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German Pages 500 [553] Year 2015
Autor
Henze/Born/Drescher Aktienrecht – Höchstrichterliche Rechtsprechung
RWS-Skript 249
Aktienrecht – Höchstrichterliche Rechtsprechung
6. Auflage 2015
von Richter am BGH a. D. Professor Dr. Hartwig Henze, Recklinghausen Richter am BGH Manfred Born, Karlsruhe Richter am BGH Dr. Ingo Drescher, Karlsruhe
RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Köln
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Vorwort Ziel dieses Buchs ist die systematische Aufarbeitung und verständliche Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenats, zum Aktienrecht. Dem Leser soll ein umfassender und aktueller Überblick gegeben werden. Die Darstellung orientiert sich an den Bedürfnissen der Praxis und befindet sich auf dem neuesten Stand. Eingearbeitet werden konnten die veröffentlichten Entscheidungen bis einschließlich Juni 2015. Die Arbeit reicht aber zurück bis zu den Anfängen der Rechtsprechung des höchsten deutschen Zivilgerichts, so dass dort, wo es zum Verständnis der heutigen Rechtsprechung notwendig ist, die Rechtsprechungsentwicklung nachvollzogen werden kann. Unser besonderer Dank gilt Professor Dr. Hartwig Henze. Die Neuauflage führt das von ihm begründete Werk zur höchstrichterlichen Rechtsprechung im Aktienrecht fort. Gerne haben wir das Angebot angenommen, das von einem langjährigen Mitglied des II. Zivilsenat kenntnisreich verfasste Buch fortzuführen. Es galt, zahlreiche neue Entscheidungen einzuarbeiten und aufgegebene oder durch den Gesetzgeber bedeutungslos gewordene Rechtsprechung auszusortieren. Dem Leser soll das Werk ein Kompass durch die umfang- und facettenreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zum Aktienrecht sein.
Karlsruhe, im Juli 2015
Manfred Born Ingo Drescher
V
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
Vorwort ............................................................................................................ V Literaturverzeichnis ................................................................................ XXIII A. Gründung der Aktiengesellschaft ............................................ 1 ........ 1 I.
Gründer der Gesellschaft ............................................................. 1 ........ 1
II. Zur Anmeldung berechtigte und verpflichtete Personen – Beschwerderecht ........................................................................... 2 ........ 1 1. Entscheidungen zum FGG ................................................... 3 ........ 1 2. Bestätigung der Rechtsprechung unter der Geltung des FamFG ....................................................... 5 ........ 2 III. Satzung der Gesellschaft .............................................................. 6 ........ 2 1. Allgemeine Fragen zu Inhalt und Auslegung der Satzung ..... 6 ......... 2 2. Festlegung des Hauptversammlungsorts ........................... 19 ........ 7 3. Gerichtsstandsklausel für Streitigkeiten zwischen Aktionären und der Gesellschaft und deren Organen ...... 29 ...... 10 4. Festsetzung von Gründungsaufwand ................................ 32 ...... 12 5. Heilung nichtiger Bestimmungen der Ursprungssatzung .... 34 ....... 12 IV. Gesellschaftervereinbarungen ................................................... 1. Allgemeines ......................................................................... 2. Gesellschaftervereinbarung und Anfechtung .................... 3. Nebenabrede mit der AG ...................................................
37 37 47 50
...... ...... ...... ......
13 13 15 16
V. Die Vor-AG ............................................................................... 52 ...... 16 VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung ..................................................................... 1. Zulässigkeit der Vorratsgründung und Umgehungsschutz .............................................................. a) Zulässigkeit der „offenen“ Vorratsgründung ............. b) Umgehungs- und Gläubigerschutz ............................ 2. Registerrechtlicher Präventivschutz bei der wirtschaftlichen Neugründung .......................................... 3. Haftung bei der wirtschaftlichen Neugründung ............... a) Unterbilanzhaftung .................................................... b) Handelndenhaftung ..................................................... c) Haftung bei unterbliebener Offenlegung .................. 4. Abgrenzungen ..................................................................... a) Überholte Vorratsgründung .......................................
63 ...... 18 66 ...... 19 66 ...... 19 70 ...... 21 75 84 84 88 93 95 95
...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
23 27 27 28 29 30 30
VII
Inhaltsverzeichnis Rn.
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b) Rechtliche Gründung – Vorbereitungshandlungen ... 96 ...... 30 c) Umorganisation oder Sanierung ............................... 101 ...... 32 d) Liquidation ................................................................. 103 ...... 32 B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung .................................... 106 ...... 35 I.
Leistung von Bareinlagen ......................................................... 1. Unversehrtheitsgrundsatz bei der Gründung ................. a) Rechtsentwicklung bei der GmbH ........................... b) Übertragung auf die AG ........................................... 2. Thesaurierungsgebot bei der Kapitalerhöhung ............... 3. Fälligkeit der Bareinlage .................................................... 4. Fälligkeits- und Verzugszins ............................................ 5. Ausschluss säumiger Aktionäre ...................................... 6. Haftung der Vormänner ................................................... 7. Verwendungsabsprachen .................................................. 8. Direkte Zahlung an Gesellschaftsgläubiger ..................... a) Mindesteinlagebetrag ................................................. b) Resteinlage ................................................................. 9. Zahlung auf ein Bankkonto .............................................. 10. Aufrechnungsverbot ........................................................ 11. Vergleich über die Einlageforderung ...............................
106 107 108 113 119 124 128 133 134 135 139 139 141 142 149 163
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
35 35 36 38 40 41 42 43 43 44 45 45 45 46 48 50
II. Leistung von Sacheinlagen ....................................................... 1. Fälligkeit der Sacheinlage .................................................. 2. Gegenstand der Sacheinlage ............................................. a) Sacheinlagefähig ......................................................... b) Nicht sacheinlagefähig .............................................. c) Fehlendes Eigentum .................................................. 3. Differenzhaftung bei Überbewertung ............................. 4. Gemischte Sacheinlage ......................................................
167 168 169 169 176 180 181 188
...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
51 52 52 52 54 54 54 56
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG) .......................... 1. Tatbestand der verdeckten Sacheinlage bei Gründung und Kapitalerhöhung ........................................................ a) Einlagegegenstand ..................................................... b) Verdeckte gemischte Sacheinlage ............................. c) Verwendungsabsprache ............................................. d) Keine Umgehungsabsicht ......................................... e) Gewöhnliche Umsatzgeschäfte ................................ f) Verdeckte Sacheinlage und „Schütt-aus-hol-zurück“-Verfahren ......................... g) Verdeckte Sacheinlage und mittelbares Bezugsrecht ................................................................ h) Keine gegenständliche oder personelle Identität erforderlich .................................................
191 ...... 57
VIII
194 199 203 206 214 215
...... ...... ...... ...... ...... ......
57 59 60 61 63 63
217 ...... 64 228 ...... 67 233 ...... 69
Inhaltsverzeichnis Rn.
2.
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Rechtsfolgen bei Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage ......................................................................... Heilung des verdeckten Sacheinlagegeschäftes ............... a) Rechtslage bei der GmbH ......................................... b) Übertragbarkeit auf die Aktiengesellschaft .............
240 245 245 254
...... ...... ...... ......
72 73 73 75
IV. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 AktG) ................................ 1. Tatbestand ......................................................................... 2. Neuregelung durch MoMiG und ARUG ........................ 3. Keine personelle Identität ................................................. 4. Vor-Absprache .................................................................. 5. Befreiung von der Einlageschuld ...................................... 6. Nachträgliche Erfüllung ...................................................
256 257 265 272 273 275 279
...... ...... ...... ...... ...... ...... ......
76 76 78 79 80 81 82
V. Cash-Pool ................................................................................. 1. Verdeckte Sacheinlage ...................................................... 2. Hin- und Herzahlen ......................................................... 3. Teilweise verdeckte Sacheinlage ....................................... 4. Einlageleistung durch spätere Zahlungen mit Mitteln aus dem Cash-Pool .............................................. a) Verdeckte Sacheinlage ............................................... b) Hin- und Herzahlen .................................................. 5. Rechtsfolgen ......................................................................
285 288 290 292
...... ...... ...... ......
83 84 85 85
293 294 295 296
...... ...... ...... ......
85 86 86 86
VI. Besonderheiten bei der Kapitalerhöhung ............................... 1. Bezugsrechtsausschluss .................................................... 2. Vorausleistungen auf künftige Einlageschulden ............. a) Barkapitalerhöhung ................................................... b) Sanierungsfall ............................................................. c) Sachkapitalerhöhung .................................................
301 301 308 310 318 321
...... ...... ...... ...... ...... ......
88 88 89 89 91 94
3.
VII. Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts .......................... 324 ...... 95 VIII. Verjährung des Einlagenanspruchs ........................................ 336 ...... 98 C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung .................................. 340 .... 101 I.
Verbot der Einlagenrückgewähr .............................................. 1. Einlagenrückgewähr .......................................................... 2. Aufgabe der „November“-Rechtsprechung – Gegenleistung .................................................................... 3. „Abkauf“ einer Anfechtungsklage ................................... 4. Empfängerkreis ................................................................. a) Aktionär ..................................................................... b) Leistungen an Dritte .................................................. aa) Treuhänder ........................................................ bb) Mittels- oder Strohmann .................................. cc) Stiller Gesellschafter .........................................
340 .... 101 342 .... 101 354 365 366 366 371 375 377 379
.... .... .... .... .... .... .... ....
104 106 107 107 108 108 109 110
IX
Inhaltsverzeichnis Rn.
5. 6.
dd) Pfandgläubiger und Nießbraucher ................... ee) Nahe Angehörige .............................................. ff) Verbundene Unternehmen ............................... Rückgewähranspruch ........................................................ Rechtsnatur des Rückzahlungsanspruchs der AG gegen Aktionäre bei Rückgewähr von Einlagen im Liquidationsverfahren ..................................
384 386 389 398
Seite
.... .... .... ....
111 112 113 115
406 .... 117
II. Verwendung des Jahresüberschusses ....................................... 410 .... 118 D. Der Vorstand ........................................................................... 414 .... 121 I.
Organstellung des Vorstandsmitglieds – Verhältnis von Organstellung und Anstellungsvertrag ............................ 1. Bestellung .......................................................................... 2. Abberufung ....................................................................... 3. Amtsbeendigung durch Verschmelzung .......................... 4. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsvertrag – Niederlegung des Amtes ................................................... a) Trennungsgrundsatz .................................................. b) Niederlegung .............................................................. c) Angebot einer anderweitigen Tätigkeit .................... 5. Kein schuldrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Vorstand ................................... 6. Bemessung des Streitwerts im Verfahren über die Beendigung der Organstellung ..........................
414 414 418 432
.... .... .... ....
121 121 122 125
433 433 435 444
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125 125 126 129
446 .... 129 450 .... 130
II. Anstellungsverhältnis ............................................................... 453 .... 131 1. Rechtliche Einordnung ..................................................... 453 .... 131 a) Grundsätzlich keine Anwendung arbeitsrechtlicher (Schutz)Vorschriften ................................................ 454 .... 131 b) Schutzbedürfnis des Vorstands ................................. 456 .... 133 c) Diskriminierungsschutz nach dem AGG ................. 460 .... 134 2. Vertragliche Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses – Rechte und Pflichten der Vorstandsmitglieder .... 465 ..... 135 a) Privatautonome Gestaltungsfreiheit ......................... 465 .... 135 b) Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats ................. 467 .... 136 c) Stillschweigende Verlängerung ................................. 470 .... 137 d) Vergütung der Vorstandsmitglieder – Tantiemevereinbarungen ......................................... 470a .... 137 e) Übergang dienstvertraglicher Rechte und Pflichten bei der Umwandlung ................................. 478 .... 140 f) Allgemeiner Treue – und Fürsorgeanspruch ........... 481 .... 141 3. Beendigung des Dienstverhältnisses ................................ 482 .... 141 a) Ordentliche Kündigung ............................................ 483 .... 141 aa) Anwendbarkeit des § 622 Abs. 1 und 2 BGB ..... 483 ..... 141 bb) Kein rechtfertigender Grund erforderlich ....... 484 .... 142 X
Inhaltsverzeichnis Rn.
4.
Seite
b) Außerordentliche Kündigung ................................... 485 .... 142 aa) Kündigungsgrund – Allgemeines ..................... 485 .... 142 bb) Kündigungsgrund – Einzelfälle ........................ 494 .... 145 cc) Verdachtskündigung ......................................... 501 .... 147 dd) Keine Anhörung ............................................... 504 .... 147 ee) Keine Abmahnung ............................................ 505 .... 147 ff) Keine Einschränkung des Kündigungsrechts ..... 509 ..... 148 gg) Erklärungsfrist .................................................. 511 .... 149 (1) Erlangung der Kenntnis ............................ 514 .... 149 (2) Kenntnisumfang ........................................ 523 .... 151 hh) Keine Angabe von Kündigungsgründen .......... 531 .... 153 ii) Gerichtliche Überprüfung ............................... 535 .... 154 jj) Nachschieben von Kündigungsgründen .......... 538 .... 155 kk) Beweislast ......................................................... 545 .... 156 ll) Verhaltensanforderungen ................................. 548 .... 157 mm) Versorgungsanspruch und Rechtsmissbrauchseinwand ................................................. 549 .... 157 c) Umdeutung von Erklärungen ................................... 559 .... 160 d) Annahmeverzug der Gesellschaft ............................. 565 .... 162 e) Bemessung des Streitwerts bei Kündigung des Dienstvertrags ..................................................... 576 .... 164 f) Nachvertragliche Herausgabepflicht ........................ 577 .... 164 Vertragliche Verknüpfung der Beendigung von Organverhältnis und Anstellungsvertrag ................. 578 .... 165
III. Organisatorische Fragen .......................................................... 1. Anzahl der Vorstandsmitglieder ..................................... 2. Vetorecht des Vorsitzenden ............................................. 3. Vertretungsbefugnis des Vorstands ................................. a) Gesamt – oder Einzelvertretungsbefugnis ............... aa) Übertragungsverbot ......................................... bb) Satzungsgestaltung ........................................... b) Zurechnungstatbestände ........................................... c) Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern ..........
584 584 585 587 588 589 591 596 600
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder ............................................ 1. Schadenersatzpflicht gegenüber der AG (Innenhaftung) .................................................................. a) Passivlegitimation ...................................................... aa) Vorstand ............................................................ bb) Faktisches Organmitglied ................................ cc) Prokurist ............................................................ b) Pflichtverletzung durch Dritte ................................. c) Verhältnis der Organhaftung zu anderen Haftungsgrundlagen .................................................. d) Pflichten der Vorstandsmitglieder ............................
602 .... 173 602 603 603 610 614 615
.... .... .... .... .... .... .... .... ....
.... .... .... .... .... ....
167 167 168 169 169 169 170 171 172
173 173 173 174 175 175
617 .... 176 620 .... 176
XI
Inhaltsverzeichnis Rn.
2.
3. 4.
XII
aa) Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsleitung und Geschäftsführung ...................................... 624 bb) Kompetenzverstoß ......................................... 643a cc) Der Katalog des § 93 Abs. 3 AktG .................. 644 dd) Begrenzung durch den Gesellschaftszweck .... 649 ee) Leitungsaufgabe und Leitungsermessen (business judgement rule) ................................ 651 ff) Schweigepflicht ................................................. 662 gg) Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat .......... 667 (1) Voraberteilung von Weisungen ................ 667 (2) Berichtspflicht .......................................... 668 hh) Entsprechenserklärung ..................................... 673 e) Verschulden ............................................................... 679 aa) Sorgfaltsmaßstab ............................................... 679 bb) Mitverschulden (§ 254 BGB) ........................... 683 cc) Entlastung durch Berater – Rechtsirrtum ....... 687 f) Schaden ....................................................................... 694 g) Verjährung ................................................................. 700 h) Entlastung durch die Hauptversammlung ............... 705 i) Beweislast ................................................................... 706 Die organschaftliche Treuepflicht – Insbesondere Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre ............ 716 a) Loyalitätspflicht ......................................................... 717 b) Verbot der Verfolgung eigener Interessen auf Kosten der Geselschaft .............................................. 719 c) Wettbewerbsverbot ................................................... 722 d) Wahrung von Geschäftschancen für die Gesellschaft .................................................... 730 aa) Geschäftschancenlehre ..................................... 730 bb) Geschäftschance der AG .................................. 733 (1) Geschäftsbereich der AG .......................... 734 (2) Zuordnung der Geschäftschance .............. 736 cc) Freigabe der Geschäftschance .......................... 740 dd) Verjährung ......................................................... 743 ee) Rechtsfolge ........................................................ 744 Betroffenheit der Aktionäre einschließlich der Problematik des Reflexschadens ...................................... 746 Schadenersatzpflicht gegenüber Dritten (Außenhaftung) ................................................................ 761 a) Verschulden bei Vertragsschluss .............................. 765 b) Rechtsscheinhaftung ................................................. 775 c) Delikt .......................................................................... 792 aa) Unerlaubte Handlung ....................................... 792 bb) Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB .............................................. 794
Seite
.... .... .... ....
177 181 181 182
.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
182 185 186 186 187 188 189 189 190 191 195 196 197 197
.... 200 .... 200 .... 200 .... 201 .... .... .... .... .... .... .... ....
202 202 203 203 204 204 205 205
.... 206 .... .... .... .... ....
210 210 213 217 217
.... 218
Inhaltsverzeichnis Rn.
5.
(1) Vorschriften mit Individualschutzcharakter: ................................................. (a) Schutzgesetze im Zusammenhang mit der Krise .................................... (b) Aktienrechtliche Schutzgesetze ..... (c) Strafrecht ......................................... (2) Vorschriften ohne Individualschutzcharakter: ................................................... (a) § 130 OWiG – Aufsichtspflichtverletzung ........................................ (b) Buchführungspflicht ....................... (c) § 93 Abs. 2 AktG ............................. d) Wettbewerbsverstöße ................................................ Haftung des Vorstands im Zusammenhang mit der materiellen Insolvenz ........................................... a) Insolvenzreife der Gesellschaft ................................. aa) Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO ............... (1) Zahlungseinstellung § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ................................................ (a) Voraussetzungen der Zahlungseinstellung ........................ (b) Darlegungs- und Beweislast ............ (c) Indizien für eine Zahlungseinstellung ....................................... (d) Abgrenzung zur Zahlungsstockung ........................................... (e) Wiederaufnahme von Zahlungen .... (2) Zahlungsunfähigkeit § 17 Abs. 1 Satz 1 InsO ................................................ (a) Liquiditätsbilanz ............................. (aa) Allgemeines ..................................... (bb) Zahlungspflichten ............................ (cc) Liquide Mittel .................................. (b) Abgrenzung zur Zahlungsstockung ........................................... (3) Darlegungs- und Beweislast ...................... bb) Überschuldung nach § 19 InsO ....................... (1) Überschuldungsbegriff ............................. (2) Feststellung der Überschuldung .............. (a) Darlegungs- und Beweislast ............ (b) Fortbestehensprognose ................... (c) Rechnerische Überschuldung ......... (d) Bilanzierung ..................................... cc) Patronatserklärung ............................................ b) Einberufung der Hauptversammlung .......................
Seite
795 .... 218 795 .... 218 797 .... 219 801 .... 220 802 .... 220 802 806 809 810
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220 222 223 223
813 .... 223 814 .... 224 815 .... 224 816 .... 224 816 .... 224 825 .... 227 828 .... 228 832 .... 231 835 .... 232 840 841 841 846 856
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233 233 233 234 237
860 864 866 866 873 873 877 885 888 891 897
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237 238 239 239 240 240 242 243 245 245 246
XIII
Inhaltsverzeichnis Rn.
Erstattungspflicht gegenüber der Gesellschaft nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG .... 899 aa) Anspruchsinhaber ............................................. 904 bb) Normadressat .................................................... 911 cc) Zahlung .............................................................. 917 (1) Begriffsbestimmung .................................. 917 (2) Beginn des Zahlungsverbots ..................... 920 (3) Einzelne Zahlungen ................................... 924 (4) Veranlassung der Zahlung ......................... 938 (5) Darlegungs- und Beweislast ...................... 941 dd) Verschulden – Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns ................................................ 943 (1) Allgemeines ............................................... 943 (2) Einzelheiten ............................................... 948 (a) Beobachtung der wirtschaftlichen Lage ....................................... 948 (b) Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs ............................ 959 (c) Pflichtenkollision ............................ 962 (aa) Steuer ............................................... 963 (bb) Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ........................... 966 (cc) Untreue ............................................ 970 (d) Darlegungs- und Beweislast ............ 971 ee) Verjährung ......................................................... 976 ff) Ungekürzte Erstattung ..................................... 978 gg) Aktiventausch ................................................... 985 hh) Aufrechnung durch den Vorstand ................... 994 ii) Zahlungsverbot und Anfechtung ..................... 996 (1) Anfechtbarkeit der nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verbotenen Zahlung ............. 996 (2) Anfechtung der nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verbotenen Zahlung ............. 999 (3) Anfechtung von nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubter Zahlung .............. 1002 d) Haftung für Zahlungen an Aktionäre .................... 1005 e) Haftung bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht ............................................................... 1013 aa) Alt- oder Neugläubiger und die Rechtsfolgen .............................................. 1014 (1) Abgrenzung ............................................. 1014 (2) Altgläubigerschaden ................................ 1023 (3) Neugläubigerschaden – Schutzzweck der Norm und Vertrauensschaden ......... 1030
Seite
c)
XIV
.... .... .... .... .... .... .... .... ....
247 249 250 251 251 252 253 256 257
.... 257 .... 257 .... 259 .... 259 .... 262 .... 262 .... 262 .... .... .... .... .... .... .... ....
263 265 265 267 267 269 271 271
.... 271 .... 272 .... 273 .... 274 .... 276 .... 276 .... 276 .... 278 .... 280
Inhaltsverzeichnis Rn.
6.
Vertrauensschaden – Negatives Interesse ....................... (b) Schutzzweck der Norm ................ (c) Keine Anspruchskürzung ............. (4) Geltendmachung des Schadens ............... bb) Gesellschaft als Geschädigte .......................... cc) Verletzung der Insolvenzantragspflicht ........ dd) Normadressat .................................................. ee) Verschulden ..................................................... ff) Verjährung ....................................................... f) Haftung aus unerlaubter Handlung ........................ aa) Haftung aus sittenwidriger Schädigung ........ bb) Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung .................................... (1) Keine Pflichtenkollision bei Insolvenzreife .......................................... (2) Anfang und Ende der Verantwortlichkeit ...................................................... (3) Pflichtenkreis und Verantwortlichkeit ... (4) Vorsatz ..................................................... (5) Fehlende Möglichkeit normgemäßen Verhaltens ................................................ (6) Kausalität ................................................ (7) Schadensumfang ...................................... (8) Darlegungs- und Beweislast .................... Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen oder Geldauflagen durch die Gesellschaft ..............................
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(a)
1031 1039 1049 1051 1052 1053 1061 1064 1067 1069 1069
.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
280 283 285 286 287 287 289 290 290 291 291
1077 .... 293 1080 .... 294 1083 .... 295 1087 .... 295 1090 .... 296 1093 1099 1103 1104
.... .... .... ....
297 299 299 300
1107 .... 300
V. Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern ............................... 1113 .... 301 VI. Abwickler ................................................................................ 1117 .... 302 E.
Der Aufsichtsrat .................................................................... 1123 .... 305
I.
Zusammensetzung des Aufsichtsrats – Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder ....................... 1. Zusammensetzung des Aufsichtsrats ............................. 2. Persönliche Voraussetzungen ......................................... 3. Die Wahl in den Aufsichtsrat ......................................... 4. Entsendungsrecht ............................................................ 5. Wahl von Ersatzmitgliedern .......................................... 6. Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters ............. 7. Beendigung der Mitgliedsstellung ..................................
1123 1123 1129 1132 1141 1145 1155 1159
.... .... .... .... .... .... .... ....
305 305 307 308 310 311 315 316
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat ...................................... 1160 .... 316 1. Form der Entscheidung .................................................. 1160 .... 316 2. Ausführung des Beschlusses ........................................... 1168 .... 318
XV
Inhaltsverzeichnis Rn.
3. 4. 5. 6.
Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats ............................. Teilnahme Dritter an Aufsichtsratssitzungen ............... Das Aufsichtsratsmitglied als Dritter ............................ Fehlerhaftigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen ............. a) Feststellungsklage .................................................... aa) Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit ........... bb) Feststellungsinteresse ..................................... cc) Prozessrechtsverhältnis .................................. b) Rechtsfolge der Nichtigkeit .................................... c) Fehler ........................................................................
III. Aufsichtsratsausschüsse ......................................................... 1. Mitgliederzahl .................................................................. 2. Rechtsfolgen für das Handeln nicht ordnungsgemäß besetzter Ausschüsse ...................................................... 3. Grenzen der Zuständigkeit ............................................ 4. Zusammensetzung und Beschlussfassung des Ausschusses .............................................................. 5. §§ 25 ff. MitbestG, Bildung von Ausschüssen und Satzungsvorschriften zu den Ausschüssen ............. IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats – Fragen des Zustimmungsvorbehalts i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ................................................................. 1. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats ............................................................. 2. Verfolgung von Ansprüchen gegen den Vorstand ........ 3. Fragen des Zustimmungsvorbehaltes i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ............................................... 4. Vorschlag und Beauftragung des Abschlussprüfers ...... 5. Einsichtnahme geschäftlicher Unterlagen durch Sachverständige ............................................................... 6. Aufsichtsratsbericht ........................................................
1175 1181 1186 1193 1193 1193 1197 1199 1203 1210
Seite
.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
319 320 321 323 323 323 324 324 325 327
1213 .... 328 1214 .... 328 1215 .... 329 1219 .... 330 1222 .... 332 1229 .... 334
1234 .... 336 1234 .... 336 1247 .... 339 1255 .... 342 1262 .... 344 1269 .... 346 1272 .... 347
V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern .......... 1. Gerichtliche Vertretung .................................................. a) Rechtsstreit mit aktiven Vorständen ...................... b) Rechtsstreit mit ausgeschiedenen Vorständen ...... c) Vertretungsmängel .................................................. 2. Außergerichtliche Vertretung ........................................ 3. Kenntniserlangung durch ein Aufsichtsratsmitglied ....
1275 1275 1275 1279 1291 1298 1304
VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen ..................................... 1. Abgrenzung zum organschaftlichen Tätigkeitsbereich ............................................................. 2. Organschaftliche Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds .................................................... 3. Inhalt eines Beratungsvertrags .......................................
1306 .... 356
XVI
.... .... .... .... .... .... ....
348 348 348 349 352 354 355
1306 .... 356 1309 .... 357 1311 .... 358
Inhaltsverzeichnis Rn.
4. 5. 6. 7.
Vor Mandatsübernahme geschlossener Beratervertrag .................................................................. Vertragspartner ............................................................... Zustimmung .................................................................... Rückgewähr der Vergütung und Gegenansprüche ........
VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ............. 1. Erhöhter Pflichtenmaßstab ............................................ 2. Treuepflicht ..................................................................... 3. Verschwiegenheitspflicht ................................................ 4. Auskunft und Herausgabe von Unterlagen ................... 5. Entsprechenserklärung ................................................... 6. Haftung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft ...............................................................
Seite
1314 1320 1323 1330
.... .... .... ....
359 361 362 364
1339 1340 1342 1344 1350 1354
.... .... .... .... .... ....
365 366 366 366 368 369
1355 .... 369
VIII. Klagebefugnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder – „actio pro societate“ ............................................................... 1369 .... 372 F.
Die Hauptversammlung ....................................................... 1373 .... 375
I.
Einberufung der Hauptversammlung .................................... 1. Zuständiges Organ .......................................................... 2. Inhalt der Einberufung ................................................... a) Tagesordnung .......................................................... b) Mitteilung der Teilnahme- und Stimmrechtsbedingungen ............................................................ 3. Bekanntmachung ............................................................. a) Beschlussvorschläge ................................................. b) Weitere Informationen vor der Hauptversammlung ................................................. 4. Ergänzungsverlangen und Gegenanträge ....................... a) Ergänzungsverlangen ............................................... b) Gegenanträge .......................................................... 5. Gerichtliches Ermächtigungsverfahren .........................
II. Auskunftsrecht des Aktionärs ............................................... 1. Inhalt und Umfang der Auskunft .................................. a) Verfassungsrechtliche Bedeutung des Auskunftsrechts ....................................................... b) Erforderlichkeit der Auskunft ................................ c) Einzelne Beschlüsse ................................................. aa) Entlastung ....................................................... bb) Aufsichtsratswahl ............................................ cc) Eigene Aktien .................................................. dd) Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ............................................... ee) Beteiligungen als Auskunftsgegenstand ........
1373 1373 1377 1377
.... .... .... ....
375 375 375 375
1379 .... 376 1381 .... 377 1381 .... 377 1387 1391 1391 1392 1393
.... .... .... .... ....
378 380 380 380 380
1394 .... 380 1395 .... 381 1395 1400 1405 1405 1409 1410
.... .... .... .... .... ....
381 382 384 384 384 385
1411 .... 385 1413 .... 386
XVII
Inhaltsverzeichnis Rn.
2. 3. 4.
Seite
Form und Umfang der Auskunft, Nachfrage ............... 1415 .... 386 Verweigerung der Auskunft ........................................... 1424 .... 388 Auskunftserzwingungsverfahren ................................... 1442 .... 392
III. Leitung der Hauptversammlung ............................................ 1449 .... 393 IV. Protokoll und Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs .................................................................. 1. Protokoll über die Hauptversammlung ......................... a) Fehlerhaftigkeit der Beurkundung ......................... b) Widerspruch zu notarieller Niederschrift .............. 2. Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs .......... a) Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs ... b) Erteilung von Abschriften an die Aktionäre .......... V. Beschlussfassung der Hauptversammlung ............................ 1. Abstimmung .................................................................... 2. Satzungsmäßige Regelung von Mehrheitserfordernissen .................................................................. 3. Ausübung des Stimmrechts – Stimmrechtsverbot ........ a) Abspaltung des Stimmrechts vom Mitgliedschaftsrecht ................................................ b) Stimmrechtsverträge ................................................ c) Schadenersatzpflicht des Stimmrechtsvertreters ... d) Schutzgemeinschaftsverträge .................................. aa) Mehrheitserfordernisse ................................... bb) Andienungspflicht .......................................... e) Stimmverbot ............................................................ f) Rechtsverlust ............................................................
1464 1464 1465 1468 1470 1470 1472
.... .... .... .... .... .... ....
396 396 396 397 398 398 398
1478 .... 400 1478 .... 400 1481 .... 401 1484 .... 402 1484 1486 1487 1491 1492 1496 1500 1510
.... .... .... .... .... .... .... ....
402 402 403 404 404 405 406 408
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen .................................................................... 1520 .... 411 I.
Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen ............... 1520 .... 411 1. Nichtigkeitsgründe ......................................................... 1521 .... 411 2. Heilung der Nichtigkeit ................................................. 1533 .... 414
II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen ......... 1. Anfechtungsbefugnis ...................................................... 2. Anfechtungsfrist ............................................................. 3. Einberufungsmängel ....................................................... 4. Zählfehler ......................................................................... 5. Sonstige Durchführungsmängel ..................................... 6. Informationsfehler .......................................................... 7. Relevanz von Verfahrens- und Informationsfehlern .... 8. Inhaltsmängel .................................................................. a) Entlastungsbeschlüsse ............................................. b) Auflösung ................................................................. c) Sondervorteile und Nachteile ................................. XVIII
1540 1540 1548 1563 1564 1568 1569 1570 1585 1587 1602 1603
.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....
415 415 417 420 421 422 422 422 425 426 429 430
Inhaltsverzeichnis Rn.
Seite
III. Missbrauch des Anfechtungsrechts ....................................... 1607 .... 431 IV. Bestätigungsbeschluss ............................................................ 1616 .... 433 V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage ................................................................... 1. Verhältnis Nichtigkeits- und Anfechtungsklage ........... 2. Subjektive Klagehäufung ................................................ 3. Anfechtungs- und positive Beschlussfeststellungsklage .................................................................. 4. Verhältnis zum Verfahren nach § 132 AktG ................. 5. Aktivlegitimation ............................................................ 6. Rechtsschutzbedürfnis ................................................... 7. Nebenintervention ..........................................................
1641 1645 1648 1660 1664
.... .... .... .... ....
438 440 440 443 445
VI. Kostenfragen ........................................................................... 1. Streitwert und Beschwer ................................................. 2. Kostentragung ................................................................. 3. Gebühren .........................................................................
1672 1672 1677 1680
.... .... .... ....
447 447 448 449
1629 .... 435 1629 .... 435 1635 .... 437
H. Grundlagenentscheidungen – materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen – Treuepflicht in der AG ......................................................... 1684 .... 451 I.
Grundlagenentscheidungen ................................................... 1. Vermögensübertragung .................................................. 2. Übertragung von Betriebsvermögen auf eine Tochtergesellschaft ......................................................... 3. Delisting und Downgrading ...........................................
II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen ............................................................................. 1. Kapitalerhöhung .............................................................. 2. Genehmigtes Kapital ....................................................... 3. Vereinbarkeit mit Richtlinienrecht ................................ 4. Die Kapitalherabsetzung ................................................. 5. Höchststimmrecht .......................................................... 6. Übertragende Auflösung ................................................
1684 .... 451 1685 .... 451 1691 .... 453 1698 .... 455 1702 1702 1708 1720 1721 1729 1730
.... .... .... .... .... .... ....
456 456 458 461 461 464 464
III. Die Treuepflicht in der AG .................................................... 1736 .... 466 I.
Nichtigkeit von Jahresabschlüssen ...................................... 1749 .... 471
I.
Umfang der Nichtigkeit ......................................................... 1750 .... 471
II. Einzelfälle aus der Rechtsprechung ....................................... 1751 .... 471 III. Jahresabschluss bei Anfechtung eines Verschmelzungsvertrages .................................................................................. 1760 .... 473 IV. Heilung .................................................................................... 1762 .... 474 XIX
Inhaltsverzeichnis Rn.
J.
Seite
Die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin einer KGaA ............................................... 1764 .... 475
K. Faktische Beherrschung ....................................................... 1768 .... 477 I.
Herrschendes Unternehmen .................................................. 1768 .... 477
II. Nachteiliges Rechtsgeschäft ................................................. 1770 .... 477 1. Nachteil ........................................................................... 1771 .... 478 2. Abhängigkeitsfolge ......................................................... 1777 .... 479 III. Nachteilsausgleich .................................................................. 1782 .... 481 IV. Schadensersatz nach § 317 AktG ........................................... 1785 .... 482 V. Abhängigkeitsbericht ............................................................. 1788 .... 482 L.
Unternehmensverträge ......................................................... 1790 .... 483
I.
Stille Beteiligung ..................................................................... 1790 .... 483
II. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ................... 1. Abschluss ......................................................................... 2. Ausgleich ......................................................................... 3. Abfindung ........................................................................ a) Höhe ......................................................................... b) Entstehung ............................................................... c) Abfindungszinsen und Ausgleich ........................... 4. Verlustausgleich ..............................................................
1795 1795 1796 1804 1804 1805 1809 1813
.... .... .... .... .... .... .... ....
483 483 484 485 485 486 487 488
M. Eingliederung ........................................................................ 1816 .... 491 N. Übertragung ........................................................................... 1820 .... 493 I.
Verlangen eines Hauptaktionärs ............................................ 1822 .... 493
II. Berichte und Gewährleistungserklärung ............................... 1827 .... 495 III. Anfechtungsklage ................................................................... 1833 .... 496 IV. Angemessene Abfindung ....................................................... 1836 .... 497 O. Verschmelzung und Umwandlung ..................................... 1837 .... 499 I.
XX
Verschmelzung ....................................................................... 1. Prozessuale Fragen .......................................................... 2. Verschmelzungsbericht .................................................. 3. Wirksamwerden der Verschmelzung ............................. 4. Differenzhaftung .............................................................
1837 1837 1846 1847 1851
.... .... .... .... ....
499 499 500 501 502
Inhaltsverzeichnis Rn.
II. Umwandlung .......................................................................... 1. Anfechtung bei Verletzung von Auskunfts- und Informationsrechten ....................................................... 2. Umwandlung einer AG in eine GmbH ......................... 3. Umwandlung einer KGaA in eine AG ........................... 4. Umwandlung einer AG in eine KG ............................... 5. Umwandlung einer KG in eine AG ...............................
Seite
1852 .... 502 1852 1856 1858 1859 1864
.... .... .... .... ....
502 503 504 504 506
P.
Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG) ........................... 1870 .... 509
I.
Begriff und Erscheinungsform des Genussrechts ................ 1871 .... 509
II. Voraussetzungen der Ausgabe durch die AG ....................... 1. Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses .................. 2. Ausschluss des Bezugsrechts .......................................... 3. Teilanfechtung bei Bezugsrechtsausschluss ..................
1875 1875 1877 1880
.... .... .... ....
510 510 510 511
III. Die Genussscheinbedingungen .............................................. 1881 .... 512 IV. Wiederauffüllung der Genussrechte nach Verlusten ............ 1887 .... 513 V. Schadenersatzanspruch bei fehlerhafter Geschäftsführung ................................................................... 1889 .... 514 VI. Genussscheine nach einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ..................................................... 1894 .... 516 Stichwortverzeichnis .................................................................................. 517
XXI
Literaturverzeichnis Baumbach/Hueck GmbHG, 20. Aufl., 2013 (zit.: Baumbach/Hueck/Bearbeiter, GmbHG) Drescher Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 7. Aufl., 2013 Grigoleit Aktiengesetz (AktG), 2013 (zit.: Grigoleit/Bearbeiter, AktG) Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Henssler/Strohn) Henze/Born GmbH-Recht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, 2013 Hüffer Aktiengesetz (AktG), 11. Aufl., 2014 Kanitz, Graf von Bilanzkunde für Juristen, 3. Aufl., 2014 Lutter/Hommelhoff GmbH-Gesetz, Kommentar, 18. Aufl., 2012 (zit.: Lutter/Hommelhoff/Bearbeiter, GmbHG) Münchener Kommentar zum GmbH-Gesetz, 2. Aufl., 2014 (zit.: Bearbeiter, in: MünchKomm-GmbHG) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., 2010, 4. Aufl., 2014 ff. (zit.: Bearbeiter, in: MünchKomm-AktG) Roth/Altmeppen GmbHG, 7. Aufl., 2012 Rowedder/Schmidt-Leithoff GmbHG, Kommentar, 5. Aufl., 2013 (zit.: Rowedder/Schmidt/Leithoff/Bearbeiter, GmbHG) Scholz GmbHG, Kommentar, 11. Aufl., 2013 ff. (zit.: Scholz/Bearbeiter, GmbHG) Spindler/Stilz Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl., 2010 (zit.: Spindler/Stolz/Bearbeiter, AktG) Ziemons/Binnewies Handbuch der Aktiengesellschaft, Stand: 12/2014 (zit.: Bearbeiter, in: Ziemons/Binnewies)
XXIII
A. Gründung der Aktiengesellschaft I. Gründer der Gesellschaft Gründer der Gesellschaft sind die Aktionäre, die den Gesellschaftsvertrag 1 (die Satzung) festgestellt haben (§ 28 AktG). An der Gründung müssen sich ein oder mehrere Personen beteiligen, welche die Aktien gegen Einlagen übernehmen (§ 2 AktG). Das Gesetz enthält keine Einzelheiten darüber, welcher Art diese Personen sein müssen. Natürliche und juristische Personen können auf jeden Fall Gründer sein. Nach einhelliger Ansicht gehören auch die Personengesellschaften zu diesem Kreis (OHG, KG, AG & Co. KG, GmbH & Co. KG). Die Gründerfähigkeit der Vor-GmbH und Vor-AG ist ebenso anerkannt, wie sie heute allgemein für die Erbengemeinschaft und die GbR angenommen wird. Der Bundesgerichtshof hat sie für die GbR als Mitglied einer AG im Wesentlichen aus den gleichen Überlegungen heraus bejaht, aus denen er die GbR als Mitglied einer GmbH und einer Genossenschaft anerkannt hat. BGH, Beschl. v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311 = ZIP 1981, 183 (GmbH); BGH, Beschl. v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86 = ZIP 1992, 114 (Genossenschaft), dazu EWiR 1992, 271 (K. Müller); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 f. = ZIP 1992, 995 (AG).
II. Zur Anmeldung berechtigte und verpflichtete Personen – Beschwerderecht Nach § 36 Abs. 1 AktG ist die Gesellschaft von allen Gründern (§ 28 AktG) 2 und Mitgliedern des Vorstands und Aufsichtsrats (§ 30 AktG) bei dem Gericht (§ 14 AktG) zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Kapitalerhöhung (§ 184 AktG) und ihre Durchführung (§ 188 AktG) haben der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die frühere Praxis der Registergerichte hat die eine Handelsgesellschaft betreffende Anmeldung auch zu einer konstitutiv wirkenden Eintragung von Tatsachen in das Handelsregister als Angelegenheit der Personen angesehen, die dafür nach dem Gesetz zuständig sind. Sie wurden daher auch als beschwerdeberechtigt im Sinne des damals geltenden § 20 Abs. 2 FGG angesehen. Von dieser Praxis hat der Bundesgerichtshof Abstand genommen. 1. Entscheidungen zum FGG Der Bundesgerichtshof hatte das Antrags- und Beschwerderecht der Gesell- 3 schaft bereits in einem Beschluss, der die Eintragung eines zwischen zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung abgeschlossenen Unternehmensvertrags (vgl. § 291 AktG) in das Handelsregister betraf, zugebilligt, nicht jedoch ihren Geschäftsführern. Er hat entscheidend darauf abgestellt, dass 1
A. Gründung der Aktiengesellschaft
die Anmeldung, die auf eine konstitutiv wirkende, die Rechtsänderung erst herbeiführende Eintragung gerichtet ist, den Geschäftsführern nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft, nicht aber im Außenverhältnis gegenüber dem Registergericht obliegt. Eine derartige Anmeldung werde daher namens der Gesellschaft vorgenommen. Wie sich aus den Ausführungen des Beschlusses weiter ergibt, gilt das auch für die Kapitalerhöhung. BGH, Beschl. v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 327 f. = ZIP 1989, 29 – Supermarkt, dazu EWiR 1989, 59 (SchulzeOsterloh).
4 Mit Beschluss vom 16.3.1992 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Anmeldung einer AG zur Eintragung in das Handelsregister durch die zur Anmeldung verpflichteten Personen im Namen der Gesellschaft erfolgt, so dass diese, vertreten durch ihren Vorstand in vertretungsberechtigter Zahl, auch beschwerdeberechtigt im Sinne des damals geltenden § 20 Abs. 2 FGG ist. BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 325 ff. = ZIP 1992, 689, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft).
2. Bestätigung der Rechtsprechung unter der Geltung des FamFG 5 Seit Inkrafttreten des FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Art. 1 des FGG Reformgesetzes (FGG-RG) vom 17.12.2008, BGBl I, 2586) ist das FGG Geschichte. Nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 2 FamFG, der insoweit mit § 20 Abs. 2 FGG inhaltsgleich ist, steht die Beschwerde allein dem Antragsteller zu, wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann. Bei dem Versuch einer gescheiterten Umwandlung hatte die Geschäftsführerin einer GmbH die Anmeldung vorgenommen, weil das Vertretungsorgan des übertragenden Rechtsträgers gem. § 137 Abs. 1 UmwG den neuen Rechtsträger bei dem Gericht, in dessen Bezirk er seinen Sitz haben soll, zur Eintragung in das Register anzumelden hat. Der II. Zivilsenat hat hierzu ausgeführt: Da die Anmeldung im Zusammenspiel mit der Eintragung der Abspaltung im Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers die Entstehung des neuen Rechtsträgers bewirkt (vgl. § 130 Abs. 1, §§ 135, 137 Abs. 1 und 2 UmwG), ist sie wegen dieser konstitutiven Wirkung aber (zugleich) im Namen der GmbH erfolgt. Die antragsberechtigte GmbH war deshalb auch beschwerdeberechtigt. BGH, Beschl. v. 11.4.2011 – II ZB 9/10, ZIP 2011, 1054 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 419 (Priester).
Nichts anderes gilt für die AG. III. Satzung der Gesellschaft 1. Allgemeine Fragen zu Inhalt und Auslegung der Satzung 6 Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen Satzungsbestimmungen mit körperschaftsrechtlichem (korporativem) und solchen mit individualrechtlichem (schuldrechtlichem) Charakter. 2
III. Satzung der Gesellschaft BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36; BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 207 f.; BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, WM 1989, 1809 f.; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = ZIP 1992, 237, 238 (GmbH), dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann).
Zu dem körperschaftsrechtlichen Bereich wird eine Regelung in der Satzung 7 dann gezählt, wenn sie sich an einen unbegrenzten Personenkreis richtet, insbesondere für gegenwärtige und künftige Gesellschafter sowie für Gläubiger der Gesellschaft von Bedeutung ist. BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = ZIP 1992, 237 (GmbH), dazu EWiR 1992, 321 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork); BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116, 123 f. = ZIP 1999, 1263, 1265 (GmbH), dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb); BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, ZIP 2003, 116, 120; BGH, Urt. v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546.
Korporativen Charakter hat der Bundesgerichtshof u. a. folgenden Vertrags- 8 bestimmungen bei AG und GmbH beigemessen: x
Regelung des Gesellschaftszwecks; BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297, 298;
x
Regelung des Unternehmensgegenstandes; BGH, Urt. v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446, 447;
x
Regelung der Kapitalausstattung der Gesellschaft einschließlich des Beschlusses über die Leistung von Sacheinlagen; BGH, Urt. v. 13.10.1966 – II ZR 56/64, WM 1966, 1262;
x
Regelung der Gewinnverteilung; BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 208 f.;
x
Regelung des Stimmrechts der Gesellschafter; BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f.; BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 314 (AG); BGH, Urt. v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, WM 1974, 372, 373;
x
Verpflichtung der Gesellschafterstämme, die ihnen eingeräumten Rechte nur gemeinschaftlich und einheitlich durch einen gemeinsamen Bevollmächtigten auszuüben; Recht von zwei paritätisch beteiligten Gesell-
3
A. Gründung der Aktiengesellschaft
schafterstämmen, dass jeder für sich einen Geschäftsführer bestimmen oder abberufen kann; BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, WM 1989, 1809 f.;
x
Einräumung eines unentziehbaren Anspruchs auf die Stellung als Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag an einen Gesellschafter; BGH, Urt. v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350; BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, WM 1981, 438 f.;
x
Besetzung eines Gesellschaftsorgans (Kompetenzzuordnung); BGH, Urt. v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, WM 1970, 246, 247 f.; BGH, Urt. v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, WM 1973, 1295, 1296; BGH, Urt. v. 13.6.1983 – II ZR 67/82, ZIP 1983, 1063, 1064;
x
Sonstige Kompetenzen der Gesellschaftsorgane: Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung über die Beteiligung der GmbH an anderen Unternehmungen und die Aufhebung solcher Beteiligungen; BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, WM 1973, 510, 511;
x
Zeitpunkt des endgültigen Ausscheidens eines Gesellschafters aus der GmbH nach seiner Kündigung; BGH, Urt. v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546, dazu EWiR 2003, 1087 (Weipert);
x
Recht eines Gesellschafters auf Abfindung bei Ausscheiden aus der Gesellschaft; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = ZIP 1992, 237, 238, dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rn. 8 f.;
x
Gerichtsstandsklausel für Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Gesellschafter; BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork);
x
eine Schiedsabrede, wenn sie jeden, der einmal Gesellschafter wird, bindet und wenn sie nur unter den Voraussetzungen der Satzungsänderung beseitigt werden kann. BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161.
9 Individualrechtlichen Charakter haben die Satzungsbestimmungen, die sich nicht an einen unbestimmten Personenkreis wenden, sondern die individualrechtlichen Beziehungen zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter oder einem Dritten regeln. BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 160 f. (GmbH);
4
III. Satzung der Gesellschaft BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, ZIP 1993, 432, 433 f. m. w. N. aus der Rspr. (GmbH), dazu EWiR 1993, 455 (Reimann). BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116, 124 = ZIP 1999, 1263, 1265 (GmbH), dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb).
Zu diesen Vereinbarungen, denen trotz Aufnahme in die Satzung einer AG oder 10 GmbH lediglich individualrechtlicher Charakter beizumessen ist, gehören: x
solche über die Bestellung, Anstellung und das Gehalt eines Geschäftsführers; BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 208; BGH, Urt. v. 19.1.1961 – II ZR 217/58, WM 1961, 241;
x
die Verpflichtung der Gesellschafter, den Witwen ihrer Geschäftsführer monatliche Zahlungen in einer festgelegten Höhe zu leisten; BGH, Urt. v. 29.9.1954 – II ZR 331/53, LM ZPO § 549 Nr. 25;
x
das Recht, den Geschäftsanteil eines Gesellschafters bei Ableben seiner Ehefrau von Erben zu erwerben, sowie eine sich darauf beziehende Schiedsabrede, wobei diese in einer besonderen Urkunde niedergelegt sein muss; BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 160 f., 164 ff.;
x
die Verpflichtung, jährlich mit einem bestimmten Deckungsbeitrag zu den Gesamtkosten der Gesellschaft beizutragen, ohne dass diese Verpflichtung an den Geschäftsanteil gebunden ist. BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, ZIP 1993, 432, 433 f., dazu EWiR 1993, 455 (Reimann).
x
Eine Schiedsabrede kann individualrechtlich gestaltet sein. Als schuldrechtliche Vereinbarung kann sie nur im Einverständnis aller Vertragspartner aufgehoben werden; sie bindet grundsätzlich den Gesamtrechtsnachfolger schlechthin und den Einzelrechtsnachfolger an das vom Schiedsvertrag betroffene Rechtsverhältnis. BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161.
Eine körperschaftsrechtliche Regelung bindet jeden, der einmal Gesellschaf- 11 ter wird; sie kann nur unter den Voraussetzungen der Satzungsänderung beseitigt werden. Eine individualrechtliche Vereinbarung kann nur im Einverständnis aller Vertragspartner aufgehoben werden. BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 207 ff. (GmbH); BGH, Urt. v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161 (GmbH); BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116, 124 f. = ZIP 1999, 1263, 1265 (GmbH), dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb).
5
A. Gründung der Aktiengesellschaft
12 Dieser Unterschied ist auch für personalistisch ausgerichtete Aktiengesellschaften sowie Familienaktiengesellschaften maßgebend. Die Grenze zwischen personalistisch und kapitalistisch strukturierten Gesellschaften ist fließend und kann sich im Einzelfall im Laufe der Zeit verschieben. Auch eine FamilienAG kann ihren Charakter auf Dauer verändern. Der Beitritt anderer Gesellschafter, die in den Schutzbereich der Gesetzes- und Satzungsbestimmungen einbezogen werden müssen, kann für beide Fälle nicht ausgeschlossen werden. BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 37 (GmbH); BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, WM 1981, 438, 439 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, WM 1989, 1809, 1810 (GmbH).
13 Individualrechtliche Satzungsregelungen unterliegen der subjektiven Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB nach den dafür maßgebenden Grundsätzen. BGH, Urt. v. 29.9.1954 – II ZR 331/53, LM ZPO § 549 Nr. 25; BGH, Urt. v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116, 124 = ZIP 1999, 1263, 1265, dazu EWiR 1999, 843 (Dauner-Lieb).
14 Im Prozessverfahren gehört diese Auslegung zu den Aufgaben des Tatsachengerichts. Das Revisionsgericht beschränkt seine Überprüfung darauf, ob gesetzliche oder allgemeine Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind. Zu den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen gehört die Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien. BGH, Urt. v. 1.10.1999 – V ZR 168/98, NJW 1999, 3704, 3705, dazu EWiR 1999, 1157 (Armbrüster); BGH, Urt. v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, ZIP 2009, 2335; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, ZIP 2009, 880 Rn. 12.
15 Satzungsvorschriften mit körperschaftsrechtlichem Charakter müssen nach objektiven Gesichtspunkten ausgelegt werden. BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, WM 1973, 510, 511; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = ZIP 1992, 237, 238, dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 = ZIP 1993, 1709, 1711 (AG), dazu EWiR 1994, 49 (Bork); BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = ZIP 1997, 732, 733; BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, ZIP 2003, 116, 120; BGH, Urt. v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546, dazu EWiR 2003, 1087; BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rn. 8.
16 D. h., sie müssen aus sich heraus einheitlich und gleichmäßig unter Berücksichtigung von Zusammenhang und erkennbarem Zweck aller maßgebenden 6
III. Satzung der Gesellschaft
Bestimmungen, ausgelegt werden. Umstände, die außerhalb der Urkunde liegen und die nicht allgemein zugänglich und erkennbar sind, dürfen bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere für die Entstehungsgeschichte der Satzung, Vorentwürfe und Äußerungen sowie die Vorstellungen von Personen, die die Satzung mit geschaffen und an seiner Abfassung mitgewirkt haben. Frühere Satzungen, die zum Handelsregister eingereicht und damit der Allgemeinheit zugänglich gemacht worden sind, können zur Auslegung herangezogen werden. Vgl. BGH, Urt. v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, WM 1974, 372, 373; BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, WM 1981, 438; BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297, 298; BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, WM 1989, 1809, 1810; BGH, Urt. v. 2.12.1974 – II ZR 78/72, BGHZ 63, 282, 290; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 366 = ZIP 1992, 237, 239 (GmbH), dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 f. = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork).
Unter Umständen können auch aus den Registerakten ersichtliche bzw. solche 17 Sachzusammenhänge Berücksichtigung finden, deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann. BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 f. = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork); BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 2 zur AG.
Satzungsbestimmungen mit körperschaftsrechtlichem Charakter kann der 18 Bundesgerichtshof unbeschränkt nachprüfen und selbständig frei auslegen. BGH, Urt. v. 22.4.1953 – II ZR 72/53, BGHZ 9, 279, 281; BGH, Urt. v. 22.5.1958 – II ZR 316/56, BGHZ 27, 297, 300 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, WM 1974, 372, 373; BGH, Urt. v. 20.12.1976 – II ZR 115/75, WM 1977, 192; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = ZIP 1992, 237, 238, dazu EWiR 1992, 321 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350 f. = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork); BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 27 – REDEZEITBESCHRÄNKUNG (AG); BGH, Urt. v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, ZIP 2011, 2357 Rn. 8.
2. Festlegung des Hauptversammlungsorts Nach § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG soll die Hauptversammlung der AG am Sitz 19 der Gesellschaft stattfinden, wenn die Satzung nichts anderes bestimmt. Satz 2
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
dieser Vorschrift lässt es zu, dass die Hauptversammlung auch am Sitz der Börse abgehalten wird, sofern die Aktien der Gesellschaft an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten (früher amtlichen) Markt zugelassen sind und die Satzung nichts anderes bestimmt. 20 Die Hauptversammlung einer AG fasste in Ergänzung ihrer Satzung folgenden Beschluss: „Die Hauptversammlung findet an dem Ort statt, den die Teilnehmer der vorausgegangenen Hauptversammlung für die Abhaltung der folgenden Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit bestimmt haben.“
21 Die dagegen gerichtete Anfechtungsklage eines Aktionärs hatte Erfolg, weil der Beschluss gegen Inhalt und Zweck des § 121 Abs. 5 AktG (damals noch § 121 Abs. 4 AktG) verstieß. Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich nicht entnehmen, wie die konkrete Regelung in der Satzung auszusehen hat. Danach könnten mehrere Möglichkeiten für eine Satzungsregelung in Betracht gezogen werden: Aufnahme eines bestimmten Versammlungsorts in die Satzung (a); Festlegung mehrerer Orte, aus denen ein zu bestimmendes Gesellschaftsorgan frei oder nach Vorgabe bestimmter Kriterien den Ort für die nächste Hauptversammlung auszuwählen hat (b); die Wahl des nächsten Hauptversammlungsorts wird dem Vorstand als Einberufungsorgan, dem Aufsichtsrat oder der Beschlussfassung durch die (vorherige) Hauptversammlung überlassen (c). 22 Der Bundesgerichtshof hat dieser weitherzigen Auslegung der Vorschrift aufgrund des mit ihr verfolgten Zweckes nicht zugestimmt. Ziel der Vorschrift sei die Beendigung des Streits darüber gewesen, ob die Hauptversammlung an jeden Ort in Deutschland einberufen werden könne. Grundsätzlich wurde der Gesellschaftssitz als Versammlungsort im Gesetz festgelegt, um zum Schutz der Beteiligten, namentlich der Minderheitsaktionäre, eine willkürliche Auswahl zu unterbinden. Dieser Schutzzweck wird dann nicht gefährdet, wenn die Satzung einen anderen als den gesetzlich festgelegten Versammlungsort bestimmt, mehrere Orte zur Auswahl stellt, unter denen das Einberufungsorgan auswählen kann, oder wenn für die Auswahl eine regional begrenzte geographische Vorgabe gemacht wird. Mit diesem Zweck ist es jedoch unvereinbar, Vorstand oder Aufsichtsrat ein ungebundenes Wahlrecht zu gewähren oder die Hauptversammlung zu ermächtigen, den Ort mit einfacher oder der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit jeweils auf der vorherigen Hauptversammlung festzulegen. BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, 1869 f., dazu EWiR 1994, 111 (Rittner).
23 Mehr als 20 Jahre später hatte der Bundesgerichtshof Gelegenheit, die Anforderungen, die an eine Satzungsbestimmung über den Ort der Hauptversammlung zu stellen sind, weiter zu konkretisieren. Ausgangspunkt war ein Hauptversammlungsbeschluss mit der die Satzung einer börsennotierten So-
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III. Satzung der Gesellschaft
cietas Europaea (SE) mit Sitz in Berlin, für die im Hinblick auf die hier dargestellte Fragestellung deutsches Aktienrecht gilt, BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rn. 7 und 9, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn),
wie folgt geändert werden sollte: „… Die Hauptversammlung der Gesellschaft findet entweder am Sitz der Gesellschaft, dem Sitz einer Wertpapierbörse in der EU oder einer Großstadt in der EU mit mehr als 500.000 Einwohnern statt.“
Der II. Zivilsenat hat zunächst die streitige Frage bejaht, ob durch die Sat- 24 zung ein Hauptversammlungsort im Ausland bestimmt werden kann. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).
Der Wortlaut von § 121 Abs. 5 AktG enthalte keine Eingrenzung für die 25 Satzungsbestimmung über den Versammlungsort. Auch aus dem Zweck lasse sich eine Begrenzung auf inländische Versammlungsorte nicht rechtfertigen. Ziel der Aufnahme der Regelung in das AktG vom 30.1.1937 als § 105 Abs. 3 sei es gewesen, den Streit darüber zu beenden, ob die Hauptversammlung an jeden Ort in Deutschland einberufen werden könne. Dem habe die Absicht zugrunde gelegen, zum Schutz der Beteiligten, namentlich der Minderheitsaktionäre, eine willkürliche Auswahl des Versammlungsorts zu unterbinden. Vgl. schon BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, 1870, dazu EWiR 1994, 111 (Rittner).
Dieser Schutzzweck verlange nicht mehr, ausländische Versammlungsorte 26 von vornherein auszuschließen. Jedenfalls in den an Deutschland angrenzenden Ländern könnten Städte oder Regionen ebenso schnell und leicht erreichbar sein wie Orte in Deutschland oder der Satzungssitz. Auch das Beurkundungserfordernis (§ 130 Abs. 1 Satz 1 AktG) stehe einer Versammlung im Ausland nicht grundsätzlich entgegen. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rn. 14 ff., dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).
Die konkrete Ausgestaltung der beschlossenen Satzungsänderung war aber 27 mit § 121 Abs. 5 AktG nicht vereinbar. Die vom Satzungssitz oder – bei börsennotierten Gesellschaften – von einem deutschen Börsensitz abweichende Bestimmung eines Versammlungsorts in der Satzung muss eine sachgerechte, am Teilnahmeinteresse der Aktionäre ausgerichtete Vorgabe enthalten, die das Ermessen des Einberufungsberechtigten bindet. Der II. Zivilsenat hat es zwar – wie bereits ausgeführt – für mit dem Schutzzweck, die Beteiligten, insbesondere die Minderheitsaktionäre vor einer willkürlichen Auswahl des Versammlungsorts zu schützen, vereinbar erachtet, wenn die Satzung mehrere Orte aufführt, unter denen das Einberufungsorgan wählen kann, oder lediglich eine regional begrenzte geographische Vorgabe macht.
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A. Gründung der Aktiengesellschaft BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, 1870, dazu EWiR 1994, 111 (Rittner).
28 Über eine sachgerechte Bindung des Auswahlermessens des Einberufungsberechtigten geht aber eine Satzungsbestimmung hinaus, die dem Einberufungsberechtigten die Auswahl unter einer großen Zahl geographisch weit auseinanderliegender Orte überlässt. Eine solche weite Regelung kommt einem freien Auswahlermessen des Einberufenden nahe und dient jedenfalls bei einer AG mit einem größeren Aktionärskreis nicht dem Teilnahmeinteresse aller Aktionäre, weil sie sich nicht vorab auf die möglichen Versammlungsorte einstellen können. Den Anforderungen an eine ermessenbeschränkende Bestimmung des Hauptversammlungsorts wurde die beschlossene Regelung nicht gerecht, so dass der Bundesgerichtshof die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt hat. Vgl. ausführlich BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rn. 20 ff., dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).
3. Gerichtsstandsklausel für Streitigkeiten zwischen Aktionären und der Gesellschaft und deren Organen 29 In der Satzung einer AG befand sich folgende Gerichtsstandsklausel: „Durch Zeichnung oder Erwerb von Aktien oder Zwischenscheinen unterwirft sich der Aktionär für alle Streitigkeiten mit der Gesellschaft oder deren Organen dem ordentlichen Gerichtsstand der Gesellschaft.“
Eine von dem Insolvenzverwalter dieser Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Sacheinlage auf Zahlung in Anspruch genommene, in Großbritannien ansässige Aktionärin hielt den für sie nach dieser Klausel in Betracht kommenden internationalen Gerichtsstand in der Bundesrepublik Deutschland nicht für gegeben. Der Bundesgerichtshof hatte darüber zu entscheiden, ob die Klausel hinreichend bestimmt i. S. d. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EuGVÜ war. Er hat das bejaht. Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 EuGVÜ ist das Gericht eines der Vertragsstaaten – die Bundesrepublik und Großbritannien gehören dazu – zuständig, wenn die Parteien schriftlich vereinbart haben, dass dieses Gericht u. a. über eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden soll (vgl. heute Art. 23 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO). Der Europäische Gerichtshof hatte auf Vorlage entschieden, dass die zitierte, in die Satzung eingefügte Gerichtsstandsklausel diesen Anforderungen entsprach: Die in die Satzung einer AG aufgenommene, in Übereinstimmung mit dem nationalen Recht und der Satzung zustande gekommene Gerichtsstandsklausel, nach der ein bestimmtes Gericht eines der Vertragsstaaten über Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und den Aktionären entscheiden soll, ist als Vereinbarung i. S. d. Art. 17 des Übereinkommens anzusehen. Die Formerfordernisse dieser Vorschrift sind unabhängig von der Art und Weise des Aktienerwerbs im Hinblick auf alle Ak-
10
III. Satzung der Gesellschaft
tionäre erfüllt, wenn ihnen die Satzung u. a. in einem öffentlichen Register zugänglich ist. EuGH, Urt. v. 10.3.1992 – Rs C-214/89, Slg. 1992, 1769 = ZIP 1992, 472, dazu EWiR 1992, 353 (Geimer).
Die letztgenannte Voraussetzung war und ist in der Bundesrepublik erfüllt 30 (vgl. heute § 37 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5, § 181 Abs. 1 AktG, §§ 12, 9 Abs. 1 Satz 1 HGB). Das Berufungsgericht, OLG Koblenz, Urt. v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, ZIP 1992, 1234, 1235 f., dazu EWiR 1992, 989 (Geimer),
hatte die Klausel dahingehend ausgelegt, dass sie nicht nur Rechtsstreitigkeiten betreffe, denen das Mitgliedschaftsverhältnis der Aktionäre zur Gesellschaft zugrunde liege, sondern auch solche, die aus sonstigen, insbesondere schuldrechtlichen Rechtsverhältnissen hervorgingen. Dem ist der Bundesgerichtshof mit zwei Überlegungen entgegengetreten: Die Unterwerfung unter den ordentlichen Gerichtsstand der Gesellschaft solle zwar für alle Streitigkeiten der Gesellschaft mit den Aktionären gelten. Diese Rechtsfolge solle jedoch nur durch Zeichnung oder Erwerb von Aktien oder Zwischenscheinen, also dann eintreten, wenn jemand die Stellung als Mitglied der Gesellschaft mit den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten erwirbt. Dafür sprächen zudem der Gebrauch des Wortes „Aktionär“ sowie der Umstand, dass die Klausel in die Satzung der Gesellschaft aufgenommen worden sei, in der entsprechend dem Sinn und Zweck der Satzung einer Kapitalgesellschaft üblicherweise nur das Mitgliedschaftsverhältnis einschließlich der sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten der Gesellschafter geregelt werde. Nicht berücksichtigt werden dürfe, dass zwischen der Gesellschaft und einem großen Teil ihrer Aktionäre Rechtsbeziehungen schuldrechtlicher Art bestanden hätten. Denn derartige Vereinbarungen, deren Aufnahme in die Satzung in Form von Nebenabreden denkbar und zulässig sei, hätten nicht einmal einen unvollkommenen Niederschlag darin gefunden. BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 351 f. = ZIP 1993, 1709, 1711, dazu EWiR 1994, 49 (Bork).
Die mangelnde Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses hatte das Berufungsge- 31 richt weiter daraus hergeleitet, dass die Klausel auch schuldrechtliche Rechtsbeziehungen der Aktionäre zu den Organen der Gesellschaft erfasse. Dem ist der Bundesgerichtshof mit folgender Argumentation entgegengetreten: Liege der Entstehungsgrund des mit der Aktionärsklage verfolgten Anspruchs in der Organzuständigkeit, so sei er auch in dem mitgliedschaftlichen Verhältnis des Aktionärs zur Gesellschaft begründet, weil das Organverhältnis Bestandteil des zwischen Aktionär und Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisses sei. Daraus zieht der Bundesgerichtshof die Schlussfolgerung, dass auch die gegen den Vorstand gerichtete Gesellschafterklage eine aus dem Rechtsverhältnis Gesellschaft – Aktionär entspringende Rechtsstreitigkeit
11
A. Gründung der Aktiengesellschaft
darstellt. Das heißt aber, dass die Gerichtsstandsklausel das Rechtsverhältnis, das sie regelt, hinreichend bestimmt. BGH, Urt. v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 355 = ZIP 1993, 1709, 1712, dazu EWiR 1994, 49 (Bork).
4. Festsetzung von Gründungsaufwand 32 Nach § 26 Abs. 2 AktG ist der Gesamtaufwand, der Aktionären oder Dritten zu Lasten der Gesellschaft als Entschädigung oder Belohnung für die Gründung oder ihre Vorbereitung gewährt wird, in der Satzung gesondert festzusetzen. Diese Regelung soll im Interesse des Gläubiger- und Gesellschafterschutzes sicherstellen, dass offengelegt wird, in welcher Höhe das Grundkapital durch Gründungsaufwand vorbelastet ist. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der gesamte Aufwand ausgewiesen wird. Das macht den Ausweis der einzelnen Kosten, zusammengefasst als Gesamtbetrag, erforderlich, wobei Beträge, die noch nicht genau beziffert werden können, geschätzt werden müssen. Eine betragsmäßige Festsetzung erübrigt sich auch nicht in den Fällen, in denen sich die Kosten ohne weiteres, wie z. B. anhand der Kostenordnung ermitteln lassen. BGH, Beschl. v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 4 ff. = ZIP 1989, 448, 449 f., dazu EWiR 1989, 479 (Hüffer); BGH, Urt. v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, ZIP 1997, 2008, dazu EWiR 1998, 33 (Wilken).
33 Die für den ersten Vorstand in der Gründungsphase einer Vor-AG geschuldete Vergütung gehört nicht zu dem nach § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung gesondert auszuweisenden Gründungsaufwand. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala).
5. Heilung nichtiger Bestimmungen der Ursprungssatzung 34 § 242 AktG trifft eine abgestufte Regelung der „Heilung“ nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse. Nach Abs. 1 der Vorschrift kann die Nichtigkeit eines nach § 130 Abs. 1 und 2 Satz 1 und Abs. 4 AktG nicht oder nicht gehörig beurkundeten Hauptversammlungsbeschlusses nicht mehr geltend gemacht werden, wenn er in das Handelsregister eingetragen worden ist. Nach Abs. 2 kann die Nichtigkeit i. S. d. § 241 Nrn. 1, 3 oder 4 AktG dann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit Eintragung des Beschlusses drei Jahre vergangen sind. Diese Rechtsfolge kann nur dadurch vermieden werden, dass innerhalb dieser Frist eine Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG erhoben wird; eine anderweitige Geltendmachung hindert den Eintritt der „heilenden“ Wirkung nicht. Eine Löschung von Amts wegen nach § 241 Nr. 6 AktG i. V. m. §§ 142 ff. FGG (jetzt § 398 FamFG) bleibt jedoch jederzeit möglich (vgl. § 241 Abs. 2 Satz 3 AktG). Die Vorschrift des § 242 Abs. 2 AktG erfasst auch satzungsändernde Beschlüsse i. S. d. § 179 AktG.
12
IV. Gesellschaftervereinbarungen BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 217 = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
Für Bestimmungen einer nach §§ 23, 28 AktG festgestellten Satzung trifft 35 das Gesetz keine Regelung. Hier stellt sich die Frage, ob das Gesetz eine Lücke enthält, die durch entsprechende Anwendung der Bestimmung auf nichtige Regelungen der Ursprungssatzung geschlossen werden kann. Der II. Zivilsenat hat das bejaht. BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 = ZIP 2000, 1294, 1295 (GmbH), dazu EWiR 2000, 943 (Casper).
Er leitet das aus dem Regelungszweck der Vorschrift her. Sie solle Rechtssi- 36 cherheit herbeiführen. Diese ist bei gleicher Sachlage für alle Satzungsbestimmungen im Rechtsverkehr der Gesellschaften erforderlich; sie hängt nicht davon ab, ob eine Regelung schon in der festgestellten Satzung getroffen oder später durch Hauptversammlungsbeschluss eingefügt worden ist. Einer Sanktionierung von Satzungsrecht, das gegen zwingendes Gesetzesrecht verstößt, kommt das nicht gleich, weil eine Löschung von Amts wegen stets erfolgen kann. IV. Gesellschaftervereinbarungen 1. Allgemeines Außerhalb der Satzung getroffene Gesellschaftervereinbarungen – auch Ne- 37 benvereinbarungen, schuldrechtliche Nebenabreden oder side letters genannt – waren häufig Gegenstand von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163 (GmbH); BGH, Urt. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226 = ZIP 1994, 1173, dazu EWiR 1994, 973 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 25/80, ZIP 1981, 1205 (GmbH); BGH, Urt. v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, ZIP 1987, 165; BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, ZIP 1987, 103 – Dinkelacker, dazu EWiR 1987, 27 (Tiedtke); vgl. auch BGH, Urt. v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17, 29 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297 – Kerbnägel; BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293 (GmbH), dazu EWiR 1987, 53 (Riegger); BGH, Urt. v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 15 = ZIP 1993, 1074 (GmbH), dazu EWiR 1993, 991 (Scheuch).
In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass die Aktionäre auf- 38 grund der allgemeinen Vertragsfreiheit Rechtsverhältnisse in oder zu der Ge-
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
sellschaft auch außerhalb der Satzung durch solche schuldrechtlichen Nebenabreden regeln können, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht. Zur Vereinbarung eines Aufgelds (Agio) BGH, Urt. v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416 Rn. 13; zur Vereinbarung einer geringeren als der im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Abfindung BGH, Beschl. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 1541 Rn. 7, dazu EWiR 2010, 639 (Wahl/Schult).
39 Insbesondere können sie darin Regelungen vorsehen, die in der Satzung der AG nicht zulässig wären. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 Rn. 11 (AG), dazu EWiR 2013, 131 (Seibt).
40 So können etwa die Gesellschafter einer Familiengesellschaft vereinbaren, dass ein Aktionär, der aus der AG ausscheiden will, seine Aktien den übrigen Gesellschaftern zum Kauf anbieten muss. BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, ZIP 1987, 103, 104 – Dinkelacker, dazu EWiR 1987, 27 (Tiedtke); BGH, Urt. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 f. = ZIP 1994, 1173, dazu EWiR 1994, 973 (Wiedemann).
41 Damit wird das – zulässige – Ziel verfolgt, den Kreis der Aktionäre auf Familienmitglieder zu beschränken. Das Gleiche gilt für Regelungen, durch die der Aktionärskreis auf Personen beschränkt werden soll, die ein anderes gemeinsames Merkmal aufweisen. 42 In der Regel wird durch eine derartige Absprache von den Beteiligten eine GbR begründet. Vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2009 – II ZR 250/07, ZIP 2009, 2155 Rn. 4.
43 Die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen zwischen Gesellschaftern in Form von Konsortialverträgen, Stimmrechtskonsortien oder Stimmenpools ist seit langem allgemein anerkannt. vgl. BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297 – Kerbnägel; BGH, Urt. v. 25.9.1986 – II ZR 272/85, ZIP 1987, 103 – Dinkelacker, dazu EWiR 1987, 27 (Tiedtke); zur Stimmbindung gegenüber einem Nichtaktionär BGH, Beschl. v. 15.7.2014 – II ZR 375/13.
44 Sie folgt für das Aktienrecht schon aus einem Umkehrschluss zu § 136 Abs. 2 AktG. Nichtig sind danach nur Verträge, durch die ein Aktionär sich verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung der Gesellschaft bzw. ihrer Organe auszuüben. Zulässig ist dagegen die vertragliche Verpflichtung eines Kapitalgesellschafters, nach Weisung eines Mitgesellschafters oder auch eines eventuell nur geringfügig an der Gesellschaft beteiligten Konsortialführers abzustimmen. Erst recht kann die vertragliche Bindung eines Aktionärs an 14
IV. Gesellschaftervereinbarungen
die jeweilige Mehrheitsentscheidung eines Stimmrechtskonsortiums, dem er angehört, nicht unzulässig sein. BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, ZIP 2009, 216 Rn. 12 (m. Bespr. K. Schmidt) – Schutzgemeinschaftsvertrag II, dazu EWiR 2009, 173 (Göz).
Ein Formerfordernis besteht grundsätzlich nicht. Auch das Auseinanderfallen 45 von Satzung und schuldrechtlicher Nebenabrede ist für die Wirksamkeit der jeweiligen Vereinbarung grundsätzlich ohne Belang. BGH, Beschl. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 1541 Rn. 7, dazu EWiR 2010, 639 (Wahl/Schult).
Die Gesellschaft kann unter Umständen gem. § 328 Abs. 1 BGB als Dritte 46 aus der Vereinbarung der Gesellschafter eigene Rechte herleiten. Vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 1541 Rn. 8, dazu EWiR 2010, 639 (Wahl/Schult).
2. Gesellschaftervereinbarung und Anfechtung Beschlüsse der Gesellschafter einer GmbH, die einer von allen Gesellschaftern 47 eingegangenen Nebenabrede widersprechen, können angefochten werden. Wie bereits dargelegt, sind Nebenabreden außerhalb der Satzung, insbesondere auch Stimmbindungsverträge der Gesellschafter untereinander (und zwischen Gesellschaftern und Dritten), zulässig. Verletzt ein Gesellschafter eine derartige mit einem Mitgesellschafter getroffene Abrede, indem er vereinbarungswidrig abstimmt, so ist der Streit um die Rechtsfolgen des Verstoßes unter den vertraglich gebundenen Gesellschaftern auszutragen; es kann jedoch nicht zu einer Anfechtung des Beschlusses und damit zu einem Rechtsstreit des benachteiligten Gesellschafters mit der Gesellschaft kommen. Verstößt der Beschluss aber gegen eine von allen Gesellschaftern eingegangene Bindung, so ist diese Regelung – auch ohne Bestandteil der Satzung zu sein – nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zumindest so lange zugleich als eine der Gesellschaft zu behandeln, als dieser lediglich die aus der Abrede verpflichteten Gesellschafter angehören. In diesem Falle besteht kein Anlass, die vertragswidrig überstimmten Gesellschafter auf den umständlichen Weg einer Klage gegen die Mitgesellschafter zu verweisen, um den Beschluss durch deren Verurteilung zu einer gegenteiligen Stimmabgabe aus der Welt zu schaffen. Vielmehr kann den überstimmten Gesellschaftern gestattet werden, den Beschluss durch Erhebung einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft aus der Welt zu schaffen. BGH, Urt. v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, ZIP 1983, 297, 298; BGH, Urt. v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295, dazu EWiR 1987, 53 (Riegger); zur wissenschaftlichen Diskussion vgl. die Nachweise bei Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 449; Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1021, 1026 Fn. 71.
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
48 Es darf aber nicht vergessen werden, dass es sich bei der Möglichkeit der Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen wegen einer Kollision mit einer Gesellschaftervereinbarung um eine allein aus prozessökonomischen Gründen zugelassene Ausnahme handelt. Die in Abweichung zur Satzungsbestimmung getroffene schuldrechtliche Vereinbarung bindet grundsätzlich nur die Vertragsparteien, also die Gesellschafter. Vgl. BGH, Beschl. v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, ZIP 2010, 1541 Rn. 8, dazu EWiR 2010, 639 (Wahl/Schult).
49 Ob Verstöße gegen Nebenabreden, die zwischen allen Aktionären geschlossen worden sind entsprechend den vorstehenden Grundsätzen zur Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen führt, ist umstritten. E. Vetter, in: Henssler/Strohn, § 23 AktG Rn. 32 m. w. N.; Hüffer/Koch, AktG, § 243 Rn. 8 ff.
3. Nebenabrede mit der AG 50 Durch eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen der AG und ihrem jeweiligen Aktionär können grundsätzlich keine Rechte und Pflichten begründet werden, die alle gegenwärtigen und künftigen Aktionäre treffen sollen und damit mitgliedschaftlicher Natur sind. Solche Abreden sind vielmehr notwendige materielle Satzungsbestandteile, die nur dann wirksam sein können, wenn sie in die Satzung aufgenommen werden. So kann etwa ein Recht zur Zwangseinziehung i. S. d. § 237 AktG nicht durch eine schuldrechtliche Abrede zwischen der AG und ihren Aktionären begründet werden. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt).
51 Ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Aktionär, wonach der Aktionär seine Aktien auf die Gesellschaft unentgeltlich zu übertragen hat, wenn der Vertrag beendet wird, ist jedenfalls dann nichtig (§ 138 Abs. 1 AktG), wenn der Aktionär die Aktien zuvor entgeltlich erworben hat. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 Rn. 15 ff., dazu EWiR 2013, 131 (Seibt).
V. Die Vor-AG 52 Die höchstrichterliche Rechtsprechung beschäftigt sich mit der Vorgesellschaft überwiegend im Recht der GmbH. Vgl. hierzu ausführlich Henze/Born, HRR GmbH-Recht, Rn. 83 ff.
53 Die Vor-AG ist im Gesetz nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die – einer Kapitalgesellschaft vorgelagerte – VorGesellschaft eine Organisationsform eigener Art, welche den im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag statuierten Gründungsvorschriften sowie dem 16
V. Die Vor-AG
Recht der angestrebten Gesellschaftsform unterliegt, soweit es mit ihrem besonderen Zweck vereinbar ist und nicht die Eintragung im Handelsregister voraussetzt. BGH, Urt. v. 12.7.1956 – II ZR 218/54, BGHZ 21, 242, 246 (GmbH); BGH, Urt. v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 347; BGH, Urt. v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 30, 32; BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 326 = ZIP 1992, 689, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft); BGH, Urt. v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, ZIP 1998, 109; BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 409/02, ZIP 2005, 253, 254; BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 10 (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop).
Die Vorgesellschaft ist rechtsfähig und im Rechtsstreit parteifähig (§ 50 54 Abs. 1 ZPO). BGH, Urt. v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, ZIP 1998, 109; BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 7 (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop); BGH, Urt. v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, ZIP 2008, 1025 Rn. 6.
Der Aufsichtsrat ist das für den Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem 55 ersten Vorstand zuständige Organ. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala).
Nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG haften vor der Eintragung der Gesellschaft in 56 ihrem Namen Handelnde persönlich. Als für die Vorgesellschaft handelndes Organ in diesem Sinne kommt grundsätzlich auch der Aufsichtsrat in Betracht. Das gilt nicht allein dann, wenn er „wie ein Vorstand“ handelt, also im Gründungsstadium dessen Aufgaben an sich zieht. Da ihm nach § 112 AktG die alleinige Vertretungskompetenz für den Abschluss von Anstellungsverträgen mit den Vorstandsmitgliedern zugewiesen ist, ist auch er in diesem Bereich an sich der „geborene“ Handelnde i. S. v. § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala).
Die Aufsichtsratsmitglieder haften dem ersten Vorstand aber dennoch nicht 57 wegen seiner Vergütungsansprüche. Dem stehen der Schutzzweck und der begrenzte Anwendungsbereich der Handelndenhaftung entgegen. BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala).
Eine Vor-AG kann durch Kündigung eines Gesellschafters aus wichtigem 58 Grund entsprechend § 723 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 1 BGB aufgelöst werden. Anders als die im Handelsregister eingetragene Kapitalgesellschaft ist die
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
Vor-Gesellschaft nicht auf einen dauerhaften Bestand als Unternehmensträgerin, sondern darauf ausgerichtet, als Vorstufe der juristischen Person deren Entstehung durch Einziehung der Mindesteinlagen und durch Anmeldung zum Handelsregister zu bewirken. Ob es tatsächlich zur Entstehung der juristischen Person kommt oder die Gründung schließlich scheitert, ist in dieser Phase noch offen. Der Vor-Gesellschaft fehlt damit die verfestigte, auf Dauer angelegte Struktur und Verselbstständigung, welche der juristischen Person eigen ist und die enge Auswahl der Auflösungsgründe in § 262 AktG rechtfertigt. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 11 f. (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop).
59 Ein wichtiger Grund für die Kündigung kann insbesondere vorliegen, wenn der Fortgang der Gesellschaftsgründung daran scheitert, dass ein Mitgesellschafter zur Erbringung seiner Einlage außerstande ist. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 18 f. (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop).
60 Die Verpflichtung der Gesellschafter zur Förderung der Entstehung der AG entfällt mit der Auflösung der Vor-Gesellschaft. An die Stelle ihrer ursprünglichen Zwecksetzung tritt der Abwicklungszweck mit der Folge, dass ihr Anspruch auf Leistung ausstehender Einlagen sich nach allgemeinen Grundsätzen auf das für die Abwicklung Erforderliche beschränkt. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 8 (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop).
61 Die Vorgesellschaft bleibt nach ihrer Auflösung als Liquidationsgesellschaft bis zur vollständigen Abwicklung rechts- und parteifähig. BGH, Urt. v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, ZIP 1998, 109; BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 7 (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop); BGH, Urt. v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, ZIP 2008, 1025 Rn. 6.
62 Für die Abwicklung einer aufgelösten Vor-AG sind nicht entsprechend §§ 730 ff. BGB deren Gesellschafter, sondern entsprechend § 265 Abs. 1 AktG die Vorstandsmitglieder zuständig. BGH, Urt. v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = ZIP 2006, 2267 Rn. 27 (AG), dazu EWiR 2007, 289 (Krolop).
VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung 63 Um den mit der Dauer des Eintragungsvorgangs bei einer Neugründung „normalerweise“ verbundenen Zeitverlust zu vermeiden und sich nicht den mit der Gründung einhergehenden Haftungsgefahren auszusetzen, wird in der Praxis auf bestehende Kapitalgesellschafts-Mäntel zurückgegriffen. Entweder man schlüpft in den durch eine auf Vorrat gegründete Gesellschaft
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
entstandenen Mantel von der Stange oder man bedient sich im „secondhand“ Angebot und streift sich den „leergewordenen Mantel“ einer zwar rechtlich bestehenden, aber inaktiv gewordenen Gesellschaft ohne Geschäftsbetrieb über. In Abgrenzung zur rechtlichen Gründung nennt man diesen Vorgang wirtschaftliche Neugründung. Da eine Umgehung der Gründungsvorschriften bei der wirtschaftlichen 64 Neugründung verhindert werden muss, wendet der Bundesgerichtshof die Vorschriften über die rechtliche Gründung auf die wirtschaftliche Neugründung analog an. In der Folge wird die überwiegend anhand von GmbHFällen entwickelte Rechtsprechung dargestellt werden. Die Anwendbarkeit des in diesen Fällen entwickelten Kontroll- und Haf- 65 tungsregimes auf die AG hat der II. Zivilsenat ausdrücklich bestätigt. Die (beabsichtigte) Aktivierung einer Vorratsgesellschaft ist entsprechend §§ 36, 37 AktG zum Handelsregister anzumelden, um dem Registergericht eine (erneute) Gründungsprüfung entsprechend § 38 AktG zu ermöglichen und sicherzustellen, dass die Gesellschaft über die geleisteten Einlagen sowie über ein Vermögen in Höhe ihres verlautbarten Grundkapitals auch tatsächlich noch verfügt. Schuldhaft unrichtige Angaben bei der Registeranmeldung können zur Haftung entsprechend §§ 46, 48 AktG führen. Unabhängig davon haften die Gesellschafter nach dem Modell der Unterbilanzhaftung wenn durch eine mit ihrem Einverständnis aufgenommene Geschäftstätigkeit der Gesellschaft vor (bzw. ohne) deren Anmeldung zum Handelsregister Verluste entstanden sind und deshalb das statutarische Grundkapital nicht mehr gedeckt ist. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 19; zur Übertragbarkeit vgl. im Einzelnen auch Hüffer/Koch, AktG, § 23 Rn. 26 ff.
1. Zulässigkeit der Vorratsgründung und Umgehungsschutz a) Zulässigkeit der „offenen“ Vorratsgründung Der Bundesgerichtshof hat sich zunächst in einem eine Aktiengesellschaft 66 betreffenden Fall mit der Zulässigkeit einer Vorratsgründung befasst. BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft).
Gegen die Zulässigkeit von Vorratsgründungen spreche zwar die Tatsache, 67 dass mit der späteren Verwendung des Mantels die Gründungsvorschriften umgangen werden könnten. Die Umgehung könne zur Folge haben, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet sei. Dadurch würden die Interessen der Gläubiger und der künftigen Gesellschafter in hohem Maße gefährdet. Das rechtfertigt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs jedoch kein
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
generelles präventiv wirkendes Verbot der Gründung von Vorratsgesellschaften. Er stützt seine Ansicht auf den mit den Gründungsvorschriften verbundenen Zweck, dass die Aufbringung des nach Gesetz oder Gesellschaftsvertrag bestimmten Haftungskapitals als Ausgleich für die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen im Zeitpunkt ihrer Entstehung gewährleistet sein muss. Diesem gesetzlichen Anliegen werde bei der Gründung einer Vorratsgesellschaft entsprochen, da auch sie das nach Gesetz oder Gesellschaftsvertrag vorgeschriebene Haftkapital unter Einhaltung der Errichtungsvorschriften einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle aufzubringen habe. Um bei der späteren Mantelverwendung im Interesse eines wirksamen Schutzes der Gläubiger und der künftigen Gesellschafter das Vorhandensein der nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag vorgeschriebenen Mindestkapitalausstattung zu gewährleisten, müsse also ein anderer Ansatzpunkt gewählt werden, und zwar die sinngemäße Anwendung der für die Gründung maßgebenden Vorschriften (§§ 23 ff. AktG) im Zeitpunkt der Mantelverwendung, die als wirtschaftliche Neugründung verstanden wird. 68 Für die Zulässigkeit der Gründung von Vorratsgesellschaften ist es notwendig, dass die Bestimmung der Gesellschaft, als sog. Mantel für die spätere Aufnahme eines Geschäftsbetriebs zu dienen, bei der Bezeichnung des nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG zwingend vorgeschriebene Unternehmensgegenstands deutlich klargestellt wird (sog. offene Vorratsgründung). Ist die Gesellschaft dazu bestimmt, als „Mantel“ für die spätere Aufnahme eines Geschäftsbetriebs zu dienen, reicht es bei der Gründung aus, als Gegenstand des Unternehmens die „Verwaltung des eigenen Vermögens“ anzugeben. Das entspricht der zutreffenden Tätigkeit der Gesellschaft, über die sie auch ihren Jahresabschluss zu fertigen hat (§§ 150 ff. AktG, §§ 242 ff., 264 ff. HGB). Erfolgt eine solche Offenlegung nicht, sondern wird im Gesellschaftsvertrag ein Unternehmensgegenstand angegeben, den die Gesellschaft nicht betreibt, so ist der Gesellschaftsvertrag nichtig, wobei der Bundesgerichtshof offengelassen hat, auf welcher von mehreren Möglichkeiten die Nichtigkeit beruht. Entscheidend sei vielmehr, dass § 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG nicht nur als Ordnungsvorschrift gewertet werden könne, die lediglich die vorsorgliche Angabe eines möglicherweise gar nicht in Aussicht genommenen, bei Bedarf jedoch jederzeit austauschbaren Unternehmensgegenstandes verlange. BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689, 693, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft).
69 Dem Fall der Vorratsgründung mit unzutreffender Angabe des Unternehmensgegenstands ist derjenige gleichzustellen, bei dem die Gründer vorerst nicht die Absicht haben, innerhalb eines absehbaren Zeitraums einen dem gesellschaftsvertraglichen Unternehmensgegenstand entsprechenden Geschäftsbetrieb aufzunehmen, bei dem sie sich aber die Verwirklichung einer solchen Absicht durchaus vorbehalten. Dabei bleiben die üblichen An- und Vorlaufzeiten außer Betracht. Eine solche Gleichstellung ist aus Gründen der Praktikabilität unumgänglich, weil ohne sie dem Registerrichter kein brauchbares
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
Abgrenzungskriterium für die Feststellung zur Verfügung stehen würde, ob die Absicht, den Unternehmensgegenstand zu realisieren, vorhanden ist oder nicht. Der Bundesgerichtshof hält sie aber auch von der Sache her für geboten, weil die unbefristete Verschiebung des Zeitpunktes, in dem der Geschäftsbetrieb aufgenommen werden soll, in Wirklichkeit eine Vorratsgründung beinhaltet, nicht aber eine Gründung zwecks Aufnahme des konkreten, in der Satzung angegebenen Gegenstandes des Unternehmens. Der Unternehmensgegenstand einer solchen Gesellschaft ist für die vorerst nicht absehbare Dauer ihrer Bereithaltung zum Zweck einer späteren Verwendung in Wirklichkeit die Verwaltung und Erhaltung ihres eigenen Vermögens. Soll die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags vermieden werden, muss der vorerst unbefristete Vorratszweck offengelegt werden. Das kann dadurch geschehen, dass als Unternehmensgegenstand im Gesellschaftsvertrag die Verwaltung des Gesellschaftsvermögens als (vorerst) tatsächlich ausgeübter Gegenstand ihrer Tätigkeit angegeben wird. Auch hier kann die endgültige Mantelverwendung nur im Zuge einer wirtschaftlichen Neugründung und der mit ihr verbundenen Kontrollen durchgeführt werden. BGH, Beschl. v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = ZIP 1992, 689, 693, dazu EWiR 1992, 673 (Kraft).
b) Umgehungs- und Gläubigerschutz Offengelassen hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 16.3.1992 70 noch die – damals nicht entscheidungserheblichen – Einzelheiten der rechtlichen Ausgestaltung der Analogie zu den für die Gründung maßgebenden Vorschriften. Gelegenheit dies nachzuholen boten zwei Grundsatzentscheidungen zur GmbH in den Jahren 2002 und 2003. Zunächst wurde klargestellt, dass die für die Vorratsaktiengesellschaft aufge- 71 stellten Grundsätze auf den Fall der Verwendung einer auf Vorrat gegründeten GmbH uneingeschränkt übertragbar sind, BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil),
was auch umgekehrt gilt, so dass die nachfolgende Darstellung zum GmbHRecht auch auf die Aktiengesellschaft übertragbar ist. Da die Verwendung des Mantels einer zunächst „auf Vorrat“ gegründeten 72 Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Ausstattung der Vorratsgesellschaft mit einem Unternehmen und erstmaliger Aufnahme ihres Geschäftsbetriebs wirtschaftlich eine Neugründung darstellt sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbHG einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. Damit findet insbesondere eine registergerichtliche Prüfung (analog § 9c GmbHG) der vom Mantelverwender – bzw. dem Geschäftsführer (§ 78 GmbHG) – in der Anmeldung der mit der wirtschaftlichen Neugründung
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
verbundenen Änderungen (vgl. § 54 GmbHG) gem. § 8 Abs. 2, § 7 Abs. 2, 3 GmbHG abzugebenden Versicherung statt. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); bestätigt in BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting) und BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
73 Der Gläubigerschutz aus Anlass der Mantelverwendung nach einer Vorratsgründung, betrifft neben dem durch die formalrechtliche registergerichtliche Präventivkontrolle abgesicherten Mindestschutz auch den weitergehenden Schutz auf der (materiell-rechtlichen) Haftungsebene, aufgrund etwa der Handelndenhaftung (§ 11 Abs. 2 GmbHG) oder der vom Bundesgerichtshof entwickelten Unterbilanzhaftung. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil).
74 Diese für die Verwendung der auf Vorrat gegründeten Gesellschaft aufgestellten Grundsätze sind auf den Fall der Verwendung des „alten“ Mantels einer existenten, im Rahmen ihres früheren Unternehmensgegenstandes tätig gewesenen, jetzt aber unternehmenslosen GmbH entsprechend übertragbar. Auch die Verwendung eines solchen alten, leer gewordenen Mantels einer GmbH stellt wirtschaftlich eine Neugründung dar. Als wirtschaftliche Neugründung ist es anzusehen, wenn die in einer GmbH verkörperte juristische Person als unternehmens-loser Rechtsträger („Mantel“) besteht und sodann mit einem Unternehmen aus-gestattet wird. Dabei macht es bei wertender Betrachtung keinen Unterschied, ob die Unternehmenslosigkeit im Sinne des Fehlens eines Geschäftsbetriebs – wie bei der „offenen“ Vorratsgründung – von Anfang an vorgesehen ist und sodann die Gesellschaft erstmals den Betrieb eines Unternehmens aufnimmt, oder ob sie – wie bei den sog. alten Gesellschaftsmänteln – darauf beruht, dass der Betrieb eines (ursprünglich) vorhandenen Unternehmens mittlerweile eingestellt bzw. endgültig aufgegeben worden ist und sodann der gleichsam als „inhaltsloser Hülle“ fortbestehenden juristischen Person ein neues Unternehmen „implantiert“ wird. Die mit der wirtschaftlichen Neugründung verbundenen Probleme eines wirksamen Gläubigerschutzes bestehen sowohl im Anschluss an eine Vorrats-gründung als auch im Zusammenhang mit der „Wiederbelebung“ eines leeren Mantels durch Ausstattung mit einem (neuen) Unternehmen: In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften mit der Folge, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet ist. Die Gläubiger sind im Falle der Verwendung eines bereits stillgelegten, leeren Mantels sogar stärker gefährdet und daher schutzbedürftiger als bei der Verwendung einer Vorrats-GmbH. Während nämlich bei der zunächst inaktiven Vorratsgesellschaft die zuvor anlässlich der rechtlichen Gründung durch das Register-
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
gericht kontrollierte Kapitalausstattung zum Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung durch Aufnahme ihres Geschäftsbetriebs regelmäßig noch unversehrt, vermindert allenfalls um die Gründungskosten und Steuern, vorhanden sein wird, ist im Zeitpunkt der Verwendung eines alten GmbH-Mantels das früher aufgebrachte Stammkapital des inaktiv gewordenen Unternehmens typischerweise nicht mehr unversehrt, sondern zumeist sogar bereits verbraucht. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1700, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.
2. Registerrechtlicher Präventivschutz bei der wirtschaftlichen Neugründung Hinsichtlich Art und Umfang des registerrechtlichen Präventivschutzes hat der 75 Bundesgerichtshof für die Mantelverwendung nach einer Vorratsgründung BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil) sowie Nolting, ZIP 2003, 651
ebenso wie für die Verwendung eines alten, leergewordenen Mantels BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1700, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790
folgende Grundsätze aufgestellt: Da die Verwendung des Mantels einer auf Vorrat gegründeten GmbH als wirtschaftliche Neugründung anzusehen ist, ist sie in vollem Umfang in die mit den Gründungsvorschriften verfolgte Regelungsabsicht des Gesetzgebers einzubeziehen, die Ausstattung der Gesellschaft mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Haftungsfonds sicherzustellen. Das Registergericht hat daher entsprechend § 9c GmbHG in eine Gründungsprüfung einzutreten, die sich jedenfalls auf die Erbringung der Mindeststammeinlagen und im Falle von Sacheinlagen auf deren Werthaltigkeit zu beziehen hat (§ 7 Abs. 2 und 3, § 8 Abs. 2 GmbHG). Entscheidender verfahrensrechtlicher Anknüpfungspunkt für die Kontrolle durch das Registergericht ist auch bei der Verwendung des Mantels einer Vorrats-GmbH die anlässlich der wirtschaftlichen Neugründung abzugebende Anmeldeversicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG. Danach ist zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass der Gegenstand der Leistungen sich – weiterhin oder jedenfalls wieder – endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 162 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 323 f. = ZIP 2003, 1698, 1700, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790;
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A. Gründung der Aktiengesellschaft BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting); BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 17, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
76 Es ist daher keinesfalls ausreichend, dass die Mantelverwendung für das Registergericht aufgrund der Umstände offenkundig oder erkennbar ist. Offengelassen in KG ZIP 2010, 582, dazu EWiR 2010, 291 (Giedinghagen/Rulf).
77 Die dem Geschäftsführer nach § 8 Abs. 2 GmbHG obliegende Versicherung, dass die geleisteten Mindesteinlagen zu seiner freien Verfügung stehen, beinhaltet von Gesetzes wegen, dass im Anmeldezeitpunkt derartige Mindesteinlagen nicht durch schon entstandene Verluste ganz oder teilweise aufgezehrt sind. Nur wenn zureichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies – entgegen der Versicherung – nicht der Fall ist, darf und muss das Registergericht seine Prüfung auch auf die Frage erstrecken, ob die GmbH im Zeitpunkt der Anmeldung der Mantelverwendung nicht bereits eine Unterbilanz aufweist. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil); BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1700, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.
78 Die registergerichtliche Nachprüfung der Mindestkapitalaufbringung wird auch nicht dadurch überflüssig, dass in der Regel bei der Verwendung des Mantels einer Vorratsgesellschaft das satzungsmäßige Stammkapital, wenn es bar ein-gezahlt worden ist, noch unversehrt – allenfalls geringfügig vermindert um Verwaltungskosten und Steuern – vorhanden sein wird. Es ist nämlich – gerade unter Umgehungsgesichtspunkten – nicht auszuschließen, dass die Gesellschaft, insbesondere aufgrund vorzeitiger Geschäftsaufnahme unter dem neuen Unternehmensgegenstand, bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung Verluste erlitten hat oder das ursprünglich eingezahlte Kapital wieder entnommen worden ist. Sie muss daher wie jede andere neu gegründete GmbH die Auffüllung ihres Vermögens auf die gesetzlich mit der Anmeldeversicherung gem. § 8 Abs. 2 GmbHG vorgeschriebene Mindestziffer gewährleisten. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil).
79 Die vom Registergericht vorzunehmende Prüfung ist bei der wirtschaftlichen Neugründung einer Vorrats-GmbH grundsätzlich nicht schwieriger als bei einer „normalen“ Neugründung. Die mit der Mantelverwendung im Anschluss an eine offene Vorratsgründung regelmäßig einhergehenden, gem. § 54 GmbHG eintragungspflichtigen Änderungen des Unternehmensgegenstands, der Neufassung der Firma, Verlegung des Gesellschaftssitzes und/oder Neubestimmung der Organmitglieder liefern dem Registerrichter – sei es kumu-
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
lativ, sei es auch nur einzeln – ein hinreichendes Indiz dafür, dass sich die Verwendung des bisher „unternehmenslosen“ Mantels vollziehen soll. Abgrenzungsschwierigkeiten – wie sie bei der Verwendung sog. gebrauchter, leerer GmbH-Mäntel auftreten können – sind gerade bei der Übernahme einer als offene Vorratsgesellschaft gegründeten GmbH, die keine Geschäftstätigkeit aufgenommen hat und deren Unternehmensgegenstand offen als „Verwaltung eigener Vermögenswerte“ bezeichnet ist, für den Registerrichter typischerweise nicht zu erwarten. BGH, Beschl. v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = ZIP 2003, 251, 252, dazu EWiR 2003, 327 (Keil).
Aber auch die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der wirtschaftlichen Neu- 80 gründung leergewordener GmbH-Mäntel von der – nicht zu beanstandenden – Umorganisation der vorhandenen GmbH lassen sich in den Griff bekommen. Für die Abgrenzung der Mantelverwendung von der Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebietes – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft, oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – ggf. wieder – aufzunehmen. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung lassen sich die – angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Manteltransaktionen – vorhandenen Abgrenzungsprobleme jedenfalls im Regelfall, d. h. vornehmlich beim sog. Mantelkauf, bewältigen. Im Übrigen kann der Geltungsanspruch der Kapitalaufbringungsnormen nicht von etwaigen Schwierigkeiten ihrer praktischen Umsetzung abhängig gemacht werden, zumal Abgrenzungs- und Kontrollprobleme ein allenthalben anzutreffendes und auch sonst zu bewältigendes Phänomen der Rechtsanwendung sind. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1700, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.
Der Begrenztheit der Erkennbarkeit von Mantelverwendungen und der dies- 81 bezüglichen Erkenntnismöglichkeiten des Registergerichts trägt der Bundesgerichtshof dadurch Rechnung, dass er die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht verlangt. Dadurch wird in der gebotenen Weise die „wirtschaftliche Neugründung“ offenkundig gemacht und zugleich die Effektivität des unverzichtbaren registergerichtlichen Präventiv-schutzes vor einer gläubigergefährdenden wirtschaftlichen Verwendung der Rechtsform der GmbH verstärkt. Eine derart verlässliche Kontrolle wäre allein aufgrund der dem Registergericht sonst zur Verfügung stehenden Erkenntnis-quellen nicht gesichert. Eintragungspflichtige Abänderungen des
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
Gesellschafts-vertrags (§ 54 GmbHG), wie Änderung des Unternehmensgegenstandes, Neu-fassung der Firma, Sitzverlegung, Bestellung eines neuen Geschäftsführers sowie eine Veräußerung der Geschäftsanteile gehen zwar typischerweise, aber keineswegs notwendig mit einer Mantelverwendung einher; anhand solcher häufig – aber nicht notwendig – kumulativ auftretender, unterschiedlich aussagekräftiger Indizien lassen sich allenfalls eindeutige Mantelverwendungen durch die registergerichtliche Kontrolle erfassen, während ein beträchtlicher Teil regelungs-bedürftiger Fälle unerkannt bliebe. Dem wirkt die obligatorische Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung entgegen. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1700 f., dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790; vgl. auch BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 13 und 18, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
82 Die mit der Offenlegung der Mantelverwendung gegenüber dem Registergericht zu verbindende Versicherung gem. § 8 Abs. 2 GmbHG ist am satzungsmäßigen Stammkapital auszurichten, so dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Offenlegung noch ein Mindestvermögen in Höhe der statutarischen Stammkapitalziffer besitzen muss, von dem sich ein Viertel – wenigstens aber 12.500 € – wertmäßig in der freien Verfügung der Geschäftsführung zu befinden hat. Während Vorratsgesellschaften regelmäßig nur mit dem gesetzlichen Mindestkapital von 25.000 € (§ 5 Abs. 1 GmbHG) ausgestattet sind, wird bei den zur Wiederverwendung bestimmten alten GmbH-Mänteln die statutarische Kapitalziffer nicht selten darüber liegen. Daher ist in beiden Fallkonstellationen der wirtschaftlichen Neugründung die Kapitalaufbringung nicht auf das gesetzliche Mindest-stammkapital von 25.000 € begrenzt, sondern hat sich am satzungsmäßig festgelegten Stammkapital auszurichten. Es liegt in der Konsequenz der analogen An-wendung der Kapitalaufbringungsvorschriften, dass bei der wirtschaftlichen Neugründung – genauso wie bei jeder „regulären“ rechtlichen Neugründung – die Kapitalaufbringung im Umfang der statutarisch festgelegten Kapitalziffer sichergestellt werden soll. Der Mantelverwender verwendet nicht irgendeinen am gesetzlichen Mindeststammkapital orientierten hypothetischen, sondern den konkreten Gesellschaftsmantel mit dem konkreten – ggf. höheren – satzungsmäßigen Stammkapital; an dieser statutarischen, im Handelsregister verlautbarten Kapitalziffer orientiert sich auch das zu schützende Vertrauen des Rechtsverkehrs. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1701, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790.
83 Auch die (beabsichtigte) Aktivierung einer Vorrats-AG ist entsprechend §§ 36, 37 AktG zum Handelsregister anzumelden, um dem Registergericht eine (erneute) Gründungsprüfung entsprechend § 38 AktG zu ermöglichen und sicherzustellen, dass die Gesellschaft über die geleisteten Einlagen sowie über
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
ein Vermögen in Höhe ihres verlautbarten Grundkapitals auch tatsächlich noch verfügt. Ausdrücklich BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 19.
3. Haftung bei der wirtschaftlichen Neugründung a) Unterbilanzhaftung Vgl. für die rechtliche Gründung Rn. 108 ff.
Zur Gewährleistung der realen Kapitalaufbringung als zentrales, die Haftungs- 84 begrenzung auf das Gesellschaftsvermögen rechtfertigendes Element kommt neben der registergerichtlichen Präventivkontrolle auf der materiell-rechtlichen Haftungsebene das – auf eine Innenhaftung beschränkte – Modell der Unterbilanzhaftung zur Anwendung. Maßgeblicher Stichtag für diese Haftung der Gesellschafter ist die – mit der Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit ihr einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende – Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Handelsregister. Da die Gesellschaft im Falle der wirtschaftlichen Neugründung nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister entsteht, ist damit dem Gebot der Gläubigersicherung hinreichend genügt. Auf die nachfolgende Eintragung der Vertragsänderungen – die in Ausnahmefällen, etwa bei der Aktivierung einer leeren GmbH-Hülle durch dieselben Gesellschafter, auch ganz fehlen können – kommt es nicht an. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1701, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790; BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting); BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 19, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer) und Ulmer, ZIP 2012, 1265.
Die Gesellschafter der wirtschaftlich neu gegründeten Gesellschaft die der 85 (Neu-) Aufnahme der Geschäfte zugestimmt haben, müssen im Rahmen der Unterbilanzhaftung (anteilig) den – ggf. auch negativen – Wert des Gesellschafts-vermögens bis zur Höhe des zugesagten Stammkapitals ausgleichen, mithin die Kapitaldeckung gewährleisten. BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 28, 36, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
Auch die Gesellschafter einer AG haften nach dem Modell der Unterbilanz- 86 haftung wenn durch eine mit ihrem Einverständnis aufgenommene Geschäftstätigkeit der Gesellschaft vor (bzw. ohne) deren Anmeldung zum Handelsregister Verluste entstanden sind und deshalb das statutarische Grundkapital nicht mehr gedeckt ist.
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A. Gründung der Aktiengesellschaft Ausdrücklich BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 19.
87 Die für die Unterbilanzhaftung analog § 9 Abs. 2 GmbHG a. F. (gültig bis 14.12.2004) geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren beginnt in „Altfällen“, d. h. bei Aktivierung des Mantels vor Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 7.7.2003 (– II ZB 4/02, BGHZ 155, 318), aus Gründen des Vertrauensschutzes allerdings nicht erst mit der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Handelsregister, sondern bereits mit der Neuaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit. BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZA 14/06, ZIP 2008, 217, dazu EWiR 2008, 535 (Ostermaier).
b) Handelndenhaftung 88 Eine (Außen-)Haftung der handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG) hat der II. Zivilsenat nur für solche Fälle in Betracht gezogen, in denen vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen worden sind, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben. Vgl. BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = ZIP 1997, 679, 681, dazu EWiR 1997, 463 (Fleischer) und K. Schmidt, ZIP 1997, 671; BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = ZIP 2003, 1698, 1701, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790; BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 8, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).
89 Haben die Gesellschafter dagegen zugestimmt, kommt die Unterbilanzhaftung in Betracht, weshalb es einer Handelndenhaftung nicht bedarf. 90 Nach § 11 Abs. 2 GmbHG haftet persönlich, wer vor Eintragung der Gesellschaft in deren Namen handelt und dadurch Verbindlichkeiten begründet. Die Bedeutung dieser Haftung hat mit der Aufgabe des Vorbelastungsverbots und der Anerkennung einer Unterbilanz- und Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter abgenommen. Sie dient im Wesentlichen nur noch dazu, in Fällen, in denen für eine Geschäftstätigkeit vor Eintragung der Gesellschaft auch nach den neueren Rechtsgrundsätzen weder die Gesellschafter noch die Gesellschaft haften – etwa weil die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht überschritten haben –, den Gläubigern einen Schuldner zu verschaffen. BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).
91 Eine entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG im Falle der wirtschaftlichen Neugründung einer Gesellschaft ist auf den Zeitpunkt zu beziehen, auf den es auch für die Haftung der Gesellschafter ankommt. Das ist entweder der Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).
oder, im Falle unterbliebener Offenlegung, der Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch die Anmeldung der Satzungsänderungen oder durch die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt. BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 14 f.
Nicht in Frage kommt der Zeitpunkt der Eintragung der mit der Neugrün- 92 dung ggf. verbundenen anmeldepflichtigen Änderungen des Gesellschaftsvertrags. BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).
c) Haftung bei unterbliebener Offenlegung Davon zu unterscheiden ist die Haftung bei unterbliebener Offenlegung der 93 wirtschaftlichen Neugründung. Die entsprechende Anwendung der die Kapitalaufbringung betreffenden Gründungsvorschriften des GmbHG bzw. des AktG führt bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht – entgegen einer verbreiteten Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum – nicht zu einer zeitlich unbegrenzten Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter. Unterbleibt die mit der Versicherung entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit einer wirtschaftlichen Neugründung einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht, haften die Gesellschafter im Umfang einer Unterbilanz, die in dem Zeitpunkt besteht, zu dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch die Anmeldung der Satzungsänderungen oder durch die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 8, dazu EWiR 2014, 273 (Fried); BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 14 f., dazu EWiR 2012, 347 (Bayer) sowie Ulmer, ZIP 2012, 1265; Klarstellung zu BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZA 14/06, ZIP 2008, 217 Rn. 4, dazu EWiR 2008, 535 (Ostermaier) und BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZA 15/06, DStR 2008, 933 Rn. 4.
Bei fehlender Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung tragen die 94 unter dem Gesichtspunkt der Unterbilanzhaftung in Anspruch genommenen Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in dem Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung nach außen in Erscheinung getreten ist, keine Differenz zwischen dem (statutarischen) Stammkapital und dem
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A. Gründung der Aktiengesellschaft
Wert des Gesellschaftsvermögens bestanden hat. Die Umgehung des der Aufbringung des statutarischen Stammkapitals – an dem sich das Vertrauen des Rechtsverkehrs orientiert – dienenden registergerichtlichen Präventivschutzes rechtfertigt eine Beweislastumkehr. BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 41 f., dazu EWiR 2012, 347 (Bayer); BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 19, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
4. Abgrenzungen a) Überholte Vorratsgründung 95 Um einen Mantel verwenden zu können, muss ein solcher bereits im Schrank hängen. An einer wirtschaftlichen Neugründung im Sinne der Rechtsprechung des II. Zivilsenats fehlt es daher, wenn die Gesellschaft, deren Gegenstand zunächst in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens bestand, zwar als sog. Vorratsgesellschaft gegründet worden war, die Änderung des Unternehmensgegen-standes, des Namens und des Sitzes ebenso wie der Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführer – mithin die Ausstattung der Gesellschaft mit einem werbenden Unternehmen – aber schon vor der Eintragung der Vorratsgesellschaft im Handelsregister beschlossen und – soweit dafür nicht die Eintragung im Handelsregister erforderlich war – auch vollzogen wurde. BGH, Urt. v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, ZIP 2011, 1761 Rn. 7, dazu EWiR 2011, 639 (Nolting).
b) Rechtliche Gründung – Vorbereitungshandlungen 96 Die Anwendung der vorstehenden Grundsätze hängt nicht allein vom Verstreichen einer längeren Zeitspanne zwischen Gründung und Geschäftsaufnahme ab. Dies hat der Bundesgerichtshof bei der Beurteilung folgenden Sachverhalts klargestellt: Der klagende Insolvenzverwalter hat den Gründungsgesellschafter der Schuldnerin aus Unterbilanzhaftung in Anspruch genommen. Die GmbH war im Mai in das Handelsregister eingetragen worden; hatte nach längerer Vorbereitung ihre Geschäftstätigkeit im Außenverhältnis aber erst im November aufgenommen. Der Insolvenzverwalter war der Auffassung, infolge der nach Gründung zunächst fehlenden Geschäftstätigkeit handele es sich nicht mehr um die Verwirklichung der ursprünglich gesetzten Ziele, vielmehr liege eine auf diesen Zeitpunkt zu beziehende wirtschaftliche Neugründung in Gestalt einer „Mantelverwendung“ vor mit der Folge der Anwendbarkeit der GmbH-rechtlichen Gründungsvorschriften. 97 Der Bundesgerichtshof hat in Fortführung seiner Rechtsprechung zur Vorratsgesellschaft und zur Mantelverwendung das Vorliegen einer wirtschaftlichen Neu-gründung verneint. Von einer Vorratsgründung ist dann nicht auszugehen, wenn die Gründer – wie im entschiedenen Fall – die Absicht haben, einen 30
VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand entsprechenden Geschäftsbetrieb innerhalb eines absehbaren Zeitraums zu verwirklichen, wobei die üblichen Anlauf- und Vorlaufzeiten außer Betracht zu bleiben haben. Auch die Grundsätze der Mantelverwendung fanden keine Anwendung. Eine Mantelverwendung, auf die die Regeln der wirtschaftlichen Neugründung anwendbar sind, kommt nur in Betracht, wenn die Gesellschaft eine „leere Hülse“ ist, also kein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise an-knüpfen kann. Vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont).
Die vom II. Zivilsenat entwickelten Regeln sollen Vorkehrungen im Interesse 98 des Geschäftsverkehrs dagegen schaffen, dass ein leer gewordener Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung mit ihren präventiv wirkenden gläubigerschützenden Regeln einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – ggf. wieder – aufzunehmen. Vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont); BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 11, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Insolvenzschuldnerin 99 bei der vom Kläger geltend gemachten Geschäftsaufnahme im November keine solche „leere Hülse“, erst Recht war die später aufgenommene Geschäftstätigkeit nicht „gänzlich neu“ (wird ausgeführt). Vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont).
Bei der rechtlichen Gründung einer GmbH liegt nach der Rechtsprechung 100 des II. Zivilsenats für den Zeitraum, in dem die Gesellschaft nach ihrer Gründung und Eintragung lediglich konkrete Aktivitäten zur Planung und Vorbereitung der Aufnahme ihrer nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit im Rahmen des statutarischen Unternehmensgegenstands entfaltet, die Aufnahme des (eigentlichen) Geschäftsbetriebs nach außen aber noch nicht stattgefunden hat, eine „leere Hülse“, auf deren Verwendung die Regeln der wirtschaftlichen Neugründung anzuwenden sind, also nicht vor. Die Anwendung der aus Gründen des Gläubigerschutzes entwickelten Regeln der wirtschaftlichen Neugründung, mit denen der Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften begegnet werden soll, ist nicht geboten, wenn die Gesellschaft mit Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf ihre zukünftig in Aussicht genommenen Geschäfte befasst ist.
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A. Gründung der Aktiengesellschaft BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 6 ff., dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont); BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
c) Umorganisation oder Sanierung 101 Für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Neugründung durch eine Mantelverwendung von der (bloßen) Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist also entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft, oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – ggf. wieder – aufzunehmen. BGH, Beschl. v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324 = ZIP 2003, 1698, dazu EWiR 2003, 967 (Keil) und Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790; BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 6, dazu EWiR 2010, 611 (Schmitz-DuMont); BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
102 Die Grundsätze über die wirtschaftliche Neugründung können danach auch anzuwenden sein, wenn der Gesellschafterbestand bei Aufnahme des Geschäftsbetriebs zunächst unverändert bleibt BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 2, 12, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer); BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 273 (Fried)
und nach der (Wieder-)Aufnahme des Geschäftsbetriebs (teilweise) die gleiche Art von Geschäften betrieben wird wie zuvor. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
d) Liquidation 103 Die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung finden auch in der Liquidation der Gesellschaft Anwendung. Die mit der wirtschaftlichen Neugründung verbundenen Probleme eines wirksamen Gläubigerschutzes bestehen sowohl bei der „Wiederbelebung“ eines durch das Einschlafenlassen des Geschäftsbetriebs zur leeren Hülse gewordenen Mantels durch Ausstattung mit einem (neuen) Unternehmen als auch im Zusammenhang mit der Verwen-
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VI. Vorratsgründung, leergewordener Mantel und Mantelverwendung
dung des leeren Mantels einer Abwicklungsgesellschaft, deren Abwicklung nicht weiter betrieben wurde. In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften mit der Folge, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet ist. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 10, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
Die dargestellten Abgrenzungsgrundsätze bedürfen allerdings für den Fall 104 der wirtschaftlichen Neugründung in der Liquidation der Anpassung. Allein die mit der Fortführung beabsichtigte Zweckänderung von einer Abwicklungs- hin zu einer werbenden Gesellschaft ist als solche keine wirtschaftliche Neugründung, weil die aufgelöste Gesellschaft nicht per se ein unternehmensleerer Mantel ist. Dass während der Liquidation Geschäfte allenfalls noch im Rahmen des Abwicklungszwecks betrieben werden (vgl. § 70 Satz 1 und 2 GmbHG) und nach Beendigung der laufenden Geschäfte mit der weiteren Abwicklung die nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit zum Erliegen kommt, reicht zur Annahme einer leeren Hülse nicht aus. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 13, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
Die eine „leere Hülse“ und damit die Anwendung der Regeln der wirtschaft- 105 lichen Neugründung ausschließende andauernde aktive unternehmerische Tätigkeit ist nicht stets mit dem dem Unternehmensgegenstand entsprechenden operativen Geschäft gleichzusetzen, sondern hat insbesondere in der Anlaufund in der Abwicklungsphase einer Gesellschaft einen der besonderen Unternehmenstätigkeit in diesem Zeitraum entsprechenden anderen Inhalt. In der Abwicklungsphase ist darauf abzustellen, ob noch nennenswerte Liquidationsaufgaben i. S. d. § 70 GmbHG (vgl. § 268 Abs. 1 AktG) wahrgenommen werden, die auf den Schluss der Liquidation zusteuern, oder ob die Abwicklung über längere Zeit nicht mehr betrieben wurde und deshalb vom Vorliegen eines leeren Gesellschaftsmantels ohne Geschäftsbetrieb auszugehen ist. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 15, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung I. Leistung von Bareinlagen Nach § 36 Abs. 2 AktG darf die Anmeldung zur Eintragung der AG in das 106 Handelsregister erst erfolgen, „wenn auf jede Aktie, soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind, der eingeforderte Betrag ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§ 54 Abs. 3) und, soweit er nicht bereits zur Bezahlung der bei der Gründung angefallenen Steuern und Gebühren verwandt wurde, endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht“. Der eingeforderte Betrag, der mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien für einen höheren Betrag auch den Mehrbetrag umfassen muss (§ 36a Abs. 1 AktG) – er kann auch höher sein und die Höhe des geringsten Ausgabebetrages zuzüglich Agio erreichen – kann nur in gesetzlichen Zahlungsmitteln, durch Gutschrift auf ein Konto u. a. bei einem Kreditinstitut der Gesellschaft oder des Vorstands zu seiner freien Verfügung eingezahlt werden (§ 54 Abs. 3 AktG). In der Anmeldung ist zu erklären, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, wobei der Ausgabebetrag der Aktien und der darauf eingezahlte Betrag anzugeben sind (§ 37 Abs. 1 Satz 1 AktG). Es ist nachzuweisen, dass der eingezahlte Betrag endgültig zur freien Verfügung des Vorstands steht, wobei dieser Nachweis bei Gutschrift auf einem Konto durch eine schriftliche Bestätigung des kontoführenden Instituts zu führen ist (§ 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG). Diese Regelung gilt – mit Ausnahme der Einzahlung durch Gutschrift auf ein Konto des Vorstands (§ 188 Abs. 2 Satz 2 AktG) – sinngemäß für die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen (§ 188 Abs. 2 Satz 1 AktG) und die Ausgabe von Aktien gegen Bareinlagen im Zuge eines genehmigten Kapitals (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Bundesgerichtshof, BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 = ZIP 1992, 1387,
hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Inferent seiner Bareinlageverpflichtung aus einer Kapitalerhöhung in Höhe des eingeforderten Betrags mit Erfüllungswirkung gegenüber der AG dadurch nachkommen kann, dass er aufgrund einer mit dem Vorstand der Gesellschaft getroffenen Absprache die Zahlung nicht an die Gesellschaft, sondern unmittelbar an deren Gläubiger zur Begleichung einer fälligen Gesellschaftsverbindlichkeit vornimmt. Der Fall hat dem Bundesgerichtshof Veranlassung gegeben, zu Fragen des Vorbelastungsverbots und des Unversehrtheitsgrundsatzes Stellung zu nehmen. 1. Unversehrtheitsgrundsatz bei der Gründung Früher wurde die Ansicht vertreten, dass der Betrag, der vor der Anmeldung 107 der Eintragung der AG in das Handelsregister eingefordert wird, mit Ausnahme der für die Gesellschaftsgründung angefallenen Steuern und Gebühren
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
(§§ 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Satz 5 AktG) im Zeitpunkt der Anmeldung der AG zur Eintragung noch vollständig vorhanden sein und zur freien Verfügung des Vorstands stehen müsse. Diese Forderung beruht auf dem Unversehrtheitsgrundsatz, der verlangt, dass das Grundkapital der Gesellschaft, wenn sie mit der Eintragung in das Handelsregister entsteht, möglichst ungeschmälert zur Verfügung steht. Diesem Gedanken trägt das Vorbelastungsverbot Rechnung: Der in der Entstehung begriffenen AG ist es danach nicht erlaubt, ihren Geschäftsbetrieb bereits vor der Eintragung aufzunehmen, dazu die ihr vor Anmeldung der Eintragung zustehenden und zufließenden Einlagebeträge zu verwenden und unbeschränkt Verbindlichkeiten einzugehen. Vielmehr tritt sie nur in solche vor ihrer Eintragung eingegangenen Verbindlichkeiten ein, die in Gesetz und Satzung eine klare Grundlage haben; bei Sachgründungen bzw. Sachübernahmen geht es also um die Übernahme des eingebrachten bzw. erworbenen Gegenstands. Das Vorbelastungsverbot hat im Gesetz seinen Niederschlag in der Haftung des vor Eintragung der AG in ihrem Namen Handelnden (§ 41 Abs. 1 Satz 2 AktG) und in der Regelung der Schuldübernahme (§ 41 Abs. 2 AktG) gefunden. Die Rechtsprechung hat zwar die in der Entstehung befindliche AG als Organisationsform eigener Art anerkannt, die dem Recht der eingetragenen AG untersteht, soweit das nicht die Rechtsfähigkeit voraussetzt (vgl. Rn. 52 ff.). An dem Vorbelastungsverbot für die AG hat sie jedoch zunächst festgehalten. RG, Urt. v. 4.11.1931 – V 62/31, RGZ 134, 121, 122 (GmbH); RG, Urt. v. 7.4.1937 – V 185/36, RGZ 154, 276, 286 f.; BGH, Urt. v. 13.7.1961 – II ZR 239/59, WM 1961, 882.
a) Rechtsentwicklung bei der GmbH 108 Im Recht der GmbH hat der Bundesgerichtshof Vorbelastungsverbot und Unversehrtheitsgrundsatz aufgegeben und durch die sogenannte Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung und die Verlustdeckungshaftung der Gründergesellschafter ersetzt. Der Unversehrtheitsgrundsatz wird somit nicht mehr buchstäblich, sondern wertmäßig verstanden. BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 140 = ZIP 1981, 394 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = ZIP 1989, 27 (GmbH), dazu EWiR 1989, 55 (Karsten Schmidt); BGH, Beschl. v. 4.3.1996 – II ZR 123/94, ZIP 1996, 590 (GmbH), dazu EWiR 1996, 359 (Wilken); BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = ZIP 1997, 679 (GmbH), dazu EWiR 1997, 463 (Fleischer).
109 Führt die Aufnahme der Geschäftstätigkeit durch die Vorgesellschaft dazu, dass der Wert des in der eingetragenen Gesellschaft vorhandenen Vermögens die Stammkapitalziffer nicht deckt, kann ein Ausgleich für die Differenz zwischen dem Wert des vorhandenen Vermögens und dem Betrag, der zur Deckung der Stammkapitalziffer erforderlich ist – ausgenommen die zu Lasten der GmbH gehenden Gründungskosten wie z. B. Eintragungs- und Bekannt36
I. Leistung von Bareinlagen
machungsgebühren – dadurch erreicht werden, dass die Gründergesellschafter in Höhe dieser Differenz persönlich haften. Diese vom Bundesgerichtshof auf § 9 Abs. 1 GmbHG gestützte Haftung hat ihre Grundlage in dem allgemeinen Kapitalaufbringungsgebot. Vgl. BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = ZIP 1981, 394 (GmbH).
Die Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung greift sowohl bei der Sach- als 110 auch Bargründung ein. Sie allein führt zu einer angemessenen Gleichbehandlung von Alt- und Neugläubigern. Sie ist an die Eintragung der GmbH in das Handelsregister geknüpft, bildet mit der bis zur Eintragung bestehenden Verlustdeckungshaftung eine einheitliche Gründerhaftung und wird ebenso wie diese als unbeschränkte Innenhaftung verstanden. BGH, Urt. v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = ZIP 1997, 679 (GmbH), dazu EWiR 1997, 463 (Fleischer); BGH, Beschl. v. 4.3.1996 – II ZR 123/94, ZIP 1996, 590 (GmbH), dazu EWiR 1996, 359 (Wilken); BGH, Urt. v. 24.10.2005 – II ZR 129/04, ZIP 2005, 2257, dazu EWiR 2006, 143 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = ZIP 2006, 668 Rn. 24, dazu EWiR 2006, 565 (Naraschewski).
Die Haftung der Gesellschafter nach Eintragung der GmbH besteht in Höhe 111 der Differenz zwischen dem Aktivvermögen der Gesellschaft und den Passiven, wobei zu den letzteren auch der zur Deckung der Stammkapitalziffer – abzüglich Gründungskosten – erforderliche Betrag zählt. Sie ist nicht auf den Betrag des Stammkapitals beschränkt, sondern geht auf vollen Verlustausgleich. BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = ZIP 1981, 394 (GmbH); BGH, Urt. v. 23.11.1981 – II ZR 115/81, WM 1982, 40 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = ZIP 1989, 27 (GmbH), dazu EWiR 1989, 55 (Karsten Schmidt); BGH, Urt. v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = ZIP 2012, 817 Rn. 15, 36, dazu EWiR 2012, 347 (Bayer).
Zu den vorstehenden Fragen vgl. auch Henze/Born, HRR GmbH-Recht, Rn. 263 f., 164 f.
Die Vorteile dieser Lösung liegen auf der Hand: Die Aufgabe des Vorbelas- 112 tungsverbots gewährt den Gründern größere Flexibilität und gibt ihnen die Möglichkeit, mit der Vorgesellschaft die – später – von der Gesellschaft ausgeübte Geschäftstätigkeit auch unter Inanspruchnahme der vor Anmeldung der Eintragung eingeforderten Einlagebeträge bereits im Vorgründungsstadium aufzunehmen und dadurch den alsbaldigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens herbeizuführen. Die Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung gewährleistet, dass der Gesellschaft das notwendige Betriebskapital und den 37
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Gesellschaftsgläubigern Vermögen in Höhe des Stammkapitals als Sicherheit und Haftungsmasse bei der Entstehung der Gesellschaft zur Verfügung steht. b) Übertragung auf die AG 113 Der Bundesgerichtshof brauchte bislang nicht zu entscheiden, ob die Aufgabe des Vorbelastungsverbots und die Übernahme der Grundsätze der Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung auch für das Aktienrecht gilt. Den Gründen der Entscheidung BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 187 = ZIP 1992, 1387
kann entnommen werden, dass als hauptsächliches Hindernis auf diesem Wege die in § 41 Abs. 2 AktG enthaltene Regelung über die Schuldübernahme, die als gesetzlicher Ausdruck des Vorbelastungsverbots verstanden wird, und die strengen Anforderungen gesehen werden, die an den Erwerb von Vermögensgegenständen bei der Gründung (Sachübernahme, § 27 Abs. 1 AktG) gestellt werden. Dass hier an eine Lösung gedacht werden kann, die der im Recht der GmbH gefundenen vergleichbar ist und die den „strukturellen Gemeinsamkeiten der Gründungsregeln von AG und GmbH“, Rechnung trägt, zeigen die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in einer früheren Entscheidung zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung des § 41 Abs. 2 AktG sowie zu ihrer Einschätzung durch den Gesetzgeber des Jahres 1965. BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 202/76, BGHZ 70, 132, 139 f. (GmbH & Co. KG); Begr. Reg. Entwurf zu § 38 – BT-Drucks. IV/171, S. 110.
114 Dazu ist folgendes zu bemerken: Lutter, NJW 1989, 2649, 2654,
ist zu folgen, soweit er die gesetzlichen Vorschriften zur Gründung von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH als „Ausdruck eines einheitlichen Systems realer Kapitalaufbringung“ umschreibt und darauf hinweist, dass die strukturellen Gemeinsamkeiten beider Gesellschaftsformen zwangsläufig zu den gleichen Schwierigkeiten in der Handhabung des Vorbelastungsverbots führen, wie es insbesondere bei der Einlage von Sachen und Unternehmen deutlich geworden ist. Allerdings hebt das Urteil des Bundesgerichtshofs einen Unterschied im Gründungsrecht von AG und GmbH ausdrücklich hervor: Die Verpflichtung zur Festsetzung einer Sachübernahme in der Satzung einer AG (§ 27 Abs. 1 AktG) geht weiter als im Gesellschaftsvertrag einer GmbH (§ 19 Abs. 5 GmbHG a. F.). BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 138 f. = ZIP 1981, 394 (GmbH).
115 Dieser Unterschied bezieht sich indes nicht auf die Gesichtspunkte, die den Bundesgerichtshof zur Einführung der Vorbelastungs-(Unterbilanz-)haftung bewogen haben. Auch das Unbehagen, das gegenüber dieser Rechtsprechung 38
I. Leistung von Bareinlagen
darin gesehen wird, dass die gesetzlich gewährte Möglichkeit der bewusst begrenzten Kapitalbeteiligung durch Einführung einer nicht auf das Grundbzw. Stammkapital beschränkten Haftung negiert wird, trifft beide Gesellschaftsformen. Zudem mag man diesen Gesichtspunkt dann nicht mehr als so schwerwiegend werten, wenn man bedenkt, dass diese Haftung Folge einer einverständlichen Willensentscheidung der Gründer ist. Hinter den Vorschriften der §§ 27 Abs. 1, 41 Abs. 2, 36 Abs. 2 und 37 Abs. 1 116 Satz 1 und 5 AktG verbirgt sich auch keine zwingende Regelung, die eine Rechtsfortbildung „contra legem“ erfordern und damit praktisch unmöglich machen würde. Das Sachübernahmerecht umfasst den Erwerb vorhandener oder herzustellender Anlagen oder anderer Vermögensgegenstände. Insoweit schreibt das Gesetz zwingend eine Aufnahme in die Satzung vor. Der Übergang von der Vorgesellschaft auf die AG erfolgt ipso iure. Rechtsgeschäfte, die einen anderen Inhalt haben, als er durch die vorstehend genannten Gegenstände vorgegeben ist, können hingegen abgeschlossen und durchgeführt werden, ohne dass eine Aufnahme in die Satzung erforderlich ist. Den übrigen aufgeführten Vorschriften hat zwar ursprünglich die Vorstellung vom Unversehrtheitsgrundsatz bzw. dem Vorbelastungsverbot zugrunde gelegen. Der Gesetzgeber des Jahres 1965 hat jedoch zu erkennen gegeben, dass er die Vorschrift des § 41 Abs. 2 AktG nicht als zwingendes Recht ansieht. Er hat vielmehr erkannt, dass diese Regelung – sie entspricht derjenigen des § 34 Abs. 2 AktG 1937 – auf einem Stand von Rechtsprechung und Wissenschaft beruht, der schon damals überholt war. Er hat es vermieden, die Streitfragen zum Recht der Vorgesellschaft durch eine gesetzliche Neuregelung zu ersetzen, hat aber zu der alten Regelung bemerkt, anstelle der Durchführung einer gesetzlichen Neuregelung sei es zweckmäßiger, die weitere Entwicklung des Rechts der Vorgesellschaft Rechtsprechung und Wissenschaft zu überlassen. Begr. Reg. Entwurf zu § 38 – BT-Drucks. IV/171, S. 110; vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 135 = ZIP 1981, 394 (GmbH).
Steht demnach fest, dass der Gesetzgeber das Vorbelastungsverbot nicht 117 mehr als zwingenden Bestandteil der gesetzlichen Vorschriften ansieht, sondern eine andere Lösung als zulässig erachtet, die unter Beibehaltung des Unversehrtheitsgrundsatzes in modifizierter Form den wirtschaftlichen Belangen der Gesellschaft und ihrer Gründer in besserer Weise Rechnung tragen kann und die den Schutz der Gläubiger sowie der Allgemeinheit gleichermaßen gewährleistet, bilden auch die Vorschriften über die Anmeldung der Gesellschaft und ihre Erfordernisse kein unüberwindliches Hindernis mehr für die Einführung der Unterbilanzhaftung im Aktienrecht. Nach den Ausführungen in der Entscheidung
118
BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, ZIP 2004, 1409, 1410, dazu EWiR 2004, 783 (Drygala)
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
kann davon ausgegangen werden, dass der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs das genauso sieht. 2. Thesaurierungsgebot bei der Kapitalerhöhung 119 Die Frage der Unversehrtheit der eingebrachten Einlagebeträge stellt sich bei der Kapitalerhöhung anders dar. Weil die AG im Zeitpunkt der Kapitalerhöhung bereits besteht, kommt dem Vorbelastungsverbot ebenso wenig Bedeutung zu wie der Unterbilanzhaftung. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 187 = ZIP 1992, 1387, 1390; BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 801; vgl. K. Schmidt, ZGR 1982, 519, 529.
120 Wie sieht es aber mit dem Thesaurierungsgebot aus? Ist die Bareinlage geleistet, ist den Anforderungen des Gesetzes an sich genügt und die Einlage aufgebracht. Dennoch bleiben nach dem Wortlaut des Gesetzes Zweifel bestehen, ob der Vorstand über den Einlagebetrag bereits vor der Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister verfügen darf. Denn wie bei der Gründung hat der Vorstand bei der Kapitalerhöhung in der Anmeldung die Versicherung abzugeben, dass die Einlagen auf jede neue Aktie bewirkt sind und der Gegenstand der Leistung sich endgültig in seiner freien Verfügung befindet (§ 188 Abs. 2 i. V. m. § 37 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 36 Abs. 2 AktG). Daraus könnte man die Schlussfolgerung ziehen, dass der Erhöhungsbetrag unberührt in der Verfügungsgewalt des Vorstands bleiben muss. 121 Der Bundesgerichtshof ist dem nicht gefolgt. Er hat zunächst entschieden, dass der Vorstand über den im Zuge der Durchführung der Kapitalerhöhung eingeforderten Betrag bereits vor deren Anmeldung zur Eintragung verfügen darf. Er hat also eine Thesaurierungspflicht in der Form der gegenständlichen Unversehrtheit der eingeforderten Bareinlage verneint. Das Urteil machte aber die Verfügungsbefugnis von dem „Vorbehalt wertgleicher Deckung“ abhängig. Darunter wird eine mit den Einlagemitteln getätigte Investition verstanden, durch die der Gesellschaft ein den aufgewendeten Mitteln entsprechender Wert zugeflossen und – für sich genommen – im Zeitpunkt der Anmeldung noch vorhanden ist, ohne dass der zwischenzeitliche Eintritt anderweitiger Verluste diesen dem Wertabfluss entsprechenden Wertzufluss in irgendeiner Weise schmälern soll. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 187 f. = ZIP 1992, 1387, 1390; vgl. auch BGH, Urt. v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, dazu EWiR 1996, 885 (v. Gerkan) und BGH, Urt. v. 10.6.1996 – II ZR 99/95 (unveröff.).
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I. Leistung von Bareinlagen
Das Erfordernis einer wertgleichen Deckung bis zur Anmeldung der Ein- 122 tragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister hat der Bundesgerichtshof später aufgegeben. Bei einer Kapitalerhöhung ist die Bareinlage schon dann zur (endgültig) freien Verfügung des Vorstands geleistet worden, wenn sie nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss in seinen uneingeschränkten Verfügungsbereich gelangt ist und nicht an den Einleger zurückfließt. Von diesem Zeitpunkt an ist das geschäftsführende Organ berechtigt und verpflichtet, im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit im Interesse der Gesellschaft über das eingebrachte Vermögen zu verfügen. BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 801; BGH, Urt. v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121, 122; BGH, Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012, 2014.
Die Erklärung, die der Vorstand bei der Anmeldung der Durchführung der 123 Kapitalerhöhung (§§ 188 Abs. 2 Satz 1, 36 Abs. 2, 37 Abs. 1 Satz 1 AktG) gegenüber dem Registergericht abzugeben hat, hat dahin zu lauten, dass der Betrag der Einzahlung zur freien Verfügung des Vorstands für die Zwecke der Gesellschaft eingezahlt und auch in der Folge nicht an den Einleger zurückgezahlt worden ist. BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 801.
