfertigten, in dem sie sich gegen die Einflussnahme der Schulleitung auf ihre Privatsphäre auflehnen.170 Die Sitzung des Lehrerkollegiums zu Beginn des Stückes, die schließlich die Relegierung von 167 | Oswald Floeck: Die deutsche Dichtung der Gegenwart, S. 67. 168 | Robert Saudek: Eine Gymnasiastentragödie. Berlin Concordia 1907. 169 | Ebd., S. 64. 170 | Nur als Kuriosum am Rande sei erwähnt, dass Saudek in den 1920er Jahren graphologische Gutachten für Thomas Bat’a sen. anfertigte, mit denen dieser seine Angestellten kontrollierte. Saudek gehörte in der Vorkriegszeit zu den führenden Graphologen Europas. Die damals erstmalig angewendete Unternehmensstrategie (Bat’a-Philosophie) strebte die größtmögliche Beeinflussung der Arbeiter durch die Firmenleitung an. Vgl. Hier spricht der Chef. In: Der Spiegel 27. Mai 1953, S. 16-19.
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sechs Schülern beschließt, demonstriert dieses Einwirken auf den privaten Bereich, denn das Pamphlet wurde weder verkauft noch verteilt und kursierte, so weit es die Angaben im Stück zulassen, lediglich im Klassenverband, wo es von einem Lehrer zufällig entdeckt wurde. Zeitungsprojekt und Gruppe selbst sind, so stellt sich im letzten Akt heraus, ein Experiment des Klassenlehrers Dr. Hopp, der den Möglichkeiten der zielgerichteten Vererbung geistiger Grundlagen nachspürt. Ist ein idealer Jugendtypus über Generationen hinweg heranzuzüchten? Er verneint jedoch jegliche Theorienbildung, da die Natur »nach unerklärlichen Gesetzen handelt«. Daraus leitet er sein pädagogisches Credo ab, »daß dem Individuum die geistige Rastlosigkeit zum Instinkt werde.«171 Seemann der zu Beginn des Stückes als Verkörperung der Ideen seines Lehrers erscheint, ist zu sehr Stimmungsmensch, um die pädagogisch pragmatische Komponente dieses Lehrkonzeptes umzusetzen. Da er die jugendbewegten Ideale der moralischen und körperlichen Reinheit absolut setzt, kann er den Schwächen seiner Kameraden keine Toleranz gegenüberbringen. Um die Reinheit der Gruppe zu bewahren, erbittet er von Gott den Tod seines Mitschülers Lienhardt, der sich im Bordell angesteckt hat. Den Selbstmord Lienhardts betrachtet er als Zeichen Gottes und als persönliches religiöses Erweckungserlebnis. Der neu gefundene Gottesbezug und die pseudoreligiösen Werte der sektiererischen Jugendgruppe172 verdichten sich bei ihm zu einer Art idiosynkratischer Heilsgewissheit, die der suchenden Rastlosigkeit Hopps entgegensteht. Jeder Angriff auf die In-group wird zum eschatologischen Problem, das die Fürbitte für Herpich im oben angegebenen Zitat verdeutlicht. Eine völlig überzogene Reaktion, denn die angemahnte Lebensbedrohung besteht in der Ankündigung seines Vaters, ihn wegen des Verweises von der Schule zu Tode zu prügeln. Eine zweifellos wenig einfühlsame, aber doch in der ersten Gemütsaufwallung mit familiären Problemen konfrontierter Väterseelen selten ernst gemeinte Taktik überforderter Haushaltsvorstände. Herpich ergreift am Ende wie die anderen, gestützt durch eine frische Liebesbeziehung, den sich bietenden Strohhalm und kehrt in die Familie und an die Schule zurück, um nach dem Abitur sein erwünschtes naturwissenschaftliches Studium aufzunehmen. Seemann jedoch ist zu keiner zwischenmenschlichen Beziehung außerhalb der Gruppe fähig. Weil er den ›Verrat‹ an den idealistischen Vorstellungen nicht erträgt und überdies seinen Führungsanspruch untergraben sieht, greift er zu einer letzten Stilisierung: Seemann (heftig): Wenn ich einzeln stehe, so will ich auch einzeln für meine Idee fallen. Bis zur siegreichen Schlacht habt ihr bei mir gestanden. Und plötzlich werdet ihr mit Blindheit geschlagen und seht nicht, daß wir gesiegt haben und lauft feige in das Lager der besiegten. Ich aber bin nicht feige: entweder Sieger oder tot. (.) Sieh mich an, freudig und frei steh 171 | Beide Zitate ebd., S. 121. 172 | Die Jungen lassen sich u.a. ihre Erkennungsmelodie auf den Unterarm tätowieren. Ebd., S. 31.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE ich da. Siehst du es, ich lache, Wiehert, künde es der Welt, daß du mich hast lachen sehen. Leb wohl!173
Recht geschickt hinterfragt Saudek in dieser Passage die Bildungswelt eines Abiturienten der Jahrhundertwende. Seemann als moderner Leonidas taucht seinen Schlussmonolog in eine Mischung aus Bibelzitaten und zeitbestimmten militaristischen Phrasen. Damit wird ein Großteil des geistigen Potentials aufgerufen, das kaum ein Jahrzehnt später mühelos mobilisiert werden konnte. Die »Abstecher nach Berlin«,174 die Maderno Saudek vorwirft, haben hier ihre Grundlage. Die politische Atmosphäre innerhalb des Lehrerkollegiums und unter den Schülern entspricht eher den ehrgeizigen Parolen des wilhelminischen Deutschland als dem, an Herbart ausgerichteten, Bildungssystem der Habsburger Monarchie. Auch Herpichs Wunsch in die Großstadt zu ziehen, um den »Glaube(n) an die Vergangenheit und an die Zukunft unserer Nation, die Kraft, das Siegel unserer Eigenart der anderen Welt einmal aufprägen zu können«175 klingt nach der außenpolitischen Vision Bülows, am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Im selben Jahr wie die Gymnasiastentragödie erschien Saudeks Gesellschaftsroman Dämon Berlin, in dem er die reichsdeutsche Hauptstadt als kapitalistischen Moloch zeichnet, der jegliche persönliche Entfaltung des Individuums verhindert. In diesem Sinne warnt auch Dr. Hopp seinen Musterschüler Herpich: »in der Natur blüht keusche Reinheit, in der Großstadt nicht. […] Hüten sie sich vor der Großstadt«.176 Die Abkehr von Berlin hat Saudek mit den Naturalisten gemein. Viel mehr ist es nicht. Die Sprache ist konventionell und die Dialoge wirken an manchen Stellen überformuliert. Die Abiturienten sprechen ein gedrucktes Deutsch, ohne Einschübe, Unterbrechungen, Zwischenlaute oder Aposiopesen. Läge hier ein realistisch-naturalistisches Mimesiskonzept zugrunde, möchte man sich als Betreuer und Opponent schriftlicher studentischer Arbeiten der gegenwärtigen Generation in diese Zeit zurückwünschen, doch das ist nicht der Fall. Saudek ist nicht an einer realistischen Wiedergabe der Zeitverhältnisse interessiert. Deswegen verwendet er auch keines der formalen Mittel, die von den naturalistischen Autoren seit den 1880er Jahren bereitgestellt wurden. Selbst die ausführlichen Beschreibungen des Bühnenbildes, die in der Nachfolge Hauptmanns zum Standardmerkmal naturalistisch angehauchter Autoren degenerierten, fehlen bei Saudek. Die Gymnasiastentragödie ist wirklich eine Tragödie, die sich, abgesehen von dem fehlenden fünften Akt, dem Freytagschen Pyramidenmodell unterordnet. Die handlungsbegleitenden Motive, die das Drama mit dem Naturalismus verbinden, konzentrieren sich auf den Lehrer Hopp und die beiden Schüler. Die Kritik ist nur oberflächlich gegen die Schule als Institution und die Gesellschaft gerichtet. 173 | Ebd., S. 141f. 174 | Alfred Maderno: Die deutschösterreichische Dichtung der Gegenwart, S. 195. 175 | Robert Saudek: Eine Gymnasiastentragödie, S. 117. 176 | Ebd.
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Im Mittelpunkt steht die Entwicklung des Individuums. Obwohl Saudek keine expliziten Altersangaben macht, ist das Lebensalter Hopps in etwa aus seiner abgelegten Promotion, der anschließenden Publikation eines zweibändigen Werkes zur pragmatischen Pädagogik und seiner Stellung innerhalb des Lehrerkollegiums zu erschließen. Er dürfte um die vierzig sein und damit, da das Stück ausdrücklich in der Gegenwart spielt, der Generation der Mitte der 1860er Jahre Geborenen entstammen, der auch die meisten Naturalisten angehörten.177 Ursprünglich Anhänger der Naturwissenschaften und besonders der Determinationslehre kapriziert er sich nun auf die Rolle des genialen und damit der Gesellschaft enthobenen Individuums, für den die im Naturalismus gefeierte Natur lediglich zum symbolischen Abbild des menschlichen Zusammenlebens wird. Die Natur wird der Philosophie zurückgegeben oder dient als lebensreformerischer Ort der Reinheit. Durch seine Erfolge zu Reichtum gelangt, missachtet er die soziale Frage und bringt auch den unterschiedlichen sozialen Milieus seiner Schüler kein Verständnis entgegen. Hopp ist, so viel lässt sich aus den vereinzelten Äußerungen ohne interpretatorischen Mutwillen herauslesen, ein geläuterter Naturalist, der sich zum modernen Ästheten gewandelt hat. Die Gymnasiastentragödie ist kein naturalistisches Drama, aber die ästhetische Wende Hopps, das Gottsuchertum Seemans, der soziale Messianismus Herpichs und das allgemeine Interesse Saudeks an der Darstellung von Außenseitern bestätigen eine These Ludvik Václaveks, die er 1982, in einem der wenigen grundlegenden Beiträge nach dem Höhepunkt der deutschen Naturalismusforschung formulierte: Der so oft vorausgesetzte unüberwindliche Widerspruch zwischen Naturalismus und Moderne, oder wenigstens die große Entfernung zwischen ihnen, ist nichts anderes als eine optische Täuschung, daraus entstanden, daß die Literaturgeschichte generationenlang in vieler Hinsicht die Kriterien und Horizonte einer wenig distanzierten Wertung übernommen und sie nicht hinreichend überwunden hat.178
Das Drama Saudeks kann nicht das ausschlaggebende Kriterium für den Wahrheitsgehalt dieser These sein. Dazu sind seine Figuren zu schablonenhaft und sein ästhetischer Anspruch zu gering. Nicht abzusprechen ist ihm, dass er einige Symptome der Zeit richtig deutete, doch zeigt sein fast zeitgleicher Wechsel zum Boulevard,179 dass die verkaufsorientierte Zusammenstellung aktueller, meist 177 | Vgl. Günther Mahal: Naturalismus, S. 29. 178 | Ludvík E. Václavek: Einheitlichkeit oder Widerspruch? Naturalismus und Moderne in der deutschsprachigen Literatur um 1900. In: Neohelicon IX (1982) Bd. 1, S. 143. Der Beitrag liegt nun auch vor in: L. Topol’ská/L. Václavek: Beiträge zur deutschsprachigen Literatur in Tschechien. Olomouc Universitätsverlag 2000, S. 57-67. 179 | Dieser Wechsel wird von Saudek teilweise schon in Dämon Berlin (1907) vollzogen, kommt aber am stärksten in der beliebigen Aneinanderreihung von zeitgenössischen
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hintergrundsfrei diskutierter Themen und Stoffe der ernsthaften Auseinandersetzung mit dem sich vollziehenden gesellschaftlichen und literarischen Wandel widerstrebt. Die beiden im nächsten Kapitel vorgestellten Autoren lassen in dieser Hinsicht größere Klarheit erwarten.
Franz Schamann und Eugen Schick Das literarische Werk beider Autoren weist kaum Gemeinsamkeiten auf. Deswegen ist es vielmehr der gemeinsame Rezeptionshintergrund, der eine Verbindung in einem Kapitel erfordert. Handelt es sich doch bei Schamann und Schick um die »zwei begabten naturalistischen Dichter[n], die heute vergessen sind, weil sie beide sehr jung starben«180, denen Robert Musil den Stoff zum Törleß zur literarischen Verarbeitung anbot. Die Tagebuchnotiz stammt aus dem Jahr 1935 und stimmt mit der anfangs vorgestellten literaturgeschichtlichen Übersicht überein. In der Literaturgeschichte Mühlbergers von 1929 wird Schamann nur beiläufig erwähnt und im Register gar zu »Scharmann« verstümmelt.181 Schick findet in keiner der angeführten Literaturgeschichten Aufnahme, weder als Naturalist noch als Vertreter einer anderen künstlerischen Strömung der Moderne. Dieses Ungleichgewicht setzte sich auch in der späteren Rezeption fort. Schamann wurde bereits 1968 von Karl Corino als Weggenosse Musils identifiziert,182 über den zweiten Autor wurde 1975 noch spekuliert (Strobl, Langmann),183 ehe Adolf Frisé auch hierin Klarheit erzielte.184 Dementsprechend unterschiedlich ist auch die wissenschaftliche Aufbereitung beider Autoren.185 Ob dieses Ungleichgewicht bereits zu Themen und Figurenkonstellationen aus dem Trivialroman zum Ausdruck, die im Roman Eine Heilige und zwei Sünder (Dresden Carl Reissner 1912) über 460 Seiten den Leser langweilen. 180 | Robert Musil: Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden (hg. v. A. Frisé) Hamburg Rowohlt 1955, S. 803. 181 | Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen. Kassel Stauda 1929, S. 46 und S. 274. 182 | Karl Corino: Törleß ignotus. Zu den biographischen Hintergründen von Robert Musils Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. In: Robert Musil. Text + Kritik Bd. 21/22. München 1968, S. 69. 183 | Vgl. Murray G. Hall: Der Brünner literarische Küchengarten oder: Ein Nachtrag zur Beziehung Robert Musil – Franz Schamann. In: Musil Forum Jg. 2 (1975) Heft 2, S. 197-200. 184 | Robert Musil: Tagebücher. (Hg. v. Adolf Frisé) Hamburg Rowohlt 1983 (ergänzte Auflage), Band 2, S. 800 und S. 10f. 185 | Zu Schamann erarbeitete Reinhild Kaufmann eine Dissertation, die ungedruckt blieb (Franz Schamann. Eine Monographie. Innsbruck 1974). Die Arbeit enthält eine nahezu vollständige Bibliographie der Publikationen Schamanns in Zeitungen und Zeitschriften. Dieselbe Autorin untersuchte auch die Beziehung zwischen Schamann und Ludwig von Ficker. Vgl. auch Zden ěk Mare č ek: Mähren und Mährer bei Franz Schamann. In: Brünner
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der Zeit bestand als Schamann und Schick zusammen mit dem jungen Musil und anderen Brünner Schriftstellern eine Freie Vereinigung zu Pflege der modernen Kunst gründeten, ist zumindest fraglich.186 1902 ist es jedenfalls Schick, der die neue Interessenverbindung zur mährischen Moderne deklariert und mit einem kurzen ästhetischen Programm charakterisiert. Musil schienen die Erlebnisse aus der Militärakademie in Mährisch-Weisskirchen für eine eigene Ausarbeitung zu drastisch und er meinte sie bei Schamann, der von Strobl als »Übernaturalist« der Brünner Literaturszenen bezeichnet wurde, besser aufgehoben. Dass Schamann vor drastischen Themen nicht zurückschreckte, zeigt schon sein erstes Drama Liebe (1901).187 Wer darin eine Weiterführung der Schnitzlerschen Liebelei erwartete, sah sich auf zynischste Weise bestätigt. Während bei Schnitzler die ›wahre‹ oder ›echte‹ Liebe als (unerfüllbares) Ideal im Hintergrund denkbar ist, sind die Liebesbeziehung in Schamanns Drama auf den niedrigsten Stand von bewusst inszenierten oder erzwungenen Abhängigkeitsund Ausbeutungsverhältnissen gebracht. Die geballte Ladung an Widerwärtigkeiten und Gewaltszenen im Verein mit der ungewöhnlich präzisen Deklarierung des Dargebotenen als in der Realität verankertes Volkstück,188 überstieg wohl auch bei den naturalismus-erprobten Zeitgenossen das Maß des Erträglichen. Sophie Nowak, eine Typisierung des süßen Mädels, unterhält mancherlei Liebesbeziehungen, darunter zu Offizieren und verheirateten Männern, von denen sie sich aushalten lässt. Nun lernt sie Ernst Lobner kennen, der ihr augenblicklich verfällt. Blind vor Liebe glaubt er an Sophies vorgebliche Ausbildung im Kloster, die ihre häufige Abwesenheit von zu Hause erklären soll, und bereitet die Hochzeit vor. Sophie denkt überhaupt nicht daran ihre amourösen Abenteuer aufzugeben, willigt aber ein, um den größtmöglichen finanziellen Ertrag für sich und ihre Familie herauszuschlagen. Lobner verlässt Sophie weder als ihm ihre mehrfache Untreue entdeckt wird, noch nachdem ihm seine Mutter wegen der ungehörigen Beziehung verstößt, noch nachdem er erkennt, dass auch die anderen Familienmitglieder ihn nur in seiner Funktion als »Weihnachtsgans« respektieren.189 LetztBeiträge zur Germanistik und Nordistik IX (1994), S. 83-92. Zu Schick liegen erst in letzter Zeit zwei Diplomarbeiten vor: Silvie Léblová: Sechs vergessene deutschsprachige Dichter aus Brünn. Olomouc Typoskript 2001 und Tomáš Butala: Eugen Schick. Brünn Typoskript 2006. Dazu der Eintrag von S. Léblová in LDA 2003. 186 | Vojen Drlík (Robert Musil – Brno Inkognito, S. 130) rechnet Schamann nebst Schaukal zu den bereits arrivierten Künstlern in diesem Kreis, der im März 1900 erstmals in Erscheinung trat. Allerdings weist Kaufmann keine Publikation Schamanns vor diesem Termin nach. 187 | Franz Schamann: Liebe. Volkstück in 4 Akten. Wien Wiener Verlag 1901. 188 | »Die Vorgänge spielen in einem [gemeint wohl ›Ende‹, J.K.] der Neunziger-Jahre zu Brünn, in einem der letzten Häuschen der Gomperzgasse«. Schamann: Liebe, S. 1. 189 | Der dritte Akt gruppiert die Dialoge tatsächlich um die Aufteilung der Weihnachtsgeschenke, die Lobner geschickt hat.
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lich überdauert seine Liebe sogar den Tod der inzwischen an Syphilis erkrankten Sophie190, obwohl er durch sie zum Dieb an seiner eigenen Familie wurde. Das latente Konfliktpotential aus Lug und Trug, das die zwischenmenschlichen Beziehungen in den Werken Schnitzlers auszeichnet und auch im Leben seine Fortsetzung fand,191 wird hier auf offener Bühne durch einen mehr dümmlichen als idealistischen Liebhaber zur Strecke gebracht. Eingerahmt wird die einseitige Liebesbeziehung zwischen Lobner und Sophie durch andere gescheiterte oder gerade scheiternde Mann-Frau-Konstellationen: ungewollte Schwangerschaft, Gewalt in der Ehe, erzwungene Heirat aus Nützlichkeitserwägungen, wegen finanzieller Habgier sitzen gelassene Ehefrau, Ehebruch usw. Alle Handlungsstränge fließen bei Josefa Nowak, der verschlagenen Mutter Sophies und weiterer drei Kinder, zusammen. Unter zur Schau getragener, aber bigotter Frömmigkeit beeinflusste sie das Schicksal ihrer Kinder im Vorfeld der Handlung, und konzentriert sich nun auf ihren Liebling Sophie. Es gelingt ihr alle Familienmitglieder, einschließlich der Enkelkinder, an dem Netz aus Lügen und Intrigen zu beteiligen, das Lobner immer enger in die Familie Nowak verstrickt. Der körperliche und moralische Verfall der Familie ist in diesem Milieu unausweichlich und Josefa Nowak verkörpert das Degenerationsmoment auf der Bühne. Im letzten Akt wird ein Hoffnungsschimmer angedeutet, indem die älteste Tochter diese Kette zu durchbrechen versucht. Nachdem sie ihren halbseitig gelähmten, ständig betrunkenen und gewalttätigen Ehemann erwürgt hat, weil er sie seine Schulden beim Kaufmann ›abzuarbeiten‹ nötigt, belässt sie ihre beiden Kinder bewusst im Erziehungsheim, in das sie nach dem zwischenzeitlichen Gefängnisaufenthalt Tonis gebracht wurden: Josefa: Du Toni! was is’ ’s mit Deine Kinder Toni (matt): Was soll denn mit ihnen sein? Josefa: No, ich mein’, ob Du sie nit zu mir gibst (zögernd) wenn jetzt die Sophie stirbt? Toni (barsch, indem sie sich rasch erhebt): Nein, die bleiben dort, wo sie sind! Ich war gestern beim Bürgermeister Winterholler, und der hat mir versprochen. daß beide gut erzogen werden, und wenn der Mann ’was sagt, dann g’schieht’s auch! er hat mir, wie ich freig’sprochen worden bin, gleich die Stell’ im Spital verschafft, er wird auch für die Kinder sorgen. Josefa: No, ich hab’nur g’meint, daß es vielleicht bei der Großmutter besser wär’, als im Spital Toni: Ich seh’, wie gut sie’s hätten; das beste Beispiel für ihre Erziehung ist die Sophie! (Mit Nachdruck.) die letzte Class’ Ihrer Schul’ – ist das Spital!192 190 | »Lobner (hebt sie auf, nicht ohne ein Gefühl des Ekels, welches in ihm aufsteigt, unterdrücken zu können). Geh’- Geh’! Du hast mir eine bitt’re Lehre für mein Leben gegeben – ! – ich – verzeih’ Dir!« Schamann: Liebe, S. 132. 191 | Vgl. Adele Sandrock und Arthur Schnitzler: Dilly. Geschichte einer Liebe in Briefen, Bildern und Dokumenten. Hg. v. Renate Wagner. Wien Amalthea 1975. 192 | Franz Schamann: Liebe, S. 117f.
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Die eingeleiteten Hilfsmaßnahmen des Bürgermeisters kommen überraschend und wirken unglaubwürdig. Wie nicht anzunehmen ist, dass der Bürgermeister sich auf ein persönliches Gespräch mit Toni einlässt, so wenig glaubhaft sind auch die andren Figuren angelegt. Die Glaubwürdigkeit wird zudem durch die Sprache kaum unterstützt. Alle Figuren befinden sich in psychischen Ausnahmezuständen, die sich in den Figurenreden nicht ausreichend niederschlagen, weil keine individuellen Merkmale erkennbar werden. Schamann wählt durchgehend einen gemäßigten Dialekt, wie er auch aus anderen Volkstücken dieser Epoche geläufig ist, und schafft es damit nicht, seine Figuren über die dargestellten Situationen hinaus eingehender zu charakterisieren. Der biedere Umgang mit den sprachlichen Mitteln der Moderne wurde von Reinhild Kaufmann als allgemeine Schwäche der Werke Schamanns identifiziert. »Für Schamann selbst war die Sprache nie ein Problem. Sein Hauptanliegen war immer die Thematik«.193 Da kaum eine Handlungsmotivation begründet wird, wirkt vieles überzeichnet. Darunter leidet besonders die Figur Lobners, dem man innerhalb der Grenzen der dargestellten Lebenswelt und den Vorgaben des naturalistischen Dramas, seine bedingungslose Liebe nicht abnimmt. Schamann bedient sich der gewohnten Motive des naturalistischen Dramas. Prostitution, Alkoholismus, soziale Gewalt und Armut verdichten sich zu einem Milieu, in dem die moralischen und strafrechtlichen Vergehen fast überdeterminiert erscheinen. Formale Elemente u.a. die ausgiebigen Anweisungen an den Regisseur hinsichtlich Bühnenbild und Figurenverhalten, aber auch die zwischengeschalteten Episoden unterstützen den Eindruck, sich in einem naturalistischen Stück zu befinden. Damit kontrastiert aber Lobners Lebensanalyse: Lobner: Ich weiß jetzt, was die Sophie ist, und dennoch lieb’ ich sie – sie kommt mir vor wie eine Giftblume, deren Gefahr wir kennen, aber trotzdem immerfort ihren Geruch einsaugen; er berauscht uns, und das ist der Reiz, der uns fesselt. Der hält’ [sic!] mich hier, ich kann mich nicht losreißen – wenn’s auch mein Unglück ist – - -194
Das Motiv der Verführerin ist im Naturalismus nicht unbekannt, nachgerade die Vorbilder Ibsen und Hauptmann entwarfen paradigmatische Charaktere, die aus Gründen des sozialen Aufstiegs oder finanzieller Absicherung den männlichen Protagonisten an sich zu binden wissen. Die Diktion dieser Stelle, die Verbindung von Gift, Rausch und nervöser Reizbarkeit erinnern aber eher an Stilmerkmale der Decadence. Sophie fängt ihre Liebhaber durch eine Verbindung von mädchenhafter Koketterie und erotischer Freizügigkeit, weiblicher Verführungskunst und (gespielter) Naivität. Während die reifen Frauen in den Dramen Ibsens in traditionellen Geschlechterkonfigurationen, Zweierverbindungen oder Dreiecksgeschichten, nach Eindeutigkeit streben, genießt Sophie ihre Bindungslosigkeit. Sie entbehrt 193 | Reinhild Kaufmann: Franz Schamann. Innsbruck Diss. 1974, S. 282. 194 | Franz Schamann: Liebe, S. 118.
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auch der planvollen Zielstrebigkeit von Hanne Schäl, aus dem wohl naheliegendsten Vergleichsstück des deutschen Naturalismus, die den Fuhrmann Henschel durch Fleiß und Organisationstalent für sich einnimmt. Hanne entwickelt sich erst nach der gelungenen Eheschließung zur Fuchtel, Sophie gebärdet sich vom ersten Akt bis zu ihrem frühen Tod als ›Flitscherl‹. Diese Unterschiede in der Veranlagung wirken sich notgedrungen auch auf das männliche Pendant aus. Lobner bekommt schon in der Nacht nach ihrem ersten Zusammentreffen, was er erstrebt. Das Verwirrspiel zwischen gewährter und entzogener Liebesgunst wird von Sophie nur marginal und für einige Augenblicke eingesetzt. Die unerfüllte Sehnsucht nach der erträumten Frau, die sich bis zur idée fixe und damit einhergehender Willenlosigkeit des Mannes steigert, ist trotz des Titels nicht die Liebe, die das Drama beherrscht. Lobner verfällt den sexuellen Reizen Sophies und erkennt am Ende auch seine Abhängigkeit. Sophie ist das Gift, das seinem Leben den Reiz gibt und wie jeder Drogenabhängige möchte er diesen Reiz nicht missen. In der Literatur des Fin de Siècle steigt die Zahl der Werke, die Begriffe aus dem Themenfeld Liebe bzw. Eros bereits im Titel tragen. »Die Liebe ist Mittel rauschhafter Entgrenzung«195 und damit eines der Gebiete, auf dem das moderne Bedürfnis nach neomystischen Erlebnissen befriedigt werden kann.196 Das Faszinosum des Erotischen vermag in der Realität sich nur um den Preis der Deformation ja Perversion zu artikulieren. Doch auch diese Entstellung trägt noch das Signum des Glücksanspruchs, den das Individuum in einer verdinglichten, versachlichten und zunehmend entfremdeten Welt nicht preiszugeben bereit ist.197
Obwohl Lobners Beziehung zu Sophie innerhalb dieses Kontextes beschreibbar wäre, soll das angeführte Zitat nicht überstrapaziert werden. Für das zeitgenössische Publikum, das sich in einem realistischen Volkstück wähnte, war Sophie nicht als femme fatale oder femme fragile zu entschlüsseln. Dafür verteilt Schamann die Andeutungen zu spärlich im Drama. Die ›dämonische‹ Erotik der Jahrhundertwende beruht in ihrer Grundstruktur auf der literarischen Transformierung biblischer Geschichten in bürgerliche Parallelwelten zwischen »Plüsch und Salon«.198
195 | Horst Fritz: Die Dämonisierung des Erotischen in der Literatur des Fin de Siècle. In: Roger Bauer (Hg.): Fin de Siècle. Frankfurt a.M. Klostermann 1977, S. 451. 196 | Zum Begriff Neomystik vgl. Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Paderborn Schöningh, S. 25-27. 197 | Horst Fritz: Die Dämonisierung des Erotischen, S. 448. 198 | Hans Richard Brittnacher: Erschöpfung und Gewalt. Köln Böhlau 2001, S. 213.
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Die ärmlichen Wohnverhältnisse, in denen die Liebe im Stück Schamanns sich abspielt, liegen weitab von der schwülen Atmosphäre imaginärer Liebesszenerien der frühen Moderne.199 Die Zuschauer bemerkten eher den bis zur Unglaubwürdigkeit unbedarften Lobner, der eigentlich nach dem schnellen Liebesvollzug in der ersten Nacht hätte wissen müssen, dass er es bei Sophie nicht mit einer braven Klosterschülerin zu tun hat, wie es ihm Josefa und andere Familienmitglieder weismachen wollen. Über weite Strecken der Handlung verhält er sich so rechtschaffen und lebensfremd, dass er zu einer Karikatur, einer Witzfigur aus der Typenkomödie erstarrt. Damit widerspricht der zentrale Handlungskonflikt der Faustregel naturalistischer Dichtung, »die Unwahrscheinlichkeit der Situation, so weit sie unentbehrlich ist, doch möglichst unauffällig zu gestalten und die psychologische Unwahrscheinlichkeit vollkommen zu vermeiden«.200 Als »weder wahr noch anschaulich« wirken noch die Figuren aus Schamanns postum veröffentlichten Roman Die Nachwehen auf den Rezensenten Alexander von Weilen.201 Der Roman zeige damit eine allgemeine Schwäche des Autors, da er nur »alle die Fehler der kleineren Arbeiten noch hundertfach überbietet«.202 Inwieweit besitzt aber ein Autor Beweiskraft dem »Unfähigkeit, seine nicht ganz geordneten Gedanken zu formulieren«203 , nachgesagt und jegliche Gestaltungskraft abgesprochen wird, und von dem es schließlich heißt: »Er bleibt als Schriftsteller ein Autodidakt, der nichts gelernt hat«.204 Für die thematische Argumentation in diesem Kapitel kommt es jedoch nicht darauf an, wie gut ein Text aus literarisch-ästhetischer Sicht gearbeitet ist. Es sollte gezeigt werden, dass es in der mährischen Literatur der Jahrhundertwende zu einer Verschmelzung von Elementen des Naturalismus und der ästhetischen Moderne kam, die der rein naturalistischen Schreibweise von Ferdinand Bronner und Philipp Langmann entwuchs. Diesen Übergang bestätigt das Volksstück Liebe. Wie sehr Schamann daran lag, die Gegenwärtigkeit der sozialen Frage und ihrer politischen Folgen für die individualisierten und ästhetisierten Lebensmodelle der frühen Moderne nachzuweisen, zeigen alle seine Texte über die Gattungsgrenzen hinweg. Das frühe Schauspiel Liebe ebenso wie die Mährischen Geschichten (1902), der Einakter Abschied (1906) in 199 | Die Diskrepanz zwischen »Liebe« und modernem Eros wird besonders augenfällig, nachdem Josefa Nowak durch den Ankauf einiger neuer Möbelstücke versucht, einen Anflug dieser ästhetisierten Welt in ihre soziale Sphäre zu übertragen. 200 | Christian von Ehrenfels: Wahrheit und Irrtum des Naturalismus. In: Freie Bühne Jg. 3 (1891) H. 30, S. 737-742. Zitiert nach: Theo Meyer (Hg.): Theorie des Naturalismus. Stuttgart Reclam 1973, S. 278f. 201 | Alexander von Weilen: Die Nachwehen. In: Literarisches Echo Jg. 12 (1910), Sp. 1409. 202 | Ebd. 203 | Ebd., Sp. 1408. 204 | Ebd., Sp. 1409.
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kaum geringerer Weise als die umfangreichen Nachwehen. Im Falle Schamanns ist die konstante Wiederholung desselben Anliegens auch durch die angespannte Lebenslage motiviert. Schamann hatte die sozialen Zerwürfnisse nicht nur aus eigener Anschauung wie Langmann, sondern am eigenen Leibe erfahren. Trotz eines partiellen Erfolges innerhalb der Literaturszene Brünns, deren Vertreter er neben Schaukal und Musil um die Jahrhundertwende war, konnte er seine bedrängende finanzielle Lage nie verlassen.205 Er starb schließlich im Alter von 33 Jahren an derselben Krankheit wie Sophie.206 Ludwig von Ficker, der 1900 Schamann kennenlernte und ihm zeitlebens verbunden blieb, schätzte den naturalistischen Verismus und revolutionären Impetus des Verfassers der Mährischen Geschichten,207 und veröffentlichte 1910 eine Auswahl an Prosatexten im ersten Jahrgang des Brenner. An den unterschiedlichen Bewertungen in zeitgenössischen Rezensionen zur regionalen Literatur wird deutlich, dass die Literaturkritiker der frühen Moderne den gleichen Übergängen unterworfen waren wie die Schriftsteller, die sie behandelten. In den wenigen Werken Eugen Schicks ist der Wechsel vom Naturalismus als Grundlage des Schreibens zur bloßen naturalistischen Themenwahl vollzogen. Dies wird allein daran deutlich, dass er sich als literarisches Vorbild nicht Hauptmann oder einen anderen der konsequenten Naturalisten wählte, sondern in Otto Julius Bierbaum einen Schriftsteller, der allenfalls am Rande, in der Münchner Inkubationszeit oder als kurzfristiger Redakteur der Freien Bühne, immer aber unter kritischen Vorbehalten mit dem Naturalismus in Berührung geriet. Von Schicks Begeisterung gegenüber Person und Werk Bierbaums zeugt ein gut fünfzig Seiten starker Essay, den man nach heutigem Sprachgebrauch als Hommage bezeichnen würde. Schick selbst versteht ihn als »Werbe-Büchlein«, das »Bierbaums Bücher recht verbreiten helfen« möchte.208 Die distanzierte Haltung Bierbaums gegenüber dem konsequenten Naturalismus Berliner Prägung wird von Schick erfasst und im locker ironischen Tonfall des ganzen Bandes wiedergegeben: Otto Julius Bierbaum, dieser Moderne kat exochen hat aber auch anderseits den Mut gehabt, die Narreteien, Kindereien, Lächerlichkeiten und Verschrobenheiten unserer jungen und jüngsten Dichter mit größter Rücksichtslosigkeit festzunageln. 209 205 | Vgl. den Spendenaufruf von 1906, der u.a. auch von Bahr, Bendiener, Bronner, Schnitzler und Strobl unterzeichnet wurde. Ein Ruf nach Hilfe. In: Das literarische Echo Jg. 8 (1906), Sp. 1630. Wieder abgedruckt bei Reinhild Kaufmann: Franz Schamann, S. 24. 206 | Vgl. Hans Heinz Hahnl: Hofräte Revoluzzer Hungerleider. Wien Edition Atelier 1990, S. 172. 207 | Vgl. Ludwig von Ficker: Franz Schamann. Mährische Geschichten. In: Tiroler Tagblatt Jg. 37 Nr. 112 (14.5. 1902). 208 | Eugen Schick: Otto Julius Bierbaum. Berlin Schuster & Löffler 1903, S. 11. 209 | Ebd., S. 52.
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Zweifellos schloss sich Schick auch in dieser Frage dem Urteil seines Meisters an. Die Anverwandlung an die Eigenarten Bierbaums übersteigt den üblichen thematischen und stilistischen Rahmen. Sie wird von Schick auch gar nicht verschwiegen, sondern sogar nachträglich offengelegt. In der titelgebenden Geschichte aus seiner ersten Veröffentlichung von Prosaskizzen Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten steigert er den akustischen Einbruch in den sonntäglichen Frieden durch einen drucktechnischen Kunstgriff: In der Luft, die kalt und rein ist, liegt’s wie ein Brummen und Surren von vielen hundert Bienen ……… Ein Hahn läßt ein schüchternes Krächzen hören. Und dann:
Die Morgenglocken! Die Morgenglocken!210 Der Kniff ist eine direkte Entlehnung aus Bierbaums bekanntestem Roman Stilpe, in dem die Klage des Protagonisten über die beklemmende Enge des Schultags in folgende Emphase mündet: Hie Knechtschaft, hie Freiheit! Hier ein ödes Hindämmern, büffeln, büffeln, büffeln … und dort das brausende, herrliche, große, ewige Leben … ah … Sonne! … Schönheit! …
Weiber!!!211 Wer will, mag an dieser Stelle Epigonentum reklamieren, denn Schicks Texte entfernen sich manchmal kaum weit genug von seinem Vorbild, als dass man von einem eigenen Ton sprechen könnte. Doch der Adept verfügt über eine ausgeprägte Beobachtungsgabe, ein gerüttelt Maß an Humor und eine hohe Schreibfertigkeit, die den Leser eventuell schon Bekanntes gerne nochmals erleben lässt. Die Eigenheiten des Stiles Bierbaums sind so präzise nachgezeichnet, dass nur ein kleiner Schritt fehlt, um manche Skizzen und Gedichte Schicks als Parodien im Stile Fritz Mauthners oder Robert Neumanns zu begreifen. Das Talent für stimmungsgenaue Nachdichtungen zeigt sich auch in Auf der Gass’n,212 in denen Schick die derben Chansons des Pariser Fin de Siècle-Poeten Aristide Bruant im Wiener und seltener im Brünner Dialekt darbietet. Bruants Lieder widmeten sich den Schattenseiten der Modernisierungs- und Aufstiegseuphorie am Ende des 19. Jahrhunderts, die in der Pariser Weltausstellung 1900 kulminierten. Er verband sich mit den Zeichnern und Illustratoren Henri de Toulouse-Lautrec und vor allem Théophile Steinlen und 210 | Eugen Schick: Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten. Leipzig Hermann Seemann Nachf. 1902, S. 10. 211 | Zitiert nach: Eugen Schick: Otto Julius Bierbaum, S. 35. 212 | Eugen Schick: Auf der Gass’n. Nachdichtungen im Wiener Dialekt nach Chansons von Aristide Bruant. Brünn Irrgang 1910.
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schuf mit ihnen gemeinsam in der kurzlebigen Zeitschrift Le Mirliton eine Verbindung von Musik, Literatur und Kunst, die auch für die Auslotung para- oder außersprachlicher Mittel im deutschen Naturalismus von Bedeutung war. Die Kabarettszene in Paris verdankte ihm ihren nachher unerreichten Höhepunkt, der für ähnliche Projekte in Deutschland u.a. für das, auch auf Anregung von Bierbaum gegründete Überbrettl stilbildend wurde. Diesen Kontext verbindet Schick mit seiner eigenen Erlebniswelt. Daraus entstehen weit vor den Nachdichtungen Wiener und Brünner Genrebilder, die dann doch eine literarische Eigenständigkeit Schicks jenseits von Bierbaum belegen: Ein Viertel auf drei nachts im Café. Nur vereinzelte Lampen brennen. Die Caféhauskellnerin schiebt müde ein Schokoladepraliné zwischen die Zähne. Die Luft im Lokal ist voller Staubatome und heiß. […] Ich bin allein und starre auf ein Proletariermädchen im »Gil Blas Illustré«. Steinlen hat es mit breiten Kreidestrichen gezeichnet. Ein weißes Gesicht mit festmodellierten Backenknochen, aus dem ein paar umrandeter schwarzer Augen hervorflimmern. Der Busen eng und welk, die Hände hager und lang und schlaff, die ganze Gestalt häßlich. Und doch diese Augen . . . schön wie die Sünde!213
Aus dieser Beobachtung heraus imaginiert sich der Erzähler eine 15-jährige Hausmeistertochter, die wegen ihrer Schönheit in eine Liaison mit einem Grafen gerät. Doch die Illusion der ersten Liebe, die in opulenten Bildern schwelgt, wird von den herunterklirrenden Kaffeelöffeln des Nachtkellners beendet. Die Liebesszene war irreal. Real ist Steinlens Bild des Mädchens und ihre ernüchternden sexuellen Aussichten, »ein besoffener Maurergeselle auf einem finstern Stiegengange vielleicht«.214 Mit einem Lächeln kommentiert der Erzähler den jähen Durchbruch der Realität. Und es ist eben dieses mitfühlende Lächeln, das Schamann nicht zu Gebote stand, das die beiden Brünner Autoren unterscheidet, obwohl sie sich in Themen und Motiven mehrfach decken. Die soziale Frage ist auch in den Skizzen Schicks noch offen und ständig präsent, aber sie bildet nicht mehr den Schwerpunkt der Texte. Sie wird nie direkt abgebildet, sondern immer aus den Augen der Figuren heraus erzählt, denen die Zuneigung des Autors gilt: Nun blickte sie ihn schon mit seligem Lächeln in die Augen, lange und zärtlich, bis er sich mit einem Ruck loslöste. »Schon halb vier! Da heißt es sich tummeln. Bedenk doch Schatzi: Unsere Hochzeitsreise! Weißt du überhaupt, was das heißt, eine Hochzeitsreise?« – - – - – – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – - – -- – - – - – - – - – - – -- – - – - – - – - – -
213 | Eugen Schick: Aus stillen Gassen, S. 65. 214 | Ebd., S. 66.
D IE SOZIALE F RAGE Ein wunderbarer klarer Septembernachmittag war es, als sie ihre Hochzeitsreise nach dem an das Arbeiterviertel anschließenden Dorfe unternahmen. 215
Die Gedankenstriche führen für den Fabrikarbeiter und die Näherin, die noch am selben Tage getraut wurden, nicht nach Venedig oder nach Heidelberg, sondern in die nächste ländliche Umgebung. Den harmonisch-idyllischen Hochzeitsspaziergang lenkt Schick an ›einförmigen Werkstätten‹ und bettelnden Kindern vorbei, erwähnt zurückliegende Schicksalsschläge, ohne die Stimmung zu zerstören. Die unerbittlichen und brutalen Anklagen des Naturalismus gegenüber der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten treten gegenüber den Menschen zurück, die dieses Elend zu ertragen haben. Nachdem Langmann in Bartel Turaser dem Arbeiter seine Redlichkeit zurückzugewinnen half, die er in vielen exaltierten Texten des ersten naturalistischen Jahrzehnts verloren hatte, geht Schick noch einen Schritt weiter und gönnt seinen proletarischen Figuren einen Aufstieg ins Kleinbürgerliche. Der Ehemann aus oben zitierter Erzählung fühlt nach der abendlichen Rückkehr in die bescheidene Wohnung, »daß er in diesen vier Wänden den Frieden gefunden hat«.216 Schick charakterisierte seine Skizzen einmal als »Chokoladepralinee mit sozialpolitischer Füllung«217 und provozierte damit selbst die wohlwollende Verharmlosung seiner Werke wie sie vor allem in den Nachrufen durch Karl Hans Strobl betrieben wurde.218 Denn um die »Machtgewaltigen unserer Tage […] nach einem ff Mittagessen, in sänftiglich wippendem Schaukelstuhl, die bebänderte Regalia de la Emperiatriz zwischen den champagnerfeuchten Lippen«219 zu einem sorgsamen Umgang mit den sozial schlechter Gestellten zu bewegen, bedarf es, so die Zeitanalyse Schicks, außer dem Verweis auf die Ungerechtigkeiten der Welt, eines Ausgleichs der beiden getrennten Lager auf dem Boden des allgemein Menschlichen. Dieses Verfahren verdeutlicht ein kurzer Vergleich zwischen Schicks Skizze Das Kostkind mit der Erzählung Die Engelmacherin von Max Kretzer. Beide Texte handeln von der gängigen Praxis reicherer Herren, sich des ungewollten und kompromittierenden Nachwuchses derart zu entledigen, dass man ihn in Pflege gibt. Die geschäftstüchtige Pflegemutter bei Kretzer entledigt sich wiederum der Kinder, indem sie sie verhungern lässt, wodurch sie das Kostgeld als Reinertrag verbu215 | Ebd., S. 28. 216 | Ebd., S. 31. 217 | Eugen Schick: Selbstanzeige zu Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten. In: Zukunft vom 29.11. 1903. Zitiert nach: Eugen Schick: Die Mährische Moderne. Brünn Verlag des Deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens 1906, S. 24. 218 | Karl Hans Strobl: Eugen Schick †. In: Tagesbote aus Mähren und Schlesien. Nr. 126 (17.3. 1909), S. 3 und ders.: Eugen Schick. In: Auf der Gass’n, S. 7-28. Ähnlich auch noch Karl Vallazza: Eugen Schick. In: Deutschmährische Blätter Nr. 58 (18.3. 1934), S. 12. 219 | Eugen Schick: Die Mährische Moderne, S. 24.
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chen kann. Kretzer lässt keinen Zweifel daran, dass der jungen Mutter, die »nach der Manier von trauernden Menschen [heult], denen das Schluchzen nicht aus der Seele kommt, die aber durchaus ihren Schmerz beweisen wollen«,220 das baldige Ableben ihres Kindes keine allzu großen moralischen Bedenken verursacht: Fräulein Meta, das lebende Resultat schlechter Erziehung und des frühen Einflusses entsittlichender Umgebung in einem »Bazar«, zerdrückte die letzte Träne in ihrem Auge und begann zur Entschädigung für die Abwälzung der Begräbnsivorbereitungen auf Madames Schultern von der Landpartie am Nachmittag des morgigen Sonntags zu sprechen. 221
Die in ironischem Ton gehaltene Anklage trifft nicht nur die Engelmacherin selbst, sondern in gleichem Maße die gleichgültige Mutter. Im Gegensatz dazu hat der Galan in Schicks Kostkind alle Hände voll zu tun, ›seine‹ Gusti von ihrem Säugling zu trennen: Die war bisher am ganzen Leibe bebend, mit aufeinandergebissenen Lippen ruhig dagesessen. jetzt aber hält sie es nicht mehr aus. Mit einem krampfhaften Aufschrei wirft sie sich quer über die Wiege und weint und schluchzt. […] »Ich bitt’ dich Gusti, mach’ mir doch hier keine Scene,« flüsterte er der halbohnmächtigen ins Ohr. Die aber starrt mit glasigen Augen in die Wiege und hält die kleinen Polster fest umklammert. […] Und da sie sich noch immer nicht erheben will, faßt er die Widerstrebende kräftig unter den Armen und schleppt sie aus dem Zimmer. 222
Gusti ist wie die Mutter bei Kretzer weder körperlich noch nach gängigen religiösen Überzeugungen moralisch intakt. Ihre Reaktion zeugt aber von einem integren Charakter, der sich nur widerwillig dem Druck der sozialen Notlage beugt. Damit rückt Schick seine Texte bedrohlich in die Nähe von Kitsch, verringert aber gerade dadurch die Distanz zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Er ermöglicht ganz im Sinne seines sozialpolitischen Anspruchs ein »ach Gott, die arme Frau« statt eines »recht g’schieht der Schlamp’n«, indem er einem an Marlitt, Rosegger oder auch Gustav Freytag geschultem bürgerlichen Publikum Identifikationsmöglichkeiten anbietet.223
220 | Max Kretzer: Die Engelmacherin. Zitiert nach: Gerhard Schulz (Hg.): Prosa des Naturalismus. Stuttgart Reclam 1973, S. 59. Erstveröffentlich in Die Gesellschaft. Jg. 4 (1888) 1. Halbband, S. 348-353. 221 | Ebd., S. 60. 222 | Eugen Schick: Aus stillen Gassen, S. 48f. 223 | Wozu sicherlich beim weiblichen Konsumenten auch beitrug, dass der Vater nach der tränenreichen Verabschiedung von Gusti dem Fiaker eine Adresse in der äußeren Mariahilferstrasse nennt.
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Wieso nach diesen Textbeispielen Robert Musil Schick noch als Naturalisten wahrnehmen konnte, beweist die Erzählung Feierabend, die als einzige der Sammlung in den Dialogpartien durchgehend Brünner Dialekt verwendet. Das Sujet ist bekannt und wurde mehrfach bearbeitet.224 Die alleinerziehende Mutter Ritschi wird von ihrem Ehemann, einem stadtbekannten Säufer, der sich mit zwielichtigen Frauengestalten abgibt, nach der Auszahlung ihres Lohnes abgefangen. Bereits am nächsten Tag sind die zwei Gulden, die sie ihm gewährt, aber aufgebraucht und in einem erbärmlichen Zustand überfällt der Rasende Ritschi in ihrer Wohnung. Sie weiß sich nur durch Flucht mir ihrem Sohn zu helfen und gelangt in den Dom, den sie wieder verlassen muss, da das Kind heftig zu weinen beginnt.225 In aufwallender Hoffnungslosigkeit besteigt sie eine Leiter, die nach Restaurationsarbeiten an den Heiligenfiguren des Domturmes stehen geblieben ist. Das tragische Ende erinnert an Langmann: Und sie steigt auf die Leiter – vorsichtig – eine Sprosse – wie-d-er eine Sprosse, Sprosse um Spro-sse – . . . . höher, höher, immer höher und höher . . . . […] Langsam, . . . . nur drei Sprossen noch – eins, . . . zwei, . . . drei. […] Viele, viele sonnenbeglänzte Fenster tanzen vor ihr auf und ab, blutrote Nebel drehen sich vor ihren Augen, sie presst die Lippen auf den Kopf ihres Kindes, schließt die Augen und läßt die Leiter los – - – - – - – - – - – - – Dumpfer Schlag, Staubwolke. 226
Es wurden absichtlich drei gattungstechnisch recht unterschiedliche Texte der Sammlung vorgestellt, um die relative Geschlossenheit des Buches in Bezug auf Themen- und Stoffwahl zu verdeutlichen, dessen einzelne Geschichten und Skizzen schon ab 1896 in der Brünner Sonntags-Zeitung veröffentlicht worden waren.227 Über alle Prosagattungen hinweg stehen die sozialen Probleme der Jahrhundertwende im Vordergrund und auch noch einige Gedichte im 1905 erschienenen Empfindsamen Notierbüchlein befassen sich damit:
224 | Vgl. etwa Philipp Langmann Samstag Abend in Arbeiterleben, S. 47-59. 225 | Ein Anprangern kirchlicher Institutionen ist daraus schwerlich zu konstruieren, das in einen »Zwiespalt zwischen dem Transzendentalen und der Profanität des Alltagslebens« führt. Vgl. Tomáš Butala: Eugen Schick, S. 24 und 25. Trotz einiger schiefer Interpretationen dieser Art bietet die Brünner Diplomarbeit (!) aber eine hervorragende Darstellung des Kontextes von Schicks Werk, die sich vor allem durch eine sorgfältige Auswertung der Quellen auszeichnet. 226 | Eugen Schick: Aus stillen Gassen, S. 40f. 227 | Tomáš Butala: Eugen Schick, S. 18ff.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Am Friedhof Gewittert hat’s ein halbes Stündchen. Nun überbrückt ein Wunder voller Regenbogen die blankdedouchte Landschaft. An einem Friedhof vorbei. Holzkreuze, Steinkreuze, Eisenkreuze. Über die Sandwege kriechen Schnecken. In den Trauerweiden krawallieren Spatzen. Und an den schmalen und an den breiten, und an den protzenden und an den armen Gräbern, allüberall glänzen die blinkenden Diamanttropfen. »Seh’n Se, da ha’m Se den sozialen Ausgleich«, sagt giftig mein Freund und Berufskollega.228
Der Verlagswechsel von Seemann zu Axel Juncker, dem neben S. Fischer und Diederichs einflussreichsten Verlag der Moderne, deutet Schicks literarischen Aufstieg, aber auch einen Wechsel an. Zu Junckers bekanntesten Autoren gehörten 1905 schon Max Dauthendey, Else Lasker-Schüler und Rainer Maria Rilke, der ebenfalls mit seiner frühen Dramatik noch im Naturalismus verwurzelt war. Erst fünf Jahre später erscheint hier Werfels Weltfreund, der somit im satirischen Gedicht Ecce Poeta noch nicht gemeint sein kann: »Auf seinen Lippen schlummern Maienlieder./Neben Telegraphenstangen, die der Herbstregen peitscht,/geht sein Weg.//Mit seinen Zärtlichkeiten möchte er das Weltall umspannen./Und umarmt brüderlich einen kranken Baum,/der in der Dämmerung friert.«229 Strobl rückte die Prosagedichte in die Nähe von Arno Holz,230 es finden sich aber auch Anklänge an Liliencron (Zirkus) und Seitenhiebe auf George (Bacchanal). Schick arbeitet in den nur 41 Gedichten unter dem stilsicheren Einsatz von impressionistischer Farbund Klanggestaltung, Metaphern, Neologismen und parataktischem Satzbau annähernd die Skala moderner Motivik ab. Weil die Schlusspointe meist ins Humorige ausläuft, entsteht aber der Eindruck, es handelte sich um Parodien.
228 | Eugen Schick: Empfindsames Notierbüchlein. Stuttgart Axel Juncker 1906, S. 22. 229 | Ebd., S. 24. 230 | Karl Hans Strobl: Eugen Schick. Auf der Gass’n, S. 18.
D IE SOZIALE F RAGE Kleinstadt 231 Im weißblauen Mondlicht schwimmen die Dachgiebel. Über den Pflastersteinen des Marktplatzes, tiefschwarz, die gezackten Schatten der Geschäftsschilder. Knackend dreht sich ein Haustorschlüssel. Unter den Lauben wiederhallt der Tritt des Gewölbwächters. In der Weinstube »zum roten Apfel« brennt noch Licht. »Drei – mal hoooch!!« Vom Turme brummen elf Schläge. Wie eine vollgeschlampte Fliege kriecht über den Marktplatz der Kreisgerichtsvizepräsidentenstellvertreter Egydius Vodiczka.
In einer frühen Rezension lobt Schick Altenbergs Rückzug aus der Welt des Großen und Bedeutenden, die gegenüber den »Emanationen des Alltags« an Klarheit zurückstehe.232 Ähnlich wie Altenberg kleidet Schick seine Szenen aus dem Alltagsleben im Empfindsamen Notierbüchlein in die Sprache der ästhetischen Moderne. Es ist bei der augenzwinkernden Selbstironie, die Schicks Werke begleiten, nicht ausgeschlossen, dass er sich Altenbergs Bonmot angeschlossen hätte, das jedoch erst nach Schicks frühem Tod erschien: Abends bei der Rückfahrt war es natürlich finsterer als bei der Hinfahrt nachmittags, was der Landschaft einen »eigenen, neuartigen, undefinierbaren« Reiz verlieh, den zu schildern ich aber modernen Dichtern überlassen muß. 233
231 | Eugen Schick: Empfindsames Notierbüchlein, S. 10. 232 | Eugen Schick: Rezension zu Peter Altenberg Wie ich das sehe. Zitiert nach Tomáš Butala: Eugen Schick, S. 20. 233 | Peter Altenberg: Sommerabend in Gmunden. Frankfurt a.M. Schöffling & Co. 1997, S. 97. Zuerst veröffentlicht in Semmering 1912. Berlin Fischer 1913.
