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German Pages 14 [16] Year 1871
Albrecht von Graefe
Von
Dr. Alexander Göschen.
Separal-Abilruck
aus G ö s c b e n ' s
„Deutscher
B e r l i
Klinik"
1 8 7 0 , No.
ri.
Diuck und Verlag von Georg Reimer.
1870.
32.
Albrecht von Graefe.
Von
Dr. Alexander Göschen.
Separat-Abdruck aus G ö s c h e n ' s
„Deutscher K l i n i k " J 8 7 0 , No. 3 2 .
B e r l i n .
Druck und Verlag von Georg Reimer.
1870.
„Ich Tode ist
"bin
unseres
geradezu
der
tief
erschüttert
Graefe.
unersetzlich;
aufreibendsten
können,
kehren
wusste,
dass
er
Praxis
nur litt,
durch
die
Sein Verlust" für
nach
Nachricht
die
denn
Männer,
noch
grosse
die
Jahrhunderten
h o f f t e ich i m m e r noch f ü r ihn a u f E r h o l u n g , sicht,
mit ihm noch zusammen
wirken
mich einer der mächtigsten A n t r i e b e ,
im
Ideen
a b e r d a e r so M a n c h e s
Gewühl
verfolgen
zurück.
Ich
überstanden, und die
zu könneD, mich für die
siedelung nach Berlin zu entscheiden. —
vom
Wissenschaft
war
Ausfür
Ueber-
D a s ist nun A l l e s
dahin." Nicht
mit besseren Worten
wüsste ich den Nachruf einzuleiten,
welchen ich den Lesern der Deutschen Klinik
schulde,
den
Nachruf
für den tiefsinnigen Forscher,- den berühmten Lehrer, den ausgezeichneten A r z t , den bewunderten Operateur, dessen irdischem W i r k e n der T o d in so jungen Jahren ein jähes Ziel gesetzt hat. geschrieben, das lässt sich leicht errathen. Physiolog H e l m h o l t z
W e r jene W o r t e
D e r grosse Physiker
richtete sie an den F r e u n d ,
und
der ihm Namens
der W i t t w e unseres theuren Geschiedenen dessen T o d angezeigt hatte, derselbe H e l m h o l t z , der mit der Erfindung des Augenspiegels G r a e f e die W a f f e n m die Hand gab zu den grossartigen Siegen auf dem Gebiete der wissenschaftlichen Specialität, die seinen Namen in alle Welttheile
tragen,
an ihn die Dankbarkeit vieler Tausende von Schülern
und Leidenden knüpfen sollte.
Z u welch wissenschaftlicher und prac-
tischer Verwerthung diese seine Erfindung in der Hand und unter dem Auge
eines geistreichen,
Arztes führen würde, geahnt.
wissenschaftlich durch und durch gebildeten
das hatte H e l m h o l t z
vielleicht
selbst
nicht
Und nun eben war der Zeitpunct gekommen, wo beide Männer,
4 seit langen Jahren in dem Gange ihrer Forschung und Arbeiten so vielfach auf einander angewiesen und verwandt, dann durch persönliche Berührung innig einander befreundet, an derselben Hochschule geraeinsam wirken sollten, sicher zum reichen Segen der Wissenschaft und der studirenden Jugend, da macht der Tod durch alle menschliche Berechnung wieder ein Mal den verhängnissvollen Strich, der schon so oft alles Denken und Hoffen der Sterblichen zu Schanden gemacht hat. Und nicht, wie sonst wohl, wird es geschehen, dass ein Anderer die Arbeit fortsetzt, wie sie der Geschiedene in vollster Entwickelung hinterlassen, denn „ M ä n n e r , d i e im G e w ü h l e a u f r e i b e n d s t e r Praxis grosse Ideen v e r f o l g e n können, k e h r e n nur nach Jahrhunderten zurück." Es giebt Sterbliche — aber klein und selten gefunden ist ihre Zahl — die wie überschüttet erscheinen mit allen Vorzügen und Gütern, die wir als höchst im Preise schätzen: körperliche Schönheit, gewinnende Liebenswürdigkeit, scharfer, mit glücklichster Combinationsgabe vereinter Verstand, leichtestes Auffassen gepaart mit unabweisbarem Fleiss, äussere Mittel auch, diese Gaben alle unter glücklichen Verhältnissen zu voller Vollendung, zu glänzender Verwerthung rasch zu führen. Zu dieser kleinen Zahl bevorzugter Menschen gehörte der Knabe; der am 22. Mai 1828 auf dem F i n c k e n h e e r d e bei Berlin das Licht der Welt erblickte. Wer auch nur ein Mal vom Brandenburger Thore aus sich rechts dem Bande des Thiergartens zu geschlagen hat, an Kroll's Etablissement, den Zelten, dem königlichen Schloss Bellevue vorbeiwanderte, kennt das stattliche Haus, das sich dann inmitten eines schönen