3. Fälligkeit der Bareinlage Nach § 63 Abs. 1 AktG ist der Vorstand für die Aufforderung der Einzah- 124 lung der Einlage zuständig. Diese Regelung ist zwingend (§ 23 Abs. 5 AktG). Sie gilt sowohl für die Mindesteinlage (§ 36a Abs. 1 AktG) als auch für die Resteinlage. Die Zahlung sowohl des nach §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG als auch des später 125 zu leistenden Betrags hat erst nach Aufforderung durch den Vorstand und, soweit die Satzung keine andere Mitteilungsform zulässt, nach Bekanntmachung der Aufforderung in den Gesellschaftsblättern zu erfolgen. Er wird erst durch diese Maßnahmen fällig gestellt. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 75 f. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 104 = ZIP 1992, 995.
Schließt eine AG zur Durchführung einer Kapitalerhöhung mit einer Bank 126 oder einem Bankenkonsortium einen Übernahmevertrag i. S. d. § 186 Abs. 5 AktG, so liegt in der Vereinbarung über den Zeitpunkt, in dem der Einlagebetrag zu zahlen ist (regelmäßig Zahlung von 25 % des Nennbetrags zuzüglich Aufgeld bis zur Hauptversammlung, Restbetrag am letzten Tag der Bezugsfrist), zugleich eine Aufforderung des Vorstands i. S. d. § 63 Abs. 1
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Satz 1 AktG. Einer Bekanntmachung i. S. d. § 63 Abs. 1 Satz 2 AktG bedarf es in diesem Falle ausnahmsweise nicht. Zwar ist diese Vorschrift im Interesse eines wirksamen Aktionärsschutzes streng zu handhaben. Sie ist grundsätzlich auch bei Aktiengesellschaften anzuwenden, deren Aktionärskreis überschaubar ist. Von ihrer Einhaltung kann jedoch dann abgesehen werden, wenn die Veröffentlichung der Aufforderung in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände des Falls nur deswegen vorgenommen würde, um der vorgeschriebenen Form zu genügen, die Nichteinhaltung der Form den von der gesetzlichen Bestimmung bezweckten Schutz der Aktionäre aber nicht beeinträchtigt. Davon kann in den Fällen des § 186 Abs. 5 AktG im Verhältnis zu der übernehmenden Bank bzw. dem Übernahmekonsortium in der Regel ausgegangen werden. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 105 f. = ZIP 1992, 995.
127 Die Bezugsaufforderung, die an die mittelbar bezugsberechtigten Aktionäre ergeht, enthält oder ersetzt nicht die nach § 63 Abs. 1 AktG zur Fälligstellung der restlichen Einlageforderung erforderliche Aufforderung zur Einzahlung. Die Tatsache, dass die Anmeldung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister erst vorgenommen werden darf, wenn der Erhöhungsbetrag in vollem Umfang durch Zeichnungen unterlegt ist und die in §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind, gebietet eine solche Schlussfolgerung nicht. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 201 = ZIP 1993, 667, dazu EWiR 1993, 1045 (Lutter).
4. Fälligkeits- und Verzugszins 128 Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 AktG ist der eingeforderte Betrag von der Fälligstellung an mit 5 % zu verzinsen. Die Pflicht zur Verzinsung tritt mit Ablauf der in der Aufforderung nach § 63 Abs. 1 AktG gesetzten Einzahlungsfrist ein. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 201 = ZIP 1993, 667, dazu EWiR 1993, 1045 (Lutter).
129 Gem. § 63 Abs. 2 Satz 2 AktG ist die Geltendmachung eines weitergehenden Schadens nicht ausgeschlossen. Wird ein Verzugsschaden geltend gemacht, müssen die Voraussetzungen des § 286 BGB erfüllt sein. Die Aufforderung des Vorstands, den Einlagebetrag bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einzuzahlen, und ihre Veröffentlichung in den Gesellschaftsblättern ist keine kalendermäßige Bestimmung der Leistung i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB und löst demgemäß keine Verzugsfolgen aus. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 76 f. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 200 f. = ZIP 1993, 667, dazu EWiR 1993, 1045 (Lutter).
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I. Leistung von Bareinlagen
Verzugswirkungen treten bei nicht rechtzeitiger Leistung mit der Zahlungs- 130 aufforderung allerdings dann ein, wenn in ihr ein Zahlungstermin festgesetzt wird und wenn sie entsprechend einer in der Satzung getroffenen Regelung den Aktionären zuzusenden ist und auch zugeht. In diesem Fall genügt die Aufforderung als „Bestimmung“ i. S. d. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 76 f. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter).
In dem zwischen Gesellschaft und Übernahmekonsortium festgelegten Zeit- 131 punkt der Einlagezahlung liegt auch eine die Verzugsfolgen auslösende kalendermäßige Bestimmung des Leistungszeitpunkts. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 105 = ZIP 1992, 995.
Der Erwerber einer Aktie haftet nicht für verschuldensabhängige Neben- 132 pflichten (Schadenersatz, Vertragsstrafe) seines Vorgängers sowie für Zinsen, die bis zum Zeitpunkt des Erwerbs angefallen sind. Das folgt daraus, dass § 54 AktG den jeweiligen Aktionär nur wegen der Einlage haften lässt und wegen rückständiger Zinsen weder eine Kaduzierung der Aktien (§ 64 AktG) möglich ist noch ein Vordermann (§ 65 AktG) in Anspruch genommen werden kann. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 202 f. = ZIP 1993, 667, dazu EWiR 1993, 1045 (Lutter).
5. Ausschluss säumiger Aktionäre § 64 AktG regelt den Ausschluss säumiger Aktionäre. Nach § 64 Abs. 3 133 AktG werden Aktionäre, die den eingeforderten Betrag trotz Aufforderung nicht zahlen, ihrer Aktien durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern für verlustig erklärt. Diese Regelung ist zwingend. Denn das Gesetz verfolgt mit der Veröffentlichung den Zweck, dass die Öffentlichkeit von der Maßnahme unterrichtet wird. BGH, Urt. v. 28.1.2002 – II ZR 259/00, ZIP 2002, 478, 479, dazu EWiR 2002, 413 (Milde).
6. Haftung der Vormänner Ein Vormann haftet unter den Voraussetzungen des § 65 AktG für den rück- 134 ständigen Betrag seiner Nachmänner, also nur dann, wenn dieser nach § 64 Abs. 3 AktG den eingeforderten Betrag trotz Aufforderung nicht gezahlt hat und seiner Aktien durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern für verlustig erklärt ist. BGH, Urt. v. 28.1.2002 – II ZR 259/00, ZIP 2002, 478, 479, dazu EWiR 2002, 413 (Milde).
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
7. Verwendungsabsprachen 135 Verwendungsabsprachen sind zulässig. Der eingeforderte Mindesteinlagebetrag muss in die (endgültig) freie Verfügung des Vorstands gelangen (§ 36 Abs. 2, § 36a Abs. 1, 37 Abs. 1 Satz 2, 54 Abs. 3 Satz 1 AktG). Dieses Erfordernis ist erfüllt, wenn die Leistung aus dem Vermögen des Inferenten ausgeschieden und der Gesellschaft derart zugeflossen ist, dass sie uneingeschränkt für Zwecke der Gesellschaft verwendet werden kann. Vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 17 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder).
136 Die Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers bei der Weiterleitung der an die Gesellschaft geleisteten Einlagezahlung geschieht – anders als bei der Direktzahlung durch den Inferenten – in Ausübung der freien Verfügungsmacht der Geschäftsleitung. BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 513, 515, dazu EWiR 2001, 361 (Heckschen); BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer).
137 Schuldrechtliche Verwendungsabsprachen zwischen Geschäftsleiter, einem Dritten oder dem Einleger, durch welche die Geschäftsführung der Gesellschaft verpflichtet wird, mit den einzuzahlenden Einlagemitteln in bestimmter Weise zu verfahren, sind in diesem Fall, aber auch sonst aus der Sicht der Kapitalaufbringung unschädlich, wenn sie allein der Umsetzung von Investitionsentscheidungen oder sonstiger geschäftspolitischer Zwecke dienen und soweit die Einlage nicht unmittelbar oder mittelbar an den Gesellschafter zurückfließt. BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401, dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 348 = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528 Rn. 10, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde); BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 14 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel); BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer).
138 Zu Zwecken der Gesellschaft werden Einlagemittel auch dann verwendet, wenn sie ihr erbrachte Dienstleistungen eines Gesellschafters bezahlt, die sie ansonsten anderweitig hätte einkaufen müssen. Vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 17 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder).
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I. Leistung von Bareinlagen
8. Direkte Zahlung an Gesellschaftsgläubiger a) Mindesteinlagebetrag Die Zulässigkeit der Erfüllung der Einlageverpflichtung durch direkte Zahlung 139 des Inferenten an den Gesellschaftsgläubiger scheitert nach Ansicht des Bundesgerichtshofs an der Vorschrift des § 54 Abs. 3 AktG. Diese stellt nur eine bestimmte Anzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, die Bareinlageverpflichtung zu erfüllen. Deren Erweiterung um die zum Zweck der Erfüllung vorzunehmende Leistung an einen Dritten (§ 362 Abs. 2 BGB) scheitert an dem zwingenden Charakter der Vorschrift, der sich nicht nur in ihrem Wortlaut niedergeschlagen hat, sondern auch aus ihrem Sinn und Zweck folgt. Dem Registergericht soll nämlich ermöglicht werden, auf einfache Weise zu überprüfen, ob die Einlageverpflichtung in Höhe des eingeforderten Betrags erfüllt und die Leistung in einer Weise erbracht worden ist, dass der Vorstand über die Einlagemittel endgültig frei verfügen kann. Lässt man die unmittelbare Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger zu, wird diese Überprüfung durch das Registergericht erschwert, weil es zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger Liquidität, Fälligkeit und Vollwertigkeit der Gesellschaftsverbindlichkeit in seine Überprüfung einbeziehen müsste, um die Erfüllungswirkung der Zahlung des Einlageschuldners feststellen zu können. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 188 f. = ZIP 1992, 1387.
Diese – bestrittene – Auffassung ist in jüngerer Zeit durch den II. Zivilsenat 140 im Recht der GmbH bestätigt worden. Bei der unmittelbaren Leistung der Einlage an Dritte, bei der jegliche Einwirkungsmöglichkeit des Geschäftsführers ausgeschlossen wird, liegt keine Leistung der Mindesteinlage zur freien Verfügung der Geschäftsführung (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) vor. BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197, 200 = ZIP 2002, 799, 801, dazu Henze, BB 2002, 955; BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer); streitig, wie hier Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz § 19 Rn. 56 m. z. N. für beide Auffassungen.
b) Resteinlage Der Einlagebetrag, der die Mindesteinlage i. S. d. §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 141 188 Abs. 2 AktG übersteigt, braucht nicht endgültig zur freien Verfügung des Vorstands geleistet zu werden. Demnach wird es als zulässig angesehen, dass der Bareinleger eine Gesellschaftsschuld entsprechend § 362 Abs. 2 BGB durch unmittelbare Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger tilgt, soweit der Vorstand dazu sein Einverständnis gegeben hat. Im Interesse eines wirksamen Gläubigerschutzes wird jedoch gefordert, dass die Forderung des Gesellschaftsgläubigers vollwertig, fällig und liquide ist, damit eine vollständige Erfüllungswirkung gegenüber der AG eintritt.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, ZIP 1986, 161, 162 (GmbH), dazu EWiR 1986, 159 (Karsten Schmidt); BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 184 f. = ZIP 1992, 1387.
9. Zahlung auf ein Bankkonto 142 Als Konto i. S. d. § 54 Abs. 3 AktG kommt kein bei der Bank für die Gesellschaft geführtes Kreditkonto in Betracht. Zahlt der Bareinlageschuldner im Einverständnis des Vorstands zwecks Erfüllung seiner Einlageschuld i. S. d. § 36 Abs. 2 AktG den Einlagebetrag unmittelbar auf ein solches Konto ein, steht das der Leistung an einen Dritten gem. § 362 Abs. 2 BGB gleich. Eine Erfüllungswirkung tritt nicht ein. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 190 = ZIP 1992, 1387.
143 Wird die Zahlung auf ein Kontokorrentkonto der Gesellschaft vorgenommen, auf dem eine Kreditforderung der Bank fällig gestellt worden ist, und verrechnet die Bank den Einzahlungsbetrag nach dessen Eingang unmittelbar mit ihrer Darlehensforderung, scheitert die Erfüllungswirkung daran, dass der Vorstand keine Einwirkungsmöglichkeit hatte und demgemäß nicht zu seiner endgültig freien Verfügung geleistet worden ist. Selbst wenn Vorstand und Einlageschuldner die Zahlung auf das Kontokorrentkonto zur Tilgung der Kreditforderung vor deren Vornahme abgesprochen hatten, ändert das nichts daran, dass der Vorstand entgegen der gesetzlichen Forderung zu keinem Zeitpunkt die freie Verfügung über den auf dem Gesellschaftskonto eingegangenen Betrag gehabt hat, und zwar ohne dass es auf die schuldrechtliche Bindung, die durch die Verwendungsabsprache eingetreten ist, ankommt. BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius); BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 190 f. = ZIP 1992, 1387.
144 Die Zahlung der eingeforderten Einlage auf ein laufendes Geschäftskonto der Gesellschaft wirft weiterhin die Frage auf, ob die Erfüllungswirkung dann eintritt, wenn das Konto im Debet geführt wird. Die freie Verfügung des Vorstands über die Einlagemittel ist dann nicht ausgeschlossen, wenn mit dem Einlagebetrag ein Debetsaldo zurückgeführt wird, der die Linie eines der Gesellschaft eingeräumten Kontokorrentkredits nicht überschreitet. Denn in diesem Falle steht der Gesellschaft Liquidität in Höhe des gezahlten Einlagebetrags zur Verfügung. BGH, Urt. v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, ZIP 1991, 445 (GmbH), dazu EWiR 1991, 377 (Roth); BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius);
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I. Leistung von Bareinlagen vgl. auch BGH, Urt. v. 10. (unrichtig gedruckt: 21.) 6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, 1467 (GmbH), dazu EWiR 1996, 885 (v. Gerkan).
Dabei ist nicht entscheidend, ob der Gesellschaft ein entsprechender Kredit- 145 rahmen förmlich eingeräumt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass die Geschäftsführung infolge der Einzahlung in die Lage versetzt wird, erneut Kredit in Höhe des eingezahlten Betrags in Anspruch zu nehmen, mag das auch auf einer nur stillschweigenden Gestattung der Bank beruhen. BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401, dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius); BGH, Urt. v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, ZIP 1991, 445, dazu EWiR 1991, 377 (Roth); BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 800; BGH, Urt. v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121, 122; BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer); missverständlich BGH, Urt. v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, 1467, dazu EWiR 1996, 885 (v. Gerkan).
Die Leistung einer Bareinlage aus einer Kapitalerhöhung, durch die der Debet- 146 saldo eines Bankkontos zurückgeführt wird, kann auch dann zur freien Verfügung erfolgt sein, wenn das Kreditinstitut der Gesellschaft mit Rücksicht auf die Kapitalerhöhung auf einem anderen Konto einen Kredit zur Verfügung stellt, der den Einlagebetrag erreicht oder übersteigt. BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197 = ZIP 2002, 799, 800.
Eine Leistung zur freien Verfügung des Vorstands liegt hingegen nicht vor, 147 wenn die Gesellschaft infolge der Verrechnung der Einlagezahlung mit dem Schuldsaldo, insbesondere wegen gleichzeitiger Kündigung oder Rückführung des eingeräumten Kreditrahmens keine Möglichkeit erhält, über Mittel in entsprechender Höhe zu verfügen. BGH, Urt. v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, ZIP 1991, 445 (GmbH), dazu EWiR 1991, 377 (Roth); BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius).
Eine Leistung zur freien Verfügung des Vorstands scheidet auch dann aus, 148 wenn der Einlagebetrag entweder unmittelbar oder mittelbar an den Einleger zurückfließt. In diesem Falle wird der Gesellschaft der gezahlte Betrag nur vorübergehend bis zu dem Zeitpunkt zur Verfügung gestellt, in dem er dem Einleger zurückgezahlt wird. Die §§ 188 Abs. 2, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 und 37 Abs. 1 AktG setzen die effektive und endgültige Mittelzufuhr an die Gesellschaft, also eine abgeschlossene Mittelaufbringung voraus.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400 (GmbH); dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 348 f. = ZIP 1991, 511 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey).
10. Aufrechnungsverbot 149 Auch die Vorschrift des § 66 AktG soll die Aufbringung des Grundkapitals gewährleisten. Sie verbietet die einseitige Aufrechnung des Aktionärs gegen die Einlageforderung der AG (§ 66 Abs. 1 Satz 2 AktG). BGH, Urt. v. 29.3.1962 – II ZR 50/61, BGHZ 37, 75, 79; BGH, Urt. v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 197 f.; BGH, Urt. v. 20.9.1982 – II ZR 236/81, ZIP 1982, 1320 = WM 1982, 1200.
Die dennoch erklärte Aufrechnung ist gem. § 134 BGB nichtig. 150 Das Hin- und Herzahlen oder eine entsprechende Vereinbarung stehen einer Aufrechnung gleich. BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 143 = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 46 dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) und Verse, ZGR 2012, 875.
151 Die Aufrechnung oder Verrechnung mit der Einlageforderung gegen die Gläubigerforderung des Inferenten durch die Gesellschaft schließt § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht ausdrücklich aus. Die Sicherung der realen Kapitalaufbringung macht es jedoch erforderlich, die Aufrechnung durch die Gesellschaft bestimmten Einschränkungen zu unterwerfen. BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 57, 60; BGH, Urt. v. 13.7.1964 – II ZR 110/62, BGHZ 42, 89, 93; BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2047, dazu EWiR 2003, 63 (Saenger/Scharf).
152 Dies gilt auch für Aufrechnungsvereinbarungen. Diese sind nur zulässig, wenn die Gesellschaft wirksam die Aufrechnung erklären könnte. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 36, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
153 Um zu verhindern, dass gleichartige, aber nicht gleichwertige Forderungen zur Aufrechnung gestellt werden und so der Sache nach eine Teilbefreiung eintritt, darf die Gesellschaft die Aufrechnung nur erklären, wenn die Forderung des Gesellschafters vollwertig, fällig und liquide ist. Vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 59 f.; BGH, Urt. v. 13.7.1964 – II ZR 110/62, BGHZ 42, 89, 93; BGH, Urt. v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, WM 1978, 1271, 1272;
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I. Leistung von Bareinlagen BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 373 = ZIP 1984, 698; BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992, 995, dazu EWiR 1992, 881 (K. Schmidt); BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2047, dazu EWiR 2003, 63 (Saenger/Scharf); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 213, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 36, 39, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG) und Verse, ZGR 2012, 875.
Eine Forderung ist u. a. dann vollwertig, wenn sie in voller Höhe durch eine 154 Sicherheit gedeckt ist. Ein Zurückbehaltungsrecht genügt nicht. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 37, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Die Vollwertigkeit ist nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Parteien 155 bei der Aufrechnungsvereinbarung, sondern objektiv zu bestimmen. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 36, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Die Aufrechnung oder Verrechnung mit einer Einlageforderung ist danach 156 unzulässig, wenn die Gesellschaft überschuldet ist. In diesem Falle reicht ihr Vermögen nicht mehr aus, alle fälligen Ansprüche zu erfüllen, so dass die einzelnen gegen sie gerichteten Forderungen in ihrem Wert gemindert sind. BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 373 = ZIP 1984, 698 f.; BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 213, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse).
Die Beweislast für die Vollwertigkeit der Gegenforderung trifft den Aktionär.
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BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992, 995, dazu EWiR 1992, 881 (K. Schmidt); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 213, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 44, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Eine Ausnahme von den strengen Voraussetzungen für eine Aufrechnung 158 durch die Gesellschaft wird zugelassen, wenn die Durchsetzung der Aufrechnungsbeschränkungen zu einem Schaden der Gesellschaft führen würde, weil der Anspruch der Gesellschaft nach § 66 Abs. 1 AktG gegen den Schuldner gefährdet oder uneinbringlich ist und die Gesellschaft durch die Aufrechnung mit der gegen sie gerichteten Forderung besser steht als mit der Durchsetzung ihres Anspruchs. Es darf dann keine Rückgriffsmöglichkeit nach § 65 Abs. 1 AktG bestehen und auch eine Verwertung nach § 65 Abs. 3 AktG keinen Erfolg versprechen.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 39, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
159 Nach alter Rechtslage vor dem ARUG wurde die Einlageforderung bei fehlender Vollwertigkeit auch nicht teilweise getilgt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, liegt es nahe, bei einer Aufrechnung der Gesellschaft gegen eine nicht vollwertige Forderung entsprechend § 27 Abs. 3 Satz 3 GmbHG Erfüllung in Höhe des Werts der Forderung eintreten zu lassen. a. A. Bayer, in: MünchKomm-AktG, § 66 Rn. 46 m. w. N.; wie hier die h. M. im GmbH-Recht Veil, ZIP 2007, 1241, 1246; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 19 Rn. 81; Märtens, in: MünchKomm-GmbHG, § 19 Rn. 108; Scholz/Veil, GmbHG, 11. Aufl., § 19 Rn. 82; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, § 19 Rn. 33; Verse, in: Henssler/Strohn, § 19 GmbHG Rn. 27; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 19 Rn. 36; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rn. 33a.
160 Das Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG gilt nur gegenüber der Einlageforderung und nicht gegenüber daraus geltend gemachten Fälligkeits-, Verzugs- oder Prozesszinsen (§ 63 Abs. 2 AktG). Nebenforderungen werden vom Aufrechnungsverbot nicht erfasst. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 80 = ZIP 1990, 156; BGH, Urt. v. 11.5.2009 – II ZR 137/08, ZIP 2009, 1155 Rn. 15 – Lurgi II, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar).
161 Das Aufrechnungsverbot gilt nicht nur für die Einlageforderung, sondern auch für den Differenzhaftungsanspruch BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 21, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG)
und den Unterbilanzhaftungsanspruch. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = ZIP 2006, 668 Rn. 24, dazu EWiR 2006, 565 (Naraschewski).
162 Trifft eine Bank die Haftung nach § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG, kann sie gegen diesen Anspruch nicht mit Forderungen aufrechnen, die ihr aus ihrem Geschäftsverhältnis mit der Gesellschaft gegen diese zustehen. Da dieser Anspruch dazu bestimmt ist, der Gesellschaft entgangenes Eigenkapital aufzufüllen, unterliegt er dem gleichen Schutz wie der Einlageanspruch. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 357 f. = ZIP 1991, 511 f., dazu EWiR 1991, 1213 (Frey).
11. Vergleich über die Einlageforderung 163 Über Ansprüche, die dem Befreiungs- und Aufrechnungsverbot des § 66 AktG unterliegen, kann sich die Gesellschaft vergleichen, wenn der Vergleich
50
II. Leistung von Sacheinlagen
wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs geschlossen wird und sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs verbirgt. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 20 f., dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG) und Verse, ZGR 2012, 875; vgl. auch BGH, Urt. v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, BGHZ 160, 127 = ZIP 2004, 1616, dazu EWiR 2005, 539 (Kuhne).
Ein solcher Vergleich bedarf nicht der Zustimmung der Hauptversammlung. 164 BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist er auch gegenüber den 165 Gläubigern der Gesellschaft und dem Insolvenzverwalter wirksam. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 28, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Zu beachten ist, dass die Rechtsnatur der Einlageforderung durch den Ver- 166 gleich nicht verändert wird, so dass sie nach wie vor den in § 66 AktG verankerten Bestimmungen zum Schutz der Kapitalaufbringung unterfällt. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 33 f., dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
II. Leistung von Sacheinlagen Das Gesetz lässt an Stelle der Bargründung die Sachgründung (§ 27 Abs. 1 167 AktG) und an Stelle der Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen eine solche gegen Sacheinlagen (§ 183 Abs. 1, § 205 Abs. 1 und 2 AktG) zu. Den Gefahren, die mit der Leistung von Sacheinlagen für Gesellschaftsgläubiger, Barzeichner und Altaktionäre drohen und die in Fehlbewertungen oder vergleichbaren Manipulationen liegen, versucht das Gesetz bei der Gründung dadurch zu begegnen, dass es den Gegenstand der Sacheinlage einschränkt (§ 27 Abs. 2 AktG), die Offenlegung der für die Leistung der Sacheinlage maßgebenden rechtlichen Verhältnisse vorschreibt (§§ 27 Abs. 1, 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 und 2, 37 Abs. 4 Nr. 1, 2 und 4 sowie § 37a AktG; § 9 Abs. 1 HGB), ihre förmliche Aufnahme in die Satzung und die Festlegung der Gegenleistung (§ 27 Abs. 1 AktG) sowie die Überprüfung ihrer Angemessenheit (§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 2 Nr. 4, 34 Abs. 1 und 2, 38 Abs. 2 Satz 2 AktG) anordnet und unter bestimmten Voraussetzungen die Verweigerung der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zulässt (§ 38 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 AktG). In gleicher Weise verfährt es mit den Sachübernahmen (§ 27 Abs. 1 und 2 AktG), die es darüber hinaus noch für einen Zeitraum von zwei Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft einer – umfänglich und sachlich eingeschränkten – Kontrolle unterwirft (§ 52 AktG). Die vorgenannten Regelungen gelten überwiegend auch bei der Kapitalerhöhung gegen
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Sacheinlagen (§§ 183 Abs. 1 und 3, 188 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2, 205 Abs. 2 und 3, 206 AktG). 1. Fälligkeit der Sacheinlage 168 Nach § 36a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 36 Abs. 2 AktG sind Sacheinlagen bis zur Anmeldung der Eintragung vollständig zu leisten. § 188 Abs. 2 AktG verweist für die Kapitalerhöhung auf diese Vorschriften. Besteht die Sacheinlage in der Verpflichtung, einen Vermögensgegenstand auf die AG zu übertragen, muss diese Leistung innerhalb von fünf Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung in das Handelsregister bewirkt werden (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AktG). 2. Gegenstand der Sacheinlage a) Sacheinlagefähig 169 Als Sacheinlage kommen nur Vermögensgegenstände mit einem feststellbaren wirtschaftlichen Wert in Betracht. Das Aktiengesetz stellt das ausdrücklich klar (§ 27 Abs. 2 AktG). Vgl. auch BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 = ZIP 2000, 1163, 1164, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte); BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, ZIP 2004, 1642.
170 Der Begriff des Vermögensgegenstands umfasst alle Güter, die verkehrsfähig sind, einen eigenen gegenwärtigen Vermögenswert haben und in die Gesellschaft zur freien Verfügung eingebracht werden können. Für Rechte heißt das also, dass es möglich sein muss, sie aus dem Vermögen des Sacheinlegers auszusondern. Die Einräumung obligatorischer Ansprüche gegen den Einleger scheidet mangels Aussonderungsfähigkeit als Sacheinlage aus. 171 Bereits Ende der fünfziger Jahre hat der Bundesgerichtshof die umstrittene Frage bejaht, dass ein Lizenzrecht auf eine zum Patentrecht angemeldete Ansteckraupe für Schlepper oder eine Operette als Sacheinlage taugen. BGH, Urt. v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314 (Schlepper, GmbH); BGH, Urt. v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 304 (Operette, GmbH).
172 Das Erfordernis der Bilanzfähigkeit sei nicht wörtlich zu nehmen, vielmehr sei maßgebend, ob ein fassbarer Vermögenswert vorhanden sei, möge die Bewertung auch schwierig, ja oft imaginär sein. Die Einlagefähigkeit obligatorischer Nutzungsrechte, deren Gegenstand die Verwertung von Namen und Logos von Sportvereinen ist, hat der Bundesgerichtshof ebenfalls als sacheinlagefähig anerkannt. BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 293 ff. = ZIP 2000, 1162 – adidas, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte).
52
II. Leistung von Sacheinlagen
Die Sponsorenverträge seien nach dem Vorstandsbericht obligatorische Nut- 173 zungsverträge, nicht jedoch Vereinbarungen über die Leistung von Diensten. Verträge solchen Inhalts hätten einen feststellbaren wirtschaftlichen Wert; denn der Zeitwert dieses Nutzungsrechts ergebe sich aus dem für die Dauer des Rechts kapitalisierten Nutzungswert. Um einen wirtschaftlichen Wert des Nutzungsrechts feststellen zu können, müsse die Nutzungsdauer in Form einer festen Laufzeit oder als konkret bestimmte Mindestdauer feststehen. Seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, könne ein wirtschaftlicher Wert nicht festgestellt werden, so dass man die Einlagefähigkeit des Rechts verneinen müsse. BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 = ZIP 2000, 1163, 1164, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte); BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, ZIP 2004, 1642.
Die selbstständige Firma kommt als Sacheinlage mangels Übertragungsfähig- 174 keit nicht in Betracht; Markenrecht, Kundenstamm oder Goodwill scheiden als selbständiger Einlagegegenstand mangels Fassbarkeit eines Vermögenswerts regelmäßig aus. Anders liegt das jedoch, wenn sie zusammen mit dem Handelsgeschäft übertragen werden. Der Bundesgerichtshof hat anerkannt, dass eine Firma zusammen mit einem Betriebsteil eines Unternehmens als Sacheinlage eingebracht werden kann, wenn dieser für sich allein als Unternehmen geführt wird und somit selbständig am Wirtschaftsleben teilnehmen kann. BGH, Urt. v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150 = ZIP 2000, 2021, 2024 (GmbH), dazu EWiR 2000, 325 (Rawert).
Gegenstand der Rechtsprechung waren weiter die: x
175
Einbringung von der Gesellschaft benötigten Materials und Werkzeugs, BGH, Urt. v. 21.9.1978 – II ZR 214/79, WM 1978, 1271,
x
Gebrauchsüberlassung von Immobilien und Nutzungsrechte an Gebäuden, BGH, Urt. v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 340, 344,
x
Einbringung einer Darlehensforderung gegen die Vorgesellschaft (Gründung), BGH, Urt. v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 60,
x
Einbringung einer Darlehensforderung gegen die Gesellschaft selbst (Kapitalerhöhung), BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 341 = ZIP 1991, 511, 513, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 48, 60 = ZIP 1990, 156, 160 (AG), dazu EWiR 1990, 223 (Lutter),
x
und die Einbringung eines Handelsgeschäfts.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342 (vgl. auch § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG).
b) Nicht sacheinlagefähig 176 Nach § 27 Abs. 2 AktG können Verpflichtungen zu Dienstleistungen nicht Gegenstand von Sacheinlagen oder Sachübernahmen sein. Der Grund dafür liegt darin, dass die Durchsetzung von Dienstleistungsverpflichtungen auf Schwierigkeiten stößt (vgl. §§ 887, 888 Abs. 3 ZPO). BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 13 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) für die AG.
177 Ebenfalls nicht sacheinlagefähig sind eigene Aktien der Gesellschaft. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 14, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
178 Der Verzicht auf den Anspruch auf Rückerstattung von darlehensweise an die Gesellschaft überlassenen eigenen Aktien steht dem Einbringen als Sacheinlage jedenfalls dann gleich, wenn er in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Darlehensgewährung vereinbart wurde. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 14, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
179 Die Festsetzung einer untauglichen Sacheinlage führt bei der Kapitalerhöhung zur Bareinlagepflicht. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 12 f., dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
c) Fehlendes Eigentum 180 Ist der Inferent nicht Eigentümer der einzulegenden Gegenstände, ist ein gutgläubiger Erwerb durch die Vorgesellschaft möglich. BGH, Urt. v. 21.10.2002 – II ZR 118/02, ZIP 2003, 30.
3. Differenzhaftung bei Überbewertung 181 Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung hat der Aktionär bei einer Überbewertung von Sacheinlagen verschuldensunabhängig den Differenzbetrag zwischen dem Wert der Sacheinlage und dem geringsten Ausgabebetrag in Geld zu leisten (Differenzhaftung). BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 5; BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 16, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
54
II. Leistung von Sacheinlagen
Einer solchen Differenzhaftung unterliegt gem. §§ 9, 56 Abs. 2 GmbHG der 182 Gesellschafter einer GmbH bei deren Gründung oder Kapitalerhöhung, wenn der Wert der von ihm versprochenen Sacheinlage den Betrag der dafür übernommenen Stammeinlage nicht erreicht. Im Aktiengesetz fehlt zwar eine entsprechende ausdrückliche Haftungsanordnung; sie wird jedoch im Schrifttum aus § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG sowie – für die Kapitalerhöhung – aus dem auf diese Vorschrift verweisenden § 188 Abs. 2 Satz 1 AktG gefolgert. Nach ständiger Rechtsprechung des II. Zivilsenats, die bis in die Zeit vor Einfügung der § 9 GmbHG, § 36a Abs. 2 AktG zurückreicht und deren Vorbild war, rechtfertigt sich die Differenzhaftung des Sacheinlegers im Aktienrecht aus seiner mit der Übernahme bzw. mit der Zeichnung von Aktien in einem bestimmten Nennbetrag zwangsläufig verbundenen Kapitaldeckungszusage in Verbindung mit dem Verbot einer Unterpariemission gem. § 9 Abs. 1 AktG, BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62; BGH, Urt. v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 5.
dessen Inhalt § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG für die Sacheinlage lediglich konkretisiert. Die Vereinbarung einer Sacheinlage ist ein körperschaftliches Hilfsgeschäft, mit dem der Gesellschaft Sachwerte in Höhe des von dem Inferenten übernommenen Einlagebetrages zugeführt werden sollen. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 5.
Ein Differenzhaftungsanspruch entsteht auch, wenn der Wert der Sacheinlage 183 zwar den geringsten Ausgabebetrag, aber nicht ein korporatives Agio deckt. Anders bei der GmbH, BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 17, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
Bei einer Verschmelzung von Aktiengesellschaften im Wege der Aufnahme 184 (§ 2 Nr. 1 UmwG) mit Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft (§ 69 UmwG) trifft die Aktionäre der beteiligten Rechtsträger im Fall einer Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers grundsätzlich keine Differenzhaftung. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104.
Für den Differenzhaftungsanspruch gilt das Befreiungs- und Aufrechnungs- 185 verbot nach § 66 Abs. 1 AktG. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 21, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
Ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch ist unter denselben Vor- 186 aussetzungen wie ein Vergleich über den Einlageanspruch zulässig.
55
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 20 f., dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
187 Der Differenzhaftungsanspruch verjährt bei der Aktiengesellschaft nicht nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften, sondern entsprechend § 9 Abs. 2 GmbHG in zehn Jahren seit der Eintragung. Bei einer Kapitalerhöhung beginnt die Verjährung grundsätzlich mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 305 = ZIP 1989, 27 (GmbH), dazu EWiR 1989, 55 (Karsten Schmidt); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 84, 101 = ZIP 1992, 995; BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 41, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
4. Gemischte Sacheinlage 188 Bei der gemischten Sacheinlage überträgt der Gesellschafter einen den Betrag seiner Einlageverpflichtung übersteigenden Sachwert zum Teil gegen Gewährung von Aktien, zum Teil gegen ein sonstiges Entgelt auf die Gesellschaft. Handelt es sich um eine kraft Parteivereinbarung unteilbare Leistung, so unterliegt das Rechtsgeschäft insgesamt den für Sacheinlagen geltenden Regelungen. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 17, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751 Rn. 15 f. – Lurgi, dazu EWiR 2008, 219 (Habighorst); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 14 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 48, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
189 Bei einer teilbaren Sachleistung, bei der ein Teil als offene Sacheinlage eingebracht wird, während ein weiterer Teil in zeitlichem Zusammenhang mit der Sacheinlage gegen Entgelt übertragen wird, liegt im Fall einer Kapitalerhöhung nicht stets, sondern nur bei entsprechender Parteivereinbarung eine gemischte Sacheinlage vor. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 49, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) und Verse, ZGR 2012, 875.
190 Hinsichtlich des nicht zur Kapitalerhöhung verwendeten Teils einer teilbaren Sachleistung führt jedenfalls bei der offenen Sacheinlage die fehlende Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu einem Anspruch nach § 57 AktG. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 49, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG) Die Rechtsprechungsentwicklung zur verdeckten Sacheinlage kann vor allem 191 bei der GmbH nachvollzogen werden. Die Lehre von der verdeckten Sacheinlage stellte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs aber in gleicher Weise einen notwendigen Bestandteil des Aktienrechts dar, mit dem die Umgehung der Vorschriften über den präventiven Kapitalaufbringungsschutz verhindert werden kann. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 56 f. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter).
Diese der verdeckten Sacheinlage zugrunde liegende Zielrichtung des Kapital- 192 aufbringungsschutzes war bei der GmbH und der AG identisch im Gesetz geregelt und hatte sich in der Rechtsprechung parallel entwickelt. Daher war die zur GmbH ergangene Rechtsprechung auch auf die AG anwendbar. Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage galten auch im Rahmen einer Kapitalerhöhung und wurden durch die Vorschriften über die Nachgründung nicht verdrängt. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 11 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751 Rn. 14 – Lurgi, dazu EWiR 2008, 219 (Habighorst).
Diese Parallelität zwischen Aktienrecht und GmbH-Recht hat das MoMiG 193 mit der Regelung der verdeckten Sacheinlage in § 19 Abs. 4 GmbHG zum 1.11.2008 unterbrochen und das ARUG Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie vom 30.7.2009 (BGBl I, 2479); vgl. BT-Drucks. 16/13098 S. 37
durch Übernahme dieser Regelung in § 27 Abs. 3 AktG, der nach § 183 Abs. 2 AktG auch für die Kapitalerhöhung gilt, zum 1.9.2009 wieder hergestellt. Im Folgenden wird daher auch die zur GmbH ergangene Rechtsprechung dargestellt werden. 1. Tatbestand der verdeckten Sacheinlage bei Gründung und Kapitalerhöhung Der Gesetzgeber des MoMiG hat in § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG, der im We- 194 sentlichen mit dem durch das ARUG eingeführten § 27 Abs. 3 Satz 1 AktG wortgleich ist, die verdeckte Sacheinlage erstmals legal definiert. Dabei setzt die abstrakte Umschreibung der Voraussetzungen für das Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage auf die in der Rechtsprechung übliche Definition auf, so dass insofern eine Kontinuität gewahrt bleibt. Dieser der Begründung des Regierungsentwurfs vgl. Begr. RegE des Gesetzes zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 25.6.2007, BT-Drucks. 16/6140, S. 40 sowie BT-Drucks. 16/ 13098 S. 36 zum ARUG
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
zu entnehmende Wille ist bei Lektüre des Gesetzestextes zwar nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Das ändert indes nichts daran, dass mit dem Gesetzeswortlaut lediglich die vom II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entwickelte Definition der verdeckten Sacheinlage übernommen werden sollte. Zur Ausfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm kann daher auch nach dem MoMiG und dem ARUG auf die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zurückgegriffen werden. 195 Danach liegt eine verdeckte Sacheinlage vor, wenn die gesetzlichen Regeln für Sacheinlagen dadurch unterlaufen werden, dass zwar eine Bareinlage beschlossen/vereinbart wird, die Gesellschaft aber bei wirtschaftlicher Betrachtung von dem Einleger aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Einlage getroffenen Verwendungsabsprache oder einem Gegengeschäft einen Sachwert gegen Hergabe neuer Aktien erhalten soll. BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689, 692 – Holzmann (insoweit in BGHZ 83, 319 nicht abgedruckt); BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329 = ZIP 2003, 1540, 1541 f., dazu EWiR 2003, 1243 (Priester); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 11 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751 Rn. 14 – Lurgi, dazu EWiR 2008, 219 (Habighorst) und Habersack, ZGR 2008, 48; BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 10 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 8 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 10 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 15 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) zu § 27 Abs. 3 AktG; BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 12 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
196 Bei einer solchen Aufspaltung des wirtschaftlich zusammengehörigen Vorgangs in eine Barzeichnung und ein Erwerbsgeschäft macht es keinen Unterschied, ob die für die einzubringenden Gegenstände vereinbarte Entgeltforderung und die Einlageforderung verbotswidrig aufgerechnet oder verrechnet werden, ob die Gesellschaft die übernommenen Sachgüter zunächst bezahlt und der veräußernde Inferent alsdann mit dem Erlös seine Bareinlageschuld begleicht oder ob die Gesellschaft eine schon erbrachte Bareinlage abredegemäß alsbald wieder zur Vergütung einer Sachleistung zurückzahlt. Denn in allen diesen Gestaltungsvarianten werden die dem Schutz der realen Kapi58
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
talaufbringung dienenden gesetzlichen Sacheinlageregeln über die Satzungspublizität und die Werthaltigkeitsprüfung umgangen. BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689, 692 – Holzmann (insoweit in BGHZ 83, 319 nicht abgedruckt); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).
Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage gelten dort nicht, wo das Gesetz 197 keine Regelungen für die Erbringung der Sacheinlage zur Verfügung stellt, weil nachteilige Rechtsfolgen nicht an die Nichteinhaltung eines Verfahrens geknüpft werden können, das für den betreffenden Vorgang nicht bereitgestellt wird. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 17 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) zu § 27 Abs. 3 AktG; BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 32, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) und Verse, ZGR 2012, 875.
Dies gilt etwa bei einer Leistung an Erfüllungs Statt oder erfüllungshalber auf 198 den Differenzhaftungsanspruch oder einem Vergleich über diesen Anspruch. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 32, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
a) Einlagegegenstand Häufiger – klassischer –Tatbestand ist der Erwerb der Betriebsausstattung 199 vom Inferenten mit der zuvor geleisteten Einlage. Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2009, 771 (Möller).
Entsprechendes gilt aber auch bei verdeckter Einbringung aller sonstigen Ver- 200 mögensgegenstände, die als Sacheinlage eingebracht werden können. Das Problem, eine reale Aufbringung des Grundkapitals durch Sacheinlagen zu gewährleisten, liegt nach den in der Rechtsprechung zum Aktienrecht entschiedenen Sachverhalten häufig in der Einbringung von Forderungen mit Schwerpunkt Darlehensforderungen, die der Inferent gegenüber der AG hat. Vgl. BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689, 692 – Holzmann (insoweit in BGHZ 83, 319 nicht abgedruckt); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 12 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/ Hoos); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 8 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 10 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer);
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 15 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) zu § 27 Abs. 3 AktG; zur Kapitalerhöhung vgl. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 19.
201 Da Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage nur eine sacheinlagefähige Leistung sein kann, BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 15 = WM 2011, 2092, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter),
finden die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage auf entgeltliche Dienstleistungen ebenso wenig Anwendung BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 13 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) für die AG
wie auf die Einbringung eigener Aktien der Gesellschaft. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 15, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
202 Wird mit der Bareinlage ein Darlehen abgelöst, für dessen Rückzahlung sich der Inferent verbürgt hat, leistet er nicht verdeckt eine Sacheinlage. BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 14 = GmbHR 2011, 705, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer); offengelassen bei BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, ZIP 1990, 1400, 1401, dazu EWiR 1990, 1207 (Crezelius).
b) Verdeckte gemischte Sacheinlage 203 Bei der gemischten Sacheinlage überträgt der Gesellschafter einen den Betrag seiner Einlageverpflichtung übersteigenden Sachwert zum Teil gegen Gewährung von Aktien, zum Teil gegen ein sonstiges Entgelt auf die Gesellschaft. Handelt es sich um eine kraft Parteivereinbarung unteilbare Leistung, so unterliegt das Rechtsgeschäft insgesamt – und zwar im Interesse einer Werthaltigkeitskontrolle bei einer Diskrepanz zwischen der Einlageverpflichtung und dem an den Inferenten zu zahlenden Entgelt erst recht – den für Sacheinlagen geltenden Regelungen. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 17, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145 = ZIP 2007, 1751 Rn. 15 f. – Lurgi, dazu EWiR 2008, 219 (Habighorst); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 14 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 48, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
In diesen Fällen finden daher auch die für verdeckte Sacheinlagen geltenden 204 Regelungen auf das gesamte Rechtsgeschäft Anwendung. Zitate wie vorstehend. Vgl. auch BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 12 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
Eine verdeckte gemischte Sacheinlage liegt etwa dann vor, wenn eine insol- 205 vente Gesellschaft sich zum Zweck ihrer „übertragenden Sanierung“ an dem erhöhten Kapital einer Aktiengesellschaft als Auffanggesellschaft mit dem Ziel beteiligt, dass diese ihre Aktiva und Passiva übernimmt. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).
c) Verwendungsabsprache In dem Urteil
206
BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 143 f. = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan)
hat der Bundesgerichtshof – allerdings nicht im Rahmen einer verdeckten Sacheinlage – ausgeführt, wenn zwischen der Leistung der (Bar-)Einlage und der Tilgung eines Darlehens ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang bestehe, stelle das ein beweiskräftiges Indiz dafür dar, dass zwischen dem Geschäftsführer der GmbH und dem Gesellschafter eine Absprache über die Darlehenstilgung mit den Einlagemitteln getroffen worden sei. Der II. Zivilsenat hat diese Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer 207 verdeckten Sacheinlage klarstellend mit dem Leitsatz bestätigt: „Liegt ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen Leistung der Einlage und Erfüllung des zwischen Gesellschafter und Gesellschaft vereinbarten Rechtsgeschäfts vor, begründet das eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer derartigen Abrede.“ BGH, Urt. v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595, 597, dazu EWiR 1996, 457 (Trölitzsch).
In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ferner bestätigt, dass diese 208 Abrede zum Tatbestand der verdeckten Sacheinlage gehört: „Die Umgehung der auf Publizität und Wertdeckungskontrolle zielenden Vorschriften über die Leistung von Sacheinlagen setzt eine – wenn auch unwirksame – Abrede des Einlageschuldners mit den Mitgesellschaftern (anlässlich der Gründung oder Kapitalerhöhung) oder den Geschäftsführern (im Hinblick auf die Erfüllung der Einlagepflicht) voraus, die den wirtschaftlichen Erfolg einer Sacheinlage umfasst.“
Dies entspricht mittlerweile der ständigen gefestigten Rechtsprechung des 209 Bundesgerichtshofs. Danach sind schuldrechtliche Absprachen zwischen dem Inferenten und der Gesellschaft über die Verwendung der Einlagemittel
61
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
unter dem Gesichtspunkt der Kapitalaufbringung zwar grundsätzlich nicht verboten, aber dann schädlich, wenn sie dazu bestimmt sind, die eingezahlten Mittel wieder an den Inferenten zurückfließen zu lassen. Die Feststellung eines schädlichen, auf einen Rückfluss gerichteten Vorhabens unterliegt tatrichterlicher Würdigung. Vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 13 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 263/06, ZIP 2008, 1281 Rn. 4, dazu EWiR 2009, 109 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643 Rn. 11, dazu EWiR 2009, 771 (Möller); BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 15 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
210 Ein Einlagenrückfluss muss nicht ausdrücklich verabredet werden; es genügt die Verabredung eines darauf hinauslaufenden Gegengeschäfts. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 13 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).
211 Ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Einzahlung des Einlagebetrags und dem Rückfluss des Geldes begründet die Vermutung, die (objektive) Umgehung der Sachkapitalaufbringungsregeln sei von Anfang an in Aussicht genommen worden. Vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 13 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 13 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 771 (Möller); BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 15 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
212 Der enge Zusammenhang ist aber für die Feststellung der Vorabsprache nicht konstitutiv. Steht bereits eine Verwendungsabsprache fest, durch die im wirtschaftlichen Ergebnis die zu erbringende Bareinlage in Gestalt einer Vergütung für eine Sachleistung wieder an den Gründer zurückfließen soll, kommt es auf den zeitlichen Abstand zwischen Gründung oder Erfüllung der Einlageverpflichtung und der Abwicklung des Gegengeschäfts sowie die Frage, ob ein Umsatzgeschäft gegeben ist, nicht an; denn dann spielen Indizien und Darlegungs- bzw. Beweislastfragen keine Rolle, weil bei Vorliegen der Abrede stets von einer verdeckten Sacheinlage auszugehen ist. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 26, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
Bei einer Ein-Mann-Gesellschaft kann es von der Natur der Sache her keine 213 Verwendungsabsprache geben, weil es an einer Mehrzahl von Gesellschaftern fehlt. Deshalb reicht bei der Sonderkonstellation der Ein-Personen-Gründung ein entsprechendes „Vorhaben“ des alleinigen Gründungsgesellschafters aus. Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643 Rn. 12 = GmbHR 2008, 483, dazu EWiR 2009, 771 (Möller); BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 11 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
d) Keine Umgehungsabsicht Eine Absicht und damit das Bewusstsein, mit dem Rechtsgeschäft die Normen, 214 die für die Leistung der Sacheinlage maßgebend sind, zu umgehen, ist für die Verwirklichung des Tatbestands nicht erforderlich. Die Gesetzesumgehung sieht der Bundesgerichtshof als Frage der Rechtsanwendung an, die aus eigener Kraft an die Rechtsgeltung und die Durchsetzbarkeit des Regelungsinhaltes einer Norm anknüpft, die von einem subjektiv vorwerfbaren Verhalten im Sinne einer Absicht, den Regelungsinhalt zu umgehen, nicht berührt werden. Die Vorschriften über die Einbringung von Sacheinlagen sind Ausdruck des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung. Dieses Ziel und die zu seiner Durchsetzung angeordneten Offenlegungs- und Kontrollmechanismen bestimmen sich allein nach den für das „verdeckte“ Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften. Würde man zusätzlich die Absicht seiner Umgehung verlangen, könnte bei ihrem Fehlen das umgangene Gesetz nicht durchgesetzt werden, obwohl objektiv ein normzweckwidriges Verhalten der Parteien gegeben ist. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 63 f. = ZIP 1990, 156, 161 f. (AG), dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 343 f. = ZIP 1991, 511, 513 f. (indirekt), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey).
e) Gewöhnliche Umsatzgeschäfte Eine generelle Bereichsausnahme mit der sog. „gewöhnliche Umsatzgeschäfte 215 im Rahmen des laufenden Geschäftsverkehrs“ aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage ausgeklammert würden hat der Bundesgerichtshof zunächst für die Gründung der Aktiengesellschaft BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 21 f., dazu EWiR 2008, 513 (Weipert)
und dann für die Gründung der GmbH abgelehnt. Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643 Rn. 13, dazu EWiR 2009, 771 (Möller).
Etwas anderes gilt für die an den engen sachlichen und zeitlichen Zusammen- 216 hang zwischen Einlageleistung und Verkehrsgeschäft anknüpfende Vermutung, dass den Geschäften eine zur Anwendung der Sacheinlagevorschriften führende 63
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Zweckabrede zugrunde liegt. Der Bundesgerichtshof hat zwar noch nicht eindeutig Stellung bezogen, aber doch ausgeführt, dass es zur effektiven Durchsetzung der Kapitalschutzvorschriften nicht in jedem Fall zwingend geboten erscheint, dem Inferenten den Nachweis des Fehlens einer Vorabsprache aufzuerlegen, wenn er einige Zeit nach der Gründung der Gesellschaft mit ihr ein normales Umsatzgeschäft des laufenden Geschäftsverkehrs wie mit jedem Dritten abschließt. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 24 = NJW 2007, 765, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert) zur AG dort auch nähere Ausführungen zur Frage, wann von einem „gewöhnlichen Umsatzgeschäft im Rahmen des laufenden Geschäftsverkehrs“ gesprochen werden kann.
f) Verdeckte Sacheinlage und „Schütt-aus-hol-zurück“-Verfahren 217 In der Entscheidung BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335 = ZIP 1991, 511 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey)
hat der Bundesgerichtshof im Leitsatz ausgesprochen, dass bei der GmbH eine Kapitalerhöhung im Wege des „Ausschüttungs-Rückhol-Verfahrens“ nur unter Beachtung des Sacheinlageverfahrens möglich ist. 218 Dem lag folgender – vereinfacht dargestellter – Sachverhalt zugrunde: Die Gesellschafter J., G., S. und U. beschlossen im Juni 1985, die an sie ausgeschütteten Gewinne der GmbH als verzinsliches Darlehen im Wege des „Schütt aus-Hol zurück“-Verfahrens zur Verfügung zu stellen. Im Juli 1985 fassten sie den Beschluss, das Stammkapital um 3,6 Mio. DM auf 4 Mio. DM „aus Gesellschaftsmitteln“ zu erhöhen. Nach Übernahme der auf sie entfallenden Anteile überwiesen die Gesellschafter am 1.7.1985 die entsprechenden Beträge auf das Konto der Gesellschaft. Diese überwies die Beträge unmittelbar darauf auf die Konten der Gesellschafter zurück. Das Konto der Gesellschaft wies vor und nach Ausführung der Überweisungen einen Sollstand von ca. 4 Mio. DM aus. 219 In den Entscheidungsgründen wird dazu ausgeführt, der Weg der Sachkapitalerhöhung müsse auch dann gewählt werden, wenn ein vorübergehend stehengelassener Gewinnausschüttungsanspruch des Gesellschafters im Wege des „Ausschüttungs-Rückholverfahrens“ verwendet werden solle. Die Tatsache, dass dieser Anspruch auf einem Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschafterversammlung und einem von ihr vorher festgestellten Jahresabschluss beruhe, vermöge – auch bei Hinzuziehung eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters – weder die präventive Werthaltigkeitskontrolle durch das Registergericht noch die bei der Anwendung der Sacheinlagebestimmungen vorliegende Offenlegung des Mittelaufbringungsvorganges zu ersetzen. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 342 = ZIP 1991, 511 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey).
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
Es handelt sich um einen klassischen Fall des „Hin- und Herzahlens“, dem 220 die Umwandlung der Gesellschaftsgewinne in verzinsliche Darlehen vorausgegangen war. Da die Darlehens- bzw. Gewinnauszahlungsforderung gegen die Gesellschaft bestand, hätte die Kapitalerhöhung im Wege der Sacheinlage durch Forderungseinbringung durchgeführt werden müssen. Vgl. für Altforderungen BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47 = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); vgl. für Neuforderungen BGH, Beschl. v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668 (GmbH), dazu EWiR 1996, 509 (Weipert).
Auf den entschiedenen Fall trifft die rechtliche Wertung zu; denn da das 221 Konto der GmbH mit 4 Mio. DM überzogen war und Anfang 1987 über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, stand es mit der Gesellschaft offensichtlich nicht zum Besten. Bereits die Gewinnausschüttung konnte unter diesem Aspekt im Hinblick auf § 30 GmbHG Bedenken wecken. Wären diese Dinge im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung offengelegt und vom Registerrichter überprüft worden, wäre die Kapitalerhöhung in der beschlossenen Form mit Sicherheit nicht in das Handelsregister eingetragen worden. In den meisten Fällen ist das „Schütt-aus-hol-zurück“-Verfahren unbedenk- 222 lich; denn ihm liegen dem Gesetz entsprechende Gewinnausschüttungen zugrunde, die auf einem festgestellten, bei großen und mittelgroßen Gesellschaften geprüften und mit einem Bestätigungsvermerk versehenen (§§ 267 Abs. 2 und 3, 316 Abs. 1, 322 Abs. 1 HGB), bei kleinen Gesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) zumindest von einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer aufgestellten und überprüften Jahresabschluss beruhen. Die konsequente Anwendung der Grundsätze zur verdecken Sacheinlage würde wegen einiger pathologischer Fälle zur Unterbindung eines Vorgangs führen, der aus Gründen steuerlicher Anerkennung des Ausschüttungssatzes im Körperschaftssteuerrecht bis vor kurzem unverzichtbar war. Die Praxis ist den Schwierigkeiten dadurch ausgewichen, dass Gewinne in die Gewinnrücklagen (§ 266 Abs. 3 A III 4 HGB) eingestellt und anschließend im Wege der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in Eigenkapital umgewandelt wurden. 223
In der Rechtslehre, vgl. Lutter/Zöllner, ZGR 1996, 164, 182 ff, 187,
war vorgeschlagen worden, die Anwendung der Grundsätze zur verdeckten Sacheinlage auf das „Schütt aus-Hol zurück“-Verfahren in modifizierter Form (Voraussetzungen der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln) anzuwenden und auf die Fälle zu beschränken, in denen eine Gefährdung der Gläubigerinteressen auftreten kann: Das wurde dann als gegeben angesehen, wenn die Wiedereinzahlung ausgeschütteter Gewinne mit den Gesellschaftern fest verabredet oder aufgrund ungewöhnlicher Umstände ein innerer
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Zusammenhang zwischen Aus- und Einzahlung zu vermuten war oder wenn eine Gewinnausschüttung erfolgte, obwohl sich die Gesellschaft in einer Krise, im Zustand der Illiquidität oder in Insolvenznähe befand. Die Umsetzung dieses Vorschlages hätte wohl zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten geführt: Bei kleineren und mittleren Gesellschaften GmbH sowie personalistisch strukturierten AG wird die Absprache über die Wiedereinzahlung wohl die Regel sein, so dass hier Gesellschaften und Gesellschaftern nicht geholfen wurde. Die Feststellung der im Übrigen genannten einzelnen Umstände, die im Rahmen der Präventivkontrolle durchzuführen gewesen wären, hätte das registergerichtliche Prüfungsverfahren mit einem Prüfungsaufwand befrachtet, für den es nicht geschaffen und auch nicht geeignet ist. Prüfungserleichterungen hätten sich auch dann kaum ergeben, wenn die tatsächlichen Anforderungen an die genannten Voraussetzungen durch eine kasuistische Rechtsprechung geklärt gewesen wären. Denn auch in diesem Falle verblieb die Schwierigkeit, dass die Feststellung der einzelnen Merkmale in der Regel umfangreichen Parteivortrag und die Erhebung von Beweisen erforderlich machten. Wegen weitergehender Bedenken vgl. Henze, in: Harzburger Steuerprotokoll 1997, S. 87, 107 f.
224 Der Bundesgerichtshof hat daher die vorgeschlagene Beschränkung nicht vorgenommen, sondern die Voraussetzungen der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln generell entsprechend angewandt. Seine Entscheidung wird von der Überlegung getragen, dass die Gewinnausschüttung regelmäßig aufgrund einer geprüften und mit einem Bestätigungsvermerk versehenen Bilanz vorgenommen wird. Die Überprüfung des Kapitalerhöhungsverfahrens kann daher durch den Registerrichter an Hand der Bilanz sowie der GuV-Rechnung relativ leicht vorgenommen werden. Wird darüber hinaus noch der Vorgang der Mittelaufbringung offengelegt, ist den Schutzinteressen der Gläubiger genügt. Genau diese Prüfungsanforderungen stellt das Gesetz bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 ff. AktG, 57c GmbHG). Dieses Verfahren setzt zwar die Auflösung von Rücklagen voraus. Da es aber ausreicht, dass der vorgesehene Betrag im letzten Beschluss über die Verwendung des Jahresüberschusses (§ 58 Abs. 2 AktG) oder des Bilanzgewinnes (§§ 58 Abs. 3, 174 Abs. 2 AktG) als „Zuführung zu diesen Rücklagen“ ausgewiesen wird, ist es eine reine Formalität, ob der erforderliche Betrag der Rücklage zugeführt und ihr sodann gleich wieder entnommen und in Eigenkapital umgewandelt wird oder ob die Umwandlung dadurch geschieht, dass der Bilanzgewinn ausgeschüttet und in demselben Atemzuge wieder als Einlage zur Erhöhung des Eigenkapitals eingezahlt wird. Das „Schütt aus-Hol zurück“Verfahren weist also starke Berührungspunkte mit der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln auf. 225 Der Bundesgerichtshof ist aufgrund dieser Überlegungen zu dem Ergebnis gelangt, dass den Gläubigerbelangen im Rahmen des „Schütt aus-Hol zurück“Verfahrens mit der entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln entsprochen werden kann:
66
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG) „Wird gegenüber dem Registergericht offengelegt, dass eine Kapitalerhöhung im ‘Schütt aus-Hol zurück’-Verfahren durchgeführt werden soll, sind die Voraussetzungen ihrer Eintragung an der für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln geltenden Regelung auszurichten. Die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage finden in diesem Falle keine Anwendung.“
Im Einzelnen wird die Erfüllung folgender Voraussetzungen verlangt:
226
x
Dem Registergericht ist eine mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehene Bilanz vorzulegen (§ 210 Abs. 1 Satz 1 AktG), die auf einen Zeitpunkt bezogen ist, der bei Anmeldung der Kapitalerhöhung nicht länger als acht Monate zurückliegen sollte.
x
Beschluss und Eintragung müssen die Angabe enthalten, dass die Kapitalerhöhung im Wege des Schütt aus-Hol zurück-Verfahrens vorgenommen worden ist (vgl. § 210 Abs. 4 AktG).
x
Das Anmeldungsorgan hat gegenüber dem Registergericht die Erklärung abzugeben, dass nach seiner Kenntnis seit dem Stichtag der zugrunde gelegten Bilanz bis zum Tag der Anmeldung der Kapitalerhöhung keine Vermögensminderung eingetreten ist, die der Kapitalerhöhung entgegenstünde, wenn sie am Anmeldungstag beschlossen worden wäre.
x
Ferner hat es zu erklären, dass sich der Gegenstand der Leistung in der freien Verfügung des Vorstandes befindet. BGH, Urt. v. 26.5.1997 – II ZR 69/96, BGHZ 132, 381, 385 f. = ZIP 1997, 1337 (GmbH), dazu EWiR 1998, 127 (Schulz); vgl. auch MünchKommAktG/Pentz § 27 Rn. 115.
Die vorstehenden Ausführungen gelten auch noch nach der Neuregelung 227 der verdeckten Sacheinlage. Vgl. Spindler/Stilz/Heidinger/Benz § 27 Rn. 153 f., 155.
g) Verdeckte Sacheinlage und mittelbares Bezugsrecht Der Bundesgerichtshof ist auch mit der Frage konfrontiert worden, ob eine 228 Bank, die Aktien aus einer Kapitalerhöhung mit der Verpflichtung übernimmt, sie den Aktionären der Gesellschaft zum Bezug anzubieten (sogenanntes mittelbares Bezugsrecht, § 186 Abs. 5 AktG), nach den Regeln der verdeckten Sacheinlage haftet, wenn mit den Einlagemitteln eine Forderung getilgt wird, die ihr gegen die AG zusteht. Er hat das mit gewissen Einschränkungen verneint. Die zwischen AG und Übernahmebank getroffene Vereinbarung, aus der sich die Verpflichtung der Bank ergibt, die Aktien den (Alt-)Aktionären zum Bezug anzubieten, und die sich als berechtigender Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. § 328 Abs. 2 BGB darstellt, BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 208 = ZIP 1991, 719, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 96 = ZIP 1992, 995,
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
verhindert zwar, dass das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen wird (§ 186 Abs. 5 AktG). Das ist jedoch nur eine gesetzliche Fiktion, deren Sinn es ist, das mittelbare Bezugsrecht von den qualifizierten Mitteilungs- und Beschlussvoraussetzungen des § 186 Abs. 3 und 4 AktG freizustellen. Formalrechtlich wird das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen. Wirtschaftlich wird aber die Emission der Aktien zwischen den Aktionären und der Gesellschaft unter Einschaltung der Bank als Abwicklungsstelle durchgeführt. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, die Bank lediglich als fremdnützige Treuhänderin anzusehen. Wird unter diesen Umständen eine ihr gegen die AG zustehende Forderung mit den zwar von ihr gezahlten, wirtschaftlich aber von den Aktionären aufgebrachten Einlagemitteln getilgt, kann dieser Tatbestand grundsätzlich nicht so gewertet werden, als ob sie die Aktien im eigenen Interesse übernommen und mit von ihr aufgebrachten Einlagemitteln eine ihr gegen die AG zustehende Forderung getilgt und auf diese Weise die Voraussetzungen einer verdeckten Sacheinlage erfüllt habe. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 95 ff. = ZIP 1992, 995; BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180, 185 f. = ZIP 1993, 667, dazu EWiR 1993, 1045 (Lutter); vgl. auch BGH, Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, ZIP 1995, 1177.
229 Es sind allerdings Einschränkungen zu machen: Die vom Bundesgerichtshof anerkannte Ansicht zum „fremdnützigen Treuhänder“ geht von dem Idealfall aus, dass alle Aktionäre ihr Bezugsrecht ausüben und ihnen dieses Recht unverzüglich, d. h. innerhalb eines Zeitraums gewährt wird, der höchstens erforderlich ist, um die Ausübung in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften abwickeln zu können. Auch darf der Bank nur die übliche angemessene Vergütung gewährt werden. Der Idealfall entspricht aber, wie die Praxis lehrt, nie oder sehr selten der Wirklichkeit. Dem hat der Bundesgerichtshof durch ergänzende Ausführungen Rechnung getragen, soweit sie – fallbezogen – geboten erschienen. Soweit nicht alle Bezugsrechte ausgeübt werden und/oder sogenannte Spitzen verbleiben, kommt es darauf an, wie damit von der Bank nach dem Übernahmevertrag zu verfahren ist und tatsächlich verfahren wird. Um die Stellung als fremdnütziger Treuhänder zu gewährleisten, muss der Vertrag die Vereinbarung enthalten, dass Spitzen und nicht ausgeübte Bezugsrechte nach Weisung des Vorstands der AG zu verwerten und die durch Verwertung erzielten Beträge der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen sind. Ferner muss grundsätzlich im Zeitpunkt der Zeichnung die rasche Platzierung der übernommenen Aktien unproblematisch erscheinen, d. h. die Unterbringung der Aktien darf lediglich infolge unvorhersehbarer Umstände wie z. B. bei plötzlichen Einbrüchen auf dem Kapitalmarkt oder im Börsengeschehen nicht durchführbar sein, die Bank muss aber weiterhin um die Platzierung bemüht sein. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 98 = ZIP 1992, 995.
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
Sind für ein Scheitern der Platzierung keine unvorhersehbaren Umstände 230 verantwortlich zu machen, ist auf die tatsächliche Entwicklung der Verwertung abzustellen. Hat die Bank die Aktien weisungsgemäß innerhalb der Nachfrist platziert und zuvor keine Rechte daraus wahrgenommen, hat sie ihre fremdnützige Treuhänderstellung beibehalten. Hat sie zwischenzeitlich Rechte wahrgenommen oder Aktien durch „Selbsteintritt“ erworben, entfällt insoweit die Treuhänderstellung. Sie haftet dann in Höhe des für die maßgebenden Aktien zu entrichtenden Ausgabekurses nach den Grundsätzen der „verdeckten Sacheinlage“. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 98 f. = ZIP 1992, 995.
Soweit die fristgemäße Platzierung zwar gescheitert ist, die aus der Kapital- 231 erhöhung stammenden Aktien jedoch später – auch nach Auflösung des Konsortiums – noch an Dritte veräußert worden sind, ohne dass Rechte aus den Aktien durch die veräußernde Bank wahrgenommen worden sind, hat die Bank ihre Stellung als fremdnütziger Treuhänder ebenfalls realisiert. Das gilt auch dann, wenn die Veräußerung ohne Weisung des Vorstands durchgeführt wird, weil dieser seiner vertraglichen Verpflichtung, eine Weisung zu erteilen, insbesondere Abnehmer zu benennen, nicht nachgekommen ist, wenn der aus der Veräußerung erzielte Erlös – abzüglich der angefallenen Kosten und Provisionen – abzuführen war. Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Abführung des Erlöses kommt es nicht an. BGH, Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 29/94, ZIP 1995, 1177.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der fremdnützigen Treu- 232 händerstellung trifft im Einzelfall die Bank. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = ZIP 1992, 995.
h) Keine gegenständliche oder personelle Identität erforderlich Der Tatbestand einer verdeckten Sacheinlage wird nicht dadurch ausge- 233 schlossen, dass die Bareinlage vereinbarungsgemäß auf ein anderes Konto der Gesellschaft geleistet wird als dasjenige, von dem an den Inferenten gezahlt wird. Auf eine gegenständliche Identität der von dem Inferenten ein- und der an ihn zurückgezahlten Geldmittel kommt es für den Tatbestand der verdeckten Sacheinlage, bei der es um die zutreffende Erfassung des wirtschaftlichen Vorgangs geht, nicht an. BGH, Urt. v. 11.5.2009 – II ZR 137/08, ZIP 2009, 1155 Rn. 11 – Lurgi II, dazu EWiR 2009, 557 (Goslar); BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 13 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert).
Die Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln setzt auch keine personelle 234 Identität zwischen dem Inferenten und dem Auszahlungsempfänger voraus.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung Vgl. schon BGH, Urt. v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 240 = ZIP 1986, 14, dazu EWiR 1986, 59 (Köndgen); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 66 ff. = ZIP1990, 156, 162, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 345 f. = ZIP 1991, 511, 513 f., dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 144 f. = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595, 596, dazu EWiR 1996, 457 (Trölitzsch).
235 Ausreichend, aber auch erforderlich ist bei der Weiterleitung der Einlagemittel an einen Dritten, dass der Inferent durch die Leistung der Gesellschaft in gleicher Weise begünstigt wird wie durch eine unmittelbare Leistung an ihn selbst. Dies gilt insbesondere bei der Leistung an ein vom Inferenten beherrschtes Unternehmen, BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 142, 144 f. m. w. N. = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 18 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/ Hoos); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 Rn. 15 = ZIP 2007, 178, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528 Rn. 8, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 Rn. 6, dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 32 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 13 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder),
unter Umständen auch bei Leistungen an ein Unternehmen, von dem der Inferent seinerseits abhängig ist. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 66 ff. = ZIP 1990, 156, 162, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528 Rn. 8, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde).
236 Eine verdeckte Sacheinlage liegt nicht schon dann vor, wenn die von einer Konzerngesellschaft auf das erhöhte Kapital ihrer Tochter geleistete Bareinlage absprachegemäß zum Erwerb des Unternehmens einer Schwester-Gesellschaft verwendet wird, an welcher die Inferentin weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt ist. BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde).
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III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
Eine verdeckte Sacheinlage auch liegt nicht vor, wenn der aus einer Barkapi- 237 talerhöhung stammende Einlagebetrag bestimmungsgemäß zum Erwerb einer Beteiligung an einer anderen Gesellschaft verwendet wird, an der zwar die AG, nicht aber der Einlagepflichtige unmittelbar beteiligt ist. Eine schuldrechtliche Verwendungsabsprache zwischen Einleger und Gesellschaft ist unschädlich, wenn sie lediglich der Erreichung bestimmter geschäftlicher Zwecke dient und nicht dazu bestimmt ist, die eingezahlten Mittel wieder an den Einlagepflichtigen zurückfließen zu lassen. Von einem solchen Rückfluss der Mittel kann nicht deswegen ausgegangen werden, weil der Einleger über die ihr Kapital erhöhende Gesellschaft mittelbar an der anderen Gesellschaft beteiligt ist. BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, ZIP 1992, 1303, 1305 (GmbH), dazu EWiR 1992, 997 (Fleck).
Der Tatbestand einer verdeckten Sacheinlage trotz fehlender persönlicher 238 Identität kann weiter erfüllt sein, wenn x
zwischen Einlageschuldner und Darlehensgläubiger ein Treuhandvertrag abgeschlossen worden ist, BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 66 ff. = ZIP 1990, 156, 162, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter),
x
der Gesellschafter die Einlageverpflichtung mit Mitteln erfüllt, die ihm vom Darlehensgläubiger zur Verfügung gestellt worden sind, BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 345 f. = ZIP 1991, 511, 513 f., dazu EWiR 1991, 1213 (Frey),
x
oder der Einlagebetrag zur Tilgung eines von einem Dritten zur Verfügung gestellten Zwischenfinanzierungskredits verwendet wird, mit dem ein Kredit des Einlageschuldners getilgt worden ist. BGH, Urt. v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 340 = ZIP 1986, 14, dazu EWiR 1986, 59 (Köndgen); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 94 f. = ZIP 1992, 995.
Die Tilgung eines vom Ehegatten des Inferenten gewährten Darlehens mit 239 der Bareinlage reicht nicht aus um eine verdeckte Sacheinlage durch Einbringung eines (Gesellschafter-)Darlehens anzunehmen. Allein ein Näheverhältnis des Inferenten zum Darlehensgeber genügt nicht. Vielmehr muss das Darlehen wirtschaftlich vom Inferenten gewährt werden oder die Einlage mit Mitteln bewirkt worden sein, die dem Inferenten vom Ehegatten zur Verfügung gestellt worden sind. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 67 = ZIP 1990, 156 (AG), dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 345 f. = ZIP 1991, 511, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 12.4.2011 – II ZR 17/10, ZIP 2011, 1101 Rn. 15, dazu EWiR 2011, 669 (Cramer).
71
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
2. Rechtsfolgen bei Vorliegen einer verdeckten Sacheinlage 240 Anders als auf der Tatbestandsseite hat der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der verdeckten Sacheinlage bei Gründung und Kapitalerhöhung wesentlich umgestaltet. Ziel des MoMiG, das der im Wesentlichen wortgleichen Regelung der verdeckten Sacheinlage durch das ARUG vorausging, war die Abmilderung der als drakonisch empfundenen Folgen einer verdeckten Sacheinlage, vor allem in der Insolvenz der Gesellschaft. Die Unwirksamkeit des zur Verwirklichung einer verdeckten Sacheinlage geschlossenen schuldrechtlichen Vertrags führte zu einem bereicherungsrechtlichen Leistungsausgleich zwischen der Gesellschaft und dem Inferenten. Die Gesellschaft konnte von dem Inferenten Erstattung des rechtsgrundlos geleisteten Kaufpreises verlangen. Umgekehrt stand dem Inferenten mangels der mit der Zahlung beabsichtigten Tilgung seiner Einlageschuld gegen die Gesellschaft ebenfalls ein Rückgewähranspruch zu. Beide Bereicherungsansprüche waren in Fortwirkung des synallagmatischen Austauschverhältnisses zu saldieren, so dass, soweit die beiderseitigen Ansprüche der Höhe nach deckungsgleich waren, wechselseitige Zahlungspflichten entfielen. Im Hinblick auf die Unwirksamkeit auch des dinglichen Erfüllungsgeschäfts stand dem Inferenten ein Anspruch auf Rückgewähr beziehungsweise Ersatz des Werts des verdeckt eingebrachten Gegenstands zu. Dieser war in der Insolvenz oft wertlos. Da auch die Erfüllungswirkung der im Zusammenhang mit der verdeckten Sacheinlage geleisteten „Bareinlage“ abgelehnt wurde, musste der Inferent umgekehrt die Einlage „noch einmal“ ungeschmälert erbringen. Im wirtschaftlichen Ergebnis musste der Inferent daher häufig zweimal zahlen. Dieses als unbefriedigend und überschießend empfundene Ergebnis wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 19 Abs. 4 GmbHG beseitigen, Vgl. BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 59 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
der sich § 27 Abs. 3 AktG in der Fassung des ARUG anschloss. Vgl. zum ARUG BT-Drucks. 16/13098, S. 36.
241 Die bisher drohende doppelte Zahlungspflicht wird durch § 19 Abs. 4 GmbHG in der Fassung des MoMiG bzw. § 27 Abs. 3 AktG in der Fassung des ARUG entschärft. Eine verdeckte Sacheinlage befreit danach den Gesellschafter zwar nicht von seiner Einlageverpflichtung, führt aber – bezogen auf den Zeitpunkt der Anmeldung bzw. der Leistung – zur Anrechnung des Werts der Vermögensgegenstände, die der Gesellschafter aufgrund der nunmehr als schuldrechtlich und dinglich wirksam angesehenen Verträge über die verbotene Sacheinlage tatsächlich erbracht hat. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 13 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
72
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
§ 19 Abs. 4 GmbHG n. F. gilt nach § 3 Abs. 4 EGGmbHG auch für Altfälle, 242 nämlich auch für Einlagenleistungen, die vor Inkrafttreten des MoMiG zum 1.11.2008 bewirkt worden sind, soweit sie nach der damals geltenden Rechtslage wegen einer verdeckten Sacheinlage keine Erfüllung der Einlagenverpflichtung bewirkt haben. Dies gilt allerdings nicht, soweit über die aus der Unwirksamkeit folgenden Ansprüche zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter bereits vor dem 1.11.2008 ein rechtskräftiges Urteil ergangen oder eine wirksame Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter getroffen worden ist. Diese in § 3 Abs. 4 EGGmbHG angeordnete rückwirkende Anwendung von § 19 Abs. 4 GmbHG, die sich auch auf Kapitalerhöhungen bezieht, begegnet nach Auffassung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Vgl. BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 20, 21 f. – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel); zur Kapitalerhöhung vgl. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 19; noch offengelassen in BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 38 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Eine dem § 3 Abs. 4 EGGmbHG entsprechende Rückwirkung enthält § 20 243 Abs. 7 EGAktG bezogen auf den Stichtag 1.9.2009. Die Erfüllung der fortbestehenden Geldeinlagepflicht des Inferenten bei ver- 244 deckter Einbringung einer (Bereicherungs-)Forderung kann im Falle einer Kapitalerhöhung nach Maßgabe von § 19 Abs. 4 Satz 3, Satz 5, § 56 Abs. 2 GmbHG (bzw. § 27 Abs. 3 Satz 3, Satz 5, § 183 Abs. 2 AktG) gelingen, wenn der Inferent nachweist, dass seine Forderung gegen die Gesellschaft im Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung vollwertig, nämlich durch entsprechendes Vermögen der Gesellschaft vollständig abgedeckt war. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 19 m. w. N.
3. Heilung des verdeckten Sacheinlagegeschäftes a) Rechtslage bei der GmbH Für das Recht der GmbH hatte der Bundesgerichtshof auf der Grundlage 245 der früheren Rechtsprechung zur verdeckten Sacheinlage eine Heilung durch nachträgliche Umwandlung der Bar- in eine Sacheinlage zugelassen. Mit Beschluss vom 4.3.1996 BGH, Beschl. v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668, dazu EWiR 1996, 509 (Weipert)
hat der II. Zivilsenat entschieden, zur Heilung einer verdeckten Sacheinlage könne die im Rahmen eines Kapitalerhöhungsbeschlusses festgesetzte (Rest-)Bareinlage auch nach Eintragung der Kapitalerhöhung in das Han73
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
delsregister durch satzungsändernden Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter im Wege der Änderung der Einlagendeckung in eine Sacheinlage umgewandelt werden. 246 Was die Durchführung der Heilungsmaßnahme betrifft, so hält der II. Zivilsenat bei der Kapitalerhöhung einen mit satzungsändernder Mehrheit gefassten Gesellschafterbeschluss für ausreichend. Eine Einstimmigkeit, wie sie aus Gründen des Minderheitsschutzes beim nachträglichen Übergang von der Bar- zur Sachgründung gefordert wird, sei nicht erforderlich, weil Minderheitsbelange bei einer durch Überprüfung festgestellten Wertgleichheit von Bar- und Sacheinlage nicht beeinträchtigt werden können. 247 Inhaltlich muss der Beschluss festlegen, dass die im Einzelnen aufzuführenden Gesellschafter die von ihnen übernommenen Einlagen statt in Geld durch Einbringung der konkret zu bezeichnenden Altforderung oder einer Vorabsprache unterstellten Neuforderung leisten. Zu erstatten ist ferner ein Bericht über die Änderung der Einlagendeckung von der Bar- zur Sacheinlage. In Anbetracht der Tatsache, dass der Änderung eine verdeckte Sacheinlage vorausgegangen ist und mit einem solchen Vorgang erhebliche Gefahren verbunden sind, muss dieser Bericht von allen Geschäftsführern und den von der Änderung betroffenen Gesellschaftern erstattet und unterzeichnet werden. 248 Die Vollwertigkeit der einzubringenden Forderung ist – bezogen auf den Zeitpunkt der Prüfung, der unmittelbar vor der Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister zu liegen hat – durch eine von einem Wirtschaftsprüfer testierte Bilanz nachzuweisen. 249 Der Gesellschafterbeschluss ist unter Vorlage des Berichts der Geschäftsführer und der Gesellschafter, der testierten Bilanz und, soweit abgeschlossen, der Verträge, die der einzubringenden Forderung zugrunde liegen, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Geschäftsführer haben die Versicherung abzugeben, dass die – im entschiedenen Fall – eingebrachte Forderung werthaltig und der Gesellschaft von den Gesellschaftern übertragen oder ihr überlassen worden ist. BGH, Beschl. v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141 = ZIP 1996, 668, 673 f., dazu EWiR 1996, 509 (Weipert).
250 Die Werthaltigkeit der einzubringenden Forderung ist für den Zeitpunkt der Heilung, also des Antrags auf Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister zu ermitteln. Ob dieser Zeitpunkt auch maßgebend ist für Sachgüter (Anlage- und Umlaufvermögen), ist damit nicht entschieden worden. 251 Ferner ist offengeblieben, ob das Heilungsverfahren mit Rücksicht auf die von ihm für Minderheitsgesellschafter und Gläubiger ausgehenden Gefahren auch von Gesellschaften betrieben werden darf, die in dem Zeitraum zwischen Eintragung der Barkapitalerhöhung und Änderung der Einlagendeckung Verluste erwirtschaftet haben.
74
III. Verdeckte Sacheinlagen (§ 27 Abs. 3 AktG)
Der Inferent einer verdeckten Sacheinlage kann auch aus dem Gesichtspunkt 252 der gesellschafterlichen Treuepflicht von seinen Mitgesellschaftern die Mitwirkung an einer solchen grundsätzlich zulässigen „heilenden“ Änderung der Einlagendeckung von der Bar- zur Sacheinlage jedenfalls dann verlangen, wenn sich die Gesellschafter über die geplante Einlage einig waren, dafür aber – gleich aus welchen Gründen – gemeinsam den rechtlich falschen Weg gewählt haben. BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329 = ZIP 2003, 1540, 1541, dazu EWiR 2003, 1243 (Priester).
Die gesellschafterliche Treuepflicht gebietet eine Mitwirkung der Mitgesell- 253 schafter an einem von dem Inferenten der heilungsbedürftigen verdeckten Sacheinlage begehrten Heilungsbeschluss aber nur dann, wenn das Umgehungsgeschäft heilungsfähig ist und der beantragte Heilungsbeschluss in seiner konkreten Ausgestaltung auch zu einem „sicheren“ Heilungserfolg führt. BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329 = ZIP 2003, 1540, 1542, dazu EWiR 2003, 1243 (Priester).
b) Übertragbarkeit auf die Aktiengesellschaft Für die Aktiengesellschaft war dieser Weg der Heilung jedenfalls so lange 254 gangbar, wie die Gesellschaft bzw. die Kapitalerhöhung noch nicht in das Handelsregister eingetragen worden sind. Ob § 27 Abs. 4 AktG a. F. die Heilung einer unwirksamen Sacheinlage nach der Eintragung ausschloss, war ungeklärt. Vgl. Spindler/Stilz/Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rn. 203 m. w. N.; ablehnend Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rn. 46.
Ob nach der Streichung des § 27 Abs. 4 AktG a. F. durch das ARUG die 255 vorstehenden Grundsätze vom Recht der GmbH in das Aktienrecht übertragen werden können, wie der Gesetzgeber meint, vgl. zum ARUG BT-Drucks 16/13098, S. 36 f., zum MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 40,
hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden. Für eine Übertragung besteht angesichts der Neuregelung der Folgen der verdeckten Sacheinlage nur ein geringes Bedürfnis. Als Nachteil der Neuregelung bleibt aus Sicht des Inferenten die ihm ungünstige Beweislastverteilung bezüglich des anzurechnenden Werts (vgl. § 27 Abs 3 Satz 5 AktG). Die Vorstellung des Gesetzgebers, es könne nahtlos an die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze zur Heilung im GmbH-Recht angeknüpft werden ist indes nicht ohne weiteres umsetzbar. Die eben umrissene Heilungsmöglichkeit könnte im Hinblick darauf, dass gem. § 19 Abs. 4 Satz 2 GmbHG bzw. § 27 Abs. 3 Satz 2 AktG die Verträge über die Sacheinlage und die Rechtshandlungen zu ihrer Ausführung – entgegen der früheren Rechtslage – vgl. BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329 = ZIP 2003, 1540, dazu EWiR 2003, 1243 (Priester) –
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
nicht mehr unwirksam sind und nach § 27 Abs. 3 Satz 3 AktG der Wert des verdeckt eingelegten Gegenstands auf die fortbestehende Geldeinlagepflicht des Aktionärs angerechnet wird, insgesamt rechtstechnisch auf Schwierigkeiten stoßen. Vgl. für das Recht der GmbH: Märtens, in: MünchKomm-GmbHG, § 19 Rn. 254; Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 19 Rn. 68; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, § 19 Rn. 92; für die AG: Spindler/Stilz/Heidinger/Benz, AktG, § 27 Rn. 206 f.
IV. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 AktG) 256 Häufig nicht scharf getrennt wird zwischen der verdeckten Sacheinlage und dem Hin- und Herzahlen. Das Hin- und Herzahlen wurde als Unterfall der verdeckten Sacheinlage wahrgenommen. Bei dieser Fallgruppe geht es nach der jüngeren Rechtsprechung des II. Zivilsenats aber nicht darum die Vorschriften für die Sacheinlage zu umgehen, sondern es geht um die Leistung der Einlage zur endgültig freien Verfügung des Vorstands. Vgl. BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997, dazu EWiR 2001, 1149 (Keil); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046, 1047. Vgl. auch die Abgrenzung in BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann).
1. Tatbestand 257 Der Bundesgerichtshof hat den Umgehungstatbestand des „Hin- und Herzahlens“ (jetzt § 19 Abs. 5 GmbHG; § 27 Abs. 4 AktG) in seiner neueren Rechtsprechung in Abgrenzung zur verdeckten Sacheinlage präzisiert. Danach handelt es sich um Fälle, in denen es an einer Bareinlageleistung zu freier Verfügung des Geschäftsleiters (§ 8 Abs. 2 GmbHG; § 37 Abs. 1 Satz 2 AktG) fehlt, weil der Einlagebetrag absprachegemäß umgehend wieder an den Einleger zurückfließen soll, sei es als Darlehen BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 Rn. 7, dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 15 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 23 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) für die AG
oder aufgrund einer Treuhandabrede. 76
IV. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 AktG) BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331 Rn. 9, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 15 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 23 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) (AG).
Die Situation des Hin- und Herzahlens ist derjenigen der Aufrechnung ver- 258 gleichbar. BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 143 = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 46, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa).
An einer Leistung der geschuldeten Bareinlage zur endgültigen freien Verfü- 259 gung der Geschäftsleiters fehlt es auch bei einer reinen Scheinzahlung, bei der die im Voraus abgesprochene Rückzahlung keinen außerhalb dieser Abrede liegenden Rechtsgrund hat. BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046, dazu K. Müller/von Bünau, GmbHR 2004, 897; BGH, Beschl. v. 17.9.2013 – II ZR 142/12, ZIP 2014, 261 Rn. 6 f.
Dem Hin- und Herzahlen steht wegen der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit, 260 für die die Reihenfolge der Leistungen ohne Belang ist, das Her- und Hinzahlen gleich, bei dem die Einlagemittel nicht an den Gesellschafter zurückfließen, sondern die Gesellschaft dem Inferenten die Einlagemittel als „verdeckte Finanzierung“ schon vor Zahlung der Einlage aus ihrem Vermögen als Darlehen oder in sonstiger Weise zur Verfügung stellt. Vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 22.3.2004 – II ZR 7/02, ZIP 2004, 1046, 1047; BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 Rn. 11; BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 24 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) (AG).
Eine Umgehung der Kapitalaufbringung durch Hin- und Herzahlen liegt 261 auch dann vor, wenn die Einlagezahlung – wie von vornherein beabsichtigt – „in Raten“ (im entschiedenen Fall: 2 Teilbeträge im Abstand von 1 bzw. 2,5 Monaten) an den Inferenten zurückfließt. Vgl. BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 263/06, ZIP 2008, 1281, dazu EWiR 2009, 109 (Kleinschmidt/Hoos).
Die Bezahlung von Beratungs- oder sonstigen Dienstleistungen vor Leis- 262 tung der Einlage ist keine verdeckte Finanzierung durch die Gesellschaft im Sinn eines Her- und Hinzahlens, wenn eine tatsächlich erbrachte Leistung entgolten wird, die dafür gezahlte Vergütung einem Drittvergleich standhält 77
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
und die objektiv werthaltige Leistung nicht aus der Sicht der Gesellschaft für sie unbrauchbar und damit wertlos ist. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 24 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) (AG).
263 Mit der Vergütung von Dienstleistungen nach Leistung der Einlage wird keine Forderung der Gesellschaft gegen den dienstleistenden Inferenten begründet, die die Einlageschuld ersetzt. Die Einlage wird zur freien Verfügung der Gesellschaft geleistet, solange sie nicht für die Bezahlung der Dienstleistungen reserviert wird. BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 23 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) (AG).
264 Die Verwendung einer im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung bei einer KGaA vom Inferenten über die Einlage hinaus erbrachten freiwilligen Zahlung in die „freie Kapitalrücklage“ für die Tilgung von Schulden einer Konzernschwestergesellschaft ist keine Umgehung der Kapitalschutzvorschriften. BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 249/06, ZIP 2008, 26 f.
2. Neuregelung durch MoMiG und ARUG 265 Der Sache nach zielt das Vorgehen des Inferenten darauf ab, die prinzipiell unverzichtbare Einlageforderung durch eine in dieser Hinsicht schwächere schuldrechtliche Forderung (z. B. aus Darlehen) zu ersetzen, was der Bundesgerichtshof für unzulässig erachtet und so behandelt hat, als habe der Inferent bis dahin nichts geleistet. Der Gesetzgeber ist dem bei der Neufassung des § 19 Abs. 5 GmbHG durch das MoMiG und der folgenden und im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelung des § 27 Abs. 4 AktG durch das ARUG vgl. BT-Drucks. 16/13098 S. 37
zwar nicht schlechthin, sondern nur für die Fälle einer nicht vollwertigen Gegenleistungsforderung gefolgt, hat aber den Gedanken des Forderungsaustauschs aufgegriffen und in § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG bestimmt, dass ein Hin- und Herzahlen des Einlagebetrags den Inferenten nur dann von seiner Einlageverpflichtung befreit, wenn der dadurch begründete Rückgewähranspruch der Gesellschaft (insbesondere aus Darlehen) vollwertig und jederzeit fällig ist. Vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 15 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder).
266 Im Gegensatz zum Recht der GmbH besteht im Aktienrecht allerdings ein Spannungsverhältnis zu § 71a Abs. 1 AktG, das höchstrichterlich noch nicht geklärt ist. Im Einzelfall muss daher stets im Auge behalten werden, ob nicht das nach herrschender Lehre in § 71a Abs. 1 AktG enthaltene Verbot
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IV. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 AktG)
der „financial assistance“ bzw. das dort normierte Umgehungsverbot einer Anwendung des § 27 Abs. 4 AktG im Wege steht. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 27 Rn. 53.
Insgesamt handelt es sich bei dem Hin- und Herzahlen sowohl nach der 267 Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch nach § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG um Fälle einer verdeckten Finanzierung der Einlagemittel durch die Gesellschaft. BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 16 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder).
Der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. des § 27 Abs. 4 268 AktG erfasst nicht alle Fälle gegenläufiger Zahlungen, sondern nur solche, bei denen die Gesellschaft mit der Rücküberweisung einen – idealerweise vollwertigen und liquiden – Anspruch gegen den Gesellschafter erwirbt. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 18; BGH, Beschl. v. 17.9.2013 – II ZR 142/12, ZIP 2014, 261 Rn. 6.
Zahlt etwa der Gesellschafter den Einlagebetrag aus einer Kapitalerhöhung 269 nach Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ein zweites Mal an die Gesellschaft verbunden mit der Anweisung, die Zahlung an ihn zur Tilgung seiner Bereicherungsforderung aus einem ersten, fehlgeschlagenen Erfüllungsversuch zurück zu überweisen, liegt darin kein Fall des Hin- und Herzahlens, sondern eine verdeckte Sacheinlage in Form des Hin- und Herzahlens. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 18.
Denn die Gesellschaft tilgt in diesem Fall durch die Zahlung eine bereits be- 270 stehende „Altverbindlichkeit“ gegenüber dem Inferenten (seinen Bereicherungsanspruch) und erwirbt gerade keine neue Forderung gegen den Gesellschafter. Der Inferent will seinerseits mit der (erneuten) Zahlung keine neue Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft eingehen; er will vielmehr von seiner Einlageverpflichtung frei werden. Die Problematik des Hin- und Herzahlens stellt sich in gleicher Weise bei 271 der Kapitalerhöhung (vgl. § 183 Abs 2 AktG). 3. Keine personelle Identität Der Tatbestand einer Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln durch Hin- 272 und Herzahlen setzt ebenso wie bei der verdeckten Sacheinlage (vgl. Rn. 234 f.) keine personelle Identität zwischen dem Inferenten und dem Zahlungsempfänger voraus. Ausreichend, aber auch erforderlich ist bei der Weiterleitung der Einlagemittel an einen Dritten, dass der Inferent dadurch in gleicher Weise begünstigt wird wie durch eine unmittelbare Leistung an ihn selbst.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Mittelbar zugute kommt dem Inferenten die Leistung insbesondere, wenn die Zahlung an ein vom Gesellschafter beherrschtes Unternehmen weitergeleitet wird. BGH, Urt. v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 144 = ZIP 1994, 701, dazu EWiR 1994, 467 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 18 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47 = ZIP 2007, 178 Rn. 15, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, BGHZ 171, 113 = ZIP 2007, 528 Rn. 8, dazu EWiR 2007, 331 (Rohde); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 Rn. 7, dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 32 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 1.2.2010 – II ZR 173/08, BGHZ 184, 158 = ZIP 2010, 423 Rn. 13 – EUROBIKE, dazu EWiR 2010, 169 (Lieder) (AG).
4. Vor-Absprache 273 Von einer nach § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG erforderlichen Vor-Absprache der Beteiligten bei Begründung der Einlageschuld ist bei einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Weiterleitung der Einlagemittel auszugehen. Vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2048, dazu EWiR 2003, 63 (Saenger/Scharf); BGH, Urt. v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, BGHZ 153, 107 = ZIP 2003, 211, 212, dazu EWiR 2003, 223 (Blöse); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 Rn. 7, dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld).
274 Ob für die Bejahung des zeitlichen Zusammenhangs ein Zeitabstand von bis zu sechs Monaten stets ausreicht hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Einen Zeitabstand von mehr als acht Monaten hat er jedenfalls als zu groß angesehen. Vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37 = ZIP 2002, 2045, 2048, dazu EWiR 2003, 63 (Saenger/Scharf).
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IV. Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs. 4 AktG)
5. Befreiung von der Einlageschuld Liegt ein Hin- und Herzahlen i. S. v. § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 275 AktG vor, wurde also eine Einlageleistung vereinbart die wirtschaftlich der Rückzahlung der Einlage entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage nach § 19 Abs. 4 GmbHG bzw. § 27 Abs. 3 AktG zu beurteilen ist, wird der Inferent grundsätzlich nicht von seiner Einlageverpflichtung frei (§ 19 Abs. 5 Satz 1 GmbHG; § 27 Abs. 4 Satz 1 AktG). Etwas anderes gilt nur, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG erfüllt sind. Die vereinbarte Rückzahlung der Einlage an den Gesellschafter, die nach § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 Satz 2 AktG in der Anmeldung nach § 8 GmbHG bzw. § 37 AktG anzugeben ist, befreit dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 14 und 24 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Hier ist besonders darauf hinzuweisen, dass die Offenlegung der verdeckten 276 Finanzierung der Einlagemittel durch die Gesellschaft (§ 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG; § 27 Abs. 4 Satz 2 AktG) nach – im Schrifttum überwiegend nicht akzeptierter – Auffassung des Bundesgerichtshofs eine konstitutive Voraussetzung für die Erfüllung der Einlageschuld darstellt. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 16 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 25 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Nach § 19 Abs. 5 Satz 1 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 Satz 1 AktG muss der 277 vollwertige Rückgewähranspruch jederzeit fällig sein oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden können. Der sofortigen Fälligkeit gleichwertig ist allerdings nur die Befugnis, den Rückgewähranspruch ohne Einschränkungen jederzeit fällig stellen zu können. Der Gesetzgeber wollte einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Vollwertigkeitsprüfung zeitbezogen bei Einlageleistung stattfinden muss, die Verhältnisse des Inferenten als Darlehensnehmer sich aber während der Laufzeit des Geschäfts, aus dem sich der Rückzahlungsanspruch ergibt, zum Nachteil der Gesellschaft und ihrer Gläubiger ändern können (BT-Drucks. 16/9737, S. 97). Das setzt voraus, dass die Gesellschaft den maßgeblichen Vertrag nicht nur bei einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse im Regelfall (§ 490 Abs. 1 BGB) oder aus wichtigem Grund nach einer Abwägung der beiderseitigen Interessen (§ 314 Abs. 1 BGB), sondern jederzeit ohne Einschränkung kündigen kann. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 28 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
278 Darlegungs- und beweispflichtig für die ordnungsgemäße Einlageleistung ist der Inferent. BGH, Beschl. v. 9.7.2007 – II ZR 222/06, ZIP 2007, 1755, dazu EWiR 2007, 687 (Wagner); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 25 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
6. Nachträgliche Erfüllung 279 Schlägt die Einlageleistung fehl, weil die Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. des § 27 Abs. 4 AktG nicht erfüllt worden sind, erwirbt der Inferent keinen Bereicherungsanspruch gegen die Gesellschaft wegen fehlender Erfüllungswirkung seiner ursprünglichen „Hinzahlung“ des Stammeinlagebetrags. Denn das im Rahmen der Kapitalaufbringung stattfindende „Hin- und Herzahlen“ ist wirtschaftlich als ein einheitlicher, sich selbst neutralisierender Vorgang anzusehen, bei dem der Inferent zunächst nichts geleistet, sondern den Einlagebetrag in seinem Vermögen behalten hat. Weder die Gesellschaft noch der Inferent sind danach ungerechtfertigt bereichert. Vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331 Rn. 11, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 Rn. 13; BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 42 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
280 Die im Zusammenhang mit der Umgehung getroffene „Darlehensabrede“ ist unwirksam. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 Rn. 12.
281 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber die nachträgliche Erfüllung der Einlageverbindlichkeit durch eine spätere Leistung auch in den Fällen des Hin- und Herzahlens möglich. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204 f., dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331 Rn. 10, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 Rn. 13.
282 Das setzt jedoch voraus, dass spätere Zuflüsse sich objektiv eindeutig, mithin zweifelsfrei der fortbestehenden Einlageverpflichtung zuordnen lassen.
82
V. Cash-Pool Vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204 f., dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 24 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 263/06, ZIP 2008, 1281, dazu EWiR 2009, 109 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 22 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 17 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel).
Am sichersten lässt sich dies durch eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung 283 erreichen. Fehlt eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung steht dies der Erfüllungswirkung nicht entgegen, wenn im Falle mehrerer durch die Zahlung nicht vollständig gedeckter Verbindlichkeiten für die Gesellschaft ersichtlich ist, dass eine bestimmte Forderung nach dem Willen des Inferenten getilgt werden soll. Dies ist u. a. dann anzunehmen, wenn gerade der Betrag der offenen Einlageforderung gezahlt wird. BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997, 1998, dazu EWiR 2001, 1149 (Keil).
Eine objektiv eindeutige Zuordnung zu der offenen Einlageverpflichtung 284 ist regelmäßig auch bei Zahlung auf die vermeintliche, wegen Verstoßes gegen die Kapitalaufbringungsvorschriften nicht wirksam begründete („Darlehens“-)Schuld gegeben. Wenn also mit dem „Herzahlen“ dem Inferenten ein Darlehen gewährt wurde, tilgt die Rückzahlung des Darlehens die Einlageschuld. Der Inferent schuldet danach keinesfalls nochmalige („doppelte“) Zahlung der Bareinlage. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = ZIP 2005, 2203, 2204 f., dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331 Rn. 10 f., dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski) zur Treuhandabrede; BGH, Urt. v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, ZIP 2006, 1633 Rn. 13.
V. Cash-Pool Der Bundesgerichtshof erkennt kein „Sonderrecht“ für die Finanzierung im 285 Cash-Pool an. Die in ein Cash-Pool-System einbezogenen Gesellschaften unterliegen bei der Gründung und der Kapitalerhöhung den Kapitalaufbringungsvorschriften des AktG und den dazu von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos).
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
286 Die Einlageverpflichtung des Gesellschafters wird nicht erfüllt, wenn eine als Einlage geleistete Zahlung unter Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln im Wege der verdeckten Sacheinlage oder durch ein verbotenes Hin- und Herzahlen an den Inferenten zurückfließt. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 18 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 9 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
287 Dies kann dann der Fall sein, wenn die geleisteten Einlagemittel auf ein in einen Cash-Pool eingebundenes Konto der Gesellschaft eingezahlt werden, von dort auf ein Zentralkonto weitergeleitet werden und der Inferent über dieses Zentralkonto mittelbar oder unmittelbar verfügungsberechtigt ist. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 9 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
1. Verdeckte Sacheinlage 288 Soweit im Zeitpunkt der Weiterleitung des Einlagebetrags der Saldo auf dem Zentralkonto zu Lasten der Gesellschaft negativ ist, liegt eine verdeckte Sacheinlage vor. Der Gesellschaft fließt im wirtschaftlichen Ergebnis infolge der Weiterleitung der Bareinlage auf das Zentralkonto nicht der vereinbarte Barbetrag, sondern die Befreiung von der Verbindlichkeit aus der Cash-PoolVerbindung zu. Sie erhält damit nicht den Barbetrag, sondern mit dem Verzicht des Inferenten auf die Darlehensrückzahlung einen Sachwert. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 12 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 10 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
289 Die bei Neuforderungen des Gesellschafters, die erst nach Übernahme der Einlage entstehen, notwendige definitive, auf den wirtschaftlichen Erfolg einer Sacheinlage abzielende Vereinbarung liegt bereits in der Vereinbarung der Zahlung auf ein in ein Cash-Pool einbezogenes Konto. Der Inferent nimmt es bei der Vereinbarung eines Cash-Pools in Kauf, dass auf dem Zentralkonto des Cash-Pools im Zeitpunkt der Weiterleitung des Einlagebetrags ein negativer Saldo zu Lasten der Gesellschaft besteht und es dann zu einer verbotenen Verrechnung kommt. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 10 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer); vgl. auch BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 13 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos).
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V. Cash-Pool
2. Hin- und Herzahlen Mit der Neuregelung des § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. des § 27 Abs. 4 AktG 290 soll insbesondere auch der darlehensweise Einlagenrückfluss in einem CashPool erfasst werden, soweit dieser Rückfluss nicht im Sinne einer verdeckten Sacheinlage zu einer Tilgung bereits vorher bestehender Darlehensverbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber dem Inferenten führt. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 16 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder).
Soweit die Einlage auf ein Zentralkonto des Inferenten weitergeleitet wird, 291 dessen Saldo ausgeglichen oder zugunsten der Gesellschaft positiv ist, liegt keine verdeckte Sacheinlage, sondern ein reines Hin- und Herzahlen vor. Mit der Weiterleitung auf das Zentralkonto gewährt die Gesellschaft dem Inferenten ein Darlehen. Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats liegt die für die Erfüllung der Einlageschuld erforderliche Leistung zur freien Verfügung der Geschäftsleitung nicht vor, wenn der eingezahlte Einlagebetrag absprachegemäß umgehend an den Inferenten zurückfließt und die Einlageforderung der Schuldnerin durch eine schwächere Rückzahlungsforderung ersetzt wird. BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113, 116 = ZIP 2005, 2203, 2204, dazu EWiR 2006, 33 (Tillmann); BGH, Urt. v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = ZIP 2006, 331, dazu EWiR 2006, 307 (Naraschewski); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = ZIP 2009, 713 Rn. 15 – Qivive, dazu EWiR 2009 (Schodder); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 11 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
3. Teilweise verdeckte Sacheinlage Liegt nur teilweise eine verdeckte Sacheinlage vor, weil die Einlagezahlung 292 den negativen Saldo zu Lasten der Gesellschaft im Zentralkonto übersteigt, ist der Vorgang teilweise als verdeckte Sacheinlage, teilweise als Hin- und Herzahlen zu beurteilen. Da die Einlagezahlung aufgeteilt werden kann, ist nicht in Höhe der gesamten Zahlung von einer verdeckten Sacheinlage auszugehen. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 15 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
4. Einlageleistung durch spätere Zahlungen mit Mitteln aus dem Cash-Pool Spätere Zahlungen auf Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus dem Cash- 293 Pool führen regelmäßig nicht zur Tilgung der Einlageschuld.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
a) Verdeckte Sacheinlage 294 Wenn mit der Zahlung der Einlage auf ein in den Cash-Pool einbezogenes Konto und Weiterleitung auf das dem Inferenten zuzuordnende Zentralkonto eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, führen spätere Leistungen aus dem CashPool nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats grundsätzlich nicht zur Tilgung der Einlageschuld. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 25 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 21 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
b) Hin- und Herzahlen 295 Auch beim bloßen Hin- und Herzahlen wird die fortbestehende Einlageschuld nicht durch spätere Leistungen über den Cash-Pool an Gläubiger der Gesellschaft getilgt. Zwar kann in den Fällen, in denen mit dem „her“ gezahlten Geld eine Darlehensschuld des Inferenten gegen die Gesellschaft begründet wurde, in der späteren Rückzahlung des „Darlehens“ eine Tilgung der Einlageschuld liegen. Einer solchen erneuten Leistung der Bareinlage zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen Zahlungen des Cash-Pool-Managers an Gläubiger für Rechnung der Gesellschaft aber nicht gleich. Im Rahmen des Zero-Balancing lassen sich die einzelnen Leistungen nicht wie im Falle der vermeintlichen Darlehensrückzahlung zweifelsfrei der noch offenen Einlage zuordnen. Vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8 = ZIP 2006, 665 Rn. 25 – Cash-Pool, dazu EWiR 2006, 523 (Kleinschmidt/Hoos); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 22 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
5. Rechtsfolgen 296 Für die Beurteilung, ob der Gesellschafter den Einlagebetrag noch einmal zahlen muss, kommt es – ungeachtet des Umstandes, dass auch nach Inkrafttreten des MoMiG bzw. des ARUG verdeckte Sacheinlagen verboten sind und keine Erfüllungswirkung entfalten und ein Hin- und Herzahlen nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. des § 27 Abs. 4 AktG Tilgungswirkung haben kann – nunmehr auf die Unterscheidung von verdeckter Sacheinlage und Hin- und Herzahlen an, weil der Gesetzgeber des MoMiG und ihm folgend der des ARUG die Rechtsfolgen in § 19 Abs. 4 und 5 GmbHG bzw. in § 27 Abs. 3 und 4 AktG mit Rückwirkung (§ 3 Abs. 4 EGGmbHG; § 20 Abs. 7 EGAktG) neu gestaltet hat.
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V. Cash-Pool Vgl. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 19 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Soweit ein Hin- und Herzahlen vorliegt, kommt eine Befreiung von der Ver- 297 pflichtung die Einlage zu leisten nach § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG in Betracht. Die vereinbarte Rückzahlung der Einlage an den Gesellschafter, die nach dem konstitutiv wirkenden § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 Satz 2 AktG in der Anmeldung nach § 8 GmbHG bzw. § 37 AktG anzugeben ist, befreit nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt ist, der jederzeit fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig werden kann. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 24 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Das Offenlegungserfordernis des § 19 Abs. 5 Satz 2 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 298 Satz 2 AktG kann dadurch erfüllt werden, dass der Inferent bei der Anmeldung Angaben zum Cash-Managementvertrag macht. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 25 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Eine weitere Schwierigkeit im Cash-Pool stellt häufig die erforderliche jeder- 299 zeitige Fälligkeit des Rückforderungsanspruchs dar. Die Möglichkeit, im Rahmen des Cash-Pooling über den abgeflossenen Betrag zu verfügen, führt nicht zur Fälligkeit des Rückgewähranspruchs. Eine Verrechnung von Abflüssen aus dem Cash-Pool mit dem Rückforderungsanspruch ist frühestens nach befreiender Leistung der Einlage i. S. v. § 19 Abs. 5 GmbHG bzw. § 27 Abs. 4 AktG möglich. Andernfalls ist die Zahlung an Gläubiger der Gesellschaft keine Rückzahlung des von der Gesellschaft ausgereichten Darlehens. Außerdem kann die Gesellschaft einen positiven Saldo unter dem Cash-Pool ohne Kündigung des Cash-Managementvertrags nicht realisieren. Wenn die Gesellschaft – wie das im Cash-Pool regelmäßig der Fall ist – alle Zahlungen über ein Konto abzuwickeln hat, das in den Pool einbezogen ist, führt eine Rückforderung des ausgereichten Darlehens umgehend über das ZeroBalancing zu einem Rückfluss an den Gesellschafter, der über das Zentralkonto verfügt. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 26 – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
Bliebe alternativ darauf zu achten, dass der Cash-Managementvertrag jeder- 300 zeit fristlos gekündigt werden kann. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, BGHZ 182, 103 = ZIP 2009, 1561 Rn. 27 f. – Cash-Pool II, dazu EWiR 2009, 537 (Maier-Reimer).
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
VI. Besonderheiten bei der Kapitalerhöhung 1. Bezugsrechtsausschluss 301 In einem Kapitalerhöhungsbeschluss sind Angaben über die Art und die Zahl der auszugebenden Aktien entbehrlich, wenn die Satzung nur einen bestimmten Aktientyp vorsieht und die Zahl der neuen Aktien sich anhand der bisherigen Einteilung des Grundkapitals (§ 8 Abs. 4 AktG) durch Rückrechnung aus dem Erhöhungsbetrag bestimmen lässt. BGH, Urt. v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 = ZIP 2009, 1566 Rn. 23 – Mindestausgabebetrag, dazu EWiR 2010, 41 (Cl. Just/Th. Voß).
302 Im Rahmen einer Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen nach § 221 Abs. 2 AktG kann der Vorstand auch zu einem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) ermächtigt werden. Ob die in dem Hauptversammlungsbeschluss dafür genannten Voraussetzungen vorliegen, haben der Vorstand und der Aufsichtsrat zu prüfen, wenn sie von der Ermächtigung Gebrauch machen wollen. BGH, Beschl. v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368; BGH, Beschl. v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122 Rn. 3; BGH, Urt. v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 = ZIP 2009, 1566 Rn. 26 – Mindestausgabebetrag, dazu EWiR 2010, 41 (Cl. Just/Th. Voß).
303 Im Rahmen des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) ist der Vorstand nicht verpflichtet, vor Ausübung der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung und zum Bezugsrechtsausschluss die Aktionäre (schriftlich) über den Bezugsrechtsausschluss und dessen Gründe zu unterrichten; vielmehr ist er lediglich gehalten, nach Inanspruchnahme der Ermächtigung über die Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft zu berichten und Rede und Antwort zu stehen. BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, BGHZ 164, 241 = ZIP 2005, 2205 – Commerzbank/Mangusta I, dazu EWiR 2006, 35 (Hirte).
304 Pflichtwidriges, kompetenzüberschreitendes Organhandeln des Vorstands und des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft bei der Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss (§§ 203, 204 AktG) kann der in seinen Mitgliedschaftsrechten beeinträchtigte Aktionär zum Gegenstand einer gegen die Gesellschaft zu richtenden allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO machen. BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 254 = ZIP 2005, 2207, 2209 – Commerzbank/Mangusta II, dazu EWiR 2006, 65 (Hirte).
305 Ein Bezugsrechtsausschluss ist unter anderem gerechtfertigt, wenn er die Ausgabe von Belegschaftsaktien ermöglichen soll.
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VI. Besonderheiten bei der Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 292 = ZIP 2000, 1162, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte).
Eine Mehrzuteilungsoption (sog. Greenshoe-Option) kann den Konsortial- 306 banken bei einem Börsengang nicht nur im Wege der sog. Aktienleihe durch Altaktionäre, sondern gleichermaßen von der Gesellschaft durch eine Kapitalerhöhung eingeräumt werden. BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 7.
Die Beschaffung der für eine solche marktübliche Mehrzuteilungsoption er- 307 forderlichen neuen Aktien kann auch im Wege eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung bei gleichzeitiger Ermächtigung des Vorstands zur Entscheidung über die Bedingungen der Aktienausgabe erfolgen. In einem solchen Fall kann eine Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses nicht auf eine Unangemessenheit der Ausgabemodalitäten (§ 255 Abs. 2 AktG) gestützt werden. BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 6.
2. Vorausleistungen auf künftige Einlageschulden Die Zahlung auf eine künftige Einlagenschuld hat nach der Rechtsprechung 308 des Bundesgerichtshofs – von eng begrenzten Ausnahmen aus Sanierungsgründen abgesehen – allein dann schuldtilgende Wirkung, wenn der eingezahlte Betrag im Zeitpunkt des Erhöhungsbeschlusses als solcher noch im Vermögen der Gesellschaft vorhanden ist. BGH, Urt. v. 2.12.1968 – II ZR 144/67, BGHZ 51, 157, 159; BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283, 284 f. = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 dazu Ehlke, ZIP 2007, 749; BGH, Urt. v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 Rn. 14 – zur Haftung des beurkundenden Notars wegen unterlassener Prüfung von Vorauszahlungen.
Der Bundesgerichtshof hat sich mit der Zulässigkeit von Voreinzahlungen 309 auf eine Kapitalerhöhung bisher nur in GmbH-Fällen und nicht in AGSachverhalten befasst. Die herrschende Lehre geht zu Recht davon aus, dass die aufgestellten Grundsätze übertragbar sind, vgl. Grigoleit/Rieder/Holzmann, AktG, § 188 Rn. 18; Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rn. 8,
weshalb sie im Folgenden dargestellt werden sollen: a) Barkapitalerhöhung Im Kapitalaufbringungssystem bildet der Kapitalerhöhungsbeschluss die maß- 310 gebliche Zäsur.
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung Vgl. BGH, Urt. v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197, 201 = ZIP 2002, 799, 801, dazu Henze, BB 2002, 955; BGH, Urt. v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121 f.; BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 13, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749; BGH, Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012, 2014.
311 Bei der Barkapitalerhöhung kann der geschuldete Betrag grundsätzlich erst ab diesem Zeitpunkt eingezahlt werden; vorher an die Gesellschaft erbrachte Geldleistungen werden nach dem Kapitalaufbringungssystem des GmbHG bzw. des AktG grundsätzlich nicht als Zahlungen auf die geschuldete Bareinlage anerkannt. Einlagegegenstand ist in diesem Fall vielmehr die entsprechende Rückzahlungsforderung, die nur auf dem Wege einer offen zu legenden und der registergerichtlichen Prüfung zu unterwerfenden Sacheinlage eingebracht werden kann. Hiervon macht der Bundesgerichtshof – aus Gründen der Vereinfachung der Abwicklung – allein für den Fall eine Ausnahme, dass sich der vorher eingezahlte Betrag als solcher – also nicht nur wertmäßig – im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung zweifelsfrei noch im Gesellschaftsvermögen befindet. BGH, Urt. v. 13.5.1996 – II ZR 275/94, ZIP 1996, 1248, 1249, dazu EWiR 1996, 743 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 13, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749; BGH, Beschl. v. 11.6.2013 – II ZB 25/12, ZIP 2013, 1422 Rn. 14, dazu EWiR 2013, 617 (Giedinghagen/Thilo).
312 Erfüllt ist diese Voraussetzung, wenn der geschuldete Betrag sich entweder in der Kasse der Gesellschaft befindet oder wenn der Gesellschafter auf ein Konto der Gesellschaft einzahlt und dieses anschließend und fortdauernd bis zur Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ein Guthaben in entsprechender Höhe ausweist. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); BGH, Urt. v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 Rn. 14.
313 Durch die Voreinzahlung auf ein im Debet geführtes Kreditkonto der Gesellschaft vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss wird die Einlageschuld des Gesellschafters nicht getilgt. BGH, Urt. v. 7.11.1966 – II ZR 136/64, GmbHR 1967, 145; BGH, Urt. v. 2.12.1968 – II ZR 144/67, BGHZ 51, 157, 159; BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); BGH, Urt. v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 Rn. 14.
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VI. Besonderheiten bei der Kapitalerhöhung
Auch dann nicht wenn die Bank nach Verrechnung der Gutschrift eine Ver- 314 fügung über den Einlagebetrag zulässt. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); BGH, Urt. v. 24.4.2008 – III ZR 223/06, ZIP 2008, 1928 Rn. 14.
Soweit der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 315 21.6.1996 (II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, dazu EWiR 1996, 885 [v. Gerkan]) Gegenteiliges hat entnommen werden können, hat er hieran nicht festgehalten. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester).
Hat der Gesellschafter auf eine geplante Kapitalerhöhung gezahlt, ist aber eine 316 Tilgung seiner Einlageschuld dadurch nicht eingetreten, kann er seinen daraus resultierenden Bereicherungsanspruch als (offene) Sacheinlage einbringen. Geschieht das nicht, liegt eine verdeckte Sacheinlage i. S. d. § 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG (vgl. auch § 27 Abs. 3 Satz 1 AktG) vor. Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung wird die Einlage nicht durch Geldleistung, sondern durch Einbringung der Bereicherungsforderung des Gesellschafters erfüllt. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 16.
Eine entsprechende Abrede wird zwar förmlich in der Regel nicht getroffen 317 werden. Das ist aber auch nicht erforderlich, da sie bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang vermutet wird. BGH, Urt. v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, BGHZ 185, 44 = ZIP 2010, 978 Rn. 14 – ADCOCOM, dazu EWiR 2010, 421 (Wenzel); BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 212/10, ZIP 2012, 1857 Rn. 16.
b) Sanierungsfall Der II. Zivilsenat hatte lange Zeit offengelassen, ob abweichend von dem so- 318 eben dargestellten Grundsatz eine Vorleistung im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung nicht mehr vorhandener Bareinlagen unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen ausnahmsweise als gültig erachtet werden kann. BGH, Urt. v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, BGHZ 158, 283 = ZIP 2004, 849, 850, dazu EWiR 2004, 851 (Priester); vgl. bereits zu den sog. „Mindestvoraussetzungen“ BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28, dazu EWiR 1995, 107 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, dazu EWiR 1996, 885 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150 = ZIP 2000, 2021, dazu EWiR 2001, 325 (Rawert).
91
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
319 Mit Rücksicht auf die Gefahren für eine ordnungsgemäße, dem Schutz der Gläubiger dienende Kapitalaufbringung kann eine solche Durchbrechung der gesetzlichen Reihenfolge der einzuhaltenden Schritte nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht kommen, nämlich wenn die Rettung der sanierungsbedürftigen und sanierungsfähigen Gesellschaft scheitern würde, falls die üblichen Kapitalaufbringungsregeln beachtet werden müssten. Die Darlegungs- und Beweislast für die abweichend von dem gesetzlichen Leitbild eine Voreinzahlung rechtfertigenden Umstände trägt der Gesellschafter. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 15 f., dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
320 Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt werden: x
Für die Anerkennung der Tilgungswirkung von vor der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung erbrachten Voreinzahlungen besteht allenfalls in akuten Sanierungsfällen, in denen die Kapitalmaßnahme eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit abwenden soll, und nur dann ein billigenswertes Bedürfnis, wenn andere Maßnahmen wie die Einzahlung von Mitteln in die Kapitalrücklage oder auf ein gesondertes, der Haftung für einen bestehenden Bankkredit nach den bankrechtlichen Regeln nicht unterliegendes Sonderkonto nicht zum Ziel führen und die Gesellschaft wegen des engen zeitlichen Rahmens des § 15a InsO sofort über die frischen Mittel verfügen muss. BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28, dazu EWiR 1995, 107 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 16, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
x
Weiter ist im Interesse des Gläubigerschutzes zu fordern, dass der Gesellschafter mit Sanierungswillen handelt und dass nach der pflichtgemäßen Einschätzung eines objektiven Dritten die Gesellschaft objektiv sanierungsfähig und die Voreinzahlung objektiv geeignet ist, die Gesellschaft durchgreifend zu sanieren. Voreinzahlungen, die etwa einzeln oder beim Zusammenwirken mehrerer Gesellschafter insgesamt die drohende Zahlungsunfähigkeit oder drohende Überschuldung nicht beseitigen, können keine sofortige Erfüllungswirkung entfalten. Entsprechendes gilt, wenn das im Zusammenhang mit der Sanierung entwickelte Unternehmenskonzept nicht auf Dauer tragfähig ist. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 17, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
x
92
Die Vorleistung ist, schon um einer nachträglichen Umwidmung von zu anderen Zwecken geleisteten Zahlungen vorzubeugen, eindeutig und für Dritte erkennbar mit dem Tilgungszweck der Kapitalerhöhung zu verbinden. Die Zahlung ist in der Weise zu kennzeichnen, dass die damit bezweckte Erfüllung der künftigen Einlageschuld außer jedem Zweifel steht.
VI. Besonderheiten bei der Kapitalerhöhung BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 18, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
x
Die Leistungsbestimmung braucht nicht wegen der Möglichkeit eines Scheiterns der Kapitalerhöhung zusätzlich mit einem Rangrücktritt versehen zu werden, weil die auf die Sanierung bezogene Zweckbestimmung der Leistung als (künftiges) Stammkapital – anders als bei einer darlehensähnlich ausgestalteten Vorleistung (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 89 f. = ZIP 1992, 995, 997 f.) – bereits den Rangrücktritt in sich trägt. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 18, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
x
Neben der Offenlegung des Zahlungszwecks ist eine der Form des § 55 Abs. 1 GmbHG entsprechende Voreinzahlungsvereinbarung des Inhalts, dass der Betrag auf die künftige Einlageverpflichtung gezahlt wird entbehrlich, weil die formgerechte Übernahmeverpflichtung im Rahmen der alsbald durchzuführenden Kapitalerhöhung nachgeholt wird und ein – in der Krise ohnehin nach § 30 GmbHG gesperrter – Rückzahlungsanspruch des Inferenten wegen des mit der Zahlung verbundenen Sanierungszwecks (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB condictio causa data causa non secuta) jedenfalls bis zum endgültigen Scheitern der beabsichtigten Kapitalerhöhung ausscheidet. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 19, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
x
Zwischen der Voreinzahlung und der folgenden formgerechten Kapitalerhöhung muss ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen. Die Durchbrechung der gesetzlichen Abfolge einer Kapitalerhöhung kann auch in Sanierungsfällen nur hingenommen werden, sofern die Kapitalerhöhung im Zahlungszeitpunkt bereits konkret – etwa, wie der Bundesgerichtshof entschieden hat (BGH, Urt. v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28, dazu EWiR 1995, 107 [v. Gerkan]), durch die Einberufung der Gesellschafterversammlung – in die Wege geleitet worden ist, die Gesellschafterversammlung mit aller gebotenen Beschleunigung, d. h. innerhalb der durch die Satzung oder mangels einer Satzungsbestimmung durch das Gesetz (§ 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) vorgegebenen Mindestladungsfrist, zur Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung zusammentritt und – wie bei einer regulären Kapitalerhöhung üblich – der betroffene Gesellschafter im Rahmen dieser Gesellschafterversammlung zugleich die förmliche Übernahmeerklärung abgibt. Im Rahmen der Beurteilung, ob der gebotene enge zeitliche Zusammenhang gewahrt ist, sind stets die Besonderheiten des konkreten Falls, die eine alsbaldige Beschlussfassung erleichtern oder erschweren, zu würdigen. Bei einer aus wenigen Gesellschaftern bestehenden, personalistisch strukturierten GmbH darf selbst die satzungsmäßige oder gesetzliche Mindestladungsfrist nicht ausgeschöpft werden, wenn sich die (über die Modalitäten der Kapitalerhöhung einigen) Gesell93
B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
schafter ohne Schwierigkeiten zu einer Universalversammlung (§ 51 Abs. 3 GmbHG) einfinden können. Erst recht können bei einer Einpersonengesellschaft keinerlei einladungsbedingte Verzögerungen hingenommen werden; vielmehr muss in diesem Fall der Alleingesellschafter unverzüglich die Entschließung herbeiführen. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749; vgl. auch BGH, Urt. v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150, 154 = ZIP 2000, 2021, 2023, dazu EWiR 2001, 325 (Rawert).
x
Durch die mit einer Voreinzahlung verbundene Abweichung von der gesetzlichen Reihenfolge einer Kapitalerhöhung kann ein Irrtum über die Vermögenslage der Gesellschaft hervorgerufen werden, weil die Stammeinlage entgegen der Erwartung des Rechtsverkehrs im Zeitpunkt der Beschlussfassung tatsächlich bereits verbraucht ist. Zugleich besteht die naheliegende Gefahr, dass der Gesellschafter zu anderen Zwecken (oder „auf Vorrat“) vorgenommene Zahlungen in eine Voreinzahlung auf eine Kapitalerhöhung umwidmet. Im Interesse hinreichender Publizität und vor allem einer wirksamen Registerkontrolle ist die Voreinzahlung sowohl in dem Kapitalerhöhungsbeschluss als auch in der Anmeldung offenzulegen. In dem Kapitalerhöhungsbeschluss ist unter Darlegung der finanziellen Schwierigkeiten der Gesellschaft der tatsächliche Zahlungszeitpunkt anzugeben. Daran anknüpfend hat die Geschäftsführung in der Anmeldung der Kapitalerhöhung mitzuteilen, zu welchem Zeitpunkt vor der Beschlussfassung der Einlagebetrag zwecks Überwindung einer finanziellen Krise eingezahlt worden ist. BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, BGHZ 168, 201 = ZIP 2006, 2214 Rn. 20, dazu Ehlke, ZIP 2007, 749.
c) Sachkapitalerhöhung 321 Das Problem der Voreinzahlung stellt sich in gleicher Weise bei der Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen. Gegenstände und Sachwerte, deren Besitz einer Gesellschaft bereits vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss überlassen worden ist, können nur dann als Sacheinlage eingebracht werden, wenn sie zumindest im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses noch gegenständlich im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, kommt als Sacheinlage lediglich eine dem Gesellschafter zustehende Erstattungs- oder Ersatzforderung in Betracht. BGH, Urt. v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150 = ZIP 2000, 2021, 2023 im Anschluss an BGHZ 51, 157, dazu EWiR 2001, 325 (Rawert); BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, ZIP 2004, 1642, 1644.
322 Der Charakter einer Sachkapitalerhöhung kann sich auch aus der mit dem Erhöhungsbeschluss in einer Urkunde zusammengefassten Übernahmeerklärung
94
VII. Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts
(§ 55 Abs. 1 GmbHG) ergeben. Der Gegenstand der Sacheinlage kann anstelle seiner Festsetzung im Kapitalerhöhungsbeschluss (§ 56 Abs. 1 GmbHG) auch durch gleichzeitig beschlossene Satzungsänderung festgesetzt werden. Vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1966 – II ZR, WM 1966, 1262; BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 268/06, ZIP 2008, 180 Rn. 3.
Da es den Gesellschaftern bis zur Eintragung einer Kapitalerhöhung freisteht, 323 einen Kapitalerhöhungsbeschluss aufzuheben oder dessen Festsetzungen unter Einhaltung der Erfordernisse der §§ 53, 56 GmbHG zu ändern, BGH, Urt. v. 11.1.1999 – II ZR 170/98, BGHZ 140, 258 = ZIP 1999, 310 f., dazu EWiR 1999, 323 (Wilhelm); BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 268/06, ZIP 2008, 180 Rn. 6,
steht es ihnen bis zur Eintragung einer Kapitalerhöhung im Handelsregister auch frei, die zur Durchführung des Erhöhungsbeschlusses geschlossenen Einbringungsverträge (auch) dahin zu ändern, dass der Mehrwert einer bereits geleisteten Sacheinlage zugleich auf eine zweite Sachkapitalerhöhung anzurechnen ist. BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 268/06, ZIP 2008, 180 Rn. 6.
VII. Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts Das Gesetz erlegt den Gründern, ihren Hintermännern und den Gründerge- 324 nossen (§§ 46, 47 AktG), Vorstand und Aufsichtsrat (§ 48 AktG) sowie den Gründungsprüfern (§ 49 AktG) eine strenge Haftung auf, um die Einhaltung der für die Gründung der AG maßgebenden Vorschriften zu gewährleisten. Dem entspricht bei der Kapitalerhöhung die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 93, 116 AktG) sowie der Prüfer von Sacheinlagen (§§ 183 Abs. 3, 49 AktG). Die Haftung der Gründer und ihrer Hintermänner ist zum Teil als eine vom 325 Eintritt eines Schadens unabhängige Garantiehaftung ausgestaltet (§ 46 Abs. 1, insbesondere Satz 3, und Abs. 5 AktG). In ähnlicher Weise wie bei der Gründerhaftung erlegt das Gesetz dem Kreditinstitut, bei dem ein Konto der Gesellschaft geführt wird, auf das Einlagemittel aus der Gründung oder Kapitalerhöhung eingezahlt werden, für die Richtigkeit der von ihm abgegebenen Bestätigung i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG die Verantwortung gegenüber der AG auf (§ 37 Abs. 1 Satz 4 AktG). Von der Richtigkeit der Bestätigung gem. § 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG hängt es entscheidend ab, ob die auf die Registereintragung vertrauende Öffentlichkeit, insbesondere die Gläubiger und künftigen Aktionäre, zutreffend unterrichtet wird. Aus diesem Grunde wird der in § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG normierten Verantwortlichkeit des Kreditinstituts für die Richtigkeit seiner Bestätigung allgemein die Bedeutung zuerkannt, dass es, wenn die geschuldete Bareinlage entgegen seiner Erklärung ganz oder teilweise nicht zur freien Verfügung des Vorstands aufgebracht worden ist, den fehlenden Betrag nach Maßgabe seiner
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
Bestätigung selbst zu leisten hat. Es handelt sich somit um eine Gewährleistungshaftung der Bank für die Richtigkeit ihrer Erklärung. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 353 ff. = ZIP 1991, 511 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 180 f. = ZIP 1992, 1387.
326 Die Gewährleistungshaftung eines Kreditinstituts für die Richtigkeit einer von ihm erteilten Bestätigung gem. § 37 Abs. 1 Satz 3, 4 AktG ist daher zwar im Grundsatz verschuldensunabhängig, setzt aber zumindest voraus, dass die Bestätigung zu dem – der Bank bekannten – Zweck ihrer Vorlage zum Handelsregister ausgestellt wird. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 18 (GmbH).
327 Welchen Inhalt eine Bankbestätigung i. S. v. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG haben muss, um als solche zu gelten, ergibt sich aus ihrer gesetzlich bestimmten Funktion, zum Nachweis der Erklärung der Anmelder (§ 37 Abs. 1 Satz 1, § 188 Abs. 2 AktG) über die ordnungsgemäße Einzahlung des eingeforderten Bareinlagebetrags (§ 36 Abs. 2, § 54 Abs. 3 AktG) zu dienen (§ 37 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG) und damit insoweit das Vorliegen der Voraussetzungen für die Registereintragung nachzuweisen. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 23 (GmbH).
328 Eine Bankbestätigung i. S. v. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG muss grundsätzlich erkennen lassen, dass die (eingeforderten) Bareinlagen eines oder mehrerer bestimmter Inferenten zu endgültig freier Verfügung des Vorstandes der Aktiengesellschaft auf das Bankkonto einbezahlt und auch in der Folge nicht an den Einleger zurückgezahlt worden sind. Auf die Gegenwarts- oder Vergangenheitsform der Bestätigung kommt es nicht an. Vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351 ff. = ZIP 1991, 511, 516 ff., dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 21 (GmbH).
329 Fordert der Registerrichter die Geschäftsführung im Zuge der Anmeldung der Erhöhung des Grundkapitals zur Eintragung in das Handelsregister auf, „zum Nachweis des eingezahlten Stammkapitals einen Bankauszug oder eine Bankbestätigung“ vorzulegen und bestätigt die Bank, dass der Erhöhungsbetrag dem bei ihr geführten Konto der Gesellschaft gutgeschrieben worden ist, enthält diese Erklärung nicht zugleich die Versicherung, dass sich der Betrag „endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführung befindet“. BGH, Urt. v. 16.12.1996 – II ZR 200/95, ZIP 1997, 281, 282; dazu EWiR 1997, 243 (Rawert).
330 Die von einem Kreditinstitut in zumutbarer Weise zu erwartende Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit einer zur Vorlage bei dem Handelsregister be96
VII. Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts
stimmten Erklärung gem. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG erstreckt sich nicht nur darauf, dass in Bezug auf die Einlageleistung keine Gegenrechte der Bank und auch keine ihr aus der Kontoführung bekannten Rechte Dritter, z. B. aus Pfändung, bestehen; sie muss sich aber auf die zutreffende Angabe von Tatsachen beschränken, die dem Kreditinstitut aufgrund seiner Funktion innerhalb des konkreten Kapitalaufbringungsvorgangs bekannt sind. Das Kreditinstitut ist insoweit Auskunftsstelle, nicht aber Garant für die ordnungsgemäße Erbringung der Bareinlage. Soweit eine Bank eine Einlageleistung zu freier Verfügung des Vorstands bestätigt, bezieht sich das inhaltlich darauf, dass nach ihrer Kenntnis keine der freien Verfügungsmacht des Vorstands entgegenstehenden Umstände vorliegen, was dann aber auch alle derartigen ihr bekannten Umstände umfasst, so dass ihre Bestätigung je nach ihrem Kenntnisstand die gleiche oder auch eine geringere inhaltliche Tragweite als die Erklärungen der Anmelder (§ 37 Abs. 1 Satz 1 AktG) haben kann. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 21 (GmbH).
Auf ein Bankkonto der Gesellschaft geleistete Zahlungen sind nicht schon 331 dann der zur wirksamen Kapitalaufbringung erforderlichen freien Verfügung des Vorstandes entzogen, wenn nicht er allein für das Konto zeichnungsberechtigt ist. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 26 (GmbH).
Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats genügt es für eine ordnungsge- 332 mäße Kapitalaufbringung, dass der Einlagebetrag für die Zwecke der Gesellschaft zur endgültigen freien Verfügung der Geschäftsleitung eingezahlt wird, solange er in der Folge nicht an den Einleger zurückfließt. Danach betrifft die Angabe darüber, dass der Leistungsgegenstand sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsleitung befinde, allein die Erfüllungswirkung der fraglichen Leistung in Bezug auf die Einlageschuld, sagt jedoch nichts darüber aus, dass die Einlage bei der Registeranmeldung noch unverändert, d. h. gegenständlich oder wertmäßig im Gesellschaftsvermögen oder gar unangetastet auf dem Einlagenkonto vorhanden sei. BGH, Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012, 2014.
Entscheidendes Kriterium für die (objektive) Richtigkeit oder Unrichtigkeit 333 von Erklärungen gem. § 37 Abs. 1 AktG ist die Erfüllung der Einlageschuld. Das zeigt sich schon daran, dass ein Kreditinstitut selbst im Fall wahrheitswidriger Bestätigung von angeblich auf dem Gesellschaftskonto noch vorhandenen Einlagemitteln nicht etwa schlechthin in Höhe der Differenz zu dem tatsächlichen Kontostand haftet. Träfe das zu, müsste die Bank in entsprechendem Umfang auch dann haften, wenn das ordnungsgemäß aufgebrachte Kapital zuvor in zulässiger Weise für Gesellschaftszwecke verwendet vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 187 f. = ZIP 1992, 1387, 1390
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B. Gewährleistung der Kapitalaufbringung bei Gründung und Kapitalerhöhung
oder auch nur auf ein Konto der Gesellschaft bei einer anderen Bank transferiert worden ist. Richtigerweise geht aber die Gewährleistungshaftung der Bank ebenso wie die Haftung der Anmelder bei der Gründung (§§ 36, 46, 48 AktG) lediglich dahin, nicht oder nicht wirksam aufgebrachte Bareinlagen nach Maßgabe ihrer Bestätigung selber zu leisten. Vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355 = ZIP 1991, 511, 517, dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 28 (GmbH).
334 Der Charakter dieser Haftung, der zur Sicherung der Aufbringung des Grundkapitals beiträgt und damit dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger und künftiger Aktionäre dient, schließt eine Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB aus. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355 = ZIP 1991, 511 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1213 (Frey); BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 181 = ZIP 1992, 1387.
335 Ersatzansprüche aus § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG verjähren in entsprechender Anwendung des § 51 AktG binnen fünf Jahren. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 33 (GmbH)
VIII. Verjährung des Einlagenanspruchs 336 Der Anspruch auf Einlagenzahlung unterlag gem. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB bis zum 1.1.2002 der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. Vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 305 = ZIP 1989, 27 (GmbH), dazu EWiR 1989, 55 (Karsten Schmidt); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 m. w. N., dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld).
337 Seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 galt zunächst die auf drei Jahre verkürzte Regelverjährung gem. § 195 BGB n. F. BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 = ZIP 2008, 174 m. w. N., dazu EWiR 2008, 403 (Henkel) und EWiR 2008, 333 (Thonfeld).
338 Nunmehr verjährt der Anspruch der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen nach der durch Art. 11 Nr. 2 des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004 (BGBl I, 3214 – Verjährungsanpassungsgesetz) mit Wirkung ab 15.12.2004 (Inkrafttreten) neu in das AktG eingefügten speziellen Verjährungsregelung des § 54 Abs. 4 AktG in zehn Jahren von seiner Entstehung an, Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643;
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VIII. Verjährung des Einlagenanspruchs BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZA 1/07, ZIP 2008, 1379 zu § 19 Abs. 6 GmbHG,
ergänzt um eine Mindestverjährung von sechs Monaten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der AG. Die für „Altfälle“ noch nicht verjährter Einlageforderungen maßgebliche be- 339 sondere Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 12 Abs. 2 EGBGB ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass in die ab 15.12.2004 laufende neue zehnjährige Verjährungsfrist des § 54 Abs. 4 AktG lediglich die seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, mithin ab 1.1.2002 verstrichenen Zeiträume der zuvor geltenden dreijährigen Regelfrist des § 195 BGB n. F. einzurechnen sind. Vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2008 – II ZR 171/06, ZIP 2008, 643, dazu EWiR 2008, 247 (Hauptmann); BGH, Beschl. v. 2.6.2008 – II ZA 1/07, ZIP 2008, 1379 beide zu § 19 Abs. 6 GmbHG.