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M IT TENDRIN ODER NUR DABEI Die drei überregional bekannten österreichischen Erzähler Marie von EbnerEschenbach (1830-1916), Ferdinand von Saar (1833-1906) und Jakob Julius David (1859-1906) sind von ihren Lebensdaten her geeignet dem Umbruch vom langen 19. Jahrhundert in die Moderne sowohl als Vorbote wie als Repräsentant zu dienen. Den größten Teil ihres Prosawerkes publizierten sie in der Zeitspanne zwischen 1880 und 1906, also zwischen Naturalismus und Früher Moderne.234 Mit beiden Literaturströmungen werden sie nur sporadisch, aber doch beständig in Verbindung gebracht. Trotzdem gelten vor allem Ebner-Eschenbach und Saar als Vertreter des Spätrealismus und auch Davids Dorfgeschichten fügen sich eher in die Beschreibungskategorien realistischer Literatur als in die der ästhetischen Moderne.235 Allerdings beschreiben sie in ihren Werken den Wandel der gesellschaftlichen Lage im ausgehenden 19. Jahrhundert durch das Aufkommen der sozialen Frage und den Aufstieg des Sozialismus, so dass sie für den Zusammenhang dieses Kapitels relevant sind. In diesem Abschnitt wird also keine Analyse des Gesamtwerkes gegeben, sondern zunächst lediglich eine Betrachtung einzelner Texte und nur unter diesem bestimmten Blickwinkel. In der tschechischen Germanistik ist es zur Gewohnheit geworden, die drei Autoren als Gruppe aufzufassen. Da die Ebner und David in Mähren geboren wurden und Ferdinand von Saar sich lange Zeit auf mährischen Adelsgütern aufhielt und in seinen Werken auf die regionalen Eindrücke zurückgriff, wird diese Zusammenschau auch in der Forschung zur mährischen deutschen Literatur übernommen. Gern wird von einem mährischen Dreigestirn236 oder – gegenüber der Ebner wenig nonchalant – von einem mährischen Triumvirat237 gesprochen. Außerhalb der tschechischen Germanistik findet diese Art Gruppenbildung kaum einen Widerhall. Für sie ist eher das Vorgehen Josef Mühlbergers charakteristisch, der in der ersten Fassung seiner Literaturgeschichte das Kapitel zum Naturalismus mit Ebner-Eschenbach schließt (darüber wird noch zu reden sein) und das nachfolgende Kapitel, das er mit »Überwindung des Naturalismus« über234 | Die Dramen aus der Anfangsphase der drei Autoren hatten in ihrer Zeit keinen Erfolg und werden bis heute von der Forschung vernachlässigt. Die späteren dramatisierten Szenen von Ebner-Eschenbach (Ohne Liebe 1890 und Am Ende 1897) wurden jedoch in den Spielplan der Freien Bühne in Berlin aufgenommen. Vgl. G. Mahal: Naturalismus, S. 37f. 235 | Davids Erzählung Die Hanna ist mglw. ein Streitfall, da dort die Problematik des Künstlers, also ein typisches Sujet der ästhetischen Moderne behandelt wird. 236 | Ji ř í Veselý: Zur nationalen und sozialen Problematik in der deutschsprachigen mährischen Literatur. In: Philologica Pragensia 29 (1986) Heft 3, S. 127. 237 | Ingeborg Fiala-Fürst: Jüdische Figuren und das Thema der jüdischen Assimilation bei Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saar und Jakob Julius David. In: Hohmeyer/Rühl/Wintermeyer (Hg.): Spurensuche in Sprach- und Geschichtslandschaften. Münster LIT 2003, S. 124.
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schreibt, mit David beginnt.238 Auch aus dem Raster der besten Arbeit zur Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Österreich, Karlheinz Rossbachers Literatur und Liberalismus239, zu deren zentralen Autoren sowohl Ferdinand von Saar wie Marie von Ebner-Eschenbach zählen, fällt David knapp heraus, da seine ersten Veröffentlichungen erst ab 1890 erschienen. Tatsächlich sprechen viele Gründe dafür, David nicht zu eng mit seinen beiden Vorläufern in Verbindung zu bringen. David wird 1859 als drittes Kind einer jüdischen Familie in Mährisch-Weisskirchen geboren, die nach dem baldigen Ableben des Vaters, verarmt. Krankheiten und die ständige Sorge um den Unterhalt bestimmen sein weiteres Leben. Schon von seiner Herkunft her steht er den Lebensbedingungen der Großaristokratie, in denen sich Marie von Ebner-Eschenbach bewegte diametral gegenüber. Nicht so groß, aber immer noch groß genug, ist der soziale Unterschied zu Ferdinand von Saar. Saar hatte nach seinem Ausscheiden aus dem österreichischen Militär ebenfalls mit finanziellen Problemen zu kämpfen, fand aber in Josephine von Wertheimstein und der Altgräfin (später Fürstin) Salm adelige Gönnerinnen, die ihm auch auf Grund seiner standesgemäßen Abstammung ein Leben als freier Schriftsteller ermöglichten. Die unterschiedliche gesellschaftliche Position spiegelt sich in Davids Werken wieder, die eine andere Sicht auf die mährischen Bauern, die Arbeitswelt und das Wiener Kleinbürgertum präsentieren als die Werke von Saar und der Ebner, obwohl es einige Überschneidungen in der Wahl der Stoffe gibt. Die Gemeinsamkeiten fallen wiederum nicht so groß aus, als dass sie nicht von der Literaturgeschichtsschreibung, sobald sie denn David überhaupt zur Kenntnis nahm, übergangen werden konnten. Größere Beachtung über die Region hinaus findet David, der noch vor einem Jahrzehnt zu den Vergessenen zählte, erst in letzter Zeit durch die Aufarbeitung der jüdischen Thematik seines Werkes.240 Woher rührt nun aber die nachträgliche Nobilitierung Davids, die die tschechische Germanistik vornimmt, indem sie ihn den beiden anerkannten Vertretern der österreichischen Literatur an die Seite stellt? Ausschlaggebend ist die frühe Wiederentdeckung Davids nach dem Zweiten Weltkrieg durch den ostdeutschen Germanisten Peter Goldammer. Er erarbeitete 1960 im Berliner Aufbau-Verlag eine umfangreiche Ausgabe von Erzählungen Davids, denen er ein Vorwort voranstellte, das bereits 1959 als Vorabdruck in den Weimarer Beiträgen erschien, die eine der wichtigsten Informationsquellen für Auslandsgermanisten in sozialistisch geführten Staaten waren.241 Durch die Vertreibung und die anschließende re238 | Josef Mühlberger: Die Dichtung der Sudetendeutschen. Kassel Stauda 1929, S. 60. 239 | Karlheinz Rossbacher: Literatur und Liberalismus. Zur Kultur der Ringstraßenzeit in Wien. Wien J&V 1992. 240 | Vgl. den Eintrag zu David von Florian Krobb in: Andreas B. Kilcher (Hg.): Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Stuttgart Metzler 2000. Dort sind auch die anderen Arbeiten Krobbs verzeichnet. 241 | Peter Goldammer: Jakob Julius David – ein vergessener Dichter. In: Weimarer Beiträge Heft 5 1959, S. 323-368.
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striktive Kulturpolitik der Kommunistischen Partei war innerhalb des historischen Wissens der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur ein Kahlschlag erfolgt, der gründlicher ausfiel als in der deutschen Literatur der Nachkriegszeit. In der Konsolidierungsphase im Vorfeld des Prager Frühlings wurde am Rande der Prager deutschen Literatur auch die mährische deutschsprachige Literatur literaturwissenschaftlich wiederbelebt. In den Anfängen konzentrierte man sich auf diejenigen Autoren, die ohne axiologische und politische Vorbehalte zum Kanon der deutschen Literatur gehörten. Man suchte einen Ansatzpunkt, der ähnlich wie Kafka für die Prager deutsche Literatur eine spätere konzentrische Ausweitung auf den gesamten literarischen Raum ermöglichte. Fündig wurde man bei Marie von Ebner Eschenbach, Ferdinand von Saar und Jakob Julius David, die sich zumindest mit Teilen ihres Werkes in die thematischen Schwerpunkte einer realsozialistisch orientierten Literaturgeschichtsschreibung eingliedern ließen. Deswegen betont Goldammer in seinem Aufsatz Davids gelungene Ausbreitung der »allgemeinen Widersprüche, die der Kapitalismus überall kraß zutage treten ließ, wo er sich anschickte, in sein letztes Stadium, den Imperialismus, einzutreten«.242 Davids besondere Bedeutung liege aber, wie die von Saar und der Ebner, in der Darstellung der (überwiegend weiblichen) Gestalten aus dem tschechischen Proletariat Mährens.243 In den Werken aller drei Autoren wird das tschechische Volk unter einer anderen nationalen Perspektive als in der Grenzlandliteratur geschildert. Dadurch waren sie weitgehend politisch unbedenklich und standen zugleich im Zentrum des tschechischen Wissenschaftsinteresses. Zudem konnte eine Brücke zu den Vorarbeiten der böhmisch-mährischen Germanistik der Vorkriegszeit geschlagen werden. Goldammer selbst bezieht sich auf den nachmalig vielzitierten Essay Joseph Körners über Jakob Julius David,244 aber auch der in Deutschland und Österreich weniger bekannte Stanislav Sahánek muss hier genannt werden, der 1921 über die tschechischen Themen bei Marie von Ebner-Eschenbach promovierte und mit einer Monographie über Ferdinand von Saar 1934 habilitierte.245 Kleinere Stu-
242 | Ebd., S. 333. 243 | Vgl. ebd., S. 351 und passim. Im Anschluss sieht Goldammer die tschechische Prostituierte Božena aus Robert Musils Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß ebenfalls in dieser Tradition stehend, wodurch der Parnass der mährischen deutschsprachigen Literatur, wie er bis 1990 gesehen wurde, vollständig wiedergegeben wird. 244 | Joseph Körner: Rezension zu Hermann Groeneweg: J.J. David in seinem Verhältnis zur Heimat, Geschichte, Gesellschaft und Literatur. Graz Wächter 1929. In: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie. Jg. 52 (1931) Nr. 1-2, S. 29-36. 245 | Vgl. Ji ř í Munzar: Zur tschechischen Historiographie der mährischen deutschsprachigen Literatur. Stanislav Sahánek im Kontext. In: Ingeborg Fiala-Fürst: Mährische deutschsprachige Literatur. Eine Bestandsaufnahme. Olomouc Universitätsverlag 1999, S. 33-39.
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dien liegen von Emil Soffé und Ella Hruschka vor.246 Bei dem Deutschböhmen Hans Kloos heißt es schließlich zusammenfassend: Ihnen [Saar und Ebner, J.K.] ist Jakob Julius David trotz aller Gegensätzlichkeit am besten nebenzuordnen. Alle drei haben ihr Bestes in der realistischen Novelle gegeben, alle drei sind dem mährischen Boden verbunden, alle drei sind ein echter Ausdruck österreichischen Wesens. 247
Weder über die böhmische Rezeptionsgeschichte noch über die Auseinandersetzung mit den tschechischen Figuren oder über die mährische Landschaft soll im weiteren Verlauf dieses Abschnitts eine Zusammengehörigkeit der drei Autoren begründet werden,248 sondern unter dem Gesichtspunkt des Übergangscharakters der Epoche der Frühen Moderne. Bereits die ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu David, sahen die Gefahr, dass der Autor in Vergessenheit geraten könnte, weil er sich zwischen den Kategorisierungen der damaligen Literaturgeschichtsschreibung bewegte. Sie reagierten darauf, Kloos belegt das, indem sie David sanft anachronistisch und unter Absehung näherer Differenzierungen an Ebner-Eschenbach und Saar angliederten, für deren Nachleben als Repräsentanten des österreichischen Realismus schon gesorgt war. Diese Strategie ging mit Ausnahme des Sonderweges der böhmischen Germanistik nicht auf. Marie von Ebner-Eschenbach gilt bis heute als »bedeutendste deutschsprachige Erzählerin in ihrer Zeit«249, wobei die temporäre Einschränkung als Gütesiegel aufgefasst wird. Durch ihre Werke bekomme auch das 19. Jahrhundert »etwas Allgemeingültiges, Zeitloses und damit Zeitüberdauerndes«.250 Ferdinand von Saar konnte im Realismus den Platz neben der Ebner behaupten und wird in den letzten Jahren zunehmend als »ehrenwerter
246 | Emil Soffé: Mähren in Saars Dichtungen. In: Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens. Bd. 11 (1907), S. 253-267 und Ella Hruschka: Ferdinand von Saar. In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft 12 (1902), S. 77-139. 247 | Hans Kloos: Jakob Julius David als Novellist. Brüx o.V. 1930, S. 137. 248 | Den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der Behandlung der tschechischen Figuren durch die drei Autoren widmet sich Jan Bud ň ák: Das Bild der Tschechen in der deutschböhmischen und deutschmährischen Literatur. Olomouc Diss. 2007, S. 89-113. 249 | B.B.: Das Gemeindekind. In: Kindler Lexikon Band 4, S. 9. Fast wortgleich äußern sich die österreichischen und böhmischen Literaturhistoriker der Zwischenkriegszeit. Vgl. Rudolf Wolkan: Geschichte der deutschen Literatur in Böhmen und den Sudetenländern. Augsburg Stauda 1925, S. 97. Nur der urteilsfreudige Adolf Bartels macht keine zeitliche Einschränkung. Für ihn ist sie »unbedingt die größte deutsche Erzählerin überhaupt«. Adolf Bartels: Die deutsche Dichtung der Gegenwart. Leipzig Avenarius 1900 3, S. 159. 250 | Joseph Peter Strelka: Des Mitleids Liebesfähigkeit bei Marie von Ebner-Eschenbach. In: Ders.: Zwischen Wirklichkeit und Traum. Tübingen Francke 1994, S. 166.
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Vorläufer«251 oder als »geistiger Wegbereiter«252 der Wiener Moderne beschrieben. David blieb der Platz zwischen den Stühlen. Von den Realisten nicht beachtet von der treibenden Kraft der Wiener Moderne bewusst ausgeschlossen. »Den David lassen wir weit, weit, weit, weit draußen«,253 so die unmissverständliche Anweisung, die Hermann Bahr einer geplanten Artikelserie von Franz Servaes mit auf den Weg gab. Trotz dieser Vorgeschichte sollen die drei Autoren unter dem Konzept einer Literatur des Übergangs, das offener angelegt ist als die epochalen oder gruppenbezogenen Zuweisungen, noch einmal vereinigt werden. Die vorangegangenen Kapitel mögen deutlich gemacht haben, dass die unterschiedliche, aber immer wiederkehrende Behandlung der sozialen Frage dafür eine Richtschnur bildet, und dass auf Grund der spezifischen Bedingungen der österreichischen Literatur die Grenzen und Übergänge sehr nah aneinander rückten. Ferdinand von Saars Erzählung Die Steinklopfer (1874) ist eine der frühesten Thematisierungen des Arbeitermilieus. Die Wandlung des gesellschaftlichen Grundmodells, die sich für die Generation des Naturalismus als soziale Frage stellte, hatte sich in Österreich ab den 1860er Jahren durch beginnende Arbeiterunruhen in Wien bemerkbar gemacht.254 Saar greift in der Vorrede auf den gewaltigen Arbeitsaufwand beim Bau der Semmeringbahn zurück, die Wien erstmals auf direktem Wege mit der Adriaküste verband. Die Handlung spielt schon nach Vollendung des Projektes, als eine Arbeiterkolonne mit Aufräumarbeiten beschäftigt ist. Der neu hinzukommende Georg, ein schwächlicher, vom Fieber gezeichneter ehemaliger Soldat befreundet sich mit Tertschka, der Stieftochter des Aufsehers. Ihr anfängliches Mitleid schlägt bald in eine ernste Zuneigung um. Beide beschließen, sich nicht länger der unbefriedigenden Arbeit und den Misshandlungen des Aufsehers auszusetzen. Als der Aufseher Tertschka, die er als sein Eigentum betrachtet, nicht mit Georg ziehen lassen will, erschlägt ihn Georg im Affekt. Georg bekennt sich zu seiner Tat und wird in das Gefängnis in Wiener Neustadt verlegt, da er noch der Militärgerichtsbarkeit untersteht. Auf Fürsprache Tertschkas greift der Oberst des Regiments ein. Er erreicht eine schnellere Aufnahme des Verfahrens und eine geringe Haftstrafe, die mit der Untersuchungshaft abgegolten ist. Nach der Entlassung verschafft er Georg eine Anstellung als Bahnwärter, die er sich zu Beginn der Erzählhandlung erträumte. Die Schlussszene bietet den Kontrast zu dem brutalen und gefährlichen Alltag als Steinklopfer:
251 | Ingeborg Fiala-Fürst: Jüdische Figuren und das Thema der jüdischen Assimilation, S. 133. 252 | Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur. München Beck, S. 272. 253 | Brief vom 18.11. 1896 (Ungedruckt: Österreichische Nationalbibliothek, Wien). Zitiert nach: Peter Sprengel/Gregor Streim: Berliner und Wiener Moderne. Wien Böhlau 1998, S. 105. 254 | Vgl. Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 248.
D IE SOZIALE F RAGE Man merkt kaum, daß sie älter geworden, und sie verrichten gemeinsam den Dienst, der ihnen bei Tag und Nacht schwere Verantwortlichkeit auferlegt. Aber sie finden dennoch nebenher Zeit und Gelegenheit, ihr Streifchen Feld zu bebauen, eine Ziege samt einigen gackernden Hühnern zu halten und zwei flachshaarige Kinder aufzuziehen, die sich als willkommene Spätlinge eingestellt haben und ganz munter hinter dem Bohnenzaune heranwachsen. 255
Die Lösung der sozialen Frage, die Saar in den Steinklopfern anbietet, ähnelt der Einstellung der steirischen Hüttenarbeiter aus Adamus/Bronners österreichischem Drama Familie Wawroch. Den drängenden Forderungen der Arbeiter wird die Schärfe genommen, wenn man ihnen ein ›kleines‹ Glück gewährt, einen ausreichend bezahlten Arbeitsplatz, der ein gesichertes Leben ermöglicht. Saars idyllisches Ende geht über die bei Adamus/Bronner angedeutete Lösung hinaus. Georg und Tertschka, die anfänglichen »Parias der Gesellschaft«256 werden zu verantwortlichen Arbeitern zum Wohle der Gesellschaft und sorgen durch ihre Kinder dafür, dass ihre erfolgreiche Sozialisation auch auf die nachfolgenden Generationen übergeht. Gebunden ist dieser soziale Aufstieg einerseits an die individuelle Entwicklung der Protagonisten, die den Willen und die Kraft aufbringen, aus den bestehenden Verhältnissen auszubrechen. Andererseits an die tätige Mithilfe des Obersten als Angehörigem der höheren Schicht, der die Leistung der beiden Arbeiter anerkennt und ihnen die notwendige Grundlage für ihr weiteres Leben schafft. »Es gäbe keine soziale Frage, wenn die Reichen von jeher Menschenfreunde gewesen wären«,257 lautet ein Aphorismus von Marie von Ebner-Eschenbach, der genau die gesellschaftspolitische Auffassung der Erzählung Saars trifft. »Wo sich die Beziehungen zwischen den sozialen Spären nachdrücklich personalisieren […], erscheinen kollektive Lösungen abstrakt bzw. gar nicht nötig«.258 Die vorsichtige Formulierung Rossbachers und der Konjunktiv im Aphorismus der Ebner deuten bereits an, dass die Reduzierung auf das Persönliche in der Erzählung Saars gen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr genügen würde.259 Die soziale Bedrohung wird in der kurzen Erzählung Die Spitzin (1901) von Ebner-Eschenbach greifbar. Die Geschichte ist in der Grundkonstellation ein Konzentrat des bis heute bekanntesten Romans der Ebner, denn auch hier ist der Protagonist ein Gemeindekind. Das von Zigeunern zurückgelassene Findelkind Provi
255 | Ferdinand von Saar: Die Steinklopfer. In: Sämtliche Werke (Hg. v. Jakob Minor) Band VII, Leipzig Max Hesse 1909, S. 152. 256 | Ebd., S. 114. 257 | Marie von Ebner-Eschenbach: Das Gemeindekind – Novellen – Aphorismen. München Winkler 1978, S. 901. 258 | Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 253. 259 | Laut Kommentar des Herausgebers reicht die Konzeption der Erzählung weit zurück. Vgl. Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke Band VII, S. 111.
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Kirchhof wird nach dem Tod seiner Pflegemutter zum »Abschaum« des Dorfes.260 Er wird »geprügelt, beschimpft, verachtet und gehaßt« und mit derselben Rohheit reagiert er auf seine Umgebung.261 Vergeblich versucht die Wirtsfrau durch Zuneigung, Provi ein verträgliches Sozialverhalten anzuerziehen. Die tägliche Milchration, die sie ihm aus Mitleid bedingungslos gewährt, wird ihr von ihrem Mann solange untersagt, bis Provi seine sture Haltung aufgibt und um die Milch bittet. Durch die Bitte um Nahrung würde er sich jedoch nach seinem Selbstverständnis der feindlichen Umwelt endgültig ausliefern. Derart in die Enge getrieben, zerschmettert er in einem Akt äußerster Brutalität die Spitzin des Wegemachers, in dessen Steinbruch er Fronarbeit leistet. Trotz ihres nahenden Todes schleppt sie noch ihr Junges zu Provi: Provi zitterte. Eine fremde, unwiderstehliche Macht ergriff ihn, umwirbelte ihn wie ein Sturm. Sie warf ihn nieder, sie zwang ihn, sein Gesicht auf das Gesicht des toten Hundes zu pressen und ihn zu küssen und zu liebkosen. Sie war es, die aus ihm schrie: »Jo du! Jo du! – Du bist a Mutta g’west!« 262
Die Hündin überwindet ihren Hass auf ihren Peiniger und erbittet gerade von ihm die Pflege ihres Kindes. Provi erkennt darin die Mutterliebe, die er nie erlebt hatte. Er nimmt das Junge in seine Obhut, aber um es versorgen zu können, muss er nun selbst seinen Starrsinn für den die Umgebung seine Widerspenstigkeit hält aufgeben und um Milch bitten. Nach seinem Verständnis ist jedoch der Widerstand, den er seiner Umwelt entgegensetzt, ein letzter Rest von Selbstachtung. Was er für sich nicht zu tun im Stande war, leistet er jetzt in Fürsorge für das ihm anvertraute Hundekind. Dadurch findet er den Weg zurück in die Dorfgemeinschaft. Man mag das, wie Helmut Koopmann, als Kitsch abtun, aber es ist die Art wie es Marie von Ebner-Eschenbach möglich war, sich an ihre Gesellschaftskreise zu vermitteln, und dem durchaus politischen Anspruch zu genügen, »die Welt durchsichtiger und begreifbarer zu machen«.263 Sie arbeitet darum mit einer doppelten Ebene, die an vielen Stellen übersehen wird, da gerade in den längeren Erzählungen der humanitäre Gedanke und die feudale Fürsorge den sozialkritischen Kern überdecken. In der Spitzin ist dieser Aspekt ausgeblendet. Die Handlung spielt in einer traditionellen dörflichen Gesellschaft am Ende des 19. Jahrhunderts in Oberösterreich (nicht in Mähren!). Aristokratie und Industrieproletariat sind auf der Handlungsebene nicht vorhanden, sind aber für die Deutungsebene von größter
260 | Marie von Ebner-Eschenbach: Die Spitzin. In: Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Auswahl aus ihren Werken (Hg. v. Franz Nabl) Königstein Langewiesche 1953, S. 101. 261 | Ebd. 262 | Ebd. 263 | Rossbacher, Literatur und Liberalismus, S. 249.
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Bedeutung. Ebner-Eschenbach wählt den eingeschränkten Raum des Dorfes als Ort für ein Experiment, das einen an sich komplexen Vorgang isoliert.264 Provi ist nicht nur innerhalb der Erzählung ein Kunstname, der Pfarrer empfiehlt seiner kaum gebildeten Ziehmutter, ihm einen provisorischen Namen zu geben, sondern er steht als Variable für das unterdrückte Proletariat des 19. Jahrhunderts und das Gewaltpotential, das ihm innewohnt. Nur durch das zufällige Erlebnis mit der Hündin kann das verborgene Gute, das im Sinne des humanitären, den Idealen der Aufklärung verpflichteten, Denkens der Ebner keinem abzusprechen ist, aktiviert werden. Im fiktiven Provisorium der Dorfwelt greift der persönliche Lösungsversuch noch, weil die menschlichen Beziehungen eindeutig sind. In der urbanen Arbeitswelt, dessen war sich Marie von Ebner-Eschenbach bewusst, sind diese Einzelfälle nicht mehr so einfach zu isolieren, verdichten sich vielmehr zu einer Masse, die als gesellschaftlicher Faktor ernst genommen werden muss. In der Spitzin wie in vielen anderen Texten warnt die Ebner ihren meist adeligen oder großbürgerlichen Leserkreis vor den drohenden gesellschaftlichen Umwälzungen.265 Sie fordert nicht nur zur Caritas auf, sondern es geht ihr um »eine andere Weise der Existenz«,266 die die Kräfte, die der Liberalismus geweckt und der Sozialismus verstärkt hatte, in einem Gleichgewicht zu halten, das auch den gehobenen Schichten ihr Weiterbestehen garantiert. Dadurch wird Marie von Ebner-Eschenbach nicht gleich zur Sozialreformerin im herkömmlichen politischen Sinn.267 Anders als die meisten Vertreter des deutschen Naturalismus, die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammten, lebte die Gräfin Dubsky in einer Sphäre, die sie nicht in Berührung mit dem Proletariat brachte, wenn sie es nicht aus eigener Kraft anstrebte. Sie ist diesen Weg gegangen und sah darin eine Möglichkeit, die sozialen Probleme in ihren Kreisen anzusprechen. Sie selbst und ihre Erzählinstanzen können sich aber nicht über die gesellschaftliche Distanz hinwegsetzen, die den Adel von den Lebensnöten der Arbeiter trennt. Für Helmut Koopmann ist das Werk der Ebner deswegen von einem »Moderhauch« des Biedermeierlichen
264 | Dieselbe Technik benutzt Ludwig Anzengruber im Sternsteinhof, in dem er keineswegs die verrottende Moral des Bauernstandes darstellt, sondern den Aufstiegssehnsüchten und ihren gesellschaftlichen Grundlagen im Liberalismus nachspürt. 265 | Nur in der Erzählung Margarete wird die Warnung explizit: »Das Elend bewundert euch nicht, das verachtet euch und euern Firlefanz«. Marie von Ebner-Eschenbach: Margarete. Stuttgart Cotta 1891, S. 11. Zur Stellung des Adels im Werk von Ebner-Eschenbach und in der soziologischen Schichtung Mährens vgl.: Erika Fischer: Soziologie Mährens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Hintergrund der Werke Marie von EbnerEschenbachs. Leipzig Wunderlich 1939, S. 44-47 und S. 74-81. 266 | Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 283. 267 | Vgl. Enno Lohmeyer: Marie von Ebner-Eschenbach als Sozialreformerin. Königstein Ulrike Helmer 2002.
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durchzogen.268 Er wirft ihr vor, dass sie »einen literarischen Befreiungsfeldzug aus der Welt, die sie darstellte, […] in keiner Erzählung geführt« habe. Koopmann Einschätzung mangelt es an historischem Einfühlungsvermögen, ja an Verständnis für das Gesamtwerk der Autorin im Allgemeinen. Kein namhafter Autor jener Zeit, und namhaft waren nur solche von bürgerlicher oder adeliger Abkunft bzw. von solchem Selbstverständnis, stellte sich und seine Literatur auf eine sozialrevolutionäre Position. Das hinderte einige bedeutende unter ihnen jedoch nicht, als lebendes Gewissen der Gesellschaft zu schreiben. 269
Rossbacher bezieht dieses Urteil auf die Verhältnisse der liberalen Ära in Österreich, die zwar als geistiger Bodensatz bis über die Jahrhundertwende hinausreichte, aber durch die konservativ-klerikale Regierung Taaffe weitreichende Einschränkungen erfuhr. Die Zensur beherrschte die Arbeit der Autoren und durch eine rigide Auslegung der Pressegesetze wurden 1882 in Wien über 200 Zeitungen und Zeitschriften konfisziert, »wobei die bloße Verwendung des Wortes ›Ausbeutung‹ zu einer solchen Beschlagnahme führen konnte«.270 Unter diesen Gegebenheiten war für Marie von Ebner-Eschenbach ein entschiedeneres Eingreifen nicht möglich, aber auch nicht sinnvoll. Selbst wenn sie es gewollt hätte, was ihre Tagebucheintragungen hinsichtlich der sozialistischen Aufstände und ihr grundsätzliches Festhalten an den Bildungs- und Erziehungsidealen der Aufklärung bezweifeln lassen, hätte sie sich vor ihren Standesgenossen diskreditiert und damit jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Ihre uneingeschränkte Loyalität gegenüber ihrem Stand war notwendig, um ihrer Rolle als Vermittler gerecht zu werden. Erst die Zurückhaltung in tagespolitischen Angelegenheiten ermöglichte ihr den tadelnden Blick auf das moralische Verhalten und die soziale Sorglosigkeit des Adels. Die Erzählung Er laßt die Hand küssen (1886) ist ein Musterbeispiel für das Fingerspitzengefühl, mit dem sie die Kritik ihren Lesern näher bringt.271 Die Handlung der Rahmennovelle beginnt mit einer belanglosen Konversation in einem adeligen Salon, eine Situation, die Ebner-Eschenbach geläufig war und die sich offensichtlich auch zwischen den beiden Figuren häufiger zugetragen hat.
268 | Helmut Koopmann: Schloß-Banalitäten. Lebenslehren aus einer halbwegs heilen Welt: Marie von Ebner-Eschenbach. In: Karin Tebben (Hg.): Deutschsprachige Schriftstellerinnen des Fin de Siècle. Darmstadt WBG 1999, S. 178. 269 | Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 247. 270 | H. Hofbauer/A. Komlosy: Das andere Österreich. Wien Promedia 1987, S. 118. 271 | Nur Erika Fischer stimmt mit dieser Einschätzung nicht überein, was zugleich die Vorsicht bestätigt, mit der die Autorin zu Werke gehen musste: »Sie urteilt zu sehr von ihrem ethisch-sozialen Standpunkte aus und legt dabei zu viel Gewicht auf einige Überspitzungen im Untertanenverhältnis, während sie die Vorteile davon sowohl für den Adel als vor allem auch für die Bauernschaft übersieht«. Erika Fischer: Soziologie Mährens, S. 76.
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Nur durch eine »Kriegslist«272 gelingt es dem Grafen wieder einmal die Gräfin zu überreden, einer seiner Geschichten zuzuhören. Durch Zwischenfragen und Einwürfe gibt sie zu verstehen, dass ihr nichts an Literatur liegt. Nur durch das in Aussicht gestellte Happy End lässt sie sich schließlich auf die Geschichte ein, deren Wahrheitsgehalt sie trotz der Beteuerungen des Grafen, aus seiner Erinnerung zu berichten, mehrfach anzweifelt. Die nun folgende Binnengeschichte führt der Comtesse vor Augen, wie schnell Standesdünkel, soziale Ignoranz und unbedachte Einflussnahme durch die ›Mächtigen‹ auf der niedrigen sozialen Ebene in eine Katastrophe münden können. In der Art eines Fürstenspiegels soll der Gräfin ihr eigenes Fehlverhalten einsichtig werden. Ob die moralische Intention der Erzählung die Haltung der Comtesse verändert, bleibt am Ende offen. Einzig zählbarer Erfolg für den Erzähler ist es, dass sie sich die Geschichte bis zu Ende angehört hat, womit Erzählsituation und schriftstellerische Wirklichkeit der Autorin sich beträchtlich nahe kommen. Auslöser für die tragischen Ereignisse der Binnengeschichte ist eine Gunsterweisung. Mischka, der der Großmutter des Grafen/Erzählers wegen seines guten Aussehens und seiner stillen Art auffällt (seine Umwelt hält ihn deswegen für »dümmlich«273), wird von ihr kurzerhand vom Feld- zum Gartenarbeiter befördert. Einmal zum Günstling erkoren, wird er von nun an zum Objekt des Umerziehungswillens der sittenstrengen Gräfin. Die Novelle kann hier leider nicht im Ganzen rekonstruiert und interpretiert werden, da manche Konstruktionselemente über das Thema dieses Kapitels hinausreichen.274 Wichtig für diesen Zusammenhang ist die unreflektierte Herrschaftsausübung der Gräfin, die ihren Eingriff in das Leben Mischkas als Selbstverständlichkeit begreift. Tatkräftig unterstützt wird sie in ihrer Meinung von einem devoten Kammerdiener, der sehr wohl weiß, dass sich Mischka mehrfach entschieden ihren Anweisungen widersetzte. Um keinen Zweifel über seine Zuverlässigkeit aufkommen zu lassen, verschweigt der Diener diesen Umstand und beschränkt sich leitmotivisch auf die Dankesformel, die der Novelle ihren Namen gab.275 »Er laßt die Hand küssen, er ist schon tot«, meldet er
272 | Marie von Ebner-Eschenbach: Dorf- und Schloßgeschichten. Frankfurt a.M. Insel 199, S. 293. 273 | Ebd., S. 274. 274 | Trotz des Stellenwerts der Autorin liegen kaum Interpretationen zu dieser Novelle vor. Empfehlenswert ist lediglich der diesbezügliche Abschnitt aus Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 124-127. 275 | Wenn man wie Koopmann den ›Kammerdienermund‹ als Sprachrohr der Ebnerschen Sozialkritik auffasst und der absolutistischen Gräfin unterstellt, sie wolle sich allen Ernstes von dem Arbeiter Mischka die Hand küssen lassen, dann hat das nichts mehr mit interpretatorischer Freiheit zu tun, sondern dokumentiert eine Missachtung des Textes. Koopmann, der wichtige Forschungsansätze (u.a. Rossbacher, Muerdel, Dormer, Gröger) nicht zur Kenntnis nimmt, versucht Marie von Ebner-Eschenbach zu diffamieren, wirft ihr Medio-
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»mit seinem süßesten Lächeln« der Gräfin, nachdem er eine Begnadigung von den 50 Stockhieben nicht mehr überbringen konnte, die Mischka das Leben kosten. Wichtig ist auch, dass die Autorin drei aristokratische Figuren anbietet, die die Binnengeschichte unterschiedlich bewerten. Die Gräfin der Binnengeschichte ist die eigentliche Ursache für den Tod Mischkas, bestreitet aber bis zum Ende die Verantwortung für die Ereignisse: »Eine merkwürdige Verkettung von Fatalitäten, […] vielleicht eine Strafe des Himmels«.276 Die Gräfin der Rahmenhandlung würde mit dem Grafen anfangs lieber ihre aktuellen juristischen Probleme mit den eigenen Bauern besprechen als sich die »alten Schnurren«277 anzuhören, lässt sich aber bald bereitwillig auf die Erzählung ein. Mit dem Ausruf »fürchterlich«278 kommentiert sie das Ende und erkennt damit das Schicksal Mischkas als tragisches an. Ob sie dadurch auch eine Lehre für ihren weiteren Umgang mit Untergebenen und Lohnabhängigen ziehen wird, spart die Ebner aus. Der gräfliche Erzähler schließlich übernimmt immerhin in so weit die Verantwortung für das Verhalten seiner Großmutter, dass er den unzuverlässigen Nachkommen Mischkas nicht aus dem Dienst jagt. »In keine andere Erzählung […] hat EbnerEschenbach, obwohl sie einen Ich-Erzähler beschäftigt, so wenig direkte Wertung verquickt«.279 Er laßt die Hand küssen ist keine Dorfgeschichte wie die Spitzin und auch keine kombinierte Dorf- und Schlossgeschichte, obwohl beide Bereiche angesprochen werden. Eine Interaktion zwischen Oben und Unten findet aber nicht statt oder nur in Vermittlung durch die mittlere Dienerschicht. Wie es die Gattung des Fürstenspiegels vorgibt, richtet sich die Novelle ausschließlich an den Adel am Ende des 19. Jahrhunderts. Ebner-Eschenbach schlägt sich in der Gesprächssituation der Rahmengeschichte, die in der Gegenwart spielt, auf keine der beiden Seiten und gewinnt durch die Verlagerung der Binnengeschichte in die Zeit der Patrimonialgerichtsbarkeit einen weiteren Effekt, der die Spitze gegen das aktuelle Herrschaftsgebaren des Adels abmildert. Die ›modernen‹ Aristokraten des Rahmens bringen dem armen Mischka mehr Verständnis gegenüber als die Gräfin des 18. Jahrhunderts und beweisen den – häufig ebenfalls adeligen oder nobilitierten – Lesern,280 dass in diesen Kreisen eine Entwicklung stattgefunden hat. Marie von Ebner-Eschenbach hing einem Ideal an, keiner Illusion. Sie täuschte sich nicht darüber hinweg, dass die karitativen Tätigkeiten ihrer Standesgenossen krität (S. 176) und Dilettantismus (S. 165) vor. »Daß sie in ihrer Zeit so beliebt war, spricht gegen sie, nicht für sie« (S. 168). Mit der Kritik von Koopmann verhält es sich umgekehrt. 276 | Marie von Ebner-Eschenbach: Dorf- und Schloßgeschichten. Frankfurt a.M. Insel 1991, S. 291. 277 | Ebd., S. 273. 278 | Ebd., S. 293. 279 | Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 125. 280 | Bekanntlich wurden gerade in der Habsburger Monarchie im 19. Jahrhundert besonders viele Bürgerliche in den Adelsstand erhoben und verbreiterten so den Kreis der Angesprochenen erheblich.
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auf Erfüllung von Konventionen beruhten oder spontanen Anflügen von Mitleid, und nicht auf Einsicht in die veränderte Gesellschaftsstruktur der frühen Moderne. Enno Lohmeyer spricht in diesem Zusammenhang vom »widersprüchlichen Stellenwert des Mitleids«281 im Werk der Ebner. Ihre Vorstellung von einem gedeihlichen menschlichen Zusammenleben der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten setzt einen Umdenkprozess voraus, der sich nicht in einmaligen Akten des Mitleids erschöpft. Unüberlegtes Handeln führt in ihren Erzählungen – das Gegenteil von gut, ist gut gemeint – manchmal zu Missverständnissen, die zu Lasten der Schwächeren gehen, wenn auch der Fall Mischkas ein besonders drastischer ist. Vielleicht wird auch deswegen der Gräfin ein Doktor an die Seite gestellt, der die Missverständnisse aufklärt und schließlich – allerdings zu spät – die Begnadigung erreicht. Der Arzt als Vertreter der Naturwissenschaft ist somit auf der Handlungsebene der Einzige, der die Ereignisse richtig zu deuten versteht. Die Figur des Arztes als Bestätigung für eine Anerkennung der Dominanz der Naturwissenschaften im naturalistischen Sinne bei Ebner-Eschenbach zu werten, würde aber wohl zu weit führen. Einerseits sind die Arztfiguren bei ihr nicht durchgehend positiv gestaltet, andererseits entspricht das rationale Verhalten des Arztes in Er laßt die Hand küssen durchaus den Darstellungen von Medizinern in anderen Erzählungen des Realismus, in denen sie die aufgeklärte Intelligenz repräsentieren. Wenn man Marie von Ebner-Eschenbach Naivität nachsagen will, dann besteht sie in ihrem Optimismus, ihrem Glauben an die prinzipielle Möglichkeit der Lösung gesellschaftlicher Probleme durch Besonnenheit und den Willen zum sozialen Ausgleich. Der Optimismus ist auch der Umstand, der die Ebner von dem pessimistischen Weltbild Ferdinand von Saars trennt. Ursache dafür ist die Abkehr Saars von einem persönlichen Lösungskonzept. Im Gegensatz zur Ebner, die die Ebene des individuell Menschlichen bis in ihr Spätwerk hinein nicht verlässt, macht sich bei Saar ab Mitte der 1880er Jahre eine Hinwendung zum Politischen immer stärker bemerkbar. Der soziale Konflikt wird zunehmend zu einem Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen politischen Lagern, und die Figuren seiner Erzählungen werden zu Repräsentanten dieser Lager. Über die Figur des Grafen Erwin sind die Erzählungen Dissonanzen (1900) und Familie Worel (1904) miteinander verbunden. Die Ausgangssituation von Dissonanzen ist mit Er laßt die Hand küssen annähernd vergleichbar. Auf einer Abendgesellschaft nach einem Jagdtag versammelt sich ein engerer Kreis im Kabinett der Schlossherrin zur Konversation. Im Mittelpunkt steht diesmal ein junger Doktor, »der in Wien als Privatgelehrter lebte«.282 Er vertritt die Ideen des Sozialismus und gerät deswegen in eine Kontroverse mit dem Grafen Erwin, einem Schwager der 281 | Enno Lohmeyer: Marie von Ebner-Eschenbach als Sozialreformerin. Königstein Ulrike Helmer 2002, S. 147ff. 282 | Ferdinand von Saar: Dissonanzen. In: Ders.: Sämtliche Werke (Hg. v. Jakob Minor) Band XI. Leipzig Max Hesse 1909, S. 174.
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Gastgeberin, der im Vorfeld als eigentlich bedächtiger und geruhsamer Zeitgenosse beschrieben wird. An diesem Abend braut sich jedoch »eine Atmosphäre zusammen, die etwas von Gewitterluft an sich hatte«.283 Gereizt durch die allgemeine Wertschätzung, die der junge Doktor bei den jüngeren Gesprächsteilnehmern genießt, greift Graf Erwin den utopistischen Inhalt der »sozialistischen Doktrin« an.284 Insbesondere die Volksbildungsvereine sind ihm ein Dorn im Auge, da sie nicht auf dem Bildungswillen der Arbeiter selbst beruhen. Durch Indoktrination von oben werde eine »heillose Verwirrung der Begriffe« erzeugt, mit der Absicht, in den Massen »Bedürfnisse und Begehrungen« hervorzurufen, die von den Führungspersönlichkeiten politisch ausgenutzt werden könnten. Erst die gesteigerten Bedürfnisse würden die Massen ins Elend stürzen, da sie sich nicht mehr auf ihre Rolle beschränkten, die ihnen in der traditionellen Gesellschaft zukommt. Jovial gesteht ihm der Doktor zu, dass die Umsetzung der sozialistischen Ideen erst am Anfang stehe, und zunächst genug erreicht sei, »wenn die geistig höher Veranlagten die erwünschte Anregung und Führung finden«. Auf vorschnelle kritische Stimmen, Ausdruck für eine »gänzlich veraltete Anschauung« dürfe nicht gehört werden. »Vielmehr muß der ganze Reichtum des Daseins jedem einzelnen erschlossen werden […] bis hinauf zu den reinsten Erhebungen durch die Kunst«.285 Damit sind die Fronten geklärt. Der Rest der Debatte besteht in politischen Meinungsäußerungen, die von Hohnlachen und Ironie begleitet werden. Der Graf hält an seiner konservativen Überzeugung von einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft fest, die nie aus einer »Einschicht bestehen werde«. Durch »vorbedachte Züchtung« können die unteren Schichten nicht zu einer höheren Bildung gelangen, allenfalls zu einem epigonalen »Nachahmungstrieb«, der zu einer Nivellierung von Kunst, Bildung und Staat auf niedrigem Niveau führen würde. Der Doktor zielt auf die Errichtung »vernünftige(r) soziale(r) Institutionen«, die mit Hilfe einer »abgewogenen und streng durchgeführten Zuchtwahl« (!) eine »harmonisch gegliederte und geläuterte Menschheit« erzeugen.286 Die Auseinandersetzung endet deswegen ergebnislos, aber keinesfalls unentschieden, »wenn man nach der ›Verkörperung‹ der jeweiligen Standpunkte fragt, d.h. dem Grad, in dem der Sprecher das, was er vertritt, auch lebt«.287 Der junge Doktor ist als Salonsozialist charakterisiert. Indem er an adeligen Jagd- und Tischgesellschaften teilnimmt und sich darin durch gehobene Umgangsformen, sowie modisch korrekte Kleidung auszeichnet, werden seine Solidarisierungsbekundungen mit der arbeitenden Klasse unglaubwürdig. Die Kontroverse echauffiert den Gelehrten derartig, dass der Hüter der Arbeiterinteressen die Diener herumscheucht und aus verletztem Stolz eine Duellforderung überlegt. So weit folgt 283 | Ebd., S. 178. 284 | Ebd., S. 179. 285 | Alle Zitate ebd., S. 181. 286 | Alle Zitate ebd., S. 182. 287 | Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 254.
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die Interpretation derjenigen Rossbachers, der nur das Detail der Duellforderung übersieht. Rossbachers Interpretation ist im Einklang mit Saar, aber Saar nicht im Einklang mit der Realität. Zumindest vereinfacht er sie, denn selbst eingefleischteste Proletarierseelen erlaubten ihren Führern, in Wien etwa Viktor Adler, den Umgang mit den höheren Ständen, um dort für Verständnis für die soziale Notlage zu werben, was bisweilen gelang. Der bekannteste Sozialdemokrat des 19. Jahrhunderts, der »eben nicht in der Fabrik, sondern im Salon zu Hause«288 sein wollte, war Ferdinand Lassalle, der 1863 den ersten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein gründete. Nach einer erfolgreich geführten Scheidungsklage bewilligte ihm die Gräfin Sophie von Hatzfeldt eine großzügige Leibrente. Sie wurde zu seiner langjährigen intimen Freundin und führte ihn auch in die höhere Gesellschaft ein. Seine Liebe zu Helene von Dönniges kostete ihn in einem Pistolenduell 1864 das Leben. Die Geschichte wurde bald zur Legende und es wird ob dem romantischen Gehalt der Ereignisse gerne übersehen, dass auch in diesem Fall die herablassende Haltung der Familie von Dönniges, die ihn als Sozialisten nicht für gesellschaftsfähig hielt und seine Argumente und Bitten nicht ernst nahm, letztendlich den Ausschlag für die Satisfaktionsforderung gab. Der tödliche Zweikampf fand in Genf statt, beschäftigte aber auch die Diplomatie in Bayern und anderen deutschen Staaten, und wurde zu einer europäischen Sensation. Der Bekanntheitsgrad könnte auch Saar veranlasst haben, seine Figur an das Vorbild Lassalle anzulehnen. Wegen seiner unentschiedenen Haltung zwischen den sozialen ›Klassen‹ war Lassalle in seiner Zeit nicht unumstritten und auch die negative Charakterzeichnung bei Saar beruht auf diesem Ungleichgewicht von revolutionärer Rede und ausschweifendem Lebenswandel.289 Sein Auftreten unterstützt Erwins konservative Kritik an der Infiltration der Arbeiter durch Berufsrevolutionäre. Im scharfen Gegensatz dazu lebt Graf Erwin im Einklang mit seinen Forderungen nach Selbstbescheidung und Genügsamkeit. Er lebt zurückgezogen in einer Dependance des Schlosses. »Bis auf die feinen Zigarren, die er rauchte, war er vollständig bedürfnislos und ließ sich, wenn er allein mit seinem Diener hier hauste, […] von einer Gärtnersfrau ein sehr schlichtes Mahl bereiten«.290 Fast übertrieben inszeniert Saar das Ideal der Anspruchslosigkeit des verantwortungsbewussten Adels gegen den geckenhaften Arbeiterführer. Die einseitige und ein288 | Burkhard Müller-Ullrich: Der Volkstribun im Liebeswahn. In: Uwe Schultz (Hg.): Das Duell. Frankfurt a.M. Insel 1996, S. 302. 289 | Dieser Zwiespalt setzt sich in Dissonanzen bei den Anhängern des Doktors fort. Im Hofmeister, der den Reden des Doktors andächtig lauscht, als ob er das »Evangelium« verkündigen würde, aber durch die Verhältnisse gezwungen wird, »der Macht des Besitzes untertänig zu sein« oder in der jungen Sekretärin der Gräfin, die »eine feuerige Hingabe an die Ziele der modernen Frauenbewegung, an der sie leider nur aus der Entfernung teilnehmen konnte«, in sich trägt. Ferdinand von Saar: Dissonanzen, S. 177. 290 | Ebd., S. 175f.
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deutige Gegenüberstellung der beiden Männer steht im Dienste der politischen Haltung Saars, dessen Konservatismus im Spätwerk immer plakativer auftritt. Ein Ausgleich der Interessen zwischen den politischen Extremen ist nicht zu erwarten, da der Sozialismus nur als Konterpart nicht als Korrektiv zu der konservativen Überzeugung der Figur und des Autors eingesetzt wird. Über seine eigenen politischen Interessen hinaus gelingt Saar in dieser Erzählung ein »pessimistischer Abgesang auf die Vergangenheit und [eine] Charakteristik der zunehmenden Krisis der Gegenwart« in Österreich,291 in der mit steigender Intensität die Liberalen als politischer Verhandlungspartner und Machtfaktor zurückgedrängt wurden.292 In der vier Jahre später geschriebenen Erzählung Familie Worel ist der Sozialismus zum Teil der aristokratischen Lebenswirklichkeit geworden. Es bedarf keiner konstruierten Figur mehr, um seine Inhalte zu kommunizieren. Der Sozialismus wird laut Graf Erwin auch »das Schibboleth der nächsten Epoche sein, und den Tatsachen, wenn sie sich vollziehen, wird man sich beugen müssen«.293 Der weltanschauliche Konflikt aus Dissonanzen, auf den in der Erzählung direkt hingewiesen wird, ist einer nüchternen Realpolitik gewichen. Unter der Devise »des Menschen Wille ist sein Himmelreich«294 betrachtet der Graf den »Zug der Zeit«295 in der Hoffnung, dass der Sozialismus in der Habsburger Monarchie ein ähnlich rasches Ende finden möge wie der Liberalismus vor ihm. Teilnahmslos nimmt er die Meldung vom Tod Olgas, der Tochter des ehemaligen Schlossverwalters Worel zur Kenntnis. Obwohl er sie in jungen Jahren sogar heiraten wollte, ist ihr gewaltsames Ende im Zuge einer Arbeiterdemonstration für ihn nur Resultat des stetigen Niedergangs der Familie. Die Ursache für das Unglück erkennt der Graf im Eigensinn des Familienoberhaupts, den die Anerkennung seiner Leistungen zur Überheblichkeit reizte. Worel kehrt seinem bisherigen Leben den Rücken und »engagiert sich in einer Bewegung, die zwar als ›tschechisch‹ bezeichnet wird, deren reale politische Ziele jedoch eher sozialdemokratisch anmuten«.296 Durch die Hinwendung zum Sozialismus und die Aufgabe des Dienstes ist die Familie Worel aus der gräflichen Fürsorgepflicht entlassen. Eine spätere Bitte Worels um einen kontinuierlichen Erziehungsbeitrag für seinen Sohn wird abschlägig beschieden, da die einmal getroffene Entscheidung Worels im Nachhinein nicht mehr korrigierbar ist. Eine einmalige Zahlung zur Sicherung 291 | Herbert Zeman: Die österreichische Literatur der Jahrhundertwende, S. 10. 292 | Vgl. William J. McGrath: Dionysian art and populist politics in Austria. New Haven Yale University Press 1974, S. 240f. und Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 254. 293 | Ferdinand von Saar: Die Familie Worel. In: Sämtliche Werke (Hg. v. Jakob Minor) Band XII, Leipzig Max Hesse 1909, S. 13. 294 | Ebd., S. 30. 295 | Ebd., S. 14. 296 | Jan Bud ňák: Das Bild des Tschechen, S. 111. Bei Budňák wird das tschechische Motiv weiterverfolgt. Es kann hier ausgeblendet werden, da es die Entwicklung im Grundsatz nicht verändert, sondern nur verschärft.
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der Familie, die nun in einem der »echten Proletarierhäuser« untergebracht ist, wird jedoch gewährt.297 Bei der Geldübergabe wird Graf Erwin von der Frau Worels verschwiegen beiseite genommen. Sie erklärt ihm, dass sie die Kündigung und den plötzlichen Richtungswechsel ihres Mannes für falsch gehalten habe. Ihre Anrede Erwins als »Erlaucht« erhärtet ihre Verankerung in der patriarchalischen Lebenswelt.298 Der alte Worel zerbricht an seiner vorbildlichen Arbeitsmoral, die ihn schon in Diensten des Grafen auszeichnete und nun in Konflikt mit den streikenden Arbeitern bringt. Als Streikbrecher wird er von ihnen zusammengeschlagen und verstirbt bald darauf. Franz, sein ältester Sohn, sinkt ins Lumpenproletariat hinab und stirbt an Auszehrung. Olga, die inzwischen eine wahre Anarchistin geworden und mit einem Sozialisten verheiratet ist, fällt wie eingangs beschrieben durch Schüsse des Militärs. Erst jetzt, nachdem alle drei ›Abtrünnigen‹ ihr Ende gefunden haben, wird die übrige Familie wieder der aristokratischen Caritas für würdig befunden. Der jüngste Sohn Jaroslaw, beschließt Graf Erwin seinen Bericht, »soll ein sehr fleißiger Schüler sein und genießt von uns einen Erziehungsbeitrag. Vielleicht ist er schon der Mensch der Zukunft«.299 Der Schluss eröffnet eine Perspektive für einen eventuellen gesellschaftlichen Wandel. In der Gegenwart der Erzählung scheitern die Demokratisierungs- und Autonomiebestrebungen. Die Spannungen zwischen der gräflichen Familie und den Worels werden erst aufgehoben, wenn das soziale Gefälle wieder hergestellt ist. Auf gleichen gesellschaftlichen Ebenen ist eine Beziehung unmöglich. In einer langen Einleitung gibt sich Saar Mühe, den Niedergang Worels, der auch den vielzitierten Hochmut, der vor dem Fall komme, illustrieren könnte, in einen übergeordneten politischen Kontext einzuarbeiten.300 Der regionale wirtschaftliche Aufschwung, der durch die Ansiedlung von Industriebetrieben durch einen Vorfahren des Grafen ermöglicht wurde, ist durch Arbeiterunruhen zum Stillstand gekommen. Die Forderungen der Arbeiter sind rein gegenwartsbezogen. Die historischen Verdienste werden nicht wie vormals gewürdigt: »man segnete den unternehmenden Gutsherrn und nannte ihn den Wohltäter der Gegend. Heute nennt man uns Ausbeuter. Vielleicht sind wir es auch […]«.301
297 | Ferdinand von Saar: Die Familie Worel, S. 27. 298 | Ebd., S. 28. 299 | Ebd., S. 31. 300 | Die Verquickung der unterschiedlichen politischen Positionen mit dem Schicksal der Familie Worel, sowie einige strukturelle Gemeinsamkeiten lassen einen Vergleich mit Adamus/Bronners Drama Familie Wawroch lohnenswert erscheinen, das nur kurze Zeit vor der Veröffentlichung der Erzählung in Wien uraufgeführt wurde. Der Kommentar Jakob Minors, Saar habe den Stoff auf Grund eines Berichtes über die Arbeiterunruhen in Brünn 1869 aufgegriffen, muss nicht gegen eine spätere Anregung durch Bronners Stück sprechen. 301 | Ebd., S. 12.