Gartengrundstücks besonders bemerklich macht und das älteren Berlinern unter dem gedachten Namen bekannt ist. F r i e d r i c h W i l helm III. machte mit Grund und Boden dem berühmten Chirurgen und Oculisten v. G r a e f e ein königliches Geschenk, und ihm wurde dann an jenem 22. Mai dort von seiner Gattin, geborenen v. A l t e n , jenes Glückskind geboren. Soweit ging des Preussischen Herrschers Gunst gegen den berühmten Lehrer und Arzt, dass er — ' damals ein gar seltenes Vorkommen — bei dem neugeborenen Knaben Pathenstelle übernahm und sich bei der heiligen Handlung durch seinen Sohn, den Prinzen Albrecht, der gleichfalls Gevatter war, vertreten Hess. Weiter noch standen am Taufbecken der Kriegsminister Graf Hacke, die Gräfin Lottum, die Frau v. Bredow. Die hochgestellten Pathen haben sich dieses Täuflings nicht zu schämen gehabt! Der Prediger M o l i e r e von der französischen Kirche vollzog den Taufact; denn zur Colonie
5 hielten sich die G r a e f e s , auch Unserer noch bis in die jüngste Zeit, und daher vielleicht stammte auch seine Vorliebe für französische Sprachè, für französische Literatur und Kunst. War er doch bei seinen in letzterer Zeit fast alljährlichen längeren Aufenthalten in der französischen Hauptstadt ein eifriger Besucher des Theaters, er, der in Berlin nie dazu kam, sich derartige Genüsse zu gönnen; und mitten in wissenschaftlicher Arbeit, in practischer Thätigkeit war ja G r a e f e bekanntlich auf seinen sogenannten Erholungsreisen, vor allen Dingen in Paris auch. Mit der ersten Entwickelung des kindlichen Geistes liessen sich schon besonderste Anlagen an dem Knaben erkennen, mehr freilich noch von dem Tage an, mit dem die schulmässige Ausbildung begann, die so raschen Fortgang nahm, dass in ungewöhnlich frühem Alter bereits der Besuch des Collège, wie man noch heute das Gymnasium der französischen Colonie nennt, beginnen konnte. Durch alle Classen desselben leuchtete G r a e f e den Mitschülern als glänzendes Beispiel voran, "nicht blos in der Leichtigkeit, mit der er seine Kenntnisse erweiterte, sondern ebenmässig in dem ungewöhnlichen Fleiss, mit dem es geschah. So machte sich schon in frühesten Jahren eine der Eigenschaften bemerklich, die an dem Manne bis zur letzten Stunde seines Wirkens unter uns von aller Welt bewundert wurde. Eine solche, man könnte sagen Leidenschaft für nie ermüdende Thätigkeit, wie G r a e f e sie bis zum Schlüsse seines Lebens gezeigt hat, auch sie ist als ein seltenes Phänomen zu bezeichnen. Wie im Fluge wurden die einzelnen Classen absolvirt, und noch war das 15, Jahr nicht vollendet) als der Jüngling den ganzen Gymnasialcurs beendet hatte. Nur weil er den Aeltern und Lehrern zum Besuche der Universität noch zu jung, auch körperlich nicht sattsam entwickelt erschien, wurde für ein weiteres Jahr der Besuch - des: Gymnasiums beschlossen. War der Wissensdrang, der ihn beseelte, auch nach allen Seiten ein äasserst reger, so zeigte er sich doch in noch besonderem Grade im Studium der M a t h e m a t i k , in dem, unterstützt und Angefeuert von einem ausgezeichneten Lehrer, den Dr. G o e p e l , Anlage und Fleiss zu den überraschendsten Erfolgen führten. Wie sehr ihm die mathematischen Kenntnisse in späteren Jahren, als er von Stufe zu Stufe den steilen Weg des Ruhmes und Verdienstes heranklomm, oder besser gesagt heraneilte, zu Statten kommen sollten, liess sich in jenen Jahren werdender Reife freilich nicht voraussehen. Hatten doch von dem mächtigen Einfluss, den Mathematik und Physik bald genug auf Physiologie und physiologische Medicin gewinnen sollten, zu jener Zeit