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung I. Verbot der Einlagenrückgewähr Mit der gleichen Strenge, mit der das Gesetz die Aufbringung des Grund- 340 kapitals zu gewährleisten versucht, ist es auch bestrebt, seine Erhaltung sicherzustellen. Dazu gehört nicht nur die Verpflichtung zur Bildung einer Kapitalrücklage und einer gesetzlichen (Gewinn-) Rücklage, die allein zu den im Gesetz genannten Zwecken verwendet werden darf (§ 150 AktG, §§ 272, 266 Abs. 3 A II und III HGB), sondern auch das Verbot, dem Aktionär mit Rücksicht auf seine Gesellschafterstellung Leistungen zu gewähren, auf die er nach dem Gesetz keinen Anspruch hat. Leistungen, die der Aktionär entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes empfangen hat, muss er der Gesellschaft zurückgeben (§ 62 Abs. 1 AktG). Der durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgedehnte Anwen- 341 dungsbereich des gesetzlichen Kapitalschutzsystems wurde durch die mit dem MoMiG entsprechend § 30 Abs. 1 Satz 2 und 3 GmbHG neu eingeführten Sätze 3 und 4 des § 57 Abs. 1 AktG stark eingeschränkt. Im Vordergrund stehen die Ausklammerung von Leistungen bei Bestehen eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrags sowie der gesetzgeberische Schlussstrich unter die Rechtsfigur des eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens. 1. Einlagenrückgewähr § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG spricht zwar nur davon, dass den Aktionären die 342 „Einlagen“ nicht zurückgewährt werden dürfen. § 57 Abs. 2 AktG erweitert dieses Verbot auf die Zusage und Auszahlung von Zinsen und §§ 57 Abs. 3 sowie 58 Abs. 4 AktG stellen ausdrücklich klar, dass die Aktionäre vor Auflösung der Gesellschaft nur einen Anspruch auf den Bilanzgewinn haben. BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 386 f.
Die in § 61 AktG getroffene Vergütungsregelung für Nebenleistungspflichten 343 (§ 55 AktG, „Zuckerrüben-AG“) beruht auf besonderen Voraussetzungen und stellt somit keine echte Ausnahme von dem Verbotsgrundsatz dar. Zweck des § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG ist es, im Interesse der Gläubiger das 344 Grundkapital zu erhalten und die an der Leistung nicht partizipierenden Aktionäre vor verdeckten Gewinnausschüttungen zu bewahren. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 19, 22 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Das Verbot der „Einlagenrückgewähr“ nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG ist weit 345 auszulegen und erfasst nicht nur die Rückgewähr von Einlagen i. S. d. § 54 Abs. 1 AktG, sondern jede von der Gesellschaft dem Aktionär erbrachte, auf
101
C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
seiner Gesellschafterstellung beruhende Leistung, auf die ihm das AktG keinen Anspruch gewährt und die auch nicht aufgrund einer speziellen gesetzlichen Regelung, etwa den §§ 71 ff. AktG, zugelassen ist. BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081; BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 Rn. 16, dazu EWiR 2008, 545 (Schall); BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 15 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Sachverhaltsgestaltungen: 346 Auf Anweisung des Alleinaktionärs hat der Vorstand der AG der Gesellschaft gehörende Gegenstände (Eisen und Stahl) an Dritte zu „Überpreisen“ veräußert. Den Betrag, der dem behördlich festgesetzten Preis entsprach, ließ er – ebenfalls weisungsgemäß – der AG auszahlen, den diesen Preis übersteigenden Betrag einer KG, an welcher der Alleinaktionär die wesentliche Beteiligung hielt. BGH, Urt. v. 11.10.1956 – II ZR 47/55, WM 1957, 61.
347 Der Bundesgerichtshof stellt klar, dieses Verfahren verstoße gegen den Grundsatz, dass die AG dem Aktionär außer seinem Anteil an dem festgestellten Jahresgewinn nichts aus dem Gesellschaftsvermögen ausschütten darf. Da der verkaufte Stahl zum Vermögen der AG gehörte, stand dieser der gesamte aus der Veräußerung erzielte Erlös zu. Die Abzweigung des den Festpreis übersteigenden Teils des Verkaufserlöses an den Aktionär stellt eine nach dem Gesetz verbotene Zuwendung dar, auf die er keinen Anspruch hat (§ 52 AktG 1937, der § 57 Abs. 1 Satz 1 Abs. 3 und § 58 Abs. 4 AktG 1965 entspricht). Allerdings war die Zahlung nicht an den Aktionär selbst, sondern an eine KG geflossen. Da ihm jedoch die wesentliche Beteiligung an dieser Personenhandelsgesellschaft zustand, kam ihm die Leistung auf jeden Fall mittelbar zugute. Zur „maßgeblichen Beteiligung“ vgl. BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 (GmbH), dazu EWiR 1996, 121 (Crezelius); BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314, 1315 (GmbH).
348 Bei der öffentlichen Platzierung des Aktienbestandes eines Aktionärs an der Börse liegt eine Leistung der AG an den Aktionär darin, dass die AG sich verpflichtet, den Verkaufsprospekt zu erstellen und für diesen im Außenverhältnis gegenüber den Anlegern die Haftung zu tragen. Mit der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft bei der Platzierung von Altaktien werden entgegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG Einlagen an den Altaktionär zurückgewährt, wenn dieser die Gesellschaft nicht von der Prospekthaftung freistellt.
102
I. Verbot der Einlagenrückgewähr BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 15 f., 25 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Der Leistungscharakter ist nicht deshalb zu bezweifeln, weil es an einer un- 349 mittelbaren Zuwendung aus dem Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter fehlt, wenn den Anlegern gegenüber gehaftet wird. § 57 AktG setzt keine Unmittelbarkeit der Leistung voraus. Insoweit liegt es nicht anders als bei der Besicherung von oder der Haftung für Forderungen gegen einen Gesellschafter, für die allgemein davon ausgegangen wird, dass – obwohl die Sicherheit gegenüber dem Gläubiger gewährt und ggf. an ihn gezahlt wird – an den Gesellschafter geleistet wird. BGH, Urt. v. 18.6.2007 – II ZR 86/06, BGHZ 173, 1 = ZIP 2007, 1705 Rn. 12 zum Auszahlungsverbot gem. § 30 GmbHG; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 16 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Dass die Gesellschaft als Prospektherausgeberin eine zur Haftung führende 350 Fehlinformation verursacht hat, schließt eine Leistung der Gesellschaft durch die Haftungsübernahme nicht aus. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 20 f. – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Eine (Mit-)Verursachung oder ein (Mit-)Verschulden der Gesellschaft ist im 351 Rahmen von § 57 Abs. 1, § 62 AktG im Hinblick auf den gläubigerschützenden Zweck der Kapitalerhaltung unbeachtlich. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 22 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Die Verpflichtung des Altaktionärs nach §§ 57, 62 AktG entlastet aber nicht 352 die Gesellschaftsorgane, die schuldhaft einen haftungsbegründenden Prospektmangel verursachen, so dass der Altaktionär einen Anspruch auf Abtretung eines Schadensersatzanspruchs hat. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 28 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Der Schadensersatzanspruch eines Anlegers auf Naturalrestitution in Form 353 der Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der erworbenen Aktien wegen einer falschen Ad-hoc-Mitteilung ist nicht durch die besonderen aktienrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften über das Verbot der Einlagenrückgewähr und das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 71 AktG) begrenzt oder gar ausgeschlossen. BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 287/02, ZIP 2005, 1370; BGH, Beschl. v. 28.11.2005 – II ZR 80/04, ZIP 2007, 681;
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung BGH, Urt. v. 26.6.2006 – II ZR 153/05, ZIP 2007, 326 Rn. 9 – ComROAD III; BGH, Urt. v. 4.6.2007 – II ZR 147/05; ZIP 2007, 1560 Rn. 11 – ComROAD IV; BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 229/05, ZIP 2008, 407 Rn. 11 – ComROAD VI; BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 68/06, ZIP 2008, 410 Rn. 11 – ComROAD VII; BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 310/06, ZIP 2008, 829 Rn. 11 – ComROAD VIII.
2. Aufgabe der „November“-Rechtsprechung – Gegenleistung 354 Nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung liegt eine verbotene Zuwendung nach § 57 AktG dann nicht vor, wenn die Leistung der Gesellschaft an den Aktionär durch eine gleichwertige Gegenleistung des Aktionärs ausgeglichen wird, BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 12 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); vgl. ferner BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575, 576 (GmbH), dazu EWiR 1987, 255 (H. P. Westermann); BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68 (GmbH), dazu EWiR 1996, 121 (Crezelius); zum Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG,
bzw. handelt es sich umgekehrt um eine nach § 57 Abs. 1 AktG verbotene Zuwendung, wenn eine Leistung der Gesellschaft an den Aktionär nicht durch eine gleichwertige Gegenleistung des Aktionärs ausgeglichen wird. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 24 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 12, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
355 Dies gilt etwa bei der Veräußerung von Unternehmensteilen an den Aktionär unter Wert. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 12, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
356 Drittgleiche Umsatzgeschäfte, bei denen Leistungen zu marktüblichen Bedingungen ausgetauscht werden, fallen dagegen nicht unter §§ 57, 62 AktG. Es kommt auf den Vergleich mit einem hypothetischen Drittgeschäft bzw. darauf an, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft zu denselben Konditionen vorgenommen hätte. BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 Rn. 16, dazu EWiR 2008, 545 (Schall);
104
I. Verbot der Einlagenrückgewähr BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 9 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
Diesen Grundsatz spricht § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG i. d. F. des MoMiG nun- 357 mehr auch ausdrücklich für eine Teilbereich gleichwertiger Gegenleistung, nämlich für die Deckung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch aus. Vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 24 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Das wurde nicht immer so gesehen. In seinem „November“-Urteil hatte der 358 II. Zivilsenat Kreditgewährungen an Gesellschafter, die nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen, sondern zulasten des gebundenen Vermögens der GmbH erfolgen, auch dann grundsätzlich als verbotene Auszahlung von Gesellschaftsvermögen i. S. d. § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bewertet, wenn der Rückzahlungsanspruch gegen den Gesellschafter im Einzelfall vollwertig war. BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = ZIP 2004, 263, dazu EWiR 2004, 911 (Schöne/Stolze).
Der durch das MoMiG neu eingefügte Satz 2 Halbs. 2 des § 30 Abs. 1 GmbHG, 359 der dem Satz 3 Halbs. 2 des § 57 AktG entspricht, schränkt das Auszahlungsverbot nunmehr ausdrücklich insoweit ein, als ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch, etwa ein Darlehensanspruch, gegen den Gesellschafter besteht. Vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 415 (Paefgen/Dettke).
Die „November“-Rechtsprechung hat der II. Zivilsenat in seiner „MPS“-Ent- 360 scheidung auch für Altfälle aufgegeben. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG 361 ist es keine verbotene Kapitalrückzahlung, wenn ein unbesichertes Darlehen an den Aktionär gewährt wird und der Darlehensrückzahlungsanspruch vollwertig ist. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 12 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
Maßstab für die Vollwertigkeit einer Darlehensforderung ist eine vernünftige 362 kaufmännische Beurteilung, wie sie auch bei der Bewertung von Forderungen aus Drittgeschäften im Rahmen der Bilanzierung (§ 253 HGB) maßgeblich ist. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Darlehensrückzahlung ist nicht erforderlich. Jedoch hat der Geschäftsleiter bei der auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts bezogenen Beurteilung die Sorgfaltspflicht gem. § 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 93 Abs. 1 AktG zu beachten
105
C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
und die Gewährung eines unbesicherten Darlehens im Fall eines konkreten Ausfallrisikos zu verweigern. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 13 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
363 Die Übernahme der Prospekthaftung als Vermögenszuwendung an den Aktionär kann grundsätzlich nur durch eine Freistellungsvereinbarung ausgeglichen werden. Ein Eigeninteresse der Gesellschaft an der Platzierung der Altaktien oder nicht bezifferbare Vorteile bilden keine ausreichende Kompensation für die Übernahme des Haftungsrisikos. Vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 25 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
364 Bei einer gemischten Sacheinlage im Rahmen einer Kapitalerhöhung, bei der die Sacheinlage teilbar ist, ein Teil der Leistung des Aktionärs vergütet werden soll und insoweit nicht die Vorschriften über die Kapitalaufbringung anwendbar sind, führt es zu einem Anspruch nach § 57 AktG, wenn der Wert der Sachleistung nicht der vereinbarten Gegenleistung entspricht. BGH, Urt. v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rn. 49, dazu EWiR 2012, 129 (Vosberg/Klawa) (AG).
3. „Abkauf“ einer Anfechtungsklage 365 Eine AG hatte zwei Aktionären auf deren Verlangen einen Betrag von 1,5 Mio. DM bezahlt, um diese zu veranlassen, von ihren Einwänden gegenüber einer Kapitalerhöhung und damit der Erhebung einer Anfechtungsklage Abstand zu nehmen. Die Gesellschaft verlangte später den gezahlten Betrag zurück. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil der Vorinstanz, das der Klage im Wesentlichen stattgegeben hatte, durch – nicht mit Gründen versehenes – Versäumnisurteil. In einem später in diesem Sachverhaltskomplex ergangenen Urteil, BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081,
sind die Gründe für diese Entscheidung kurz skizziert: Die Gesellschaft erbrachte die Zahlung von 1,5 Mio. DM deswegen im Hinblick auf die Gesellschafterstellung der beiden Aktionäre, weil ihnen die Anfechtungsklage als Instrument zur Kontrolle der Gesetz- und Rechtmäßigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen nur mit Rücksicht auf ihre Rechtsstellung als Aktionäre vom Gesetz an die Hand gegeben war und sie auch nur in dieser Eigenschaft in der Lage waren, jederzeit über ihre Anfechtungsbefugnis zu verfügen, d. h. die Klage auch zurückzunehmen. Eine ihrer Beteiligung entsprechende Auszahlung des Bilanzgewinns stellte die Leistung nicht dar. Sie war demnach als eine unzulässige Ausschüttung anzusehen, die der Gesellschaft nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG zurückgewährt werden musste. Ein möglicher Einwand aus § 814 BGB war den Aktionären verwehrt.
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I. Verbot der Einlagenrückgewähr
4. Empfängerkreis a) Aktionär Aktionäre i. S. d. §§ 57, 62 AktG sind nicht nur Personen, die im Zeitpunkt 366 des Leistungsempfangs rechtlich Aktionär sind. Auch zukünftige Aktionäre können in Anspruch genommen werden, wenn zwischen der verbotswidrigen Leistung und dem Erwerb der Aktien ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und die Leistung mit Rücksicht auf die künftige Aktionärseigenschaft erfolgt. BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118 Rn. 13, dazu EWiR 2008, 545 (Schall).
Von den Vorschriften der §§ 57, 62 AktG wird auch der ehemalige Aktionär 367 erfasst, wenn der Rechtsgrund für die Leistung noch während der Zeit der Gesellschafterstellung gelegt wurde. BGH, Urt. v. 24.3.1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49, 54; BGH, Urt. v. 13.7.1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252, 258 = ZIP 1981, 974, 976; zu §§ 30, 31 GmbHG; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 50 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Zahlt die Gesellschaft den gegen § 57 AktG verstoßenden Auszahlungsbe- 368 trag nicht unmittelbar an den Aktionär, sondern auf dessen Verlangen an einen Dritten, dann ist nicht der Dritte, sondern der Aktionär Empfänger der Zahlung i. S. d. § 62 AktG. BGH, Urt. v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365, 368 = ZIP 1981, 1332; BGH, Urt. v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336 = ZIP 2000, 1251, 1255 – Balsam/Procedo I.
Ein Verstoß gegen § 57 Abs. 1 AktG liegt weiter dann vor, wenn die Gesell- 369 schaft an einen Dritten für Rechnung des Aktionärs zur Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit leistet. Darin ist eine mittelbare Leistungsbewirkung an den Aktionär zu sehen, die diesen, nicht aber den Dritten zum Leistungsempfänger i. S. d. § 62 AktG macht. BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 330 f.; BGH, Urt. v. 3.4.1968 – VIII ZR 38/66, WM 1968, 570, 571; BGH, Beschl. v. 13.10.1980 – II ZB 2/80, AG 1981, 227.
Eine Erstattungspflicht des Aktionärs, nicht aber des (Darlehens- und Bürg- 370 schafts-)Gläubigers als Drittem, entsteht ferner dann, wenn die Gesellschaft unter Verstoß gegen § 57 AktG eine eigene Darlehensverbindlichkeit tilgt, für die sich ein Aktionär verbürgt hatte. Denn durch die Forderungstilgung wird der Aktionär zugleich von seiner Bürgschaftsverpflichtung befreit. BGH, Urt. v. 27.9.1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171, 182;
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung BGH, Urt. v. 13.7.1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252, 260 = ZIP 1981, 974; BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 36/08, ZIP 2009, 1806 Rn. 15, dazu EWiR 2010, 81 (Steffek/Schmidt) zum Eigenkapitalersatzrecht.
b) Leistungen an Dritte 371 Ein Dritter, der nicht Aktionär ist, kann zur Rückgewähr nach §§ 57, 62 AktG verpflichtet sein, wenn er die Zuwendung unmittelbar erhalten hat oder der Aktionär die Zuwendung an ihn als Hintermann weitergegeben hat. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 45 – Dritter Börsengang (AG), dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
372 Zum Schutz vor Umgehungen müssen Leistungen an bestimmte Dritte wie Leistungen an Gesellschafter behandelt werden. Bei der Bestimmung des Normadressaten des Kapitalerhaltungsrechts kann auf die Rechtsprechung zum GmbH-Recht und dort – wegen der Anlehnung an die §§ 30, 31 GmbHG – regelmäßig auch auf die Rechtsprechung zum alten Eigenkapitalersatzrecht und – vereinzelt – zur Existenzvernichtungshaftung zurückgegriffen werden. Vgl. zu letzterem BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117, 118 (m. Anm. Altmeppen), dazu EWiR 2005, 221 (Wilhelmi).
373 Dies ist jedoch nicht in jedem Fall so. Denn gegen wen sich das Auszahlungsverbot der § 30 GmbHG, § 57 AktG richtet, beantwortet sich nicht in jeder Hinsicht nach denselben Maßstäben wie die Frage, wer außer den Gesellschaftern selbst mit etwaigen Leistungen an die Gesellschaft den Kapitalerhaltungsregeln unterworfen werden konnte. Vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366, 367 f., dazu EWiR 1991, 681 (Frey).
374 Besteht zwischen dem Gesellschafter und dem Dritten eine enge rechtliche oder persönliche Verbindung, stellt sich die Frage, ob die Leistung an den Dritten als verbotswidrige Leistung an den Gesellschafter anzusehen ist und ob (neben dem Gesellschafter) der Dritte Adressat der §§ 30, 31 GmbHG bzw. §§ 57, 62 AktG ist. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es dazu eine Vielzahl von Entscheidungen: aa) Treuhänder 375 Überträgt ein Gesellschafter seinen Anteil einem Dritten „zu treuen Händen“, wird also ein Treuhandverhältnis im engeren Sinne begründet, so wird dieses Rechtsverhältnis von der in §§ 30, 31 GmbHG bzw. §§ 57, 62 AktG getroffenen Regelung erfasst. Beide, Treuhänder und Treugeber, haften. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, ZIP 1985, 1198, 1201, dazu EWiR 1985, 793 (Crezelius);
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I. Verbot der Einlagenrückgewähr BGH, Urt. v. 20.2.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7, 10 f. = ZIP 1989, 440 f., dazu EWiR 1989, 431 (Fleck); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 66 ff. = ZIP 1990, 156, dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 294/90, ZIP 1992, 242, 244, dazu EWiR 1992, 279 (Joost); BGH, Urt. v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, ZIP 2008, 118, dazu EWiR 2008, 545 (Schall) (AG); BGH, Urt. v. 6.4.2009 – II ZR 277/07, ZIP 2009, 1273, 1275.
Schuldet die Gesellschaft einem Dritten eine Leistung, die mit Rücksicht auf 376 seine Stellung als Treugeber dem Verbot des § 30 Abs. 1 GmbHG bzw. § 57 Abs. 1 AktG unterliegt, und verrechnen Gesellschaft und Treugeber diese Forderung mit einer Verbindlichkeit, die der Gesellschaft gegenüber dem Treuhänder zusteht, so erbringt die Gesellschaft – die Wirksamkeit der Verrechnung unterstellt – (auch) eine Leistung zugunsten des Treuhänders, der ihr Gesellschafter ist. Das hat zur Folge, dass (auch) den Treuhänder die Erstattungspflicht nach § 31 Abs. 1 GmbHG bzw. § 62 Abs. 1 AktG trifft. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 192 f. = ZIP 1985, 1198, 1201, dazu EWiR 1985, 793 (Crezelius).
bb) Mittels- oder Strohmann In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Grundsätzen der Ka- 377 pitalerhaltung ist seit langem anerkannt, dass derjenige, der nur über einen Mittels- oder Strohmann an einer Gesellschaft beteiligt ist, genauso wie der unmittelbare Gesellschafter für die Erhaltung des Grund- bzw. Stammkapitals einzustehen hat. BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 266 (GmbH/Gründung); BGH, Urt. v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334, 335 f. = ZIP 1980, 115; BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 193 = ZIP 1985, 1198, dazu EWiR 1985, 793 (Crezelius); BGH, Urt. v. 14.11.1988 – II ZR 115/88, ZIP 1989, 93, dazu EWiR 1989, 369 (Martens); BGH, Urt. v. 20.2.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7, 12 = ZIP 1989, 440, dazu EWiR 1989, 431 (Fleck); BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 67 = ZIP 1990, 156, 163 (AG, Kapitalerhöhung), dazu EWiR 1990, 223 (Lutter); BGH, Urt. v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, ZIP 1990, 1593, 1595, dazu EWiR 1991, 67 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 225/91, BGHZ 118, 107, 110 f. = ZIP 1992, 919 (GmbH), dazu EWiR 1992, 995 (Timm); BGH, Urt. v. 14.6.1993 – II ZR 252/92, ZIP 1993, 1072, 1073, dazu EWiR 1993, 1207 (v. Gerkan);
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung BGH, Urt. v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106 = ZIP 2006, 279 Rn. 20, dazu EWiR 2006, 525 (Westphal).
378 Nur so kann das Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Wahrung des Haftungsfonds der Gesellschaft wirksam und praktikabel geschützt werden. Nicht ausreichend wäre es dagegen, die Gläubiger darauf zu verweisen, mögliche Befreiungsansprüche des Vordermanns gegen den Hintermann geltend zu machen. BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117, 118 (m. Anm. Altmeppen), dazu EWiR 2005, 221 (Wilhelmi).
cc) Stiller Gesellschafter 379 Der typische stille Gesellschafter gehört grundsätzlich nicht zum Adressatenkreis der § 30 GmbHG, § 57 AktG. Vgl. BGH, Urt. v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341, 345 = ZIP 1982, 1077 f.; BGH, Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7, 9 = ZIP 1989, 95, 96, dazu EWiR 1989, 587 (Koch); BGH, Urt. v. 21.3.1983 – II ZR 139/82, ZIP 1983, 561; zur KG vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1981 –II ZR 38/80, ZIP 1981, 734; BGH, Urt. v. 17.12.1984 – II ZR 36/84, ZIP 1985, 347, dazu EWiR 1985, 401 (Kellermann); BGH, Urt. v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 20.
380 Das ist anders bei der atypischen stillen Gesellschaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein stiller Gesellschafter im Hinblick auf die Kapitalerhaltungsregeln wie ein Gesellschafter zu behandeln, wenn er aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung des stillen Gesellschaftsverhältnisses hinsichtlich seiner vermögensmäßigen Beteiligung und seines Einflusses auf die Geschicke der Gesellschaft weitgehend einem Gesellschafter gleichsteht. BGH, Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7, 10 f. = ZIP 1989, 95, 96 f., dazu EWiR 1989, 587 (Koch); BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, ZIP 2006, 703 Rn. 24, dazu EWiR 2006, 653 (Kort); ebenso für die die KG BGH, Urt. v. 9.2.1981 – II ZR 38/80, ZIP 1981, 734 und BGH, Urt. v. 17.12.1984 – II ZR 36/84, ZIP 1985, 347, dazu EWiR 1985, 401 (Kellermann); BGH, Urt. v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 20; vgl. auch BGH, Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, BGHZ 193, 378 = ZIP 2012, 1869, dazu EWiR 2012, 669 (Spliedt) zum Kommanditisten.
381 Die Vergleichbarkeit der Rechtsstellungen ist dann gegeben, wenn dem stillen Gesellschafter neben seiner Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft in atypischer Weise weitreichende Befugnisse zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung und die Gestaltung der Gesellschaft eingeräumt sind, insbesondere
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I. Verbot der Einlagenrückgewähr
wenn er wie ein Gesellschafter die Geschicke der Gesellschaft mitzubestimmen berechtigt ist. BGH, Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7, 10 f. = ZIP 1989, 95, 96 f., dazu EWiR 1989, 587 (Koch); BGH, Beschl. v. 5.4.2011 – II ZR 173/10, ZIP 2011, 1411 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, BGHZ 193, 378 = ZIP 2012, 1869, dazu EWiR 2012, 669 (Spliedt) zum Kommanditisten.
In einer solchen Situation befindet sich ein stiller Gesellschafter, der nach 382 den Bestimmungen des stillen Gesellschaftsvertrags zwar nicht am Vermögen, wohl aber ganz überwiegend, nämlich zu 95 %, am Gewinn und Verlust der Schuldnerin beteiligt ist und die Möglichkeit hat, aufgrund der ihm von den Gesellschaftern erteilten Vollmacht und einer gesetzlichen Vertretungsmacht die Rechte der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung in vollem Umfang auszuüben. BGH, Urt. v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 21 f.
Wird der stille Gesellschafter in dieser Weise in den mitgliedschaftlichen 383 Verband einbezogen, so ist seine Einlage Teil der Eigenkapitalgrundlage der Gesellschaft. Der im Innenverhältnis den Gesellschaftern gleichgestellte stille Gesellschafter trägt in gleicher Weise wie jene die Verantwortung für die Erhaltung des den Gläubigern dienenden Haftungsfonds. Seine Einlage ist damit – ebenso wie es die Einlagen der Gesellschafter sind – durch § 30 GmbHG, § 57 AktG gebunden. Vgl. BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, ZIP 2006, 703 Rn. 24, dazu EWiR 2006, 653 (Kort).
dd) Pfandgläubiger und Nießbraucher Was für den stillen Gesellschafter gilt, gilt auch für den Pfandgläubiger an 384 der Mitgliedschaft, wenn er sich zusätzlich Befugnisse einräumen lässt, die es ihm ermöglichen, die Geschicke der Gesellschaft ähnlich wie ein Gesellschafter mitzubestimmen. Das Pfandrecht erstreckt sich nicht auf Mitgliedschafts- und Gewinnbezugsrechte, so dass der Gesellschafter seine Mitgliedschaftsrechte, insbesondere sein Stimmrecht, weiter ausüben kann. Das ändert sich aber dann, wenn der Pfandgläubiger sich durch schuldrechtliche Nebenabreden eine Position einräumen lässt, die im wirtschaftlichen Ergebnis der Stellung eines Gesellschafters gleichsteht oder zumindest nahekommt. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191, 195 f. = ZIP 1992, 1300, 1301, dazu EWiR 1992, 999 (v. Gerkan); BGH, Beschl. v. 5.4.2011 – II ZR 173/10, ZIP 2011, 1411 Rn. 4.
In gleicher Weise wie der atypische stille Gesellschafter und der Pfandgläubi- 385 ger kann auch der Nießbraucher einer Mitgliedschaft Adressat der Kapitalerhaltungsregeln sein.
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung Vgl. BGH, Beschl. v. 5.4.2011 – II ZR 173/10, ZIP 2011, 1411 unter Darstellung der differierenden Meinungen.
ee) Nahe Angehörige 386 Der oben dargestellte Zurechnungstatbestand ist ferner dann erfüllt, wenn die verbotswidrige Rückgewähr an einen nahen Angehörigen des Gesellschafters (Ehegatte, minderjährige Kinder) vorgenommen wird. Der Bundesgerichtshof begründet diese Ausweitung mit dem Gedanken des Umgehungsverbots der Kapitalerhaltungsvorschriften: In der Regelung des Aktienrechts, das die Gewährung von Organkrediten ohne Zustimmung des Aufsichtsrats nicht nur an einen für Rechnung des Organs handelnden Dritten, sondern auch an Ehegatten und minderjährige Kinder des Organmitgliedes untersage (§§ 89 Abs. 3, 115 Abs. 2 AktG), sowie des Insolvenzanfechtungsrechts (§ 138 InsO) und des außerhalb des Insolvenzrechtes geltenden Anfechtungsrechts (§§ 3 Nr. 2, 4 AnfG), das bestimmte Verfügungen u. a. zugunsten von Ehegatten und Verwandten der absteigenden Linie anfechtbar mache, komme in der Form einer gesetzlichen Typisierung von Umgehungstatbeständen ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck, der auf das Verbot der Kapitalrückzahlung zu übertragen sei. BGH, Urt. v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365, 368 f. = ZIP 1981, 1332 f.; BGH, Urt. v. 14.10.1985 – II ZR 276/84, ZIP 1986, 456, 458, dazu EWiR 1986, 369 (Lüke); BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575, 577, dazu EWiR 1987, 255 (H. P. Westermann); BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 174/89, ZIP 1990, 1467, 1469, dazu EWiR 1990, 1211 (G. Müller); BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366, 367, dazu EWiR 1991, 681 (Frey); BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 294/90, ZIP 1992, 242, 244, dazu EWiR 1992, 279 (Joost); BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, dazu EWiR 1996, 121 (Crezelius).
387 Die insoweit anders gelagerte Rechtsprechung zum Eigenkapitalersatzrecht vgl. BGH, Urt. v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 18 m. w. N.
darf hier nicht herangezogen werden. Vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366, 367 f., dazu EWiR 1991, 681 (Frey).
388 Nicht entschieden worden ist, ob der Erstattungsanspruch nur dann geltend gemacht werden kann, wenn der nahe Angehörige oder sein gesetzlicher Vertreter beim Empfang der Leistung von dem Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot Kenntnis gehabt hat oder ihn hätte erkennen müssen.
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I. Verbot der Einlagenrückgewähr Vgl. BGH, Urt. v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365, 369 f. = ZIP 1981, 1332 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 174/89, ZIP 1990, 1467, 1469 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1211 (G. Müller).
ff) Verbundene Unternehmen Vorbehaltlich der durch das MoMiG eingeführten Ausnahme bei Leistungen 389 die bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags erfolgen (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 3 Alt 1 AktG) gilt § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG auch innerhalb bestimmter Unternehmensverflechtungen. Zur Einordnung kann die gleichgelagerte Rechtsprechung zum GmbH- und zum Eigenkapitalersatzrecht herangezogen werden. Vgl. BGH, Urt. v. 18.2.1991 – II ZR 259/89, ZIP 1991, 366, 367, dazu EWiR 1991, 681 (Frey).
Ein Dritter, der einem Gesellschafter gleichsteht kann ein Unternehmen 390 sein, das mit einem Gesellschafter horizontal oder vertikal verbunden ist. BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 Rn. 9, dazu EWiR 2008, 463 (Jungclaus/Keller); BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rn. 16, dazu EWiR 2012, 417 (Ch. Keller).
Die Verbindung kann einmal so ausgestaltet sein, dass eine Beteiligung in 391 diesem Sinn dadurch begründet wird, dass ein Gesellschafter an beiden Gesellschaften, der leistenden und der die verbotswidrige Leistung empfangenden, und zwar an der letztgenannten „maßgeblich“ beteiligt ist. BGH, Urt. v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311, 315 = ZIP 1981, 1200; BGH, Urt. v. 14.10.1985 – II ZR 276/84, ZIP 1986, 456, 458, dazu EWiR 1986, 369 (Lüke); BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050, 1051, dazu EWiR 1986, 587 (Weipert); BGH, Urt. v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, ZIP 1990, 1593, 1595, dazu EWiR 1991, 67 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = ZIP 1993, 917, 918 f., dazu EWiR 1993, 693 (Maier-Reimer); BGH, Urt. v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69, dazu EWiR 1996, 121 (Crezelius); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 463 (Jungclaus/Keller); BGH, Urt. v. 11.10.2011 – II ZR 18/10, ZIP 2011, 2253 Rn. 11; BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rn. 18, dazu EWiR 2012, 417 (Ch. Keller); BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 42 – Dritter Börsengang (AG), dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski),
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
392 Für die Annahme einer maßgeblichen Beteiligung genügt regelmäßig – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung der Stimmmacht in der Satzung – eine Beteiligung an der Gesellschaft von mehr als 50 %. BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1314; BGH, Urt. v. 27.11.2000 – II ZR 179/99, ZIP 2001, 115, dazu EWiR 2001, 379 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 28.2.2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660, 661; BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 463 (Jungclaus/Keller); BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rn. 18, dazu EWiR 2012, 417 (Ch. Keller).
393 Eine maßgebliche Beteiligung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber auch dann anzunehmen, wenn der Gesellschafter „nur“ zu 50 % an einer GmbH beteiligt, aber zugleich deren alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rn. 19 f., dazu EWiR 2012, 417 (Ch. Keller); BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, BGHZ 198, 64 = ZIP 2013, 1579 Rn. 24 (m. Anm. Bitter), dazu EWiR 2013, 521 (Bork).
394 Neben dem Dritten, der mit dem Aktionär eine wirtschaftliche Einheit bildet, ist auch der nominelle Aktionär verantwortlich. BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 36/08, ZIP 2009, 1806 Rn. 21, dazu EWiR 2010, 81 (Steffek/Schmidt).
395 Eine Zuwendung an einen Aktionär nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG liegt daher vor, wenn nicht unmittelbar an den Aktionär, sondern an das Unternehmen geleistet wird, an dem er maßgeblich beteiligt ist, auf das er bestimmenden Einfluss ausübt und wenn er dadurch Zugriff auf die Leistung hat oder er sie veranlasst hat. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 42, 44 – Dritter Börsengang (AG), dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
396 Die Verbindung kann aber auch in der Weise bestehen, dass der Dritte Gesellschafter-Gesellschafter ist, also an einer Gesellschafterin der GmbH oder AG beteiligt ist, und führt jedenfalls dann zur Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften, wenn der Dritte aufgrund einer qualifizierten Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte einen bestimmenden Einfluss auf den Gesellschafter ausüben kann. Vgl. BGH, Urt. v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311, 315 = ZIP 1981, 1200; BGH, Urt. v. 24.9.1990 – II ZR 174/89, ZIP 1990, 1467, dazu EWiR 1990, 1211 (G. Müller); BGH, Urt. v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117, 118 (m. Anm. Altmeppen), dazu EWiR 2005, 221 (Wilhelmi);
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I. Verbot der Einlagenrückgewähr BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 108/07, ZIP 2008, 1230 Rn. 9, dazu EWiR 2008, 463 (Jungclaus/Keller); BGH, Urt. v. 20.7.2009 – II ZR 36/08, ZIP 2009, 1806 Rn. 20, dazu EWiR 2010, 81 (Steffek/Schmidt); BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 115/11, ZIP 2012, 865 Rn. 17, dazu EWiR 2012, 417 (Ch. Keller) BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, ZIP 2013, 582 Rn. 21 = BGHZ 196, 220.
Auch wenn der Gesellschafter-Gesellschafter die Auszahlung an eine Ge- 397 sellschaft, an der er beteiligt ist und die er beherrscht, veranlasst hat, ist er als Empfänger der Auszahlung i. S. v. § 31 GmbHG bzw. § 62 AktG anzusehen. Bei der Zahlung an eine vom Gesellschafter-Gesellschafter beherrschte Gesellschaft, die Gesellschafterin der GmbH ist, gilt insoweit nichts anderes als bei der Zahlung an eine mit ihm verbundene dritte Gesellschaft. BGH, Urt. v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 Rn. 31 m. w. N., dazu EWiR 2012, 757 (Beck).
5. Rückgewähranspruch Der Verstoß gegen § 57 AktG führt nicht zur Nichtigkeit des Verpflichtungs- 398 oder des Erfüllungsgeschäfts, sondern zur Rückgewährpflicht nach § 62 AktG. § 57 AktG enthält zwar mit dem Verbot der Einlagenrückgewähr ein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB. Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, führt das aber nicht nach § 134 BGB zu dessen Nichtigkeit, weil § 62 AktG die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr als spezialgesetzliche Vorschrift anders regelt. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nur dann nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Eine solche andere gesetzliche Regelung enthält § 62 AktG. BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819 Rn. 15 ff., dazu EWiR 2013, 297 (Wilsing/D. Meyer).
Dem in Abweichung vom Aktiengesetz 1937 als selbständigen Anspruch 399 normierten Rückgewähranspruch des § 62 Abs. 1 AktG 1965 wurde schon früh ein eigenständiger aktienrechtlicher Charakter zuerkannt, der dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) entzogen ist. BGH, Urt. v. 11.10.1956 – II ZR 47/55, WM 1957, 61, 62; BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 265 (GmbH).
Schon aus diesem Grunde verbietet es sich, das Rückforderungsrecht wegen 400 Leistung in Kenntnis einer Nichtschuld (§ 814 BGB) oder bei beidseitigem Sittenverstoß (§ 817 Satz 2 BGB) auszuschließen. Als Hintergrund dieser aktienrechtlich eigenständigen Ausgestaltung ist der Grundsatz der Kapitalerhaltung anzusehen, dem im Interesse der Gläubiger und (Mit-)Aktionäre absoluter Vorrang gebührt und dem mit einem bereicherungsrechtlichen An-
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
spruch, dessen Durchsetzung mit erheblichen Risiken behaftet ist (§§ 818 Abs. 3, 814, 817 BGB), nicht Rechnung getragen werden kann. Aber auch wenn man dem Rückforderungsanspruch bereicherungsrechtlichen Charakter zuerkennt, kommt eine Anwendung der §§ 814 und 817 BGB mit Rücksicht auf den Normzweck der Vorschrift, im Interesse der Gläubiger und Mitaktionäre das Grundkapital zu erhalten, nicht in Betracht. So zu §§ 52 und 56 AktG 1937: BGH, Urt. v. 11.10.1956 – II ZR 47/55, WM 1957, 61 f.
401 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot des § 57 AktG bestimmen sich auch dann ausschließlich nach § 62 GmbHG, wenn es den Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften ankommt; für die Anwendung der §§ 134, 812 ff. BGB ist daneben kein Raum. BGH, Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = ZIP 1997, 1450, dazu EWiR 1997, 1089 (Westermann) zu §§ 30, 31 GmbHG.
402 Die Gesellschaft darf eine gegen § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verstoßende Verpflichtung nicht erfüllen. Dies folgt unmittelbar aus § 62 AktG, weil die Gesellschaft die Leistung sofort zurückfordern müsste. BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819 Rn. 17, dazu EWiR 2013, 297 (Wilsing/D. Meyer).
403 Eine Aufrechnung gegen den Rückgewähranspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG ist ausgeschlossen (vgl. § 66 Abs. 2 AktG). BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 52 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
404 Geht die Leistung an ein herrschendes Unternehmen, ist folgendes zu beachten: Die Regelung des § 311 AktG verdrängt die §§ 57, 62 AktG in der Weise, dass typischerweise an sich unter § 57 AktG fallende Maßnahmen zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft keinen sofortigen Rückgewähranspruch auslösen. Vielmehr lässt § 311 AktG einen zeitlich gestreckten Ausgleich in der Weise zu, dass der Nachteil bis zum Ende des Geschäftsjahrs ausgeglichen oder aber bis dahin der abhängigen Gesellschaft ein Rechtsanspruch auf künftigen Nachteilsausgleich eingeräumt wird, der nicht notwendig besichert werden muss (§ 311 Abs. 2 AktG). Wird der Nachteil aber bis zum Ende des Geschäftsjahrs weder ausgeglichen noch der abhängigen AG ein Anspruch auf den künftigen Nachteilsausgleich – etwa durch eine Freistellungsvereinbarung oder die Zusage eines Ausgleichsanspruchs – eingeräumt, entfällt die Sperrwirkung des § 311 AktG. Der Rückgewähranspruch nach § 62 AktG lebt wieder auf. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 11 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche);
116
I. Verbot der Einlagenrückgewähr BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 48 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 15 f., dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Wenn die Hauptversammlung einer abhängigen Aktiengesellschaft mit der 405 Stimmenmehrheit des herrschenden Unternehmens einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich vorsehen. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 15 f., dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
6. Rechtsnatur des Rückzahlungsanspruchs der AG gegen Aktionäre bei Rückgewähr von Einlagen im Liquidationsverfahren Der Bundesgerichtshof hat für das Genossenschaftsrecht entschieden, dass 406 der Anspruch auf Rückzahlung eines im Liquidationsverfahren unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 GenG ausgezahlten Betrages nicht bereicherungsrechtlicher, sondern körperschaftsrechtlicher Natur ist. BGH, Urt. v. 17.5.1999 – II ZR 76/98, BGHZ 141, 372 = ZIP 1999, 1173, dazu EWiR 1999, 665 (Terbrack).
Eine unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 GenG vorgenommene Auszahlung sei 407 mit einer nach § 22 Abs. 4 GenG verbotenen Auszahlung des Geschäftsguthabens vergleichbar. Ein darauf beruhender Rückzahlungsanspruch sei unmittelbar aus dem Körperschaftsverhältnis – und nicht aus Bereicherungsrecht – abzuleiten. In beiden Fällen sollten die Gläubiger gesichert werden. Das Verteilungsverfahren solle sicherstellen, dass die Befriedigung der Gläubiger Vorrang vor etwaigen Verteilungsansprüchen der Mitglieder habe. Das Entreicherungsrisiko sei daher von dem Empfänger der gegen § 90 Abs. 1 GenG verstoßenden Leistung, nicht jedoch von den Gläubigern zu tragen. BGH, Urt. v. 17.5.1999 – II ZR 76/98, BGHZ 141, 372 = ZIP 1999, 1173.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestätigt diese Ansicht auch für 408 das Aktienrecht, da die Sach- und Interessenlage insoweit für beide Rechtsbereiche gleichgelagert ist. Einen unter Verstoß gegen § 57 AktG zurückgezahlten Betrag hat der Aktionär der Gesellschaft zurückzugewähren (§ 62 Abs. 1 AktG). Dieser Anspruch ist körperschaftsrechtlicher Natur. BGH, Urt. v. 11.10.1956 – II ZR 47/55, WM 1957, 61, 62; BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 265 (GmbH).
Im Liquidationsverfahren findet § 62 Abs. 1 AktG gem. § 264 Abs. 3 AktG 409 „bis zum Schluß der Abwicklung“ Anwendung. Wird daher ein Betrag unter Nichtbeachtung der die Gläubigerinteressen sichernden Vorschrift des § 272
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
AktG ausgezahlt, muss der Betrag der AG entsprechend § 62 Abs. 1 AktG zurückgewährt werden. Bereicherungsrechtliche Einwände sind ausgeschlossen. II. Verwendung des Jahresüberschusses 410 Die Funktion der Hauptversammlung erschöpft sich in der Festsetzung des Gesamtbetrages für den auszuschüttenden Gewinn (§§ 58 Abs. 3, 174 AktG). Sie entscheidet nicht darüber, in welcher Höhe der einzelne Aktionär ein Gläubigerrecht erlangt. Das folgt aus dem Gesetz (§ 60 Abs. 1 AktG) oder einer besonderen Regelung in der Satzung. BGH, Urt. v. 28.6.1982 – II ZR 69/81, BGHZ 84, 303, 311 = ZIP 1982, 959.
411 Der Anspruch der Aktionäre auf Zahlung einer Dividende entsteht mit dem Wirksamwerden des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung. BGH, Urt. v. 12.1.1998 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378, 381 = ZIP 1998, 467; BGH, Urt. v. 19.4.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 = ZIP 2011, 1097 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 449 (Wilsing/Paul); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, ZIP 2013, 358 Rn. 12 m. w. N., dazu EWiR 2013, 223 (Hoffmann-Theinert).
412 § 58 AktG regelt die Bildung freier Rücklagen. Diese bilden als „andere“ Gewinnrücklagen einmal ein zusätzliches Polster, das der Erhaltung des Grundkapitals dienstbar gemacht werden kann (vgl. § 266 Abs. 3 A I – III HGB); diesem Zweck dienen sie zum anderen mittelbar dadurch, dass die Gesellschaft über die Erhöhung der Rücklagenbildung eine hohe Selbstfinanzierungsrate erreichen kann und damit in umso geringerem Maße auf eine Fremdfinanzierung zurückgreifen und sich den damit verbundenen Risiken aussetzen muss. Unternehmensinteresse und die Interessen der Unternehmeraktionäre laufen insoweit in der Regel parallel. Ihnen steht jedoch das Interesse der Anlageaktionäre gegenüber, eine möglichst hohe Rendite auf das von ihnen investierte Kapital zu erreichen. Die Vorschrift ist in systematischem Zusammenhang mit den für den Jahresabschluss maßgebenden Bewertungsvorschriften (§§ 252 – 256 und 279 – 283 HGB), den Sonderprüfungsvorschriften (§§ 258 – 261, 173 Abs. 2 Satz 2 AktG), dem Recht auf Anfechtung des Bilanzgewinnverwendungsbeschlusses (§ 254 AktG) und damit auch § 174 AktG zu sehen. Den aufgezeigten Interessenwiderstreit und die Art und Weise, in der die Vorschrift mit § 254 AktG verknüpft ist, spiegelt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, BGH, Urt. v. 1.3.1971 – II ZR 53/69, BGHZ 55, 359,
zu folgendem Problem wider: 413 Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 AktG können Vorstand und Aufsichtsrat, soweit sie den Jahresabschluss feststellen (§ 172 AktG), einen Teil des Jahresüberschusses, höchstens jedoch die Hälfte, in andere Gewinnrücklagen (§ 266
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II. Verwendung des Jahresüberschusses
Abs. 3 A III 4 HGB) einstellen. Die Satzung kann Vorstand und Aufsichtsrat, wie Satz 2 weiter bestimmt, zur Einstellung eines größeren Teils als der Hälfte des Jahresüberschusses ermächtigen. Der Bundesgerichtshof hatte die Frage zu entscheiden, ob hier eine Grenze nach oben zu ziehen ist oder auch der gesamte Jahresüberschuss eingestellt werden kann. Er hat die im Schrifttum umstrittene Frage dahin entschieden, dass die Satzung Vorstand und Aufsichtsrat ermächtigen kann, den vollen Jahresüberschuss in freie Rücklagen einzustellen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Vorschrift bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass der für die Einstellung in die freie Rücklage vorgesehene Betrag nur einen Teilbetrag des Jahresüberschusses ausmachen darf. Sprachlich kann der Gebrauch der Worte „größerer Teil“ als ungenaue Ausdrucksweise angesehen werden, mit der lediglich der Gegensatz zu der in § 58 Abs. 2 Satz 1 festgelegten Höchstgrenze („Hälfte des Jahresüberschusses“) herausgestellt werden sollte. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift lässt keine Umstände erkennen, die den Schluss gebieten würden, dass der einzustellende Betrag den vollen Jahresüberschuss nicht erreichen darf. Um einen solchen Gedanken zum Ausdruck zu bringen, hätte es nahegelegen, die Obergrenze im Gesetz festzulegen oder das Bestehen einer solchen Grenze eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Das dargelegte Verständnis widerspricht auch nicht dem Gesetzeszweck. Die Bestimmungen über die Verwendung des Jahresüberschusses streben einen Ausgleich im Widerstreit zwischen dem Interesse der Aktionäre an einer ihrer Kontrolle und Entscheidung unterliegenden Gewinnausschüttung und den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Unternehmens an, durch weitsichtige Planung die Existenz und Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Zu diesem Zweck überlässt das Gesetz der Verwaltung einen gewissen kaufmännischen Ermessensspielraum, der jedoch bestimmten Einschränkungen unterliegt. Die Bildung stiller Reserven ist, von Ausnahmefällen abgesehen (vgl. §§ 254, 279 Abs. 2, 280 Abs. 2 HGB), nicht mehr erlaubt. Bei der Bildung der offenzulegenden freien Reserven ist das Ermessen der Verwaltung durch die Abhängigkeit von einer Satzungsermächtigung, soweit die Hälfte des Jahresüberschusses überschritten wird, und durch eine absolute Höchstsumme (die Hälfte des Grundkapitals) begrenzt. Die Festlegung einer Obergrenze erschiene willkürlich und wäre generell keineswegs geeignet, den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Gesellschaften oder den Erwartungen der (Anlage-)Aktionäre Rechnung zu tragen. Eine Orientierung an der in § 254 AktG getroffenen Regelung („die Einstellung des Gewinnbetrages in die freie Rücklage ist bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung nicht notwendig, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft für einen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeiten übersehbaren Zeitraum zu sichern“) ist rechtlich nicht möglich. § 254 AktG bezieht sich nicht auf die Feststellung des Jahresabschlusses, sondern auf die der Entscheidung durch die Hauptversammlung vorbehaltene Verwendung des Bilanzgewinns (§§ 58 Abs. 3, 174 AktG), der verbleibt, nachdem die durch Gesetz, Satzung und festgestellten Jahresabschluss bestimmten Beträge aus dem Jahresüberschuss in die Rück-
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C. Gewährleistung der Kapitalerhaltung
lagen überführt worden sind. Soweit die Hauptversammlung über den Jahresabschluss hinaus weitere Beträge in die freie Rücklage einstellt (§ 58 Abs. 3 AktG), kann dieser Beschluss der anhand des § 254 AktG durchzuführenden Kontrolle unterworfen werden. Gegen Satzungsbestimmungen, die eine Gewinnverteilung teilweise oder ganz ausschließen, sind die (Minderheits-/Anlage-)Aktionäre nur durch das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit für Satzungsänderungen (§ 179 AktG) geschützt, soweit nicht die Anfechtungsgründe des § 243 Abs. 2 AktG in Betracht kommen.
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D. Der Vorstand I. Organstellung des Vorstandsmitglieds – Verhältnis von Organstellung und Anstellungsvertrag 1. Bestellung Vorstandsmitglieder bestellt der Aufsichtsrat nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG 414 auf höchstens fünf Jahre. Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit, jeweils für höchstens fünf Jahre, ist zulässig. Nach § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG ist dies nur durch einen Aufsichtsratsbeschluss möglich, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der bisherigen Amtszeit gefasst werden kann. Dadurch soll verhindert werden, dass sich die AG länger als fünf Jahre an ein Vorstandsmitglied bindet und dadurch wirtschaftlich untragbare Belastungen entstehen können. Der Aufsichtsrat soll spätestens nach fünf Jahren die Möglichkeit haben, sich von dem Vorstandsmitglied ohne einen wichtigen Grund i. S. d. § 84 Abs. 3 AktG und ohne eine Abfindung zu trennen. Als weiterer Zweck gerade des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG kommt hinzu, dass der Aufsichtsrat spätestens alle fünf Jahre gezwungen sein soll, sich in einer verantwortlichen Beratung über die Weiterbeschäftigung des Vorstandsmitglieds schlüssig zu werden. BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316.
Das dargestellte Regelungsgefüge und der damit verbundene Zweck erlaubt 415 grundsätzlich auch die Wiederbestellung eines Vorstandsmitglieds für höchstens fünf Jahre nach einverständlicher Amtsniederlegung früher als ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen Bestelldauer. Diese Vorgehensweise ist ohne das Vorliegen besonderer Gründe keine unzulässige Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG. Sie kann aber ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein. BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316 sowie Priester, ZIP 2012, 1781.
Vorstandsdoppelmandate in verschiedenen Aktiengesellschaften sind nicht 416 verboten; ihre Zulässigkeit hängt allein von der Zustimmung der Aufsichtsräte beider Gesellschaften zu der Doppeltätigkeit ab. BGH, Urt. v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 = ZIP 2009, 1162 Rn. 14, dazu EWiR 2009, 1162 (Blasche).
Das nur aufgrund der Mitwirkung eines anfechtbar oder nichtig gewählten 417 Aufsichtsratsmitglieds bestellte Vorstandsmitglied ist hinsichtlich seiner Vergütung und seiner Befugnis zur Geschäftsführung durch die Grundsätze über die fehlerhafte Bestellung geschützt. Der nach der Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl rechtmäßig zusammengesetzte Aufsichtsrat kann die fehler-
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D. Der Vorstand
hafte Bestellung bestätigen, kann sie aber auch – ebenso wie der Vorstand – beenden. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 24, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
2. Abberufung 418 Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied und die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstands nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen. BGH, Beschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 191 Rn. 2, dazu EWiR 2007, 119 (S. Krüger/Achsnick).
419 Ein wichtiger Grund ist nach § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG namentlich grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. 420 An den auf grobe Pflichtverletzung gestützten Widerruf einer Vorstandsbestellung, die sich ihrem Ende nähert, sind höhere Anforderungen zu stellen als an die Abberufung aus einem Amt, das noch längere Zeit andauern wird. Das folgt aus den zumeist nachhaltigen Außenwirkungen der Abberufung sowie daraus, dass es einer AG bei auslaufendem Organverhältnis eher zugemutet werden kann, ein Vorstandsmitglied trotz gewisser Unzuträglichkeiten im Amt zu belassen, als das bei noch länger währender Amtsdauer der Fall ist. Wenn die Abberufung unter besonderen Begleitumständen erfolgt, denen diffamierender Charakter zukommt – Verbot, sich in der Firma weiter zu betätigen, die Büro- und Betriebsräume der Gesellschaft zu betreten; Aufforderung, das in seinem Besitz befindliche Firmeneigentum einschließlich des Dienstwagens herauszugeben, ohne dass der Betroffene Veranlassung zu diesen Maßnahmen gegeben hat –, sind an sie besonders strenge Anforderungen zu stellen. BGH, Urt. v. 7.6.1961 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812.
421 Der in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG gleichfalls aufgeführte Grund des Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung, der auf nicht offenbar unsachlichen Gründen beruht, ist aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übernommen worden. Als unsachlich hat der Bundesgerichtshof einen Grund dann angesehen, wenn er nur als Vorwand genommen wird, willkürlich, völlig haltlos oder wegen der damit verfolgten Zwecke als rechtswidrig und unsittlich anzusehen ist. BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 193; BGH, Urt. v. 7.6.1956 – II ZR 221/55, WM 1956, 1182, 1184.
122
I. Organstellung des Vorstandsmitglieds
Auch wenn dem betroffenen Vorstandsmitglied subjektiv kein Vorwurf ge- 422 macht werden kann oder er objektiv im Recht ist, kann ein Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, dem ein Gutachten zugrunde liegt, das von der Ansicht des Vorstandsmitglieds abweicht, nicht als offenbar unsachlich gewertet werden, weil ein willkürlicher, haltloser oder sonst missbräuchlicher Vertrauensentzug nicht vorliegt. BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789.
Der Entzug des Vertrauens durch den Mehrheitsaktionär steht einem Ver- 423 trauensentzug durch die Hauptversammlung nicht gleich. BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812; insoweit überholt: BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, NJW 1954, 505, 506; abweichend, ohne dass es jedoch entscheidungserheblich war, für zwei Hauptaktionäre: BGH, Urt. v. 7.6.1956 – II ZR 221/55, WM 1956, 1182, 1184.
Die Hauptversammlung als das Organ, das über die Entlastung zu entscheiden 424 hat, ist mit Bedacht gewählt worden. Einmal soll auch den Minderheitsaktionären Gelegenheit gegeben werden, mit darüber zu entscheiden, ob dem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen werden soll. Zum anderen soll dem Vorstandsmitglied die Möglichkeit gewährt werden, sich vor der Hauptversammlung zu rechtfertigen. Dadurch wird zugleich gewährleistet, dass die Gründe für den Vertrauensentzug gegenüber den Mitgliedern der Hauptversammlung offengelegt werden und diese in Kenntnis der maßgebenden Umstände ihre Entscheidung treffen. Eine andere Wertung ist dann angebracht, wenn die Entscheidung durch einen Alleinaktionär oder zwei Aktionäre getroffen wird, denen alle Anteile an einer AG gehören und die außerhalb der Hauptversammlung eine Absprache über den Vertrauensentzug treffen. In diesen Fällen wäre es Formalismus, würde man das Vorliegen eines förmlichen Hauptversammlungsbeschlusses verlangen. Vgl. BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789.
Bei Insolvenzreife der Gesellschaft kann ein wichtiger Grund vorliegen, 425 wenn die Hausbank die Verlängerung der Kreditlinie von einem Wechsel des Vorstands abhängig macht. BGH, Beschl. v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 191 Rn. 5, dazu EWiR 2007, 119 (S. Krüger/Achsnick).
Der Aufsichtsrat hat eigenverantwortlich über den Widerruf zu befinden. 426 Ihm müssen die für diese Entscheidung maßgebenden Umstände bekannt gemacht werden. Denn nur so kann er sich eine Meinung darüber bilden, ob der Vertrauensentzug auf offenbar unsachlichen Gründen beruht. BGH, Urt. v. 23.2.1961 – II ZR 147/58, WM 1961, 569, 573 f.
Ist der Widerruf auf grobe Pflichtwidrigkeiten gestützt, ergeben die erhobenen 427 Vorwürfe aber keinen wichtigen Grund zum Widerruf, so wird dieser Wider123
D. Der Vorstand
ruf auch durch einen nachträglichen, mit den Pflichtwidrigkeiten begründeten Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung zumindest dann ohne erneuten ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats nicht wirksam, wenn aufgrund zwischenzeitlicher Feststellungen die Vorwürfe gegen das Vorstandsmitglied wesentlich milder beurteilt werden müssen. BGH, Urt. v. 23.2.1961 – II ZR 147/58, WM 1961, 569, 574.
428 Das Recht des Aufsichtsrats, ein Vorstandsmitglied abzuberufen, kann verwirkt sein, wenn er die ein Widerrufsrecht begründenden Umstände über einen längeren Zeitraum hinweg nicht zum Anlass nimmt, eine Abberufung auszusprechen und das Vorstandsmitglied aufgrund dessen nach Treu und Glauben annehmen konnte, er wolle auf diese Umstände zur Begründung des Widerrufs nicht zurückkommen. Dazu reicht es aber nicht aus, wenn die Abberufung unter Anführung dieser Gründe nicht sofort auf die Tagesordnung der nächsten Aufsichtsratssitzung gesetzt wird. Vielmehr muss dem Aufsichtsrat Gelegenheit gegeben werden, die Einzelheiten zu klären und zu versuchen, mit dem Vorstandsmitglied auf der nächsten Sitzung des Aufsichtsrats im Rahmen einer Aussprache zu einem Ausgleich zu kommen. BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 33 f. (GmbH), dazu EWiR 1992, 61 (Fleck).
429 Der Aufsichtsrat kann zur Begründung der Abberufung eines Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund auch nicht auf ihm bereits bei seiner Bestellung bekannte Vorgänge zurückgreifen. Durch die Berufung in das Amt des Vorstands macht er in eher noch höherem Maße als durch Absehen von der Abberufung aus dem Amt deutlich, dass er den bekannten Vorgang nicht als Hinderungsgrund für die Ausübung der Tätigkeit betrachtet. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine erstmalige Bestellung, eine Wiederbestellung nach Ablauf der Amtszeit oder um eine Neubestellung nach vorübergehendem Ausscheiden aus dem Amt handelt. BGH, Urt. v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, ZIP 1993, 1228, 1229 (GmbH), dazu EWiR 1993, 1209 (Günther); BGH, Urt. v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 194.
430 Zum Widerruf berechtigende Gründe, die im Zeitpunkt des Widerrufs bestanden haben, die aber entweder aus Unkenntnis oder aus anderen Gründen (z. B. Rücksichtnahme auf die Belange des Vorstandsmitglieds oder der Gesellschaft) nicht geltend gemacht worden sind, können im Rechtsstreit zur Begründung des Widerrufs nachgeschoben werden. BGH, Urt. v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 220, 221 (Handelsvertreter); BGH, Urt. v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, WM 1968, 1347 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 34 (GmbH), dazu EWiR 1992, 61 (Fleck).
124
I. Organstellung des Vorstandsmitglieds
Darüber, ob das geschehen soll, hat der Aufsichtsrat durch Beschluss zu 431 entscheiden (vgl. Rn. 1160 ff.). 3. Amtsbeendigung durch Verschmelzung Das Erlöschen eines Rechtsträgers im Zuge seiner Verschmelzung auf einen 432 anderen Rechtsträger führt zum Erlöschen der Ämter der Organe. BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467 Rn. 3 m. w. N; BGH, Beschl. v. 27.1.2015 – II ZB 7/14, ZIP 2015, 655 (Aufsichtsrat).
4. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsvertrag – Niederlegung des Amtes a) Trennungsgrundsatz § 84 AktG unterscheidet zwischen der Bestellung der Vorstandsmitglieder 433 (Absatz 1 Satz 1 – 4, Absatz 2; Absatz 3 Satz 1 – 4 AktG) und dem Anstellungsvertrag (Absatz 1 Satz 5, Absatz 3 Satz 5 AktG). Der körperschaftliche Akt der Bestellung und der Anstellungsvertrag, der zwischen Gesellschaft und dem Organmitglied zu schuldrechtlichen Beziehungen führt, begründen verschiedene Rechtsverhältnisse, die sich nicht wechselseitig bedingen, sondern die ein voneinander unabhängiges Schicksal haben können. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 142/52, LM AktG 1937 § 75 Nr. 5; BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110; BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 84 = ZIP 1980, 768 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 = ZIP 1981, 45 (Sparkasse); BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345, 346; BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1335 (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller); Vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, ZIP 2010, 1288 Rn. 9 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 7 (GmbH).
Aus dieser rechtlichen Trennung folgt grundsätzlich, dass beide Rechtsver- 434 hältnisse nach den jeweiligen dafür geltenden Vorschriften beendet werden (müssen). BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP 2003, 28, 29 (GmbH), dazu EWiR 2003, 259 (Frey); vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 7 (GmbH).
125
D. Der Vorstand
b) Niederlegung 435 Zwischen beiden Rechtsverhältnissen bestehen jedoch bestimmte Zusammenhänge, die zu tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen aufeinander führen können. Die wirksame Beendigung des Dienstverhältnisses entzieht der Organstellung regelmäßig den Boden, weil ein Vorstandsmitglied nicht bereit sein wird, ohne vertragliche Grundlage weiterzuarbeiten. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 142/52, LM AktG 1937 § 75 Nr. 5; BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 = ZIP 1981, 45 (Sparkasse).
436 Es hat daher ein berechtigtes Interesse daran, sein Vorstandsamt mit der Beendigung des Dienstvertrages niederzulegen. Denn es kann nicht gezwungen sein, die Verantwortung und das Haftungsrisiko, die ihm seine Organstellung aufbürden, unter Bedingungen weiter zu tragen, die ihm nicht zugemutet werden können. BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 84 = ZIP 1980, 768 (GmbH).
437 Wird daher das Dienstverhältnis infolge ordentlicher oder fristloser Kündigung vom Vorstandsmitglied aufgelöst, kann es auch das Organverhältnis beenden. BGH, Urt. v. 19.1.1961 – II ZR 217/58, WM 1961, 241 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 (GmbH).
438 Es ist jedoch auch anerkannt, dass Organmitglieder, denen die Weiterführung ihres Amts nicht zugemutet werden kann, nicht – nur um sich aus der Organstellung lösen zu können – gezwungen sein sollen, das für sie vielfach existentiell bedeutsame Anstellungsverhältnis ebenfalls zu kündigen oder, weil sie das nicht wünschen, das Vorstandsamt beizubehalten. Das Organmitglied wird daher allgemein als berechtigt angesehen, sein Amt niederzulegen, wenn es dafür einen wichtigen Grund geltend machen kann, aus dem ihm die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied nicht mehr zugemutet werden kann. Hat das Organmitglied sein Amt aus wichtigem Grund niedergelegt, kann es an seinem Dienstvertrag festhalten. Zwar ist sein soziales Schutzbedürfnis nicht so groß wie das eines Vorstandsmitglieds, dessen Organbestellung nach § 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG widerrufen wird. Denn dem kündigenden Organmitglied steht in dem Fall, dass die Gesellschaft auch die außerordentliche Kündigung des Dienstverhältnisses vertragswidrig verursacht hat, der Schadenersatzanspruch des § 628 Abs. 2 BGB zu, der sich der Höhe nach ganz oder nahezu vollständig mit den vertraglichen Ansprüchen decken kann. Gleichwohl kann ihm aber ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung des Anstellungsvertrages zuzubilligen sein. Er behält seine vertraglichen Rechte, soweit sie nicht unlösbar mit seiner Organstellung verbunden sind oder die Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB eingreift.
126
I. Organstellung des Vorstandsmitglieds
Hingegen ist ein schutzwürdiges Interesse der Gesellschaft, den Anstellungsvertrag aufgrund einer von ihr zu vertretenden Amtsniederlegung zu beenden, regelmäßig nicht gegeben. BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, ZIP 1992, 539 (GmbH), dazu EWiR 1992, 1075 (Melber).
Im Allgemeinen wird eine Auflösung des Dienstvertrags nicht vor dem Wider- 439 ruf der Organstellung (aus wichtigem Grund) in Betracht kommen. Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz, wonach ein Organmitglied seine Stellung mit Wirksamkeit nach außen nur dann aufgeben könnte, wenn objektiv bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen das möglich ist, muss an Hand einer Abwägung der Interessen der Betroffenen vorgenommen werden. Die Gesellschaft ist in der Regel in der Lage, ein neues Organmitglied zu bestellen und gegen das bisherige seinen schuldrechtlichen Anspruch zu verfolgen. Das Vorstandsmitglied hat die normalen Obliegenheiten und Risiken seines Amts mit der Bestellung auf sich genommen. Seine Belange werden nur dann berührt, wenn es gesetzwidrige oder ansonsten unzumutbare Handlungen ausführen soll. BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 84 ff. = ZIP 1980, 768 (GmbH).
Es ist zu einer Niederlegung seines Amtes dann nicht berechtigt, wenn die 440 Gesellschaft in eine wirtschaftliche Krise gerät und ihm die Fortführung des Amts nicht deswegen unzumutbar ist, weil das Organmitglied in dieser Lage nicht die erforderliche Unterstützung findet oder gar gedrängt wird, von der pflichtgemäßen Stellung eines Insolvenzantrags Abstand zu nehmen. Denn auch bei einem drohenden Zusammenbruch des Unternehmens hat es dessen Interessen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wahrzunehmen und die mit seinem Amt verbundenen Pflichten zu erfüllen. Der unberechtigte Versuch, sich diesen Pflichten zu entziehen, verstößt gegen den Dienstvertrag und kann eine Schadenersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft auslösen oder dieser einen Grund zur außerordentlichen Kündigung geben. Der Schutz der Kapitalgesellschaft, ihrer Organe und des Rechtsverkehrs hat Vorrang vor unklaren Vertretungsverhältnissen. Daher ist die aus wichtigem Grund erklärte Amtsniederlegung auch dann sofort wirksam, wenn über die objektive Berechtigung dieser Gründe gestritten wird. Würde man die Wirksamkeit einer auf wichtige Gründe gestützten Amtsniederlegung davon abhängig machen, dass diese Gründe objektiv durchgreifen, wäre das mit dem Eintritt einer großen Rechtsunsicherheit für die beteiligten Verkehrskreise verbunden. Das zurückgetretene Organmitglied müsste noch damit rechnen, zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt und verpflichtet zu sein, so dass zu den Risiken aus dem Anstellungsvertrag noch Haftungsrisiken hinzukommen würden. Bei den im Amt verbliebenen Vorstandsmitgliedern würden vergleichbare Unsicherheiten und Risiken entstehen. Die Gesellschaft müsste zumindest zeitweise für einen Vertretungsersatz sorgen. 127
D. Der Vorstand
Auf sie käme die Unsicherheit zu, ob zwischenzeitlich vorgenommene Vertretungshandlungen des Zurückgetretenen für und gegen sie wirksam geworden sind. Diese Unsicherheit bestünde auch für die Geschäftspartner der Gesellschaft. Das kann sich insbesondere bei der Entgegennahme einseitiger Willenserklärungen auswirken. Diese Umstände würden dazu führen, dass eine aus wichtigem Grund erklärte Amtsniederlegung, deren sachliche Berechtigung noch nicht feststeht, in einer Weise zu Lasten Dritter ausgetragen würde, die über das allgemeine, mit der vollmachtlosen Vertretung verbundene Risiko hinausginge. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs erscheint es daher angezeigt, die aus wichtigem Grund erklärte Amtsniederlegung auch dann als sofort wirksam anzusehen, wenn die objektive Berechtigung der Gründe umstritten ist. Dieser Gedanke hat in § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG für den Fall des Widerrufs seinen Niederschlag gefunden. BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 90 ff. = ZIP 1980, 768 (GmbH).
441 Mit dieser Entscheidung und ihrer Begründung hat der Bundesgerichtshof bereits die Weichen für die Wirksamkeit einer nicht auf einen angeblich vorhandenen wichtigen Grund gestützten Amtsniederlegung gestellt. Folgerichtig hat er im Recht der GmbH die sofortige Wirksamkeit einer ohne Begründung erklärten Amtsniederlegung für den Fall anerkannt, dass der Widerruf nach § 38 Abs. 2 GmbHG jederzeit möglich war. Nicht entschieden worden ist, ob diese Grundsätze auch gelten, wenn die Abberufung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes i. S. d. § 38 Abs. 2 GmbHG vorgenommen werden kann. BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 260 ff. = ZIP 1993, 430, 432 (GmbH), dazu EWiR 1993, 461 (Miller); vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2011, 641 (Wachter).
442 Da ein Vorstandsmitglied nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden kann (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG), ist die Entscheidung dieser Frage für das Aktienrecht noch offen. Auch die Frage, ob eine zur Unzeit oder rechtsmissbräuchlich vorgenommene Niederlegung als wirksam anerkannt werden kann, ist nicht beantwortet worden. BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 260 ff. = ZIP 1993, 430, 432 (GmbH), dazu EWiR 1993, 461 (Miller).
443 Wird das Vorstandsamt ohne ausreichenden Grund niedergelegt, ist die Niederlegung zwar nach außen sofort wirksam, kann jedoch eine Haftung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft auslösen oder diese berechtigen, ihrerseits das Anstellungsverhältnis fristlos zu kündigen. BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = ZIP 1980, 768 (GmbH).
128
I. Organstellung des Vorstandsmitglieds
c) Angebot einer anderweitigen Tätigkeit Die Gesellschaft kann dem Vorstandsmitglied einen angemessenen ander- 444 weitigen Tätigkeitsbereich anbieten. Um zu vermeiden, dass der Dienstvertrag fristlos gekündigt wird, ist das Mitglied verpflichtet, ein angemessenes Angebot auf anderweitige Beschäftigung anzunehmen, seine frühere Tätigkeit wieder aufzunehmen, wenn die Gründe für deren Aufgabe beseitigt sind, oder sich um eine andere Anstellung zu bemühen. BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969 (GmbH); BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH).
In eine ähnliche Situation, in der Organbestellung und Dienstvertrag nicht 445 nur rechtlich, sondern auch tatsächlich auseinanderlaufen, kann das Vorstandsmitglied bei Widerruf infolge verschuldeten Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung geraten. BGH, Urt. v. 14.7.1966- II ZR 212/64, WM 1966, 968 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH).
5. Kein schuldrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Vorstand Ein schuldrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Vorstand lässt 446 sich aus einem – etwa wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes oder bei wirksamer Vereinbarung von § 53 Abs. 3 BAT – fortbestehenden Anstellungsvertrag nach Widerruf der Bestellung nicht herleiten. Der Vorstand, dessen Bestellung widerrufen wurde, hat keinen „anstellungsvertraglichen Beschäftigungsanspruch“. Vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, ZIP 2003, 28 (GmbH), dazu EWiR 2003, 259 (Frey); BGH, Urt. v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 7 (GmbH).
Der wirksam abberufene Vorstand hat bei fortbestehendem Anstellungsver- 447 hältnis grundsätzlich – soweit nichts anderes vereinbart ist – auch keinen Anspruch auf Beschäftigung in einer seiner früheren Tätigkeit vergleichbaren leitenden Funktion. Der Bundesgerichtshof hat sich bereits in früheren Entscheidungen damit befasst, ob der aus seiner Organstellung Abberufene gehalten sein kann, eine andere angemessene Beschäftigung unterhalb der Organstellung bei der Gesellschaft auszuüben. Vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319; siehe oben Rn. 444.
129
D. Der Vorstand
448 Die hiervon zu unterscheidende Frage, ob der abberufene Vorstand aus dem fortbestehenden Anstellungsverhältnis einen Anspruch auf Beschäftigung in einer seiner früheren Tätigkeit vergleichbaren leitenden Funktion hat, hat, der Bundesgerichtshof grundsätzlich verneint. BGH, Urt. v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 9 (GmbH); noch offengelassen in BGH, Urt. v. 2.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 45 f.
449 Ausgangspunkt dafür ist die Auslegung des Anstellungsvertrags. Dieser kann zwar im Fall der Abberufung aus der Organstellung einen Anspruch auf Beschäftigung in einer ähnlichen Position als leitender Angestellter vorsehen. Der Anstellungsvertrag hat aber regelmäßig nur die Beschäftigung als Vorstand zum Inhalt. Eine Tätigkeit unterhalb der Organebene ist typischerweise nicht vereinbart. Sie stellt ein aliud zu der Geschäftsleitertätigkeit dar und kann deshalb aus dem Anstellungsvertrag nicht hergeleitet werden. BGH, Urt. v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 9 (GmbH).
6. Bemessung des Streitwerts im Verfahren über die Beendigung der Organstellung 450 Ist Gegenstand des Rechtsstreits die Abberufung eines Organmitglieds ist maßgeblich für die Bestimmung des Werts je nach Prozesssituation entweder das Interesse daran, dem Geschäftsleiter die Lenkungs- und Leitungsmacht zu erhalten bzw. das gegenteilige Interesse, den Geschäftsleiter von der Geschäftsführung fernzuhalten (§ 3 ZPO). Vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345 (GmbH); BGH, Beschl. v. 22.5.1995 – II ZR 247/94, WM 1995, 1316; BGH, Beschl. v. 6.11.2000 – II ZR 144/99, juris (GmbH).
451 Ebenso wenig wie in diesem Zusammenhang das Gehaltsinteresse des Abberufenen zu berücksichtigen ist, darf bei der Wertfestsetzung darauf abgestellt werden, welche Ansprüche die Gesellschaft aus einer etwa wirksamen Abberufungsentscheidung herleiten kann. vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345 (GmbH); BGH, Beschl. v. 22.5.1995 – II ZR 247/94, WM 1995, 1316; BGH, Beschl. v. 6.11.2000 – II ZR 144/99, juris (GmbH).
452 Wendet sich der Geschäftsleiter daher mit der Klage nur gegen seine Abberufung und nicht auch zusätzlich gegen die Beendigung seines Dienstverhältnisses, so richtet sich im Falle eines Rechtsmittels gegen ein klageabweisendes Urteil der Wert der Beschwer ebenso wie der Streitwert gem. § 3 ZPO nach
130
II. Anstellungsverhältnis
seinem Interesse, weiterhin Geschäftsleiter der Gesellschaft zu sein und damit die Lenkungs- und Leitungsmacht in der Hand zu behalten. BGH, Beschl. v. 2.3.2009 – II ZR 59/08, GmbHR 2009, 995.
II. Anstellungsverhältnis 1. Rechtliche Einordnung Der mit der AG abgeschlossene Anstellungsvertrag (§ 84 Abs. 1 Satz 5, Abs. 3 453 Satz 5 AktG) ist ein auf die Geschäftsbesorgung durch Ausübung des Vorstandsamts gerichteter freier Dienstvertrag (§§ 611, 675 BGB), der nachrangig zum gesellschaftsrechtlichen Organverhältnis diejenigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Vorstand und der Gesellschaft regelt, welche nicht bereits durch die organschaftliche Stellung des Geschäftsführers vorgegeben sind. BGH, Urt. v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143; BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31 (GmbH); vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, ZIP 2010, 1288 Rn. 7 (GmbH).
a) Grundsätzlich keine Anwendung arbeitsrechtlicher (Schutz-)Vorschriften Der Anstellungsvertrag begründet für die Vorstandsmitglieder keine Arbeit- 454 nehmerstellung. Denn sie üben als Mitglieder des Vertretungsorgans der AG gegenüber deren Arbeitnehmern selbst das Weisungsrecht des Arbeitgebers und seine sonstigen Funktionen aus und stehen nicht in gleicher Weise wie diese in einem sozialen Abhängigkeitsverhältnis. BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191 (AG); BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 8 f. (AG); BGH, Urt. v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143 (AG); BGH, Urt. v. 3.12.1962 – II ZR 63/60, WM 1963, 161(GmbH) ; BGH, Urt. v. 14.5.1964 – II ZR 191/61, WM 1964, 675, 677 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31 (GmbH); BGH, Urt. v. 7.12.1987 – II ZR 206/87, ZIP 1988, 568, 569 (GmbH), dazu EWiR 1988, 341 (V. Groß); BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957 (GmbH); BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, ZIP 2007, 1566 (GmbH).
In diesem Zusammenhang ist in Bezug auf Geschäftsleiter u. a. folgendes 455 entschieden worden: x
Weil kein Arbeitsverhältnis vorliegt, finden die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes auf den Anstellungsvertrag des Vorstands keine 131
D. Der Vorstand
Anwendung. Dies wird durch die gesetzliche Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG bestätigt, welche im Wege einer negativen Fiktion die Unanwendbarkeit der allgemeinen Kündigungsschutzbestimmungen im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes für Organvertreter einer juristischen Person unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses im Einzelfall anordnet. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191; BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 5; BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, ZIP 2000, 508, 509 f. (Sparkasse), dazu EWiR 2000, 381 (A. Junker); BGH, Beschl. v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, ZIP 2007, 910 Rn. 6 (GmbH); BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, ZIP 2010, 1288 Rn. 7 (GmbH).
x
Ebenso wenig finden einzelne Kündigungsschutznormen des Schwerbehindertengesetzes Anwendung. BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH).
x
Anstellungsverträge des Geschäftsleiters unterliegen nicht den Vorschriften über Arbeitnehmererfindungen. BGH, Urt. v. 22.10.1964 – Ia ZR 8/64, GRUR 1965, 302; BGH, Urt. v. 24.10.1989 – II ZR 58/88, WM 1990, 350 (GmbH & Co. KG).
x
Die Vorstandsmitglieder können sich bei Verletzung ihrer Dienstpflichten grundsätzlich nicht auf eine Haftungsbeschränkung bei betrieblich veranlasster Tätigkeit (früher: gefahrgeneigter Arbeit) berufen. BGH, Urt. v. 27.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467, 469 (Genossenschaft).
x
Betriebliche Übungen oder tarifliche Regelungen können nicht ohne weiteres unter dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Behandlung von Arbeitnehmern im Arbeitsrecht auf den mit dem Geschäftsleiter individuell ausgehandelten Dienstvertrag übertragen werden. BGH, Urt. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143; BGH, Urt. v. 17.2.1969 – II ZR 19/68, WM 1969, 686 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506; BGH, Urt. v. 5.10.1978 – II ZR 53/77, WM 1978, 1402, 1403.
x
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelten die an dem arbeitsrechtlichen Schutz von Handlungsgehilfen orientierten Vorschriften der §§ 74 ff. HGB grundsätzlich nicht für den Geschäftsführer einer GmbH BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1 = ZIP 1984, 954 (GmbH);
132
II. Anstellungsverhältnis BGH, Urt. v. 17.2.1992 – II ZR 140/91, ZIP 1992, 543 (GmbH), dazu EWiR 1992, 569 (Volhard); vgl. BGH, Urt. v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, ZIP 2002, 709, 710 (GmbH), dazu EWiR 2002, 521 (von Hoyningen-Huene); BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 (GmbH).
und auch nicht für den Vorstand einer Aktiengesellschaft. x
Für das Entstehen einer Altersversorgung kann sich der Geschäftsleiter nur auf eine individuelle Vereinbarung, nicht aber auf die Ruhegeldordnung, eine betriebliche Übung oder auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. BGH, Urt. v. 20.12.1993 – II ZR 217/92, ZIP 1994, 206 m. w. N. (GmbH), dazu EWiR 1994, 327 (Heubeck/Oster).
x
Vorstandsmitglieder sind grundsätzlich nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden. BGH, Urt. v. 7.12.1987 – II ZR 206/87, ZIP 1988, 568, 569 (GmbH), dazu EWiR 1988, 341 (Groß).
b) Schutzbedürfnis des Vorstands Zunehmend unterscheidet die Rechtsprechung jedoch zwischen der Stellung 456 des Vorstandsmitglieds als Organ und Funktionsträger arbeitgeberrechtlicher Befugnisse und seiner Stellung als Dienstverpflichteter, der persönliche Dienstleistungen erbringt, dessen persönliche und wirtschaftliche Existenz auf dem Dienstleistungsvertrag beruht und der aus diesem Grunde ebenfalls ein persönliches und wirtschaftliches Schutzbedürfnis hat. Das hat sich bisher u. a. dahin ausgewirkt: x
457
dass dem Vorstand Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO, BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 113 (Ruhestandsbezüge),
x
ein Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses nach § 630 BGB, BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30 (GmbH),
x
und ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung, BGH, Urt. v. 3.12.1962 – II ZR 201/61, WM 1963, 159 (GmbH),
gewährt wurde. Unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Treuepflicht wurde x
458
die Anwendung des § 323 BGB a. F. eingeschränkt BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 192 f.,
x
und die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB angewandt. 133
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = ZIP 1984, 1088 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115 = ZIP 1990, 1057 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1209 (Priester).
x
Der Geschäftsführer einer GmbH, der nicht nennenswert an der Gesellschaft beteiligt ist, durfte sich zur Durchsetzung einer Gehaltserhöhung oder der Zahlung von Boni auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, soweit als vergleichbare Fälle diejenigen von Mitgeschäftsführern oder leitenden Angestellten in Betracht kommen. BGH, Urt. v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, ZIP 1990, 859, 860, dazu EWiR 1990, 789 (Schaub).
459 Die Insolvenzsicherung nach §§ 7, 17 BetrAVG gilt auch für Vorstandsmitglieder, soweit sie nicht maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt sind. Vgl. BGH, Hinweisbeschl. v. 24.9.2013 – II ZR 396/12, ZIP 2014, 191 m. w. N. (GmbH).
c) Diskriminierungsschutz nach dem AGG 460 Anlässlich des Falls des medizinischen Geschäftsführers der als GmbH geführten Kliniken der Stadt Köln hat sich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf GmbH-Geschäftsführer geäußert. Der klagende Geschäftsführer war bis zum Ablauf seiner Amtszeit am 31.8.2009 Geschäftsführer der beklagten GmbH. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft hatte über den Abschluss, die Aufhebung und die Änderung des Dienstvertrags der Geschäftsführer zu entscheiden. In dem mit einer Laufzeit von fünf Jahren abgeschlossenen Dienstvertrag des Klägers war vereinbart, dass die Vertragsparteien spätestens 12 Monate vor Vertragsablauf mitteilen, ob sie zu einer Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren. Der Aufsichtsrat der Beklagten beschloss im Oktober 2008, das Anstellungsverhältnis mit dem im Zeitpunkt der (regulären) Vertragsbeendigung 62 Jahre alten Kläger nicht über den 31.8.2009 hinaus fortzusetzen. Die Stelle des medizinischen Geschäftsführers wurde vielmehr mit einem 41-jährigen Mitbewerber besetzt. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Berufungsgerichts, der Kläger sei in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden, bestätigt. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 (m. Anm. Paefgen), dazu EWiR 2012, 437 (Bross).
461 Der persönliche Anwendungsbereich des AGG war bereits nach § 6 Abs. 3 AGG eröffnet. Danach gelten die Vorschriften des zweiten Abschnitts des Gesetzes für Geschäftsführer entsprechend, soweit es u. a. die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit betrifft. Damit konnte der Senat offenlassen, ob ein Fremdgeschäftsführer, der – wie im entschiedenen Fall der
134
II. Anstellungsverhältnis
Kläger – nicht an der GmbH beteiligt ist, im Wege der Auslegung des § 6 Abs. 1 AGG als Beschäftigter, insbesondere als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift, anzusehen ist. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 Rn. 16 f. (m. Anm. Paefgen), dazu EWiR 2012, 437 (Bross).
Dies gilt nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 AGG für Vorstände einer AG in 462 gleicher Weise. Auch die eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast enthaltende Vor- 463 schrift des § 22 AGG ist auf die Bestellung eines Geschäftsleiters anwendbar. Sie steht zwar nicht im zweiten Abschnitt des AGG, wie es § 6 Abs. 3 AGG seinem Wortlaut nach für die Anwendbarkeit von Vorschriften auf Organmitglieder voraussetzt. Die Auslegung der Norm anhand ihres Schutzzwecks ergibt jedoch, dass sie auch auf Organmitglieder zur Anwendung kommt. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 Rn. 26 f. (m. Anm. Paefgen), dazu EWiR 2012, 437 (Bross).
Entscheidet ein Gremium – wie im entschiedenen Fall der Aufsichtsrat – 464 über die Bestellung und Anstellung eines Bewerbers, reicht es für die Vermutungswirkung des § 22 AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung i. S. d. § 7 Abs. 1 AGG vermuten lassen. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 Rn. 35 f. (m. Anm. Paefgen), dazu EWiR 2012, 437 (Bross).
2. Vertragliche Ausgestaltung des Anstellungsverhältnisses – Rechte und Pflichten der Vorstandsmitglieder a) Privatautonome Gestaltungsfreiheit Die Parteien des Anstellungsvertrags können, unter Beachtung der spezifischen 465 Besonderheiten, die die Organfunktion des Geschäftsleiters mit sich bringt, die Geltung arbeitsrechtlicher Vorschriften – wie etwa diejenigen des Kündigungsschutzgesetzes – vereinbaren (zur Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Vorschriften Rn. 454 ff.). Hierzu hat der II. Zivilsenat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2010, einen GmbH-Geschäftsführer betreffend, folgendes ausgeführt: Die rechtliche Einstufung des Geschäftsführeranstellungsvertrags als freier 466 Dienstvertrag schließt es nicht aus, dass die Parteien in Ausübung ihrer privatautonomen Gestaltungsfreiheit die entsprechende Geltung arbeitsrechtlicher Normen vereinbaren und auf diese Weise deren Regelungsgehalt zum Vertragsinhalt machen. Wegen der Nachrangigkeit des Anstellungs-
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D. Der Vorstand
verhältnisses gegenüber der Organstellung dürfen solche dienstvertraglichen Abreden allerdings nicht in die gesetzliche oder statutarische Ausgestaltung des Organverhältnisses eingreifen. Der vertragliche Gestaltungsspielraum der Parteien wird daher durch die zwingenden Anforderungen begrenzt, welche sich im Interesse einer Gewährleistung der Funktionstüchtigkeit der Gesellschaft aus dem Organverhältnis ergeben. Diese Grenze privatautonomer Gestaltung wird durch die Vereinbarung über die entsprechende Geltung der materiellen Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes nicht überschritten. BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, ZIP 2010, 1288 Rn. 8.
Ob und inwieweit diese Grundsätze auf den Vorstand einer Aktiengesellschaft übertragen werden können, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden. b) Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats 467 Nach § 84 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 AktG kann der Anstellungsvertrag vorsehen, dass er für den Fall einer Verlängerung der Amtszeit bis zu deren Ablauf weiter gilt. Eine automatische Verlängerung der Anstellung über die Gesamtzeit von fünf Jahren hinaus ohne diesen Vorbehalt ist ausgeschlossen, weil dadurch die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats in zeitlicher Hinsicht stärker eingeschränkt würde als es das Gesetz erlaubt. Ansonsten kann eine automatische Verlängerung des nicht gekündigten Anstellungsvertrags nur bis zur Höhe der Gesamtbestellungsdauer von fünf Jahren vorgesehen werden, u. U. auch dann, wenn das Organverhältnis schon vorher abläuft, weil etwa der Anstellungsvertrag später geschlossen worden ist. BGH, Urt. v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506; BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, WM 1975, 1237, 1239 (insoweit in BGHZ 65, 190 nicht abgedruckt); BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111; BGH, Urt. v. 19.5.1980 – II ZR 169/79, ZIP 1980, 896, 897 = WM 1980, 1139, 1140.
468 Eine Vereinbarung, einem Vorstandsmitglied für den Fall seiner fristlosen Kündigung das volle Gehalt weiterzuzahlen, verstößt gegen den Grundsatz, dass der Aufsichtsrat in der Freiheit seiner Entschließung zur Organbestellung nicht ungewöhnlich beeinträchtigt werden darf. Sie kann – im Wege der geltungserhaltenden Reduktion – in Höhe eines angemessenen Betrages aufrechterhalten werden. BGH, Urt. v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 367 (AG/Genossenschaft).
469 Diese Entschließungsfreiheit wird hingegen nicht von einer Vereinbarung tangiert, mit der einem 62-jährigen Vorstandsmitglied eine hohe – bei Heranziehung vergleichbarer Umstände jedoch angemessene – Vergütung zugesagt wird, der aufgrund seiner Fähigkeiten und Erfahrungen zur Sanierung in das
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II. Anstellungsverhältnis
Unternehmen berufen worden ist und der einen Versorgungsanspruch eines Großunternehmens aufgegeben hat, in dem er lange leitend tätig war. BGH, Urt. v. 27.5.1957 – II ZR 178/56, WM 1957, 846; BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397.
c) Stillschweigende Verlängerung Gegen die Anwendung des § 625 BGB (stillschweigende Verlängerung) auf 470 den Anstellungsvertrag mögen sich keine Bedenken ergeben, wenn man den Zeitraum jeweils auf die Dauer der Organbestellung beschränkt. Dem Zweck des § 84 Abs. 1 AktG, die Bestellung und Anstellung der Vorstandsmitglieder im Interesse der Gesellschaft zeitlich zu beschränken, und der ausdrücklichen Regelung, eine Wiederbestellung sowie eine Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses zumindest von einem ausdrücklich gefassten Beschluss des Aufsichtsrats über die erneute Bestellung abhängig zu machen, würde es widersprechen, die Rechtswirkungen dieser Vorschrift auch auf eine den Bestellungszeitraum von fünf Jahren überschreitende Dauer zu erstrecken. Ein unverzüglicher Widerspruch i. S. d. § 625 BGB kann auch darin gesehen werden, dass der Aufsichtsrat der AG kurz vor oder sofort nach Ablauf der Dienstzeit Verhandlungen über den Abschluss eines geänderten Dienstvertrages aufnimmt. BGH, Urt. v. 16.2.1967 – II ZR 53/66, WM 1967, 540.
d) Vergütung der Vorstandsmitglieder – Tantiemevereinbarungen Für die Entscheidung über die Vergütung der Vorstandsmitglieder und für 470a den Abschluss der die Vergütung betreffenden Verträge ist nach § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1, §§ 87, 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig. Der Abschluss dieser Verträge fällt auch dann in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, wenn sie von der Gesellschaft nicht mit dem Vorstandsmitglied selbst, sondern einem Dritten abgeschlossen werden und mit diesem eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit vereinbart wird. Nur dadurch ist der Gleichlauf von Bestellungs- und Anstellungskompetenz gewährleistet. Unter diese „Drittanstellungsverträge“ fällt auch bei der Bestellung eines vorübergehenden Vorstandsmitglieds, das selbst in einem Vertragsverhältnis zu einem Dritten steht, der Abschluss eines Vertrags über die Vergütung dieses Dritten für die Vermittlung sowie Stellung des Vorstandsmitglieds und für seine Vorstandstätigkeit. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 24.
Die Vergütung der Vorstandsmitglieder erfolgt durch Zahlung eines ange- 471 messenen Gehalts und Gewährung von Nebenleistungen (insbesondere Überlassung des Dienstfahrzeugs zur privaten Nutzung, Mietersatz, Übernahme von Versicherungsprämien und Gewährung einer Altersversicherung, Tantie-
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D. Der Vorstand
men). Es bestehen keine Bedenken, antragsgemäß ein auf Zahlung von Bruttogehalt lautendes Urteil zu erlassen. Sämtlich zu Dienstfahrzeugen zur privaten Nutzung BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111; BGH, Urt. v. 9.4.1990 – II ZR 1/89, ZIP 1990, 636, dazu EWiR 1990, 661 (Roth); BGH, Urt. v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, ZIP 1991, 509, 511, dazu EWiR 1991, 469 (Meyer-Landrut); angemessenes Gehalt BGH, Urt. v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227 = ZIP 1990, 784, dazu EWiR 1990, 701 (Fleck); sämtlich zur Altersversorgung BGH, Urt. v. 17.3.1980 – II ZR 178/79, ZIP 1980, 661, 662; BGH, Urt. v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, BGHZ 77, 233, 234 f. = ZIP 1980, 556; BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 259/88, ZIP 1989, 1418; BGH, Urt. v. 1.2.1993 – II ZR 1/92, ZIP 1993, 435, dazu EWiR 1993, 459 (Schaub); BGH, Urt. v. 19.12.1994 – II ZR 244/93, ZIP 1995, 210, dazu EWiR 1995, 323 (Griebeling).
472 Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 AktG a. F. konnte den Vorstandsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine Beteiligung am Gewinn gewährt werden. Diese sollte in der Regel in einem Anteil am Jahresgewinn der Gesellschaft bestehen (Satz 2). Die Vorschrift wurde zum 25.7.2002 durch das TransPuG aufgehoben. Aktienrechtlich sind Tantiemen jetzt allein am Maßstab des § 87 Abs. 1 AktG zu messen. Für die Berechnung einer Gewinntantieme und die Auslegung einer Tantiemevereinbarung kann teilweise auf die Spruchpraxis zu § 86 AktG a. F. zurückgegriffen werden, Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 87 Rn. 44; Spindler, in: MüchKomm-AktG, § 87 Rn. 43; Ziemons, in: Ziemons/Binnewies, Rn. I 8.344,
weshalb diese hier weiter dargestellt werden soll. 473 Mit Fragen der Gewinntantieme von Vorstandsmitgliedern hat sich das Urteil BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 12/99, BGHZ 145, 1 = ZIP 2000, 1438, dazu EWiR 2001, 245 (Leuering)
befasst. 474 Nach dem Anstellungsvertrag hatte die AG dem Vorstandsmitglied eine variable Tantieme von 8.500 DM pro Prozentpunkt Dividende zu gewähren. Im Geschäftsjahr 1994/95 ergab sich bei einem Jahresüberschuss von 20 Mio. DM, einem Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in Höhe von 1 Mio. DM und nach Auflösung anderer Gewinnrücklagen i. S. d. §§ 58 Abs. 2 AktG ein Bilanzgewinn von 34 Mio. DM. Die Hauptversammlung beschloss, von dem Bilanzgewinn 18 Mio. DM als Sonderzahlung (EK 50) und 3,5 Mio. DM als Dividende auszuschütten sowie 12,5 Mio. DM in andere Gewinnrücklagen einzustellen. Die AG wollte die Tantieme nach dem Betrag von 3,5 Mio. DM 138
II. Anstellungsverhältnis
bemessen, das Vorstandsmitglied war der Ansicht, als Messbetrag kämen 21,5 Mio. DM in Betracht. Der II. Zivilsenat hat dem Vorstandsmitglied im Grundsatz Recht gegeben – 475 sieht man einmal von einigen hier nicht weitere interessierenden Besonderheiten ab: Nach § 86 Abs. 2 AktG a. F. berechnet sich die Gewinntantieme nach dem Jahresüberschuss, vermindert um den Verlustvortrag aus dem Vorjahr und um die Beträge, die nach Gesetz oder Satzung aus dem Jahresüberschuss in Gewinnrücklagen einzustellen sind (§ 58 Abs. 1 AktG). Danach sind von Vorstand und Aufsichtsrat (Abs. 2) oder der Hauptversammlung (Abs. 3) in andere Gewinnrücklagen eingestellte Beträge der Gewinntantieme zugrunde zu legen. Im vorliegenden Falle war das aber – zulässigerweise – abbedungen, weil die Parteien als Bemessungsgrundlage die „Dividende“ vereinbart hatten. Was sie darunter verstanden, hatten sie nicht definiert. Auch eine gesetzliche Definition des Begriffs „Dividende“ gibt es nicht. Das Gesetz erläutert nur, was – und was nicht – an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf (§§ 57, 62 AktG). Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung an dem von § 86 Abs. 1 AktG verfolgten Zweck ausgerichtet. Das Gesetz lasse für die Tantiemeberechnung die Berücksichtigung der in andere Gewinnrücklagen eingestellten Beträge zu. Eine doppelte Berücksichtigung dieser Rücklagen für den Fall ihrer Auflösung vermeide es dadurch, dass es auf den Jahresüberschuss abstelle. Zusätzlich trage es dem Gedanken der Unternehmenssicherung durch Eigenfinanzierung Rechnung, soweit es anordne, dass der Verlustvortrag aus dem Vorjahr und die nach Gesetz oder Satzung in Gewinnrücklagen einzustellenden Beträge von dem Jahresüberschuss abzuziehen seien. Einen weitergehenden Schutzzweck verfolge es nicht. Vereinbarten daher Gesellschaft und Vorstandsmitglied eine dividendenabhängige Tantieme, bei der die in andere Gewinnrücklagen eingestellten Beträge nicht berücksichtigt würden, stehe nichts entgegen, sie der Berechnung in dem Geschäftsjahr zugrunde zu legen, in dem sie zur Ausschüttung an die Aktionäre aufgelöst würden. Mit einer solchen Regelung werde nur der Zeitpunkt verschoben, in dem Gewinne bei der Tantiemeberechnung berücksichtigt werden sollten. BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 12/99, BGHZ 145, 1 = ZIP 2000, 1438, 1439, dazu EWiR 2001, 245 (Leuering).
Zur Frage der Umsatztantieme hat der Bundesgerichtshof,
476
BGH, Urt. v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, WM 1976, 1226, 1227; BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, ZIP 1992, 1152, 1154, dazu EWiR 1992, 825 (Fleck),
für die GmbH Stellung genommen: Die Gewährung einer Tantieme beruht gewöhnlich auf dem Gedanken, den Geschäftsführer am Erfolg seiner Tätigkeit für das Unternehmen zu beteiligen, um ihm einen Anreiz zu erhöhten Leistungen zu geben. Diesem Zweck kann nicht nur eine gewinnabhängige, sondern auch eine umsatzabhängige Tantieme dienen. Bei der Gewinntan-
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D. Der Vorstand
tieme schlägt sich das Bilanzergebnis in der Höhe der Vergütung nieder, Gewinn und Verlustrisiko liegen auf beiden Seiten. Die Umsatztantieme motiviert den Geschäftsführer dazu, gute Geschäfte zu erzielen. Zwar tragen auch hier beide Seiten bis zu einem gewissen Grade das Risiko der Geschäftsentwicklung, jedoch haftet dieser Tantieme der Nachteil an, dass die Umsatzzahlen nicht notwendigerweise den kaufmännischen Erfolg widerspiegeln. Dadurch kann der Geschäftsführer der Versuchung erliegen, die Umsätze auf Kosten der Rentabilität in die Höhe zu treiben. Das bedeutet aber nicht, dass die Gewährung einer Umsatztantieme bei vernünftiger kaufmännischer Betrachtung grundsätzlich nicht zulässig wäre. Es kommt darauf an, unter welchen Voraussetzungen sie gewährt wird. Ist der Geschäftsführer zu 90 % Gesellschafter der GmbH, müsste er eine auf Kosten der Rentabilität erzielte Umsatzsteigerung, die er mit Rücksicht auf die zu erzielende Tantieme anstreben würde, letztlich selbst tragen. Daher wird er im eigenen Interesse für ein ausgewogenes Verhältnis von Rentabilität und Umsatz Sorge tragen. Bedenklich wird die Gewährung einer Umsatztantieme erst dann, wenn sie zu einer völlig unangemessenen Höhe der Vergütung führt. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die üblicherweise für die Festsetzung einer angemessenen Vergütung von Bedeutung sind. Dazu gehören Art und Umfang der Tätigkeit, Art, Größe und Leistungsfähigkeit des Betriebes, Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Fähigkeiten des Geschäftsführers ebenso wie eine besondere, auf den Betrieb zugeschnittene Qualifikation. Die Mindesttantieme hat der Bundesgerichtshof als feste, zusätzliche, auch bei fehlendem Gewinn zu zahlende Vergütung umschrieben und insoweit als unbedenklich erachtet. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, ZIP 1992, 1152, 1154, dazu EWiR 1992, 825 (Fleck); BGH, Urt. v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, WM 1976, 1226, 1227.
477 Die Höhe der einem Geschäftsführer zugesagten, vom Jahreserfolg abhängigen Tantieme, für deren Summe, soweit sie einen bestimmten Mindestbetrag übersteigt, die Gesellschaft erst noch eine Bemessungsgrundlage zu erarbeiten hat, ist gem. § 315 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmen, soweit die Bemessungskriterien noch nicht erarbeitet worden sind. BGH, Urt. v. 9.5.1994 – II ZR 128/93, ZIP 1994, 1017 (GmbH), dazu EWiR 1994, 853 (Scheuch).
e) Übergang dienstvertraglicher Rechte und Pflichten bei der Umwandlung 478 Übernimmt eine AG im Wege der übertragenden Umwandlung das Vermögen einer GmbH & Co. KG (§ 44 Abs. 1 Satz 2 UmwG a. F. = §§ 214 ff. UmwG n. F.), so gehen die Rechte und Pflichten aus einem Dienstvertrag, den diese zur Führung der Geschäfte der GmbH mit einem Dritten abgeschlossen hat, auf die AG über. Die Frage, ob dieser Dienstvertrag inhaltlich
140
II. Anstellungsverhältnis
den aktienrechtlichen Erfordernissen angepasst werden muss, hat der Bundesgerichtshof nicht entschieden. BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 296, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
Auch die formwechselnde Umwandlung einer GmbH in eine GmbH & Co. 479 KG führt zwar zu einer Beendigung der ursprünglichen Organstellung des Geschäftsführers; sein Anstellungsvertrag bleibt aber davon unberührt und setzt sich mit der GmbH & Co. KG fort, ohne dass sich die Rechtsnatur des Vertrags dadurch ändert. BGH, Beschl. v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, ZIP 2007, 910.
Wird eine AG in eine GmbH umgewandelt, wird das Vorstandsmitglied zum 480 Geschäftsführer berufen und wird bis zu seiner Abberufung nach dem seinerzeit mit der AG geschlossenen Dienstvertrag verfahren, dann gelten die Regelungen dieses Vertrags auch für das zu der GmbH bestehende Dienstverhältnis. BGH, Urt. v. 12.5.1997 – II ZR 50/96, ZIP 1997, 1106, 1108 (AG/GmbH).
f) Allgemeiner Treue – und Fürsorgeanspruch Auch das Vorstandsmitglied einer AG hat Anspruch auf die Treue und Für- 481 sorge der Gesellschaft, soweit seine persönliche und wirtschaftliche Existenz betroffen ist, mag dieser Anspruch auch nicht die gleiche Intensität aufweisen wie der eines unselbständigen Arbeitnehmers. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 192 f.; BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 344; BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 32 (GmbH).
3. Beendigung des Dienstverhältnisses Nach § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG gelten für die Ansprüche aus dem Anstel- 482 lungsvertrag die allgemeinen Vorschriften. Das sind die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen über den Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB). Nach § 620 Abs. 1 BGB endet der Dienstvertrag mit dem Ablauf der Zeit, für die er eingegangen worden ist. Vor Ablauf der Frist kann er gem. § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden. Ist keine Dauer bestimmt, erfolgt die Auflösung durch ordentliche Kündigung gem. §§ 621, 622 BGB (§ 620 Abs. 2 BGB). a) Ordentliche Kündigung aa) Anwendbarkeit des § 622 Abs. 1 und 2 BGB Dienstverhältnisse, die keine Arbeitsverhältnisse i. S. d. § 622 BGB sind, 483 können an sich nach Maßgabe des § 621 BGB gekündigt werden. Auf Dienstverhältnisse der Vorstände einer AG ist aber die für Arbeitsverhältnisse gel141
D. Der Vorstand
tende Vorschrift des § 622 Abs. 1 und 2 BGB entsprechend anzuwenden. Danach ist die Kündigung bei monatlicher Vergütung nicht bis zum 15. eines Monats für den Schluss des Kalendermonats (§ 621 Nr. 3 BGB), sondern unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Monats, bei länger andauernden Arbeitsverhältnissen mit einer nach Absatz 2 gestaffelten Frist zum Monatsende zulässig. Vgl. für die bis 1993 gültige Gesetzesfassung BGH, Urt. v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291 = ZIP 1981, 367 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858, 859; BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = ZIP 1984, 1088 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115 = ZIP 1990, 1057 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1209 (Priester).
bb) Kein rechtfertigender Grund erforderlich 484 Die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses eines Geschäftsleiters bedarf mit Rücksicht auf seine Vertrauensstellung als organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft mit Unternehmerfunktion keines sie rechtfertigenden Grundes. Sie ist, sofern ihre formellen Voraussetzungen erfüllt sind, auch dann wirksam, wenn sie sich auf keinen anderen Grund als den Willen des kündigungsberechtigten Organs stützen kann. Infolgedessen verbietet es sich, die Wirksamkeit einer von der Gesellschaft ordnungsgemäß erklärten ordentlichen Kündigung mit Rücksicht auf die ihr zugrunde liegenden Motive der Gesellschafter zu verneinen. Dies gilt auch dann, wenn die der Kündigung zugrunde liegenden Erwägungen im Einzelfall bekannt oder von der Gesellschaft selbst mitgeteilt sein sollten. Die Gesellschaft verhält sich damit grundsätzlich ordnungsgemäß, wenn sie die sofortige Abberufung aus der Organstellung mit der ordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags zu dem vertraglich oder gesetzlich vorgesehenen Beendigungszeitpunkt verbindet. Diese Kündigung trägt ihre Rechtfertigung in sich; sie ist von dem Geschäftsleiter hinzunehmen, auf welchen Erwägungen sie auch beruhen mag. BGH, Urt. v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, ZIP 2004, 461, 462 = GmbHR 2004, 57 = NZG 2004, 90, dazu EWiR 2004, 385 (Hasselbach).
b) Außerordentliche Kündigung aa) Kündigungsgrund – Allgemeines 485 Nach § 626 Abs. 1 BGB setzt die Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist Tatsachen voraus, die dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der 142
II. Anstellungsverhältnis
Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses unzumutbar machen. Diese Voraussetzungen sind nicht schon dann erfüllt, wenn geprüft wird, ob ein bestimmter Sachverhalt als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gewertet werden kann, vielmehr ist zusätzlich eine Abwägung der beiderseitigen Interessen daraufhin erforderlich, ob es dem Dienstherrn nicht zugemutet werden kann, den Dienstverpflichteten in seiner bisherigen oder einer entsprechenden Stellung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. In diese Prüfung sind alle für die Vertragsparteien maßgebenden Umstände einzubeziehen. BGH, Urt. v. 3.12.1973 – II ZR 85/70, WM 1974, 131, 133 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, WM 1984, 1120, 1121 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 19.10.1987 – II ZR 97/87, ZIP 1988, 47, 48 (GmbH & Co. KG), dazu EWiR 1988, 249 (Schwerdtner); BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, ZIP 1993, 32, 33 (GmbH), dazu EWiR 1993, 133 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 13.10.1995 – II ZR 130/94, WM 1995, 2064, 2065 (GmbH); vgl. BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365, 1367; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 24 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
In die Würdigung sind vor allem die Schwere der Pflichtverletzungen und ihre 486 Folgen für das Unternehmen, insbesondere eine gegenüber Dritten oder in der Öffentlichkeit verursachte Schädigung seines Ansehens, der Umfang des durch sie eingetretenen Vertrauensverlustes sowie der Grad des Verschuldens und der Wiederholungsgefahr einzubeziehen. BGH, Urt. v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158, 159 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, ZIP 1991, 509, 510 f. (GmbH), dazu EWiR 1991, 469 (Meyer-Landrut).
Für die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile kommen insbesondere 487 folgende Umstände in Betracht: x
die Dauer der Tätigkeit des Geschäftsleiters für die Gesellschaft,
x
seine Verdienste um das Unternehmen, BGH, Urt. v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, WM 1968, 1347, 1348 (GmbH); BGH, Urt. v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350, 1352 (GmbH); BGH, Urt. v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158, 160; BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH),
143
D. Der Vorstand
x
die sozialen Folgen für den Betroffenen sowie der Grad der wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Gesellschaft,
x
die Möglichkeit der Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit oder der Gründung einer anderweitigen Existenz,
x
Verlust der Pension und höheres Lebensalter, BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 249; BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968; BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397,
x
die diskriminierende Wirkung einer Kündigung, insbesondere wenn ihr diffamierender Charakter zukommt, BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 212/64, WM 1962, 811, 812,
x
der Umstand, dass der betroffene Geschäftsleiter seine frühere Stellung aufgegeben hat, obwohl ihm bereits damals ein erheblicher Pensionsanspruch zugestanden hat und der Wechsel mit 62 Jahren geschah. BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397.
488 Die Kündigung aus wichtigem Grund unterliegt dem ultima-ratio-Prinzip. Soll ein Dienstvergehen zum Anlass genommen werden, eine Kündigung aus wichtigem Grund auszusprechen, muss vor Ausspruch der Kündigung geprüft werden, ob die Zusammenarbeit mit dem Vorstandsmitglied nicht fortgesetzt und daher dem Unternehmen zugemutet werden kann. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, ZIP 1993, 32, 34 (GmbH), dazu EWiR 1993, 133 (v. Gerkan).
489 Es ist auch zu prüfen, ob dem Betroffenen und der Gesellschaft nicht die Weiterbeschäftigung mit einer Tätigkeit zugemutet werden kann, die außerhalb des von der Organtätigkeit erfassten Bereiches liegt. BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397; BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH).
490 Besonders strenge Anforderungen an die Wirksamkeit der Kündigung sind dann zu stellen, wenn das Dienstverhältnis ohnehin demnächst ausläuft oder relativ kurzfristig durch eine ordentliche Kündigung beendet werden kann. BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811, 812; BGH, Urt. v. 11.7.1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325, 1326 (GmbH); BGH, Urt. v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350, 1352 (GmbH); BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761, 762 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 79 (GmbH).
144
II. Anstellungsverhältnis
In diesem Fall wird die Fortzahlung der Bezüge für die Gesellschaft bis zum 491 Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses auch dann tragbar sein, wenn sie für das bisherige Organmitglied keine geeignete Beschäftigungsmöglichkeit hat. BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH).
Hat die Gesellschaft ihren Willen zum Ausdruck gebracht, Dienstleistungen 492 des Vorstandsmitglieds nicht mehr in Anspruch zu nehmen, kann dem Gekündigten nicht vorgeworfen werden, durch sein Verhalten nach der Kündigung eine Zusammenarbeit unmöglich gemacht zu haben. BGH, Urt. v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71, 76 f.; BGH, Urt. v. 25.2.1961 – II ZR 147/58, WM 1961, 569, 572.
Auch Gründe, die nicht verschuldet sind, können eine außerordentliche 493 Kündigung rechtfertigen. BGH, Urt. v. 11.7.1955 – II ZR 230/54, WM 1955, 1222; BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761 (GmbH).
Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Niedergang eines Betriebes für eine angemessene Beschäftigung des Vorstandsmitglieds keine Möglichkeit mehr lässt. bb) Kündigungsgrund – Einzelfälle Der Anstellungsvertrag eines Geschäftsleiters kann wegen Verletzung der 494 Insolvenzantragspflicht fristlos gekündigt werden. BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365 (GmbH); BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, ZIP 2008, 267.
Zwar genügt als Kündigungsgrund die Verletzung von Organpflichten für sich allein nicht; maßgebend ist vielmehr, ob der Gesellschaft die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses wegen der Pflichtverletzung nicht mehr zugemutet werden konnte. Handelt es sich um eine Insolvenzverschleppung, so steht bei der erforderlichen Zumutbarkeits- und Interessenabwägung auf Seiten der insolvenzreifen Gesellschaft ihr normatives Eigeninteresse im Vordergrund, ihre noch vorhandene Vermögensmasse im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten. Aus dieser Sicht ist es der Gesellschaft im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB nicht zuzumuten, einen ihre Insolvenz schuldhaft verschleppenden Geschäftsleiter weiter zu beschäftigen und ihm auch noch über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hinaus – bis zum Wirksamwerden einer etwaigen Kündigung durch den Insolvenzverwalter gem. § 113 InsO – Gehalt aus der Insolvenzmasse zu zahlen. BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365, 1367.
Auch ein Kompetenzverstoß vermag grundsätzlich eine Kündigung zu recht- 495 fertigen.
145
D. Der Vorstand Vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, ZIP 1991, 509, 510, dazu EWiR 1991, 469 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 28.6.1993 – II ZR 119/92, NJW-RR 1993, 1123, 1124; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 22 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
496 Besondere Umstände können im einzelnen Fall allerdings dazu führen, dass ein Kompetenzverstoß in milderem Licht erscheint und kein Kündigungsgrund ist. BGH, Beschl. v. 10.12.2007 – II ZR 289/06, ZIP 2008, 694 (GmbH); BGH, Beschl. v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, ZIP 2009, 2195 Rn. 19 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 24 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
497 Nutzt ein Vorstandsmitglied die Erwerbschancen der Gesellschaft für sich aus, kann ein solches Verhalten einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. BGH, Urt. v. 13.2.1995 – II ZR 225/93, ZIP 1995, 567, 568 m. w. N. (GmbH), dazu EWiR 1995, 675 (Bayer).
498 Einen Grund zur fristlosen Kündigung stellt es nicht dar, wenn das Vorstandsmitglied einer gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft zwei Mietgrundstücke als Vermögensanlage erwirbt. Das Tatbestandsmerkmal „Geschäfte machen“ i. S. d. § 88 Abs. 1 AktG ist nur dann gegeben, wenn eine auf Gewinnerzielung gerichtete – wenn auch nur spekulative – Teilnahme am Geschäftsverkehr vorliegt, die nicht zur Befriedigung eigener privater Bedürfnisse erfolgt, also nicht lediglich persönlichen Charakter hat. Die bloße Anlage eigenen Vermögens erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Das kommt nur dann in Betracht, wenn der Erwerb in der Absicht vorgenommen wird, durch alsbaldige Weiterveräußerung der Objekte Gewinn zu erzielen. BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064 (GmbH), dazu EWiR 1997, 631 (Wilhelm).
499 Stammt ein Objekt aus dem von der Gesellschaft verwalteten Bestand und „entmietet“ das Vorstandsmitglied das Objekt, um es sodann frei von Mietern käuflich zu erwerben, stellt dieses Verhalten einschließlich des späteren Erwerbs einen groben Treupflichtverstoß dar, weil darin eine missbräuchliche Ausnutzung der Organstellung zugunsten eigennütziger Zwecke liegt. BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064 (GmbH), dazu EWiR 1997, 631 (Wilhelm).
500 Die auf geschäftspolitischen Gründen beruhende Entscheidung einer Muttergesellschaft, den Betrieb ihrer Tochtergesellschaft einzustellen, rechtfertigt keine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung gegenüber deren Vorstand.
146
II. Anstellungsverhältnis BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, ZIP 2002, 2254, dazu Schmid, GmbHR 2003, 36 (Anm.); in Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761.
cc) Verdachtskündigung Das Dienstverhältnis des Organmitglieds kann auch dann fristlos gekündigt 501 werden, wenn die Voraussetzungen einer „Verdachtskündigung“ vorliegen. BGH, Urt. v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113 = WM 1984, 1187 (GmbH).
Davon kann dann ausgegangen werden, wenn gegen den Bediensteten der 502 Verdacht einer strafbaren oder pflichtwidrigen (vertragswidrigen) Handlung besteht, der auf Tatsachen gegründet ist und so schwer wiegt, dass dem Dienstherrn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses wegen Erschütterung des zu dem Bediensteten bestehenden Vertrauensverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. BGH, Urt. v. 13.7.1956 – VI ZR 88/55, LM BGB § 626 Nr. 8; BAG, Urt. v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, ZIP 1986, 1068, 1069.
Der Dienstherr muss alles ihm Zumutbare tun, insbesondere den Betroffenen 503 auch vorher anhören, um eine Aufklärung der Angelegenheit zu erreichen. BGH, Urt. v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113 (GmbH); BAG, Urt. v. 11.4.1985 – 2 AZR 239/84, ZIP 1986, 1068, 1069.
dd) Keine Anhörung Anders als bei der Verdachtskündigung setzt die Wirksamkeit der außeror- 504 dentlichen Kündigung ansonsten keine Anhörung des Geschäftsleiters voraus. BGH, Urt. v. 4.7.1960 – II ZR 168/58, WM 1960, 859; BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, ZIP 1984, 947 = WM 1984, 1120, 1121 (Genossenschaft).
ee) Keine Abmahnung Vor dem Ausspruch der außerordentlichen Kündigung des Dienstverhältnisses 505 mit einem organschaftlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft bedarf es keiner Abmahnung. BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, ZIP 2000, 508, 510, dazu EWiR 2000, 381 (A. Junker); BGH, Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, ZIP 2000, 667, 668 (GmbH); BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957 (GmbH);
147
D. Der Vorstand noch anders BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, ZIP 1993, 32, 34 (GmbH), dazu EWiR 1993, 133 (v. Gerkan).
506 Das Institut der Abmahnung ist im Arbeitsrecht im Hinblick auf die soziale Schutzbedürftigkeit abhängig Beschäftigter entwickelt worden. Dieser Gesichtspunkt kann bei Leitungsorganen von Kapitalgesellschaften nicht ausschlaggebend sein. Sie kennen regelmäßig die ihnen obliegenden Pflichten und sind sich über die Tragweite etwaiger Pflichtverletzungen auch ohne besondere Hinweise und Ermahnungen im Klaren. BGH, Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, ZIP 2000, 667, 668 (GmbH), dazu EWiR 2000, 381 (Junker); vgl. schon BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, WM 1998, 1779, 1780, dazu EWiR 1998, 813 (Schneider).
507 § 314 Abs. 2 BGB gibt keinen Anlass vom Fehlen eines Abmahnerfordernisses abzuweichen, da die Funktionszuweisung als Arbeitgeber ein besonderer Umstand i. S. v. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist, auf den § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB verweist. BGH, Beschl. v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, ZIP 2007, 1566 (GmbH).
508 Dementsprechend bedarf der Vorstand erst recht keiner Hinweise des Aufsichtsrats, dass er sich an die Gesetze, an die Satzung und an die in seinem Dienstvertrag niedergelegten Pflichten zu halten hat; vielmehr hat er sich ohne Abmahnung und von sich aus im Rahmen seines Pflichtenkreises dem Standard eines ordentlichen Geschäftsmanns entsprechend zu verhalten. BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957, 1958 (GmbH).
ff) Keine Einschränkung des Kündigungsrechts 509 Die Vereinbarung einer Abfindungszahlung in einem Dienstvertrag mit dem Vorstand für den Fall der Kündigung aus wichtigem Grund durch die AG stellt eine unzulässige Einschränkung des Kündigungsrechts i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB dar. Sie ist wegen Verstoßes gegen § 134 BGB nichtig. BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, ZIP 2000, 1442, 1444 (GmbH), dazu EWiR 2001, 119 (Günther); BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 Rn. 16 (Genossenschaft), dazu EWiR 2008, 621 (Rohde).
510 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zahlung als Abfindung oder als Übergangsgeld bezeichnet wird. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 Rn. 16 (Genossenschaft), dazu EWiR 2008, 621 (Rohde).
148
II. Anstellungsverhältnis
gg) Erklärungsfrist Die Kündigung kann nach § 626 Abs. 2 BGB nur binnen zwei Wochen von 511 dem Zeitpunkt an ausgesprochen werden, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Diese Regelung verfolgt den Zweck, die Verwirkung des Kündigungsrechts im Interesse des Betriebsfriedens und der Rechtssicherheit zeitlich zu fixieren. Hat der Kündigungsberechtigte sein Kündigungsrecht ungenutzt verstreichen lassen, besteht die unwiderlegliche Vermutung, dass ihm ungeachtet aller bisher bekannt gewordenen Gründe und ihrer Schwere die Fortsetzung des Dienstverhältnisses zugemutet werden kann. BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.1.1976 – II ZR 3/74, WM 1976, 379, 380 (GmbH).
Handelt es sich bei dem für die fristlose Kündigung maßgebenden Grund um 512 ein Dauerverhalten, so beginnt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht vor dessen Beendigung. Dies hat der Bundesgerichtshof für den Fall der Verletzung der Insolvenzantragspflicht entschieden. BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365 = NJW 2005, 3069 (GmbH).
Die Berufung auf den Ablauf der Zwei-Wochen-Frist kann dann nach Treu 513 und Glauben unzulässig sein, wenn dem Dienstverpflichteten auf dessen Wunsch eine Bedenkzeit zur Prüfung der einvernehmlichen Beendigung des zu kündigenden Dienstverhältnisses eingeräumt wird und der Dienstberechtigte nach fruchtlosem Ablauf der Bedenkzeit unverzüglich kündigt. BGH, Urt. v. 3.6.1975 – II ZR 131/73, WM 1975, 793 (GmbH).
(1) Erlangung der Kenntnis In mehreren zum Recht der GmbH ergangenen Entscheidungen des Bundes- 514 gerichtshofs sind Grundsätze dazu aufgestellt worden, wann das zuständige Organ Kenntnis von den maßgebenden Kündigungsgründen erlangt hat. BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269 (GmbH), dazu EWiR 1998, 927 (Kowalski); bestätigt durch BGH, Urt. v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, ZIP 2001, 1957; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 (GmbH).
Für die die Zweiwochenfrist in Lauf setzende Kenntnis i. S. v. § 626 Abs. 2 515 BGB kommt es allein auf den Wissensstand des zur Entscheidung über die fristlose Kündigung berufenen und bereiten Gremiums der Gesellschaft an. BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 12.
Der Lauf der Kündigungsfrist knüpft stets an die Erlangung der Kenntnis der 516 für die fristlose Kündigung maßgebenden Gründe in der Zusammenkunft des 149
D. Der Vorstand
für die Kündigung zuständigen Gesellschaftsorgans an. Zuständig ist bei der GmbH grundsätzlich die Gesellschafterversammlung, bei der AG stets der Aufsichtsrat. Da es sich jeweils um Kollegialorgane handelt, die ihren Willen durch Beschlussfassung bilden müssen, kommt es für die der Gesellschaft zuzurechnende Kenntnis nur auf diejenige der Organmitglieder an, die an der kollektiven Willensbildung mitwirken. Eine Kenntniserlangung der Gesellschafter bzw. der Aufsichtsratsmitglieder als kollegiales Beratungs- und Beschlussorgan liegt somit erst dann vor, wenn die Tatsachen, die für die Entlassung des Geschäftsführers bzw. des Vorstandsmitglieds in Betracht kommen, den Gesellschaftern in der Versammlung bzw. den Aufsichtsratsmitgliedern in der Sitzung des Aufsichtsrats zur Kenntnis gebracht werden. Denn die Regelung des § 626 Abs. 2 BGB beruht auf dem Gedanken, dass der Berechtigte aufgrund seiner Kenntnis die nach seiner Ansicht gebotene Schlussfolgerung ziehen kann. Dazu sind die GmbH-Gesellschafter bzw. der Aufsichtsrat als Kollegialorgan nur in der Lage, wenn sie zusammengetreten sind. Allein der Umstand, dass sie als Einzelne von dem Kündigungssachverhalt Kenntnis erlangt haben, versetzt sie nicht in die Lage, die gebotenen Maßnahmen zu beschließen und entsprechend dem Inhalt des Beschlusses umzusetzen. BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269, 1270 (GmbH), dazu EWiR 1998, 927 (Kowalski).
517 Die frühere Rechtsprechung, nach der die Frist für die Kündigung aus wichtigem Grund spätestens mit der Kenntniserlangung durch alle Gesellschafter bzw. Aufsichtsratsmitglieder (außerhalb der Gesellschafterversammlung bzw. Aufsichtsratssitzung) zu laufen begann, soweit das Gremium innerhalb der Zwei-Wochen-Frist zusammentreten, wirksam beschließen und die Kündigungserklärung dem Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied zugehen lassen könne, ist damit überholt. Vgl. dazu die Zusammenstellungen bei BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269, 1271 (GmbH), dazu EWiR 1998, 927 (Kowalski).
518 Wird die Einberufung der Versammlung durch die einberufungsberechtigten Mitglieder nach Kenntniserlangung von dem für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt unangemessen verzögert, muss sich die Gesellschaft so behandeln lassen, als wäre die Versammlung mit der billigerweise zumutbaren Beschleunigung einberufen worden. Das hat zur Folge, dass die Ausschlussfrist dem für die Kündigung zuständigen Organ als Überlegungsfrist vollständig erhalten bleibt. Nach der früheren Rechtsprechung konnte sie ganz oder teilweise durch die Zeit aufgezehrt werden, die die Einberufung der Versammlung erforderte. BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269, 1271 (GmbH), dazu EWiR 1998, 927 (Kowalski).
150
II. Anstellungsverhältnis
Das gilt in gleicher Weise für die Anberaumung der Aufsichtsratssitzung. 519 Nach der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats ist dessen Vorsitzender – im Verhinderungsfalle sein Stellvertreter – einberufungsberechtigt. Sie trifft daher jeweils die Verpflichtung, die Sitzung des Aufsichtsrats mit angemessener Beschleunigung anzuordnen. Dabei wird es auch – insbesondere bei Gremien mit geringer Mitgliederzahl – in der Regel möglich sein, Telefon- oder Videokonferenzen abzuhalten. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Beschlussfassung ein anderes überwind- 520 bares Hindernis entgegensteht. Das hat der Bundesgerichtshof in einem Fall entschieden, in dem die Zustimmung der Gesellschafter-Gesellschafterin eingeholt werde musste. In diesem Fall begann zwar die zweiwöchige Erklärungsfrist erst nach Eingang der Zustimmung zu laufen. Die Kündigungsmöglichkeit kann allerdings verwirkt sein, wenn sich der Kündigungsberechtigte nach Kenntniserlangung nicht unverzüglich um die Zustimmung bemüht. BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 14, dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
Sind die Mitglieder nicht vorschriftsmäßig geladen, aber alle erschienen und 521 wird der Sachverhalt auf der Sitzung vorgetragen, ist von einer Kenntniserlangung aller Organmitglieder auszugehen. BGH, Urt. v. 29.1.1976 – II ZR 3/74, WM 1976, 379, 380 (GmbH).
Sind alle Mitglieder hingegen ordnungsgemäß geladen und nicht alle erschienen, 522 hat sich aber eine beschlussfähige Mehrheit eingefunden und wird der Sachverhalt auf dieser Sitzung vorgetragen, reicht das aus, um die Frist in Lauf zu setzen. BGH, Urt. v. 19.5.1980 – II ZR 169/79, ZIP 1980, 896, 897 (VVaG).
(2) Kenntnisumfang Eine sichere und umfassende Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden 523 Tatsachen liegt dann vor, wenn alles in Erfahrung gebracht worden ist, was als notwendige Grundlage für eine Entscheidung über Fortbestand oder Auflösung des Dienstverhältnisses anzusehen ist. BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH); BGH, Urt. v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, ZIP 1996, 636 (GmbH), dazu EWiR 1996, 497 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
524
Kennenmüssen oder grobfahrlässige Unkenntnis genügen nicht. BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
151
D. Der Vorstand
525 Sind allerdings die Tatsachen im Wesentlichen bekannt, müssen abschließende Prüfungen, die zur vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes noch als erforderlich angesehen werden können, zügig durchgeführt werden. Eine Fristverlängerung kann nicht auf den allgemeinen Hinweis gestützt werden, mit Rücksicht auf die große Zahl und die starke Beschäftigung der Auskunftspersonen habe es im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts durch eine eingesetzte Kommission Probleme bei der Kontaktaufnahme gegeben. Solche Terminschwierigkeiten, die sich generell aus der starken zeitlichen Inanspruchnahme von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern ergeben, müssen in Kauf genommen werden. BGH, Urt. v. 19.5.1980 – II ZR 169/79, ZIP 1980, 896, 897 (VVaG); BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
526 Wird die Kündigung auf ein Gesamtverhalten des Inhalts gestützt, der Gekündigte habe in der ihm anvertrauten Stellung über längere Zeit laufend versagt, ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nur gewahrt, wenn dem Dienstberechtigten in den beiden letzten Wochen noch (Einzel-)Tatsachen bekannt geworden sind, die ein weiteres letztes Glied in dem Kündigungssachverhalt darstellen. Hat der Kündigungsberechtigte trotz Kenntnis dieser Umstände den Dienstverpflichteten zunächst noch weiter beschäftigt, hängt die Zulässigkeit einer Kündigung von weiteren, in die Frist fallenden Einzelverstößen ab, die im Zusammenhang mit dem früheren Verhalten einen neuen Kündigungstatbestand bilden. BGH, Urt. v. 4.6.1975 – II ZR 131/73, WM 1975, 793, 794 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.1.1976 – II ZR 3/74, WM 1976, 379, 380 (GmbH).
527 Soll die Kündigung auf den Verdacht strafbarer oder vertragsverletzender pflichtwidriger Handlungen gestützt werden, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von dem Verdachtstatbestand so viel kennt, dass er sich über dessen Tragweite ein eigenes Urteil bilden kann. Hält der Kündigungsberechtigte für seine Urteilsbildung noch die Anhörung des Betroffenen für erforderlich, um deren Ergebnis ebenfalls zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen, muss er diese zügig durchführen. Dieser Vorgang ist in der Regel geeignet, den Fristlauf zu hemmen. BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH); BGH, Urt. v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113, 1114 (GmbH).
528 Ob dem Insolvenzverwalter eine Frist zur Einarbeitung zugebilligt werden kann, ist nicht endgültig entschieden, jedoch als zweifelhaft bezeichnet worden. BGH, Urt. v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113, 1114 (GmbH).
152
II. Anstellungsverhältnis
Man wird das ablehnen müssen. Zwar kommt es für die Kenntnis und das 529 Kennenmüssen von Umständen auf die Person des Insolvenzverwalters an. Das bezieht sich jedoch nur auf Umstände, die nach Übernahme seines Amts eintreten. Soweit es um Umstände geht, die noch vor Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter eingetreten sind, ist die Kenntnis des Insolvenzschuldners maßgebend, in dessen Rechte und Pflichten er eintritt. Dazu gehört auch der gesamte Pflichtenkreis des Arbeitgebers. BAG, Beschl. v. 13.12.1978 – GS 1/77, NJW 1979, 774, 775.
Das kann für die gegenüber dem Organmitglied bestehenden Pflichten nicht anders bewertet werden. Ältere Vorgänge, aus denen allein – insbesondere wegen Fristablaufs – kein 530 Kündigungsrecht mehr hergeleitet werden kann, können zur Unterstützung anderer Kündigungsgründe herangezogen werden, wenn zumindest einer der noch nicht erledigten (verfristeten) Gründe von erheblichem Gewicht ist. BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789; BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111; BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, ZIP 1992, 539, 540 (GmbH), dazu EWiR 1992, 1075 (Melber); BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 27 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
hh) Keine Angabe von Kündigungsgründen Die sachliche Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung eines Ge- 531 schäftsleiteranstellungsvertrags gem. § 626 Abs. 1 BGB hängt allein davon ab, ob der bei ihrem Ausspruch tatsächlich vorliegende Sachverhalt bei objektiver Würdigung dem Kündigenden die Fortsetzung des Dienstverhältnisses unzumutbar macht. Die Angabe eines Kündigungsgrundes gehört nicht zum notwendigen Inhalt der Kündigungserklärung, wie sich auch aus § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB ergibt. BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, ZIP 1984, 947, 948 (GmbH); BGH, Urt. v. 16.1.1995 – II ZR 26/94, ZIP 1995, 310, 311 (Genossenschaft), dazu EWiR 1995, 351 (Kreitner); BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93 f., dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons); BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
Das Gesetz gibt dem Geschäftsführer aber das Recht, die unverzügliche 532 schriftliche Mitteilung des Kündigungsgrunds durch den Dienstherrn zu verlangen (§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB). Verletzt dieser seine Pflicht, kann von ihm Schadensersatz gefordert werden.
153
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, ZIP 1984, 947 = WM 1984, 1120, 1121 (Genossenschaft).
533 Wird nach Bekanntwerden eines wichtigen Grunds das Dienstverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigt, ohne dass der Grund für die außerordentliche Kündigung angeführt wird, so kann das für einen Verzicht auf Geltendmachung dieses Grunds sprechen. BGH, Urt. v. 16.11.1961 – II ZR 81/60, WM 1962, 109, 111 (AG).
534 Wird das Anstellungsverhältnis unter Änderung der geschuldeten Dienste von dem Kündigungsberechtigten in Kenntnis der Gründe, die zur fristlosen Kündigung berechtigen, fortgesetzt, können diese Gründe für eine fristlose Kündigung nicht mehr herangezogen werden. Die Hauptversammlung darf sie auch nicht als Grundlage für einen Beschluss nehmen, mit dem dem Vorstandsmitglied das Vertrauen entzogen wird. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110 (AG).
ii) Gerichtliche Überprüfung 535 Die Feststellung, Würdigung und Abwägung aller maßgebenden Umstände bei der Prüfung, ob eine wichtiger Grund vorliegt, ist Aufgabe des Tatrichters. BGH, Urt. v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, WM 1985, 567 unter II. (Abberufung und Kündigung); BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, ZIP 1992, 539, 540 (GmbH), dazu EWiR 1992, 1075 (Melber) – dort Kündigung durch den Geschäftsführer; BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 24 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
536 Das Berufungsgericht ist dabei grundsätzlich nicht an einer von dem Erstgericht abweichenden Würdigung gehindert. BGH, Beschl. v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, ZIP 2009, 513 Rn. 3 (Abberufung).
537 Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Wertung daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, alle Tatsachen berücksichtigt und den Tatsachenstoff vollständig und verfahrensfehlerfrei gewürdigt, also die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten hat. BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, ZIP 1992, 539, 540 (GmbH), dazu EWiR 1992, 1075 (Melber) – dort Kündigung durch den Geschäftsführer; BGH, Urt. v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761 (GmbH). vgl. auch BGH, Urt. v. 22.5 2012 – II ZR 2/11, ZIP 2012, 1500 Rn. 31 m. w. N. (GbR).
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II. Anstellungsverhältnis
jj) Nachschieben von Kündigungsgründen Werden bei der Kündigung Gründe angegeben, können Umstände, die im 538 Zeitpunkt der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund bereits bestanden haben, auch im Rechtsstreit zur Begründung der Kündigung, die aus den bei ihrer Vornahme angegebenen Gründen nicht wirksam wäre, unabhängig davon nachgeschoben werden, ob sie dem Kündigenden im Zeitpunkt seiner Kündigungserklärung bekannt waren oder nicht. BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 35 (GmbH), dazu EWiR 1992, 61 (Fleck); unter Klarstellung von BGH, Urt. v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 220, 221 (Handelsvertreter); BGH, Urt. v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, DStR 1997, 338 f.; BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, WM 1998, 1779, dazu EWiR 1998, 813 (Schneider); BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93 f., dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons); BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
Die nachgeschobenen Gründe brauchen nicht auf der Linie der bisher gel- 539 tend gemachten zu liegen. Im Einzelfall kann sich nach Treu und Glauben eine Beschränkung auf den zunächst angeführten Kündigungsgrund ergeben. BGH, Urt. v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, WM 1968, 1347 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, BGHZ 60, 333, 336 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.7.1978 – VI ZR 266/76, WM 1978, 1123; BGH, Urt. v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, ZIP 1984, 947, 949 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 35 (GmbH), dazu EWiR 1992, 61 (Fleck), unter Klarstellung von BGH, Urt. v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 220, 221; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93 f. (GmbH), dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
Handelt es sich um selbständige Gründe, die mit den bei der Kündigung 540 geltend gemachten nicht zusammenhängen, dürfen sie jedoch dem zuständigen Organ nicht früher als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung bekanntgeworden sein. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111 (GmbH);
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319, 320 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.7.1978 – VI ZR 266/76, WM 1978, 1123; BGH, Urt. v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, ZIP 1982, 876, 878; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93 f., dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons); BGH, Urt. v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
541 Das Nachschieben von Kündigungsgründen setzt grundsätzlich einen entsprechenden Beschluss des für die Kündigung zuständigen Gesellschaftsorgans voraus. BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, BGHZ 60, 333, 335 f. (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 35 f. (GmbH), dazu EWiR 1992, 61 (Fleck).
542 Etwas anderes kann für Umstände gelten, die mit den für den Kündigungsbeschluss maßgebenden Gründen einen engen Zusammenhang aufweisen und letztlich den Tatbestand nur noch abrunden. BGH, Urt. v. 23.2.1961 – II ZR 147/58, WM 1961, 569, 574; BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, BGHZ 60, 333, 336 (Genossenschaft).
543 Gründe, die erst eingetreten sind, nachdem die Kündigung bereits ausgesprochen worden war, tragen eine zunächst unwirksame Kündigung im allgemeinen erst von dem Zeitpunkt an, in dem sich der Dienstberechtigte darauf beruft und damit die Kündigung erneut ausspricht. BGH, Urt. v. 28.4.1960 – VII ZR 218/60, BGHZ 36, 56 = LM BGB § 626 Nr. 10; BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 970.
544 Das ist dann anders, wenn sie eine Gesamtbeurteilung rechtfertigen, aus der sich ergibt, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der fristlosen Kündigung die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar war. BGH, Urt. v. 5.5.1958 – II ZR 245/56, BGHZ 27, 220, 222 (Handelsvertreter).
kk) Beweislast 545 Die Beweisregel des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG ist im Rahmen des § 626 BGB nicht anwendbar. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111 (GmbH).
546 Wer einen Kündigungsgrund i. S. v. § 626 BGB geltend macht, muss dessen tatsächliche Voraussetzungen beweisen. Soweit es um mögliche Rechtfertigungsgründe für das gerügte Verhalten geht, sind solche von dem Dienstver-
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II. Anstellungsverhältnis
pflichteten darzulegen; es bleibt aber dann Sache des Kündigenden, diese Gründe zu widerlegen. BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 562, dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski); BGH, Urt. v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, ZIP 2002, 2254, 2256, dazu Schmid, GmbHR 2003, 36 (Anm.).