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Die doppelte Verwendung des Adverbs »vielleicht« im Erzählerbericht des Grafen Erwin umklammert Anfang und Ende, verbindet die Familiengeschichte des Grafen mit der Familientragödie der Worels. Vielleicht, so die Hoffnung Saars, wird es zukünftig Menschen geben, die die Leistungen des Adels anerkennen und vielleicht wird dann auch die Aristokratie in der Lage sein, eigene Fehler einzugestehen. Einstweilen, kurz nach der Jahrhundertwende, stehen sich die politischen Lager unversöhnlich gegenüber. Gegen den, in der Überzeugung Saars, funktionierenden Status quo des konservativen Gesellschaftsmodells konnten weder der Liberalismus noch der Sozialismus überzeugende Gegenmodelle kreieren. Am Ende des 19. Jahrhunderts verschoben sich unter dem Einfluss des Naturalismus die Bedingungen für die literarische Produktion auch in Österreich wie die vorherigen Kapitel gezeigt haben. Marie von Ebner-Eschenbach und auch Ferdinand von Saar vollzogen in ihrem Werk diesen Wandel nicht mehr. Beide reagierten aber, wenn auch recht unterschiedlich, auf die Modifikationen der beginnenden Moderne. Trotz der sozialkritischen Elemente in der Dichtung Marie von Ebner-Eschenbachs, die auch in den beiden vorgestellten Erzählungen den Kern ausmachen, kann sie nicht für den Naturalismus requiriert werden. Dafür ist ihr Denken zu sehr einem Menschenbild verpflichtet, das »den Forderungen des Naturalismus Hohn spricht«.302 Noch in der um die Jahrhundertwende verfassten Spitzin konterkariert das moralische Erweckungserlebnis Provis die Milieutheorie und den Determinismus, zwei charakteristische Bestandteile naturalistischen Schreibens. Noch weniger neigt Saar zum Naturalismus, obwohl immer wieder Stimmen laut wurden, welche die Leerstelle in der österreichischen Literaturgeschichte durch die frühe Thematisierung des Arbeiters vordringlich in der Erzählung Die Steinklopfer füllen wollten. Doch auch in dieser Erzählung ist es lediglich das Aufgreifen eines sozialkritischen Themas, das eine solche Argumentation stützen könnte. Wie die Ebner aus christlicher Güte wendet sich Saar aus humanitärem Mitgefühl der sozialen Frage zu. Bei beiden kommt in dieser Auseinandersetzung dem Selbsterhaltungstrieb des Adels eine gewisse Bedeutung zu. Entgegen den Elendsdarstellungen des Naturalismus, die politischen Oppositionsbewegungen auch in der Kunst Argumente lieferten, schrauben sie das revolutionäre Potential in ihren Werken durch individuelle Ausgleichsmöglichkeiten zurück. Deutlicher als die Ebner empfand Saar aber die Vergeblichkeit der künstlerischen Einflussnahme.303 Trotz einiger weniger Zukunftsperspektiven zeigen die späten Erzählungen Saars resignative Wahrnehmung des Auseinanderbrechens der Gesellschaft in der frühen Moderne. Maderno missversteht den grundlegenden Pessimismus seiner konservativen Weltanschauung, wenn er in seiner Literaturgeschichte vermutet,
302 | Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1870-1900, S. 269. 303 | Vgl. das Gedicht Kontraste, sowie seine Interpretation und Wirkungsgeschichte in Rossbacher: Literatur und Liberalismus, S. 155ff.
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Saar »neu zu entdecken, verheißt vielleicht die Auffindung eines nationalen Heilquells«.304 Wie verhält sich nun der jüngste Autor des mährischen Dreigestirns zu der zentralen politischen Frage des Naturalismus? Diese Frage soll am Beispiel seines letzten Romans Der Übergang beantwortet werden, der abseits der kleinen Renaissance der Davidforschung steht, da er keine jüdischen oder tschechischen Figuren enthält und auch nicht in Mähren spielt. In einer Rezension auf Hermann Groeneweg kritisiert Joseph Körner in gewohnter Sprachgewalt die Willfährigkeit im Umgang mit dem Werk des Autors: Mit derselben fleissigen, aber bedauerlich geistlosen Methode wie hier Stamm und Landschaft, werden im zweiten Kapitel die geschichtlichen, im dritten die gesellschaftlichen Elemente von Davids Gesamtwerk herausanalysiert. Dies geschieht ohne jede Perspektive: […] Das Werk des Dichters wird heillos atomisiert, nirgends in seiner Ganzheit aufgebaut und geschaut und dergestalt gar keine Möglichkeit geboten, es in seiner völligen Gestalt zu bewerten. 305
Die Rezension zählt zum Besten, was zu dieser Zeit über David geschrieben wurde und müsste wegen der ausführlichen Werkbetrachtung eher als selbstständiger Aufsatz aufgefasst werden. Um nicht unter dieses vernichtende Urteil zu fallen, wird der Roman zumindest im Zusammenhang mit den vorangegangenen beiden Roman Davids untersucht. Zuflucht vor dem Furor Körners finde ich auch bei einer Reihe von zeitgenössischen Kritikern, die den Übergang als bestes und reifstes Werk Davids bewerteten. Körner geht es auch eigentlich darum, die jeweiligen Motive, die das Werk Davids durchziehen als solche wahrzunehmen und in einen Gesamtzusammenhang zu stellen. Auf eine Mehrheit dieser konstanten Motive greift David auch im Übergang zurück. Der Übergang wird meistens als zweiter Wien-Roman Davids rezipiert, dem der Studentenroman Am Wege sterben voranging und ein geplanter Roman unter dem Arbeitstitel Der Sieger folgen sollte. Die Artikel von Eugen Schick und Friedrich Fischl, die 1909 mehr als zwei Jahre nach Davids Tod zum Gedenken des Schriftstellers erschienen, der in diesem Jahr 50 Jahre alt geworden wäre, sprechen sogar – wohl nicht ganz unabhängig voneinander – von einem angestrebten Zyklus von »Rougon-Macquartscher Spannweite«.306 Durch die Konzentration auf den Hand304 | Alfred Maderno: Die deutschösterreichische Dichtung der Gegenwart. Leipzig Gerstenberg 1920, S. 216. 305 | Joseph Körner: Rezension zu Hermann Groeneweg: J.J. David in seinem Verhältnis zur Heimat, Geschichte, Gesellschaft und Literatur. Graz Wächter 1929. In: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie. Jg. 52 (1931) Nr. 1-2, S. 32. 306 | Eugen Schick: Für J.J. David! In: Feuilleton-Beilage des Tagesboten aus Mähren und Schlesien. Jg. 59 (1909) Nr. 14, S. 2. Vgl. auch Friedrich Fischl: J.J. David. In: FeuilletonBeilage des Tagesboten aus Mähren und Schlesien. Jg. 59 (1909) Nr. 61, S. 1.
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lungsort Wien wird Davids erster, noch im mährischen Kuhländchen spielender Roman Das Blut kaum in die Interpretationen miteinbezogen. Doch gerade dieser 1891 erschienene Roman ist der Beginn der Verkoppelung deterministischer Vorstellungen mit der sozialen Frage, die bis in den Übergang hinein weiterwirkt. Joseph Körner entwickelte in den 1920er Jahren eine Methode der Werkanalyse, die in einem Herausarbeiten motivischer Schwerpunkte bestand. Für diese »Beharrsamkeit typischer Motive« war Jakob Julius David ein »bewusster Kronzeuge«,307 denn in seinem Werk werden einige wenige Motive, etwa die feindlichen Brüder, der Selbstmord oder der gescheiterte Student, immer wieder neu bearbeitet und teilweise unterschiedlichen Lösungen zugeführt. Kontinuität beweist David aber auch in der Verarbeitung von Themen oder schematisierten Ansichten. Bereits seine Doktorarbeit widmete er der Psychologie Heinrich Pestalozzis und das Thema Erziehung dominiert auch seine späteren Romane. Im Übergang zeichnet sich jedoch ein Wandel im Weltbild Davids ab, der die konstanten Motive ebenso betrifft wie das Thema Erziehung, sich jedoch nur in Abgrenzung von früheren Positionen erschließt, die zunächst kurz nachgezeichnet werden müssen. Der Roman Das Blut erschien 1891 zur Hochphase des Naturalismus. Im Sinne des Zeitgeistes wurde die Lebensgeschichte der Gabriele Lohwag als musterhafte Umsetzung deterministischen Schreibens angesehen. Erst Peter Goldammer entdeckte das »Erziehungsproblem« als eigentliches Movens der Handlung.308 Rupert und Salome Lohwag bewirtschaften mit großem Erfolg das Brauhaus in einem kleinen Ort des Kuhländchens in der Nähe von Neutitschein. Als Zugereiste sind sie Außenseiter in der Dorfgemeinschaft. Eine Angleichung wird durch ihren Reichtum, vor allem aber durch ihren andersartigen Glauben verhindert. »Sie waren Calvinisten; und man mag die eigentlich nirgends, wo sie versprengt und einsam wohnen«.309 Das Misstrauen der Bevölkerung schwindet auch nicht, nachdem Salome gegen den Willen ihres Ehemannes das einzige Kind ihrer Schwester nach deren Tod zu sich nimmt. Diese hatte sich früh von der Familie losgesagt und verdingte sich als Komödiantin an einer Provinzschmiere. Salome, deren Ehe kinderlos geblieben war, sieht nun ihren Herzenswunsch erfüllt. Während sie glaubt, durch unerbittliche Strenge die achtjährige Gabriele vor dem Schicksal ihrer Schwester bewahren zu können, bleibt ihr Mann Rupert skeptisch: »Bedenke, es wird sein Lebtag kein Bauernpferd englisch. Das Blut macht’s da aus. Wird’s bei Menschen auch nicht viel anders sein.«310 Erfolg oder Misserfolg des Umerziehungsprojektes werden zum Gegenstand einer Wette zwischen den Eheleuten, durch die sich Rupert bereit erklärt, Gabriele ins Haus zu nehmen. 307 | Beide Zitate bei: Joseph Körner: Rezension zu Hermann Groeneweg, S. 34. 308 | Peter Goldammer: Jakob Julius David – ein vergessener Dichter. In: Weimarer Beiträge. Heft 5 (1959), S. 341. 309 | Jakob Julius David: Das Blut. In: Ders.: Gesammelte Werke Band 2. Hg. v. Ernst Heilborn und Erich Schmidt. München Piper 1908, S. 252. 310 | Ebd., S. 258.
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Die übertrieben calvinistische Erziehung gewährt Gabriele keine Lebensfreude311 und provoziert schließlich in der Pubertät Ausbruchsversuche, die zunächst durch die Dienstmagd Susanna, die Gabriele in die reale Lebenswelt des Gesindes einführt, kanalisiert werden können. Durch einen Spielpartner, den ebenfalls am Rande der Dorfgemeinschaft vegetierenden jüdischen Halbtschechen Eduard Böhm, wird für Gabriele zum ersten Mal die Welt hinter dem Dorf greifbar. Zum Schlüsselerlebnis wird der erste Stadtausflug zum Jahrmarkt in Neutitschein,312 denn es sind nicht die Vergnügungen der Dienstboten und Mägde, die ihr bisher vorenthalten wurden, die Gabriele faszinieren, sondern die Varieté-Vorstellung des schäbigen Zirkus. Beim Auftritt der Kunstreiterin gerät sie in einen ekstatischen Zustand. Der auktoriale Erzähler, sonst gut über die Vorgänge im Innern der Figuren informiert, geht an dieser Stelle nicht auf die Psyche Gabrieles ein. Es bleibt offen, ob ihre Aufwühlung durch eine Erinnerung an die frühere Lebenswelt der Mutter oder durch eigene Disposition zum Vagabundenleben ausgelöst wird.313 Jedenfalls ist von diesem Moment an ihr Schicksal vorgezeichnet, »das Blut Therese Wagners regte sich in ihr, ein Wildbach, den man nicht abgeleitet noch gebändigt, nur gestaunt und erzürnt hatte«.314 Das Wechselspiel zwischen Vorfreude auf das Unergründliche und ungeduldigem Zuwarten fasst David in die widersprüchlichen Geschwindigkeitsangaben des darauffolgenden Absatzes: Noch kein Winter war Gabrielen so rasch vergangen, wie dieser mildeste aller, die sie in Unter-Heinzenwald verbracht. Endlos war jede einzelne Stunde; in fast atemloser Hast drängten die Wochen und die Monde einander. Und immer fester und gespenstig lebhaft war das Empfinden in ihr: Es kam. 315
Das »Es« ist ganz im Sinne der Psychoanalyse Freuds zu verstehen als Entladung der durch die emotionslose Erziehung aufgestauten Triebe. Gabriele erstrebt nun
311 | »Aber hier gab es nicht Lob, nur Tadel. Hier hieß es endlose Gebete nachsprechen, bekennen, daß man verworfen und verrucht und ein Kind der Sünde sei«. J.J. David: Das Blut, S. 268. 312 | Die Episode wurde später gesondert veröffentlicht, um David als Heimaterzähler wieder bekannt zu machen. Vgl.: Wie es vor fünfzig Jahren auf einem Jahrmarkte in Neutitschein zuging. Nach J.J. David. In: Heimatfreude. Eine Vierteljahresschrift für die deutsche Jugend des Kuhländchens. Folge 6 (1922) 1. Band, S. 134-137. 313 | Das Vagabundendasein als Möglichkeit der Welt- und Lebenserkenntnis war im 19. Jahrhundert ein Topos der mährisch-schlesischen Literatur. Vgl.: Karl von Holtei: Die Vagabunden. 4 Bände. Breslau Trewendt & Garnier 1851 und die zahlreichen Romane von Emil Mario Vacano, der selbst als Kunstreiterin (!) auftrat. Die Gesamtausgabe erschien in 10 Bänden im Fried-Verlag Berlin 1894. 314 | J.J. David: Das Blut, S. 317. 315 | Ebd.
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»Klarheit über das, wovon sie Ahnungen nur zu viele hatte«.316 Sie überwindet die Furcht vor sich selbst und vor den anerzogenen religiösen Ansprüchen. Sie schleicht sich an den Treffpunkt zwischen dem Dienstmädchen Marie und dem Bauernsohn Franz Rüttemann, deren Absprache sie heimlich belauscht hatte, um mit eigenen Augen zu sehen, wovon die anderen sprechen. Marie jedoch ist durch eine vorzeitig kalbende Kuh verhindert und Gabriele gerät nun selbst an Franz, dem sie sich hingibt. Dieses Erlebnis scheidet sie von der Welt ihrer Zieheltern und wirft sie nun endgültig auf die Lebensbahn ihrer Mutter. Sie flieht noch in derselben Nacht und schließt sich als Kunstreiterin einer Zirkustruppe an, die durch die Provinz tingelt. Später lässt sie sich in Wien von Männern aushalten. Erst am Ende des Romans besucht sie durch eine Notlage getrieben, ihre nun im Ruhestand lebende Stiefmutter. Deren Hoffnung auf eine innere Wandlung Gabrieles wird jedoch nicht erfüllt. Salomés Ansinnen ihr eine Stelle in einer Diakonissenanstalt zu verschaffen wird abgelehnt und so wirft sie Gabriele wieder aus dem Haus. Auf dem Rückweg zur Bahnstation wird Gabriele von dem inzwischen vollständig verkommenen Franz bedrängt, den sie jedoch nicht erkennt. Beim Versuch den Zudringlichen abzuwehren, gerät sie ins Hochwasser der Oder und ertrinkt, ebenso der ihr nachspringende Franz. Aus dem Schlusssatz des Romans, der in Aufbau und Figurenführung eher eine Novelle ist, erfährt man das Alter der soeben Verstorbenen: 18 Jahre. Obwohl David keine konkreten Angaben macht, lässt sich die Zeitspanne zwischen den beiden Begegnungen Gabrieles mit Franz Rüttemann ungefähr nachrechnen. Zwischen der Verführung, dem Wendepunkt in Gabrieles Leben, und ihrem Tod liegt die von Salomé betriebene Verarmung des Rüttemann-Hofes, die erzwungene Aufgabe des Brauhauses und die Übersiedelung in den Ruhestand. Auch Gabrieles ehemaliger Privatlehrer ist inzwischen in die Jahre gekommen, so dass selbst bei vorsichtiger Schätzung Gabriele zum Zeitpunkt ihrer Verführung nicht älter als 14 Jahre gewesen sein kann. Aus diesem Umstand entspringen Probleme bei der Einschätzung der drei Erklärungsmuster Determinismus – Erziehung – Prädestination, die David in Blut für das tragische Scheitern Gabrieles anführt. Der Titel des Romans verweist auf die biologisch-materialistische Komponente, die nach heutigem Sprachgebrauch als Vererbung oder Genetik zu bezeichnen wäre. Dabei ist einerseits auszuschließen, dass David tiefere ethologische Kenntnisse besaß, ja besitzen konnte. Die Ergänzung der Darwinschen Evolutionstheorie durch die Erbfaktorenlehre Mendels vollzog sich erst um die Jahrhundertwende innerhalb der Fachwissenschaft. Andererseits verfolgte David auch keine politischen Implikationen. Die Aktivierung biologischer Gesetzmäßigkeiten in der Rassentheorie, die nicht nur die deutsche Rechte bis zum Nationalsozialismus beeinflusste, erfolgte im deutschen Sprachraum erst durch Otto Ammon.317 Allerdings 316 | Ebd., S. 323. 317 | Otto Ammon: Die natürliche Auslese beim Menschen. Jena Gustav Fischer 1893 und ders.: Die Gesellschaftsordnung und ihre natürlichen Grundlagen. Jena Gustav Fischer 1895.
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wurde im Zuge des Gobinismus am Ende des 19. Jahrhunderts auch auf breiterer Ebene über die Möglichkeit bzw. das Verhältnis von angeborenen und erworbenen Eigenschaften diskutiert.318 Ein rein biologisches Erklärungsmodell wird in Blut nur von Rupert Lohwag vertreten. Als Pferdezüchter gesteht er Änderungen im Kleinen, also Variationen zu, aber keine grundsätzlichen Änderungen. Blut bleibt Blut. Da er, wie eingangs zitiert, keine größeren Unterschiede zwischen tierischer und menschlicher Entwicklung voraussetzt, bleibt auch Veranlagung gleich Veranlagung, die sich in die nachfolgenden Generationen weitervererbt. Konsequent wendet Rupert dieses mehr praxisorientierte als theoretische Verfahren auch auf seine Ehefrau an, die als Schwester der Komödiantin einen Teil ihrer ›Erbanlagen‹ in sich tragen muss. Diese Bedenken sind die Grundlage des ständigen Streitzustandes der Eheleute, der als latente, nur selten konkret ausbrechende Belastung des Ehelebens geschildert wird. Folgerichtig beteiligt sich Rupert nicht an den Umerziehungsversuchen Salomés und bleibt im Roman eine blasse, weil konstante Figur. Salomés Handeln ist ebenso ›deterministisch‹, allerdings nicht biologisch, sondern religiös begründet. Als überzeugte Calvinistin glaubt sie an die Prädestinationslehre, die Vorbestimmtheit des Menschen durch den unhinterfragbaren Ratschluss Gottes. Allen philosophischen und religiösen Determinismen ist die Frage nach dem freien Willen, der Eigenverantwortung des Menschen für sein Handeln, so wie seine mögliche Entscheidungsfähigkeit gemein. Salomé begreift die Aufnahme Gabrieles als ihre Vorbestimmung und entscheidet sich für ein abgeschwächtes Prädestinationsmodell wie es auch heute innerhalb des Calvinismus gelehrt wird. Durch Erziehung zu rechtem Glauben im Sinne des Calvinismus versucht sie Gabriele eigene Sündhaftigkeit zu ersparen, um die gerechte göttliche Beurteilung des menschlichen Lebens, die sich in plötzlicher Verwerfung, ausdrückt, zu verhindern. Nachdem sie die Gründe für Gabrieles Flucht durchschaut hat und ihren gesellschaftlichen und (in ihrem Sinne) moralischen Abstieg überblickt, ist sie von der Ausschließlichkeit der göttlichen Prädestination überzeugt: Ich habe es mir schon früher gedacht. Aber gehört habe ich es erst vom Johann Rüttemann […] und begriffen so erst diese Nacht: wir können nichts für uns. Wenn die Gabi schlecht geworden ist, so hat der Rupert gemeint, das Blut ist schuld daran. Soll gelten. Aber kann der Mensch etwas für das Blut, das er in sich hat? Nein! Und so kann er für garnichts (sic!). Wenn ich sie nicht da treffe, kann ich überhaupt etwas für die Gabi tun? Gar nichts; zuschauen hätte ich müssen. Damit müssen wir uns bescheiden, was wir anpacken und wie wir es beginnen: Es geht aus, wie es ein anderer will und gefügt hat von Ewigkeiten. 319
318 | Im Sommer 1876 notierte Nietzsche: »Kein Nachdenken ist so wichtig, wie das über die Erblichkeit der Eigenschaften«. KSA VIII, S. 301. 319 | J.J. David: Das Blut, S. 366.
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Die Einstellung beider Eheleute ist weit entfernt von den deterministischen Vorstellungen des Positivismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die sich erst durch die Gesamtkonzeption des Textes bzw. durch die Erklärungen des Erzählers erschließt. Der Lebenslauf Gabrieles folgt dem bekannten Dreischritt Scherers von Ererbtem, Erlerntem und Erlebtem, lässt sich aber noch anschaulicher in der französischen Terminologie Hippolyte Taines fassen. ›Race‹ ist die Veranlagung, die Gabriele von ihrer Mutter mitbekommen hat. Sie wird bei Rupert zur alleinigen Deutungskategorie. ›Milieu‹ ist sowohl das Vagabundenleben, das Gabi in ihrer frühkindlichen Entwicklung prägte als auch das strenge und von Gefühllosigkeit geprägte Aufwachsen in der Gastfamilie. Der ›Moment‹ ist im Zusammenprall der beiden Milieus beim Zirkusbesuch zu sehen. In diesem Augenblick ist der Umerziehungsversuch Salomés gescheitert und Gabrieles weiteres Leben verläuft mit der ganzen Härte zeitgeistigen Kausalitätsdenkens. Gabriele als handelnde Figur wird bedeutungslos. Die zweite Hälfte des Textes konzentriert sich auf die psychische Verarbeitung des Schicksals von Gabriele durch die anderen Figuren, nicht auf ihr Schicksal selbst, das sich unausweichlich vollzieht. Gabrieles Leben wird so zur Fallstudie, zum soziologischen Experiment im Sinne August Comtes.320 »Das Problem der Vererbung spielt nur eine untergeordnete Rolle«, urteilt Goldammer und hält den Titel des Romans deshalb für »irreführend«.321 Im Vordergrund steht für ihn die gescheiterte Erziehung Gabrieles. Mit derselben Begründung wird Blut für Jiří Veselý zu einer literarischen Polemik Davids mit Ebner-Eschenbach, die mit der Erziehung des Gemeindekindes Pavel Holub ein Musterbeispiel gelungener gesellschaftlicher Integration schuf.322 Die Erziehungsproblematik betrifft aber nicht nur Gabriele Wagner. Im Hintergrund stehen zwei ebenfalls gescheiterte Erziehungsversuche, deren anerzogene psychische Defizite das Gerüst des Textes stärker beeinträchtigen als die im Vordergrund ablaufende Handlung zunächst vermuten lässt. Sowohl die Brüder Franz und Johann Rüttemann als auch die Schwestern Salome und Therese wurden Opfer einer einseitigen Bevorzugung in Kinder- und Jugendjahren. Beide bevorzugten Kinder Franz und Therese geraten später durch leichtsinnigen Lebenswandel auf Abwege, während den beiden ›Schattenkindern‹ vordergründig der Sprung in ein normales Leben gelingt. Beide erkennen den Mangel an Strenge als Auslöser für das Scheitern ihrer Geschwister, jedoch wird lediglich Salomé die Chance gegeben, ebenfalls pädagogisch tätig zu werden. Die gegenüber Gabriele angewandte rigide Disziplin ist Folge dieser Erkenntnis, führt jedoch wegen ihrer Maßlosigkeit zum gleichen Ergebnis wie die Bevorzugung. Die mütterliche Zuneigung, die Gabriele ersehnt, 320 | Vgl. Günther Mahal: Naturalismus, S. 46f. 321 | Peter Goldammer: Jakob Julius David – ein vergessener Dichter. In: Weimarer Beiträge. Heft 5 (1959), S. 341. 322 | Vgl.: Ji ř í Vesely: Literární polemika Marie von Ebner-Eschenbach – Jakob Julius David. In: F. Valouch/J. Starek (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach. Leben und Werk. Brünn Universitätsverlag 1999, S. 53-58.
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findet sie lediglich in der Dienstmagd Susanne, die somit ebenfalls an der Erziehung beteiligt ist. Sie führt Gabriele aus dem engsten Familienkreis heraus und erwirkt auch gegenüber den Zieheltern den Besuch des Jahrmarktes. Gegen das Verdikt von Körner, der das Aufstöbern von Einflüssen als »alberne, in den Verfallsjahren unserer Wissenschaft grassierende« Methode ansieht, die das »Ingenium« des Dichters unterdrücke,323 kann man kaum umhin, die Darstellung der Erziehung in Blut mit Leben und Werk Johann Heinrich Pestalozzis zu vergleichen, dem David seine Dissertation widmete. Pestalozzis Pädagogik entwickelte sich zuerst aus eigenem Erleben. Durch den frühen Tod seines Vaters oblag seine Erziehung allein seiner Mutter Susanne (!), die ihn unter den Geschwistern bevorzugte und verzog. Trotz der verschiedenen Wendungen, die sein Leben und sein pädagogisches Konzept nahm, hielt Pestalozzi daran fest, »daß gerade sein Hang zu einer gewissen unkontrollierten Spontaneität und Unbekümmertheit durch die fehlende strenge väterliche Reglementierung und Zurechtweisung so dominieren konnte«.324 Deswegen kann die Erziehung nach Pestalozzi »keineswegs bloß in einem gutmütigen Gewähren-lassen bestehen«.325 In der Hauptphase seines pädagogischen Wirkens sah er den Menschen von drei Konstituenten bestimmt. Der Mensch ist das Werk seiner biologischen Konstitution, der Gesellschaft und seiner selbst, »insoweit er als Mensch in Freiheit über sich zu entscheiden vermag«.326 Letzter Punkt unterscheidet Pestalozzis Konzept von den deterministischen Positionen der Zieheltern, aber auch von den Invektiven des Erzählers. David konstruiert zwar eine annähernd ausgewogene Vater-Mutter Erziehung, in der Salome der männliche Part zukommt, doch führt auch dieses Modell zu keinem Erfolg. Die Erbanlagen und die gesellschaftlichen Einflüsse in der frühkindlichen Prägung unterminieren die pädagogische Formung. Darin bestätigt der Roman das skeptische Urteil Davids über Pestalozzis Pädagogik.327 Eine Art Hintertür in Davids grundsätzlich pessimistischer Lebensbetrachtung eröffnet das Alter Gabrieles bei ihrem ›Fehltritt‹. Inwieweit kann die Erziehung bei 323 | Joseph Körner: Rezension zu Hermann Groeneweg, S. 32. Von allen Interpreten des Romans wurden die autobiographischen Züge herausgehoben (David selbst kam als Kind in das Brauhaus seines Onkels; die Lage von Gabrieles Privatlehrer Glogar ist mit Davids Hauslehrerdasein in Wien vergleichbar usw.). David integriert derartig viel an Erlebtem und Erlerntem (z.B. beschäftigte sich David während seiner Philosophiestudien mit der Prädestinationslehre bei Spinoza) in den Text, dass er wie eine nachträgliche literarische Bestätigung der positivistischen Methode seines Lehrers Erich Schmidt wirkt, gegen den sich Körner u.a. wendet. 324 | Max Liedtke: Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827). In: Hans Scheuerl (Hg.): Klassiker der Pädagogik. Band 1. München Beck 1991 2, S. 171. 325 | Ebd., S. 178. 326 | Ebd. 327 | Vgl. Peter Goldammer: Jakob Julius David – ein vergessener Dichter. In: Weimarer Beiträge. Heft 5 (1959), S. 335f.
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einem 14jährigen Mädchen als abgeschlossen gelten? Und inwieweit ist eine Vierzehnjährige in der Lage, ihre sexuellen Triebe zu beherrschen und die Folgen ihrer Tat abzuschätzen?328 Wird nicht die freie Entscheidung durch die eingeengten Lebensumstände Gabrieles unmöglich gemacht? Die letzte Frage wird von David wohl bejaht und als übergeordnete Intention des Romans im Sinne des positivistischen Determinismus angestrebt, wenn auch den religiösen und psychologischen Komponenten der Erziehung eine gewisse Bedeutung zukommt. Das Schicksal Gabrieles obliegt nicht ihr und ihr Scheitern kann ihr, hier überschneiden sich calvinistische und materialistisch-naturwissenschaftliche Überzeugung, nicht angelastet werden. Die soziale Frage ist kein zentrales Thema in Davids erstem Roman, da der Handlungsort, das landwirtschaftlich geprägte Kuhländchen, kein eigentliches Arbeitermilieu aufweist. Wie in den mährischen Erzählungen von Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach ist die soziale Thematik auf die Verhältnisse eines bäuerlichen Milieus beschränkt. Jedoch entgeht David dem Vorwurf, »seinen dörflichen Schauplatz als eine Welt für sich zu begreifen, nicht integrierbar in die Verflechtungen der modernen Gesamtgesellschaft«, der dem Dorfoder Bauernroman häufig gemacht wurde.329 Die regionale Verortung ist kaum von tragender Bedeutung. Trotz einiger genauer Ortsangaben ist der Verlauf der Geschichte auch an anderen Orten Deutschlands oder Österreichs denkbar, was für die mährischen Novellen Davids nicht immer gilt. Dies liegt u.a. auch daran, dass David weder einen konkreten politischen Anlass (wie die Erzählungen Saars) für seinen Roman in Anspruch nimmt noch ein bestimmtes, gesellschaftlich fest umrissenes Publikum (wie Ebner-Eschenbach) vor Augen hat. Die menschlichen Tragödien, die der Roman aufzeigt, sind Ausdruck des allgemeinen gesellschaftlichen Zustands am Ende des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den sozialistisch und/oder humanistisch argumentierenden Autoren des Naturalismus ist Davids Antwort auf die soziale Frage in Blut eine durchweg pessimistische. Im Gegensatz zu der Figur des Grafen Erwin im Werk Ferdinand von Saars erlaubt David auch keinen Rückzug auf den gegebenen Status quo. Durch die enge Verknüpfung von erblicher und milieubedingter Determination mit den vergeblichen Bemühungen um eine Erziehung bzw. Bildung des Menschen erhalten alle sozialen und zwischenmenschlichen Beziehungen die Aura der Ausweglosigkeit, die auch durch religiöse Bindung nicht behoben werden kann.330 Davids Gesellschaftskritik steht 328 | Durch ihr geringes Alter unterscheidet sich die Beurteilung ihres Verhaltens z.B. von der Bewertung der Ausbruchsversuche Helene Krauses aus Hauptmanns Drama Vor Sonnenaufgang. 329 | Gerhard Schweizer: Bauernroman und Faschismus. Tübingen Vereinigung für Volkskunde 1976, S. 11. Vgl. auch Peter Zimmermann: Der Bauernroman. Stuttgart Metzler 1975. 330 | Der Katholizismus, zu dem David kurz zuvor konvertiert war, gewinnt im Roman keinen Einfluss, der Calvinismus der Lohwags wird in seiner beseligen Daseinergebenheit ver-
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über den klassen- oder schichtenbezogenen Modellen seiner Gegenwart und kann deswegen auch durch dynamische Umwälzungen der gesellschaftlichen Bedingungen keine hoffnungsvollere Perspektive entfalten: »Warum wird man schlecht, weil die Welt miserabel ist«,331 so bringt Cyrill Wallenta in der gleichnamigen Erzählung aus Davids Spätwerk das statische Modell auf den Punkt. In seinem zweiten Roman Am Wege sterben verfolgt David den Weg eines positivistischen Determinismus weiter, der nun ohne die religiösen Einschränkungen auskommt. Damit gerät auch die Frage nach einer persönlichen Schuldhaftigkeit aus dem Blick. In Am Wege sterben und in einigen Novellen nähert er sich den milieubezogenen Determinationsvorstellungen in der Epoche des Naturalismus am engsten an. Zugleich erlaubt sich David hier in der Figur des jüdischen Armenarztes Simon Siebenschein eine »sozialromantische Vision«.332 Der Medizinstudent entkommt als einziger der mährischen Studenten, die nach Wien zogen, den degenerativen Versuchungen der Metropole. Während seine Kommilitonen ebenso verkommen wie Gabriele Wagner und Franz Rüttemann in Blut, gelingt ihm der Einstieg in ein bescheidenes Leben.333 Diese Veränderung deutet bereits auf den Roman Der Übergang voraus, der sich in vielen Punkten von der bisherigen Weltsicht Davids abhebt.
Der Übergang Auf den ersten Blick waltet auch hier das pessimistische Prinzip, das manche Kritiker dazu veranlasste, den Übergang eher als Niedergang zu beschreiben. Geschildert wird die Geschichte der Seidenfabrikantenfamilie Mayer. Ehemalige Fabrikantenfamilie wäre wohl zutreffender, denn der gegenwärtige Patriarch, der willens- und entscheidungsschwache Franz Mayer verwaltet lediglich noch das Restvermögen aus dem Verkauf des einstmals bedeutenden Unternehmens und lebt von den Einnahmen aus dem Mietshaus, in dem er selbst wohnt. Dieses Mietshaus ist das letzte Eigentum der Familie in der Adam-Mayer-Gasse, die nach dem Großvater spottet und auch die beiden Bauern Rüttemann finden als Lutheraner keinen Halt in der Religion. 331 | J.J. David: Cyrill Wallenta. In: ders.: Die Hanna. Hg. v. Peter Goldammer. Berlin/Ost Aufbau 1984, S. 188. 332 | Florian Krobb: Jakob Julius David. In: Andreas B. Kilcher (Hg.): Lexikon der deutschjüdischen Autoren. Stuttgart Metzler 2000, S. 108. 333 | Die Anlage zu einem positiven Lebensweg besitzt auch Gabrieles zeitweiliger Spielkamerad in Blut, der bildungshungrige Eduard Böhm. Allerdings bricht die Schilderung seiner Lebensgeschichte bereits in der Jugend ab. Dass beide Figuren, die ihren vorgezeichneten Weg verlassen, Juden sind, ist bemerkenswert. Eine eingehende Untersuchung dieser Beziehung aus epochengeschichtlicher Perspektive steht noch aus. Zu den jüdischen und autobiographischen Bezügen vgl. Florian Krobb: Zur jüdischen Problematik bei Jakob Julius David. In: Bulletin des Leo Baeck Instituts 85 (1990), S. 5 – 14.
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und Firmengründer benannt wurde und ihnen früher ganz gehörte. Durch die Industrialisierung war die traditionelle, zur Zeit des Wiener Kongresses gegründete Manufaktur in Schwierigkeiten geraten, und schon der Vater Franz Mayers sah sich gezwungen, verstärkt durch eine Wirtschaftskrise und Fehlspekulationen, die Firma zu verkaufen. Der eigentliche Niedergang des Unternehmens erfolgte also bereits vor Beginn der Romanhandlung.334 Im Bürgerhaus der Adam-Mayer-Gasse am Schottenfeld in Wien spielt der Hauptteil des Geschehens. Neben dem Vater Franz besteht die Familie aus seiner Ehefrau Katharina, sowie den Kindern Adam (19), Kathi (21), Rosi (16) und Linnerl (13).335 Das Dienstmädchen Marie, das seit seinen Pubertätsjahren ein Verhältnis mit Adam hat, komplettiert den Haushalt. Im gleichen Haus, aber nicht in derselben Wohnung lebt Eva Mayer, die zweite Frau des Firmengründers Adam, die dieser noch in hohem Alter geheiratet hatte und ihr einen Großteil des Vermögens vermachte. Obwohl sie nicht die Mutter der Kinder Adams ist, wird sie in der Familie als Großmutter, vom Erzähler auch als »Ahnfrau« bezeichnet.336 Diese Konstellation deutet auf einen Familien- oder Generationenroman, der der Übergang auch ist. Das tragische Ende, zumindest der männlichen Mitglieder der Familie und der wirtschaftliche Abstieg des Firmenhauses Mayer deutet auf eine Verfallschronik. Insofern ist der Roman vergleichbar mit dem Prototyp aller Familienromane der Moderne, Thomas Manns Buddenbrooks, dessen Arbeitstitel bekanntlich ›Abwärts‹ lautete und der nur ein Jahr vor dem Übergang erschien. Ebenso wie Thomas Mann stellt David nicht den gesellschaftlichen Wandel als soziohistorische Tatsache dar. Dieser vollzieht sich im Hintergrund, außerhalb der Familienstruktur, ohne kommentiert zu werden. Im Zentrum des Romans steht vielmehr der individuelle Umgang der einzelnen Familienmitglieder mit den sich verändernden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Während den »(allenfalls) historisierenden Anklängen« bei Thomas Mann »indessen für die eigentliche Verfallsgeschichte der Buddenbrooks keine strukturelle Bedeutung« zukommt,337 334 | »Damals hatte noch alles seinen Preis, was irgendwie in Geltung oder Ansehen stand. Allerdings gab es schon Zeichen, die den nahen Zusammenbruch, der ganzen luftigen Herrlichkeit ankündigten. Sie merkten nicht darauf. Ehe sie sich aber noch ihrer papierenen Schätze entledigen konnten, kam das Ende. Das war doch dazumal nicht anders gewesen, als habe man eine ganze Stadt, Gasse nach Gasse, aus Kartenhäusern erbaut. Ein ganz leiser Anstoß, vielleicht nur ein Lüftchen, bringt das erste zu Fall. Andere sinken ihm nach. Im Sturz aber gewinnen die losen Blätter die Wucht von Werkstücken und erschlagen alles, was sie treffen, reißen nieder, was noch so fest und sorgsam aufgemauert erschien. Eine ganze Stadt, aufhorchend in beklommener Spannung auf den dumpfen Ton niederbrechender, stolzer Gebäude, zusammenfahrend bei jeder neuen Hiobspost, jeder gewärtig, von keinem Unheil mehr überrascht.« J.J. David: Der Übergang, S. 11. 335 | Das Alter der Kinder bezieht sich auf den Beginn der Handlung. Vgl. ebd., S. 30. 336 | Ebd., S. 46. 337 | Hubert Ohl: Ethos und Spiel. Freiburg Rombach 1995, S. 89.
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sind sie für den Übergang unverzichtbar. Der Übergang ist weit repräsentativer für den Zustand der Wiener Gesellschaft als die Buddenbrooks für die Entwicklung des hanseatischen Kaufmannswesens in Lübeck.338 Titelgemäß behandelt David den gesellschaftlichen und psychologisch wirksamen Prozess der Umwandlung von der patriarchalisch geprägten Lebenswelt, die zu Beginn des langen 19. Jahrhunderts noch bestimmend war, in die sich zunehmend individualisierende Lebensform der Moderne. Der Wandel, mit Tönnies gesprochen, von der Gemeinschaft in die Gesellschaft wird exemplifiziert an der Auflösung der Familienstruktur und ihrer sinnstiftenden Regularien. Ein gängiges Verfahren der Literatur um 1900. Der allmähliche Umbruch wird von David angereichert durch Themen, die bereits sein vorangegangenes Werk bestimmten: Erziehung, Determination und Entscheidungsautonomie. Hinzu tritt ein Thema, das David bisher nur figurenbezogen aufgriff, der Wandel des Frauenbildes. Im Gegensatz zu den starren, sich dem gesellschaftlichen Wandel widersetzenden oder notgedrungen unterordnenden Frauenfiguren in den Erzählungen, offeriert David in seinem letzten Roman eine Palette an Möglichkeiten, die sich durch die neugewonnene Stellung der Frau in der Übergangsphase an der Jahrhundertwende abzuzeichnen begannen. Der Übergang ist bei David ein Prozess, der von Ablehnung über Unverständnis und versuchter Ausgliederung bis zu Akzeptanz verläuft. Aufgezeigt wird der Prozess an drei Generationen der Familie Mayer, jedoch gibt es keine klare Bruchlinie zwischen den Generationen, wie zu vermuten wäre und wie er in der Literatur des Realismus gestaltet wurde, sondern der Übergang vollzieht sich stufenlos in den, nur wenige Jahre voneinander getrennten Kindern. Am Ende des Romans ist die Familie Mayer zerfallen. Vor Katharina Mayer liegt ihr toter Sohn Adam, der erstochen wurde, nachdem er kurz zuvor seine Großmutter bei einem Raubüberfall buchstäblich zu Tode erschreckt hatte. Gegenüber ihrem soeben heimkehrenden ahnungslosen Ehemann setzt sie zur Aufarbeitung des Familienschicksals an, dem sie lange tatenlos und schweigend, aber in zur Schau gestelltem Leid, zugesehen hatte: »Also, da liegt er, dein Einziger!« Sie schied sich mit diesem einen Wort von ihm und den Toten. »und weißt, wer ihn dahingebracht hat, Franzl? […] Das war net der Strizzi, der ihm mit seinem Messer in sein Herz gestochen hat – dös warst du, und du alleinig…« Er sprang auf: »Kathi, du bist närrisch…« »Das wär am End kein Wunder, nach dem allen. Aber ich bin’s net. Närrisch war ich ja, wie ich dich genommen hab’. Närrisch, ja, aber schon zum Binden närrisch, wie ich dir treu geblieben bin und’ s bei dir ausgehalten hab’ die vielen verfluchten Jahr’, wie ich’s immer wieder tentiert hab’, aus dir einen Mann zu machen«. […] »Alsdann, den Adam hast hergebracht. Das kannst amal net leugnen. Was hat er denn noch auf der Welt wollen. Eine Adam-Mayer-Gassen gibt’s net mehr. Und was die Kathi geworden 338 | Vgl. ebd., S. 86f.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE ist, weißt eh’. Ja, die hat halt nur schön sein sollen, nix wie schön und so ist sie halt danach geworden. Und wenn’s der Rosi gut geht, du kannst nix davor. Von dir aus hätt’ sie ins Wasser oder eine werden sollen, vor der man ausspuckt. Du hast dich gewehrt genug gegen das Glück von deinem Mädel. Alles war dir zu gering. Ja, halt ein Mayer! Der ist was Rechtes, nur weil er ein Mayer ist. Und daß du selber der Mindeste und der Schlechteste auf der Welt bist, nur dös hast du niemals begriffen und verstanden«. […] Ein unbändiger Haß brach los. »Oder siehst noch immer net, wie überflüssig du jetzt schon bist, Franzl?« 339
Doch, Franz Mayer hat verstanden. Ohne große Widerworte beugt er sich der Argumentation seiner Frau und erhängt sich im Nebenzimmer. Dadurch ist die Linie der »Adam-Mayerischen am Schottenfeld« in ihrem letzen männlichen Glied ausgestorben.340 Der Vorgang vollzieht sich so schnell, dass leider offen bleibt, ob Franz Mayer die alleinige ›Schuld‹ am Schicksal der Familie übernimmt oder ob er nur den Verlust seines Sohnes und seines Ansehens in Gesellschaft und Familie nicht überwinden kann. Klar ist jedoch, dass Mutter Mayer keine übergeordneten Faktoren für ihre eigene gescheiterte Ehe und den Abstieg ihrer beiden Ältesten verantwortlich macht, sondern die falsche Erziehung und den schwächlichen, in Patriarchenpose erstarrenden Charakter ihres Lebenspartners. Anders als in Blut koppelt David also die gescheiterte Erziehung nicht mehr an religiöse Prädestination oder milieubezogene Determination. Bei ihrer emotionsgeladenen Abrechnung mit dem Eheleben verleugnet Katharina jedoch ihr eigenes pädagogisches Versagen. Nur für den Sohn bedingt sich Franz Mayer ein Zurückstehen Katharinas aus, nicht für die Schwestern, deren Entwicklung maßgeblich von der Mutter mitzuverantworten ist.341 Die unterschiedlichen ›Träume‹ der Eheleute für ihre Kinder widerspiegeln sich in der Namensgebung. Während Adam Mayer nach seinem Großvater, dem Firmengründer benannt wurde,342 trägt Kathi den Namen ihrer Mutter. Adam ist vom Vater dazu bestimmt das Renommee der Familie weiterhin zu repräsentieren, Kathi soll ihre ›königliche Schönheit‹ pflegen, um eine gute Partie zu machen. Damit wiederholt sich in Kathi das eigene Fehlverhalten der Mutter. Die einstmals schöne und begehrenswerte Frau glaubte durch eine Einheirat bei den Mayerschen ihren Lebensweg in Ruhm und Wohlstand gesichert zu haben, sah sich aber betrogen durch das Blendwerk der Wiener Fabrikantenfamilie, die äußerlich ihren gesellschaftlichen Status wahrte, obwohl sich das Unternehmen bereits auf wirtschaftlicher Talfahrt befand. Die Hoffnungen, die sie in ihren Mann setzte, sind längst einer Resignation gewichen, die am Ende des 339 | J.J. David: Der Übergang, S. 210-213. 340 | Ebd., S. 14. 341 | Die pädagogische Einflussnahme wird bei David deutlich verteilt. In Bezug auf Adam heißt es: »Wie er ist, so wird er halt. Ich möcht’ ihn gar net anders. Und der Vater bin ich, und mich geht er an und sonst niemanden!« (Ebd., 61). Dagegen: »Was die Mädchen anging, so lehnte er von ersten Kindesbeinen an jeden Anteil ab.« (Ebd. S. 57). 342 | Ebd., S. 32.
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Romans in Hass umschlägt. Der Bevorzugung der beiden älteren Kinder, die sie ihrem Mann vorwirft, wird von ihr teils passiv, teils aktiv Vorschub geleistet. Um die Schönheit und Anmut Kathis nicht zu gefährden, wird sie nicht zur Arbeit in der kleinen Wäschehandlung herangezogen, die die Mutter zur Unterstützung des Haushaltes betreibt, wogegen die beiden jüngeren Schwestern ganz selbstverständlich eingespannt werden. Auch von Außenstehenden, wie dem böhmischen Hauslehrer Gröger, wird die dumpfe Atmosphäre in der Familie bemerkt, die mit dem freudlosen Haus der Lowags in Blut zu vergleichen ist. Nach kurzer Zeit, in der er die Kinder unterrichtet, wird ihm bewusst, »daß es einem lebfrischen Menschen wie Franz Mayer […], neben diesem verhärmten und duldenden Weib nicht wohl werden konnte.«343 Durch den Jusstudenten Gröger dringt auch das intellektuelle Element in den bildungsfeindlichen Haushalt. Bildung erweist sich als ein Ausweg aus dem pädagogischen Pessimismus der früheren Werke Davids. Um so heftiger Grögers Unterricht an Adam abprallt, der schon zu sehr unter dem Einfluss des Vaters steht, desto freudiger wird sein Angebot von der jüngsten Tochter Linnerl aufgegriffen. Im Laufe des Unterrichtes entfaltet sich eine zarte Liebesbeziehung, die jedoch nur solange hält, bis sich Linnerl über ihren Lebensweg klar geworden ist: »Ich möcht’ lernen. Viel lernen. Was es für unsereins nur zum lernen gibt. […] Und ich glaub’ alleweil, ich werd’ einmal imstand sein, das zu sagen, was ich erlebt hab’, so daß sie’s alle begreifen. Und mir scheint, das geht viele Leut’ in derer Stadt an, was ich gesehn und mitgemacht hab«.344 Mit der jüngsten Tochter Franz Mayers schafft David eine moderne Frauenfigur, die sich im Zwiespalt zwischen weiblicher Selbstbestimmung und männlichem Domestikationswillen einen eigenen Weg sucht und findet. Ein Jahr vor Weiningers Geschlecht und Charakter unterliegt David weder geschlechtsspezifischen Zuordnungen noch den hämischen Karikaturen, mit denen die Presse auf die Anfänge der bürgerlichen Frauenbewegung reagierte. David schildert zwar den jungenhaften, teils burschikosen Übermut des jungen Mädchens, doch kanalisiert sich diese Ausgelassenheit später in Bildungswillen und intellektueller Neugier. Linnerl ist gerade nicht »das tolle Mannweib der Fliegenden und anderer Witzblätter, das in Beinkleidern mit kurzgeschorenem Haare und der Cigarre im Munde umherläuft und das gesamte Geschlecht der Männer verabscheut, weil es den einen nicht fand, der es zum Altar geführt hätte«.345 David betont an vielen Stellen ihre weibliche Anmut und die vollendete Verbindung von Humor und »unglaublichem Ernst«.346 Ihre Eigenschaften sichern ihr auch nach der Verarmung der Familie ernstgemeinte Anträge. Sie entspricht damit so gar nicht dem hyposexuellen 343 | Ebd., S. 40. 344 | Ebd., S. 216f. 345 | Henriette Herzfelder: Aus der Frauenbewegung. In: Brünner Frauenvereine. Jg. 14 (1902), Nr. 11, S. 17. 346 | Jakob Julius David: Der Übergang, S. 221.
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Bild der Lehrerin, das als altjüngferlicher Kontrast zur gefährlichen femme fatale in der Literatur der Jahrhundertwende kolportiert wurde.347 Sie beendet das Verhältnis mit Gröger nicht aus mangelnder Libido, sondern weil sie zu Recht fürchtet, sich durch eine verfrühte Eheschließung ihrer beruflichen und intellektuellen Ambitionen zu berauben.348 Auch die mittlere Schwester, die mit bescheideneren intellektuellen Fähigkeiten ausgestattete Rosi entkommt dem Niedergang der Familie. Ihr Ausweg besteht in der Bindung an den fleißigen Tischlergesellen Xaver Navratil, der als Waise großgezogen wurde. Ein Affront für den großbürgerlich denkenden Vater, der neben dem gesellschaftlichen Abstieg auch einen moralischen vermutet. Die Affinität zu Blut und anderen noch deterministischen Texten Davids klingt hier an. Doch Navratil erweist sich als geschickter Handwerker und wird durch seine ebenso geschäftstüchtige Ehefrau im Aufstieg unterstützt. Am Ende des Romans ersteht aus dieser Beziehung die »begründete Aussicht, das Haus […] werde wieder an die Sprossen Adam Mayers, weibliche Linie, kommen«.349 Aus frauenbewegter Sicht verharrt Rosi in einem überkommenen Rollenmuster. Denn selbst innerhalb engagierter Kreise am Ende des 19. Jahrhunderts wurde den Frauen ins Stammbuch geschrieben: daß es ihre Pflicht und ihr Streben sein soll, durch Sinn für das Edle und Schöne, durch echt liebevolle Antheilnahme an den Bestrebungen des Mannes, durch Interesse für das, was des Mannes Gemüt erhebt und des Weibes Seele gewiss dann auch nicht niederdrückt, sich zu befähigen, die echte Freundin des Mannes zu sein. 350 347 | Zu den Konstruktionen Hyposexualität und Hypersexualität vgl. Harriet Anderson: Vision und Leidenschaft. Die Frauenbewegung im Fin de siècle Wiens. Wien Deuticke 1994. 348 | Nur an einer Stelle entspricht David den böswilligen Stimmen, die eine Vermännlichung der modernen Frau befürchteten. Doch packt er Linnerls Abneigung gegen Kinder in eine ironische Gegenüberstellung, die kaum als Kritik an seiner Figur verstanden werden kann: »Aber die Kinder mochte sie nicht. Vordem hatte sie gerne daran gedacht, wie sie mit ihnen, den lebendigsten Puppen spielen möchte. Aber diese Puppen hatten gar zu unangenehme Eigenschaften, ließen sich nicht ruhig niederlegen, wenn man ihrer genug hatte, schrien, auch ohne daß man sie auf den Kopf drückte (.).« J.J. David: Der Übergang, S. 155. 349 | Ebd., S. 221. Eingedenk des Aufstiegs des Waisenkindes Navratil erst zum Handwerksmeister und später zum Leiter eines mittelständischen Unternehmens kann der Übergang kaum als subversive Kritik am Kapitalismus gelesen werden, wie dies Wolfgang Beutin tut: »So gerät der Kapitalismus in der Gedankenwelt Davids zum eisernen Verhängnis, einem unaufhebbaren Los«. Wolfgang Beutin: Subversive Potentiale in den Dichtungen Jakob Julius Davids. In: Johann Dvo ř ák (Hg.): Radikalismus, demokratische Strömungen und die Moderne in der österreichischen Literatur. Frankfurt a.M. Lang 2003, S. 181. 350 | Ferdinand M. Wendt: Die Frau soll die Freundin des Mannes sein. In: Der Lehrerinnen-Wart. Jg. 5 (1893), Nr. 10, S. 154. Vgl. auch die Diplomarbeit von Kristýna Rádiková: Das literarische Abbild der frühen österreichischen Frauenbewegung in den Werken von
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Doch auch in der Figur Rosis deutet David den Übergang in die Moderne an. Da Rosi nicht mit den Anlagen ihrer jüngeren Schwester gesegnet ist, geht sie den Weg des scheinbaren gesellschaftlichen Abstiegs vom Großbürgertum zum Handwerk. Dahinter steht die Erkenntnis, dass sich die Bewertung bürgerlichen Erfolgs an der Grenze zum 20. Jahrhunderts immer stärker am geschäftlichen Erfolg bemisst, Kriterien der Herkunft und vergangene Verdienste, mit Ausnahme des Adels bis 1918, kaum mehr ins Gewicht fallen. Über die ›Hintertür‹ der ehrlichen Arbeit erstrebt sie den Wiedereintritt in das gehobene Bürgertum. Das Lob der ehrlichen Arbeit ist in der deutschen Literatur mit Gustav Freytags Roman Soll und Haben verbunden. Allerdings stellt David im Übergang die Verhältnisse auf den Kopf. Anton Wohlfahrt, die Hauptfigur bei Freytag vollzieht den innerbetrieblichen Aufstieg vom Lehrling zum Teilhaber und erwirbt sich so das Recht, die Schwester seines einstigen Lehrherren zu ehelichen. Freytags Roman ist also noch fest in der funktionierenden patriarchalischen Lebenswelt der vorindustriellen Zeit verankert.351 Es ist die Welt von Adam Mayer sen., an deren Idealen sich auch noch Franz Mayer orientiert. Für ihn ist die Verbindung seiner Tochter mit dem Handwerker Navratil, der als Waise aufgezogen wurde und dessen Herkunft auch in nationaler Hinsicht im Dunkeln liegt, inakzeptabel. Lieber gibt er die schwangere Rosi dem Gespött der Menge preis, als dass er einer Eheschließung zustimmen würde. Der Standesdünkel, der bei Freytag noch Kritikpunkt des Adels ist, wird von David auf das Patriziertum verschoben. Für Rosi ist die ›minderwertige‹ Verbindung eine Möglichkeit, um unter den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse, eine gesicherte Existenz zu begründen. Der Ausweg wird ihr, und das ist ein spätrealistisches Relikt bei David, erst durch das Eingreifen der Ahnfrau möglich, die eine zurückgezogene patrizische Lebensweise pflegt, die für David auch im 20. Jahrhundert vorstellbar ist.352 Sie akzeptiert die traditionellen bürgerlichen Werte Fleiß, Redlichkeit und Frömmigkeit und sichert den Fortbestand der Familie deutschsprachigen Autorinnen aus Böhmen und Mähren. Olomouc [Typoskript] 2006, auf deren wichtige Quellenstudien mehrfach zurückgegriffen werden konnte. 351 | Das gilt auch noch für die Romantrilogie Ein Volk an der Arbeit (Leipzig Staackmann 1912), die Emil Ertl der Beschreibung der Wiener Bürgerschaft widmete. Die Einzelbände Die Leute vom blauen Guguckshaus (1906), Freiheit, die ich meine (1908) und Auf der Wegwacht (1911) waren ebenfalls bei Staackmann erschienen und zeigen eine ungebrochene Bewunderung für Freytag. Erst im 1926 publizierten Nachzügler Im Haus zum Seidenbaum findet Ertl Anschluss an die Beschreibung der modernen Gesellschaft. 352 | Hinter ihren caritativen Tätigkeiten schimmert das Ideal des aufgeklärten Adels der Ebner-Eschenbach. Ihre traditionelle Lebensweise beinhaltet auch ein Festhalten an den Werten und Pflichten der katholischen Religion. In den wenigen Textstellen, in denen die Ahnfrau auftritt, befürwortet sie ein individuell-verinnerlichtes Modell des christlichen Glaubens. Die Kirche als Institution wird nicht thematisiert. Allerdings ist sie unter der Bürgerschaft Wiens als Tauf- und Firmpatin beliebt. Diese sind die wenigen Gelegenheiten, zu welchen sie ihre Zurückgezogenheit aufgibt. Deswegen erscheint es mir überzogen, David
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Mayer, jedoch unter Ausschluss der Eltern und der beiden älteren Geschwister, die in ihren Augen Züge der Boheme und in der Figur Adams, des Lumpenproletariats annehmen. Adam Mayer, der durch seine Neigung zur Trunksucht, seine sexuellen Ausschweifungen und seinen Hang zur Kriminalität durchaus als naturalistische Figur gelesen werden kann, ist es auch vorbehalten, die Ahnfrau als letzten Repräsentanten des vernünftigen Patriziertums auszulöschen. Bemerkenswerterweise nicht durch einen Akt der Gewalt. Für die alte Welt genügt der Schauder vor dem Aggressionspotential und den animalischen Gebärden der neuen Zeit. Im Übergang sind es die Frauen, die Dynamik entwickeln. Während David die männlichen Figuren nach bewährten Prototypen gestaltet und sie auf eng umgrenzte, wenn auch nicht unbedingt erfolgreiche Lebenswege schickt, sind sie Frauen Suchende. Linnerl und Rosi gelingt der Übergang in die neue Zeit, weil sie ihre Arbeit in Ausbildung, Familie oder Werkstatt als Freude und nicht als Pflicht empfinden. Auch Mutter Mayer spricht vom Wert der Arbeit. Für sie entsteht er jedoch aus der Notwendigkeit heraus, den Unterhalt der Familie zu sichern. Ihre Erkenntnis ist eine erzwungene, da der erwünschte Aufstieg durch Einheirat in eine der bedeutendsten Familien Wiens ausblieb. Die Enttäuschung über das Versagen Franz Mayers schlägt in Verbitterung um, die spätestens dann kontraproduktiv zu werden beginnt, wenn sie nicht mehr die Freundin, sondern die Feindin ihres Mannes wird. Diese, trotz aller Exzesse, dauerhaft gewährte Freundschaft des Dienstmädchens Marie bewahrt Adam Mayer lange Zeit vor der Vernichtung. Erst als sie sich aus Provokation einem anderen zuwendet, vollzieht sich sein »Ausgang«.353 Die tragische Romantik der Sterbeszene macht die Hoffnungen sichtbar, die Marie in die umstandesgemäße Beziehung zu Adam gesetzt hatte. Nachzuholen bleibt das Schicksal der ältesten Tochter Franz Mayers. In Kathi Mayer zeichnet David wohl zum einzigen Mal die für die Wiener Literatur so typische Figur des ›süßen Mädels‹. Nach ihrer abgebrochenen Ausbildung auf dem Konservatorium verbringt sie ihre Zeit in Müßiggang und Pflege ihrer Schönheit, mit Erfolg. Sie wird zur Geliebten eines Barons und verlässt als erstes der Kinder das Elternhaus. Trotz der unschicklichen Beziehung, die im Zuge der bürgerlichen Moralbegriffe vorgeblich auch von Franz Mayer verurteilt wird, schwingt in seinen Reden auch ein gewisser Stolz mit. Den Stichelungen seiner Stammtischbrüder gegenüber dem prächtigen Lebenswandel der Tochter entgegnet er: »Warum denn net, wenn sie’s danach hat? Aber verflucht und verstoßen haben wir sie zwegen dem doch. Verflucht und verstoßen. Das wird net anders.« »Wer ist er denn?« »Halt a Baron ist er? […] Rein narrisch ist er mit ihr. Ich mein schon. Wo die Seinige ein Drachen ist und a schiech, und er hat’s nur genommen, weil sie soviel reich ist. Und sie ist im Übergang eine antiklerikale oder auch nur kirchenkritische Haltung zu unterstellen. Vgl. Wolfgang Beutin: Subversive Potentiale in den Dichtungen Jakob Julius Davids, S. 184. 353 | Jakob Julius David: Der Übergang, S. 190.