6 nur wenige Naturforscher eine Ahnung. So gross aber war die Befriedigung, die sie gewährte, dass noch in der ersten Universitätszeit, wo im Studium der Naturwissenschaften und Medicin tagtäglich neue Anregungen auf Geist und Phantasie einstürmten, der junge Studiosus oft bedauerte, die Mathematik nicht zu ausschliesslichem Fachstudium erkoren zu haben. Galt G r a e f e während der Schulzeit durch seine raschen Fortschritte, durch Schärfe des Verstandes, durch ein gansj ungewöhnliches Gedächtniss überall für eine Art Wunderkind, in keiner Disciplin musste es berechtigter erscheinen, als in' der Mathematik. Geraume Zeit vor dem Abgang auf die Universität hatte man ihn denn auch von den mathematischen Unterrichtsstunden dispensirt, nachdem der Lehrer eines Tages bemerkte, dass er die Lösung einer sehr schwierigen Aufgabe, die dem Anschein nach aus dem Hefte abgelesen wurde, von einem l e e r e n Blatte ohne jeglichen Anstoss bewerkstelligte; nachdem es weiter bekannt geworden, dass mehrere Preisaufgaben, in mathematischen Zeitschriften aufgeworfen, von ihm tadellos gelöst waren. So bezog, früh gereift, auf das Gründlichste vorbereitet, G r a e f e , noch nicht 16jährig, 1843 die Universität Berlin, an der sein Vater fast vom Tage der Gründung ab bis zu dem 1840 erfolgten Tode als Professor der Chirurgie und Director der chirurgischen Klinik eine so erfolgreiche Thätigkeit geübt, so grossen Ruhm erworben hatte. Es ist nach Allem, was bereits gesagt wurde, unnöthig, davon zu sprechen, mit welchem Eifer der junge Student auch die neuen Aufgaben ergriff, wie mächtig er sich angezogen fühlte von den reichen Quellen des Wissens, die sich im Studium der Naturwissenschaften und der Medicin seinem erregbaren, zu eigenem Forschen getriebenen Geiste.öffneten. Mit welch reichlichem Maasse er gewissenhaft aus ihnen allen geschöpft hat, das konnte Jeder leicht erfahren, der später in nähere Berührung mit ihm trat und staunend erkannte, wie der ausgezeichnete Ophthalmologe . allseitig in allen anderen Fächern der Medicin auf das Beste bewandert war. Hätte v. G r ä f e nicht die Augenheilkunde zn seiner Specialität erkoren, hätte sie ihn nicht ganz und gar gefangen genommen, er würde als hochgebildeter, bewährter Mediciner jeder Zeit auch für andere Fächer als Lehrer, jeder Zeit als trefflicher Arzt sich glänzend haben hervorthun können. Einiges noch aus dem Universitätsleben zu erwähnen sei mir vergönnt, weil es auf die spätere Thätigkeit unseres verstorbenen Freundes von wesentlichem Einfluss geblieben. Wie die Arbeit G r a e f e ' s Lust war bis an seines Lebens Ende, wie er das Bedürfniss nach Erholungsstunden kaum kannte, so
7 benutzte er schon als Student die freien Zeiten statt zu Vergnügen zu Beschäftigungen, die dem eigentlichen Studium ferner lagen. So wurde allsonntäglich mit dem Dr. G o e p e l , der aus dem Lehrer ein treuer Freund geworden war, Mathematik getrieben, so hatte er sich im älterlichen Hause ein kleines Laboratorium eingerichtet, in dem mit Unterstützung von Professor R a m m e i s b e r g , der ihn dieser Wissenschaft schon als Knabe gewonnen hatte., eifrigst gearbeitet wurde, so beschäftigte er sich ernstlich mit Philosophie. Unter all diesem Hange zu ernster Arbeit, zu rastloser vielseitiger Thätigkeit entwickelte sich G r a e f e aber keineswegs, wie man hätte erwarten sollen, zu einem kalten Verstandesmenschen, nein, das Herz sass ihm am rechten Fleck, leicht erregt wurde sein Gemüth von allem Schönen und Guten, ja ein gewisser Hang zu romantischer Schwärmerei entwickelte sich gerade in dieser Studienzeit und ist ihm auch in späteren Jahren geblieben. Da gab es denn neben dem mathematischen und Hegel-Kränzchen andere fegelmässige Zusammenkünfte, in denen mit der Schwester Ottilie, der Cousine Mathilde und _ein paar nächststehenden Freun-r den an der Hand deutscher Dichter poetisch geschwärmt wurde, bei denen man sich gegenseitig zu den herrlichsten Idealen des Menschenlebens begeisterte. Das aber war bei G r a e f e nichts Künstliches, nichts Gemachtes, nicht ein Ruhebedürfuiss nach emsiger Arbeit, nein, durch wahren Reichthum an Herz und Gemüth gelangte sein ganzes Wesen erst zu harmonischem Abschluss. Selten gewiss gab es einen treueren Freund als G r a e f e , selten hat Jemand