Die Beweislast für die Einhaltung der Erklärungsfrist und damit auch dafür, 547 dass die Kenntnis erst innerhalb der Frist erlangt worden ist, trifft den Kündigenden. BGH, Urt. v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113, 1114 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 Rn. 26 (GmbH), dazu EWiR 2013, 371 (Nolting).
ll) Verhaltensanforderungen Sind die Einzelheiten einer Kündigung zwischen den Beteiligten umstritten und 548 ist davon auszugehen, dass der Dienstberechtigte bei Nichtanerkennung des wichtigen Grundes den Gekündigten weiterbeschäftigen wird, muss sich der Gekündigte so verhalten, als ob die Pflichten aus dem Dienstvertrag fortbestünden. Das gilt auch für sein Verhalten im Rahmen des Prozessverfahrens. Den zwischen den Beteiligten bestehenden Spannungen ist Rechnung zu tragen. BGH, Urt. v. 23.2.1961 – II ZR 147/58, WM 1961, 569, 571 f.
mm) Versorgungsanspruch und Rechtsmissbrauchseinwand Bereits früher hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass der Verlust von 549 Versorgungsrechten keine unabdingbare Folge der fristlosen Kündigung ist. Entstehe nach der Vertragsgestaltung der Versorgungsanspruch bereits mit dem Vertragsschluss oder nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit (vgl. § 1 BetrAVG) und werde lediglich seine Fälligkeit oder Auszahlung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, sei der – einmal entstandene – Ruhegehaltsanspruch vom Fortbestand des Dienstverhältnisses unabhängig. BGH, Urt. v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 349, 365 f. (Genossenschaft).
Diesen Standpunkt hat der Bundesgerichtshof in späteren Entscheidungen 550 präzisiert: Hat die AG einem Vorstandsmitglied für den Fall seiner schuldlosen Entlassung eine Rente versprochen und wird eine solche Entlassung ausgesprochen, so kann das Verlangen auf Rentenzahlung als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein, wenn sich später herausstellt, dass der Versorgungsberechtigte in grober Weise gegen seine dienstlichen Pflichten verstoßen hat und aufgrund des Pflichtenverstoßes die Gesellschaft berechtigt gewesen wäre, das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund zu kündigen. Denn unter diesen
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D. Der Vorstand
Umständen hätte die Gesellschaft den Anspruch auf Versorgung nicht zu erfüllen brauchen. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 125/77, WM 1979, 1328, 1330; BGH, Urt. v. 22.6.1981 – II ZR 146/80, ZIP 1981, 1016, 1018.
551 Allerdings können auch in einem solchen Fall soziale Erwägungen Veranlassung dazu geben, sorgfältig abzuwägen, inwieweit Pflichtverletzungen, die – wären sie zu einer Zeit bekannt geworden, in der sich das Vorstandsmitglied noch im aktiven Dienst befand – als Grund für die fristlose Beendigung des Dienstverhältnisses in Betracht gekommen wären, dem Versorgungsanspruch nachträglich noch entgegengehalten werden können. Hier werden insbesondere Schwere und Folgen des Verstoßes für die Gesellschaft und Alter sowie anderweitige Erwerbsaussichten des Ausgeschiedenen gegeneinander abgewogen werden müssen. Diese Gesichtspunkte sind maßgebend für den Zeitraum, in dem die Rentenanwartschaft noch nicht unverfallbar war. BGH, Urt. v. 22.6.1981 – II ZR 146/80, ZIP 1981, 1016, 1018 f.
552 Eine andere Wertung ist dann geboten, wenn der Versorgungsanspruch inzwischen unverfallbar geworden ist. In einem solchen Falle können im aktiven Dienst begangene Pflichtverletzungen den Versorgungsanspruch nur unter ganz besonderen Umständen ausschließen. BGH, Urt. v. 22.6.1981 – II ZR 146/80, ZIP 1981, 1016, 1018; BGH, Urt. v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 308.
553 Im Urteil vom 22.6.1981 hat der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen für den Entzug der Rente dann als erfüllt angesehen, wenn die Pflichtverletzungen einen auf andere Weise nicht wiedergutzumachenden Schaden angerichtet haben. Nach den Entscheidungen BGH, Urt. v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 309 f.; BGH, Urt. v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, AG 1997, 265, 266; BGH, Urt. v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, ZIP 2000, 380, 381 f., dazu EWiR 2000, 263 (H.-H. Schumann)
können nur schwerste Verfehlungen nach Treu und Glauben ausnahmsweise die Versagung von Ruhegeldansprüchen rechtfertigen. Dies könne namentlich dann der Fall sein, wenn der Ruhegehaltsberechtigte unter Missbrauch seiner Stellung das Unternehmen, aus dessen Erträgen seine Pension gezahlt werden solle, fortgesetzt schädige und dadurch dessen wirtschaftliche Grundlagen gefährde. Pflichtverletzungen, die nach Art, Ausmaß und Folgen ein solch außerordentliches Gewicht nicht hätten, reichten für einen Pensionsentzug nicht aus, auch wenn auf sie eine fristlose Kündigung des Dienstverhältnisses gestützt werden könnte. 554 Die zugesagte Pension wird als Vergütung für die erwartete, infolge der Pflichtverletzung nicht erbrachte Gegenleistung angesehen. Denn das betriebliche Ruhegeld hat Entgeltcharakter. Es stellt eine besondere Vergütung dafür dar,
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II. Anstellungsverhältnis
dass der Dienstverpflichtete seine Arbeitskraft für lange Zeit in den Dienst des Unternehmens gestellt hat. Die existenzwichtige Bedeutung der Versorgungszusage schließt es aus, ihre Erfüllung von einem steten Wohlverhalten abhängig zu machen. BGH, Urt. v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 309 f.; BGH, Urt. v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, AG 1997, 265, 266; BGH, Urt. v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, ZIP 2000, 380, 381 f.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann die Vorenthaltung versproche- 555 ner Versorgungsleistungen auf einen Teil dieser Leistungen begrenzt werden. Die vom Bundesarbeitsgericht dagegen in obiter dicta gemachten Vorbehalte, vgl. BAG AP § 1 BetrAVG – Treubruch Nr. 10 m. w. N.,
teilt der Bundesgerichtshof nicht. Eine schematische Aufteilung der Dienstzeiten nach Zeiträumen, die vor und nach Beginn der Verfehlungen liegen, lehnt er allerdings ab. Maßstab für die Aufteilung kann nach seiner Ansicht nur das Ergebnis der Abwägung aller in Betracht zu ziehender Umstände sein. In diese Gesamtabwägung sind nicht nur Schwere und Dauer des pflichtwidrigen Verhaltens und die daraus entstehenden Folgen für die AG, sondern auch sonstige, im Rahmen des § 242 BGB zu berücksichtigende Umstände einzubeziehen, wie etwa positive Leistungen und Verdienste des Versorgungsberechtigten während seiner gesamten Dienstzeit. Je länger sich das Vorstandsmitglied auf die Versorgungszusage einstellen konnte und je mehr ihm aufgrund der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit andere Möglichkeiten der Altersvorsorge verbaut sind, umso größer ist seine Schutzbedürftigkeit aus sozialen Erwägungen heraus. BGH, Urt. v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 309.
Die vorstehend dargelegten Maßstäbe gelten unabhängig davon, ob die Ver- 556 sorgungszusage ausdrücklich unter einen Vorbehalt gestellt worden ist oder nicht. BGH, Urt. v. 22.6.1981 – II ZR 146/80, ZIP 1981, 1016; BGH, Urt. v. 19.12.1984 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 309.
Der Bundesgerichtshof hat noch einmal klargestellt, dass der „Widerruf“ einer 557 Versorgungszusage Rechtsmissbrauchseinwand, nicht aber eine Gestaltungserklärung ist. Das Versorgungsversprechen sei Teil des von dem Dienstberechtigten geschuldeten Entgelts; mit ihm werde auch die langjährig bewiesene Betriebstreue des Dienstverpflichteten abgegolten. Ebenso wie durch eine fristlose Kündigung des Dienstverhältnisses die Vergütungspflicht des Dienstherrn nicht rückwirkend beseitigt werden könne, vermöge sich der die Versorgung Zusagende nicht durch eine entsprechende gestaltende Erklärung von der Verpflichtung zu befreien, im Versorgungsfall diesen Teil der geschuldeten und versprochenen Vergütung zu leisten. Der „Widerruf“ des Versorgungsversprechens finde seine Grundlage vielmehr allein in dem nur
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D. Der Vorstand
unter engen Voraussetzungen durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand, der eingreife, wenn der Begünstigte durch sein Verhalten die in der Vergangenheit gewährte Betriebstreue in einer Weise entwertet habe, dass es dem Dienstherrn ganz oder teilweise unzumutbar geworden sei, sich an seinem Versprechen festhalten zu lassen. BGH, Urt. v. 22.6.1981 – II ZR 146/80, ZIP 1981, 1016, 1017; BGH, Urt. v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, ZIP 1984, 307, 309 (GmbH); BGH, Urt. v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, ZIP 2000, 380 (Genossenschaft) mit krit. Anm. Blomeyer; BGH, Urt. v. 3.7.2000 – II ZR 381/98, ZIP 2000, 1452, 1454; BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, ZIP 2002, 364.
558 Die eingeschränkten Voraussetzungen, unter denen der Widerruf einer unverfallbaren Versorgungszusage möglich ist, gelten auch für ein Ruhegehalt, das im Rahmen eines Geschäftsführungs- und Beratungsvertrages als Teil des Entgelts für versprochene Dienste vereinbart worden ist und dem kein Fürsorgecharakter zukommt. Schädigender Wettbewerb oder eine sonstige nach Eintritt in den Ruhestand gegenüber der AG begangene Verfehlung berechtigt in der Regel nur dann zum Widerruf der Ruhegehaltszusage, wenn sich das treuwidrige Verhalten besonders schwerwiegend auf die Gesellschaft auswirkt oder auszuwirken droht und die Einstellung der Versorgungszahlungen nicht außer Verhältnis zu Art, Ausmaß und Folgen der Verfehlung steht. Ein solcher Fall kann dann gegeben sein, wenn der Versorgungsberechtigte ruinösen Wettbewerb betreibt oder auf andere Weise die Gesellschaft, die mit ihren Erträgen sein Ruhegeld erwirtschaften soll, in ihrer wirtschaftlichen Grundlage gefährdet. BGH, Urt. v. 7.1.1971 – II ZR 23/70, BGHZ 55, 274, 279 f. (GmbH).
c) Umdeutung von Erklärungen 559 Eine Umdeutung einer ordentlichen in eine außerordentliche Kündigung scheidet aus, weil das Ersatzgeschäft keine weitergehenden Wirkungen als das unwirksame haben darf. BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 249 f. (AG); BGH, Urt. v. 8.7.1982 – III ZR 204/80, WM 1982, 1231, 1232 (GmbH); BGH, Urt. v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, WM 1985, 567, 570 (Abberufung; GmbH), dazu EWiR 1985, 301 (Miller).
560 Jedoch kann eine – befristet ausgesprochene – Kündigung, die als ordentliche nicht wirksam wäre, als außerordentliche Kündigung aufzufassen sein, wenn der Kündigende zu erkennen gegeben hat, dass er auch aus wichtigem Grund kündigen will. Das setzt jedoch, soweit der Anstellungsvertrag des Vor-
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II. Anstellungsverhältnis
standsmitglieds einer AG gekündigt worden ist, voraus, dass der Aufsichtsrat sich mit den dafür maßgebenden Gründen befasst und beschlossen hat, die Kündigung – zumindest hilfsweise – auch darauf zu stützen. BGH, Urt. v. 3.5.1973 – II ZR 15/71, WM 1973, 782, 783, 785 (Genossenschaft).
Ist eine außerordentliche Kündigung mangels Vorliegens eines wichtigen 561 Grundes unwirksam, kann sie in eine ordentliche Kündigung auf den nächst zulässigen Termin umgedeutet werden, wenn nach der Sachlage anzunehmen ist, dass dies der dem anderen Teil erkennbaren Willensrichtung des Kündigenden entspricht. BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 249 f. (AG); BGH, Urt. v. 8.7.1982 – III ZR 204/80, WM 1982, 1231, 1232 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, ZIP 1997, 1882, 1883 (GmbH), dazu EWiR 1998, 203 (Finken); BGH, Urt. v. 14.2.2000 – II ZR 285/97, ZIP 2000, 539, 540 (GmbH), dazu EWiR 2000, 519 (Bröcker).
Auch hier ist jedoch erforderlich, dass der Beschluss des Aufsichtsrats auch 562 eine ordentliche Kündigung umfasst oder zumindest in dem Sinne ausgelegt werden kann, dass das Vertragsverhältnis auf jeden Fall auch fristgemäß aufgelöst werden soll. BGH, Urt. v. 7.6.1956 – II ZR 221/55, WM 1956, 1182, 1184; BGH, Beschl. v. 22.2.2011 – II ZA 5/10, juris (GmbH).
Dieser Wille kann z. B. dann fehlen, wenn die Vorstandsstellung weiterhin 563 beibehalten wird, BGH, Urt. v. 7.6.1956 – II ZR 221/55, WM 1956, 1182, 1184,
oder dem Vorstandsmitglied bei ordentlicher Kündigung Gehalts-, Ruhegehalts-, und Abfindungsansprüche zustehen würden, die die Gesellschaft schwer belasten, bei fristloser Kündigung aber nicht anfallen würden. BGH, Urt. v. 10.5.1982 – II ZR 258/81, Umdruck S. 9 (nicht veröffentlicht).
Ein Beschluss, durch den ein Geschäftsleiter „mit sofortiger Wirkung“ abbe- 564 rufen wird, kann durch das Tatsachengericht dahin ausgelegt werden, dass damit zugleich der zugrunde liegende Anstellungsvertrag gekündigt werden sollte. Vgl. BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 58/53, BGHZ 12, 337, 340; BGH, Urt. v. 26.10.1955 – VI ZR 90/54, BGHZ 18, 334; BGH, Urt. v. 12.7.1971 – II ZR 127/69, WM 1971, 1150, 1151; BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, WM 1973, 639.
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D. Der Vorstand
d) Annahmeverzug der Gesellschaft 565 Kommt die AG mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Vorstand für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste nach § 615 Satz 1 BGB die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. 566 Kündigt die Gesellschaft das Anstellungsverhältnis und ist die Kündigung nicht gerechtfertigt, kommt sie mit der Annahme der Arbeitsleistung auf jeden Fall dann in Verzug gem. § 615 Satz 1 i. V. m. §§ 293 ff. BGB, wenn das Vorstandsmitglied der Kündigung nachdrücklich widerspricht. Das Angebot, die Arbeitsleistung zu erbringen, liegt in diesem Widerspruch in Verbindung mit der bisherigen Dienstleistung. BGH, Urt. v. 15.2.1968 – II ZR 92/66, WM 1968, 611, 612 (GmbH); BGH, Urt. v. 3.5.1973 – II ZR 15/71, WM 1973, 782, 785 (Genossenschaft); vgl. auch BGH, Urt. v. 13.3.1986 – IX ZR 65/85, ZIP 1986, 661, 663, dazu EWiR 1986, 563 (Schwerdtner).
567 Die Aufforderung des Aufsichtsrats, weitere Bürobesuche einzustellen, macht ein weiteres Angebot der Leistung sinnlos und für den Eintritt des Annahmeverzugs der Gesellschaft überflüssig. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111.
568 Zwar ist zur Herbeiführung des Gläubigerverzugs immer noch ein wörtliches Angebot erforderlich, wenn der Gläubiger erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde (§ 295 BGB). Das wird jedoch für den Fall verneint, dass der Gläubiger offenkundig auf der Annahmeverweigerung beharrt. BAG, Urt. v. 9.8.1984 – 2 AZR 374/83, NJW 1985, 935; RG, Urt. v. 31.5.1904 – II 457/03, RGZ 58, 207, 210 f.
569 Hier schließt sich die Frage an, ob ein Vorstandsmitglied, dessen Organbestellung wirksam widerrufen worden ist, dessen Anstellungsvertrag jedoch mangels Kündigung oder mangels Wirksamkeit einer aus wichtigem Grunde ausgesprochenen Kündigung fortbesteht, die Voraussetzungen des Verzugs i. S. d. §§ 295, 615 BGB herbeiführen muss, um die vereinbarte Vergütung verlangen zu können. Diese vom Bundesgerichtshof bislang nicht entschiedene Frage ist wohl zu verneinen. Auszugehen ist von dem Umstand, dass mit dem wirksamen Widerruf der Berufung zum Gesellschaftsorgan für das frühere Vorstandsmitglied keine Möglichkeit mehr besteht, eine Tätigkeit als Gesellschaftsorgan auszuüben. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, bei Unwirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zu verlangen, dass er den Arbeitnehmer zur Aufnahme der Arbeit auffordert, kann auf den vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Das Bundesarbeitsgericht stützt seine Rechtsprechung auf § 296 i. V. m. § 295 Satz 1 Alt. 2 BGB. Die hier vorausgesetzte, nach dem Kalender bestimmte 162
II. Anstellungsverhältnis
Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers sieht es darin, dass er dem Arbeitnehmer für die im Arbeitsvertrag festgelegten Zeiten Arbeit zuweisen und einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen müsse. BAG, Urt. v. 9.8.1984 – 2 AZR 374/83, ZIP 1985, 116; BAG, Urt. v. 19.4.1990 – 2 AZR 591/89, ZIP 1990, 1292 = AP 615 BGB Nr. 45, dazu EWiR 1990, 977 (Künzl).
Eine derartige Mitwirkungshandlung vermag die Gesellschaft nicht vorzu- 570 nehmen, weil dem früheren Organmitglied eine Arbeit in der Funktion als Gesellschaftsorgan nicht zugewiesen werden kann – abgesehen davon, dass es an Arbeitszeiten nicht gebunden, sondern in seiner Zeiteinteilung frei ist. Vgl. BGH, Urt. v. 13.3.1986 – IX ZR 65/85, ZIP 1986, 661, 663, dazu EWiR 1986, 563 (Schwerdtner); BGH, Urt. v. 7.12.1987 – II ZR 206/87, ZIP 1988, 568, 569 = WM 1988, 298, 299 (GmbH), dazu EWiR 1988, 341 (Groß).
Zwar hat der II. Zivilsenat entschieden, dem Organmitglied könne zugemu- 571 tet werden, eine angemessene Beschäftigung als leitender Angestellter jedenfalls dann anzunehmen, wenn es den Widerruf zu vertreten habe. BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; vgl. auch BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1397 m. w. N.; BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH).
Dieser Gedanke setzt aber gerade voraus, dass die Gesellschaft dem Vor- 572 standsmitglied eine solch angemessene Tätigkeit in leitender Stellung anbietet. Für das Vorstandsmitglied besteht keine Veranlassung, der Gesellschaft seine Arbeitskraft wörtlich anzubieten, wenn es gar nicht weiß, ob die Gesellschaft von einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit Gebrauch machen möchte. Das könnte man allenfalls dann annehmen, wenn von einer Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit der Vorstandstätigkeit und der Tätigkeit als leitender Angestellter auszugehen wäre. Das ist jedoch im Hinblick auf die Merkmale, die für das Tätigkeitsbild des Vorstandsmitgliedes bestimmend sind, insbesondere die Leitung der Gesellschaft im Benehmen mit den übrigen Vorstandsmitgliedern und die daraus erwachsende Aufsichts- und Kontrollpflicht, BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336 m. w. N. (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller),
nicht der Fall. In seiner Entscheidung vom 9.10.2000 hat es der Bundesgerichtshof erneut 573 dahingestellt sein lassen, ob der Geschäftsleiter, dessen Organbestellung widerrufen worden ist, dessen Anstellungsvertrag jedoch fortbesteht, der Gesellschaft die Leistung seiner Dienste zumindest wörtlich anbieten und damit die Voraussetzungen des Annahmeverzugs (§§ 295, 615 Satz 1 BGB) herbeiführen muss, um die vereinbarte Vergütung weiterhin verlangen zu
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D. Der Vorstand
können. Ein solches Angebot ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn die verpflichtete Gesellschaft erkennen lässt, dass sie unter keinen Umständen bereit ist, den Geschäftsleiter weiter zu beschäftigen. Dies ist der Fall, wenn eine Gesellschaft die Bestellung ihres Geschäftsleiters wirksam widerrufen und an seiner Stelle einen anderen Geschäftsleiter bestellt hat. Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, ZIP 2000, 2199 (GmbH) = NJW 2001, 287, dazu EWiR 2001, 263 (Grimm).
574 Ein Geschäftsleiter, der definitiv die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags erklärt und seine Tätigkeit für die Gesellschaft eingestellt hat, kann sich später nicht mehr darauf berufen, dass sein Anstellungsvertrag mangels Wirksamkeit der Kündigung fortbestehe, weshalb die Gesellschaft ihm gegenüber auch nicht mehr in Annahmeverzug geraten kann. BGH, Urt. v. 8.11.1999 – II ZR 7/98, ZIP 2000, 75 (GmbH).
575 Die vereinbarte Vergütung i. S. d. § 615 Satz 1 BGB ist das gesamte Entgelt einschließlich aller Nebenleistungen, das für die versprochenen Dienste vereinbart worden ist. Dazu gehören außer dem Gehalt gegebenenfalls die Tantieme, eine Mietentschädigung, Ersatz für Strom-, Wasser und Heizkosten für die Wohnung sowie die private Nutzung des Dienstkraftwagens einschließlich Fahrer. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 111.
e) Bemessung des Streitwerts bei Kündigung des Dienstvertrags 576 Beim Streit um die Beendigung oder Fortdauer des Anstellungsverhältnisses eines Geschäftsleiters bestimmt sich der Wert nach dem Vergütungsinteresse des Geschäftsleiters. Bei der Bemessung wendet der II. Zivilsenat § 9 ZPO an. Maßgeblich ist daher der 3 ½ – fache Jahresbetrag der Vergütung inklusive Tantieme. BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345 (GmbH); BGH, Beschl. v. 17.1.1994 – II ZR 219/93, GmbHR 1994, 244 (GmbH); BGH, Beschl. v. 17.8.2000 – II ZR 302/99, juris.
f) Nachvertragliche Herausgabepflicht 577 Das Vorstandsmitglied ist nach Beendigung seiner Amtszeit gem. §§ 675, 666, 667 BGB verpflichtet, über die in seinem Besitz gelangten Unterlagen der Gesellschaft Auskunft zu erteilen und sie herauszugeben. Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Dokumente bzw. deren Mehrfertigungen nicht bei ausgeschiedenen Organmitgliedern verstreut bleiben und in unbefugte Hände geraten können. Dabei geht es nicht nur um geheimhaltungsbedürftige, sondern auch um sonstige Unterlagen, die aus gegebenem Anlass einzeln oder in ihrer Zusammenstellung eine im Vorhinein
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II. Anstellungsverhältnis
nicht abzuschätzende Bedeutung erlangen können. Dies gilt nach einem obiter dictum des Bundesgerichtshofs auch für die Verpflichtung zur Herausgabe von Duplikaten oder Fotokopien. Vgl. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 3 und 9 m. w. N. zum Aufsichtsrat, dazu EWiR 2008, 773 (Paul).
4. Vertragliche Verknüpfung der Beendigung von Organverhältnis und Anstellungsvertrag Nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG können Bestellung zum Vorstandsmitglied und 578 Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstandes widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Einen solchen Grund sieht das Gesetz namentlich in einer groben Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist. Die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags ist nach § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmen (§ 84 Abs. 3 Satz 5 AktG). Ein wichtiger Grund im Sinne dieser Bestimmung ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund deren dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung aller Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Umschreibung des wichtigen Grundes in § 626 Abs. 1 BGB und die Ver- 579 weisung auf diese Vorschrift in § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG schließen es aus, dass die Tatsache des Bestellungswiderrufs gem. § 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG von Gesetzes wegen als wichtiger Grund zur Auflösung des Anstellungsverhältnisses angesehen werden kann. Andererseits ist der wichtige Grund, der zum Widerruf geführt hat, nicht notwendigerweise auch ein Grund, mit dem das Anstellungsverhältnis zum Erlöschen gebracht werden kann. Das zeigt insbesondere der Grund des Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung aus nicht offenbar unsachlichen Gründen. Dieser Umstand führt dazu, dass die Aktiengesellschaften die Auflösung des Dienstvertrags an den Widerruf der Organbestellung koppeln. Eine solche Verknüpfung hat der Bundesgerichtshof unter bestimmten Einschränkungen für zulässig gehalten. BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115 = ZIP 1990, 1057 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1209 (Priester); BGH, Beschl. v. 28.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345, 346 (GmbH).
Die das Dienstverhältnis regelnde Vereinbarung ist rechtlich dem Organver- 580 hältnis nachrangig. Unter dieser Voraussetzung kann es auch nicht ausgeschlossen sein, dass die Beendigung des Dienstvertrags an den Widerruf der 165
D. Der Vorstand
Organstellung gekoppelt wird. Die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats wird dadurch, dass die vorzeitige Beendigung des Dienstvertrags durch schuldrechtliche Vereinbarung von der Abberufung des Organs abhängig gemacht wird, nicht beeinträchtigt. Der Verknüpfung steht auch nicht § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG entgegen, wonach der Widerruf sofort wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt wird. Denn ist die Abberufung unrechtmäßig vorgenommen worden, hat es das betroffene Organmitglied in der Hand, die Feststellung ihrer Unwirksamkeit herbeizuführen, so dass die für den Anstellungsvertrag auflösende Bedingung nicht eintritt und dem Organmitglied die Rechte aus dem Vertrag erhalten bleiben. BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1191, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115 = ZIP 1990, 1057 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1209 (Priester).
581 Die Koppelung führt jedoch nicht in jedem Falle, in dem das Organverhältnis erlischt, zu einer sofortigen Beendigung des Anstellungsvertrags. Ein gleichzeitiges Erlöschen der beiden Rechtsverhältnisse tritt nur dann ein, wenn der wichtige Grund i. S. d. § 84 Abs. 3 Satz 1 und 2 AktG auch die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB erfüllt. Eine vertragliche Erweiterung der Kündigungsgründe des § 626 Abs. 1 BGB ist im Hinblick auf den Ausschließlichkeitscharakter dieser Regelung nicht zulässig. Die Koppelungsvereinbarung beinhaltet aber eine vertragliche Erweiterung der Gründe, die eine Auflösung des Dienstverhältnisses vor dessen im Vertrag festgelegten Beendigung ermöglichen soll. Die Kündigung des Dienstvertrags aus einem Grund, der lediglich kraft Vereinbarung zur vorzeitigen Auflösung des Vertrages führt, ist nur unter Wahrung der Mindestfrist des § 622 Abs. 1 und 2 BGB (§ 622 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.) möglich. Das gilt auch für Vorstandsmitglieder einer AG. BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858, 860; BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann); BGH, Urt. v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115 = ZIP 1990, 1057 (GmbH), dazu EWiR 1990, 1209 (Priester); BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669, 1670 f. (GmbH).
582 Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Beendigung durch Ausspruch einer Kündigung oder durch vorweggenommene Vereinbarung eintritt. Das folgt daraus, dass die in § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. enthaltene Frist zwingend ist und diese als Bestandteil der Koppelungsregelung das Organverhältnis ebenso beeinträchtigt oder beeinflusst wie in dem Falle, dass die Auflösung des Anstellungsvertrages durch Kündigung eintritt. Haben die Parteien in ihren Vertragsvereinbarungen dem Umstand, dass die Auflösung nur befristet er-
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III. Organisatorische Fragen
folgen kann, nicht Rechnung getragen, ist die Vertragsklausel einschränkend in diesem Sinne auszulegen. BGH, Urt. v. 29.5.1989 – II ZR 220/89, ZIP 1989, 1190, 1193, dazu EWiR 1989, 1051 (Zimmermann).
Nach § 622 Abs. 6 BGB darf für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses 583 durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Dem widerspricht eine Vertragsgestaltung, nach der die Gründe für den Widerruf der Bestellung durch den Aufsichtsrat nach § 84 Abs. 3 AktG bzw. die Gesellschafterversammlung nach § 38 GmbHG auch Gründe für eine Kündigung des Anstellungsvertrages darstellen oder nach der die Auflösung des Dienstvertrages an den Widerruf der Organbestellung gekoppelt ist. Ohne dass darauf näher eingegangen wird, ergibt sich aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, dass diese Vorschrift auf das Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsleiter nicht angewandt werden soll. Das erscheint folgerichtig. Wie sich aus den Entscheidungen BGH, Urt. v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291 = ZIP 1981, 367 (GmbH); BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = ZIP 1984, 1088 (GmbH)
ergibt, ist § 622 BGB in der Fassung vom 14.8.1969 Art. 2 Nr. 4 des Ersten Arbeitsbereinigungsgesetzes vom 14.8.1969, BGBl I, 1106
nur entsprechend anzuwenden. Von dieser Erwägung wird aus Gründen der sozialen Schutzbedürftigkeit des Geschäftsleiters nur § 622 Abs. 1 und 2 BGB (§ 622 Abs. 1 BGB a. F.) erfasst. Die Anpassung der Auflösung des Anstellungsverhältnisses an den Widerruf der Organbestellung, der im Interesse der Gesellschaft vorgenommen wird, erfordert keinen über den nach den Absätzen 1 und 2 (Absatz 1 a. F.) hinausgehenden Schutz der Belange des Geschäftsleiters, wie er in Absatz 6 (Abs. 5 a. F.) zum Ausdruck kommt. Eine übermäßig lange einseitige Bindung des Geschäftsleiters wird durch die Regelung des § 624 BGB verhindert. III. Organisatorische Fragen 1. Anzahl der Vorstandsmitglieder Der Vorstand kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Nach § 76 584 Abs. 2 Satz 2 AktG hat er bei Gesellschaften mit einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro aus mindestens zwei Personen zu bestehen, es sei denn, die Satzung bestimmt, dass er aus einer Person besteht. Die mit der Neufassung des Aktiengesetzes vom 6.9.1965 in das Gesetz eingefügte Vorschrift des § 76 Abs. 2 Satz 2 AktG ist unter Berücksichtigung von § 23 Abs. 2 Nr. 6 AktG auszulegen, wonach in der Satzung die Zahl der Mitglieder
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D. Der Vorstand
des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird, anzugeben sind. Eine Satzungsvorschrift, nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder vom Aufsichtsrat bestimmt wird, gibt eine Regel an, nach der die Zahl der Vorstandsmitglieder festgelegt wird. BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, 217, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche).
2. Vetorecht des Vorsitzenden 585 Bei einem mehrköpfigen Vorstand sind die Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt, soweit die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands nichts Abweichendes bestimmen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbs. 1 AktG). Eine Bestimmung, dass ein oder mehrere Vorstandsmitglieder Meinungsverschiedenheiten im Vorstand gegen die Mehrheit seiner Mitglieder entscheiden, kann jedoch nicht getroffen werden (§ 77 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG). Die Verhinderung einer Maßnahme durch Einräumung eines Vetorechts an ein Mitglied oder mehrere Mitglieder des Vorstands wird von der herrschenden Meinung im Schrifttum als zulässig angesehen. Spindler, in: MünchKomm-AktG, § 77 Rn. 17; Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 77 Rn. 16; kritisch Hüffer/Koch, AktG, § 77 Rn. 12.
586 Das gilt jedoch nicht für ein dem Vorsitzenden eingeräumtes allgemeines Vetorecht, soweit es sich auf die Geschäftsführungsbefugnis des Arbeitsdirektors (§ 33 MitbestG) erstreckt. Diese Vorschrift behält dem Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied des Geschäftsführungsorgans der AG einen Kernbereich von Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen vor. Mag er auch wie jedes andere Vorstandsmitglied Mehrheitsentscheidungen des Gesamtorgans – auch mit Stichentscheid des Vorsitzenden – unterworfen sein, so geht das Veto- Recht des Vorsitzenden weiter: Es läuft darauf hinaus, ihm eine negative Mitkompetenz in dem ureigenen Zuständigkeitsbereich des Arbeitsdirektors einzuräumen und damit das gesetzliche Recht des Arbeitsdirektors auf eigenständige, im Einvernehmen mit dem Gesamtorgan erfolgende Wahrnehmung dieses Bereiches auszuhöhlen. Zugleich sieht der Bundesgerichtshof in dem Übergewicht, das der Stimme des Vorsitzenden unabhängig von der Meinung anderer Mitglieder zukommt, im Verhältnis zum Arbeitsdirektor eine nach § 33 MitbestG verbotene Ungleichbehandlung. Diese Ungleichheit kann nicht dadurch behoben werden, dass dem Arbeitsdirektor ebenso wie den anderen Vorstandsmitgliedern für den eigenen Geschäftsbereich ein Widerspruchsrecht eingeräumt wird. Dieses ist nach Reichweite und Gewicht einem alle Geschäftsbereiche umfassenden Vetorecht des Vorsitzenden nicht vergleichbar und gewährt auch sachlich keinen Ausgleich für die Einschränkung der Kompetenz des Arbeitsdirektors. BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 58 ff. = ZIP 1984, 55.
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III. Organisatorische Fragen
3. Vertretungsbefugnis des Vorstands Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 AktG vertritt der Vorstand die Gesellschaft gericht- 587 lich und außergerichtlich. Diese Vertretungsbefugnis steht unter dem Vorbehalt des Vertretungsrechts des Aufsichtsrats gegenüber Vorstandsmitgliedern (§ 112 AktG). a) Gesamt – oder Einzelvertretungsbefugnis Mehrköpfige Vorstände sind nur gemeinsam zur Vertretung der AG befugt 588 (§ 78 Abs. 2 Satz 1 AktG); Einzelvertretung ist der Regelung durch die Satzung vorbehalten. aa) Übertragungsverbot Die Befugnis der Vorstandsmitglieder zur organschaftlichen Willensbildung 589 und Willenserklärung und die damit verbundene Verantwortung kann nicht in ihrer Gesamtheit auf eine andere Person übertragen werden. Infolgedessen ist ein Mitglied des Vorstandes auch nicht befugt, seine Vertretungsmacht insgesamt durch einen anderen ausüben zu lassen: Ein gesamtvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied kann seine Vertretungsmacht nicht allgemein auf einen Dritten übertragen oder ein anderes Mitglied des Vorstands ermächtigen, es in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied zu vertreten. Das Gesetz erlaubt insoweit zur Erleichterung des Rechtsverkehrs nur Einzelfallregelungen (§ 78 Abs. 4 AktG). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Gesamtvertretungsbefugnis dem Schutz der Gesellschaft vor den Vorstandsmitgliedern dient. Würde man eine Änderung durch sie in allgemeiner Form zulassen, würde die Verantwortung nicht mehr von dem Gesamtvertreter getragen und eine gegenseitige Kontrolle ausscheiden. Die Satzung kann allerdings den Vorstand ermächtigen, die Gesamtvertretungsbefugnis allgemein zu ändern. Eine Ausnahme kann auch nicht für den Fall gelten, dass eine Generalvollmacht widerruflich und nur für eine begrenzte Zeit ausgestellt worden ist. Denn die Frage, ob ein derartiger Ausnahmefall gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, die einer unterschiedlichen Würdigung unterliegen können. Dadurch würde die Rechtssicherheit gefährdet. Aber auch die Belange des Rechtsverkehrs würden beeinträchtigt, weil der Geschäftsgegner die Umstände, die für die Wirksamkeit der Generalvollmacht maßgebend wären, nicht kennt. Hinzu kommt, dass die Mitglieder des Vorstands auch im öffentlichen Interesse zu erfüllende Pflichten haben, wie z. B. die Insolvenzantragspflicht, die vornehmlich dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor einer weiteren Verminderung des zur Befriedigung noch vorhandenen Vermögens dient. BGH, Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65 (GmbH); BGH, Urt. v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 30 (GmbH);
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 76 (KG); BGH, Urt. v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, WM 1975, 790, 791 (GmbH); BGH, Urt. v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, WM 1976, 1246 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047, 1048 (GmbH); BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 (GmbH), dazu EWiR 1988, 375 (K. Müller).
590 Das Verbot allgemeiner Übertragung der Vertretungsmacht ist auch auf den Fall der Einzelvertretungsmacht der Vorstandsmitglieder anzuwenden. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Einzelvertretung für die bestimmten Geschäftsbereiche der Regelung durch die Satzung vorbehalten ist (§ 78 Abs. 2 Satz 1 AktG). Bestimmt die Satzung, dass bei einem mehrgliedrigen Vorstand jeweils zwei Mitglieder vertretungsberechtigt sind und dass, soweit nur ein Vorstandsmitglied vorhanden ist, dieses Alleinvertretungsberechtigung hat, entsteht diese nicht, wenn alle Vorstandsmitglieder bis auf eines an der Ausübung ihres Amtes tatsächlich gehindert sind, sondern nur, wenn die übrigen sterben, abberufen werden oder aus einem anderen Grunde aus ihrem Amt ausscheiden. BGH, Urt. v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29 (GmbH).
bb) Satzungsgestaltung 591 Die Einzelvertretungsregelung in der Satzung kann – ohne dass dies sachlich einen Unterschied machen würde – Einzelvertretungsbefugnis vorsehen oder die jeweilige „Befugnis, die Gesellschaft allein zu vertreten“. „Einzelvertretungsbefugnis“ und „Alleinvertretungsbefugnis“ haben in diesem rechtlichen Kontext einen übereinstimmenden Bedeutungsgehalt: Sie bezeichnen gleichermaßen die Befugnis eines von mehreren Geschäftsleitern, die Gesellschaft allein zu vertreten, und können deshalb in der Satzung und bei der entsprechenden registerrechtlichen Eintragung synonym verwendet werden. BGH, Beschl. v. 19.3.2007 – II ZB 19/06, ZIP 2007, 1103 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2007, 401 (Terner).
592 Wird in der Satzung bestimmt, dass die Gesellschaft einen oder mehrere Vorstandsmitglieder haben kann und dass, wenn mehrere Vorstandsmitglieder bestellt sind, die Gesellschaft durch zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam oder durch ein Vorstandsmitglied in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten wird, und war ursprünglich nur ein Vorstandsmitglied bestellt, so hat, wenn ein zusätzlich bestelltes Vorstandsmitglied verstirbt, das verbleibende Vorstandsmitglied Alleinvertretungsmacht. BGH, Beschl. v. 4.5.2007 – II ZR 330/05, ZIP 2007, 1406 (GmbH).
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III. Organisatorische Fragen
Die Alleinvertretungsmacht des verbliebenen Vorstandsmitglieds folgt in die- 593 sem Fall daraus, dass nach der Satzung auch die Möglichkeit bestand, nur ein Vorstandsmitglied zu bestellen. Die Satzung hat nicht festgelegt, dass notwendigerweise zwei Vorstandsmitglieder tätig sein sollen. Sie hat lediglich eine Regelung getroffen, wer die Gesellschaft zu vertreten hat, wenn zwei Vorstandsmitglieder bestellt sind. BGH, Beschl. v. 4.5.2007 – II ZR 330/05, ZIP 2007, 1406 Rn. 5 (GmbH) in Abgrenzung zu BGHZ 121, 263, 264 = ZIP 1993, 706, 707, dazu EWiR 1993, 615 (Vollkommer).
Hat ein lediglich zur Gesamtvertretung berechtigtes Vorstandsmitglied eine 594 Willenserklärung abgegeben, kann diese von einem gesamtvertretungsberechtigten Mitglied auch stillschweigend genehmigt werden. BGH, Urt. v. 13.4.1959 – III ZR 144/57, WM 1959, 881, 883 (Genossenschaft).
Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht einen Vertrag für eine AG abge- 595 schlossen, so kann dieser nur durch Genehmigung des Vorstands, nicht aber des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung wirksam werden. BGH, Urt. v. 21.10.1971 – II ZR 90/68, WM 1971, 1502, 1504 (GmbH).
b) Zurechnungstatbestände Werden die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch die Kenntnis 596 bestimmter Umstände beeinflusst, führt das Wissen eines in einer Angelegenheit vertretungsberechtigten – auch nur gesamtvertretungsberechtigten – Organmitglieds zu einem Wissen der Gesellschaft selbst. Dies gilt auch dann, wenn das betreffende Organ nicht am Geschäftsabschluss beteiligt war. BGH, Urt. v. 30.4.1955 – II ZR 5/54, WM 1955, 830, 832 (GmbH); BGH, Urt. v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 152 f. (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 (GmbH), dazu EWiR 1988, 375 (K. Müller).
Hängt der Eintritt einer Rechtsfolge allein von einer solchen Kenntniserlan- 597 gung ab, bedarf es keines Hinzutretens weiterer Umstände für deren Wirksamkeit. Erlangt z. B. ein gesamtvertretungsberechtigtes Organmitglied Kenntnis von dem Inhalt eines Bestätigungsschreibens, ohne dass dem Inhalt widersprochen wird, kann das zum Vertragsschluss führen. BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371, dazu EWiR 1988, 375 (K. Müller).
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D. Der Vorstand
598 Für das Entstehen einer Duldungsvollmacht reicht jedoch die alleinige Kenntniserlangung des Vertretenen von dem Handeln eines gesamtvertretungsberechtigten Organmitglieds durch dieses Organmitglied nicht aus. Es muss noch der Entschluss hinzukommen, gegen die bekannt gewordene Verhaltensweise nicht einzuschreiten. Diese Entschließung kann jedoch nicht durch das seine Vertretungsbefugnis überschreitende Organmitglied allein gefasst werden, sondern es muss noch eine entsprechende Willensentschließung des weiteren gesamtvertretungsberechtigten Organmitglieds hinzukommen. BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 (GmbH), dazu EWiR 1988, 375 (K. Müller).
599 Der zurechenbare Rechtsschein der Einzelvertretung bei einem nur mit Gesamtvertretungsbefugnis ausgestatteten Organmitglied setzt voraus, dass durch das Verhalten vertretungsberechtigter Vorstandsmitglieder bei dem Geschäftspartner der irrige Eindruck entsteht, das allein handelnde Vorstandsmitglied sei ermächtigt, die Gesellschaft als Einzelvertreter zu vertreten, und dass sich der Geschäftspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auf die Richtigkeit seines Eindruckes verlassen durfte. Ferner muss das übergangene vertretungsberechtigte Vorstandsmitglied bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt in der Lage gewesen sein, das eigenmächtige Verhalten des allein handelnden Gesamtvertreters zu erkennen und zu verhindern. Schließlich muss der hervorgerufene Rechtsschein für ein bestimmtes Handeln des Geschäftsgegners ursächlich geworden sein. BGH, Urt. v. 17.12.1975 – IV ZR 73/74, WM 1976, 503, 504.
c) Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern 600 Die Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern ist gem. § 112 AktG (vgl. hierzu ausführlich Rn. 1275 ff.) ausschließlich dem Aufsichtsrat übertragen. Diese Regelung ist zwingend. Sie kann durch Satzungsregelung weder beschränkt noch ausgeschlossen werden. 601 Auch der Aufsichtsrat kann den Vorstand kraft der zwingenden aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung nicht zu Rechtsgeschäften mit sich selbst ermächtigen. Eine Befreiung i. S. d. § 181 BGB ist unzulässig. Die noch unter der Geltung des Aktiengesetzes 1937 ergangenen Entscheidungen, die sich mit der Frage der Befreiung von Vorstandsmitgliedern vom Selbstkontrahierungsverbot auseinandersetzen, BGH, Urt. v. 21.4.1960 – II ZR 126/58, WM 1960, 803, 804; BGH, Urt. v. 23.3.1961 – II ZR 236/59, WM 1961, 675, 676,
sind überholt. BGH, Urt. v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 154 (Genossenschaft).
172
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder 1. Schadenersatzpflicht gegenüber der AG (Innenhaftung) Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten ver- 602 letzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Vorstandsmitglieder verletzen ihre Pflichten nicht nur dann, wenn sie eigenhändig tätig werden oder Kollegialentscheidungen treffen, sondern auch, wenn sie gegen pflichtwidrige Handlungen anderer Vorstandsmitglieder nicht einschreiten. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 22, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 27.
a) Passivlegitimation aa) Vorstand Die Mitglieder des Vorstands haften von dem Zeitpunkt an, in dem sie bestellt 603 worden sind und das Amt angenommen haben. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 343; BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050, 1051 (GmbH), dazu EWiR 1986, 587 (Weipert); BGH, Urt. v. 21.4.1994 – II ZR 65/93, GmbHR 1995, 128 (GmbH).
Die Haftung greift auch dann ein, wenn die Bestellung nicht wirksam erfolgt 604 ist, der Bestellte jedoch seine Tätigkeit aufgenommen hat. BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 32 = ZIP 1995, 591 (GmbH).
Einer Eintragung der Bestellung in das Handelsregister, bedarf es nicht.
605
BGH, Urt. v. 21.4.1994 – II ZR 65/93, NJW 1994, 2024 (GmbH); vgl. auch BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 343.
Einer Haftung des Vorstands steht es auch nicht entgegen, dass der Anstel- 606 lungsvertrag fehlerhaft oder unwirksam ist oder gar ganz fehlt. Denn die Haftung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 GmbHG beruht nicht auf der Verletzung seiner anstellungsvertraglichen Pflichten, sondern allein auf der Verletzung seiner Organpflichten. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194 f.; BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck); BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1392 (GmbH);
173
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, WM 1992, 691, 692 (GmbH); BGH, Urt. v. 21.4.1994 – II ZR 65/93, NJW 1994, 2027 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 169 ff. = ZIP 2001, 1458, 1459, dazu EWiR 2001, 917 (Keil) dort allerdings zu § 43 Abs. 3 GmbHG
607 Die Haftung greift auch, wenn die errichtete Gesellschaft noch nicht in das Handelsregister eingetragen ist (Vor-AG). BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050, 1051 (GmbH), dazu EWiR 1986, 587 (Weipert).
608 Die Rechte und Pflichten aus der Bestellung bleiben bis zur Beendigung der Organstellung durch Abberufung oder wirksame Niederlegung bestehen. Vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2003 – II ZR 340/01, ZIP 2003, 666 (GmbH).
609 Nimmt der Vorstand sein Amt trotz Beendigung der Bestellung unbeanstandet von dem Aufsichtsrat weiterhin wahr, unterliegt es bei einer Pflichtverletzung ebenfalls der Organhaftung. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 343.
bb) Faktisches Organmitglied 610 Die Haftung trifft auch das faktische Organmitglied, das, ohne bestellt worden zu sein, die Geschäfte der AG tatsächlich wie ein Vorstand führt. 611 Der Bundesgerichtshof hat eine Pflicht des faktischen Organs anerkannt, einen Insolvenzantrag zu stellen und entschieden, dass ihn die Verantwortung für die Verletzung dieser Pflicht trifft. BGH, Urt. v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106; BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = ZIP 1988, 771, dazu EWiR 1988, 905 (K. Schmidt) (GmbH); BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848, 851, dazu EWiR 2002, 679 (Blöse); BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork).
612 Für die Verantwortlichkeit nach § 93 Abs. 2 AktG gilt nichts anderes. BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = ZIP 2001, 1458, 1459, dazu EWiR 2001, 917 (Keil) zu § 43 Abs. 2 GmbHG.
613 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, auf das Gesamterscheinungsbild seines
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Auftretens an. Danach ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat. BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 48 = ZIP 1988, 771, 772, dazu EWiR 1988, 905 (K. Schmidt); BGH, Urt. v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848, 851, dazu EWiR 2002, 679 (Blöse); BGH, Urt. v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414, 1415; BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork); BGH, Beschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 Rn. 5, dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt/Lau) zur GmbH.
cc) Prokurist Der Prokurist haftet nicht nach § 93 AktG.
614
BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = ZIP 2001, 1458, 1459, dazu EWiR 2001, 917 (Keil) (GmbH).
Ein Prokurist kann jedoch aus positiver Vertragsverletzung seines Anstellungsvertrags haftbar sein, wenn er entgegen einer Weisung des Vorstands handelt, ebenso, wenn er ohne dessen Weisung „an ihm vorbei“ handelt. Er haftet dagegen nicht, wenn er auf Weisung oder mit dem erklärten Einverständnis des Vorstands handelt und die Voraussetzungen einer deliktischen Haftung gem. §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB, die auch sonst unberührt bleiben, bei ihm nicht vorliegen. BGH, Urt. v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = ZIP 2001, 1458, dazu EWiR 2001, 917 (Keil) (GmbH).
b) Pflichtverletzung durch Dritte Der Vorstand muss sich das Verschulden von Mitarbeitern oder von der Ge- 615 sellschaft beauftragten Dritten nicht zurechnen lassen. Der Vorstand haftet grundsätzlich nur für eigenes Verschulden. Eine Zurechnung des Verschuldens beauftragter Dritter nach § 278 BGB kommt nur in Frage, wenn das Vorstandsmitglied eine Hilfsperson in die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten einschaltet. Wenn ein Vorstand im Namen der Gesellschaft Dritte einschaltet, bedient er sich dieser regelmäßig nicht zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten, vielmehr sollen diese im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig werden. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 17, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
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D. Der Vorstand
616 Das Vorstandsmitglied haftet aber aus eigener Verantwortlichkeit, wenn es pflichtwidrige Handlungen anderer Vorstandsmitglieder oder von Mitarbeitern anregt oder pflichtwidrig nicht dagegen einschreitet. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 22, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 27.
c) Verhältnis der Organhaftung zu anderen Haftungsgrundlagen 617 Die Pflichten aus dem Anstellungsverhältnis bestehen neben der Pflicht aus dem Organverhältnis. Es ist das Verhältnis dieser Pflichten zueinander klarzustellen. 618 Einer Haftung wegen einer schuldhaften Verletzung des Anstellungsvertrags nach § 280 Abs. 1 BGB kommt gegenüber der gesetzlichen Haftungsgrundlage des § 43 Abs. 2 GmbHG keine eigenständige Bedeutung zu. Diese nimmt als weitere gesetzliche Anspruchsgrundlage sowie Spezialregelung die vertragliche Haftungsgrundlage in sich auf. BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1392 (GmbH), dazu EWiR 1989, 779 (Gravenhorst); BGH, Urt. v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199, 200 (GmbH), dazu EWiR 1997, 303 (Zimmermann); BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117.
Für § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gilt nichts anderes. 619 Dasselbe gilt gegenüber der Haftung nach § 687 Abs. 2 BGB. BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1392 (GmbH), dazu EWiR 1989, 779 (Gravenhorst); BGH, Urt. v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199, 200 (GmbH), dazu EWiR 1997, 303 (Zimmermann).
d) Pflichten der Vorstandsmitglieder 620 Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Diese Vorschrift regelt nicht nur den Verschuldensmaßstab, sondern auch die objektiven Verhaltenspflichten, die in einer Art Generalklausel umschrieben werden, und deren Verletzung eine Haftung der einzelnen Organmitglieder auslöst. 621 Darüber hinaus erlegt die Norm den Vorstandsmitgliedern aufgrund ihrer Stellung als treuhänderische Verwalter fremden Vermögens die Gewähr dafür auf, das Gesellschaftsvermögen zu erhalten, um mittelbare Vermögenseinbußen der Aktionäre zu verhindern und eine Gefährdung der Gläubigerinteressen durch seine Minderung zu vermeiden.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 (GmbH).
Der Vorstand einer AG ist verpflichtet, in allen Angelegenheiten, die das In- 622 teresse der Gesellschaft berühren, den Vorteil der Gesellschaft zu wahren. Er darf allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben. BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 (GmbH), dazu EWiR 1985, 991 (Koch); BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 Rn. 38 – GAMMA (GmbH), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns).
Der Geschäftsführer ist weiter verpflichtet, Schaden von der Gesellschaft 623 abzuwenden. BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 Rn. 38 – GAMMA (GmbH), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns).
Im Übrigen können die Pflichten wie folgt konkretisiert werden: aa) Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsleitung und Geschäftsführung Dazu gehört die Sorge für ein rechtmäßiges Verhalten nach außen, die Erfüllung 624 öffentlich-rechtlicher Pflichten, die Rechtmäßigkeit der Organisation und der Entscheidungsabläufe im Unternehmen, eine ausreichende Finanzausstattung des Unternehmens, eine sorgfältige Unternehmensführung und eine loyale Zusammenarbeit im Organ und mit anderen Organen. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung umfasst also die Ver- 625 pflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht). BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/Causevic).
Die AG hat Gesetzesverbote (§ 134 BGB) zu beachten; ihr Verhalten darf nicht 626 sittenwidrig (§ 138 BGB) sein, dem Gebot von Treu und Glauben darf nicht zuwidergehandelt werden. Mit Schmiergeldzahlungen verletzt das Vorstandsmitglied daher in der Regel seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft, weil dieses Verhalten sittenwidrig ist. BGH, Urt. v. 9.11.1964 – VII ZR 103/63, NJW 1965, 293.
Der Vorstand verstößt gegen seine Pflichten, wenn er an ein Aufsichtsrats- 627 mitglied Beratungshonorare zahlt, bevor der Aufsichtsrat den zugrunde liegenden Verträgen nach § 114 Abs. 1 AktG zugestimmt hat (vgl. auch § 93 Abs. 3 Nr. 7 AktG). BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 9 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
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D. Der Vorstand
628 Geht ein Organmitglied für die AG Verpflichtungen gegenüber Dritten ein, von denen von vornherein feststeht, dass die Gesellschaft sie nicht wird erfüllen können, so hat er der Gesellschaft den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen, wenn es die Sach- und Rechtslage überblickt hat oder bei der gebotenen Sorgfalt hätte überblicken können. BGH, Urt. v. 12.10.1987 – II ZR 251/86, ZIP 1988, 512, 514 (GmbH & Co. KG), dazu EWiR 1988, 887 (Loos); BGH, Urt. v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 Rn. 38 – GAMMA (GmbH), dazu EWiR 2008, 493 (Bruns); vgl. auch BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rn. 22 f., dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/ Causevic).
629 Das Vorstandsmitglied muss für die Einhaltung der ihm auferlegten öffentlichrechtlichen Pflichten sorgen. Es muss darauf achten, dass die Gesellschaft ihren Buchführungs- und Bilanzierungspflichten nachkommen kann (§ 91 Abs. 1 AktG). BGH, Urt. v. 9.5.1974 – II ZR 50/72, DB 1974, 1619; BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 377 = ZIP 1994, 867 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 = ZIP 2006, 467 Rn. 15 (GmbH).
630 Die Geschäftsleiter haben die steuerlichen Pflichten der AG zu erfüllen. Dazu gehört u. a. die Führung der Bücher und Aufzeichnungen für die Gesellschaft, die Abgabe und Berichtigung der Steuererklärungen, die Erteilung von Auskünften an die Steuerbehörden und die Abführung von Steuern für die AG und ihre Arbeitnehmer. BGH, Urt. v. 8.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143 (GmbH).
631 Organisatorische Maßnahmen müssen sicherstellen, dass die Mitglieder des Vorstands die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens jederzeit zu überblicken vermögen. BGH, Urt. v. 9.5.1974 – II ZR 50/72, BB 1974, 994 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH, Urt. v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, ZIP 1991, 159, 160 (GmbH), dazu EWiR 1991, 378 (Kirberger); BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 377 = ZIP 1994, 867 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, 561 (GmbH), dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski); BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336 (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Gerät die Gesellschaft in eine Krise, muss der Vorstand eine Prüfung und ge- 632 gebenenfalls geeignete Schritte in die Wege leiten, um die AG zu sanieren, bevor er einen Insolvenzantrag stellt. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 110 ff.
Versieht jemand infolge Ausscheidens eines anderen Vorstandsmitglieds – 633 wenn auch nur vorübergehend – die Organfunktion einer AG allein, muss er die in die Endkalkulation übernommenen Einzelposten bei einem Angebot über mehrere Millionen DM überprüfen, zumal wenn das Angebot aufgrund der angespannten Lage des Unternehmens ein Vorgang von erheblichem wirtschaftlichem Gewicht ist. Verlässt er sich auf die Vorarbeiten des Leiters der kaufmännischen Abteilung, übersieht er einen der AG nachteiligen Übertragungsfehler und unterzeichnet er das Angebot, verstößt er gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten. BGH, Urt. v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548, 1549.
Ferner ist jedes Vorstandsmitglied dafür verantwortlich, dass die Sozialve- 634 rsicherungsbeiträge abgeführt werden (vgl. § 266a StGB). Es muss sich über die Voraussetzungen unterrichten, unter denen das i. E. zu geschehen hat. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2019 f. (GmbH), dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 = ZIP 1997, 412, 414 f. (GmbH), dazu EWiR 1997, 561 (Marxen); BGH, Urt. v. 13.1.1998 – VI ZR 58/97, ZIP 1998, 398, 399 (GmbH), dazu EWiR 1998, 467 (Plagemann);.
Risikogeschäfte, die der Vorstand veranlasst hat, können pflichtwidrig sein, 635 wenn sie im Falle des Erfolges zwar einen hohen Gewinn versprechen, jedoch auch in hohem Maße geeignet sind, die Finanzlage der Gesellschaft zu gefährden. BGH, Urt. v. 4.7.1977 – II ZR 150/75, BGHZ 69, 207, 213, 215 (Publikums-KG).
Devisentermingeschäfte machen – insbesondere bei Anhaltspunkten für 636 Unregelmäßigkeiten – sorgfältige Kontrollen erforderlich. BGH, Urt. v. 12.7.1979 – III ZR 154/77, AG 1980, 53, 56.
Einer zum Schadensersatz führenden Sorgfaltspflichtverletzung macht sich 637 auch ein Geschäftsleiter schuldig, der namens der Gesellschaft einen Beratervertrag mit einer für den Beratungsgegenstand nicht qualifizierten Person abschließt und dieser das Honorar für eine unbrauchbare Beraterleistung auszahlt. BGH, Urt. v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199, 200 (GmbH), dazu EWiR 1997, 303 (Zimmermann).
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D. Der Vorstand
638 Wird eine Person als Mitglied des Vorstandes bestellt und übernimmt sie das Amt, hat sie die Verpflichtung, das Unternehmen zu leiten. Das Amt kann zwar auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes niedergelegt werden; BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 92 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 = ZIP 1992, 430, 432 (GmbH), dazu EWiR 1993, 461 (Miller).
geschieht das ohne hinreichenden Grund, liegt darin eine Pflichtverletzung, die schadenersatzpflichtig machen kann. 639 Vorstandsmitglieder müssen durch Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat für eine optimale Besetzung der Positionen im Vorstand Sorge tragen, ferner ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass auch die Ebene der leitenden Angestellten mit leistungsfähigen Personen besetzt ist. Sie müssen ferner dafür sorgen, dass die Arbeit unterhalb der Führungsebene entsprechend ihren Vorgaben ausgeführt wird. Eine interne Revisionsabteilung, ein Controlling, ordnungsgemäße Führung der Bücher und eine funktionierende Warenbestandskontrolle sind unverzichtbar. Zum Controlling vgl. Götz, AG 1995, 337, 338 f. Zur Überwachung der Angestellten vgl. BGH, Urt. v. 12.7.1979 – III ZR 154/77, BGHZ 75, 120, 133; zur Warenbestandskontrolle vgl. BGH, Urt. v. 9.6.1980 – II ZR 187/79, WM 1980, 1190 (GmbH).
640 Vorstandsmitglieder sind bei Gesamt- und Einzelgeschäftsführungsbefugnis zu loyaler Zusammenarbeit verpflichtet. Jedes Mitglied hat Informationen, die es dienstlich oder außerdienstlich erfahren hat, den anderen Mitgliedern bekanntzumachen, auch wenn sie nicht sein Ressort betreffen. Sind Vorstandsmitglied A. nach der Geschäftsverteilung für den Bereich „kaufmännische Verwaltung“ und B. für „Herstellung und Vertrieb“ zuständig, verletzt A. das Loyalitätsprinzip, wenn er einen gemeinsam zu erstellenden Vorstandsbericht allein abfasst, einen weiteren Handelsvertreter ohne Information des B und weiteres Personal ohne Abstimmung mit diesem einstellt oder wenn er eigenmächtig Geschäfte im Ausland anbahnt. BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519.
641 Bei Unstimmigkeiten muss jedes Mitglied um einen internen Ausgleich bemüht sein. Es muss versucht werden, Vorwürfe aufzuklären oder auf andere Weise untereinander zu bereinigen. BGH, Urt. v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, WM 1992, 733, 734 (GmbH), dazu EWiR 1992, 1075 (Melber).
642 Bei Ressortaufteilung setzt für jedes Vorstandsmitglied die Pflicht ein, die Ereignisse in den anderen Ressorts zu überwachen und zu kontrollieren. BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (GmbH); dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski).
180
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Wird einem Vorstandsmitglied hintertragen, die Vorsitzenden von Vorstand 643 und Aufsichtsrat versuchten, sich im Rahmen bestimmter Geschäftsmaßnahmen zu bereichern, muss es versuchen, den Sachverhalt intern aufzuklären, bevor es sich an Aufsichtsbehörden (Aufsichtsamt) wendet. BGH, Urt. v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968.
bb) Kompetenzverstoß Ein Vorstandsmitglied verletzt seine Pflichten, wenn es die aktienrechtliche 643a Kompetenzverteilung missachtet (vgl. § 82 Abs. 2 AktG). Für die Entscheidung über die Vergütung der Vorstandsmitglieder und für den Abschluss der die Vergütung betreffenden Verträge ist nach § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1, §§ 87, 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig. Missachten Vorstandsmitglieder diese Kompetenzzuweisung sind sie der AG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 24.
cc) Der Katalog des § 93 Abs. 3 AktG Nach § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG haftet der Vorstand, wenn entgegen dem AktG 644 Einlagen an die Aktionäre zurückgewährt werden. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG ist es keine verbotene Kapitalrückzahlung, wenn ein unbesichertes Darlehen an den Aktionär gewährt wird und der Darlehensrückzahlungsanspruch vollwertig ist. Jedoch hat der Geschäftsleiter bei der auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts bezogenen Beurteilung die Sorgfaltspflicht gem. § 93 Abs. 1 AktG zu beachten und die Gewährung eines unbesicherten Darlehens im Fall eines konkreten Ausfallrisikos zu verweigern. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 12, 13 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
Durften die Verwaltungsorgane ein unbesichertes Darlehen an einen Aktionär 645 gewähren, bedeutet das nicht, dass sie nach der Darlehensausreichung keine hierauf gerichteten Kontrollpflichten mehr träfen. Unberührt bleibt ihre aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG folgende Verpflichtung, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren, was bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem Cash-Management die Einrichtung eines geeigneten Informations- oder „Frühwarnsystems“ erforderlich machen kann. Die Unterlassung solcher Maßnahmen einschließlich einer rechtzeitigen Kreditkündigung kann Schadensersatzansprüche nach §§ 93 Abs. 2, 116 AktG auslösen. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 14 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
181
D. Der Vorstand
646 Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorhandensein eines etwa erforderlichen Informationssystems und dessen sachgerechte Ausgestaltung sind die auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Organmitglieder. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 20 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
647 Drohen ohne hinreichende Besicherung ausgereichte Kredite notleidend zu werden, muss das offengelegt werden. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162, 165.
648 Nach § 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG sind die Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft zum Ersatz verpflichtet, wenn Aktien vor Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden. Diese Ersatzpflicht tritt auch ein, wenn die Bareinlagepflicht wegen der Unwirksamkeit einer Sacheinlagevereinbarung entsteht. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 17 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
dd) Begrenzung durch den Gesellschaftszweck 649 Ein Organ, das Geschäfte betreibt, die vom Unternehmenszweck nicht gedeckt sind, handelt pflichtwidrig; im letztzitierten Fall wurden Zinsderivategeschäfte von den Vorständen einer Hypothekenbank abgeschlossen. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 332 = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 16, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
650 Sozialpolitische und gemeinnützige Zuwendungen fallen in den Aufgabenbereich des Vorstands. Diese müssen unternehmensbezogen und der Größe und finanziellen Situation des Unternehmens angemessen sein. BGH, Urt. v. 24.1.1957 – II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 157; zu Sponsoringverträgen vgl. BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 293 f. = ZIP 2000, 1162, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte).
ee) Leitungsaufgabe und Leitungsermessen (business judgement rule) 651 Nach § 76 Abs. 1 AktG hat der Vorstand als geschäftsführendes Organ (§ 77 AktG) die AG unter eigener Verantwortung zu leiten. Dieser Leitungsaufgabe kann er nur dann gerecht werden, wenn ihm für seine Entscheidungen ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt wird. In der „ARAG/Garmenbeck“Entscheidung, BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 f. = ZIP 1997, 883,
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
hat der Bundesgerichtshof dazu ausgeführt, dem Vorstand müsse bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar sei. Dieser Handlungsspielraum umfasse nicht nur die bewusste Eingehung geschäftlicher Risiken, die durchaus zu Misserfolgen führen könnten, sondern auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter ausgesetzt sei, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln. Werden die Grenzen, in denen sich ein unternehmerisches Handeln bewegen muss, das von Verantwortungsbewusstsein getragen wird, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiert ist und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht, deutlich überschritten – wird die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt oder liegen andere Gründe vor, aus denen das Verhalten als pflichtwidrig zu werten ist –, führt das zur Schadenersatzpflicht. Die Überschreitung dieser Grenzen mit der daraus folgenden Schadenersatzpflicht liegt jedoch nicht vor, wenn der Eindruck entsteht, dass dem Vorstand das nötige Gespür für eine erfolgreiche Führung des Unternehmens fehlt, er also bei der Wahrnehmung seiner Leitungsaufgabe keine glückliche Hand hat; in diesem Falle ist es Aufgabe des Kontrollorgans zu prüfen, ob der Vorstand abberufen werden soll. Bereits in dem Urteil
652
BGH, Urt. v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, BGHZ 125, 239, 246 = ZIP 1994, 529 – Deutsche Bank, dazu EWiR 1994, 425 (H. Wiedemann)
hatte der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass das „unternehmerische Ermessen“ des Vorstands nicht über Gebühr eingeschränkt werden dürfe. Nach seiner Ansicht wäre das der Fall gewesen, wenn die Wirksamkeit eines Bezugsrechtsausschlusses für Aktien aus genehmigtem Kapital, die für die Zulassung zum Handel an der ausländischen Börse bzw. zur Erweiterung der Präsenz an ausländischen Finanzmärkten vorgesehen waren, davon abhängig gemacht worden wäre, dass das gesamte Volumen der zu platzierenden Aktien festgesetzt und die Reihenfolge der in Betracht kommenden Börsenplätze sowie die Höhe der für die einzelnen Finanzmärkte vorgesehenen (Nenn-)Beträge festgelegt worden wären. Denn diese Fragen sind an Hand der auf realistischer Grundlage entwickelten geschäftspolitischen Zielvorgaben des Vorstands zu entscheiden. Ähnlich heißt es in einer weiteren Entscheidung, BGH, Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 138 = ZIP 1997, 1499 – Siemens/Nold, dazu EWiR 1997, 1013 (Hirte),
die Vorgaben in „Holzmann“ für die Zulässigkeit der Ermächtigung des Vorstands zum Bezugsrechtsausschluss bezögen sich auf Handlungsbereiche, die größtenteils dem unternehmerischen Beurteilungsspielraum zuzuordnen seien. In Folge der „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung hat der Gesetzgeber mit 653 dem UMAG einen „Haftungsfreiraum im Bereich qualifizierter unternehme-
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D. Der Vorstand
rischer Entscheidung“ (sog. business judgement rule) gesetzlich festgelegt. Vgl. BegrRegE, BR-Drucks. 3/05, S. 17; zur Entwicklung Spindler/Stilz/Fleischer, AktG, § 93 Rn. 59 f.
654 Seit dem 1.11.2005 lautet § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
655 Liegt dem Handeln des Vorstands daher eine unternehmerische Entscheidung zugrunde, ist er dann entlastet, wenn er – was er zu beweisen hat – vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883 „ARAG/Garmenbeck“ dazu EWiR 1997, 677 (Priester); BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 (Genossenschaft); BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rn. 11 (GmbH); BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 19; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 35, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 26 f., dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
656 Eine unternehmerische Entscheidung ist daher nicht allein deshalb pflichtwidrig, weil sie nicht den erstrebten Erfolg hatte. Aus diesem Grund haftet ein Vorstand für den Misserfolg einer neu gegründeten Niederlassung nicht, wenn der Investitionsentscheidung eine sorgfältige Unternehmensplanung zugrunde lag. BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 19.
657 Auch der Auswahl eines geeigneten Dienstleisters zur Umsetzung des Unternehmenskonzepts und der Ausgestaltung des damit zusammenhängenden Dienstleistungsvertrags liegt eine unternehmerische Entscheidung zugrunde. BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 27, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
658 Voraussetzung einer Haftungsprivilegierung des Vorstands im Rahmen des unternehmerischen Ermessens ist allerdings, dass sein unternehmerisches Handeln auf einer sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruht. Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats hat der Vorstand in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen. Nur wenn diese
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Anforderungen erfüllt sind, ist Raum für die Zubilligung unternehmerischen Ermessens. Vgl. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883 „ARAG/Garmenbeck“, dazu EWiR 1997, 677 (Priester); BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rn. 11 (GmbH); BGH, Beschl. v. 3.11.2008 – II ZR 236/07, ZIP 2009, 223 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 30, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
Diese Anforderungen der Rechtsprechung an die Informationspflicht dürfen 659 indes nicht isoliert betrachtet, sondern müssen im Zusammenhang damit gesehen werden, dass die Entscheidung – lediglich – auf der Grundlage „angemessener“ Information getroffen werden muss. Diese Formulierung lässt, ebenso wie die nähere Bestimmung „in der konkreten Entscheidungssituation“, Raum für die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Die Beurteilung, ob die vorstehend beschriebenen Anforderungen erfüllt sind 660 ist tatrichterliche Würdigung. BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 26 f., dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
Ist der Vorstand seinen Informationspflichten nicht nachgekommen, kann er 661 sich auf ein pflichtgemäßes Alternativverhalten berufen. BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 27, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
ff) Schweigepflicht Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG hat das einzelne Vorstandsmitglied über ver- 662 trauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, insbesondere Betriebsund Geschäftsgeheimnisse, die ihm durch seine Tätigkeit im Vorstand bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Diese Verschwiegenheitspflicht besteht gegenüber Dritten. Sie ist grundsätzlich auch gegenüber den Aktionären einzuhalten; diese haben einen Informationsanspruch nur in dem durch die gesetzlichen Vorschriften festgelegten Umfang. Eine Verschwiegenheitspflicht besteht jedoch nicht gegenüber dem Aufsichtsrat; im Verhältnis zu diesem Organ sind die Vorstandsmitglieder zu unbedingter Offenheit verpflichtet. BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 352; BGH, Beschl. v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56 = ZIP 1997, 978 (GmbH).
Bei Geheimnissen handelt es sich um Umstände, für deren Geheimhaltung 663 ein Bedürfnis der AG besteht und die Dritten nach dem Willen der AG nicht 185
D. Der Vorstand
offenbart werden sollen. Dabei ist es gleichgültig, ob ihnen ein materieller oder ein immaterieller Wert zukommt. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329; BGH, Urt. v. 20.5.1996 – II ZR 190/95, ZIP 1996, 1341, 1342 (GmbH), dazu EWiR 1996, 745 (Bork).
664 Die gesetzliche Regelung ist abschließend. Sie ist eine allgemein verbindliche Entscheidung, die den Schutz übergeordneter Geheimhaltungsinteressen des Unternehmens und die Handlungs- und Bewegungsfreiheit der Organmitglieder im Rahmen ihrer Funktionsausübung im Unternehmen aufeinander abstimmt. Mit Rücksicht auf ihren abschließenden Charakter kommt eine Erweiterung oder Verschärfung des Schweigegebots durch die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 329.
665 Ein Offenbarungsrecht kann dem Vorstandsmitglied dann zugebilligt werden, wenn es dem Unternehmensinteresse dienlicher ist als die Geheimhaltung (etwa: zur Erhaltung des Betriebsfriedens). BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331.
666 Die Schweigepflicht bleibt auch nach dem Ausscheiden des Vorstandsmitglieds aus dem Unternehmen bestehen. OLG Hamm, Urt. v. 7.11.1984 – 8 U 8/84, GmbHR 1985, 157 (GmbH); vgl. auch BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 6 (GmbH).
gg) Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat (1) Voraberteilung von Weisungen 667 Die Befugnis des Vorstands, die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG), hat als Gegenstück die Regelung, dass dem Aufsichtsrat Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden können (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Satzung oder der Aufsichtsrat können lediglich bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Daraus kann aber nicht hergeleitet werden, dass dieses Mitentscheidungsrecht die Befugnis des Aufsichtsrats einschließt, dem Vorstand oder einem seiner Mitglieder vorweg bestimmte Weisungen für die Verhandlungen zu erteilen. Dagegen spricht insbesondere, dass der Hauptversammlung die endgültige Entscheidung vorbehalten ist, wenn der Aufsichtsrat dem vom Vorstand abgeschlossenen Geschäft seine Zustimmung verweigert (§ 111 Abs. 4 Satz 3 – 5 AktG). BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(2) Berichtspflicht Bestandteil der Geschäftsführung ist die Berichtspflicht an den Aufsichtsrat 668 (§ 90 AktG). Diese Berichte haben den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen (§ 90 Abs. 4 Satz 1 AktG). Zu berichten hat der Vorstand in seiner Gesamtheit. Zwar obliegt die Berichterstattung bei einem mehrköpfigen Vorstand allen Vorstandsmitgliedern, da der Vorstand als solcher nicht rechtsfähig ist. Das heißt aber grundsätzlich nur, dass jedes Vorstandsmitglied verpflichtet ist, an dem Zustandekommen des gemeinsam zu erstattenden Berichts mitzuwirken, nicht aber, dass jedes einzelne Mitglied des Vorstands berichten müsste, auch wenn ihm nach der Geschäftsverteilung ein bestimmter Geschäftsbereich zugewiesen ist. Eine Verpflichtung, den Aufsichtsrat zu unterrichten, trifft das einzelne Vorstandsmitglied allerdings dann, wenn es eine pflichtgemäße Berichterstattung auf andere Weise nicht zu erreichen in der Lage ist. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 113.
Die Verschwiegenheitspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG besteht nicht ge- 669 genüber dem Aufsichtsrat; im Verhältnis zu diesem Organ sind die Vorstandsmitglieder zu unbedingter Offenheit verpflichtet. BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 352; BGH, Beschl. v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56 = ZIP 1997, 978 (GmbH).
Nur unter dieser Voraussetzung ist der Aufsichtsrat in der Lage, seiner Über- 670 wachungspflicht sach- und pflichtgemäß nachzukommen. Die beiden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betrafen außergewöhnliche Fallgestaltungen: Im ersten Fall zahlte sich das Vorstandsmitglied ein erhöhtes Gehalt aus, ohne den Aufsichtsrat darauf anzusprechen, der die Erhöhung zuvor abgelehnt hatte. Das betrifft den Bereich des § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG. Im zweiten Fall veranlasste das Vorstandsmitglied, dass der mit einer GmbH unter maßgeblicher Beteiligung des Aufsichtsrats abgeschlossene Vertrag anders als vereinbart abgewickelt wurde. Hier gerät der Sachverhalt in die Nähe des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. In beiden Fällen war der Aufsichtsrat, wie der Bundesgerichtshof ausführt, zu unterrichten, weil das Verhältnis der beiden Organe auf gegenseitigem Vertrauen beruht. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 113.
Der Aufsichtsrat muss unverzüglich über Pflichtwidrigkeiten eines Vor- 671 standsmitglieds unterrichtet werden, damit Widerruf der Organbestellung und außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags ausgesprochen werden können. Die Berichte an den Aufsichtsrat müssen die tatsächliche Lage in den verschiedenen Geschäftsbereichen widerspiegeln, damit der Aufsichtsrat die sachdienlichen Maßnahmen einleiten kann. Entspricht ein Bericht diesen Voraussetzungen nicht, hat das einzelne Vorstandsmitglied die
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D. Der Vorstand
Pflicht, sich im Gesamtvorstand für eine gewissenhafte Unterrichtung des Aufsichtsrats über wichtige Geschäftsvorfälle und -entwicklungen einzusetzen; vermag er sich damit nicht durchzusetzen, muss er den Aufsichtsrat persönlich informieren. BGH, Urt. v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 239, 246; BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 352; BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162, 165.
672 Beschließt der Aufsichtsrat für bestimmte Geschäftsjahre eine Investitionsgrenze und stellt Investitionen unter einen Zustimmungsvorbehalt, stellt es eine Pflichtwidrigkeit dar, wenn das zuständige Vorstandsmitglied die wesentlich höheren Ausgaben für EDV-Anlagen nicht über den Ausgabentitel EDV, sondern über die allgemeine Lieferantenliste laufen und weitere Verträge überhaupt nicht mehr aktenmäßig erfassen lässt. Hat der Vorstand den Aufsichtsrat über die beabsichtigte Einstellung eines Handelsvertreters unter Vorlage eines Vertragsentwurfes zu unterrichten, stellt es eine grobe Pflichtverletzung dar, wenn das zuständige Vorstandsmitglied dem Aufsichtsrat eine unzutreffende Fassung vorlegt. BGH, Urt. v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519, 520, dazu EWiR 1998, 813 (E. Schneider).
hh) Entsprechenserklärung 673 Gem. § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ (DCGK) entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Die Erklärung ist gem. § 161 Satz 2 AktG den Aktionären auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen und hat einerseits einen Vergangenheits-, andererseits einen Gegenwarts- und Zukunftsbezug bzw. den Charakter einer „Dauererklärung“, die jeweils binnen Jahresfrist zu erneuern und im Fall vorheriger Abweichung von den DCGK-Empfehlungen umgehend zu berichtigen ist. Geschieht dies nicht oder entspricht die Erklärung von vornherein in einem nicht unwesentlichen Punkt nicht der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, liegt darin ein Gesetzesverstoß, der – ohne dass der II. Zivilsenat generell zu den Folgen eines Verstoßes gegen § 161 AktG Stellung genommen hat – jedenfalls dem genannten Verstoß zuwider gefasste Entlastungsbeschlüsse (§ 120 AktG) anfechtbar macht. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 19 Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen) und Mutter, ZGR 2009, 788.
674 Ohne Veränderungen muss die Erklärung erst jeweils nach einem Jahr erneut abgegeben werden. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 9.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Unrichtig ist oder wird eine Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG bei- 675 spielsweise, wenn entgegen Ziff. 5.5.3 DCGK nicht über das Vorliegen und die praktische Behandlung eines Interessenkonflikts in der Person eines Organmitglieds berichtet wird. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 21 f. Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen).
Ein solcher Interessenkonflikt entsteht bereits dann, wenn ein Dritter eine 676 Schadensersatzklage gegen die Gesellschaft erhebt, die auf einen Gesetzesverstoß des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds während seiner früheren Vorstandstätigkeit gestützt wird. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 21 f. Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen) und Mutter, ZGR 2009, 788.
Es stellt keine berichtspflichtige Abweichung vom Kodex dar, wenn über In- 677 teressenkonflikte in einem gesonderten Corporate-Governance-Bericht informiert wird. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 30 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
Zur Information über einen Interessenkonflikt und seine Behandlung ist nicht 678 erforderlich, dass das Aufsichtsratsmitglied namentlich bezeichnet und über seine unterlassene Mitwirkung an der Beschlussfassung berichtet wird. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass sich das Aufsichtsratsmitglied gesetzmäßig verhalten und ein in diesen Fällen geltendes Stimmverbot beachtet hat. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 32 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
e) Verschulden aa) Sorgfaltsmaßstab Die Organhaftung setzt Verschulden voraus. § 93 Abs. 1 AktG verlangt vom 679 Geschäftsleiter die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns. Diese Anforderungen gehen über den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 2 BGB (die im Verkehr erforderliche Sorgfalt) hinaus. Auf die individuellen Eigenschaften der Person des Geschäftsleiters kommt es nicht an. Es gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab: Daraus folgt, dass jedes Vorstandsmitglied über Mindestkenntnisse und Min- 680 destfähigkeiten verfügen muss, nach denen es in der Lage ist, der übernommenen Aufgabe gerecht zu werden. Ist das nicht der Fall, muss es die Übernahme des Mandats ablehnen. Mangelnde Fähigkeiten und Kenntnisse,
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D. Der Vorstand
die dem verlangten Standard nicht genügen, stellen keinen Entschuldigungsgrund dar. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 28 (AG); BGH, Urt. v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825 (GmbH); BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, WM 1981, 440, 442 (GmbH); BGH, Urt. v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548, 1549.
681 Die Mindestanforderungen sind in typisierender Betrachtungsweise nach den Kenntnissen und Fähigkeiten zu bestimmen, die nach den Verhältnissen der Gesellschaft für eine sorgfältige und sachgemäße Erledigung der Geschäfte gefordert werden müssen; maßgebend sind Geschäftszweig, Größe und Organisation des Unternehmens. 682 Verkauft das alleinige Organmitglied an eine Gesellschaft, die ihm ebenso wie dem Gesellschafter völlig unbekannt ist und von der er nicht einmal weiß, ob sie mit einem wenigstens nach außen hin vertrauenerweckenden Geschäftsbetrieb existiert, Ware auf Kredit, liegt darin ein grober Verstoß gegen diese Sorgfaltspflicht, die gebietet, unter derartigen Umständen lediglich ein Zug-um-Zug-Geschäft abzuschließen, sich ausreichende Sicherheiten geben oder die Verhältnisse und geschäftlichen Möglichkeiten dieser Firma überprüfen zu lassen. Der Geschäftsleiter kann sich nicht darauf berufen, den Gesellschaftern sei bei seiner Amtsübernahme bekannt gewesen, dass er kaufmännisch nicht sonderlich versiert gewesen sei und dass der Generalbevollmächtigte des Gesellschafters darauf gedrungen habe, „Umsatz zu machen“. BGH, Urt. v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, WM 1981, 440, 441.
bb) Mitverschulden (§ 254 BGB) 683 Für die Organhaftung einer Aktiengesellschaft ist eine Anwendung des § 254 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht möglich. In der juristischen Person, die als solche nicht handeln kann, sind nämlich die Pflichten der für sie tätigen Organe so ausgestaltet, dass sie nebeneinander bestehen; jedes Organ ist für die Erfüllung seiner Pflichten im Rahmen seines gesetzlichen und satzungsmäßigen Geschäftsbereichs selbständig verantwortlich und hat deshalb im Falle einer Pflichtwidrigkeit für den verursachten Schaden der juristischen Person auch voll einzustehen. Kein Gesellschaftsorgan kann der Gesellschaft gegenüber einwenden, seine Ersatzpflicht sei gemindert, weil ein anderes Gesellschaftsorgan für den Schaden mitverantwortlich sei. Denn die Gesellschaftsorgane vertreten im Innenverhältnis nicht die Gesellschaft gegenüber den anderen Organen. BGH, Urt. v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rn. 22.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Der Vorstand kann eine Minderung seiner Schadensersatzverpflichtung da- 684 her nicht dadurch erreichen, dass er sich auf das Mitverschulden eines Mitvorstands beruft. BGH, Urt. v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825 (GmbH); BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 Rn. 3 (GmbH).
Der Vorstand kann sich weiter weder unter Berufung auf eine unzutreffende 685 Beratung durch den Aufsichtsrat im Rahmen seiner Aufsichtsratstätigkeit, die Teil der Überwachungspflicht ist, entlasten noch kann er mit Erfolg geltend machen, der Aufsichtsrat habe ihn ungenügend überwacht (vgl. § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG). BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); vgl. auch BGH, Urt. v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825 (GmbH).
Die Haftung des Vorstands entfällt ebenso wenig, wenn andere Beteiligte wie 686 ein Sacheinlagenprüfer oder das Registergericht einen Fehler – im entschiedenen Fall die Untauglichkeit eigener Aktien als Sacheinlage – nicht bemerken. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 26, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
cc) Entlastung durch Berater – Rechtsirrtum Wenig Erfolg wird regelmäßig der Berufung der Vorstandsmitglieder auf eine 687 fehlerhafte Einschätzung der Rechtslage beschieden sein. Ein Organmitglied muss wie jeder Schuldner für einen Rechtsirrtum einstehen, wenn er schuldhaft gehandelt hat. An das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind strenge Maßstäbe anzulegen. Ein Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten. Dabei trifft grundsätzlich den Schuldner das Risiko, die Rechtslage zu verkennen. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 16 m. w. N., dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 28; vgl. auch BGH, Beschl. v. 29.6.2010 – XI ZR 308/09, ZIP 2010, 1335.
Er handelt deshalb schuldhaft, wenn er mit der Möglichkeit rechnen muss, dass 688 das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen wird. Der Fahrlässigkeitsvorwurf entfällt aber nicht erst dann, wenn eine dem Schuldner ungünstige Entscheidung der Rechtsfrage undenkbar ist; dies würde eine Entschuldigung praktisch immer ausschließen. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum ist vielmehr in Fällen anzunehmen, in denen die Rechtslage besonders 191
D. Der Vorstand
zweifelhaft und schwierig ist und sich eine einheitliche Rechtsprechung noch nicht gebildet hat. Das kann sogar dann gelten, wenn der Schuldner bereits in zwei Tatsacheninstanzen unterlegen war. BGH, Urt. v. 3.6.2014 – XI ZR 147/12, ZIP 2014, 1418 Rn. 24 f. m. w. N.(m. Bespr. Hoffmann/Bartlitz, S. 1505), dazu EWiR 2014, 505 (Dörfler/Waßmuth).
689 Die Frage, ob ein schuldausschließender Rechtsirrtum vorliegt kann sich insbesondere dann stellen, wenn sich der Geschäftsleiter von einer fachlich qualifizierten Person beraten lässt, wozu er nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats bei fehlender eigener Sachkunde verpflichtet ist. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
690 Allein der Umstand, dass ein Konzept von einer Anwaltskanzlei ausgearbeitet und vorgeschlagen wurde, entbindet nicht von einer rechtlichen Prüfung und ggf. einer Beratung. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 22, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
691 Ein Vorstandsmitglied einer AG kann sich ausnahmsweise wegen eines Rechtsirrtums entlasten, wenn es sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht. Ist die eingeholte Auskunft falsch und handelt der Vorstand danach nur subjektiv pflichtgemäß, kann sein objektiv pflichtwidriges Tun entschuldigt sein. Um den strengen Anforderungen an die dem Vorstand obliegende Prüfung der Rechtslage und die Beachtung von Gesetz und Rechtsprechung zu genügen, reicht eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Vertreter für fachkundig gehaltenen Person durch die Gesellschaft nicht aus. Um nicht in die Haftung zu geraten muss der Vorstand, der selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfügt, bei der Beauftragung einer fachlich qualifizierten Person folgende Punkte beachten: Vgl. die Anforderungen in BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock) – zur Prüfung der Insolvenzreife durch einen Wirtschaftsprüfer; BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 18, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 16 f. – Unternehmensberaterin, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 21 ff.; vgl. auch Strohn, ZHR 176 (2012), 137 m. w. N. sowie den kritischen Zwischenruf von Krieger, ZGR 2012, 496 f.; Bergmann, in: Festschrift Tolksdorf, 2014, S. 11;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 28 ff. (AG); BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 28 – Karstadt.
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Eine Entlastung aufgrund eines Rechtsirrtums verlangt nicht, dass ein Prüfauftrag ausdrücklich für eine bestimmte Rechtsfrage erteilt wird, sondern nur, dass die Prüfung aus der Sicht des nicht fachkundigen Organs die zweifelhafte Frage umfasst. Selbst wenn sich der dem sachkundigen Dritten erteilte Auftrag auf eine anderweitige Aufgabenstellung richtet, kann es das Organ entlasten, wenn es sich nach den Umständen der Auftragserteilung darauf verlassen durfte, die Fachperson habe im Rahmen der anderweitigen Aufgabenstellung auch die zweifelhafte Frage geprüft. BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 30.
Unabhängig vom Inhalt des Prüfauftrags kann es das Organ auch entlasten, wenn die fachkundige Person nach dem Inhalt der Auskunft die Rechtsfrage tatsächlich geprüft und beantwortet hat. Dass der Prüfauftrag nicht auf die ausdrückliche Klärung einer bestimmten rechtlichen Frage zielt, hindert eine Entlastung ebenfalls nicht. Von einem nicht selbst rechtskundigen Auftraggeber kann grundsätzlich nicht erwartet werden, dass er bestimmte Rechtsfragen formuliert. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 30.
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Selbstverständlich ist, dass er die Verhältnisse der Gesellschaft umfassend darstellt und die erforderlichen Unterlagen offenlegt. Er muss die beauftragte Person also im erforderlichen Umfang, d. h. mit den für die Beantwortung der konkreten Frage notwendigen Informationen versorgen, insoweit aber umfassend. Soweit der Ratgeber nur lückenhaft über die zu beurteilenden Umstände informiert ist, kann seine Auskunft nicht entschuldigend wirken. Jeder ist grundsätzlich selbst für sein Verhalten verantwortlich und trägt das Risiko für die von ihm begangenen Rechtsverstöße, damit auch dafür, dass der Berater ausreichend informiert wird. BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 22.
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Der Berater muss unabhängig sein. Damit ist nicht seine persönliche Unabhängigkeit gemeint, sondern dass der Berater seine Rechtsauskunft sachlich unabhängig, d. h. unbeeinflusst von unmittelbaren oder mittelbaren Vorgaben hinsichtlich des Ergebnisses erteilt hat. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 36.
Bei der Beauftragung einer eigenen Rechtsabteilung wird man auf die Umstände des Einzelfalls abstellen müssen, insbesondere darauf, ob nach
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D. Der Vorstand
den konkreten Umständen eine ergebnisoffene und objektive Bearbeitung erwartet werden konnte. Zu dieser Frage steht allerdings eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch aus. x
Die beauftragte Person muss für die zu klärende Frage fachlich qualifiziert sein. Hier sind in erster Linie Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer angesprochen. Eine Begrenzung auf diese Berufsgruppen hat der II. Zivilsenat aber – ausdrücklich – BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 17, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth)
abgelehnt. Bei der Auswahl muss der Geschäftsleiter berücksichtigen, dass abhängig von der konkreten Fragestellung ein höherer Grad an Spezialisierung innerhalb der Berufsgruppe für eine korrekte und den Geschäftsleiter entlastende Beantwortung der Frage erforderlich sein kann. x
Der Geschäftsleiter muss die erteilte Auskunft regelmäßig einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. Was hier erwartet wird, lässt sich nicht allgemein, sondern wieder nur unter Berücksichtigung der konkreten Fragestellung beantworten. Der Vorstand muss sie zur Kenntnis genommen und verstanden haben. Zu allem BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 24, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
Grundlage der Plausibilitätsprüfung ist die unzutreffende Rechtsauskunft und nicht die wirkliche Rechtslage. Die Plausibilitätsprüfung besteht nicht in einer rechtlichen Überprüfung der erhaltenen Rechtsauskunft. Sie beinhaltet vielmehr eine Überprüfung, ob dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen. Der Vorstand muss die Auskunft zur Kenntnis genommen und verstanden haben. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 24, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 33, 37.
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Ob eine mündliche bzw. telefonische Auskunft ausreicht, ist eine Frage des Einzelfalls und hängt von der Komplexität der Fragestellung ab. Die telefonische Nachfrage gewährleistet häufig nicht, dass der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen hat. Eine schlichte telefonische Auskunft lässt auch häufig keine Plausibilitätsprüfung zu. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist daher regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich. Eine nur mündliche Auskunft wird nur in Ausnahmefällen, etwa bei einfachen Fragen oder in Eilfällen genügen können.
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 22 f.
Das Verschulden des Beraters muss sich der Vorstand nicht nach § 278 BGB 692 zurechnen lassen. Wenn ein Geschäftsleiter im Namen der Gesellschaft Dritte einschaltet, bedient er sich dieser regelmäßig nicht zur Erfüllung eigener Verbindlichkeiten, vielmehr sollen diese im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig werden. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 17; BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 21.
Sucht der Geschäftsleiter dagegen für sich in seinem eigenen Pflichtenkreis 693 Rat, muss er sich jedenfalls entsprechend dem Rechtsgedanken des § 278 BGB eine fehlerhafte Auskunft zurechnen lassen und kann sich nicht auf einen durch die fehlerhafte Auskunft hervorgerufenen Irrtum berufen. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 17; BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 24.
f) Schaden Zu ersetzen ist grundsätzlich der der Gesellschaft aus der jeweils pflichtwid- 694 rigen Handlung entstandene Vermögensschaden. Der Schaden ist durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses tatsächlich eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, zu ermitteln. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 21, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung sind auf den Schadensersatzan- 695 spruch nach § 93 Abs. 2 AktG anzuwenden. Danach sind Vorteile bei der Berechnung des Schadens zu berücksichtigen, soweit ein haftungsbegründendes Ereignis zu adäquat kausalen Vorteilen für den Geschädigten geführt hat und deren Anrechnung nach Sinn und Zweck der Schadensersatzpflicht entspricht, d. h. den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 34, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 26, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
Wenn aus einer Reihe gleichartiger unzulässiger Spekulationsgeschäfte durch 696 ein Organ sowohl Gewinne als auch Verluste entstehen, muss sich die Gesellschaft daher auf ihren Schadensersatzanspruch wegen der entstandenen Verluste grundsätzlich die Gewinne anrechnen lassen. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 26, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
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D. Der Vorstand
697 Im Fall der Ausgabe von Aktien vor Leistung der Bareinlage (§ 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG) ist der zu ersetzende Schaden kein Vermögensschaden nach § 249 BGB; die Vorschrift begründet vielmehr einen Ersatzanspruch eigener Art. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 29, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
698 Im diesem Fall ist die entgangene Bareinlage der Schaden. Er besteht darin, dass der Gesellschaft nicht spätestens bei der Ausgabe der Aktien Kapital tatsächlich zufließt. Ein Schaden i. S. d. § 93 Abs. 2 AktG mit einer Vermögensdifferenz muss nicht entstehen. Solange der Bareinlageanspruch vollwertig ist, entsteht mit der Ausgabe der Aktien auch kein Schaden im Sinn einer Vermögensdifferenz, weil der Anspruch auf Bareinlageleistung dem Wert des vorenthaltenen Kapitals entspricht. Wie im Fall des § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG ist im Fall von § 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG aus diesem Grund keine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzunehmen. Auf die Durchsetzbarkeit der Bareinlageforderung kommt es ebenfalls nicht an. Das Gebot, Aktien erst nach Leistung der Bareinlage auszugeben, soll gerade vor dem Ausfall der Bareinlageforderung schützen. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 29, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
699 Vermögensvorteile, die der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Schädigung zugeflossen sind, sind auf diesen Ersatzanspruch im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen. Auch wenn keine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzunehmen ist, soll sich die Gesellschaft nicht aufgrund eines Fehlers der Organmitglieder auf deren Kosten bereichern. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 31, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
g) Verjährung 700 Nach § 93 Abs. 6 AktG verjähren Ansprüche bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren, bei anderen Gesellschaften in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Entstehung des Anspruchs (§ 200 BGB), d. h. mit Eintritt des Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden in dieser Phase schon bezifferbar sein muss; es genügt die Möglichkeit einer Feststellungsklage. BGH, Urt. v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 f. = ZIP 1987, 776 (AG), dazu EWiR 1987, 739 (K. Müller); BGH, Urt. v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, ZIP 2005, 852, 853 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 16 (GmbH), dazu EWiR 2009, 23 (Kort).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Auf die Kenntnis der Gesellschaft bzw. des Aufsichtsrats von den anspruchs- 701 begründenden Tatsachen kommt es – selbst bei deren Verheimlichung durch den Vorstand – nicht an. BGH, Urt. v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, ZIP 2005, 852, 853 (GmbH).
Die subjektive Anknüpfung des Verjährungsbeginns in § 199 Abs. 1 BGB gilt 702 nur für die „regelmäßige“ (§ 195 BGB), nicht aber für die spezialgesetzliche Verjährungsfrist nach § 93 Abs. 6 AktG. Vgl. BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 16 (GmbH), dazu EWiR 2009, 23 (Kort); BGH, Urt. v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = ZIP 2009, 802 Rn. 12 (GmbH) – Sanitary.
Beruht eine mehraktige schädigende Handlung auf einem einheitlichen Tat- 703 plan beginnt die Verjährung mit dem letzten Akt. Vgl. BGH, Urt. v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 f. = ZIP 1987, 776 (AG), dazu EWiR 1987, 739 (K. Müller); BGH, Urt. v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, ZIP 2005, 852, 853 (GmbH); BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rn. 12 (GmbH).
Bei einer verbotenen, den Schaden herbeiführenden Verrechnung entsteht 704 der Anspruch erst in dem Zeitpunkt, in dem die verrechneten Ansprüche entstanden sind. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
h) Entlastung durch die Hauptversammlung Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG enthält die Entlastung des Vorstands durch 705 die Hauptversammlung – anders als bei der GmbH – keinen Verzicht auf Ersatzansprüche. Bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Entlastung haben die Aktionäre vielmehr darüber zu entscheiden, ob die Tätigkeit der Organmitglieder im abgelaufenen Geschäftsjahr zu billigen ist, sie in der Unternehmensführung eine „glückliche Hand“ bewiesen haben und ihnen das Vertrauen auch für ihre künftige Tätigkeit auszusprechen ist. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 24 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 39 mit. Anm. Kersting.
i) Beweislast Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG trifft die Gesellschaft – ggf. mit der Erleichte- 706 rung des § 287 ZPO – die Darlegungs- und Beweislast für einen Schaden und
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D. Der Vorstand
dessen Verursachung durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis. Das Vorstandsmitglied hat dagegen darzulegen und zu beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 20 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 42, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 22.2.2011 – II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 17; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 14, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 14.5.2013 – II ZR 76/12, ZIP 2013, 1642 Rn. 15.
707 Soweit die Gesellschaft die Verursachung eines Schadens durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten darlegt, das den Pflichtenkreis aller Vorstandsmitglieder betrifft, müssen sich die Vorstandsmitglieder jeweils auch hinsichtlich ihrer individuellen Verantwortlichkeit entlasten. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 22, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
708 Liegt dem Verhalten des Vorstands eine unternehmerische Entscheidung zugrunde, kann er sich entlasten, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (business judgement rule). Dies hat er zu beweisen. Vgl. jetzt § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 14 und 35, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter); zur GmbH: BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rn. 28, dazu EWiR 2013, 775 (Weipert).
709 Beruft sich der Vorstand auf einen schuldausschließenden unverschuldeten Rechtsirrtum, weil er fachkundige Beratung in Anspruch genommen hat, trifft ihn für die Einhaltung der von der Rechtsprechung für die Entschuldigung aufgestellten Voraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 23, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 35.
710 Soweit die aus § 93 Abs. 2 AktG klagende Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast für den Schaden und dessen Verursachung durch das Verhalten des Geschäftsleiters trifft gelten für das Beweismaß nicht die strengen Voraussetzungen des § 286 ZPO, sondern diejenigen des § 287 ZPO, der auch die Substantiierungslast der klagenden Partei erleichtert. Danach genügt es, dass die Gesellschaft Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO hinreichende Anhaltspunkte bieten.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 287 = ZIP 2002, 2314, 2316 (GmbH), dazu EWiR 2003, 325 (Schimmer).
Beruft sich der Vorstand bei der Schadensbemessung auf die entsprechende 711 Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung, ist er für die der AG zugeflossenen Vorteile darlegungs- und beweispflichtig. BGH, Urt. v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn. 29, dazu EWiR 2013, 261 (E. Vetter).
Die vorstehend dargestellte Beweislastverteilung gilt auch gegenüber ausge- 712 schiedenen Vorstandsmitgliedern, BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 5, dazu EWiR 2008, 737 (Paul); BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 33, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
die dadurch geschützt werden, dass sie einen Anspruch auf Einsicht in die im Haftungsfall maßgeblichen Unterlagen haben. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 5, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
Eine Verschärfung der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des geschäfts- 713 führenden Organmitglieds nimmt die Rechtsprechung in den Fällen des Kassen- und Warenfehlbestandes vor. Ergibt sich ein Kassen- oder Warenfehlbestand
714
BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck)
oder hat der Geschäftsleiter Gesellschaftsmittel für die Gesellschaft vereinnahmt, deren Verbleib nicht aufgeklärt werden kann, BGH, Urt. v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, ZIP 1991, 159 (GmbH), dazu EWiR 1991, 379 (Kirberger),
und ist die von dem Geschäftsleiter zu verantwortende Buchführung nicht ordnungsgemäß, trifft die Gesellschaft lediglich die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt des Kassen- oder Warenfehlbestandes, BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 m. w. N. (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); vgl. auch BGH, Urt. v. 9.6.1980 – II ZR 187/79, ZIP 1980, 776, 777 (GmbH),
bzw., soweit ein Kassenfehlbestand nicht gegeben ist, dafür, dass der Verbleib des Geldes nicht aufklärbar ist. BGH, Urt. v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, ZIP 1991, 159, 160 (GmbH), dazu EWiR 1991, 378 (Kirberger).
199
D. Der Vorstand
715 Es ist danach Sache des Geschäftsleiters, darzulegen und zu beweisen, dass er das Geld der Gesellschaft zur Verfügung gestellt hat oder es für diese verbraucht worden ist. Soweit er das nicht vermag, hat er zu beweisen, dass er die für einen Geschäftsführer gebotene Sorgfalt angewandt hat, um die missbräuchliche Verwendung der Gelder zu verhindern, der Fehlbestand auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre oder ihm die Einhaltung der Sorgfaltspflicht unverschuldet unmöglich war. BGH, Urt. v. 9.6.1980 – II ZR 187/79, ZIP 1980, 776 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1137 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH, Urt. v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, ZIP 1991, 159, 160 f. (GmbH), dazu EWiR 1991, 378 (Kirberger).
2. Die organschaftliche Treuepflicht – Insbesondere Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre 716 Die organschaftliche Treuepflicht umfasst den loyalen Einsatz für die Gesellschaft, das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG), das Verbot des Einsatzes und der Ausnutzung der Organstellung zum eigenen Nutzen, das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft an sich zu ziehen (corporate opportunity), Geschäfte mit der Gesellschaft vorzunehmen und die Ermöglichung angemessener Kontrolle der Einhaltung der Treupflicht. a) Loyalitätspflicht 717 Aufgrund ihres treuhänderischen Auftrags haben die Vorstandsmitglieder eine besondere Vertrauensstellung inne, die sie verpflichtet, der AG über die vertraglichen Pflichten hinaus loyal zu dienen. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 192; BGH, Urt. v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31 (GmbH).
718 Sie müssen ihre Arbeitskraft sowie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten vollständig in den Dienst der AG stellen. In besonderen Situationen müssen sie einen außergewöhnlichen Einsatz zeigen. Kein Mitglied darf sein Amt zur Unzeit – insbesondere in einer wirtschaftlichen Krisensituation – niederlegen. BGH, Urt. v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 84 f., 88.
b) Verbot der Verfolgung eigener Interessen auf Kosten der Geselschaft 719 Das Vorstandsmitglied darf seine Stellung nicht für gesellschaftsfremde Zwecke missbrauchen. Insbesondere darf es seinen Einfluss nicht dazu einsetzen, um für sich persönliche Vorteile zu erzielen oder sein Amt zu erhalten. BGH, Urt. v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 740 (GmbH & Still), dazu EWiR 1995, 677 (H. P. Westermann);
200
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064, dazu EWiR 1997, 631 (Wilhelm).
Die Beschäftigung von Angestellten zum eigenen Vorteil, die vertraglich nicht 720 vereinbarte private Nutzung des Dienstwagens oder die Geltendmachung von Auslagen, die nicht dienstlich veranlasst sind, sind ebenfalls unzulässig. BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78 (GmbH).
Das Vorstandsmitglied darf bei Geschäftsverhandlungen, die es mit der AG 721 im eigenen Namen führt, seine Interessen nicht rückhaltlos verfolgen, sondern es muss auf diejenigen der AG angemessen Rücksicht nehmen. Es kann nur ein Geschäftsabschluss akzeptiert werden, den die Gesellschaft auch mit einem Dritten getätigt hätte. BGH, Urt. v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, ZIP 1987, 575 (GmbH); dazu EWiR 1987, 255 (H. P. Westermann).
c) Wettbewerbsverbot Vorstandsmitglieder dürfen ohne Einwilligung des Aufsichtsrats weder ein 722 Handelsgewerbe betreiben noch im Geschäftszweig der Gesellschaft für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen. Regelungsgegenstand und -zweck des § 88 AktG sind der Schutz der Gesellschaft vor Wettbewerbshandlungen und vor anderweitigem Einsatz der Arbeitskraft ihrer Vorstandsmitglieder. Beim „Geschäftemachen“ dient das Verbot des § 88 Abs. 1 AktG wegen seiner Beschränkung auf den Geschäftszweig der Gesellschaft der Konkurrenzverhütung. Bei einem Verstoß kann die Gesellschaft nach § 88 Abs. 2 Satz 2 AktG von dem Vorstandsmitglied verlangen, dass sie in das Geschäft eintritt oder das Vorstandsmitglied die Vergütung herausgibt. Das setzt aber voraus, dass das Vorstandsmitglied eine Vergütung für eine Konkurrenztätigkeit erhalten hat und nicht eine „Provision“ für seine Tätigkeit für die Gesellschaft. Eine solche Provision muss es aber unter Umständen an die Gesellschaft nach § 667 BGB herausgeben. BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, ZIP 2001, 958, 959 f.; teilweise unter Bestätigung von BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064 m. w. N., dazu EWiR 1997, 631 (Wilhelm).
Ausfluss der organschaftlichen Treupflicht ist das im Aktiengesetz geregelte 723 Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG; vgl. auch §§ 112 f. HGB). Regelungsgegenstand und –zweck dieser Vorschrift bestehen in dem Schutz der AG vor Wettbewerbshandlungen, aber auch vor dem anderweitigen Einsatz der Arbeitskraft der Vorstandsmitglieder einer AG. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, ZIP 2001, 958; BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064 (GmbH), dazu EWiR 1997, 631 (Wilhelm).
201
D. Der Vorstand
724 Die Organmitglieder unterliegen während ihrer Amtszeit einem umfassenden Wettbewerbsverbot. Seine Reichweite ergibt sich aus dem in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand und der tatsächlichen Unternehmenstätigkeit der AG. Es werden also auch geschäftliche Aktivitäten erfasst, die von dem Unternehmensgegenstand der Satzung nicht gedeckt werden. BGH, Urt. v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 170 (GmbH & Co. KG).
725 Dabei ist es unerheblich, ob die AG selbst die Möglichkeit oder ein Interesse daran hat, das Geschäft selbst zu tätigen. Für die Ausnutzung einer Geschäftschance BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, ZIP 1985, 1482, 1483 (OHG).
726 Ein Wettbewerbsverbot außerhalb des Geschäftszweigs der AG trifft das Vorstandsmitglied nur, wenn es infolge des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwands seinen Organpflichten nicht vollständig nachkommen kann und wenn es den vollen Einsatz seiner Arbeitskraft schuldet. Vgl. BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, ZIP 2001, 958.
727 Für die Zeit nach Beendigung der Vorstandstätigkeit besteht kein Wettbewerbsverbot. Dem Organmitglied obliegt lediglich eine nachvertragliche Treuepflicht. Hat es während seiner Amtstätigkeit für die AG einen Vertrag geschlossen, ist es nicht berechtigt, diesen für eigene Rechnung durchzuführen. BGH, Urt. v. 11.10.1976 – II ZR 104/75, WM 1977, 194 (GmbH).
728 Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das Vorstandsmitglied und AG vereinbart haben, ist nur wirksam, wenn es dem Schutz eines berechtigten Interesses der Gesellschaft dient und nach Gegenstand, Zeit und Ort die Berufsausübung und die wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig beschwert. BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 5 (GmbH).
729 Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn das Wettbewerbsverbot auf den Geschäftszweig der AG, örtlich auf eine Region, in der die Gesellschaft den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit entfaltet und zeitlich auf etwa zwei, in Ausnahmefällen auch drei Jahre beschränkt ist. BGH, Urt. v. 14.7.1986 – II ZR 296/85, WM 1986, 1282 (GmbH).
d) Wahrung von Geschäftschancen für die Gesellschaft aa) Geschäftschancenlehre 730 Die Geschäftschancenlehre steht als eigenständiges Rechtsinstitut, entwickelt aus der Treuepflicht, neben einem Wettbewerbsverbot.
202
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986, 987 (KG); dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 20 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
Aus der Treuepflicht des Vorstands wird hergeleitet, dass es ihm ohne aus- 731 drückliche Erlaubnis nicht gestattet ist, im Geschäftszweig der Gesellschaft Geschäfte für eigene Rechnung zu tätigen oder tätigen zu lassen oder den Vollzug bereits von der Gesellschaft abgeschlossener Verträge durch Abwicklung auf eigene Rechnung oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen oder zu vereiteln. BGH, Urt. v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321 f.; BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77; BGH, Urt. v. 11.10.1976 – II ZR 104/75, WM 1977, 194, alle zur GmbH; BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 21 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
Eine Geschäftschance, die sich der AG bietet, muss das Vorstandsmitglied 732 für diese nutzen. Es darf sie nicht an sich ziehen, u. z. weder selbst noch über Angehörige, Strohmänner oder Unternehmen, an denen es maßgeblich beteiligt ist oder auf das es unternehmerisch Einfluss nehmen kann. BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 (GmbH), dazu EWiR 1985, 991 (Koch); BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, ZIP 1983, 689 (GmbH).
bb) Geschäftschance der AG Ein Geschäftsleiter darf keine Geschäfte an sich ziehen, die in den Geschäfts- 733 bereich der Gesellschaft fallen und dieser aufgrund bestimmter konkreter Umstände bereits zugeordnet sind. Wann diese Voraussetzung im Einzelnen erfüllt ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalls bestimmen. BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986, 987 f. (KG), dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 21 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
(1) Geschäftsbereich der AG Zur Beantwortung der Frage, ob die Geschäftschance in der Geschäftsbe- 734 reich der AG fallen ist nicht allein auf den in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand abzustellen (§ 23 Abs. 3 Nr. 2 AktG). Vielmehr ist auch das konkrete Geschäftsgebaren zu berücksichtigen. BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 24 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
203
D. Der Vorstand
735 Erfasst werden alle Geschäfte, die im Tätigkeitsfeld der AG liegen oder an denen sie ein konkretes Interesse hat. BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986 (KG), dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann); BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 (GmbH); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 24 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
(2) Zuordnung der Geschäftschance 736 Grundsätzlich ist ein Geschäft dann der Gesellschaft zugeordnet, wenn die Gesellschaft als erste mit dem Geschäft in Berührung gekommen ist und der Vorstand auf Seiten der Gesellschaft in Vertragsverhandlungen über ein bestimmtes Geschäft eingeschaltet wird. BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679; BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986, 987 (KG), dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 26 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
737 Das gilt auch, wenn die Gesellschaft bereits Interesse an dem Geschäft bekundet hat. BGH, Urt. v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77 (GmbH).
738 Ein Geschäft wird grundsätzlich auch dann der AG zugeordnet, wenn das Vorstandsmitglied privat davon Kenntnis erlangt hat. Die Sorgfalts- und Treuepflicht des Vorstands gegenüber der AG ist unteilbar. Die Treupflicht lässt eine Differenzierung zwischen einer privat erlangten Kenntnis und einer solchen, die anlässlich der Unternehmensführung erlangt worden ist, nicht zu. Vgl. BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484 (GmbH), dazu EWiR 1985, 991 (Koch); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 27 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
739 Die wegen der Verletzung einer Geschäftschance klagende Gesellschaft ist darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass die Geschäftschance ihren Geschäftsbereich betrifft und ihr aufgrund bestimmter konkreter Umstände bereits zugeordnet war. BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 28 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
cc) Freigabe der Geschäftschance 740 Die Gesellschaft kann die Geschäftschance freigeben. Die Freigabe muss der Vorstand beweisen. BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 28 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
204
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Die Geschäftschance kann auch freigegeben sein, wenn die Gesellschaft we- 741 der bereit noch in der Lage ist, sie zu nutzen. Dabei ist davon auszugehen, dass von einem Geschäftsleiter, dem sich eine Geschäftschance für die Gesellschaft bietet, grundsätzlich erwartet wird, alles Erdenkliche zu tun, um diese für die Gesellschaft zu nutzen. BGH, Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679; BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, ZIP 1985, 1482, 1483 (OHG); BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1394 (GmbH), dazu EWiR 1989, 779 (Gravenhorst); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 31 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
Hierzu gehört unter Umständen auch die Aufnahme eines kapitalkräftigen 742 Partners als stiller Gesellschafter. BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, ZIP 1985, 1482, 1483 (OHG); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 31 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
dd) Verjährung Ansprüche wegen der Ausnutzung einer Geschäftschance in einer AG ver- 743 jähren nicht in der kurzen Frist des § 88 Abs. 3 AktG. BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 35 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger) zu § 113 Abs. 3 HGB.
Die Verjährung richtet sich vielmehr nach § 93 Abs. 4 AktG. ee) Rechtsfolge Nutzt das Vorstandsmitglied Geschäftschancen nicht für die AG, sondern 744 für sich aus, hat er der Gesellschaft, einen dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. BGH, Urt. v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, ZIP 1983, 689 (GmbH); BGH, Urt. v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, ZIP 1985, 1484, 1485 (GmbH), dazu EWiR 1985, 991 (Koch); BGH, Urt. v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, ZIP 1989, 986, 987 f. (KG); dazu EWiR 1989, 695 (Bergmann); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 21 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
Die Rechtsfolgen bestimmen sich nach den §§ 249 ff. BGB.
745
BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 33 (GbR), dazu EWiR 2013, 143 (Saenger).
205
D. Der Vorstand
3. Betroffenheit der Aktionäre einschließlich der Problematik des Reflexschadens 746 Ein pflichtwidriges Handeln des Vorstands einer Aktiengesellschaft zugunsten eines einzelnen Aktionärs führt nicht zum Anspruch eines anderen Aktionärs auf eine ebenso pflichtwidrige „Gleichbehandlung“. BGH, Beschl. v. 22.10.2007 – II ZR 184/06, ZIP 2008, 218.
747 Rechtswidrige Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat kann ein Aktionär nicht mit der Beschlussmängelklage angreifen. Insoweit kommt – allerdings nur in den Fällen einer eigenen Rechtsbeeinträchtigung des Aktionärs – eine Feststellungsklage oder eine Leistungsklage auf Unterlassung in Frage. BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249 = ZIP 2005, 2207 – Commerzbank/Mangusta II, dazu EWiR 2006, 65 (Hirte).
748 Ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen einer Aktiengesellschaft und einem Aktionär, wonach der Aktionär seine Aktien auf die Gesellschaft unentgeltlich zu übertragen hat, wenn der Vertrag beendet wird, ist jedenfalls dann gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn der Aktionär die Aktien zuvor entgeltlich erworben hat. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 Rn. 15, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt).
749 Ob entsprechende Satzungsklauseln zulässig wären oder gegen den Grundsatz der beschränkten Satzungsautonomie nach § 23 Abs. 5 AktG verstoßen würden hat der Bundesgerichtshof offengelassen. BGH, Urt. v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, ZIP 2013, 263 Rn. 9, dazu EWiR 2013, 131 (Seibt); vgl. aber RGZ 49, 77, 79 ff.
750 Nach ständiger Rechtsprechung des II. Zivilsenats steht dem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ein Anspruch auf Leistung von Schadensersatz an sich persönlich wegen einer Minderung des Werts seiner Beteiligung, die aus einer Schädigung der Gesellschaft resultiert, grundsätzlich nicht zu. Vielmehr kann er wegen der Grundsätze der Kapitalerhaltung, der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens sowie des Gebots der Gleichbehandlung aller Gesellschafter auch aus einem eigenen Anspruch gegen den Ersatzpflichtigen in der Regel allein Leistung an die Gesellschaft verlangen. 751 Aus den Regelungen in § 117 Abs. 1 Satz 2 und § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG, die jeweils einen eigenen Anspruch des Aktionärs wegen eines „Reflexschadens“ von vornherein ausschließen, um zu verhindern, dass der Aktionär der Gesellschaft zuvorkommt und dieser dadurch die Realisierung ihres Anspruchs erschwert, hat der II. Zivilsenat in Übereinstimmung mit großen Teilen der Literatur den verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken abgeleitet, dass generell, also auch bei Bestehen eines eigenen Schadensersatzanspruchs des Gesellschafters gegen den Schädiger, der Ausgleich solcher mittelbaren 206
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Schäden, die allein auf der Schädigung der Gesellschaft beruhen, in das Privatvermögen des Gesellschafters nicht in Betracht kommt. Vgl. BGH, Urt. v. 4.3.1985 – II ZR 271/83, BGHZ 94, 55, 58 = ZIP 1985, 607, dazu EWiR 1985, 243 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, ZIP 1987, 29, 32 f., dazu EWiR 1987, 109 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 173/86, ZIP 1987, 1316, 1318 (stG), dazu EWiR 1987, 1219 (Blaurock); BGH, Urt. v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 744, dazu EWiR 1995, 677 (H. P. Westermann); BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 165 f. = ZIP 1995, 819, 829, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); BGH, Urt. v. 30.4.2001 – II ZR 322/99, ZIP 2001, 1005; vgl. auch BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 21 (GmbH); BGH, Urt. v. 21.3.2013 – III ZR 260/11, BGHZ 197, 75 = ZIP 2013, 781 Rn. 35, dazu EWiR 2013, 367 (H. F. Müller); BGH, Urt. v. 14.5.2013 – II ZR 176/10, ZIP 2013, 1376 Rn. 16 und 18, dazu EWiR 2013, 507 (Wackerbarth).
Dabei ist es unerheblich, ob der Gesellschaft gegen den Schädiger ein eigener 752 Schadenersatzanspruch zusteht oder nicht. Auch dann, wenn der AG ein solcher Anspruch nicht zusteht, weil der Schädiger nicht eine ihm gegenüber der AG, sondern gegenüber seinen Mitaktionären obliegende Treuepflicht verletzt hat, erfordern der Grundsatz der Kapitalerhaltung und die Zweckwidmung des Grundkapitals, dass der Ausgleich des Schadens nicht bei dem Aktionär, sondern dem gebundenen Kapital vorgenommen wird. Im Insolvenzfall ist der Schadensbetrag grundsätzlich in die Insolvenzmasse 753 zu leisten. Erforderlichenfalls sind nicht befriedigte Forderungen an die Insolvenzmasse im Wege der Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) zu erfüllen. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 165 f. = ZIP 1995, 819, 829, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); vgl. auch zur GmbH BGH, Urt. v. 14.5.2013 – II ZR 176/10, ZIP 2013, 1376 Rn. 16, dazu EWiR 2013, 507 (Wackerbarth).
Eine Leistung an den Gesellschafter selbst ist erst dann zulässig, wenn der 754 geltend gemachte Betrag zur vorrangigen Befriedigung der Gläubiger nicht benötigt wird. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992, 993, dazu EWiR 1992, 881 (Karsten Schmidt); BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 138, 166 = ZIP 1995, 819, 829, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Im Übrigen kann der mittelbar Geschädigte Schadenersatzleistung an sich 755 verlangen, wenn er den Schaden bei der geschädigten Gesellschaft ausgeglichen hat und ihm ein Schadenersatzanspruch im Außenverhältnis zusteht.
207
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, ZIP 1987, 29, 33, dazu EWiR 1987, 109 (H. Wiedemann); vgl. auch BGH, Urt. v. 30.4.2001 – II ZR 322/99, ZIP 2001, 1005.
756 Der Reflexschaden ist nach dem Verkehrswert des Anteils zu bemessen, also dem Betrag, den ein Dritter als Erwerber üblicherweise zu zahlen bereit wäre. Dafür kann der Börsenkurs einer Aktie in Betracht gezogen werden. Dieser Kurs kann der Schadenberechnung auch dann zugrunde gelegt werden, wenn für seine Bildung nicht die üblichen preisbildenden Faktoren maßgebend gewesen sind, zu denen vorrangig die reale Einschätzung des Werts des lebenden Unternehmens zählt, sondern spekulative Momente bestimmend waren. Voraussetzung ist allerdings, dass der Kläger diesen Kurs hätte realisieren können, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre und die Aktien aufgrund dessen nicht wertlos geworden wären. Zu den Grenzen der Berücksichtigungsfähigkeit des Börsenkurses für den Ausgleichs- und Abfindungsanspruch vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436, dazu EWiR 1999, 751 (Neye); BVerfG, Beschl. v. 8.9.1999 – 1 BvR 301/89, ZIP 1999, 1804.
757 Ist in dem geltend gemachten Schadensbetrag der Wert der Aktien enthalten, der – anteilig – dem Unternehmenswert entspricht, ist dieser auf der Grundlage des wirklichen Werts des lebenden Unternehmens einschließlich der stillen Reserven und – gegebenenfalls – des goodwill zu bestimmen. Er bemisst sich im Allgemeinen nach dem Preis, der bei einer Veräußerung des Unternehmens als Einheit ermittelt würde. Dieser muss durch Einholung eines Sachverständigengutachtens festgestellt werden, wobei es Sache des Tatrichters ist zu entscheiden, welche Berechnungs- und Bewertungsmethode der Ermittlung des Unternehmenswertes zugrunde zu legen ist. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 165 f. = ZIP 1995, 819, 820, 829, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
758 Diese Grundsätze zum Reflexschaden können auf einen Anspruch, der auf den Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet ist, nicht angewandt werden. Der Geschädigte hat einen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stehen würde. Er hat einen Anspruch darauf, dass ihm der aufgewendete Kaufpreis ersetzt wird. Im Gegenzug ist er berechtigt – und auf Verlangen auch verpflichtet –, dem Schädiger die Aktien zur Verfügung zu stellen. § 399 AktG (vgl. Rn. 797) verfolgt zwar auch den Zweck, die Aufbringung des Grundkapitals zu gewährleisten. Dieser Zweck wird jedoch bei der Kapitalerhöhung, die unter Gewährung eines mittelbaren Bezugsrechts durchgeführt wird, dadurch erreicht, dass das eingeschaltete Bankinstitut die Aktien zeichnet und der Gesellschaft den Zeichnungsbetrag zahlt. Die Vorschriften der §§ 117 Abs. 1 Satz 2 bzw. 317 Abs. 1 Satz 2 AktG sind darauf ausgerichtet, einen sachgerechten Interessenausgleich bei Schädigung der AG zwischen ihr und ihren Aktionären herbeizu208
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
führen. Sie tragen einerseits dem Grundsatz der Kapitalerhaltung, der Zweckwidmung des Gesellschaftsvermögens und dem Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre dadurch Rechnung, dass sie durch Beseitigung der bei der AG eingetretenen Schadensfolgen deren Fortbestand im Interesse aller Aktionäre zu gewährleisten suchen, andererseits dem einzelnen Aktionär die Möglichkeit belassen, einen über die Minderung der Werthaltigkeit der Aktien hinausgehenden, nur bei ihm eingetretenen Schaden zu realisieren. Diese Interessenlage ist mit derjenigen, bei der eine Schädigung des Aktienerwerbers gerade durch die Begründung des Mitgliedschafts- und Beteiligungsverhältnisses eintritt, nicht vergleichbar. BGH, Urt. v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 131 f. = ZIP 1988, 1112, dazu EWiR 1988, 951 (Schulze-Osterloh).
Hat jemand ein Mitglied des Vorstands unter Benutzung seines Einflusses 759 auf die Gesellschaft dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln und hat der Vorstand diese Handlung unter Verletzung der ihm (nach § 92 Abs. 1 – 3 AktG a. F.) obliegenden Pflichten durchgeführt, haftet er nach § 117 Abs. 1 AktG auf Leistung von Schadenersatz. Soweit Aktionären Schadenersatz zu leisten ist, kommt nur ein gesellschafts- bzw. mitgliedschaftsbezogener Schaden in Betracht, da der Schutzbereich der Norm lediglich diese Vermögensinteressen der Aktionäre schützt. Das folgt aus der engen Verknüpfung der Sätze 1 und 2 des § 117 Abs. 1 AktG, welche die Schadenersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären gegeneinander abgrenzen. Danach ist den Aktionären nur der Schaden zu ersetzen, der nicht durch eine Schadenersatzleistung an die Gesellschaft ausgeglichen wird. Auch die historische Entwicklung der Vorschrift belegt das: Sie war ursprünglich als Ausfluss der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht konzipiert, so dass ihr Zweck von vornherein auf den Schutz gesellschafts- und mitgliedschaftsbezogener Interessen beschränkt war. An diesem Schutzzweck hat sich bei ihrer Umgestaltung zu einer Norm der unerlaubten Handlung nichts geändert. Erwirbt ein Dritter aus einer Kapitalerhöhung hervorgegangene Aktien, die von vornherein wertlos sind, kann er keinen Schadenersatz in Höhe der Aufwendungen verlangen, die er für den Erwerb der Aktien gemacht hat. BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1471; dazu EWiR 1992, 1153 (H. Wiedemann).
Hat ein Aktionär seiner AG ein Darlehen zur Überbrückung von Liquidi- 760 tätsschwierigkeiten gewährt und wird dieses Darlehen deswegen uneinbringlich, weil eine Handlung i. S. d. § 117 Abs. 1 und 2 AktG zum Zusammenbruch der Gesellschaft geführt hat, ist dem Aktionär Schadenersatz zu leisten. Denn in einem solchen Falle steht die Gläubigerstellung in einem inneren Zusammenhang mit der Stellung als Aktionär, da der Beweggrund für die Kreditgewährung vor allem in der Erhaltung des eigenen Aktienkapitals besteht. Der Aktionär kann unter diesen Umständen nicht auf den einem Drittgläubiger nach § 117 Abs. 5 AktG eingeräumten Schutz verwiesen werden.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 4.3.1985 – II ZR 271/83, BGHZ 94, 55, 59 = ZIP 1985, 607, dazu EWiR 1985, 243 (Meyer-Landrut).
4. Schadenersatzpflicht gegenüber Dritten (Außenhaftung) 761 Allein aus der Stellung als Vorstands einer AG ergibt sich keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552, dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/Causevic).
762 Zwar umfassen die Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsleitung und Geschäftsführung, die dem Vorstand einer AG aufgrund seiner Organstellung obliegen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG), auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (Legalitätspflicht). Diese Pflicht besteht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. Denn die Bestimmung des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG regelt allein die Pflichten des Geschäftsführers aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Sie dient nicht dem Zweck, Gesellschaftsgläubiger vor den mittelbaren Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsleitung zu schützen. Wie sich aus § 93 Abs. 2 AktG ergibt, lässt eine Verletzung der Pflichten zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung Schadensersatzansprüche nur der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger entstehen. BGH, Urt. v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278 (GmbH); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rn. 22 f. m. z. N., dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/ Causevic).
763 Für diese Sichtweise spricht zudem entscheidend auch § 93 Abs. 5 AktG, der den Gläubigern nur das Recht gewährt, den Ersatzanspruch der Gesellschaft geltend zu machen. 764 Eine Außenhaftung des Vorstands kommt indes in verschiedenen Ausprägungen in Betracht, von denen die wichtigsten dargestellt werden sollen: a) Verschulden bei Vertragsschluss 765 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Vertreter für die Verletzung der sich aus der Anbahnung von Vertragsverhandlungen ergebenden Pflichten ausnahmsweise dann persönlich einzustehen, wenn er gegenüber dem Verhandlungspartner in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflusst BGH, Urt. v. 5.4.1971 – VII ZR 163/69, BGHZ 56, 81, 84 ff.;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 7.12.1992 – II ZR 179/91, ZIP 1993, 363, 365 f., dazu EWiR 1993, 233 (Medicus); BGH, Urt. v. 13.6.2002 – VII ZR 30/01, ZIP 2002, 1771, 1772, dazu EWiR 2003, 13 (Pfeiffer)
oder wenn er ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Durchführung des Rechtsgeschäfts, also eine solch enge Beziehung zum Vertragsgegenstand hat, dass er gleichsam in eigener Sache tätig wird oder als wirtschaftlicher Geschäftsherr anzusehen ist, wobei ein mittelbares wirtschaftliches Interesse wie z. B. das Provisionsinteresse nicht als ausreichend angesehen worden ist. Vgl. BGH, Urt. v. 17.6.1991 – II ZR 171/90, WM 1991, 1730 f.; vgl. die Darstellung der Entwicklung in BGH, Urt. v. 26.6.2001 – X ZR 231/99, WM 2001, 1428, 1429 f.
Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof im GmbH-Recht für die Haf- 766 tung der Geschäftsführer übernommen. BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1142 m. w. N. (persönliches Vertrauen und wirtschaftliches Eigeninteresse), dazu EWiR 1992, 161 (Medicus); BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694 f. m. w. N., dazu EWiR 1992, 563 (Schulze-Osterloh).
Um ein wirtschaftliches Eigeninteresse bejahen zu können, reicht die Betei- 767 ligung des Geschäftsführers und Gesellschafters einer GmbH an der von ihm vertretenen Gesellschaft allein nicht aus. BGH, Urt. v. 13.6.2002 – VII ZR 30/01, ZIP 2002, 1771, 1772, dazu EWiR 2003, 13 (Pfeiffer) m. w. N.
Das „wirtschaftliche Eigeninteresse“ setzt voraus, das das Organmitglied wirt- 768 schaftlich betrachtet gleichsam in eigener Sache handelt. BGH, Urt. v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694 (GmbH), dazu EWiR 1992, 563 (Schulze-Osterloh).
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anfrage beim VIII. und 769 IX. Zivilsenat BGH, Beschl. v. 1.3.1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 763, dazu EWiR 1993, 583 (H. Wiedemann)
weiter entschieden, ein Geschäftsführer hafte unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss für eine Verbindlichkeit der GmbH wegen wirtschaftlichen Eigeninteresses nicht deswegen persönlich, weil er zugunsten der Gesellschaft dingliche Sicherheiten aus seinem eigenen Vermögen oder eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt habe. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 183 ff. = ZIP 1994, 1103, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
Persönliches Vertrauen nimmt der Geschäftsführer dann in Anspruch, 770 wenn er dem Verhandlungspartner eine zusätzliche, von ihm persönlich aus-
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D. Der Vorstand
gehende Gewähr für die Erfüllung und den Bestand des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts geboten hat, die für die Willensentschließung des anderen Teils bedeutsam war. Das kann sowohl bei einer außergewöhnlichen Sachkunde oder großer persönlicher Zuverlässigkeit als auch bei einem auf Verwandtschaft beruhenden besonderen Vertrauensverhältnis der Fall sein, BGH, Urt. v. 5.4.1971 – VII ZR 163/69, BGHZ 56, 81, 84 f.; BGH, Urt. v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27, 33 = ZIP 1983, 428; BGH, Urt. v. 8.10.1987 – IX ZR 143/86, WM 1987, 1431, 1432; BGH, Urt. v. 1.7.1992 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1143, dazu EWiR 1992, 161 (Medicus),
und zwar dann, wenn er damit den Eindruck erweckt, er werde persönlich die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts selbst dann gewährleisten, wenn der Verhandlungspartner der Gesellschaft nicht oder nur wenig vertraut und sein Verhandlungsvertrauen sich nicht als gerechtfertigt erweist. BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 157/88, ZIP 1989, 1455, dazu EWiR 1990, 265 (Miller); BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1142 f. (GmbH), dazu EWiR 1992, 161 (Medicus).
771 Tritt der Geschäftsführer hingegen für die Gesellschaft allein in Vertragsverhandlungen ein, so nimmt er nur das normale Verhandlungsvertrauen für diese in Anspruch. Unterlässt er es, als Vertretungsorgan der GmbH die für die Entscheidung des Verhandlungspartners entscheidenden Erklärungen abzugeben, verletzt er eine Pflicht der Gesellschaft, wofür nur diese einzustehen hat. Bei dieser Sachlage ist auch nur das Vertrauen in Anspruch genommen worden, das im Verhältnis des Verhandlungspartners und der Gesellschaft besteht oder bestehen sollte. BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1142 f. m. w. N., dazu EWiR 1992, 161 (Medicus).
772 Den Vorschlag, das Geschäftsführungsmitglied als Repräsentanten der Kapitalgesellschaft stets als Vertrauensträger anzusehen, wenn es dem Verhandlungsgegner eine die Solvenz der Gesellschaft betreffende Information vorenthält (sogenannte Repräsentantenhaftung), hat der Bundesgerichtshof abgelehnt. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 189 = ZIP 1994, 1103 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
773 Gegen die Haftung des geschäftsführenden Mehrheits- und Alleingesellschafters der GmbH wegen Eigeninteresses hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs erhebliche Vorbehalte geäußert. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 ff. = ZIP 1994, 1103 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Er wird an der Figur der Haftung aus wirtschaftlichem Eigeninteresse für 774 den Gesellschaftergeschäftsführer nicht festhalten. Das gilt erst recht für den Fremdgeschäftsführer, bei dem es schon an einer Beteiligung an der Gesellschaft fehlt. Im Aktienrecht sind diese Grundsätze bisher nicht praktisch geworden. b) Rechtsscheinhaftung Wird im Rahmen geschäftlicher Verhandlungen oder bei Vertragsabschlüssen 775 dem anderen Teil nicht offenbart, dass Verhandlungs- oder Vertragspartner eine Gesellschaft ist, die nur beschränkt haftet, sondern die Firma unter Weglassen des Zusatzes „mit beschränkter Haftung“ gezeichnet, führt das zur Haftung des Handelnden kraft Rechtsscheins entsprechend § 179 BGB. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 16 f.; BGH, Urt. v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984; BGH, Urt. v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = ZIP 1984, 950; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, ZIP 2007, 908 Rn. 9, 14, 17, dazu EWiR 2007, 513 (Lamsa); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 9; vgl. aber auch BGH, Urt. v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, ZIP 1998, 1223: Keine Handelndenhaftung bei Vertragsschluss durch den wahren Unternehmensinhaber statt der erwarteten, nicht existierenden GmbH.
Diese Rechtsprechung ist im Grundsatz auch für die AG maßgebend; sie ist 776 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch noch nicht praktisch geworden. Das Gesetz schreibt für alle juristischen Personen mit beschränkter Haftung 777 die Aufnahme der Gesellschaftsform in die Firma oder den Verbandsnamen vor (§ 4 und 5a Abs. 1 GmbHG; §§ 4, 279 AktG; § 3 Abs. 2 GenG; § 65 BGB; § 18 Abs. 2 VAG). Dadurch soll dem Geschäftsgegner die Tatsache der beschränkten Haftung seines Verhandlungs- oder Vertragspartners deutlich vor Augen geführt werden. Dem liegt einmal der Gedanke zugrunde, dass es für das Verhalten des Geschäftsgegners in der Regel von Bedeutung ist, ob er außer auf das Geschäftsvermögen noch auf eine weitere Vermögensmasse zugreifen kann, zum anderen die Erwartung, die Einstandspflicht mit seinem Privatvermögen werde einen Kaufmann zu einer vorsichtigeren, mit weniger Risiken behafteten Geschäftsführung veranlassen als das der Fall ist, wenn die Haftung auf die von ihm und/oder Dritten in eine Gesellschaft eingebrachte Einlage beschränkt ist. Wird die vom Rechtsverkehr erwartete Offenlegung unterlassen, werden unzutreffende Vorstellungen erweckt und die Gefahr herbeigeführt, dass der Geschäftsgegner Dispositionen trifft, die er bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes ganz oder in dieser Form unterlassen
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D. Der Vorstand
hätte. Dem entspricht als Ausgleich die Vertrauenshaftung dessen, der die Aufklärung nicht vornimmt. BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 17; BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 142/73, WM 1975, 742, 743; BGH, Urt. v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984; BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 601 f., dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004, 1005, dazu EWiR 1992, 359 (Medicus); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 10.
778 Hat der für das Unternehmen Auftretende durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, er selber sei der Inhaber des Unternehmens, so haftet er schon aus diesem Grunde persönlich, andernfalls, weil er das unrichtige Vertrauen hervorgerufen hat, der von ihm verschiedene Inhaber hafte persönlich. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 601 f., dazu EWiR 1990, 649 (Hirte).
779 Der II. Zivilsenat hat sich in dem Urteil vom 8.7.1996 BGH, Urt. v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, ZIP 1996, 1511
zu der Klarstellung veranlasst gesehen, dass der im Rahmen lediglich mündlicher Verhandlungen unterlassene Hinweis auf die beschränkte Haftung des Unternehmensträgers nicht geeignet ist, bei dem Vertragspartner das schützenswerte Vertrauen zu begründen, der Inhaber des Unternehmens hafte ihm gegenüber persönlich und unbeschränkt. Die Entscheidung vom 24.6.1991 BGH, Urt. v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004, 1005, dazu EWiR 1992, 359 (Medicus)
lässt eine gegenteilige Schlussfolgerung nicht zu. 780 Der Haftung steht nicht entgegen, dass sich die Beschränkung der Haftung aus dem Handelsregister ergibt. Der spezielle Vertrauenstatbestand des § 4 GmbHG ist gegenüber der in § 15 Abs. 2 HGB getroffenen Regelung, dass ein Dritter eine in das Handelsregister eingetragene und bekannt gemachte Tatsache gegen sich gelten lassen muss, vorrangig. Würde man diese Vorrangigkeit und damit eine Rechtsscheinhaftung bei Verletzung des § 4 GmbHG verneinen, würde man den Zweck dieser Vorschrift, die beschränkte Haftung der Gesellschaft ohne das Erfordernis vorheriger Einsichtnahme des Handelsregisters schon aus der Firma erkennbar werden zu lassen, vereiteln. BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222 f.; BGH, Urt. v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984; BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 601, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 11.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Nichts anderes gilt für § 4 AktG. Diese zunächst für die Personenfirma entwickelten Grundsätze gelten auch 781 für die Sachfirma. BGH, Urt. v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984.
Durch die Einfügung der Worte „gleichviel welcher Form“ in die am 1.1.2007 782 in Kraft getretenen §§ 80 AktG, 35a GmbHG wurde in Übereinstimmung mit Art. 4 der sog. Publizitätsrichtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2003/58/EG klargestellt, dass auch der geschäftliche Emailverkehr die gesetzlichen Pflichtangaben enthalten muss (Regierungsentwurf zum EHUG, BT-Drucks. 16/960, S. 47 f.) und sich daran auch die Vertrauenshaftung nach § 179 BGB anknüpft. BGH, Beschl. v. 22.2.2011 – II ZR 301/08 Rn. 2, juris.
Die Haftung ist bei Rechtsgeschäften mit einer AG nicht auf deren Vorstand 783 beschränkt, sondern sie trifft jeden Vertreter des Unternehmens, der durch sein Zeichnen der Firma unter Weglassen des Firmenzusatzes das Vertrauen des Geschäftsgegners auf die Haftung zumindest einer natürlichen Person hervorgerufen hat. BGH, Urt. v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004, 1005, dazu EWiR 1992, 359 (Medicus); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, ZIP 2007, 908 Rn. 14, dazu EWiR 2007, 513 (Lamsa), m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2007, 889.