D IE SOZIALE F RAGE alt und net gar gesund vor lauter innerliche Giftigkeit. Und wenn sie stirbt, so kann man net wissen, was geschieht«. 354
Dahinter steht die großbürgerliche Sehnsucht nach Nobilitierung, der jedoch die Familie Mayer zu Zeiten ihres Unternehmertums näher gekommen war als durch die vorübergehende Liaison Kathis mit dem Baron. Kathis weiteres Schicksal wird nicht mehr erwähnt. Der Übergang gelingt nur den beiden jüngsten Geschwistern. Der Übergang ist ein Familienroman und ein Gesellschaftsroman. Er illustriert das langsame Übergehen von einer Epoche in die andere und steht zugleich noch mitten in diesem Prozess. Deswegen wagt es David nicht, die Lebensläufe der beiden Schwestern zu Ende zu führen. Ob er in seinem geplanten Roman Der Sieger ein Ende der Übergangsepoche hätte deklamieren wollen, muss Spekulation bleiben. Die Beziehungen, die David darstellt, sind den modernen Gesellschaftsstrukturen unterworfen. Die Orientierungsversuche, besonders der weiblichen Figuren, sind Reaktionen auf das veränderte Lebensgefüge am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit erkannten auch die engagierten Autoren, die Komplexität des Wandels. »Die soziale Frage blieb als literarisches Problem zwar erhalten, aber sie gehörte zum Arsenal; sie war nicht mehr brennendes Problem«.355 Die soziale Frage wird, das zeigt der Übergang, in einem weiteren Sinne aufgefasst. Sie betrifft nun über das Proletariat hinaus auch das gesamte Bürgertum. Die Ausweitung des gesellschaftlichen Bezugsfeldes zeichnet auch die Erzählungen und Skizzen Eugen Schicks aus, wie im vorangehenden Abschnitt dargestellt wurde. Schicks Figuren sind häufig in einer Grauzone zwischen (klein-)bürgerlicher Existenz und Arbeiterschaft angesiedelt, innerhalb derer sich die Auf- und Abstiegsgeschichten abspielen. Die Fallhöhe in Schicks Erzählwelt ist selbst dann geringer als in Davids Roman, wenn die zwei Generationen vor dem Schicksal der Familie von Franz Mayer nicht miteinbezogen werden. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die allgemeine Mobilmachung im Ersten Weltkrieg und der Zerfall der Monarchie unterstützten die fortschreitende Egalisierung der Standesunterschiede. Auf diese Entwicklung reagierte auch der Gesellschaftsroman. Nicht nur umfassende Erklärungsmodelle wie Robert Musils Mann ohne Eigenschaften, sondern auch an einzelnen politischen, sozialen oder religiösen Phänomenen interessierte Texte, reflektieren nun die Gesellschaft als Ganzes und gehen nur noch in Reminiszenzen (z.B. Joseph Roths Radetzkymarsch) so schichtenspezifisch vor wie der Naturalismus.356 Gotthart Wunberg, der als einer der wenigen mehrfach auf die Zusammenhänge zwischen deutschem Naturalismus und österreichischer Moderne hingewiesen hat, nennt als Belegautoren für den Erhalt der sozialen Frage in der öster354 | Ebd., S. 122f. 355 | G. Wunberg/St. Dietrich: Jahrhundertwende. Studien zur Literatur der Moderne. Tübingen Narr 2001, S. 163. 356 | Das gilt im Übrigen auch für die Gattung Grenzlandroman in der Zwischenkriegszeit.
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reichischen Literatur der Jahrhundertwende David, Ebner-Eschenbach, Langmann und Saar.357 Die vorausgegangenen Werkanalysen haben gezeigt, dass diese Liste durch einige Autoren aus Böhmen und Mähren angereichert werden kann. Darüber hinaus fordern sie zu einer stärkeren Differenzierung dieser Liste auf. Von der frühen Erzählung Die Steinklopfer (1874) über Langmanns Arbeiterleben! (1893) bis Davids Übergang (1902) dokumentieren ihre Werke unterschiedliche Stufen in der Verarbeitung dieses Problems. Fasst man den Umgang mit der sozialen Frage demnach als allmählichen Prozess auf, dann stehen auch Marie von Ebner-Eschenbach, Ferdinand von Saar und Jakob Julius David im Zentrum, nicht am Rande dieses Prozesses.
D IE M ÄHRISCHE M ODERNE Der früheste und bisher einzige Überblick über die deutschmährische Literatur in der frühen Moderne unter dem Aspekt einer Zusammengehörigkeit stammt von Eugen Schick. Nach eigenem Bekunden wollte er durch seine kleine Schrift, die 1906 als Sonderdruck der Zeitschrift des deutschen Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens erschien, den »Anteil, den Mähren an der von Hermann Bahr ›Die Moderne‹ getauften Bewegung bis jetzt nahm«, kennzeichnen und damit »späteren literarhistorischen Studien« vorarbeiten.358 Ausgangspunkt wurde ihm die Zeitschrift Moderne Dichtung, die er in einer Brünner Bibliothek wiederentdeckte. Fünfzehn Jahre nach ihrer Gründung war die Zeitschrift also selbst bei einem eifrigen Rezensenten wie Schick in Vergessenheit geraten. Eine Tatsache, die Schick ob ihrer literarischen und wissenschaftlichen Beiträger mit Erstaunen zur Kenntnis nimmt. Für Schick sind dieser Publikationsreihe »bloß noch die ersten Jahrgänge der ›Gesellschaft‹ ebenbürtig«.359 Ein weiterer Beleg für die hohe Wertschätzung der naturalistischen und frühmodernen Aktivitäten in München in der österreichischen Literaturszene. Berliner Organe werden von Schick nicht genannt. Die Autoren, die Schick für die Mährische Moderne als repräsentativ erachtet, sind schnell aufgelistet. Jakob Julius David, Philipp Langmann, Richard Schaukal, Karl Hans Strobl und Hans Müller werden ausführlich besprochen, Helene Hirsch, Franz Schamann, Karl Wilhelm Fritsch nur in Kurzform erwähnt. Unter den Letztgenannten erlaubt sich Schick auch eine Anmerkung in eigener Sache. An dieser Zusammenstellung fällt zweierlei auf. Zum einen, dass Schick die Epo357 | G. Wunberg/St. Dietrich: Jahrhundertwende. Studien zur Literatur der Moderne. Tübingen Narr 2001, S. 163, Anmerkung 68. 358 | Eugen Schick: Die Mährische Moderne. Brünn Rohrer 1906, S. 3. Der Begriff ›Moderne‹ als Substantiv wurde bekanntlich von Eugen Wolf geprägt; durch seine zahlreichen Essays zur Moderne galt Bahr aber bis ins 20. Jahrhundert hinein als deren Erfinder. 359 | Ebd., S. 2.
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che rein zeitlich auffasst. Er erläutert zwar die unterschiedlichen Schreibstile der Autoren, Realismus, Naturalismus und ästhetische Moderne, begreift sie aber noch nicht als diejenigen literarischen Epochen, als die sie in Literaturgeschichten bis heute figurieren. Zum anderen berücksichtigt er mit Ausnahme von David nur Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die einen engen Bezug zu Brünn besitzen. Da Schick mit den meisten der Autoren persönlich bekannt war und streckenweise das literarische Leben in Brünn mitbestimmte, scheint hier allerdings nur für wenige Jahre ein kulturelles Zentrum in Mähren entstanden zu sein, das dem Prager Kreis annähernd vergleichbar ist. Womöglich hätte Schick durch seine journalistischen und vereinspolitischen Aktivitäten für Brünn bzw. Mähren eine ähnliche Rolle spielen können wie Max Brod für Prag. Doch seine baldige Erkrankung und sein früher Tod 1909 verhinderten dies. Mit Brod ist die kleine Studie Schicks auch durch eine konzeptionelle Eigenart verbunden. Beide beginnen ihre Arbeiten mit Marie von Ebner-Eschenbach, die also sowohl für die Genese der Prager deutschen Literatur wie für die moderne deutschmährische Literatur grundsätzliche Bedeutung hat. Da Brod mit der Ebner seinen ›Ahnensaal‹ eröffnet, sie vor den Vormärzautoren um Meißner und vor Charles Sealsfield platziert, wirkt sie von der Moderne um die Jahrhundertwende ausgeschlossen, obwohl sie bis zu ihrem Tode 1916 unermüdlich literarisch tätig war.360 Schicks Studie ist noch zu Lebzeiten der Ebner entstanden, deren 70. Geburtstag wenige Jahre zuvor mit pompösen Veranstaltungen begangen worden war. Deswegen ist sie für ihn weniger Ahnfrau als direkte Vorläuferin der »jüngeren Generation«,361 die aus literarischer Sicht mit David einsetzt. Gegenwartsbezogen ist auch das Ziel, welches Schick in der Mährischen Moderne anstrebt: Sollen wir lieber weiter zuschauen, wie unsere Leute im eigenen Lande Verständnislosigkeit, Mißtrauen, Spott finden, während man sie »draußen« schon längst gelten läßt, anerkennt, hochhält? Soll denn die Galerie jener Österreicher, die an der – typischen? – Teilnahmslosigkeit ihrer Landsleute zugrunde giengen (sic!), immer noch vermehrt werden? […] Ich glaube, daß jedermann, unbeirrt durch hämische Zurufe und neidische Interpre-
360 | Vgl. Max Brod: Der Prager Kreis. Stuttgart Kohlhammer 1966, S. 9f. 361 | Eugen Schick: Die Mährische Moderne, S. 5. Auf die Feiern zum 70. Geburtstag von Ebner-Eschenbach geht auch Schicks Rechtfertigung gegenüber dem »landläufigen Einwand« zurück, »daß man, mittendrin im Flusse der Geschehnisse stehend, den Verlauf der Dinge doch nicht übersehen könne« (Ebd., S. 3), denn Schick schließt sich weitgehend der Argumentation August Sauers an, die dieser bei einem Vortrag zu Ehren der Dichterin 1900 in der Wiener Grillparzer-Gesellschaft entwickelte. Der Vortrag erschien wenig später in einem Sammelband, der zum Standardrepertoire der Germanistik in Böhmen und Mähren gehörte. Vgl. August Sauer: Marie von Ebner-Eschenbach. In: Ders.: Gesammelte Reden und Aufsätze zur Geschichte der Literatur in Österreich und Deutschland. Leipzig Fromme 1903, S. 354ff.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE tierungen nach besten Kräften helfen müßte, unseren österreichischen Talenten den Weg zu ebnen. Mehr brauchten und brauchen sie ja nicht. Gehen werden sie schon können.362
Es ist die Klage der Propheten, die im eigenen Land nichts gelten, und es ist zugleich ein Aufruf den einheimischen Schriftstellern bessere Bedingungen zu schaffen, so dass nicht mehr »Bücher, die österreichisch sind von der allerersten bis zur allerletzten Seite in Berlinerischen Verlagen erscheinen müssen«.363 Die Kritik am österreichischen Verlagswesen und nicht Schicks politische Einstellung veranlassten Karl Hans Strobl in seinem Nachruf zu dem Hinweis, dass der frühe Tod Schicks nicht nur für Brünn ein Verlust wäre, sondern auch für »die österreichische Heimatkunst, die ganze österreichische Literatur«.364 Schicks Argumentation, die geringe Rezeption der deutschmährischen Literatur bis heute, den uninteressierten Zeitgenossen und der kränkelnden regionalen Literaturproduktion anzulasten, ist verführerisch. Ihr stehen jedoch die identischen Klagen entgegen, die in der Hauptstadt Wien erhoben wurden: Das Verlagsgeschäft liegt ganz darnieder, die Auswahl der Organe ist eine kärgliche, die Wiener Dichter sind inbezug auf das Absatzgebiet ihrer Schöpfungen fast ganz auf das Ausland angewiesen; kein Wunder, dass sie Zahl der Poeten in Wien von Jahr zu Jahr eine geringere wird. 365
So kennzeichnet Ernst Wechsler 1888, also im Vorfeld des Aufstiegs der Wiener Moderne die Arbeitsbedingungen österreichischer Autoren unter der »institutionellen Schwäche des österreichischen belletristischen Verlages«, die bis zum ersten Weltkrieg auch nur wenig zu Kräften gelangte.366 Die Erfolge, die wenig später Schnitzler, Hofmannsthal und Altenberg, aber eben auch Langmann in der deutschen und österreichischen Literaturlandschaft einfuhren, zeugen von der Möglichkeit, über den Umweg der deutschen Verlage eine Wirkung in den Regionen beider Staaten zu entfalten. Die Anerkennung ›draußen‹ konnte für die deutschböhmischen und deutschmährischen Autoren zu einer günstigen Rezeption im Innern führen. Die Ausprägung einer ›modernen‹ Literatur in Wien ist jedoch ein Hinweis auf die geringe Wertschätzung, die der österreichische Naturalismus bis heute genießt. Während der Naturalismus in der Habsburger Monarchie in mancher 362 | Eugen Schick: Die Mährische Moderne, S. 16. 363 | Ebd., S. 21. 364 | Karl Hans Strobl: Eugen Schick. In: Tagesbote aus Mähren und Schlesien (17.03. 1909). Zitiert nach: Silvie Léblová: Eugen Schick. In: LDA. Olomouc 2002. 365 | Ernst Wechsler: Wiener Autoren. Leipzig Wilhelm Friedrich 1888, S. 199. 366 | Klaus Heydemann: Im Windschatten Roseggers. In: Herbert Zeman (Hg.): Die österreichische Literatur. Ihr Profil von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart. Bd. 1. Graz Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1989, S. 159.
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Hinsicht um ein Jahrzehnt verspätet eintraf oder sich nur auf regionaler Ebene, in den Industriegebieten Böhmens und Mährens literarisch manifestierte, nahm Wien eine Vorreiterrolle in der Bildung der ästhetischen und literarischen Grundsätze der Moderne ein. Bei der annähernden Gleichzeitigkeit der beiden Stilrichtungen in Österreich gewann innerhalb der zeitgenössischen und nachfolgenden Literaturgeschichtsschreibung diejenige an Profil, die die durchschlagenderen Fürsprecher besaß. Nochmals sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die Brünner Zeitschrift Moderne Dichtung 1890 mit einem durchwegs naturalistischem Programm antrat, sich aber binnen zweier Jahre, unterstützt durch den Umzug in die Hauptstadt, zu einem führenden Organ der Wiener Moderne entwickelte. Die kulturpolitischen Invektiven ihres Mitarbeiters Hermann Bahr waren in diesem Prozess sicher von entscheidender Bedeutung, sie waren aber nicht allein für die Zurückweisung des österreichischen Naturalismus verantwortlich. Einen wesentlichen Anteil hatte auch die Weiterentwicklung der Psychoanalyse durch Sigmund Freud, deren Grundmotive bereits in der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts ankerten.367 William M. Johnston sieht in seinem Neurosenschema sogar »ein geschrumpftes Abbild der habsburgischen Gesellschaft«,368 wobei er an dieser Stelle Habsburg mit Wien gleichsetzt. Freuds Anerkennung der Werke Schnitzlers, dessen Novelle Der Sohn (1892) manchenorts noch als naturalistisch eingestuft wurde,369 ebnete den Weg für eine forcierte Auseinandersetzung mit psychologischen Problemen, die für die Wiener Moderne typisch wurde und ihre Verbreitung in Europa förderte. Anteil hatte auch Hugo von Hofmannsthals österreichischer Beitrag an der komplementären Ergänzung der Moderne, die im Deutschen Reich von Stefan George und anderen betrieben wurde. Mitverantwortlich am Entstehen der Legende vom Ausbleiben des Naturalismus sind aber letztendlich auch die Akteure selbst, die den Bedingungen des Literaturbetriebes unterlagen oder rasch in andere Gebiete (Heimatkunst, Kolportage, Boulevard, Film) abwanderten. Erst in letzter Zeit vollzieht sich ein Wandel in der Betrachtung des Naturalismus als literaturgeschichtlicher Epoche. Bedauert wird die »Stereotypisierung des Naturalismus als Übergangsphase«, die »verschiedentlich zur ästhetischen Geringschätzung des naturalistischen Kunstprogramms geführt« habe und zu einer Diffamierung des Naturalismus als »literarisch unergiebige Interregnum-
367 | Vgl. Ingrid Spörk: Liebe und Verfall. Familiengeschichten und Liebesdiskurse in Realismus und Spätrealismus. Würzburg Königshausen & Neumann 1999. 368 | William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Wien Böhlau 1980 2, S. 246. 369 | Der Text wurde u.a. aufgenommen in die Anthologie: Prosa des Naturalismus. Hg. v. Gerhard Schulz. Stuttgart Reclam 1973. Vgl. auch Joseph Peter Strelka: Zur Wiener Dichtung um 1900. In: Ders.: Mitte, Maß und Mitgefühl. Wien Böhlau 1997, S. 99-112.
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speriode«370. Der Titel dieser Arbeit lässt vermuten, dass der negativen Charakterisierung der Epoche hier Vorschub geleistet werden soll. Jedoch beziehe ich die Metapher des Übergangs nicht nur auf den Naturalismus, sondern auf den gesamten Bereich der frühen Moderne. Dass der Naturalismus an der Schwelle zwischen zwei langzeitigen Entwicklungen stand, kann auf Grund der zahlreichen derartigen Äußerungen der Zeitgenossen gar nicht bestritten werden.371 Unnötig, wenn nicht falsch, sind lediglich die abwertenden Schlussfolgerungen, die aus dieser Tatsache gezogen wurden. Sie beruhen auf einem zu einfachen Verständnis des kulturtheoretischen Ansatzes von Hermann Bahr, dessen ständiger Richtungswechsel ihm bereits zu Lebzeiten den Spottnamen »Überwinder« einbrachte: Bahrs Überwindungsgedanke präsentiert sich gegenüber den zeitgenössischen Vorschlägen als ein gänzlich anderes Konzept; geradezu als Kontrastprogramm. Die Zeitgenossen sagten »Entwicklung«, wo er »Überwindung« sagte, waren Darwinisten, wo er, der Freund Victor Adlers, der Kontrahent des Herrn Schäffle und Parteigänger der Sozialdemokraten, marxistisch dachte. 372
Bahrs Weg in die Moderne, abgesehen von den unterschiedlichen Auffassungen zwischen deutscher und österreichischer Marxrezeption, die hier nicht Gegenstand der Betrachtung sind, ist derjenige der immerwährenden Revolution. Nur, und unter diesem Missverständnis leiden schon die zeitgenössischen Urteile, ist das Objekt der Überwindung, auf dem Gebiet der Literatur die zu überwindende Strömung, bei Bahr nicht negativ korreliert. Er setzt sie als notwendiges Stadium zur möglichst strengen Abgrenzung in seiner Modernevorstellung voraus.373 Die Kritik am Naturalismus wird in den Essays von Bahr zwar mit inhaltlichen Argumenten verfochten, ist aber eine strukturelle. »Bahrs Moderne-Konzept ist das eines sich selbst reproduzierenden Systems, das konstitutiv ist für die zeitgenössische Selbstreflexion zur Zeit der letzten Jahrhundertwende und an dem noch die
370 | Wolfgang Bunzel: Einführung in die Literatur des Naturalismus. Darmstadt WBG 2008, S. 11. 371 | Einige Beispiele finden sich bei W. Bunzel (S. 10f.). Auch die Literaturgeschichtsschreibung schloss sich früh dieser These an. Vgl. Otto von Leixner: Geschichte der deutschen Literatur. Zweiter Teil. Leipzig Spamer 1910, S. 937-956. 372 | Gotthart Wunberg: Deutscher Naturalismus und österreichische Moderne. Thesen zur Wiener Literatur um 1900. In: J. Le Rider/G. Raulet (Hg.): Verabschiedung der (Post-) Moderne? Tübingen Narr 1987, S. 106. 373 | »Also vor hundert Jahren Kampf gegen die Aristokratie mit Hilfe des Bürgertums, heute Kampf gegen die Bourgeoisie mit Hilfe des Proletariats, nach hundert Jahren Kampf gegen das Proletariat mit Hilfe irgend eines neuen und heute noch unbekannten Elementes, um das mir gar nicht bange ist.« Brief an den Vater vom 14.3. 1887. In: Hermann Bahr: Briefwechsel mit seinem Vater. Wien Bauer 1971, S. 154
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Jetztzeit partizipiert«.374 Seit dieser Einschätzung Wunbergs ist eine weitere Jahrhundertwende erfolgt und die Tragweite postmoderner Ansätze ist unter Druck geraten. An dieser Stelle ist nur festzuhalten, dass Bahr die frühe Moderne als Zeit der Bewegung versteht und den Naturalismus darin miteinbezieht. Auch ganz abseits von evolutionären oder revolutionären Überlegungen sind Übergangsepochen nicht immer als künstlerische Dürreperioden verstanden worden. Das gilt insbesondere für den ebenfalls ins Felde geführten Begriff »Interregnum«, der trotz aller unangenehmen Konnotationen, den Aufbruch in etwas Neues in sich trägt.375 Diese Hoffnung auf Erneuerung lässt die verbitterte und abgehärmte Patriziergattin Katharina Mayer nicht am Leben verzweifeln: »Es war ja gewiß: sie lebten im Übergang. Aber das mußte wo auf festem Boden sein Ende nehmen«.376 Je länger die neue Zeit auf sich warten ließ, deren Gestalt nach Zugehörigkeit des Einzelnen im sozialen Gefüge, aber auch auf Grund individueller psychischer und geistiger Dispositionen differieren konnte, desto mehr nahm der Wunsch nach Veränderung messianische, ja eschatologische Züge an. In der Literatur aus Böhmen und Mähren spiegelt sich diese Entwicklung, erheblich befeuert durch den Ausgang des 1. Weltkriegs, der über die politischen Dimensionen hinaus auch als metaphysisches Ende gedeutet wurde,377 erst nach dem Untersuchungszeitraum wieder.378 Davids Roman belegt, dass die frühe Moderne nicht nur in Deutschland als Epoche des Übergangs verstanden und empfunden wurde. Übergangsmenschen
374 | Gotthart Wunberg: Deutscher Naturalismus und österreichische Moderne, S. 108. 375 | In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der ursprünglich historische Begriff nachdrücklich auf Literatur und Kultur angewandt. Vgl. besonders die unterschiedlichen Deutungen von Hans Werner Richter: Literatur im Interregnum. In: Der Ruf. Nr. 15 (1947), S. 10f. und Armin Mohler: Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Darmstadt WBG 1994 (Erstausgabe 1950), S. 16f. u. S. 86-90. Mohler betrachtet die gesamte Entwicklung seit Nietzsche als Interregnum. Richter bezieht den Begriff nur auf die wenigen Jahre von 1945-1947. Zu den weiterführenden Implikationen von Richters Interregnumsthese vgl. Michael Scheffel: Magischer Realismus. Tübingen Stauffenburg 1990, S. 28ff. 376 | Jakob Julius David: Der Übergang, S. 67. 377 | Vgl.: Erwin Ott: Das Ende. Ein Roman vom Zusammenbruch der Südfront 1918. Reichenberg Verlag der Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener 1930. Nach eigenem Bekunden begann Ott die Arbeit an diesem Buch in der italienischen Kriegsgefangenschaft und vollendete es 1920 in seiner Heimatstadt Jägerndorf. Dazu auch Jörg Krappmann: Aus-, Ab- und andere Wege. Erwin Ott als Beispiel deutschböhmischer Literaten im Protektorat. In: P. Becher/I. Fiala-Fürst (hg.): Literatur unterm Hakenkreuz. Prag Vitalis 2005, S. 183-197. 378 | Eines der frühesten Dokumente ist Hans Watzliks Roman Der Alp (Leipzig Staackmann 1914).
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waren nicht nur die Wilhelminer,379 sondern auch ihre Zeitgenossen in der Habsburger Monarchie. Auch in der deutschen Literaturgeschichte ist der Naturalismus nur eine kurze Epoche. Das hat er mit den anderen Epochen der Moderne gemein und trennt ihn von vorausgehenden Periodisierungen wie Romantik oder Realismus, die in unterschiedlichen Varianten die Literatur und Geisteshaltung des gesamten 19. Jahrhunderts prägten. Für Österreich gilt der Charakter des Naturalismus als Übergangsepoche aber in besonderem Maß, da er kaum institutionelle Eigenständigkeit erlangte und deswegen von anderen Strömungen wie der Heimatkunstbewegung oder der Wiener Moderne überschattet werden konnte. Was für Schick 1906 noch unter dem Namen Mährische Moderne als einheitliches Phänomen beschreibbar war, wurde in der Folge literaturgeschichtlicher Differenzierungen auseinander dividiert. David wird überwiegend dem Spätrealismus zugerechnet, Langmann dem Naturalismus und Schaukal dem Impressionismus. Wenn auch deren Stellung im Kanon der deutschsprachigen Literatur keine gefestigte ist, konnten sie doch in Teilbereichen ihren Rang behaupten. Was aber ist mit den gerne poetae minores genannten Schriftstellern, zu denen auch die meisten der in diesem Kapitel vorgestellten gehören? Sobald sie überhaupt zum Gegenstand kritischer Untersuchungen werden, werden sie als Unfertige, Unselbstständige oder Epigonen gleich wieder aus dem germanistischen Tagesgeschäft verbannt. Mögen ihre Werke auch nicht dem gehobenen Standards entsprechen, so sind sie doch unter der Perspektive des Übergangs, der die gesamte frühe Moderne nicht nur in literarischer Hinsicht bestimmte, mit Gewinn lesbar. Die Rekonstruktion eines österreichischen Naturalismus, die in diesem Kapitel angedeutet wurde, gibt eine zusätzliche Struktur, um den Status der Literatur des Übergangs zwischen Realismus und Moderne nicht allzu vage werden zu lassen. Den Rekanonisierungsbestrebungen, die jeder regionalen Literaturforschung innewohnen, soll dadurch ein gewisser Halt gegeben werden. Ein erweiterter Blick auf den österreichischen Naturalismus, der die Erzeugnisse aus Mähren und Böhmen berücksichtigt, ist jedoch nicht nur im Interesse der regionalen Literaturforschung. Die Beispielanalysen erweitern auch das Spektrum der Naturalismusforschung, die noch immer unter dem verengten Blickwinkel der Forschungen der 1970er Jahre leidet. Besonders die gegenseitige Beeinflussung von Münchner und böhmisch-mährischem Naturalismus in der Zeitschrift Gesellschaft könnte zu einem neuen Verständnis des Naturalismus beitragen, bedarf aber noch genauerer Untersuchungen.
379 | Vgl. Martin Doerry: Übergangsmenschen. Die Mentalität der Wilhelminer und die Krise des Kaiserreichs. Weinheim Juventa 1986.
Die religiöse Frage G OT T IST TOT (ODER DOCH NICHT ?) Gott ist tot, das von Nietzsche entlehnte Schlagwort und seine sofortige Zurücknahme überschreiben diesen Abschnitt. Damit ist einerseits die Abwehrreaktion bezeichnet auf die häufig unreflektiert, ohne Bezug auf den Entstehungskontext gebrauchte Aussage Nietzsches, die sich aus den traditionellen Kirchen und religiösen Gruppierungen gegen das Verdikt Nietzsches erhob. Andererseits die Versuche der Anhänger materialistischer oder antitranszendenter Bewegungen, die plötzlich auftretende Leere in der Nachfolge des proklamierten Todes Gottes durch neue oder andere Gotteskonzepte zu ersetzen. Im weiteren Sinne ist damit schließlich auch eine dritte (oder vierte oder fünfte) Gruppe gemeint, die an alten, wiederentdeckten, neuformulierten oder synkretistischen Modellen festhielt, ohne in das Fahrwasser des Streites zu geraten, den der Grazer Professor für Soziologie, Franz Zach, als Entscheidungsfrage formulierte: »Modernes oder katholisches Kulturideal?«1 Obwohl der Katholizismus quantitativ den Abwehr- und Überzeugungskampf in der frühen Moderne bestimmte, hatten freilich auch andere religiöse Bekenntnisse in Europa Anteil an der Debatte. Damit ist ein weites Feld eröffnet, ein vielleicht zu weites, um religiöse Übergangsprozesse zu lokalisieren. Innerhalb der Grenzlandliteratur konnte dieser Prozess an einem bestimmten Punkt angehalten und frühe Formen von den späteren Verarbeitungen desselben Genres geschieden werden. Auch die österreichische Sonderform des Naturalismus konnte in ihrer Zwischenstellung zwischen vorausgegangenem und nachfolgendem Kunstprinzip als nach beiden Seiten offenes Übergangsphänomen plausibel gemacht werden. Ähnlich geschlossene Darstellungsfunktionen versagen aber vor der religiösen Literatur der Zeit. Versuche, den Übergang zu fassen oder auch nur den Übergang in seinem metaphorischen Gehalt zu präzisieren, scheitern nicht an der Entschiedenheit der Meinungen, die vorgetragen werden. Die Texte sind meist apodiktischer gehalten als zu anderen Zeiten und beziehen sich häufig klarer auf ihr Thema als in anderen Bereichen. 1 | Franz Zach: Modernes oder katholisches Kulturideal? Ein Wegweiser zum Verständnis der Gegenwart. Wien Herder&Co 1923.
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Die Versuche scheitern an der Heterogenität, die sich so ohne weiteres, d.h. ohne eine eingehende, speziell auf diese Problematik konzentrierte Untersuchung, nicht kanalisieren lässt. Die Fülle an Meinungsäußerungen, Polemiken und Konstrukten auf dem Gebiet der Religion, aus und über die Region Böhmen und Mähren erlaubt keine Zusammenschau, nur eine Auswahl. Einzig die literarischen Auseinandersetzungen mit der Epoche der Hexenprozesse und ihren spektakulären Fällen in Mähren könnten als relativ geschlossener Bereich aus dem Feld religiöser Texte ausgegrenzt werden. Im Zeitraum der frühen Moderne liegen zumindest drei Bearbeitungen vor, die sich mit dem Wirken des Hexenmeisters Boblig von Edelstadt in Mähren beschäftigen. Josef Orel befasst sich in seinem Versepos Agneta, die Hexe von Ullersdorf mit dem letzten Hexenprozess im Königreich Böhmen.2 Ottokar Stauf von der March greift in seinem Roman Der Hexendechant von Mährisch-Schönberg das unglückliche Schicksal des Geistlichen Christophorus Aloysius Lautner auf.3 Marie Knitschke bearbeitete beide Stoffe, wobei das, mit Orel auch namensgleiche Versepos, wohl nur als Privatdruck erschien und keine weitere Verbreitung fand.4 Ganz im Gegenteil zu dem Drama Alt-Schönberg, das die Hexenperiode in Nordmähren zwischen 1680 und 1685 in einzelnen Episoden auf die Bühne bringt.5 Es endet mit dem Tod des Dechanten Lautner. Eingewoben werden von Knitschke (geb. Axmann) auch die Ereignisse um Barbara Axmann, einer Vorfahrin der Autorin, die 1683 als Hexe verbrannt wurde. Im Gegensatz zu Orels sensationsgieriger Bearbeitung des Hexenstoffes, und Staufs politischer und vor allem kirchenpolitischer Interpretation des Lautnerprozesses ist Knitschkes Schauspiel an einer historisch präzisen Zeitchronik interessiert. Sie recherchierte in den Gerichtsakten und den Originalprotokollen, aus denen sie Passagen in die Rollentexte übernahm, um ein authentisches Bild zu vermitteln. Das Drama gehörte als Paradestück zum Standardinventar der nordmährischen Bühnen.6 Historische Texte dieser Art wurden jedoch bewusst nicht in das engere Korpus der Arbeit aufgenommen. Obwohl die Genese einer literarischen Wiederaufnahme der Hexenverfolgungen des späten 17. Jahrhunderts auch durch die zeitgenössischen religiösen Auseinandersetzung bestimmt war und besonders die 2 | Josef Orel: Agneta, die Hexe von Ullersdorf. Ein Sang aus dem Bergwalde. Weihnachtsgabe [sic!] des Vereines Deutsches Haus in Brünn an seine Mitglieder. Brünn Verlag des Vereines Deutsches Haus 1901. 3 | Ottokar Stauf von der March: Der Hexendechant von Mährisch-Schönberg. Freudenthal Krommer 1924. Stauf arbeitete seit 1914 an diesem Roman, dessen Fertigstellung durch den Kriegsdienst unterbrochen wurde. 4 | Marie Knitschke: Agneta, die Hexe von Ullersdorf. 1912. 5 | Marie Knitschke: Alt-Schönberg. Ein Gedenkspiel aus Schönbergs Vorzeit in 6 Bildern. Mährisch-Schönberg Emil Wanke 1909. 6 | Vgl. Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von Mährisch-Schönberg. Olomouc Diss. 2006, S. 128-131.
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angeführten Texte als einige der wenigen Versuche der katholischen Seite herausgestellt hätten werden können, die »eigene Verstrickung kritisch aufzuarbeiten«,7 sind diese, auf einen bestimmten historischen Ort festgelegten Arbeiten doch zu sehr einer doppelten Beschreibungsebene verpflichtet. Wie weit sie auch funktional auf einen modernen Diskurs wie etwa den Kulturkampf bezogen sind, tragen sie trotzdem immer den historischen Bedingungen der Epoche Rechnung, in die die Handlung eingebettet ist. Die Forschung zu den Hexenverfolgungen in Deutschland hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht.8 In Tschechien werden gerade von sprachwissenschaftlicher und historischer Seite Anstrengungen unternommen, das Defizit, das durch die lange Vernachlässigung dieses Themas aus politischen Gründen entstanden war, zu beheben.9 Eingedenk des warnenden Urteils, dass zu diesem Thema »mehr Unsinn literarischen Niederschlag gefunden hat als auf jedem anderen Gebiet der Geschichte«,10 werden die Texte zu den Hexenprozessen in Nordmähren ausgeklammert und ihre Bearbeitung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Vorgestellt werden also in den folgenden Abschnitten theoretische und literarische Texte, die eine gewisse Bandbreite repräsentieren und damit die Heterogenität belegen sollen. Einige der theoretischen bzw. kirchenkritischen Schriften greifen zwar ebenfalls sehr weit zurück, doch sind sie nicht an einen speziellen historischen Ort gebunden, ›benutzen‹ die Geschichte eher als Herleitung für ihre skeptische Beschreibung der Gegenwart. Der gemeinsame Nenner dieser Texte besteht lediglich darin, dass sie heute weitestgehend vergessen sind. Das Kapitel versteht sich demnach als Appetithäppchen für hungrige Literatur-, Kultur- und Religionswissenschaftler, die ihre an der ›hohen‹ Literatur erworbene Kompetenz an diesen Vorschlägen messen wollen.
7 | Walter Rummel/Rita Voltmer: Hexen und Hexenverfolgungen in der Frühen Neuzeit. Darmstadt WBG 2008, S. 7. 8 | Vgl. die Übersicht von Wolfgang Behringer: Geschichte der Hexenforschung. In: S. Lorenz/J.M. Schmidt (Hg.): Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Tübingen Thorbecke 2004, S. 485-688, sowie die kommentierte und mit einer ausführlichen Bibliographie versehene Quellenedition: Jürgen Macha (Hg.): Deutsche Kanzleisprache in Hexenverhörprotokollen der Frühen Neuzeit. Berlin de Gruyter 2005. 9 | An der Palacký-Universität in Olomouc wurden in den letzten Jahren einige Dissertationsprojekte gestartet, die auch die Interpretationsbasis für literaturwissenschaftliche Untersuchungen stärken werden. 10 | Gerhard Schormann: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland. Göttingen Vandenhoeck 1996 3, S. 3.
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Zwei Positionen Die Abschnitte zur nationalen und sozialen Problematik deuteten bereits an, dass die Themen Religion und Kirche auch während der Phase der Absolutierung liberalistischen Denkens und naturwissenschaftlicher Methoden nicht aus der Literatur verschwanden. Selbstverständlich zog die Liberalisierung des Geisteslebens auch eine Kritik am System der Kirche, an den praktischen Formen der Religionsausübung und auch am Sinn religiöser Transzendenz nach sich. Kirchenaustritte waren die eine Folge, die Hinwendung zu neuen und außereuropäischen Religionsformen oder die Erneuerung verschütteter Traditionen die andere. Beklagenswert war die Situation lediglich für die katholische Kirche, die in mehrfacher Weise unter Druck geriet. Einerseits durch politische Erscheinungen wie die Los-von-Rom-Bewegung, die ihr politisches Programm in der Anfangsphase gern hinter religiösen Argumentationen verbarg, andererseits durch die enge Verbindung die die evangelische Kirche mit den liberalisierten Wissenschaften einzugehen bereit war. Den Leistungen dezidiert protestantischer Wissenschaftler auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, aber auch innerhalb der sich konsolidierenden Religionswissenschaft hatte die katholische Seite auf Grund ihrer Vorbehalte lange nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Erst als die erste Welle der Fortschrittsbegeisterung in Skepsis umschlug, gelang es der katholischen Kirche die einsetzende Zivilisationskritik mit eigenen Interessen zu verknüpfen. Unabhängig von dieser Entwicklung bewahrten sich die Regionen ein eigenständiges religiöses Leben, das sich in der Literatur widerspiegelt. Am Beispiel der regionalen bayrischen Literatur der frühen Moderne lässt sich zeigen, dass auch im protestantisch-preußisch dominierten Deutschland relativ ungestört katholische Traditionen fortgeführt wurden. Weit einfacher gestaltete sich die Lage in den Regionen des überwiegend katholischen, cisleithanischen Österreich. Hier bewahrte die katholische Kirche, auch über den Kirchenkampf hinaus, noch fester ihren Einfluss auf die Politik und die Bildungsinstitutionen. Religiöse Motive sind in der Literatur der frühen Moderne in Böhmen und Mähren durchgehend präsent, unabhängig davon, welcher Themenschwerpunkt das literarische Kunstwerk eigentlich bestimmt. Die Konstanz religiöser Themen geht so weit, dass das Ausbleiben als Besonderheit gelten kann und deswegen interpretationsrelevant ist. Auch in der Grenzlandliteratur gehörte der Dorfpfarrer zum Grundbestand der Konfiguration. Wie dort bereits gezeigt, weist nur der Roman Tote Scholle von Alois Fietz keine kirchlichen Repräsentanten auf. Ähnlich stellt sich die Lage bei anderen Themen dar. Dadurch würde es einer eigenen, allein auf dieses Thema konzentrierten Untersuchung bedürfen, um ein Gesamtbild der Aufarbeitung religiöser Themen in der regionalen Literatur zu erstellen. Noch viel mehr als in den anderen Abschnitten musste hier eine Auswahl getroffen werden. Den Vorzug bei der Erstellung des Textkorpus erhielten unbekanntere, bisher kaum bearbeitete Texte.
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Zu diesen unbekannten Texten zählen sicherlich die religiösen Versepen, die in der Literatur der frühen Moderne noch regen Zuspruch fanden. Neben anderen Gründen suchten die Autoren dadurch Anschluss an die Erfolge von Friedrich Wilhelm Webers Dreizehnlinden oder Robert Hamerlings Ahasverus in Rom, die wiederum den Beliebtheitsgrad epischer Dichtung im Bürgertum des 19. Jahrhunderts nutzen konnten.11 Die regionale Literatur folgte diesem Trend und scheute vor breitangelegten Darstellungs- und Deutungskonzepten nicht zurück. Hugo Fründ befasst sich in Der Welterlöser mit der eschatologischen Dimension Jesu Christi, die er gegenüber der einsetzenden historischen Betrachtung des Lebens Jesu herausstellt.12 Noch breiter setzt Eduard Hlatky an. In seinem Versepos Weltenmorgen ist es die Entstehung der Welt, die als christlicher Heilsauftrag von Beginn an inszeniert wird.13 Hlatky stammte aus einer deutsch-tschechischen Mischehe und hatte in seiner Jugend in Brünn »auffallend mit Juden zu tun«.14 Auf der religiösen Ebene schildert er im Weltenmorgen seine späte Erweckung zum Christentum, auf politischer sein national-völkisches Bekenntnis zum Deutschtum, das ihn zum Anhänger Karl Luegers werden ließ. Die tiefe Verwurzelung des Aberglaubens ist das Thema von Böse Sieben, einem Epos von Leopold Schmerz.15 Die seltsame Mischung aus schwarzer Romantik, Volksglauben und Minnelyrik ergeht sich in Anspielungen auf historische, literarische, mythologische und christologische Vorbilder, die wohl nur ein Kommentarband im Stile einer historisch-kritischen Ausgabe vollständig auflösen könnte. Diese Fleißarbeit konnte und sollte hier nicht geleistet werden, da der Ertrag für eine Beschreibung der religiösen Literatur in Mähren und Böhmen zu gering ausfallen würde. Dieser Ertrag wäre sicherlich in den beiden Versepen von Hlatky und Fründ gewährleistet. Allerdings greifen auch sie auf die Gattungsgeschichte des Versepos in der deutschsprachigen Literatur zurück. Eine Entwicklungsgeschichte, die zu einer gerechten Bewertung der Texte erst nachzuzeichnen wäre. Aus Zeit- und Raumgründen wird deswegen auch die Bearbeitung der regionalen religiösen 11 | Am erfolgreichsten war Josef Viktor von Scheffels Erstlingswerk Der Trompeter von Säckingen (Stuttgart Metzler 1854), das 1892 seine 200. Auflage erlebte. Neben Oskar von Redwitz (Amaranth. Mainz Kirchheim 1850, 36. Auflage 1886) und Otto Roquette (Waldmeisters Brautfahrt. Augsburg Cotta 1851, 65. Auflage 1893) war auch der auf Schloss Johannisberg bei Jauernig/Javorník geborene Joseph Christian von Zedlitz mit seinem Waldfräulein (Stuttgart Cotta 1843), das später von Marie von Ebner-Eschenbach dramatisiert wurde, an der erfolgreichen Entwicklung des Genres beteiligt. Zu den Auflagenzahlen vgl. Christoph Hein: Biedermeier. In: Walter Hinderer (Hg.): Geschichte der deutschen Lyrik. Stuttgart Reclam 1983, S. 294. 12 | Hugo Fründ: Der Welterlöser. Troppau Selbstverlag 1914. 13 | Eduard Hlatky: Weltenmorgen. Freiburg Herder 1903 [Erstauflage 1897]. 14 | Alois Pichler: Eduard Hlatky. Ein Lebensbild. Frankfurter zeitgemäße Broschüren Band 34 (August 1920) Heft 11, S. 261. 15 | Leopold Schmerz: Böse Sieben. Brünn Irrgang 1899.
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Versepen einstweilen zurückgestellt und einer späteren monographischen Untersuchung überantwortet. Der Wandel der katholischen und damit überwiegenden christlichen Position in Österreich zwischen Beginn und Ende der hier behandelten Zeitspanne soll an zwei ausführlichen Studien von Franz Zach und Emil Mario Vacano aufgezeigt werden. 1923 veröffentlichte der Soziologe Franz Zach sein Buch Modernes oder katholisches Kulturideal?, das innerhalb kurzer Zeit weite Verbreitung erfuhr.16 Gekleidet in eine umfassende Kulturgeschichte der Menschheit vertritt Zach die These, dass der Notstand des »deutschen Volkes« nach dem Ersten Weltkrieg seinen Anfang im Zeitalter der Renaissance und Reformation hatte. Der »Kulturbruch« der Renaissance leitete die Neuzeit ein, die durch den »Religionsbruch« der Reformation endgültig besiegelt wurde, denn die Reformation Luthers war »die bewußte Abkehr von den religiösen, politischen, kulturellen, zum Teil auch von den sittlichen Anschauungen des Mittelalters«.17 Sie trug als erste den Subjektivismus in das kollektive Gedanken- und Glaubensgebäude der Kirche des Mittelalters, und löste damit einen Prozess aus, der folgerichtig, so Zach, in die Katastrophe des Weltkrieges münden musste: Seit vier Jahrhunderten hat man zielbewußt an der Revolutionierung der Geister gearbeitet, die Bestie im Menschen großgezogen. Wir hatten den Bolschewismus schon längst auf unseren Hochschulen in der Wissenschaft, in der Literatur, im Theater, in der Presse – ehe die Bolschewiken der Tat auf die Straße gingen, um ins Werk zu setzen, was die Bolschewiki der Bildung seit Jahren mit so schönen Worten gepredigt hatten.18
Die Bolschewiken sind hier nur die aktuelle Konkretisation der mit »Feinde des Katholizismus« überschriebenen Variable, die wahlweise mit Liberalen, Juden, Freimaurern bis zurück zu den Aufklärern im Zeitalter des Josephinismus gefüllt wird. Die wahllose Gleichsetzung der Gegner lässt deutlich werden, warum Zach von Armin Mohler zu den Völkischen gerechnet wird. Zach weicht von deren rassentheoretischen oder deutschgläubigen Argumentationsmustern nur dahingehend ab, indem er sie durch seine katholische Überzeugung ersetzt.19 In Anlehnung an die politische Systemkritik Othmar Spanns betrachtet er das Konzept 16 | Franz Zach: Modernes oder katholisches Kulturideal? Ein Wegweiser zum Verständnis der Gegenwart. Wien Herder&Co 1923. Ich verwende die dritte vermehrte Auflage von 1925. Eine vierte Auflage erschien im Clarinthia Verlag in Klagenfurt 1936, wobei der Titel, dem Zeitgeist entsprechend nun lautete Christlich-germanisches Kulturideal. Österreich auf dem rechten Weg. Vom »Aufbau einer schöneren Zukunft auf den Grundlagen der christlich-germanischen Kultur« schwärmte jedoch bereits das Vorwort zur Erstauflage (S. IX). 17 | Franz Zach: Modernes oder katholisches Kulturideal? S. 152. 18 | Ebd., S. 368. 19 | Zudem beruft er sich, nicht ohne Grund, auf ähnliche Frontbildungen der Romantiker.
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der liberalen Individualisierung für gescheitert.20 Es müsse nun wieder durch die traditionelle Individuums-Lehre des Katholizismus abgelöst werden. Sein Credo lautet: »Wenn der katholische Glaube verschwindet, dann kommt die Barbarei«.21 Eine Einstellung, die schon knapp zwei Jahrzehnte vorher von dem Philosophen Max Steiner vertreten wurde. Steiner war Mitschüler Franz Kafkas am Gymnasium und schloss sich nach seinem Umzug nach Berlin der Freien Wissenschaftlichen Vereinigung an, wo er zum Freund Kurt Hillers und einem Vordenker des Aktivismus wurde. Trotz der Gleichartigkeit der Aussagen und der gemeinsamen Gegner (Haeckel, Ostwald, Neukantianer) ist Steiners Sicht der Dinge differenzierter. Während es für Zach um eine uneingeschränkte Verteidigung der Institution katholische Kirche unter Wahrung aller ihrer angestammten Rechte geht, ist für den konvertierten Juden Steiner der Katholizismus nur eine logische Konsequenz seiner an der Erkenntnistheorie Kants geschulten Modernisierungsskepsis. In einem Zeitalter, indem in Nachfolge Nietzsches der Tod Gottes vielen als beschlossene Sache galt, ist für ihn die katholische Kirche die einzige moralische Instanz, um das freie Spiel der Kräfte zu regulieren. Das gilt jedoch nur für die individuelle Lebenswelt des Einzelnen. Steiner wendet sich kategorisch gegen einen Einfluss der katholischen Kirche auf Politik und Wissenschaft.22 Für Zach sind derartige philosophische Gedankengänge nicht nachvollziehbar, da sie die Autorität der Institution Kirche untergraben. Dass er in den Abschnitten zur Kultur das »Dirnentum in Mode, Literatur, Theater und Kino« anprangert, kann demnach wenig überraschen.23 Die angeführten Beispiele jedoch schon. Gustav Frenssen, Gerhart Hauptmann und Peter Rosegger gelten als verderbliche Literatur, während u.a. Maria delle Grazie, Reinhard Sorge und insbesondere Hermann Bahr die Literatur vertreten, von der sich Zach die »Wiedereroberung der geistigen Weltherrschaft« verspricht.24 Zulange habe die katholische Seite »einen 20 | »Der Liberalismus ist auf allen Gebieten zum Gegensatz des ursprünglich erstrebten Zieles gelangt. Er wollte den menschlichen Geist von der kirchlichen, ständischen und korporativen ›Fessel‹ loslösen und die geistigen Kräfte zur freien und selbständigen Entscheidung bringen, und hat die Geister unter die Herrschaft der monopolisierten Staatsschule, unter die Tyrannei der öffentlichen Meinung und Tagespresse, unter das Regiment der Parteimänner und des parlamentarischen Majoritätsprinzips gebracht. Geistige Uniformierung ist das Ergebnis der liberalen Individualisierung und Atomisierung«. Ebd., S. 318. 21 | Ebd., S. 326. 22 | Vgl. Jörg Krappmann: Max Steiner. Apologet der Konsequenz. Olomouc Universitätsverlag 2009. 23 | Franz Zach: Modernes oder katholisches Kulturideal, S. 326. 24 | Ebd., S. 381. Zu Bahrs Rückwendung zum Katholizismus vgl. auch Josef Nadler: Hermann Bahr und das katholische Österreich. In: Die neue Rundschau Jg. 34 (1923), Bd. 1, S. 490-502. Nadler blendet das ›moderne‹ Vorleben Bahrs nicht aus, sondern interpretiert es als notwendige Vorbereitung auf einen nicht gewohnheitsmäßigen, sondern verinnerlichten Katholizismus. Ein Weg, den er zugleich als typisch für ein nationales Österreicher-
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Denkfehler in der Literaturbetrachtung« gehabt, ja der Sieg des Katholizismus sei verzögert worden, »weil wir die Belletristik allzu lange geringgeschätzt und vernachlässigt haben«.25 Nun sei es an der Zeit auch dieses Medium zu nutzen, um den Sinnsuchenden und Entwurzelten den Weg in die Kirche zu erleichtern. Die Debatte um die Bedingungen und Inhalte eines katholischen Literaturschaffens war jedoch nicht so neu und vor allem nicht so eindeutig wie Zach es seinen Lesern suggeriert. Die älteren von ihnen dürften sich noch an den Literaturstreit innerhalb des Katholizismus erinnert haben, der zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten Weltkrieg in der katholischen Zeitschriftenliteratur und auch im religiösen Diskurs der Öffentlichkeit ein wichtiges Glied in der Argumentationskette für oder gegen eine modernistische Öffnung der katholischen Kirche darstellte. Als zentrale Kontrahenten der beiden, vor polemischen Ausfällen nicht zurückschreckenden Lager, erwiesen sich Karl Muth und Richard von Kralik. Beide scharten in den Zeitschriften, deren Gesicht sie maßgeblich bestimmten, ihre Waffengänger um sich, Kralik im Gral, Muth im Hochland. Muths unter dem Pseudonym Veremundus veröffentlichte Schrift Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? hatte den Streit ausgelöst.26 Muth beantwortet die Frage abschlägig und sieht darin das Hauptproblem des Katholizismus, sich gegenüber den Anstürmen der frühen Moderne zu behaupten. Gegenüber den Tendenzen und Entwicklungen der Moderne habe der Katholizismus bisher keinen adäquaten Umgang gefunden, sich vielmehr in eine Nische manövriert, aus der heraus eine Überzeugungsarbeit im religiösen Sinn kaum mehr zu leisten sein würde. Gegen diese Abgeschottetheit konzipiert Muth seine Zeitschrift Hochland als Sammelbecken aller am Fortschritt orientierten Katholiken: In diesem [Goethes, J.K.] Geiste aber – das sagen wir mit allem Nachdruck – stellen wir uns voll und ganz in unser gegenwärtiges Leben, mitten in unsere moderne Kultur und auf den Boden unseres gesunden, deutschen und christlichen Volkstums. Moderne Kultur! Wir werden uns ihr gegenüber weder als blinde Schwärmer noch als einseitige Verächter empfinden. 27
Bereits der erste Jahrgangsband der Zeitschrift mit dem Untertitel Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und der Kunst löst den Anspruch Muths ein. Die heißen Eisen der Zeit Kant, Nietzsche, Spencer und Darwin werden zum Gegenstand von Abhandlungen. Im fast überdimensionierten Rezensionstum ansieht. Ähnliche Überlegungen werden auch Zach geleitet haben, der sonst die Kunstströmungen, an deren Herausbildung Bahr entscheidend beteiligt war, als Symptome des Verfalls behandelt. 25 | Beide Zitate ebd., S. 389. 26 | Veremundus (d.i. Karl Muth): Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Mainz Kirchheim 1898. 27 | Karl Muth: Ein Vorwort zu Hochland. Jg. 1, Heft 1 (Oktober 1903), S. 4.