wie er festgehalten an den Verbindungen aus frühester Jugendzeit. Was er auf der Schule, auf der Universität an Freunden gewonnen, erhielt es an sieb gebunden bis in das reife Mannesalter, bis auf die Höhe seines Ruhmes, und erst das spät gefundene Glück eigenen Familienlebens, dem nun das Wenige, was er an freien Stunden sich gönnte, gehörte, drängte den lebhaften Verkehr mit den Jugendgenossen in den Hintergrund. Nicht gerade reichliche Mittel waren ihm während der Studentenjahre zu Gebote gestellt, aber doch hatte er stets offene Hand für seine Freunde, immer war er bereit, sie materiell zu unterstützen, und, auch das sei hervorgehoben, sie geistig zu fördern. So gewann er neben der eifrigen Arbeit für die eigene Ausbildung Zeit, einen Freund, der sich plötzlich entschloss, die Apotheker-Laufbahn mit dem Studium der Medicin zu vertauschen, zum Abiturientenexamen vorzubereiten. Freilich musste das in den frühesten Morgenstunden von 4 Uhr an und im kalten Laboratorium der .Apotheke, ehe hier die Tagesarbeit begann, ge-
8 schehen , aber dem Freunde brachte G r a e f e solche Opfer gern und freudig. Dieser Freund aber gerade sollte auf das Engste an ihn gefesselt bleiben, bis,- nicht lange vor G r a e f e ' s eigenem Hingang, ihn der Tod abberief. Zu seinen Eigentümlichkeiten gehörte auch, dass er bei Allem, was er wissenschaftlich trieb, gern einen Genossen hatte, mit dem er die Arbeit theilte, mit dem er nach vollendetem Pensum dann zur Erholung kurz irgend einen fröhlichen studentischen Zug unternahm. Vieles noch liesse sich an dieser Stelle von dem schönen Yerhältnisg G r a e f e ' s zu Aeltern, Geschwistern, zu Freunden und Freundinnen sagen, läge das nicht ausser dem Zwecke dieser Zeilen, die nur eine kurze Skizze von dem Sein und Wesen des nach allen Seiten so bedeutenden Menschen geben sollen. Was die Universitätslehrer betrifft* fühlte er sich besonders angezogen von J . M ü l l e r , S c h ö n l e i n , R o m b e r g , D i e f f e n b a c h , mit dem er durch seinen Freund W a l d a u ( S c h u f t ) auch in näheren geselligen Verkehr kam, und W o l f f , zu dessen ganz besonderen Lieblingsschülern er zählte. Mit dem Jahre 1847 schloss die Studienzeit ab, es folgte die Promotion auf Grund einer.Dissertation über das B r o m und sofort die Absolvirung der Staatsprüfung, so dass gegen das Ende des Jahres 1848 der nun zur ärztlichen Praxis vollberechtigte junge Doctor zu weiterer Ausbildung eine wissenschaftliche Reise antreten konnte. Zum Begleiter auf ihr erkor er sich Freund W a l d a u ( S c h u f t ) und das erste Ziel derselben war Prag. In dieser alten böhmischen Königsstadt, in der es kaum einen Stein giebt, der nicht wichtigste historische Erinnerungen wachriefe, sollte sich die Wandlung in G r a e f e ' s .wissenschaftlichem Streben vollziehen, die ihn zu dem berühmtesten Ophthalmologen unserer Zeit machte,* die ihn auf eine Höhe des Ruhmes führte, wie sie nur gar wenigen Vertretern der Wissenschaft zu Theil wird. Nicht im Entferntesten dachte G r a e f e , als er von Berlin auszog, daran, auf seinen Besuchen in Prag, W7ien, Paris, London der Augenheilkunde seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Hatte er sich überhaupt schon einen specielleren Plan für. weiteres Studium gemacht, so war es die C h i r u r g i e , die er ins Auge gefasst hatte; mit Ophthalmologie hatte er sich bis dahin nur ganz nebenher beschäftigt. Wie diese Wandlung sich vollzog, dürfte deshalb wohl von besonderem Interesse sein. In Prag war noch nicht lange an die Stelle des alten F i s c h e r , seiner Zeit als tüchtiger Lehrer und Augenarzt bekannt, in Dr. A r l t eine jugendliche Kraft für das Lehrfach der Augenheilkunde getreten; denn in Oesterreich hatte man durch den Einfluss des „ V a t e r B e e r " , wie v. G r a e f e zu sagen
9 pflegte, bereits seit vielen Jahren auf allen Hochschulen besondere Lehrstühle für Ophthalmologie. A r l t , in der class