Die Haftung trifft „ausschließlich“ den für die Gesellschaft auftretenden 784 Vertreter selbst. Die Beschränkung der Rechtsscheinhaftung auf den „zeichnenden“ Vertreter gilt unabhängig von der Person des Handelnden und seiner rechtlichen Qualifikation und unabhängig auch von der Person des etwaigen Vollmachtgebers. Eine (Mit-)Haftung des nicht unmittelbar handelnden, gleichsam im Hintergrund bleibenden Gesellschaftsorgans wegen einer bloßen Mitverursachung des von dem unmittelbar Handelnden gesetzten Rechtsscheins durch Verletzung sonstiger Handlungs-, Überwachungs- oder Instruktionspflichten kommt nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, ZIP 2007, 908 Rn. 14, 16, dazu EWiR 2007, 513 (Lamsa).
Die Haftung hängt nicht davon ab, dass vor der Inanspruchnahme des Haf- 785 tenden die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft festgestellt worden ist. Sie ist eine nach Maßgabe des zurechenbar verursachten Rechtsscheins geltende Haftung, die der Haftung der Gesellschaft nicht subsidiär ist. Vielmehr sind Gesellschaft und Handelnder Gesamtschuldner. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 602, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte), unter Klarstellung von BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 18;
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004, 1005, dazu EWiR 1992, 359 (Medicus); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 24.
786 Die Haftung der Gesellschaft neben dem Handelnden kommt bei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften in Betracht. Bei diesen geht der Wille der Beteiligten im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens, in dessen Tätigkeitsbereich das rechtsgeschäftliche Handeln fällt, und nicht der für das Unternehmen Handelnde der Vertragspartner werden soll. BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 14; BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678, unter II 1, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, ZIP 1998, 1223, unter 2 a; BGH, Urt. v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rn. 10.
787 Damit wird bezweckt, dass für die Erfüllung einer vertraglichen, insbesondere einer vertragscharakteristischen Leistung der Rechtsträger des Unternehmens verpflichtet wird, der aufgrund der zu ihm gehörenden Vermögensgüter und seiner sonstigen vertraglichen Beziehungen die hinreichenden Mittel und Möglichkeiten hat, um diese Leistung erfüllen zu können. Die Erfüllung des Vertrags soll nicht daran scheitern, dass der Vertrag eine Person verpflichtet, der diese Mittel und Möglichkeiten fehlen. Weiterhin bezweckt dieser Auslegungsgrundsatz, jemanden, der als Stellvertreter handeln wollte, vor einer Verpflichtung als Vertragspartner zu bewahren, wenn er seine Vertreterstellung nicht ausdrücklich hervorgehoben hat, der Unternehmensbezug des Rechtsgeschäfts aber hinreichend deutlich zu erkennen war. BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 14; BGH, Urt. v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rn. 10.
788 Dem Auslegungsgrundsatz zur personellen Zuordnung unternehmensbezogener Rechtsgeschäfte steht indessen eine Haftung aus Rechtsscheingründen nicht entgegen. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678, unter II 2, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, ZIP 1998, 1223, unter 2 b); BGH, Urt. v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rn. 12.
789 Die zusätzliche Haftung dessen, der selbst einen Rechtsschein für die Stellung als Vertragspartner gesetzt hat oder für den ein solcher, ihm zuzurechnender Rechtsschein gesetzt wurde, mindert nicht die Erfüllbarkeit einer vom Rechtsgeschäft vorgesehenen Leistung, weil das hierfür vorgesehene Unternehmen als Vertragspartner verpflichtet bleibt. In diesen Fällen kann der kraft Rechtsschein Verpflichtete sich nicht darauf berufen, dass ein in Wahrheit als Vertreter Handelnder bei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften vor einer Verpflichtung als Vertragspartner geschützt werden soll, denn dieser Schutz
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
soll ihm nicht erlauben, einen von den tatsächlichen Verhältnissen abweichenden Rechtsschein zu erwecken. BGH, Urt. v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, ZIP 2012, 2159 Rn. 12.
Die Rechtsscheinhaftung setzt weiter voraus, dass der Vertragspartner die 790 wahren Verhältnisse nicht gekannt und sich im Vertrauen auf die unbeschränkte Haftung seines Vertragspartners auf das Rechtsgeschäft eingelassen hat. Das darzulegen und zu beweisen, ist aber nicht Sache des Vertragspartners. Wenn der Handelnde die Rechtsscheinfolgen nicht gegen sich gelten lassen will, muss vielmehr er beweisen, dass sein Vertragsgegner die wahren Verhältnisse kannte oder kennen musste oder dass diese für ihn im konkreten Fall keine Rolle gespielt haben. BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 18. f.; BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 142/73, WM 1975, 742; BGH, Urt. v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984 f.; BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 602, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 27.
Bei Inanspruchnahme des Handelnden ist es dessen Sache, im Innenverhält- 791 nis Ausgleich von dem wirklichen Rechtsträger zu verlangen, was zugleich bedeutet, dass er – vor allem wenn dieser nur eine beschränkte Haftungsmasse besitzt – auch dessen Insolvenzrisiko zu tragen hat. BGH, Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 602, dazu EWiR 1990, 649 (Hirte); BGH, Urt. v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 Rn. 25.
c) Delikt aa) Unerlaubte Handlung Der Vorstand haftet persönlich, wenn er den Schaden selbst durch eine uner- 792 laubte Handlung herbeigeführt hat. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rn. 24 m. w. N., dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/Causevic); zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers wegen einer Markenverletzung, die in der Verwendung der Firma der GmbH liegt vgl. BGH, Urt. v. 19.4.2012 – I ZR 86/10, GRUR 2012, 1145 Rn. 36 – Pelikan.
Ferner kommt noch eine Haftung aus sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) 793 in Betracht. Vgl. BGH, Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 92/11, ZIP 2012, 2302, dazu EWiR 2013, 145 (Kühler) zur Haftung bei Ausgabe wertloser Aktien.
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D. Der Vorstand
Zur Deliktshaftung im Zusammenhang mit der materiellen Insolvenz vgl. Rn. 1013 ff., 1069 ff. bb) Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB 794 Eine Deliktshandlung des Vorstands kommt bei Verletzung einer Norm in Betracht, die als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist. Als Schutzgesetze, deren Verletzung zu einer Schadenersatzpflicht führt, können Normen dienen, die den Einzelnen oder bestimmte Personenkreise vor der Verletzung eines Rechtsguts schützen sollen. Dabei kommt es auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber einen Rechtsschutz, wie er von dem Verletzten in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder von bestimmten Personenkreisen (mit) ins Auge gefasst hat. BGH, Urt. v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, ZIP 1991, 1597, 1598 (GmbH & Co. KG), dazu EWiR 1992, 33 (Schiemann).
(1) Vorschriften mit Individualschutzcharakter: (a) Schutzgesetze im Zusammenhang mit der Krise 795 Wird die AG zahlungsunfähig oder überschuldet, hat der Vorstand ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag (zwischenzeitlich: Insolvenzantrag) zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, § 92 Abs. 2 AktG a. F.). Die Vorschrift ist Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Vgl. hierzu ausführlich Rn. 1013 ff. Vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 102 ff.; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 = NJW 1979, 1823, 1825 f.; BGH, Urt. v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 21 ff. = ZIP 1987, 509, dazu EWiR 1987, 483 (Klaas); BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 360 f. = ZIP 1990, 578, dazu EWiR 1990, 479 (Bergmann); BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = ZIP 1994, 1103, 1107, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); zum Deliktscharakter BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 13 f., dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
796 Im Fall des pflichtwidrigen Vorenthaltens der jeweils fällig werdenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung steht der zuständigen Einzugsstelle ein Schadensersatzanspruch zu. § 266a StGB ist Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist der Vorstand einer AG als Beitragsschuldnerin strafrechtlich und über § 823 Abs. 2 BGB auch haftungsrechtlich für eine „Vorenthaltung“ von Arbeit-
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
nehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verantwortlich. Vgl. hierzu ausführlich Rn. 1077 ff. BGH, Urt. v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7 = ZIP 1991, 1597 f., dazu EWiR 1992, 33 (Schiemann); BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1027, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn); BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, ZIP 2008, 2075 Rn. 6, dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn); BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519 Rn. 13 f.
(b) Aktienrechtliche Schutzgesetze Macht ein Mitglied des Vorstands zum Zweck der Eintragung einer Erhöhung 797 des Grundkapitals im Rahmen der von ihm nach dem Gesetz gegenüber dem Registergericht abzugebenden Erklärungen (§§ 184, 188 AktG) falsche Angaben oder verschweigt er erhebliche Umstände, macht er sich strafbar (§ 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG). Diese Vorschrift ist als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Schutzzweck der Bestimmung ist es nicht nur, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Korrektheit der Handelsregistereintragungen und der öffentlichen Ankündigungen zu schützen, sondern auch, die Täuschung von Personen zu verhüten, die zu der Gesellschaft wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen unterhalten oder infolge der Durchführung der Kapitalerhöhung in solche eintreten. Zu den Personenkreisen, deren individuellen Schutz das Gesetz bezweckt, gehören auch die Personen, die aus einer Kapitalerhöhung hervorgegangene junge Aktien erwerben. Erleiden diese infolge der falschen Angaben einen Schaden, ist das Vorstandsmitglied ihnen gegenüber schadenersatzpflichtig. BGH, Urt. v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 124 f. = ZIP 1988, 1112, dazu EWiR 1988, 951 (Schulze-Osterloh).
Die falsche Erklärung, die zur Eintragung der Kapitalerhöhung in das Han- 798 delsregister geführt hat, wird nur dann ursächlich für den Aktienerwerb und damit einen durch diesen eingetretenen Schaden, wenn der Erwerb im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Erklärung vorgenommen worden ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Erwerber konkret davon ausgeht, dass die erforderlichen Angaben über die Einbringung des gezeichneten Kapitals bei der Anmeldung zum Handelsregister gemacht worden sind. Von einer solchen Kenntnis kann bei demjenigen ausgegangen werden, dem der Inhalt des Beschlusses über die Kapitalerhöhung und der Umstand bekannt gewesen sind, dass ihre Durchführung in das Handelsregister wie beschlossen eingetragen worden ist. BGH, Urt. v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 126 f. = ZIP 1988, 1112, dazu EWiR 1988, 951 (Schulze-Osterloh).
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D. Der Vorstand
799 Dem Erwerber ist das negative Interesse zu ersetzen (vgl. Rn. 758). Er muss also so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn er seine Vermögenstransaktion nicht im Vertrauen auf die Richtigkeit der Erklärung vorgenommen hätte. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass das die Aktien ausgebende Unternehmen bereits im Zeitraum der Begebung insolvenzreif war und die Aktien daher von vornherein wertlos waren. BGH, Urt. v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 129 f. = ZIP 1988, 1112, dazu EWiR 1988, 951 (Schulze-Osterloh).
800 Ein solcher Schutzzweck kommt auch der Regelung des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG zu. BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874, 1877 f.
(c) Strafrecht 801 Wird die 100 %ige Tochter-GmbH einer AG veranlasst, dem cash-Verbund des von der AG geführten faktischen Konzerns mit der Verpflichtung beizutreten, ihre liquiden Mittel dem Verbund zur Verfügung zu stellen und einen Liquiditätsbedarf auch nur bei diesem zu decken, trifft die Vorstandsmitglieder der AG die Pflicht, die Geschäftsführer der GmbH darauf hinzuweisen, dass der Verbund zur Abdeckung angeforderter Liquiditätsmittel nicht mehr in der Lage ist. Tun sie das in Kenntnis der Sachlage nicht und schießt die Tochter-GmbH weitere Mittel in den Verbund ein, trifft die Vorstandsmitglieder der Vorwurf des Betruges (§ 263 StGB). Sie sind unter diesen Umständen der Tochter-GmbH in Höhe des Betrages schadenersatzpflichtig, den diese zur Erfüllung ihrer Gläubigerverbindlichkeiten oder zur Abdeckung der Stammkapitalziffer benötigt. In einem solchen Falle kann auch der Vorwurf der Untreue (§ 266 StGB) berechtigt sein und zu einer Schadenersatzpflicht führen. BGH, Urt. v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874, 1876 f.
(2) Vorschriften ohne Individualschutzcharakter: (a) § 130 OWiG – Aufsichtspflichtverletzung 802 Nach § 130 Abs. 1 OWiG handelt der Inhaber eines Unternehmens ordnungswidrig, wenn er die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, in dem Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber als solchen treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, und wenn solche Zuwiderhandlungen, die bei gehöriger Aufsicht hätten verhindert werden können, begangen werden. Die Vorschrift ahndet Verstöße gegen betriebsbezogene Pflichten (im Entscheidungsfall: Überführung von Geldern, die einer Vermögensverwaltungsgesellschaft anvertraut worden waren, in das Privatvermögen eines Prokuristen; Tatbestand des § 266 StGB sowie u. U. des § 263 StGB). Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 OWiG a. F. (vgl. jetzt § 9 Abs. 1 OWiG) stehen die Mitglieder des
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Vertretungsorgans einer juristischen Person dem Inhaber gleich. Schutzzweck der Vorschrift ist vor allem das Interesse der Allgemeinheit, eine innerbetriebliche Organisationsform zu schaffen und aufrechtzuerhalten, mit der den von einem Unternehmen ausgehenden Gefahren – Sachgefahr und Gefahr kriminellen Verhaltens der im Unternehmen tätigen Personen – begegnet werden kann. Dieser Schutzzweck schließt zwar nicht aus, dass die Vorschrift auch den Schutz individueller Rechtsgüter einbezieht, mit deren Verletzung Schadenersatzansprüche verbunden sind. Bejaht werden kann das aber nur dann, wenn solch besondere Schadenersatzansprüche im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems sinnvoll und tragbar erscheinen, insbesondere der Geschädigte nicht anderweitig hinreichend abgesichert ist und auch kein unbeabsichtigter Wertungswiderspruch zu allgemeinen Rechtsprinzipien besteht. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 8.6.1976 – VI ZR 50/75, BGHZ 66, 388, 390; BGH, Urt. v. 5.2.1980 – VI ZR 169/79, NJW 1980, 1792.
Insoweit ist es von Bedeutung, dass § 130 OWiG die Sanktionsmöglichkeit 803 für die Verletzung betriebsbezogener Pflichten durch die in einem Unternehmen tätigen Personen auf den Unternehmensträger erstreckt. Zivilrechtlich entspricht dem die Überleitung der Haftung nach §§ 831, 31 BGB auf den Geschäftsherrn, von der jedoch die Mitglieder des Vertretungsorgans der juristischen Person nicht erfasst werden. Die Organstellung lässt diese nicht in die Pflichtenstellung nach § 831 Abs. 1 und 2 BGB einrücken. BGH, Urt. v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 304 = ZIP 1990, 35 (GmbH), dazu EWiR 1990, 358 (Brüggemeier).
Das hängt damit zusammen, dass die geschäftsinterne Organisationspflicht 804 grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu Außenstehenden (und den Gesellschaftern) besteht. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof auch entschieden, dass § 93 Abs. 1 AktG kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB ist. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 854.
Dieser Grundsatz würde aus den Angeln gehoben, wenn jede Verletzung der 805 den geschäftsführenden Organmitgliedern obliegenden Aufsichtspflichten zu einer Schadenersatzpflicht gegenüber Außenstehenden führen würde. Die Erfüllung solcher Schadenersatzpflichten obliegt der Gesellschaft. Im Falle der Insolvenz ist ihr diese Erfüllung nicht möglich. Das ist der Grund dafür, warum die geschäftsführenden Organmitglieder bei Verletzung der Insolvenzantragspflicht eine persönliche Haftung gegenüber Dritten trifft. Eine solche Haftung kann sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 130 OWiG ergeben, wenn Schutzgesetze verletzt werden, die das Insolvenzrisiko der Gesellschaftsgläubiger betreffen. Eine Haftung für Untreue- und Betrugshandlungen lässt sich aus § 130 OWiG jedenfalls nicht begründen.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 13.4.1993 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 371 ff. = ZIP 1994, 867, 869 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 302 = ZIP 1990, 35 (GmbH), dazu EWiR 1990, 367 (Brüggemeier).
(b) Buchführungspflicht 806 Die Buchführungspflicht (§§ 238 f. HGB, § 41 GmbHG) hat, obwohl sie historisch in erster Linie der Selbstinformation des Unternehmens zu dienen bestimmt war, mittelbar auch Gläubigerschutzwirkung. Das ergibt sich bereits daraus, dass ihre Erfüllung den Unternehmensinhaber in die Lage versetzt, notfalls eine rechtzeitige Liquidierung eines nicht mehr rentablen Unternehmens herbeizuführen. Die Bilanzen der Kapitalgesellschaften dienen bereits aufgrund der für sie bestehenden Publizitätspflichten (§§ 325 ff. HGB) der Unterrichtung des Rechtsverkehrs einschließlich der kreditgewährenden Gläubiger. Die ordnungsgemäße Erfüllung der Buchführungspflicht ist geeignet, das Insolvenzrisiko der Gesellschaftsgläubiger zu vermindern. Die Vorschriften, die eine Verletzung der Buchführungspflicht unter Strafe stellen (§§ 283 Abs. 1 Nr. 5 – 7, 283b StGB), werden daher als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB angesehen. Ob sich auch daraus eine Haftung des Geschäftsleiters herleiten lässt, wenn ein Außenstehender im Vertrauen auf die ihm überlassenen Buchführungsunterlagen zur Gewährung eines Kredits an die Gesellschaft veranlasst wird, obwohl diese entgegen der bilanziellen Darstellung nicht kreditwürdig war, brauchte der Bundesgerichtshof nicht zu entscheiden. BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 378 f. = ZIP 1994, 867, 871 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan).
807 Besteht ein solch konkreter Vertrauenstatbestand nicht, sondern hätte die Beachtung der Buchführungspflicht möglicherweise dazu geführt, dass Vermögensverschiebungen vom Gesellschafts- in das Privatvermögen unterblieben oder die Gesellschaft zu einem früheren Zeitpunkt liquidiert worden wäre, fehlt es an einer hinreichenden Klarstellung und Bestimmtheit des geschützten Interesses, der Art seiner Verletzung und des Kreises der geschützten Personen. Vgl. BGH, Urt. v. 27.11.1963 – V ZR 201/61, BGHZ 40, 306, 307.
808 Da es in diesem Falle nicht möglich ist festzustellen, von welchem Augenblick an die fehlerhafte Buchführung zu einem allgemeinen Gläubigerschaden geführt hat, kann eine Schadenersatzforderung auf derart allgemeine Auswirkungen der Verletzung der Buchführungspflicht auf die Gläubigerinteressen nicht gestützt werden. BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 378 f. = ZIP 1994, 867, 871 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(c) § 93 Abs. 2 AktG § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG verpflichtet Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten 809 verletzen, zum Ersatz des der Gesellschaft daraus entstandenen Schadens. Diese Vorschrift, deren Grundlage § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG darstellt, ist kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, sondern die für Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihre Organe maßgebliche Haftungsnorm selbst. RG, Urt. v. 30.11.1938 – II 39/38, RGZ 159, 211, 224; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 854; BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867, 870 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rn. 23 m. w. N., dazu EWiR 2012, 597 (Paefgen/ Causevic).
d) Wettbewerbsverstöße Der Vorstand haftet für unlautere Wettbewerbshandlungen der von ihm ver- 810 tretenen Gesellschaft nur dann persönlich, wenn er daran entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er die Wettbewerbsverstöße aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen. BGH, Urt. v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, ZIP 2014, 1475.
Allein die Organstellung und die allgemeine Verantwortlichkeit für den Ge- 811 schäftsbetrieb begründen keine Verpflichtung des Vorstands gegenüber außenstehenden Dritten, Wettbewerbsverstöße der Gesellschaft zu verhindern. BGH, Urt. v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, ZIP 2014, 1475.
Der Vorstand haftet allerdings persönlich aufgrund einer eigenen wettbewerbs- 812 rechtlichen Verkehrspflicht, wenn er ein auf Rechtsverletzungen angelegtes Geschäftsmodell selbst ins Werk gesetzt hat. BGH, Urt. v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, ZIP 2014, 1475.
5. Haftung des Vorstands im Zusammenhang mit der materiellen Insolvenz Wird eine AG zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des 813 Vorstands ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Eröffnungsantrag) zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO = § 92 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG aF). Bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals hat der Vorstand die Hauptversammlung unverzüglich einzuberufen und ihr den Verlust anzuzeigen (§ 92 Abs. 1 AktG). Die Haftung des Vorstands für Insolvenzverschleppung beruht auf unterschiedlichen Ansprüchen. Die Gesellschaft hat einen Ersatzanspruch eigener
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D. Der Vorstand
Art aus § 92 Abs. 2 (§ 92 Abs. 3 a. F.), 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, wenn Zahlungen geleistet werden, nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat. Gläubigern haftet der Vorstand direkt nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO (§ 93 Abs. 2 AktG a. F.) und unter Umständen nach § 826 BGB. a) Insolvenzreife der Gesellschaft 814 Anknüpfungspunkt für die Haftung ist die Insolvenzreife der AG, die vorliegt, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Drohende Zahlungsunfähigkeit führte noch nicht zu einem Zahlungsverbot und einer Haftung des Vorstands für geleistete Zahlungen. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden); BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 32 – Karstadt.
aa) Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO 815 Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht nach § 17 InsO. BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rn. 8, dazu EWiR 2013, 79 (Mitlehner); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 18, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen), BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er wegen eines objektiven, kurzfristig nicht zu behebenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). (1) Zahlungseinstellung § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO (a) Voraussetzungen der Zahlungseinstellung 816 Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit ist zunächst gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO zu prüfen, ob die Schuldnerin die Zahlungen eingestellt hat. Liegt Zahlungseinstellung vor, begründet dies eine gesetzliche Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit, die vom Prozessgegner zu widerlegen ist. BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 12; m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613, dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 27;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 38 (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 23; BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 11; BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 14, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
In diesem Fall ist auch die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz entbehrlich.
817
BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 6; BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 17; BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in dem 818 sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seinen fälligen, eingeforderten Zahlungsverpflichtungen zu genügen. BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 = ZIP 2002, 87, 89; BGH, Urt. v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, ZIP 2003, 488, 489, dazu EWiR 2003, 427 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 13 dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 28; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13; BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 9; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 6; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 9, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 15, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
Eines nachdrücklichen Einforderns fälliger Forderungen bedarf es nicht. Es 819 reicht aus, dass die Forderung ernsthaft eingefordert wurde, wofür eine einzige Zahlungsaufforderung genügen kann. BGH, Urt. v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, ZIP 2003, 488, 489, dazu EWiR 2003, 427 (Gerhardt).
225
D. Der Vorstand
820 Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 17.
821 Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus, auch wenn noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Sogar die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. BGH, Urt. v. 8.10.1998 – IX ZR 337/97, ZIP 1998, 2008, 2009, dazu EWiR 1998, 1131 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 13.4.2000 – IX ZR 144/99, ZIP 2000, 1016, 1017, dazu EWiR 2000, 819 (Eckardt); BGH, Urt. v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, ZIP 2001, 524, 525, dazu EWiR 2001, 321 (Eckardt); BGH, Urt. v. 17.5.2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155; BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 = ZIP 2002, 87, 90; BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 19 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613, dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 29; BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 42 (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13; BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 9; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 21, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 229/11, ZIP 2014, 16 Rn. 21, dazu EWiR 2014, 409 (Ruppert).
822 Eine Zahlungseinstellung kann allerdings dann nicht festgestellt werden, wenn der Schuldner die Zahlungen verweigert hat, weil er die Forderungen für unbegründet hielt. BGH, Urt. v. 17.5.2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155, 1156, dazu EWiR 2001, 821 (Eckardt); BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 42 (m Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
226
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Die Behauptung des Vorstands, die Gesellschaft sei lediglich zahlungsunwillig, 823 genügt aber nicht, um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit entfallen zu lassen. Die Zahlungsunwilligkeit ist vielmehr von dem Vorstand zu beweisen. Dieser muss dann auch beweisen, dass die Gesellschaft zahlungsfähig war. BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 18 f.; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Um- 824 fangs bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von einer Zahlungseinstellung auszugehen. BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 10; BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 24; BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 6; BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 17 und 21; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 9, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 229/11, ZIP 2014, 16 Rn. 21, dazu EWiR 2014, 409 (Ruppert); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 15, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg); a. A. BGH, Beschl. v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, ZIP 2013, 2469 Rn. 17, dazu EWiR 2014, 121 (Floeth) bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung.
(b) Darlegungs- und Beweislast Die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung muss grundsätzlich derjenige 825 darlegen und beweisen, der daraus Rechte für sich herleiten will. Vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57 = ZIP 2005, 1734, 1736; BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 15.
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D. Der Vorstand
826 Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats gelten die Voraussetzungen der Insolvenzreife nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Geschäftsleiter die ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, § 91 AktG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist. Dies gilt auch für die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 14 zur Überschuldung; BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 15 zur Zahlungseinstellung; ebenso BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 35 – Karstadt.
827 Gewinnt das Gericht die Überzeugung von einer Zahlungseinstellung i. S. d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO, steht es dem Geschäftsleiter offen, die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu widerlegen, indem er etwa konkret vorträgt und gegebenenfalls beweist, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für die Schuldnerin eine Deckungslücke von weniger als 10 % ausgewiesen hat. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 144 ff. = ZIP 2005, 1426, 1428 f., dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 18; BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 14; BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 21.
(c) Indizien für eine Zahlungseinstellung 828 Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen (Indizien) gefolgert werden. BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 20, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 17; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 10, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner).
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228
Dazu gehören Verhaltensweisen des Schuldners wie die Schließung seines Geschäftsbetriebs ohne ordnungsgemäße Abwicklung oder die Flucht vor seinen Gläubigern.
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056 Rn. 14.
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Eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige Verbindlichkeit nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen sind. BGH, Urt. v. 4.10.2001 – IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097, 2098, dazu EWiR 2002, 209 (Paulus); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 15 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 21, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 3.4.2014 – IX ZR 201/13, ZIP 2014, 1032 Rn. 34; BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 21, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
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Die Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen bildet infolge ihrer Strafbewehrtheit (§ 266a StGB) ein Beweisanzeichen, das den Schluss auf eine Zahlungseinstellung gestatten kann. BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 Rn. 6; BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 24 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Beschl. v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 7.11.2013 – IX ZR 49/13, ZIP 2013, 2318 Rn. 13, dazu EWiR 2014, 51 (Laroche).
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In Fällen einer – lediglich – verspäteten Zahlung wird allerdings angenommen, dass erst eine mehrmonatige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Zahlungseinstellung umfassend glaubhaft macht. BGH, Urt. v. 7.11.2013 – IX ZR 49/13, ZIP 2013, 2318 Rn. 13, dazu EWiR 2014, 51 (Laroche).
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Weiteres Indiz ist die Häufung von Pfändungen oder sonstigen Vollstreckungsmaßnahmen. BGH, Beschl. v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056 Rn. 14.
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Auch laufend steigende Steuerschulden haben indizielle Wirkung. BGH, Urt. v. 9.1.2003 – IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410, 411; BGH, Beschl. v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019.
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Ebenso die schleppende Zahlung von Löhnen und Gehältern. BGH, Urt. v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706 Rn. 20.
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D. Der Vorstand
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Werden Forderungen für Leistungen nicht beglichen, die für den Betrieb der Gesellschaft existenzielle Bedeutung haben, wie etwa für die Stromversorgung, ist das gleichfalls ein starkes Indiz. BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner).
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Der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung kann ebenso auf eine Zahlungseinstellung hinweisen, BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 24,
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wie strategische, zur Schonung schwindender Liquidität vorgenommene Teilzahlungen. BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 34, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
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Schiebt der Schuldner ständig einen Forderungsrückstand vor sich her, den er nur schleppend abträgt, verwirklicht sich ein typisches Merkmal einer Zahlungseinstellung. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rn. 19, dazu EWiR 2012, 797 (M. Huber); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 21, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 12.2.2015 – IX ZR 180/12, ZIP 2015, 585 Rn. 19, dazu EWiR 2015, 251 (Cranshaw).
829 Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es nicht einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 v. H. BGH, Beschl. v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 Rn. 6; BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 9; BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 19; BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 10, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 16, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
830 Es obliegt dann dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist. BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 11;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 10, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner); zur Überprüfung der Würdigung BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 17 ff., dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
Im Prozess kann ein Vortrag ausreichend sein, der zwar in bestimmten 831 Punkten lückenhaft ist, eine Ergänzung fehlender Tatsachen aber schon auf der Grundlage von Beweisanzeichen zulässt. BGH, Urt. v. 8.10.1998 – IX ZR 337/97, ZIP 1998, 2008, 2010, dazu EWiR 1998, 1131 (Gerhardt); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 13 = ZInsO 2011, 1410 = WM 2011, 1429, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel).
(d) Abgrenzung zur Zahlungsstockung Auch die Zahlungseinstellung ist von einer rechtlich unerheblichen Zahlungs- 832 stockung abzugrenzen. Die Liquiditätslücke muss länger als drei Wochen bestehen. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, 1428 f., dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 30; BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 23.
Eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung liegt nicht vor, wenn es dem 833 Schuldner über mehrere Monate nicht gelingt, seine fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von drei Wochen auszugleichen, und die rückständigen Beträge insgesamt so erheblich sind, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein kann. BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 43 (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 797 (M. Huber); BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 17.
Von einer Zahlungsstockung kann auch nicht ausgegangen werden, wenn die 834 Gesellschaft infolge der ständigen verspäteten Begleichung der Forderungen ihrer Gläubiger, einen Forderungsrückstand vor sich hergeschoben hat und demzufolge ersichtlich am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierte.
231
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 18.7.2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 13, dazu EWiR 2014, 53 (M. Wagner).
(e) Wiederaufnahme von Zahlungen 835 Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung wirkt grundsätzlich fort. Sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden. BGH, Urt. v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 = ZIP 2001, 2235, dazu EWiR 2002, 207 (Malitz); BGH, Urt. v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 = ZIP 2002, 87, 90; BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 23 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 32; BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 44 (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp).
836 Dafür ist es erforderlich, dass – bis auf unwesentliche Ausnahmen – alle Zahlungen geleistet werden. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rn. 18, dazu EWiR 2012, 797 (M. Huber).
837 Von einer Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit kann nicht ausgegangen werden, wenn sich der Schuldner durch die Befriedigung seiner gegenwärtigen Gläubiger der Mittel entäußert, die er zur Begleichung seiner künftigen, alsbald fällig werdenden Verbindlichkeiten benötigt. BGH, Urt. v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZIP 2012, 2355 Rn. 19, dazu EWiR 2012, 797 (M. Huber).
838 Die allgemeine Aufnahme der Zahlungen hat grundsätzlich derjenige zu beweisen, der sich auf den nachträglichen Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung beruft. BGH, Urt. v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, BGHZ 149, 100 = ZIP 2001, 2235, 2236, dazu EWiR 2002, 207 (Malitz); BGH, Urt. v. 20.11 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178 = ZIP 2002, 87, 90; BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 23 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 32; BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 44 (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp); BGH, Urt. v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 10;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 33, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
Diese Rechtsprechung gilt jedenfalls uneingeschränkt dann, wenn zwischen 839 der festgestellten Zahlungseinstellung und dem zu beurteilenden – haftungsbegründenden – Sachverhalt ein relativ kurzer Zeitraum liegt. BGH, Urt. v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682 Rn. 44 m. w. N. (m. Bespr. von Olshausen, S. 2073), dazu EWiR 2010, 497 (Siepmann/Knapp).
(2) Zahlungsunfähigkeit § 17 Abs. 1 Satz 1 InsO Sofern eine Zahlungseinstellung gem. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht festgestellt 840 werden kann, ist konkret zu prüfen, ob die AG zahlungsunfähig war, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. (a) Liquiditätsbilanz (aa) Allgemeines Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO be- 841 darf es grundsätzlich der Aufstellung einer Liquiditätsbilanz. BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 30, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind); BGH, Urt. v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 571 (Henkel); BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
Als Ausgangspunkt der Prüfung dient ein Liquiditätsstatus. Darin werden 842 die verfügbaren liquiden Finanzmittel den fälligen Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Ergibt sich danach keine Liquiditätslücke, liegt Zahlungsfähigkeit vor. Ergibt sich aus dem Liquiditätsstatus indes, dass die vorhandene Liquidität nicht ausreicht, um den fälligen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist in einem zweiten Schritt eine Liquiditätsbilanz zu erstellen. Graf von Kanitz, Rn. 917; FAS IDW, ZIP 2009, 201, 202; vgl. auch Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 914 f.
Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von 843 drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 138 = ZIP 2005, 1426, 1427 f., dazu EWiR 2005, 767 (Bruns);
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, WM 2012, 998 Rn. 8; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 18, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 15; BGH, Urt. v. 8.1.2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 323 (Vosberg).
844 Neben den „am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten“ sind auch die innerhalb der folgenden drei Wochen fällig werdenden Passiva, die sog. Passiva II zu berücksichtigen. Hierzu ausführlich Bork, ZIP 2008, 1749, 1751; ebenso Drescher, Rn. 535; H. F. Müller, in: MünchKomm-GmbHG, § 64 Rn. 15; FAS IDW, ZIP 2009, 201, 202; vgl. auch Zabel/Pütz, ZIP 2015, 912, 914 f.; offengelassen in BGH, Beschl. v. 11.10.2010 – II ZR 130/09, juris; bejahend wohl BGH, Beschl. v. 21.8.2013 – 1 StR 665/12, ZIP 2013, 2469 Rn. 14, dazu EWiR 2014, 121 (Floeth).
845 Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 vom Hundert seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 vom Hundert erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 vom Hundert oder mehr, ist dagegen regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 8, dazu EWiR 2013, 75 (Bork); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Urt. v. 7.5.2013 – IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 15; BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 18.
(bb) Zahlungspflichten 846 Von der Nichtzahlung einer i. S. d. § 271 Abs. 1 BGB fälligen Forderung darf nicht schematisch auf die Zahlungsunfähigkeit i. S. v. § 17 InsO geschlossen werden. Eine Forderung ist vielmehr in der Regel dann i. S. v. § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt. Hierfür genügen sämtliche fälligkeitsbegründenden Handlungen des Gläubigers, gleich ob die
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Fälligkeit aus der ursprünglichen Vertragsabrede über etwa im Rahmen von Miet- und Pachtverhältnissen regelmäßig zu entrichtende Zahlungen oder aus einer nach Fertigstellung der Leistung übersandten Rechnung herrührt. Eine zusätzliche Rechtshandlung im Sinne eines Einforderns ist daneben entbehrlich. Dieses Merkmal dient allein dem Zweck, solche fälligen Forderungen bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit auszuschließen, die rein tatsächlich – also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung – gestundet sind. BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 15, 18, 19, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind); BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rn. 22, dazu EWiR 2009, 579 (Keller); BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rn. 9; BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rn. 8, dazu EWiR 2013, 79 (Mitlehner); BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 12; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 26, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen); BGH, Beschl. v. 26.2.2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 12.
Eine Forderung ist auch stets dann zu berücksichtigen, wenn der Schuldner 847 sie durch eine Kündigung fällig stellt und von sich aus gegenüber dem Gläubiger die alsbaldige Erfüllung zusagt. Damit nimmt der Schuldner – ähnlich wie bei einer Selbstmahnung – eine Zahlungsaufforderung seitens des Gläubigers vorweg. Angesichts dieser durch die eigene Erklärung des Schuldners geprägten Sachlage wird eine Einforderung durch den Gläubiger entbehrlich. BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rn. 24, dazu EWiR 2009, 579 (Keller).
Des Weiteren kann die kalendermäßige Fälligkeit der Forderung ein weiteres 848 Zahlungsverlangen entbehrlich machen. Der Gläubiger darf dann bereits im Blick auf den mit einer Fristüberschreitung verbundenen Verzugseintritt (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB) von der pünktlichen Erfüllung seiner kalendermäßig fällig gestellten Forderung ausgehen. Es ist nicht zu verlangen, dass ein Gläubiger eine Zahlungsaufforderung regelmäßig oder auch nur ein einziges Mal wiederholt. BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 18, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind); BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rn. 26, dazu EWiR 2009, 579 (Keller); BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79 Rn. 12, dazu EWiR 2013, 79 (Mitlehner).
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D. Der Vorstand
849 Wird ein befristetes Darlehen durch Zeitablauf fällig, ist die Verpflichtung des Schuldners zur Tilgung bei der Prüfung seiner Zahlungsfähigkeit regelmäßig zu berücksichtigen, auch wenn der Darlehensgeber zur Rückzahlung nicht konkret aufgefordert hat. BGH, Urt. v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZIP 2013, 79, dazu EWiR 2013, 79 (Mitlehner).
850 Die Fälligkeit ist aber zu verneinen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Gläubiger sich dem Schuldner gegenüber mit einer nachrangigen Befriedigung unter – sei es auch zeitweiligen – Verzicht auf staatlichen Zwang einverstanden erklärt hat. BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 18, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind).
851 Eine Stundung in diesem Sinne kann auch auf der Grundlage eines nur tatsächlichen Verhaltens – also ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung – angenommen werden. BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420 Rn. 25.
852 Setzt die Finanzbehörde die Vollziehung eines Steuerbescheids wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aus, fordert sie den festgesetzten Betrag für die Dauer der Aussetzung nicht mehr ernsthaft ein. BGH, Urt. v. 22.5.2014 – IX ZR 95/13, ZIP 2014, 1289.
853 Nicht ausreichend ist demgegenüber eine „erzwungene Stundung“, bei der der Gläubiger von Zwangsmaßnahmen nur absieht, weil er diese für aussichtslos hält oder den sofortigen Zusammenbruch des Schuldners nicht verantworten will. BGH, Urt. v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZIP 2008, 706 Rn. 22.
854 Bei der Prüfung, ob der Schuldner zahlungsunfähig ist, darf eine Forderung, die früher ernsthaft eingefordert war, auch dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn inzwischen ein Stillhalteabkommen – das keine Stundung im Rechtssinne enthalten muss – mit dem Gläubiger geschlossen wurde. BGH, Urt. v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420; BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 29, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
855 Hat der Gläubiger das Stillhalten an die Erbringung gewisser Leistungen, insbesondere Ratenzahlungen, geknüpft, wird der Schuldner allerdings von Neuem zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, diese Leistungen zu erbringen. BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 29, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(cc) Liquide Mittel Fällige Zahlungspflichten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) können nur mit Geld 856 oder anderen üblichen Zahlungsmitteln erfüllt werden. Grundsätzlich sind in die zur Prüfung der Voraussetzungen des § 17 InsO zu erstellende Liquiditätsbilanz daher nur die aktuell verfügbaren liquiden Mittel und die kurzfristig verwertbaren Vermögensbestandteile aufzunehmen. Das sind vorrangig das Bankguthaben, der Kassenbestand und regelmäßig (monatlich) zu erwartenden Zahlungen; unter Umständen ein vorhandener Pkw. Die Geschäftseinrichtung gehört regelmäßig nicht dazu. Die nach einer Eröffnung zu erwartenden Ansprüche aus anfechtbaren Rechtshandlungen dürfen im Rahmen des § 17 InsO unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berücksichtigt werden. BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 30, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind).
Die Aktivierung einer Forderung in der Bilanz setzt voraus, dass diese durch- 857 setzbar ist, sie muss einen realisierbaren Vermögenswert darstellen. Vgl. BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 18 – Fleischgroßhandel.
Für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit ist es ohne Bedeutung, aus welchen 858 Quellen die Einnahmen des Schuldners stammen. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob sich der Schuldner die Zahlungsmittel auf redliche oder unredliche Weise beschafft hat. BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rn. 19, dazu EWiR 2009, 579 (Keller).
Deswegen sind selbst aus Straftaten herrührende illegale Einkünfte als liquide 859 Mittel anzusehen. Folglich sind anfechtbar erworbene Zahlungsmittel ebenfalls in die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit einzubeziehen. BGH, Urt. v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, BGHZ 181, 132 = ZIP 2009, 1235 Rn. 19, dazu EWiR 2009, 579 (Keller).
(b) Abgrenzung zur Zahlungsstockung Keine Zahlungseinstellung, sondern eine bloße Zahlungsstockung ist anzu- 860 nehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person braucht, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).
Ist die GmbH dagegen nicht in der Lage, sich innerhalb von drei Wochen 861 die zur Begleichung ihrer fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen, handelt es sich nicht mehr nur um eine rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung. Neben die zeitliche Dimension tritt ein quantitatives Ele-
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D. Der Vorstand
ment. Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke der Schuldnerin weniger als 10 % ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke der Schuldnerin 10 % oder mehr, ist dagegen regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, 1430, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 27 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Beschl. v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 Rn. 31, dazu EWiR 2007, 665 (Schröder) und EWiR 2007, 691 (Frind); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 37; BGH, Beschl. v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rn. 7; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 8, dazu EWiR 2013, 75 (Bork); BGH, Urt. v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19, dazu EWiR 2013, 175 (Bremen).
862 Wurde die Grenze der Liquiditätsunterdeckung von 10 % erreicht oder überschritten, kann die Zahlungsunfähigkeit daher nur bei einer positiven Fortbestehensprognose ausgeschlossen werden. 863 Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung oder schon von einer (endgültigen) Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, muss allein aufgrund der objektiven Umstände beurteilt werden. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, 1428, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 28 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2007, 613), dazu EWiR 2007, 113 (M. Wagner); BGH, Urt. v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 38.
(3) Darlegungs- und Beweislast 864 Das Erreichen des prozentualen Schwellenwerts einer 10 %-igen Liquiditätslücke begründet eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit. Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
werden soll, müssen besondere Umstände vorliegen, die diesen Standpunkt stützen. Ein solcher Umstand kann die auf Tatsachen gegründete Erwartung sein, dass sich der Niedergang des Schuldner-Unternehmens fortsetzen wird. Derjenige, der den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, muss die besonderen Umstände vortragen und beweisen. Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss umgekehrt der Geschäfts- 865 leiter der Gesellschaft – falls er meint, es sei doch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen – entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen – dann läge nur eine Zahlungsstockung vor –, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird. Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 138 = ZIP 2005, 1426, 1430, dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).
bb) Überschuldung nach § 19 InsO (1) Überschuldungsbegriff Wechselhaft ist die Geschichte des Überschuldungsbegriffs.
866
Vgl. hierzu Hölzle, ZIP 2008, 2003; Holzer, ZIP 2008, 2109.
Vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1.1.1999 war der nicht kodi- 867 fizierte zweistufige Überschuldungsbegriff maßgebend. Danach konnte eine Überschuldung (§ 63 Abs. 1 GmbHG a. F., § 1 Abs. 1 Satz 1 GesO) erst angenommen werden, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckte (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreichte (negative Fortbestehensprognose). BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214 = ZIP 1992, 1382, dazu EWiR 1992, 1093 (Hunecke); BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 14; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 30, dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Im Geltungsbereich der Insolvenzordnung war dann zunächst der sog. ein- 868 stufige Überschuldungsbegriff i. S. v. § 19 Abs. 2 InsO – in der bis zum In-
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D. Der Vorstand
krafttreten des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes vom 17.10.2008 (BGBl I, 1982 = ZIP 2008, 2040) geltenden Fassung (nachfolgend: InsO a. F.) – zu beachten. Bei diesem stand eine positive Fortbestehensprognose für die Gesellschaft einer Insolvenzreife der Gesellschaft nicht entgegen. Die Fortbestehensprognose war nur für die Bewertung des Gesellschaftsvermögens nach Liquidations- oder Fortführungswerten von Bedeutung. Vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils).
869 Gem. § 19 Abs. 2 InsO a. F. lag eine Überschuldung vor, „wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.“
870 Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist der Gesetzgeber zum 18.10.2008 zum zweistufigen Überschuldungsbegriff zurückgekehrt. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO i. d. F. d. FMStG lautet: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“
871 Das Gesetz wollte als Reaktion auf die Finanzkrise 2008 und den damit einhergehenden erheblichen Wertverlusten insbesondere bei Aktien und Immobilien das „ökonomisch völlig unbefriedigende Ergebnis vermeiden, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben.“ BT-Drucks. 16/10600, S. 13.
872 Die Geltung des zweistufigen Überschuldungsbegriffs wurde 2011 zunächst bis 31.12.2013 verlängert und am 9.11.2012 vom Bundestag zurückgehend auf eine rechtstatsächliche Untersuchung von Bitter/Hommerich (vgl. Die Zukunft des Überschuldungsbegriffs, Beiträge zum Insolvenzrecht Band 44) entfristet. (2) Feststellung der Überschuldung (a) Darlegungs- und Beweislast 873 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für die Überschuldung der Gesellschaft. Vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1736;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 16, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 12; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 10, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats gelten die Voraussetzungen der 874 Insolvenzreife nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung als bewiesen, wenn der Vorstand die ihm obliegende Pflicht zur Führung und Aufbewahrung von Büchern und Belegen nach §§ 238, 257 HGB, § 91 Abs. 1 AktG verletzt hat und dem Gläubiger deshalb die Darlegung näherer Einzelheiten nicht möglich ist. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 14 zur Überschuldung; BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 15 zur Zahlungseinstellung; ebenso BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 35 – Karstadt.
Die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses 875 mit einem Neugläubiger hängt nicht zwingend davon ab, dass für diesen konkreten (unterjährigen) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt) jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsleiter nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht – wieder – entfallen war. Siehe hierzu BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1736; BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Diesen zeitlichen Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof bei einem Zeit- 876 raum von neun Monaten bis zu einem Jahr zwischen der festgestellten Überschuldung und den nachfolgenden Geschäftsabschlüssen als gegeben angesehen. Vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 19.
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D. Der Vorstand
(b) Fortbestehensprognose 877 Da nach dem zweistufigen Überschuldungsbegriff die rechnerische Überschuldung und die positive Fortbestehensprognose gleichwertig nebeneinanderstehen, bietet es sich an, zunächst zu untersuchen, ob die Situation der Gesellschaft eine positive Prognose rechtfertigt. Ist dies der Fall, kommt es auf die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten nicht mehr an. Die positive Fortbestehensprognose schließt die insolvenzrechtliche Überschuldung aus. Nur wenn eine positive Prognose nicht gestellt werden kann, muss auf der zweiten Stufe eine Überschuldungsbilanz nach Liquidationswerten aufgestellt werden. 878 Unter der Geltung des einstufigen Überschuldungsbegriffs ist zunächst die Überschuldungsbilanz nach Liquidationswerten zu erstellen. Steht danach eine rechnerische Überschuldung fest, ist zu prüfen, ob die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. Bei negativer Fortbestehensprognose steht die insolvenzrechtliche Überschuldung endgültig fest. Ist die Fortbestehensprognose positiv, wirkt dies auf die Überschuldungsbilanz zurück. Der Ansatz des Vermögens und der Schulden hat jetzt zu Fortführungswerten zu erfolgen. Ergibt sich danach keine rechnerische Überschuldung ist auch die insolvenzrechtliche Überschuldung zu verneinen. Wird eine rechnerische Überschuldung auch bei Ansatz von Fortführungswerten festgestellt, besteht Insolvenzreife trotz positiver Fortbestehensprognose. Vgl. Graf von Kanitz, Rn. 920 ff. sowie Wuschek, ZInsO 2011, 1734 ff.
879 Aus dem Aufbau des § 19 Abs. 2 InsO in der bis zum 17.10.2008 geltenden Fassung (einstufiger Überschuldungsbegriff) folgte ohne Weiteres, dass die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten in Satz 1 den Regelfall und die nach Fortführungswerten in Satz 2, der eine positive Fortbestehensprognose voraussetzt, den Ausnahmefall darstellte. Der Geschäftsleiter, der sich darauf beruft, die Prüfung der Überschuldung sei nach Fortführungswerten vorzunehmen, hat die Umstände darzulegen und notfalls auch zu beweisen, aus denen sich eine günstige Prognose für den fraglichen Zeitraum ergibt. BGH, Beschl. v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 Rn. 3; BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 11 – Fleischgroßhandel; zur Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 11, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Beschl. v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZIP 2011, 1410 Rn. 9.
880 Auf die Frage, ob eine positive Fortführungsprognose bestand, kommt es nach dem einstufigen Überschuldungsbegriff dann nicht an, wenn das Gericht die Überschuldung bereits unter Zugrundelegung der Handelsbilanzen festgestellt hat, weil diese von Fortführungswerten ausgehen (§ 252 Abs. 1 Nr. 2
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
HGB). Da diese regelmäßig höher sind als die Liquidationswerte, ist damit die Überschuldung unabhängig von der Fortführungsprognose dargelegt. BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Beschl. v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZIP 2011, 1410 Rn. 8.
Die Fortbestehensprognose soll die Frage beantworten, ob die Finanzkraft der 881 Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. BGH, Urt. v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 213 f. = ZIP 1992, 1382, 1385 f., dazu EWiR 1992, 1093 (Hunecke).
Die Beurteilung, welcher Zeitraum unter mittelfristig zu verstehen ist, muss 882 anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vorgenommen werden. Vgl. BGH, Urt. v. 23.2.2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049, dazu Bormann, GmbHR 2004, 902 (Anm.) – 1 bis 1 ½ Jahre.
Die positive Fortbestehensprognose setzt subjektiv Fortführungswillen vor- 883 aus und objektiv die Aufstellung eines Ertrags- und Finanzplans mit einem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept für einen angemessenen Prognosezeitraum. Vgl. BGH, Beschl. v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171 Rn. 3; BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 13 – Fleischgroßhandel.
Eine positive Fortbestehensprognose kann nicht auf einseitige Sanierungsbe- 884 mühungen der Gesellschaft und ein von ihr entworfenes Sanierungskonzept gestützt werden, wenn dessen Umsetzung vom Einverständnis eines Gläubigers abhängt und dieser seine Zustimmung verweigert hat. BGH, Urt. v. 23.2.2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049.
(c) Rechnerische Überschuldung Für die Feststellung, dass die Gesellschaft insolvenzrechtlich überschuldet 885 ist, bedarf es grundsätzlich der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, in der die stillen Reserven aufzudecken und Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen, wahren Verkehrs- oder Liquidationswerten auszuweisen sind, also mit dem Wert, der sich bei Zerschlagung des Unternehmens bei einer Einzelveräußerung jedes Gegenstands erzielen ließe. Hingegen kommt einer nach anderen Grundsätzen aufzustellenden Handelsbilanz für die Frage, ob die Gesellschaft überschuldet ist, lediglich indizielle Bedeutung zu. Legt der Anspruchsteller für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf hin zu überprüfen und zu erläutern, ob und ggf. in welchem Umfang stille
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D. Der Vorstand
Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Dabei muss er nicht jede denkbare Möglichkeit ausschließen, sondern nur naheliegende Anhaltspunkte – beispielsweise stille Reserven bei Grundvermögen – und die von dem Gesellschafter insoweit aufgestellten Behauptungen widerlegen. Vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2000 – II ZR 191/99, ZIP 2001, 242, 243; BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 236 f., dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 2.4.2001 – II ZR 261/99, ZIP 2001, 839; BGH, Urt. v. 7.3.2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807, 808; BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 10, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Beschl. v. 26.4.2010 – II ZR 60/09, ZIP 2010, 1443 Rn. 11, dazu EWiR 2010, 641 (Nikoleyczik/Olk); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 24.9.2013 – II ZR 39/12, ZIP 2013, 2400 Rn. 28 = WM 2013, 2265 = NZG 2013, 1385; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 34 – Karstadt.
886 Ist der Anspruchsteller diesen Anforderungen nachgekommen, ist es Sache des beklagten Geschäftsleiters, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 10, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Beschl. v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZIP 2011, 1410 Rn. 4; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 34 – Karstadt.
887 Der in Anspruch genommene Geschäftsleiter genügt seiner sekundären Darlegungslast nicht, wenn er lediglich von der Handelsbilanz abweichende Werte behauptet. Der in Anspruch genommene Geschäftsleiter hat vielmehr substantiiert zu etwaigen stillen Reserven oder in der Bilanz nicht abgebildeten Werten vorzutragen. BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 229/11, ZIP 2014, 16 Rn. 18, dazu EWiR 2014, 409 (Ruppert).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(d) Bilanzierung Rückzahlungsansprüche aus Darlehen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter 888 sind zur Feststellung der Überschuldung in der Handels- wie in der Überschuldungsbilanz mit ihren wahren Werten zu aktivieren. Vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 Rn. 25, dazu EWiR 2012, 415 (Paefgen/Dettke); BGH, Urt. v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, ZIP 2014, 418 Rn. 19, dazu EWiR 2014, 273 (Fried).
Forderungen eines Gesellschafters aus der Gewährung eigenkapitalersetzender 889 Leistungen sind, soweit für sie keine Rangrücktrittserklärung abgegeben worden ist, in der Überschuldungsbilanz der Gesellschaft zu passivieren. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
Dementsprechend sind auch Darlehen, die ein Gesellschafter aufgrund eines 890 Versprechens im Gesellschaftsvertrag neben der Einlage gewährt hat („gesplittete Einlage“), in der Überschuldungsbilanz zu passivieren, soweit nicht ausdrücklich ein – bis zum Inkrafttreten des MoMiG sog. qualifizierter – Rangrücktritt erklärt ist. BGH, Beschl. v. 1.3.2010 – II ZR 13/09, ZIP 2010, 1078 Rn. 6, dazu EWiR 2010, 491 (Schodder).
cc) Patronatserklärung In einer sog. internen „harte Patronatserklärungen“, verpflichtet sich die 891 Patronin, in der Regel eine Konzernobergesellschaft, gegenüber einer Konzerntochtergesellschaft rechtsverbindlich zur finanziellen Absicherung. Diese Art der Patronatserklärung eignet sich bei entsprechender Formulierung als insolvenzfestes befristetes Sanierungsmittel. Sie kann dem Zweck dienen, eine mögliche Insolvenzantragspflicht während laufender Sanierungsbemühungen und der Suche nach neuen externen Investoren zu vermeiden. Vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111, dazu EWiR 2011, 575 (Hirte/Ede).
Eine an den Gläubiger gerichtete – externe – harte Patronatserklärung der 892 Muttergesellschaft beseitigt die objektive Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft nicht. Vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111, dazu EWiR 2011, 575 (Hirte/Ede).
Nicht nur die Konzernobergesellschaft, sondern auch die Gesellschafter können 893 sich mit Hilfe einer Zahlungszusage, gegenüber ihrer Gesellschaft verpflichten,
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D. Der Vorstand
dieser die zur Erfüllung ihrer jeweils fälligen Forderungen benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen. Damit kann die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft vermieden werden. BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX ZR 232/12, WM 2013, 1995 Rn. 7 = ZInsO 2013, 2055.
894 Falls der Gesellschaft kein ungehinderter Zugriff auf die zugesagten Mittel eröffnet wird, tritt die antragspflichtvermeidende Wirkung nur ein, wenn die Gesellschafter ihrer Ausstattungsverpflichtung tatsächlich nachkommen. Vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111 Rn. 21, dazu EWiR 2011, 575 (Hirte/Ede); BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX ZR 232/12, WM 2013, 1995 Rn. 7.
895 Allein die Erteilung einer Zahlungszusage durch die Gesellschafter ist nicht geeignet, die Kenntnis des Geschäftsleiters von der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu beseitigen. Liegt eine erkennbare Liquiditätszufuhr an die Gesellschaft nicht vor, bestehen die auf eine Zahlungsunfähigkeit hindeutenden Umstände weiter. Die Kenntnis des Geschäftsleiters wird allein dann beseitigt, wenn die Umstände, die zwingend auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, nicht mehr gegeben sind. BGH, Beschl. v. 19.9.2013 – IX ZR 232/12, WM 2013, 1995 Rn. 9.
896 Der Bundesgerichtshof hatte sich mit einer Patronatserklärung zu befassen. Angesichts unklarer Formulierungen ließ sich das von den Parteien gewollte nur durch Auslegung ermitteln, insbesondere ging es darum, ob sich die Patronin von ihrer Verpflichtung wieder lösen konnte. Hierzu hat der II. Zivilsenat ausgeführt: „Verspricht eine Muttergesellschaft in einer (Patronats-)Erklärung gegenüber ihrer bereits in der Krise befindlichen Tochtergesellschaft, während eines Zeitraums, der zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlich ist, auf Anforderung zur Vermeidung von deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung deren fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, kann diese Erklärung mit Wirkung für die Zukunft gekündigt werden, wenn die Parteien nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Kündigungsrecht vereinbart haben.“ BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69 = ZIP 2010, 2092 – STAR 21, dazu EWiR 2010, 757 (Guski).
b) Einberufung der Hauptversammlung 897 Die Verpflichtung des Vorstands gem. § 92 Abs. 1 AktG, bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals eine Hauptversammlung einzuberufen, setzt nicht erst dann ein, wenn eine Jahres- oder Zwischenbilanz vorliegt; der Vorstand hat vielmehr die wirtschaftliche Lage der AG laufend zu beobachten und sich bei
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Anzeichen einer kritischen Entwicklung einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen. BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (GmbH), dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski), BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck).
Diese Vorschrift hat nicht den Sinn, Gesellschaftsgläubiger gegen Verluste 898 infolge einer Verringerung des haftenden Kapitals zu schützen, sondern sie soll den Geschäftsorganen Gelegenheit geben, sich rechtzeitig auf den Kapitalschwund und die daraus herrührenden Gefahren einzurichten und zu prüfen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 857.
c) Erstattungspflicht gegenüber der Gesellschaft nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG Die Vorstandsmitglieder dürfen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder 899 Überschuldung der Gesellschaft keine Zahlungen mehr an Gesellschaftsgläubiger leisten, es sei denn, die Zahlungen sind mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar. Pflichtwidrig vorgenommene Zahlungen müssen die Vorstandsmitglieder der AG erstatten. Zweck des Zahlungsverbots ist es, die Gesamtheit der Gläubiger der Gesell- 900 schaft durch Wahrung von Neutralität bei der Bewirkung von Zahlungen in der Krise vor Schäden in Gestalt einer Verminderung ihrer Quote durch masseschmälernde Leistungen BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 14 – DOBERLUG (GmbH).
in Form einer zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger Vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 (GmbH) (m. Anm. Altmeppen), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 = NJW 2001, 1280
zu schützen, bzw. für den Fall, dass der Geschäftsleiter dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 9 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt); BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 Rn. 8, dazu EWiR 2015, 99 (Hans-Friedrich Müller).
901 Bei der Haftung nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um einen Ersatzanspruch eigener Art weil die Gesellschaft, durch Zahlungen des Vorstands an einen Gläubiger in der Krise keinen Schaden erleidet. Dem aus dem Gesellschaftsvermögen weggegebenen Geldbetrag entspricht regelmäßig ein gleich hoher Wert in Gestalt der Forderungstilgung. BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, DB 1974, 910, 911; BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 7 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 14 – DOBERLUG (GmbH); BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 Rn. 8, dazu EWiR 2015, 99 (Hans-Friedrich Müller).
902 Bedient der Geschäftsleiter mit den Zahlungen Verbindlichkeiten der Gesellschaft, erfüllt er nicht zugleich den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB). Als Untreuehandlungen des Geschäftsleiters zu beurteilende Zahlungen setzen voraus, dass bei der Gesellschaft, deren Vermögensinteressen er zu betreuen hat, ein Vermögensschaden eingetreten ist. Erforderlich ist, dass durch die Tathandlung eine Minderung des Vermögens eintritt, die nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung durch einen Vergleich des Vermögensstandes vor und nach der Tat unter lebensnaher wirtschaftlicher Betrachtungsweise festzustellen ist. Ein Nachteil liegt deshalb nicht vor, wenn durch die Handlung zugleich ein den Verlust aufwiegender Vermögenszuwachs begründet wird. Ein solcher Vermögenszuwachs ist etwa gegeben, wenn das Vermögen in Höhe des Verlusts von einer Verbindlichkeit befreit wird. An einem Nachteil fehlt es regelmäßig auch dann, wenn wertmindernde und werterhöhende Faktoren, zu denen auch Gewinnerwartungen zählen können, sich gegenseitig aufheben. BGH, Urt. v. 18.6.2013 – II ZR 217/12, GmbHR 2013, 1321 Rn. 9.
903 Zur EuGH-Vorlage zur Anwendbarkeit des den § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG entsprechenden § 64 GmbHG auf EU-Auslandsgesellschaften vgl. BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68, dazu EWiR 2015, 99 (Hans-Friedrich Müller).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
aa) Anspruchsinhaber Anspruchsinhaberin ist die Gesellschaft. Der Erstattungsanspruch der Gesell- 904 schaft setzt aber grundsätzlich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus und ist dann von dem Insolvenzverwalter zur Auffüllung der Masse geltend zu machen. BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil); BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 Rn. 8, dazu EWiR 2015, 99 (Hans-Friedrich Müller).
Der Insolvenzverwalter verliert seine Befugnis mit Aufhebung des Insolvenz- 905 verfahrens (§ 259 Abs. 1 Satz 1 InsO). BGH, Urt. v. 7.7.2008 – II ZR 26/07, ZIP 2008, 2094 Rn. 9 (GmbH).
Soll ein Rückfall des Anspruchs an die Gesellschaft vermieden werden (vgl. 906 § 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), kann der Insolvenzverwalter den Anspruch an sich als Treuhandzessionar abtreten. BGH, Urt. v. 7.1.2008 – II ZR 283/06, BGHZ 175, 86 = ZIP 2008, 546 Rn. 9 (GmbH).
Ausnahmsweise, etwa wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens 907 mangels Masse abgewiesen oder das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben worden ist, kann auch ein Gläubiger oder die Gesellschaft selbst den Anspruch geltend machen. BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 Rn. 8, dazu EWiR 2015, 99 (Hans-Friedrich Müller).
Eine Ersatzpflicht des Organmitgliedes kommt auch dann in Betracht, wenn 908 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wird. Es ist kein Grund ersichtlich, gerade in einem solch krassen Fall einer Vermögensverschlechterung das Organmitglied von der Haftung freizustellen. BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 f. (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (T. Keil).
Ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden, 909 spielt der insolvenzrechtliche Gesichtspunkt der verhältnismäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger keine ausschlaggebende Rolle mehr. BGH, Urt. v. 18.11.1969 – II ZR 83/68, BGHZ 53, 71, 74 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1898 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil).
Dann kann der einzelne Gesellschaftsgläubiger im Wege der Einzelzwangs- 910 vollstreckung durch Pfändung und Überweisung zur Einziehung auf den gem. § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG der Gesellschaft zugeordneten Anspruch zugreifen.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1898 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil).
bb) Normadressat 911 Die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife trifft nicht nur den rechtlichen, sondern auch den faktischen Geschäftsleiter. BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = ZIP 1988, 771 (GmbH), dazu EWiR 1988, 905 (K. Schmidt); BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550 (GmbH), dazu EWiR 2005, 731 (Bork) im Anschluss an BGHZ 104, 44 = ZIP 1988, 771 und BGHZ 150, 61 = ZIP 2002, 848, 849 f. (GmbH); BGH, Beschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 Rn. 6 (GmbH), dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt/Lau); vgl. bereits BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106 (GmbH); BGH, Urt. v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354 (GmbH).
912 Sie kann auch den Liquidator treffen (vgl. § 268 Abs. 2, § 264 Abs. 3, § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG). BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
913 Weil es sich bei § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG um einen „Ersatzanspruch eigener Art“ handelt, BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 (GmbH) (m. Anm. Altmeppen), dazu EWiR 2001, 329 (Priester)
ist eine Teilnahme Dritter nach Deliktsvorschriften (§ 830 BGB) nicht möglich. BGH, Beschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 Rn. 6 (GmbH), dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt/Lau).
914 Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG sind sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt. § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG lässt in gewissem Rahmen eine abweichende Regelung in der Satzung oder der Geschäftsordnung des Vorstands zu. Diese kann u. a. eine Einzelgeschäftsführung mit funktionsbezogener, spartenbezogener, lokaler und/oder regionaler Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis vorsehen. Die Wahrnehmung der Vorstandspflichten nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, § 92 Abs. 1 AktG sind von der Geschäftsverteilung zwingend ausgeschlossen. Auch bei einer Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben in bestimmte, den einzelnen Organmitgliedern zugewiesene Arbeitsbereiche bleibt für die Angelegenheiten, für die das einzelne Vorstandsmitglied nicht zuständig ist, eine allgemeine Aufsichtspflicht jedes Vorstandsmitgliedes bestehen. Diese Pflicht des Kollegial-
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
organs zur Selbstkontrolle beruht auf der Gesamtverantwortung des Vorstandes. Sind in einer zweigliedrigen Geschäftsführung dem Organmitglied A. die 915 Geschäfte mit deutschen Endverbrauchern und der Innendienst und dem Organmitglied B. der internationale Handel sowie die Finanzangelegenheiten der Gesellschaft zugewiesen, trifft die beiden Mitglieder eine jeweils auf den Zuständigkeitsbereich des anderen Mitgliedes bezogene Kontroll- und Überwachungspflicht. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 f. (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891, 892 (GmbH); dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider).
Das Mitglied A., das für die Buchführung oder die Finanzangelegenheiten 916 nicht zuständig ist, kann sich daher bei dem Eintritt der Überschuldung der Gesellschaft nicht darauf berufen, ihm seien Manipulationen des Mitglieds B. und der darauf zurückzuführende Eintritt der Überschuldung der Gesellschaft nicht bekannt gewesen und diese Umstände hätten ihm im Hinblick auf die Ressortaufteilung auch nicht bekannt sein müssen, so dass es weder für die Verzögerung der Antragstellung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO noch für die Vornahme unzulässiger Zahlungen i. S. d. § 92 Abs. 2 AktG verantwortlich sei. Die Aufteilung entband es nicht von seiner eigenen Verantwortung für die Einhaltung der aus den genannten Vorschriften folgenden Pflichten und dementsprechend auch nicht von dem Nachweis, dass es diese Pflichten mit der von ihm geschuldeten Sorgfalt erfüllt habe. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH, Urt. v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050 (GmbH); dazu EWiR 1986, 587 (Weipert); BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891, 892 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336 (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller).
cc) Zahlung (1) Begriffsbestimmung Nach § 92 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG ist der Vorstand der Gesellschaft 917 zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung (Insolvenzreife) geleistet worden sind. Sinn und Zweck des Zahlungsverbots ist – ebenso wie bei § 130a HGB oder § 64 Satz 1 GmbHG –, die verteilungsfähige Vermögensmasse der insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamt-
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D. Der Vorstand
heit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (GmbH).
918 Die Zahlung nach Insolvenzreife führt zu einer Verringerung der Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren. Diesen Drittschaden stellt das Gesetz einem Schaden der Gesellschaft gleich, so dass die „Zahlung“ zu ersetzen ist. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 21, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden); BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 14 (GmbH) – DOBERLUG.
919 Der II. Zivilsenat ist Ansätzen im Schrifttum, eine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzunehmen vgl. K. Schmidt, ZHR 168 [2004], 637, 650 ff.; ders., ZIP 2005, 2177; Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205 ff.
nicht gefolgt. Vgl. BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 7 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza), m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401; BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 14 (GmbH) – DOBERLUG.
(2) Beginn des Zahlungsverbots 920 Drohende Zahlungsunfähigkeit löst das Zahlungsverbot nicht aus. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
921 Das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt mit dem objektiven Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung ein. Auf eine Feststellung der Überschuldung durch den Vorstand kommt es ungeachtet der scheinbar abweichenden Formulierung des Gesetzes nicht an. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = ZIP 2000, 184, 185 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 19 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 8 (GmbH).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Das Zahlungsverbot beginnt auch nicht erst nach Ablauf der Dreiwochen- 922 frist des § 15a Abs. 1 InsO. Das folgt schon aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Es entspricht auch dem Zweck der Norm. Durch das Zahlungsverbot soll sichergestellt werden, dass das noch vorhandene Gesellschaftsvermögen zur gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erhalten bleibt. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186 = ZIP 2000, 184, 185 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack).
Dafür kommt es allein auf den Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife an. 923 Auch wenn der Geschäftsleiter wegen laufender Sanierungsbemühungen innerhalb der längstens dreiwöchigen Frist des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO noch keinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen muss, hat er doch das Gesellschaftsvermögen für den Fall zu sichern, dass die Sanierungsbemühungen fehlschlagen und das Vermögen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens zu verteilen ist. Verhält er sich pflichtgemäß und stellt unverzüglich nach dem Scheitern der Sanierungsbemühungen den Insolvenzantrag, hat das Zahlungsverbot überhaupt nur für den Zeitraum ab Eintritt der Insolvenzreife Bedeutung. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
(3) Einzelne Zahlungen Nach dem Wortlaut des § 92 Abs. 2 AktG betrifft die Erstattungspflicht 924 Zahlungen. Der Zahlungsbegriff wird vom Bundesgerichtshof weit ausgelegt. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 185 f. (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack).
Grundsätzlich ist jegliche Zahlung nach Eintritt der Insolvenzreife der Ge- 925 sellschaft verboten. Vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194 = ZIP 1994, 1103 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 13 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 20 (GmbH), dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Unter dem Begriff Zahlung wird jede Leistung verstanden, die das Gesell- 926 schaftsvermögen schmälert. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194 = ZIP 1994, 1103 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 21 (AG), dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
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D. Der Vorstand
927 Hierzu zählen die Verrechnung oder die Aufrechnung und auch die Vereinbarung einer Verrechnung oder Aufrechnung. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 21 (AG), dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
928 Zahlungen in diesem Sinne sind nicht nur Geld-, sondern auch Sach-, Dienstoder Werkleistungen, Speditions- und Frachtleistungen. Diese noch in der Entscheidung vom 14.10.1985 BGH, Urt. v. 14.10.1985 – II ZR 276/84, ZIP 1986, 456, 459 (GmbH), dazu EWiR 1986, 369 (Lüke)
offengelassene Frage ist zwar nur im Rahmen eines obiter dictum entschieden worden. Da der Bundesgerichtshof jedoch danach eine Revision nicht angenommen hat, in der dieser Umstand entscheidungserheblich war, BGH, Nichtannahmebeschl. v. 12.2.1996 – II ZR 63/95 (unveröff.; GmbH); OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.1.1995 – 6 U 272/93, WM 1996, 739, dazu EWiR 1996, 851 (Priester),
ist davon auszugehen, dass er dieser Frage keine grundsätzliche Bedeutung mehr beimisst und dass sie deshalb als von der Rechtsprechung geklärt angesehen werden kann. 929 Die Entstehung einer Neugläubigerforderung kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht als Zahlung bzw. eine das Gesellschaftsvermögen schmälernde Leistung angesehen werden. BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 216 f. = ZIP 1998, 776 (GmbH).
930 Abbuchungen von einem Konto der Gesellschaft fallen in der Regel in den Anwendungsbereich des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, es sei denn, dass mit der Abbuchung nur ein Gläubigerwechsel oder Gläubigertausch verbunden ist. Vgl. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 186 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 12 (GmbH), dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens).
931 Von einem Gläubigertausch in diesem Sinne ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn von einem debitorisch geführten Bankkonto eine Gesellschaftsschuld beglichen wird. Dann wird lediglich der befriedigte Gläubiger durch die Bank als Gläubigerin ersetzt, ohne dass die Insolvenzmasse geschmälert würde und die gleichmäßige Verteilung der Masse unter den übrigen Gläubigern beeinträchtigt wäre.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder Zum Anspruch der Bank auf Ersatz ihres dadurch bewirkten Individualschadens bei schuldhafter Insolvenzverschleppung BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13 f., dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
Das gilt aber nur, wenn die Bank nicht über freie Sicherheiten verfügt, die sie 932 zu einer abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 f. InsO berechtigen. Denn dann wird die Gemeinschaft der Gläubiger durch die Zahlung insoweit geschädigt, als zur gleichmäßigen Verteilung nur noch eine geringere Vermögensmasse zur Verfügung steht. Vgl. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza); BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (GmbH), dazu EWiR 2010, 357 (Hangebrauck); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 26 (GmbH); BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 15 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch); zur Abgrenzungsproblematik zur Rechtsprechung des IX. Zivilsenats vgl. Strohn, NZG 2011, 1161, 1165.
Soweit durch die Erhöhung des Debets eine entsprechend höhere Zinsschuld 933 der Gesellschaft gegenüber der Bank entsteht, stellt dies keine „Zahlung“ i. S. d. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG dar. Vgl. BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza); BGH, Urt. v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (GmbH), dazu EWiR 2010, 357 (Hangebrauck).
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.11.1999
934
BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack)
ist der von dem Geschäftsleiter einer insolvenzreifen Gesellschaft veranlasste Einzug eines Kundenschecks auf ein debitorisches Bankkonto der Gesellschaft als eine ihm zuzurechnende, gem. § 92 Abs. 2 AktG verbotene Zahlung zu qualifizieren, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gläubigergesamtheit (und zum Vorteil der Bank) geschmälert wird. Ebenso BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil).
Für sonstige von dem Geschäftsleiter veranlasste oder zugelassene Zahlungen 935 von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisches Bankkonto im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft gilt nichts anderes. Denn der Geschäftsleiter muss in diesem Stadium, wenn er schon seiner Insolvenzantragspflicht
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D. Der Vorstand
gem. § 15a InsO nicht rechtzeitig nachkommt, aufgrund seiner Masseerhaltungspflicht BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 238 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester)
wenigstens dafür sorgen, dass entsprechende Zahlungen als Äquivalent für dadurch erfüllte Gesellschaftsforderungen der Masse zugutekommen, nicht dagegen nur zu einer Verringerung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Bank – und damit dem Verbot des § 92 Abs. 2 AktG zuwider zu bevorzugter Befriedigung dieser Gesellschaftsgläubigerin führen. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 186 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 12 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza); BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 16 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
936 Grundsätzlich gebietet es deshalb die primär auf Masseerhaltung zielende Sorgfaltspflicht des Geschäftsleiters gem. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG, in einer solchen Situation ein neues, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 186 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 12 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza).
und den aktuellen Gesellschaftsschuldnern die geänderte Bankverbindung unverzüglich bekannt zu geben. BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 12 (GmbH), dazu EWiR 2008, 313 (Koza).
937 Eine Saldierung der Zahlungen auf ein debitorisches Konto mit den Zahlungen von einem debitorischen Konto findet nicht statt. Vgl. BGH, Urt. v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 Rn. 12 = GmbHR 2007, 596 = NZG 2007, 462, dazu EWiR 2008, 313 (Koza).
(4) Veranlassung der Zahlung 938 Da der Geschäftsleiter nur für solche Schmälerungen des Gesellschaftsvermögens verantwortlich gemacht werden kann, die mit seinem Wissen und Willen geschehen sind oder die er hätte verhindern können, ist die Veranlassung der Zahlung durch ihn eine anspruchsbegründende Tatsache. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 13, dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens); BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 12 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Deshalb haftet das Gesellschaftsorgan im Fall des Aktiventauschs (vgl. 939 Rn. 985 f.) nicht für eine ihm nicht zurechenbare, insbesondere zufällige Verschlechterung des Gegenstands des Ausgleichs bei der Gesellschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 12 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
Von einer Veranlassung durch den Geschäftsführer kann auch dann nicht 940 ausgegangen werden, wenn die Zahlung aufgrund einer Kontopfändung erfolgt ist. BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 28; a. A. Altmeppen/Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 13.
(5) Darlegungs- und Beweislast Der Insolvenzverwalter braucht nur die Minderung der Insolvenzmasse durch 941 die Leistungen darzulegen und zu beweisen, die das Vorstandsmitglied für die AG erbracht hat. BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94 (früher: 61/92), ZIP 1994, 891 = WM 1994, 1030, 1031 f. (GmbH); vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 14 (GmbH), dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann).
Durch den Vortrag, die Abbuchung sei nicht von ihm veranlasst worden, son- 942 dern beruhe etwa auf einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme (Kontopfändung), kann der Geschäftsleiter das Vorliegen einer ihm anzulastenden, haftungsbegründenden Zahlung substantiiert bestreiten. Daraufhin obliegt es dem Insolvenzverwalter, das Vorliegen des Haftungstatbestands des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG insoweit zu beweisen. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 14 (GmbH), dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens).
dd) Verschulden – Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns (1) Allgemeines Die Haftung des Vorstands nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt Verschulden 943 voraus. Einfache Fahrlässigkeit genügt. Maßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns, vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 13 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 9 (GmbH),
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D. Der Vorstand
wie sie angesichts der Größe und Bedeutung des Unternehmens erwartet werden kann. Dieser strenge, über § 276 Abs. 2 BGB hinausgehende Maßstab gilt für sämtliche anspruchsbegründenden Umstände. 944 Nach § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG führen Zahlungen nach Insolvenzreife dann nicht zu einer Ersatzpflicht des Geschäftsleiters, wenn sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Der anzulegende Sorgfaltsmaßstab bestimmt sich nicht allein nach den allgemeinen Verhaltenspflichten eines Vorstands, der bei seiner Amtsführung Recht und Gesetz zu wahren hat; er ist vielmehr an dem besonderen Zweck des § 92 Abs. 2 AktG auszurichten, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen AG im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 185 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil); vgl. auch Strohn, NZG 2011, 1161, 1166.
945 Eine interne Geschäftsaufteilung entbindet den Geschäftsleiter nicht von seiner eigenen Verantwortung für die Erfüllung der aus § 92 Abs. 2 AktG folgenden Pflichten zur rechtzeitigen Massesicherung und dementsprechend auch nicht von dem ihm obliegenden Nachweis, dass er diese Pflichten mit der den Umständen nach gebotenen Sorgfalt erfüllt hat. BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, ZIP 1994, 891, 892 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider).
946 Der Vorstand muss für eine Organisation sorgen, die ihm eine Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der AG jederzeit ermöglicht; das einzelne Vorstandsmitglied trägt dafür selbst dann die Verantwortung, wenn aufgrund einer internen Geschäftsaufteilung ein anderes Mitglied für den kaufmännischen Bereich zuständig ist und wesentliche Teile der Buchhaltungsarbeiten nicht am Sitz der AG erledigt werden. BGH, Urt. v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136 (GmbH), dazu EWiR 1985, 787 (Fleck); BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103, 1109 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (GmbH), dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski); BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (GmbH).
947 Er muss sich auch über die Buchführung des dafür zuständigen Geschäftsleiters informieren. BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, ZIP 1994, 891, 892 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider);
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336 (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller).
(2) Einzelheiten (a) Beobachtung der wirtschaftlichen Lage Von dem Geschäftsleiter wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche 948 Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Hierzu gehört insbesondere die Prüfung der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit. Bei Anzeichen einer Krise wird er sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus oder einer Liquiditätsbilanz einen Überblick über den Vermögensstand verschaffen müssen. Vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = ZIP 1994, 1103, 1109 f. (GmbH) – Vermögensstatus, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f. = ZIP 2005, 1426, 1428 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth) – beide zur Liquiditätsbilanz.
Ergibt der Vermögensstatus eine rechnerische Überschuldung, dann muss 949 der Geschäftsleiter prüfen, ob sich für das Unternehmen eine positive Fortbestehensprognose stellt. Gibt es begründete Anhaltspunkte, die eine solche Prognose rechtfertigen, so kann das Unternehmen weiterbetrieben werden. Im Hinblick auf die gravierenden Sanktionen und die Unsicherheit prognostischer Einschätzungen ist dem Geschäftsleiter ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Keinesfalls darf die Vermögenssituation der Gesellschaft aus der Rückschau beurteilt werden, sondern es ist auf die Erkenntnismöglichkeiten des Geschäftsleiters in der konkreten Situation abzustellen. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = ZIP 1994, 1103, 1109 f., dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674 Rn. 16 (Genossenschaft).
Wenn der Geschäftsleiter erkennt, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten 950 Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, hat er die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft anhand einer Liquiditätsbilanz zu überprüfen. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f. = ZIP 2005, 1426, 1428 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
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D. Der Vorstand
951 Für die Prognose, die der Geschäftsleiter anstellen muss, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung festzustellen ist, und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muss, sind die konkreten Gegebenheiten in Bezug auf die Gesellschaft – insbesondere deren Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft –, auf die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f. = ZIP 2005, 1426, 1428 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).
952 Auch bei der Frage des Verschuldens spielt die Abgrenzung zwischen Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung eine Rolle. Wenn der Geschäftsleiter erkennt, dass die Gesellschaft zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, jedoch aufgrund einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Meinung sein kann, die Gesellschaft werde vor Erreichen des Zeitpunkts, bei dem eine Zahlungsstockung in eine Zahlungsunfähigkeit umschlägt – also binnen drei Wochen –, sämtliche Gläubiger voll befriedigen können, darf er innerhalb dieses Zeitraums, solange sich seine Prognose nicht vorzeitig als unhaltbar erweist, Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind, an Gläubiger leisten, ohne die Haftung befürchten zu müssen. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f. = ZIP 2005, 1426, 1428 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).
953 Bevor der Geschäftsleiter einen Dritten mit aufwändigen Sanierungsbemühungen zu Lasten des Gesellschaftsvermögens beauftragt, muss er sich selbst über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Klarheit verschaffen. BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 (GmbH).
954 Der Geschäftsleiter handelt fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die für die Insolvenzantragspflicht erforderlichen Kenntnisse verschafft. Dabei muss sich der organschaftliche Vertreter, sollte er nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügen, ggf. fachkundig beraten lassen. Siehe hierzu auch oben Rn. 687 f. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1110 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 15 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 11 (GmbH).
260
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Dafür reicht eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Ver- 955 treter für fachkundig gehaltenen Person nicht aus. Der selbst für die Prüfung der Frage, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, nicht hinreichend sachkundige Geschäftsleiter ist nur dann entschuldigt, wenn er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person hat beraten lassen und danach keine Insolvenzreife festzustellen war. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); vgl. auch BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 18; BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 16 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 21; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 28 – Karstadt.
Aus dem Sinn und Zweck des Zahlungsverbots nach § 64 GmbHG bzw. § 92 956 Abs. 2 AktG und der Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO („ohne schuldhaftes Zögern“) folgt, dass eine solche Prüfung durch einen sachkundigen Dritten bei Anzeichen einer Krise unverzüglich vorzunehmen ist und dass sich der Geschäftsleiter nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen darf, sondern auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken muss. BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 19 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gebietet 957 es zudem, das Prüfergebnis einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16 (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); vgl. auch BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 18 (GmbH), dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 16 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
Richtet sich der dem sachkundigen Dritten erteilte Auftrag nicht auf die Prü- 958 fung der Insolvenzreife, sondern auf eine anderweitige Aufgabenstellung, kann dies den Geschäftsleiter nur dann entlasten, wenn er sich nach den Umständen der Auftragserteilung unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt darauf verlassen durfte, die Fachperson werde im Rahmen der anderweitigen Aufgabenstellung auch die Frage der Insolvenzreife vorab und unverzüglich prüfen und ihn ggf. unterrichten.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 22 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth); BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 83/12, ZIP 2013, 1718 Rn. 21.
(b) Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs 959 Soweit Leistungen des Geschäftsleiters in der Insolvenzsituation eine Masseverkürzung nicht zur Folge haben, kann das Verschulden nach § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG ausnahmsweise zu verneinen sein. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275 = ZIP 2001, 235, 238 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
960 Darüber hinaus sind Zahlungen des Geschäftsleiters nach Insolvenzreife dann mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, wenn durch sie größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden sollen, vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 275 = ZIP 2001, 235, 238 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 (GmbH),
vor allem weil sie erforderlich sind, um das Unternehmen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu erhalten. BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f. = ZIP 2005, 1426, 1428 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).
961 Das kommt insbesondere bei Zahlungen auf Wasser-, Strom- und Heizrechnungen in Betracht, also bei Zahlungen die zur Fortführung des Geschäftsbetriebs notwendig sind, um nicht jede Chance auf Sanierung oder Fortführung im Insolvenzverfahren zunichte zu machen. BGH, Beschl. v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZIP 2008, 72 Rn. 6 (GmbH).
(c) Pflichtenkollision 962 Der Schuldausschließungsgrund des § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG greift auch bei bestimmten Fallgruppen der Pflichtenkollision. Zwar entsprechen diese Zahlungen regelmäßig nicht dem Gläubigerinteresse. Der II. Zivilsenat hat sie dennoch aus pragmatischen Erwägungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar angesehen. Vgl. Strohn, NZG 2011, 1161, 1167.
(aa) Steuer 963 Führt der Geschäftsleiter – auch nach Eintritt der Insolvenzreife – fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen, ebenso wie einbehaltene Lohnsteuer, nicht an das Finanzamt ab, begeht er eine mit einer Geldbuße
262
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i. V. m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und setzt sich außerdem der persönlichen Haftung gem. §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus. Die dadurch bewirkte Pflichtenkollision hat den II. Zivilsenat bewogen, die Zahlung von Umsatzoder Lohnsteuer als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar anzusehen. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f. (m. Bespr. Wilhelm, S. 1781) (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann) und EWiR 2009, 201 (Wilkens); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 12 (GmbH).
Diese Rechtsprechung bezieht sich nicht nur auf laufende, erst nach Eintritt 964 der Insolvenzreife fällig werdende Steuerforderungen, sondern auch auf Steuerrückstände. Zwar erfüllt der Geschäftsleiter schon mit der Nichtabführung der laufenden Steuer den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit und macht sich persönlich ersatzpflichtig. Dennoch besteht der Interessenkonflikt zwischen der Befolgung der Massesicherungspflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG und der Erfüllung der steuerlichen Abführungspflicht fort. Zum einen ist die freiwillige Nachzahlung der Steuer ein Umstand, der bei der Verhängung und Bemessung der Geldbuße jedenfalls nach § 17 Abs. 3, 4 OWiG, § 377 Abs. 2 AO zugunsten des Geschäftsleiters zu berücksichtigen ist. Zum anderen entfällt mit der Nachzahlung auch die persönliche Haftung des Geschäftsleiters nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dem Geschäftsleiter nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG auf die Möglichkeit zu verzichten, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens nach § 47 OWiG oder jedenfalls für die Verhängung einer geringeren Geldbuße zu schaffen und sich von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu befreien. BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 13 (GmbH).
Die Haftungsprivilegierung greift nicht ein, wenn der Vorstand einer AG, die 965 als Organgesellschaft in eine umsatzsteuerliche Organschaft eingebunden ist, Umsatzsteuer abführt, weil er in diesem Fall keine Schuld der AG, sondern eine solche des Organträgers als Steuerschuldner tilgt. Vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 276 f. = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
(bb) Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Ge- 966 schäftsleiter grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäfts263
D. Der Vorstand
manns i. S. d. § 64 Satz 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle zahlt. Denn es kann ihm mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, diese Zahlung im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie zu den Steuerforderungen. Vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f. (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 6 (GmbH), dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 13 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann) und EWiR 2009, 201 (Wilkens); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 17 (GmbH).
967 Das gilt auch für die Frage, ob von der Privilegierung nur die laufenden, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdenden Arbeitnehmerbeiträge oder auch die Beitragsrückstände erfasst werden. Auch insoweit kann es dem Geschäftsleiter nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. aus § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG auf die Möglichkeit zu verzichten, sich Straffreiheit nach § 266a Abs. 6 Satz 1, 2 StGB oder jedenfalls eine Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 a. E. StGB oder eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit nach §§ 153, 153a StPO zu verdienen und sich von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu befreien. BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 18 (GmbH).
968 Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar. § 266a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG einzuschränken. BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 6 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 19 (GmbH).
264
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Es spricht keine Vermutung dafür, dass Zahlungen an Sozialversicherungs- 969 träger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet wurden. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags – Beitragsverfahrensverordnung (BVV) – trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft. Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist, und kann nicht vermutet werden. Vgl. BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 7 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 24 (GmbH).
(cc) Untreue Der Geschäftsleiter verletzt seine Massesicherungspflicht aus § 64 GmbHG 970 bzw. aus § 92 Abs. 2 AktG auch dann, wenn er mit Geldern, die von anderen Konzerngesellschaften auf das Geschäftskonto der Gesellschaft gezahlt worden sind, Schulden dieser Gesellschaften begleicht; seine Haftung ist aber nach § 64 Satz 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG ausgeschlossen, weil er bei den Auszahlungen angesichts des Zusammentreffens der Massesicherungspflicht mit der – durch § 266 StGB strafbewehrten – Pflicht zur weisungsgemäßen Verwendung der fremden Gelder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns gehandelt hat. BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 (GmbH).
(d) Darlegungs- und Beweislast Zu Lasten eines Geschäftsleiters, der in der in § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 971 AktG beschriebenen Lage der Gesellschaft Zahlungen aus ihrem Gesellschaftsvermögen leistet, wird vermutet, dass er dabei schuldhaft, nämlich nicht mit der von ihm zu fordernden Sorgfalt gehandelt hat. Vgl. BGH, Urt. v. 18.3.1970 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089 (GmbH); BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 81/94 (früher; 61/92), ZIP 1994, 891, 892 (GmbH), dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = ZIP 2000, 184 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 238 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (T. Keil); BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11, 15 (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock);
265
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 7 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 14 – Fleischgroßhandel (GmbH).
972 Als Ausgangspunkt des subjektiven Tatbestands des § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG reicht die Erkennbarkeit der Insolvenzreife aus, wobei die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 185 (GmbH), dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 38 (GmbH), dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rn. 13 (GmbH), dazu EWiR 2012, 457 (Wackerbarth).
973 Ob der Geschäftsführer seiner Pflicht zur laufenden Beobachtung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und näheren Überprüfung im Falle krisenhafter Anzeichen hinreichend nachgekommen ist, kann nur unter umfassender Berücksichtigung der für die Gesellschaft wirtschaftlich relevanten Umstände beurteilt werden, die dem Geschäftsleiter bekannt waren oder bekannt sein mussten. Dem Geschäftsleiter, der die Vermutung schuldhaften Verhaltens zu widerlegen hat, obliegt es, die Gründe vorzutragen und zu erläutern, die ihn gehindert haben, eine tatsächlich bestehende Insolvenzreife der Gesellschaft zu erkennen. Bei der Bewertung dieses Vorbringens ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsleiter einer GmbH für eine Organisation sorgen muss, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht. BGH, Urt. v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 13.
974 Nur ausnahmsweise ist eine die Masse schmälernde Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i. S. d. § 64 Satz 2 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG vereinbar. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Ausnahme bzw. für die Entkräftung der gegen ihn sprechenden Vermutung ist der Geschäftsleiter. Vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 238 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 = ZIP 2005, 1426, 1428 (GmbH), dazu EWiR 2005, 767 (Bruns); BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11, 15 (GmbH), dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 5.5.2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 8 (GmbH), dazu EWiR 2008, 557 (Schulz/Schröder); BGH, Urt. v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 (GmbH), dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Für den Ausnahmefall einer im Interesse der Masseerhaltung notwendigen 975 Aufwendung ist daher der Geschäftsleiter darlegungs- und beweispflichtig. BGH, Beschl. v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501 Rn. 4 (GmbH), dazu Lindemann, GmbHR 2007, 938 (Anm.).
ee) Verjährung Der Anspruch verjährt nach § 93 Abs. 6 AktG in fünf Jahren, bei im Zeit- 976 punkt der Pflichtverletzung börsennotierten Gesellschaften in zehn Jahren. Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs und damit mit der Zahlung oder der die Masse schmälernden Maßnahme. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 22, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
Bei wiederholten verbotswidrigen Zahlungen setzt jede Handlung eine neue 977 Verjährungsfrist in Lauf. BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 14 (GmbH), dazu EWiR 2009, 23 (Kort); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 20 (GmbH), dazu EWiR 2009, 645 (Wilkens).
ff) Ungekürzte Erstattung Der Geschäftsleiter, der dem Verbot des § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG 978 zuwider masseverkürzende Leistungen erbracht hat, kann nicht auf andere Möglichkeiten der Rückführung der ausgezahlten Beträge verweisen oder den Erstattungsanspruch im Voraus um den zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht feststellbaren Betrag kürzen, den der durch die verbotene Zahlung begünstigte Gläubiger erhalten hätte oder sich gar mit einer bloßen Sicherstellung bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens begnügen. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
Vielmehr kann der Zweck der Vorschrift nur dadurch erreicht werden, dass 979 der Geschäftsleiter den ausgezahlten Betrag ungekürzt erstattet. Der Gesetzgeber hat die Masseerhaltungspflicht dadurch sanktioniert, dass er den Geschäftsleiter zwingt, das Gesellschaftsvermögen aus eigenen Mitteln wieder aufzufüllen. Damit es nicht zu einer Bereicherung der Masse kommt, ist ihm in dem Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 279 = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester) unter Aufgabe von BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184, 186; BGH, Beschl. v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 Rn. 3 (GmbH).
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D. Der Vorstand
980 Die mögliche ungerechtfertigte Bereicherung der Masse folgt daraus, dass die Masse die vor Verfahrenseröffnung an den Gesellschaftsgläubiger geleistete Zahlung in voller Höhe von dem in Anspruch genommenen Organ zurückerhält, der Gläubiger jedoch nicht als Insolvenzgläubiger bei der Verteilung der Masse zu berücksichtigen ist. In Höhe dessen fiktiver Quote können die Insolvenzgläubiger deshalb eine ungerechtfertigte Quotenerhöhung erlangen. BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 140/11, BGHZ 202, 324 = ZIP 2014, 2242 Rn. 52, dazu EWiR 2014, 781 (Krüger).
981 In die Entscheidung, durch die der Geschäftsleiter zum Ersatz von Zahlungen verurteilt wird, ist der Vorbehalt hinsichtlich seines Verfolgungsrechts gegen den Insolvenzverwalter bezüglich seiner Gegenansprüche nach Erstattung an die Masse von Amts wegen aufzunehmen. Eines ausdrücklichen Antrags des Geschäftsleiters auf Vorbehalt seiner Rechte bedarf es schon deshalb nicht, weil § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG stets die Konstellation zugrunde liegt, dass das auch für diesen Ersatzanspruch eigener Art sinngemäß geltende schadensrechtliche Bereicherungsverbot letztendlich eine Reduzierung der Haftung um die sich am Schluss des Insolvenzverfahrens etwa ergebende Insolvenzquote erfordert. BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, 1551 f. (GmbH), dazu EWiR 2005, 731 (Bork).
982 Der dem Geschäftsleiter zustehende Anspruch deckt sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 279 = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester); BGH, Beschl. v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 Rn. 3 (GmbH).
983 Unterlässt das Gericht, dem zur Erstattung von Zahlungen nach Insolvenzreife verurteilten Geschäftsleiter von Amts wegen vorzubehalten, seine Gegenansprüche gegen den Kläger als Insolvenzverwalter zu verfolgen, und legt der Geschäftsleiter deswegen gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel ein, so ist der Gegenstandswert des Vorbehalts jedenfalls durch die konkrete Aussicht des Geschäftsleiters auf Durchsetzung seiner Ansprüche im Insolvenzverfahren der Höhe nach begrenzt, kann also maximal so hoch sein wie die Insolvenzquote der Gläubiger, die die Zahlungen erhalten haben. Ob überhaupt ein an dem zukünftigen Anspruch des Geschäftsleiters orientierter Betrag für die Bemessung der Beschwer maßgeblich sein kann oder ob nicht ein Regelwert von 3.000 € anzusetzen ist, hat der Bundesgerichtshof dahinstehen lassen. Dies erscheint deshalb fraglich, weil der Vorbehalt dem Geschäftsleiter weder einen vollstreckbaren Titel noch einen durchgreifenden Einwand in der Zwangsvollstreckung durch den Insolvenzverwalter verschafft. BGH, Beschl. v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 (GmbH).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Bestehen im Zusammenhang mit den Zahlungen Erstattungsansprüche der 984 Masse gegen den Zahlungsempfänger, kann der Geschäftsleiter von dem Insolvenzverwalter in entsprechender Anwendung von § 255 BGB gegebenenfalls Abtretung dieser Forderung Zug um Zug gegen Erfüllung des geltend gemachten Ersatzanspruchs verlangen. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 279 = ZIP 2001, 235, 239 (GmbH), dazu EWiR 2001, 329 (Priester).
gg) Aktiventausch Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife entfällt aber, 985 soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 9 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
Der Erstattungsanspruch gegen das Organ entfällt nicht nur bei Erfüllung 986 durch das Organ, sondern auch, wenn die Massekürzung anderweitig ausgeglichen und der Zweck der Ersatzpflicht erreicht ist. Aus diesem Grund besteht kein Erstattungsanspruch gegen das Organ mehr, soweit es dem Insolvenzverwalter gelingt, durch die Insolvenzanfechtung eine Rückerstattung der Zahlung zu erreichen und so die Masseschmälerung wettzumachen (vgl. Rn. 999 ff.) oder wenn die Massekürzung dadurch ausgeglichen wird, dass für die Zahlung ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist, und der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliegt. Vgl. BGH, Urt. V. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088, 1089 (GmbH); BGH, Urt. v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1159 (Keil); BGH, Urt. v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005, 1006 (GmbH), dazu EWiR 2003, 635 (Blöse); BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 21 – Fleischgroßhandel (GmbH); BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 9 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
Da der „Schaden“ bereits in dem Abfluss von Mitteln aus der im Stadium der 987 Insolvenzreife der Gesellschaft zu Gunsten der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhaltenden Vermögensmasse liegt, ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der Masseschmälerung zugeordnet werden kann. Auf eine Zuordnung nach wirtschaftlicher Betrachtung zur einzelnen masseschmälernden Zahlung kann nicht verzichtet werden, da der Ersatzanspruch nicht auf Erstattung eines Quotenschadens gerichtet ist.
269
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 10 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
988 Dagegen ist es nach dem Zweck der Vorschrift nicht erforderlich, dass der Gegenstand des Massezuflusses auch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhanden ist. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 11 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
989 Sollten die Entscheidungen, in denen die Berücksichtigung eines „Aktiventausches“ für möglich erachtet wurde, wenn die Gegenleistung nicht nur ins Gesellschaftsvermögen gelangt ist, sondern auch darin verbleibt, anders zu verstehen sein, hält der II. Zivilsenat daran nicht fest. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 11 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
990 Maßgeblich für die Bewertung ist der Zeitpunkt, in dem die Masseverkürzung durch einen Massezufluss ausgeglichen wird, nicht der Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung. Die Masseverkürzung ist ausgeglichen und die Haftung des Organs für die masseverkürzende Leistung entfällt, sobald und soweit ein ausgleichender Wert endgültig in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist. Wenn ein Gegenstand oder eine Geldleistung, die als Ausgleich der Masseschmälerung in das Gesellschaftsvermögen gelangt ist, danach wieder ausgegeben wird, führt dies ggf. zu einem neuen Erstattungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen das Zahlungsverbot. Würde demgegenüber der zuvor erfolgte Ausgleich der ersten Masseverkürzung nicht beachtet, würde es ggf. sogar zu einer Vervielfachung des zu erstattenden Betrags kommen, obwohl wertmäßig die Masse nur einmal verkürzt wurde. Das „Zahlungsverbot“ soll aber nur eine Masseverkürzung verhindern, nicht einer Massebereicherung dienen. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 11 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
991 Da die Veranlassung der Zahlung durch ihn eine anspruchsbegründende Tatsache ist (hierzu Rn. 938 ff.) haftet das Gesellschaftsorgan nicht für eine ihm nicht zurechenbare, insbesondere zufällige Verschlechterung des Gegenstands des Ausgleichs bei der Gesellschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 12 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
992 Für Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Masseschmälerung durch Zahlung bestehen, haftet das Organ allerdings nach § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB (dazu Rn. 1013 ff.). BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 12 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
270
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Auch bei einer durch das Organ veranlassten Verarbeitung oder ähnlichen 993 Fällen eines Verlusts eines als Ausgleich in die Masse gelangten Gegenstands entstehen keine Schutzlücken. Regelmäßig bleibt dadurch der geschaffene Wert im Vermögen der Gesellschaft erhalten oder es wird eine Gegenleistung erwirtschaftet. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, kommt auch hier eine Haftung nach § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB wegen Insolvenzverschleppung (dazu Rn. 1013 ff.) in Betracht. BGH, Urt. v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71 Rn. 13 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2015, 69 (Spliedt).
hh) Aufrechnung durch den Vorstand Der Bundesgerichtshof hat offengelassen, ob die Eigenart des Anspruchs aus 994 § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG die Aufrechnung durch den Vorstand grundsätzlich ausschließt. BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 18/12, ZIP 2014, 22 Rn. 16 (GmbH), dazu EWiR 2014, 107 (Seidel).
Die Aufrechnung mit Gehaltsansprüchen gegen den Erstattungsanspruch der 995 Gesellschaft war im entschiedenen Fall bereits insolvenzrechtlich gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unwirksam. ii) Zahlungsverbot und Anfechtung (1) Anfechtbarkeit der nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verbotenen Zahlung Der Bundesgerichtshof hat – noch unter dem Regime der Konkursordnung – 996 entschieden, dass der aus § 64 GmbHG (entsprechend § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG) auf Ersatz in Anspruch genommene Geschäftsleiter nicht berechtigt ist, die Erfüllung dieser Verpflichtung gegenüber der Masse mit der Begründung zu verweigern, der Konkursverwalter der Gesellschaft habe es unterlassen, aussichtsreiche Anfechtungsrechte (§§ 29 ff. KO jetzt §§ 129 ff. InsO) gegen die Zahlungsempfänger geltend zu machen. BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 = ZIP 1996, 420 (GmbH), dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
Die Anfechtungsrechte und der Ersatzanspruch nach § 64 GmbHG (ent- 997 sprechend § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG) verfolgten ausschließlich den Zweck, eine vor Konkurs- (Insolvenz)eröffnung eingetretene Schmälerung der Masse zugunsten der Konkurs- (Insolvenz)gläubiger auszugleichen. Entscheide sich der Verwalter gegen die Anfechtung, verletze er allenfalls Befriedigungsrechte der Gläubiger, nicht aber rechtlich geschützte und ihm anvertraute Interessen des Geschäftsleiters. BGH, Urt. v. 11.10.1984 – IX ZR 80/83, ZIP 1983, 1506 (GmbH);
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 327 = ZIP 1996, 420, 421 (GmbH), dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
998 Selbst wenn der Geschäftsleiter zum Kreis der Beteiligten i. S. d. § 82 KO (§ 60 InsO) zu zählen sei und damit eine Verantwortlichkeit des Verwalters auch ihm gegenüber zu bejahen wäre, könnte der Geschäftsleiter daraus kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber der Masse herleiten, weil diese keine Verpflichtung zur vorrangigen Geltendmachung der Anfechtungsrechte treffe. BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 328 = ZIP 1996, 420, 421 f. (GmbH), dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh).
(2) Anfechtung der nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verbotenen Zahlung 999 Hat der Insolvenzverwalter fristgerecht die Anfechtung der nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verbotenen Zahlung erklärt, steht dem Geschäftsleiter ein Zurückbehaltungsrecht analog § 255 BGB zu. Ersatz muss er dann nur Zug um Zug gegen Abtretung des Anspruchs auf Rückgewähr zur Insolvenzmasse nach § 143 Abs. 1 InsO leisten. Vgl. Strohn, NZG 2011, 1161, 1167 m. w. N.; zur Abtretbarkeit des Anspruchs vgl. BGH, Urt. v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114.
1000 Die erfolgreiche Ausübung des Anfechtungsrechts kommt dem nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG haftenden organschaftlichen Vertreter zugute, wenn die haftungsbegründende masseschmälernde Leistung, etwa eine Zahlung an einen Gläubiger der Schuldnerin, dadurch ausgeglichen wird. Vgl. BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325, 327 = ZIP 1996, 420 (GmbH), dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh); BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 14 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
1001 Es würde zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse führen, wenn sie neben der Rückgewähr der anfechtbar weggegebenen Vermögenswerte zusätzlich Ersatz für deren Weggabe von dem dafür verantwortlichen Geschäftsführer erhielte. Die in der Zahlung liegende Schmälerung der Masse ist rückgängig gemacht, wenn die Masse durch die erfolgreiche Anfechtung wieder aufgefüllt ist. Der Zweck der in § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG angeordneten Haftung des organschaftlichen Vertreters für Zahlungen nach Insolvenzreife, eine Masseschmälerung im Interesse einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger im Insolvenzverfahren zu verhindern und nicht einzelne Gläubiger zu bevorzugen, ist auch erreicht, wenn die Leistung an den zunächst bevorzugten Gläubiger erfolgreich angefochten ist. BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 14, 16 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
272
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(3) Anfechtung von nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubter Zahlung Die erfolgreiche Anfechtung der von einem debitorischen Konto geleisteten 1002 nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubten Zahlungen an Gläubiger der AG durch den Insolvenzverwalter ist bei einer Haftung des organschaftlichen Vertreters für Zahlungen auf das debitorische Konto nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
Mit der Zahlung auf ein debitorisches Konto liegt eine haftungsbegründende 1003 masseschmälernde Leistung an die kontoführende Bank vor, weil der Debet vermindert wird (Rn. 934 ff.). Dem organschaftlichen Vertreter kommt es in diesem Fall zugute, wenn die Gutschrift bzw. die Verrechnung mit dem Debet gegenüber der kontoführenden Bank später erfolgreich angefochten wird, weil damit die masseschmälernde Leistung an die Bank rückgängig gemacht wird. Die erfolgreiche Anfechtung der Zahlungen an Gläubiger von dem debitorischen Konto betrifft demgegenüber keine masseschmälernden Zahlungen, für die der Vorstand nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG haftet. Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats liegt bei Zahlungen von einem debitorischen Konto keine masseschmälernde Leistung vor, wenn die Bank über keine freien Gesellschaftssicherheiten verfügt (Rn. 931 ff.). Wenn die Masse bei der Zahlung aus dem debitorischen Konto nicht geschmälert wird, wird durch die erfolgreiche Anfechtung einer solchen Zahlung gegenüber dem Gläubiger auch keine, die Haftung des organschaftlichen Vertreters begründende Masseschmälerung rückgängig gemacht. Die erfolgreiche Anfechtung der Zahlungen aus dem debitorischen Konto durch den Insolvenzverwalter hat aus diesem Grund keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den Zahlungen, für die der Vorstand haftet. BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 15, 16 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
Der Insolvenzverwalter erhält damit die masseschmälernde Leistung auch 1004 nicht doppelt, einmal vom organschaftlichen Vertreter und ein zweites Mal vom Gläubiger, dem gegenüber erfolgreich angefochten wurde. Wenn mit der Zahlung auf das debitorische Konto zugleich ermöglicht wird, andere Gläubiger mit den Mitteln dieses debitorischen Kontos zu befriedigen, ändert das nichts daran, dass die auf das debitorische Konto gelangte Zahlung am Ende in der Masse fehlt. Wenn die Befriedigung anderer Gläubiger erfolgreich angefochten wird, wird daher nur der spätere Mittelabfluss an diese Gläubiger zugunsten einer Gleichbehandlung aller Gläubiger wettgemacht, nicht aber die bereits durch die Zahlung auf das debitorische Konto und Verrechnung mit dem Debet erfolgte masseschmälernde Leistung ausgeglichen. BGH, Urt. v. 3.6.2014 – II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 15, 16 (GmbH & Co KG), dazu EWiR 2014, 675 (Wertenbruch).
273
D. Der Vorstand
d) Haftung für Zahlungen an Aktionäre 1005 Die Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsleiters wurde durch das MoMiG in § 92 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG und § 64 Satz 3 GmbHG neu eingeführt und von Anfang an im Schrifttum intensiv diskutiert. Bereits die erste Entscheidung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu § 64 Satz 3 GmbHG hat neben der Klärung von Streitfragen gezeigt, dass für die Norm kein großer Anwendungsbereich bleibt. Nach § 92 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG haftet der Vorstand für Zahlungen an Aktionäre, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten. Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Aktionär nicht i. S. d. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG verlangt die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit und stellt nicht auch auf die Vertiefung einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ab. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 9 ff., dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
1006 Die streitig gewesene Frage, ob bei der Prüfung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit nach § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG im insolvenzrechtlichen Sinn fällige und durchsetzbare Ansprüche des Gesellschafters in die Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Liquiditätslücke (vgl. hierzu oben Rn. 841 ff.) einzustellen sind, hat der Bundesgerichtshof bejaht. Wenn unter Berücksichtigung fälliger, d. h. ernsthaft eingeforderter Gesellschafterforderungen bereits eine Deckungslücke von 10 % oder mehr besteht, ist die Gesellschaft zahlungsunfähig und wird die Zahlungsunfähigkeit durch die Zahlung an den Gesellschafter nicht herbeigeführt. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass in Satz 3 mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit etwas anderes als in Satz 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO gemeint sein sollte und fällige Gesellschafterforderungen herausgerechnet werden sollten. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 9 ff., dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
1007 Führt die Zahlung an den Gesellschafter daher nicht zur Vergrößerung einer Deckungslücke auf 10 % oder mehr steht der Durchsetzung einer fälligen Gesellschafterforderung grundsätzlich nichts entgegen. Dies gilt auch für Gesellschafterdarlehen (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG bzw. § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG). BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 15 f., dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH); vgl. aber BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 7/12, ZIP 2013, 734 Rn. 24 = WM 2013, 708 = GmbHR 2013, 464.
1008 Insoweit besteht auch keine Schutzlücke, die geschlossen werden müsste. Der Geschäftsleiter haftet, wenn die Gesellschaft unter Berücksichtigung der Gesellschafterforderung zahlungsunfähig ist, bereits nach § 64 Satz 1 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG für geleistete Zahlungen. 274
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 12, dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
Eine erweiternde Auslegung des § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 1009 GmbHG ist auch nicht erforderlich, um der Gesellschaft eine Einrede gegen die Gesellschafterforderung zu gewähren. Wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist, hat der Geschäftsleiter den Anspruch des Gesellschafters nicht zu befriedigen, sondern Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 12, dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Anwendungsbereich von 1010 § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG damit klein ist. Der Gesetzgeber ist ausdrücklich von einem eng begrenzten Anwendungsbereich ausgegangen. Er sah in der Vorschrift nur eine Ergänzung der Haftung der Gesellschafter aus Existenzvernichtung. Es besteht auch über den eher theoretischen Fall der Vergrößerung einer Deckungslücke von weniger als 10 % durch die Zahlung hinaus ein Anwendungsbereich gerade im Bereich der unrechtmäßigen Vermögensverschiebung. So kann die Zahlung auf eine nicht im insolvenzrechtlichen Sinn fällige und damit in die Liquiditätsbilanz einzustellende Forderung, etwa eine tatsächlich nicht ernsthaft eingeforderte oder einem Rangrücktritt unterliegende Gesellschafterforderung, die Zahlungsunfähigkeit erst verursachen. Ebenso kann das bei einer Zahlung auf eine Gesellschafterforderung der Fall sein, deren Befriedigung an und für sich nicht zur Zahlungsunfähigkeit führt, von deren Belassen aber Kreditgeber außerhalb des Gesellschafterkreises den Fortbestand, die Verlängerung oder die Gewährung ihrer Kredite abhängig gemacht haben und deren Begleichung sie ihrerseits zum Anlass für eine Kreditrückführung nehmen. Insoweit besteht unter Umständen keine anderweitige Haftung des Geschäftsleiters, weil der Gesellschaft durch die Zahlung kein Vermögensschaden i. S. v. § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG zugefügt wird und die Auszahlung auch nicht gegen § 30 Abs. 1 GmbHG bzw. § 57 Abs. 1 AktG verstößt. Dass damit teilweise die Haftung des Geschäftsleiters wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs (§§ 826, 830 BGB) ausdrücklich eine weitere gesetzliche Regelung findet, war dem Gesetzgeber ebenfalls bewusst. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH); vgl. Altmeppen, ZIP 2013, 801 der § 64 Satz 3 GmbHG als gegenstandslos betrachtet.
Ob darüber hinaus auch andere Leistungen als Geldleistungen als Zahlungen 1011 nach § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG zu verstehen sind, wenn sie durch den Entzug von Vermögenswerten die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen, konnte der II. Zivilsenat offen lassen. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
275
D. Der Vorstand
1012 Der Bundesgerichtshof hat weiter geklärt, dass der Gesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht, wenn die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG vorliegen. Die Haftung des Geschäftsleiters nach § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG bzw. § 64 Satz 3 GmbHG und das damit verbundene „Zahlungsverbot“ sollen der Gefahr vorbeugen, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mittel entnommen werden. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verweigern kann und der Geschäftsleiter nicht den Mittelabfluss unter Inkaufnahme einer eigenen Haftung bewirken muss. BGH, Urt. v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 Rn. 18, dazu EWiR 2013, 75 (Bork) (GmbH).
e) Haftung bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht 1013 Wird die AG zahlungsunfähig oder überschuldet, hat der Vorstand ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag (zwischenzeitlich: Insolvenzantrag) zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, § 92 Abs. 2 AktG a. F.). Die Vorschrift ist Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 102 ff.; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 = NJW 1979, 1823, 1825 f.; BGH, Urt. v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 21 ff. = ZIP 1987, 509, dazu EWiR 1987, 483 (Klaas); BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 360 f. = ZIP 1990, 578, dazu EWiR 1990, 479 (Bergmann); BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = ZIP 1994, 1103, 1107, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 32 – Karstadt; zum Deliktscharakter BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 13 f., dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
aa) Alt- oder Neugläubiger und die Rechtsfolgen (1) Abgrenzung 1014 Altgläubiger sind diejenigen Gläubiger, die ihre Forderung bereits vor dem Zeitpunkt erworben haben, in dem der Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen. Vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13 f., dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
276
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Wenn ein Dauerschuldverhältnis vor Insolvenzreife begründet wurde, ist der 1015 Gläubiger für seine nach Insolvenzreife fällig werdenden, aber ohne Gegenleistung bleibenden Leistungen Alt- und nicht Neugläubiger, weil der Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht nicht ursächlich für den Vertragsabschluss und damit für die Geld- oder Sachleistung nach Insolvenzreife ist, der Gläubiger bei Eintritt der Insolvenzreife vielmehr bereits in vertragliche Beziehungen zur Schuldnerin getreten war. Anders ist dies dann, wenn das Dauerschuldverhältnis mit Insolvenzeröffnung endet oder gekündigt werden kann oder eine Lösung vom Vertrag bei Stellung eines Eröffnungsantrags möglich ist. Dann kann die Fortsetzung des vertraglichen Verhältnisses darauf beruhen, dass der Gläubiger seine Leistung im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft fortsetzt, obwohl er sich bei Kenntnis der Insolvenzreife vom Vertrag gelöst hätte. Vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13 f., dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 9, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
Ein Vermieter, der dem Mieter vor Insolvenzreife Räume überlassen hat, ist 1016 regelmäßig Altgläubiger und erleidet keinen Neugläubigerschaden infolge der Insolvenzverschleppung, weil er sich bei Insolvenzreife nicht von dem Mietvertrag hätte lösen können. BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 8 f., dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
Der Schutzzweck der Vorschrift erfasst nicht nur Alt-, sondern auch Neu- 1017 gläubiger. Verzögern die Organmitglieder die Stellung des Insolvenzantrags, besteht die Antragspflicht fort. Sie besteht auch gegenüber den Gläubigern, die nach Eintritt der Antragspflicht Gläubiger der Gesellschaft geworden sind. BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 104.
Neugläubiger sind also diejenigen Gläubiger, die ihre Forderungen gegen die 1018 Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzantragspflicht des Geschäftsführers erworben haben. Bei der Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern geht es nicht um den persönlichen Schutzbereich des § 15a InsO, sondern um die Art und den Umfang des den Gläubigern durch eine Insolvenzverschleppung entstandenen Schadens. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
Der Eigenschaft als Neugläubiger steht nicht entgegen, dass der Gläubiger 1019 mit der Schuldnerin in andauernder Geschäftsbeziehung stand. Die Abgrenzung, ob ein Forderungsinhaber zur Gruppe der Alt- oder der Neugläubiger gehört, richtet sich nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs, für den Schadensersatz gefordert wird. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 16.
277
D. Der Vorstand
1020 Eine Bank, bei der eine AG einen Kontokorrentkredit unterhält, ist Neugläubigerin, soweit sich das von der AG in Anspruch genommene Kreditvolumen im Stadium der Insolvenzverschleppung erhöht. Für den Differenzschaden haftet der schuldhaft pflichtwidrig handelnde Vorstand bis zur Höhe des negativen Interesses der Bank. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
1021 Dem steht bei einem Dauerschuldverhältnis wie einem Kontokorrentkredit jedenfalls der Abschluss eines Verlängerungs- oder Erweiterungsvertrags im Stadium der Insolvenzverschleppung gleich, darüber hinaus aber auch die Gewährung zusätzlichen Kredits bzw. dessen Inanspruchnahme durch die AG im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung. Für die Neugläubigereigenschaft der Bank kommt es – ebenso wie für ihren durch die Insolvenzverschleppung bedingten Kreditgewährungsschaden – nicht auf etwaige Novationen der Kreditschuld durch zwischenzeitliche Rechnungsabschlüsse entsprechend § 355 HGB an, sondern auf die Differenz zwischen dem bis zur tatsächlichen Stellung des Insolvenzantrags aufgelaufenen und demjenigen Kreditvolumen, das sich bei pflichtgemäßer Stellung des Insolvenzantrags ergeben hätte. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche).
1022 Personen, die erst mit oder nach der Insolvenzeröffnung Gläubiger der Gesellschaft werden, sind nicht geschützt. BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 361 = ZIP 1990, 578, dazu EWiR 1990, 479 (Bergmann); BGH, Urt. v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 137, dazu EWiR 1989, 1105 (v. Gerkan).
(2) Altgläubigerschaden 1023 Die Altgläubiger sind auf Ersatz des „Quotenschadens“ beschränkt. Hierunter versteht man den auf die Verminderung des Gesellschaftsvermögens in der Zeit zwischen Begründung ihrer Forderung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzuführenden Ausfallschaden. Altgläubiger werden also bis zur Höhe der Insolvenzquote entschädigt, die bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags erzielt worden wäre. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 = ZIP 1994, 1103, 1106 f., dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 214 ff. = ZIP 1998, 776, 777 f.; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 12, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Beschl. v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 Rn. 6, dazu EWiR 2009, 237 (Kleinschmidt/Lau).
278
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
Eine höhere Schadensersatzleistung kommt deswegen nicht in Betracht, weil 1024 bis zu dem für die Antragstellung maßgebenden Zeitpunkt i. S. d. § 64 Abs. 1 GmbHG (a. F.) bzw. § 92 Abs. 2 AktG (a. F.) kein Konkursdelikt begangen worden ist und eine vorher eingetretene Entwertung der zu diesem Zeitpunkt begründeten Forderungen in den Risikobereich der betroffenen Gläubiger fällt. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 191 ff. = ZIP 1994, 1103, 1107 f., dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm).
Im Rahmen der Berechnung des Quotenschadens der Altgläubiger waren unter 1025 einfachem Eigentumsvorbehalt des Lieferanten stehende und damit dessen Aussonderungsrecht gem. § 43 KO unterliegende Warenbestände des Gemeinschuldners nicht der hypothetisch im Zeitpunkt rechtzeitiger Konkursanmeldung für die Verteilung verfügbaren Masse zuzurechnen. BGH, Urt. v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, ZIP 1997, 1542, dazu EWiR 1997, 993 (Paulus).
Entsprechendes gilt auch für vom Gemeinschuldner sicherungszedierte For- 1026 derungen, wenn der Zessionar ihren Wert aufgrund seines Absonderungsrechts (§ 4 Abs. 2, § 48 KO) der Aktivmasse entzieht, wovon im Regelfall auszugehen sein wird. BGH, Urt. v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, ZIP 1997, 1542, dazu EWiR 1997, 993 (Paulus).
Der Quotenschaden der Altgläubiger ist wie folgt zu berechnen: x
1027
Es ist die fiktive Quote aus dem Verhältnis der bei Insolvenzreife vorhandenen Masse zu den damals vorhandenen Forderungen zu ermitteln. Sie ist mit den tatsächlich noch vorhandenen Forderungen der Altgläubiger zu multiplizieren. M 1 : F x Fa.
x
Sodann ist die Ist-Quote aus dem Verhältnis der vorhandenen Masse zu den gesamten Forderungen zu ermitteln und mit den Forderungen der Altgläubiger zu multiplizieren. M 2 : F x Fa.
Der Quotenschaden errechnet sich aus der Differenz beider Beträge.
1028
BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 221 = ZIP 1998, 776.
Der Quotenschaden ist in einem eröffneten Insolvenzverfahren als einheit- 1029 licher Gesamtgläubigerschaden gem. § 92 InsO allein von dem Insolvenzverwalter gegenüber dem Geschäftsführer geltend zu machen. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm);
279
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 214, 217 = ZIP 1998, 776, 777 f.; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 12, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rz 15, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
(3) Neugläubigerschaden – Schutzzweck der Norm und Vertrauensschaden 1030 Aus dem Schutzzweck der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht wird abgeleitet, dass dem Neugläubiger nicht nur ein Anspruch auf Ersatz seines Quotenschadens, sondern ein Anspruch auf Ersatz seines Vertrauensschadens zusteht. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm ist aber auch zu prüfen, ob es sich bei dem geltend gemachte Vertrauensschaden des Neugläubigers um einen Nachteil handelt, der aus dem Bereich der Gefahren stammt, zu deren Abwendung die verletzte Insolvenzantragspflicht erlassen worden ist. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 11 f., dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
(a) Vertrauensschaden – Negatives Interesse 1031 Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wurden nicht nur die Ansprüche der Altgläubiger, sondern auch Ansprüche von Neugläubigern auf den Quotenschaden beschränkt. BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 105 f.; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106; BGH, Urt. v. 17.12.1984 – II ZR 314/83, WM 1985, 384, 385, dazu EWiR 1985, 131 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, BGHZ 100, 19, 23 f. = ZIP 1987, 509, dazu EWiR 1987, 483 (Chr. Klaas).
1032 Diese Rechtsprechung zum Quotenschaden der Neugläubiger hat der Bundesgerichtshof aufgegeben. Der Schutzzweck der gesetzlichen Insolvenzantragspflicht besteht anders als bei § 64 GmbHG (§ 64 Abs. 2 GmbHG a. F.) bzw. 92 Abs. 2 AktG nicht nur in der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens. Das Verbot der Insolvenzverschleppung hat auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds aus dem Geschäftsverkehr zu entfernen, bevor sie durch den Abschluss weiterer Rechtsgeschäfte, die sie nicht erfüllen können, neu hinzutretende Gläubiger schädigen. Gerade dieser von der Zielrichtung des § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 AktG zu unterscheidende Schutzzweck rechtfertigt es den Neugläubigern einen Anspruch auf den Ersatz ihres Vertrauensschadens zuzubilligen. BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1737, dazu Diekmann, NZG 2006, 255;
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 12 f., dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
Den Neugläubigern ist bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht gegen 1033 die Geschäftsführer ein Anspruch auf Ausgleich des Schadens zuzubilligen, der ihnen dadurch entsteht, dass sie in Rechtsbeziehungen zu einer überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaft treten; BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 194 ff. = ZIP 1994, 1103, 1109 ff., dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); in diesem Sinne auch: Österreichischer OGH, Beschl. v. 10.12.1992 – 6 Ob 656/90, ZIP 1993, 1871, 1874, dazu EWiR 1993, 1221 (Karollus); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann).
konkret, dass sie der Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geldoder Sachmittel zur Verfügung gestellt und dadurch Kredit gewährt haben, ohne einen entsprechend werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen, Vgl. BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1737; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 40, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann),
oder dass sie infolge des Vertragsschlusses Aufwendungen erbracht haben. Solche Aufwendungen, die der vertragliche Neugläubiger infolge des Vertragsschlusses mit der insolvenzreifen Gesellschaft erbracht hat, setzen kein Handeln des Gläubigers voraus. Sie können auch dadurch entstehen, dass die insolvenzreife Gesellschaft zum Zwecke der Vertragserfüllung durch absprachegemäßen Gebrauch oder Verbrauch oder durch einen vertragswidrigen Eingriff in das Vermögen des Neugläubigers, mit dem sie im Rahmen der Durchführung des Vertrags in Berührung kommt, Aufwand zu Lasten des Neugläubigers verursacht.
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 14, 19, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1034 Es handelt sich um den Ersatz eines Vertrauensschadens, der grundsätzlich dadurch entsteht, dass der Gläubiger mit dem Schuldner einen Vertrag schließt und eine Vorleistung erbringt. BGH, Urt. v. 22.10.2013 – II ZR 394/12, ZIP 2014, 23 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 277 (Wahl/Mann); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 13, 14, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1035 Der Neugläubiger ist vom Geschäftsführer so zu stellen, wie wenn er mit der insolvenzreifen Gesellschaft keinen Vertrag geschlossen hätte. Der danach zu ersetzende Schaden besteht nicht in dem wegen Insolvenz der Schuldnerin „entwerteten“ Erfüllungsanspruch und umfasst deshalb den in dem Kaufpreis der gelieferten Waren enthaltenen Gewinnanteil grundsätzlich nicht. Auszugleichen ist vielmehr in der Regel lediglich das negative Interesse, z. B. in Form von Aufwendungen für Waren- und Lohnkosten, die der Neugläubiger wegen des Vertragsschlusses mit der Schuldnerin erbracht hat. BGH, Urt. v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967, dazu EWiR 1999, 651 (Peters-Lange); BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 23; BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 15, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 40, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 15, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 13, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1036 Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) kann einem Neugläubiger allerdings dann zustehen, wenn ihm wegen des Vertragsschlusses mit der insolventen Gesellschaft ein Gewinn entgangen ist, den er ohne diesen anderweitig hätte erzielen können. BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 21, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 16, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 40, dazu EWiR 2011, 523 (Kort); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 27.
1037 Die Sozialversicherungsträger, die Ansprüche auf Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen gegen eine insolvente GmbH nach dem Zeitpunkt erworben haben, in dem ihr Geschäftsführer hätte Insolvenzantrag stellen müssen, können von diesem aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO nicht
282
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
im Wege des Schadensersatzes Erfüllung der Beitragsschuld verlangen. Sie sind auch vertraglichen Neugläubigern nicht gleichzustellen. BGH, Urt. v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967, dazu EWiR 1999, 651 (Peters-Lange).
Ein solcher Anspruch liefe im Ergebnis darauf hinaus, so gestellt zu werden, 1038 als wäre die GmbH im maßgeblichen Zeitraum noch solvent gewesen. Ein solches (positives) Interesse der Sozialversicherungsträger wird im Rahmen der § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO ebenso wenig geschützt wie bei vertraglichen Neugläubigern. BGH, Urt. v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967, dazu EWiR 1999, 651 (Peters-Lange).
(b) Schutzzweck der Norm Unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der Norm ist zu beachten, dass 1039 eine einmal gegebene, inzwischen aber durch Erholung der Gesellschaft beendete Insolvenzverschleppung den Täter oder Teilnehmer nicht deshalb für alle späteren durch die Gesellschaft verursachten Schäden haftbar macht, weil diese bei Erfüllung der damaligen Insolvenzantragspflicht nicht eingetreten wären. Der objektive und subjektive Tatbestand einer Insolvenzverschleppung als Dauerdelikt muss im Zeitraum des zum Schaden des „Neugläubigers“ führenden Geschäftsabschlusses zwischen ihm und der Gesellschaft bzw. in der zum Schaden des Vertragspartners der Gesellschaft führenden Geschäftssituation noch vorliegen. BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1736, dazu Diekmann, NZG 2006, 255; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 10, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Der Schutzzweck der Norm des § 15a Abs. 1 InsO umfasst auch den Ersatz 1040 solcher (Rechtsverfolgungs-)Kosten, die dem Neugläubiger wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die insolvenzreife Gesellschaft entstanden sind. Die Insolvenzantragspflicht soll den Vertragspartner auch davor schützen, dass er sich durch die Prozessführung mit der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft mit Kosten belastet, die er bei der Gesellschaft als Kostenschuldnerin nicht mehr realisieren kann. BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 19, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 26, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 24, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
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D. Der Vorstand
1041 Die mangelhafte Herstellung eines Werks ist ein Unterfall der Nichterfüllung. Ist die bei Vertragsschluss bereits insolvenzreife Gesellschaft infolge ihrer Insolvenz zur Erfüllung beziehungsweise zu einer diese substituierenden Schadensersatzleistung nicht in der Lage, hat der Neugläubiger einen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Werklohns, für den er keine Gegenleistung erhalten hat. Ausführlich mit Einzelheiten zur Schadensberechnung BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 18, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1042 Verursacht diese Gesellschaft durch eine fehlerhafte Bauleistung Schäden am Gebäude des Bestellers oder an von diesem zur Verfügung gestellten Baumaterialien, verursacht er zu dessen Lasten Aufwendungen (vgl. Rn. 1033), für die der Geschäftsleiter dem Neugläubiger haftet, wenn die Schäden wegen fehlender Mittel nicht mehr beseitigt werden können. BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 22, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1043 Wird der Diebstahl von Schmuckgegenständen dadurch begünstigt, dass die bei Vertragsschluss insolvenzreife Gesellschaft für den Einbau einer Tür mit einer gegenüber der Vereinbarung geringeren Sicherheitsstufe verantwortlich ist, stellt der durch den Diebstahl des Schmucks eingetretene Vermögensnachteil des Neugläubigers nach dem Zweck des Verbots der Insolvenzverschleppung schon keinen ersatzfähigen Vertrauensschaden dar. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, könnte ein Schadensersatzanspruch jedenfalls unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Insolvenzantragspflicht nicht zuerkannt werden. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1044 Ob der Anspruch auch auf gesetzliche Schuldverhältnisse zu erstrecken ist, hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung ausdrücklich offengelassen. BGH, Urt. v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713, 1714 m. Anm. K. Schmidt, ZIP 2003, 1715.
1045 In einer späteren Entscheidung hat der II. Zivilsenat dies jedenfalls für deliktische Ansprüche verneint. Schäden aus unerlaubter Handlung liegen nicht innerhalb des Schutzbereichs der Insolvenzantragspflicht. Denn solche Schäden wären regelmäßig auch dann entstanden, wenn die insolvenzreife Gesellschaft noch über Vermögen verfügt hätte. Die Insolvenzantragspflicht soll keinen Gläubiger vor dem Schaden bewahren, nach Insolvenzreife noch Opfer eines Delikts zu werden. Auch der Umstand, dass dem Geschädigten aufgrund der Insolvenzreife der Gesellschaft kein solventer Schuldner für seinen Schadens284
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
ersatzanspruch zur Verfügung steht führt zu keiner anderen Betrachtung. Wenn schon die Schädigung selbst vom Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht nicht umfasst ist, kann für den aus der Schädigung resultierenden Anspruch nichts anderes gelten. BGH, Urt. v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 = ZIP 2005, 1734, 1737, dazu Diekmann, NZG 2006, 255; BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 22, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
Der Schutzzweck der Insolvenzverschleppungshaftung erstreckt sich auch 1046 nicht auf den Schaden, der einem Arbeitnehmer in Gestalt der Uneinbringlichkeit eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für die Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (§ 3 EFZG) entsteht. BGH, Beschl. v. 20.10.2008 – II ZR 211/07, ZIP 2009, 366.
Der Schutzbereich der Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht erstreckt 1047 sich außer auf die Gesellschaft und ihre Gläubiger nicht auf Dritte, die während der Verzögerung des Insolvenzverfahrens des Unternehmens Beteiligungen an dem Unternehmen erwerben. Deren Schädigung ist nicht die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung, da es vom Zufall abhängt und für die Ziele des Vorstands ohne Bedeutung ist, ob es während der Insolvenzverschleppung zu solchen Erwerbsvorgängen kommt. BGH, Urt. v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100, 103; (GmbH); BGH, Urt. v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 237 = ZIP 1986, 14, dazu EWiR 1986, 59 (Köndgen); BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1477, dazu EWiR 1992, 1153 (H. Wiedemann).
Das ist aber dann anders, wenn in diesem Stadium eine Kapitalerhöhung 1048 durchgeführt wird und Dritte junge Aktien erwerben. Dieser Erwerb ist gerade die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung und dient den von dem Vorstand verfolgten Zielen. BGH, Urt. v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 238 = ZIP 1986, 14, dazu EWiR 1986, 59 (Köndgen).
(c) Keine Anspruchskürzung Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anspruch des Neu- 1049 gläubigers nicht um die – erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens feststehende – Insolvenzquote zu kürzen. Das gegen die Insolvenzantragspflicht verstoßende Vertretungsorgan ist verantwortlich dafür, dass es zu der Kreditgewährung des Neugläubigers an die insolvenzreife Gesellschaft überhaupt gekommen ist. Es wäre deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, den Neugläubiger darauf zu verweisen, dass er mit der Geltendmachung seines Schadensersatzanspruchs gegen den Geschäftsleiter bis zum Abschluss des Insol-
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D. Der Vorstand
venzverfahrens zuwarten müsse. Vielmehr ist dem in voller Höhe ersatzpflichtigen Vertretungsorgan entsprechend § 255 BGB – Zug um Zug gegen Zahlung seiner Ersatzleistung – ein Anspruch auf Abtretung der Insolvenzforderung des Neugläubigers gegen die Gesellschaft zuzubilligen, um dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot Rechnung zu tragen. Die Abtretung der dem Erfüllungsinteresse entsprechenden Insolvenzforderung des Neugläubigers rechtfertigt sich daraus, dass diese bei pflichtgemäßem Verhalten des Vertretungsorgans nicht entstanden wäre und dieses dem Neugläubiger nur Ersatz seines negativen Interesses schuldet. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 201 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 20, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 21, dazu EWiR 2009, 575 (Podewils); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 113/13, ZIP 2015, 267 Rn. 28, dazu EWiR 2015, 209 (Seidel).
1050 Der Schadensersatzanspruch eines Neugläubigers wegen Insolvenzverschleppung ist auch nicht um die Beträge zu kürzen, die der Gläubiger zur Begleichung seiner Altforderungen im Zeitraum der Insolvenzverschleppung von der Schuldnerin erhalten hat, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet worden ist. Eine solche Vorteilsausgleichung würde zu einer unbilligen, dem Zweck der Ersatzpflicht widersprechenden Entlastung des Schädigers führen. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060.
(4) Geltendmachung des Schadens 1051 Bei dem Schadensersatzanspruch der Neugläubiger handelt es sich nicht um einen Gesamtgläubigerschaden nach § 92 InsO, den der Geschädigte nicht selbst geltend machen kann. Die Neugläubiger, deren Forderungen erst nach dem Zeitpunkt der unterlassenen Antragstellung entstehen, erleiden einen Individualschaden in Höhe ihres Vertrauensschadens. Die Höhe des negativen Interesses des einzelnen Neugläubigers hängt von individuellen, für den Insolvenzverwalter nicht durchschaubaren Gegebenheiten ab und ist ein Individualschaden, der mit einer Verkürzung der Haftungsmasse nichts zu tun hat. Diesen Individualschaden darf der Insolvenzverwalter nicht geltend machen. BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211, 216 = ZIP 1998, 776, 778; BGH, Urt. v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 = ZIP 2007, 676 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 305 (Haas/Reiche); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361, dazu EWiR 2008, 527 (Blank).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
bb) Gesellschaft als Geschädigte Eine Ersatzpflicht der Organe gegenüber der Gesellschaft ist gegeben, wenn 1052 sich die Verbindlichkeiten eines insolvenzreifen Unternehmens wegen verspäteter Insolvenzantragstellung vermehren. Da auch eine überschuldete Gesellschaft verpflichtet bleibt, ihre Gläubiger nach Möglichkeit zu befriedigen, hat sie von allen ihr zustehenden Rechten Gebrauch zu machen, um dieser Pflicht zu genügen. Wird ein überschuldetes Unternehmen pflichtwidrig fortgeführt, kann es von dem verantwortlichen Organ Schadensersatz in Höhe der Steigerung seiner Überschuldung beanspruchen. Dieser Schaden wird vom Schutzzweck der Insolvenzverschleppungshaftung umfasst. Folglich bemisst sich der Schaden der Gesellschaft nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags. Nachteile, die durch die gebotene Liquidation ohnedies eintreten würden, braucht der Schädiger hingegen nicht zu ersetzen. Gleiches gilt, wenn einige oder sämtliche geltend gemachten Schäden in Gestalt der behaupteten Erhöhung der unterstellten Überschuldung auch dann eingetreten wären, wenn das Insolvenzverfahren auf einen rechtzeitigen Antrag eröffnet worden wäre. BGH, Urt. v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 Rn. 27 f., dazu EWiR 2013, 573 (Gräfe).
cc) Verletzung der Insolvenzantragspflicht Die Insolvenzantragspflicht der Gesellschaftsorgane in § 15a InsO zielt auf 1053 eine frühzeitige, an die Verwirklichung der einzelnen Insolvenzgründe anknüpfende Antragstellung, um einer Teilnahme insolvenzreifer haftungsbeschränkter Gesellschaften am Rechts- und Geschäftsverkehr vorzubeugen. BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 723 (Voß).
Die Insolvenzantragspflicht entfällt im Hinblick auf die Möglichkeit der An- 1054 tragsrücknahme nach § 13 Abs. 2 InsO nicht schon dann, wenn ein Gläubiger Insolvenzantrag gestellt hat, sondern erst mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. BGH, Beschl. v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308, dazu EWiR 2009, 235 (Schork/Ganninger).
Seiner Pflicht muss der Geschäftsleiter nicht erst bei positiver Kenntnis, son- 1055 dern bereits dann unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“) genügen, wenn der Insolvenzgrund bei pflichtgemäßer Prüfung objektiv erkennbar war. BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185 = ZIP 2000, 184, 185, dazu EWiR 2000, 295 (Noack); BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 723 (Voß).
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D. Der Vorstand
1056 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist bei Eintritt der Insolvenzreife grundsätzlich sofort zu stellen. Die höchstens dreiwöchige Frist des 15a Abs. 1 Satz 1 InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a. F.; entsprechend § 92 Abs. 2 AktG a. F.) ist nur dann eröffnet, wenn eine rechtzeitige Sanierung „ernstlich zu erwarten ist“. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107 f. = NJW 1979, 1823, 1826; BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 723 (Voß); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 11; Strohn, NZG 2011, 1161, 1162.
1057 Die Voraussetzung dieser Ausnahme hat nach allgemeinen Grundsätzen derjenige darzulegen, der sich darauf beruft, in der Regel der in Anspruch genommene Geschäftsleiter. BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 11.