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teil werden die Naturalisten (Halbe, Hauptmann, Sudermann) ebenso besprochen wie Hugo von Hofmannsthal oder die Autoren der Heimatkunstbewegung Ernst Wachler und Friedrich Lienhard, der auch mit Erzählungen präsent ist. Auch der Betrachtung der europäischen Literatur werden keine Schranken auferlegt, was neben der positiven Aufnahme von Björnsterne Björnson und August Strindberg auch die kritische, aber nicht abwertende Replik zum damaligen Skandalautor Oscar Wilde belegt.28 Dass die Zeitschrift zunächst tatsächlich den Charakter einer katholischen Sammlung besaß, zeigen der Abdruck einiger Gedichte von Franz Eichert, dem späteren Chefredakteur des Gral und die Mitarbeit Richard von Kraliks im Rezensionsteil. Kralik bespricht die Uraufführung von Ferdinand von Saars Schauspiel Eine Wohltat im Wiener Burgtheater, das er wegen seiner sozialkritischen Darstellung des ländlichen Milieus lobt, die jedoch durch die mutlose Inszenierung entschärft worden sei.29 Die Rezension entbehrt völlig des apologetischen Impetus die sein Wirken für eine katholische Literatur im drei Jahre später gegründeten Gral auszeichneten. Bedeutsam ist die Tatsache, dass sich Kralik hier als Theaterrezensent ausweist, denn die Auseinandersetzung mit Karl Muth beruht, wie bereits Josef Nadler aufzeigte,30 zu einem großen Teil auf einer unterschiedlichen Bewertung der Romanliteratur als Vermittlung katholischer, besser christlicher Ideen. Kralik setzte wie viele katholische Kontrollinstanzen den Roman weitgehend mit Belletristik gleich, an der die »geradezu unheimliche, kaninchenartige Produktion« verstörend wirkte.31 Die Kirche betrachtete die Überschwemmung des Marktes mit trivialliterarischer Unterhaltungsprosa mit Skepsis, da die Vielzahl an Neuerscheinungen in Buchform eine Kontrolle durch ein katholisches Gremium fast unmöglich machte und der Abdruck als Fortsetzungsromane zudem ein breites Publikum auch in Kreisen fand, die sich sonst nicht für Literatur interessierten. Während Kralik die gegen den ›Modernismus‹ gerichtete Enzyklika pasciendi pauschal auf den Roman ausdehnte, und »Drama, Epos, Volksbuch und Lyrik« präferierte,32 versuchte Muth die Gattung zu rechtfertigen, indem er im Sinne einer christlichen Überzeugung gelungene Beispiele aus der europäischen und deutschsprachigen Literatur herausstellte. In der Zwischenkriegszeit war der Streit bereits zugunsten Muths beendet. Die modernistische Richtung hatte sich durchgesetzt. Um den Streit auch inner28 | Das Drama Herr Meister des von Zach als Initiator einer katholischen Erneuerung gefeierten Hermann Bahr wird hingegen vernichtend rezensiert. 29 | Vgl. Hochland Jg. 1, Heft 1 (Oktober 1903), S. 643-645. 30 | Vgl. Josef Nadler: Hochlandkämpfe von Gestern und Morgen. In: Wiederbegegnung von Kirche und Kultur in Deutschland. Eine Gabe für Karl Muth. München 1927, S. 59-73. 31 | Heinrich von Pier: Das Inferioritätsmärchen in der katholischen Literatur. In: Apologetische Rundschau. Organ der Central-Auskunftsstelle der Katholischen Presse (C.A.) Jg. 3 (1907/08), S. 139. 32 | Bernhard Doppler: Katholische Literatur und Literaturpolitik. Enrica von Handel-Manzetti. Königstein Hain 1980, S. 22.
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halb der Gemeinden zu befrieden, entstand die These, dass beide für dasselbe Ziel gestritten hätten, nur unter anderen Voraussetzungen.33 Die Inszenierung des Kampfes von unterschiedlichen Polen aus, untermauerte Josef Nadler 1927, indem er gemäß seiner literaturgeschichtlichen Methode die Kontrahenten durch ihre Herkunft erklärte. Muth stammte aus dem Württembergischen, Kralik aus dem böhmischen Marktflecken Eleonorenhain. Die landschaftlichen und stammesbezogenen Unterschiede seien durch die Gegensätze zwischen Wilhelminischem und Habsburger Reich unterstützt worden und erklärten so die Auseinandersetzung. Trotz dieser Glättungsversuche fühlte sich Kralik in der Nachfolge zurückgesetzt. Allerdings ist an der Schrift Zachs noch der Einfluss Kraliks spürbar, obwohl er ihn nur ein einziges Mal und dann außerhalb des Literaturstreites erwähnt, auf den er gar nicht eingeht. Auf Zachs persönlichem Index steht z.B. nach wie vor Gustav Frenssen, den Muth als Zeugen für eine religiöse Existenz unter den Bedingungen einer naturwissenschaftlich orientierten Moderne empfohlen hatte, zudem übernimmt Zach Kraliks Gleichsetzung von römischem und romantischem Katholizismus, die von Muth als bewusste Irreführung kritisiert wurde.34 Die bis heute als überlegen erachtete Position Muths darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Kralik an einer Revision des bisherigen Umgangs der katholischen Kirche mit der Literatur interessiert war. Vielfach herrschte bis um die Jahrhundertwende eine Haltung vor, »die Lesen im Grunde verwirft oder nur als notwendiges Übel, als Gegenwehr in einer schon verdorbenen Welt, bestehen läßt«.35 Noch kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, also bereits nach dem Höhepunkt der Kontroverse zwischen Muth und Kralik, durften Schriftsteller im allgemeinen und Romanautoren im besonderen in katholischen Zeitschriften mit folgenden Worten angefallen werden: Solches Geschmeiß zu zertreten, zumindest jedoch dahin zu wirken, daß dergleichen zersetzende Elemente aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Verkehr der anständig Denkenden unerbittlich ausgeschlossen werden, das ist nicht nur ein gutes, sondern vielmehr ein notwendiges Werk. 36
33 | Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Streit gänzlich heruntergespielt und als notwendige gegenseitige Befruchtung dargestellt. Vgl. Eugen Thurnher: Katholischer Geist in Österreich. Bregenz Russ 1953. Über die weitere Entwicklung Karl Muths und der Zeitschrift Hochland informiert sehr kenntnisreich Gilbert Merlio: Carl Muth et la revue »Hochland«. In: M. Grunewald/U. Puschner: Das katholische Intellektuellen-Milieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871-1963). Bern Lang 2006, S. 191-208. 34 | Vgl. Karl Muth: Die Wiedergeburt der Dichtung aus dem religiösen Erlebnis. Kempten Kösel 1909, S. 78ff. 35 | Bernhard Doppler: Katholische Literatur und Literaturpolitik. Enrica von Handel-Manzetti. Königstein Anton Hain 1980, S. 30. 36 | Heiliges Feuer Jg. 1 (1913/14), S. 402. Zitiert nach Doppler, ebd., S. 31.
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Zweifellos eine extreme Meinung, doch sie verdeutlicht, dass es nicht nur einfach Vorbehalte waren, mit denen sich Schriftsteller in überwiegend katholischen Regionen wie Böhmen und Mähren auseinandersetzen mussten. Umso mehr betraf dieses Misstrauen Autoren, die schon von ihrem Lebenslauf her, nicht mit dem besten Leumund ausgestattet waren. Deswegen soll als zweite Position innerhalb des religiösen Verständnisses Emil Mario Vacano vorgestellt werden, »eine der seltsamsten Litteratengestalten des 19. Jahrhunderts«,37 der 1840 »zufällig«38 in Mährisch-Schönberg in Nordmähren geboren wurde. Nicht wegen seines Geburtsortes, sondern wegen seines späteren Lebensortes Brünn darf Vacano der deutschmährischen Literatur eingegliedert werden. In einer Zeit als der tschechisch-deutsche Konflikt bereits seine nationalistische Ausprägung erhalten hatte, trat Vacano in Kontakt mit der tschechischen Literatur- und Kunstszene, befreundete sich mit dem Maler A. Kosárek und übersetzte einige Werke von M.A. Šimáček und Alois Jirásek ins Deutsche. In einem Kapuzinerkloster erzogen, sah er sich in seiner frühen Jugend für das Amt eines Geistlichen bestimmt. Durch ein Erweckungserlebnis, das an die Schilderung des Zirkusbesuches von Gabriele Lohwag in Davids Roman Blut erinnert, wurde er auf einer Reise in Moldawien für das Zirkusleben eingenommen. Mit unterschiedlichen fahrenden Truppen bereiste er Rumänien und Südeuropa und hatte besonders als Zirkusreiterin (!) Miss Ella Erfolge. Ebenfalls verdingte er sich als Charge an einigen Bühnen und soll 1859 auch Statist am Wiener Hofburgtheater gewesen sein. Durch eine Erkrankung an seiner Vagabundentätigkeit gehindert, versuchte er sich als Schriftsteller. In seinem Erstlingswerk Mysterien des Welt- und Bühnenlebens (1861) verarbeitete er seine eigenen Erlebnisse. Unverblümt nannte er die Namen der an den komischen, teils schlüpfrigen Anekdoten beteiligten Herren und vor allem Damen, so dass dieses und einige seiner weiteren Werke weniger als Schlüssel- denn als Schlüssellochromane anzusprechen sind. Die nachfolgenden rechtlichen Schwierigkeiten bis hin zur Konfiskation garantierten seine Stellung als Sensationsschriftsteller in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Trotz dieser Seite seines Werkes löste sich Vacano nicht von seiner christlichen Erziehung. »Nachts schwärmte er fast wie ein Roué in frivolen Ballokalen umher und am Tage kniete er verzückt in heißer Andacht vor dem Altar der Kathedrale«.39 Auch Peter Rosegger, mit dem er in Briefkontakt stand, wies auf die beiden unterschiedlichen Gesichter Vacanos hin.40 Obwohl diese andere Seite Vacanos
37 | L. Fränkel: Emil Mario Vacano. In: ADB (1895), S. 451. 38 | Ji ř í Veselý: Emil Mario Vacano. In: LDA 2002. 39 | L. Fränkel. In: ADB, S. 452. 40 | Die Hinwendung zu religiösen Themen bedeutete keine Wende im Werk von Vacano. Gleichzeitig mit den religiösen Schriften erschienen weiterhin Arbeiten, die schon im Titel (Gräfin Kathinka und ihre Nachbarn 1874; Bilder aus dem Harem 1876; Budoirgeschichten 1889) die Bruchlosigkeit zum Frühwerk andeuten.
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bekannt war, blieben seine religiösen Schriften bisher unbeachtet.41 1870 erschienen im renommierten Verlag Heckenast in Pressburg Die Gottesmörder, die 1877 sogar eine zweite Auflage erlebten. Wie in seinen Romanen aus den Schauspieler- und Vagabundenkreisen legt sich Vacano auch hier keine Zurückhaltung auf. Der Text ist eine Kapuzinade gegen die katholische Kirche als Institution des verwalteten Glaubens und gegen die Priester und Würdenträger, die sich vom Glauben des normalen Menschen entfremdet haben. Wie bei Zach bilden die ersten beiden Abschnitte einen Überblick über die politische und kulturgeschichtliche Entwicklung der Menschheit unter religiöser Perspektive. Im Gegensatz zu Zachs offiziöser Kirchenhaltung, die noch in der dritten Auflage das Imprimatur erhalten hatte,42 ist er nicht an den Aufs und Abs des Verhältnisses zwischen Kirche, Kunst und Wissenschaft interessiert. Auch das um die Jahrhundertwende diskursbestimmende Verhältnis zwischen Moderne und Katholizismus ist für Vacano nur der Ausfluss einer Fehlentwicklung, die bereits mit dem Tode Jesu eingesetzt hat. Ab diesem Moment oblag die ›Jesuslehre‹ den Eingriffen der Apostel und wurde zur ›Christuslehre‹ verzerrt. Von der Spätantike über Mittelalter und Neuzeit bis in die Gegenwart wurde dieser Verfallsprozess nur fortgeschrieben. Vacano markiert einige besondere Exzesse, etwa den Ablasshandel oder den blasphemischen Umgang mit Gott im Rokoko, aber ihm ist nicht an einer Gewichtung der einzelnen Epochen zueinander gelegen. Deswegen fehlt auch die Anerkennung der Romantik als geistige katholische Gegenreformation, die nicht nur bei Zach als Beispiel einer Erneuerung katholischer Ideale den zeitgenössischen Lesern paradigmatisch vor Augen gehalten wurde. Bis auf die communionistische Lebensführung der urchristlichen Gemeinden erachtet er die Entwicklung des Christentums als hierarchisches Machtkonstrukt, das den wirklich Glaubenden durch ein streng kontrolliertes Regelsystem auf den Priester als Repräsentanten der kirchlichen Ordnung verpflichtet und ihn dadurch vom natürlichen, personalen Liebes- und Glaubensverhältnis zu Jesus entfremdet. Der institutionelle Aufbau der Kirche, die Verteilung von Machtbefugnissen auf unterschiedliche Ämter, führt nach Vacano unwillkürlich zu einem Allgemeingültigkeitsanspruch durch diese Institution und zu einer universalen Missionstätigkeit. Um den kirchlichen Machtapparat finanziell und demographisch zu sichern, wird die Quantität an Kirchenanhängern höher bewertet als die Qualität des individuellen Glaubens: Jesu Lehre, wenn man sie nach ihrem tiefinnersten Sinne nimmt, ist keine weltumfassende! sie gleicht nicht den heutigen Missionspredigten für Beamte, Mägde, Adelige, Handwerker und Bettler; sie umfaßt wohl relativ alle Menschen in ihrem Troste, aber nur alle Die, welche dieses Trostes bedürfen und zu ihm kommen wollen. […] Man hat aus der Jesuslehre einen 41 | Vgl. dazu auch (Asche auf mein Haupt) den Lexikonbeitrag von Ji ř í Veselý im LDA, in dessen Bibliographie Vacanos religiöse Streitschriften Die Gottesmörder als Erzählung und Die Heiligen als Novelle deklariert werden. 42 | Vgl. Zach: Katholisches oder modernes Kulturideal? S. 404.
D IE RELIGIÖSE F RAGE Hut gemacht, unter welchem man alle Köpfe vereinigen will. Aber Jesus hat das nie gewollt, nie angestrebt. 43
Wegen ihres globalen Anspruches kann die katholische Kirche nicht angemessen auf die Krise der Religion antworten, die sich für Vacano bereits 1870 klar abzeichnet. Die Aufklärung und das wissenschaftliche Zeitalter tragen zur Verunsicherung der Menschen bei, die sie durch Liebe, Frieden und Freundschaft auszugleichen suchen. Die Menschen fänden diese Sehnsucht in der Kirche nicht erfüllt, weil die Predigt, der kommunikative Grundsatz des Glaubens, diese Funktion nicht mehr erfülle, sondern die Prediger als Trotzreaktion gegen den Schwund des Glaubens mit Kritik, Scheltworten und Herabsetzung der weltlichen und religiösen Gegner reagiere. Dadurch wurden die Prediger und Priester zu den zweiten Gottesmördern in der Neuzeit: »Die Priester schlugen lautdröhnend die Nägel ein, durch die Hände und Füsse des lichten Testamentes der grössten Weisheit und der größten Liebe. Und die Juden, die Gottesmörder, standen von ferne und schauten auf dieses Schauspiel«.44 Die als Gottesmörder vom Christentum verurteilten Juden sind an der zweiten Tötung nicht mehr beteiligt. Vacano verwendet die zeitgenössische Terminologie der katholischen Kirche in der Judenfrage, entwickelt aber keine eigenen antijüdischen Ressentiments. Den Hebräern des Alten Testaments ist die religiöse Grundtat zu verdanken, »den Einen einzigen Gott erkannt zu haben«.45 Sie ermöglichten dadurch erst das Erscheinen Jesu auf Erden. Vacano erklärt die Lehre Jesu ganz aus seiner jüdischen Herkunft und auch ihr Wirken sei auf den jüdischen Glauben bezogen. »Wäre das Evangelium auf die Juden beschränkt geblieben, so würde es rein geblieben sein«,46 doch die Apostel verkündeten die Lehre Jesu unter den ›Heiden‹ und verwässerten dadurch die reine Lehre durch Zugeständnisse an die anders geartete Mythologie und Lebensauffassung. Der jüdische Jesus war zwar um 1870 kein Tabubruch in der katholischen Kirche mehr,47 doch die Ausschließlichkeit, mit der Vacano auf einer Verortung der Lehre Jesu im jüdischen Kultur- und Kultusbereich insistiert, wurde erst wieder in der historischen Schule 43 | Emil Mario Vacano: Die Gottesmörder. Pressburg Heckenast 18772, S. 140f. Die Hervorhebungen befinden sich bereits im Original. Auch die Rechtschreibung und die eigenwillige Verwendung der Satzzeichen wurden beibehalten. 44 | Ebd., S. 448. 45 | Ebd., S. 80. 46 | Ebd., S. 202. 47 | Innerhalb der tschechischen Priesterschaft der katholischen Kirche hielten sich religiös motivierte antijüdische Positionen länger als im deutschen Teil. Manchmal schlagen die religiösen Vorbehalte in Antisemitismus um wie bei dem tschechischen Priester Rudolf Vrba, der für die nationalen und gesellschaftlichen Gegensätze in der Habsburger Monarchie hauptsächlich die »dreyfusistischen Judenknechte« verantwortlich macht. Rudolf Vrba: Österreichs Bedränger. Prag Selbstverlag 1903, S. 620.
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Bultmanns und seiner Nachfolger erreicht. Die entscheidende Beteiligung der Juden am Kreuzestod Jesu bleibt von Vacano unwidersprochen. Doch versteht er zu differenzieren. Nicht die Juden als Volk oder Religionsgemeinschaft werden als Auslöser des Kreuzestodes verstanden, sondern die Pharisäer in ihrer Furcht vor einer Untergrabung ihrer Macht durch die reformistische Lehre.48 Da es Vacano um die Erfüllung der religiösen Sehnsucht einzelner Gläubiger geht, und eben nicht um ein globales Erlösungskonzept, ist seine Haltung gegenüber Andersgläubigen eine tolerante. Das gilt mit einigen Vorbehalten auch für Konfessionslose, solange sie ihre Überzeugung konsequent vertreten.49 Denn ein Merkmal des Niedergangs des Glaubens sieht er in der Heuchelei seiner Zeit, die zwar die Religion und ihre Vertreter verachtet, aber aus Gewohnheit oder Feigheit oder aus Rücksicht auf die Familie die christlichen Rituale einhält. Vacano ist damit ein Beispiel einer reformistischen Haltung im Katholizismus, die im 19. Jahrhundert begann und bis heute andauert: »Für Jesus, aber gegen das Kirchenregiment.«50 Roman Heiligenthal fasst diese Jesusauffassungen in dem Kapitel »Jesus als Anwalt der Unterprivilegierten und Kritiker der Amtskirche« zusammen.51 Als Beispiel gibt er die Hauptanklage wider, die Uli Weyland in seinem vor Jahren viel beachteten Buch Strafsache Vatikan Jesus in den Mund legte: Ich [sc. Jesus] klage nicht nur in eigner Sache an, sondern auch als Anwalt all der namenlosen Opfer, die die skrupellose Machtpolitik der Kirche gefordert hat. Ich klage die Organisation an, die mein Leben und meine Botschaft verfälscht hat, damit ihre Botschaft daraus wurde. Die in meinem Namen alle möglichen Schandtaten vom Betrug bis hin zum Völkermord begangen hat, die damit den Namen Jesus von Nazareth beleidigt und aus mir 48 | Ein genauerer Einblick in die jüdische Geschichte fehlt Vacano. Zumindest die Schrift Sadducäer und Pharisäer (Breslau 1863) hätte zur Abfassung der Gottesmörder bereits vorgelegen. Allerdings ist Vacanos Wissenstand, gemessen an seiner Ausbildung, weit über dem durchschnittlichen Kenntnisstand seiner Zeit. Neuere Forschungen der Religionswissenschaft und Theologie erachten, wenn sie nicht einer zelotischen Interpretation der Qumrantexte anhängen, die Zuordnung Jesu zu dem gelehrten galiläischem Pharisäertum für gesichert. Daraus resultiert eine reformistische Gegnerschaft Jesu gegen den Schriftglauben der Sadduzäer. Auf die Beurteilung von Vacanos Religionskonzeption, die sich gegen eine Erweiterung der Jesuslehre zur Christuslehre durch die katholische Kirche richtet, haben die neuen Erkenntnisse kaum einen Einfluss. 49 | Atheistische Überzeugungen werden von Vacano akzeptiert, sie stehen für ihn aber auf der niedrigsten Stufe der menschlichen Existenz. »Denn ein Mensch ohne Religion ist wie ein Irrsinnniger auf freiem Felde am Rande eines Stromes«. Emil Mario Vacano: Die Gottesmörder, S. 474. 50 | Das Schlagwort wird dem religiösen Sozialisten Erwin Eckert (1893-1972) zugeschrieben. Zitiert nach: Roman Heiligenthal: Der verfälschte Jesus. Darmstadt WBG 1999 2, S. 87. 51 | Ebd., S. 85.
D IE RELIGIÖSE F RAGE eine unglaubwürdige Kunstfigur gemacht sowie mich meiner Menschlichkeit beraubt hat. Und dies alles, obwohl in den 47 Büchern des Alten und den 27 Schriften des Neuen Testaments der Begriff »katholische Kirche« nicht ein einziges Mal vorkommt. Von den Römern wurde ich ans Kreuz geschlagen, von den Evangelisten ein zweites Mal, von der Kirche und sogenannten gläubigen Christen werde ich jedoch seit zweimal zweitausend Jahren Millionen Male und tagtäglich wieder ans Kreuz geschlagen.52
Die kritischen Argumente gegen die Kirche decken sich mit Vacanos Einwänden, abgesehen davon, dass Weyland nach dem 2. Vatikanischen Konzil die Juden nicht mehr als Agens der Kreuzigung versteht. Unterschiedlich ist jedoch der Vertretungsanspruch. Jesus spricht im Namen der ausgebeuteten Masse. Für Vacano ist die Lehre Jesu jedoch eine elitäre in der Hinsicht, dass nur derjenige, der eine innige Glaubens- und Liebesbeziehung zu ihm aufzubauen fähig ist, auch seiner Zuneigung würdig ist. Eine schwierige Aufgabe, die Vacano in seiner Lebensumwelt zunächst nur von sich selbst eingelöst erachtet: Ich bin ein Christ, wie ich um mich keinen Gleichgesinnten gefunden habe. Ich stehe vereinsamt zwischen Verwandten, Priestern und Atheisten, mit meiner schüchternen, anders lautenden Erkenntnis im Herzen. Vielleicht finden Worte dieses Buches eine Seele in fremden Lande, welche noch ernstlich und wahr und zweifelsfrei an die Göttlichkeit Jesu glaubt, weil sein Wesen über der Menschlichkeit stand.53
Die Exklusivität, die Betonung der individuellen Erkenntnisleistung und die Wortwahl erinnern eher an christlich orientierte Systeme der Gnosis als an einen religiösen Sozialismus. Seine Anerkennung der Vorbildfunktion von Paulus verbindet ihn zusätzlich mit dem Marcionismus, der in Böhmen und Mähren verbreiteten gnostischen Lehre.54 Ebenso ist eine Inspiration durch Reste der paulikianischen Bewegung auf Vacanos längeren Aufenthalten am Balkan nicht auszuschließen. Doch fehlen bei Vacano Anzeichen für ein dualistisches Weltbild und auch sein unbedingtes Festhalten am Marienkult würde einer gnostischen Interpretation widersprechen.55 Nach eigenem Bekunden inspiriert sich Vacano in seiner Zeitkritik an der Leben-Jesu-Debatte, die von den Werken Ernest Renans ausgelöst wurde. Renan selbst, sowie Jules Michelet und David Friedrich Strauß werden von Vacano rezipiert. Der Rückgriff auf Jesus als Mensch findet seine Zustimmung, aber nicht die Historisierung seines Lebens. Vacano betreibt an keiner Stelle seines Buches 52 | Uli Weyland: Strafsache Vatikan. Jesus klagt an. Essen Betteldorf 1994, S. 21f. 53 | Emil Mario Vacano: Die Gottesmörder, S. 149. Hervorhebungen im Original. 54 | Vgl. William M. Johnston: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Wien Böhlau 1974, S. 271-279. 55 | Vgl. die skeptische Einstellung Vacanos gegenüber dem »Luthertum«. Die Gottesmörder, S. 424f.
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eine geschichtliche Spurensicherung. Für ihn ist Jesus zwar auch Mensch, aber eben vordringlich Gott. Er ist nicht die ideale Verkörperung der dem Menschen innewohnenden Moral wie bei Kant und er ist auch nicht nur die menschliche Vermittlungsinstanz zwischen dem Gläubigen und Gott, sondern Jesus bleibt trotz der menschlichen Züge seines Weltwirkens für Vacano ein göttliches Wesen. Vacano vermeidet im Titel seines Buches eine Entscheidungsfrage wie sie Zach formulierte. Die Gottesmörder sind ursächlich eine Klageschrift gegen den gegenwärtigen krisenhaften Zustand der katholischen Kirche und des Christentums. Die Argumentation lechzt trotzdem nach einer Lösung oder einem Ausweg. Fast am Ende seines Buches stellt schließlich auch Vacano die entscheidende Frage: »Wo ist Rettung?«56 In der Antwort treffen sich die beiden hier vorgestellten kontrapunktischen Positionen ansatzweise wieder, denn auch Vacano sieht die Literatur als Hilfsmittel für einen wahrhaften Glauben. Allerdings fasst Vacano den Begriff Literatur weiter auf als Zach. Der aufgezeigte Ausweg des Menschen aus seiner, von den großen »Phrasen«57 Fortschritt und Zivilisation geprägten Zeit ist nur durch Dichter möglich, bei denen »das Wort Dichter wie bei den Alten mit dem Worte Seher gleichbedeutend« ist.58 Die nach heutigem Verständnis recht kuriose Zusammenstellung der Dichter-Seher lautet: »Jesus, Paulus, Gregor, Luther und Rousseau, Schiller und Stifter!«59 Die Liste soll nicht überwertet werden, da eine Orientierung an den Dichtern für Vacano nur eine Lösung in zweiter Instanz ist. Der direkte Weg führt über eine radikale Umkehr innerhalb der Priesterschaft, indem sie sich auf ihre ureigenste Aufgabe, die Predigt, besinnt. Eine Predigt aus der die drei Grundsätze des Jesusglaubens, Liebe, Tat und Glaube wieder deutlich würden.60 Ob dies innerhalb der Kirche möglich sein wird, bezweifelt Vacano. In der Vorrede zur zweiten Auflage der Gottesmörder rechtfertigt sich Vacano gegenüber den Angriffen auf sein Buch, indem er auf Josef Pittner verweist, dem die zweite Auflage auch gewidmet ist. Pittner legte sein Priesteramt nieder, da es ihm nicht genug Zeit ließ, sich dem Einzelnen mit all seiner Aufmerksamkeit zu widmen. Sein weiteres Wirken als außerkirchlicher Seelsorger und Krankenhelfer ist für Vacano der Idealfall praktischen christlichen Wirkens für die Menschheit, nämlich ein »Apostel der Liebe zu sein – auch ohne Weihe und Talar«.61 Die Ansichten von Vacano und Zach sind die Pole zwischen denen sich das religiöse Leben in der Moderne in Österreich entwickelte. Vollständige Individualisierung des religiösen Empfindens auf der einen und apodiktisches Festhalten an den Dogmen der katholischen Kirche und ihrer Organisationsstruktur auf der 56 | Ebd., S. 452. 57 | Ebd., S. 471. 58 | Ebd., S. 81. 59 | Ebd., S. 476. 60 | Vgl. ebd., S. 97f. 61 | Ein Brief als Vorrede und Widmung. Ebd., unpaginiert.
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anderen Seite. Die unterschiedlichen Zeitpunkte, an denen die Texte entstanden, sind für den Verlauf der Moderne hinsichtlich der religiösen Frage symptomatisch. Vacano ist um 1870 einer der ersten der das Feld der neomystischen Sinnsuche eröffnet und zugleich die Gefahr für das christliche Religionsverständnis erkennt. Bald sollten durch die Lebensphilosophie und den Monismus Konzepte postuliert werden, die nicht mehr »auf einen persönlichen Gott oder einen anderen transzendenten Gegenstand« bezogen waren.62 Zehn Jahre vor den beiden moralkritischen Schriften Nietzsches erkennt Vacano die Sehnsucht der Menschen nach sinnstiftenden emotional wirksamen Angeboten, die von den aufsteigenden modernen Wissenschaften nur rational befriedigt und von der zeitgenössischen Theologie und Kirchenpraxis nur noch in einem Rückgriff auf institutionelle Drohgebärden kurzfristig befriedet werden kann. Für Vacano ist Gott (noch) nicht tot, sondern nur »scheintodt«.63 Er richtet seine Hoffnung auf eine Wiedergeburt der Religion aus individueller Frömmigkeit, »denn der Gott über uns ist todt, weil er in uns todt ist«.64 Zachs Nachkriegsrevision des Katholizismus hat die emotionale Bindung verloren. Nüchtern verzeichnet er die Fehler der Kirche in ihrer Kultur- und Wissenschaftspolitik der letzten Jahrzehnte und mahnt Änderungen an. Die Herangehensweise Zachs, der später auch an der Errichtung des Ständestaates beteiligt war, verweist schon anfangs der 1920er Jahre auf die Bestrebungen der katholischen Kirche in Österreich, ihren unter den Gläubigen geschwundenen Einfluss durch den Ausbau ihrer politischen Machtbasis zu entgegnen. Das Zentrum von Vacanos Anklage und der individuelle Glaube bleiben bei Zach ausgeklammert.
Zwischenpositionen Die katholische Theologie um die Jahrhundertwende entwickelte eine Sichtweise der Moderne, die mit Vacanos Thesen größtenteils übereinstimmt. Auch wenn hier in Ansätzen ein Rückbezug auf die Frömmigkeit des Einzelnen erfolgt,65 erreichen die Theologen qua definitionem nicht die Radikalität Vacanos, da sie den Standpunkt der Amtskirche aus Rücksicht auf die eigene Position nicht verlassen können. Eine der aufregendsten, auf jeden Fall aber umfangreichsten Adaptionen der Modernekritik im Sinne Vacanos ist das zweibändige Werk des Saazer Schul-
62 | Uwe Spörl: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur der Jahrhundertwende. Paderborn Schöningh 1997, S. 26. 63 | Emil Mario Vacano: Die Gottesmörder. Vorrede unpaginiert. 64 | Ebd., S. 452. 65 | Vgl. Albert Ehrhard: Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert im Lichte der kirchlichen Entwicklung der Neuzeit. Stuttgart und Wien Roth’sche Verlagsbuchhandlung 1902.
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professors und Theologen Franz Mach.66 Auf nicht weniger als 1400 Seiten analysiert er das Verhältnis zwischen moderner Naturwissenschaft, kantgeprägter Philosophie und christlichem Glauben. Movens seiner umfassenden Schrift ist seine Abkehr von der dogmatischen Kirchenpolitik nach 1870 und seine Hinwendung zum Altkatholizismus, der in Böhmen und Mähren um die Jahrhundertwende keinen großen, aber doch einen stärkeren Einfluss besaß als in anderen Regionen der Habsburger Monarchie. In einer langen Vorrede schildert er die Entwicklungen, die zu einer kritischen Meinung gegenüber der Amtskirche führten. Wie Vacano beklagt Mach die desillusionierte Haltung vieler Priester, die ihr Amt ohne Engagement und letztlich nur zum Unterhalt ihres Lebens versehen. Schuld daran sind die Priester selbst nur zu einem geringen Teil, denn eine von der Kirchenführung oktroyierte stupide Ausbildung in Abrichtungsanstalten für künftige Kapläne verhindert eine umfassende Bildung in religiösen und philosophischen Grundsatzfragen. Diskussion ist nicht erwünscht, aktuelle Themen werden ausgeblendet, ja selbst ein eigenständiges Studium der Bibel wurde untersagt, »weil mancher darin gar leicht etwas finden kann, was der Kirchenlehre und der kirchlichen Auslegung zu widersprechen scheint«.67 Mach, der früh eine Begeisterung für wissenschaftliche Forschung entwickelte, zerbricht fast an der äußeren Disziplin und inhaltlichen Lehre des Priesterseminars. Zudem leidet er an der deutschfeindlichen Haltung der tschechischen Mehrheit am Clementinum in Prag. Ein späterer Wechsel nach Leitmeritz schafft in dieser, aber nur in dieser Sache, Abhilfe. Gründlicher als Vacano in seinem (sitten-)geschichtlichen Querschnitt, untersucht Mach das Verhältnis der Kirche und der Religion zur Philosophie und ab dem späten Mittelalter auch zur Naturwissenschaft. Beiden Bereichen gesteht er in gleichem Maße Leistungen zu und zeigt Grenzen auf. Letztlich stehen sich Religion und Wissenschaft konträr, aber nicht feindlich gegenüber. Dahinter steht eines der komplementären Modelle der Moderne, die nebst der kognitiven Metapher des Übergangs den Leitgedanken dieser Arbeit bilden. Die Naturwissenschaften schaffen das Problem, aber durch eine einseitige Überbetonung werden sie den Kirchen wieder zum Erfolg verhelfen, da das religiöse Grundbedürfnis der Menschen nicht gänzlich durch rationale oder individuelle Glaubensvorstellungen zu ersetzen ist. Der von der Wissenschaft geschürte Fortschrittsglaube ist zwar der Auslöser der religiösen Krise am Ende des 19. Jahrhunderts. Für die tiefgreifenden Auswirkungen der Krise, die immer weitere Teile der Bevölkerung betreffen, sind aber die Kirchen verantwortlich, da sie auf die Fragen der Sinn und Erlösung suchenden Menschen Antworten schuldig bleiben. Um diese Antworten zu ermöglichen, sind die Kirchen nach Mach aufgefordert, von den Wissenschaften zu lernen. »Alle öffentlichen und gesellschaftlichen Institutionen üben an sich unaus66 | Franz Mach: Das Religions- und Weltproblem. Dogmenkritische und naturwissenschaftlich-philosophische Untersuchung für die denkende Menschheit. Dresden Pierson 1901. 67 | Ebd., S. XL.
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gesetzt Selbstbeobachtung, Selbstzucht, Selbstkritik und erforderlichenfalls Selbstkorrektur« auf Grund der kritischen Methode der empirischen Wissenschaften. Diese Methode des kritischen Hinterfragens vorgeblich unantastbarer Strukturen und Glaubenssätze empfiehlt Mach auch für den religiösen Bereich. Sie würde den Kirchen die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und einen Ausgleich mit dem konkurrierenden Subsystem Wissenschaft ermöglichen.68 Wie Vacano wendet er sich deswegen gegen eine fortschreitende Dogmatisierung des katholischen Glaubens und das Zölibat und sieht die Rettung aller Kirchen in der Rekonstruktion der urchristlichen Jesuslehre. »Nur die Rückkehr zum evangelischen Lehrbegriffe, wie Jesus ihn wirklich wollte und vermittelte, vermag das heutige Chaos auf religiösem Gebiete zu beseitigen.«69 Mach versteht dieses Projekt als große Ökumene, an der neben allen christlichen Bekenntnissen auch in gleichberechtigter Weise das Judentum beteiligt werden soll. In die fraglos um die Jahrhundertwende utopisch anmutende Konzeption einer christlich-jüdischen Idealform setzt er selbst aus Misstrauen gegenüber seinen theologischen Kollegen keine große Hoffnung. Für die nahe Zukunft vertraut er auf das religiöse Grundbedürfnis des Menschen, das notwendig eine religiöse Kehrtwendung in der öffentlichen Meinung erbringen werde. Eine individualistische Glaubensform oder eine neugestiftete Religion (Mach diskutiert darunter so unterschiedliche Ansätze wie Haeckels Monistenbund und den neugermanischen Volksglauben) scheiden für Mach als Auffangbecken dieses Bedürfnisses aus, weil es ihnen in adäquater Zeitspanne nicht gelingen wird, »bei den Volksmassen – und auf diese kommt es ja hauptsächlich an – den notwendigen Einfluß und die erforderliche Autorität zu erringen«.70 Für eine rasche Lösung können nur die bestehenden Kirchen selbst sorgen. Machs Festhalten an der disziplinierenden Kraft der institutionellen Kirchen und seine Konzentration auf die Masse unterscheiden sein Werk am deutlichsten von der anarchistischen Stilisierung Vacanos als ›Einziger‹, auch wenn die Veröffentlichung seiner Anschauungen in den zwei Auflagen der Gottesmörder ein ähnliches Paradox erzeugen wie Goethes geheime, aber doch an alle Leser verkündete Weisheitslehre in Selige Sehnsucht. Otto von Leixner, der als Leixner von Grünberg 1847 auf Schloss Saar in Mähren geboren wurde, verzichtet auf ausholende historische, geistesgeschichtliche 68 | Mach geht in seinem Wissenschaftsverständnis über die meisten katholischen Beschreibungen des Verhältnisses zwischen moderner Naturwissenschaft und Religion hinaus, in denen bei einer Kollision beider Bereiche die katholische Lehrmeinung ausschlaggebend ist. Mach erfüllt so die Forderungen des Philosophen Friedrich Paulsen, die dieser in mehreren Veröffentlichungen um die Jahrhundertwende als Grundbedingung einer freien katholischen Wissenschaft anmahnte. Vgl. die Zusammenfassung der Aufsätze in Friedrich Paulsen: Philosophia militans. Gegen Klerikalismus und Naturalismus. Berlin Reuther & Reichard 1908 4, besonders S. 87-99. 69 | Ebd., S. 1351. 70 | Ebd., S. 1350.
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und theologische Erklärungen. Er will einen praktischen Weg aufzeigen, der zu einer »Erlösung im Sinne Jesu« führt, »aber zugleich zu einer Bildung des innerlich geeinten Menschen, die deutschem Wesen entspricht.«71 Leixner kam 1868, nach einem abgebrochenen Studium der Germanistik in Graz, nach München und wurde dort von dem Ästhetiker und Philosophen Moritz Carriere gefördert.72 Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, begann er für lokale und regionale Zeitungen zu schreiben. 1874 wurde er in Berlin Redakteur der Zeitschrift Gegenwart und ab 1883 übernahm er die Leitung der Deutschen Roman-Zeitung, die er zum einflussreichsten Vermittlungsorgan für neue deutsche Literatur machte. Leixner druckte früh Arbeiten der sog. ›Jüngstdeutschen‹ und unterstützte den beginnenden Naturalismus, solange er sich als nationaldeutsche Literaturströmung gerierte, wie in den ersten Ausgaben der Kritischen Waffengänge der Brüder Hart. Bereits nach dem Erscheinen der Anthologie Moderne Dichter-Charaktere 1885 kam es zum Zerwürfnis der Frühnaturalisten mit Leixner, der sich über die Erotik, die sozialdemokratischen Parolen und die atheistische Haltung einiger Gedichte entsetzte. Von da an propagierte er eine literarische Bewegung »des sittlich-religiösen Dranges«, die den Naturalismus überwinden würde.73 Eine Fehleinschätzung, denn keiner der Schriftsteller – mit Ausnahme vielleicht von Emil Ertl – wird von der heutigen Literaturgeschichtsschreibung noch erfasst, Leixners literarische Arbeiten eingeschlossen.74 Wenn man auf seinen Namen stößt, dann als Verfasser einer Geschichte der deutschen Literatur, die in ihrer gediegenen Aufmachung den Geist der Gründerzeit widerspiegelt, und in den Werturteilen zu den Autoren den nationalen und sittlichen Anspruch ihres Verfassers. In der achten Auflage dieser Literaturgeschichte, die 1910, zwei Jahre nach Leixners Tod erschien, findet sich ein Essay über ihn von Ernst Friedländer, der auch die weiteren Auflagen betreute und durch die weitere Entwicklung der Literatur ergänzte. »Zu den Fortsetzern dieses vertieften Geistes«,75 der noch von Leixner beschriebenen religiösen Literaturbewegung, gehören für Friedländer auch Ferdinand Avenarius und Adalbert von Hanstein. Friedländer versucht sicherlich durch die Avisierung der beiden Namen der Bewegung größeres Gewicht zu verleihen. Ob diese Weiterführung von Leixner gutiert worden wäre, mag dahingestellt bleiben, denn Avenarius behielt in seiner Zeitschrift Kunstwart zumindest Tuchfühlung mit den völkischen und neu71 | Otto von Leixner: Der Weg zum Selbst. Ein Buch für das deutsche Volk. Berlin-Schöneberg Felber 1906, S. VII. 72 | Carriere griff selbst mehrfach in die Diskussion um eine modernekompatible Religion ein. Vgl. zusammenfassend: Jesus Christus und die Wissenschaft der Gegenwart. Leipzig Brockhaus 1888. 73 | Otto von Leixner: Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig Spamer 19018, S. 897. 74 | Auffällig ist der hohe Anteil österreichischer Autoren an dieser Bewegung (Karl Erdmann-Edler, Ernst Lohwag, Ernst Wechsler). Dadurch ist belegt, dass Leixner auch in Berlin die Fühlung zu den literarischen Tendenzen in Österreich nicht verlor. 75 | Otto von Leixner: Geschichte der deutschen Literatur. Leipzig Spamer 1901 8, S. 902.
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germanischen Kreisen,76 die Leixners katholischer Grundhaltung widerstrebten, und Hanstein verfasste die erste monographische Studie über den Naturalismus, in der er auch seine eigenen Texte als Beispiele für den Werdegang dieser literarischen Strömung einbezog.77 Allein die Nennung der beiden Persönlichkeiten unter einer Gruppenbezeichnung beweist jedoch die Vielschichtigkeit der frühen Moderne, wie sie von den Zeitgenossen wahrgenommen wurde. Leixner veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Bücher zu religiösen und ethischen Themen. Für die hier angestrebte Übersicht genügt eine Darstellung seiner Gedankenwelt anhand der letzten Schrift dieser Art, die Leixner selbst als Quintessenz seines Wirkens apostrophierte. Leixner verkündet in Der Weg zum Selbst seine religiöse Philosophie des Lebens in einer Sprache, die deutlich Elemente und Terminologie der Lebensphilosophie aufnimmt. Das Erleben wird dem Buchwissen und der reinen Gedankenarbeit gegenübergestellt. Und reziprok dienen die theoretischen Kapitel des Buches dem Zweck, einen festen moralischen Punkt zu definieren, der jedem einzelnen Richtschnur für ein sittliches, im christlichen Geiste geführtes leben sein kann. Die Nähe zu Kants Moralphilosophie ist eindeutig, obwohl Leixner weder den Namen Kants nennt noch seine Terminologie der Maximen und Imperative aufgreift. Auch an Haeckels biologisches Gesetz fühlt man sich erinnert, denn Leixners Weg zum Selbst vollzieht im Einzelnen phylogenetisch den ontogenetischen Weg der Erkenntnistheorie von Descartes zu Kant nach: Was die Außenwelt an sinnlich erfahrbaren Dingen enthält, kann nicht als Ding in mich hinein, sondern muß sich in Empfindung verwandeln, um in mir sein zu können. Was ich nicht durch Empfindungen in mich hineinfange, daß ist für mich nicht vorhanden. […] Wenn wir irgend einem Dinge, das sinnlich wahrnehmbar ist, die Eigenschaften zuschreiben, Genüsse für uns zu entfalten, so ist das ein Irrschluß oberflächlichen Denkens. Denn wir genießen niemals das Ding, sondern stets nur die Empfindungen. 78
Dem sensuell bestimmten Denken ordnet Leixner das Ich zu, das die Empfindungen ordnet und damit dem Individuum eine beeinfluss- und kontrollierbare Realität vorgaukelt. Um zum Selbst zu gelangen bedarf es einer »Abwendung vom Ich«.79 Die Entlarvung des Scheincharakters der Außenwelt, verweist auf die Innenwelt, in der Entscheidungen getroffen werden, die unabhängig von der Außenwelt oder gegen sie getroffen werden. Das praktische Prinzip dieser Entscheidungsfreiheit ist nach Leixner das Wollen, die dahinterstehende Kraft das Selbst, welches »seine 76 | Vgl. Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im Wilhelminischen Kaiserreich. Darmstadt WBG 2001, S. 148. 77 | Adalbert von Hanstein: Das jüngste Deutschland. Zwei Jahrzehnte miterlebter Literaturgeschichte. Leipzig Voigtlaender 1901. 78 | Otto von Leixner: Der Weg zum Selbst, S. 62f. 79 | Ebd., S. 65.
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Kraft nicht von sich aus habe, sondern deren Quelle einer andern als der im Einzelnen umschlossenen inneren Welt angehört«.80 Die Kraftquelle ist nach Leixner das All-Selbst oder Gott. Die praktische Lebensführung ist folglich dann sittlich, wenn das individuelle Selbst mit Gott übereinstimmt, dessen Gebote als Pflicht an den Einzelnen herangetragen werden. Leixners Religionsverständnis ist eine allgemeinverständliche Paraphrase der erkenntniskritischen Philosophie Kants, eine »Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft«. Die Kirche als institutionelle Führerin der Gläubigen wird durch die Möglichkeit individueller Vernunfterkenntnis obsolet. Bereits in seinem ersten Gedichtband ist die geringe Wertschätzung der Vernunft des Menschen der Hauptkritikpunkt Leixners an der katholischen Kirche. Ein mit Anfrage an den Episcopat überschriebenes Epigramm lautet: Wenn Ihr was Neues wollt beschließen, muß stets der heil’ge Geist erscheinen. Die Frage darf euch nicht verdrießen: Habt ihr denn selber keinen?81
Für Leixner ist die Pflicht sittlich zu handeln, die zentrale Richtschnur der menschlichen Existenz. Ihre uneingeschränkte Herrschaft führt zu Leid, wenn sie mit den Glücksinteressen des Menschen kollidiert, aber sie kann auch mit den äußeren Interessen übereinstimmen. Dadurch vermeidet er den Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, ein Missverständnis gegenüber der Moralphilosophie Kants, das Schiller in einem Epigramm früh benannte, das aber auch in der Philosophiegeschichte nicht selten auftrat.82 Deswegen ist eine eingehende Beschäftigung Leixners mit den Schriften Kants vorauszusetzen. Ist Leixners Religionsverständnis also gar keine Zwischenposition, sondern nur die gängige Haltung der aufgeklärten Naturwissenschaften in der Nachfolge Kants? Die zahlreichen Beispiele von religiös empfindenden und trotzdem erfolgreich forschenden Naturwissenschaftlern, die Leixner anführt, sprechen dafür. Doch Leixner erweitert diese Haltung in zwei entscheidenden Punkten. Nur den Begriff ›Pflicht‹ übernimmt Leixner direkt von Kant, da er auch in der Umgangssprache unmissverständlich ist. Die restliche Terminologie übersetzt er in eine 80 | Ebd., S. 93. 81 | Otto von Leixner: Gedichte. Leipzig Brockhaus 1877, S. 176. 82 | H.J. Paton sieht sich wegen dieses Missverständnisses in seiner bis heute unüberholten Untersuchung zum kategorischen Imperativ zu einem mehrseitigen Exkurs gezwungen. Vgl. H.J. Paton: Der kategorische Imperativ. Berlin de Gruyter 1962, S. 52-55. Leixners Herleitung des Gottespostulats ist zwar bewusst in einfacher Sprache gehalten, korreliert aber in den Grundzügen auch mit den neueren Forschungen zu Kants Moralphilosophie, die den Begriff Gottes nicht als Begründung, sondern als Vollendung der Moral darstellen. Vgl. Jau-hwa Chen: Kants Gottesbegriff und Vernunftreligion. Bonn Universitätsverlag 1993.
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Sprache, die einerseits Anschluss an die um 1900 gängige Begrifflichkeit der Lebensphilosophie (z.B. Kraft, Quelle, Erlebnis, Gesundheitslehre) findet, andererseits so verständlich ist, dass sie auch innerhalb der breiten Öffentlichkeit keine unüberwindlichen Hürden aufbaut (Neigung wird zu Bedürfnissen oder Leidenschaften, Maxime zu Regel, Imperativ zu Gebot usw.). Die Angleichung an die zeitgenössische Sprache der Presse und der beliebten populärwissenschaftlichen Publikationen soll den Eindruck eines eigens erdachten Lehrgebäudes erwecken und den Weg zum Selbst einer philosophischen Fachdiskussion u.a. durch die unterschiedlichen Ausprägungen des Neukantianismus entziehen. Dadurch schafft sich Leixner die Möglichkeit, am Ende der Schrift eigene moralische und politische Vorstellungen zu präsentieren, die in keiner Weise von der Philosophie Kants gedeckt sind. Die Gefahr gegen die Leixner anschreibt, ist ein modernes naturwissenschaftliches Weltbild, das sich gegen das Primat einer zwar vernunftgemäßen, aber immer noch nach religiös-christlichen Grundsätzen ausgerichteten Weltordnung wendet. Eine Abkehr von der christlichen Überzeugung ist für Leixner zugleich eine Abkehr vom deutschen Geist, eine Gefährdung des nationalen Besitzstandes. »Aus Liebe zu dem deutschen Volk ist der Entschluß gereift«, seine verstreuten weltanschaulichen Beiträge zu einem Lebensführer zusammenzufassen.83 Doch Leixner scheint Bedenken zu haben, sich innerhalb der Fülle an populärwissenschaftlichen und belletristischen Erzeugnissen Gehör verschaffen zu können. Die Schlusspassagen seiner Schrift richten sich deswegen hauptsächlich an das weibliche Lesepublikum: Besonders aber den Frauen und Mädchen muß man zurufen: »Laßt euch nicht Köpfe und Herzen von den Verneinern verwirren. Am wenigsten durch Bücher, die für die ›Gebildeten‹ bestimmt sind und alle Reize einer dichterisch gefärbten Darstellung verwenden, um euch zu der ›modernen‹ Weltanschauung zu bekehren – die nur eine modische ist […]«. 84
Der forsche Auftritt Leixners kann am Ende nicht darüber hinwegtäuschen, dass er den bürgerlichen Konventionen des Wilhelminischen Zeitalters verhaftet ist, die nationalen, moralischen und geschlechtsspezifischen Grenzen seiner Zeit nicht so offen auslegt, wie sein rein vernunftorientierter Weg zum Selbst vorgibt. Zusätzlich verwundert bei dem verantwortlichen Redakteur der Deutschen Roman-Zeitung die abwertende Geste gegenüber der Belletristik, ja eine Abneigung gegen das Lesen überhaupt, die erst in den nachgestellten Aphorismen und auch nur schwach hinsichtlich der Qualität der Texte eingeschränkt wird. Auf Grund seiner literaturgeschichtlichen Wertungen in früheren Arbeiten setzte er wohl voraus, dass der Leser die christlich erbauliche Literatur aus der universellen Kritik ausschließen würde. Im katholischen Literaturstreit zwischen Gral und Hochland scheint er, ob83 | Otto von Leixner: Der Weg zum Selbst, S. VIII. 84 | Ebd., S. 143.
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wohl direkte Äußerungen fehlen, eher die Position Kraliks gutzuheißen. Auf jeden Fall erklären Leixners kritische Einwände gegenüber der Literatur, warum Franz Zach einen großen Aufwand betreibt, um die literarische Belletristik als Ausweg aus der Krise der katholischen Kirche zu begründen. Gänzlich ohne theologischen und kulturgeschichtlichen Hintergrund kommt Johann Peter aus.85 Er beschreibt das religiöse Leben und das religiöse Empfinden der Bevölkerung des Böhmerwaldes und folgt dabei dem idealisierten Heimatbild, das sich auch in der von ihm geleiteten Zeitschrift wiederfindet.86 Es ist das Bild der feschen ›Buam‹ und strammen ›Madeln‹, die zwar manchmal über die Stränge schlagen, aber doch immer wieder den rechten Weg einschlagen und in die kirchlichen Bahnen zurückfinden.87 Die gleichlautenden Berichte aus anderen katholischen Regionen Süddeutschlands und Österreichs, die sich vielfach auch in der Literatur, in Schwänken und Possen, im Volks- und Laientheater widerspiegeln, bestätigen eher die breite Akzeptanz als die Glaubwürdigkeit dieses Bildes. Die erstaunliche Beharrlichkeit, mit der diese Verhaltensweisen vorgetragen werden, verweist aber auf einen wahren Kern, der sich wohl nur in Ausnahmefällen an einer realen Person exemplifizieren ließe, aber als leitendes moralisches Ideal das ländlich-dörfliche Leben durchdrang. Der Amtskirche mit ihren Auseinandersetzungen um Dogmen und Lehrmeinungen kommt hier keine Bedeutung zu. Schon eher der Amtsführung des lokalen Priesters und seinem mitmenschlichen Einfühlungsvermögen und seiner mehr oder weniger praktizierten Konzilianz. Das Amt des Kirchenhirten, das in allen bisher vorgestellten Meinungen unter Generalverdacht stand, den es zu bestätigen oder zu widerlegen galt, ist bei Peter über jede Kritik erhaben:
85 | Johann Peter: Charakter- und Sittenbilder aus dem deutschen Böhmerwalde. Graz Leykam 1886. 86 | Vgl. Vaclav Maidl: Die Prachatitzer Monatsschrift Der Böhmerwald (1899-1904). Rekonstruktion eines Torsos. In: Ehlers/Höhne/Maidl/Nekula (Hg.): Brücken nach Prag. Frankfurt a.M. Lang 2000, S. 81-103. 87 | »Auch die allgemeine Sittlichkeit erfreut sich verhältnismäßig eines unbescholtenen Rufes und Attentate auf dieselbe sind unbekannt. Dagegen läßt sich jedoch der Uebelstand nicht hinwegleugnen, daß im Böhmerwalde viele uneheliche Kinder geboren werden; aber nie verläßt in derartigen Fällen der ›Bua‹ sein ›Diandl‹, sondern er führt es ganz willig zum Traualtare.« Ebd., S. 12f. Die von mir markierten Stellen zeigen die idyllisierende Standardisierung von Peters Bild der ländlichen Bevölkerung des Böhmerwaldes, das keine Ausnahmen und keine individuellen Zweifel vorsieht. Nur an einer Stelle des mit 226 Seiten recht umfangreichen Charakterbildes schränkt Peter die umfassende Gültigkeit seiner Aussagen ein: »So ist der Waldbauer im Böhmerwalde im Gegensatz zu dem Feldbauer eine ehrwürdige Volkserscheinung.« Ebd., S. 13. Eine Erklärung für diese Differenzierung fehlt bei Peter ebenso wie eine nähere soziologische oder geographische Gliederung der Region »Böhmerwald«.
D IE RELIGIÖSE F RAGE So wirken die vier Jahreszeiten sinnbildlich auf des Wäldlers Gemüth und regen ihn frühzeitig zur Betrachtung über den Zusammenhang dieser Thatsachen an. Und diese Betrachtung führt seinen Geist in die Bahnen der Unendlichkeit: zu Gott, dem Schöpfer alles dessen, was der Wäldler vor und um sich sieht. […] Deshalb sind die Wäldler so tiefangelegte religiöse Naturen, die mit kindlichem Eifer und naivem Glauben an den Lehren der Kirche hangen und dieselben gewissenhaft und mit hingebender Selbstaufopferung befolgen. Der Pfarrer wird mit Handkuß und »G’lobt sei Jesus Christus« begrüßt. Geht der Waldbauer an einem Kreuz- oder Marienbilde vorüber, so lüftet er andächtig den Hut, bezeichnet sich mit dem heiligen Kreuze und schreitet, ein kleines Gebet sprechend, gottergeben fürbaß. Am Sonntage fehlt er auch sicher nicht in der Kirche und andächtig lauscht er den Worten des Predigers und singt mit den Orgelklängen das deutsche Meßlied. Dabei vergißt er auch nicht des Rosenkranzes und des »Meßbüachls«, aus dem er fleißig liest und betet. 88
Auf den ersten Blick ist Peters Charakter- und Sittenbild der Bevölkerung des Böhmerwaldes kaum mit den anderen Texten in diesem Kapitel vergleichbar. Er konzentriert sich auf die Beschreibungsebene, ohne den verallgemeinernden Aussagen argumentative Erklärungen folgen zu lassen. Mehr als die Hälfte des Buches ist bestimmt von detailgenauen Darstellungen meist kirchlicher Feste- und Bräuche. Rituale, die sich zwar zur Konvention entwickelt haben, aber nicht zur Konvention erstarrt sind. Weit ab von der von Vacano gegeißelten Heuchelei des Gewohnheitschristentums sind die von Peter angeführten Fest- und Feiertagsbräuche unabdingbare Bestandteile des Dorflebens, das ohne religiöse Grundbindung der Menschen nicht denkbar ist. Diese Bindung beruht auf einem bis zum Aberglauben reichenden Verständnis direkter göttlicher Einflussnahme in die Natur, das nach Johann Peter die kirchliche Religionsausübung unterstützt. Aus diesen ›ethnologischen‹ Einsichten leitet Peter eine gegenseitige Durchdringung naturreligiöser, kirchlich-institutioneller und lebenspraktischer Elemente ab, die nur im Zusammenspiel erfolgreich sein kann. Als Apologie eines funktionierenden christlichen Glaubens und religiösen Gemeindelebens ist Johann Peters Beschreibung des Volkslebens mit den kirchenund religionskritischen Texten vergleichbar. Die historische Ebene, bei Zach oder Vacano, wird durch die reale oder zumindest als real empfundenen Beschreibung christlichen Lebens am Ausgang des 19. Jahrhunderts ersetzt. Überdies fallen die Spezifika der regionalen Bräuche – wohl im Gegensatz zu Peters Anspruch – so gering aus, dass der Kern des Glaubensverständnisses auch auf andere Regionen in Böhmen und Mähren übertragbar ist
88 | Ebd., S. 9f.
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B EKENNTNIS UND V ERWIRRUNG Trotz der inhaltlichen Heterogenität der religiösen oder religionskritischen Texte der frühen Moderne, die in einer auf Böhmen und Mähren bezogenen Auswahl vorgestellt wurden, besitzen sie eine Gemeinsamkeit. Sie treten apodiktisch auf. Die religiöse Überzeugung oder die kirchenkritische Einstellung wird mit ungestümer Überzeugungskraft vertreten. Relativierende Meinungen werden nur angeführt, um sie zu entkräften und den eigenen Ansatz zu untermauern. Es sind Bekenntnisbücher, die ihre Wirkung daraus beziehen, dass der Leser den Verfasser mit der geäußerten Meinung identifiziert. Der Übergangscharakter, der auch ihnen eingeschrieben ist, wird erst durch den Vergleich mit anderen Werken deutlich. Deswegen sollen am Anfang der Betrachtungen über die religiöse Literatur in Böhmen und Mähren auch Texte stehen, die ähnliche subjektive Meinungsäußerungen erwarten lassen. Walter Jens und Hans Küng betrachteten ihre Doppelbeleuchtungen zum Verhältnis Dichtung und Religion als »Erkundungen auf einem weithin noch unerschlossenen Gebiet«.89 Das war vor fast 25 Jahren schon eine Übertreibung und ist es heute noch viel mehr. Jedenfalls in seiner Allgemeingültigkeit für die Literatur, ohne dass einschränkend auf die Monographien und kleineren Studien zu einzelnen Autoren hingewiesen würde, die seit je her als religiöse Dichter verstanden wurden. Allein, eine übergreifende Darstellung der Beeinflussung literarischer Werke durch die Auflösung der traditionellen Heilszuversicht am Ende des 19. Jahrhunderts ist weiterhin ein Desiderat. Der Grund für das Zögern der Literaturwissenschaft ist die erschreckend breite Quellenbasis an religiöser Literatur in der frühen Moderne, von der wiederum ein Großteil von heute vergessenen, literaturgeschichtlich kaum erfassten Schriftstellern verfasst wurde. Entlang der großen Dichterpersönlichkeiten ist eine Durchdringung des religiösen Bewusstseins der Epoche nicht zu leisten, da dieses im Humus der regionalen und lokalen Literatur wurzelt. Von einer Landvermessung, eine in regionalen Zusammenhängen gerne verwendeten Metapher, kann also noch nicht gesprochen werden. Allenfalls handelt es sich in den folgenden Analysen um Bodenproben. Die Überleitung auf die Ebene der fiktiven Literatur erfolgt anhand des Autors, mit dem das letzte Kapitel seinen Abschluss fand. Neben seiner volkskundlichen und journalistischen Arbeit verfasste Johann Peter auch eine Reihe von Gedichten, die in regionalen Zeitschriften und Zeitungen gedruckt wurden. 1894 erschien unter dem Titel Der Poet im Dorfschulhause eine von ihm selbst zusammengestellte Auswahl dieser Gedichte.90 Neben mal allgemeiner, mal an die Region des Böhmerwaldes gebundener Naturlyrik und politischen Gedichten enthält die Sammlung auch einige Texte, die sich mit religiösen Themen beschäftigen. Im Sonett Des Dichters Reich fasst Peter sein poetisches Selbstverständnis in eine religiöse Metaphorik: 89 | Walter Jens/Hans Küng: Dichtung und Religion. München Kindler 1985, S. 7. 90 | Johann Peter: Der Poet im Dorfschulhause. Großenhain Baumert & Ronge 1894.
D IE RELIGIÖSE F RAGE Des Dichters Reich Des Dichters Reich ist nicht die Wirklichkeit, Er sucht sein Ideal in höhern Sphären! Wo Licht und Wahrheit alles Sein verklären, Da ist des Dichters wahrste Wesenheit. In jenen Sphären schweigt des Lebens Streit. Da giebt’s kein heimlich neiderregtes Gähren, Dort lauscht der Sänger jenen Wundermären, Die Gottes Ruhm verkünden weit und breit. Inmitten seliger Geister schaut der Dichter Empor zu seinem ewigen Weltenrichter Und singt zu dessen Ehren seine Psalmen. Und lächelnd sieht der Vater auf ihn nieder: »Apollo schmücke mir den Sohn der Lieder Mit Ruhmeslorbeer und mit Siegespalmen!« 91
Der weltenthobene Dichter wird apostrophiert, der sich über das Getriebe der niederen Welt hinwegsetzt, jedoch nicht in das Reich der Phantasie, sondern in die Sphäre der göttlichen Wahrheit. Der Künstler sucht dort sein Ideal und findet es auch. Die Suche enthält nichts Zweifelndes, kein Gefühl von Unsicherheit, da er sofort auf Gleichgesinnte trifft. Die Gemeinschaft der seligen Geister wird durch den eingestreuten Daktylus betont, der sich im nächsten Vers des ersten Terzetts im Epitheton »ewigen« wiederholt. Eine bewusste Unterbrechung des rhythmischen Gefüges, da Peter in anderen Gedichten nicht vor dem ausgiebigen Gebrauch von Synkopen zurückschreckt. Ein Mittel retardierter Dichtkunst, das sich auch an den beiden betreffenden Stellen angeboten hätte. Die Aufgabe an den Künstler wird klar formuliert: Lauschen und Singen. Der Dichter hört das Wort Gottes und gibt es wieder. Ob die Vermittlung des Gotteswortes an die, von Neid geprägten Menschen gelingt, ob dies überhaupt angestrebt wird, bleibt unklar. Nicht jedoch die Anerkennung dieser Leistung. Gott selbst ergreift das Wort und belohnt den Dichter mit den aus der Barockzeit bekannten, durchaus weltlichen Gunstbeweisen. Karl-Josef Kuschel erhob gegen das Religionsverständnis Rilkes den Einwand, Rilke würde den durchschnittlichen Gläubigen von der Religion ausschließen, weil in seiner Poetologie »nur durch künstlerische Verwandlung die Form des höheren Daseins erreichbar ist«.92 Auch Johann Peter geht von einem exklusiven Verhältnis 91 | Ebd., S. 35. 92 | Karl-Josef Kuschel: »Vielleicht hält Gott sich einige Dichter…« Literarisch-theologische Porträts. Mainz Matthias Grünewald 1996 2, S. 392.
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zwischen Dichter und Gott aus, doch im Gegensatz zu Rilkes ernsthaftem Ringen um eine künstlerische Verarbeitung der Dingwelt, die auch Kuschel nicht in Frage stellt, konstatiert er lediglich den besonderen Status, der sich allein in der Verbreitung von Ruhm und Ehre Gottes erschöpft. Form und Inhalt des »Gesanges« sind offenbar nicht innerhalb der Zuständigkeit des Künstlers, sondern als »Psalmen« und »Wundermären« vorgegeben. Das Gedicht ist insofern selbstreferentiell, als es die dichterische Aufgabe sogleich einlöst. Das gilt nicht nur für dieses Sonett, sondern entspricht dem praktischen Kunstverständnis Peters: Ein Sänger bin ich! Und das Lied ist Segen […] Und klingen soll’s auf allen meinen Wegen! Soll für mich kämpfen, weinen, lachen, beten, Und soll in heil’gem Zorn die Feinde strafen! 93
Die Gedichte werden funktional auf den Dichter zurückbezogen. Die Kunst ist nicht um ihrer selbst willen da, sie dient dem Künstler. Das Prinzip des l’art pour l’art wird in sein Gegenteil verkehrt. Damit verbunden, ist ein ungebrochenes Vertrauen in die Sprache und in das Sprechen. Der Künstler verspricht sich von der dichterischen Sprache ein wahrheitsgetreues Abbild seiner Ansichten. Kommunikationsstörungen sind ausgeschlossen. Selbst das Gespräch mit Gott unterliegt diesem funktionalen Schema. Wie gering der Problematisierungsgrad dieses Religionsverständnisses ist, zeigt die profane Antwort Gottes im anfangs angeführten Sonett. Gleichsam als Antwort auf diese anbiedernde Gesprächigkeit lässt sich Richard von Kraliks Gedicht Göttliches Schweigen lesen: Zum Meister höchster Gottesweisheit kam ein Pilger einst Und sprach: »Sag mir von Gottes Wesen, was du wirklich meinst!« Der weise Mann vernahm das Wort, Doch keinen Laut antwortete der Hehre. Zum zweiten und zum dritten Male frägt der Schüler jetzt, Stets dringender und stets erregter. Und zum Schlusse setzt Er ihm mit Schelten zu. Sofort Erscholl des weisen Meisters hohe Lehre: »Du Tor, ich habe dreimal dir Die tiefste Antwort wohlbedacht gegeben. Du mißverstehst den Sinn allhier
93 | Johann Peter: Der Poet im Dorfschulhause, S. 27.
D IE RELIGIÖSE F RAGE Des Schweigens. Geh, und laß einmal von deinem Wirren Streben! In Worten nicht, in unterschiednen, wird der Gott gezeigt. Wer von ihm redet, redet irr: Der spricht sein Wesen aus, der von ihm schweigt.« 94
Der Schüler tritt in kein direktes Verhältnis, scheitert mit seinem Wunsch bereits am vermittelnd zwischengeschalteten Meister. Doch wer die Antwort des Meisters nicht versteht, wie könnte der die Antwort Gottes denn begreifen. In der Rolle des Meisters, der in der katholischen Lebenswelt Kraliks unschwer als Priester zu identifizieren ist, zeigt sich Kraliks kirchentreue Einstellung. Figuren der Vermittlung zwischen Gott und Mensch fehlen in den Texten Peters. Darüber hinaus wird der innige Glaube den Kralik in einigen Gedichten durchaus erlebbar macht, bei Peter auch dann nicht erkennbar, wenn er sich von seiner Stilisierung als Dichter löst, und christliche Rituale, religiöse Orte und transzendente Ereignisse schildert. Dem fünfteiligen Zyklus, in dem sich Johann Peter dem Andenken seiner frühverstorbenen Tochter Marie widmet, stellt er einleitend ein Gedicht voran, in dem der Friedhof als Ort der Einkehr und als »Sinnbild der Vergänglichkeit« beschrieben wird.95 Ich auch lenk’ die Pilgerschritte Gern’ in deine Friedenshut, Seit in deiner Toten Mitte Mein geliebtes Kindlein ruht … Und wenn mir im Sturm des Lebens Noch so hartes Weh gescheh’n, Sprichst du nicht zu mir vergebens: Droben gibt’s ein Wiederseh’n! - 96
Es ist hier nicht darüber zu richten, ob das von Peter gewählte Metrum dem Inhalt gerecht wird. Peter standen jedenfalls auch andere technische Möglichkeiten zur Verfügung, denn in der Sammlung sind auch komplexen Strophenformen bis hin zu Elegie oder Hymne nachweisbar. Verstörend wirken die konventionellen Bilder (»Sturm des Lebens«) und Epitheta (»geliebtes Kindlein«, »Hartes Weh«). Auch das steigernde »noch« und das umgangssprachliche »droben« wirken nach dem Schicksalsschlag deplatziert. Letzteres ist als Bezeichnung für Himmel zu flapsig und korreliert nur schwer mit dem Pilgerer als den sich das lyrische Ich einführt. Ebenso verfährt Peter auch mit anderen Begriffen des christlichen Totengedenkens. Das Gedicht strahlt eine Gewöhnlichkeit des Rituals aus, die dem Gewohnheitschristentum ohne innere Überzeugung gleicht, das Vacano als Heu94 | Zitiert nach Hanns Maria Truxa: Richard von Kralik. Wien Fromme 1905, S. 33. 95 | Johann Peter: Der Poet im Dorfschulhause, S. 103. 96 | Ebd., S. 104.
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chelei geißelte und als typisches Symptom für den Niedergang des Katholizismus ausmachte. Beide Gedichte Peters lassen Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner christlichen Überzeugung aufkommen. Nicht mehr damit zu vereinbaren, ist jedoch der deutschnationale Furor, den Peter in einem Sonett entfacht, das er Bekenntnis betitelt: Bekenntnis Ich stamme aus der heiligen Asen Hallen Und schwör begeistert zu Tuisko’s Zeichen! Vom Mutterstamme werd ich niemals weichen, Wie immer auch der Zukunft Würfel fallen. Germanisch war mein erstes Kindeslallen Germanisch-stark wie Odins knorrige Eichen Will bleiben ich, und sollt ich’ auch erreichen Der Jahre hundertstes im Erdenwallen! … Die Sprach, in der ein Schiller und ein Göthe Mit unerreichter Meisterschaft gesungen: Sie wird mein ganzer Stolz im Leben bleiben! Wie sich das Auge an der Morgenröte, So weidet sich mein Ohr an deutschen Zungen: Drum will ich deutsch in Wort und Streben bleiben! 97
Die Vielzahl der Gedichte, in denen das germanische Deutschtum in der Sammlung verherrlicht wird, erlauben kaum eine Interpretation als Rollengedicht, auch nur eine Reduzierung auf ein imaginäres lyrisches Ich. So wie sich hinter dem Poeten aus dem Dorfschulhause auch der Lehrer Johann Peter verbirgt, ist dieses Bekenntnis ein Bekenntnis des Dichters zu seinem Deutschtum. Trotz des Titels, des Pathos’ und der Götter der germanischen Mythologie ist das Gedicht kein religiöses im eigentlichen Sinn. Die Mythologie wird nicht näher ausgedeutet, dient nur als Fixpunkt der Abstammung und Ursprung der deutschen Sprache, die sich nach Meinung Johann Peters in der Weimarer Klassik zum Kulturstandard verdichtete. Die deutsche Sprache und Kultur bestimmen den Lebenswandel des Dichters. Richtlinie ist also kein gottgefälliges Leben, sondern ein ›deutschtumsgefälliges‹ Leben unter den Bedingungen der sinnentleerten religiösen Rituale der katholischen Kirche.
97 | Ebd., S. 28f.
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Kann man in diesem Falle von Ambivalenz sprechen? Ich glaube nicht. Im Roman Deutsches Erbe von Anton Ohorn ist eine der entscheidenden Figuren der Mönch Berthold. Seine deutschnationale Einstellung bringt ihm ebenso die Kritik seiner ultramontanen Kirchenleitung ein wie die Zuneigung des deutschen Anteils der Dorfgemeinschaft. Auch Ottokar Stauf von der Marchs Heimaterzählungen bevölkern solche Geistlichen. Auf Grund ihrer Position sind sie stärker im katholischen Glauben verankert. Bekenntnisse zu Odin und Thuisko sucht man dort vergebens, aber auch diese Geistlichen haben sich im Zeitalter des Nationalismus eingerichtet und versöhnen in ihrer Lebenshaltung nationale und christliche Elemente. Johann Peters Haltung ist davon nicht grundsätzlich verschieden, sondern fällt nur entschiedener aus, da er beruflich kaum Rücksichten nehmen muss.98 Peters erste Buchveröffentlichung waren 1886 die Charakter- und Sittenbilder aus dem deutschen Böhmerwalde.99 Der Poet im Dorfschulhause erschien 1894 und es ist anhand der späteren Publikationspraxis von Johann Peter,100 wie auch bei vielen anderen Verfassern von Lyrikbänden mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass vor der Buchpublikation bereits Einzelabdrucke erfolgten.101 Peters Gedichte zählen damit zu den frühesten literarischen Zeugnissen der sich gerade erst formierenden völkischen Bewegung. Die erste politische Heimstatt fanden völkische Ansätze im Alldeutschen Verband 1890. In diesem Jahr erschien auch Julius Langbehns kulturkritische Schrift Rembrandt als Erzieher. Die »einflußreichsten ideologiebildenden Institutionen«,102 der Deutschbund (1894) und die Zeitschrift Heimdall (1896) entstanden erst nach den ersten literarischen Versuchen Peters. In diesen Zeitraum fällt auch die Herausbildung einer deutschgläubigen Religionsbewegung, die sich auf die Konstruktion eines arischen Jesus kaprizierte, um national gesinnten, aber noch in der christlichen Tradition gebundenen Bevölkerungsteilen den Übergang zu den Völkischen zu erleichtern.103
98 | Die nationalistische Infiltration der Jugend war in den böhmischen Ländern ein wichtiges Moment im Bestreben der katholischen Kirche, ihren im Kulturkampf verlorenen Einfluss auf das Schulwesen wiederzuerhalten. Vgl. Rudolf Vrba: Der Nationalitäten- und Verfassungsconflict in Oesterreich. Prag Selbstverlag 1900. 99 | Vgl. Alois John: Der Böhmerwald in Literatur und Kunst. In: Der Böhmerwald Jg. 2 (1900) H. 5, S. 238-240. 100 | Der Zeitabschnitt, in dem Peter die Zeitschrift Der Böhmerwald herausgab, ist ausgezeichnet bearbeitet in: Václav Maidl: Die Prachatitzer Monatsschrift Der Böhmerwald (1899-1904). Rekonstruktion eines Torsos. In: Ehlers/Höhne/Maidl/Nekula (Hg.): Brücken nach Prag. Frankfurt a.M. Lang 2000, S. 81-103. 101 | Ein Nachweis der Einzeldrucke Peters wird dadurch erschwert, dass er von 18821897 Schulleiter in Niederösterreich war. 102 | Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im Wilhelminischen Kaiserreich. Darmstadt WBG 2001, S. 14. 103 | Vgl.: Wolfgang Fenske: Wie Jesus zum »Arier« wurde. Darmstadt WBG 2005.
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Bezeichnenderweise fehlen in Peters religiösen Gedichten Verweise auf Jesus Christus. Die angedeutete Kommunikationsstruktur seiner Texte vertraut auf das direkte Wirken Gott-Vaters. Inwieweit die, besonders im katholischen Österreich verbreiteten Schriften zur jüdischen Lehre Jesu dafür verantwortlich sind, von denen Vacanos Gottesmörder eines der rigorosesten Beispiele bildet, ist nach momentanem Stand der Forschung zu den Völkischen in der Habsburger Monarchie nicht endgültig zu klären. Für Peter jedenfalls bergen die drei bestimmenden Faktoren der völkischen Bewegung, Sprache, Rasse und Religion kein Konfliktpotential in seiner literarischen Welt. Die praktische Bedeutung der christlichen Religionsvorstellung bleibt erhalten. Ein derartig praktischer und diesseitsgebundener Umgang mit Religion mag von kirchlicher oder theologischer Seite kaum mehr der Definition eines Gläubigen entsprechen, er wird aber, das zeigen die Texte Peters, nicht als Abfall von der Kirche oder als bewusste Konfessionslosigkeit verstanden. In manch anderen Kontexten wäre Johann Peter als deutschgläubiger Wotansjünger abgekanzelt worden. In diesen Kontexten mag dies auch aus Gründen der Übersichtlichkeit und Stringenz seine Berechtigung haben. Mir geht es jedoch um eine differenzierte Auseinandersetzung speziell mit Texten der regionalen Literatur, nicht mit Meinungen oder schematisierten Ansichten. Deswegen ist auch Johann Peters Dichtung ernstzunehmen, einfach aus dem Grund, weil sie da ist. Ist sie auch in ihren fadenscheinigen Argumentationen angreifbar und von geringer literarischer Qualität, trägt sie doch einen Wert in sich, der nach der kulturwissenschaftlichen Umorientierung der Literaturwissenschaft nicht allein an einem avantgardistischen Kunstverständnis bemessen werden sollte. Wertvoll kann auch Literatur sein, die nicht den neuesten ästhetischen Entwicklungen entspricht, sondern ein kulturgeschichtliches Phänomen darstellt, wie das des Übergangscharakters einer Epoche oder die Entwicklung eines politischen oder geistesgeschichtlichen Phänomens in einer Region. An dieser Stelle erfolgt gern der Einwand, dass diese Herangehensweise an Literatur eher einem Historiker als einem Literaturwissenschaftler entspricht. Das mag in den Grundzügen richtig sein, doch ist der Blick, vor allem aber das textanalytische Instrumentarium des Literaturwissenschaftlers nicht zu unterschätzen, da er neben dem reinen Informationsgehalt auch rhetorische und ästhetische Merkmale wahrnimmt, für die der Historiker, meistens auch der Kulturhistoriker keinen Blick entwickelt hat. In vielen Fällen beruht die unterschiedliche Beurteilung von Epochen oder kleineren Zeitabschnitten auf der fehlenden philologischen Ausbildung auf der einen, und der mangelnden historischen Sichtwiese auf der anderen Seite. Nach diesem kleinen methodologischen Exkurs wieder zurück zur böhmisch mährischen Literatur der frühen Moderne. Die Hochachtung gegenüber dem Priesteramt, die Johann Peter in seiner Lyrik vermissen lässt, ist in dem schmalen Gedichtband Erlebtes und Erträumtes von Maria Prade gewährleistet.104 Das im Selbstverlag erschienene Bändchen be104 | Maria Prade: Erlebtes und Erträumtes. Bad Teplitz Selbstverlag 1913.
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steht zu gut einem Drittel aus funktionalen Texten: Widmungsgedichte, Festlieder und Stammbuchverse. Ein scheidender Dechant wird ebenso zum Gegenstand der Lyrik wie die Primiz eines neuen Geistlichen, ein feierlich begangenes Weihnachtsfest, die Enthüllung des Walther von der Vogelweide-Denkmals in Dux oder die Einweihung des Kaiserin Elisabeth-Bades in Teplitz-Schönau. Damit liegt die Autorin, man will es mitten im expressionistischen Jahrzehnt kaum glauben, im Trend der Zeit. Jedenfalls gemessen an den Forderungen, die Richard von Kralik gegenüber den modernen Autoren katholischer Prägung erhob. Die selbstgestellte Frage nach den lyrischen Arten, die im ausgehenden 19. Jahrhundert fehlen würden, beantwortet Kralik mit einem Verfall der funktionalen Lyrik, dem Festlied, dem Streitlied oder der Rühmung von Lebensleistungen von Persönlichkeiten aus Politik, Kunst und Wissenschaft. Direkt wendet er sich in seinem Kunstbüchlein an den zeitgenössischen Schriftsteller: Die Sprache mit all ihrer Weisheit steht dir zu Dienst, eine unendliche Fülle von Tönen und Weisen läßt dir nur die Mühe der Wahl. […] Du brauchst keine neue Sprache, keine neuen Worte zu erfinden, keine neuen Versarten, keine neuen Reime, keine erlogenen Geschichten. Tätest du’s, du würdest fehlen. […] Ob dein Talent groß oder klein sei, laß dich das nicht anfechten. Gib deine ganze Kraft zur Arbeit her und deine treuliche Arbeit wird nicht vergebens sein.105
Marie Prades Talent ist klein, kleiner als die zumindest an einigen Stellen metrisch und strophentechnisch saubere Lyrik Johann Peters. In ihrer Heimatstadt TeplitzSchönau war sie bekannt, das zeigen die Widmungsgedichte auf örtliche Ereignisse. Über die Grenzen ihrer Stadt drang sie nicht hinaus. Friedrich Jaksch, der in seiner Position als Leiter der deutschen Bibliothek im wenige Kilometer entfernten Reichenberg, ein Lexikon sudetendeutscher Schriftsteller herausgab, das er auf den Zeitabschnitt zwischen 1900 und 1929 einschränkte, erfasst Marie Prade nicht. Der Gedichtband erfasst die Höhepunkte ihrer Dichtkunst, oder das, was sie dafür hielt.106 Katholische Erbauungslyrik nimmt den größten Teil ein, die im Gegensatz zu Peter aber echten innerlichen Glauben verrät. Ein Beispiel sei angeführt, das außer der Frömmigkeit auch den resignativ-melancholischen Zug illustriert, der die gesamte Sammlung durchzieht:
105 | Richard von Kralik: Kunstbüchlein. Wien Literarische Gesellschaft Iduna 1891. Zitiert nach: Richard von Kralik: Gral und Romantik. Hg. v. Moritz Enzinger. Graz Stiasny 1963, S. 78. 106 | Die Auswahl scheint nicht besonders groß gewesen zu sein, da das Gedicht Seh ich dich innig beten gleich zweimal abgedruckt wird. Vgl. Marie Prade: Erlebtes und Erträumtes, S. 4 und S. 27.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Ein Kreuzlein Ein Kreuzlein steht in jedem Haus, Das hab’ ich nun erfahren, Weil ich bei vielen ein und aus Geh’ schon seit langen Jahren. Und auch bei mir im eig’nen Heim, Ein Kreuz steht in der Ecke, Umrahmt von einem Glorienschein In einer Dornenhecke. Ich selbst, ich hab es hingestellt, Trugs her auf meinem Rücken, Es schien mir leicht, was ich erwählt, Und meint’, es könnt nicht drücken. Seitdem die Jahre gingen hin, Das Kreuz steht in der Ecke, Oft strebt mein Fuß, mein trüber Sinn Nach jener Dornenhecke. Dann grüß’ ich stumm die blut’ge Spur Vom spitzen Dornenkranze, Der Schmerzensträne Perlenschnur, Die Wunde von der Lanze. Und meine Seele fühlt bereits, Wie schwer das Herz getragen, Den so wie mich ans harte Kreuz Nur f r e m d e Schuld geschlagen.107
Vom religiösen Standpunkt aus betrachtet, äußert sich hier der »Seufzer der bedrängten Kreatur«,108 wie Karl Marx das religiöse Grundbedürfnis der Neuzeit formulierte, in einer einfachen, der Liturgie entlehnten Sprache. Die an die Mystik anklingenden Bilder sind ebenfalls gottesdienstkompatibel und erreichen nicht die verstörende Wirkung thematisch vergleichbarer Gedichte von Katharina von Greiffenberg oder Annette von Droste-Hülshoff. Die subjektive Bedrängnis unterscheidet Prades Lyrik von den kraftstrotzenden religiösen Künstlergedichten Johann Peters. Darum wirkt auch der Vergleich mit dem Leiden Jesu nicht aufdringlich, ist vielmehr Ausdruck ersehnter Interpersonalität, während die Darstellung in Peters Sonett Des Dichters Reich Gott zum pflichtschuldigst antwortenden Erfüllungsgehilfen degradiert. Peters Gedichtsammlung wurde hier noch einmal angeführt, da sich der gleiche Vorgang auf der Ebene des nationalen Gedichtes wiederholt, die auch in Erlebtes und Erträumtes nicht fehlt. Am Vorabend des Ersten Weltkrieges 107 | Ebd., S. 3. Sperrdruck im Original. 108 | Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. MEW I, S. 378.
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sah sich anscheinend Prade gezwungen in einem Gedicht Stellung zu beziehen, das so gar nicht zum Ton der übrigen Gedichte passen will. In Bin eine deutsche Fraue steht der Deutsche »im Waffengange« gegen den »mit Gift durchdrängtem Blick« lauernden Feind, der nicht namhaft gemacht wird.109 Die weibliche Rolle im nationalen Kampf ist freilich eine andere als die männliche: Bin eine deutsche Fraue Möcht’ gern ersinnen ein Lied, Das unsre deutschen Gaue Vom Ost zum West durchzieht. Im Sange sollt’ es tragen Zum guten Werk den Stein, Wo Herzen schon verzagen, Sollt’s süße Labung sein.110
Entsprechend traditionellen Rollenbildern der Jahrhundertwende ist nicht Kampf die Aufgabe der Frau, sondern die moralische Unterstützung der Truppe. Die Eingliederung eines nationalen Kampfgedichtes in einen völlig anders gearteten Kontext verdeutlicht die Macht des nationalistischen Diskurses im Zeitalter des Imperialismus. Diese Macht wird aus heutiger Perspektive oft unterschätzt, da diese Art Texte völlig aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, zu häufig auch der wissenschaftlichen, verbannt wurden. Aus politischer und ethischer Hinsicht eine wichtige Entwicklung seit dem 2. Weltkrieg. In literaturgeschichtlicher Perspektive birgt die Nichtberücksichtigung dieser Literatur aber die Gefahr, diejenigen literarischen Erzeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts als Normalfall anzusehen, die keinen national(-istisch)en Unterton besitzen. Die gegenläufige Tendenz bestimmte aber den Zeitgeist, und die regionale Literatur aus Böhmen und Mähren ist wegen des ethnischen Konfliktpotentials nur ein markantestes Beispiel, aber kein Einzelfall. Auch die religiöse Literatur dieser Zeit ist vom Nationalismus betroffen. Unter dem Pseudonym Miles verfasste Franz Eichert, der Herausgeber des Gral und einer der meistgelesenen katholischen Lyriker zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit Richard von Kralik Kriegsgedichte (Schwarz-gelb und Schwarzweiß-rot 1914), die den katholischen Soldaten eine Gleichsetzung von nationalem und christlichem Verteidigungskampf nahelegten, »für Christus bis zum letzten Atemzuge«.111 Aber schon vor dieser Zeit, als sich Eichert nur als Krieger Gottes verstand, sind seine Gedichte mit Parolen durchsetzt (»Steh auf mein Volk! 109 | Marie Prade: Erlebtes und Erträumtes, S. 16. 110 | Ebd. 111 | Franz Eichert: Die eiserne Harfe. Eine Auswahl aus den Dichtungen. Hg. v. Wilhelm Oehl. Hochdorf Sander 1924, S. 60. Eichert wurde 1857 in Schneeberg in Böhmen geboren. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift Christliche Familie und des Katholischen Schulvereinskalenders.
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Wirf ab das Joch der Schmach mit dem der alte Haß der Synagoge jahrzehntelang den Mannesmut dir brach;«)112 , die sich so auch in der nationalistischen Literatur wiederfinden lassen. Deswegen sind Autoren und Autorinnen so bemerkenswert, die sich dem nationalen Druck entzogen, wie die im vorherigen Kapitel bereits kurz angesprochene Marie Knitschke aus Mährisch-Schönberg. 1892 veröffentlichte sie wie Marie Prade im Selbstverlag eine zweibändige Zusammenstellung ihrer bisherigen Arbeiten, deren Titel ebenfalls an Prade erinnert: Erlebtes und Erdachtes. Damit enden jedoch die Gemeinsamkeiten, obwohl der Titel eine Nachwirkung der in ihrer Zeit auch überregional bekannten mährischen Autorin auf ihr böhmisches Pendant vermuten lässt. Das Bild der Religion, das Knitschke in ihren Werken präsentiert, ist geprägt von Zweifeln. Sie löst sich nicht vom christlichen Glauben, sucht aber über das transzendentale hinaus nach weltlichem Ersatz für eine Erlösung durch Gott. Sichtbar wird ihre Verwirrung zunächst an den Ratschlägen die sie einem gewissen Fräulein Berta N. ins Stammbuch schreibt. Konventionell empfiehlt sie: Gebet erhebet sicherlich Auch in dem herbsten Leid, Blick auf zu Gott, er tröstet dich In aller trüben Zeit.113
Doch ein Ansatz des Zweifels ist auch in diesen wenigen Zeilen erkennbar. Die Bestätigung der Wirkung des Gebetes durch das eigentlich redundante Adjektiv »sicherlich« deutet auf einen vorherigen Einwand hin. Unklar bleibt, ob die Angesprochene oder die Autorin selbst den Kommunikationsprozess mit Gott in Frage stellt. Für die Autorin spricht, dass eingangs der Stammbuchverse, in einem ähnlich gestalteten Vers, mit der emotionalen Kraft der Musik eine weltliche Lösung für die Bekämpfung von Schmerz und Leid gegeben wird.114 112 | Ebd., S. 64. 113 | Marie Knitschke: Erlebtes und Erdachtes. Band 1. Mährisch-Schönberg Selbstverlag 1892, S. 38. 114 | Die Bedeutung der Musik für Marie Knitschke ist kaum zu überschätzen. Ihr überregionaler Erfolg, in Berlin und Wien, gründete sich auf die Couplets und Liedparodien, mit denen sie ihre Einakter und Possen würzte. Mit dem Opernsänger Leo Slezak stand sie in regem Kontakt, mit Edvard Grieg in einem losen Briefwechsel. Ihm ist auch Erlebtes und Erdachtes gewidmet, dessen zweiter Teil von dem Zyklus Wagneriana bestimmt wird. Mit Vorliebe erzählte man in Mährisch-Schönberg eine Anekdote, die sich auf einer Reise der Autorin nach Bayreuth zutrug. Knitschke wurde von einem Zufallsbekannten zum Kirschkuchen eingeladen. »Als sie die Kerne in ihre Tasche steckte, fragte er sie, warum sie das tue. ›Zur Erinnerung‹, erwiderte sie ›man bekommt nicht alle Tage einen Kirschkuchen vom Meister Bruckner‹«. Zitiert nach: Eva Hudcová: Aus der Kulturgeschichte von MährischSchönberg. Olmütz Diss. 2006, S. 133.
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Außerhalb der Stammbuchverse folgen die Gedichte einer natürlichen Theologie, die am Ende des 19. Jahrhunderts in theologischen und philosophischen Schriften zur Begründung eines positiven Verhältnisses zwischen Religion und moderner Naturwissenschaft herangezogen wurde.115 Eine Kenntnis dieser Diskussion ist aber bei Knitschke bisher nicht nachweisbar, obwohl bei ihrem reichhaltigen Briefwechsel mit Persönlichkeiten des Kultur- und Geisteslebens eine Vermittlung dieser Ideen nicht auszuschließen ist. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Vermischung katholischer Glaubenselemente (Franziskus von Assisi, Thomas von Aquin), volkstümlicher Frömmigkeit und literarischer Bildung, die mit einer allgemeinen Skepsis gegenüber dem Priester und der Amtskirche verbunden wird: Man kann fromm und andächtig sein, ohne Kirchenbesuch, ohne Lippengebet! – Bewundere die Natur mit ihren tausend Schönheiten, erkenne die Erhabenheit der glanzvollen Welten über uns, die uns als leuchtende Sterne entgegen flimmern, und du übst wahre Andacht, du betest ohne Worte.116
Der Aphorismus deutet auf eine häufig wiederkehrende Motivkette: Leid – Flucht – Rettung in der Einsamkeit.117 Marie Knitschke war in das bürgerliche Kulturleben der Kleinstadt integriert. Ab den 1890er Jahren führte sie in ihrem Haus einen Club, in dem sich die lokale Kunstszene und gastierende Schauspieler und Musiker trafen. Die wenigen Biographen Knitschkes heben einmütig ihr geselliges Wesen und ihre heitere Art hervor.118 Hinter dieser öffentlichen Maske verbarg sie offenbar ihre Schwermut und Furchtsamkeit. »Wie oft verbirgt ein lautes, tolles Lachen, einen Schmerzensschrei«,119 lautet einer ihrer Aphorismen und in einem anderen beklagt sie, dass eine Frau, die über die »konventionellen Gesetze« der Gesellschaft nachdenken würde, ihre Klugheit mit »ihrer Seelenruhe, ihrem Lebensfrieden bezahlen« müsse.120 Ruhe ist auch das immer wieder ausgestoßene Wort, dass die Vision Ostern beherrscht. Im Traum spaltet sich die Seele von einem geplagten Körper und sucht in der Leere des Nirwana nach innerer Ausgeglichenheit. »Kein Glück, nur Frieden« wird angestrebt,121 und von Gott schließlich auch 115 | Vgl. Alister E. McGrath: Naturwissenschaft und Religion. Freiburg Herder 1999, S. 153-172. 116 | Marie Knitschke: Erlebtes und Erdachtes, S. 55. 117 | Vgl. die Schlussstrophe aus dem Gedicht Zuflucht: »So flieht der Mensch, der Schmerz erfahren/hinaus in Waldeseinsamkeit/und ferne von der Menschen Schaaren/ Ausweinet er, vor Gott sein Leid.« Ebd., S. 29. 118 | Vgl. F. Harrer: Marie Knitschke. In: Nordmährischer Grenzbote (29. Juni 1924), Zden ě k Filip: Marie Knitschke – eine Schriftstellerin aus der Provinz. In: Brücken NF 1 (1991/1992), S. 77-81. Josef Walter König: Marie Knitschke. In: LDA 2003. 119 | Marie Knitschke: Erlebtes und Erdachtes, S. 56. 120 | Ebd., S. 51. 121 | Ebd., S. 41.
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gewährt. Die feste Beziehung zwischen Gott und Mensch im Glauben bietet an dieser Stelle noch Zuflucht. Wie brüchig die Beziehung in der subjektiven Anschauung Knitschkes aber bereits geworden ist, soll ein letzter Aphorismus illustrieren: Ich hörte Kirchenmusik im 3/4 Takte in Walzerrhythmen; – mir kam dabei ein tolles Bild vor’s Auge: – Ein Maler hatte die bizarre Idee – eine Madonna mit dem Kinde auf ein Trapez zu setzen und sie sich schaukeln zu lassen – und Christus stand darunter und balancirte sein schweres Kreuz auf der Nase.122
Franz Eichert ereiferte sich in der Gründungsnummer des Gral 1906 gegenüber Künstlern, »die nicht mehr aus dem ewig frischen Borne der Volksseele schöpfen, sondern ihr Schaffen aus den verborgensten und fremdesten Tiefen ihres eigenen Ich herauspumpen«.123 Ein gewisser Mut und innere Überzeugung gehörten aber auch fünfzehn Jahre früher dazu, innerhalb des festen Gefüges einer mährischen Kleinstadt, diesen Text zu veröffentlichen, der von vielen durchschnittlich gebildeten Bürgern als Gotteslästerung verstanden werden konnte. Vielleicht finden sich wegen der Gefahr einer öffentlichen Bloßstellung nur wenige Stellen wie diese in den Arbeiten Knitschkes. Die wenigen aber zeigen, dass auch Schriftsteller, die ihre provinzielle Heimat nicht in Richtung der Metropolen verließen, Anschluss an die Sprache der Moderne fanden.
C LERICUS L AMENTABILIS Der Einblick in die religiöse Lyrik der frühen Moderne kann nicht mehr sein als eine exemplarische Umschau. Die Entwicklung der religiösen Frage im 19. Jahrhundert ist auch dann noch vielschichtig und unüberschaubar, wenn eine literarische Region von einem Glaubensbekenntnis dominiert wird, wie dies in Böhmen und Mähren durch den Katholizismus der Fall ist.124 Die kirchenkritischen Schrif122 | Ebd., S. 48. 123 | Franz Eichert: Gralfahrt – Höllenfahrt! In: Der Gral Jg. 1 (1906/07), H. 1, S. 3f. Zitiert nach: E. Ruprecht/D. Bänsch: Literarische Manifeste der Jahrhundertwende 1890-1910. Stuttgart Metzler 1970, S. 400. 124 | Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung lag bei der Zählung von 1890 in Mähren bei 95,3 Prozent, in Böhmen bei 96,1 Prozent. Vgl. Meyers Conversations-Lexikon. Wien und Leipzig 1896, Bd. 3 bzw. Bd. 11. Die evangelisch-protestantischen Gemeinden in Böhmen und Mähren folgen wegen ihrer Minderheitenposition der kulturellen Entwicklung in den protestantisch dominierten Reichsteilen Deutschlands. Eigenheiten sind theologisch oder kirchenpolitisch zu fassen. Sie drücken sich kaum in der Literatur aus. Die jüdische Literatur der frühen Moderne ist, so weit sie von den Forschungen im Umkreis der Prager deutschen Literatur erfasst wurde, gut dokumentiert. Auch zur Ghettogeschichte
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ten entsprechen der Tendenz zu einer Individualisierung des Glaubens unter dem Druck der Postulate der Aufklärung und der Entdeckung der Geschichtlichkeit der christlichen Religion in ihrem Gefolge. Die vorgestellten Ansätze nehmen die Diskussion »um eine verantwortbare Beziehung zwischen christlichem Glauben und Vernunft, Freiheit und persönlichem Gewissen« an.125 Das Thema wird nun auch von den Apologeten der institutionellen Kirche aufgegriffen, und die Gründlichkeit, mit der die kirchenkritischen Argumente widerlegt werden, verdeutlicht wie ernst sie die Angriffe zu einem Zeitpunkt nahmen, bevor die römische Kurie mit Dekreten und Enzykliken den ›Modernismus‹ zu beenden versuchte. Besonders in Bedrängnis gerät in diesem Diskurs der Priester vor Ort, der einerseits der Kritik und Skepsis seiner Gemeindemitglieder gegenübersteht, andererseits selbst von Zweifeln an seiner Berufung geplagt wurde. Das gesellschaftliche Leben in Böhmen und Mähren war ohne das Priesteramt undenkbar. Der Kirchenkalender bestimmte, ganz abgesehen von individuellen Akten (Taufe, Hochzeit, Beerdigung) das Alltagsleben. Wenn aber so gegensätzliche Autoren wie Johann Peter und Marie Knitschke in ihrer religiösen Lyrik ohne die Figur des Priesters auskommen, ist dies ein deutlicher Fingerzeig auf die mangelnde innere Verankerung des Priesters im subjektiven Glauben. Darum werden im folgenden Abschnitt drei Prosatexte vorgestellt, deren Handlungsstruktur um einen Geistlichen herum gruppiert wurde, der in Konflikt mit seiner traditionellen Rolle gerät. Durch die gemeinsame Themenwahl akzeptieren Marie von Ebner-Eschenbach, Otto von Leixner und Gustav Leutelt den Wandel des Rollenverständnisses in der frühen Moderne. Die drei Erzähltexte wurden aber hauptsächlich wegen der Stellung gewählt, die sie gegenüber diesem Konflikt und seiner Bewältigung ergreifen. Dem jungen Priester Leo Klinger in Marie von Ebner-Eschenbachs Glaubenslos? (1893) genügt es nicht die Geschicke seiner Gemeinde im kirchlichen Leben zu begleiten. Beichtstuhl, Kanzel und Katheder, die ihm sein älterer Kollege Thalberg als priesterliche Wirkungsstätten nahelegt, mit denen er sich bescheiden müsse, genügen ihm nicht. Er will seiner Gemeinde »menschlich nahetreten […], Anteil liegen einige Untersuchungen vor, die zumindest am Rande auch auf die mährischen Autoren eingehen. Speziell mit Eduard Kulke beschäftigt sich eine Diplomarbeit von Petra Faiferová, die an der Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur angefertigt wurde. Andere jüdische Autoren, die bisher vernachlässigt wurden (u.a. Oskar Bendiener, Moritz Epstein oder Hermann Reckendorf), können in den Kontext bestehender Ordnungsschemata eingegliedert werden wie z.B. bei Kate ř ina Čápková: Češi, Němci, Židé? Národní identita Židů v Čechách, 1918-1938 [Tschechen, Deutsche, Juden? Nationale Identitäten der Juden in Böhmen, 1918-1938]. Prag Paseka 2005. In dieser Arbeit finden sich auch Thesen zum Umgang der jüdischen Autoren mit den veränderten gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Bedingungen der Moderne. Eine Weiterverfolgung oder Kritik dieser Thesen hätte den Umfang dieser Arbeit gesprengt. 125 | Wolfgang Pauly: Das 19. Jahrhundert: Die Entdeckung der Geschichtlichkeit. In: ders. (Hg.): Geschichte der christlichen Theologie. Darmstadt WBG 2008, S. 183.
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nehmen an ihrer Arbeit, ihrem Schicksal«.126 Er glaubt an das Gute im Menschen, das der Priester durch sein Wirken ans Tageslicht bringen muss. Voraussetzung dafür ist das unbedingte Vertrauen des Priesters in die ihm anvertrauten Menschen. Was aber bleibt, wenn er seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, was bleibt, wenn der gute Kern sich als Irrtum herausstellt? Ebner-Eschenbachs doch so anders gearteter Zeitgenosse Wilhelm Bölsche sah die Erzählung als letztes Glied einer Kette, die mit dem Gemeindekind (1887) begann und mit Unsühnbar (1890) fortgesetzt wurde.127 Bölsche erkennt die religiöse Frage als verbindendes Element der drei Texte, die in den ersten beiden Bearbeitungen nur implizit angesprochen würde. Im Wechsel auf die Seite der Handelnden liegt wohl die Schwäche von Glaubenslos?, denn der Kernpunkt der Erzählung, der Zweifel von Pater Leo an seiner Funktion ist zu schwach motiviert. Der Zweifel tritt ihm an einem Nachmittag zuerst in Person der Bergbauerntochter Vroni gegenüber, die trotz des Leides, das ihr von ihrem durch Krankheit missmutigen Vater zugefügt wird, in Demut verharrt und sich auf ein Leben als Karmeliterin vorbereitet. In ihr sieht er den durch Güte wirkenden schlichten Menschen, dessen Einfluss größer ist als der, ihm durch die Würde seines Amtes zugesprochene. Kurz darauf platzt er in ein Streitgespräch. Sein Vorzugsschüler hat eine Henne aufs Grausamste misshandelt und halbtot eingegraben, nur ein weiteres Vergehen in einer langen Reihe von Brutalitäten. Diese wurden jedoch nicht angezeigt, da der Junge sein Liebling, ja Ergebnis seiner Erziehung sei. Auch diesmal hätte man den Streit um die Entschädigung intern geregelt, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Durch Pater Leos unentschlossenes Auftreten angestachelt, führen die Mutter des Jungen und der Müller als Besitzer der Henne nun aber den lange notwendigen ›Prozess‹, ohne Gerichtsbarkeit, aber in Anwesenheit des Priesters. Aus den gegenseitigen Vorwürfen und Entgegnungen erschließt sich dem jungen Priester schließlich die moralische Verworfenheit der Dorfgemeinde, die er bisher nicht erkannt hatte. Pater Leo reagiert erschüttert. Als Gotteskünder ist er einer Bauerntochter unterlegen, als Erzieher hat er versagt, als Menschenkenner ist er unbrauchbar. Vor allem aber hat er das Vertrauen in die Menschen verloren. Überhöht wird die Erkenntnis des Priesters durch eine unio mystica. Aus einer Lichterscheinung heraus ruft ihm eine Stimme zu: »Wo du mich suchst, du Tor, da bin ich nicht«.128 Marie von Ebner-Eschenbach stellt dem zweifelnden Intellektuellen Leo Klinger, der sich für Astronomie und Meteorologie begeistert, zwei andere Geistliche gegenüber. Zum einen, den langjährigen Praktiker Thalberg, dessen einziges Bildungsgut die französische Wendung »barbe bleue« ist, die er sich in einer früheren Karriere als »Husarenleutnant« aneignete.129 Thalberg steht im Dienst sei126 | Marie von Ebner-Eschenbach: Glaubenslos? Berlin Paetel 1903 3, S. 62. 127 | Vgl. Wilhelm Bölsche: Hinter der Weltstadt. Jena Diederichs 1904, S. 189-209. 128 | Marie von Ebner-Eschenbach: Glaubenslos?, S. 53, 129 | Ebd., S. 40.
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ner Gemeinde, nicht der Kirche, über deren Ge- und Verbote er sich beständig hinwegsetzt. Zum anderen den ehemaligen Kaplan Thalbergs Pinzer, der inzwischen zum Konsistorialrat aufgestiegen ist, und sowohl Verständnis für die praktische Amtsführung seines ehemaligen Lehrmeisters als auch für die wissenschaftlichen Interessen und die glühenden, nach innerer Überzeugung und zugleich aus ihr heraus strebenden Predigten Pater Leos hat. Beider Vorbild hält den jungen Priester vom spontanen Bruch seines Gelübdes zurück.130 Durch sie begreift er, dass sein Wirken in der Gemeinde noch zur Ausbildung gehört, zu seiner individuellen und zu der als »Eckstein unserer einzig wahren, heiligen Kirche«.131 Es ist eine Eigenart der Ebner-Eschenbach auch längere Prosatexte wie Das Gemeindekind als Erzählungen zu bezeichnen. Ein Reflex auf den schlechten Leumund der Romanliteratur in katholischen Kreisen. Aber wohl vordringlich eine Einsicht in den inneren Aufbau ihres Erzählwerkes, denn die Texte konzentrieren sich meistens auf einen einzigen, durchgehend verfolgten, Handlungsstrang. Nebenhandlungen und Exkurse, so vorhanden, erhalten kein Eigengewicht, sondern sind funktional auf den Handlungskern bezogen. Die Anwendung dieses kompositorischen Prinzips ist in Glaubenslos? besonders konsequent ausgeführt. Das Gespräch zwischen den drei Geistlichen bildet, auch was den Umfang des Buches betrifft, die Mittelachse der Erzählung. Als nachträglichen Bericht schildert Leo Klinger zu Beginn den höchsten Grad seiner Verzweiflung und am Ende leiten die beiden älteren Priester durch ihr Vertrauen in die Kraft und den Glauben des Jüngeren die Peripetie zu Lösung des Konfliktes ein. Schablonenhaft tragen dieselben Handlungen, die den Priester in Zweifel versetzten nun zu seiner steigenden Zuversicht bei. Der grausame Bub wird von seinen Altersgenossen in die Schranken gewiesen, ein Unterricht in der Schule des Nachbardorfes bestätigt den pädagogischen Wert des Priesters, seine Sonntagspredigt macht ihn zur geschätzten Respektsperson. Schließlich wird auch sein individueller Ehrgeiz gestillt: »Macht haben über die Gemüter und sie ausüben zum Besten der Menschen«.132 Er bekehrt den kirchenfeindlichen Koglerbauer kurz vor seinem Tod zum rechten Glauben und zwingt seine Frau in die Heirat von Vroni mit dem Hofknecht einzuwilligen. Die Macht des Priesters wirkt nun auch über die Grenzen der gesellschaftlichen Konventionen hinweg. Durch die Wahl ihrer Sujets bewegt sich das Werk Ebner-Eschenbachs immer haarscharf an der Grenze zum Kitsch. Durch inhaltlichen Tiefgang in der Bearbeitung des an sich trivialen Handlungsgefüges bewahrt sie ihre Texte davor, diese 130 | Als Kronzeugen beruft sich Pater Leo auf einen anderen Abtrünnigen (»Der andere fand jenseits des Ozeans eine Heimat und wurde ein großer Schriftsteller«, ebd., S. 66), der unschwer als Karl Postl alias Charles Sealsfield zu erkennen ist. 1892, ein Jahr vor dem Erscheinen von Glaubenslos?, wurden in Mähren und andernorts die Feiern zu Sealsfields 100. Geburtstag begangen. 131 | Marie von Ebner-Eschenbach: Glaubenslos?, S. 110. 132 | Ebd., S. 192.
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Grenze zu überschreiten. Dies gelingt in Glaubenslos? nur bedingt, wenn die Frage nach der inneren Überzeugung des Priesters zugrundegelegt wird, die der Titel zweifelsohne suggeriert. Zu schnell entschließt sich der junge Priester, der Kirche abtrünnig zu werden. Immerhin hat er ein theologisches Studium vollendet und die Priesterweihen empfangen, ein gewisser Prozess der Reife und der Entscheidungskraft gegenüber vorherigen Anfechtungen muss also vorausgesetzt werden. Zu rasch überwindet Leo seine Zweifel. Zu anstandslos fügt sich alles zum Guten. Verlässt man aber die religiöse Ebene, die im theologischen Sinn im Text nur marginal angesprochen wird, und fragt nach den konkreten Beweggründen für das wankelmütige Verhalten Pater Leos, eröffnet sich ein weiterer Interpretationszugang. »Macht haben über die Gemüter«, ist nicht nur am Ende des Romans das angestrebte Ziel Leos. In ähnlichen Formulierungen kehrt dieser Zweck an vielen Stellen des Textes wieder. Machtausübung ist die vorderste Motivation zur Ausübung seines Berufes und liegt offensichtlich auch seiner Entscheidung zum Amt des Priesters zugrunde. Deswegen hadert er mit seiner Entscheidung, als er erkennen muss, dass die Dorfbevölkerung ihn hintergeht, dass er keinen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben der Dorfgemeinschaft hat, und dass seine Priesterwürde noch nicht einmal ausreicht, um einen Jungen in seinem Verhalten zu bessern. Macht und Respekt fordert er von der Gemeinde und die Kirche ist die Institution, die seine Macht gewährleistet. Mit der schwindenden Macht, verfällt auch Leos Bindung an sein Amt und an die Kirche. Die Versicherung des Konsistorialrats und Pater Thalbergs können die Bindung deswegen auch nur teilweise wieder festigen. Wiederhergestellt ist sie für ihn erst, nachdem er durch die Stiftung der ungewöhnlichen Ehe zwischen der reichen Bauerntochter und ihrem mittellosen Knecht seine Macht im Gesellschaftlichen demonstriert hat. Die Entsagung von allem Weltlichen wird kompensiert durch den Willen zur weltlichen Macht. Wilhelm Bölsche vergleicht in seinem eingangs angesprochenen Essay Annette von Droste Hülshoff mit Marie von Ebner-Eschenbach: »Die Droste wie die Ebner haben beide den Menschen gefunden. Die eine auf dem Weg über den Glauben, die andere auf dem über die Kritik«.133 Ist es demnach erlaubt die Erzählung in der eben angedeuteten Weise als Kritik an der Verweltlichung des Priesterstandes im Sinne Vacanos zu lesen? Für Bölsche ist Glaubenslos? kein »Freidenker-Roman«134 . Im Rahmen seines Verständnisses von Literatur als experimentelle Philosophie sieht er Ebner-Eschenbach bereits jenseits der Kritik auf der Suche nach positiven Lösungen. Das Gedankenexperiment erstreckt sich in diesem Fall auf den möglichen Wirkungszusammenhang zwischen Kirche und weltlichem Leben. Den Umschwung in der Meinung der Dorfbevölkerung bewirkt die Sonntagspredigt Pater Leos:
133 | Wilhelm Bölsche: Hinter der Weltstadt., S. 193. 134 | Ebd., S. 198.