1058 Das Gesetz schreibt nicht vor, dass der Insolvenzantrag sofort gestellt wird. Die Verpflichtung, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens drei Wochen nach Kenntniserlangung zu handeln, schließt die Befugnis und die Pflicht ein, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu prüfen, ob nicht andere, weniger einschneidende Maßnahmen als das Insolvenzverfahren ergriffen werden können, um den Schaden zu begrenzen. Das kann durch den Versuch der Sanierung geschehen, mit der nicht nur den Interessen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder, sondern auch der Gläubiger, der Erhaltung von Arbeitsplätzen und allgemeinwirtschaftlichen Belangen gedient werden kann. Der Aufschub von Insolvenzmaßnahmen zugunsten eines Sanierungsversuchs wird in der Regel bewirken, dass Gläubiger, die sich durch die vorläufige Aufrechterhaltung des Betriebs in ihren geschäftlichen Dispositionen beeinflussen lassen, bei einem Scheitern der Sanierung Schaden erleiden. Diesem Umstand muss das Geschäftsführungsorgan Rechnung tragen: Je größer das Risiko einer Schädigung gutgläubiger Geschäftspartner ist, umso sorgfältiger muss der Vorstand abwägen, ob dieses Risiko mit Rücksicht auf die Erfolgsaussichten einer Sanierung in Kauf genommen werden kann. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 110 ff. (KGaA); BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 855 f. (KGaA).
1059 Das Bemühen um eine Sanierung einer AG verstößt nicht schon deshalb gegen die guten Sitten, weil die Möglichkeit besteht, dass der Sanierungsversuch misslingt und Dritte dadurch Schäden erleiden. Erst wenn ernste Zweifel an dem Gelingen des Sanierungsversuchs bestehen und daher damit zu rechnen ist, dass er den Zusammenbruch des Unternehmens allenfalls verzögern, nicht aber auf Dauer verhindern wird, kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns
288
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
insbesondere dann erhoben werden, wenn die Schädigung Dritter aus eigensüchtigen Beweggründen in Kauf genommen worden ist. BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 110 ff.; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 857 (KGaA); BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 399 = ZIP 1984, 572; BGH, Urt. v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 235 f. = ZIP 1986, 14, dazu EWiR 1986, 59 (Köndgen).
Der Vorstand darf die Frist nach pflichtgemäßem Ermessen auch dann für 1060 Sanierungsbemühungen in Anspruch nehmen, wenn er die Insolvenzlage zu spät entdeckt hat. Vgl. für den Fall der Überschuldung BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 110 f. (KGaA); BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 856 (KGaA).
dd) Normadressat Die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrags und die Verantwortung 1061 für die Verletzung dieser Pflicht trifft auch den faktischen Geschäftsleiter, der, ohne zum Geschäftsführer berufen zu sein, die Geschäfte der Gesellschaft tatsächlich wie ein Geschäftsführer oder Mitgeschäftsführer führt. Dieser für die GmbH entwickelte Grundsatz, BGH, Urt. v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354, 1355; BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 106; BGH, Urt. v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550, dazu EWiR 2005, 731 (Bork). Vgl. auch BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 46 = ZIP 1988, 771 (GmbH & Co. KG), dazu EWiR 1988, 905 (Karsten Schmidt),
gilt auch für die KGaA und damit die AG. Davon geht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, BGH, Urt. v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 107,
ohne weiteres aus. Sie wirft nur die Frage auf, ob das Verhalten der Betroffenen diesen Anforderungen entspricht, lässt diese Frage jedoch offen, weil es auf ihre Entscheidung nicht ankam. Eine völlige Verdrängung der gesetzlichen Geschäftsführer ist nicht erforder- 1062 lich. Entscheidend ist allein, ob der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft nicht nur durch interne Einwirkungen auf die Geschäftsleiter, sondern auch durch eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln in einer Weise in die Hand genommen hat, dass ihm auch die Verantwortung für die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags zufällt. Ob diese Verpflichtung auch den trifft, der auf289
D. Der Vorstand
grund einer beherrschenden Stellung in der Gesellschaft Einfluss auf die Entscheidungen der zur Geschäftsführung berufenen Organe nimmt, ist offengeblieben. Stellt man auf das Hervortreten der faktischen Stellung nach außen ab, erscheint es zweifelhaft, ob die interne Einflussnahme aufgrund einer beherrschenden Stellung ausreicht. 1063 Eine interne Geschäftsaufteilung entbindet den Geschäftsleiter nicht von seiner eigenen Verantwortung für die Erfüllung der Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags. BGH, Urt. v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, ZIP 1994, 891, 892 f. (GmbH), dazu EWiR 1994, 789 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1336 (GmbH), dazu EWiR 1995, 1099 (Miller).
ee) Verschulden 1064 Zu den subjektiven Voraussetzungen kann grundsätzlich auf die Ausführungen zur Haftung bei Zahlungen nach Insolvenzreife verwiesen werden (vgl. Rn. 943 ff.). 1065 Das für die Ersatzpflicht aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschulden des Geschäftsleiters wird vermutet. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 200 = ZIP 1994, 1103, 1110, dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 25; BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, ZIP 2014, 1976 Rn. 28 – Karstadt.
1066 Für den subjektiven Tatbestand der Insolvenzverschleppung genügt die Erkennbarkeit der Insolvenzreife für den Geschäftsleiter, wobei die Erkennbarkeit vermutet wird. Vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11, 15, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 38, dazu EWiR 2011, 523 (Kort) und Haas, NZG 2011, 691 beide m. w. N.; BGH, Urt. v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rn. 11, dazu EWiR 2012, 525 (Schodder).
ff) Verjährung 1067 Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO auf Ersatz des Neugläubigerschadens verjährt nach den für deliktische Ansprüche allgemein geltenden Vorschriften in drei Jahren ab Kenntnis oder grobfahrlässiger Unkenntnis (§§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Er verjährt nicht nach § 64 Abs. 2 Satz 3 a. F. (jetzt § 64 Satz 4), § 43 Abs. 4 GmbHG bzw. § 93 Abs. 6 AktG unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten in fünf Jahren bzw.
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
bei börsennotierten Gesellschaften in zehn Jahren ab der Entstehung des Anspruchs. Grundsätzlich fanden und finden Sonderverjährungsvorschriften des GmbHG bzw. des AktG auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung keine Anwendung. BGH, Urt. v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = ZIP 2009, 802 Rn. 33 – Sanitary; BGH, Urt. v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 13 f., dazu EWiR 2011, 523 (Kort).
Ob dies bei einem Anspruch auf Ersatz des Altgläubigerschadens anders zu 1068 sehen ist, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden. Zum Meinungsstand Arnold, in: Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rn. 85.
f) Haftung aus unerlaubter Handlung aa) Haftung aus sittenwidriger Schädigung Trifft den Geschäftsleiter als Organ der Gesellschaft gegenüber dem Ver- 1069 handlungspartner eine Offenbarungspflicht und erfüllt er diese nicht, kann eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung in Betracht kommen. BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1145 m. w. N. (GmbH), dazu EWiR 1992, 161 (Medicus).
Eine Verpflichtung zur Offenbarung der Vermögenslage der Gesellschaft 1070 ist angenommen worden, wenn dem Vertragspartner unbekannte Umstände vorliegen, die ihm nach Treu und Glauben bekannt sein müssen, weil die von ihm im Rahmen der Verhandlungen zu treffenden Entscheidungen davon wesentlich beeinflusst werden, BGH, Urt. v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, ZIP 1984, 439, 442 (GmbH & Co. KG),
wenn der Vertragspartner vorleistet und der Geschäftsleiter weiß oder wissen muss, dass die Gesellschaft zur Erfüllung der begründeten Verbindlichkeiten nicht in der Lage ist. BGH, Urt. v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27, 34 = ZIP 1983, 428 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, ZIP 1984 439, 442 (GmbH).
Bei einer GmbH oder AG als Vertragspartner wird diese Voraussetzung nicht 1071 erst bei Zahlungsunfähigkeit, sondern bereits dann bejaht, wenn die Durchführbarkeit des Vertrags bei Vorleistungspflicht des Vertragspartners durch Überschuldung der Gesellschaft von vornherein schwerwiegend gefährdet ist. BGH, Urt. v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 370 f. = ZIP 1994, 867 (GmbH), dazu EWiR 1994, 681 (v. Gerkan);
291
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 2.3.1988 – VIII ZR 380/86, ZIP 1988, 505, 507 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.1.1984 – VIII ZR 227/82, ZIP 1984, 439, 442 (GmbH); BGH, Urt. v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1982, 1435, 1436 (GmbH).
1072 Der Geschäftsleiter, der durch eine Insolvenzverschleppung einen nicht vom Schutzbereich des § 15a Abs. 1 InsO abgedeckten Vermögensschaden verursacht, kann grundsätzlich aus § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein. BGH, Urt. v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 141 ff. = ZIP 1989, 1341, dazu EWiR 1989, 1105 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1144 f., dazu EWiR 1992, 161 (Medicus); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rn. 14, dazu EWiR 2008, 527 (Blank); BGH, Urt. v. 13.10.2009 – VI ZR 288/08, ZIP 2009, 2439, dazu EWiR 2010, 389 (Barnert).
1073 Dies gilt etwa für Schäden der Bundesagentur für Arbeit, die ihr entstehen, weil sie Insolvenzgeld bezahlen muss. BGH, Urt. v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 141 ff. = ZIP 1989, 1341, dazu EWiR 1989, 1105 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rn. 14, dazu EWiR 2008, 527 (Blank); BGH, Urt. v. 13.10.2009 – VI ZR 288/08, ZIP 2009, 2439, dazu EWiR 2010, 389 (Barnert).
1074 Die vorsätzliche Insolvenzverschleppung in der Absicht, den als unabwendbar erkannten „Todeskampf“ eines Unternehmens so lange wie möglich hinauszuzögern, kann den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung i. S. d. § 826 BGB erfüllen, wenn dabei die Schädigung der Unternehmensgläubiger billigend in Kauf genommen wird. BGH, Urt. v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 142 = ZIP 1989, 1341, 1344, dazu EWiR 1989, 1105 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rn. 15, dazu EWiR 2008, 527 (Blank).
1075 Dieser Vorsatz, wie ihn § 826 BGB voraussetzt, braucht sich nicht auf den genauen Kausalverlauf und den Umfang des Schadens zu erstrecken, muss jedoch die gesamten Schadensfolgen umfassen sowie die Richtung und die Art des Schadens. BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rn. 16 m. w. N., dazu EWiR 2008, 527 (Blank).
1076 Die subjektive Seite des § 826 BGB kann wegen des Vertrauens auf Sanierungsbemühungen entfallen. Ein Verstoß gegen die guten Sitten scheidet aus, wenn der für die Stellung des Insolvenzantrags Verantwortliche den An-
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
trag unterlassen hat, weil er die Krise den Umständen nach als überwindbar und darum Bemühungen um ihre Behebung durch einen Sanierungsversuch als lohnend und berechtigt ansehen durfte. Hierfür ist der Geschäftsleiter beweisbelastet. BGH, Urt. v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 144 = ZIP 1989, 1341, 1344, dazu EWiR 1989, 1105 (v. Gerkan); BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 180/90, ZIP 1991, 1140, 1145, dazu EWiR 1992, 161 (Medicus); BGH, Urt. v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rn. 17 m. w. N., dazu EWiR 2008, 527 (Blank).
Zur Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 399 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AktG vgl. BGH, Urt. v. 26.9.2005 – II ZR 380/03, ZIP 2005, 2012.
bb) Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung Die zuständige Einzugsstelle hat nicht nur einen Anspruch auf Zahlung der 1077 jeweils fällig werdenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, sondern ihr steht im Fall des pflichtwidrigen Vorenthaltens solcher Beiträge auch ein Schadensersatzanspruch zu. § 266a StGB ist Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift i. V. m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist der Vorstand einer AG als Beitragsschuldnerin strafrechtlich und über § 823 Abs. 2 BGB auch haftungsrechtlich für eine „Vorenthaltung“ von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verantwortlich. BGH, Urt. v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7 = ZIP 1991, 1597 f., dazu EWiR 1992, 33 (Schiemann); BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1027, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn); BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, ZIP 2008, 2075 Rn. 6, dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn); BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519 Rn. 13 f.
Dass sich die Eigenschaft des Organs oder des Beauftragten bei der Tat des 1078 § 266a StGB auf eine ausländische Gesellschaft bezieht, steht einer Einordnung als Täter nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 StGB nicht entgegen. BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519.
Die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen besteht auch 1079 bei Schwarzarbeit. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge richtet sich in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV. BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 = ZIP 2009, 473 Rn. 9 f.; dazu EWiR 2009, 219 (Florth).
293
D. Der Vorstand
(1) Keine Pflichtenkollision bei Insolvenzreife 1080 Das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung im Stadium der Insolvenzreife einer GmbH oder AG führt zu einem Schadensersatzanspruch der Einzugsstelle aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB, wenn der Geschäftsleiter an andere Gesellschaftsgläubiger trotz der Insolvenzreife Zahlungen geleistet hat, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren. In einem solchen Fall konnte sich der Geschäftsleiter schon nach der früheren Rechtsprechung nicht auf eine Pflichtenkollision berufen. BGH, Urt. v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235, dazu EWiR 2001, 329 (Priester) aufgegeben durch BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock).
Nach der neueren Rechtsprechung des II. Zivilsenats gilt nichts anderes. Vgl. BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 6 f., dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann) und EWiR 2009, 201 (Wilkens); vgl. BGH, Beschl. v. 18.1.2010 – II ZA 4/09, ZIP 2010, 368, dazu EWiR 2010, 223 (Klöhn).
1081 Nach der neuen, mit der Entscheidung vom 14.5.2007 eingeleiteten Rechtsprechung des II. Zivilsenats, mit der er sich der Ansicht des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs BGH, Beschl. v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, BGHSt 48, 307 = ZIP 2003, 2213, dazu EWiR 2004, 453 (Berger/Herbst); BGH, Beschl. v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678
angeschlossen hat, macht sich ein Geschäftsleiter nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig, wenn er nach Ablauf der längstens dreiwöchigen Frist zur Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO seine Pflicht zur Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nicht erfüllt, und er handelt umgekehrt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters und ist daher nicht gem. § 64 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 i. V. m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG ersatzpflichtig, wenn er seiner Abführungspflicht nachkommt. BGH, Urt. v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, dazu EWiR 2007, 495 (Henkel/Mock); BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 6, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10, dazu EWiR 2009, 201 (Wilkens) und EWiR 2009, 675 (Vortmann).
1082 Der während der Insolvenzantragsfrist nach der strafrechtlichen Judikatur gegebene Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der Geschäftsleiter die Frist verstreichen lässt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. Dann 294
IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
ist er verpflichtet, die rückständigen Arbeitnehmeranteile bzw. Steuern nachzuzahlen und die künftigen Anteile bzw. Steuern zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen abzuführen. BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10, dazu EWiR 2009, 201 (Wilkens) und EWiR 2009, 675 (Vortmann); BGH, Urt. v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 Rn. 29.
(2) Anfang und Ende der Verantwortlichkeit Der Geschäftsleiter einer GmbH oder AG wird erst mit seiner Bestellung 1083 für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verantwortlich. Das pflichtwidrige Verhalten früherer Geschäftsleiter kann ihm grundsätzlich nicht zugerechnet werden. BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, dazu EWiR 2002, 263 (Plagemann).
Neben anderen Gründen, die der Bundesgerichtshof bereits im Urteil vom 1084 15.10.1996 hierfür aufgestellt hat, BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2019,
würde die Zurechnung eines Verhaltens der Vorgänger und die hieraus resultierende Vorverlegung der Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters auf die Zeit vor seiner Bestellung die Strafbarkeit in einer Weise ausdehnen, die mit dem Wortlaut des § 266a StGB nicht in Einklang zu bringen ist. BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, 262, dazu EWiR 2002, 263 (Plagemann) m. w. N.
Die Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters für die Abführung von Sozial- 1085 versicherungsbeiträgen erlischt mit der Amtsbeendigung. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2019, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider).
Auch der faktische Vorstand haftet.
1086
Vgl. BGH, Urt. v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519 Rn. 23 m. w. N. zur Rechtsprechung der Strafsenate.
(3) Pflichtenkreis und Verantwortlichkeit Zu den Pflichten des Geschäftsleiters gehört es, sich in der finanziellen Krise 1087 des Unternehmens über die Einhaltung von erteilten Anweisungen zur pünktlichen Zahlung fälliger Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern. Die deliktische Verantwortlichkeit des Geschäftsleiters beschränkt sich zunächst auf eine Überwachungspflicht. Kraft seiner Amtsstellung ist der Geschäftsleiter grundsätzlich für alle Angelegenheiten der Gesellschaft zuständig.
295
D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2019, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424.
1088 Im mehrgliedrigen Vorstand, trifft jeden die Pflicht zur Geschäftsführung. Der sich aus dieser „Allzuständigkeit“ ergebenden Verantwortung jedes Geschäftsleiters für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, können sich die Geschäftsleiter weder durch interne Zuständigkeitsverteilung noch durch Delegation auf andere Personen entledigen. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2019, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424.
1089 Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Aufgabenbereich eines anderen Geschäftsleiters zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsleiter im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsleiters oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2020, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424; BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – II ZR 105/10, DStR 2012, 2451 Rn. 6; BGH, Urt. v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 17 m. w. N.
(4) Vorsatz 1090 Entsprechend der strafrechtlichen Regelung tritt eine zivilrechtliche Haftung nur ein, wenn die Beiträge – mindestens bedingt – vorsätzlich vorenthalten werden. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 ff. = ZIP 1996, 2017 (GmbH), dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider).
1091 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsleiter mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Bei-
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
tragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt. BGH, Urt. v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 719 (Schreiber); BGH, Urt. v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 16 = beide m. w. N.
Hält sich ein Organmitglied irrtümlich nicht für verpflichtet, trotz Delegation 1092 seiner Kontroll- und Überwachungspflicht nachzukommen, liegt nicht ein Tatbestands-, sondern ein Verbotsirrtum vor, der in der Regel den Vorsatz im Hinblick auf das Vorenthalten der Beiträge nicht entfallen lässt. BGH, Urt. v. 9.1.2000 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 (GmbH).
(5) Fehlende Möglichkeit normgemäßen Verhaltens Ein strafbares und damit gem. § 823 Abs. 2 BGB haftungsrechtlich relevantes 1093 Verhalten fällt dem Arbeitgeber nur dann zur Last, wenn er die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen unterlassen hat, obwohl ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung im Zeitpunkt der geschuldeten Zahlung möglich gewesen wäre. Die tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit normgemäßen Verhaltens lässt bei dem hier vorliegenden Unterlassungsdelikt die Tatbestandsmäßigkeit entfallen. BGH, Urt. v. 18.11.1997 – VI ZR 11/97, ZIP 1998, 31, dazu EWiR 1998, 277 (Pape) dort auch zur Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge.
Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung werden aber auch für solche 1094 Zeiträume vorenthalten, in denen kein Lohn ausbezahlt wurde, solange noch finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die für die Beitragszahlung ausgereicht hätten. Erst wenn Letzteres nicht mehr der Fall ist (und dies dem Arbeitgeber nicht anzulasten ist), sind die Voraussetzungen für die Strafbarkeit nicht gegeben. BGH, Urt. v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311 = ZIP 2000, 1339, 1341, dazu EWiR 2000, 1123 (Marxen/Elsner); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525, dazu EWiR 2002, 359 (Meyke); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, 262, dazu EWiR 2002, 263 (Plagemann).
Häufig wird sich der Geschäftsleiter auf diese Entlastungsmöglichkeit nicht 1095 berufen können. Denn er hat als Arbeitgeber i. S. v. § 266a StGB dafür Sorge zu tragen, dass ihm die zur ordnungsgemäßen Abführung der – auf den geschuldeten Lohn entfallenden – Arbeitnehmeranteile notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen. Drängen sich wegen der konkreten finanziellen Situation der Gesellschaft deutliche Bedenken auf, dass zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Zahlungsmittel vorhanden sein werden, muss der Geschäftsleiter durch die Bildung von Rücklagen, notfalls durch Kürzung der 297
D. Der Vorstand
Nettolöhne sicherstellen, dass am Fälligkeitstag die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung fristgerecht an die zuständige Einzugsstelle entrichtet werden können. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2020, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 308 f. = ZIP 1997, 412, 414, dazu EWiR 1997, 561 (Marxen); BGH, Urt. v. 15.9.1997 – II ZR 170/96, BGHZ 136, 332 = ZIP 1998, 42, 43; BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, 81, dazu EWiR 2001, 185 (A. Schmidt); BGH, Urt. v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127 Rn. 10; BGH, Urt. v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05; ZIP 2007, 541 Rn. 18; BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, ZIP 2011, 37 Rn. 23 insoweit in BGHZ 187, 337 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, WM 2012, 660 Rn. 10; BGH, Beschl. v. 12.6.2012 – II ZR 105/10, DStR 2012, 2451 Rn. 5.
1096 Eine Abführungspflicht besteht daher auch dann, wenn der Lohn nicht ausbezahlt worden ist. BGH, Urt. v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, BGHZ 144, 311 = ZIP 2000, 1339 (GmbH), dazu EWiR 2000, 1123 (Marxen/Elnser); BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80 (GmbH), dazu EWiR 2001, 185 (Andreas Schmidt); BGH, Urt. v. 9.1.2000 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 (GmbH).
1097 Der Geschäftsleiter haftet auch dann, wenn ihm die Entrichtung der Beiträge wegen Zahlungsunfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt unmöglich ist, ihm aber die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit als (bedingt vorsätzliches) pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden muss. BGH, Urt. v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 308 f. = ZIP 1997, 412, 414, dazu EWiR 1997, 561 (Marxen); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, 262, dazu EWiR 2002, 263 (Plagemann); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 526 f., dazu EWiR 2002, 359 (Meyke).
1098 Die Verrechnung der auf die Beitragsschulden gezahlten Beiträge ist nicht nach § 366 BGB, sondern nach § 2 BeitragszahlungsVO vorzunehmen. Zahlungen sind danach hälftig auf Arbeitgeber – und Arbeitnehmeranteil zu verrechnen, soweit der Arbeitgeber keine vorrangige Verrechnung auf den Arbeitnehmeranteil bestimmt. VO v. 22.5.1989 (BGBl I, 990); Ermächtigungsgrundlage: § 28n Nr. 2 SGB IV; BGH, Urt. v. 13.1.1998 – VI ZR 58/97, ZIP 1998, 398, 400 (GmbH), dazu EWiR 1998, 467 (Plagemann).
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IV. Haftung der Vorstandsmitglieder
(6) Kausalität Hätte der Insolvenzverwalter die Zahlungen an die Sozialkasse nach der 1099 InsO anfechten können, entfällt mangels Kausalität der Schaden. BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 128 f., dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn) in Bestätigung von BGH, Urt. v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, dazu EWiR 2001, 185 (A. Schmidt); BGH, Urt. v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 14, dazu EWiR 2009, 675 (Vortmann) und EWiR 2009, 201 (Wilkens); BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, ZIP 2011, 37 Rn. 19 insoweit in BGHZ 187, 337 nicht abgedruckt.
§ 266a StGB begründet in der Insolvenzsituation keinen Vorrang der An- 1100 sprüche der Sozialkasse. BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 128 f. m. w. N., dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn).
Die Voraussetzungen eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs hat der 1101 Geschäftsleiter darzulegen und zu beweisen. BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, WM 2012, 660 Rn. 11.
Der Gesetzgeber hat § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV mit Wirkung zum 1.1.2008 1102 geändert: „Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht.“
Damit war beabsichtigt, die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung der Insolvenzanfechtung zu entziehen. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat aber befunden, dass dem Gesetzgeber dieser Versuch misslungen sei und die Zahlung der Arbeitnehmeranteile zu den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen als Rechtshandlung des Arbeitgebers im Insolvenzverfahren über dessen Vermögen als mittelbare Zuwendung an die Einzugsstellen angefochten werden kann. BGH, Urt. v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, BGHZ 183, 86 = ZIP 2009, 2301, dazu EWiR 2010, 67 (Henkel); BGH, Urt. v. 7.4.2011 – IX ZR 118/10, ZIP 2011, 966 Rn. 3.
(7) Schadensumfang Die Haftung bei einer Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozial- 1103 versicherung umfasst auch die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung der Einzugsstelle und die Verzugs- und Prozesszinsen, nicht jedoch die Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 1 SGB IV. BGH, Beschl. v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, ZIP 2008, 2075 Rn. 2, dazu EWiR 2009, 79 (Kuhn);
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D. Der Vorstand BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, ZIP 2011, 37 Rn. 24 insoweit in BGHZ 187, 337 nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 16.2.2012 – IX ZR 218/10, WM 2012, 660 Rn. 12.
(8) Darlegungs- und Beweislast 1104 Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen inklusive der Zahlungsfähigkeit, d. h. der Möglichkeit normgemäßen Verhaltens des Geschäftsleiters liegt bei der Sozialkasse. BGH, Urt. v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017, 2020, dazu EWiR 1997, 37 (U. H. Schneider); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f., dazu EWiR 2002, 359 (Meyke); BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, ZIP 2002, 261, 262 f., dazu EWiR 2002, 263 (Plagemann); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1208, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn); BGH, Urt. v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127 Rn. 8; BGH, Urt. v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14.
1105 Sie erstreckt sich auch auf den Vorsatz des beklagten Geschäftsleiters. BGH, Urt. v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14 f.
1106 An die Erfüllung der grundsätzlich bestehenden sekundären Darlegungslast des Geschäftsleiters dürfen keine diese Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden. Eine besondere Dokumentationspflicht zur Abwehr einer möglichen Haftung nach diesen Vorschriften besteht nicht. Auch die Verletzung der Insolvenzantragspflicht erhöht die sekundäre Darlegungslast des Geschäftsleiters nicht. BGH, Urt. v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, dazu EWiR 2002, 359 (Meyke); BGH, Urt. v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1208, dazu EWiR 2005, 743 (Kuhn).
6. Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen oder Geldauflagen durch die Gesellschaft 1107 Die Zahlung einer Geldstrafe durch die Gesellschaft erfüllt weder den Tatbestand der Begünstigung noch der Strafvereitelung. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 11/62, BGHZ 41, 223, 229; BGH, Urt. v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, BGHSt 37, 226, 229; BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
1108 Erst recht gilt dies für die Übernahme einer Geldauflage bei einer Einstellung des Straf- oder Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO.
300
V. Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 12, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
Streitig war, ob die Übernahme einer Geldsanktion allein vom Aufsichtsrat beschlossen werden kann, oder ob die Hauptversammlung zustimmen muss. Hier ist zu differenzieren. Wenn das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft durch eine Handlung, 1109 die Gegenstand eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens ist, gleichzeitig seine Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt hat, muss die Hauptversammlung entsprechend der Regelung in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG einer Übernahme der Geldstrafe, Geldbuße oder Geldauflage durch die Gesellschaft zustimmen. Bei der Beurteilung, ob eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, steht dem Aufsichtsrat kein Handlungsermessen zu; maßgebend ist vielmehr die objektive Rechtslage. BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 17 f., dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
Liegt dagegen keine Pflichtverletzung durch den Vorstand vor, kann der 1110 Aufsichtsrat beschließen, die Geldstrafe, Geldauflage oder Geldbuße zu übernehmen. Der Aufsichtsrat hat insoweit aber kein Ermessen, eine Pflichtwidrigkeit zu verneinen und sich so die alleinige Kompetenz zur Übernahme der Strafsanktion zu bewilligen. BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 21 f., dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
Dagegen spricht auch nicht, dass der Aufsichtsrat unter Umständen zu einem 1111 Zeitpunkt über die Übernahme einer straf- oder bußgeldrechtlichen Sanktion befinden soll, zu der ihm die zu einer Beurteilung erforderlichen Informationen noch nicht vollständig vorliegen, etwa vor dem Ende des Ermittlungs- oder Strafverfahrens. Er kann in diesem Fall eine vorläufige Regelung treffen, etwa dem Vorstand einen Vorschuss oder ein Darlehen unter dem Vorbehalt der Rückforderung nach abschließender Prüfung gewähren. BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 22, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
Ein Verstoß gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG führt zur Nichtigkeit, weil die 1112 Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats insoweit begrenzt ist. BGH, Urt. v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = ZIP 2014, 1728 Rn. 22, dazu EWiR 2014, 609 (Maier-Reimer).
V. Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern Nach § 94 AktG gelten die Vorschriften für Vorstandsmitglieder auch für ihre 1113 Stellvertreter. Ein stellvertretendes Vorstandsmitglied hat demnach im Außenverhältnis dieselbe Stellung wie ein ordentliches Mitglied des Vorstands. Seine Vertretungsmacht kann im Außenverhältnis gem. § 82 Abs. 1 AktG ebenfalls nicht beschränkt werden. Mit Außenwirkung ist daher eine Regelung, dass 301
D. Der Vorstand
das stellvertretende Vorstandsmitglied das ordentliche Mitglied des Vorstands nur für den Fall der Verhinderung vertreten darf, nicht möglich. 1114 Nach § 39 Abs. 1 AktG sind die Vorstandsmitglieder und deren Vertretungsbefugnis in das Handelsregister einzutragen; § 81 Abs. 1 AktG schreibt vor, dass jede Änderung des Vorstands oder der Vertretungsbefugnis eines Vorstandsmitglieds zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden ist. Der Bundesgerichtshof hatte im GmbH-Recht darüber zu entscheiden, ob der stellvertretende Geschäftsführer einer GmbH mit Stellvertreterzusatz in das Handelsregister eingetragen werden muss. Er hat entschieden, dass die Eintragung ohne diesen Zusatz vorzunehmen ist. BGH, Beschl. v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, ZIP 1998, 152 (GmbH).
1115 Für die Publizitätsfunktion des Handelsregisters kann es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nur auf die Außenbefugnisse des Geschäftsführers ankommen. Sein Zweck bestehe nicht in der Verlautbarung betriebsinterner Hierarchien. Diese Handhabung stehe zudem mit der Richtlinie vom 9.3.1968 (ABl Nr. L 65/8 v. 14.3.1968) und dem dazu erlassenen Durchführungsgesetz vom 15.8.1969 (BGBl I, 1146) in Übereinstimmung: Dem Ziel der Richtlinie, jedermann solle u. a. die Befugnisse der mit der Vertretung von Handelsgesellschaften betrauten Personen ohne Schwierigkeiten dem Handelsregister entnehmen können, auch wenn er mit den jeweiligen nationalen Vorschriften nicht vertraut sei, werde entsprochen. 1116 Die Grundsätze dieser Entscheidung gelten auch für stellvertretende Vorstandsmitglieder i. S. d. § 94 AktG. VI. Abwickler 1117 Nach § 268 Abs. 2 Satz 1 AktG hat der Abwickler die Rechte und Pflichten eines Vorstands. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
1118 Der Liquidator darf keine Beträge an die Aktionäre auskehren, die zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger benötigt werden. BGH, Urt. v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 = ZIP 1990, 578 (GmbH & Co. KG), dazu EWiR 1990, 479 (Bergmann).
1119 Ihn trifft die Verpflichtung, den Bestand der Masse zu sichern. Dazu gehören die Pflicht zur Anzeige bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals (§ 92 Abs. 1 AktG), die Pflicht zur Insolvenzantragstellung (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) und die Beachtung des Zahlungsverbots (§ 92 Abs. 2 AktG) bei Eintritt der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit.
302
VI. Abwickler Vgl. u. a. BGH, Urt. v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103 (GmbH), dazu EWiR 1994, 791 (Wilhelm); BGH, Urt. v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, BGHZ 131, 325 = ZIP 1996, 420 (GmbH), dazu EWiR 1996, 459 (Schulze-Osterloh); BGH, Urt. v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, BGHZ 138, 211 = ZIP 1998, 776 (GmbH); BGH, Urt. v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 = ZIP 2000, 184 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (GmbH), dazu EWiR 1995, 785 (Wittkowski).
Der Abwickler ist daher zum Ersatz verpflichtet, wenn Zahlungen geleistet 1120 werden, nachdem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder sich ihre Überschuldung ergeben hat (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG). BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden).
Der Abwickler ist verpflichtet, einen Nachfolger auf dringend zu erledigende 1121 oder für die Gesellschaft besonders wichtige Angelegenheiten ausdrücklich hinzuweisen. BGH, Urt. v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, ZIP 2012, 867 Rn. 11 f., dazu EWiR 2012, 469 (von der Linden)
Der Aufsichtsrat einer in Liquidation befindlichen Aktiengesellschaft darf 1122 den Dienstvertrag mit dem Abwickler entsprechend dem Grundsatz, dass durch eine Einflussnahme auf den Dienstvertrag einer Abberufung durch das dafür zuständige Organ nicht vorgegriffen werden darf, nicht kündigen, bevor die Hauptversammlung den Abwickler durch Beschluss abberufen hat (vgl. § 265 Abs. 5 Satz 1 AktG). BGH, Beschl. v. 2.3.2009 – II ZA 9/08, ZIP 2009, 1058 Rn. 3.
303
E. Der Aufsichtsrat I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats – Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder 1. Zusammensetzung des Aufsichtsrats In § 96 AktG ist die gruppenmäßige Zusammensetzung des Aufsichtsrats bei 1123 Anwendung mitbestimmungsrechtlicher Vorschriften, unter anderem des Drittelbeteiligungsgesetzes, festgelegt. Die Beteiligung der Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft im Aufsichtsrat des Unternehmens war zunächst in den §§ 76 bis 87a des Betriebsverfassungsgesetzes vom 14.10.1952 (BGBl I, 681 – BetrVG 1952) geregelt. Gem. § 76 Abs. 1 BetrVG 1952 musste der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen. Am 1.7.2004 löste das Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat vom 18.5.2004 (BGBl I, 974) diese Regelungen ab. Mit dem Drittelbeteiligungsgesetz wollte der Gesetzgeber der Praxis anwenderfreundliche Regelungen zur Verfügung stellen, ohne den bisherigen Geltungsbereich und Inhalt des Gesetzes zu verändern (Zweites Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat – BT-Drucks. 15/2542, S. 1). Vgl. BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZB 14/11, ZIP 2012, 669 Rn. 16 f., dazu EWiR 2012, 311 (Klasen).
Sinn des Mitbestimmungsrechts im DrittelbG ist – wie zuvor in §§ 76 ff. 1124 BetrVG 1952 – die Sicherung der kollektiven Interessenvertretung der Belegschaft im Aufsichtsrat. Die Mitbestimmungsrechte für Arbeitnehmer dienen dazu, die mit ihrer Unterordnung unter fremde Leitungs- und Organisationsgewalt verbundene Fremdbestimmung durch die institutionelle Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen zu mildern. Auch die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat dient der kollektiven Interessenvertretung der Belegschaft durch die Mitbestimmung im Hinblick auf die sozialen und personellen Auswirkungen wirtschaftlicher Unternehmerentscheidungen in einem wichtigen Organ des Unternehmensträgers. Vgl. BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZB 14/11, ZIP 2012, 669 Rn. 26, dazu EWiR 2012, 311 (Klasen); BAG, Beschl. v. 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, ZIP 2013, 1880 Rn. 35.
Die Arbeitnehmer haben ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat nach 1125 Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes in einer Aktiengesellschaft mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 DrittelbG). Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG haben auch die Arbeitnehmer in einer Aktiengesellschaft mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern, die vor dem 10.8.1994 eingetragen worden ist und keine Familiengesellschaft ist (sog. Alt-Aktiengesellschaften) ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat. Die Fortgeltung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DrittelbG über die Drittel-Mit-
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E. Der Aufsichtsrat
bestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat für vor dem 10.8.1994 eingetragene sog. Alt-Aktiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern, während seit 1994 neu eingetragene „kleine Aktiengesellschaften“ von dieser drittelparitätischen Mitbestimmung freigestellt sind, ist verfassungsgemäß. BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 9.1.2014 – 1 BvR 2344/11, ZIP 2014, 464 dazu EWiR 2014, 239 (Büdenbender); vorausgehend OLG Düsseldorf, ZIP 2011, 1564.
1126 Streitig war, ob die Drittel-Mitbestimmung bei sog. Alt-Aktiengesellschaften mit weniger als 500 Arbeitnehmern entgegen dem Wortlaut erst ab einer bestimmten Arbeitnehmeranzahl gilt. Der II. Zivilsenat hat in einem Verfahren nach § 98 AktG die Norm nach ihrem Sinn und Zweck, der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte von § 76 BetrVG 1952 dahin ausgelegt, dass für eine solche Aktiengesellschaft ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat besteht, wenn die Gesellschaft entsprechend § 1 Abs. 1 BetrVG mindestens fünf Arbeitnehmer hat. BGH, Urt. v. 7.2.2012 – II ZB 14/11, ZIP 2012, 669, dazu EWiR 2012, 311 (Klasen).
1127 Der Aufsichtsrat eines in § 1 Abs. 1 DrittelbG bezeichneten Unternehmens muss zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen (§ 4 Abs. 1 DrittelbG). Eine über dieses Drittel hinausgehende paritätische Besetzung des Aufsichtsrats ist zulässig. Eine früher vertretene abweichende Ansicht findet im Gesetz keine Stütze, wie der Bundesgerichtshof bereits zu § 76 BetrVG 1952 entschieden hat. Dass der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer bestehen muss, sagt nichts über die Zusammensetzung der Gruppe der übrigen nach § 101 Abs. 1 und 3 AktG zu wählenden Mitglieder aus. Er stellt es in das Belieben der Hauptversammlung, für ein Aufsichtsrats-Mandat geeignete Aktionäre, Arbeitnehmer aus einem Betrieb der Gesellschaft oder außenstehende Personen auszusuchen. Beruft diese über das nach § 76 Abs. 2 BetrVG 1952 zu wählende Drittel hinaus weitere Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat, sind diese keine „Arbeitnehmervertreter“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, sondern Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre, die nicht nach § 76 Abs. 5 BetrVG 1952, sondern nach § 103 Abs. 1 AktG abberufen werden können. Grenzen für das Auswahlrecht der Hauptversammlung setzen lediglich § 101 Abs. 2 (Entsendungsrecht), § 100 Abs. 4 (persönliche Voraussetzungen), § 100 Abs. 1 und 2 (Fähigkeit zum Aufsichtsratsmitglied) und § 105 Abs. 1 AktG (Unvereinbarkeit der Ämter). Die Wählbarkeit von Arbeitnehmern wird aufgrund dieser Regelung nicht ausgeschlossen. Vgl. BGH, Urt. v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, WM 1975, 787, 789 f.; Habersack, in: MünchKomm-AktG, § 96 Rn. 31.
1128 In Unternehmen der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie, welche die Merkmale des Gesetzes Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission vom 16.5.1950 erfüllen, gilt die paritätische Mitbestimmung. Das betrifft nicht nur Unter-
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I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats
nehmen, die zur damaligen Zeit schon bestanden haben, sondern auch später gegründete, soweit sie die Merkmale dieses Gesetzes erfüllen. Dafür spricht einmal, dass Wortlaut und Inhalt des Gesetzes – § 1 Abs. 1 b Montan-Mitbestimmungsgesetz – nicht eindeutig für eine Beschränkung auf die im Gesetz Nr. 27 aufgeführten Unternehmen sprechen, sondern auch sachbezogen verstanden werden können, und zum anderen, dass Unternehmen, die zwar im Gesetz Nr. 27 aufgeführt, jedoch nicht mehr zur Eisen und Stahl erzeugenden Industrie zu rechnen sind, von dem Gesetz nach einhelliger Ansicht nicht erfasst werden. Schon deswegen liegt es nahe, den umgekehrten Fall entsprechend zu behandeln. Nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sollte die paritätische Mitbestimmung für die Kohleindustrie und die Eisen schaffende Industrie geregelt werden. Zudem gibt es keine sachlichen Gründe dafür, die paritätische Mitbestimmung – im Gegensatz zur Kohleindustrie – in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie nur auf bestimmte Unternehmen zu beschränken und die Zusammensetzung des Aufsichtsrats von dem zufälligen Zeitpunkt der Gründung des Unternehmens abhängig zu machen. Auch die spätere Gesetzgebung zur Mitbestimmung in der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie ist davon ausgegangen, dass die von § 1 Abs. 1 b MontanMitbestimmungsgesetz erfassten Unternehmen nach sachlichen Merkmalen abzugrenzen sind. BGH, Beschl. v. 28.2.1983 – II ZB 10/82, BGHZ 87, 54 = ZIP 1983, 566.
2. Persönliche Voraussetzungen § 100 AktG regelt die persönlichen Voraussetzungen des Aufsichtsrats. 1129 Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig, wenn die gewählte Person nach § 100 Abs. 1 und 2 AktG bei Beginn ihrer Amtszeit nicht Aufsichtsratsmitglied sein kann. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG kann Mitglied eines Aufsichtsrats nicht 1130 sein, wer gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird vermutet, dass ein im Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen abhängig i. S. d. § 17 Abs. 1 AktG und damit i. S. d. § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG ist. Die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG kann widerlegt sein, wenn der Mehrheitsgesellschafter seinen ihm sonst zukommenden Einfluss nicht entfalten kann. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 27 f.
Bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien ist der Geschäftsführer der 1131 Komplementär-GmbH als Aufsichtsrat entsprechend § 287 Abs. 3 AktG inhabil, nicht aber ein unmittelbarer oder mittelbarer Gesellschafter der Komplementärin, solange er keine Leitungsfunktionen ausübt oder keinen maßgeblichen Einfluss hat.
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E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 196 = ZIP 2006, 177 Rn. 12 f., dazu EWiR 2006, 193 (Dürr); Drescher, WM Sonderbeilage 2013 Nr. 2, S. 5.
3. Die Wahl in den Aufsichtsrat 1132 Nach § 101 Abs. 1 AktG werden die Mitglieder des Aufsichtsrats von der Hauptversammlung gewählt, soweit sie nicht in den Aufsichtsrat zu entsenden oder als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung zu wählen sind. § 101 Abs. 1 AktG schreibt für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung keine bestimmte Mehrheit vor. Nach § 133 Abs. 1 AktG genügt unter diesen Umständen die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei die Satzung eine größere als die gesetzlich vorgeschriebene einfache Stimmenmehrheit vorschreiben kann. § 133 Abs. 2 AktG erweitert die Möglichkeit einer Abweichung vom Gesetz für Wahlen dahin, dass auch erleichternde Stimmrechtsregelungen erlaubt sind. 1133 Eine Erschwerung der Beschlussfassung durch die Satzung ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch in den Fällen zulässig, in denen nach Struktur und gesetzlicher Organisation der AG eine Pflicht der Hauptversammlung zur Beschlussfassung anzunehmen ist; namentlich bei Wahlen. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 193 f.
1134 Die Satzung kann daher für Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung eine qualifizierte Mehrheit vorschreiben. Etwas anderes kann den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zumindest insoweit nicht entnommen werden, als das Gesetz für bestimmte Fälle nicht ausdrücklich die einfache Mehrheit genügen lässt (z. B. § 103 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Einführung eines Mehrheitserfordernisses von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erschwert die Wahlen zum Aufsichtsrat nicht so stark, dass deren Zustandekommen unter gewöhnlichen Umständen nicht gewährleistet und deswegen die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft in Frage gestellt ist. Die Forderung nach einer solchen Mehrheit ist in der Regel erfüllbar. Sie setzt lediglich voraus, dass rivalisierende Aktionärsgruppen im Interesse der Gesellschaft eigene Personalwünsche in gewissem Umfang zurückstellen, um die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder nicht scheitern zu lassen. Eine solche Klausel kann einen heilsamen Zwang zur Einigung auslösen, der zu angemessenen Lösungen und zu einer ausgewogenen Besetzung des Aufsichtsrats führen kann. In der Regel wird das darauf hinauslaufen, dass auch Minderheiten im Aufsichtsrat vertreten sind. Das ist ein durchaus schutzwürdiger Zweck. Lässt sich eine Einigung in Ausnahmefällen nicht erzielen, so eröffnet das Gesetz die Möglichkeit einer durch das Gericht vorzunehmenden Ergänzung des Aufsichtsrats (§ 104 AktG). BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 195 f.
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I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats
Hat eine Satzungsbestimmung, die Stimmrechtserleichterungen vorsieht, ge- 1135 rade auch Satzungsänderungen im Auge, so kann die Auslegung der Satzung ergeben, dass davon bestimmte Klauseln nicht erfasst werden. Das ist dann der Fall, wenn eine Vorschrift mit dem Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit dem Schutz einer Gesellschafterminderheit dient. Die Vorschrift, die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder von der Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen abhängig zu machen, hindert eine mit mehr als 50 %, jedoch weniger als zwei Drittel in der Hauptversammlung vertretene Aktionärsgruppe daran, den Aufsichtsrat ausschließlich mit Kandidaten ihrer Wahl zu besetzen und auf diese Weise die gesamte Verwaltung zu beherrschen. Sie gewährt einer hinreichend starken Minderheit die Möglichkeit, auch die Wahl von ihr benannter Personen durchzusetzen. Dieser Schutz würde beseitigt, wenn man eine Änderung dieser Klausel mit einfacher Mehrheit zulassen würde. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 195 f.
Eine Satzungsbestimmung, mit der die Wählbarkeit von Personen in den Auf- 1136 sichtsrat beschränkt wird, ist unwirksam, soweit sie sich Geltung für die Arbeitnehmervertreter beilegt. Würde man es der Satzung überlassen, persönliche Voraussetzungen für die Wahl in den Aufsichtsrat auch für Arbeitnehmervertreter aufzustellen, könnten die Arbeitgeber den Kreis der von den Arbeitnehmern wählbaren Personen einschränken. Das wäre mit dem im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Prinzip der Wahlfreiheit unvereinbar. So bereits BGH, Urt. v. 21.2.1963 – II ZR 76/62, BGHZ 39, 116, 122 (GmbH); durch AktG 1965 geregelt in § 100 Abs. 4 AktG; vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 100 Rn. 21; Habersack, in: MünchKomm-AktG, § 100 Rn. 52.
Eine Satzungsregelung, wonach „der Leiter der Hauptversammlung berechtigt 1137 ist, über eine von der Verwaltung … vorgelegte Liste mit Wahlvorschlägen abstimmen zu lassen“, ist wirksam. Eine entsprechende Satzungsregelung, welche die Durchführung einer Listenwahl der Aufsichtsratsmitglieder in das Ermessen des Versammlungsleiters stellt verstößt insbesondere nicht gegen § 23 Abs. 5 AktG, weil § 101 AktG keine Regelung zur Art der Abstimmung trifft. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 29 f. – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen) und Mutter, ZGR 2009, 788.
Aus dem Senatsurteil vom 21.7.2003
1138
BGHZ 156, 38, 41 = ZIP 2003, 1788 (m. Bespr. Fuhrmann, ZIP 2004, 2081), dazu EWiR 2003, 1113 (Radlmayr)
ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dort fehlte eine Satzungsregelung. Ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig oder wird sie für nichtig er- 1139 klärt, ist für Pflichten, Haftung und Vergütung des Aufsichtsratsmitglieds
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E. Der Aufsichtsrat
anerkannt, dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung anwendbar sind. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 14 – IFA; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 19, 24, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1140 Für die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat gilt das allerdings nicht. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, ist insoweit wie ein Nichtmitglied zu behandeln. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 20 f., dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); sowie unten Rn. 1186 ff.
4. Entsendungsrecht 1141 Gem. § 101 Abs. 2 Satz 1 AktG kann durch die Satzung für bestimmte Aktionäre oder für die jeweiligen Inhaber bestimmter Aktien das Recht begründet werden, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Die Aktien der Entsendungsberechtigten gelten nicht als besondere Gattung (§§ 101 Abs. 2 Satz 3, 11 AktG). Die Entsendungsrechte sind auf ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre beschränkt (§ 101 Abs. 2 Satz 4 AktG). Die Bindung an die Inhaberschaft bestimmter Aktien ist nur zulässig bei Namensaktien (§ 67 AktG), deren Übertragung an die Zustimmung der Gesellschaft (§ 68 Abs. 2 Satz 1 AktG) gebunden ist (§ 101 Abs. 2 Satz 2 AktG). 1142 Die Einführung eines Entsendungsrechts in der Satzung ist grundsätzlich keine nach Art. 56 Abs. 1 EG verbotene nationale Maßnahme, die den Kapitalverkehr beschränkt. BGH, Beschl. v. 8.6.2009 – II ZR 111/08, ZIP 2009, 1566, dazu EWiR 2010, 103 (Nikoleyczik); EuGH ZIP 2007, 2068 Rn. 60 f. – VW-Gesetz.
1143 Der Bundesgerichtshof hat sich in der Entscheidung, BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306 f.,
zu dem Entsendungsrecht und zur Rechtsstellung der entsandten Aufsichtsratsmitglieder geäußert. Das Entsendungsrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Aktionär ein besonderes Interesse daran haben kann, dass seine Belange im Aufsichtsrat durch eine Person seines Vertrauens gewahrt werden. Es erschöpft sich in der Bestellung sowie der Abberufung (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AktG) des entsandten Mitglieds. Eine darüber hinausgehende rechtliche Einwirkungsmöglichkeit, insbesondere ein Recht auf Erteilung von Weisungen, hat der Entsendungsberechtigte nicht. Vielmehr haben entsandte Aufsichtsratsmitglieder dieselben Rechte und Pflichten wie die gewählten Aufsichtsratsmitglieder. Als Angehörige eines Gesellschaftsorgans haben sie die wohlverstandenen Interessen der Gesellschaft wahrzunehmen und bei einem 310
I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats
Interessenwiderstreit den Belangen der Gesellschaft den Vorzug vor denen des Entsendungsberechtigten zu geben. Der Entsendungsberechtigte kann den Entsandten nicht daran hindern, die ihm im Aufsichtsrat obliegenden Aufgaben mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters wahrzunehmen (§ 116 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Das schließt allerdings die Möglichkeit einer tatsächlichen Einflussnahme nicht aus. Einer möglichen Neigung des Entsandten, solchen Weisungen Rechnung zu tragen, weil ihm anderenfalls die jederzeit mögliche Abberufung durch den Entsendungsberechtigten droht (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AktG), versucht das Gesetz mit der Normierung einer Schadenersatzpflicht zu begegnen (§ 116 i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG). Zudem besteht für das Aufsichtsratsmitglied die Gefahr, sich nach § 266 StGB strafbar zu machen. Fehler einer Entsendung und deren gerichtliche Kontrolle sind im Aktienge- 1144 setz nicht geregelt. An die Stelle der mangels einer Wahl (§§ 101 Abs. 1, 250 AktG) ausscheidenden Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage (§ 252 Abs. 1, 2 AktG) greifen allgemeine prozessuale Grundsätze ein, so dass insbesondere eine allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO in Betracht kommt. BGH, Urt. v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 196 = ZIP 2006, 177 Rn. 10, dazu EWiR 2006, 193 (Dürr).
5. Wahl von Ersatzmitgliedern Nach § 101 Abs. 3 Satz 2 AktG kann für jedes Aufsichtsratsmitglied (mit Aus- 1145 nahme des weiteren Mitglieds, das nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz auf Vorschlag der übrigen Aufsichtsratsmitglieder gewählt wird) ein Ersatzmitglied bestellt werden, das Mitglied des Aufsichtsrats wird, wenn das Aufsichtsratsmitglied vor Ablauf seiner Amtszeit wegfällt. Die Bestellung von Aufsichtsrats- und Ersatzmitglied muss gleichzeitig erfolgen (Satz 3). Bestellung sowie Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Bestellung des Ersatzmitgliedes unterliegen den für das Aufsichtsratsmitglied geltenden Vorschriften (Satz 4). Die Regelung über die Bestellung von Ersatzmitgliedern für Aufsichtsratsmitglieder verlangt nicht, dass ebenso viele Ersatz- wie Aufsichtsratsmitglieder bestellt werden. Vielmehr ist es rechtlich zulässig, ein Ersatzmitglied entweder dem jeweils zuerst ausscheidenden Aufsichtsratsmitglied oder mehreren zuzuordnen. So ist es zulässig, dass die Hauptversammlung für acht Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner zwei Ersatzmitglieder bestellt. Wird festgelegt, dass diese in einer bestimmten Reihenfolge in die frei werdenden Stellen einrücken, steht der Nachfolger bei Wegfall eines Aufsichtsratsmitglieds konkret fest. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 213 f. = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
Ist die Ersatzmitgliedschaft mit dem ersten Nachrücken in den Aufsichtsrat 1146 vollständig verbraucht, kann die Bestellung von lediglich zwei Ersatzmitgliedern für acht Aufsichtsratsmitglieder zu Schwierigkeiten führen, wenn mehr
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E. Der Aufsichtsrat
als zwei Aufsichtsratsmitglieder ausfallen, weil die Nachbestellung von Ersatzmitgliedern nicht zulässig ist (§ 101 Abs. 3 Satz 3 AktG). Hilfreich ist in diesen Fällen, soweit der Kreis der Ersatzmitglieder nicht von vornherein weiter gezogen wird, eine Bestellung der Ersatzmitglieder für mehrere Aufsichtsratsmitglieder mit der Maßgabe vorzunehmen, dass sie mit der ersten Nachfolge in den Aufsichtsrat ihre Ersatzstellung für die übrigen Aufsichtsratsmitglieder nicht verlieren, sondern auch diesen nachfolgen, wenn sie bei deren Wegfall und dem daran anknüpfenden Beginn der Amtszeit die für eine ordentliche Mitgliedschaft erforderlichen persönlichen Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört, dass sie aus dem Aufsichtsrat inzwischen wieder ausgeschieden sind. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 218 f. = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
1147 Das Erfordernis gleichzeitiger Bestellung von Aufsichtsratsmitglied und Ersatzmitglied (§ 101 Abs. 3 Satz 3 AktG) steht dieser Regelung nicht entgegen. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Ersatzmitgliedschaft mit dem ersten Nachrücken beendet und anlässlich der Neuwahl eines Nachfolgers für das ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied und des dadurch bedingten Ausscheidens des (früheren) Ersatzmitglieds nur durch eine erneute Bestellung belebt werden könnte. In diesem Falle wäre die Gleichzeitigkeit der Bestellung nur hinsichtlich des neuen Aufsichtsratsmitgliedes, nicht aber der bereits früher bestellten gewährleistet. Für deren Nachfolge stünde nur noch ein Ersatzmitglied zur Verfügung, und zwar nur für den ersten Ausfall, nicht aber für jeden weiteren. Mehr als zwei Ausfälle ordentlicher Mitglieder könnten unter diesen Umständen nur durch Neuwahl, nicht aber durch Ersatznachfolge behoben werden. Rechtlich möglich ist es, ein Ersatzmitglied für alle ordentlichen Mitglieder zu bestellen und sein Nachrücken für das Ausscheiden eines jeden von ihnen vorzusehen, allerdings den Amtsantritt von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass es zu diesem Zeitpunkt dem Aufsichtsrat aufgrund einer früheren Nachfolge nicht (mehr) angehört. Dass der für die Beurteilung der persönlichen Verhältnisse maßgebende Zeitpunkt der Beginn der Amtszeit und nicht der Zeitpunkt der Wahl ist, folgt aus § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG, der nach § 101 Abs. 3 Satz 4 AktG auch für die Bestellung des Ersatzmitglieds gilt und der für die Nichtigkeit der Wahl auf die Verhältnisse zu Beginn der Amtszeit abstellt. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 219 f. = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
1148 Ein Ersatzmitglied kann nur dann nachfolgen, wenn durch das vor Ablauf der Amtszeit bedingte Ausscheiden des ordentlichen Mitglieds eine Lücke im Aufsichtsrat entstanden ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn bereits vor dem Ausscheiden ein Nachfolger gewählt wird. Soweit die Satzung keine abweichende Regelung enthält, ist ein Ersatzmitglied in der Regel nur für den Fall bestellt, dass das ordentliche Aufsichtsratsmitglied ausscheidet und die zeitlich vorausgegangene Wahl eines Nachfolgers unterblieben ist.
312
I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, ZIP 1987, 1176, 1177.
Bestimmt die Satzung, dass das Aufsichtsratsmandat des Ersatzmitglieds mit 1149 Beendigung der Hauptversammlung erlischt, in der für das vorzeitig ausgeschiedene ein anderes Aufsichtsratsmitglied gewählt wird, ist davon auszugehen, dass die Dauer der Amtszeit des Ersatzmitglieds im Aufsichtsrat auflösend bedingt ist. In gleicher Weise auflösend bedingt ist jedes Aufsichtsratsmandat durch eine Abberufung nach § 103 Abs. 1 AktG. Da die Nachwahl das Ersatzmitglied ebenso wie im Falle der Abberufung ausscheiden lässt, ist die Nachwahl auch nur unter den dafür maßgebenden Voraussetzungen einer qualifizierten Mehrheit möglich, soweit die Satzung keine abweichende Regelung trifft (§ 103 Abs. 1 Satz 3 AktG). BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 214 f. = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
Soll in der Satzung einer AG bestimmt werden, dass die Hauptversammlung 1150 Aufsichtsratsmitglieder mit einer anderen als der gesetzlichen Mehrheit abberuft, so kann dieses Mehrheitserfordernis nur einheitlich für alle von der Hauptversammlung bestellten Mitglieder angeordnet und darf nicht auf bestimmte Mitglieder beschränkt werden. Das ist nach dem Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder geboten, wonach allen von den Anteilseignern zu wählenden Aufsichtsratsmitgliedern nach der Satzung eine gleich sichere Rechtsstellung zukommt. Die Gleichwertigkeit der Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder wird zwar durch eine zeitlich unterschiedliche Begrenzung ihrer Mandate in der Satzung nicht tangiert. Das ist aber anders bei der Regelung der Abberufungsvoraussetzungen, weil hier eine unterschiedliche Handhabung dazu führen kann, dass sich ein Aufsichtsratsmitglied bei der Wahrnehmung seiner Überwachungs- und Prüfungspflichten und der Mitwirkung an Beschlüssen im Aufsichtsrat entgegen einer besseren Erkenntnis weniger von den Belangen der Gesellschaft als von den Erwartungen bestimmter Aktionäre leiten lässt, wenn es wegen des geringeren satzungsmäßigen Mehrheitserfordernisses und der tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse in der Hauptversammlung befürchten muss, als einziges abberufen zu werden. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 215 f. = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer); BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, ZIP 1987, 1176; BGH, Urt. v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, ZIP 1988, 432.
Unbedenklich ist zwar auch eine Satzungsbestimmung, die bei Wahlen für 1151 den Fall der Stimmengleichheit das Los darüber entscheiden lässt, welcher der Vorgeschlagenen gewählt worden ist. Im Hinblick auf den Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder ist es hingegen unzulässig, an eine solche Wahl die Abberufung eines in den Aufsichtsrat nachgefolgten Ersatzmitglieds zu koppeln.
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E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 14.11.1988 – II ZR 82/88, ZIP 1989, 163, 164, dazu EWiR 1989, 221 (Hüffer).
1152 Soll das gesetzliche Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG) für Beschlüsse der Hauptversammlung gemildert und durch eine einfache Mehrheit ersetzt werden (§ 103 Abs. 1 Satz 3 AktG), so muss dieser Wille in der Satzung eindeutig zum Ausdruck kommen. Das kann in der Form geschehen, dass die mildere Satzungsregelung eingreifen soll, soweit das Gesetz nicht „zwingend“ Abweichendes vorschreibt. BGH, Urt. v. 28.11.1974 – II ZR 176/72, WM 1975, 9; BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, ZIP 1987, 1176, 1177.
1153 Erlischt nach der Satzung das Aufsichtsratsmandat eines Ersatzmitglieds mit der Neuwahl eines ordentlichen Mitgliedes, sagt die Satzung aber nichts darüber aus, ob die Ersatzmitgliedschaft mit dem ersten Nachrücken in den Aufsichtsrat vollständig verbraucht ist oder ob die Ersatzstellung bestehen bleibt und eine erneute Nachfolge eintritt, wenn das Ersatzmitglied bei Wegfall der übrigen ordentlichen Mitglieder und dem daran anknüpfenden Beginn der Amtszeit die für eine ordentliche Mitgliedschaft erforderlichen persönlichen Voraussetzungen erfüllt, stehen der Hauptversammlung beide Möglichkeiten für ihre Beschlussfassung offen. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 218 = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
1154 Enthält der Hauptversammlungsbeschluss über die Bestellung zum Ersatzmitglied des Aufsichtsrats zugleich eine Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen es nach seinem Aufrücken in den Aufsichtsrat sein Amt wieder verliert und verstößt letztere Regelung gegen den Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder, so ist nur dieser Teil des Beschlusses nichtig, falls feststeht, dass auch ohne ihn das Ersatzmitglied von den Gesellschaftern bestellt worden wäre. Das ist für eine mitbestimmte Gesellschaft bejaht worden. Der Zweck, der mit der Bestellung von Ersatzmitgliedern in einer solchen Gesellschaft verfolgt wird, ist es zu gewährleisten, dass der Aufsichtsrat im Falle des Wegfalls eines Aufsichtsratsmitglieds durch sofortiges Nachrücken des Ersatzmitglieds lückenlos paritätisch besetzt bleibt und nicht die Gefahr eintritt, dass die Gesellschafter mit ihren Vertretern im Aufsichtsrat in die Minderheit geraten. Dieser Zweck schließt es aus, dass die Gesellschafter von der Bestellung eines Ersatzmitglieds deshalb abgesehen hätten, weil sie es aus Rechtsgründen nicht in der Weise abberufen können, dass sie für das Mitglied, dem es nachgefolgt ist, einen Nachfolger wählen. Das ist umso mehr der Fall, als wegen des Erfordernisses der gleichzeitigen Wahl (§ 101 Abs. 3 Satz 3 AktG) die Bestellung zu einem späteren Zeitpunkt nicht hätte nachgeholt werden können. BGH, Urt. v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, ZIP 1988, 432 f.
314
I. Zusammensetzung des Aufsichtsrats
6. Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters Nach § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat nach näherer Bestim- 1155 mung der Satzung aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter zu wählen. Das Gesetz eröffnet somit dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, nach Maßgabe der Satzungsbestimmungen auch mehr als einen Stellvertreter zu wählen. Eine Satzungsbestimmung, die vorschreibt, für den Vorsitzenden des Aufsichtsrats mehr als einen Stellvertreter zu wählen, entspricht der in § 107 Abs. 1 Satz 1 AktG getroffenen Regelung. Erfüllt eine Gesellschaft die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 MitbestG, sind Vorsitzender und Stellvertreter unter den sich aus § 27 Abs. 1 und 2 MitbestG ergebenden Einschränkungen zu wählen. Diese Regelung ist zusammen mit dem Zweitstimmrecht bei Stimmengleichheit (§ 29 Abs. 2 MitbestG) Ausdruck des Ausgleichs, den der Gesetzgeber zwischen dem konsequenten Paritätsprinzip und dem dagegen aus der Sicht des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes und der Funktionstüchtigkeit der Unternehmen erhobenen Bedenken gesucht hat. Er wirkt sich lediglich auf die Wahl des Vorsitzenden und seines – ersten – Stellvertreters aus, enthält aber keine Regelung im Hinblick auf die Wahl weiterer Stellvertreter. Eine solche kann also in der Satzung für den Bedarfsfall vorgesehen werden. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 111 f. = ZIP 1982, 434.
Bestimmt die Satzung, dass ein solcher weiterer Stellvertreter dem Kreis der 1156 Aufsichtsratsmitglieder der Aktionäre angehören soll, ist die entsprechende Vorschrift wegen Verstoßes gegen die Wahlfreiheit des Aufsichtsrats und gegen den Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder nichtig. Die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden aus der Mitte des Aufsichtsrats 1157 (§ 107 Abs. 1 AktG; § 27 MitbestG) erfüllt nicht den Zurechnungstatbestand des abgestimmten Verhaltens nach § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG. Einer – von dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht gedeckten, extensiven – Anwendung dieser Norm auf Abstimmungsvorgänge innerhalb des Aufsichtsrats steht die unabhängige Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder entgegen, die allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen unterliegen (§ 111 Abs. 5 AktG). BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 = ZIP 2006, 2077 Rn. 17 f. – WMF, dazu U. H. Schneider, ZGR 2007, 440.
§ 107 Abs. 1 Satz 1 AktG gibt dem Aufsichtsrat die ausschließliche Befugnis, 1158 seinen Vorsitzenden und dessen Stellvertreter „aus seiner Mitte“ frei zu wählen. Sieht man von bestimmten Sonderregelungen im Mitbestimmungsgesetz ab, kennt es kein allgemeines „Bänkeprinzip“, das diese Befugnis, sich als von der Hauptversammlung bestelltes Mitglied für ein Aufsichtsratsmit-
315
E. Der Aufsichtsrat
glied der Arbeitnehmer oder der Anteilseigner zu entscheiden, ausschließt. Diese Wahlfreiheit ist auch als Folge des Grundsatzes geboten, dass alle Aufsichtsratsmitglieder eine individuell gleiche Berechtigung und Verantwortung ohne Rücksicht darauf haben, wer sie in den Aufsichtsrat berufen hat. Dazu gehört das gleiche aktive und passive Wahlrecht, also auch das Recht, jedes Mitglied zum Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter zu wählen oder selbst in eine solche Position berufen zu werden. Vgl. auch BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 147 = ZIP 1982, 440; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 112 f. = ZIP 1982, 434.
7. Beendigung der Mitgliedsstellung 1159 Die Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat endet nach dem Gesetz mit der Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit „beschließt“. Fasst die Hauptversammlung über die Entlastung eines Aufsichtsratsmitglieds in der gesetzlichen oder einer in der Satzung vorgesehenen geringeren Frist keinen Beschluss, endet seine Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat spätestens in dem Zeitpunkt, in dem die Hauptversammlung über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr seit seinem Amtsantritt hätte beschließen müssen (vgl. §§ 102 Abs. 1, 120 Abs. 1 AktG). BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, 1620, dazu EWiR 2003, 45 (Pötter).
1159a Mit dem Erlöschen eines Rechtsträgers infolge Verschmelzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) endet die Organstellung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats. BGH, Beschl. v. 27.1.2015 – II ZB 7/14, ZIP 2015, 655 Rn. 9.
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat 1. Form der Entscheidung 1160 Die Diskussionen im Aufsichtsrat und das Abstimmungsverhalten der Mitglieder des Aufsichtsrats sind vertraulich, und zwar unabhängig davon, ob dies auch für den Gegenstand der Beratung selbst gilt. BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 47 mit. Anm. Kersting.
1161 Der Aufsichtsrat entscheidet durch Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG). Nur der in einem Beschluss zum Ausdruck gekommene einheitliche oder mehrheitliche Wille der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder stellt den Willen des Aufsichtsrats dar. Was nicht in einem Beschluss seinen Niederschlag gefunden hat, kann nicht als Stellungnahme des Aufsichtsrats angesehen werden. BGH, Urt. v. 29.1.1959 – II ZR 206/57, AG 1959, 286; BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286.
316
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat
Dieser Vorgang einheitlicher Willensbildung kann nicht durch die Entschei- 1162 dung eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden, weil diese ihren Willen abweichend vom Aufsichtsrat bilden könnten. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 621 (Rohde); BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
Aufsichtsratsbeschlüsse können nur ausdrücklich, nicht jedoch stillschwei- 1163 gend gefasst werden. Es muss aus Gründen der Rechtssicherheit gewährleistet sein, dass das Zustandekommen eines Beschlusses festgestellt werden kann. Dies ist bei stillschweigend gefassten Beschlüssen nicht möglich, weil bei diesen nicht die für eine Abstimmung unerlässlichen Feststellungen darüber getroffen werden können, ob die Beschlussfähigkeit gewährleistet war, eine zustimmende oder ablehnende Erklärung abgegeben oder Stimmenthaltung geübt worden ist. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 194; BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286; BGH, Urt. v. 21.9.1970 – II ZR 13/69, WM 1970, 1394, 1395; BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, 217, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 12; BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 14 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
Bringt der Aufsichtsrat lediglich stillschweigend oder konkludent seine Zu- 1164 stimmung zum Ausdruck oder tut seine Meinung kund, entfalten derlei Äußerungen keinerlei Rechtswirkungen. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 14 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
In Betracht kommt allenfalls eine nachträgliche Genehmigung durch einen 1165 „weiteren“ Beschluss des Aufsichtsrats. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 14 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
Wenn ein Beschluss ausdrücklich gefasst ist, ist er auslegungsfähig.
1166
BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, 217 dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche).
Die Auslegung eines Aufsichtsratsbeschlusses kann dazu führen, dass ein über 1167 den ausdrücklichen Beschlusswortlaut hinausgehender Erklärungsinhalt zu berücksichtigen ist.
317
E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 340; BGH, Urt. v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506; BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295; dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
2. Ausführung des Beschlusses 1168 Der Aufsichtsrat ist für die Ausführung des Beschlusses zuständig. Liegt ein ausdrücklicher Beschluss vor, kann der Aufsichtsrat nach außen auch schlüssig handeln, etwa eine Prozessführung genehmigen. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 12.
1169 Soweit der Aufsichtsrat aufgrund eines Beschlusses nach außen handelt, wird er durch den Aufsichtsratsvorsitzenden vertreten. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 15 f. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); vgl. Drescher, WM Sonderbeilage 2013 Nr. 2, S. 7.
1170 Wenn das Gesetz wie beim Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung nach § 171 Abs. 2 AktG Schriftlichkeit verlangt, muss ein Schriftstück daher vom Aufsichtsratsvorsitzenden unterzeichnet sein. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 15 f. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); vgl. Drescher, WM Sonderbeilage 2013 Nr. 2, S. 7.
1171 Der Aufsichtsrat kann die Ausführung des Beschlusses – im Gegensatz zur Beschlussfassung selbst (§ 111 Abs. 5 AktG) – einem Mitglied des Aufsichtsrats oder des Vorstands übertragen, dem auch die Einzelheiten der Formulierung eines im Wesentlichen festgelegten Vertragsinhalts überlassen werden können. BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 333 ff.; BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 340; BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 285; BGH, Urt. v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570 (GmbH); BGH, Urt. v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158, 159.
1172 Ob das auch eine Person sein kann, die weder dem Aufsichtsrat noch dem Vorstand angehört, ist zwar noch nicht entschieden. Dagegen dürften sich aber im Hinblick auf die Botenstellung des Überbringers keine Bedenken ergeben. Vgl. BGH, Urt. v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120 (GmbH).
1173 Der Aufsichtsrat kann sich zur Übermittlung seiner Entscheidungen eines Boten bedienen. Er braucht sie dem (außenstehenden) Betroffenen weder selbst (in der Sitzung oder schriftlich) noch durch einen Beauftragten aus seiner Mitte bekanntzugeben. Er kann damit auch ein Vorstandsmitglied be-
318
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat
trauen. Bedient sich demnach der Aufsichtsrat bei der Übermittlung der von ihm beschlossenen Kündigung an den Gekündigten des Vorstands als Boten, können daraus keine rechtlichen Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigungserklärung gegenüber einem Vorstandsmitglied hergeleitet werden. BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 334 ff.
Einer gesonderten Übermittlung einer im Beschluss niedergelegten Erklärung 1174 bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene an der Versammlung, in welcher der Beschluss gefasst worden ist, teilgenommen hat. BGH, Urt. v. 19.6.1961 – II ZR 123/59, WM 1961, 799, 800; BGH, Urt. v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 320.
3. Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats Die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats kann, soweit sie nicht gesetzlich ge- 1175 regelt ist, durch die Satzung bestimmt werden (§ 108 Abs. 2 Satz 1 AktG). Ist sie weder gesetzlich noch durch die Satzung geregelt, so ist der Aufsichtsrat nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder, aus denen er nach Gesetz oder Satzung insgesamt zu bestehen hat – mindestens aber eine Zahl von drei – an der Beschlussfassung teilnimmt (§ 108 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG, § 28 Satz 1 MitbestG). Der Ausschluss des Stimmrechts bei einem von drei Aufsichtsratsmitgliedern 1176 bei der Abstimmung über die Billigung eines mit ihm geschlossenen Beratervertrags entsprechend § 34 BGB führt nicht zur Beschlussunfähigkeit des Organs gem. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG. Vielmehr kann und muss das betreffende Aufsichtsratsmitglied zur Vermeidung einer Beschlussunfähigkeit des Organs an der Beschlussfassung „teilnehmen“, hat sich aber der Stimme zu enthalten. BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 13
Dagegen zählt die Stimme eines bereits ausgeschiedenen Aufsichtsratsmit- 1177 glieds, dessen Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat geendet hat, nicht mit. BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, 1620, dazu EWiR 2003, 45 (Pötter).
Es ist nicht zulässig, wenn die Satzung die Beschlussfähigkeit an die weiter- 1178 gehende Voraussetzung bindet, dass mindestens die Hälfte der an der Beschlussfassung Teilnehmenden Vertreter der Anteilseigner sind und sich unter ihnen der Vorsitzende des Aufsichtsrats befindet. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 153 ff. = ZIP 1982, 442.
Es erscheint zweifelhaft, ob § 28 Satz 2 MitbestG i. V. m. § 108 Abs. 2 Satz 4 1179 AktG die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats für die von § 1 MitbestG erfassten Unternehmen abschließend regelt und nicht nur eine Mindestrege-
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E. Der Aufsichtsrat
lung enthält. Der Bundesgerichtshof hat es offengelassen, ob §§ 28 und 29 MitbestG ein allgemeines Prinzip der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats enthalten, das über die Rechtslage nach dem Aktiengesetz und den unmittelbaren Regelungsbereich dieser Vorschriften hinaus Satzungsbestimmungen der vorliegenden Art entgegensteht. Die Nichtigkeit ergibt sich bereits aus einem Verstoß gegen den Grundsatz, dass alle Aufsichtsratsmitglieder die gleichen Rechte und Pflichten haben. Damit ist es unvereinbar, dass der Aufsichtsrat beschlussunfähig sein soll, wenn weniger als die Hälfte Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner sind, hingegen Beschlussfähigkeit besteht, wenn eine solche Situation bei den Arbeitnehmervertretern eingetreten ist. Damit wird der Stimme jedes einzelnen Arbeitnehmervertreters ein geringeres Gewicht beigemessen als derjenigen jedes Anteilseignervertreters. Das lässt sich nicht mit dem im Gesetz selbst angelegten „leichten Übergewicht“ der Anteilseignerseite rechtfertigen. Dieses lässt Unterscheidungen, die an die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen anknüpfen, nur in den ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen Fällen zu. Einer Erweiterung durch die Satzung ist diese in sich abgeschlossene Regelung nicht zugänglich. Es verstößt ferner gegen das Gesetz, dass die Satzung die Teilnahme des Aufsichtsratsvorsitzenden zur unabdingbaren Voraussetzung für das Zustandekommen des Beschlusses macht. Nach §§ 29 Abs. 2 und 31 Abs. 4 und 5 MitbestG hat er lediglich die Befugnis, seine zweite Stimme zur Auflösung der „Pattsituation“ einzusetzen. Darüber geht die Satzungsbestimmung weit hinaus, weil sie jede Form der Beschlussfassung ohne seine Teilnahme verhindert und damit seiner Stimmberechtigung ein ungleich größeres Gewicht beigelegt wird als ihr im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern zukommt. Zudem wird die Funktion des nach § 27 MitbestG vorgeschriebenen Stellvertreters weitgehend ausgeschaltet. 1180 Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats wird durch § 104 AktG gewährleistet. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift sind Vorstand, ein Mitglied des Aufsichtsrats oder ein Aktionär berechtigt, bei Gericht einen Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats zu stellen, wenn dem Aufsichtsrat die zur Beschlussfassung erforderliche Anzahl von Mitgliedern nicht angehört. BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 296/01, ZIP 2002, 1619, 1621, dazu EWiR 2003, 45 (Pötter).
4. Teilnahme Dritter an Aufsichtsratssitzungen 1181 Nach § 109 Abs. 1 AktG sollen Personen, die weder zum Aufsichtsrat noch zum Vorstand gehören, an den Sitzungen des Aufsichtsrats nicht teilnehmen. Die Satzung kann zulassen, dass an den Sitzungen des Aufsichtsrats Personen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören (Dritte), an Stelle von verhinderten Aufsichtsratsmitgliedern teilnehmen können, wenn diese sie hierzu in Textform ermächtigt haben (§ 109 Abs. 3 AktG). Sachverständige und Auskunftspersonen können zur Beratung über einzelne Gegenstände hinzugezogen werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG).
320
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat
Der beauftragte Dritte ist kein Stellvertreter des verhinderten Aufsichtsrats- 1182 mitglieds, sondern Bote. Er hat kein eigenes Stimmrecht und auch kein eigenes Antragsrecht. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 109 Rn. 7; Habersack, in: MünchKomm-AktG, § 109 Rn. 38 m. w. N.
Ein Aufsichtsratsbeschluss ist nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefasst, 1183 wenn Dritte (Nichtmitglieder) dennoch mitgestimmt haben und ihre Stimmen für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich geworden sind. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 17, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
Nehmen Dritte an einer Abstimmung des Aufsichtsrats teil, ist das unschäd- 1184 lich, wenn feststeht oder von der Gesellschaft bewiesen werden kann, dass der gefasste Beschluss nicht auf der Stimmabgabe durch den Dritten beruht. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346.
Mit dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof seine frühere strenge 1185 Auffassung, BGH, Urt. v. 24.2.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 330 f.,
aufgegeben, ein solcher Beschluss sei nicht nur unwirksam, wenn die Mehrheit nur mit der Stimme des Dritten erwirkt worden sei, sondern auch dann, wenn die Willensbildung der Aufsichtsratsmitglieder durch die ungerechtfertigte Teilnahme Dritter an der Abstimmung beeinflusst worden sei. Diese Auffassung war nicht haltbar. Denn die gesetzliche Regelung zeigt, dass Dritte unter bestimmten Voraussetzungen an Aufsichtsratssitzungen teilnehmen können. In allen diesen Fällen ist die Beeinflussung eines Aufsichtsratsbeschlusses durch den Dritten möglich und nach der gesetzlichen Regelung sogar zur sachgemäßen Meinungsbildung erwünscht. Beteiligt sich der Dritte an der Abstimmung, so ist der Beschluss nichtig, wenn ohne diese Stimme der Beschluss nicht zustande gekommen wäre. 5. Das Aufsichtsratsmitglied als Dritter Ein Aufsichtsratsbeschluss ist wie gesagt nicht mit der erforderlichen Mehr- 1186 heit gefasst, wenn Nichtmitglieder mitgestimmt haben und ihre Stimmen für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich geworden sind. BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 17, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
Nicht Mitglied des Aufsichtsrats ist nicht nur das nichtig gewählte Auf- 1187 sichtsratsmitglied, sondern auch das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl erfolgreich angefochten worden ist. 321
E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 17, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1188 Ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, ist für die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat daher wie ein Nichtmitglied zu behandeln. War die Stimme des als Nichtmitglied zu behandelnden Aufsichtsratsmitglieds für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich, ist ein entsprechender Beschluss nicht gefasst worden oder es kommt sogar die Umkehrung des Beschlussergebnisses in Betracht. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 20 f., dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 26.
1189 Der Zweck der Gleichbehandlung der fehlerhaften mit der ordnungsgemäßen Bestellung eines Organs, wie er in der Lehre vom faktischen Organ Ausdruck findet, das Vertrauen unbeteiligter Dritter zu schützen und den Schwierigkeiten bei einer Rückabwicklung von Dauerschuldverhältnissen zu begegnen, betrifft Aufsichtsratsbeschlüsse nicht in jedem Fall. Soweit eine Rückabwicklung den berechtigten Interessen der Beteiligten widersprechen würde, ist dem im Einzelfall zu begegnen. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 21, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1190 Soweit Aufsichtsratsbeschlüsse gegenüber außenstehenden Dritten vollzogen werden, sind Dritte, die die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht kennen oder kennen müssen, bereits dadurch geschützt, dass sie auf die Handlungsbefugnis desjenigen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht, vertrauen dürfen. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 22, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1191 Organmitglieder, die die Nichtigkeit kennen oder kennen müssen, sind dagegen nicht schutzwürdig, jedenfalls nicht über die Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl hinaus. Die Lehre vom faktischen Organ ist daher auf die Stimmabgabe bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit der Prozessführung im Prozess mit dem Vorstand nicht anwendbar. Der Vorstand ist als Organ der Gesellschaft nicht schutzwürdig, weil er die Nichtigkeit der Wahl kennen muss. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 23, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 24, 26.
1192 Dort, wo das Vorliegen eines Aufsichtsratsbeschlusses wie bei den Vorschlägen zur Beschlussfassung der Hauptversammlung (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) Anknüpfungspunkt für eine Entscheidung der Hauptversammlung ist, ist der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluss bei der ursächlichen Mitwirkung eines
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II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat
Mitglieds, dessen Wahl zum Aufsichtsrat angefochten, aber noch nicht für nichtig erklärt ist, trotz einer späteren Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses für die Entscheidung der Hauptversammlung nicht relevant. Vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 25, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); sowie unten Rn. 1385.
6. Fehlerhaftigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen a) Feststellungsklage aa) Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer älteren Entscheidung in einem 1193 „obiter dictum“ ausgesprochen, dass Aufsichtsratsbeschlüsse nicht anfechtbar seien. BGH, Urt. v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 265.
Die Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit,
1194
vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346,
hat durch Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses zu erfolgen (§ 256 ZPO). BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 125 = ZIP 1982, 568 (Aktionärsklage); BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 = ZIP 1982, 440; BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = ZIP 1983, 55; BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 344 f. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
In der Lehre wird teilweise in analoger Anwendung der §§ 241 ff. AktG zwi- 1195 schen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen unterschieden. Vgl. die Nachweise bei Hüffer/Koch, AktG, § 108 Rn. 28; Habersack, in: MünchKomm-AktG, § 108 Rn. 81.
Der Bundesgerichtshof ist dieser Ansicht nicht gefolgt. Vgl. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 347 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner) mit ausführlicher Begründung.
Zusammenfassend kann gesagt werden, die Klärung der Fehlerhaftigkeit von 1196 Aufsichtsratsbeschlüssen unterliegt nicht den einschränkenden Vorschriften der §§ 241 ff. AktG. Ein verfahrensrechtlich unter Verletzung zwingenden Gesetzes- oder Satzungsrechts zustande gekommener oder ein inhaltlich gegen Gesetz oder Satzung verstoßender Beschluss des Aufsichtsrats ist nichtig.
323
E. Der Aufsichtsrat
Diese Nichtigkeit kann mit der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden. BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316; BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß).
bb) Feststellungsinteresse 1197 Ein Aufsichtsratsmitglied hat kraft seiner Organstellung ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass die im Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse wirksam sind. Das gilt sowohl für Beschlüsse, an denen das Aufsichtsratsmitglied selbst mitgewirkt hat und bei denen es überstimmt worden ist, BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 = ZIP 1982, 440; BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 248 = ZIP 1997, 883; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 23, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß),
als auch für Beschlüsse, die schon vor der Amtszeit des Aufsichtsratsmitglieds gefasst worden sind, aber noch während seiner Amtszeit Wirkung entfalten. Denn die Verantwortung für ein gesetz- und satzungsmäßiges Handeln der Organe der Gesellschaft bezieht sich auch auf derartige Beschlüsse. Gerade von einem neu in den Aufsichtsrat berufenen Mitglied kann nicht erwartet werden, dass es sich mit nichtigen Beschlüssen abfindet, nur weil sie vor seiner Amtszeit gefasst worden sind. BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 12, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 23, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1198 Das Feststellungsinteresse erstreckt sich auf die Frage, ob und mit welchem Inhalt ein Aufsichtsratsbeschluss gefasst worden ist. BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 15, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß).
cc) Prozessrechtsverhältnis 1199 Die Feststellungsklage ist gegen die Gesellschaft zu richten. Das beruht darauf, dass der Aufsichtsrat als ihr Organ den Beschluss gefasst hat und sie aus den aufgrund des Beschlusses durchgeführten Maßnahmen berechtigt und verpflichtet wird.
324
II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 125 = ZIP 1982, 568 (Aktionärsklage); BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 146 = ZIP 1982, 440; BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = ZIP 1983, 55; BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 344 f. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner); BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316.
In einem von einem Aufsichtsratsmitglied gegen die Gesellschaft geführten 1200 Nichtigkeitsfeststellungsprozess wird diese nach § 78 AktG durch den Vorstand vertreten. Eine Vertretung durch den Aufsichtsrat in entsprechender Anwendung des § 112 AktG kommt nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 345 f. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
In einem von einem Vorstandsmitglied gegen die Gesellschaft geführten 1201 Nichtigkeitsfeststellungsprozess, wird die Gesellschaft durch den Aufsichtsrat als Organ vertreten. In die Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats fällt im Passivprozess mit dem Vorstand etwa die Frage, inwieweit ein Anspruch im Rahmen der Dispositionsbefugnis der Gesellschaft anerkannt werden kann oder ob im Falle des Unterliegens von einem Rechtsmittel Gebrauch gemacht werden soll. BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß).
Das einzelne Aufsichtsratsmitglied kann in diesem Fall dem Rechtsstreit als 1202 Nebenintervenient beitreten. BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß).
Denn in gleicher Weise, wie das Aufsichtsratsmitglied ein rechtliches Interesse daran haben kann, feststellen zu lassen, dass ein Aufsichtsratsbeschluss nichtig ist, folgt aus seiner Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse auch ein Interesse an der Verteidigung eines von ihm für rechtmäßig gehaltenen Aufsichtsratsbeschlusses, wenn der Vorstand dessen Wirksamkeit in Frage stellt. Denn hierdurch wird unmittelbar in seinen Verantwortungsbereich eingegriffen. Nichts anderes gilt, wenn der Vorstand geltend macht, ein Abberufungsbeschluss sei gar nicht gefasst worden. b) Rechtsfolge der Nichtigkeit Die Rechtsfolge der Nichtigkeit erfasst von dem Beschluss eines mehrköpfigen 1203 Organs grundsätzlich nur den Teil des Beschlussgegenstands, der gegen eine die Nichtigkeit des Beschlusses anordnende gesetzliche Norm verstößt. Im
325
E. Der Aufsichtsrat
Rahmen des § 256 AktG ist das der festgestellte Jahresabschluss, der sich aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung zusammensetzt (§ 242 Abs. 3 HGB) und mit dem der Anhang (§§ 284 ff. HGB) nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht nur formal, sondern auch inhaltlich eine Einheit bildet. Die Nichtigkeit erstreckt sich hingegen nicht auf die Beschlussfassung über den Lagebericht (§ 289 HGB), den Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) und den Bericht der Abschlussprüfer (§ 316 Abs. 1 HGB, § 313 AktG). Der Lagebericht bildet einen eigenständigen Teil der Rechnungslegung, der Abhängigkeitsbericht – und der Prüfungsbericht der Abschlussprüfer ohnehin – ist nach der gesetzlichen Regelung kein Bestandteil des Jahresabschlusses. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 121 f. = ZIP 1993, 1862, 1865, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
1204 Der dem Lagebericht, Abhängigkeitsbericht und Prüfungsbericht der Abschlussprüfer zustimmende Teil des Aufsichtsratsbeschlusses kann jedoch über § 139 BGB von der Nichtigkeit erfasst werden. Ob diese Vorschrift auf Aufsichtsratsbeschlüsse angewandt werden kann, hängt davon ab, ob ihnen generell rechtsgeschäftlicher Charakter zuzuerkennen ist oder ob sie, soweit sie lediglich interne Wirkung haben, nur als „Sozialakte“ verstanden werden können. § 139 BGB ist jedenfalls dann auf Beschlüsse anwendbar, wenn sie auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung sozial- oder individualrechtlicher Befugnisse gerichtet sind und ihnen schon deswegen ein rechtsgeschäftlicher Charakter zuerkannt werden muss. Diese Voraussetzungen sind bei der Feststellung des Jahresabschlusses von Vorstand und Aufsichtsrat gegeben, weil mit ihm der Bilanzgewinn für die Hauptversammlung verbindlich festgestellt wird (§§ 174 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 AktG). Dadurch wird der gegen die Gesellschaft gerichtete mitgliedschaftliche Anspruch der Aktionäre auf Herbeiführung des Gewinnverwendungsbeschlusses begründet, den jeder Aktionär durch Erhebung einer Leistungsklage geltend machen kann. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 122 ff. = ZIP 1993, 1862, 1865 f., dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
1205 Knüpft ein Aufsichtsratsbeschluss sachlich an einen vorhergegangenen Beschluss des Aufsichtsrats an, dessen Wirksamkeit er voraussetzt, trifft der Rechtsgedanke des § 139 BGB auch auf einen solchen Beschluss zu. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 123 f. = ZIP 1993, 1862, 1866, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
1206 Die Kündigung des Anstellungsvertrags eines Vorstandsmitglieds ist dann nichtig, wenn ihr kein wirksamer Aufsichtsratsbeschluss zugrunde liegt. § 180 BGB ist schon aus diesem Grunde unanwendbar. Es kommt unter diesen Umständen nicht darauf an, ob nach dieser Bestimmung eine Kündigung als Gestaltungserklärung mit rückwirkender Kraft genehmigt werden kann, soweit sie durch einen Nichtberechtigten ausgesprochen werden kann. BGH, Urt. v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570; BGH, Urt. v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350, 1351;
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II. Beschlussverfahren im Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 12.7.1971 – II ZR 127/69, WM 1971, 1150; BGH, Urt. v. 29.1.1976 – II ZR 3/74, WM 1976, 379.
Fehlt ein wichtiger Grund für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds i. S. d. 1207 § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG, macht das nicht den Abberufungsbeschluss des Aufsichtsrats unwirksam, sondern die Abberufungserklärung. Denn diese Bestimmung betrifft nicht die Willensbildung im Aufsichtsrat, sondern den namens der Gesellschaft erklärten Widerruf. BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811; BGH, Urt. v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 614, 615.
Wird ein zwar nicht angekündigter, von allen Aufsichtsratsmitgliedern aber 1208 beratener wesentlicher Punkt nach einer Sitzungspause, während derer sich einzelne Aufsichtsratsmitglieder entfernen, weiter erörtert und durch einen Beschluss abgeschlossen, ist der Beschluss wirksam. Der Grund, aus dem ein Beschluss über einen nicht angekündigten Punkt als nichtig angesehen werden kann, liegt darin, dass der Aufsichtsrat als Kollegialorgan tätig wird und die satzungsmäßige Erledigung seiner Aufgaben voraussetzt, dass seine Mitglieder über die zu beratenden Punkte unterrichtet werden und ihre Ansicht darüber zu Gehör bringen können. Dem ist dann, wenn alle Mitglieder erschienen sind und an der Beratung teilgenommen haben, genügt. BGH, Urt. v. 29.1.1959 – II ZR 206/57, AG 1959, 286.
Ein Anstellungsvertrag, der wegen mangelhafter Vertretung unwirksam ist, 1209 kann durch den Aufsichtsrat als dem für den Abschluss zuständigen Organ genehmigt werden (§ 184 Abs. 1 BGB). Dazu ist ein ausdrücklicher Beschluss erforderlich. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 285 ff.
c) Fehler Auch für Aufsichtsratsmitglieder gilt das Stimmverbot unter dem Gesichts- 1210 punkt des Verbots des Richtens in eigener Sache. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 24.
Ein Stimmverbot kann bei einer Beschlussfassung des Aufsichtsrats im Rahmen 1211 eines Prozesses mit einem Vorstandsmitglied nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass das betreffende Aufsichtsratsmitglied zuvor am Zustandekommen eines Beschlusses beteiligt war, über dessen Wirksamkeit in dem Rechtsstreit mit dem Vorstand gestritten wird. Wegen der Aufgabenverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat wird häufig in Prozessen mit Vorstandsmitgliedern die Wirksamkeit eines den Vorstand betreffenden Aufsichtsratsbeschlusses zu klären sein. Es widerspräche der Kompetenzzuweisung des § 112 AktG, wollte man bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Vertretung der Gesellschaft in einem Prozess gegen Vorstandsmitglieder ein Stimmverbot von Aufsichtsratsmitgliedern allein schon
327
E. Der Aufsichtsrat
deshalb annehmen, weil diese an einer früheren, für den Gegenstand des Prozesses (möglicherweise) bedeutsamen Beschlussfassung des Aufsichtsrats beteiligt waren. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 24.
1212 Der Aufsichtsrat kann von einem Recht, das ihm zusteht, im Einzelfall einen rechtsmissbräuchlichen Gebrauch machen. Bezieht sich der Rechtsmissbrauch auf eine Beschlussfassung, ist der betreffende Beschluss nichtig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Aufsichtsrat für diesen Beschluss wichtige Gründe hat. Entscheidend ist vielmehr, ob er mit dem Beschluss Motive verfolgt, die sich vor dem Hintergrund seiner Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber als rechtsmissbräuchlich erweisen. BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 31, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316.
III. Aufsichtsratsausschüsse 1213 Nach § 107 Abs. 3 AktG kann der Aufsichtsrat aus seiner Mitte Ausschüsse bestellen, denen namentlich die Aufgabe übertragen werden kann, seine Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung seiner Beschlüsse zu überwachen, wobei bestimmte Aufgaben von der Überweisung zur Beschlussfassung an Stelle des Aufsichtsrats ausgenommen werden. 1. Mitgliederzahl 1214 Beschließenden Ausschüssen müssen mindestens drei Aufsichtsratsmitglieder angehören. BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 191 ff.; BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck); BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869.
Das ist aus mehreren Umständen zu schließen: Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 AktG beträgt die Mindestzahl der Aufsichtsratsmitglieder drei. Nach § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG müssen mindestens drei Mitglieder an der Beschlussfassung des Aufsichtsrats teilnehmen. Die Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nimmt von der Überweisung zur Beschlussfassung an Stelle des Aufsichtsrats bestimmte Aufgaben aus. Diese gesetzliche Regelung stellt gegenüber dem früher geltenden Recht lediglich klar, in welchem Umfang einem Ausschuss auch Entscheidungen an Stelle des Gesamtaufsichtsrates übertragen werden können. Sie enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass für die weniger wichtigen, der Entscheidung des Gesamtaufsichtsrats nicht vorbehaltenen Angelegenheiten die gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Aufsichtsrats nicht gelten sollen. Das folgt auch aus der Überlegung, dass die Bestimmung einer Mindestzahl für die Beschluss-
328
III. Aufsichtsratsausschüsse
fähigkeit des Aufsichtsrats im Interesse der Gesellschaft und ihrer Mitglieder Zufallsentscheidungen verhüten und damit eine möglichst sachgerechte kollegiale Meinungsbildung gewährleisten soll. Dieser Gedanke ist auch für die Aufsichtsratsausschüsse bedeutsam: Bei einem mindestens dreiköpfigen Ausschuss ist in höherem Maße gewährleistet, dass möglichst alle für eine sachgemäße Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte bedacht und einseitige Beurteilungen vermieden werden, als das in einem nur mit zwei Personen besetzten Gremium der Fall ist. Zudem besteht bei einem aus zwei Personen gebildeten Ausschuss die Gefahr, dass eine Einigung nicht zustande kommt und als Folge Entscheidungen zum Nachteil des Unternehmens unterbleiben oder dass ein Mitglied, um diesen Nachteil zu vermeiden, letztlich nachgibt, ohne von den Argumenten des anderen überzeugt zu sein. Das würde zu einem Übergewicht eines Mitgliedes führen und im Ergebnis auf dessen alleinige Entscheidungsmacht hinauslaufen. Eine solche Unausgewogenheit entspricht nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers von einer Kollegialentscheidung. 2. Rechtsfolgen für das Handeln nicht ordnungsgemäß besetzter Ausschüsse Beschlüsse eines nicht vorschriftsmäßig besetzten Ausschusses sind nichtig. 1215 Verträge, die seine Mitglieder mit Dritten abschließen, sind schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB). Die Ausschussmitglieder handeln als Vertreter ohne Vertretungsmacht i. S. d. § 179 BGB. BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
Nach
1216 BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194 ff
sind die in der Vergangenheit von einem Zweimann-Ausschuss beschlossenen und abgeschlossenen Anstellungsverträge als voll wirksam zu behandeln, wenn das vom Aufsichtsrat bestellte Vorstandsmitglied aufgrund des Vertrages für die Gesellschaft tätig geworden ist. Diese Entscheidung darf jedoch nicht verallgemeinert werden. Wird eine in den Vorstand einer AG berufene Person für die Gesellschaft tätig, ohne dass der Anstellungsvertrag wirksam abgeschlossen worden ist, so ist dieser Vertrag für die Dauer der Beschäftigung des Betroffenen so zu behandeln, als wäre der Vertrag wirksam. Die Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis werden also sinngemäß angewandt. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286 f.; BGH, Urt. v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506.
Ob ein solcher Vertrag auch über den Tätigkeitszeitraum des Betroffenen 1217 hinaus – bis zu dessen fristgemäßem Ablauf (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG) – als wirksam anzusehen ist, kann in der Regel nur für den Einzelfall auf der Grundlage des § 242 BGB entschieden werden. Hat sich das betroffene Vor-
329
E. Der Aufsichtsrat
standsmitglied in seinen beruflichen Dispositionen auf den Vertrag und seine Gültigkeit eingestellt und hat die Gesellschaft die mehrere Jahre währende Vorstandstätigkeit nicht nur hingenommen, sondern das Vorstandsmitglied in seinem Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit des Vertrages durch Erhöhung der Bezüge bestärkt und hat der Aufsichtsrat Beschlüsse über den Anstellungsvertrag gefasst, ohne zum Ausdruck zu bringen, dass er den Vertrag nicht als maßgebend erachte, so setzt sich die Gesellschaft zu diesem Verhalten in Widerspruch, wenn sie sich später auf die Unwirksamkeit des Vertrages beruft. BGH, Urt. v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506, 507.
1218 Ein allgemeiner, in die Zukunft wirkender Schutz des Vertrauens auf die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften und Verträgen aufgrund einer bestimmten Rechtslage, von der beide Parteien bei Vertragsabschluss ausgegangen sind, kann als Ausnahme nur bei Vorliegen vollkommen außergewöhnlicher Umstände bejaht werden, wie das in BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190
zum Ausdruck gebracht worden ist: Die Frage der Zusammensetzung des Aufsichtsratsausschusses war im Schrifttum umstritten. In der Praxis hatte sich überwiegend eine Zweimann-Besetzung als gängige und zulässig erachtete Regelung durchgesetzt. Die Beteiligten hatten sich allgemein auf die Gültigkeit der auf diese Weise zustande gekommenen Anstellungsverträge eingestellt. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage lag nicht vor. Unter solchen Ausnahmeumständen wäre es mit Treu und Glauben und einer gerechten Interessenabwägung nicht vereinbar, alle in der Vergangenheit liegenden, von einem Zweimann-Ausschuss beschlossenen und mit den Vorstandsmitgliedern abgeschlossenen Verträge aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von nun an als unwirksam zu behandeln, nachdem sich beide Seiten unter Umständen schon jahrelang dem Vereinbarten entsprechend verhalten hatten. BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194; BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 296, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck); BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 136 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler).
3. Grenzen der Zuständigkeit 1219 § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nimmt bestimmte, dem Aufsichtsrat nach dem Gesetz obliegende Aufgaben von der Überweisung an den Ausschuss zur Beschlussfassung aus. Dazu gehören (erstmalige und wiederholte) Organbestellung (§ 84 Abs. 1 Satz 1 und 3 AktG), die Ernennung zum Vorsitzenden des Vorstandes (§ 84 Abs. 2 AktG) sowie deren Widerruf (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG), nicht aber, wie sich aus der Verweisungstechnik des Gesetzes ergibt, Abschluss, Änderung und Aufhebung des Anstellungsvertrags (§ 84 Abs. 1 330
III. Aufsichtsratsausschüsse
Satz 5, Abs. 3 Satz 5 AktG). Hat der Aufsichtsrat als das für die Bestellung und Abberufung zuständige Organ die Regelung des Anstellungsverhältnisses der Vorstandsmitglieder einem aus seiner Mitte gebildeten Ausschuss übertragen, so darf dieser nicht durch den verfrühten Abschluss eines Anstellungsvertrags oder dessen vorzeitige Kündigung einer Entscheidung des übergeordneten Gesamtorgans über die Bestellung oder den Widerruf vorgreifen. Ebenso wenig kann er wirksam durch Vertrag mit einem Vorstandsmitglied einverständlich die Beendigung des Vorstandsamts herbeiführen, und zwar auch nicht mit einer Bereinigung des Anstellungsverhältnisses. BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38 = ZIP 1981, 45 (Sparkasse); BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 150 = ZIP 1982, 440; vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.2009 – II ZA 9/08, ZIP 2009, 1058 Rn. 3.
Organbestellung und vertragliche Anstellung eines Vorstandsmitglieds sind 1220 verschiedene Rechtsverhältnisse, die ein unterschiedliches Schicksal haben können. Gleichwohl bestehen zwischen ihnen Zusammenhänge, die zu gegenseitigen rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen führen können: Die Beendigung der Organstellung hat zwar nicht ohne weiteres das Erlöschen des Dienstverhältnisses zur Folge, sie wird aber häufig aus tatsächlichen Gründen mit dessen Auflösung verbunden sein. Die wirksame Kündigung des Anstellungsvertrags entzieht der Organstellung allerdings regelmäßig den Boden, weil ein Vorstandsmitglied im Allgemeinen nicht ohne vertragliche Grundlage weiter arbeiten wird. Unter derartigen Umständen hat die Zuständigkeit des Ausschusses dort seine Grenzen, wo die Regelung des Anstellungsverhältnisses in die – ausschließliche – Bestellungs- und Abberufungszuständigkeit des Aufsichtsrats eingreift. Nicht nur die Kündigung, sondern auch die einverständliche Auflösung und Abwicklung des Anstellungsverhältnisses führt zu einem solchen Eingriff in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, wenn sie darauf hinausläuft, eine Entscheidung des Bestellungsorgans über Fortdauer und Ende des Organverhältnisses vorwegzunehmen. Ein Vergleich zwischen Ausschuss und Vorstandsmitglied, mit dem die Beendigung des Vorstandsamts in Verbindung mit einer Bereinigung des Anstellungsverhältnisses herbeigeführt wird, fällt in die alleinige Zuständigkeit des Aufsichtsrats. BGH, Urt. v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38 = ZIP 1981, 45; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 150 = ZIP 1892, 440; vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH, Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 54 f. = ZIP 1984, 55; BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, ZIP 1991, 580, 582, dazu EWiR 1991, 583 (Riegger).
Einem Ausschuss für Personalangelegenheiten kann die Entscheidungsbe- 1221 fugnis über Kredit- und Vorschussangelegenheiten i. S. d. § 89 Abs. 1 AktG 331
E. Der Aufsichtsrat
übertragen werden. Zwar bestimmt das Gesetz (§ 89 Abs. 1 Satz 1 AktG), dass darüber der Aufsichtsrat durch Beschluss entscheidet. Darin liegt jedoch kein Zustimmungsvorbehalt i. S. d. § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG. Unter Beschlüssen, nach denen bestimmte Arten von Geschäften nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen und die er nicht einem Ausschuss übertragen darf, sind nur solche i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zu verstehen. BGH, Urt. v. 27.5.1991 – II ZR 87/90, ZIP 1991, 869.
4. Zusammensetzung und Beschlussfassung des Ausschusses 1222 Satzungsklauseln, die das Verfahren in den Aufsichtsratsausschüssen generell in bestimmter Weise regeln, sind unter der Voraussetzung zulässig, dass sie das pflichtgemäße Ermessen des Aufsichtsrats, wie er seine Arbeitsweise sachlich und personell gestalten will, nicht in einer mit Sinn und Wortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG unvereinbaren Weise einengen. Es bestehen keine Bedenken gegen Bestimmungen über den Stichentscheid in Ausschüssen, die weder die Aufgaben der Ausschüsse noch die Zugehörigkeit bestimmter Aufsichtsratsmitglieder festlegen, so dass seine Auswahlfreiheit unberührt bleibt. Insoweit enthält § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG keine abschließende Regelung, so dass nach § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG eine Ergänzung in der Satzung vorgenommen werden kann. Das entspricht der Tendenz des Gesetzes, die innere Ordnung des Aufsichtsrats nur mit einigen wesentlichen, von allen Gesellschaften einzuhaltenden Vorschriften zu regeln, weitergehende Regelungen jedoch der Satzung zu überlassen. 1223 Die Zuweisung des Stichentscheids bzw. eines Zweitstimmrechts an den Vorsitzenden des Personalausschusses durch Satzungsregelung verstößt nicht gegen den aktienrechtlichen Grundsatz der individuell gleichen Berechtigung und Verantwortung der Aufsichtsratsmitglieder. Er kann nur dann zum Zuge kommen, wenn mit ihm zusammen eine gerade Anzahl von Mitgliedern anwesend ist. Er dient für diesen Fall lediglich dazu, die Arbeits- und Entschlussfreiheit des Kollegialorgans auch für den Fall zu gewährleisten, dass es zu einer auf andere Weise nicht auflösbaren Pattsituation kommt. Dieser Stichentscheid kann auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden zuerkannt werden, wenn er Mitglied des Ausschusses ist und diese Regelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 145, 146 f. = ZIP 1983, 440; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 118, 119 f. = ZIP 1982, 434; BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 354 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
1224 Die Satzung greift aber dann in die Organisationsfreiheit des Aufsichtsrats bei der Entscheidung darüber ein, ob er Ausschüsse bilden will und wer ihnen
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III. Aufsichtsratsausschüsse
angehören soll, wenn sie vorschreibt oder verbietet, dass er im Rahmen seiner gesetzlichen Zuständigkeit einen oder mehrere Ausschüsse mit bestimmten Aufgaben und einer bestimmten personellen Besetzung zu errichten hat. Darunter fällt auch die Bestimmung, aus dem Vorsitzenden und dessen Stellvertreter ein „Präsidium“ zu errichten. Das Präsidium ist ein Ausschuss mit bestimmten Aufgaben, die – neben Repräsentationsaufgaben – im Wesentlichen darin bestehen, die Arbeit im Aufsichtsrat zu koordinieren, Sitzungen des Plenums vorzubereiten, mit dem Vorstand Fühlung zu halten, laufende Angelegenheiten so rasch wie möglich zu erledigen und gegebenenfalls Initiativen zu entwickeln. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 107 = ZIP 1982, 434.
Eine solche Regelung verstößt gegen § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG, der die Be- 1225 fugnis, aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse zu bilden, dem Aufsichtsrat selbst zuweist. Das Gesetz geht davon aus, dass allein der Aufsichtsrat nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen kann, wie er seine Arbeit erledigt, um seiner gesetzlichen Funktion gerecht zu werden. Es soll seiner eigenverantwortlichen Organisation obliegen, darüber zu entscheiden, ob er Aufgaben im Plenum erledigt oder einem Ausschuss überträgt und welche Personen aus seiner Mitte er zur Mitarbeit im Ausschuss vorsieht. Darin darf er nicht behindert werden. Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für den Vermittlungsausschuss. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 107, 114 ff. = ZIP 1982, 434.
Ebenso wenig wie Beschlüsse des Aufsichtsrats können auch Beschlüsse von 1226 Personalausschüssen „stillschweigend“, sondern nur ausdrücklich gefasst werden. BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 295, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
Denn auch in diesem Kollegialorgan kann bei stillschweigender Beschluss- 1227 fassung nicht festgestellt werden, inwieweit Beschlussfähigkeit, Zustimmung oder Ablehnung gegeben bzw. Stimmenthaltungen vorgenommen worden sind. BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 194; BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286.
Diese Feststellungen erfordern die Rechtssicherheit und die Verantwortung 1228 derartiger Ausschüsse, mag ihre Bedeutung auch geringer sein als die des Aufsichtsrats. Die Auslegung des Beschlusses eines Aufsichtsratsausschusses kann aber dazu führen, dass ein über den ausdrücklichen Beschlusswortlaut hinausgehender Erklärungsgehalt zu berücksichtigen ist. Das kann dann angenommen werden, wenn der Inhalt des ausdrücklich gefassten Beschlusses zugleich als Ausdruck des Willens zu verstehen ist, einen vom Beschluss-
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E. Der Aufsichtsrat
wortlaut nicht umfassten Erklärungsinhalt zu billigen. Geht es dabei um die Genehmigung eines schwebend unwirksamen Vertrags, ist unter Umständen die Rechtsfrage zu entscheiden, ob sich der Genehmigende der schwebenden Unwirksamkeit des zu genehmigenden Vertrages bewusst ist oder zumindest mit ihr gerechnet hat und ob in seinem Verhalten der Ausdruck des Willens gesehen werden kann, das bisher als unverbindlich angesehene Rechtsgeschäft verbindlich zu machen, BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341; BGH, Urt. v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371, dazu EWiR 1988, 375 (K. Müller),
oder ob das Erklärungsverhalten für den Erklärungsempfänger als Ausdruck eines bestimmten Rechtsfolgewillens erscheinen musste. BGH, Urt. v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324, 327 f. = ZIP 1984, 939.
5. §§ 25 ff. MitbestG, Bildung von Ausschüssen und Satzungsvorschriften zu den Ausschüssen 1229 Die satzungsmäßige Regelung über den „Stichentscheid“ bzw. ein Zweitstimmrecht des Ausschussvorsitzenden ist auch unter mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig. Abgesehen von der besonderen Vorschrift des § 27 Abs. 3 enthält das Mitbestimmungsgesetz keine Bestimmungen über Einrichtung, Zusammensetzung und Verfahren von Aufsichtsratsausschüssen. Diese Vorschrift, die die Bildung und Zusammensetzung des sogenannten Vermittlungsausschusses regelt, lässt sich wegen des mit der Wahl des gesetzlichen Vertretungsorgans (§ 31 Abs. 3 MitbestG) bestehenden Zusammenhangs auf sonstige Ausschüsse nicht übertragen. § 29 MitbestG räumt dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats bei wiederholter Stimmengleichheit im Plenum zwar eine Zweitstimme ein. Diese Vorschrift ist auf den aktienrechtlichen Stichentscheid zur Auflösung gelegentlicher Pattsituationen in einem Ausschuss aber nicht anwendbar, weil sie auf die besondere, im Mitbestimmungsgesetz angelegte Schwierigkeit zugeschnitten ist, dass ein Mehrheitsbeschluss an der paritätischen Besetzung des Gesamtaufsichtsrates scheitern kann. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 150 = ZIP 1982, 440; BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 117, 119 = ZIP 1982, 434; BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 354 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
1230 Schreibt die Satzung die Wahl der Mitglieder des Vermittlungsausschusses abweichend von § 27 Abs. 3 MitbestG vor, liegt darin jedoch ein – doppelter – Gesetzesverstoß: Einmal erfolgen die Wahlen unzulässigerweise durch das Plenum, obwohl das Gesetz eine getrennte Wahl durch die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite und die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer
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III. Aufsichtsratsausschüsse
vorschreibt, zum anderen ist je eines der beiden Mitglieder aus den Reihen der Arbeitnehmervertreter und der Anteilseignervertreter zu wählen. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 116 f. = ZIP 1982, 434.
Bildet der Aufsichtsrat einer dem Mitbestimmungsgesetz unterliegenden AG 1231 einen Personalausschuss („Vorstandsausschuss“), dem nach der Geschäftsordnung alle Personalangelegenheiten der Vorstandsmitglieder, namentlich der Abschluss und die Änderung ihrer Anstellungs-, Pensions- und sonstigen Verträge mit der Gesellschaft, zur Beratung und Beschlussfassung zu übertragen sind, so ist es als missbräuchliche Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit anzusehen, wenn sie aus grundsätzlichen Erwägungen von jeder Mitarbeit in dem Ausschuss ausgeschlossen werden und im Einzelfall erhebliche sachliche Gründe dafür nicht vorhanden sind. Vgl. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 356 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
Der Bundesgerichtshof hatte bereits in seiner Entscheidung,
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BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 102/81, BGHZ 83, 144, 149 = ZIP 1982, 440,
ausgeführt, Bildung, Besetzung und Organisation von Aufsichtsratsausschüssen unterlägen der freien, keiner zwingenden mitbestimmungsrechtlichen Regelung unterliegenden, an den Bedürfnissen der einzelnen Gesellschaften ausgerichteten Gestaltung, wobei er die Einschränkung gemacht hat, derartige Gestaltungen dürften nicht dazu herhalten, zwingendes Mitbestimmungsrecht entgegen dessen Sinn und Zweck zu unterlaufen und zu umgehen. An diesem Grundsatz hat er festgehalten. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 357 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
Er hat es offengelassen, ob das Gebot der nicht diskriminierenden, Sinn und 1233 Zweck des Mitbestimmungsgesetzes gerecht werdenden Behandlung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dazu führen muss, ihnen die Mitarbeit in sämtlichen Ausschüssen durch wenigstens ein Mitglied zu ermöglichen. Für einen PersonalAusschuss mit Beschlussfähigkeit verneint er die Möglichkeit, die Arbeitnehmervertreter von der Mitarbeit ohne sachlich rechtfertigende Gründe auszuschließen. Folgende Umstände hält er insoweit für ausschlaggebend: Die Entscheidung eines Bewerbers, ein Vorstandsamt zu übernehmen oder für eine weitere Amtsperiode fortzuführen, hängt wesentlich von den ihm durch das Unternehmen gebotenen materiellen Anstellungsbedingungen ab. Das Unternehmen könne eine sachgerechte Entscheidung nur unter Einbeziehung dieser Bedingungen treffen. Insbesondere müsse entschieden werden, ob die Forderungen des Bewerbers im Hinblick auf seine Qualifikation und die ihm übertragene Verantwortung einschließlich des Um-
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E. Der Aufsichtsrat
fangs der Aufgabe angemessen seien. Würde einem PersonalAusschuss nicht nur die Vorbereitung, sondern auch die Entscheidung über die Anstellungsbedingungen übertragen, und berücksichtige man, dass die Ausschüsse dem Aufsichtsrat in der Praxis nur noch einen Vorschlag unterbreiteten, sei die Bestellung zum Vorstandsmitglied nur noch ein formaler Schlussakt. Schließe man unter solchen Umständen die Arbeitnehmervertreter von der Mitwirkung in dem Ausschuss aus, werde das Recht zur Mitbestimmung bei der Berufung des Vorstandes in einer Weise unterlaufen, die mit Sinn und Zweck des Mitbestimmungsgesetzes nicht mehr vereinbart werden könne. Das Argument, der Tätigkeit von Arbeitnehmervertretern in Personalausschüssen stehe entgegen, dass sie dem Vorstand arbeitsrechtlich untergeordnet seien, lässt der Bundesgerichtshof angesichts der in § 31 MitbestG getroffenen Regelung nicht gelten. Die Frage nach Spezialkenntnissen sei bei Personalausschüssen angesichts der ihnen gestellten Aufgaben weniger gravierend als bei anderen Ausschüssen mit speziellerer Aufgabenstellung. Ein reiner „Besucherstatus“ von Arbeitnehmervertretern werde den mitvertretungsrechtlichen Belangen nicht gerecht. Zum anderen bestünde die Gefahr, dass der Ausschussvorsitzende von seinem Ausschließungsrecht nach § 109 Abs. 2 AktG Gebrauch mache. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 358 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats – Fragen des Zustimmungsvorbehalts i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG 1. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats 1234 Nach § 111 Abs. 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Pflicht die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen. Vgl. BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 12 – Doberlug, dazu EWiR 2010, 713 (Vetter); BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz).
1235 Nach Absatz 2 dieser Vorschrift hat der Aufsichtsrat gewisse Einsichts- und Prüfungsrechte, die er durch einzelne seiner Mitglieder oder für bestimmte Aufgaben auch durch Einschaltung besonderer Sachverständiger ausüben kann. Die Aufgabe der Überwachung erstreckt sich nicht nur auf abgeschlossene Geschäftsvorgänge, sondern erfasst auch laufende Geschäfte und Maßnahmen einschließlich der Lage der Gesellschaft, Rentabilitätsfragen sowie grundsätzliche Fragen künftiger Geschäftsführung und einer in Aussicht genommenen Geschäftspolitik. Dieser Kontrollrahmen kann der Vorschrift des § 90 Abs. 1 AktG entnommen werden, der Inhalt und Gegenstand der Berichtspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat festlegt. Eine Überwachung dieser Art erfordert eine ständige Diskussion mit dem Vorstand und dessen laufende Beratung, um wirksam werden zu können. 336
IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 27.
Die Beratung ist aus diesem Grund Bestanteil und vorrangiges Mittel der in 1236 die Zukunft gerichteten Kontrolle des Vorstands. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
Die dem Aufsichtsrat nach dem Gesetz übertragenen Befugnisse stehen dem 1237 Organ und nicht seinen einzelnen Mitgliedern zu. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 63 = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck); BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); vgl. auch BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Gesetz dem einzelnen Auf- 1238 sichtsratsmitglied bestimmte Rechte gegenüber dem Vorstand einräumt. Denn diese dienen nur dazu, das einzelne Mitglied in die Lage zu versetzen, die für die Erfüllung seiner Pflicht im Rahmen der Kontrolltätigkeit des Gesamtaufsichtsrats (§ 111 Abs. 1 AktG) nach seiner Ansicht erforderlichen Informationen zu erlangen. Der Ausübung der Befugnisse des Aufsichtsrats entsprechen daher die dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied obliegenden Pflichten. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 62 ff. = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck); BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 130 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler).
Zu der Überwachungspflicht des Aufsichtsrats gehört es, dass er sich über 1239 erhebliche Risiken, die der Vorstand mit Geschäften eingeht, kundig macht und ihr Ausmaß unabhängig vom Vorstand selbständig abschätzt. BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz).
Durften die Verwaltungsorgane ein unbesichertes Darlehen an einen Aktionär 1240 gewähren (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG), bedeutet das nicht, dass sie nach der Darlehensausreichung keine hierauf gerichteten Kontrollpflichten mehr träfen. Unberührt bleibt ihre aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG folgende Verpflichtung, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren, was bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem
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E. Der Aufsichtsrat
Cash-Management die Einrichtung eines geeigneten Informations- oder „Frühwarnsystems“ erforderlich machen kann. Die Unterlassung solcher Maßnahmen bzw. der hierauf gerichteten Überwachung (§ 111 Abs. 1 AktG) einschließlich einer rechtzeitigen Kreditkündigung kann Schadensersatzansprüche nach § 93 Abs. 2, § 116 AktG auslösen. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 14, 21 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
1241 Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorhandensein eines etwa erforderlichen Informationssystems und dessen sachgerechte Ausgestaltung sind die auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Organmitglieder. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 20 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche).
1242 Der Aufsichtsrat hat dafür zu sorgen, dass der Vorstand seine Aufgaben ordnungsgemäß in Übereinstimmung mit Gesetz und Satzung erfüllt, hat gegebenenfalls einzugreifen und den Vorstand zu richtigem Verhalten anzuhalten. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 27, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
1243 Der Aufsichtsrat muss ein rechtswidriges Verhalten des Vorstands beanstanden BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 9 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417
und es, wenn mit einer Fortsetzung zu rechnen ist, notfalls durch Abberufung unterbinden. BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224 Rn. 11; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 15, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
1244 Die Beschaffung der Aktien für große Unternehmensakquisitionen zählt zu den übergeordneten Fragen der Unternehmenspolitik, mit denen sich der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit beschäftigen muss. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
1245 Da der Aufsichtsrat im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen den Festsetzungen des Vorstands zustimmen muss, hat er sich auch mit den Einzelheiten dieser Kapitalerhöhung, insbesondere mit der Sacheinlagetauglichkeit zu befassen. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
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IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats
Bei Insolvenzreife hat der Aufsichtsrat den Vorstand dazu anzuhalten, einen 1246 Eröffnungsantrag zu stellen und muss eingreifen, wenn in diesem Stadium verbotene Zahlungen durch den Vorstand drohen. Erkennt der Aufsichtsrat oder muss er erkennen, dass die Gesellschaft insolvenzreif ist, und bestehen für ihn Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Vorstand entgegen dem Verbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG Zahlungen leisten wird, hat der Aufsichtsrat darauf hinzuwirken, dass der Vorstand die verbotswidrigen Zahlungen unterlässt. Ein solcher Anhaltspunkt eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG besteht etwa dann, wenn die Gesellschaft Arbeitnehmer beschäftigt und der Vorstand das Unternehmen nach Eintritt der Insolvenzreife fortführt. Dann liegt es nahe, dass der Vorstand zumindest die Zahlung der Löhne und Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung veranlassen und dadurch gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verstoßen wird. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 15, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 13 – Doberlug, dazu EWiR 2010, 713 (Vetter).
2. Verfolgung von Ansprüchen gegen den Vorstand Zu der Verpflichtung des Aufsichtsrats, abgeschlossene Geschäftsvorgänge 1247 zu überwachen, gehört auch die Pflicht, in eigener Verantwortung das Bestehen von Schadenersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern aus ihrer Organtätigkeit zu prüfen und – bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen – unter Beachtung des Gesetzes- und Satzungsrechts einschließlich der von ihm vorgegebenen Maßstäbe zu verfolgen. Sie folgt zudem aus der an die Organstellung des Aufsichtsrats geknüpften Aufgabe, die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 112 AktG). Vgl. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = ZIP 1997, 883 – ARAG/Garmenbeck; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 30, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Diese Pflicht des Aufsichtsrats wird nicht von der nach dem Gesetz beste- 1248 henden Möglichkeit der Hauptversammlung berührt, über eine Rechtsverfolgung zu befinden. Die Aufgabe, im Rahmen der Überwachungs- und Kontrollpflicht die Interessen der AG eigenverantwortlich und sachgemäß wahrzunehmen, besteht unabhängig von dem der Hauptversammlung eingeräumten Recht, mit dem das Gesetz den Aktionären einen zusätzlichen Schutz gewährt. Hat allerdings die Hauptversammlung beschlossen, einen Schadenersatzanspruch gegen ein Vorstandsmitglied zu verfolgen, muss der Aufsichtsrat nach dem Gesetz (§ 147 AktG) die für die Durchsetzung des Anspruchs erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
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E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 252 f. = ZIP 1997, 883 – ARAG/Garmenbeck.
1249 Bei der Prüfung des Bestehens und der Durchsetzbarkeit eines Schadenersatzanspruchs steht dem Aufsichtsrat kein Handlungs- und Entscheidungsermessen zu. Ob er die Erfolgsaussichten einer – gerichtlichen – Anspruchsverfolgung zutreffend eingeschätzt hat, ist keine dem Handlungsbereich, sondern eine dem Erkenntnisbereich zuzuordnende Frage. Sie unterliegt im Streitfall einer uneingeschränkten Überprüfung durch das angerufene Gericht. Für sie kann dem Aufsichtsrat allenfalls ein begrenzter Beurteilungsspielraum eingeräumt werden. Die Prüfung des Aufsichtsrats erfordert die Feststellung des zum Schadenersatz verpflichtenden Tatbestands in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Bei seiner Beurteilung, ob der festgestellte Sachverhalt den Vorwurf eines pflichtwidrigen und schuldhaften Verhaltens rechtfertigt, muss der Aufsichtsrat berücksichtigen, dass dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte der AG ein weiter Handlungsspielraum zusteht, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar ist. Dazu gehört, dass geschäftliche Risiken bewusst eingegangen werden dürfen und die Möglichkeit von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zugebilligt werden muss; einer solchen Gefahr ist jeder auch noch so verantwortungsbewusst handelnde Unternehmensleiter ausgesetzt. Eine Schadenersatzpflicht des Vorstandsmitglieds kommt dann in Betracht, wenn die Grenzen deutlich überschritten sind, in denen sich ein ausschließlich am Unternehmenswohl ausgerichtetes, von Verantwortungsbewusstsein getragenes und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, oder wenn die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist. Es gibt auch Fälle, in denen andere Gründe das Vorstandsverhalten als pflichtwidrig erscheinen lassen (vgl. z. B., den Katalog des § 93 Abs. 3 AktG). 1250 Auch die Analyse der Erfolgsaussichten eines Prozesses und die Beitreibbarkeit der Forderung ist eine Frage des Erkenntnisbereichs, die keine Handlungsspielräume eröffnet. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 f. = ZIP 1997, 883 – ARAG/Garmenbeck.
1251 Von den Voraussetzungen, die für eine Schadenersatzpflicht erfüllt sein müssen, sind die Umstände abzugrenzen, die lediglich die unternehmenspolitische Verantwortung des Vorstands aufzeigen: Gelangt der Aufsichtsrat aufgrund bestimmter Ereignisse zu der Überzeugung, dass einem Vorstandsmitglied das erforderliche „Gespür“ für eine erfolgreiche Führung des Unternehmens fehlt, er also keine „glückliche Hand“ bei der Wahrnehmung seiner Leitungsaufgabe hat, kann ihm das Veranlassung zu seiner Ablösung geben: Das kann sofort geschehen, wenn die Voraussetzungen des § 84 Abs. 3 AktG gegeben sind. Ist das nicht der Fall, wird er von einer Neubestellung zum Vorstandsmitglied absehen (§ 84 Abs. 1 AktG).
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IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = ZIP 1997, 883 – ARAG/Garmenbeck.
Ist der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesellschaft durch- 1252 setzbare Schadenersatzansprüche zustehen – wobei letzte Gewissheit darüber nach Lage der Dinge nicht verlangt werden kann –, stellt sich für ihn die weitere Frage ihrer tatsächlichen Durchsetzung. Auch bei dieser Entscheidung steht ihm kein autonomer unternehmerischer Ermessensspielraum zu. Der unternehmerische Handlungsspielraum ist Teil der dem Vorstand obliegenden Leitungsaufgabe. An ihm hat der Aufsichtsrat nur dann Anteil, wenn das Gesetz auch ihm unternehmerische Aufgaben überträgt. Das ist der Fall bei Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder, bei Aufgaben, die dem Zustimmungsvorbehalt i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterstellt sind oder in all den Fällen, in denen er die unternehmerische Tätigkeit des Vorstandes aufgrund präventiver Kontrolle begleitend mitgestaltet. Seine Entscheidung über die Durchsetzung des Schadenersatzanspruchs gehört nicht dazu. Da er diese Entscheidung aber allein am Unternehmenswohl auszurichten hat, das die Beseitigung der Schädigung des Gesellschaftsvermögens verlangt, können gewichtige Interessen und Belange der AG gebieten, den entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen. Das kann nur dann angenommen werden, wenn diese Belange die für eine Rechtsverfolgung sprechenden Umstände überwiegen oder ihnen zumindest annähernd gleichwertig sind. Das können negative Auswirkungen auf Geschäftstätigkeit und Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit, Behinderung der Vorstandsarbeit oder Beeinträchtigung des Betriebsklimas sein. Anderen Gesichtspunkten – wie etwa der Schonung eines verdienten Vorstandsmitgliedes oder dem Ausmaß der sozialen Konsequenzen, die mit der Forderungsbeitreibung für das Mitglied und seine Familie verbunden sind – kann allenfalls in Ausnahmefällen Rechnung getragen werden. Ein solcher Ausnahmefall kann dann vorliegen, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Vorstandsmitglieds nicht allzu schwerwiegend und die der AG zugefügten Schäden verhältnismäßig gering sind, jedoch einschneidende Folgen für das ersatzpflichtig gewordene Vorstandsmitglied drohen. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254 ff. = ZIP 1997, 883 – ARAG/Garmenbeck.
Ebenso wie der Aufsichtsrat nach § 111 Abs. 1, § 112 AktG grundsätzlich 1253 gehalten ist, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Vorstandsmitglieder geltend zu machen, hat er einen Anspruch auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach § 812 BGB zu verfolgen. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 30, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Organtätigkeit auch ehemaliger Vor- 1254 standsmitglieder einer nachgelagerten Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle zu unterziehen und in Wahrnehmung der Gesellschaftsinteressen das Bestehen etwaiger Schadensersatzansprüche gegenüber dem betreffenden (ehemaligen) Vorstandsmitglied zu prüfen, beginnt nicht erst dann, wenn ein bestimmter 341
E. Der Aufsichtsrat
Schaden der Gesellschaft feststeht. Vielmehr besteht für einen die Sorgfaltspflichten gem. §§ 116, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG beachtenden Aufsichtsrat bereits nach Zustellung einer auf angeblich pflichtwidriges Handeln eines Vorstandsmitglieds gestützten Schadensersatzklage Anlass, den Sachverhalt zu erforschen und etwaige Regressmöglichkeiten gegen das betreffende Vorstandsmitglied eigenverantwortlich zu prüfen. Das gilt zunächst einmal hinsichtlich der Prozesskosten. Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat aber auch über im Interesse der Gesellschaft liegende vorsorgliche Maßnahmen zur Sicherstellung etwaiger Regressansprüche aus § 93 Abs. 2 AktG wie etwa über eine Streitverkündung (§ 72 ZPO) oder über die Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs gegenüber dem betreffenden Vorstandsmitglied (§ 426 Abs. 1 BGB i. V. m. § 93 Abs. 2 AktG) zu beraten und zu entscheiden. Alle derartigen Maßnahmen, die das Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem betreffenden Vorstandsmitglied berühren, fallen unter die Prüfungsund Entscheidungsprärogative des Aufsichtsrats. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 23 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen) und Mutter, ZGR 2009, 788.
3. Fragen des Zustimmungsvorbehaltes i. S. d. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG 1255 Dem Aufsichtsrat können Maßnahmen der Geschäftsführung nicht übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Satzung oder der Aufsichtsrat selbst hat jedoch zu bestimmen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG). Bei Verweigerung der Zustimmung durch den Aufsichtsrat kann der Vorstand verlangen, dass die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt (§ 111 Abs. 4 Satz 3 AktG). Enthält die Satzung einen entsprechenden Vorbehalt, ist der Aufsichtsrat daran gebunden. Die Befugnis des Aufsichtsrats, seinerseits einen Zustimmungsvorbehalt durch Beschluss anzuordnen, kann in der Satzung weder beschränkt noch ausgeschlossen werden. 1256 Zustimmungsvorbehalte sind das Instrument vorbeugender Kontrolle des Aufsichtsrats, Maßnahmen der Geschäftsleitung, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können, von vornherein zu unterbinden. Auch wenn ein Zustimmungsvorbehalt bestimmt ist, treffen den Aufsichtsrat Prüfungspflichten. BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224 Rn. 9 und 12.
1257 Von seiner Zustimmung abhängige Darlehenszahlungen der Gesellschaft darf der Aufsichtsrat nur billigen, wenn die Rückzahlung rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist. BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224 Rn. 14.
342
IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats
Die Aufsichtsratsmitglieder trifft eine – ggf. neben die Haftung der geschäfts- 1258 führenden Organe tretende – Schadensersatzpflicht, wenn sie die Zustimmung zu einem Geschäft erteilen, die sie bei pflichtgemäßem Handeln hätten verweigern müssen. Der Aufsichtsrat verletzt seine zur Haftung führenden organschaftlichen Pflichten nicht erst dann, wenn er die Geschäftsführung an von seiner Zustimmung nicht gedeckten Zahlungen nicht hindert, sondern bereits dann, wenn er ohne gebotene Information und darauf aufbauender Chancen- und Risikoabschätzung seine Zustimmung zu nachteiligen Geschäften erteilt. BGH, Urt. v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, ZIP 2007, 224.
Den Beschluss über die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts kann der 1259 Aufsichtsrat auch ad hoc fassen. Ob der Aufsichtsrat von der ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, unterliegt grundsätzlich seinem pflichtgemäßen Ermessen. Beabsichtigt der Vorstand, eine Geschäftsführungsmaßnahme durchzuführen, die gesetzwidrig ist, kann sich das Ermessen des Aufsichtsrats zu der Pflicht verdichten, die Durchführung durch Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts (und Ablehnung der Zustimmung) zu verhindern, wenn eine Verhinderung mit anderen Mitteln oder auf anderem Weg nicht möglich ist. Wird in einem solchen Falle die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts durch Beschluss des Aufsichtsrats abgelehnt, ist dieser Beschluss selbst nach seinem Inhalt gesetzwidrig und damit als nichtig anzusehen. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127 = ZIP 1993, 1862, 1867, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
Es stellt sich die die Frage, ob die Ermessensreduzierung nicht nur gesetz- 1260 widrige Handlungen erfasst – nur diese Variante betrifft die Entscheidung des Bundesgerichtshofs –, sondern auch satzungswidrige Maßnahmen oder gar ein zweckwidriges Geschäftsgebaren des Vorstands. Es fällt nicht schwer, bei gegen die Satzung verstoßenden Maßnahmen des Vorstands ebenfalls die Möglichkeit einer Ermessensreduzierung anzunehmen. Die Frage kann nur sein, ob ein die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts versagender und damit satzungswidriger Beschluss des Aufsichtsrats ebenfalls als nichtig anzusehen ist. Das muss bereits deswegen bejaht werden, weil der Bundesgerichtshof für Aufsichtsratsbeschlüsse eine Differenzierung zwischen Anfechtbarkeit und Nichtigkeit i. S. d. §§ 241 ff. AktG und damit eine Einschränkung der Nichtigkeitsfolgen für Aufsichtsratsbeschlüsse abgelehnt hat. BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 347 ff. = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner); BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 126 ff. = ZIP 1993, 1862, 1866, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius); BGH, Urt. v. 17.7.2012 – II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 577 (Nikoleyczik/Schult) und Wedemann, ZGR 2013, 316; BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 13, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß).
343
E. Der Aufsichtsrat
1261 Damit sind inhaltlich gegen Gesetzes- oder Satzungsrecht verstoßende Aufsichtsratsbeschlüsse als nichtig anzusehen. Es ist jedoch sehr viel schwieriger, für die Frage der Zweckwidrigkeit von Einzelgeschäften eine sachgerechte Antwort zu finden. Denn hier besteht die Gefahr, dass der Aufsichtsrat bei einem zu weitherzigen Verständnis der Anordnung seiner Vorbehalte in zu starkem Maß in die Geschäftsführung des Vorstands hineinregiert. Abgesehen von der Beschränkung auf das ultima-ratio-Prinzip kann sich eine Pflicht zur Anordnung ad hoc auf jeden Fall dann ergeben, wenn es sich um besonders bedeutsame Geschäfte oder Maßnahmen handelt, die, würden sie nach den Vorstellungen des Vorstands durchgeführt, schlechthin nicht gerechtfertigt werden können und zu deren Durchführung ein verantwortungsbewusst denkender Kaufmann zu keiner Zeit bereit wäre. Hier würde sich der Kreis zu der „Klöckner“-Entscheidung, BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 331 = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen),
schließen. 4. Vorschlag und Beauftragung des Abschlussprüfers 1262 Nach § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG erteilt der Aufsichtsrat dem von der Hauptversammlung (§ 119 Abs. 1 Nr. 4 AktG) auf Vorschlag des Aufsichtsrats (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) bestellten Abschlussprüfer den Prüfungsauftrag für den Jahres- und Konzernabschluss. Das hat zur Folge, dass der Aufsichtsrat sowohl bei dem der Hauptversammlung unterbreiteten Vorschlag zur Bestellung als auch bei der Beauftragung selbst darauf achten muss, dass der Abschlussprüfer nicht inhabil im Sinne der Entscheidung BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 317/95, BGHZ 135, 260 = ZIP 1997, 1162 – Allweiler, dazu EWiR 1998, 67 (Heni)
ist. Aus diesem Grund hat er dafür Sorge zu tragen, dass mit dem Abschlussprüfer keine Beratungsverträge abgeschlossen oder Beratungsaufträge erteilt werden, die den Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entsprechen. Danach ist zwar die Beratung eines Auftraggebers in wirtschaftlichen und steuerlichen Angelegenheiten mit einer Abschlussprüfung durch denselben Wirtschaftsprüfer grundsätzlich vereinbar. Das schließt jedoch nicht aus, dass sie sich nach Art und Umfang im Einzelfall als unzulässige Mitwirkung i. S. d. § 319 Abs. 2 Nr. 5 HGB (jetzt Abs. 3 Nr. 3 a) darstellen kann. Die Beratung wird im Regelfall dann zur unzulässigen Mitwirkung, wenn sie über die Darstellung der Alternativen im Sinne der Entscheidungshilfe hinausgeht, insbesondere der Berater selbst anstelle des Mandanten eine unternehmerische Entscheidung in Bezug auf den zu überprüfenden Jahresabschluss trifft. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 317/95, BGHZ 135, 260, 262 ff. = ZIP 1997, 1162 – Allweiler.
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IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats
Es begründet dann keine Inhabilität des Abschlussprüfers, wenn dem – auch 1263 gutachterlich – Beratenen die Entscheidungskompetenz verbleibt, ob er dem Vorschlag folgt oder nicht. BGH, Urt. v. 21.4.1997 – II ZR 317/95, BGHZ 135, 260, 262 ff. = ZIP 1997, 1162 – Allweiler; BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32 = ZIP 2003, 290, 293, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
Wird eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Rahmen einer Verschmelzung 1264 mit der Erstattung eines Verschmelzungswertgutachtens und der Ermittlung der Verschmelzungswertrelation beauftragt, folgt daraus nicht ohne weiteres, dass sie nicht zum Abschlussprüfer der aus der Verschmelzung hervorgegangenen Gesellschaft gewählt werden darf. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32 = ZIP 2003, 290, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
Der Abschlussprüfer ist nicht wegen Befangenheit unwählbar, wenn er bereits 1265 im Vorjahr eine Verbindlichkeit bewertet hat, diese Bewertung aber streitig ist. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 46 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (H. Herchen) und Mutter, ZGR 2009, 788.
Das ist anders, wenn er an der Entstehung fehlerhaft vollendeter Tatsachen 1266 (Verschmelzungswertrelation) mitgewirkt und sich dadurch bereits Schadensersatzansprüchen in beträchtlicher Höhe ausgesetzt hat. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 43 = ZIP 2003, 290, 293 f., dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
Nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG hat nur der Aufsichtsrat der Hauptversamm- 1267 lung Vorschläge zur Beschlussfassung über die Bestellung von Prüfern zu unterbreiten. Haben hingegen Vorstand und Aufsichtsrat in der Bekanntmachung der Tagesordnung zur Hauptversammlung Vorschläge zur Wahl des Abschlussprüfers unterbreitet, kann die Gesetzwidrigkeit der Bekanntmachung nicht dadurch ungeschehen gemacht werden, dass der Vorstand vor Beginn der Abstimmung erklärt, der Wahlvorschlag werde nur vom Aufsichtsrat, nicht aber vom Vorstand unterbreitet, und dass der Versammlungsleiter anschließend nur über den Vorschlag des Aufsichtsrats abstimmen lässt. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32 = ZIP 2003, 290, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
Angesichts der Bedeutung, die dem in § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG angeordneten 1268 Ausschluss eines Rechts des Vorstandes zukommt, der Hauptversammlung einen eigenen Vorschlag für die Wahl von Prüfern zu unterbreiten oder an dem Vorschlag des Aufsichtsrats mitzuwirken, ist der Gesetzesverstoß, der in der Bekanntmachung liegt, Aufsichtsrat und Vorstand unterbreiteten den Vorschlag, zudem auch nicht etwa so marginal, dass ihm ausnahmsweise die
345
E. Der Aufsichtsrat
erforderliche Relevanz für eine sachgerechte Meinungsbildung der Aktionäre abzusprechen wäre. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32 = ZIP 2003, 290, 292, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
5. Einsichtnahme geschäftlicher Unterlagen durch Sachverständige 1269 Nach § 111 Abs. 5 AktG können Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen. Beansprucht ein Aufsichtsratsmitglied generell das Recht, in dieser seiner Organeigenschaft bei der Einsichtnahme in den jeweiligen Prüfungsbericht einen Sachverständigen seiner Wahl hinzuziehen zu dürfen, liegt darin ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Das Gebot persönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung setzt voraus, dass ein Aufsichtsratsmitglied über die Mindestkenntnisse und -fähigkeiten verfügt, die es in die Lage versetzen, die normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können. Damit ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Aufsichtsratsmitglied seine Aufgaben vollständig oder teilweise zur selbständigen Erledigung einem Außenstehenden überträgt, oder zu ihrer Wahrnehmung einen ständigen Berater einschaltet. Das Gesetz trägt jedoch dem Umstand Rechnung, dass nicht jedes Aufsichtsratsmitglied auf allen Gebieten, auf dem der Aufsichtsrat tätig wird, Spezialkenntnisse besitzt. Ferner können Fragen auftreten oder Maßnahmen zu treffen sein, die über die Fachkunde oder die zeitlichen und technischen Möglichkeiten, sich sachgemäß zu informieren, hinausgehen. Aus diesem Grunde gewährt das Gesetz dem Gesamtaufsichtsrat die Befugnis, Sachverständige zur Beratung über einzelne Gegenstände hinzuzuziehen (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG) oder sie mit bestimmten Prüfungsaufgaben zu betrauen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). In der Beschränkung auf konkrete Einzelangelegenheiten kommt auch für den Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit der Grundsatz zum Ausdruck, dass die Aufsichtsratsfunktionen nicht auf andere übertragen werden dürfen. Nur wenn es sich im Einzelfall zur Erfüllung der gesetzlichen und satzungsmäßigen, mit der gesetzlich vorausgesetzten Sachkompetenz allein nicht zu bewältigenden Aufgaben erforderlich erweist, zu einer Frage externen Rat einzuholen, kann – und muss – das geschehen. BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 f. = ZIP 1983, 55.
1270 Diese Beschränkung gilt in erhöhtem Maße für den Abschlussprüfungsbericht (§§ 316 ff. HGB), weil dieser vielfach interne Informationen enthält, deren öffentliche Verbreitung der AG schaden kann. Dem trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass es dem Aufsichtsrat die Möglichkeit eröffnet, noch offene Fragen mit den Abschlussprüfern zu erörtern (§ 171 Abs. 1 Satz 2 AktG). Können auch auf diesem Wege nicht alle Zweifel ausgeräumt werden, kann der Weg über § 109 Abs. 1 Satz 2, § 111 Abs. 2 Satz 2 AktG beschritten werden. 346
IV. Überwachungs- und Kontrollaufgabe des Aufsichtsrats BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 = ZIP 1983, 55.
Unter diesen Umständen bleibt für das einzelne Aufsichtsratsmitglied nur 1271 ein geringer Spielraum für die Hinzuziehung eines eigenen sachkundigen Beraters. Zwar kann es zur sachgemäßen Ausübung des Mandates auch geboten sein, vor einer wichtigen Entscheidung sachkundigen Rat außerhalb des Aufsichtsrats und der Gesellschaft einzuholen. Diese Beratung muss jedoch ausschließlich der Erfüllung gesetzlicher Aufgaben im Interesse des Unternehmens dienen, hierzu erforderlich und darf nicht durch eine gesellschaftsinterne Aufklärung ersetzbar sein. Sie ist auf eine konkrete, durch den Einzelfall veranlasste Fragestellung zu beschränken. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 331 f.; BGH, Urt. v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 300 = ZIP 1983, 55.
6. Aufsichtsratsbericht Nach § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat den Jahresabschluss, den 1272 Lagebericht und den Vorschlag für die Verwendung des Bilanzgewinns zu prüfen. Nach § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat über das Ergebnis der Prüfung an die Hauptversammlung zu berichten. Der Aufsichtsrat muss mit seinem Bericht der Hauptversammlung die Wahrnehmung seiner Aufsichts- und Kontrollfunktion im Allgemeinen sowie speziell in Bezug auf die für die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung wesentlichen Gesichtspunkte dokumentieren. Dabei hat der Bericht eine doppelte Funktion: Er informiert nicht nur über das Ergebnis der eigenen Prüfung der vom Vorstand beschlossenen Vorschläge und Berichte, sondern ist auch Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats über die gesamte von ihm während des abgelaufenen Geschäftsjahrs hinsichtlich der Geschäftsführung des Vorstands ausgeübte Überwachungstätigkeit. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 22 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
Dieser Bericht des Aufsichtsrats, welcher von der Einberufung der Haupt- 1273 versammlung an in dem Geschäftsraum der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen ist (§ 175 Abs. 2 AktG), muss vom Aufsichtsrat durch Beschluss nach § 108 Abs. 1 AktG festgestellt werden. Erst durch die Feststellung des Berichts durch einen förmlichen Beschluss übernimmt der Aufsichtsrat die Verantwortung für seinen Inhalt und gibt ihm seine Funktion als wesentliche Informationsgrundlage für die Aktionäre im Hinblick auf die Vorbereitung und Ausübung ihrer Rechte in der Hauptversammlung. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 13 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
Das Gesetz verlangt in § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG weiter, dass der Aufsichts- 1274 rat über das Ergebnis der Prüfung schriftlich an die Hauptversammlung zu 347
E. Der Aufsichtsrat
berichten hat. § 126 Abs. 1 BGB, der für alle Fälle gilt, in denen das BGB oder eine sonstige Vorschrift des Privatrechts die Schriftform vorschreibt, verlangt zur Einhaltung einer durch Gesetz vorgeschriebenen schriftlichen Form eine eigenhändige Namensunterschrift. Es ist ausreichend, wenn der Vorsitzende des Aufsichtsrats als Repräsentant des Aufsichtsrats die Urschrift des Berichts unterschreibt. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 16 f. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern 1. Gerichtliche Vertretung a) Rechtsstreit mit aktiven Vorständen 1275 Die AG wird in einem Prozess mit einem Vorstandsmitglied gem. § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat als Organ vertreten. Vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, 1382, dazu EWiR 1986, 1165 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796, dazu EWiR 1991, 631 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 5; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 7; BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 10, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
1276 Die im Zusammenhang mit der Prozessführung erforderliche Willensbildung des Aufsichtsrats erfolgt durch ausdrücklichen Beschluss nach § 108 Abs. 1 AktG. BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 8; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717, Rn. 12; BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
1277 In die Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats fallen in einem Passivprozess mit dem Vorstand unter anderem die der Erteilung einer Prozessvollmacht vorgelagerten Fragen, ob sich die Gesellschaft gegen die Klage überhaupt verteidigen will und ob im Falle des Unterliegens in erster Instanz von einem Rechtsmittel Gebrauch gemacht werden soll. Der in einem hierüber gefassten Beschluss zum Ausdruck kommende einheitliche oder mehrheitliche Wille der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder stellt den Willen des Aufsichtsrats dar. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286;
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V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
Dieser Vorgang einheitlicher Willensbildung kann nicht durch die Entschei- 1278 dung eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden, weil diese ihren Willen abweichend vom Aufsichtsrat bilden könnten. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 621 (Rohde); BGH, Zwischenurt. v. 29.1.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 310 (Deiß); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
b) Rechtsstreit mit ausgeschiedenen Vorständen Die Frage, ob der Aufsichtsrat zur gerichtlichen Vertretung der Gesellschaft 1279 ausschließlich gegenüber Vorstandsmitgliedern zuständig ist, deren Organund Anstellungsverhältnis zur Gesellschaft (§ 84 Abs. 1 AktG) noch nicht erloschen ist, hat den Bundesgerichtshof eine zeitlang beschäftigt. Er hat das verneint und entschieden, dass der Aufsichtsrat die AG auch ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern gegenüber gerichtlich vertritt. BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, ZIP 1989, 497 (GmbH), dazu EWiR 1989, 429 (Ebenroth); BGH, Urt. v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630 (GmbH), dazu EWiR 1990, 909 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796, dazu EWiR 1991, 631 (Meyer-Landrut).
Diese Entscheidungen bauen auf drei weiteren Urteilen auf, in denen die 1280 Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats vor Gericht für den Fall bejaht worden ist, dass ein Vorstandsmitglied, dessen Bestellung aus wichtigem Grund widerrufen (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG) und dessen Anstellungsvertrag fristlos gekündigt (§ 626 Abs. 1 BGB) worden war, gegen Widerruf und Kündigung bzw. nur gegen die Kündigung vor und nach Erlöschen der Organbestellung durch Zeitablauf vorgegangen ist. BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858; BGH, Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, dazu EWiR 1986, 1165 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 8.2.1988 – II ZR 159/87, BGHZ 103, 213 = ZIP 1988, 367.
Ausgangspunkt der Überlegungen in den Urteilen ist § 84 Abs. 3 Satz 4 1281 AktG, wonach der Widerruf der Vorstandsbestellung wirksam ist, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. Erwirkt das abberufene Vorstandsmitglied auf dem Klagewege über die Unwirksamkeit des Widerrufs ein rechtskräftiges Urteil, ist es wieder in Amt und Würden einzusetzen.
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E. Der Aufsichtsrat
Diese Möglichkeit lässt die Befürchtung auftreten, eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft durch den Vorstand könnte in Frage gestellt sein, wenn sich ein Vorstandsmitglied namens der AG mit einem bisherigen Vorstandskollegen streitig auseinandersetzen müsste, mit dem er vielleicht eines Tages wieder zusammenarbeiten muss, wenn die Unwirksamkeit des Widerrufs rechtskräftig festgestellt wird. Der Aufsichtsrat bleibt folgerichtig auch dann zuständig, wenn sich der Streit um die Abberufung erledigt hat und nur noch um Rechte aus dem Anstellungsvertrag gestritten wird. BGH, Urt. v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858, 859 (unter Aufgabe der Rechtsauffassung in der noch zu § 97 Abs. 1 AktG 1937 ergangenen und anderslauten-den, durch die Neufassung des Aktiengesetzes über-holten Entscheidung BGHZ 13, 88, die auch in BGHZ 26, 236, 238 ihren Niederschlag gefunden hat).
1282 Das gilt auch dann, wenn das Vorstandsmitglied zwar nur die Kündigung des Anstellungsvertrages angreift, sich jedoch noch die Möglichkeit offenhält, die Wirksamkeit des Widerrufs ebenfalls in Frage zu stellen und diese bei günstigem Verlauf des Prozesses um die Wirksamkeit der Kündigung des Anstellungsvertrages anzufechten. BGH, Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, dazu EWiR 1986, 1165 (Meyer-Landrut).
1283 Der mit der Regelung des § 112 AktG verfolgte Zweck, eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen, die von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und die sachliche Gesellschaftsbelange wahrt, umfasst jedoch auch Fälle, in denen das Organverhältnis durch Zeitablauf endgültig erloschen ist (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG). Zwar wird in diesen Fällen die Unbefangenheit der Vertretung nicht dadurch beeinträchtigt, dass mit einer Rückkehr des Vorstandsmitgliedes in die Organstellung gerechnet werden muss. Eine solche Beeinträchtigung kann sich aber daraus ergeben, dass Dauer und Intensität der bisherigen Zusammenarbeit zu persönlich engen Beziehungen geführt haben, der Widerruf zu einer Abwehrhaltung der anderen Vorstandsmitglieder gegenüber Aufsichtsrat und Gesellschaft und zu einer solidarischen Haltung mit dem früheren Vorstandskollegen führt, weil sie sich durch den Eingriff in dessen berufliche Stellung selbst berührt oder auch ihre Geschäftsführung in ein kritisches Licht gerückt sehen. Eine – zusätzliche – Bestätigung dieser Überlegung ergibt sich aus dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit des § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG, wonach der Aufsichtsrat zum Widerruf der Bestellung zuständig ist. Auch diese Regelung verfolgt den Zweck, bei den für die Gesellschaft zu treffenden Entscheidungen deren sachdienliche Belange zu wahren und sachfremde Erwägungen auszuschalten. Zudem dient die hier angenommene Vertretungsregelung der Rechtsklarheit. Sie stellt die Kontinuität der Vertretung des Aufsichtsrats für den außergerichtlichen und gerichtlichen Streit her.
350
V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern BGH, Urt. v. 9.10.1986 – II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, dazu EWiR 1986, 1165 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 8.2.1988 – II ZR 159/87, BGHZ 103, 213, 216 ff. = ZIP 1988, 367.
Diese Gründe waren im Wesentlichen auch maßgebend für die drei später er- 1284 gangenen Urteile, in denen die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Vertretung der Gesellschaft vor Gericht auch für den Fall bejaht worden ist, dass ein aus dem Vorstand endgültig ausgeschiedenes Vorstandsmitglied, dessen Anstellungsvertrag ebenfalls durch Zeitablauf erloschen war, einen Pensionsanspruch geltend machte bzw. einem Schadenersatzbegehren der Gesellschaft ausgesetzt war. Es ist noch zusätzlich klargestellt worden, dass es nicht darauf ankommt, ob die Wahrung der Gesellschaftsbelange einer konkreten Gefahr ausgesetzt ist. Vielmehr reicht es aus, dass aufgrund typisierender Betrachtung die Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung besteht. BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, ZIP 1989, 497, 498, dazu EWiR 1989, 429 (Ebenroth); BGH, Urt. v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630, 631, dazu EWiR 1990, 909 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796, dazu EWiR 1991, 631 (Meyer-Landrut); vgl. auch BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 346 = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
Als Endpunkt dieser Entwicklung entspricht es mittlerweile gefestigter Recht- 1285 sprechung, dass die AG auch in einem Prozess mit einem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied gem. § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat als Organ vertreten wird, um eine unbefangene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste Vertretung der Gesellschaft ihm gegenüber sicherzustellen, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschaft im Einzelfall auch vom Vorstand angemessen vertreten werden könnte. Vielmehr ist im Interesse der Rechtssicherheit eine typisierende Betrachtungsweise geboten. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 = ZIP 2004, 92, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons); BGH, Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348, 349, dazu EWiR 2005, 285 (Hasselbach/Spengler); BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 5; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 22.
Auch in einem Prozess der Gesellschaft mit der Witwe eines früheren Vor- 1286 standsmitglieds um Ansprüche aus einer Versorgungszusage bzw. um die Zulässigkeit ihres Widerrufs wird die AG gem. § 112 AktG durch ihren ihr Aufsichtsrat vertreten. BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, WM 2006, 2308 Rn. 6.
351
E. Der Aufsichtsrat
1287 Dies gilt allgemein für Ansprüche, die von Angehörigen des Vorstandsmitglieds geltend gemacht werden und die aus dem Vorstandsverhältnis hergeleitet werden. BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, WM 2006, 2308 Rn. 6.
1288 Das Gleiche gilt bei der KGaA für die Vertretung gegenüber dem Komplementär oder einem ausgeschiedenen Komplementär. BGH, Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348, dazu EWiR 2005, 285 (Hasselbach/Spengler).
1289 Die Vertretung durch den Aufsichtsrat gem. § 112 AktG gilt auch gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer einer in eine Aktiengesellschaft umgewandelten GmbH, BGH, Urt. 28.4.1997 – II ZR 282/95, ZIP 1997, 1108, dazu EWiR 1998, 99 (Pfeiffer),
und zwar unabhängig davon, ob die ehemalige GmbH vor der Umwandlung über einen Aufsichtsrat verfügt hatte. Maßgebend ist vielmehr, dass die GmbH mit der Umwandlung bzw. Verschmelzung erloschen (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) und an ihre Stelle die übernehmende Rechtsträgerin mit der ihr eigenen Kompetenzordnung getreten ist. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
1290 Wird eine durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene GmbH während des Rechtsstreits auf eine AG verschmolzen, tritt diese entsprechend § 246 Abs. 1 ZPO ohne Unterbrechung des Verfahrens in den Prozess ein und wird entsprechend § 86 ZPO durch den bisherigen Prozessbevollmächtigten der GmbH vertreten. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
c) Vertretungsmängel 1291 Bevollmächtigt der Aufsichtsratsvorsitzende in Eilfällen einen Rechtsanwalt, ohne zuvor eine Mehrheitsentscheidung des Aufsichtsrats herbeizuführen, handelt er entsprechend § 177 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Der Aufsichtsrat kann diese Handlungsweise durch Mehrheitsbeschluss genehmigen. Durch die Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsrats als Ganzes ist daher die Verteidigungsmöglichkeit der AG gegen Klagen ihrer Vorstandsmitglieder nicht gefährdet. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 23.
1292 Liegt ein sonstiger Mangel der Prozessvertretung vor, regelmäßig weil die Interessen der Gesellschaft im Prozess durch den Vorstand wahrgenommen werden, kann der Mangel – auch noch in der Revisionsinstanz – dadurch geheilt werden, dass der Aufsichtsrat die Prozessführung des nicht vertretungs352
V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern
berechtigten Vertreters genehmigt und als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintritt. BGH, Urt. v. 13.2.1989 – II ZR 209/88, ZIP 1989, 497 = WM 1989, 637, 638, dazu EWiR 1989, 429 (Ebenroth); BGH, Urt. v. 8.9.1997 – II ZR 55/96, WM 1998, 309; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669, 1670; BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 153 = ZIP 2004, 92, 93, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons); BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 7; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 10.
Eine Genehmigung im Prozess ist – auf der Grundlage einer ausdrücklichen 1293 Beschlussfassung des Aufsichtsrats (§ 108 AktG) – auch schlüssig möglich, was beispielsweise dann anzunehmen sein kann, wenn sich der Aufsichtsrat aktiv mit dem Verfahren befasst und steuernd in dieses eingegriffen hat. BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, ZIP 1999, 1669, 1670; BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 8; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 12.
Genehmigt werden muss allerdings die Prozessführung als Ganzes. Eine will- 1294 kürliche Beschränkung der Genehmigung führt zu ihrer Unwirksamkeit. BGH, Urt. v. 19.7.1984 – X ZB 20/83, BGHZ 92, 137, 141; ferner BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151 = ZIP 2004, 92, 93, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
Die Verweigerung der Genehmigung im Passivprozess ist gegenüber dem 1295 Prozessgegner regelmäßig weder rechtsmissbräuchlich BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, ZIP 1991, 796 m. w. N., dazu EWiR 1991, 631 (Meyer-Landrut); BGH, Urt. v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, ZIP 2004, 237.
noch verstößt sie gegen Treu und Glauben BGH, Urt. v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, WM 1990, 630.
Der Aufsichtsrat kann auch nur zu dem Zweck in den Rechtsstreit eintreten, 1296 um den bisherigen Mangel der gesetzlichen Vertretung geltend zu machen, um die Abweisung der Klage als unzulässig zu erreichen. BGH, Urt. v. 23.10.1963 – V ZR 146/57, BGHZ 40, 197, 199.
Die Ablehnung eines Antrags, durch Beschluss des Aufsichtsrats die Prozess- 1297 führung der Gesellschaft zu genehmigen kann allerdings im Einzelfall gegenüber der Gesellschaft treuwidrig und damit nichtig sein, wenn die Klage des Vorstands gegen einen Beschluss des Aufsichtsrats (im entschiedenen Fall: auf Abberufung der Kläger als Vorstandsmitglieder) gerichtet ist. Die Weigerung des Aufsichtsrats, der AG die Möglichkeit zu geben, sich gegen vom Vorstand erhobene Klagen, die die Wirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen 353
E. Der Aufsichtsrat
zum Gegenstand haben, zu verteidigen, wird nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen dem Unternehmenswohl entsprechen. Es liegt vielmehr regelmäßig nahe, dass die Aufsichtsratsmitglieder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen, wenn sie der Gesellschaft in einem solchen Fall die Rechtsverteidigung unmöglich machen. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 1/11, ZIP 2013, 1274 Rn. 30.
2. Außergerichtliche Vertretung 1298 Die vorstehenden, für die Vertretung vor Gericht entschiedenen Grundsätze gelten, wie sich aus der gesetzlichen Gleichstellung von gerichtlicher und außergerichtlicher Vertretung ergibt, auch für die außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern. Gegenüber dem Vorstand kann die Gesellschaft gem. § 112 AktG nur vom Aufsichtsrat vertreten werden. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 34, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
1299 Für die Entscheidung über die Vergütung der Vorstandsmitglieder und für den Abschluss der die Vergütung betreffenden Verträge ist nach § 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1, §§ 87, 112 AktG der Aufsichtsrat zuständig. Der Abschluss dieser Verträge fällt auch dann in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, wenn sie von der Gesellschaft nicht mit dem Vorstandsmitglied selbst, sondern einem Dritten abgeschlossen werden und mit diesem eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit vereinbart wird. Nur dadurch ist der Gleichlauf von Bestellungs- und Anstellungskompetenz gewährleistet. Unter diese „Drittanstellungsverträge“ fällt auch bei der Bestellung eines vorübergehenden Vorstandsmitglieds, das selbst in einem Vertragsverhältnis zu einem Dritten steht, der Abschluss eines Vertrags über die Vergütung dieses Dritten für die Vermittlung sowie Stellung des Vorstandsmitglieds und für seine Vorstandstätigkeit. BGH, Urt. v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rn. 24.
1299a Die AG muss auch durch den Aufsichtsrat vertreten werden, wenn zwischen der Gesellschaft und einem aus dem Vorstand ausgeschiedenen Mitglied eine Honorarvereinbarung getroffen werden soll. BGH, Urt. v. 7.7.1993 – VIII ZR 2/92, ZIP 1993, 1380, 1381, dazu EWiR 1993, 941 (Bork); überholt daher BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 11/62, BGHZ 41, 223, 227 f.,
1300 Die in BGH, Urt. v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341,
354
V. Vertretung der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern
vertretene Rechtsauffassung, für die Auflösung und Abwicklung eines tatsächlichen Vorstandsverhältnisses sei von einer alternativen Vertretungszuständigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat auszugehen, ist durch BGH, Urt. v. 21.1.1991 – II ZR 144/90, BGHZ 113, 237, 250 (Verein), dazu EWiR 1991, 537 (Reuter),
aufgegeben worden. Soweit Entscheidungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle vom 6.9.1965 auch für noch im Amt befindliche Vorstandsmitglieder von anderen Vertretungsmöglichkeiten ausgehen, BGH, Urt. v. 21.4.1953 – II ZR 126/58, LM 1960, 803; BGH, Urt. v. 11.7.1953 – II ZR 142/52, LM AktG 1975 § 75 Nr. 5,
sind diese durch die Gesetzesänderung überholt. Die Vertretung durch den Aufsichtsrat gilt auch gegenüber einem einzel- 1301 kaufmännischem Unternehmen des Vorstands. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 34, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Ob § 112 Abs. 1 Satz 1 AktG erweiternd dahin auszulegen ist, dass der Auf- 1302 sichtsrat die Gesellschaft auch gegenüber Gesellschaften vertritt, in denen ein Vorstandsmitglied maßgeblichen Einfluss hat, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Jedenfalls vermittelt eine Minderheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die Vertragspartner der Aktiengesellschaft ist, keinen maßgeblichen Einfluss, auch nicht, wenn Familienmitglieder weitere Anteile halten. BGH, Urt. v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819 Rn. 9 f., dazu EWiR 2013, 297 (Wilsing/D. Meyer).
Ob ein Vertrag, bei dem die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats nach § 112 1303 AktG missachtet wurde, nichtig oder nur schwebend unwirksam und damit genehmigungsfähig ist, musste der Bundesgerichtshof bisher ebenfalls nicht entscheiden. BGH, Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 364/02, ZIP 2005, 348, 349, dazu EWiR 2005, 285 (Hasselbach/Spengler); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 34, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
3. Kenntniserlangung durch ein Aufsichtsratsmitglied Wird ein Vorstandsmitglied ohne Aufsichtsratsbeschluss eingestellt, wurde 1304 die Kenntnis des Aufsichtsrats oder eines Aufsichtsratsmitgliedes als ausreichend angesehen, ein rechtserhebliches Wissen der AG zu begründen. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Aufsichtsrat in dieser Frage vertretungsberechtigt und das Wissen eines Mitgliedes des vertretungsberechtigten
355
E. Der Aufsichtsrat
Organs das Wissen der Gesellschaft sei. Dieses Wissen müsse zur Anerkennung eines fehlerhaften Anstellungsverhältnisses genügen. BGH, Urt. v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287.
1305 Ob man unter dem Eindruck der Entscheidung BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = ZIP 1998, 1269, dazu EWiR 1998, 927 (Kowalski)
davon weiterhin ausgehen kann, erscheint zweifelhaft. Immerhin muss der Aufsichtsrat auch hier als Beschlussorgan tätig werden. Folgerichtig wäre es daher, auch hier auf die Kenntniserlangung durch den Aufsichtsrat in dieser Eigenschaft abzustellen. Soweit der Vorsitzende Kenntnis von dem Sachverhalt hat, müsste man ihn als verpflichtet ansehen, eine Sitzung des Aufsichtsrats einzuberufen, damit über die Anstellung entschieden werden kann. Geschieht das nicht in angemessener Zeit, müsste das Dienstverhältnis als fehlerhaftes anerkannt werden. VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen 1. Abgrenzung zum organschaftlichen Tätigkeitsbereich 1306 Gem. § 113 AktG kann den Aufsichtsratsmitgliedern für ihre Tätigkeit eine Vergütung gewährt werden, die, soweit sie nicht in der Satzung festgesetzt ist, von der Hauptversammlung bewilligt werden muss. Verpflichtet sich ein Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat durch einen Vertrag mit der Gesellschaft zu einer Tätigkeit höherer Art, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab (§ 114 Abs. 1 AktG). Diese Regelung wirft die Frage nach der Abgrenzung der beiden Tätigkeitsbereiche beim Abschluss von Beratungsverträgen auf, weil die Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstandes zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG), die Pflicht enthält, den Vorstand in übergeordneten Fragen der Unternehmensführung zu beraten. Umfasst die durch Beratungsvertrag übernommene Beratungstätigkeit die im Rahmen der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats bestehende Beratungspflicht, ist der von der AG mit dem Aufsichtsratsmitglied geschlossene Beratungsvertrag gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 113 AktG nichtig. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 = ZIP 1994, 1216, 1217; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 15.
1307 Die Kontrolle der Geschäftsführung bezieht sich nicht nur auf die in der Vergangenheit liegende abgeschlossene, sondern auch auf die gegenwärtige Geschäftsführung und die grundsätzlichen Fragen künftiger Geschäftspolitik. Sie ist nicht auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit beschränkt, sondern hat die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung einzube356
VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen
ziehen. Eine in diesem Umfang durchgeführte Überwachung der Geschäftsführung kann wirksam nur durch ständigen Kontakt mit dem Vorstand und somit durch dessen ständige Beratung ausgeübt werden. Die Beratung ist daher der in erster Linie zu beschreitende Weg, die in die Zukunft gerichtete Geschäftstätigkeit des Vorstands zu überwachen. Das ist zwar eine Aufgabe des Aufsichtsrats als Organ. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied hat daran jedoch aufgrund der vom Gesetz bei ihm vorausgesetzten Kenntnisse, Fähigkeiten und Sachkompetenz als dessen Mitglied mitzuwirken. Seine Organfunktion schließt auch den Einsatz individueller Sachkenntnis und bei Bedarf eine das übliche Maß übersteigende Beanspruchung des Aufsichtsratsmitglieds ein. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA.
Die Abgrenzung der organbedingten Beratungstätigkeit von der nach dem Be- 1308 ratungsvertrag zulässigen kann nicht formal danach vorgenommen werden, ob sie dem Vorstand oder dem Organ „Aufsichtsrat“ erbracht wird. Der Bundesgerichtshof hält das deswegen nicht für ausschlaggebend, weil der Vorstand immer Adressat der Beratung sei. Das Gesetz gibt selbst ein materielles Abgrenzungskriterium: Es spricht von einer Verpflichtung des Aufsichtsratsmitgliedes „außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat“ und gibt damit zu erkennen, dass es von materiellen Abgrenzungskriterien ausgeht. Eine Abgrenzung nach dem Umfang der übernommenen und ausgeübten Tätigkeit lässt sich nicht sachgerecht durchführen. Denn die Tätigkeit im Aufsichtsrat kann nicht auf eine üblicherweise zu erbringende Tätigkeit beschränkt werden. Erfordern die Verhältnisse der Gesellschaft einen über den üblichen Rahmen hinausgehenden Einsatz, dann muss ihn das Aufsichtsratsmitglied leisten. Eine Sondervergütung kann dafür nicht beansprucht werden. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 131 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 344 f. = ZIP 1994, 1216, 1217; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA.
2. Organschaftliche Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds Zu den Aufgaben eines Aufsichtsratsmitglieds gehören allgemeine Beratungs- 1309 leistung betriebswirtschaftlicher Art, BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 14, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 7, dazu EWiR 2009, 629 (Staake),
357
E. Der Aufsichtsrat
wie etwa die Beratung des Vorstandes in Fragen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung, BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA,
oder die Beratung beim Abschluss von Unternehmens- und Beteiligungskaufverträgen. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 14, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 7, dazu EWiR 2009, 629 (Staake).
1310 Als Tätigkeit, die nicht zu dem Aufgabenbereich des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder gehört, ist die Leistung von Diensten anzusehen, die Fragen eines besonderen Fachgebiets betreffen. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 345 f. = ZIP 1994, 1216, 1217; zur Abgrenzung vgl. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA.
3. Inhalt eines Beratungsvertrags 1311 Ein Beratungsvertrag i. S. d. § 114 AktG muss eindeutige Feststellungen darüber zulassen, ob die zu erbringende Tätigkeit zu den organschaftlichen Pflichten gehört oder nicht. Die speziellen Einzelfragen, in denen eine Beratungstätigkeit entfaltet werden soll, müssen so konkret bezeichnet werden, dass sich der Aufsichtsrat ein Bild über die Art der Tätigkeit machen kann. Es reicht nicht aus, wenn als Beratungsgegenstand nur generell bezeichnete Einzelfragen auf Gebieten angegeben werden, die auch zur Organtätigkeit gehören oder gehören können. Ferner muss der Vertrag den Umfang der Tätigkeit und die genaue Höhe des Entgelts angeben, damit der Aufsichtsrat überprüfen kann, ob die Vergütung angemessen ist oder ob der Vertrag verdeckte Sonderzuwendungen einschließt. Verträge, die diesen Anforderungen nicht genügen, erfüllen von vornherein nicht die Voraussetzungen des § 114 AktG und sind gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 113 AktG nichtig. BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 345 = ZIP 1994, 1216, 1217 f.; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 16 – IFA; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 15.
1312 Ein Vertragsgegenstand „anwaltliche Beratung in sämtlichen Angelegenheiten der Gesellschaft“ genügt diesen Anforderungen nicht. 358
VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 16.
Das Gleiche gilt für einen Vertrag über die Beratung „in betriebswirtschaftlichen 1313 Fragen“. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA.
4. Vor Mandatsübernahme geschlossener Beratervertrag Der Bundesgerichtshof ist nicht der Ansicht gefolgt, ein vor Übernahme des 1314 Aufsichtsratsmandats abgeschlossener Beratervertrag bleibe, selbst wenn eine Überschneidung von Beratungs- und Organtätigkeit bestehe, auch für die Zeit der Aufsichtsratszugehörigkeit wirksam. Nach seiner Ansicht ist das durch den Beratervertrag begründete Dauerschuldverhältnis ohne Inhalt und damit ohne Wirkung, solange das Aufsichtsratsmandat besteht. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 133 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 346 f. = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, ZIP 1998, 1801, 1803.
Rechtlich kommt diese Wirkung einem zeitlich auf die Dauer der Aufsichtsratszugehörigkeit beschränkten Wegfall der Geschäftsgrundlage nahe. Käme man nicht zu diesem Ergebnis, würde der Betreffende für ein und dieselbe Tätigkeit doppelt entlohnt. Das würde einen Anreiz dafür schaffen, durch den vorherigen Abschluss von Beraterverträgen die gesetzliche Regelung zu umgehen. Wird jemand in den Aufsichtsrat einer AG berufen und haben Aufsichts- 1315 ratsmitglied und Gesellschaft bereits vor der Aufnahme der Organtätigkeit einen Beratervertrag abgeschlossen, dessen Gegenstand von der Aufsichtsratstätigkeit nicht umfasst wird, ist auch für die Fortgeltung eines solchen Vertrags die Zustimmung des Aufsichtsrats nach § 114 Abs. 1 AktG erforderlich. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 347 f. = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, ZIP 1999, 1801, 1803.
Der Zweck des § 114 AktG besteht zum einen darin, Umgehungen des § 113 1316 AktG zu verhindern, indem es dem Aufsichtsrat ermöglicht wird, den vom Vorstand geschlossenen Beratungsvertrag präventiv darauf zu überprüfen, ob er tatsächlich in Übereinstimmung mit dem gesetzlichen Gebot des § 113 AktG nur Dienstleistungen außerhalb der organschaftlichen Tätigkeit zum Gegenstand hat. Der dadurch bewirkte Zwang, den Beratungsvertrag offenzulegen und dem Aufsichtsrat zur Zustimmung zu unterbreiten, soll diesem
359
E. Der Aufsichtsrat
zugleich die Möglichkeit eröffnen, sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der AG an einzelne Aufsichtsratsmitglieder – etwa in Form überhöhter Vergütungen – und damit eine denkbare unsachliche, der Erfüllung seiner Kontrollaufgabe abträgliche Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand zu verhindern. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 347 f. = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, ZIP 1999, 1801, 1803; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 9 – IFA; BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 9, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 13 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
1317 Dieser Normzweck trifft nicht nur auf während, sondern auch auf schon vor Beginn der Organtätigkeit des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds geschlossene Beratungsverträge zu. Der Vertrag verliert für die Dauer des Aufsichtsratsmandats seine Wirkung, wenn er dem Aufsichtsrat nicht zur Erteilung der Zustimmung vorgelegt oder die Zustimmung durch den Aufsichtsrat verweigert worden ist. Seine Wirksamkeit lebt erst nach Beendigung der Aufsichtsratstätigkeit wieder auf. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 132 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 347 f. = ZIP 1994, 1216, 1218; BGH, Urt. v. 2.7.1998 – IX ZR 63/97, ZIP 1999, 1801, 1803; BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 19 – IFA.
1318 Bei Unwirksamkeit eines derartigen, über einen längeren Zeitraum praktizierten Vertrags ist es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sich die Gesellschaft auf die Unwirksamkeit beruft. Zwingende Vorschriften wie die §§ 93 Abs. 3 Nr. 7 und 116 AktG dürfen grundsätzlich nicht aus reinen Billigkeitserwägungen unbeachtet gelassen werden. Ausnahmen lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn das Scheitern des Vertrags für eine der Parteien zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde. Das hat der Bundesgerichtshof aufgrund bestimmter Umstände verneint. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 134 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); vgl. auch BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 296, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
360
VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen
Einen allgemeinen, in die Zukunft wirkenden Schutz des Vertrauens auf die 1319 Gültigkeit eines Vertrags, von dessen Verbindlichkeit beide Parteien mit Rücksicht auf eine bestimmte, bei seinem Abschluss bestehende Rechtslage ausgegangen sind, der jedoch die Entscheidung, in der über die Wirksamkeit des Vertrags befunden wird, nicht folgt und die daher zu seiner Unwirksamkeit kommt, vgl. insoweit BGH, Urt. v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194 ff.,
hat der Bundesgerichtshof im konkreten Falle wegen Beweisfälligkeit verneint. Über die Frage, wie die Aufsichtsratstätigkeit von der zulässigen Beratungstätigkeit abgegrenzt werden müsse, habe allerdings bereits zur Zeit des Vertragsschlusses kein Zweifel mehr bestanden. Jedoch sei die Rechtsansicht, ein vor Übernahme des Aufsichtsratsmandats abgeschlossener Beratungsvertrag werde mit der Begründung der Organstellung für deren Dauer wirkungslos, neu gewesen und habe nicht ohne weiteres vorhergesehen werden können, weil das Gesetz dazu nichts aussage und das Schrifttum übereinstimmend einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen habe. In der Regel treffe es das Aufsichtsratsmitglied wirtschaftlich nicht ungleich schwerer als die AG, wenn diese sich auf die Unwirksamkeit berufe. Im konkreten Falle hatte die Klägerseite das Gegenteil vorgetragen, jedoch nicht mit den im Urkundsprozess zulässigen Beweismitteln unter Beweis gestellt. BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 136 f. = ZIP 1991, 653, dazu EWiR 1991, 525 (Semler); vgl. auch BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 349 = ZIP 1994, 1216, 1218 f.
5. Vertragspartner Die durch § 114 AktG ermöglichte Kontrolle ist auch dann geboten, wenn 1320 der Beratungsvertrag nicht mit dem Aufsichtsratsmitglied persönlich geschlossen wird, sondern mit einer Gesellschaft, an der das Aufsichtsratsmitglied – nicht notwendig beherrschend – beteiligt ist, etwa einem Rechtsanwalt als Aufsichtsrat und seiner Sozietät. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 8, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 11; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 14 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417; vgl. auch BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 – IFA dort Alleingesellschafter.
Dies kann allenfalls dann verneint werden, wenn es sich bei den mittelbaren 1321 Zuwendungen um – abstrakt betrachtet – ganz geringfügige Leistungen handelt oder wenn sie im Vergleich zu der von der Hauptversammlung durch Satzungs-
361
E. Der Aufsichtsrat
bestimmung oder durch Einzelbeschluss festgesetzten Aufsichtsratsvergütung einen vernachlässigenswerten Umfang haben. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 8, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 11; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 14 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
1322 § 114 AktG gilt auch dann, wenn der Beratungsvertrag mit einer von der AG abhängigen Gesellschaft geschlossen worden ist. Der II. Zivilsenat hat offengelassen, ob Beratungsverträge mit verbundenen Unternehmen grundsätzlich – etwa analog § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG – in den Anwendungsbereich des § 114 AktG fallen. Denn jedenfalls bedürfen nach dem Schutzzweck des § 114 AktG Beratungsverträge von Aufsichtsratsmitgliedern oder deren Sozietäten mit von der Gesellschaft abhängigen Unternehmen einer Zustimmung des Aufsichtsrats, wenn der Vorstand in der Lage ist, den Vertragsschluss mit dem abhängigen Unternehmen zu beeinflussen. Davon ist nach §§ 17 f. AktG im Regelfall auszugehen. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 16 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
6. Zustimmung 1323 Nach § 114 Abs. 1 AktG hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Zustimmung des Aufsichtsrats ab. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied unterliegt insoweit einem Stimmverbot. BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 13; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 32 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
1324 Hat der Aufsichtsrat in einen unter § 114 Abs. 1 AktG fallenden Vertrag nicht zuvor eingewilligt, kann er ihn auch noch nachträglich genehmigen und damit dessen schwebende Unwirksamkeit beenden. Dies gilt auch noch nach Zahlung einer Vergütung. Die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise ergibt sich aus § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 18 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
1325 Genehmigungsfähig ist der Vertrag nur dann, wenn er eine Abgrenzung zur nicht neben der Aufsichtsratsvergütung abrechenbaren Organtätigkeit erlaubt. Ist das nicht der Fall, ist der Vertrag gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 113 AktG nichtig.
362
VI. Zulässigkeit von Beratungsverträgen BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 13, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 15.
Ob eine Genehmigung auch dann möglich ist, wenn ein wegen ungenauer 1326 Bezeichnung der Vertragspflichten gegen § 113 AktG verstoßender Beratungsvertrag nachträglich konkretisiert wird, hat der II. Zivilsenat bisher offen gelassen. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 15, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 18 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
Durch die Genehmigung gilt der Vertrag nach § 184 Abs. 1 BGB als von An- 1327 fang an wirksam. Die Genehmigung schafft einen Rechtsgrund für eine bis dahin rechtsgrundlose Vergütungszahlung. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 20 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
Trotz der Möglichkeit, einen Beratungsvertrag zu genehmigen, handelt der 1328 Vorstand pflichtwidrig, wenn er dem Aufsichtsratsmitglied oder der Sozietät, an der das Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist, schon vor der Genehmigung des Vertrags durch den Aufsichtsrat eine Vergütung zahlt. Der Vertrag ist bis zur Entscheidung über die Genehmigung schwebend unwirksam. Ein Zahlungsanspruch aus dem Vertrag besteht daher noch nicht. Die präventive Kontrolle, die eine Umgehung des § 113 AktG und eine Beeinflussung der Unabhängigkeit des Aufsichtsratsmitglieds verhindern soll, hat noch nicht stattgefunden. Ob der Aufsichtsrat dem Vertragsschluss zustimmen wird, steht noch nicht fest. Deshalb ist es dem Vorstand regelmäßig untersagt, auf die bloße Erwartung hin, dass der Vertrag genehmigt wird, schon eine Vergütung zu zahlen. An der Rechtswidrigkeit einer solchen Vergütungszahlung ändert sich nichts, wenn der Aufsichtsrat den Vertrag anschließend genehmigt. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 19 f. – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
Gegen das Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats wird zu 1329 Unrecht eingewandt, es sei angesichts der geringen Sitzungsfrequenz unpraktikabel und führe dazu, dass keine Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern oder deren Sozietäten geschlossen werden würden. Zum einen kann der Aufsichtsrat die Zuständigkeit für Entscheidungen nach § 114 AktG auf einen Ausschuss übertragen. Zum anderen verbietet § 114 AktG nicht, einen Beratungsvertrag ohne vorherige Zustimmung des Aufsichtsrats zu schließen und seitens des Aufsichtsratsmitglieds zu erfüllen. Dadurch entsteht noch keine Verflechtung zwischen Vorstand und Aufsichtsratsmitglied, wie sie von § 114 AktG verhindert werden soll. Dazu kann es erst 363
E. Der Aufsichtsrat
kommen, wenn der Vorstand auch die Vergütung vor der Entscheidung des Aufsichtsrats zahlt. Die sich aus der Anwendung des § 114 AktG ggf. ergebende zeitliche Verzögerung der Honorarzahlung ist der Preis, den ein Aufsichtsratsmitglied zahlen muss, wenn es von der Gesellschaft Aufträge bekommen will. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22 Rn. 9, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 21 – Fresenius, mit Berichtigungsbeschluss ZIP 2012, 2019, dazu Ihrig, ZGR 2013, 417.
7. Rückgewähr der Vergütung und Gegenansprüche 1330 Stimmt der Aufsichtsrat dem Vertrag nicht zu, so hat das Aufsichtsratsmitglied eine erhaltene Vergütung (unverzüglich) zurückzugewähren (§ 114 Abs. 2 Satz 1). Grundlage für die Rückgewähr einer aufgrund eines gegen §§ 113, 114 AktG verstoßenden Beratungsvertrags zwischen der Aktiengesellschaft und einer Gesellschaft, der ein Aufsichtsratsmitglied angehört, gezahlten Vergütung ist auch im Verhältnis zu dem Beratungsunternehmen § 114 Abs. 2 AktG. BGH, Urt. v. 20.11.2006 – II ZR 279/05, BGHZ 170, 60 = ZIP 2007, 22, dazu EWiR 2007, 99 (Drygala).
1331 Wurde der Beratungsvertrag mit einer GmbH geschlossen, dessen alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer das Aufsichtsratsmitglied ist, haftet dieser neben der GmbH persönlich. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 10 f. – IFA.
1332 Der aktienrechtliche Anspruch der Gesellschaft auf Rückgewähr der Beratungsvergütung gem. § 114 Abs. 2 Satz 1 AktG greift auch im Fall eines gegen § 113 AktG verstoßenden und damit nichtigen Beratungsvertrags ein. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 20 – IFA.
1333 Der Rückzahlungsanspruch verjährt nach den allgemeinen Regeln (§§ 195, 199 BGB). Die Verjährungsfrist gem. §§ 116, 93 Abs. 6 i. V. m. Abs. 3 Nr. 7 AktG betrifft nur Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen Mitwirkung an der Gewährung unzulässiger Vergütungen, nicht aber den Rückgewähranspruch gegen das Aufsichtsratsmitglied, das die Vergütung (mittelbar oder unmittelbar) erhalten hat. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 21 – IFA.
1334 Nach § 114 Abs. 2 Satz 2 AktG kann das Aufsichtsratsmitglied, dessen Beratungsvertrag nicht zugestimmt worden ist, mit einem ihm zustehenden Bereicherungsanspruch nicht aufrechnen. Mit Rücksicht auf die ähnlichen
364
VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder
Wirkungen kann auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen derartiger Gegenansprüche geltend gemacht werden. Auch ein Zurückbehaltungsrecht an betrieblichen Mitteln oder Gegenständen der AG wegen eines solchen Anspruchs ist ausgeschlossen. BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 197/93, BGHZ 126, 340, 349 f. = ZIP 1994, 1216, 1219.
Dem Aufsichtsratsmitglied, das aufgrund eines nach §§ 113, 114 AktG i. V. m. 1335 § 134 BGB unwirksamen Beratungsvertrags Leistungen an die Gesellschaft erbringt, können Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung der AG gem. § 812 Abs. 1, § 818 Abs. 2 BGB sowie aus §§ 683, 670 BGB zustehen. BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 20 m. w. N.; BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 4 m. w. N., dazu EWiR 2009, 629 (Staake).
Solche Ansprüche können auch einer Gesellschaft zustehen, durch die das 1336 Aufsichtsratsmitglied mittelbar Dienstleistungen erbringen ließ. BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 4, dazu EWiR 2009, 629 (Staake).
Eine Anwendung des § 817 Satz 2 BGB scheidet aus, weil das gesetzliche 1337 Verbot des § 113 AktG sich nicht gegen die Beratungstätigkeit als solche, sondern gegen die Vergütungsvereinbarung richtet. BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 20.
Ein Bereicherungsanspruch oder ein Anspruch wegen Geschäftsführung ohne 1338 Auftrag eines Aufsichtsratsmitglieds bzw. einer mit ihm verbundenen Gesellschaft gegen die AG kommt aber nur für solche Dienstleistungen in Betracht, die außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Aufsichtsratsmitglieds im Aufsichtsrat liegen (§ 114 Abs. 1 AktG). Für Beratungsleistungen, die zur Erfüllung der organschaftlichen Pflichten des Aufsichtsrats gehören, kann das Aufsichtsratsmitglied eine Vergütung nur verlangen, soweit Satzung oder Hauptversammlung eine solche vorgesehen haben (§ 113 AktG). Auch Sondervergütungen müssen von der Hauptversammlung gebilligt werden. Auf ihre Gewährung besteht kein Anspruch. BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 6, dazu EWiR 2009, 629 (Staake).
VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Nach § 116 Satz 1 AktG gilt für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit 1339 der Aufsichtsratsmitglieder § 93 AktG über diejenige der Vorstandsmitglieder sinngemäß. Auf die Ausführungen zum Vorstand wird zunächst verwiesen auf Rn. 602 ff.
365
E. Der Aufsichtsrat
1. Erhöhter Pflichtenmaßstab 1340 Das Aufsichtsratsmitglied, das über beruflich erworbene Spezialkenntnisse verfügt, unterliegt, soweit sein Spezialgebiet betroffen ist, insoweit einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 28, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
1341 Das Aufsichtsratsmitglied, das über besondere Fachkenntnisse verfügt, ist gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, diese einzusetzen. Er wird nicht selten gerade wegen dieser speziellen Kenntnisse in den Aufsichtsrat gewählt. BGH, Urt. v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 = ZIP 2006, 1529 Rn. 17 – IFA; BGH, Urt. v. 2.4.2007 – II ZR 325/05, ZIP 2007, 1056 Rn. 16; BGH, Beschl. v. 27.4.2009 – II ZR 160/08, ZIP 2009, 1661 Rn. 6, dazu EWiR 2009, 629 (Staake); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 28, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
2. Treuepflicht 1342 Den Aufsichtsrat treffen auch Treuepflichten. BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz).
1343 Diese gebieten es, bei Kritik am Vorstand – soweit sie überhaupt in die Öffentlichkeit getragen werden darf – die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft nicht zu gefährden. BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, 2439, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz).
3. Verschwiegenheitspflicht 1344 Die Regelung über die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder ist mit der Einfügung von § 116 Satz 2 AktG durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 19.7.2002 (BGBl I, 2681) hervorgehoben worden. Die Aufsichtsratsmitglieder sind danach insbesondere zur Verschwiegenheit über erhaltene vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen verpflichtet. Ergänzend gilt weiterhin die Verweisung auf in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG geregelte weitergehende Verschwiegenheitspflicht. Dies betrifft etwa die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Vgl. BegrRegE BT-Drucks. 14/8769 S. 18.
1345 Von der Verschwiegenheitspflicht kann sich der Aufsichtsrat befreien vgl. BGH, Urt. v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = ZIP 2012, 1291 Rn. 40, dazu EWiR 2012, 437 (Bross);
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VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 30, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gem. § 116 Satz 1 1346 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG besteht über die Amtsbeendigung hinaus fort. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 4, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
Nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG haben die Aufsichtsrats- 1347 mitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die ihnen durch ihre Tätigkeit im Aufsichtsrat bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Dieses gesetzliche Verschwiegenheitsgebot für Aufsichtsratsmitglieder kann weder durch die Satzung noch die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats verschärft werden. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325; BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 4, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
Maßgebend für diesen Grundsatz ist, dass die gesetzliche Regelung abschlie- 1348 ßend ist, die nach § 23 Abs. 5 AktG weder gemildert noch verschärft werden darf. Der Gesetzgeber hat über Inhalt und Umfang der Schweigepflicht als Ausfluss der jedem Organmitglied obliegenden Treue- und Sorgfaltspflicht allgemein verbindlich entschieden. Der Bundesgerichtshof hat Inhalt und Umfang der Verschwiegenheitspflicht 1349 in der Entscheidung BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325
näher konkretisiert: Die Entscheidung beruht auf der Abwägung, inwieweit es zum Schutz übergeordneter Geheimhaltungsinteressen des Unternehmens geboten und tragbar erscheint, die Bewegungsfreiheit der Organmitglieder unter Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Funktionen zu beschränken. Ein unbeschränktes Schweigegebot würde der Bedeutung des Aufsichtsratsamts und der hohen, an seinen Träger zu stellenden sachlichen und persönlichen Anforderungen nicht gerecht, die ein gewisses Maß an Freiheit voraussetzen, um im Einzelfall eigenverantwortlich entscheiden zu können, wie die übernommenen Aufgaben am besten zu erfüllen sind. Dazu gehört eine nach sorgfältiger Prüfung getroffene Entscheidung darüber, wann Schweigen Pflicht und wann es erlaubt oder gar geboten ist, über eine bestimmte Angelegenheit zu reden. Entscheidungskriterium ist das Bedürfnis der Geheimhaltung im Interesse des Unternehmens. Ein grundsätzliches Verbot, „Gegenstand, Verlauf und Ergebnis“ von Aufsichtsratsverhandlungen zu offenbaren, kann daraus nicht abgeleitet werden. Es kann gerade im Interesse des Unternehmens notwendig sein, eine im Aufsichtsrat besprochene Angelegenheit zu erörtern, um Gerüchten entgegenzutreten, Unruhe zu vermeiden oder Missverständ-
367
E. Der Aufsichtsrat
nisse auszuräumen. Stimmabgabe und Stellungnahme anderer Aufsichtsratsmitglieder oder sonstige persönliche Äußerungen sind bereits ihrer Natur nach im Allgemeinen vertraulich zu behandeln. Würden sie in die Öffentlichkeit getragen, würde das zum Schaden der Gesellschaft eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und unbefangene Meinungsäußerungen in Frage stellen. Der mit einer Mitteilung geäußerte Wunsch nach Vertraulichkeit oder Geheimhaltung eines einzelnen oder der Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder kann einen wichtigen Hinweis auf vertrauliche Behandlung geben, der nicht ohne sorgfältige und erforderlichenfalls nach Einholung sachkundiger Beratung durchzuführende Prüfung beiseitegeschoben werden darf. Eine Bindung an Erklärungen des Vorstands als „Herren der Geschäftsgeheimnisse“ und an dessen Zustimmung besteht nicht. Erläuternde Hinweise in Form von Richtlinien werden durch die gesetzliche Regelung nicht ausgeschlossen, mit denen dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied eine auf die Praxis bezogene Orientierung gegeben wird, wann es im besonderen Maße auf die Gefahr einer Verletzung gesetzlich geschützter Geheimhaltungsinteressen achten muss. Das kann durch eine konkretere Fassung – als sie im Gesetz vorhanden ist – der in Betracht kommenden Einzelumstände, möglicherweise unter Beschränkung auf typische Fälle geschehen. Entscheidend ist, dass der eigenverantwortliche Entscheidungsspielraum, den das Gesetz gewährt, nicht eingeschränkt wird. Die „grundsätzliche“ Auferlegung einer Schweigepflicht ist nicht zulässig, auch wenn man darin nur eine Regel sieht, nach der es dem Aufsichtsratsmitglied überlassen bleibt nachzuweisen, dass es von der Schweigepflicht habe abweichen können oder müssen. Denn das Gesetz kennt keine im Einzelfall zu widerlegende Vermutung für ein sachlich unbegrenztes Schweigegebot. BGH, Urt. v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 326 ff.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48, 56 f. = ZIP 1997, 978.
4. Auskunft und Herausgabe von Unterlagen 1350 Aufsichtsratsmitglieder müssen nach ihrem Ausscheiden über alle Unterlagen der Gesellschaft in ihrem Besitz Auskunft geben und diese herausgeben (entsprechend §§ 675, 666, 667 BGB). Insoweit gilt nichts anderes als bei GmbHGeschäftsführern und AG-Vorständen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied (auch) ein Anstellungsverhältnis im Sinne eines Geschäftsbesorgungsvertrags oder ein rein korporationsrechtliches Verhältnis bestand. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 3, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
1351 Die Gesellschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Dokumente bzw. deren Mehrfertigungen nicht bei ausgeschiedenen Organmitgliedern verstreut bleiben und in unbefugte Hände geraten können. Dabei geht es nicht nur um geheimhaltungsbedürftige, sondern auch um sonstige Unterlagen, die aus gegebenem Anlass einzeln oder in ihrer Zusammenstellung eine im 368
VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder
Vorhinein nicht abzuschätzende Bedeutung erlangen können. Überdies würde eine Beschränkung der Herausgabepflicht auf aktuell geheimhaltungsbedürftige Dokumente häufig einen erheblichen Verwaltungsaufwand erfordern. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 3, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
Gegen eine Regelung in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, nach der jedes 1352 ausgeschiedene Aufsichtsratsmitglied alle ihm im Rahmen seiner Amtstätigkeit übermittelten Unterlagen der Gesellschaft herausgeben muss, bestehen daher keine Bedenken. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 7 f., dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
Der II. Zivilsenat hat in einem obiter dictum darauf hingewiesen, dass sich 1353 die Herausgabepflicht des Aufsichtsrats auch auf Duplikate und Fotokopien erstreckt. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 9, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
5. Entsprechenserklärung 1354
Siehe oben Rn. 673 ff. 6. Haftung des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft
Nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG ist ein Aufsichts- 1355 ratsmitglied der Gesellschaft zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den es pflichtwidrig unter Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Verwaltungsmitgliedes durch sein Verhalten verursacht hat. Schuldhaft handelnde Aufsichtsratsmitglieder haften nach § 116 Satz 1, § 93 1356 Abs. 3 Nr. 4 AktG, wenn Aktien vor Leistung der Bareinlage ausgegeben werden. BGH, Urt. v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265 = ZIP 2008, 788 Rn. 17 – Rheinmöve, dazu EWiR 2008, 513 (Weipert); BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 27, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
Der Schaden nach § 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG besteht darin, dass der Gesell- 1357 schaft nicht spätestens bei der Ausgabe der Aktien Kapital tatsächlich zufließt. Ein Schaden i. S. d. § 93 Abs. 2 AktG mit einer Vermögensdifferenz muss nicht entstehen. Solange der Bareinlageanspruch vollwertig ist, entsteht mit der Ausgabe der Aktien auch kein Schaden im Sinn einer Vermögensdifferenz, weil der Anspruch auf Bareinlageleistung dem Wert des vorenthaltenen Kapitals entspricht. Wie im Fall des § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG ist im Fall von § 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG aus diesem Grund keine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzunehmen. Auf die Durchsetzbarkeit der Bareinlageforde-
369
E. Der Aufsichtsrat
rung kommt es ebenfalls nicht an. Das Gebot, Aktien erst nach Leistung der Bareinlage auszugeben, soll gerade vor dem Ausfall der Bareinlageforderung schützen. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 29, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
1358 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kapitalerhöhungsvorgang der Gesellschaft zugeflossene Vermögensvorteile sind im Weg der Vorteilsausgleichung auf die Ersatzverpflichtung anzurechnen. Auch wenn keine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzunehmen ist, soll sich die Gesellschaft nicht aufgrund eines Fehlers der Organmitglieder auf deren Kosten bereichern. BGH, Urt. v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 31, dazu EWiR 2011, 793 (E. Vetter).
1359 Die Beratungs- und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats bezieht sich im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft auch auf die in dieser Situation bestehenden besonderen Pflichten des Vorstands. Der Aufsichtsrat muss sich im Rahmen seiner Informationspflicht ein genaues Bild von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft verschaffen und insbesondere in einer Krisensituation alle ihm nach § 90 Abs. 3, § 111 Abs. 2 AktG zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausschöpfen. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 15, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 12 f. – Doberlug, dazu EWiR 2010, 713 (E. Vetter).
1360 Bei einer Verletzung der Beratungs- und Überwachungspflicht können sich Ersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats ergeben. Daher haften die Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn sie die Insolvenzreife der Gesellschaft erkennen oder erkennen müssen, Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Vorstand entgegen dem Verbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG Zahlungen leisten wird und sie nichts dagegen unternehmen. Der Aufsichtsrat hat darauf hinzuwirken, dass der Vorstand rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt und keine Zahlungen leistet, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht vereinbar sind. Erforderlichenfalls muss er ein ihm unzuverlässig erscheinendes Vorstandsmitglied abberufen. Im Fall der Haftung sind die Mitglieder des Aufsichtsrats zum Ersatz der verbotswidrig geleisteten Zahlungen verpflichtet. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 14 f., dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 = ZIP 2010, 1988 Rn. 12 f. – Doberlug, dazu EWiR 2010, 713 (E. Vetter).
1361 Erst recht darf das Aufsichtsratsmitglied nach Eintritt der Insolvenzreife nicht selbst Zahlungen entgegennehmen.
370
VII. Pflichten und Haftung der Aufsichtsratsmitglieder Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 13 dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Verstößt der Aufsichtsrat gegen seine Pflicht, Schadensersatzansprüche oder 1362 Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Vorstand zu verfolgen, haftet er seinerseits nach § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 AktG. Vgl. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 30 dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
Legt das Aufsichtsratsmitglied ohne rechtliche oder kaufmännische Recht- 1363 fertigung dem Vorstand den Abschluss eines für die Gesellschaft schädlichen Rechtsgeschäfts nahe, so hat es den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, ohne dass es einwenden kann, es habe nur als Vertreter des Geschäftspartners und in Erfüllung einer Verpflichtung gehandelt, die es dem Geschäftspartner geschuldet habe. BGH, Urt. v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, WM 1980, 162.
Die Spaltung einer Person mit kollidierenden Pflichten in Verhaltensweisen, 1364 die nur dem einen, nicht aber dem anderen Verantwortungsbereich zugeordnet werden könnten, ist, wenn tatsächlich beide Bereiche betroffen sind, nicht möglich. Derartige Interessenkollisionen können ein Aufsichtsratsmitglied, das eine solche Position bei zwei Gesellschaften bekleidet, auch nicht in der Weise entlasten, dass die Pflichterfüllung gegenüber der einen die Pflichtverletzung gegenüber der anderen Gesellschaft rechtfertigen könnte. Veranlasst ein Aufsichtsratsmitglied seine Gesellschaft zum Abschluss eines für sie schädlichen Geschäftes mit einem Unternehmen, dem er selbst interessemäßig verbunden und dessen vertretungsberechtigtes Organ er ist, so ist das trotz gegenläufiger Interessen und Pflichten in seiner Person gegenüber der Gesellschaft pflichtwidrig und von ihm zu vertreten. BGH, Urt. v. 21.12.1979 – II ZR 244/78, WM 1980, 162.
Benennt eine Gesellschaft ein Mitglied ihres Vertretungsorgans für den Auf- 1365 sichtsrat einer AG und wird dieses in das Amt gewählt, haftet sie nicht, wenn der von ihr Vorgeschlagene bei der Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben als Aufsichtsratsmitglied pflichtwidrig ihren Interessen den Vorzug gibt und dadurch die AG einen Schaden erleidet. Eine Haftung der Gesellschaft entsprechend § 31 BGB für die pflichtwidrige Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats wäre unvereinbar mit der unabhängigen und eigenverantwortlichen Rechtsstellung der in das Aufsichtsratsamt berufenen Person. Diese begeht die Pflichtverletzung in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsorgans der benachteiligten Gesellschaft und nicht in Ausführung der ihm als Vorstandsmitglied der begünstigten Gesellschaft obliegenden Verrichtungen i. S. d. § 31 BGB. Die tatsächliche Bevorzugung eines anderen ist noch kein Handeln oder Unterlassen des anderen. Es bildet bei der Schwierigkeit, im Einzelfall das bestimmende Motiv festzustellen, auch kein taugliches Abgrenzungsmerkmal.
371
E. Der Aufsichtsrat BGH, Urt. v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 389 = ZIP 1984, 572.
1366 Im Streitfall hat die Gesellschaft lediglich darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten – ggf. durch ein Unterlassen – des Organmitglieds in seinem Pflichtenkreis ein Schaden oder ein Vermögensverlust i. S. d. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG durch Zahlungen nach Insolvenzreife entstanden ist. Das Aufsichtsratsmitglied muss dagegen nach §§ 116, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darlegen und beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt oder jedenfalls schuldlos gehandelt hat oder dass der Schaden auch bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten eingetreten wäre. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 20 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 16, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen); BGH, Urt. v. 14.5.2013 – II ZR 76/12, ZIP 2013, 1642 Rn. 15.
1367 Die Gesellschaft hat dem Aufsichtsratsmitglied Einsicht in die für die vorgeworfene Pflichtverletzung maßgeblichen Unterlagen zu gewähren. BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rn. 5, dazu EWiR 2008, 737 (Paul).
1368 Die Gesellschaft ist ihren Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber nicht verpflichtet, für diese – ohne eine Regelung in der Satzung – eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 23, dazu EWiR 2009, 493 (Kiem/Giershausen).
VIII. Klagebefugnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder – „actio pro societate“ 1369 Das Gesetz räumt den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bestimmte Rechte auf Erteilung von Informationen (§ 90 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 und 2, § 107 Abs. 2 Satz 4, § 125 Abs. 3 AktG), auf Teilnahme an Ausschusssitzungen und -versammlungen (§ 109 Abs. 2, § 118 Abs. 3 Satz 1 AktG) sowie auf Einberufung von Aufsichtsratssitzungen (§ 110 Abs. 1 und 2 AktG) ein. Es handelt sich um eigene, mit einer Klage durchsetzbare Rechte. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 62 = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck).
1370 Einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft sind demgegenüber nicht befugt, gegen – nach ihrer Darlegung rechtswidrige – Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands im Wege der Klage vorzugehen. Mit dem gegenüber dem Vorstand geltend zu machenden Recht auf Berichterstattung an den Aufsichtsrat (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AktG) und auf Kenntnisnahme dieser Berichte (§ 90 Abs. 5 AktG) wird das einzelne Aufsichtsrats-
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VIII. Klagebefugnis einzelner Aufsichtsratsmitglieder – „actio pro societate“
mitglied in die Lage versetzt, die Informationen, die es zur Erfüllung der ihm gem. § 111 Abs. 1 AktG obliegenden Überwachungspflicht benötigt, zu erlangen. Daraus kann jedoch selbst dann kein allgemeines Klagerecht der Aufsichtsratsmitglieder hergeleitet werden, wenn Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands zu einer Aushöhlung dieser den Aufsichtsratsmitgliedern zustehenden Informationsrechte führen. Denn das Recht auf Überwachung des Vorstands i. S. d. § 111 Abs. 1 AktG, um dessen Schutz es bei den Eingriffen in die Informationsrechte nach § 90 AktG geht, steht dem Aufsichtsrat nur als Kollegialorgan zu. Da dieser in seiner Gesamtheit (als Organ) mithin Träger des Überwachungsrechts ist, kann auch nur er sich auf ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen des Vorstands berufen, mit denen seine vom Gesetz geschützte Kompetenz beschnitten wird. Etwas anderes kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied nach § 116 AktG eine eigenverantwortliche Amtsausübung obliegt. Es muss an den Aufsichtsrat herantreten mit dem Begehren, dass dieser etwas gegen die Einschränkung seines Rechts unternimmt. Als „Reflex“ würde dann auch die mittelbare Beeinträchtigung des Rechts der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder beseitigt. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 62 f. = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck).
Der Bundesgerichtshof hat es ferner abgelehnt, im Wege der Rechtsfortbildung 1371 eine Klagebefugnis der Aufsichtsratsmitglieder in Anlehnung an die Entscheidung BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = ZIP 1982, 568 – Holzmüller,
anzuerkennen. Ein Klagerecht des Aktionärs gegen rechtswidrige Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands war hier gerechtfertigt wegen eines schwerwiegenden Eingriffs in Rechte und Interessen der Aktionäre. Das ist im Falle der Aufsichtsratsmitglieder nicht gegeben, weil nur in das Überwachungsrecht des Organs Aufsichtsrat eingegriffen wird. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 64 f. = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck).
Ob dem Aufsichtsratsmitglied ein Klagerecht im Wege der „actio pro societate“ 1372 zugebilligt werden kann, ist offengeblieben. Denn diese darf nicht dazu dienen, Konflikte, die zwischen Mehrheit und Minderheit im Aufsichtsrat entstehen, über den Umweg einer Inanspruchnahme des Gerichts auszutragen. Genau darauf lief die erhobene Klage hinaus. BGH, Urt. v. 28.11.1988 – II ZR 57/88, BGHZ 106, 54, 66 f. = ZIP 1989, 23, dazu EWiR 1989, 5 (Fleck).
373
F. Die Hauptversammlung I. Einberufung der Hauptversammlung 1. Zuständiges Organ Zuständiges Organ für die Einberufung ist grundsätzlich der gesamte Vor- 1373 stand (§ 121 Abs. 2 Satz 1 AktG). Er bleibt auch nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft einberufungsberechtigt; die Befugnis geht insbesondere nicht auf den Insolvenzverwalter über. Die Stellung des Vorstandes als Organ der Gesellschaft bleibt unabhängig von der Insolvenzeröffnung erhalten; lediglich sein Aufgabenbereich wird beschränkt. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 161 = ZIP 2002, 172, 173, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/ Bergjan).
Die Einberufung der Hauptversammlung einschließlich der damit in Zu- 1374 sammenhang stehenden Mitteilungen und Bekanntmachungen (§ 283 Nr. 6 i. V. m. §§ 121 ff. AktG) ist in einer KGaA Sache der Geschäftsführung und damit grundsätzlich dem geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Komplementär zugewiesen; einem nicht geschäftsführungsbefugten Komplementär kommt die Einberufungskompetenz nicht zu. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 27 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
Wird die Hauptversammlung nicht durch das dafür zuständigen Organ ein- 1375 berufen, sind die von ihr gefassten Beschlüsse nichtig, es sei denn, dass alle Aktionäre erschienen oder vertreten sind und kein Aktionär der Beschlussfassung widerspricht (§§ 241 Abs. 1 Nr. 1, 121 Abs. 6 AktG). Vgl. BGH, Urt. v. 26.10.1955 – VI ZR 90/54, BGHZ 18, 334, 339.
Beschlüsse des alleinigen Aktionärs sind aus diesem Grund unabhängig von 1376 der Einhaltung der Vorschriften über die Einberufung wirksam. BGH, Beschl. v. 21.11.1955 – II ARZ 3/55, BGHZ 19, 108, 109.
2. Inhalt der Einberufung a) Tagesordnung Nach § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG ist neben den zwingenden Mindestangaben 1377 Firma, Sitz der Gesellschaft sowie Zeit und Ort der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 3 Satz 1 AktG), deren Fehlen zur Nichtigkeit der dennoch gefassten Beschlüsse führt (§ 241 Nr. 1 AktG), die Tagesordnung anzugeben. Das hat den Zweck, die Aktionäre in die Lage zu versetzen, sich mit den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung zu befassen und aufgrund dieser 375
F. Die Hauptversammlung
Vorbereitung ihr Rede-, Frage- und Stimmrecht sinnvoll auszuüben, sowie zu befinden, ob sie überhaupt an der Hauptversammlung – selbst oder vertreten durch Dritte – teilnehmen sollen. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36 = ZIP 2003, 290, 292, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer); m. Anm. Claussen, BB 2003, 466.
1378 Eine Beschlussfassung der Hauptversammlung ist daher nicht möglich, wenn der zu fassende Beschluss nicht (ordnungsgemäß) in der Tagesordnung angekündigt war, und ein dennoch gefasster Beschluss regelmäßig nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. Vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36 = ZIP 2003, 290, 292, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer); m. Anm. Claussen, BB 2003, 466.
b) Mitteilung der Teilnahme- und Stimmrechtsbedingungen 1379 Die Einberufung muss bei börsennotierten Gesellschaften u. a. die Voraussetzungen angeben, von denen die Teilnahme an der Hauptversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen (§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 AktG). Damit sind die Voraussetzungen der Teilnahme und der Ausübung des Stimmrechts durch den Aktionär selbst und nicht die Voraussetzungen einer Bevollmächtigung und der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten gemeint, die vielmehr gesondert geregelt sind (§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AktG). Die Regelung zielt auf die Unterrichtung über etwaige Satzungsbestimmungen zur Anmeldung und der Legitimation des Aktionärs in der Versammlung. BGH, Urt. v. 25.9.1989 – II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546, 1547, dazu EWiR 1990, 319 (Hüffer); BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862 Rn. 41; BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz); m. Anm. Willburger, BB 2011, 2707; m. Bespr. Merkner/Schmidt-Bendun, NZG 2011, 1097; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882 Rn. 5.
1380 Unzutreffende Angaben in der Einberufung nach § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AktG können nur dann zur Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse führen, wenn der Mangel für die Entscheidung eines objektiv urteilenden Aktionärs relevant ist (§ 243 Abs. 1 AktG). Ob das bei Angaben zur Form der Stimmrechtsvollmacht der Fall sein kann, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen. BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813 Rn. 15, dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz); m. Anm. Willburger, BB 2011, 2707; m. Bespr. Merkner/Schmidt-Bendun, NZG 2011, 1097; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882.
376
I. Einberufung der Hauptversammlung
3. Bekanntmachung a) Beschlussvorschläge Nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG haben der Vorstand und der Aufsichtsrat in 1381 der Bekanntmachung der Tagesordnung zu jedem Tagesordnungspunkt Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen. Diese Pflicht trifft den Gesamtvorstand als Leitungsaufgabe. Daher ist eine Übertragung dieser Aufgaben auf ein einzelnes Vorstandsmitglied nicht zulässig, auch nicht, wenn eines von zwei Vorstandsmitgliedern ausgeschieden und nur noch ein Vorstandsmitglied vorhanden ist. BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche); BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 161 = ZIP 2002, 172, 173, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan).
Anders ist dies dann, wenn eines von zwei Vorstandsmitgliedern zurücktritt, 1382 der Aufsichtsrat nach der Satzung die Zahl der Vorstandsmitglieder bestimmen kann und er beschließt, dass die Gesellschaft nur noch ein Vorstandsmitglied hat. BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche).
Nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG hat nur der Aufsichtsrat zur Wahl von Auf- 1383 sichtsratsmitgliedern und Prüfern Vorschläge zu machen. Macht auch der Vorstand dazu Vorschläge, ist dies gesetzwidrig. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 35 = ZIP 2003, 290, 291 f., dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
Der Verstoß gegen § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG führt nach der Rechtsprechung 1384 des Bundesgerichtshofs zur Anfechtbarkeit der dennoch gefassten Beschlüsse. Nach § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG dürfen über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sind, keine Beschlüsse gefasst werden. Dieser Regelung liegt die gesetzliche Wertung zugrunde, dass Bekanntmachungsmängel für das Teilhaberecht des Aktionärs grundsätzlich von Bedeutung sind. Davon wird auch ein Verstoß gegen die Regelung des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG erfasst. BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 161 = ZIP 2002, 172, 173, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan); BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 288/99, ZIP 2002, 216, dazu EWiR 2002, 317 (Zetzsche); BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 35 = ZIP 2003, 290, 291, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer); BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 25, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
Dafür ist aber eine Ausnahme zu machen, wenn die Aufsichtsratswahl ange- 1385 fochten und für nichtig erklärt wird. Im Zeitpunkt, zu dem der Beschluss377
F. Die Hauptversammlung
vorschlag gefasst wird, kann der Aufsichtsrat nicht anders besetzt sein, weil der Wahlbeschluss, wenn er nicht nichtig, sondern nur anfechtbar ist, zunächst wirksam ist. Der Aufsichtsrat konnte nicht in anderer, „richtiger“ Besetzung tagen. Eine Rückabwicklung nach der Nichtigerklärung ist nicht nur unmöglich, sondern steht auch im Gegensatz zu dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, eine Hauptversammlung einberufen und dort wirksam Beschlüsse fassen zu können. Damit scheidet ein Mangel, der für das Teilhaberecht eines Aktionärs von Bedeutung ist, aus, auch wenn später der Wahlbeschluss rechtskräftig für nichtig erklärt wird. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 25, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
1386 Hat der Vorstand einen Beschlussvorschlag gemacht, obwohl nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG nur der Aufsichtsrat dazu befugt ist, wird die Relevanz für die Beschlussfassung auch nicht dadurch beseitigt, dass der Vorstand vor Beginn der Abstimmung erklärt, der Vorschlag werde nur vom Aufsichtsrat gemacht. Sinn der Mitteilung der Tagesordnungspunkte einschließlich der Beschlussvorschläge ist eine sachgemäße Information der Aktionäre, aufgrund deren sie nicht nur in die Lage versetzt werden sollen, sich mit den einzelnen Gegenständen der Tagesordnung zu befassen und aufgrund dieser Vorbereitung ihr Rede-, Frage- und Stimmrecht sinnvoll auszuüben, sondern auch, darüber zu befinden, ob sie überhaupt an der Hauptversammlung teilnehmen sollen. Daher ist eine Korrektur der gesetzwidrigen Bekanntmachung erst in der Hauptversammlung nicht mehr möglich. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36 = ZIP 2003, 290, 291, dazu EWiR 2003, 199 (Bayer/Fischer).
b) Weitere Informationen vor der Hauptversammlung 1387 Nach § 171 Abs. 2 AktG hat der Aufsichtsrat schriftlich an die Hauptversammlung über seine Prüfung des Jahresabschlusses, des Lageberichts und des Vorschlags für die Verwendung des Bilanzgewinns zu berichten. Der Bericht, welcher von der Einberufung der Hauptversammlung an in dem Geschäftsraum der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen ist (§ 175 Abs. 2 AktG), muss vom Aufsichtsrat durch förmlichen Beschluss festgestellt und dessen Urschrift zumindest durch den Aufsichtsratsvorsitzenden unterschrieben werden. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 13 ff., dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
1388 Soll die Hauptversammlung über einen Vertrag beschließen, der nur mit ihrer Zustimmung wirksam wird, so ist der wesentliche Inhalt des Vertrages bekanntzumachen (§ 124 Abs. 2 Satz 2 AktG). Das reicht aus, weil die in Betracht kommenden Verträge (Unternehmens-, Verschmelzungs- und Vermögensübertragungsverträge) in den Geschäftsräumen der Gesellschaft ohnehin auszulegen und den Aktionären auf Verlangen Abschriften davon zu erteilen
378
I. Einberufung der Hauptversammlung
sind (§§ 293 Abs. 3, 179a Abs. 2 AktG; §§ 63, 125 UmwG). Hat der Vertrag, dem zugestimmt werden soll, die Abänderung eines früher geschlossenen Unternehmensvertrages (§ 291) zum Gegenstand, reicht es regelmäßig aus, wenn der wesentliche Inhalt der Änderung bekanntgegeben wird. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 12 = ZIP 1992, 1227, dazu EWiR 1992, 953 (Windbichler).
Verpflichten sich zwei Aktiengesellschaften, ihr gesamtes Betriebsvermögen 1389 auf jeweils eine Tochtergesellschaft zu übertragen, sowie anschließend die jeweilige Beteiligung an jeder der beiden Töchter in eine von ihnen bei hälftiger Anteilsübernahme gemeinsam gegründete Zentral-AG einzubringen und haben sie über ihre Rechte und Pflichten in der Zentralgesellschaft einen umfangreichen Grundvertrag abgeschlossen, der u. a. Vereinbarungen über Gewinnverwendung, gemeinsame Stimmrechtsausübung sowie Vorstandsbesetzung in der Zentralgesellschaft und Geschäftsführungsgrundsätze enthält, so unterliegen der Bekanntmachungs- und Mitteilungspflicht sämtliche Abmachungen, wenn Grundvertrag und die Vereinbarungen über die Vermögensübertragung nach dem Willen der Vertragschließenden ein einheitliches Ganzes i. S. d. § 139 BGB bilden sollten. Die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung der Hauptversammlung erstreckt sich unter diesen Umständen auf alle diese rechtlich zusammenhängenden Vereinbarungen, so dass die Aktionäre auch über den wesentlichen Inhalt aller dieser nach § 179a Abs. 2 AktG in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegenden Abmachungen informiert werden müssen, um Inhalt und rechtliche Tragweite der Absprache übersehen, Vor – und Nachteile abwägen und verbindlich darüber entscheiden zu können, ob der Vertrag zu diesen Bedingungen abgeschlossen werden soll. BGH, Urt. v. 16.11.1981 – II ZR 150/80, BGHZ 82, 188, 195 ff. = ZIP 1982, 172.
Holt der Vorstand nach § 119 Abs. 2 AktG die Entscheidung der Haupt- 1390 versammlung in einer Geschäftsführungsangelegenheit ein, muss er ihr auch die Information geben, die sie zu einer sachgerechten Willensbildung benötigt. Betrifft die Beschlussfassung der Hauptversammlung die Zustimmung zu einem Verpflichtungsvertrag, den die einhundertprozentige Tochter-AG zur Übertragung ihres gesamten Vermögens abgeschlossen hat, muss der Vorstand der Mutter-AG deren Aktionären die in § 179a Abs. 2 AktG vorgeschriebenen Informationen erteilen. Das entspricht den in der „Holzmüller“-Entscheidung, BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 131,
ausgesprochenen Grundsätzen. Ein Informationsrecht in diesem Umfang besteht erst recht, wenn die Zustimmung der Hauptversammlung dadurch Außenwirkung erhält, dass die Wirksamkeit des Vertrages durch Vereinbarung einer Bedingung (§ 158 BGB) oder eines Genehmigungsvorbehaltes (§ 184 BGB) unmittelbar von der Zustimmung der Hauptversammlung der Mutter-AG abhängig gemacht worden ist. Ebenso verhält es sich, wenn in den Übertragungsvertrag ein Rücktrittsvorbehalt aufgenommen worden ist, nach dem
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F. Die Hauptversammlung
bei Zustimmung der Vertrag endgültig wirksam wird, bei Verweigerung der Zustimmung das Rücktrittsrecht ausgeübt und der Vertrag rückabgewickelt werden muss. BGH, Urt. v. 15.1.2001 – II ZR 124/99, BGHZ 146, 288 = ZIP 2001, 416, 417 f.
4. Ergänzungsverlangen und Gegenanträge a) Ergänzungsverlangen 1391 Nach § 122 Abs. 1 und 2 AktG können Aktionäre die Einberufung der Hauptversammlung oder eine Ergänzung der Tagesordnung verlangen. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, kann das Gericht die Aktionäre zur Einberufung oder zur Bekanntmachung der Ergänzung der Tagesordnung ermächtigen. Ist dies geschehen, kann ein daraufhin gefasster Beschluss der Hauptversammlung nicht mehr mit der Begründung angefochten werden, das Gericht habe dem Verlangen zu Unrecht entsprochen. BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – II ZB 17/11, ZIP 2012, 1313 Rn. 9, dazu EWiR 2012, 581 (Kort).
b) Gegenanträge 1392 Nach § 126 Abs. 1 Satz 1 AktG hat der Vorstand Kreditinstituten und – unter bestimmten Voraussetzungen – Aktionärsvereinigungen Anträge von Aktionären nebst Begründung mitzuteilen. Eine solche Verpflichtung besteht nur, wenn die Aktionäre diese Anträge mindestens 14 Tage vor der Versammlung übersandt haben (§ 126 Abs. 1 AktG). Ein Eingang bis 24:00 Uhr genügt, mit einer Kenntnisnahme noch am Tag des Eingangs muss nicht gerechnet werden. Für die Aktiengesellschaften ist es zumutbar, einmal im Jahr für den Empfang von Gegenanträgen bis 24,00 h geeignete Vorkehrungen zu treffen. BGH, Urt. v. 24.1.2000 – II ZR 268/98, BGHZ 143, 339, 343 = ZIP 2000, 409, 410; dazu EWiR 2000, 367 (Grunewald).
5. Gerichtliches Ermächtigungsverfahren 1393 Im Verfahren auf Ermächtigung einer Aktionärsminderheit zur Einberufung einer Hauptversammlung und Ergänzung der Tagesordnung gem. § 122 Abs. 1 bis 3 AktG tritt eine Hauptsacheerledigung ein, wenn die Hauptversammlung entsprechend dem Verlangen gesetzes- und satzungsgemäß einberufen und durchgeführt worden ist. BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – II ZB 17/11, ZIP 2012, 1313 Rn. 8, dazu EWiR 2012, 581 (Kort).
II. Auskunftsrecht des Aktionärs 1394 Der Vorstand hat in der Hauptversammlung jedem Aktionär auf dessen Verlangen Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, so380
II. Auskunftsrecht des Aktionärs
weit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich sind (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Vorschrift ist auch auf eine SE anwendbar. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 35 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
1. Inhalt und Umfang der Auskunft a) Verfassungsrechtliche Bedeutung des Auskunftsrechts Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach entschieden, dass das in 1395 der Aktie verkörperte Anteilseigentum unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG fällt. Der Schutz erstreckt sich auf die vom Aktieneigentum vermittelte mitgliedschaftliche Stellung in der AG. Aus dem Mitgliedschaftsrecht erwachsen dem Aktionär im Rahmen von Gesetz und Satzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche. Die Leitungsbefugnis folgt aus der Stellung der Hauptversammlung als zentrales Organ der Gesellschaft, die vermögensrechtliche Stellung ist in dem Anspruch auf Bilanzgewinn, dem Recht auf den Bezug neuer Aktien bei Kapitalerhöhungen und dem Recht auf Teilnahme am Liquidationserlös begründet. BVerfG, Urt. v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263, 276 – Feldmühle; BVerfG, Beschl. v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 301 f. = ZIP 1999, 1436, 1439 – DAT/Altana, dazu EWiR 1999, 751 (Neye); BVerfG, Beschl. v. 8.9.1999 – 1 BvR 301/89, ZIP 1999, 1804, 1805 – Hartmann & Braun; BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, ZIP 1999, 1798 – Wenger/Daimler-Benz, dazu EWiR 1999, 1035 (Bork); BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, 1802 – Scheidemantel II, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann).
Diese Grundsätze hat es auch auf das Informationsrecht des Aktionärs und 1396 das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 AktG übertragen. In dem „Wenger/Daimler-Benz“-Beschluss führt es aus, das Informationsrecht sei wesentlicher Bestandteil des Mitgliedschaftsrechts. Es sei unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung der Leitungsbefugnisse und für den Schutz der Dispositionsfreiheit über das Anteilseigentum. Die Regelung des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG hält es für eine zulässige Inhalts- 1397 und Schrankenbestimmung des Eigentums. Die zeitliche Einschränkung des Auskunftsrechts trage dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung: Ein auf die Hauptversammlung beschränkter Auskunftsanspruch gewährleiste eine gleichmäßige Unterrichtung der Aktionäre. Die gegenständliche Einschränkung beruhe auf der Verknüpfung von Auskunftsanspruch und Mitgliedsrecht. Sie entspreche der Abgrenzung der jeweiligen organschaftlichen Aufgabenbereiche, die
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F. Die Hauptversammlung
von den zuständigen Organen selbstverantwortlich wahrzunehmen seien. Die Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch den Vorstand sei durch das Auskunftsrecht, das Auskunftserzwingungsverfahren, das Minderheitenrecht i. S. d. § 122 Abs. 2 AktG und die Strafvorschrift des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG gewährleistet. 1398 Auch die Vermögensinteressen seien durch die Beschränkung des individuellen Auskunftsrechts nicht unverhältnismäßig eingeschränkt. Dieses sei in eine Vielzahl von Informations- und Publizitätsvorschriften eingebettet. BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, ZIP 1999, 1798, 1799 f. – Wenger/Daimler-Benz, dazu EWiR 1999, 1035 (Bork).
1399 Von den zuständigen Zivilgerichten verlange die Wahrung des Eigentumsrechts im Zusammenhang mit § 131 AktG, dass eine missbräuchliche Handhabung von Frage- und Auskunftsverweigerungsrecht unterbunden werde. BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, ZIP 1999, 1798, 1800 – Wenger/Daimler-Benz, dazu EWiR 1999, 1035 (Bork); BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, 1804 – Scheidemantel II, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann).
b) Erforderlichkeit der Auskunft 1400 Das Merkmal der Erforderlichkeit der Auskunft in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zielt darauf ab, missbräuchlich ausufernde Auskunftsbegehren zu verhindern, um die Hauptversammlung nicht mit überflüssigen, für eine sachgemäße Beurteilung des Beschluss- oder sonstigen Gegenstands der Tagesordnung unerheblichen Fragen zu belasten. Entsprechend der Funktion des Auskunftsrechts, das auch zur Meinungs- und Urteilsbildung anderer Aktionäre, insbesondere der Minderheitsaktionäre, in der Hauptversammlung beitragen soll, ist Maßstab für die „Erforderlichkeit“ eines Auskunftsverlangens der Standpunkt eines objektiv urteilenden Aktionärs, der die Gesellschaftsverhältnisse nur auf Grund allgemein bekannter Tatsachen kennt und daher die begehrte Auskunft als nicht nur unwesentliches Beurteilungselement benötigt. BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389 = ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 39 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 21.9.2009 – II ZR 223/08, ZIP 2009, 2203; BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 20, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 22 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
1401 § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG verstößt nicht gegen Art. 9 der Aktionärsrechterichtlinie (Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
382
II. Auskunftsrecht des Aktionärs
vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, Abl L 184 v. 14.7.2007, S. 17 ff.), soweit das Auskunftsrecht des Aktionärs auf zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderliche Auskünfte beschränkt ist. Die Begrenzung des Auskunftsrechts durch das Merkmal der Erforderlichkeit ist eine zulässige Maßnahme nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 der Aktionärsrechterichtlinie BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 27, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 27 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
Die Begrenzung des Auskunftsrechts der Aktionäre stellt keine unverhältnis- 1402 mäßige Beschränkung der Aktionärsrechte dar, weil zum einen die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Auskunft durch die Gesellschaft nach § 132 Abs. 1 AktG einer gerichtlichen Kontrolle unterliegt und zum anderen die Erteilung unzureichender Auskünfte die Gefahr der Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses in sich birgt. BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 388 = ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner) m. Anm. Weitemeyer, NZG 2005, 341; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 33 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 36, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460.
In der Praxis findet sich meist eine Generaldebatte. Dann muss der Aktionär 1403 die Erforderlichkeit der Auskunft erst dann darlegen, wenn die Gesellschaft die Auskunftserteilung unter Berufung auf fehlende Erforderlichkeit verweigert. BGH, Beschl. v. 21.9.2009 – II ZR 223/08, ZIP 2009, 2203.
Jede Ablehnung der Beantwortung einer irgendwann einmal im Verlaufe der 1404 Hauptversammlung aus anderem Anlass gestellten Frage berechtigt aber nicht dazu, jeden beliebigen Hauptversammlungsbeschluss anzufechten, sofern sich nur im Nachhinein schlüssig darlegen lässt, dass ihre Beantwortung (auch) in diesem Zusammenhang für die Meinungsbildung i. S. v. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG von Bedeutung hätte sein können. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 13 ff. = ZIP 1992, 1227.
383
F. Die Hauptversammlung
c) Einzelne Beschlüsse aa) Entlastung 1405 Dem Aktionär sind die für seine Ermessensausübung bei der Entscheidung über die Entlastung der Organe erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Es ist ihm nicht zuzumuten, die Tätigkeit der Verwaltung ohne die dazu erforderlichen Informationen „abzusegnen“ und ihr das Vertrauen auszusprechen. BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 39, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460.
1406 Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Entlastungsbeschluss wegen Verletzung des Informationsrechts eines Aktionärs (§ 131 AktG) aber erst dann rechtswidrig und daher gem. § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn das nicht oder nicht ausreichend beantwortete Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht gerichtet ist, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind. BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389 f. = ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 37 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
1407 Das Auskunftsbegehren muss sich außerdem auf den Zeitraum beziehen, in dem das zu entlastende Organ bestellt war, BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 11, dazu EWiR 2010, 441 (Kort),
und für den die Entlastung ausgesprochen wird. Das ist in der Regel das vorangehende Geschäftsjahr. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 11, dazu EWiR 2010, 441 (Kort).
1408 Dass ein in der Vergangenheit liegender Vorfall Dauerwirkung hat, verpflichtet die Gesellschaft nicht zu Auskünften ohne zeitliche Beschränkung, wenn ein Gegenstand der aktuellen Tagesordnung nur berührt wird, weil sich die damalige Weichenstellung weiterhin auswirkt. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 24 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
bb) Aufsichtsratswahl 1409 Für eine Entscheidung über die Wiederwahl der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder kann es von Bedeutung sein, ob diese Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit ihrer Überwachungsfunktion (§ 111 Abs. 1 AktG) verletzt haben.
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II. Auskunftsrecht des Aktionärs BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 38 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 28 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
cc) Eigene Aktien Verlangt ein Aktionär Auskunft über Anschaffung und Veräußerung eigener 1410 Aktien für ein Geschäftsjahr und verlangt er in einem näher bezeichneten Umfang Aufschlüsselung der einzelnen Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfte, wird dem Auskunftsbegehren nicht mit dem Hinweis auf die Vorschrift des § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG genügt. Denn die Frage dient der Klarstellung, ob sich der Erwerb eigener Aktien in dem gesetzlich zulässigen Rahmen bewegt hat. Damit der Aktionär das beurteilen kann, muss die Gesellschaft darlegen, von welchen Voraussetzungen sie bei der Beurteilung des Begriffes der Notwendigkeit ausgegangen ist und aus welchen Gründen nach ihrer Ansicht der Gesellschaft ein „schwerer Schaden“ drohte. BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 17 f. = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen).
dd) Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag In einer Hauptversammlung, die über die Zustimmung zu einem Beherr- 1411 schungs- und Gewinnabführungsvertrag beschließt, ist jedem Aktionär auch Auskunft über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu geben, mit dem der Vertrag geschlossen wird (§ 293g Abs. 3 AktG). Dazu gehört in jedem Falle die Vermögens- und Ertragslage des herrschenden Unternehmens einschließlich seiner Beteiligungen an anderen Unternehmen. Das gilt auch für die Änderung eines Unternehmensvertrages, wie sich aus der Verweisung des § 295 Abs. 1 Satz 2 AktG auf § 293 AktG ergibt. Besteht die Änderung darin, dass der Vertrag auf ein weiteres Unternehmen als herrschendes erstreckt wird, sind auch Auskünfte über dieses Unternehmen zu erteilen. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 16 = ZIP 1992, 1227; BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 238 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester).
Die Auskunftspflicht umfasst jedoch nicht die Angelegenheiten der Gesell- 1412 schafter der an einem Unternehmensvertrag beteiligten Gesellschaften. Handelt es sich bei den Gesellschaftern um Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften, brauchen keine Angaben über deren Gewinne bzw. Verluste oder über mögliche Beteiligungen an anderen Gesellschaften gemacht zu werden. Schlagen sich die Angelegenheiten in den Verhältnissen der am Unternehmensvertrag beteiligten Gesellschaften nieder, sind sie zu deren Angelegenheiten zu rechnen.
385
F. Die Hauptversammlung BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 237 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester).
ee) Beteiligungen als Auskunftsgegenstand 1413 Da die auf eine Auswertung von Bilanz- und Erfolgsrechnung beschränkte Bilanzanalyse wenig aussagekräftig ist, weil der Einblick in die Vermögensund Ertragslage durch Bilanzierungswahlrechte und die Bildung stiller Reserven erschwert wird, ist zusätzliches Datenmaterial, zu dem auch Beteiligungen eines Unternehmens wegen ihrer Bedeutung für dessen Vermögens-, Finanzund Ertragslage gehören, bei einer Bilanzanalyse zu berücksichtigen. Die ordnungsgemäße Abwicklung jedenfalls eines bedeutenden Beteiligungserwerbs kann ein für die Billigung des Organhandelns wesentlicher Umstand sein und sich das Auskunftsrecht ausnahmsweise auf dessen konkreten Inhalt beziehen. Vgl. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 19.
1414 Die Mitteilung des genauen Inhalts der über den Erwerb geschlossenen Verträge ist aber keine für die Beurteilung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungshandelns erforderliche Information und die Benennung sämtlicher im Rahmen der Due Diligence aufgedeckten Risiken nicht erforderlich. BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 41, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460.
2. Form und Umfang der Auskunft, Nachfrage 1415 Der Aktionär hat einen Anspruch auf umfassende und erschöpfende Auskunft, die nur aus bestimmten Gründen verweigert werden darf (§ 131 Abs. 3 Satz 2 AktG). Deshalb kann sich die Verpflichtung des Vorstandes zur Auskunftserteilung nicht auf Auskünfte beschränken, die ohne weiteres und sofort gegeben werden können. Sie umfasst vielmehr auch solche Fragen, zu deren Beantwortung sich der Vorstand die notwendigen Unterlagen ohne größere Schwierigkeiten und ohne wesentliche Verzögerung der Hauptversammlung beschaffen kann. Den Vorstand trifft die Pflicht, während der Hauptversammlung das dafür erforderliche Personal zur Verfügung zu halten, damit derartige unschwer herauszusuchende Unterlagen rechtzeitig herbeigeschafft werden können. BGH, Urt. v. 7.4.1960 – II ZR 143/58, BGHZ 32, 159, 165.
1416 In diesem Zusammenhang darf aber nicht die Pflicht des Aktionärs übersehen werden, dem Vorstand die Beantwortung der ins Auge gefassten Fragen zu erleichtern und auf diese Weise einen zügigen Ablauf der Hauptversammlung zu ermöglichen. Denn umfangreiche oder inhaltlich schwierige Vorgänge bedürfen auch unter diesen Umständen einer Aufbereitung und erfordern Zeit. Man kann daher von dem Aktionär verlangen, dass er solche Fragen dem Vorstand vor der Hauptversammlung bekanntgibt und auf diese Weise
386
II. Auskunftsrecht des Aktionärs
die erforderliche Vorbereitungszeit für eine auf sachgemäßer Grundlage erarbeitete Beantwortung ermöglicht. BGH, Urt. v. 7.4.1960 – II ZR 143/58, BGHZ 32, 159, 166.
Die Treuepflicht gebietet es dem Aktionär, auf die Erwirkung einer klaren 1417 und vollständigen Beantwortung hinzuwirken. Vgl. RGZ 167, 151, 158.
Wenn eine Frage auf eine Vielzahl von Informationen gerichtet ist, die zu- 1418 mindest teilweise nicht für die Beurteilung eines Tagesordnungspunkts relevant sind, muss der Aktionär, der auf seine Frage eine aus seiner Sicht unzureichende Pauschalantwort erhält, durch eine Nachfrage deutlich machen, dass sein Informationsinteresse auf bestimmte Detailauskünfte gerichtet ist. Das Gleiche gilt bei einer pauschalen Antwort bei einer pauschalen Frage, bei der der Aktionär ein auf detaillierte Informationen gerichtetes Auskunftsverlangen ebenfalls durch eine Nachfrage kundtun muss. BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 44, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting, ZIP 2013, 2460.
Die von einem Aktionär begehrte Auskunft ist durch den Vorstand in der 1419 Hauptversammlung mündlich zu erteilen. Denn die Auskunft dient nicht nur der Unterrichtung des fragenden Aktionärs, sondern auch der Hauptversammlung als Organ. Die übrigen Aktionäre müssen daher die Möglichkeit haben, von der Antwort Kenntnis zu nehmen. BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 15 = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen).
Es kann jedoch im Interesse des Aktionärs liegen, ihm während der Haupt- 1420 versammlung Einsicht in vorbereitete Aufzeichnungen oder Unterlagen zu gewähren. Das ist dann zu bejahen, wenn er sich an Hand der Aufzeichnungen schneller und zuverlässiger unterrichten kann als das eine mündliche Information durch den Vorstand vermag, z. B. wenn die Auskunft im Wesentlichen aus einer Fülle von Zahlen und Daten besteht. In diesem Falle kann der Vorstand den Aktionär ausnahmsweise auf den Weg der Informationserteilung durch die Einsichtnahme in Unterlagen verweisen. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass auch die übrigen Aktionäre die entsprechenden Unterlagen einsehen können. Das kann dadurch bewerkstelligt werden, dass die Unterlagen zur Einsichtnahme bereitgehalten und dieser Umstand den Aktionären in der Hauptversammlung bekanntgegeben wird. BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 16 = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen).
Es besteht kein Anspruch auf Vorlage von Unterlagen und auf Einsicht- 1421 nahme in Bücher oder Gutachten der beherrschten Gesellschaft oder des anderen Vertragsteils.
387
F. Die Hauptversammlung BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 236 f. = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester).
1422 Der Auskunftsanspruch des Aktionärs kann sich aber auf die Verlesung von Urkunden richten. Auch das ist eine Auskunftserteilung, die lediglich in ihrer umfassendsten Form vorgenommen wird. Diese Art der Auskunftserteilung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der aus der Urkunde ersichtliche Vorgang von außerordentlicher Bedeutung ist und die inhaltliche Wiedergabe nicht ausreichen würde, den Aktionär zutreffend und umfassend zu unterrichten. Der Bundesgerichtshof zählt dazu vor allem Verträge, die für die Entwicklung der Gesellschaft von größter Bedeutung sind. BGH, Urt. v. 30.3.1967 – II ZR 245/63, WM 1967, 503.
1423 Auszunehmen sind aber die Verträge, die ohnehin vor Durchführung der Hauptversammlung in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auszulegen und von denen dem Aktionär auf Verlangen Abschriften zu erteilen sind (Unternehmens-, Verschmelzungs- und Vermögensübertragungsverträge). Ein Anspruch auf Verlesung derartiger Unterlagen ist dann zu verneinen, wenn sich die Verlesung wegen der Länge der dafür benötigten Zeit, der vorgerückten Stunde oder aus anderen überragenden Gründen der Verhandlungsführung nicht durchführen lässt. BGH, Urt. v. 30.3.1967 – II ZR 245/63, WM 1967, 503, 505.
3. Verweigerung der Auskunft 1424 § 131 Abs. 3 AktG beschränkt das Recht auf Auskunftsverweigerung auf bestimmte, im Einzelnen festgelegte Tatbestände (objektive Gründe). Ein allgemeines pflichtgemäßes Ermessen für die Entscheidung kann der Vorstand für sich nicht in Anspruch nehmen. Das Bundesverfassungsgericht versteht das Auskunftsverweigerungsrecht als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Informationsrechts als Ausfluss des (Anteils-)Eigentumsrechts. Der als selbstverantwortliches Leitungsorgan der AG handelnde Vorstand könne das Auskunftsverweigerungsrecht wahrnehmen, müsse jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten. Unter diesen Gesichtspunkten bejaht das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des § 131 Abs. 3 Nr. 3 AktG zur Verweigerung der Auskunft über stille Reserven. BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, 1802 f., dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann).
1425 Der Vorstand darf die Auskunft nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG verweigern, soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen. Im Rahmen dieser Prüfung ist abzuwägen, ob von einer offenen Antwort auf die in der Hauptversammlung gestellten Fragen auch Vorteile für die Gesamtheit der Aktionäre und die Gesellschaft selbst zu erwarten sind, die zu befürchtende Nachteile aufwiegen. 388
II. Auskunftsrecht des Aktionärs BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 19 = ZIP 1983, 163; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 28 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
Eine solche Situation kann namentlich dann auftreten, wenn der begründete 1426 Verdacht besteht, dass die Geschäftsleitung gegen ihre kaufmännische Sorgfaltspflicht in erheblicher Weise verstoßen hat, und wenn die verlangten Auskünfte zur Bestätigung oder zumindest Erhärtung dieses Verdachtes führen. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 19 = ZIP 1983, 163; BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 9 = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 39 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 28 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
Der Vorstand kann sich bei Zweifeln an der Ordnungsmäßigkeit seiner Ge- 1427 schäftsführung, die er kennt oder kennen muss, auf ein objektiv begründetes Diskretionsinteresse der Gesellschaft regelmäßig dann nicht berufen, wenn die Offenlegung für die Beurteilung seiner Amtsführung maßgeblich ist und nicht schon ein wirksames Eingreifen des Aufsichtsrats zu erwarten ist. Die Offenbarung pflichtwidriger Versäumnisse liegt vielfach im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft, wenn die Hauptversammlung sich hierdurch vernünftigerweise veranlasst sehen könnte, der Verwaltung die Entlastung zu verweigern oder dem Vorstand das Vertrauen zu entziehen und dadurch zum Nutzen der Gesellschaft einen Wechsel in der Geschäftsleitung herbeizuführen. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 19 = ZIP 1983, 163; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 28 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
Der Gesichtspunkt der möglichen Verletzung eines Berufsgeheimnisses steht 1428 einer Offenbarung nicht von vorneherein entgegen. Eine Bank verletzt ihr Berufsgeheimnis nicht schon dadurch, dass sie pflichtgemäß Auskünfte über Verluste im Kreditgeschäft gibt, die Vermutungen über die Lage von Bankkunden auslösen können. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 22 = ZIP 1983, 163.
Der Vorstand darf regelmäßig die Auskunft verweigern, wenn sich das Aus- 1429 kunftsverlangen auf vertrauliche Vorgänge aus den Sitzungen des Aufsichtsrats bzw. der von ihm nach § 107 Abs. 3 Satz 1 AktG bestellten Ausschüsse richtet.
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F. Die Hauptversammlung BGH, Beschl. v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = ZIP 2013, 2454 Rn. 47, dazu EWiR 2014, 37 (E. Vetter); m. abl. Anm. Kersting ZIP 2013, 2460; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 76 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
1430 Die ein Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Umstände muss die Gesellschaft nicht darlegen und beweisen, sondern es genügt, die das Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Nachteile plausibel zu machen. Es ist dann Sache des Aktionärs, diejenigen Umstände darzulegen, aus denen ein vorrangiges Aufklärungsinteresse der Gesamtheit der Aktionäre und der Gesellschaft folgt. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 17 = ZIP 1992, 1227; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 42 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
1431 Der subjektive Verdacht eines Aktionärs von Unregelmäßigkeiten genügt dazu nicht. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 43 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
1432 Ist einem Aktionär mit Rücksicht auf seine Aktionärseigenschaft eine Auskunft außerhalb der Hauptversammlung gegeben worden, so muss sie auch jedem anderen Aktionär auf dessen Verlangen in der Hauptversammlung gegeben werden, auch wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung nicht erforderlich ist (§ 131 Abs. 4 Satz 1 AktG). Einem Aktionär ist eine Auskunft dann nicht in seiner Eigenschaft als Aktionär erteilt worden, wenn er sie in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied oder aufgrund einer außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses begründeten Beziehung zu einem Aufsichtsratsmitglied erlangt hat. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 6 f. = ZIP 1983, 163.
1433 In einer Hauptversammlung, die über die Zustimmung zu einem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag beschließt, ist jedem Aktionär auch Auskunft über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des Unternehmens zu geben, mit dem der Vertrag geschlossen wird (§ 293g Abs. 3 AktG). Das gilt auch für die Änderung eines Unternehmensvertrags (§ 295 Abs. 1 AktG), u. a. auch dann, wenn die Änderung darin besteht, dass der Vertrag auf ein weiteres Unternehmen als herrschendes erstreckt wird. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 15 f. = ZIP 1992, 1227.
1434 Der Umstand, dass ein Änderungsvertrag weder mit einer Abfindung in Aktien (§ 305 Abs. 2 AktG) noch mit der Gewährung eines variablen Ausgleichs (§ 304 Abs. 2 Satz 2 AktG) zusammenhängt, lässt das Auskunftsrecht nicht 390
II. Auskunftsrecht des Aktionärs
entfallen. Denn das Auskunftsrecht dient nicht nur der Wahrnehmung der Vermögensinteressen der Aktionäre, sondern allgemein ihrer Mitverwaltungsbefugnisse, zu denen die Mitentscheidung über den Abschluss – bzw. die Änderung – des Beherrschungsvertrags gehört. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 17 = ZIP 1992, 1227; BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 238 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester).
Die Pflicht des Vorstandes, auf Verlangen in der Hauptversammlung Aus- 1435 kunft auch über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Angelegenheiten des anderen Vertragsteils zu geben (§ 293g Abs. 3 AktG), umfasst auf jeden Fall die Vermögens- und Ertragslage des herrschenden Unternehmens sowie seine Beteiligungen an anderen Unternehmen. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 15 f.; BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 238 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester); BGH, Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 58/94, ZIP 1995, 1256, 1258, dazu EWiR 1995, 897 (Großfeld).
Der Zustimmungsbeschluss zu einem Unternehmensvertrag kann nicht mit 1436 der Begründung angefochten werden, er sehe keine angemessene Abfindung (§ 305 Abs. 5 Satz 1 AktG) bzw. keinen angemessenen Ausgleich (§ 304 Abs. 3 Satz 2 AktG) vor. Eine Auskunft über Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit dieser Ansprüche maßgebend sind, darf dennoch nicht verweigert werden. Denn die Aktionäre müssen in der Lage sein zu beurteilen, ob die vereinbarte Abfindung bzw. der vereinbarte Ausgleich angemessen sind und der Zustimmung zum Unternehmensvertrag unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken entgegenstehen. BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 238 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester); BGH, Urt. v. 19.6.1995 – II ZR 58/94, ZIP 1995, 1256, 1258, dazu EWiR 1995, 897 (Großfeld).
Allerdings führt der Informationsmangel nicht mehr zur Anfechtbarkeit des 1437 Zustimmungsbeschlusses, soweit für Bewertungsrügen ein Spruchverfahren vorgesehen ist (§ 243 Abs. 4 Satz 2 AktG). Die Unvollständigkeit einer Auskunft steht der Verweigerung nicht ohne 1438 weiteres gleich. Die Treuepflicht gebietet es dem Aktionär, auf die Erwirkung einer klaren und vollständigen Beantwortung hinzuwirken. Vgl. RGZ 167, 151, 158.
Die Verweigerung erfordert einen – zumindest stillschweigenden – Beschluss 1439 des Vorstandes als Kollegialorgan. Ob daran der Vorstand in seiner Gesamt-
391
F. Die Hauptversammlung
heit oder nur mehrheitlich mitzuwirken hat, richtet sich nach der Regelung in der Satzung bzw. der Geschäftsordnung des Vorstandes (§ 77 Abs. 1 Satz 1 und 2). Vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 121, 127.
1440 Für die Frage, ob ein Auskunftsverweigerungsrecht besteht, kommt es allein auf die objektive Sachlage an, so dass die Gesellschaft trotz der Vorschrift des § 131 Abs. 5 AktG, wonach auf Verlangen des Aktionärs die für die Auskunftsverweigerung angeführten Gründe in die Niederschrift über die Verhandlung aufzunehmen sind, eine Begründung noch im Auskunftserzwingungsverfahren nachschieben kann. BGH, Urt. v. 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 121, 130 f.; BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 42 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
1441 Wenn die Auskunftsverweigerung in der Hauptversammlung nicht begründet wird, stellt dieses Verhalten noch keine Gesetzesverletzung i. S. d. § 243 Abs. 1 AktG mit der Folge dar, dass die Verweigerung unwirksam oder unzulässig ist und darauf die Anfechtungsklage gestützt werden kann. Für das Vorliegen einer zur Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses berechtigenden Gesetzesverletzung ist allein entscheidend, ob der Vorstand zur Verweigerung der Auskunft berechtigt sei oder nicht. BGH, Urt. v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 8 f. = ZIP 1987, 1239, dazu EWiR 1987, 1057 (Claussen).
4. Auskunftserzwingungsverfahren 1442 Nach § 132 Abs. 2 AktG kann jeder Aktionär, dessen Auskunftsverlangen nicht entsprochen worden ist oder der gegen einen Hauptversammlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, zu dessen Gegenstand das Auskunftsverlangen gestellt worden war, eine Entscheidung des Landgerichts darüber erwirken, ob der Vorstand die Auskunft zu erteilen hat. Die Entscheidung kann nur dann mit der Beschwerde zum Oberlandesgericht angegriffen werden, wenn das Landgericht sie im Beschluss für zulässig erklärt. Die Zulassung soll nur erfolgen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. (§ 132 Abs. 3 Satz 3 AktG in Verbindung mit § 70 Abs. 2 FamFG). 1443 Diese Regelung ist verfassungskonform. Weder das Rechtsstaatsprinzip noch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten einen Instanzenzug. BVerfG, Beschl. v. 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 und 1, 2, 3, 4/87 und 1 BvR 1421/86, BVerfGE 92, 365, 410, dazu EWiR 1995, 889 (Wiedemann).
1444 Auch Art. 103 Abs. 1 GG gebietet zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nicht, ein Rechtsmittel zu einem Gericht höherer Instanz vorzusehen. 392
III. Leitung der Hauptversammlung BVerfG, Beschl. v. 8.2.1994 – 1 BvR 765, 766/89, BVerfGE 89, 381, 390.
Demgemäß ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass im Auskunftser- 1445 zwingungsverfahren die sofortige Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 3 Satz 3 AktG vorgesehen ist. BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 168/93, ZIP 1999, 1801, 1803 – Scheidemantel II, dazu EWiR 1999, 1033 (Luttermann).
Die Beschwerdefrist beträgt nach § 132 Abs. 3 Satz 1, § 99 Abs. 1 AktG, 1446 § 63 Abs. 1 FamFG einen Monat. Das Beschwerdegericht kann gem. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von der Durch- 1447 führung einer mündlichen Verhandlung absehen. BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 22 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts findet bei Zulassung die 1448 Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof statt. Dabei ist grundsätzlich der von dem Beschwerdegericht festgestellte Sachverhalt zugrunde zu legen. Die Feststellungen des Tatrichters sind im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf zu überprüfen, ob er den Rechtsbegriff der Erforderlichkeit zutreffend erfasst und sich mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Das gilt entsprechend auch für die Frage, ob die Erteilung der Auskunft geeignet wäre, der Gesellschaft einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen. BGH, Beschl. v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, ZIP 2014, 671 Rn. 30 – Porsche SE, dazu EWiR 2014, 309 (Bungert/de Raet).
III. Leitung der Hauptversammlung Der Leiter einer Hauptversammlung hat für die sachgemäße Erledigung ihrer 1449 Geschäfte zu sorgen. Aus dieser Aufgabe folgen seine Befugnisse und deren Grenzen. Er hat alle Rechte, die er benötigt, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 248.
In seinem Ermessen steht es, über die Entlastung von Vorstand oder Auf- 1450 sichtsrat gesammelt oder einzeln abstimmen zu lassen, sofern darüber nicht die Hauptversammlung beschließt. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 10, dazu EWiR 2010, 441 (Kort); BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 12 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
393
F. Die Hauptversammlung
1451 Zu den wichtigsten Ordnungsmaßnahmen gehören die Beschränkung der Redezeit, der Entzug des Wortes, die Verweisung aus dem Versammlungsraum und die Anordnung des Schlusses der Debatte. Diese Maßnahmen greifen in das Teilnahmerecht und die übrigen mit ihm verbundenen Rechte des Aktionärs ein. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Aktionär einen erheblichen Teil seiner Mitgliedschaftsrechte nur auf der Hauptversammlung ausüben kann. Redezeitbeschränkung, Wortentzug und Saalverweisung führen dazu, dass der betroffene Aktionär seinen Standpunkt nicht mehr darlegen kann und dass er bei der Saalverweisung sogar um die Ausübung seines Stimmrechts kommt, soweit er nicht zuvor noch einen anderen Aktionär mit dessen Wahrnehmung betrauen kann. Diese Folgen zwingen dazu, an die Voraussetzungen für diese Ordnungsmassnahmen strenge Anforderungen zu stellen. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 255.
1452 Die Beschränkung des Rederechts darf nicht unangemessen sein. Was unangemessen ist, hängt im Wesentlichen von Schwierigkeit und Umfang des abgehandelten Fragenkreises ab. Sie darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Hauptversammlung bekundet, auf die Ausführungen des Redners keinen Wert zu legen. Denn die Hauptversammlung muss sich der sachgemäßen Erörterung der Tagesordnungspunkte unterziehen und die abwägenden Argumente anhören. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 253.
1453 Von dem Wortentzug und der Saalverweisung darf nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Störung auf andere Weise nicht behoben werden kann. Auch das folgt aus den Aufgaben des Versammlungsleiters, aus denen die Erforderlichkeit der Ordnungsmassnahme abzuleiten ist. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 255; BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 16 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
1454 Die Ausschließung des Aktionärs von der weiteren Teilnahme ist dann gerechtfertigt, wenn dieser den reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung stört und die Störung nicht auf andere Weise behoben werden kann. Von ihr kann nur als ultima ratio Gebrauch gemacht werden. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 255.
1455 Diese Grundsätze hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. In dem „Wenger/Daimler-Benz“-Beschluss führt es dazu aus, Ordnungsmassnahmen, zu denen auch allgemeine Redezeitbeschränkungen und u. U. sogar Wortentzug und Saalverweisung gehörten, seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie im Dienst einer ordnungsgemäßen Versammlungsleitung stünden.
394
III. Leitung der Hauptversammlung BVerfG, Beschl. v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, ZIP 1999, 1798, 1801 – Wenger/Daimler-Benz, dazu EWiR 1999, 1035 (Bork).
Versichert sich der Leiter einer Hauptversammlung zur Beschränkung der 1456 weiteren Redezeit oder der Saalverweisung eines Aktionärs der Zustimmung der Hauptversammlung, so ist das nur eine unverbindliche, mit einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage nicht angreifbare Meinungsbefragung. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 f., 248.
Die Satzung kann konkrete Regelungen zur Beschränkung der Gesamtdauer 1457 der Hauptversammlung sowie der Rede- und Fragezeit des einzelnen Aktionärs treffen (§ 131 Abs. 2 Satz 2 AktG). Beschränkungen der Rede- und Fragezeit aus eigenem Recht des Versammlungsleiters bleiben aber auch jenseits einer Satzungsermächtigung gem. § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG zulässig BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 8 ff., 29 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
Der Leiter der Hauptversammlung hat den Grundsatz der gleichmäßigen 1458 Behandlung aller Aktionäre zu beachten. BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 16 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester); BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 255.
Die Hauptversammlung soll nicht länger als sechs Stunden, in Ausnahme- 1459 fällen zehn Stunden dauern. BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 20 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
Die Rede- und Fragezeit eines Aktionärs je Wortmeldung kann auf 15 Mi- 1460 nuten und, wenn sich im Zeitpunkt der Worterteilung an den Aktionär mindestens drei weitere Redner angemeldet haben, auf zehn Minuten beschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Möglichkeit der Beschränkung der einem Aktionär während der Versammlung insgesamt zustehenden Rede- und Fragezeit auf 45 Minuten. BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 21 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
Die Beschränkungen der Dauer der Hauptversammlung und der Redezeit 1461 des einzelnen Aktionärs kann jederzeit, auch zu Beginn der Versammlung, angeordnet werden. Die Gefährdung des Ziels, eine Abwicklung der Hauptversammlung in angemessener und zumutbarer Zeit durchzuführen, kann im Einzelfall erst während der laufenden Versammlung erkennbar und deshalb auch erst dann eine Beschränkung erforderlich werden. Maßgebend für den Zeitpunkt der Anordnung von Rede- und Fragezeitbeschränkung ist, ab
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F. Die Hauptversammlung
wann der Versammlungsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen hinreichende Anzeichen dafür erkennen kann, dass das Ziel, die Hauptversammlung in angemessener und zumutbarer Zeit durchzuführen, eine solche Beschränkung geboten erscheinen lässt. BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 22 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
1462 Der Versammlungsleiter darf um 22.30 Uhr des Versammlungstages den Debattenschluss anordnen und mit den Abstimmungen zu den Tagesordnungspunkten beginnen, wobei nach Anordnung des Debattenschlusses weitere Fragen nicht mehr zulässig sind. Die sachliche Rechtfertigung einer solchen Bestimmung ergibt sich aus dem anerkannten Leitbild der eintägigen Hauptversammlung, nach der diese regelmäßig um Mitternacht des Einberufungstages beendet sein sollte BGH, Urt. v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 = ZIP 2010, 575 Rn. 23 – Redezeitbeschränkung, dazu EWiR 2010, 235 (Priester).
1463 Soweit nach der Satzung der Aufsichtsratsvorsitzende als Leiter der Versammlung bestimmt ist, sind Beschlüsse nicht deshalb anfechtbar, weil später seine Wahl in den Aufsichtsrat für nichtig erklärt wird. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 25, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
IV. Protokoll und Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs 1. Protokoll über die Hauptversammlung 1464 Soweit überhaupt die Beurkundung durch einen Notar erforderlich ist und nicht eine vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats unterzeichnete Niederschrift genügt (§ 130 Abs. 1 Satz 3 AktG), kann eine Hauptversammlung im Ausland auch durch einen ausländischen Notar beurkundet werden, wenn sie der deutschen Beurkundung gleichwertig ist. Gleichwertigkeit ist gegeben, wenn die ausländische Urkundsperson nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt und für die Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht. BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rn. 16, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).
a) Fehlerhaftigkeit der Beurkundung 1465 Maßgeblich ist die Endfassung der Niederschrift, nicht ein etwa zuvor gefertigter und vernichteter Entwurf. § 130 Abs. 1 AktG setzt eine Beurkundung der Hauptversammlungsbeschlüsse durch eine „ über die Verhandlung notariell aufgenommene Niederschrift“, nicht aber deren endgültige Fertigstellung
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IV. Protokoll und Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs
in der Hauptversammlung voraus. Solange sich die Niederschrift noch im Gewahrsam der Urkundsperson befindet und sie sich ihrer nicht entäußert hat, kann sie sie auch vernichten und neu fertigen, wenn ihr Formulierungen nicht behagen oder sie Unrichtigkeiten feststellt. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 9 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Der Notar muss die Stimmauszählung nicht beaufsichtigen. Die Überwa- 1466 chung und Protokollierung der Stimmenauszählung fällt nicht unter die „Art der Abstimmung“ i. S. v. § 130 Abs. 2 AktG; das dort weiter genannte „Abstimmungsergebnis“ ist aufgrund der Bekanntgabe des Versammlungsleiters zu protokollieren. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 16 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Nach § 134 Abs. 1 Satz 1 AktG wird die Abstimmung in der Hauptversamm- 1467 lung nach Aktiennennbeträgen ausgeübt. Sind die Aktien gleichmäßig gestückelt, heißt das, dass jede Aktie gleich viele Stimmen, in der Regel eine Stimme, gewährt. Ist diese Voraussetzung erfüllt, muss bei Beurkundung des Beschlusses über die Wahl in den Aufsichtsrat festgehalten werden, wie viele Stimmen jeweils für und gegen den einzelnen Wahlvorschlag abgegeben worden sind. Wird als Ergebnis der Abstimmung lediglich angegeben, welche Kapitalbeträge für und welche gegen den Wahlvorschlag gestimmt haben, ist der Hauptversammlungsbeschluss in einem solchen Fall nicht ordnungsgemäß beurkundet. Denn die Zustimmung einer Mehrheit des vertretenen Grundkapitals ist nur neben und nicht an Stelle des Stimmenverhältnisses zu beurkunden, wenn der Hauptversammlungsbeschluss für sein Zustandekommen außer der Stimmenmehrheit noch einer Mehrheit des vertretenen Grundkapitals bedarf. BGH, Urt. v. 4.7.1994 – II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, 1172.
b) Widerspruch zu notarieller Niederschrift Nach § 245 Nr. 1 AktG ist zur Anfechtung jeder in der Hauptversammlung 1468 erschienene Aktionär befugt, der gegen den entsprechenden Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Die Widerspruchserklärung setzt nicht voraus, dass der Aktionär ein Verlangen nach Protokollierung ausdrücklich ausspricht. Es genügt, wenn aus seinem Verhalten deutlich wird, dass er die Protokollierung der Tatsache erstrebt, er habe gegen den Hauptversammlungsbeschluss rechtliche Bedenken angemeldet, so dass der das Protokoll aufnehmende Notar die Erklärung seines Widerspruchs zur Niederschrift erkennen kann. BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, 1868; dazu EWiR 1994, 111 (Rittner).
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F. Die Hauptversammlung
1469 Die nach § 130 AktG aufgenommene Niederschrift begründet als öffentliche Urkunde i. S. d. § 415 ZPO vollen Beweis dafür, dass die in ihr beurkundeten Erklärungen wie niedergelegt und nicht anders abgegeben worden sind. Jedoch ist nach § 415 Abs. 2 ZPO der Beweis, dass ein Vorgang unrichtig beurkundet worden ist, zulässig. BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 26/93, ZIP 1993, 1867, 1869; dazu EWiR 1994, 111 (Rittner).
2. Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs a) Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs 1470 Die Aufzeichnung der Hauptversammlung in Form eines stenographischen Wortprotokolls ist zulässig. Sie bedarf nicht der Einwilligung der Hauptversammlungsteilnehmer. Soll der Versammlungsverlauf auf Tonträger mitgeschnitten werden, muss der Leiter der Hauptversammlung die Teilnehmer auf die Absicht, die Redebeiträge auf Tonträger mitzuschneiden, ausdrücklich aufmerksam machen. Er muss sie ferner darauf hinweisen, dass Redner für die Dauer ihres Redebeitrages die Unterbrechung der Aufnahme verlangen können, um sicherzustellen, dass nicht in unzulässiger Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Redner eingegriffen wird, zu dem das Recht am eigenen Wort gehört. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 109 = ZIP 1994, 1597, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
1471 Der Aktionär ist gewöhnlich nicht in der Lage, den Verlauf der Hauptversammlung auf einem Tonbandprotokoll aufzuzeichnen. Heimliche Tonbandaufnahmen darf er nicht fertigen, weil er dadurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Hauptversammlungsteilnehmer verletzen würde. Er bedarf für einen Tonbandmitschnitt der Zustimmung der übrigen Versammlungsteilnehmer. Deren Einverständnis zu erlangen, wird ihm in der Regel nicht gelingen. Er bedarf aber auch der Zustimmung des Leiters der Hauptversammlung. Dieser wird sich aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage sehen zuzustimmen, weil er mit Rücksicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz im Aktienrecht (§ 53a AktG) gezwungen wäre, allen anwesenden Aktionären die Aufzeichnung zu gestatten, jedoch keine Möglichkeit hätte durchzusetzen, dass die Aufzeichnung unterbliebe, soweit einzelne Teilnehmer ihr Einverständnis zur Aufzeichnung nicht erteilen würden. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 116 = ZIP 1994, 1597, 1600, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
b) Erteilung von Abschriften an die Aktionäre 1472 Ein Anspruch des Aktionärs auf Erteilung eines vollständigen Wortprotokolls ergibt sich weder aus § 810 BGB noch aus dem zwischen ihm und der Gesellschaft bestehenden Treuepflichtverhältnis bzw. seinem allgemeinen
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IV. Protokoll und Aufzeichnung des Hauptversammlungsverlaufs
Mitgliedschaftsverhältnis zur AG. Auch wenn man davon ausgeht, dass § 810 BGB auch Tonbandprotokolle erfasst, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm nicht vor. Ein von der Gesellschaft für ihre Zwecke aufgenommenes Wortprotokoll wird nicht im Interesse des einzelnen Aktionärs errichtet. Es beurkundet kein zwischen Aktionär und Gesellschaft bestehendes Rechtsverhältnis. Es dokumentiert auch keine Verhandlungen zwischen Aktionär und Gesellschaft über ein Rechtsgeschäft. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 110 = ZIP 1994, 1597, 1598, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
Aus dem Aktiengesetz, dem Mitgliedschaftsverhältnis des Aktionärs bzw. dem 1473 zwischen ihm und der AG bestehenden Treuepflichtverhältnis ergibt sich ein solcher Anspruch ebenfalls nicht. Das Gesetz ordnet lediglich die Aufnahme eines Ergebnisprotokolls i. S. d. § 130 AktG an. Der Aktionär hat keinen Anspruch gegen die Gesellschaft auf Erteilung einer Protokollabschrift. Er ist vielmehr auf die Einsicht der Unterlagen bei dem zuständigen Handelsregister (§ 9 Abs. 1 HGB i. V. m. § 130 Abs. 5 AktG) oder die Erteilung von Abschriften durch das Gericht (§ 9 Abs. 2 HGB) angewiesen. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 113 f. = ZIP 1994, 1597, 1598 f., dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
Allgemeines Mitgliedschaftsrecht und Treuepflicht zwischen Gesellschaft 1474 und Aktionär begründen einen solchen Anspruch ebenfalls nicht. Zwar betrifft die Aufzeichnung objektiv die gesellschaftsbezogenen Interessen der Aktionäre und damit das Rechtsverhältnis zwischen ihnen und der Gesellschaft. Daraus folgt aber kein konkreter Anspruch auf Erteilung einer Protokollabschrift, weil der einzelne Aktionär seine Mitgliedschaftsrechte auch ohne die Abschrift sachgemäß ausüben kann. Er kann die Teile der Hauptversammlung, die sein besonderes Interesse finden und bezüglich derer er weitere rechtliche Schritte in Erwägung zieht, selbst stenographisch oder anderweitig schriftlich aufzeichnen. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 115 f. = ZIP 1994, 1597, 1599 f., dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
Dem Aktionär steht jedoch ein Anspruch auf Abschriften der Teile der 1475 Aufzeichnung zu, die seine eigenen Beiträge und Fragen und die darauf erteilten Antworten des Vorstandes wiedergeben. Er ist nicht in der Lage, seine eigenen Beiträge aufzuzeichnen. Von der Möglichkeit der vorherigen Erstellung eines Redemanuskriptes kann die Entscheidung nicht abhängig gemacht werden, weil es ihm unbenommen bleiben muss, seine Ausführungen frei zu machen, wozu er auch häufig deswegen gezwungen sein wird, weil er auf Gegenargumente und Ausführungen anderer Redner eingehen muss. Hingegen ist die Gesellschaft in der Lage, ihm Abschriften davon zur Verfügung zu stellen. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 117 f. = ZIP 1994, 1597, 1600, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
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F. Die Hauptversammlung
1476 Da sich der Aktionär häufig auf weitere Stellungnahmen und Fragen vorbereiten muss, wird es ihm nicht immer möglich und zumutbar sein, die Ausführungen des Vorstandes zu seinen Fragen und Beiträgen in allen Einzelheiten festzuhalten. Gerade auf diese Einzelheiten kann es aber entscheidend ankommen, soweit der Aktionär entscheiden möchte, ob und gegebenenfalls welche weiteren Schritte er zur Wahrung seiner Rechte einleiten soll. Insoweit wird er häufig auf die Wiedergabe der Ausführungen des Vorstandes angewiesen sein. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 119 f. = ZIP 1994, 1597, 1600 f., dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
1477 Der Aktionär hat entsprechend § 811 Abs. 2 BGB der Gesellschaft die ihr durch die Fertigung der Abschrift entstehenden Kosten zu erstatten. Die Aushändigung der Abschrift kann er nur Zug um Zug gegen Kostenzahlung verlangen. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 120 = ZIP 1994, 1597, 1601, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte).
V. Beschlussfassung der Hauptversammlung 1. Abstimmung 1478 In Ermessen des Leiters der Hauptversammlung steht es, über die Entlastung von Vorstand oder Aufsichtsrat gesammelt oder einzeln abstimmen zu lassen, sofern darüber nicht die Hauptversammlung beschließt. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 10; dazu EWiR 2010, 441 (Kort); BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 12 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
1479 Jedenfalls dann, wenn in der Satzung der Gesellschaft für Wahlen eine Listenoder Blockwahl vorgesehen ist, ist eine Listenwahl durchzuführen, ohne die Hauptversammlung zu befragen. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 29 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
1480 Fehlt eine Satzungsregelung, ist ein Hinweis des Versammlungsleiters sinnvoll, dass derjenige Aktionär, der einen Kandidaten der Liste nicht wählen wolle, gegen die Liste insgesamt stimmen müsse, und dass bei deren mehrheitlicher Ablehnung eine Einzelwahl stattfinde. Ob ein solcher Hinweis erforderlich ist, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen. BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38, 41 = ZIP 2003, 1788, 1789, dazu EWiR 2003, 1113 (Radlmayr);
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V. Beschlussfassung der Hauptversammlung BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 29 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
2. Satzungsmäßige Regelung von Mehrheitserfordernissen Das Gesetz unterscheidet zwischen Stimmen- und Kapitalmehrheit (vgl. u. a. 1481 §§ 133 Abs. 1, 103 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz AktG einerseits, §§ 52 Abs. 5, 134 Abs. 1 Satz 6, 179 Abs. 2, 182 Abs. 1, 222 Abs. 1, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG andererseits). Soll von einer Regelung in der Satzung nicht nur die Stimmen-, sondern auch die Kapitalmehrheit betroffen sein, muss das deutlich zum Ausdruck kommen. In der Regelung, dass Beschlüsse der Hauptversammlung mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden, soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften etwas anderes bestimmen“ ist das nicht der Fall; schon nach ihrem Wortlaut befasst sie sich nur mit der Stimmen-, nicht aber mit der Kapitalmehrheit. Etwas anderes kann auch dann nicht angenommen werden, wenn – wie in dem entschiedenen Fall für eine Satzungsänderung – Stimmen- und Kapitalmehrheit zusammenfallen. Da satzungsändernde Beschlüsse unter Umständen einschneidende Folgen auslösen können, ist davon auszugehen, dass sie weder nach dem Gesetz noch der Satzung wie gewöhnliche Hauptversammlungsbeschlüsse behandelt, sondern an erschwerte Voraussetzungen geknüpft werden sollen. Der Wille, die Voraussetzungen des § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG zu erleichtern und für Satzungsänderungen ebenso wie für gewöhnliche Beschlüsse die einfache Mehrheit genügen zu lassen, muss daher in der Satzung eindeutig zum Ausdruck gebracht werden. BGH, Urt. v. 28.11.1974 – II ZR 176/72, WM 1975, 9 f.
In gleichem Sinne hat der Bundesgerichtshof in einem Falle entschieden, in 1482 dem es um die Abänderung der qualifizierten Stimmenmehrheit ging (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG). Ist die Abberufung eines in den Aufsichtsrat eingerückten Ersatzmitgliedes an die Neuwahl eines ordentlichen Mitgliedes gebunden und erfolgt diese Neuwahl gem. §§ 133 Abs. 1, 101 Abs. 1 AktG mit einfacher Stimmenmehrheit, weil die Satzung keine anderen Voraussetzungen vorschreibt (§ 133 Abs. 2 AktG), so wird dadurch das gesetzlich nicht zwingende Erfordernis qualifizierter Mehrheit für die Abberufung des Ersatzmitgliedes (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG) nicht abbedungen. Die Satzung enthält keinen sicheren Hinweis auf eine solche Erleichterung, die etwa darin bestehen könnte, dass sie dann eingreift, wenn das Gesetz nicht „zwingend“ etwas Abweichendes vorschreibt. BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, ZIP 1987, 1176, 1177.
Das Erfordernis erhöhter Kapitalmehrheit kann dann als abbedungen ange- 1483 sehen werden, wenn sich die Regelung ausdrücklich auf Satzungsänderungen bezieht. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 194 f.
401
F. Die Hauptversammlung
3. Ausübung des Stimmrechts – Stimmrechtsverbot a) Abspaltung des Stimmrechts vom Mitgliedschaftsrecht 1484 Die Möglichkeit der Stimmrechtsausübung durch einen Bevollmächtigten besteht auch bei Namensaktien (§ 67 AktG), die vinkuliert sind (§ 68 Abs. 2 AktG). Veräußert ein Inhaber solche Aktien, ohne dass er die dafür erforderliche Zustimmung erhält, und erteilt er dem Erwerber eine Stimmrechtsvollmacht, deren Zweck auf einen Wechsel des Rechtsträgers gerichtet ist, so ist diese Vollmacht nicht nur wegen der Umgehung der Vinkulierung, sondern auch deswegen nichtig, weil das Stimmrecht grundsätzlich nicht vom Mitgliedschaftsrecht abgespalten und isoliert übertragen werden kann. Der Aktionär ist rechtlich nicht in der Lage, seine Mitgliedschaft beizubehalten und zugleich das ihm zustehende Stimmrecht einem anderen als eigenes Recht zu verschaffen. BGH, Urt. v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267 (GmbH); BGH, Urt. v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, ZIP 1987, 165, 166.