D IE RELIGIÖSE F RAGE Den Priester überlief’s, ein Grauen ergriff ihn. – Der Friede, der ihn anträumte aus diesem Menschenantlitze, war der Frieden des Tieres. […] Allmählich aber begann diese sonst so milde Stimme zu dröhnen und schwoll immer mächtiger an zu einer Stimme des Zornes, die zum Himmel schrie, nicht um Sühne – hinter der Sühne birgt sich die Verzeihung – um Rache.135
Die Predigt schlägt nun um in ein Strafgericht, das den Kontrast zu den beiden anderen Geistlichen bietet, die in ihrer intellektuellen oder betulichen Kirchentreue, dem einfachen Volk nichts geben können. Aus Rache wegen seiner verlorenen Machtposition und aus Rache wegen seines enttäuschten Menschenvertrauens steigert sich Pater Leo in eine Predigt hinein, die sein Verhältnis zu seiner Gemeinde offenlegt und seine Beweggründe verrät: Der Engel des Gerichtes, von dem der Priester sprach, das war er selbst! … So erschien er ihnen, wie er dort auf der Kanzel stand, in furchtbarer Schönheit, marmorblaß, mit glühenden Augen. Und als ein Richter fühlte er sich. Ihm war, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um all die Verworfenheit, die ihn umgab, in den Abgrund zu schmettern. […] Aber den Priester auf der Kanzel überkam keine barmherzige Regung. Dräuend blickte er von seiner Höhe herab. Die Selbstanklage schwieg, die Demut war tot. Er durfte verwerfen, es kam ihm zu, ihm, dem im Streite wieder sich selbst unerbittlichen, unermüdlichen Ringer, der feigen Stumpfheit gegenüber. Sein Kampf stellt ihn über alle.136
Dem Dorf kommt im Erzählwerk der Ebner exemplarische Bedeutung zu. Auch in diesem Fall dient es als Versuchsanordnung für die Wirkung der katholischen Kirche in der frühen Moderne. Weite Teile der Bevölkerung haben sich bereits von der Kirche aus Gewohnheit oder Enttäuschung entfremdet. Innere Frömmigkeit herrscht weder bei denen, die den Kirchenbesuch als willkommenes Ritual im Alltagsleben ansehen und den Pfarrer als pflichtschuldigen Garanten der Festlichkeiten des öffentlichen Lebens, noch bei denen, die sich wegen ihrer Kenntnis aufgeschnappter Versatzstücke der aufgeklärten Naturwissenschaften über den Kirchenglauben erhaben sehen. In dieser Situation braucht die Kirche Priester, die den Kampf um den Glauben selbst durchleben. Ihnen gesteht Ebner-Eschenbach eine an Hybris grenzende Machtausübung zu, solange sie die Macht zum Guten des Menschen einsetzen. Ein denkbarer Missbrauch wird jedoch nicht thematisiert. Gedeckt ist das Verhalten des Priesters durch die Reaktion der Bevölkerung, die ihn respektiert, nachdem sie ihn als Mitleidenden im Kampf des Daseins erkannt hat. Im beschränkten Raum des Dorfes ist das Experiment erfolgreich verlaufen. Die Erneuerung der Glaubensgemeinschaft zwischen Priester und Gläubigen beruht jedoch auf Anschaulichkeit und persönlichem Erlebnis. Der Erfolg 135 | Marie von Ebner-Eschenbach: Glaubenslos?, S. 91f. 136 | Ebd., S. 93. Hervorhebung im Original gesperrt.
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ist demnach schwer auf größere Städte oder gar die in der Moderne florierenden Großstädte übertragbar. Entgegen aller Kritik an der anonymisierenden Kraft der Großstädte sieht Ebner-Eschenbach ihr Modell als für die moderne Gesellschaft tragfähig an: Vom Dorfe ziehen sie aus nach den Städten. […] Die Städtebevölkerung wird zum Teil so beschaffen sein, wie das Menschenmaterial es ist, das ihr vom Lande her zugeschickt wird. Da sprudelt eine der Quellen, die sich, zu einem Strome vereinigt, in das große Meer, die menschliche Gesellschaft, ergießen.137
Die Aufgabe des Priesters, so jedenfalls identifiziert sie der geläuterte Priester Leo Klinger in Glaubenslos?, ist es, die ihm anvertraute Quelle im »Sinne der uralten Moral«138 der christlichen Gebote rein zu erhalten. Ähnliche Überlegungen veranlassten Hermann Bahr wenig später dazu, einen neuen Regionalismus zu propagieren, der von der Heimatkunstbewegung aufgegriffen wurde.139 Deswegen kann der vorwärtsdrängende Überwinder Bahr für Franz Zach zu einer Konstante des neubeschrittenen kulturpolitischen Weges der katholischen Kirche werden. Die regionale, besser die in der Region gelesene, Literatur soll den Erfolg des katholischen Kulturideals verbriefen. Die Erzählung ist, wie schon Bölsche wahrnahm, der Abschluss der gesellschaftskritischen Werke der Ebner. In der Erzählung selbst greift Ebner-Eschenbach viele Motive aus den Dorf- und Schloßgeschichten wieder auf, was ein Anlass sein sollte, sie ebenfalls unter dieser Perspektive zu lesen. Mit Ausrufezeichen war die frühe Moderne im Dichterkreis Durch! angetreten und Ausrufezeichen dramatisieren auch die Titel naturalistischer Werke.140 Mit ihrer religiösen Erzählung setzt Marie von Ebner-Eschenbach nur anscheinend einen Interpunktionskontrast. Auch in der Erzählung Die letzte Seele von Otto von Leixner steht ein Geistlicher im Widerstreit zwischen Anfechtung und Pflichtgefühl.141 In seiner demütigen Fügung in das gottgegebene Schicksal ist er über weite Strecken das Gegenbild zum Tatmenschen Leo Klinger. Leixner unter der Perspektive der Literatur aus Böhmen und Mähren zu behandeln, ist von keiner regionalen Literaturgeschichte gedeckt. Weder die Literaturgeschichten dieses Raumes gehen auf ihn ein, noch verzeichnet ihn der umtriebige Friedrich Jaksch im Lexikon sudetendeutscher Schriftsteller und ihrer Werke, obwohl er für den Zeitraum von 1900 bis 1929 eine gewisse 137 | Ebd., S. 169. 138 | Ebd. 139 | Vgl. Hermann Bahr: Die Entdeckung der Provinz. In: ders.: Bildung. Leipzig Schuster&Loeffler 1901, S. 184-191. Gekürzt auch in: Gotthart Wunberg (Hg.): Die Wiener Moderne. Stuttgart Reclam 1981, S. 206-210. 140 | Vgl. u.a. Conrad Alberti: Brot! (1888); Julius Hart: Fünf Novellen! (1888); Philipp Langmann: Arbeiterleben! (1893); Michael Georg Conrad: Madame Lutetia! (1893). 141 | Otto von Leixner: Die letzte Seele. München Kaiser 1907.
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Vollständigkeit anstrebte.142 Für Leixner selbst scheint seine mährische Herkunft nicht in landespatriotischer, sondern nur in seiner erweiterten, österreichischen Dimension wichtig gewesen zu sein. Im Umfeld seiner Berliner Aktivitäten, der von ihm initiierten Dichtervereinigung Neue Klause und der später eingeleiteten literarischen Erneuerungsbewegung unter religiösen Vorzeichen, bewegen sich überproportional viele Autoren aus den österreichischen Stammlanden.143 In literaturgeschichtlichen Studien zur österreichischen Literatur der Moderne sucht man seinen Namen jedoch ebenso vergebens wie in denen zur deutschen Literatur, deren Entwicklung er durch seine langjährige Tätigkeit als Herausgeber der Deutschen Roman-Zeitung beeinflusst hatte. Aus der demnach realen Gefahr, dass Otto von Leixner auch weiterhin zwischen die Stühle überregionaler Literaturgeschichtsschreibung fallen könnte, ziehe ich auch die äußerliche Berechtigung, den auf Schloss Saar in Mähren Geborenen, in dieses Kapitel einzugliedern. Innerlich, d.h. inhaltlich ist er aus zwei Gründen für die Darstellung ein Glücksfall. Zum einen, weil er sich, wie im vorigen Abschnitt gesehen, sowohl in ethischen Schriften als auch literarisch zum Thema Religion äußerte. Zum anderen, weil er in seiner Erzählung aus dem dreißigjährigen Krieg ausnahmsweise einen protestantischen Pfarrer in den Mittelpunkt stellt. Schauplatz der Erzählung ist Walddorf im Vogtland am Oberlauf der Weißen Elster. Ein fiktiver Ort, dessen Name die Abgeschiedenheit symbolisiert. So gerät Walddorf erst zu Beginn der 1640er Jahre durch marodierende Söldner in Berührung mit den Schrecken des Krieges. Seit 1638 versieht der Pfarrer Johannes Carolus Masius, der an der lutheranischen Universität Wittenberg absolvierte, seinen Dienst in der Gemeinde. Da er zusammen mit einem Knecht auch das kärgliche Pfarrland bestellt, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, wird er von den ortsansässigen Bauern und Webern als Ihresgleichen wahrgenommen. Zugleich genießt er das Vertrauen als Geistlicher. Er entsagt deswegen höherer Ambitionen und beschließt »ihnen treu [zu; J.K.] sein bis ans End […] wie es der Wille des Herrn bestimmte«.144 Ein Vorsatz der bereits durch den Überfall der Landsknechte einer schweren Prüfung unterzogen wird. Unter den vielen Opfern befinden sich auch die Frau des Pfarrers und seine Tochter. Sein von Geburt schwächlicher Sohn überlebt nur, weil er ausnahmsweise seinen Vater bei der Feldarbeit begleitete. Von da an verlässt das Unglück die Gemeinde nicht mehr. Ein zweiter Überfall durch kaiserliche Truppen verläuft zwar milder, da man sich durch Lebensmittel von Schlimmeren freikaufen kann. Vor der Pest, die ein versprengter Soldat ins Dorf einschleppt, gibt es jedoch kein Entrinnen. Nach und nach werden die Einwohner dahingerafft, bis sich schließlich die letzten Gesunden entschließen, das Dorf zu verlassen. Zurück bleiben der Pfarrer, sein Sohn und seine Diener, sowie 142 | Friedrich Jaksch: Lexikon sudetendeutscher Schriftsteller und ihrer Werke. Reichenberg Stiepel 1929. 143 | Vgl. auch den kurzen Lebenslauf im vorherigen Kapitel. 144 | Otto von Leixner: Die letzte Seele, S. 13.
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die Alten, die ihren Geburtsort nicht aufgeben wollen. Die Seuche findet unter ihnen noch einige Opfer, andere versterben wenig später aus Altersgründen. Zuletzt bleiben nur noch der Pfarrer und sein sechsjähriger Sohn zurück, der jedoch in der Christnacht 1647 an Auszehrung stirbt. »Ist die letzte Seel der Gemeind gewest«,145 notiert Masius im Kirchenbuch und verlässt im Gefühl seine Pflicht vollbracht zu haben das Dorf. Kraftlos im Schnee zusammengesunken, wird er von durchfahrenden Händlern aufgegriffen und nach Magdeburg gebracht, wo er nach seiner Genesung die Stelle als erster Pfarrer der Stadt übernimmt. Die Zusammenfassung wirkt nüchterner als der tatsächliche Leseeindruck, da sie dem Bericht des Erzählers folgt. Erst ca. vier Jahrzehnte nach den Ereignissen schildert Masius die Geschehnisse im Walddorf, um sie nach seinem Tod, gleichsam als geistiges Testament und theologische Richtschnur in die Hände seines Sohnes aus zweiter Ehe zu legen, der sich ebenfalls in der Ausbildung zum evangelischen Pfarrer befindet. Nur spärliche Eindrücke gewährt der Erzähler in den Gefühlshaushalt der Dörfler, da er nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter mit seiner eigenen Lebens- und Glaubenskrise beschäftigt ist. Äußerlich spendet er den anderen Trost bei ihren Schicksalsschlägen, innerlich findet er diesen Tost im Glauben an Gott nicht mehr. Zerbrochen waren die Mauern meiner Krafft; ein Thränenstrom ergosse sich aus meinen Augenhöhlen, und ich jammerte laut, daß ich selbsten vor der Stimm erschracke, als seye sie nit die meinige. »HErre, HErre!« rieffe ich; wollt beten, aber hat nit ein einzig armsälig Wörtlein. Also wann ein Berg Feuer ausspeiet und Staub und Aschen, und um sich alles, was da blühete und sprossete, ersticket, also war auch ersticket in mir alle Hoffnung und der gantze Glauben.146
Die religiöse Grundfrage des Menschen nach der Gerechtigkeit Gottes wird nur an dieser Stelle von Masius gestellt und nicht beantwortet. Das sogleich aufgeschlagene Buch Hiob kann ihn selbst nicht mehr aufrichten, wohl aber seine Gemeindemitglieder, auch wenn sie spüren, dass ihr Pfarrer nicht mehr in aller Aufrichtigkeit hinter dem steht, was er verkündet. Die einschränkende Konjunktion »auch wenn« durchzieht den Text als sprachliches Leitmotiv und entspricht der Krisenbewältigungsstrategie des Pfarrers. Kein Streitgespräch wie im Ackermann aus Böhmen, kein Versuch um Theodizee halten den Pfarrer in seinem Amt, sondern eine Rückbindung an das einmal geleistete Gelübde, das er im Text mehrfach wiederholt.147 Er entscheidet sich gegen die Neigung, sich seiner individuellen Not hinzugeben, und für die Pflicht seinen Dienst an der Gemeinde in der bisherigen Weise fortzusetzen, wortwörtlich bis zur letzten ihm anvertrauten Seele. Damit entscheidet er sich genau dem sittlichen Gesetz zu folgen, das Leixner in Der Weg 145 | Ebd., S. 81. 146 | Ebd., S. 38. 147 | Vgl. ebd., S. 13, 19, 40, 51, 64 und in abgeänderter Form S. 74.
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zum Selbst, Kant paraphrasierend, als praktische Richtschnur für ein moralisches Leben im Einklang mit der christlichen Religion empfohlen hatte. »Jede treu erfüllte Pflicht, mag sie uns auch verhaßt sein, ist ein Mittel der sittlichen Selbsterziehung«.148 Ein anderer der Aphorismen, die Leixner als Merkworte dem Weg zum Selbst nachstellt, scheint aber im persönlichen Schmerz des Pfarrers seine Gültigkeit zu verlieren. Die »innige Teilnahme« am fremden Leid führt nur zeitweise zur Übertünchung, aber nicht zur Linderung der eigenen Wunden.149 Nachdem der Pfarrer bis auf seinen Sohn alle Gemeindemitglieder verloren hat, ist er auf seinen individuellen Schmerz zurückgeworfen. Die Prädestinationslehre tritt ihm als Versucher gegenüber und er beschließt sich aus den »Stricken des Elends« loszureißen, indem er seinen Sohn mit der Axt erschlägt und sich danach selbst richtet.150 Das geschwungene Beil über sich, erwacht der Knabe: Da gählings schluß mein Knäblen die großen unschuldigen Augen auf, aus denen ein Glantz leuchtete, der nit von unserer Welt ware. […] Und da brache ein überirdisch Licht in meine kranke Seelen und vertriebe die Finsternuß. […] O ich ungläubiger Thor! Ich schwacher Narre! Nit bin ich vom HErrn verlassen gewest die letzten Jahr, wie ich vermeynet. Er ware bey mir mit seiner Liebe, nur hatt ichs nit gewußt.151
Er identifiziert in den liebenden Augen seines Kindes die lange vermisste Liebe Gottes. Sein innerer Kampf dem Joch der Pflicht nicht zu entfliehen, offenbart sich nun als Wunder, als tätiges Eingreifen Gottes in die Welt. Die Folgerung, die Masius aus seinem ›Gotteserlebnis‹ zieht, entspricht nicht dem weltlichen ›hilf dir selbst, dann hilft dir Gott‹ der aufgeklärten Jahrhundertwende, sondern hält sich innerhalb der Grenzen barocker Vorstellungen. Anders als im berühmten Gedicht von Andreas Gryphius ist die Einsamkeit des Pfarrers Masius kein Gedankenexperiment meditativer Einsamkeit. Sie ist reale Lebenserfahrung und muss es sein, denn nur so bewirkt sie bei dem fürsorglichen Hirten, dieselbe Erkenntnis wie bei dem intellektuellen schlesischen Dichter, »daß alles ohn’ ein Geist, den Gott selbst hält, muß wanken«.152 Die Zuordnung des Textes zum Barock ist Leixner anscheinend wichtig. Deswegen setzt er sich in einer Erweiterung der Chroniknovellen des Realismus als Herausgeber des Originaltextes von Masius ein. Zusätzlich steigert er den Grad der Authentizität durch die Nachbildung der deutschen Sprache des 17. Jahrhunderts in Wortgebrauch und Schriftbild. Außerhalb dieser Stilisierung legt Leixner auf 148 | Otto von Leixner: Der Weg zum Selbst. Berlin-Schöneberg Felber 1906, S. 154. 149 | Ebd., S. 163. 150 | Otto von Leixner: Die letzte Seele, S. 70. 151 | Ebd., S. 72. 152 | Andreas Gryphius: Einsamkeit. In: Karl Otto Conrady: Das Buch deutscher Gedichte. Düsseldorf Patmos 2008, S. 174.
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eine korrekte historische Anbindung keinen Wert. So bleibt unbeantwortet, warum die Waldbauern aus dem Vogtland zwischen Plauen und Weida ihren geringen Ertrag auf dem Markt in Magdeburg verkaufen und nicht in einer der näher gelegenen Städte. Die Zerstörung der Stadt Magdeburg im Jahr 1631 durch die kaiserlichen Truppen Tillys, wird im Text erwähnt, jedoch erst in Bezug auf die Erzählhandlung in den 1640er Jahren. Unklar ist auch, wieso protestantische Bauern den Markt einer spätestens seit 1636 rekatholisierten Stadt beliefern. Inwieweit diese Frage, die umso dringlicher erscheint, als auch der entkräftet im Schnee zusammengebrochene Pfarrer, nach dem Verlassen des Dorfes nach Magdeburg gebracht wird, auf einer geographischen und historischen Ungenauigkeit des Autors beruht oder inwieweit ihr interpretatorische Bedeutung zukommt, konnte nicht geklärt werden. Wie viel Spielraum man Leixner hinsichtlich der historischen Präzision seiner Erzählung auch zugesteht, so kann dies nicht die Tatsache überdecken, dass hier ein protestantischer Pfarrer als Idealbild in der Ausübung seines Amtes wie in seinem Verhältnis zu Gott dargestellt wird. »Katholisch«, lautet jedoch die Bewertung der Literaturgeschichte Leixners in der Bibliographie von Andreas Schumann, und im Vergleich zur Textauswahl und Schwerpunktsetzung anderer Unternehmungen um 1900 ist diese Einschätzung nachvollziehbar. Eine katholische Erziehung ist bei Leixner, dessen Vater Dienst bei dem Fürsten von Dietrichstein versah, vorauszusetzen. Mit seinem Wechsel nach München gelangte Leixner in die Kreise um Moritz Carriere, der mit den spekulativen Theisten um die Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik sympathisierte.153 Diese Gruppierung war um einen Ausgleich zwischen dem Materialismus der modernen Naturwissenschaften und dem Verständnis eines persönlichen Gottes bemüht, der sich auch in den ethisch-religiösen Schriften Leixners bis zum Weg zum Selbst aufzeigen lässt. In Böhmen und Mähren, wo Anton Günther, ein Schüler Bolzanos, die größte Wirkung entfalten konnte, gingen die Theisten nach dem ersten Vatikanischen Konzil im Altkatholizismus auf. Mit Franz Machs Sichtweise in Das Religions- und Weltproblem weisen Leixners späte Arbeiten denn auch die meisten Gemeinsamkeiten auf, während er gegenüber dem Spätwerk Jesus Christus und die Wissenschaft der Gegenwart (1888) von Moritz Carriere eine eigenständige Linie entwickelte. »Auf der Seite der katholischen Kirche bewirkte der Konflikt der siebziger und frühen achtziger Jahre ein weder zuvor noch jemals danach erreichtes Maß an Integration und Geschlossenheit von kirchlicher Institution und laizistischer Organisation«.154 Die Arbeiten Leixners während dieses Zeitraumes bestätigen diese These. Erst vor der Jahrhundertwende setzt er sich von der stärker werdenden 153 | Vgl. Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Berlin Kiepenheuer 1952, S. 433435. Unveränderter Nachdruck der Original-Ausgabe von 1927. In neueren Geschichten der Philosophie findet Carriere keine Beachtung mehr. 154 | Jürgen Michael Schulz: Das katholische Milieu und seine öffentliche Repräsentanz in der wilhelminischen Gesellschaft. In: M. Grunewald/U. Puschner (Hg.): Das katholische
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dogmatischen Richtung der katholischen Kirche ab. Eine Konvertierung zum Protestantismus ist bei Leixner, der seit 1883 im preußischen Berlin lebte, denkbar. Karel Daňek verortet Leixner in seiner späteren Lebensphase im Deismus.155 Von seinem Biographen Friedländer wird eine nähere Bezeichnung über das christliche Bekenntnis Leixners hinaus vermieden. Auch anhand seiner Werke ist bis eben auf die Erzählung Die letzte Seele eine eindeutige Ausrichtung nicht zu erkennen. In Gustav Leutelts Roman Das zweite Gesicht (1911) ist der Protagonist selbst kein Priester, aber sein Leben wird von frühester Jugend an von Vertretern der Kirche begleitet und beeinflusst. Sein Ringen um eine religiöse Überzeugung verläuft deswegen nicht innerhalb der theologischen Demarkationslinien, aber stets an ihnen entlang. Die Einbettung des Lebens der Hauptfigur in die kirchlichen Strukturen und zugleich ihr Abstand zu den verkündeten Glaubenslehren der Kirche manifestieren sich in der ungewöhnlichen Erzählstruktur, die von drei Erzählinstanzen bestimmt wird. Zu Beginn schildert ein nicht näher bezeichneter Erzähler einen jungen Geistlichen, der mittels der Düfte und Lichtspiele einer Sommernacht versucht, wieder Sicherheit in seine Wahrnehmung zu bringen. Nach einer anstrengenden Lektüre war er über den Papieren in den Schlaf gesunken. Auf Grund des Inhaltes vermag er nun nicht mehr, kurz vor Anbruch der Dämmerung, zu ihnen zurückzufinden und verlässt die Szenerie: Hinter dem schwindenden Lampenschein steht im Zimmer das Mondlicht auf und legt eine bläuliche Tafel über die Dielen. Es schiebt sie gegen den Tisch hin, ganz unmerklich; denn die leicht wallende Bewegung, die mitunter über das Lichtfeld läuft, rührt ja von dem Schattengefältel des Spitzenvorhangs her, der im Lufthauch schwankt. In immer längeren Pausen dringen noch leichte Geräusche aus dem Nebenraum, dann erstirbt das, und wie die Nachtzeit rinnt, hat der Mondschein sich auch am Tisch in die Höhe gereckt und liegt über den Papieren und nimmt Notiz von ihnen. Und dann ist hinter dem Schein der anbrechende Tag her, und während die Lichtinsel erblassend an der anderen Seite des Tisches niedergleitet, saugt die Morgenhelle sie in sich, wie die Blumen den Tau. Wenn wir aber wie der Mond in den Papieren lesen wollen, so müssen wir erst zurückblättern, um die Erklärung für die Dinge dieser Nacht zu finden. 156
Die längere Passage soll einen Eindruck vermitteln von der stilistischen Brillanz des Dichters Leutelt und seiner sprachlichen Eigenheiten. An sein Vorbild Adalbert Stifter erinnert die Genauigkeit, mit der Naturbilder, Vorgänge und Gegenstände beschrieben werden. Die Sprache nähert sich dem Impressionismus an, nimmt aber auch Elemente der (neo-)mystischen Literatur der Moderne und der Intellektuellen-Milieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871-1963). Lang Bern 2006, S. 42. 155 | Karel Dan ěk: Básník pod Zelené Hory. Žd’ár nad Sázavou 1966, S. 6. 156 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht. In: Gesammelte Werke Band 2. SchwäbischGmünd Leutelt-Gesellschaft 1986, S. 15.
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Heiligenlegenden auf. Leutelts Prosarhythmus formiert sich so zu einem eigenwilligen Erzählduktus, der kaum den gängigen Vorstellungen von Heimatliteratur entspricht. Das jedoch ist die Spitzmarke, unter der Leutelt bis heute in den Literaturgeschichten und Lexika firmiert, die ihn noch wahrnehmen. Er gilt als der Erzähler des Isergebirges und seiner Waldlandschaft. Auch das zweite Gesicht enthält ausführliche Schilderungen der Landschaft zwischen Leitmeritz und Gablonz, die aber auf Grund der thematischen Einschränkung dieses Kapitels in der nachfolgenden Analyse, ebenso ausgespart werden müssen wie die kurzen Passagen zum Zusammenleben zwischen Deutschen und Tschechen an der Sprachgrenze.157 Anlässlich eines Festvortrages wies Viktor Aschenbrenner darauf hin, dass man Leutelt nicht gerecht würde, »wenn man ihn als Heimatdichter und Naturschilderer klassifiziert und preist«.158 Stattdessen stellt er ihn in eine Reihe mit Alfred Kubin und Gustav Meyrink und beruft sich für dieses Urteil auf das zweite Gesicht als ein Buch, »das ins Mystische weist, das Dämonische beschwört, das geheimnisvolle, Skurrile, ja Geisterhafte mit dem menschlichen Leben verbindet und Rätsel aufgibt, die nicht zu enträtseln sind«.159 In dieser Atmosphäre der Nachtseite des Lebens ist auch der Anfang des Romans getaucht. Nur im Schein des Mondes, nicht am Tag, ist es möglich die Geschichte zu erzählen, die den Priester erschütterte. Die Papiere, wie sich herausstellt die eigenhändig aufgezeichnete Lebensgeschichte eines ehemaligen Dorfschullehrers, wurden dem Priester von seinem Mentor, dem Dechant der Domkirche, kurz vor seinem Tode überlassen. Der Dechant war mit dem Schreiber am Ende seines Lebens in Freundschaft verbunden und auch der junge Priester war beim Tode des Schreibers, allerdings unwissentlich, zugegen. In der Binnenhandlung, die den größten Teil einnimmt, berichtet der Schreiber, ein Name wird von Leutelt wie bei den anderen Hauptfiguren nicht genannt, von der Entdeckung seiner erschreckenden Gabe, den Tod anderer Personen vorherzusehen. Die Gabe ist ihm von Kindheit an gegeben. Er sieht, in traumhaften, Wirkliches mit Unwirklichem vermischenden Visionen den frühen Tod seines Vaters, einer Jugendfreundin und den Selbstmord seiner Geliebten voraus. Die Visionen bedingen einen latenten Angst- und Verstörungszustand. Besonders sensibel reagiert er beim Anblick von Augen u.a. erschrickt er vor der Zeichnung 157 | Die Praxis des Wechsels, also des Kinderaustausches zwischen deutschen und tschechischen Familien, betrifft auch den Protagonisten in Leutelts Roman. Allerdings sind die Bedingungen für diesen Austausch hier grundsätzlich andere als in der offiziellen Form. Vgl. Karsten Rinas: »Auf Wechsel ins Tschechische und na veksl do N ěmec«. Über einige kritische Darstellungen des ›Kinderaustauschs‹ in der tschechischen und sudetendeutschen Literatur. In: Brücken NF 18/1-2 (2010), S. 355-373. 158 | Viktor Aschenbrenner: Gustav Leutelt und unsere Zeit. Festvortrag anläßlich der Sechzig jahrfeier der Leutelt-Gesellschaft 1983. In: Gustav Leutelt. Gesammelte Werke Band 2, S. 7. 159 | Ebd., S. 11.
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eines Fuchses und einem Wandgemälde, das sich nach Renovierungsarbeiten im Treppengang seines Wohnhauses zeigt. Fluchtpunkt des Gemäldes, das »eine Art von Totentanz« darstellt,160 ist ein zwergenhafter Mensch, der mit angsterfüllten Augen dem Sensenmann gegenübersteht. Nun schauten die wunderlichen Gestalten in unsere Spiele und wir hätten leicht in jedem Streit das unglückliche Männlein als einen Richter anrufen können, so beharrlich hefteten seine Augen sich auf unser Tun. Die hatten nämlich die unheimliche Eigenschaft uns überall hin folgen zu können, selbst wenn wir an das andere Ende des Ganges liefen. […] Der Spielkamerad lachte darüber, aber ich wurde betroffen und fing an, eine Scheu vor der Malerei zu empfinden.161
Der Vater, durch seine eigene Veranlagung alarmiert, weist die Familie des Kameraden aus dem Haus, um eine weitere Beeinflussung durch das Bild zu verhindern. Der Freund fasst dies jedoch als Ausdruck sozialen Machtgehabes auf, und sperrt am Tag des Umzugs den Schreiber aus Rache in die Wohnung. Allein gelassen mit den Augen des Männleins und den stierenden Augen des Fuchses auf dem Kupferstich, den ihm der Vater seines Kameraden zum Abschied geschenkt hatte, gerät er in Panik und stürzt nach einem Ausbruchsversuch schwer. Von diesem Sturz und den Folgen erholt er sich nur teilweise. Aber es ist nicht seine zeitlebens schwächliche Konstitution, die ihn dieses Erlebnis als »Riß« beschreiben lässt.162 Vielmehr erachtet er den Sturz als Erweckungserlebnis, als Ausbruch des anderen Zustandes seiner Seele. Sein Misstrauen gegenüber seiner psychischen Disposition ist geweckt, doch die Gabe des zweiten Gesichtes erschließt sich ihm erst aus dem Testament des Kanonikus, einem Verwandten, der ihn nach dem Tod des Vaters aufnahm und die Ausbildung als Lehrer ermöglichte. Das war es. Wie ich, war auch schon mein Vater gerufen worden, und dies – schien mein Erbe. Daß ich so ahnungslos bleiben konnte! […] Der Herr Kanonikus hatte um die unheimliche Gabe gewußt. Des Vaters Vertrauter konnte es ihm nicht schwer fallen, auch bei mir die gleiche Anlage aufzuspüren. Und wie recht er gesehen, hatte mein Eintritt ins nächtliche Sterbezimmer gelehrt, da ich vor ihm erschienen war als – Todesbote.163
Aus einer Bilanz der bisherigen Erscheinungen vermeint er den wahren Hintergrund seiner Veranlagung herauslesen zu können: »glaubte ich doch ergrübelt zu haben, daß meine traurige Sehergabe sich nur jenen gegenüber offenbare, die ich 160 | Ebd., S. 26. 161 | Ebd., S. 27. 162 | Ebd., S. 25. 163 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht, S. 78.
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liebte«.164 Diese Erkenntnis zwingt ihn zu einem Leben als Einsiedler. Um emotionale Bindungen zu vermeiden, zieht er sich auf ein Anwesen zurück und vertieft sich in die Natur.165 Bald verbinden sich die sinnlichen Empfindungen und Stimmungen zu einem mystischen Naturerlebnis, mit dem er seine visionären Anfälle bekämpft. Er erkennt auch in den kleinsten Dingen den »seelischen Hauch im All«,166 Makrokosmos und Mikrokosmos verschmelzen zu einer Einheit. Erst als alter Mann findet er durch eine zufällige Begegnung wieder Anschluss an die menschliche Gemeinschaft. Das Enkelkind des Ehepaares, das ihm im Haushalt hilft, erinnert ihn so sehr an seine Jugendliebe, dass er der Versuchung, sich mit dem Kind zu befreunden nicht widerstehen kann. Noch deutlicher als sonst fällt die zu befürchtende Vorausdeutung aus: Da war sie wieder, die unheimliche Gabe. Aus dem Halbdunkel des Torbogens stand eine weiße Kinderstirn auf – große, entsetzte Augen und – Martha! – eine schreckliche, rote, dünne Schlängellinie von ihrem Munde niedergehend. Diesmal wußte ich es gleich, daß mein Liebling sterbe. – »Gott! – so hilf!« 167
Mit der Anrufung Gottes kann der Schreiber den Unfalltod des Mädchens nicht abwenden. Für ihn selbst führt die Anerkennung einer letzten Instanz im Moment des Schreckens aber zur Lösung seines Dilemmas. Nach einer ersten Phase der Verzweiflung, in der er eine neuerliche Weltflucht bis hin zum Selbstmord erwägt, überantwortet der Schreiber die weitere unselige Wirkung seiner Gabe dem Schicksal: »Nicht fliehen mehr wollte ich die Menschen und auch nicht suchen; aber wer meinen Weg kreuzte, mochte eingehen, wenn er danach war«.168 Der erste, der seinen Weg kreuzt, ist ein ehemaliger befreundeter Priester, der inzwischen zum Dechant aufgestiegen ist. Sein Eintritt in das Leben des Schreibers wird von Leutelt direkt als Fügung des nun waltenden Schicksals inszeniert. Durch den undogmatischen Dechanten, der in seinen Anschauungen sowohl die Grenze zum Protestantismus wie zum Aberglauben des Volkes streift, findet er den Weg zurück in die Gemeinde der Gläubigen. Ihm offenbart er auch, obgleich unfreiwillig sein ›Geheimnis‹. Weitergehende Hilfsversuche des Priesters, ihn durch die Kraft der Religion näher an die Kirche heranzuführen, scheitern, da ihm die feinfühligen Zusammenhänge in das miteinander verwobene Geflecht zwischen menschlicher Psyche und Natur fehlen. Trotzdem wird der Schreiber fast am Ende seines Lebens 164 | Ebd., S. 80. 165 | Der Kauf des Hauses ist dem arbeitslosen Schullehrer durch die Erbschaft möglich, die ihm der Kanonikus hinterließ. Zweifellos ein mehr schlecht als recht motivierter Erzähltrick Leutelts, um den Druck gesellschaftlicher Zwänge auf den Protagonisten zu minimieren. 166 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht, S. 82. 167 | Ebd., S. 88. 168 | Ebd. S. 90.
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von seinen latenten Schuldgefühlen erlöst. Vom Aberglauben der dörflichen Bevölkerung angelockt, besucht er in der Christnacht die Kirche. Dort sollen sich in der Zeit zwischen den beiden Messen diejenigen zusammenfinden, die im folgenden Jahr sterben werden. Zunächst scheint sich die bedrückende Atmosphäre, die der Schreiber beim Eintritt in die Kirche empfindet als Hirngespinst herauszustellen: Es war nichts damit in dieser leeren, stillen Finsternis: keine Totengemeinde, kein abgeschiedener Priester, keine Schatten … nur das ewige Fünklein war und zog meine Blicke auf sich. […] Das Fünklein vorn steht so gespenstig ruhig. Es flackert nicht, es zuckt nicht und zieht alles, was in diesem Dunkel sein mag, auf sich: auch mich, auch mich. Ich fühle die tausend Hände der Finsternis, wie sie hinter mir pressen, wie sie schieben, der geringen Lichtspur entgegen, die dort fast verrinnt. Ich schleiche längs der Wand, trete unversehens ins Bodenlose, stürze; aber die vielen Hände fangen mich auf und gleichzeitig hebt ein Tönen an, das schon in der Finsternis war, das ich aber jetzt erkenne, und es ist etwas da, das kein Licht ist, aber ihm gleicht. Und jetzt sehe ich. Aus der Nische neben dem Altar löst es sich: Gewimmel, das sich zum Zug ordnet, und wie es vor dem Allerheiligsten vorüberhuscht, wird das Schattenhafte erkennbar. Bekannte Gesichter … viele … mein eigenes … der Dechant … 169
Die Sage von der Totenchristnacht bezog Leutelt aus der mündlichen Tradierung seiner Gablonzer Heimat. Sie war nach eigenem Bekunden der reale Anlass für eine erste Konzeption des Romans in den 1890er Jahren.170 In der fast zwei Jahrzehnte später erschienenen Endfassung ist die Legende aber nicht mehr das beherrschende Thema, sondern die düstere Vollendung der außergewöhnlichen Initiation des Schreibers. In der Erkenntnis, dass Gott die Toten des nächsten Jahres vorherbestimmt, löst sich seine eigene Verantwortung für ihren Tod auf. Seine Liebe führt nicht zu ihrem Tod, da er vom göttlichen Schicksal längst festgelegt ist. Die Gabe des zweiten Gesichtes ist eine Last, aber sie ist in eine höhere göttliche Weltordnung integriert. Da er sich selbst im Zug der Toten identifiziert, ist seine Erlösung vorgezeichnet. »Ich habe gesehen, daß mir bald recht wohl werden wird«, antwortet der Schreiber dem Dechanten, der ihn bewusstlos in der Kirche auffindet, doch dieses Wissen bezahlt er in doppelter Weise. Zum einen, weil er dieses Wissen an die anderen Betroffenen nicht weitergeben darf, zum anderen, und das wiegt schwerer, weil er sich dem göttlichen Erlebnis als solches nicht entziehen kann.
169 | Ebd., S. 99. 170 | Gustav Leutelt: 80 Jahre meines Lebens. In: ders.: Gesammelte Werke Band 5, S. 161. Zuerst erschienen in: Rudolf Herzog: Das Isergebirge. Die Landschaft Gustav Leutelts. Karlsbad Adam Kraft 1940.
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE Ich bringe die Skepsis nicht mehr auf, das Erlebnis jener Nacht ins Traumland zu verweisen. Oh, ich nenne mir es doch: lebendig gewordener Aberglauben; aber ich kann mich ihm nicht mehr entziehen.171
Lichterscheinungen sind in der mystisch-religiösen Literatur seit dem Mittelalter ein gängiges darstellerisches Mittel zur Kennzeichnung der Gegenwart Gottes. Das Erlebnis des Schreibers deutet also eine unio mystica an, die einen so wirklichen Eindruck bei ihm hinterlässt, dass er das aktive Eingreifen Gottes in die Welt nicht mehr leugnen kann. Sein panentheistisches Weltbild eines Wirkens Gottes in und durch die Natur gerät ins Wanken, indem er die direkte Beziehung zwischen Gott und Welt mit eigenen Augen sieht. Die Hybris, der Sage von der Totenchristnacht auf den Grund gehen zu wollen, beendet den von Gott vorgesehen Weg des Menschen, den Leutelt bereits an einer früheren Stelle als allmähliche Initiation in die Geheimnisse des Lebens schildert: Erst viel später ging mir der Sinn für die Wahrheit auf, daß die Natur den Menschen für das Altern immer freigiebiger tröstet und ihm von Stufe zu Stufe näher kommt, wie einem der heimzuholen ist und dem sie etwas entgegengeht.172
Diese Vorstellung, der entgegenkommenden Wahrheit, wiederholt sich in den ersten Gesprächen mit dem Dechanten. Der Schreiber zeigt sich für den Geistlichen eingenommen, da er nicht glaubt, »daß die Religion den Menschen zu Gott emporhebe, vielmehr lasse sich Gott zu jenem herab«.173 Im oben angeführten Zitat sind Alterungs- und Erkenntnisprozess mit einander verkoppelt. Den Zeitpunkt der Erkenntnis präzisiert Leutelt, indem er auf die Fylgien verweist, die Schutzgeister der nordischen Mythologie, die den Menschen von Geburt an beschützen, sich ihm aber erst offenbaren, wenn sie ihn bei seinem Tod verlassen.174 Die Erkenntnis Gottes und damit der Natur, der Welt und der eigenen Bestimmung des Menschen verläuft an der Grenze zwischen Leben und Tod. Diese Grenze überschreitet der Schreiber in der Totenchristnacht. Während der Tod Erlebnis und Erkenntnis Gottes der rationalen Beurteilung entzieht, ist der Schreiber gezwungen für die restliche Zeit seines Lebens dieses Erlebnis, das nicht zu verarbeiten ist, zu bewältigen. Sein »Geist [ist] dadurch in Fesseln geschlagen«.175 Zudem wird der Schreiber von seiner Aufgabe als Künder des Todes nicht befreit. Noch bevor er seine Aufzeichnungen über das Gotteserlebnis vernichten kann, stirbt er. Deswegen gelangen die Papiere in die Hände des Dechanten, der »aus ihnen sein nahes Ende […] erfährt«. Der abschließende Erzählerkommentar 171 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht, S. 100. 172 | Ebd., S. 85. 173 | Ebd., S. 90. 174 | Vgl. ebd., S. 92. 175 | Ebd., S. 100.
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festigt die religiös-christliche Deutung des Geschehens: »Inexplicabiles sunt viae Domini«.176 Aschenbrenner rückte Leutelts Werk in die Nähe der Phantastik und der dämonischen Literatur. Aus der Fülle phantastischer Autoren greift er Meyrink und Kubin heraus, und liegt damit richtig. Schon der Golem (1915) war von Gustav Meyrink als okkulter Initiationsroman konzipiert, was sich jedoch erst nach eingehender Interpretation erschließt. Deutlicher tritt diese Vermittlungsabsicht in den beiden späten Romanen Der weiße Dominikaner (1921) und Der Engel vom westlichen Fenster (1927) hervor, die bereits von zeitgenössischen Kritikern wegen der allzu offensichtlich vorgetragenen Haltung okkultistischer Didaktik angegriffen wurden.177 Auch Kubin verstand seinen einzigen Roman Die andere Seite (1909) als Lehrbuch, um interessierte Adepten in die Geheimnisse des Okkultismus einzuweihen.178 Als Initiationsroman ist Das zweite Gesicht mit den »literaturgeschichtsnotorischen«179 Autoren der Phantastik vergleichbar. Er verfolgt aber nicht dasselbe Ziel, denn im Gegensatz zu Kubin und Meyrink steht Leutelt nicht auf der Seite des traditionellen oder konservativen Okkultismus.180 Das einzige ›okkultistische‹ Element in Leutelts Roman ist das titelgebende Phänomen des zweiten Gesichtes, das auch in der modernen parapsychologischen Forschung noch unter dieser Bezeichnung geführt wird.181 Es war aber bereits um die Jahrhundertwende gut dokumentiert. Die zeitgenössische Forschung verortete das Auftreten des Phänomens in den geographischen Raum um die Nordsee (Skandinavien, Schottland, Irland), für Deutschland werden hellseherische Prophezeiungen überwiegend in Schleswig-Holstein und Westfalen erwähnt.182 Vergleichbare Studien zu Österreich bzw. Böhmen und Mähren liegen nicht vor. Die Einschränkung der Fähigkeit auf emotional nahestehende Personen, die Leutelt seinem Roman zugrunde legt, wird nirgends beschrieben. Lediglich für Schott176 | Beide Zitate ebd. 177 | Vgl. Mohammad Qasim: Gustav Meyrink. Stuttgart Heinz 1981, S. 19-25. 178 | »Endlich das reichhaltigste und dabei am mühelosesten zu lesende Buch über diese Dinge bliebt noch immer die ›andere Seite‹«. Fritz von Herzmanovsky-Orlando: Der Briefwechsel mit Alfred Kubin 1903-1952. Hg. und kommentiert von Michael Klein. Salzburg Residenz 1983, S. 46. 179 | Jens Malte Fischer: Deutschsprachige Phantastik zwischen Décadence und Faschismus. In: Phaicon 3 (1978), S. 93. 180 | Zur Unterscheidung zwischen konservativem und wissenschaftlichem Okkultismus vgl. Jörg Krappmann: Drei kritische Thesen zur Terminologie und Praxis der Phantastikforschung. In: ders. (Hg.): Phantastik – Okkultismus – (Neo-)Mystik. Olomouc Universitätsverlag 2004, S. 51-62. 181 | Vgl. Werner F. Bonin: Lexikon der Parapsychologie. München Orbis 1988, S. 550f. 182 | Vgl. u.a. Georg Conrad Horst: Deuteroskopie. Frankfurt a.M. Wilmans 1830, Carl du Prel: Das zweite Gesicht. Breslau Schottlaender 1882 und Ferdinand zur Bonsen: Das zweite Gesicht. Köln Bachem 1908.
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land führt Meyers Konversationslexikon die allgemeinere Fähigkeit an, den Tod von Verwandten und Bekannten vorhersagen zu können.183 Die Gabe des zweiten Gesichtes war also vor allem in nördlichen Regionen Europas fest im Volksglauben verwurzelt. Die Einbindung in die kulturell-ethnologischen Zusammenhänge des Volkes erfolgte aus (para-)religiösen und mythischen Motiven. Erst in Folge der spiritistischen Wende Ende des 19. Jahrhunderts184 wurde das zweite Gesicht für die einsetzende okkultistische und parapsychologische Forschung als Phänomen der außersinnlichen Wahrnehmung interessant. Innerhalb dieser Forschung wurde es, ähnlich wie die Psychometrie und die Kryptästhesie, zu einer Sonderform des übergeordneten Begriffs »Hellsehen«.185 Bei Leutelt ist die Übernahme aus dem Volksglauben wahrscheinlicher, aus dem er ja auch die Sage der Totenchristnacht bezieht. Aschenbrenners Vergleich ist von der Perspektive der 1980er Jahre bestimmt, als sich die phantastische Literatur bereits in Grenzen innerhalb der Germanistik etabliert hatte. Cersowsky spricht wenig später bekanntlich von einer Boomphase der phantastischen Literatur.186 Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Romans hatte die phantastische Literatur zwar ebenfalls gerade Konjunktur, sah sich aber einer Mauer entschiedener Ablehnung gegenüber. Niteen Gupte listet eine Reihe von Broschüren,187 die sich gegen eine weitere Verbreitung der sog. Schund- und Schmutzliteratur richteten. Vor allem die Lehrerverbände und die Volksbildungsvereine liefen Sturm gegen die »vergiftete Geistesnahrung«,188 und eine Schrift der Zentralstelle des katholischen Volksbundes für Österreich fragt: Welche gesetzliche Handhaben besitzen wir zur Bekämpfung von Schmutz und Schund in Wort und Bild? Unter diesen Vorzeichen ist es schwer vorstellbar, dass sich Leutelt, der 1911 noch im regulären Lehrdienst beschäftigt war, sich einer derartigen Kampagne ausgesetzt hätte. Leutelt interessiert sich demnach in seinem Roman nicht für die okkultistischen oder parapsychologischen Konnotationen des zweiten Gesichts. Die besondere Gabe ist nur vordergründig ein inhaltsbezogenes Motiv, das die narrative Struktur des Textes vorantreibt. Eigentlich dient das Motiv Leutelt aber dazu, seinen Protagonisten näher zu charakterisieren. Es hebt ihn aus dem Kreis der normalen Menschen heraus und macht ihn aufnahmefähig für die besonderen Reize 183 | Vgl. das Stichwort in Meyers Konversations-Lexikon 5. Auflage Leipzig/Wien 1897. 184 | Vgl. Marianne Wünsch: Die fantastische Literatur der frühen Moderne. München Fink 1991, S. 84-86. 185 | Zur Wissenschaftsgeschichte vgl. August Messer: Wissenschaftlicher Okkultismus. Leipzig Quelle&Meyer 1927, S. 34-58. 186 | Vgl. Peter Cersowsky: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. München Fink 19892, S. 11. 187 | Niteen Gupte: Deutschsprachige Phantastik 1900-1930. Essen Die Blaue Eule 1991, S. 252-257. 188 | Ebd., S. 252.
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des Lebens. Der Begründer der Odlehre, der böhmische Freiherr Carl Ludwig von Reichenbach, erfand für die Gruppe besonders empfindlicher Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts den Terminus »Sensitive«.189 Durch seine Sensitivität gegenüber seinen Visionen ist der Schreiber prädestiniert, die vielschichtigen Verbindungen zwischen Gott, Natur und Mensch zu entdecken. Mehrfach bekennt der Schreiber, wie er nach seinen Visionen, die fast durchgehend als Anfälle einer Krankheit beschrieben werden, erst durch die Kraft der Natur wieder ins Leben zurückversetzt wird und wie sich ihm in dieser meditativen Zwischenstellung die Geheimnisse der Natur offenbaren. Am Schluss seiner psychophysischen Programmschrift Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen gliedert Gustav Theodor Fechner »noch einige gelegentliche Gedanken« ein. Er schildert darin, wie sich ihm nach überstandener schwerer Krankheit die Natur in einer völlig neuen Sichtweise präsentierte: Das schien mir ein Anblick schön über das Menschliche hinaus, jede Blume leuchtete mir entgegen in eigentümlicher Klarheit, als wenn sie ins äußre Licht etwas von eigenem Lichte werfe. Der ganze Garten schien mir selber wie verklärt, als wenn nicht ich, sondern die Natur neu entstanden wäre; […] Das Bild des Gartens begleitete mich ins dämmrige Zimmer zurück; aber es ward im Dämmerlicht nur heller und schöner, und ich glaubte auf einmal ein inneres Licht als Quell der äußeren Klarheit an den Blumen zu sehen, und Farben darin sich geistig auswirken zu sehen, die nur durchschienen in das Äußere. Damals zweifelte ich nicht, daß ich das Seelenleuchten der Blumen sähe, und dachte in wunderlich verzückter Stimmung: so sieht es in dem Garten aus, der hinter den Brettern dieser Welt liegt, und alle Erde und aller Leib der Erde ist nur der abschließende Zaun um diesen Garten für die noch Draußenstehenden.190
Bei Fechner wie beim Schreiber Leutelts steht ein Erweckungserlebnis am Anfang tieferer Natur- und Welterkenntnis. Wie Fechner das »Seelenleuchten der Blumen« in Verzückung versetzt, so überwindet der Schreiber seine Krankheit, indem er den »seelische[n] Hauch des Alls« empfinden lernt.191 Auch Fechner erweiterte später sein ursprüngliches Erlebnis zu einer Philosophie der Allbeseeltheit, in der er nach einer Reihe von Analogieschlüssen schließlich auch dem Weltall, das von einem Weltgeist bestimmt wird, eine Weltseele zuspricht.192 Grundlage dieses »pantheistischen Panpsychismus«193 sind die »Empfindungen des Leuchtens, Tö189 | Vgl. Karl von Reichenbach: Der sensitive Mensch und seine Beziehung zum Ode. Stuttgart Cotta 1855 190 | Gustav Theodor Fechner: Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen. Leipzig Voß 1848, S. 391f. 191 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht, S. 82. 192 | Vgl. Monika Fick: Sinnenwelt und Weltseele. Tübingen Niemeyer 1993, S. 39-41. 193 | Hans Werner Ingensiepp: Geschichte der Pflanzenseele. Stuttgart Kröner 2001, S. 405.
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nens, Duftens« in der Natur.194 Eindringlich bestimmen diese drei Empfindungen die Naturerlebnisse des Schreibers, insbesondere ist es der Gebirgswald, der auf mehreren Seiten als Seelenverwandter inszeniert wird: Schon, wie die Ferne dumpf aufbraust, fühlt man, daß etwas Gewaltiges einherkommt, vor dem die Wipfel in der Runde erschauern, und dann schwillt die Tonflut heran, mächtiges Dröhnen stürzt sich in die Baumkronen über dir und ist im Nu wieder enteilt. […] Und wie wandelbar ist das Bild. Von den feinen Sonnengoldschleiern, die über die Wälder fliegen, bis zu dem Blauduft und dessen Abstufungen auf hintereinander liegenden Kämmen, den Dünsten der Nebel und jenen zitternden Schleiern des Herbstes, die wie der Glanz von Opalen über den Bergen liegen: welcher Reichtum an Tönungen. 195
Im leuchtenden Tönen des Waldes in Gewitter und Nachgewitter geht der Duft fast unter, der jedoch in vielen Gartenszenen präsent ist. Und bereits am Beginn des Romans befreit sich der junge Kaplan von den Lebensbekenntnissen des Schreibers durch den Duft einer Mondnacht: Der Jasmin wächst nicht im Pfarrgarten, sondern drüben beim Krämer; aber sein berauschender Duft ist doch über der ganzen engen Gasse und der junge Geistliche zieht ihn mit der warmen Sommerluft wie eine Erquickung ein. […] Wieder der Jasmin! Ein tiefer Atemzug, dann streicht die Hand über die Augen und die sehen mit einemmal das helle Mondlicht und die breiten Schatten draußen und schließen sich schnell für einen Augenblick. Wie das duftet …! Es ist in den Tagen ein gar herzbeklemmend schwüler Blumengeruch im Pfarrgebäude gewesen, aber der kam von welkenden Blumen, die man dem Toten geopfert hatte. Hier aber ist lebender Duft […].196
Die Ähnlichkeit von Leutelts im zweiten Gesicht vorgetragener Weltanschauung und der Naturphilosophie Fechners ist augenfällig. Dazu zählt auch die langsame Initiation des Schreibers in die Natur, deren Erfolg sich erst im Tode abzeichnet. Für Fechner kommt es auf den allmählichen Prozess an, »überall die leibliche Organisation zu sehen, die der Sitz eines einheitlichen Bewußtseins ist«. Dadurch ist es möglich, »die Fremdheit der Welt zu überwinden«,197 indem die Seele nach dem Ende der physischen Existenz zu einem Teil der universalen Allseele wird.
194 | Gustav Theodor Fechner: Die Tagesansicht gegenüber der Nachtansicht. Leipzig Breitkopf & Härtel 1879, S. 230. 195 | Gustav Leutelt: Das zweite Gesicht, S. 84. 196 | Ebd., S. 14. 197 | Beide Zitate bei Monika Fick: Sinnenwelt und Weltseele, S. 43.
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Fechners Philosophie blieb zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nahezu bedeutungslos. Erst durch die Weiterentwicklung der biologischen Kenntnisse, speziell in der Botanik und der Physiologie wurde sein Werk wiederentdeckt. In Monika Ficks Buch Sinnenwelt und Weltseele ist die Rezeption Fechners um die Jahrhundertwende in Philosophie, Naturwissenschaft und Literatur nachgezeichnet. Sie konzentriert sich besonders auf die Verbindung seiner Philosophie mit dem psychophysischen Monismus von Ernst Haeckel und Wilhelm Bölsche. Bölsche widmete Fechner auch in seiner Essaysammlung Hinter der Weltstadt einen großen und erstaunlich fundierten Essay.198 Übrigens in der gleichen Sammlung, in der auch Marie von Ebner-Eschenbach ihre Würdigung durch Bölsche empfing. Der gesamte Friedrichshagener Dichterkreis war von Fechner eingenommen, aber auch die Prager deutschen Literaten Rilke und Kafka lasen seine Betrachtungen über die Pflanzenseele. Franz Kafka bezog aus Fechner einen Teil seiner Naturverbundenheit, die Max Brod nicht müde wurde zu betonen. Uwe Spörl wies auf eine prinzipielle Ähnlichkeit zwischen Fechners panpsychischen Vorstellungen und den Entgrenzungsphänomenen hin, die um 1900 die gesamte neomystische Literatur bestimmten, die Österreicher Altenberg, Musil und Hofmannsthal, ebenso wie Gerhart Hauptmann und Heinrich Mann. Die Literatur in der Provinz wurde dagegen kaum einmal unter dieser Perspektive untersucht, obwohl auch Hermann Bahr, eben zu der Zeit als er die Provinz neu entdecken wollte, von den monistischen Spielarten des Panpsychismus begeistert war.199 Dabei ist die Rezeption Fechners durch die Lehrerschaft in der Habsburger Monarchie durchaus nicht unwahrscheinlich. Im Zuge einer eigenständigen Entwicklung der Philosophie in Österreich, die sich bis zur Jahrhundertwende eher an Leibniz und seinen Nachfolgern als an Kant orientierte, blieb Herbart die geistige und pädagogische Autorität an österreichischen Bildungseinrichtungen. Auch die Hochschul- und Lehrerausbildung in den böhmischen Ländern machte davon keine Ausnahme.200 Von Herbart als Unterrichtsgegenstand zu einer Lektüre der Werke Fechners war der Weg für einen an Weiterbildung interessierten Lehrer um 1900 kürzer als heute. Während in den gegenwärtigen Überblicksdarstellungen der Philosophie die Gemeinsamkeiten zwischen Herbart und Fechner eher bestritten werden, sah die Philosophiegeschichte zur Zeit der frühen Moderne Fechner noch in der direkten Nachfolge Herbarts. In der Einleitung in die Philosophie von Wilhelm Jerusalem, die 1899 erstmals und 1913 bereits in sechster Auflage in Wien erschien, wird Herbart als der erste präsentiert, der mit naturwissenschaftlichen Methoden (in diesem Falle der Mathematik) das Seelenleben untersuchte. Sein 198 | Wilhelm Bölsche: Fechner. In: ders.: Hinter der Weltstadt. Jena Diederichs 1904, S. 259-347. 199 | Vgl. Hermann Bahr: Emerson. In: ders.: Renaissance. Neue Studien zur Kritik der Moderne. Berlin Fischer 1897, S. 167-171. 200 | Vgl. Helmut Dahm/Assen Ignatow (Hg.): Geschichte der philosophischen Tradition Osteuropas. Darmstadt WBG 1996, S. 400f.
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Schüler Hermann Lotze und Fechner hätten diesen Weg weiterbeschritten und versucht, die »physiologischen Begleiterscheinungen« aufzuzeigen und experimentell nachzuweisen.201 Vermutlich würde ein Vergleich der Naturphilosophie und Ästhetik Fechners mit anderen Autoren aus der Provinz, denen man bisher den Umgang mit Theoremen aus dem unerschöpflichen Reservoir der Moderne kaum zutraute, auch zu neuen Interpretationsansätzen führen. Für Leutelts Roman Das zweite Gesicht ist der Befund jedenfalls eindeutig. Damit müssen alte, liebgewonnene Kategorisierungen nicht über den Haufen geworfen werden. Auch im zweiten Gesicht zeigt sich Leutelt als der Dichter des Waldes seiner Heimatregion. Gezeigt werden kann aber, dass zusätzlich zu der engen Natur- und Heimatverbundenheit Leutelts auch tieferliegende Gründe für seine Konzentration auf den Gebirgswald des Isergebirges existierten, die womöglich sogar dafür verantwortlich sind, dass seine Dichtung aus dem Mainstream heimattümelnder Literatur herausragt(e). Wegen seiner Nähe zur Naturphilosophie Fechners ist Leutelts Roman nicht weniger religiös geprägt als die anderen Texte in diesem Kapitel. Im Verständnis der Zeit gipfelte Fechners Allbeseeltheitslehre »in dem Glauben an Gott als persönlichen Geist, dessen Leib das Universum ist«.202 Die Verbindung zwischen naturwissenschaftlichen und metaphysischen Gedankengängen macht Fechner zu einem verfrühten, aber typischen Vertreter der Glaubens- und Sinnsuche der Jahrhundertwende. In seinem pantheistischen Konzept vermeidet er die Nomenklatur der christlichen Kirchen. Das unterscheidet ihn vom Altkatholiken Franz Mach oder dem freidenkerisch-individualistischen Christen Otto von Leixner. Gemeinsam mit ihnen sucht er aber nach einem Weg, auf dem sich die Religion gegenüber den modernen Naturwissenschaften behaupten kann. Leutelts Protagonist versteht seine Anfälle lange Zeit als Nervenschwäche und wird dadurch als Mensch der Moderne erkennbar. Kaum eine Entdeckung der Naturwissenschaften befeuerte die Literatur der Moderne so stark wie die neuen Erkenntnisse über den Einfluss der Nerven auf die geistige und körperliche Disposition des Menschen.203 Als Begriffsbestimmung der neuen Literatur der Décadence feiert Hermann Bahr die »Romantik der Nerven«.204 Gleichzeitig witzelt er aber, dass sich bald »jeder Kritiker einen Lebemann als Sachverständigen
201 | Wilhelm Jerusalem: Einleitung in die Philosophie. Wien Braumüller 1913 6, S. 29. 202 | Ebd., S. 176. 203 | Vgl. Wolfgang U. Eckart: Nervös in den Untergang. Zu einem medizinisch-kulturellen Diskurs um 1900. In: Zeitschrift für Ideengeschichte III/1 (2009), S. 64-79; Bergengruen/ Müller-Wille/Pross (Hg.): Neurasthenie. Freiburg Rombach 2010. 204 | Hermann Bahr: Die Décadence: In: ders.: Studien zur Kritik der Moderne. Frankfurt a.M. Rütten & Loening 1894, S. 26-32. Zitiert nach Gotthart Wunberg (Hg.): Die Wiener Moderne. Stuttgart Reclam 1981, S. 226.
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der Nervosität zur Seite halten« müsse,205 um sich in der Literatur der Moderne noch zurechtzufinden. Für Ottokar Stauf von der March ist diese Literatur nichts anders als krank, denn das »süße Spiel der Nerven lähmt die Willenskraft, die Stimmungen erdrücken die Empfindung – kurz das Gangliensystem prävaliert immer und überall«.206 Krank ist auch der Schreiber und er besitzt sowohl die »seidenen Nerven« als auch die »Empfänglichkeit für duftige Farben und farbige Düfte«,207 die Stauf als Wesensmerkmale des Dekadenten ausmacht. Im Gegensatz zu Felix Dörmann oder Leopold von Andrian, die meist von den Kritikern als Paradebeispiele dekadenter Literatur angeführt werden, ergibt sich der Schreiber aber nicht dem larmoyanten Leiden an der Welt. Er begreift seine Nervenschwäche als Mangel. Sein Leben ist ein einziger Kampf gegen diese Krankheit und gegen die Stimmungen, die sie hervorruft. Ganz im Sinne Staufs sucht er den Weg in die Natur, um die Stimmungen, die ihn anfallen, durch ›echte‹ Empfindungen zu überwältigen. Der kräftigende Gang in die Natur verbindet Leutelts Roman mit der konservativ-völkischen Antinomievorstellung von Gesundheit und Krankheit, die bei Stauf von der March, aber auch bei Johann Peter das Bild der Moderne bestimmen. Anders als die schlichte Gleichsetzung von Natur und Gott bei den Bauern des Böhmerwaldes, die Peters Sittenbilder in die Nähe der Folklore rücken, ist Leutelts Auswegmodell an die Naturphilosophie Fechners gekoppelt, und zeigt die Hauptfigur auf einer höheren Abstraktionsebene. Leutelt lehnt die Sensitivität der ›Nerven‹ nicht einfach als Degenerationserscheinung ab, sondern versieht seinen Protagonisten mit eben den Attributen der Dekadenz, die von Stauf verspottet werden. Der Schreiber entspricht nicht der Idealisierung des Naturburschen, die Peter betreibt. Er unterliegt den Zeiterscheinungen der Moderne und findet erst durch einen komplexen Initiationsprozess den Weg zur Natur und durch das pantheistische Verständnis der Allbeseeltheit auch zu Gott. Deswegen ist es bedeutsam, dass die katholische Kirche im Roman ihre Stellung für das religiöse Empfinden der ›normalen‹ Menschen behält. Obwohl Leutelt ein metakirchliches Glaubenskonzept vorstellt, werden die Vertreter der traditionellen Kirchenreligion, der väterliche Kanonikus, der Dechant und der junge Kaplan nicht angefeindet. Der Kanonikus und der Dechant sorgen sogar, jeder auf seine Weise, dafür, dass sich die neue religiöse Überzeugung des Schreibers überhaupt entfalten kann. In der Figur des Kanonikus zeigt sich aber auch die negative Seite der Amtskirche. Um sein Erbe, das zu großen Teilen auf das Vermögen des Vaters des Protagonisten zurückgeht, nicht an die Kirche fallen zu lassen, muss er sich einen eigenen Advokaten nehmen. Erst dadurch gelingt es ihm, dem Druck 205 | Hermann Bahr: »Wahrheit, Wahrheit«. Zitiert nach: Ruprecht/Bänsch (Hg.): Literarische Manifeste der Jahrhundertwende, S. 169. 206 | Ottokar Stauf von der March: Litterarische Studien und Schattenrisse. Dresden Pierson 1903, S. 15. Erstveröffentlichung in: Die Gesellschaft. Jg. 10 (April 1894), S. 526-533. 207 | Ebd.
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des Domkapitels zu widerstehen, das das Vermögen für eigene Interessen einziehen will. Somit geht auch die kirchenkritische Stimmung der Zeit, wie sie sich in Vacanos polemischer Schrift äußert, an Leutelt nicht spurlos vorüber. Kritik an der katholischen Kirche, ihren Repräsentanten und der Scheinfrömmigkeit der Bevölkerung ist innerhalb der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung fest mit dem Namen Ludwig Anzengruber verbunden. In diesem Kapitel sollte diese feste Bindung in zweierlei Weise gelockert werden. Anzengrubers Pfarrer von Kirchfeld (1870) war sicher ein wichtiger Baustein für eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen religiöser und gesellschaftlicher Identität am Vorabend der Moderne. Die Gottesmörder von Vacano, die im gleichen Jahr erschienen, untergraben aber bereits den Nimbus der herausragenden Einzelerscheinung, der Anzengruber, gestützt auf autobiographische Aussagen, zugesprochen wird. In ihrer Radikalität übertreffen einige Forderungen und Einschätzungen Vacanos gar die Irritationen, die Anzengruber, aber auch andere gläubige Katholiken durch die Beschlüsse des ersten vatikanischen Konzils durchlebten. Vacano wie die anderen Beispiele aus dem religiösen Leben Böhmens und Mährens, sind also zum einen Zusätze zu dem bereits bekannten Abspaltungen und Reformationsbestrebungen der frühen Moderne. Sie korrigieren und ergänzen das bisherige Bild. Zum anderen belegen die literarischen Zeugnisse die Virulenz, mit welcher das Thema in der regionalen Literatur Böhmens und Mährens aufgegriffen wurde. Die wenigen Texte, die in diesem Kapitel eingehender vorgestellt werden konnten, sind nur die Stellvertreter für eine breite religiöse Literatur in der Provinz, die den Übergangscharakter der Epoche ebenso in sich trägt wie die Literatur des germanistischen Kanons. Sie wurden ausgewählt, um einseitige Vorstellungen von Heimat- und Provinzliteratur aufzuweichen. Und auch hier gilt: es sind nur Bruchstücke einer demolierten Literatur.
Redundanz oder Relevanz? – Eine Frage statt eines Schlusswortes
»Allerhand Übergänge« – im Titel ist der Gestus der Arbeit mit eingeschlossen. Einschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen, Vorläufiges und Bruchstückhaftes prägen diese Arbeit so nachdrücklich, dass ein Schlusswort in Form eines resümierenden Überblicks eigentlich ein Stilbruch ist. Ein ergebnisorientierter Überblick wäre sogar ein Stilbruch in doppelter Weise, denn der größte Teil der Arbeit besteht aus Einzelinterpretationen ausgewählter Texte der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur. Als Gerüst dienen die drei großen Fragenkomplexe, mit deren unterschiedlichen Beantwortungen sich die Menschen der frühen Moderne konfrontiert sahen, die soziale, die nationale und die religiöse Frage. Das Gerüst war zugleich das Auswahlkriterium für das Textkorpus, denn aus dem Fundus der regionalen Literatur wurden nur diejenigen Texte aufgenommen, die sich mit einer dieser Fragen oder mehreren beschäftigten. Innerhalb der Textanalysen aber spielte ihre Stellung zu diesen Fragen nicht mehr die alleinige, manchmal sogar nicht die entscheidende Rolle. Da viele der Texte außerhalb ihrer Entstehungszeit von der Forschung kaum oder gar nicht wahrgenommen wurden, sollte die Chance nicht verpasst werden, sie in ihrer Ganzheit vorzustellen. Neben der pragmatischen Richtlinie steht hinter dieser Vorgehensweise auch ein Verständnis des Textes als literarisches Kunstwerk, als ästhetisches Phänomen, das als geschlossenes Ganzes mehr literarische Wirkung entfaltet als die Summe seiner Teile. Wer daraus Ingarden hören will, dem antworte ich Strelka. Joseph Peter Strelka greift in seiner literarischen Textanalyse das Modell Roman Ingardens auf, versieht es aber, geschult an Rene Wellek und verfeinert durch Leo Spitzer, mit einer gehörigen Portion praktischen Verständnisses für den Umgang mit Texten.1 Deswegen steht er literaturtheoretischen Systemen skeptisch gegenüber, ohne sie zu verwerfen. Er beschreibt die Problematik außerliterarische Wissenschaften (u.a. die Soziologie oder die Psychologie) in die Textanalyse einzubeziehen, empfiehlt aber, es zu tun. Letzten Endes ist es für ihn der Text, er würde 1 | Die kürzeste Zusammenfassung dieser Methode findet sich in: Joseph P. Strelka: Einführung in die literarische Textanalyse. Tübingen Francke 1989.
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wohl sagen die Dichtung, die ihre adäquate Methode selbst einfordert. Daran habe ich versucht mich zu orientieren, und es entstanden daraus Textausschreibungen, die in recht unterschiedlicher Weise biographische, literatursoziologische, historische, intertextuelle und interkulturelle Elemente in die rein sprachliche Texterklärung einfließen lassen. Freilich wären auch andere im weiteren Sinne hermeneutische Textbeschreibungsmodelle anwendbar gewesen oder eben im weitesten Sinne philologische. Denn genau darum geht es bei diesem Ansatz einer interkulturellen regionalen Literaturwissenschaft. Die eingehenden Analysen der Texte dienen als Korrektiv gegen die Verlockungen, die cultural und spatial turn bereitstellen. Wie auch immer in Theorie und Methodologie ihr Verhältnis zueinander ist, bilden sie doch gemeinsam einen Paradigmenwechsel in der Literaturwissenschaft, der als starkes Stimulans wirkt. »Alles kommt jetzt zur Sprache, was ignoriert oder verschwiegen war, ganze Traditionsstränge laufen nun mit einem Mal zu einem großen Knoten zusammen. Ganze Bibliotheken fallen einem entgegen. Was einmal in einem luftleeren Raum und ortlos war, bekommt plötzlich einen Ort, einen Kontext, in dem es sich mit anderen verbindet und potenziert.«2 Um diesen Enthusiasmus, der einen zweifelsohne befällt, wenn man vergessene Texte und Autoren wieder ins Zentrum des Interesses gerückt sieht, etwas zu bremsen, sind Regulative wie philologische Textarbeit und positivistische Kontextualisierung (im Sinne Krolops) hilfreich und notwendig. Die Methode stellte sich als zeitaufwendig heraus, da auch Motiven und Hintergründen nachgegangen werden musste, die nicht im eigentlichen Zentrum der Argumentation standen. Das Textkorpus verkleinerte sich darob im Laufe des Schreibens immer weiter. War ursprünglich daran gedacht, durch eine Darstellung der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur der frühen Moderne einer literaturgeschichtlichen Gesamtdarstellung dieser Region sicheres Gelände zu erschließen, so wurde dieses Vorhaben auf Grund des reichhaltigen Materials und der Zugangsweise bald zunichte. Von dem angestrebten Textkorpus konnte nur ca. die Hälfte der Werke eingehender besprochen werden. Die anderen Titel finden sich nun im Literaturverzeichnis unter den zeitgenössischen Quellen. Da kein Raum war, sie einer eigenen Analyse zu unterziehen, wurden sie als kontextuelle Hilfen herangezogen. Sie verbreitern nun wenigstens im Anmerkungsapparat den Fokus der Arbeit, die nun nicht als abgeschlossene Synopse, sondern lediglich als eine Sonde in die regionale Literatur der frühen Moderne zu verstehen ist. Die häufigste Frage, die mir und wohl auch den anderen Mitarbeitern der Arbeitsstelle auf Konferenzen und bei anderen Gelegenheiten gestellt wird, ist die nach dem Stellenwert und der Kohärenz der deutschmährischen Literatur. Die Antwort sei hier nochmals wiederholt. Die Abgrenzung des Begriffes ›deutschmährische Literatur‹ von anderen Literaturen auf dem Gebiet der böhmischen Länder entstammte ausschließlich heuristischen Überlegungen. Wie in den ein2 | Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. München Hanser 2003, S. 62.
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leitenden Kapiteln dargelegt, bestand in den Jahren nach der samtenen Revolution die Möglichkeit und auch der Bedarf, die deutschmährische Literatur gesondert zu erforschen, da sie auch weiterhin der Gefahr zu unterliegen drohte, von der Forschung zur Prager deutschen Literatur überlagert zu werden. Die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur wurde mit dem Ziel gegründet, in besonderer Weise diejenigen Autoren und Texte zu untersuchen, die von der Forschung zur Prager deutschen Literatur aus thematischen, biographischen oder politischen Gründen übergangen wurden. Die Wiedereingliederung von einzelnen Autoren und einzelnen Texten in den Kanon der wissenschaftlichen Öffentlichkeit wurde angestrebt. Ein irgendwie gearteter ontologischer Status der deutschmährischen Literatur als Teilliteratur eines größeren Gebildes wurde nicht behauptet. In den letzten anderthalb Jahrzehnten, in denen diese Forschungsstelle existiert, konnten einige Spezifika der deutschmährischen Literatur herausgearbeitet werden, die aber meist nur lokal oder für einen Teil Mährens oder Schlesiens gelten, fast nie für das gesamte Gebiet. Im Kapitel »Ein Mähren« wurden einige Gründe genannt, die für die Differenzen im kulturellen Leben mährischer Regionen und Städte verantwortlich sind. Hingegen konnten Thesen für eine klare Trennlinie zwischen deutschmährischer und deutschböhmischer Literatur, die vereinzelt vor 1989 in der tschechischen Germanistik formuliert wurden, kaum verifiziert werden. Auch Jiří Veselýs weit verbreitete These, der Nationalitätenkonflikt wäre in Mähren gemäßigter Verlaufen als in Böhmen, muss zumindest dahingehend eingeschränkt werden, dass sich im Zuge der Verhandlungen zum Mährischen Ausgleich (1905) auch Stimmen in Böhmen erhoben, die eine derartige Regelung auch dort für sinnvoll erachteten. Das Drama Zwischen zwei Sprachen von Ferdinand Bernt ist nur ein Beispiel dafür, dass diese Diskussion auch in der deutschböhmischen Literatur ihren Ausdruck fand. Die Revision früherer Ansätze wurde erst durch die Arbeitsstelle in Olmütz ermöglicht. Erstmals wurden Texte der deutschmährischen Literatur nicht nur gesammelt, sondern auch kontinuierlich wissenschaftlich ausgewertet.3 Als besonders ergiebig erwies sich dabei die systematische Auswertung lokaler und regionaler Zeitschriften und Zeitungen. Das Spektrum konnte erheblich erweitert werden. Vergessene oder verschollene Autoren wurden wiederentdeckt, wodurch der regionale ›Binnenkanon‹, der bisher zur Thesenbildung herangezogen wurde, aufgeweicht und ergänzt werden konnte. Neben dem Dreigestirn des mährischen Realismus, Saar – Ebner-Eschenbach – David, und Robert Musil zählten zu diesem ›Binnenkanon‹ Philipp Langmann, Franz Schamann, Karl Hans Strobl oder Gustav Leutelt, um Autoren zu nennen, die Gegenstand dieser Arbeit sind, aber eben nicht Alois Fietz, Josef Trübswasser, Franz Adamus oder Marie Knitschke. In einer seiner letzten Arbeiten beschäftigte sich der leider früh verstorbene Dieter Sudhoff mit der Literatur Westfalens. Der Untertitel seiner Arbeit »Besichti3 | In dem Sinne, in dem diese Arbeit auf dem Sektor der Geschichtswissenschaft seit langem vom Collegium Carolinum betrieben wird.
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gung einer vernachlässigten Kulturlandschaft« ist den Böhmischen Dörfern Jürgen Serkes entlehnt und hätte genauso gut auch als Titel dieser Arbeit getaugt. Sudhoff beschreitet darin einen etwas anderen Weg als diese Arbeit. Anhand der allgemein oder zumindest in relevanten Kontexten bekannten Namen (Heinrich und Julius Hart, Peter Hille, Gustav Sack, Peter Zech, August Stramm oder Friedrich Sieburg) präsentiert er die kulturelle Reichhaltigkeit der Region Westfalen, um schließlich anhand unbekannterer Autoren zu zeigen, wie auch sie der Literatur der Moderne Impulse zu geben verstanden. Trotz des überproportionalen Raumes, überproportional hinsichtlich der literarischen Bedeutung, den Sudhoff diesen Autoren zugesteht, entsteht der Eindruck, es handele sich um poetae minores. Obwohl das in vielen Fällen zutreffen mag, sollte dieser Eindruck hier möglichst vermieden werden. Darum wurden u.a. Richard Schaukal, Rudolf Kassner oder Robert Musil im Vorhinein nicht in das Textkorpus aufgenommen, obwohl z.B. Musils Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß gut in das Konzept der religiösen Literatur Mährens gepasst hätte. Damit ist keine Kritik an der Monographie Sudhoffs verbunden, es handelt sich nur um einen leicht veränderten Zugang. Im Ziel, »einer Revision des bestehenden Vorurteils«, in der Provinz sei nur heimattümelnde Literatur entstanden, die in der frühen Moderne, »den revolutionären Provokationen der kulturellen Metropolen nichts Vergleichbares entgegenzusetzen gehabt habe«, sind die Arbeiten durchaus vergleichbar.4 Auch meine Interpretationen widerstreben dem leichtfertigen Schnellschuss, regionale Literatur a priori mit dem Stempel der Minderwertigkeit zu versehen. Es genügt, so will es mir scheinen und so wollte ich es zeigen, eine geringe Veränderung des Blickwinkels oder der Einstellung, um auch literarische Texte aus der mährischen oder böhmischen Provinz in den Gesamtverlauf der deutschsprachigen Literaturgeschichte zu integrieren. Beide Seiten sowohl die regionale als auch die kanonisierte Höhenkammliteratur würden davon profitieren. Inter- und intrakulturelle Vorarbeiten haben die Voraussetzungen dafür geschaffen. Andererseits gilt es dabei, die sprichwörtliche Kirche im oft buchstäblichen Dorf zu lassen. So vehement ich für die Relevanz der deutschmährischen und deutschböhmischen Literatur für die allgemeine deutsche oder österreichische Literaturgeschichte unter interkulturellen Fragestellungen plädiere, so sehr bin ich mir darüber im klaren, dass keiner der Texte in einem absehbaren Zeitraum in den Kanon der deutschsprachigen Literatur eindringen wird. Was diese Werke erreichen können, sind Korrekturen im Verständnis einer Epoche, einer Gattung, eines Genres oder einer Denkweise. Die hier vorgelegten Ergebnisse etwa zum mährischen Naturalismus sollten in Studien zum österreichischen Naturalismus Eingang finden. Von da aus wäre unter Berücksichtigung des Anteils böhmischer und mährischer Autoren an Zeitschriften wie der Gesellschaft (und ihrer Ableger 4 | Dieter Sudhoff: Die literarische Moderne und Westfalen. Bielefeld Aisthesis 2002, S. 9.
R EDUNDANZ ODER R ELEVANZ ?
und Nachahmer in Österreich) in der Folge denkbar, dass sich die bisher auf einen deutschen Naturalismus ausgerichteten Gesamtdarstellungen nunmehr auf einen mehrperspektivischen deutschsprachigen Naturalismus umorientieren würden. Eine ähnliche korrigierende Wirkung ist auch anderen Ergebnissen dieser Arbeit zuzutrauen, den Besonderheiten der frühen Grenzlandliteratur innerhalb des Gesamtgenres, den Verzahnungen von religiösen, nationalen und naturwissenschaftlich geprägten Theoremen und Motivemen zu individuellen Bewältigungsstrategien im Projekt Moderne, oder dem Einfluss der psychophysischen Naturphilosophie Fechners auf die Naturbeschreibungen der regionalen ›Heimatliteratur‹. Aber Halt! Mit einer weiteren Aufzählung geriete das Schlusswort doch zum Resümee, das gerade vermieden werden sollte. Die besprochenen Texte sind individuelle Stimmen, die sich sehr persönlich mit dem Übergangscharakter der frühen Moderne auseinandersetzen und damit auch selbst Teil dieses Übergangs werden. ›Allerhand Übergänge‹ lautet der Titel dieser Arbeit, und der bewusst unbestimmten Formulierung soll nun nachträglich keine übergeordnete Struktur übergestülpt werden.
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Bibliographie E RL ÄUTERUNG In dieser Arbeit werden mit dem Naturalismus, der sozialen Frage, dem Nationalismus, der Grenzlandliteratur, der religiösen Literatur oder Literatur der anderen Episteme und der Literatur der frühen Frauenbewegung und der Frauenfrage in der Literatur der Moderne sehr unterschiedliche Themenbereiche angesprochen. Dazu erstreckt sich die Arbeit in regionaler Sicht auf Böhmen und Mähren, sowie aus wissenschaftstheoretischen und rezeptionsgeschichtlichen Gründen auch auf die Prager deutsche Literatur. Deswegen war es nicht möglich eine umfassende, nur annäherungsweise vollständige Bibliographie zu allen diesen Themen vorzulegen. Die Bibliographie enthält somit nur Titel, die in der Arbeit tatsächlich zur Unterstützung der Argumentation und Beweisführung verwendet wurden. Unter Quellen 1 ist das eigentliche Korpus der Arbeit zusammengefasst. Die Titel sind nach dem Datum ihrer Erstveröffentlichung gereiht. Die folgende bibliographische Angabe enthält die Ausgabe die von mir verwendet wurde. Unter Quellen II ist die zeitgenössische Forschungsliteratur bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zusammengefasst. Hier finden sich auch die literarischen Texte, die ursprünglich im Korpus waren und nun für vergleichende Analysen herangezogen wurden.
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1900 1901 1902 1903
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Register
Adamus, Franz
172, 174, 198-211, 235, 245, 335, 340, 366 Adler, Paul 57 Adler, Viktor 243, 268 Alberti, Conrad 184, 314, 341 Alt, Rudolf von 56 Altenberg, Peter 181, 229, 266, 329, 347 Altrichter, Anton 87, 195, 341 Ammon, Otto 250, 341 Anderson, Herriet 260, 347 Anzengruber, Ludwig 109, 164f., 167, 237, 332 Aschenbrenner, Viktor 115, 320, 325f., 347 Aspetsberger, Friedrich 198-201, 203, 206, 208, 211, 347 Avenarius, Ferdinand 290
Bab, Julius
50, 341 Bachmann-Medick, Doris 24f., 27, 347 Bahr, Hermann 18, 39, 84, 107, 165f., 168, 178, 210, 222, 234, 264, 267269, 277-279, 314, 329-331, 341, 347 Barner, Wilfried 23, 347 Bartels, Adolf 144f., 171, 233, Bartosz, Julian 90f., 347 Bartsch, Heinrich 91, 347 Bartsch, Rudolf Hans 63 Barz, Christiane 37-39, 43, 197, 347 Bauer, Stefan 74, 347
Baum, Oskar 46f., 64-66, 72, 77, 341, 369 Bebel, August 17, 186 Becher, Peter 52, 63, 76, 83, 87, 99, 105, 155, 269, 348, 354, 358, 360, 362, 366 Becker, Britta 58, 348 Beer, Fritz 74 Beer-Hofmann, Richard 209 Behringer, Wolfgang 273, 348 Bendiener, Oskar 19, 172f., 222, 309, 341 Beneš-Šumavský, Vaclav 106 Bergengruen, Werner 40 Berger, Michael 76, 78, 102f., 105, 114, 117, 138f., 348 Bernstein, Elsa 164f. Bernt, Ferdinand 30, 118, 146, 148f., 161, 335, 340, 359 Beutin, Wolfgang 260, 262, 348 Bhabha, Homi 25 Bierbaum, Otto Julius 84, 176, 222224, 345 Binder, Hartmut 62f., 348 Bismarck, Otto von 20, 88, 128 Black, Max 21, 349 Bleibtreu, Karl 170 Blumenthal, Oskar 109 Bodenreuth, Friedrich s. Jaksch 77, 123 Böhlau, Helene 165
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE
Bölsche, Wilhelm 44, 187f., 190, 200, 310, 312, 314, 329, 341 Bösl, Joachim 123, 138, 367 Bogdal, Klaus-Michael 180f., 184f., 187, 349 Bondy, Fritz 78 Bonsels, Waldemar 67 Born, Jürgen 50, 65, 349 Bourdieu, Pierre 33 Brahm, Otto 176 Brand, Karl 62 Brandes, Georg 164 Breuer, Stefan 38, 202, 207, 349 Brittnacher, Hans Robert 220, 347, 349 Brod, Max 14, 57, 62-65, 75-78, 106f., 110, 265, 329, 343, 349 Bronnen, Arnolt 198f., 203, 206, 208, 211, 347, 349 Bruant, Aristide 223 Brumlik, Micha 129, 349 Bry, Karl Christian 94, 341 Budňák, Jan 18, 147, 152, 154, 233, 244, 349 Bunzel, Wolfgang 163-166, 179f., 183, 186, 268, 349 Butala, Tomáš 217, 227, 349
Carr, Edward H.
88f., 350 Carriere, Moritz 290, 318, 341 Castle, Eduard 15, 51, 138, 165, 168, 174, 341, 344 Černý, Václav 100f., 155, 157f., 160, 350 Cersowsky, Peter 41, 72, 326, 350 Chamberlain, Houston St. 209, 363 Chvatik, Květoslav 69, 81, 350 Comte, August 252 Conrad, Michael Georg 166, 170, 186, 314, 364 Conradi, Hermann 20, 186, 364 Corino, Karl 216, 350 Csaky, Moritz 31, 350
Cysarz, Herbert 34, 51, 70f., 79, 87, 116f., 149f., 159-161, 341, 350, 357
Daňek, Karel 319, 350 Darwin, Charles 192, 195, 200, 250, 268, 278 David, Jakob Julius 17, 20, 110, 165, 174, 230-235, 247-265, 269f., 281, 335, 340f., 343, 348, 352, 354, 359, 371 Dehmel, Richard 173 Deißinger, Hans 159 Deleuze, Gilles 45f., 51 Delle Grazie, Maria 277 Delmot, Joseph 126 Demetz, Hans 78, 350 Demetz, Peter 19, 63, 68, 80, 83f., 153, 157-159, 350, 359 Dieterle, Bernhard 150f., 155 Dietzenschmidt 77 Diwald, Hellmut 137, 351 Donneh, Franz 85 Drabek, Anna M. 103, 351 Dreyer, Max 212 Drlík, Vojen 85, 107, 217, 351 Doerry, Martin 270, 351 Doppler, Bernhard 279f., 351 Droste-Hülshoff, Annette 304, 312 Dubček, Alexander 81 Durst, Uwe 71, 351 D’Elvert, Christian 51 Ebert, Karl Egon
101 Ebner-Eschenbach, Marie von 14, 44, 86, 105, 110, 164f., 175, 179, 187f., 230-241, 246, 252, 254, 261, 264f., 275, 309-314, 329, 335, 341f. 352ff., 358, 361, 369ff. Eco, Umberto 89, 351 Ehrenfels, Christian von 58, 65, 221, 351 Eichert, Franz 279, 305, 308, 341 Einstein, Carl 25
R EGISTER
Eisner, Paul 18, 27, 76, 82, 341 Endler, Alfred 77 Engel, Manfred 63, 150, 351 Ertl, Emil 261, 290 Escher, Georg 45, 69, 351 Esslin, Martin 74, 351
Fabian, Reinard
65, 351 Faehndrich, Jutta 27, 352 Fechner, Gustav Theodor 327-331, 337, 342 Feigl, Ernst 62 Fiala-Fürst, Ingeborg 13, 24, 42ff, 66, 71, 87, 99ff., 105, 107, 126, 130, 169, 230, 232, 234, 269, 348, 352, 354, 358f., 361ff., 366, 369ff. Fick, Monika 43, 327-329, 352 Ficker, Adolph 104 Ficker, Ludwig von 216, 222 Fietz, Alois 118-130, 133f., 138-141, 147, 161, 247, 335, 340 Filek, Egid 195f. Filip, Ota 76, 352 Filip, Zdeněk 110, 307, 352 Finckh, Ludwig 168 Fischer, Emil 48 Fischer, Erika 14, 86, 237f., 342 Fischer, Jens Malte 72, 325, 352 Fischer, Katrin 23, 352 Fischer, Melchior 46 Fischl, Friedrich 247 Flesch-Bruningen, Hans 49 Floeck, Oswald 168f., 171f. 211f, 342 Fochler-Hauke, Gustav 87, 342 Fohrmann, Jürgen 34, 170f., 353 Fontane, Theodor 111, 164 Foucault, Michel 31 Frank, Michael C. 32, 353 Freedman, Ralph 150, 353 Freißler, Ernst Wolfgang 26 Frenschkowski, Marco 41, 353 Frenssen, Gustav 113, 277, 280 Frenzel, Karl 189f.
Freud, Sigmund 249, 267, 363 Freyer, Hans 86 Freytag, Gustav 214, 226, 261 Friedländer, Ernst 290, 319 Frisé, Adolf 216, 363 Fritsch, Karl Wilhelm 20, 118, 130-141, 148, 154, 161f., 264, 340, 362 Fritsche, Herbert 68, 342 Fritz, Horst 220, 353 Frühwald, Wolfgang 23, 353 Fründ, Hugo 275, 342 Fuchs, Rudolf 73f. Fürnberg, Louis 70
Gabriel, Norbert
188, 353 Gall, Lothar 93, 353 Geertz, Clifford 26, 353 Geibel, Emanuel 167, 355 Geißler, Rolf 67f., 71, 353 Gellner, Ernest 106, 353 Gerke, Hans 64 Ginzkey, Franz Karl 63 Göth, Ignaz 87, 194f., 358 Goethe, Johann Wolfgang von 25, 278, 289, 349 Goldammer, Peter 231f., 248, 252f., 255, 354 Goldstücker, Eduard 14, 40, 52f., 73, 75f., 78f., 81f., 350, 354, 359, 364f. Grab, Hermann 65f., 71f., 354f., 370 Graevenitz, Gerhard von 23, 352, 354 Greiner, Leo 78 Grillparzer, Franz 68, 101, 135, 175, 233, 265, 342, 358 Gruner, Ferdinand 197 Guattari, Félix 45f., 51 Günderode, Karoline von 25 Günther, Anton 318 Gupte, Niteen 326, 354
Haas, Rudolf
116 Hadwiger, Viktor 27, 71
375
376
A LLERHAND Ü BERGÄNGE
Hahnl, Hans Heinz 50, 175, 178, 222, 354 Halbe, Max 108, 167, 173, 279 Haenisch, Konrad 190f., 342 Hall, Murray G. 216, 354 Hamerling, Robert 164, 275, 363 Handel-Manzetti, Erika von 19, 279f., 351 Handl, Willi 50, 341 Hanstein, Adalbert von 290f., 342 Hartmann, Moritz 101 Haumann, Wilhelm 58, 354 Hauptmann, Gerhart 43f., 108-110, 167, 173-177, 179, 188-193, 199f., 203, 211, 214, 219, 222, 254, 277, 279, 329, 342, 355, 368, 371 Hauschner, Auguste 64 Haeckel, Ernst 18, 43f., 111, 277, 289, 291, 329 Hall, Stuart 25 Harden, Maximilian 150, 188f. Haug, Walter 23, 352, 354 Havelka, Miloš 153, 157, 354 Heer, Friedrich 55f., 125, 355 Heiligenthal, Roman 284, 355 Helmes, Günther 167, 355 Herbart, Johann Friedrich 58, 214, 329, 363 Herloßsohn, Karl 101 Hermand, Jost 113, 125f., 355 Herrmann-Neiße, Max 77 Herzfelder, Henriette 259, 342 Herzmanovsky-Orlando, Fritz von 44, 325, 355 Herzog, Rudolf 67, 323, 342 Hesemann, Michael 130, 355 Heydemann, Klaus 266, 355 Hiller, Kurt 94, 277, 346 Hirsch, Helene 264 Hlatky, Eduard 275, 344 Hobi, Karl 66, 355 Hoefert, Sigfrid 188, 191, 355
Höhne, Steffen 13, 27, 49f., 52, 63, 69, 83, 101-104, 107, 294, 301, 348, 351, 355f. Hölderlin, Friedrich 11, 35, 37, 361, 371 Hofbauer, Hannes 90f., 347 Hoffmann, Camill 67 Hoffmann, Daniel 11, 356 Hofmann, Michael 25, 356 Hofmannsthal, Hugo von 266f, 279, 329 Hohlbaum, Robert 115f., 118, 142, 162, 342f. Hohmeyer, Andrea 74-76, 80-82, 115f., 118, 154, 169, 330, 352, 356, 360 Hohoff, Curt 106f., 356 Holtei, Karl von 249, 342 Holz, Arno 84, 167, 172f., 183, 194, 212, 228, 342, 345, 347, 355, 368 Horn, Uffo 101 Horňáček, Milan 15, 30, 32, 53, 104, 145, 149, 359, 365, 371 Houben, Heinrich 206, 211, 342 Hroch, Miroslav 148, 356 Hruschka, Ella 233, 342 Huber, Kurt A. 142, 143, 356 Hudcová, Eva 86, 108-110, 272, 306, 356 Hübner, Kurt 19, 58, 356 Hyršlová, Květa 69, 356
Ibsen, Henrik
164, 174, 219 Immermann, Karl 190f. Ingensiepp, Hans Werner 327, 356 Innerhofer, Roland 20, 357
Jäger, Christian
45-52, 69, 105, 110, 357, 364, 368 Jacobsen, Jens Peter 164 Jahraus, Oliver 63, 112, 357 Jaksch, Friedrich 18, 77-80, 116f., 303, 314f., 342f., 350 Janstein, Elisabeth 46, 67, 88 Jellinek, Oskar 72, 189, 359
R EGISTER
Jenny, Rudolf Christoph 187, 343 Jens, Walter 296, 357 Jerusalem, Wilhelm 329f., 343 Jirásek, Alois 281 Johann, Ernst 110, 181, 343, 357 Johnston, William M. 55-58, 89, 129, 267, 285, 355, 357
Kadelburg, Gustav 109 Kafka, Eduard Michael 107 Kafka, Franz 14, 35, 41f., 45f., 51f., 57f., 61-64, 66, 68f., 72f., 82f., 87, 232, 277, 329, 343, 348, 350, 353, 356358, 360, 369, 372 Kant, Immanuel 64, 277f., 286, 288, 291-293, 317, 329, 350 Kapff-Essenther, Franziska 164f. Kaufmann, Reinhild 216-219, 222, 357 Ketelsen, Uwe 111-113, 357 Kisch, Egon Erwin 62, 64, 73f, 78, 364 Kisch, Paul 79 Kittler, Friedrich A. 30 Klaus, Hans 62 Klecanda, Jan 106 Klein, Dieter 108, 358 Kloos, Hans 233, 343 Knápková, Petra 87, 105, 195, 358 Kneisel, Rudolf 109 Knitschke, Marie 18, 110, 272, 306309, 335, 340, 352 Knoll, Leonhard 85 Körner, Josef 36, 171, 232, 247f., 253, 343 Kohlschmidt, Werner 166, 200, 358 Kolbenheyer, Erwin Guido 46, 48f. Koopmann, Helmut 38, 236-240, 358 Korber, Tessy 17, 19, 184, 190, 358 Kornfeld, Paul 57f., 64, 78, 83, 354 Kosch, Wilhelm 142f., 343 Kralik, Richard von 19, 174, 278-280, 294, 298f., 303, 305, 346
Krappmann, Marie 99, 359 Kraus, Karl 166 Krejčí, Karel 82, 189, 359 Kretzer, Max 225f. Křen, Jan 95, 360 Krobb, Florian 231, 255, 359 Krolop, Kurt 32, 40, 50-54, 60f., 65, 69, 75, 81, 83, 107, 153, 159, 170, 334, 351, 359, 370 Krywalski, Dieter 107, 360 Kubin, Alfred 19, 40f., 44, 58, 72, 320, 325, 350, 353, 355 Küng, Hans 296, 357 Kulke, Eduard 309 Kunicki, Wojciech 139, 360 Kuschel, Karl Josef 42, 297f., 360 Kyser, Hans 146
Lachmann, Eduard 35, 360 Lahl, Kristina 99, 360 Lampl, Fritz 77 Langer, Gudrun 154, 360 Langmann, Philipp 168f, 172-177, 179191, 193, 199f., 211, 216, 221f, 225, 227, 264, 266, 270, 314, 335, 340, 364, 365, 371 Lassalle, Ferdinand 243 Léblová, Silvie 107, 217, 266, 360 Lefebvre, Henri 31 Leixner, Otto von 167, 200, 268, 289294, 309, 314-319, 330, 339f., 343 Leppin, Paul 27, 46, 64, 71, 78, 83 Leutelt, Gustav 111, 309, 319-332, 335, 340, 342 Lichnowsky, Mechtilde 49 Lienhard, Friedrich 144, 196, 279 Liliencron, Detlev von 84, 167, 170, 228 Lindenbaum, Robert 116 List, Guido von 125f. Löwenstein, Sascha 150, 361 Loando, Kurt 126, 343, 366 Lohmeyer, Enno 237, 241, 361
377
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A LLERHAND Ü BERGÄNGE
Lohwag, Ernst 20, 290 Lothar, Ernst 78 Lueger, Karl 194, 275 Luft, Robert 49, 103f., 137, 153, 157, 160, 349, 354, 360f. Lukacs, Georg 188, 361
Mach, Franz
288f., 343 Madaras, Eva 194, 361 Maderno, Alfred 51, 168, 170-172, 214, 246f., 343 Magris, Claudio 68f., 361 Mahal, Günther 163, 186, 215, 252, 361 Mahrholz, Werner 168, 343 Maidl, Vaclav 52, 83f., 105, 294, 301, 351, 361f. Mann, Thomas 256 Marcion 57, 129, 285 Mareček, Zdeněk 130, 132, 136, 138, 148, 216, 362 Marquardt, Odo 38 Masaryk, Thomas G. 153, 157 Maschke, Martha 88, 362 Mauthner, Fritz 56f., 64, 114-116, 118, 121, 133, 140, 168, 223, 343, 347, 357, 365 Mecklenburg, Norbert 26, 50, 145, 362 Meinhard, Carl 88 Meissel-Hess, Grete 17 Meißner, Alfred 101, 265 Měšt’an, Antonín 155, 362 Metzner, Ernst Erich 74, 100, 102, 352, 362 Meyer, Theo 152, 362 Meyrink, Gustav 27, 41, 64, 68, 71, 320, 325, 342, 350, 353, 365, 368 Michler, Werner 200, 209, 362f. Miller, Arthur 65 Millöcker, Carl 108 Mimra, Robert 160 Moeller van den Bruck, Arthur 171 Mohler, Armin 113, 129, 269, 276, 363
Mommsen, Wolfgang J. 50, 93, 356, 363 Morgenbrod, Birgitt 50, 363 Motyčka, Lukáš 85, 363 Mühlberger, Josef 46, 48-51, 74, 78, 91, 101f., 115, 117, 121, 139, 141, 146, 165, 168f., 172, 211, 216, 230f., 343, 363 Müller, Hans 78, 264 Müller, Karl 38 Müller-Seidel, Walter 38 Musil, Robert 43f., 76f., 84f., 107, 216f., 222, 227, 232, 263, 329, 335f., 350f., 354, 363 Muth, Karl 19, 278-280, 295, 343f., 346
Nadler, Josef
34, 36, 51, 74, 81, 168, 170, 277, 279f., 344 Nagl, Johann W. 15, 51, 138, 165, 168, 341, 344 Natonek, Hans 71, 83 Naumann, Helmut 150, 157, 363 Nečásek, Antonín 106 Nekula, Marek 50, 52, 63, 69, 83, 107, 294, 301, 348, 351, 359, 361 Nietzsche, Friedrich 18-20, 152, 203205, 251, 269, 271, 277f., 287, 362 Nipperdey, Thomas 95, 363 Novak, Arne 70, 159
Opletalová, Veronika
45, 85, 363f. Ohl, Hubert 337, 364 Ohnet, Georg 109 Ohorn, Anton 111, 115, 117f., 139-144, 161, 301, 340, 344f., 356 Orel, Josef 272 Orlowski, Hubert 114 Ott, Erwin 117 Otto, Rudolf 41, 344
Paudler, Anton 53f., 344 Pauen, Michael 42, 58, 364
R EGISTER
Paulsen, Friedrich 289, 344 Pauly, Wolfgang 309, 364 Pavišová, Pavla 177, 364 Pavličková, Tereza 29, 364 Pazi, Margarita 50, 65, 107, 170, 359, 364 Perutz, Leo 61, 64f., 68 Pestalozzi, Heinrich 248, 253, 361 Peter, Johann 96-98, 118, 294-304, 309, 331, 339f. Pfitzner, Josef 91f., 344 Pick, Otto 74, 344 Pier, Heinrich von 279, 344 Pilz, Johann 28, 346 Pisling, Theodor 121, 344 Pittner, Josef 286 Pleyer, Wilhelm 116f., 139, 360, 367 Poláček, Josef 78, 186, 364 Popper-Lynkeus, Josef 58 Prade, Maria 302-306, 340 Preissner, Rio 155, 157 Prinz, Friedrich 80, 364 Pröll, Karl 96, 344 Puschner, Uwe 19, 127f., 142, 210, 280, 291, 301, 318, 354, 365, 368
Qasim, Mohammad Rádiková, Kristýna
325, 365
260, 365 Reichardt, Johann Friedrich 68 Reichenbach, Karl von 327, 345 Reif, Wolfgang 134, 138, 146, 365 Reimann, Paul 52, 73, 75f., 78, 81, 365 Renan, Ernest 285 Reß, Robert 172f., 345 Rezek, Antonín 157f., 360 Richards, Donald R. 66, 365 Richter, Hans Werner 269 Riedl, Renate 174-177, 181, 189, 365 Rilke, Phia 153 Rilke, Rainer Maria 14f., 42-44, 53f., 61-63, 67, 71, 75f., 78, 83, 101, 117f.,
149-162, 228, 297f., 329, 340, 350f., 353, 359, 361, 363f., 367ff. Rinas, Karsten 99, 104, 106, 145, 320, 365 Ripellino, Angelo Maria 68, 366 Ritter, Alexander 14, 358, 366 Rittner, Rudolf 78, 172f., 345 Rochowanski, Leopold Wolfgang 143, 345 Roeld, Otto 65, 72 Rosegger, Peter 96f., 128, 226, 266, 277, 281, 345, 355 Rosen, Julius 109 Rossbacher, Karlheinz 18, 113, 144, 231, 234-240, 242-244, 246, 366 Rost, Bernhard 142, 345 Rothacker, Gottfried 104, 116f., 139, 162, 365 Rothe, Norbert 186, 366 Rudolph, Andrea 203-205, 366 Ruthner, Clemens 12, 33-41, 71, 353, 366
Saar, Ferdinand von
105, 110, 165, 167, 179, 230-235, 241, 243-247, 254, 264, 279, 289, 315, 335, 339f., 342, 345, 351f. Sahánek, Stanislav 232, 363 Said, Edward W. 25 Saudek, Robert 172, 174, 212-216, 340, 345 Sauer, August 34, 54, 70, 79, 86, 159, 170, 265, 345 Sauer, Hedda 78 Schäfer, Stefan 71, 105, 126, 366 Schaeffer, Albrecht 77 Schamann, Franz 172f., 216-224, 264, 335, 340, 345, 357, 362 Schardt, Michael 61, 64, 67, 76, 82f., 369 Schauer, Hubert G. 153 Schaukal, Richard 78, 217, 222, 264, 270, 336
379
380
A LLERHAND Ü BERGÄNGE
Scheichl, Sigurd Paul 105, 367 Scherer, Wilhelm 170, 200, 252, 362 Scheuer, Helmut 163, 186, 364, 367 Schick, Eugen 85, 172, 181, 216-229, 247, 263-266, 270, 340, 345f., 349 Schlögel, Karl 334, 367 Schmerz, Leopold 275, 345 Schmidt, Adalbert 117, 345 Schmidt, Susanna 42f., 367 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 58, 367 Schmitt, Eugen Heinrich 58 Schnitzler, Arthur 109, 164, 217f., 222, 266f., 363, 366 Schöllgen, Gregor 93, 367 Schönerer, Georg von 19, 88, 127, 142 Schönthan, Franz von 109 Schönwiese, Ernst 65f., 354 Scholtis, August 49 Scholz, Hugo 116f. Scholz, Peter 116, 367 Schrattenthal, Karl 17, 345 Schroubek, Georg G. 58, 367 Schütte, Uwe 52, 368 Schulz, Gerhard 173, 183, 194, 226, 267, 368 Schumann, Andreas 100, 113, 171, 318, 368 Schwarz, Ernst 160 Schwarz, Otfried 202, 345 Schweizer, Gerhard 254, 368 Sealsfield, Charles 14, 265, 311, 358, 366 Seibt, Ferdinand 80, 123, 367f. Serke, Jürgen 50, 61, 64, 76, 80f., 336, 368 Šimůnková, Klára 65, 369 Smetana, Augustin 102 Soffé, Emil 175, 233, 345 Sohnrey, Heinrich 127-129, 345 Soja, Edward W. 31, 368 Solf, Ferdinand Eugen 125f., 345 Sommer, Ernst 72
Sorge, Reinhard 277 Spann, Othmar 58, 276 Spivak, Gayatri 25 Spörk, Ingrid 267, 368 Spörl, Uwe 43f., 46, 220, 287, 329, 368 Sprengel, Peter 107, 165, 174, 176, 234, 246, 368f. Spunda, Franz 40f., 58 Stachel, Peter 59, 368 Staengle, Peter 65f., 354 Stauf von der March, Ottokar 34, 51, 78, 118, 127, 143-145, 148, 159, 161, 166, 168-171, 197, 210, 272, 301, 331, 340, 345 Stavenhagen, Fritz 168 Steiner, Max 65, 94, 170, 277, 346, 359 Stifter, Adalbert 76, 102f., 108, 286, 319, 348 Stoecker, Adolf 207, 211 Storck, Joachim W. 63, 156, 159, 350, 359, 364, 368f. Streim, Gregor 107, 165, 176, 234, 369 Strelka, Joseph P. 42, 233, 267, 333, 369 Strindberg, August 68, 279, 342 Strobl, Karl Hans 12, 18, 20, 26, 40f., 58, 72, 78, 87f., 100, 105, 111, 114f., 118, 130, 132, 136, 138, 195f., 216f., 222, 225, 228, 264, 266, 335, 346, 354, 359, 362 Stromšík, Jiří 158, 369 Sudermann, Hermann 109, 167, 279 Sudhoff, Dieter 17, 50f., 61f., 64, 67, 76, 82f., 335f., 369 Szegeda, Wilhelm 51, 168f., 171f., 192, 346
Taine, Hippolyte 252 Takebayashi, Tazuko 45, 370 Teichmann, Hedwig 46-49, 105, 346 Teuber, Oskar 51
R EGISTER
Thieberger, Friedrich 75 Thurnher, Eugen 280, 370 Thom, Hermann 100 Todorov, Tzvetan 41, 58, 71, 353, 366 Topol’ská, Lucy 59, 66, 85, 163, 215, 370 Torberg, Friedrich 65, 370 Tovote, Heinz 168 Tramer, Hans 75, 370 Troll-Borostyani, Irma von 164 Trübswasser, Josef 17, 88, 172, 174, 192-197, 200, 209, 335, 341 Tschuppik, Karl 53, 346 Tvrdík, Milan 62, 169, 370 Twain, Mark 175
Ungar, Hermann Urzidil, Johannes
46f., 51, 61, 64, 76 64, 83
Vacano, Emil Mario
249, 276, 281289, 295, 299, 302, 312, 332, 339, 371 Václavek, Ludvík 59, 61, 81, 85, 99, 105, 163, 170, 215, 359, 370 Vallazza, Karl 225, 346 Veselá, Gabriela 70, 370 Veselý, Jiří 118f., 161f., 175, 178, 180, 188, 230, 252, 281f., 335, 371 Viebig, Clara 165 Vietta, Silvio 37, 163, 371 Voda Eschgfäller, Sabine 15, 30, 32, 53, 104, 145, 149, 359, 365, 371 Vodrázková, Lenka 169, 370 Vrba, Rudolf 283, 301, 346
Wachler, Ernst
18, 144, 210, 279, 346 Wagner, Adolph 207, 366 Wagner, Hermann 100, 346 Watzlik, Hans 46, 48f., 104f., 115f., 122, 159, 269, 346 Weber, Friedrich Wilhelm 275 Wechsberg, Josef 84, 371 Wechsler, Ernst 266, 290, 346 Weil, Marianne 67, 371
Weilen, Alexander von 221, 346 Weinberg, Manfred 14f., 29, 53, 71, 359, 370f. Weiskopf, Franz Carl 45, 70 Weiß, Ernst 61, 64 Weltsch, Felix 64, 75 Werfel, Franz 40, 57, 61-63, 67, 72, 83, 158-160, 228, 346, 359 Werner, Siegmund 88 Weyland, Uli 284f., 371 Wiedenstried, Holger E. 41, 68, 372 Wiener, Oskar 27f., 70, 346f. Wieser, Joseph von 85 Wieser, Walter G. 118, 371 Wilde, Oscar 279 Winder, Ludwig 13, 46, 51, 64, 65, 76f., 369 Wörtche, Thomas 71, 372 Wojtczak, Maria 114, 372 Wolff, Eugen 17, 341 Wolkan, Rudolf 51, 149, 168f., 171f., 233, 347 Wolzogen, Ernst von 110, 167, 198, 200f., 210 Wostry, Wilhelm 160 Wünsch, Marianne 39, 326, 372 Wunberg, Gotthart 196f., 263f., 268f., 314, 330, 372
Zabel, Eugen
188 Zach, Franz 271, 276-287, 294f., 314, 347 Zech, Paul 77 Zedlitz, Joseph Christian von 275 Želenský, Karel 175 Zeller, Carl 108 Zeman, Herbert 16, 164, 211, 244, 266, 349, 352, 355, 363, 372 Zemmrich, Johannes 141, 347 Zimmermann, Hans-Dieter 63, 65, 107, 170, 350, 359, 364 Zimmermann, Robert 58 Zondergeld, Rein A. 41, 68, 72, 372
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Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft Corinna Albrecht, Andrea Bogner (Hg.) Tischgespräche: Einladung zu einer interkulturellen Wissenschaft Juni 2013, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2206-5
Thomas Ernst, Dieter Heimböckel (Hg.) Verortungen der Interkulturalität Die ›Europäischen Kulturhauptstädte‹ Luxemburg und die Großregion (2007), das Ruhrgebiet (2010) und Istanbul (2010) 2012, 316 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1826-6
Michaela Holdenried, Weertje Willms (Hg.) Die interkulturelle Familie Literatur- und sozialwissenschaftliche Perspektiven 2012, 276 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1880-8
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Zeitschrif t für interkulturelle Germanistik Dieter Heimböckel, Ernest W.B. Hess-Lüttich, Georg Mein, Heinz Sieburg (Hg.)
Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 3. Jahrgang, 2012, Heft 2
2012, 208 Seiten, kart., 12,50 €, ISBN 978-3-8376-2087-0 Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik (ZiG) trägt dem Umstand Rechnung, dass sich in der nationalen und internationalen Germanistik Interkulturalität als eine leitende und innovative Forschungskategorie etabliert hat. Sie greift aktuelle Fragestellungen im Bereich der germanistischen Literatur-, Kultur- und Sprachwissenschaft auf und versammelt aktuelle Beiträge, die das zentrale Konzept der Interkulturalität weiterdenken. Die Zeitschrift versteht sich bewusst als ein interdisziplinär und komparatistisch offenes Organ, das sich im internationalen Wissenschaftskontext verortet sieht. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik erscheint zweimal jährlich. Bisher liegen 6 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für interkulturelle Germanistik kann auch im Abonnement für den Preis von 12,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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