1485 Das Gleiche gilt, wenn er dem Erwerber aufgrund der Vollmacht zusammen mit der wirtschaftlichen Inhaberschaft an den Aktien lediglich die rechtliche Möglichkeit verschaffen wollte, das Stimmrecht künftig wie ein eigenes auszuüben. Eine solche, der Abtretung des Stimmrechts gleichzusetzende Vollmacht ist ebenfalls unwirksam. BGH, Urt. v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, ZIP 1987, 165, 166 m. w. N.
b) Stimmrechtsverträge 1486 Ein Vertrag, durch den sich ein Aktionär verpflichtet, nach Weisung der Gesellschaft, des Vorstandes, des Aufsichtsrates oder eines abhängigen Unternehmens das Stimmrecht auszuüben, ist nichtig. Das gleiche gilt für einen Vertrag, durch den er die Verpflichtung eingeht, für die jeweiligen Vorschläge von Vorstand oder Aufsichtsrat zu stimmen (§ 136 Abs. 2 AktG). Nach § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG verbietet das Gesetz die Gewährung besonderer Vorteile für ein bestimmtes Abstimmungsverhalten. Nichtig sind danach aber nur Verträge, durch die ein Aktionär sich verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung der Gesellschaft bzw. ihrer Organe auszuüben. Nicht unzulässig ist dagegen die vertragliche Verpflichtung eines Kapitalgesellschafters, nach Weisung eines Mitgesellschafters oder auch eines evtl. nur geringfügig an der Gesellschaft beteiligten Konsortialführers abzustimmen. BGH, Urt. v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 170 ff. (GmbH); BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
402
V. Beschlussfassung der Hauptversammlung
c) Schadenersatzpflicht des Stimmrechtsvertreters Den Stimmrechtsvertreter treffen keine Treupflichten gegenüber den Mit- 1487 aktionären seiner Auftraggeber. Infolgedessen scheidet auch eine Schadenersatzpflicht aus der Verletzung einer ihm gegenüber den anderen Aktionären obliegenden Treupflicht aus. Vielmehr muss sich der Aktionär, der die Vollmacht erteilt hat, das Abstimmungsverhalten des Stimmrechtsbevollmächtigten zurechnen lassen. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 137, 142 ff. = ZIP 1995, 819, 821 ff., dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Bei der zur Erreichung eines gemeinsamen Sachzieles vorgenommenen Stimm- 1488 rechtsbündelung trifft die dem Einfluss entsprechende Treupflicht die Aktionäre als Vollmachtgeber, nicht aber den Stimmrechtsvertreter. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 171 f. = ZIP 1995, 819, 831, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Der Stimmrechtsbevollmächtigte ist gegenüber den Aktionären, die ihm keine 1489 Stimmrechtsvollmacht erteilt haben, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zum Schadenersatz verpflichtet. Eine Haftung würde voraussetzen, dass das mit ihm zustande gekommene Auftragsverhältnis Schutzwirkungen zugunsten der Aktionäre entfaltet, die ihm keine Vollmacht erteilt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes wird ein am Vertrage nicht beteiligter Dritter dann in die sich aus einem Vertrage ergebenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen, wenn ihm die Leistung nach dem Inhalt des Vertrages zugute kommen soll. Eine Treupflicht trifft auf jeden Fall die Aktionäre, die ihre Stimme mit dem Ziel einer einheitlichen Stimmabgabe einem „Stimmrechtsbündler“ anvertraut haben. Deren Verletzung löst in bestimmten Grenzen eine Schadenersatzpflicht der Aktionäre aus. Der Stimmrechtsvertreter haftet allenfalls nach § 826 BGB. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 137, 167 ff. = ZIP 1995, 819, 830, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Hat der Stimmrechtsvertreter dagegen das Stimmrecht „für den, den es an- 1490 geht“ ausgeübt und gibt er seinen Vollmachtgeber dem Anspruchsteller nicht bekannt, trifft ihn eine Schadenersatzpflicht entsprechend § 179 Abs. 1 BGB. Der Partner einer Rechtsverbindung, in die der andere Teil einen Vertreter einbezieht, darf darauf vertrauen, dass ihm der Vertretene bekanntgegeben und er in die Lage versetzt wird, diesen auf Erfüllung der sich aus dem zustande gekommenen Rechtsverhältnis ergebenden Verpflichtung in Anspruch zu nehmen. Dieser allgemeine Gedanke ist auch auf den Fall übertragbar, dass der Vertreter in der Hauptversammlung für eine Vielzahl von Minderheitsaktionären abstimmt, die Stimmabgabe treupflichtwidrig ist und der Bevollmächtigte seine Vollmachtgeber nicht benennt. Da die einzelnen Aktionäre unter diesen Umständen für das ihnen zuzurechnende treupflichtwidrige Abstimmungsverhalten nicht haftbar gemacht werden können, bleibt auch 403
F. Die Hauptversammlung
hier – wie im Fall der rechtsgeschäftlichen Vertretung – nur der Bevollmächtigte als derjenige übrig, an dessen Verhalten angeknüpft werden kann. Die Haftung des Stimmrechtsvertreters beschränkt sich im Hinblick darauf, dass es um Rechtsfolgen aus der Teilnahme einer Abstimmung in der Hauptversammlung einer AG geht, auf die in § 179 Abs. 1 BGB aufgeführte Alternative der Schadenersatzleistung. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 138, 149 f. = ZIP 1995, 819, 823, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
d) Schutzgemeinschaftsverträge 1491 Der Zweck von Schutzgemeinschaftsverträgen besteht darin, die einheitliche Rechtsausübung aus den Beteiligungen der Mitglieder der Schutzgemeinschaft an dem Vertragsunternehmen sicherzustellen und den Beteiligungsbesitz in der Hand ihrer Mitglieder zu halten. Die Schutzgemeinschaft ist meist eine GbR in der Rechtsform einer Innengesellschaft ohne Gesamthandsvermögen. Vgl. BGH, Urt. v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 = ZIP 1994, 1173, 1176, dazu EWiR 1994, 973 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 8 und 14, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
aa) Mehrheitserfordernisse 1492 Die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen zwischen Gesellschaftern in Form von Konsortialverträgen, Stimmrechtskonsortien oder Stimmenpools ist seit langem allgemein anerkannt. Nichtig sind nur Verträge, durch die ein Aktionär sich verpflichtet, sein Stimmrecht nach Weisung der Gesellschaft bzw. ihrer Organe auszuüben. Nicht unzulässig ist dagegen die vertragliche Verpflichtung eines Kapitalgesellschafters, nach Weisung eines Mitgesellschafters oder auch eines evtl. nur geringfügig an der Gesellschaft beteiligten Konsortialführers abzustimmen. Erst recht ist die vertragliche Bindung eines Aktionärs an die jeweilige Mehrheitsentscheidung eines Stimmrechtskonsortiums, dem er angehört, nicht unzulässig. BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 12, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
1493 Das für Beschlüsse in einer GbR als Regel vorgesehene, jedoch praktischen Erfordernissen oftmals nicht gerecht werdende Einstimmigkeitsprinzip (vgl. § 709 Abs. 1 BGB) kann gem. § 709 Abs. 2 BGB durch den Gesellschaftsvertrag abbedungen und durch das Prinzip einfacher Mehrheit ersetzt werden, um die Flexibilität und Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in Streitfällen sicherzustellen. Die Mehrheit braucht in diesem Fall nicht nach Köpfen bestimmt zu werden, sondern kann auch anderen Kriterien folgen, weshalb
404
V. Beschlussfassung der Hauptversammlung
keine Bedenken dagegen bestehen, wenn das Stimmengewicht der Mitglieder der Schutzgemeinschaft sich vertraglich nach der Höhe ihrer Beteiligung an dem betreffenden Vertragsunternehmen richtet. BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 14, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
Wenn eine solche Mehrheitsklausel keine Einschränkungen der Mehrheits- 1494 macht im Sinne eines qualifizierten Mehrheitserfordernisses für bestimmte Beschlussgegenstände enthält, ist sie nicht deshalb unwirksam, weil sie von den für Beschlüsse innerhalb der Hauptgesellschaft geltenden Mehrheitserfordernissen des Aktienrechts abweicht. Diese müssen bei Vorabstimmungen in der Schutzgemeinschaft auch nicht gewahrt werden. Die Möglichkeit, eine Sperrminorität in der Aktiengesellschaft auszuüben, ist kein mit den einzelnen Aktien oder mit einer bestimmten Zahl von ihnen verbundenes subjektives Recht des Inhabers auf Verhinderung qualifizierter Mehrheitsbeschlüsse. BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 15 ff., dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
Nur im Einzelfall kann eine Bindung an einen Konsortialbeschluss wegen 1495 dessen Unwirksamkeit entfallen, wenn dieser einen gesetzeswidrigen Inhalt hat oder die Mehrheit sich treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinwegsetzt. BGH, Urt. v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = ZIP 2009, 216 Rn. 25, dazu EWiR 2009, 173 (Göz); m. Bespr. K. Schmidt, ZIP 2009, 737.
bb) Andienungspflicht Enthält ein Vertrag, durch den Gesellschafter einer oder mehrerer Kapitalge- 1496 sellschaften auf unbestimmte Zeit eine Schutzgemeinschaft in Form der GbR ohne Gesamthandsvermögen eingehen, eine Regelung, nach der ein Mitglied, das seine der Vertragsbindung unterliegenden Kapitalgesellschaftsanteile an einen Dritten veräußern möchte, diese zuvor allen übrigen Mitgliedern der Gesellschaft anzubieten hat, liegt darin weder ein unzulässiger Ausschluss noch eine gesetzwidrige Beschränkung des Kündigungsrechts i. S. d. § 723 Abs. 3 BGB für die Schutzgemeinschaft. Dabei ist es unerheblich, ob das Mitglied durch Kündigung ausscheiden und die Anteile anschließend veräußern möchte oder ob es unmittelbar an einen nicht vertragsgebundenen Dritten veräußern möchte und dadurch aus der Schutzgemeinschaft ausscheidet. BGH, Urt. v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 229 ff. = ZIP 1994, 1173, 1174 ff., dazu EWiR 1994, 973 (H. Wiedemann).
Die Verpflichtung des ausscheidenden Gesellschafters, seine Anteile den 1497 verbleibenden Gesellschaftern zu überlassen, ist bei vollem Wertausgleich
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F. Die Hauptversammlung
keine derart schwerwiegende vermögensrechtliche Einbuße, dass sie – für sich genommen – einen unzulässigen Ausschluss oder eine gesetzwidrige Beschränkung seines Kündigungsrechts nach § 723 BGB darstellt. Gewährt der Vertrag das Übernahmerecht allgemein für den Fall der Kündigung, wird davon sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung erfasst. BGH, Urt. v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 ff. = ZIP 1994, 1173, 1176 f., dazu EWiR 1994, 973 (H. Wiedemann).
1498 Ist nach Vertragsschluss ein grobes Missverhältnis zwischen dem vertraglichen Übernahmepreis und dem Verkehrswert eingetreten und besteht es noch in dem Zeitpunkt, in dem der Gesellschafter die Anteile veräußern möchte, haben die übernehmenden Gesellschafter einen entsprechend §§ 157, 242 BGB den veränderten Umständen angepassten Preis zu bezahlen. Für dessen Ermittlung kann der von den Parteien bei Vertragsschluss der Bemessung zugrunde gelegte Maßstab ein wesentlicher Anhaltspunkt sein. Die vertragliche Gestaltungsfreiheit stößt erst dann an ihre Grenzen, wenn zwischen vertraglichem Abfindungswert und dem Verkehrswert der Anteile ein grobes Missverhältnis besteht. Denn dann droht dem Gesellschafter bei der Anteilsveräußerung ein finanzieller Verlust, der geeignet sei, seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit in einem Maße ganz oder teilweise zu beseitigen, das zur Erreichung der vertraglich gesteckten Ziele von der Rechtsordnung nicht mehr hingenommen werden könne. BGH, Urt. v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 239 ff. = ZIP 1994, 1173, 1177 f., dazu EWiR 1994, 973 (H. Wiedemann).
1499 Entscheidender Bemessungsfaktor ist das Ausmaß des zwischen vertraglichem Übernahmepreis und Verkehrswert der Anteile eingetretenen Missverhältnisses, das unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der verbleibenden Gesellschafter an der Aufrechterhaltung des vertraglichen Schutzzweckes zu bewerten ist. Soweit das Ausscheiden auf Kündigung beruht, können die für das Ausscheiden durch Ausschluss oder Kündigung maßgebenden Umstände berücksichtigt werden. Für die Ermittlung der Höhe des anzupassenden Übernahmepreises kann es angemessen sein, den Maßstab zu berücksichtigen, den die Parteien bei Vertragsschluss zugrunde gelegt haben. BGH, Urt. v. 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 242 ff. = ZIP 1994, 1173, 1179 f., dazu EWiR 1994, 973 (H. Wiedemann).
e) Stimmverbot 1500 Niemand kann sich durch Ausübung des Stimmrechts entlasten, von einer Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft befreien oder über die Geltendmachung eines Anspruchs der Gesellschaft gegen sich selbst befinden (§ 136 Abs. 1 AktG). Die Vorschrift verfolgt den Zweck, eine objektive Wahrnehmung der Gesellschaftsinteressen zu gewährleisten und die Aktionäre dann von der Abstimmung auszuschließen, wenn bei ihnen Sonderinteressen be-
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V. Beschlussfassung der Hauptversammlung
stehen, die eine solche Wahrnehmung unter Vernachlässigung der eigenen Belange typischerweise nicht erwarten lassen. BGH, Urt. v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215 (GmbH); BGH, Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 109 (GmbH); BGH, Urt. v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 27 = ZIP 1989, 913 (GmbH), dazu EWiR 1989, 1103 (Roth).
Soweit die Vorschrift Aktionäre betrifft, gilt eine Ausnahme vom Stimm- 1501 verbot für den Fall gleichmäßiger Befangenheit der Gesellschafter, die dann gegeben ist, wenn bei allen stimmberechtigten Aktionären in Bezug auf den Beschlussgegenstand derselbe Tatbestand des Stimmrechtsausschlusses in gleicher Weise vorliegt. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, ZIP 1992, 992, 994 (GmbH), dazu EWiR 1992, 881 (Karsten Schmidt).
Die Ausnahme gilt auch für die Einmann-Gesellschaft.
1502
BGH, Beschl. v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 333 = ZIP 1989, 29 – Supermarkt (GmbH), dazu EWiR 1989, 59 (Schulze-Osterloh); BGH, Beschl. v. 12.7.2011 – II ZR 58/10, ZIP 2011, 1508 = AG 2011, 702.
Wenn ein Aktionär von der Entscheidung über die Entlastung eines anderen 1503 Verwaltungsmitglieds in gleicher Weise betroffen ist und dabei quasi als „Richter in eigener Sache“ tätig wird – etwa weil er an einem Vorgang beteiligt war, der dem Organmitglied, um dessen Entlastung es geht, als Pflichtverletzung vorzuwerfen ist –, so erstreckt sich das Stimmverbot nicht nur bei Gesamtentlastung des Organs, sondern auch bei Einzelentlastung auf die Entscheidung über die Entlastung des anderen Verwaltungsmitglieds. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 15 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
Probleme der Zurechnung entstehen auch, wenn die Aktien einer Drittge- 1504 sellschaft gehören. Hat der Betroffene auf die Verwaltung dieser Aktien von Rechts wegen einen entscheidenden Einfluss, dürfen die Aktien nicht mitstimmen. Denn in diesem Falle besteht die gleiche Interessenlage, als ob er mit ihm gehörenden Aktien abstimmen würde. Er wäre, was die Entlastung betrifft, „Richter in eigener Sache“. Im Übrigen wäre sein persönliches Interesse am Abstimmungsergebnis so groß, dass eine an dem mitgliedschaftlichen Interesse ausgerichtete Stimmrechtsausübung nicht erwartet werden könnte. Dementsprechend darf eine Einmann-Gesellschaft, deren Anteile sämtlich dem Betroffenen gehören, ihr Stimmrecht in einem solchen Falle nicht ausüben. Das gleiche gilt für eine Personen- oder Kapitalgesellschaft, die von einer einzelnen Person beherrscht wird.
407
F. Die Hauptversammlung RG, Urt. v. 23.1.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385, 392; BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 299.
1505 Es handelt sich um Fälle des gegen die Mitglieder der Drittgesellschaft gerichteten Stimmrechtsverbotes. BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 299.
1506 Hingegen ist eine Kommune, die Gesellschafterin einer AG ist, von der Abstimmung über die Entlassung des Aufsichtsrates nicht deswegen ausgeschlossen, weil sie zwei Mitglieder des Organs, das zur Entscheidung über die Ausübung des Stimmrechts zuständig ist, in den Aufsichtsrat entsandt hat. Das gilt auch für eine Kapitalgesellschaft, die ein zu ihrer Verwaltung gehörendes Mitglied in den Aufsichtsrat des Unternehmens geschickt hat, an dem sie Mitgliedschaftsrechte besitzt. BGH, Urt. v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 300 f.
1507 Ist jemand nur als Minderheitsgesellschafter an der Drittgesellschaft beteiligt, liegt ein solch maßgeblicher Einfluss, der zum Stimmrechtsausschluss führt, nicht vor. BGH, Urt. v. 29.3.1971 – III ZR 255/68, BGHZ 56, 47, 53 (GmbH).
1508 Sind mehrere Personen an einer Drittgesellschaft derart beteiligt, dass sie gemeinsam als Unternehmergruppe in Erscheinung treten und auf diese Weise einen maßgeblichen Einfluss auf diese Gesellschaft ausüben, so dürfen sie bei einer Maßnahme i. S. d. § 136 Abs. 1 AktG, welche das Stimmrecht der Drittgesellschaft bei deren Beteiligung ausschließen würde, ihr Stimmrecht nicht ausüben. BGH, Urt. v. 10.2.1977 – II ZR 81/76, BGHZ 68, 107, 110 f.
1509 Das Gleiche gilt für eine Person, die mehrheitlich an der AG, in der abgestimmt werden soll und als Alleingesellschafterin an einer GmbH beteiligt ist, die persönlich haftende Gesellschafterin einer KG ist, um deren Belange es bei der Abstimmung in der AG geht. BGH, Urt. v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, WM 1973, 510.
f) Rechtsverlust 1510 Nach § 20 Abs. 7 AktG, § 59 Satz 1 WpÜG und § 28 Satz 1 WpHG hat die Verletzung von Mitteilungspflichten zur Folge, dass Rechte aus den Aktien bis zur Erfüllung der Mitteilungspflicht nicht ausgeübt werden können. Von dieser Sanktion eines temporären Rechtsverlustes sind – abgesehen von den Ausnahmen des § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG – alle Rechte betroffen, die dem Aktionär aus seinen Aktien zustehen, d. h. sowohl die Herrschafts- als auch die Vermögensrechte. Der Verlust der Verwaltungsrechte erfasst damit auch die Rechte, die der Aktionär im Rahmen der Hauptversammlung wahrnehmen kann, namentlich das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung 408
V. Beschlussfassung der Hauptversammlung
und das Stimmrecht. Dementsprechend entfällt auch die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1 oder Nr. 2 AktG, weil mitgliedschaftliche Verwaltungsrechte insoweit nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG überhaupt nicht bestehen. BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 14, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 4.
Ebenso entfällt ein dem Aktionär zukommendes Bezugsrecht für neue Aktien
1511
BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 213 = ZIP 1991, 719, 722, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger).
Auf einen Rechtsnachfolger des Meldepflichtigen geht ein Rechtsverlust 1512 nicht über. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 34 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
Der Rechtsverlust umfasst nur Stimmen aus Aktien, die dem Meldepflichtigen 1513 gehören oder aus dem ihm Stimmrechte zugerechnet werden. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 34 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
Der Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG über eine Kapitalbeteiligung 1514 von mehr als 25 % an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft unterliegen Unternehmen bereits als Gründungsaktionäre. BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 11, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar).
In einem Mehrstufigkeitsverhältnis, in dem das Mutterunternehmen nur mit- 1515 telbar über das Tochterunternehmen an der Enkel-AG beteiligt ist, treffen die Mitteilungspflichten nach AktG § 20 sowohl das Mutter- als auch das Tochterunternehmen. BGH, Urt. v. 24.7.2000 – II ZR 168/99, ZIP 2000, 1723, 1724, dazu EWiR 2000, 989 (E. Vetter).
Von dem Darlehensnehmer werden nur dann i. S. d. §§ 28, 22 Abs. 1 Nr. 2 1516 WpHG „für Rechnung“ des Darlehensgebers gehalten, wenn dieser nach der vertraglichen Regelung weiterhin Einfluss auf die Stimmrechtsausübung nehmen kann. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 34 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
Ein Unternehmen ist seiner Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 7 AktG nicht 1517 dadurch enthoben, dass die Aktiengesellschaft die mitzuteilende Beteiligung bereits kennt.
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F. Die Hauptversammlung BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 213 = ZIP 1991, 719, 722, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger).
1518 Auch die Mitteilung durch einen Dritten genügt nicht, es sei denn, der Dritte handelt erkennbar im Auftrag des Mitteilungspflichtigen. BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 215 = ZIP 1991, 719, 723, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger); BGH, Urt. v. 24.7.2000 – II ZR 168/99, ZIP 2000, 1723, 1724, dazu EWiR 2000, 989 (E. Vetter).
1519 Eine Mitteilung i. S. d. § 20 Abs. 1 und 4 AktG ist nur dann ordnungsgemäß mit der Folge, dass AktG § 20 Abs. 7 die Ausübung der Rechte aus den Aktien nicht ausschließt, wenn die Gesellschaft die Beteiligung und deren Inhaber, wie sie ihr mitgeteilt worden sind, in den Gesellschaftsblättern bekannt machen kann, ohne dass in der Öffentlichkeit Zweifel entstehen, welche Art und Höhe der Beteiligung gemeint und wem sie zuzurechnen ist. BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 215 = ZIP 1991, 719, 723, dazu EWiR 1991, 745 (Krieger); BGH, Urt. v. 24.7.2000 – II ZR 168/99, ZIP 2000, 1723, 1724; dazu EWiR 2000, 989 (E. Vetter).
410
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen I. Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen Die Nichtigkeit und die Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptver- 1520 sammlung einer SE mit Satzungssitz in Deutschland richten sich nach den Regeln des deutschen Aktiengesetzes. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 8 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); BGH, Urt. v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = ZIP 2014, 2494 Rn. 7, dazu EWiR 2015, 3 (Kiem/Reutershahn).
1. Nichtigkeitsgründe Ein Beschluss der Hauptversammlung ist ausschließlich unter den ein- 1521 schränkenden Voraussetzungen der für Hauptversammlungsbeschlüsse geltenden Vorschriften nichtig (§ 241 Nr. 1–6 AktG sowie für bestimmte Beschlüsse §§ 250, 253, 256 AktG). Nach § 241 Nr. 1 AktG ist ein Hauptversammlungsbeschluss nichtig, wenn 1522 die Versammlung nicht vom Vorstand einberufen worden ist (§ 121 Abs. 2 Satz 1 AktG). Ein solcher Beschluss kann durch eine Genehmigung (§ 184 Abs. 1 BGB) keine Gültigkeit erlangen. Aus diesem Grunde kann sich auf seine Nichtigkeit auch ein Gesellschafter berufen, der ihm selbst zugestimmt hat. BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 236, 239 (GmbH).
Beschlüsse einer Vollversammlung, die ohne Einhaltung der Einberufungs- 1523 vorschriften abgehalten wurde, sind nichtig, wenn die Vollversammlung unter treuwidriger Ausnutzung des vorübergehenden Fehlens einer Meldung nach § 20 Abs. 7 AktG einberufen wurde, um eine Kapitalerhöhung zum Nachteil des Mehrheitsaktionärs und Sondervorteile zu beschließen. BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 3.
Nach § 241 Nr. 3 AktG sind Beschlüsse nichtig, die mit dem Wesen der Ak- 1524 tiengesellschaft nicht zu vereinbaren sind. Die Vorschriften der §§ 25 ff. MitbestG über die innere Ordnung und die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrates bilden ein Kernstück der gesetzlichen Regelung; sie liegen im öffentlichen Interesse. Ihre Verletzung stellt daher stets einen Nichtigkeitsgrund i. S. d. § 241 Nr. 3 AktG dar, unabhängig davon, ob hierdurch die Anteilseigner oder die Arbeitnehmer benachteiligt werden. Eine Satzungsbestimmung, die gegen diese Vorschriften verstößt, ist daher nichtig. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 152 f. = ZIP 1982, 442;
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 110.
1525 Ein Beschluss über eine Satzungsänderung, nach der bei Neuwahl eines Aufsichtsratsmitgliedes das aufgerückte Mitglied wieder ausscheidet, ist dann nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig, wenn die Neuwahl mit einfacher Mehrheit vorgenommen werden kann (§ 133 Abs. 1 AktG). Da die Neuwahl zugleich die Abberufung des nachgerückten Mitgliedes enthält, eine solche aber nur mit qualifizierter Mehrheit zulässig ist (§ 103 Abs. 1 AktG), verstößt die Regelung gegen den Grundsatz der für alle Aufsichtsratsmitglieder gleichen Rechtsstellung. Dieser soll im öffentlichen Interesse die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrates sicherstellen. Er ist unverzichtbar. Wird bei der Bestellung eines (Ersatz-)Aufsichtsratsmitgliedes unter Verstoß gegen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse gegeben sind, zugleich beschlossen, unter welchen Voraussetzungen es sein Amt wieder verliert, ist nur dieser Teil des Beschlusses nichtig, falls feststeht, dass auch ohne ihn das Aufsichtsratsmitglied von den Gesellschaftern bestellt worden wäre. BGH, Urt. v. 29.6.1987 – II ZR 242/86, ZIP 1987, 1176, 1177.
1526 Ein satzungsändernder Beschluss der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, durch den das Erfordernis einer Unterschriftsbeglaubigung auf Kosten des betreffenden Aktionärs als Wirksamkeits- oder Nachweiserfordernis für die Übertragung von (nicht verbrieften) Namensaktien nachträglich eingeführt wird, ist gem. § 241 Nr. 3 AktG nichtig. Ein solcher Beschluss verstößt gegen Grundprinzipien des Aktienrechts. Das deutsche Aktienrecht ist von dem Grundsatz der freien Übertragbarkeit des Mitgliedschaftsrechts beherrscht. Die dingliche Wirksamkeit der Abtretung kann – jedenfalls außerhalb der Voraussetzungen einer möglichen Vinkulierung gem. §§ 68 Abs. 2, 180 Abs. 2 AktG – nicht an eine bestimmte Form gebunden werden, weil darin eine unzulässige Erschwerung der freien Übertragbarkeit der Aktien läge, die im Grundsatz nur durch eine Vinkulierung nach § 68 Abs. 2 AktG eingeschränkt werden kann. Eine Unterschriftsbeglaubigung ist auch bei der Übertragung verbriefter Namensaktien durch Indossament nicht vorgesehen; gem. § 68 Abs. 3 AktG ist die Gesellschaft zu einer Prüfung der Unterschriften nicht verpflichtet. BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 256 f. = ZIP 2004, 2093, 2094, dazu EWiR 2005, 49 (Noack).
1527 Nach § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Dazu zählen die Vorschriften zur Kapitalerhaltung in § 57 AktG. Aus diesem Grund ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, der einem solchen Geschäft zustimmt, durch das gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz verstoßen wird. Ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften liegt vor, wenn eine Leistung der Gesellschaft an den Aktionär – etwa der Verkauf von Betriebsvermögen und Beteiligungen – nicht durch eine gleichwertige Gegenleistung des Aktionärs ausgeglichen wird.
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I. Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 13, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Der Nichtigkeit steht nicht entgegen, dass ein Nachteilsausgleich grundsätz- 1528 lich erst am Ende des Geschäftsjahres bestimmt werden muss (§ 311 Abs. 2 Satz 1 AktG), wenn Käufer ein herrschendes Unternehmen, der Verkauf unter Wert ein nachteiliges Rechtsgeschäft nach § 311 Abs. 1 AktG war. Wenn die Hauptversammlung einem nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Hauptversammlungsbeschluss einen Nachteilsausgleich zur Vermeidung der Nichtigkeit vorsehen. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 15, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Beschlüsse der Hauptversammlung sind nur dann wegen Sittenwidrigkeit 1529 nichtig, wenn ihr Inhalt gegen die guten Sitten verstößt (§ 241 Nr. 4 AktG). Ein Beschluss, der nur nach Beweggrund oder Zweck, insbesondere auch wegen sittenwidrigen Machtmissbrauchs im Abstimmungsverfahren, aber nicht nach seinem Inhalt sittenwidrig ist, kann nur angefochten werden. Eine Ausnahme wird dann gemacht, wenn der Beschluss Personen (Gläubiger) schädigt, die im Gegensatz zu den Gesellschaftern kein Anfechtungsrecht haben, oder wenn er in unverzichtbare Rechte eines Gesellschafters eingreift. BGH, Urt. v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 355 f. (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 386 ff.; BGH, Urt. v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113, 116 = ZIP 1987, 1251 (GmbH).
Ein Beschluss, mit dem der Mehrheitsaktionär den Aufsichtsrat ausschließ- 1530 lich mit Personen seiner Wahl besetzt, um auf diese Weise zu erreichen, dass das Anstellungsverhältnis eines Vorstandsmitgliedes fristgemäß ausläuft, eine Wiederbestellung nicht erfolgt und damit Spannungen im Vorstand beseitigt werden, ist nicht nichtig. Grundsätzlich ist es der Mehrheit nicht verwehrt, ihre Stimmenmacht zu gebrauchen und die Wahl des Aufsichtsrates so vorzunehmen, dass sie eine von ihr gewünschte Änderung in der Vorstandsbesetzung erreicht. Insbesondere ist ein inhaltlicher Verstoß gegen die guten Sitten i. S. d. § 241 Nr. 4 AktG nicht gegeben. BGH, Urt. v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811.
Ein Stimmrechtsmissbrauch oder ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungs- 1531 grundsatz im Gesellschaftsrecht oder eine Satzungsvorschrift machen einen Beschluss nicht nichtig, sondern führen nur zu seiner Anfechtbarkeit. BGH, Urt. v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113, 116 = ZIP 1987, 1251 (GmbH); BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 372 = ZIP 1992, 237 (GmbH), dazu EWiR 1992, 321 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = ZIP 1997, 732 (GmbH).
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
1532 Im Rahmen der Nichtigkeitsklage ist es unerheblich, ob der angegriffene Beschluss auf dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund beruht. BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 239 (GmbH).
2. Heilung der Nichtigkeit 1533 Wird ein nicht gehörig beurkundeter Hauptversammlungsbeschluss in das Handelsregister eingetragen, kann die Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden (§ 242 Abs. 1 AktG). Die fehlende oder mangelhafte Beurkundung wird durch die Verlautbarung im Handelsregister ersetzt. Die fristgebundene Heilung durch Eintragung i. S. d. § 242 Abs. 2 AktG tritt nur dann nicht ein, wenn innerhalb der Frist die Nichtigkeit durch Nichtigkeitsklage geltend gemacht wird. Geschieht das in anderer Weise als durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage, tritt die heilende Wirkung ein. BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 177.
1534 Hat die Hauptversammlung eine Änderung der Satzung beschlossen, die mit dem Wesen der AG unvereinbar ist oder durch ihren Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind (§ 241 Nr. 3 AktG), kann auch die Nichtigkeit eines solchen Beschlusses bei Eintragung in das Handelsregister nach Ablauf der Frist des § 242 Abs. 2 AktG nicht mehr geltend gemacht werden. Das folgt daraus, dass das Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit ein Bedürfnis für die in das Handelsregister eingetragenen Beschlüsse bejaht hat und § 241 Nr. 3 AktG vorbehaltlos in diese Regelung einbezogen worden ist. BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 367 = ZIP 2000, 1294, 1295 (GmbH), dazu EWiR 2000, 943 (Casper); BGH, Beschl. v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, ZIP 2014, 2237 Rn. 14.
1535 Da ursprüngliche Satzungsbestimmungen nicht erfasst werden, ergibt sich eine Ungleichbehandlung ursprünglich und nachträglich eingefügter Satzungsbestimmungen. BGH, Urt. v. 15.12.1986 – II ZR 18/86, BGHZ 99, 211, 217 = ZIP 1987, 366, dazu EWiR 1987, 111 (Hüffer).
1536 Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass zur Beseitigung dieser Möglichkeit eine analoge Anwendung des § 242 Abs. 2 AktG ins Auge zu fassen ist. BGH, Urt. v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 367 = ZIP 2000, 1294, 1295 (GmbH), dazu EWiR 2000, 943 (Casper).
1537 Die Frist des § 242 Abs. 2 AktG verlängert sich mit Einreichung der Nichtigkeitsklage bei Gericht, soweit die Klage „demnächst“ (§ 273 Abs. 3 ZPO) zugestellt wird.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 14.11.1988 – II ZR 82/88, ZIP 1989, 163, 164, dazu EWiR 1989, 221 (Hüffer).
Die unterschiedliche Formulierung in § 246 Abs. 1 AktG („die Klage muss 1538 … erhoben werden“) und § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG („ist … eine Klage … rechtshängig“) ist im Hinblick auf §§ 253 Abs. 1, 263 Abs. 1 und 270 Abs. 3 ZPO ohne Bedeutung. In beiden Fällen geht es um die Wahrung einer Frist; beide Fristen dienen der Rechtssicherheit und -klarheit. BGH, Urt. v. 14.11.1988 – II ZR 82/88, ZIP 1989, 163, 164, dazu EWiR 1989, 221 (Hüffer).
Wenn die Nichtigkeit eines nach § 241 Nr. 3 oder 4 AktG nichtigen satzungs- 1539 ändernden Hauptversammlungsbeschlusses gem. § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden kann, bleibt die Möglichkeit der Amtslöschung nach § 398 FamFG (§ 242 Abs. 2 Satz 3 AktG), die jeder Aktionär anregen kann. Kommt das Registergericht der Anregung nicht nach, hat der Aktionär aber keine Beschwerdebefugnis, weil er durch den ablehnenden Beschluss nicht in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Das Amtslöschungsverfahren ist vom Gesetzgeber nicht im Interesse einzelner Aktionäre eingerichtet worden, sondern soll ein Interesse der Allgemeinheit an der Feststellung der Nichtigkeit von eingetragenen Hauptversammlungsbeschlüssen schützen. Die Einräumung einer Beschwerdebefugnis bei geheilten Beschlüssen würde bedeuten, dass dem Aktionär im Ergebnis entgegen § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG das Recht zugebilligt würde, die Nichtigkeit trotz deren Heilung geltend zu machen, obwohl er von der Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage keinen Gebrauch gemacht oder seine Aktien auf der Grundlage der Satzungsbestimmung erworben hat. BGH, Beschl. v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, ZIP 2014, 2237 Rn. 14.
II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen 1. Anfechtungsbefugnis Die Berechtigung zur Erhebung der Anfechtungsklage durch einen in der 1540 Hauptversammlung anwesenden Aktionär setzt voraus, dass er die Aktien bereits vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben und gegen den angefochtenen Beschluss Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. BGH, Urt. v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 98, 99; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 6, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
Dabei ist unerheblich, ob er den Widerspruch nach oder schon vor der Be- 1541 schlussfassung erklärt hat. BGH, Beschl. v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122 Rn. 6; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 17 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
1542 Auch wenn der Vorstand die Erteilung einer Auskunft verweigert hat, genügt es, dass der anfechtende Aktionär gegen den entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss Widerspruch zu Protokoll erklärt hat. Es ist nicht erforderlich, dass er die verweigerte Auskunft begehrt hat. Dass der Aktionär in der Hauptversammlung nicht selbst Fragen gestellt hat, schließt eine auf die Verletzung des Auskunftsrechts gestützte Anfechtungsklage nicht aus. BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 13 = ZIP 1992, 1227; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 36 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
1543 Allerdings kann der Aktionär Mängel im vorbereitenden Verfahren wie Einberufungsmängel, Fehler bei der Leitung der Hauptversammlung oder bei der Auskunftserteilung nicht mehr im Wege der Anfechtungsklage geltend machen, wenn er dem Beschluss zugestimmt hat. Ob die Anfechtungsbefugnis des dem Beschluss zustimmenden Aktionärs aus allgemeinen Gründen oder aber bereits deswegen fehlt, weil ein gegen den Beschluss zur Niederschrift erklärte Widerspruch wegen widersprüchlichen Verhaltens unwirksam ist und deshalb die besonderen Voraussetzungen i. S. d. § 245 Nr. 1 AktG nicht vorliegen, hat der Bundesgerichtshof dabei offengelassen. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 37 f. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
1544 Nach § 245 Nr. 2 AktG ist zur Anfechtung auch ein in der Hauptversammlung nicht erschienener Aktionär befugt, wenn er unter anderem zur Hauptversammlung zu Unrecht nicht zugelassen worden ist. In einer vergleichbaren Situation befindet sich ein Aktionär, der vor einer Beschlussfassung von der weiteren Teilnahme an der Hauptversammlung zu Unrecht ausgeschlossen worden ist. Er ist daher anfechtungsbefugt, auch ohne gegen den Hauptversammlungsbeschluss Widerspruch zu Protokoll erklärt zu haben. BGH, Urt. v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, WM 1965, 1207, 1208.
1545 Der Aktionär muss zum Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 261 ZPO) durch Zustellung einer Beschlussmängelklage (§ 253 Abs. 1 ZPO) noch Aktionär sein. Wenn er durch die Eintragung eines Übertragungsbeschlusses vor Erhebung der Anfechtungsklage die Aktionärseigenschaft verliert (§ 327e Abs. 3 Satz 1 AktG), gilt dies aber nicht. Um den Minderheitsaktionär nicht rechtlos gegen die zwangsweise Übertragung seiner Aktien zu stellen, ist seine Mitgliedschaft in der beklagten Aktiengesellschaft, deren Erhaltung letztlich das Ziel der Klage ist, für diese Klage als fortbestehend anzusehen. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 6, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
1546 Ein temporärer Rechtsverlust gem. § 20 Abs. 7 AktG wegen unterlassener Mitteilung der Beteiligung ergreift auch die Anfechtungsbefugnis gem. § 245 Nr. 1 und 2 AktG 416
II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 14, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar),
nicht aber diejenige nach § 245 Nr. 3 AktG (unzulässige Sondervorteile), wenn die gem. § 20 AktG erforderliche Mitteilung vor Ablauf der Anfechtungsfrist erfolgt. BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 4.
Im Fall der Insolvenz des Aktionärs ist der Insolvenzverwalter klagebefugt.
1547
BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 = ZIP 2011, 1465 Rn. 7 (GmbH).
2. Anfechtungsfrist § 246 Abs. 1 AktG schreibt vor, dass die Anfechtungsklage innerhalb eines 1548 Monats seit der Beschlussfassung erhoben werden muss. Das heißt, sie muss rechtshängig und der Gesellschaft, vertreten durch Vorstand und Aufsichtsrat (§ 246 Abs. 2 Satz 2 AktG), zugestellt worden sein (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). In der Insolvenz wird die Gesellschaft im Anfechtungsprozess durch den In- 1549 solvenzverwalter vertreten, soweit der angefochtene Beschluss Auswirkungen auf die Insolvenzmasse hat. Das gleiche gilt für eine Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung nach Klageerhebung. Auswirkungen auf die Insolvenzmasse hat der Beschluss, wenn durch den angefochtenen Beschluss Ansprüche der Masse begründet werden oder Verbindlichkeiten wegfallen. Denn dann zielt die Beschlussmängelklage darauf ab, die Insolvenzmasse gegen den Beschluss zu verringern. Ein Beschlussmängelverfahren wird dagegen nicht unterbrochen und die Gesellschaft bleibt Beklagte, wenn die Klage entweder keine Veränderung der Masse bewirken kann oder darauf abzielt, die Insolvenzmasse zu vergrößern. Im letzteren Fall darf der Insolvenzverwalter nicht gezwungen werden, im Prozess einen für die Masse nachteiligen Beschluss zu verteidigen. BGH, Urt. v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121 (Genossenschaft); BGH, Beschl. v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368 Rn. 2; BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862 Rn. 9; BGH, Beschl. v. 14.2.2012 – II ZR 255/10, juris.
Insolvenzneutral sind Beschlüsse über Entlastung von Vorstand und Auf- 1550 sichtsrat, Wahl des Abschlussprüfers, Kapitalherabsetzung, Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Aufhebung der bedingten Kapitalerhöhung und erneute bedingte Kapitalerhöhung. Die Erhöhung der Vergütung des Aufsichtsrats durch entsprechende Anpassung der in der Satzung enthaltenen Vergütungsregelung ist zwar nicht masseneutral; sie führt aber
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
zu einer Verringerung der Masse, die Klage daher auf eine Vergrößerung der Masse. BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862 Rn. 11 ff.
1551 Bei Zustellung im Geschäftslokal sollen als Zustellungsempfänger nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur die Vorstandsmitglieder in Betracht kommen, da regelmäßig nur diese hier einen Geschäftsraum haben. Da das bei Aufsichtsratsmitgliedern in aller Regel nicht der Fall sei, sollen diese als Zustellungsempfänger im Geschäftslokal praktisch ausscheiden. Die Vornahme einer Ersatzzustellung im Geschäftslokal (§§ 178, 180, 181 ZPO) bedeutet unter diesen Umständen, dass der Zustellungsbeamte kein Mitglied des Vorstandes angetroffen hat. BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 298 f. = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte).
1552 Ob das Vorhandensein von „Geschäftsräumen“ (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zumindest für den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Weitergabe des Schriftstücks an ihn bei einer größeren Gesellschaft erwartet werden kann und auch angesichts der Änderungen der Zustellvorschriften an dieser Rechtsprechung festgehalten werden kann, ist aber zweifelhaft. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 52 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
1553 Die Wahrung der Frist des § 246 Abs. 1 AktG ist eine materielle Klagevoraussetzung, die von der Klagepartei dargelegt und vom Gericht von Amts wegen geprüft werden muss. BGH, Urt. v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, ZIP 1998, 1392 (GmbH).
1554 Die Einreichung bei Gericht genügt zur Wahrung der Frist, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO). Die verspätete Zustellung ist nur dann als demnächst i. S. d. § 167 ZPO und damit fristwahrend anzusehen, wenn die Verzögerung einem Kläger nicht angelastet werden kann. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 51 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert).
1555 Ist die Klageschrift innerhalb der Anfechtungsfrist eingegangen und in unmittelbarem Anschluss daran nur dem Vorstand, nicht aber zumindest einem Mitglied des Aufsichtsrates (§ 170 Abs. 3 ZPO) zugestellt worden, so ist auch eine erst nach Monaten an den Aufsichtsrat vorgenommene Zustellung als „demnächst“ bewirkt anzusehen, wenn die Umstände der Verzögerung allein im Geschäftsbereich des zustellenden Gerichts liegen. BGH, Urt. v. 25.2.1971 – VII ZR 181/69, WM 1971, 862, 863;
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 27.5.1974 – II ZR 109/72, WM 1974, 713, 714; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 52 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Die Verzögerung der Zustellung ist einem Kläger anzulasten, wenn er nach 1556 der Anforderung des Kostenvorschusses untätig bleibt und den Kostenvorschuss erst mehrere Monate nach der Aufforderung einzahlt. Der Kläger ist von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses für seine Klage (§ 12 Abs. 1 Satz 1 GKG) nicht befreit, wenn mehrere Anfechtungsprozesse zu verbinden sind (§ 246 Abs. 3 Satz 6 AktG) und bereits andere Anfechtungsklagen erhoben sind. Die Gebühr für das Verfahren entsteht bereits mit der Einreichung der Klage (§ 6 Abs. 1 Satz 1 GKG) und die Klage soll erst nach Zahlung der Gebühr für das Verfahren zugestellt werden (§ 12 Abs. 1 Satz 1 GKG). BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert).
Nach Einreichung der Klage darf ein Kläger bis zu drei Wochen die Anforde- 1557 rung des Kostenvorschusses abwarten, ohne sich dem Vorwurf nachlässiger Prozessführung auszusetzen. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 53 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Vertritt der Prozessbevollmächtigte der verklagten Gesellschaft in der münd- 1558 lichen Verhandlung sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat und verhandelt er rügelos zur Sache, so ist ein derartiger Zustellungsmangel nach § 295 Abs. 1 ZPO dann als geheilt anzusehen, wenn die Zustellung als „demnächst erfolgt“ (§ 270 Abs. 3 ZPO) angesehen werden kann. BGH, Urt. v. 27.5.1974 – II ZR 109/72, WM 1974, 713, 714; BGH, Urt. v. 13.4.1992 – II ZR 105/91, WM 1992, 984, 985.
Eine Verlängerung der zwingenden Anfechtungsfrist kommt, da sie auch Be- 1559 deutung für Dritte haben kann, unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 98, 99.
Innerhalb der Anfechtungsfrist müssen auch die Gründe, auf welche die 1560 Anfechtung gestützt wird, in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern, also der zugrunde liegende Lebenssachverhalt, in den Rechtsstreit eingeführt sein. Die Geltendmachung von Anfechtungsgründen nach Ablauf der Anfechtungsfrist kommt einer verspäteten Klage gleich. Sie sind unbeachtlich. BGH, Urt. v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 180 f.; BGH, Urt. v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 321 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, ZIP 1987, 165;
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 156 f. = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens); BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 240 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester); BGH, Urt. v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, ZIP 1994, 1857, 1858; BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 Rn. 22, dazu EWiR 2006, 161 (Bork); BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 18, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 34 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 3, dazu EWiR 2010, 441 (Kort); BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 31 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert); BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar); BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813 Rn. 16; dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz).
1561 Anders soll dies sein, wenn die Anfechtungsklage auf Stimmrechtsmissbrauch gestützt ist und das Motiv für den Missbrauch erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist deutlich wird. Anderenfalls würde ein bis zum Ende der Frist nicht erkannter Machtmissbrauch als Anfechtungsgrund ausscheiden. Würde man das zulassen, könnten eigensüchtige, gesellschaftsfremde Zwecke umso leichter durchgesetzt werden, je weniger sie hervortreten oder je mehr sie getarnt werden und dadurch die wahren Ziele der Beschlussfassung nicht rechtzeitig erkannt werden könnten. BGH, Urt. v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, WM 1966, 1132, 1134 (GmbH).
1562 Die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses kann auf einen Nichtigkeitsgrund gestützt werden. Dieser unterliegt nicht der Ausschlussfrist des § 246 Abs. 1 AktG, sondern kann nur nach Maßgabe des § 242 AktG nicht geltend gemacht werden. BGH, Urt. v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 324 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, ZIP 1994, 1857, 1858.
3. Einberufungsmängel 1563 Ist die Ankündigung der Tagesordnung nicht so deutlich gemacht, dass sich die Aktionäre auf den Gegenstand der Erörterung vorbereiten können, kann der entsprechende Beschluss mit der Anfechtungsklage angegriffen werden.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 4.7.1960 – II ZR 168/58, WM 1960, 859, 860; BGH, Urt. v. 30.11.1961 – II ZR 136/60, WM 1962, 202, 204 (GmbH).
4. Zählfehler Für den Inhalt des Beschlusses ist das von dem Vorsitzenden verkündete 1564 und vom Protokollführer niedergelegte Ergebnis maßgebend. Ist diese Feststellung unrichtig, muss das mit der Anfechtungsklage geltend gemacht werden. BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 35 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 211 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191, 197; BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 26, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar).
Ist bei der Abstimmung eine nach Gesetz oder Satzung erforderliche (quali- 1565 fizierte) Mehrheit nicht erreicht, vom Vorsitzenden jedoch ein zustimmender Beschluss festgestellt, verkündet und vom Protokollführer niedergelegt worden, liegt ein wirksamer Beschluss vor, wenn er nicht auf eine Anfechtungsklage hin für nichtig erklärt wird. BGH, Urt. v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 68 ff. = ZIP 1988, 703 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 212 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 35 (GmbH).
Auch ein Hauptversammlungsbeschluss, der unter Mitwirkung eines nicht 1566 stimmberechtigten Aktionärs gefasst worden ist oder bei dem kein Aktionär stimmberechtigt war („Stimmloser Beschluss“), ist nicht nichtig, sondern lediglich wegen Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 26, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 24, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
Die Anfechtung ist bei einem Zählfehler nur dann begründet, wenn die fehler- 1567 hafte Berücksichtigung von Stimmen rechnerisch Einfluss auf das Beschlussergebnis hatte. BGH, Urt. v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134 Rn. 26, dazu EWiR 2006, 449 (Wilsing/Goslar); BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 27, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar); BGH, Beschl. v. 29.4.2014 – II ZR 262/13, ZIP 2014, 1677 Rn. 8, dazu EWiR 2014, 643 (Goslar).
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
5. Sonstige Durchführungsmängel 1568 Wird die Hauptversammlung in andere Räume als den eigentlichen Versammlungsraum nicht übertragen, wird das Teilnahmerecht des anwesenden Aktionärs selbst dann nicht beeinträchtigt, wenn die Übertragung in einen so genannten Präsenzbereich angekündigt worden ist. Eine Übertragung der Hauptversammlung in Vor- oder Nebenräume wie den Catering-Bereich, Raucherecken o. ä. wird aktienrechtlich nicht verlangt. Wenn eine zugesagte Übertragung in solche Räume nicht stattfindet, kann der Aktionär dies beim Verlassen des Versammlungsraums unschwer erkennen. Er kann sich dann selbst entscheiden, ob er in den Versammlungsraum zurückkehren will. BGH, Beschl. v. 8.10.2013 – II ZR 329/12, ZIP 2013, 2257.
6. Informationsfehler 1569 Zu den einzelnen Informationspflichten und dem Recht der Gesellschaft zur Auskunftsverweigerung siehe Rn. 1394 ff. 7. Relevanz von Verfahrens- und Informationsfehlern 1570 Verfahrensverstöße müssen für die Ausübung der Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrechte nach dem Maßstab eines objektiv urteilenden Aktionärs relevant sein. Maßgebend ist insoweit ein dem Beschluss anhaftendes Legitimationsdefizit, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gem. § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt, nicht eine reine Kausalitätsbetrachtung. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 20 ff. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02 BGHZ 160, 385, 392 = ZIP 2004, 2428, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); m. Anm. Weitemeyer, NZG 2005, 341.
1571 Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG kann ein Hauptversammlungsbeschluss wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte. Das entspricht im Grundsatz dem von der Rechtsprechung entwickelten Relevanzkriterium. Vgl. dazu BGH, Urt. v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 = ZIP 2002, 172, 174, dazu EWiR 2002, 885 (Saenger/Bergjan).
1572 Dass der Aktionär in der Hauptversammlung nicht selbst Fragen gestellt hat, schließt eine auf die Verletzung des Auskunftsrechts gestützte Anfechtungsklage nicht aus. Es genügt, dass er in der Hauptversammlung gegen die Entlastungsbeschlüsse Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 13 = ZIP 1992, 1227; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 36 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Entlastungsbe- 1573 schluss wegen Verletzung des Informationsrechts eines Aktionärs (§ 131 AktG) aber erst dann rechtswidrig und daher gem. § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, wenn das nicht oder nicht ausreichend beantwortete Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht gerichtet ist, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung von Bedeutung sind. BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389 f. = ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 37 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
Das nicht oder nicht ausreichend beantwortete Auskunftsbegehren muss 1574 sich außerdem auf den Zeitraum beziehen, in dem das zu entlastende Organ bestellt war, BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 11, dazu EWiR 2010, 441 (Kort),
und für den die Entlastung ausgesprochen wird. Das ist in der Regel das vorangehende Geschäftsjahr. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 11, dazu EWiR 2010, 441 (Kort).
Dass ein in der Vergangenheit liegender Vorfall Dauerwirkung hat, verpflichtet 1575 die Gesellschaft nicht zu Auskünften ohne zeitliche Beschränkung, wenn ein Gegenstand der aktuellen Tagesordnung nur berührt wird, weil sich die damalige Weichenstellung weiterhin auswirkt. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 24 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
Das Fehlen eines Aufsichtsratsberichts ist für die Entlastung des Aufsichts- 1576 rats relevant. Der Aufsichtsrat muss mit seinem Bericht der Hauptversammlung die Wahrnehmung seiner Aufsichts- und Kontrollfunktion im Allgemeinen sowie speziell in Bezug auf die für die Beschlussfassung durch die Hauptversammlung wesentlichen Gesichtspunkte (Lagebericht, Jahresabschluss, Vorschlag der Verwendung des Bilanzgewinns, ggf. Konzernabschluss und Konzernlagebericht, vgl. § 171 Abs. 1 AktG) dokumentieren. Dabei hat der Bericht eine doppelte Funktion: Er informiert nicht nur über das Ergebnis der eigenen Prüfung der vom Vorstand beschlossenen Vorschläge und Berichte, sondern ist auch Rechenschaftsbericht des Aufsichtsrats über die gesamte von ihm während des abgelaufenen Geschäftsjahres hinsichtlich der Geschäftsführung
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
des Vorstands ausgeübten Überwachungstätigkeit. Ohne Bericht des zuständigen Aufsichtsrats fehlt eine relevante Information für die Aktionäre, um zu entscheiden, ob dieser Aufsichtsrat für die Vergangenheit seiner Überwachungsfunktion hinreichend nachgekommen ist und dem Gremium auch für die Zukunft vertraut werden kann. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 22, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter); vgl. auch zum Fehlen des Lageberichts BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 9, dazu EWiR 2008, 251 (Mock).
1577 Auch für die Entlastung des Vorstands ist der Bericht des Aufsichtsrats relevant. Der Bericht an die Hauptversammlung hat Rechenschaft auch über die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats gegenüber dem Vorstand abzulegen (§ 171 Abs. 2 Satz 2 AktG). In diesem Rahmen hat der Aufsichtsrat den Aktionären unter anderem mitzuteilen, ob die Überwachung zu Beanstandungen geführt hat, was wiederum für die Entscheidung des objektiv urteilenden Aktionärs über die Entlastung des Vorstands in der Hauptversammlung von Bedeutung ist. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 26 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
1578 Relevant für die Entlastungsentscheidung ist auch die Verletzung der Pflicht des Aufsichtsrats, den Bericht gem. § 171 Abs. 2 AktG, der über die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats Rechenschaft ablegen muss, mit ausdrücklichem Beschluss als Bericht an die Hauptversammlung festzustellen und sich den Berichtstext ferner durch das Unterschreiben der Urschrift mindestens durch den Vorsitzenden des Organs zu Eigen zu machen. Jedenfalls wegen des fehlenden feststellenden Beschlusses mangelt es insgesamt an einem Bericht des Aufsichtsrats. Es fehlt damit eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung der Aktionäre, den bisherigen Mitgliedern des Aufsichtsrats durch eine Wiederwahl das Vertrauen auch für die Zukunft auszusprechen. Der Relevanz der fehlenden Feststellung des Berichts durch einen förmlichen Aufsichtsratsbeschluss steht nicht entgegen, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende in Anwesenheit der weiteren Aufsichtsräte in der Hauptversammlung mündlich erklärt hat, er stehe hinter dem schriftlichen Bericht des Aufsichtsrates. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 28 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
1579 Soweit die Organmitglieder einer durch Verschmelzung entstandenen Aktiengesellschaft (§ 2 Nr. 2 UmwG) mit denjenigen der übertragenden Rechtsträger personengleich sind, kann sich das Informationsrecht eines Aktionärs (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG) des neuen Rechtsträgers im Rahmen eines Hauptversammlungsbeschlusses über ihre Entlastung (§ 120 Abs. 1 AktG) auch auf etwaige Fehlleistungen im Zusammenhang mit der Verschmelzung erstrecken.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
Die Auskunft wird wegen der Personengleichheit auch nicht durch die Änderung des Rechtsträgers bedeutungslos. BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389 f. = ZIP 2004, 2428, 2430, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); m. Anm. Weitemeyer, NZG 2005, 341.
Erst recht liegt ein Informationsmangel vor, der für die Entlastungsentschei- 1580 dung relevant ist, wenn ein Lagebericht fehlt, obwohl die Satzung bei einer Gesellschaft, die an und für sich nach § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB keinen Lagebericht aufstellen müsste, einen Lagebericht fordert. BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 7, dazu EWiR 2008, 251 (Mock).
Für eine Entscheidung über die Wiederwahl der bisherigen Aufsichtsratsmit- 1581 glieder kann es von Bedeutung sein, ob diese Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit ihrer Überwachungsfunktion (§ 111 Abs. 1 AktG) verletzt haben, so dass Fragen dazu für die Wahlentscheidung erforderlich sein können. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 38 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 28 – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
Die Darlegungs- und Beweislast für behauptete Informationspflichtverlet- 1582 zungen trifft den Anfechtungskläger. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 37 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Dagegen ist das Fehlen eines Aufsichtsratsberichts nicht relevant für eine 1583 Satzungsänderung und die Wahl des Abschlussprüfers. BGH, Urt. v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437 Rn. 34 ff. – Aufsichtsratsbericht, dazu EWiR 2010, 661 (Lutter).
Das Fehlen eines Lageberichts ist auch für den Gewinnverwendungsbe- 1584 schluss relevant. BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 251 (Mock).
8. Inhaltsmängel Ein Beschluss, der durch Machtmissbrauch unter Einschränkung der Ent- 1585 schliessungsfreiheit zustande gekommen ist, kann nicht von vornherein als nichtig angesehen werden. Er unterliegt lediglich der Anfechtung, da das Interesse der Allgemeinheit an der Rechtssicherheit nicht außer Betracht gelassen werden kann. Zudem regelt das Gesetz die Nichtigkeitsgründe abschließend.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 355 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 246 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113, 116 = ZIP 1987, 1251 (GmbH).
1586 Sowohl im Rahmen von Absatz 1 als auch nach Absatz 2 des § 243 AktG hat das Gericht nur darüber zu befinden, ob ein Verstoß gegen das Gesetz bzw. die Satzung oder ob ein Stimmrechtsmissbrauch vorliegt. Ob den Hauptversammlungsbeschlüssen eine kaufmännisch zutreffende oder eine zweckmäßige Entscheidung zugrunde liegt, hat das Gericht nicht zu prüfen. BGH, Urt. v. 25.5.1970 – II ZR 115/69, WM 1970, 1165.
a) Entlastungsbeschlüsse 1587 Die Entlastung der Organe steht grundsätzlich im Ermessen der Aktionäre. Ihre Entlastungsentscheidung verstößt aber gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG und ist wegen eines Inhaltsmangels anfechtbar, wenn damit ein Verhalten des Organs gebilligt wird, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesoder Satzungsverstoß darstellt. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 51 = ZIP 2003, 387, 388; BGH, Urt. v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 388; = ZIP 2004, 2428, 2429, dazu EWiR 2005, 241 (Wagner); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 28 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 9 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, AG 2013, 643.
1588 Unterschiedliche Rechtsmeinungen können einem behaupteten Gesetzesverstoß die Eindeutigkeit nehmen. BGH, Beschl. v. 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436; BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 23 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz);
1589 Ob der Gesetzesverstoß für die Hauptversammlung auch erkennbar sein muss, konnte der Bundesgerichtshof bisher offenlassen.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Beschl. v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, ZIP 2012, 2438, dazu EWiR 2013, 229 (Heidel/Schatz).
Ein eindeutiger und schwerwiegender Satzungsverstoß, der die Entlastung 1590 des Vorstands anfechtbar macht, liegt vor, wenn ein Lagebericht fehlt, obwohl die Satzung bei einer Gesellschaft, die an und für sich nach § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB keinen Lagebericht aufstellen müsste, einen Lagebericht fordert. Ein Konzernlagebericht ersetzt den Lagebericht nicht. BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 5, dazu EWiR 2008, 251 (Mock).
Dieser Verstoß macht auch die Entlastung des Aufsichtsrats anfechtbar. Er 1591 hat unter Verstoß gegen seine allgemeine Überwachungspflicht (§ 111 Abs. 1 AktG) sowie gegen seine spezielle Pflicht zur Prüfung der Rechnungslegung (§ 171 Abs. 1 AktG) das Fehlen des satzungsgemäß erforderlichen Lageberichts unbeanstandet gelassen und darüber hinaus dessen Fehlen dadurch verschleiert, wenn er in seinem Prüfbericht (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG) erklärt hat, den „Lagebericht“ geprüft zu haben und seinem Ergebnis beizutreten. BGH, Beschl. v. 26.11.2007 – II ZR 227/06, ZIP 2008, 70 Rn. 9, dazu EWiR 2008, 251 (Mock).
Ein schwerwiegender und eindeutiger Gesetzesverstoß liegt auch vor, wenn 1592 er Aufsichtsrat den Abhängigkeitsbericht nicht geprüft hat. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 51 = ZIP 2003, 387, 388.
Die Grundsätze, dass nur ein schwerwiegender und eindeutiger Gesetzesver- 1593 stoß den Entlastungsbeschluss anfechtbar macht, gelten auch, wenn die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, ob und inwieweit den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) gefolgt wurde, fehlte oder unzutreffend war oder mangels Berichtigung unzutreffend geworden war. Der DCGK selbst ist kein Gesetz, eine Abweichung daher kein Gesetzesverstoß i. S. v. § 243 Abs. 1 AktG. Eine Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, nach der die Gesellschaft den Empfehlungen folgt, kann aber unrichtig werden, wenn die Gesellschaft den Empfehlungen des DCGK nicht mehr folgt oder sie nicht mehr beachtet. Der Gesetzesverstoß liegt dann in der fehlenden Korrektur der unrichtig gewordenen Entsprechenserklärung, zu der Vorstand und Aufsichtsrat verpflichtet wären. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 26 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Um einen schwerwiegenden Gesetzesverstoß darzustellen, muss die Unrich- 1594 tigkeit der Entsprechenserklärung aber über einen Formalverstoß hinausgehen und auch im konkreten Einzelfall Gewicht haben.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 19 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 16 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 28 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, AG 2013, 643.
1595 Das gänzliche Fehlen der Entsprechenserklärung führt nicht zur Nichtigerklärung der Entlastung von denjenigen Aufsichtsratsmitgliedern, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entsprechenserklärung abzugeben war, bereits seit einiger Zeit aus dem Amt ausgeschieden waren. BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 9; dazu EWiR 2010, 441 (Kort).
1596 Die Entsprechenserklärung ist ein Jahr nach der letzten Entsprechenserkärung abzugeben. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 19 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 9, dazu EWiR 2010, 441 (Kort).
1597 Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat sind nicht bereits deshalb anfechtbar, weil der Aufsichtsratsbericht entgegen der Empfehlung des DCGK, Interessenkonflikte und ihre Behandlung im Aufsichtsratsbericht mitzuteilen, Interessenkonflikte unzureichend oder gar nicht benennt, ohne dies in der Entsprechenserklärung anzugeben oder sie insoweit zu berichtigen. Bei der Bemessung der Schwere eines solchen Verstoßes gegen die Richtigkeit der Entsprechenserklärung kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich dabei um eine Information an die Aktionäre handelt. Eine Informationspflichtverletzung wie die fehlende Erwähnung eines Interessenkonflikts eines Aufsichtsrats im Bericht an die Hauptversammlung ist nach der Wertung des § 243 Abs. 4 S. 1 AktG nur dann von Bedeutung, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrecht ansähe. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 18 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester); BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 28 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, AG 2013, 643.
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II. Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
Daran kann es fehlen, wenn ein Interessenkonflikt bereits allgemein be- 1598 kannt ist. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 22 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 18 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
Der Interessenkonflikt ist nicht unzureichend dargelegt, wenn der Aufsichts- 1599 ratsbericht die Aufsichtsratsmitglieder, bei denen Interessenkonflikte aufgetreten sind, bezeichnet und die Behandlung der Interessenkonflikte unter Darstellung der jeweiligen Beratungsgegenstände offen legt. Der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren. Eine Darlegung von Einzelheiten wird nicht gefordert. BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZR 196/12, AG 2013, 643.
Es ist keine berichtspflichtige Abweichung vom DCGK, wenn statt im Auf- 1600 sichtsratsbericht über Interessenkonflikte in einem gesonderten CorporateGovernance-Bericht berichtet wird. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 30 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
Es bedarf weder der Bekanntgabe des Namens noch der Mitteilung, ob das be- 1601 troffene Aufsichtsratsmitglied an der Beschlussfassung über die Zustimmung mitgewirkt hat. BGH, Urt. v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = ZIP 2012, 1807 Rn. 32 – Fresenius, dazu EWiR 2012, 647 (Hoffmann-Theinert).
b) Auflösung Der Beschluss über die Auflösung einer AG ist entsprechend § 243 Abs. 2 1602 AktG anfechtbar, wenn der Mehrheitsgesellschafter bereits vor dem Auflösungsbeschluss mit dem Vorstand der Gesellschaft Absprachen über die Übertragung des Unternehmens oder wesentlicher Teile davon auf sich getroffen oder aber im Zusammenwirken mit dem Vorstand Umstände geschaffen hat, die in gleicher Weise wie vertragliche Bindungen eine hinreichend sichere Grundlage für einen solchen Erwerb bildeten und den Ausschluss Dritter sicherstellten. Ein solches Verhalten des Mehrheitsaktionärs ist eine Treuepflichtverletzung gegenüber dem Minderheitsgesellschafter, die diesem die Chance nimmt, sich – möglicherweise zusammen mit anderen Minderheitsaktionären oder gar Gläubigern – um den Erwerb des Unternehmens oder der wesentlichen Unternehmensteile zu bemühen, um es fortzuführen.
429
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 193 ff. = ZIP 1988, 301, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
c) Sondervorteile und Nachteile 1603 Unter eine unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen i. S. d. § 243 Abs. 2 AktG fällt jeder Vorteil, sofern es bei einer Gesamtwürdigung als sachwidrige Bevorzugung erscheint, dem Aktionär oder einem Dritten den Vorteilserwerb zu gestatten oder einen bereits vollzogenen Erwerb hinzunehmen. BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 4.
1604 Ein unzulässiger Sondervorteil i. S. v. § 243 Abs. 2 AktG liegt nicht schon darin, dass ein Aktionär aufgrund einer Kapitalerhöhung eine angemessen bewertete Sacheinlage erbringt. Durch den Stimmanteilszuwachs erlangt der bezugsberechtigte Aktionär keinen Sondervorteil zum Schaden der Gesellschaft oder der übrigen Aktionäre. Würde man das annehmen, hätte der Sacheinleger bei Kapitalerhöhungen stets einen Ausgleich i. S. d. § 243 Abs. 2 Satz 3 AktG zu zahlen, auch wenn die Sacheinlage allen Aktionären von Nutzen ist und der Wert dem Ausgabebetrag der Aktien entspräche. Damit würden die §§ 183, 186 Abs. 3 AktG mit einer weiteren Wirksamkeitsvoraussetzung versehen, die Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen in einer Weise erschweren würde, die mit dem Zweck dieser Vorschriften nicht mehr vereinbar wäre. BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 52 f. = NJW 1978, 1316.
1605 § 255 Abs. 2 AktG lässt die Anfechtung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses bei einem teilweise oder vollständig erfolgten Ausschluss des Bezugsrechts mit der Begründung zu, dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestbetrag, unter dem die Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist. Diese Vorschrift, die einen ergänzenden Minderheitenschutz zu den allgemeinen Anfechtungsgründen des § 243 AktG gewährleisten soll, ist auf Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen entsprechend anzuwenden. Denn die vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre müssen hier ebenso wie bei Leistung von Bareinlagen gegen eine Verwässerung ihrer Beteiligungen geschützt werden. Diesen Schutz kann § 243 Abs. 2 AktG schon wegen seiner subjektiven Voraussetzungen nicht hinreichend gewährleisten. An die Stelle des Ausgabebetrages tritt der Wert der Sacheinlage. Der Tatbestand des § 255 Abs. 2 AktG ist erfüllt, wenn dieser Wert im Verhältnis zu dem Wert der ausgegebenen Aktien unverhältnismäßig niedrig ist. BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 50 f. = NJW 1978, 1316.
1606 Wenn die Hauptversammlung einem i. S. d. § 311 AktG nachteiligen Rechtsgeschäft zustimmt, muss bereits der Beschluss selbst einen Nachteilsausgleich vorsehen. § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubt dem herrschenden Unter430
III. Missbrauch des Anfechtungsrechts
nehmen zwar, einen Nachteilsausgleich zeitlich gestreckt erst zum Ende des Geschäftsjahrs vorzunehmen oder zu bestimmen, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll. Die Privilegierung des herrschenden Aktionärs, einen Nachteilsausgleich erst zum Ende des Geschäftsjahres zu vereinbaren, kann aber nicht greifen, wenn die Hauptversammlung über ein nachteiliges Rechtsgeschäft beschließt. Wenn ein Beschluss – wie dies regelmäßig der Fall ist – neben dem Nachteil für die abhängige Gesellschaft auch Sondervorteile für einen herrschenden Aktionär bietet, muss schon nach dem Wortlaut von § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG mit dem Beschluss ein angemessener Ausgleich vorgesehen sein, um die Anfechtbarkeit zu beseitigen. Der Aktionär kann nicht darauf verwiesen werden, den Beschluss in der Hoffnung auf einen ungewissen Ausgleich unanfechtbar werden zu lassen. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 18 f., dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
III. Missbrauch des Anfechtungsrechts Die Voraussetzungen einer rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklage liegen 1607 dann vor, wenn der Kläger Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann, wobei er sich im allgemeinen von der Vorstellung leiten lassen wird, die verklagte Gesellschaft werde die Leistung erbringen, weil sie hoffe, dass der Eintritt anfechtungsbedingter Nachteile und Schäden dadurch vermieden oder zumindest gering gehalten werden könne. BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 311 = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte).
Die Zahlungen, die von der Gesellschaft verlangt werden, widersprechen 1608 dem im Aktiengesetz niedergelegten Gebot, dass unter die Aktionäre vor Auflösung der Gesellschaft nur der Bilanzgewinn verteilt werden darf (§ 57 Abs. 3 AktG). Ein Anspruch steht ihnen daher nicht zu. BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081.
Zu der Art und Weise, in der eine Gesellschaft „zur Zahlung veranlasst“ werden 1609 kann, hat der Bundesgerichtshof mehrfach Stellung genommen: Unproblematisch ist der Fall, dass Aktionäre an die Gesellschaft herantreten und mehr oder minder deutlich zu erkennen geben, von der Erhebung einer Anfechtungsklage dann Abstand oder eine bereits erhobene Anfechtungsklage dann zurücknehmen zu wollen, wenn ein „Interessenausgleich“ in Form einer Zahlung erfolgt. BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 312 = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte).
Schwieriger wird die Würdigung, wenn die Verhandlungen unter einem „Deck- 1610 mantel“ geführt werden, BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, ZIP 1991, 1577, 1578 f.
431
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
1611 Gleich zu bewerten ist der Fall, dass ein Aktionär die Anfechtungsklage in der Erwartung rechtshängig gemacht hat, die Gesellschaft werde sich unter dem Druck der infolge dieses Vorgehens befürchteten wirtschaftlichen Nachteile an ihn wenden und ihm Zahlungsangebote unterbreiten. Der Aktionär tritt also nicht von sich aus an die Gesellschaft zur Aufnahme von Verhandlungen heran, sondern wartet ab, ob sie sich mit Rücksicht auf die Klageerhebung meldet. Um die Feststellung über ein derartiges Vorgehen treffen zu können, muss der Tatrichter alle von den Parteien zu diesem Vorwurf vorgetragenen Einzelheiten einer umfassenden Würdigung unterziehen. BGH, Urt. v. 18.12.1989 – II ZR 254/88, ZIP 1990, 168, 171 f., dazu EWiR 1990, 321 (Timm); BGH, Urt. v. 29.10.1990 – II ZR 146/89, ZIP 1990, 1560, 1563 f., dazu EWiR 1991, 9 (T. Keil).
1612 Eine derartige Erwartungshaltung setzt nicht notwendigerweise voraus, dass eine Anfechtungsklage erhoben worden ist. Sie kann auch in einem Falle gegeben sein, in dem der Aktionär dem zuständigen Registergericht ein Schreiben zusendet, in dem er darauf hinweist, dass er gegen den Beschluss Widerspruch zu notariellem Protokoll erklärt habe und unter Darlegung der von ihm gegen die Rechtmäßigkeit des Beschlusses erhobenen Bedenken die Erhebung der Anfechtungsklage ankündigt. Meldet sich die Gesellschaft bei ihm und lässt er sich – bereitwillig – auf die Verhandlungen über eine Abfindungszahlung ein, liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor. BGH, Urt. v. 14.5.1992 – II ZR 299/90, ZIP 1992, 1081, 1084.
1613 Kommen die Verhandlungen innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG nicht zum Abschluss und tritt der Aktionär nach Erhebung der Anfechtungsklage nicht wieder in Verhandlungen ein, können diese Indizien auch später erhebliche Bedeutung erlangen. Sind Umstände für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in dem zur Entscheidung anstehenden Verfahren nicht hervorgetreten, muss der Tatrichter würdigen, inwieweit das Verhalten des Anfechtungsklägers in anderen Prozessen Rückschlüsse auf das anstehende Verfahren gebietet. Überlagern sich die Verfahren zeitlich, können die außerhalb des Verfahrens liegenden Umstände ohne weiteres so schwerwiegend und offensichtlich sein, dass die Rechtsausübung ohne Rücksicht auf die Verhältnisse in dem zur Entscheidung anstehenden Fall als missbräuchlich angesehen werden kann. Ist eine derartige zeitliche Überlagerung nicht gegeben, sondern liegen die anderen Verfahren, in denen Abfindungsforderungen gestellt oder Verhandlungen darüber geführt worden sind, bereits einige Zeit zurück, ist bei der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens Zurückhaltung geboten. BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 313 f. = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte); BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, ZIP 1992, 1391, 1393 f., dazu EWiR 1992, 1041 (Drygala).
432
IV. Bestätigungsbeschluss
Der Anfechtungsklage kann mit dem Einwand des individuellen Rechtsmiss- 1614 brauchs auch dann begegnet werden, wenn sich der Aktionär erst nach ihrer Erhebung dazu entschließt, die Gesellschaft zu derartigen Leistungen zu bewegen. Die Zulässigkeit des Rechtsmissbrauchseinwandes hängt nicht davon ab, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine Gesellschaft anfechtungsbedingte Nachteile befürchten muss. Entscheidend ist allein, dass der Kläger die Anfechtungsklage als Mittel einsetzt, von der Gesellschaft rechtswidrige Vorteile zu erlangen. BGH, Urt. v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, ZIP 1991, 1577, 1578 ff.
Ein Antrag auf Anpassung des Streitwertes an die wirtschaftliche Lage des 1615 Anfechtungsklägers kann – ebenso wie bei Mutwilligkeit oder Aussichtslosigkeit der Klage – zurückgewiesen werden, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag feststeht, dass die Anfechtungsklage wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers unbegründet ist. BGH, Beschl. v. 4.7.1991 – II ZR 249/90, ZIP 1991, 1581.
IV. Bestätigungsbeschluss Die Anfechtbarkeit entfällt, wenn die Hauptversammlung den angefochtenen 1616 Beschluss bestätigt und der Bestätigungsbeschluss rechtsbeständig wird (§ 244 AktG). Einem Bestätigungsbeschluss haftet ein materiell-rechtlicher Mangel des Ausgangsbeschlusses aber ebenfalls an, so dass die Bestätigung ins Leere geht. BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354 (betreffend eine Entscheidung zum AktG 1937); BGH, Urt. v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, WM 1974, 392 (GmbH); BGH, Urt. v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = ZIP 2004, 310, 311, dazu EWiR 2004, 575 (Hirte/Groß); BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 Rn. 18, dazu EWiR 2006, 161 (Bork); BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167 Rn. 25; m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1; BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 10; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09 –, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 27, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar); BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 10, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Zu den behebbaren Verfahrensfehlern zählen aber auch Zählfehler, wenn 1617 der Versammlungsleiter das Beschlussergebnis unzutreffend festgestellt oder zu Unrecht vom Stimmrecht ausgeschlossene Stimmen (aufgrund Stimmverbots oder eines Rechtsverlusts) mitgezählt hat. Der Bestätigungsbeschluss gibt den Aktionären die Möglichkeit zu erklären, dass sie trotz des Fehlers am Inhalt des Beschlusses festhalten wollen und deshalb der Anfechtungsgrund nicht mehr geltend gemacht werden soll.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 Rn. 18; dazu EWiR 2006, 161 (Bork);
1618 Nach § 241 Nr. 3 AktG nichtige Beschlüsse können nicht bestätigt werden, wie schon der Wortlaut von § 244 AktG zeigt. BGH, Urt. v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 212 = ZIP 2004, 310, 311, dazu EWiR 2004, 575 (Hirte/Groß); BGH, Urt. v. 20.9.2004 – II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 256 = ZIP 2004, 2093; BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 27; BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 10; dazu EWiR 2012, 683 (Seulen);
1619 Der Bestätigungsbeschluss muss nicht von denselben Aktionären gefasst werden, die den Ausgangsbeschluss gefasst haben, sondern ist von der Hauptversammlung der Gesellschaft in der jeweiligen Zusammensetzung zu fassen. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09 , BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 22, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
1620 Auch für die inhaltliche Prüfung ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Erstbeschlusses maßgeblich. BGH, Urt. v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 212 = ZIP 2004, 310, 311, dazu EWiR 2004, 575 (Hirte/Groß).
1621 Weitere besondere Voraussetzungen hat ein Bestätigungsbeschluss nicht. Insbesondere müssen keine Berichte aktualisiert werden. BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 12.
1622 Ein Bestätigungsbeschluss ist auch zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern möglich. BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – II ZR 24/10, AG 2010, 709.
1623 Mit der Bestätigung entfällt materiell die Anfechtbarkeit des Ausgangsbeschlusses. Eine Anfechtungsklage gegen den Ausgangsbeschluss kann für erledigt erklärt werden, wenn der Kläger sie nicht als Feststellungsklage nach § 244 Satz 2 AktG fortsetzt. Eine hilfsweise Erledigungserklärung ist nicht zulässig. BGH, Beschl. v. 16.8.2010 – II ZR 105/09, AG 2010, 749 Rn. 4; BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 22, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert).
1624 Ein wirksamer Bestätigungsbeschluss beseitigt nicht nur die Anfechtbarkeit des Erstbeschlusses, sondern entzieht auch einer im Erstprozess erhobenen positiven Beschlussfeststellungsklage den Boden BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – II ZR 24/10, AG 2010, 709;
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V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage BGH, Urt. v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 Rn. 22, dazu EWiR 2006, 161 (Bork).
Ein Rechtsstreit über die Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversamm- 1625 lung einer Aktiengesellschaft ist grundsätzlich bis zur Entscheidung über die ebenfalls angefochtenen Bestätigungsbeschlüsse wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen, wenn die Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluss nicht abweisungsreif ist. Denn im Falle einer rechtskräftigen Nichtigerklärung der Ausgangsbeschlüsse könnte eine etwaige heilende Wirkung der später gefassten Bestätigungsbeschlüsse der Hauptversammlung nicht mehr berücksichtigt werden. BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – II ZR 24/10, AG 2010, 709.
Von der in § 244 AktG geregelten Beschlussbestätigung ist die Beschlusser- 1626 neuerung zu unterscheiden. Das für die Nichtigkeits- und Anfechtungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn ein mit einem Mangel behafteter Hauptversammlungsbeschluss erneuert wird, ohne dass der Mangel auch dem neuen Beschluss anhaftet. BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 356.
Anders ist das dann, wenn dem alten Beschluss noch weitere Mängel anhaften, 1627 die auch in dem neuen Beschluss enthalten sind. Würde man hier den Anfechtungskläger lediglich auf die Anfechtung des zweiten Beschlusses verweisen, könnte die Gesellschaft bei erfolgreicher Klage auf den ersten Beschluss zurückgreifen, wenn die Zulässigkeit der dagegen erhobenen Anfechtungsklage mangels Rechtsschutzinteresses verneint würde. BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 357 ff.
Auch kommt eine rückwirkende Bestätigung zumindest insoweit nicht in 1628 Betracht, als durch sie nachträglich in – zwischenzeitlich erworbene – Rechte des anfechtenden Aktionärs eingegriffen wird. BGH, Urt. v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, WM 1972, 742, 743 (GmbH).
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage 1. Verhältnis Nichtigkeits- und Anfechtungsklage Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgen mit der richterlichen Klärung 1629 der Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen mit Wirkung für und gegen jedermann dasselbe materielle Ziel. BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = ZIP 1997, 732 (GmbH) unter Abweichung von BGH, Urt. v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 322 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, ZIP 1999, 580.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
1630 Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe, sofern sie auf denselben Lebenssachverhalt gestützt sind, bilden einen einheitlichen Streitgegenstand. BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = ZIP 1997, 732 (GmbH); BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, ZIP 1999, 580; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882.
1631 Der Streitgegenstand der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage wird durch die jeweils geltend gemachten Beschlussmängelgründe als Teil des zugrunde liegenden Lebenssachverhalts bestimmt, nicht allein durch den Antrag. Er umfasst daher nicht auch Mängel, die gar nicht zum Gegenstand des Prozessvortrags gemacht wurden. BGH, Urt. v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, ZIP 2005, 706; BGH, Urt. v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = ZIP 2009, 1003 Rn. 32 – Schiedsfähigkeit II (GmbH); BGH, Beschl. v. 7.12.2009 – II ZR 63/08, ZIP 2010, 879 Rn. 3, dazu EWiR 2010, 441 (Kort); BGH, Beschl. v. 31.5.2010 – II ZR 105/09, ZIP 2010, 1898 Rn. 4; anders noch BGH, Urt. v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1, 4 = ZIP 2002, 1684, 1686.
1632 Aufgrund der Identität des mit der Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage verfolgten Zieles muss der Tatrichter den angegriffenen Beschluss unter Berücksichtigung des gesamten Klagevortrages auf seine Nichtigkeit prüfen, gleichgültig, ob die Gründe unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit vorgetragen worden sind. Eine Teilung des Streitgegenstandes danach, ob der Sachvortrag die Voraussetzungen der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit erfüllt, und der Erlass eines Teilurteils i. S. d. § 301 ZPO scheiden daher aus. BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, ZIP 1999, 580; BGH, Urt. v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1, 5 f. = ZIP 2002, 1684; BGH, Beschl. v. 31.5.2010 – II ZR 105/09, ZIP 2010, 1898 Rn. 5.
1633 Daher kann die Revision hinsichtlich eines bestimmten Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes nicht nur auf die Nichtigkeit beschränkt werden. BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882.
Für die Entscheidung des Gerichtes ist es demnach unerheblich, ob ein Nichtigkeitsantrag (Feststellung der Nichtigkeit des Hauptversammlungs-beschlusses) oder ein Anfechtungsantrag (den Hauptversammlungsbeschluss für nichtig zu erklären) gestellt wird. Welche Formulierung im Urteilstenor gewählt wird, hängt allein davon ab, ob der Sachverhalt die Voraussetzungen der Nichtigkeitsvorschriften oder (nur) die der Vorschriften über die Anfechtbarkeit erfüllt.
436
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage
Allerdings hat die Klage nur Erfolg, wenn ein Lebenssachverhalt, der nur zur 1634 Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses führt, innerhalb der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG in das Verfahren eingeführt worden ist. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 157; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 34 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813 Rn. 16, dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz); BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882.
2. Subjektive Klagehäufung Zwischen mehreren Aktionären, die eine Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage 1635 erhoben haben, besteht eine notwendige Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen (§ 62 ZPO), soweit die Klagen denselben Beschluss angreifen, weil ein der Klage stattgebendes Urteil für alle Aktionäre wirkt (§ 248 Abs. 1, 249 Abs. 1 AktG). BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 213, 240 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester); BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, ZIP 1999, 580, 581; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 55 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
Der Erlass eines Teilurteils, das einen oder mehrere Aktionäre ausnimmt, ist 1636 daher unzulässig. BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, ZIP 1999, 580, 581.
Das ist aber für den Aktionär anders, der die Anfechtungsfrist versäumt hat, 1637 wenn kein Nichtigkeitsgrund in Betracht kommt. BGH, Urt. v. 19.7.2011 – II ZR 124/10, ZIP 2011, 1813 Rn. 16; dazu EWiR 2011, 689 (Linnerz).
Anders als bei der Streitgenossenschaft aus materiellen Gründen besteht bei 1638 der Streitgenossenschaft aus prozessualen Gründen kein Zwang zu einer gemeinsamen Rechtsverfolgung durch alle notwendigen Streitgenossen. Daher kann jeder Streitgenosse unabhängig von den anderen die Hauptsache für erledigt erklären oder seine Klage zurücknehmen. BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 20, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert).
Soweit die Streitgenossenschaft besteht, kommt der von einem Aktionär gel- 1639 tend gemachte Anfechtungsgrund auch den anderen Aktionären, die ihn nicht geltend gemacht haben, zugute.
437
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 240 = ZIP 1993, 751, dazu EWiR 1993, 529 (Priester); BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 17 und 55 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 20 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald); BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09 , BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
1640 Die mit der Anfechtungsklage eines aus dem Prozess ausgeschiedenen Klägers geltend gemachten Anfechtungsgründe kommen dagegen einem Kläger, der die Anfechtungsfrist versäumt hat oder der innerhalb der Anfechtungsfrist nur andere Anfechtungsgründe vorgetragen hat, nicht zugute. Ein gemeinsames Prozessrechtsverhältnis besteht nicht, wenn einzelnen Klägern die Anfechtungsbefugnis fehlt oder sie den Instanzenzug nicht mitgegangen sind. Dann ist auch keine einheitliche Entscheidung erforderlich. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 55 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 19 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald); BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 15, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert); BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09 –, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar); BGH, Beschl. v. 13.12.2011 – II ZR 215/10, juris Rn. 1; BGH, Beschl. v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882.
3. Anfechtungs- und positive Beschlussfeststellungsklage 1641 Abweichend von der Rechtsprechung des Reichsgerichts, RG, Urt. v. 24.10.1933 – II 100/33, RGZ 142, 123, 128 f.,
hält der Bundesgerichtshof bei Protokollierung und förmlicher Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter die Verbindung einer gegen einen ablehnenden Beschluss erhobenen Anfechtungsklage mit der Klage auf Feststellung für zulässig, dass der Antrag angenommen, also der Beschluss gefasst sei. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191; BGH, Urt. v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = ZIP 1983, 1444 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = ZIP 1986, 429 (GmbH), dazu EWiR 1986, 371 (Hommelhoff).
438
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage
Hat der Versammlungsleiter in der Hauptversammlung zu Unrecht als förm- 1642 liches Beschlussergebnis festgestellt, ein Antrag sei abgelehnt, weil die erforderliche Stimmenmehrheit nicht vorliege, so kann die gegen diesen Beschluss gerichtete Anfechtungsklage mit dem Antrag auf Feststellung eines zustimmenden Beschlusses verbunden werden. BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191.
Wird als Ergebnis der Abstimmung die Ablehnung eines Antrages förmlich 1643 zu Unrecht festgestellt, weil ein Gesellschafter gegen den Antrag gestimmt hat, der von der Abstimmung ausgeschlossen war oder der sein Stimmrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt hat, können Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage ebenfalls miteinander verbunden werden. BGH, Urt. v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = ZIP 1983, 1444 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = ZIP 1986, 429 (GmbH), dazu EWiR 1986, 371 (Hommelhoff).
In der Nichtigerklärung eines Beschlusses und der gleichzeitigen Feststel- 1644 lung eines wirksamen Beschlusses liegt nur scheinbar ein Widerspruch. Denn es wird nicht ein wirksam angefochtener durch einen nicht gefassten anderen Beschluss ersetzt, sondern es wird nur das unrichtig festgestellte Beschlussergebnis beseitigt und zugleich festgestellt, was wirklich beschlossen worden ist. Ohne die Herstellung der Verbindung beider Klagen wäre der Gesellschafter weitgehend schutzlos gestellt, weil die Anfechtungsklage entgegen einer früheren Ansicht des Reichsgerichts, RG, Urt. v. 9.10.1928 – II 486/27, RGZ 122, 102, 107,
nur zur Beseitigung des unrichtigen, nicht aber zur Feststellung des richtigen Beschlussergebnisses führt und der Gesellschafter nicht sicher sein kann, dass er mit dem erneut gestellten Beschlussantrag dieses Ergebnis erreichen kann. Ein Feststellungsurteil hat zwar üblicherweise nicht die allgemein verbindliche Wirkung eines Gestaltungsurteils, wie sie in § 248 AktG zum Ausdruck kommt, jedoch kann dieser Gedanke auf ein Beschlussfeststellungsurteil angewandt werden, wenn die Feststellungsklage in derselben Frist und demselben Prozessverfahren wie die Anfechtungsklage zu erheben ist. Dem Bedenken, der gerichtlich festgestellte Beschluss könne seinerseits an einem Gesetzes- oder Satzungsverstoß leiden, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass auf seiten der verklagten Gesellschaft die von der Gestaltungswirkung des Urteils betroffenen Gesellschafter als (streitgenössische) Nebenintervenienten zugelassen werden, welche Mängel des Feststellungsbeschlusses einredeweise geltend machen können, BGH, Urt. v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191; BGH, Urt. v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = ZIP 1983, 1444 (GmbH); BGH, Urt. v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 30 ff. = ZIP 1986, 429 (GmbH), dazu EWiR 1986, 371 (Hommelhoff),
439
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen
aber auch dadurch, dass die Gesellschaft die Ablehnung des Beschlusses damit verteidigt, dass der Beschluss nicht hätte rechtswirksam gefasst werden dürfen. 4. Verhältnis zum Verfahren nach § 132 AktG 1645 Die Durchführung des Verfahrens nach § 132 AktG ist nicht Voraussetzung für eine auf die Verletzung des Auskunftsrechts gestützte Anfechtungsklage. Auskunftserzwingungs- und Anfechtungsverfahren haben ein unterschiedliches Ziel und ein ungleiches Gewicht. Das Auskunftserzwingungsverfahren soll auf einem einfachen, schnellen und billigen Weg das individuelle Informationsbedürfnis eines Aktionärs befriedigen, im Anfechtungsprozess will der Kläger hingegen die Beseitigung eines Hauptversammlungsbeschlusses erreichen. Wird die Auskunft nach der Hauptversammlung während des laufenden Auskunftserzwingungsverfahrens oder gar schon davor erteilt, wird dieses Verfahren gegenstandslos. Hingegen besteht weiterhin ein schutzwürdiges Interesse des Aktionärs an der Beseitigung eines auf der Auskunftsverweigerung beruhenden Hauptversammlungsbeschlusses. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 3 ff.
1646 Der Hauptversammlungsbeschluss kann auch dann für nichtig erklärt werden, wenn ein Antrag nach § 132 AktG formell rechtskräftig abgewiesen worden ist. Die Abweisung des Antrags im Auskunftserzwingungsverfahren hat im Anfechtungsprozess keine Bindungswirkung. BGH, Urt. v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 5 f.; BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 35 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = ZIP 2009, 2051 Rn. 12 – Umschreibungsstopp, dazu EWiR 2010, 1 (Priester).
1647 Keine Bindungswirkung besteht auch im umgekehrten Fall, wenn das Antragsverfahren erfolgreich war. Die Entscheidung hat nach § 132 AktG i. V. m. § 99 AktG keine inter-omnes-Wirkung. Gegenstand dieses Verfahrens ist auch nicht eine Feststellung, sondern eine Leistung: Der Aktionär hat einen Anspruch auf Erteilung der Auskunft. Eine Bindungswirkung, die eine Aussetzungsverpflichtung zur Folge hätte, ist somit nicht gegeben. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 = ZIP 2009, 460 Rn. 35 – Kirch/Deutsche Bank, dazu EWiR 2010, 343 (Herchen); m. Anm. Mutter, ZIP 2009, 470.
5. Aktivlegitimation 1648 Die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses kann gem. § 256 ZPO von jedem geltend gemacht werden, der ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung der Nichtigkeit hat. Das auf eine Feststellungsklage i. S. d. § 256 ZPO erstrittene Urteil erlangt jedoch nur zwischen den Streitparteien mit Rechtskraft ausgestattete Verbindlichkeit. 440
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage BGH, Urt. v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 614 (GmbH).
Ein Urteil, das die Nichtigkeit eines Beschlusses feststellt bzw. einen Beschluss 1649 für nichtig erklärt, entfaltet dagegen als Gestaltungsurteil nicht nur zwischen Kläger und Gesellschaft, sondern auch gegenüber den übrigen Gesellschaftern, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat Rechtskraftwirkung (§§ 249 Abs. 1, 248 Abs. 1 Satz 1 AktG) und hat darüber hinaus Gestaltungswirkung für und gegen alle. BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366; BGH, Urt. v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215 Rn. 8 (GmbH).
Einem Aktionär steht neben der Nichtigkeitsklage i. S. d. § 249 Abs. 1 AktG 1650 oder der Anfechtungsklage i. S. d. § 246 AktG eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO gegenüber Hauptversammlungsbeschlüssen, deren Gegenstand nicht ein Individualrechtsverhältnis ist, sondern die Gesamtheit der Aktionäre betrifft, nicht zu. Denn unter dem Aspekt der Rechtssicherheit und – klarheit wäre es nicht tragbar, einem solchen Beschluss abweichend von der Regelung der §§ 249 Abs. 1, 248 Abs. 1 Satz 1 AktG im Verhältnis zu einem Aktionär jegliche Verbindlichkeit abzusprechen, ihn gegenüber den anderen aber für wirksam zu halten. BGH, Urt. v. 23.2.1978 – II ZR 37/77, BGHZ 70, 384, 388 (Genossenschaft); BGH, Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 351 = ZIP 1993, 1079, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner).
Wenn in einem Prozess Klagen eines Gesellschafters auf Feststellung der 1651 Nichtigkeit (entsprechend § 249 Abs. 1 AktG) mit allgemeinen Feststellungsklagen von Nichtgesellschaftern (§ 256 Abs. 1 ZPO) verbunden sind, darf wegen der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen kein Teilurteil über die Klage des eines Streitgenossen ergehen. BGH, Urt. v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, ZIP 2008, 2215 Rn. 8 (GmbH).
Es bedarf keines besonderen Rechtsschutzinteresses in der Form eines per- 1652 sönlichen Interesses an der verbindlichen Feststellung der Nichtigkeit oder der Vernichtung des fehlerhaften Beschlusses. Dieses Interesse folgt bereits aus der Stellung als Aktionär (oder Organ bzw. Organmitglied). Jeder Aktionär hat ein Recht darauf, dass die Hauptversammlung nur solche Beschlüsse fasst, die mit Gesetz und Satzung vereinbar sind. Denn die gesellschaftsrechtliche Nichtigkeits- und Anfechtungsklage ist als Instrument zur Kontrolle und Rechtmäßigkeit des Organhandelns einer Kapitalgesellschaft ausgestaltet. Dadurch, dass dieses Instrument in die Hände der Aktionäre gelegt wird, wird ihnen eine im allgemeinen Interesse liegende Kontrolltätigkeit übertragen. Das besondere Rechtsschutzinteresse für eine solche Klage ergibt sich daher bereits aus der Wahrnehmung dieses Kontrollzwecks durch die Aktionäre. 441
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188, 1191 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 265 f. (GmbH); BGH, Urt. v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446 (GmbH); BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 308 = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte).
1653 Für die Anfechtung ablehnender Beschlüsse hat der Bundesgerichtshof jedoch in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht ein „gewisses schutzwürdiges Interesse“ verlangt. RG, Urt. v. 19.11.1935 – II 200 u. 201/35, JW 1936, 920; BGH, Urt. v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188, 1191 (GmbH).
1654 Die Berechtigung zur Erhebung einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage ist als förmliche Klagevoraussetzung anzusehen. Sie kann nicht nach wirtschaftlichen, sondern muss nach den rechtlichen Verhältnissen beurteilt werden. Bei treuhänderischer Übertragung von Aktien steht sie daher nicht dem Treugeber als wirtschaftlichem, sondern dem Treuhänder als rechtlichem Inhaber des Anteils zu. BGH, Urt. v. 15.4.1957 – II ZR 34/56, BGHZ 24, 119, 124 (GmbH); BGH, Urt. v. 1.3.1962 – II ZR 252/59, WM 1962, 419 (GmbH); BGH, Urt. v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 614 (GmbH); BGH, Urt. v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, WM 1969, 176, 180 (GmbH).
1655 Die Befugnis zur Erhebung der Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklage gehört als „Antragsbefugnis“ (Nichtigkeitsklage) bzw. „Anfechtungsbefugnis“ (Anfechtungsklage) zur Aktivlegitimation. BGH, Urt. v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 614 (GmbH).
Siehe dazu oben Rn. 1540. 1656 Wird die Aktie während des Verfahrens veräußert, kommt dem Aktionär der Schutz des § 265 ZPO zugute, soweit er an der Fortführung des Rechtsstreits ein rechtliches Interesse hat. Da die Anfechtungsbefugnis ein aus der Mitgliedschaft unmittelbar folgendes Verwaltungsrecht ist und nach dem Normzweck des § 265 Abs. 2 ZPO außer der verklagten Partei zumindest auch das Interesse des ursprünglichen Rechtsinhabers und Klägers an der Weiterführung des Prozesses geschützt werden soll, ist der Rechtsgedanke dieser Vorschrift gleichermaßen im GmbH-Recht wie im Aktienrecht auf den Fall der Veräußerung der Mitgliedschaft während des laufenden Prozesses anzuwenden. BGH, Urt. v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267 (GmbH);
442
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage BGH, Urt. v. 21.10.1968 – II ZR 181/66, WM 1968, 1369 (GmbH); BGH, Urt. v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, WM 1972, 742 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, WM 1974, 392, 393 (GmbH); BGH, Urt. v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, ZIP 1993, 1228, 1229 (GmbH), dazu EWiR 1993, 1209 (Günther); BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167 Rn. 15; m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1.
Das gilt entsprechend auch, wenn der Aktionär durch eine Übertragung der 1657 Aktien auf den Hauptaktionär seine Stellung als Aktionär verliert. Die Vorschrift des § 265 Abs. 2 ZPO greift außer bei der freiwilligen Übertragung der im Streit befangenen Rechtsposition auch in den Fällen des – unfreiwilligen – Rechtsverlustes infolge gesetzlichen Forderungsübergangs oder kraft Hoheitsakts – so insbesondere beim Rechtsverlust durch Enteignung, Versteigerung oder Überweisung im Rahmen der Zwangsvollstreckung – ein. Soweit der angefochtene Beschluss für ihre Abfindung Bedeutung erlangen kann, besteht daher das Rechtsschutzinteresse der Anfechtungskläger fort. Dafür genügt es, wenn die erfolgreiche Anfechtung dazu führt oder indizielle Bedeutung hat, dass bei der Abfindung ein Schadensersatzanspruch gegen den Hauptaktionär oder ein herrschendes Unternehmen zu berücksichtigen ist. BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167 Rn. 19; m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1; BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 26, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Andernfalls entfällt das Rechtschutzbedürfnis für die Fortsetzung der An- 1658 fechtungsklage. BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167 Rn. 14 ff.; m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
Für die Nichtigkeitsklage ist der Rückgriff auf § 265 Abs. 2 ZPO überflüssig. 1659 Da sie keine Antragsbefugnis voraussetzt, bleibt sie als gewöhnliche Feststellungsklage zulässig, wenn nach Wegfall der Gesellschaftereigenschaft noch ein Rechtsschutzinteresse vorhanden ist, allerdings ohne Gestaltungswirkung. BGH, Urt. v. 23.10.1998 – LwZR 1/98, ZIP 1999, 23 = AG 1999, 180.
6. Rechtsschutzbedürfnis Wie jede Klage ist auch eine Nichtigkeits- und Anfechtungsklage aber nur dann 1660 zulässig, wenn ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis für ihre Erhebung vorliegt.
443
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 356; BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 119; BGH, Urt. v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, ZIP 1992, 1391, 1392, dazu EWiR 1992, 1041 (Drygala).
1661 Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage kann entfallen, wenn der angefochtene Beschluss keinerlei Wirkung mehr hat. BGH, Urt. v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = ZIP 2004, 310, 311, dazu EWiR 2004, 575 (Hirte/Groß); BGH, Beschl. v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195, dazu EWiR 2012, 65 (Verhoeven); BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel); BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467.
1662 Das wurde beispielsweise angenommen x
für die Anfechtungsklage gegen die Abberufung eines Organs, wenn wegen einer Verschmelzung das Amt endete, BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467;
x
für die Anfechtungsklage gegen die Aufsichtsratswahl, wenn die gewählten Aufsichtsräte ihr Amt niedergelegt haben und ihre Mitwirkung im Aufsichtsrat keine Folgen hatte, BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel);
x
wenn der angefochtene Beschluss, mit dem ein besonderer Vertreter bestellt war, aufgehoben wurde, BGH, Beschl. v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195, dazu EWiR 2012, 65 (Verhoeven); BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel);
x
bei einem erneuten oder wiederholenden Beschluss (im Gegensatz zu einem Bestätigungsbeschluss, der eine materiellrechtliche Wirkung zeitigt), BGH, Urt. v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = ZIP 2004, 310, 311, dazu EWiR 2004, 575 (Hirte/Groß); BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel);
x
beim Ausscheiden des Anfechtungsklägers aus dem Kreis der Aktionäre, soweit der angefochtene Beschluss nicht etwa für ihre Abfindung Bedeutung behält, BGH, Urt. v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167 Rn. 17; m. Bespr. Waclawik, ZIP 2007, 1; BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 11, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
444
V. Prozessuale Fragen zur Nichtigkeits- und Anfechtungsklage
Das Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage gegen einen Übertra- 1663 gungsbeschluss entfällt dagegen nicht, wenn die Rückübertragung der Aktien unmöglich geworden ist oder ein Freigabebeschluss ergangen ist, der eine Rückabwicklung ausschließt. Es genügt für den Fortbestand des rechtlichen Interesses an der Anfechtung, dass der Erfolg der Klage Grundlage eines Schadensersatzanspruchs sein kann. Ein Erfolg der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bildet entsprechend § 327e Abs. 2 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 8 AktG die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch. Die Gesellschaft hat klagenden Minderheitsaktionären den Schaden zu ersetzen, der aus der Eintragung entstanden ist, wenn sich die Beschlussmängelklage nach einer Eintragung aufgrund eines Beschlusses im Freigabeverfahren als begründet erweist. Ein solcher Anspruch besteht erst recht, wenn der Übertragungsbeschluss ohne vorangegangenes Freigabeverfahren eingetragen wurde und eine Rückabwicklung der Übertragung nicht mehr möglich ist. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
7. Nebenintervention Dem Rechtsstreit können Aktionäre beitreten, und zwar sowohl auf Seiten 1664 der Kläger als auch auf Seiten der beklagten Gesellschaft. Der auf Klägerseite beitretende Aktionär kann sein gem. § 66 ZPO erforderliches Interventionsinteresse am Obsiegen der unterstützten Partei schon allein damit begründen, dass ein stattgebendes Anfechtungsurteil gem. § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG ihm gegenüber Rechtskraft- und Gestaltungswirkung entfaltet. BGH, Beschluss v. 23.4.2007 – II ZB 29/05, BGHZ 172, 136 = ZIP 2007, 1528 Rn. 9, dazu EWiR 2007, 641 (Wilsing/Goslar); BGH, Beschl. v. 26.5.2008 – II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398 Rn. 8, dazu EWiR 2008, 575 (Goslar).
Der Nebenintervenient auf Klägerseite muss auch nicht Widerspruch nach 1665 § 245 Nr. 1 AktG eingelegt haben. Eine der Anfechtungsbefugnis entsprechende Interventionsbefugnis ist im Gesetz nicht vorgesehen. Die Beschränkungen des Anfechtungsrechts in §§ 245 Nr. 1, 246 Abs. 1 AktG betreffen allein die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Aktionär mit seinem Angriff gegen den Beschluss der Hauptversammlung Zugang zum Gericht findet, d. h. ob er die Gerichte überhaupt mit Aussicht auf eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses anrufen kann. Demgegenüber geht es bei der Nebenintervention um das rechtliche Gehör in einem bereits anhängigen Verfahren, dessen Ergebnis der Aktionär gem. § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG gegen sich gelten lassen muss, ohne selbst den Zugang zum Gericht nachgesucht zu haben. Da § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG sämtliche Aktionäre der Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils unterwirft, ist die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in jenem Anfechtungsprozess im Wege der Nebenintervention verfassungsrechtlich unabdingbar.
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G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Beschl. v. 23.4.2007 – II ZB 29/05, BGHZ 172, 136 = ZIP 2007, 1528 Rn. 17 ff., dazu EWiR 2007, 641 (Wilsing/Goslar); BGH, Beschl. v. 26.5.2008 – II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398 Rn. 11, dazu EWiR 2008, 575 (Goslar).
1666 § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG befristet den Beitritt auf der Seite des Anfechtungsklägers. Für den Beitritt auf der Seite der beklagten Gesellschaft gibt es eine solche Befristung nicht. BGH, Beschl. v. 15.6.2009 – II ZB 8/08, ZIP 2009, 1538 Rn. 9.
1667 Tritt ein Aktionär dem Anfechtungsrechtsstreit als Nebenintervenient bei, kommt ihm die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten i. S. d. § 69 ZPO zu. BGH, Beschl. v. 15.6.2009 – II ZB 8/08, ZIP 2009, 1538 Rn. 12; BGH, Beschl. v. 16.7.2010 – II ZB 12/09, ZIP 2010, 1822 Rn. 3; BGH, Beschl. v. 15.9.2014 – II ZB 22/13, ZIP 2014, 1995 Rn. 6, dazu EWiR 2014, 697 (von der Linden).
1668 Ihm steht das Recht zur Prozessführung als ein von der Hauptpartei unabhängiges Recht zu. Er ist daher auch berechtigt, gegen deren Widerspruch ein Rechtsmittel einzulegen und durchzuführen. Die Durchführung des Rechtsmittels gegen den Willen der Hauptpartei setzt aber voraus, dass der streitgenössische Nebenintervenient das Rechtsmittel innerhalb der für ihn laufenden Rechtsmittelfrist selbst eingelegt hat. BGH, Beschl. v. 4.10.1993 – II ZB 9/93, DtZ 1994, 29, dazu EWiR 1994, 101 (Becht); BGH, Beschl. v. 28.9.1998 – II ZB 16/98, ZIP 1999, 192; BGH, Urt. v. 14.12.1998 – II ZR 109/97, ZIP 1999, 190.
1669 Die Berufungsfrist beginnt für den Streithelfer, der im ersten Rechtszug nicht beigetreten ist, nicht erst mit der Zustellung an den Streithelfer oder (§ 517 Halbs. 2 ZPO) fünf Monate nach der Verkündung des Urteils, sondern bereits mit der Zustellung des Urteils an die Hauptpartei. BGH, Beschl. v. 8.11.2004 – II ZB 41/03, ZIP 2005, 45; BGH, Beschl. v. 31.3.2008 – II ZB 4/07, ZIP 2008, 942 Rn. 10; BGH, Beschl. v. 16.7.2010 – II ZB 12/09, ZIP 2010, 1822 Rn. 3.
1670 Dies gilt auch dann, wenn ein streitgenössischer Nebenintervenient nach Zustellung des Urteils an die Partei, aber noch vor Ablauf der dadurch in Lauf gesetzten Rechtsmittelfrist dem Verfahren beitritt. BGH, Beschl. v. 21.4.1997 – II ZB 7/96, NJW-RR 1997, 86; BGH, Beschl. v. 16.7.2010 – II ZB 12/09, ZIP 2010, 1822 Rn. 3.
1671 Die Rücknahme eines Rechtsmittels durch einen streitgenössischen Nebenintervenienten, der nach § 69 ZPO als Streitgenosse der Hauptpartei anzusehen ist, entzieht weiteren streitgenössischen Nebenintervenienten ihre
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VI. Kostenfragen
Stellung als Partei der Berufungsinstanz, wenn nur der das Rechtsmittel zurücknehmende streitgenössische Nebenintervenient das Rechtsmittel eingelegt hat und die Einlegung nach Ablauf der für die weiteren streitgenössischen Nebenintervenienten laufenden Frist erfolgt ist. Denn in diesem Falle haben die weiteren streitgenössischen Nebenintervenienten nur eine von dem Rechtsmittelführer abhängige Stellung erlangt. BGH, Beschl. v. 28.9.1998 – II ZB 16/98, ZIP 1999, 192, 193.
VI. Kostenfragen 1. Streitwert und Beschwer Der Streitwert für das Verfahren einer Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage 1672 ist vom Prozessgericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 247 Abs. 1 AktG). Das gilt auch für die Bemessung der Beschwer des Rechtsmittelklägers. BGH, Beschl. v. 28.9.1981 – II ZR 88/81, ZIP 1981, 1335, 1336.
Welche Umstände im jeweiligen Fall entscheidungsrelevant sind und welche 1673 Bedeutung die Sache für die Parteien hat, hängt von Inhalt und Gegenstand des angegriffenen Hauptversammlungsbeschlusses ab. Nach ihnen bemessen sich im Wesentlichen die wirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen, die eine Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses für den anfechtenden Aktionär und die verklagten Gesellschafter sowie die übrigen Aktionäre hat. Art und Zahl der geltend gemachten Anfechtungsgründe sind demnach nicht geeignet, den Streitwert zu beeinflussen. Die Bemessung des Streitwertes hängt daher von den wirtschaftlichen Auswirkungen ab, die eine Entscheidung über die Unwirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses für beide Parteien hat, nicht aber von der Art und Anzahl der Gründe, die für die Nichtigkeit angeführt werden. Demzufolge ist für die Bemessung des Streitwertes und der Beschwer auch unerheblich, wenn die Kläger ihre Anfechtungsklage nach Zurückweisung des Verfahrens an das Berufungsgericht nicht mehr auf alle ursprünglich von ihnen geltend gemachten Anfechtungsgründe, sondern nur noch auf die Verletzung ihres Auskunftsrechtes stützen. BGH, Beschl. v. 11.7.1994 – II ZR 58/94, ZIP 1994, 1355, dazu EWiR 1995, 103 (Günther).
Ob man bei einer im Aktienrecht erhobenen Feststellungsklage i. S. d. § 256 1674 Abs. 1 ZPO ebenso wie der Beschlussfeststellungsklage den Streitwert nach § 247 Abs. 1 AktG bestimmen kann, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. BGH, Beschl. v. 12.10.1992 – II ZR 41/92, DB 1992, 2336 (Auszug).
Eine in erster Instanz getroffene Entscheidung, nach der sich die Verpflich- 1675 tung der antragstellenden Partei nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwertes bemisst (§ 247 Abs. 2 AktG), wirkt nicht für die folgenden Instanzen. 447
G. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen BGH, Beschl. v. 12.10.1992 – II ZR 213/91, ZIP 1992, 1734; dazu EWiR 1992, 215 (Hirte).
1676 Der Antrag auf Festsetzung eines solchen Teilstreitwerts für den Anfechtungskläger kann abgelehnt werden, wenn die Prozessführung völlig mutwillig oder aussichtslos ist. BGH, Beschl. v. 4.7.1991 – II ZR 249/90, ZIP 1991, 1581; BGH, Beschl. v. 22.2.2012 – II ZR 134/09, juris.
2. Kostentragung 1677 Nimmt der Kläger im aktienrechtlichen Anfechtungsprozess die Klage (auch im Rahmen eines Vergleichs) zurück, hat er – vorbehaltlich der Ausnahmeregelung des § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 ZPO – auch die außergerichtlichen Kosten der auf Beklagtenseite beigetretenen, am Vergleich nicht beteiligten streitgenössischen Nebenintervenienten gem. § 269 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 ZPO zu tragen. Ob ein streitgenössischer Nebenintervenient Ersatz seiner außergerichtlichen Kosten beanspruchen kann, ist eigenständig und unabhängig von der gegenüber der unterstützten Hauptpartei zu treffenden Kostenentscheidung nach seinem persönlichen Obsiegen und Unterliegen im Verhältnis zu dem Gegner zu beurteilen. BGH, Beschl. v. 15.6.2009, II ZB 8/08, ZIP 2009, 1538 Rn. 12; BGH, Beschl. v. 14.6.2010 – II ZB 15/09, ZIP 2010, 1771 Rn. 9, dazu EWiR 2010, 691 (Linnerz);
1678 Dagegen hat ein Nebenintervenient, der auf der Seite des Klägers beigetreten ist, keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten gegen die Gesellschaft, wenn der von ihm unterstützte Kläger die Klage zurückgenommen hat, selbst wenn sich die Gesellschaft in einem Vergleich verpflichtet hat, die Kosten des Klägers zu übernehmen. BGH, Beschl. v. 18.6.2007 – II ZB 23/06, ZIP 2007, 1337 Rn. 7 ff.; BGH, Beschl. v. 15.9.2014 – II ZB 22/13, ZIP 2014, 1995 Rn. 6, dazu EWiR 2014, 697 (von der Linden).
1679 Auch wenn die Parteien das Verfahren (unmittelbar) durch einen Prozessvergleich im engeren Sinne beenden, hat der Nebenintervenient seine Kosten selbst zu tragen. Dies entspricht dem unabhängig von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO geltenden allgemeinen Grundsatz, dass jeder Prozessbeteiligte seine Kosten zunächst selbst zu tragen hat und eine Kostenübernahme durch den Gegner – abgesehen von etwaigen materiell-rechtlichen Erstattungsansprüchen – nur dann in Betracht kommt, wenn sich aus §§ 91 ff. ZPO ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch ergibt; anderenfalls verbleiben die Aufwendungen bei demjenigen, bei dem sie entstanden sind. BGH, Beschl. v. 15.9.2014 – II ZB 22/13, ZIP 2014, 1995 Rn. 7, dazu EWiR 2014, 697 (von der Linden).
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VI. Kostenfragen
3. Gebühren Mehrere Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind vor einer Verbindung 1680 der Prozesse nach § 246 Abs. 3 Satz 6 AktG gebührenrechtlich selbstständig, mit der Folge, dass die für das Verfahren im Allgemeinen zu erhebenden Gerichtskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 GKG mit der Einreichung der jeweiligen Klage anfallen und die vor der Verbindung entstandenen Gerichtskosten auch nach der Prozessverbindung bestehen bleiben. BGH, Urt. v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 13, dazu EWiR 2011, 443 (Ruppert); BGH, Beschl. v. 14.5.2013 – II ZB 12/12, ZIP 2013, 1445 Rn. 16, dazu EWiR 2013, 535 (von der Linden); vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.5.2010 – II ZB 14/09, ZIP 2010, 1413 Rn. 9, dazu EWiR 2010, 593 (von der Linden).
Auch für die Rechtsanwaltsgebühren liegen bis zur Verbindung vier ver- 1681 schiedene Angelegenheiten vor, so dass vor der Verbindung auf der Seite der beklagten AG mehrere Verfahrensgebühren entstehen können. BGH, Beschl. v. 10.5.2010 – II ZB 14/09, ZIP 2010, 1413 Rn. 13, dazu EWiR 2010, 593 (von der Linden).
Eine beklagte Aktiengesellschaft, die in Erwartung von Anfechtungsklagen 1682 einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und dadurch vor der Verbindung in jedem Klageverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 RVG-VV auslöst, handelt auch nicht rechtsmissbräuchlich. BGH, Beschl. v. 10.5.2010 – II ZB 14/09, ZIP 2010, 1413 Rn. 26, dazu EWiR 2010, 593 (von der Linden).
Erklärt ein Streithelfer seinen Beitritt zu mehreren aktienrechtlichen Anfech- 1683 tungsverfahren, die denselben Hauptversammlungsbeschluss betreffen, und wird diesen Klagen, ohne die Verfahren zuvor zu verbinden, stattgegeben, kann der Streithelfer grundsätzlich in jedem der Verfahren seine jeweiligen Prozesskosten ersetzt verlangen. BGH, Beschl. v. 10.5.2010 – II ZB 3/09, ZIP 2010, 1366 Rn. 11 ff., dazu EWiR 2010, 551 (Wahl/Nikoleyczik).
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H. Grundlagenentscheidungen – materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen – Treuepflicht in der AG I. Grundlagenentscheidungen Die Verpflichtung zur Vermögensübertragung (durch Einzelrechtsnachfolge) 1684 gehört ebenso wie Unternehmensverträge (§§ 293 ff. AktG) und die im Umwandlungsgesetz geregelten Vertragsgestaltungen (§ 1 UmwG) zu den Grundlagenverträgen, die regelmäßig die Unternehmensstruktur verändern und die das Gesetz zum Schutz der Aktionäre der Willensbildung und Entscheidung durch die Hauptversammlung unterwirft. Ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung bei Maßnahmen, die das Gesetz dem Vorstand als Leitungsaufgabe zuweist, sind darüber hinaus nur ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen. Sie kommen allein dann in Betracht, wenn eine von dem Vorstand in Aussicht genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden können. BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 44 f. = ZIP 2004, 993, 998 – Gelatine I, dazu EWiR 2004, 573 (Just); m. Anm. Altmeppen, ZIP 2004, 999. BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001 – Gelatine II, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte).
1. Vermögensübertragung Nach § 179a Abs. 1 AktG bedarf ein Vertrag, durch den sich eine AG zur 1685 Übertragung ihres gesamten Vermögens verpflichtet, der Zustimmung durch die Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit. Zu einem solchen Vertrag gehören alle im Hinblick auf die Vermögensübertragung getroffenen schuldrechtlichen Abreden, die rechtsverbindlich die Beziehungen der Vertragschließenden bestimmen und eine Einheit i. S. d. § 139 BGB bilden sollen. Dabei darf zwischen Vertragsbestimmungen, die unmittelbar den Vermögensübergang betreffen, und solchen, die sonstige Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien begründen, kein Unterschied gemacht werden. Gehören sie rechtlich zusammen, unterliegen beide der Zustimmungspflicht durch die Hauptversammlung. Unerheblich ist, ob sie mit verschiedenen Parteien vereinbart werden und in einer oder mehreren Urkunden niedergelegt sind. BGH, Urt. v. 16.11.1981 – II ZR 150/80, BGHZ 82, 188, 195 f. = ZIP 1982, 172.
Es genügt, wenn der Hauptversammlung im Zeitpunkt der Beschlussfassung 1686 ein vollständiger Vertragsentwurf vorliegt. Der Vorlage einer notariellen Urkunde bedarf es nicht; praktische Gründe sprechen aber dafür, einen vollständigen Vertragsentwurf ausreichen zu lassen, weil dadurch bei Ablehnung
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H. Grundlagenentscheidungen
des Vertrages oder dem Verlangen nach Änderungen durch die Hauptversammlung Aufwand für eine vergebliche Beurkundung vermieden wird. Der Zweck der gesetzlichen Formvorschrift, den Inhalt des Vereinbarten beweiskräftig festzulegen, macht es nicht erforderlich, dass die Beurkundung dem Zustimmungsbeschluss vorausgeht. Die Übereinstimmung von Vertragsinhalt und Zustimmungsbeschluss lässt sich, wie die Regelung bei den Unternehmensverträgen zeigt (§§ 293 Abs. 3, 293f, 293g Abs. 1 und 2 AktG), auch erreichen, wenn der von der Hauptversammlung genehmigte Text erst nach der Zustimmung beurkundet wird. BGH, Urt. v. 16.11.1981 – II ZR 150/80, BGHZ 82, 188, 193 ff. = ZIP 1982, 172.
1687 Die Wirksamkeit von Vermögensübertragungsbeschlüssen scheitert nicht an dem Fehlen einer Abfindungsregelung, wie sie das Gesetz bei Unternehmensverträgen (§ 305 AktG), der Eingliederung (§ 320b Abs. 1 AktG) und den Vertragsgestaltungen nach dem Umwandlungsgesetz (§§ 15, 29 f., 125, 176 und 207 UmwG) für Minderheitsaktionäre vorschreibt. Die Vermögensübertragung greift im Gegensatz zu diesen Vorgängen (ebenso wenig wie die Ausgliederung, vgl. §§ 123 Abs. 3, 125 UmwG) weder in die Rechtsstellung des einzelnen Aktionärs noch in dessen Gewinnanspruch unmittelbar ein. Sie unterwirft die Gesellschaft auch nicht auf Kosten ihrer eigenen wirtschaftlichen Betätigung der Herrschaft eines anderen Unternehmens. Zwar kann auch ein Vermögensübertragungsvertrag wegen der mit ihm verbundenen Strukturänderungen den inneren Gehalt und den Wert der Mitgliedschaft mittelbar beeinträchtigen. Das erfordert jedoch – insbesondere unter verfassungsrechtlichem Aspekt – keine Ausgleichsregelung. Soweit die Belange der Minderheitsaktionäre infolge Missbrauchs der wirtschaftlichen Macht durch die Mehrheit beeinträchtigt werden könnten, bietet das Gesetz insbesondere durch die §§ 117 und 243 Abs. 2 AktG Schutz. Im Einzelfall mag wegen besonderer vertraglicher Gestaltungen eine entsprechende Anwendung der §§ 305, 306 AktG in Betracht gezogen werden können. Der Mehrheitsbeschluss nach § 179a AktG ist aber nicht generell durch die Gefahr einer Schädigung der Minderheit gekennzeichnet. BGH, Urt. v. 16.11.1981 – II ZR 150/80, BGHZ 82, 188, 191 ff. = ZIP 1982, 172.
1688 Eine Vermögensübertragung i. S. d. § 179a Abs. 1 AktG liegt auch dann vor, wenn nur unwesentliche einzelne Vermögensteile zurückbleiben. Ob das der Fall ist, kann nicht durch einen Vergleich der Teilreproduktionswerte des übertragenen mit denen des verbliebenen Anlage- und Umlaufvermögens und ohne Berücksichtigung der Passiva und der Ertragserwartungen ermittelt werden. Denn § 179a AktG hat nicht wie § 419 BGB den Zweck, die Gläubiger vor einer Aushöhlung der Vollstreckungsmasse zu schützen, sondern er soll die Gesellschafter dagegen sichern, dass die Gesellschaft ohne ihre Zustimmung das Gesellschaftsvermögen, das Grundlage ihrer Unternehmenstätigkeit ist, vollkommen aus der Hand gibt. Ist Gegenstand der Vermögensübertragung
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I. Grundlagenentscheidungen
ein lebendes Unternehmen, sind die Voraussetzungen des § 179a Abs. 1 AktG dann nicht erfüllt, wenn die Gesellschaft mit dem ihr verbliebenen Betriebsvermögen noch in der Lage ist, ihre satzungsgemäßen Unternehmensziele – wenn auch nur in eingeschränktem Umfang – zu verfolgen. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 128 = ZIP 1982, 568 – Holzmüller.
Solange die Grenze des § 179a AktG nicht überschritten wird, bedarf deshalb 1689 die Veräußerung von Beteiligungen oder Betriebsteilen grundsätzlich nicht der Zustimmung der Hauptversammlung, weil mit ihr keine Mediatisierung verbunden ist, BGH, Beschl. v. 20.11.2006 – II ZR 226/05, ZIP 2007, 24; m. Bespr. von Falkenhausen, ZIP 2007, 24.
Auch im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG ist es nicht geboten, zum Schutz von 1690 Minderheitsaktionären einfachrechtlich eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz – unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung der Maßnahme – stets schon dann anzunehmen, wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte mitgliedschaftliche Komponente des Aktieneigentums wird durch die Veräußerung eines Unternehmensteils in der Regel nicht berührt, da eine Verkürzung der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte grundsätzlich nicht stattfindet. Ein etwa nachteiliger Einfluss auf die vermögensrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft soll nach der gesetzgeberischen Wertung durch das Ausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG entschädigt werden. Dieses System des Einzelausgleichs genügt grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen. BVerfG, Beschl. v. 7.9.2011 – 1 BvR 1460/10, ZIP 2011, 2094 Rn. 20, dazu EWiR 2012, 3 (Nietsch).
2. Übertragung von Betriebsvermögen auf eine Tochtergesellschaft Gliedert eine AG wesentliche Teile ihres Betriebsvermögens durch Einzel- 1691 rechtsübertragung auf eine Tochtergesellschaft aus, führt dies zu einer Strukturänderung der Gesellschaft, mit der die Rechtsstellung ihrer Aktionäre geschwächt wird. Diese verlieren insbesondere die Möglichkeit, im Rahmen der der Hauptversammlung vorbehaltenen Befugnisse den Einsatz des ausgegliederten Betriebskapitals, das Risiko seines Verlustes und die Verwendung seiner Erträge unmittelbar zu beeinflussen, da die Gesellschafterrechte im Tochterunternehmen bei 100 % iger Beteiligung der Vorstand der Obergesellschaft ausübt. Das Gesetz weist hier zumindest insoweit eine Lücke auf, als zu befürchten ist, dass sich Rechtsakte in der Tochtergesellschaft nachteilig auf die Mitgliedschafts- und Vermögensrechte der Aktionäre in der Obergesellschaft auswirken können. Der im Gesetz ausgestaltete Schutz der Minderheitsaktionäre soll deren Beteiligung und Mitgliedschaft vor einer Entwertung durch mittelbare oder unmittelbare Eingriffe der Mehrheit oder eine von ihr beeinflusste Verwaltung gerade auch im Konzernverhältnis schützen.
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H. Grundlagenentscheidungen
Dieser Schutz erfordert die Zustimmung der Hauptversammlung zu der Ausgliederungsmaßnahme. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 134 f. = ZIP 1982, 568 – Holzmüller.
1692 Außer für Fälle von Ausgliederungen kann diese Ausnahmezuständigkeit auch bei anderen Umstrukturierungen des Beteiligungsbesitzes, etwa für die Umstrukturierung einer Tochter- in eine Enkelgesellschaft, wegen eines mit ihr verbundenen weiteren Mediatisierungseffekts in Betracht kommen. Voraussetzung ist aber, dass der Bereich, auf den sich die Maßnahme erstreckt, in seiner Bedeutung für die Gesellschaft die Ausmaße der Ausgliederung in dem vom Senat entschiedenen „Holzmüller“-Fall erreicht. BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 45 f. = ZIP 2004, 993, 998 – Gelatine I, dazu EWiR 2004, 573 (Just); m. Anm. Altmeppen, ZIP 2004, 999; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001 – Gelatine II, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte).
1693 Die Grundlage für ein solches ungeschriebenes Mitwirkungsrecht der Aktionäre bei Geschäftsführungsmaßnahmen ist weder aus § 119 Abs. 2 AktG noch aus einer Gesetzesanalogie herzuleiten, sondern die besondere Zuständigkeit der Hauptversammlung als Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung anzusehen. BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 42 f. = ZIP 2004, 993, 997 – Gelatine I, dazu EWiR 2004, 573 (Just); m. Anm. Altmeppen, ZIP 2004, 999; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001 – Gelatine II, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte).
1694 Ist ausnahmsweise die Zustimmung der Hauptversammlung für eine Geschäftsführungsmaßnahme einzuholen, bedarf diese einer Drei-Viertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals. BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 45 f. = ZIP 2004, 993, 998 – Gelatine I, dazu EWiR 2004, 573 (Just); m. Anm. Altmeppen, ZIP 2004, 999; BGH, Urt. v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004, 1001 – Gelatine II, dazu EWiR 2004, 1161 (Hirte).
1695 Darüber hinaus kann die Minderheit dadurch geschützt werden, dass den Aktionären der Obergesellschaft das Recht gewährt wird, bei grundlegenden, für ihre Rechtsstellung bedeutsamen Entscheidungen in der durch Ausgliederung im Wege der Einzelrechtsübertragung entstandenen Tochtergesellschaft über ihre Hauptversammlung in der Weise beteiligt zu werden, als handele es sich um eine Angelegenheit der Obergesellschaft selbst. Davon werden insbesondere Maßnahmen wie der Abschluss von Unternehmensverträgen, Kapitalerhöhungen, Weiterübertragung des Gesellschaftsvermögens gem. § 179a AktG oder Auflösungsbeschlüsse betroffen.
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I. Grundlagenentscheidungen BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 131, 136 ff. = ZIP 1982, 568 – Holzmüller.
Hat der Vorstand die erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung nicht 1696 eingeholt, kann der einzelne Aktionär auf Feststellung klagen, dass diese Maßnahme nichtig oder unzulässig ist. Eine solche Klage ist aber dann nicht begründet, wenn der Vorstand die umstrittene Maßnahme in Vollzug gesetzt hat. Denn die Vorlagepflicht an die Hauptversammlung berührt nicht seine Vertretungsmacht. Der Aktionär kann ferner gegen die Gesellschaft Klage auf Unterlassung der Maßnahme oder auf Wiederherstellung mit dem Ziel der Rückübertragung der ausgegliederten Teile erheben. Seine Klagebefugnis beruht darauf, dass er durch eine unzulässige Ausschaltung der Hauptversammlung in seiner eigenen Mitgliedsstellung betroffen wird. Die Gefahr, dass auf diese Weise die Gesellschaftermehrheit überspielt werden könnte, besteht nicht, weil der Klage dadurch der Boden entzogen werden kann, dass die fehlende Zustimmung der Hauptversammlung nachträglich herbeigeführt wird. Damit die Geltendmachung des verfolgten Anspruchs nicht missbräuchlich wird, muss die Wiederherstellung des früheren Zustandes ohne unangemessene Verzögerung verlangt werden. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 133 ff. = ZIP 1982, 568 – Holzmüller.
Die Aktionäre der Obergesellschaft können ihr Recht, an wichtigen Grund- 1697 entscheidungen in der Tochtergesellschaft, die sich auf ihre eigene Rechtsstellung auswirken können, in denselben Formen und mit denselben Mehrheiten intern beteiligt zu werden, wie es für entsprechende Entscheidungen in der Obergesellschaft bestimmt ist, bevor sie in der Tochtergesellschaft verwirklicht werden, durch Erhebung einer Klage verfolgen, mit der die Verpflichtung der Obergesellschaft festgestellt wird, zu diesen Maßnahmen die Zustimmung der Hauptversammlung der Obergesellschaft mit den im einzelnen vorgeschriebenen Mehrheiten einzuholen. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 136 ff. = ZIP 1982, 568 – Holzmüller.
3. Delisting und Downgrading Bei einem Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten 1698 Markt auf Veranlassung der Gesellschaft haben die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung. Es bedarf weder eines Beschlusses der Hauptversammlung noch eines Pflichtangebotes. Der Widerruf der Zulassung zum Handel im regulierten Markt nach § 39 Abs. 2 BörsenG auf Antrag der Gesellschaft führt nicht zu einer Beeinträchtigung des Aktieneigentums. Die mitgliedschaftsrechtliche Stellung des Aktionärs wird durch den Rückzug von der Börse nicht wie bei einer Mediatisierung seiner Mitwirkungsrechte geschwächt. Eine Pflicht zu einem Barabfindungsangebot besteht auch nicht aufgrund einer Gesamtanalogie zu gesetzlichen Regelungen anderer gesell-
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H. Grundlagenentscheidungen
schaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen (§§ 305, 320b, 327b AktG, §§ 29, 207 UmwG) BGH, Beschl. v. 8.10.2013 – II ZB 26/12, ZIP 2013, 2254 Rn. 2 ff., dazu EWiR 2014, 3 (Bungert/Wettich); m. Bspr. Schockenhoff, ZIP 2013, 2429.
1699 Der Bundesgerichtshof hat damit eine frühere Entscheidung aufgegeben, in der er noch davon ausgegangen war, dass das Aktieneigentum durch den Börsenrückzug beeinträchtigt werde und der Eigentumsschutz nach Art. 14 GG gebiete, dass dem Aktionär ein Pflichtangebot gemacht werde und die Hauptversammlung darüber befinde. BGH, Urt. v, 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 53 ff. = ZIP 2003, 387, 389 ff.; m. Anm. Streit, ZIP 2003, 392.
1700 Das Bundesverfassungsgericht hatte zwar ein für den Fall eines vollständigen Rückzugs von der Börse von den Fachgerichten im Wege einer Gesamtanalogie verlangte, gerichtlich überprüfbare Pflichtangebot der Gesellschaft oder ihres Hauptaktionärs an die übrigen Aktionäre, deren Aktien zu erwerben, in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung gesehen. Der Widerruf der Börsenzulassung für den regulierten Markt auf Antrag des Emittenten berührte danach aber grundsätzlich nicht den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs. BVerfG, Urt. v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99 = ZIP 2012, 1402.
1701 Damit war der rechtlichen Argumentation der Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2002, mit der er das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses und eines Pflichtangebots begründet hatte, der Boden entzogen. Die vom Bundesverfassungsgericht für möglich erachtete Gesamtanalogie hatte er schon in dieser Entscheidung verworfen, auch hinsichtlich einer Befassung der Hauptversammlung. II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen 1. Kapitalerhöhung 1702 Nach § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG muss jedem Aktionär auf sein Verlangen ein seinem Anteil an dem bisherigen Grundkapital entsprechender Teil der aus einer Kapitalerhöhung hervorgehenden neuen Aktien zugeteilt werden. Dieses Bezugsrecht kann nur mit einer qualifizierten Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals im Erhöhungsbeschluss ausgeschlossen werden (§ 186 Abs. 3 AktG). § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG schreibt vor, dass der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für den Bezugsrechtsausschluss vorzulegen hat, in dem zugleich der vorgeschlagene Ausgabebetrag zu begründen ist. Zur Gewährleistung eines effektiven Minderheitenschutzes müssen darüber hinaus
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II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen
noch bestimmte materielle Voraussetzungen erfüllt sein: die Maßnahme muss sachlich berechtigt sein und darf nicht den Charakter der Willkür tragen. BGH, Urt. v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 357.
Ein Bezugsrechtsausschluss muss seine Rechtfertigung auch im Gesellschafts- 1703 interesse finden. Er ist nur zulässig, wenn er nach einer auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung bezogenen Sicht unter gebührender Berücksichtigung der für die ausgeschlossenen Aktionäre eintretenden Folgen durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 ff. = NJW 1978, 1316.
Bei der Abwägung der Gesellschafts- und Aktionärsinteressen und der Prü- 1704 fung der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck sind die Anforderungen, die an die Berechtigung zum Bezugsrechtsausschluss gestellt werden müssen, um so strenger, je schwerwiegender der Eingriff in die mitgliedschafts- und vermögensrechtliche Stellung der ausgeschlossenen Aktionäre ist. Wird das Bezugsrecht im Zuge einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen ausgeschlossen, so kann das – vorausgesetzt, die Sacheinlage wird angemessen bewertet und der Ausgabebetrag der jungen Aktien ordnungsgemäß festgesetzt – dann nicht beanstandet werden, wenn die Gesellschaft an dem Erwerb der Sacheinlage unter Zugrundelegung vernünftiger kaufmännischer Überlegungen ein dringendes Interesse hat und die Gesellschaftsorgane aufgrund sorgfältiger, von gesellschaftsfremden Erwägungen freien Überlegungen davon ausgehen konnten, dass der für die Gesellschaft und ihre Aktionäre erwartete Nutzen den verhältnismäßigen Beteiligungs- und Stimmrechtsverlust der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegt. BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 ff. = NJW 1978, 1316.
Der Ausschluss des Bezugsrechts kann etwa gerechtfertigt sein, wenn mit 1705 der Kapitalerhöhung der Aktionärskreis durch Gewinnung privater und institutioneller Anleger im Ausland erweitert werden soll, eine breite Streuung der neuen Aktien vorgenommen und der Ausgabekurs an den aktuellen Börsenkurs angelehnt wird. BGH, Urt. v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, BGHZ 125, 239, 244 ff. = ZIP 1994, 529, 530 ff., dazu EWiR 1994, 425 (H. Wiedemann).
Um zu vermeiden, dass an Stelle einer in freier unternehmerischer Verant- 1706 wortung getroffenen, sachlich abgewogenen Investitionsentscheidung eine wirtschaftliche Beurteilung durch Gerichte tritt, darf nicht darauf abgestellt werden, ob die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen bei rückblickender Betrachtung zur Erhaltung der Gesellschaft geboten und richtig war. Maßgebend ist vielmehr, dass die Gesellschaftsorgane nach den im Zeitpunkt der
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H. Grundlagenentscheidungen
Beschlussfassung vorliegenden Umständen aufgrund einer sorgfältigen, von gesellschaftsfremden Überlegungen freien Erwägung davon ausgehen konnten, die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen liege im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre. Die Beweislast für den sachlichrechtlichen Mangel des Hauptversammlungsbeschlusses trifft den Aktionär. Da die Gesellschaft jedoch über alle zur Klärung erforderlichen Unterlagen und Informationen verfügt, hat sie die für die Entscheidung maßgebenden Gründe im Einzelnen darzulegen, der Aktionär hat sie gegebenenfalls zu widerlegen. BGH, Urt. v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 48 ff. = NJW 1978, 1316.
1707 Die Erhaltung des Vermögenswertes der Aktien soll dadurch sichergestellt werden, dass der Ausgabebetrag der neuen Aktien den Börsenpreis der Altaktien nicht wesentlich unterschreitet. Der Bezugsrechtsausschluss kann daher unter anderem gerechtfertigt sein, wenn sich der Ausgabekurs an den aktuellen Börsenkurs anlehnt. BGH, Urt. v. 7.3.1994 – II ZR 52/93, BGHZ 125, 239, 246 = ZIP 1994, 529, dazu EWiR 1994, 425 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 164 = ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = ZIP 1999, 1436.
2. Genehmigtes Kapital 1708 Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand durch Satzungsänderung dazu, das Grundkapital bis zu einem bestimmten Nennbetrag durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen zu erhöhen (§ 202 Abs. 1 und 2 AktG) und sieht die Ermächtigung einen Ausschluss des Bezugsrechts oder eine Entscheidung des Vorstandes darüber vor (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG), gelten für den Ermächtigungsbeschluss die Voraussetzungen, die für den Bezugsrechtsausschluss bei der ordentlichen Kapitalerhöhung maßgebend sind (§ 203 Abs. 1 i. V. m. § 186 Abs. 3 AktG). Die Entscheidung des Vorstandes nach § 203 Abs. 2 AktG bedarf der Zustimmung des Aufsichtsrates (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG). Weitere Voraussetzungen führt das Gesetz weder für den Beschluss der Hauptversammlung noch für die Entscheidung des Vorstandes auf. 1709 Beschließt die Hauptversammlung selbst über den Bezugsrechtsausschluss, hat sie die Frage, ob die Maßnahme im Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist, an den ihr bekanntgemachten Tatsachen auszurichten; ist nur das abstrakt umschriebene Vorhaben bekannt, hat sie die abstrakt umschriebenen Umstände zugrunde zu legen. Der Vorstand hat im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens zu prüfen, ob der ihm bekannte vollständige Sachverhalt die Durchführung des Hauptversammlungsbeschlusses im Gesellschaftsinteresse recht-
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II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen
fertigt. Kommt er zu dem Ergebnis, dass das nicht der Fall ist, hat er die Durchführung des geplanten Vorhabens zu unterlassen. Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand zum Bezugsrechtsausschluss, 1710 muss sie ebenfalls an Hand der ihr bekannten Tatsachen prüfen, ob die Ermächtigung im Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist. Der Vorstand hat sodann auf der Grundlage der ihm vollständig bekannten Fakten im Rahmen seines unternehmerischen Handlungsspielraumes zu prüfen, ob der Bezugsrechtsausschluss im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist. Kommt er aufgrund sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung zu einem solchen Ergebnis, kann er von der Ermächtigung in Erfüllung seiner Geschäftsleiterpflichten Gebrauch machen. Die Entscheidung des Vorstandes unterliegt der Kontrolle durch den Aufsichtsrat; sie bedarf seiner Zustimmung (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG). Ein weiteres Kontrollelement liegt in dem Umstand, dass der Vorstand über die Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung zu berichten und Rede und Antwort zu stehen hat. BGH, Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 139 f. = ZIP 1997, 1499, dazu EWiR 1997, 1013 (Hirte); BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, BGHZ 164, 241, 244 = ZIP 2005, 2205, 2206 – Mangusta/Commerzbank I, dazu EWiR 2006, 35 (Hirte); BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 8.
Der Vorstand ist aber nicht verpflichtet, vor Ausübung der Ermächtigung zur 1711 Kapitalerhöhung und zum Bezugsrechtsausschluss die Aktionäre (schriftlich) über den Bezugsrechtsausschluss und dessen Gründe zu unterrichten. BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 148/03, BGHZ 164, 241, 244 = ZIP 2005, 2205, 2206 – Mangusta/Commerzbank I, dazu EWiR 2006, 35 (Hirte).
Die Ausgabe von Belegschaftsaktien, die vom Gesetz als förderungswürdig 1712 angesehen wird (§ 202 Abs. 4 AktG) dient regelmäßig dem Ziel, die Bindung der Arbeitnehmer an das Unternehmen zu festigen. Die Verfolgung dieses Zwecks liegt im Interesse der Gesellschaft und rechtfertigt den Bezugsrechtsausschluss. BGH, Urt. v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 292 = ZIP 2000, 1162, dazu EWiR 2000, 941 (Hirte).
Genehmigtes Kapital zur Bedienung einer Greenshoe-Option (eine dem 1713 Bankenkonsortium im Rahmen des Börsengangs der Gesellschaft eingeräumte bzw. einzuräumende Mehrzuteilungsoption) kann als im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegend angesehen werden. Sowohl die bloße Möglichkeit der Kursstabilisierung, als auch die tatsächliche Ausübung der Option innerhalb der Greenshoe-Periode werden vom Kapitalmarkt in aller Regel als positives Zeichen aufgenommen und führen zu einer gleichmäßigeren Kursentwicklung. BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 13.
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H. Grundlagenentscheidungen
1714 Entsprechend § 204 Abs. 1 Satz 1 AktG entscheidet der Vorstand auch über die Höhe des Ausgabebetrages. Dabei hat er die durch §§ 9 Abs. 1 und 255 Abs. 2 AktG gezogenen Grenzen einzuhalten. BGH, Urt. v. 23.6.1997 – II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 141 = ZIP 1997, 1499, dazu EWiR 1997, 1013 (Hirte).
1715 Hat der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats bei der Ausnutzung des genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss unter Überschreitung der ihm eingeräumten Kompetenzen Entscheidungen getroffen, die von den gesetzlichen Vorgaben und/oder dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung nicht gedeckt sind, so kann der dadurch in seinen Mitgliedschaftsrechten beeinträchtigte Aktionär das pflichtwidrige Organhandeln zum Gegenstand nicht nur einer (vorbeugenden) Unterlassungsklage, sondern auch einer (allgemeinen) Feststellungsklage machen, die jeweils gegen die Gesellschaft zu richten sind. BGH, Urt. v. 23.6.1997- II ZR 132/93, BGHZ 136, 133, 140 f. = ZIP 1997, 1499, dazu EWiR 1997, 1013 (Hirte); BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 254 = ZIP 2005, 2207, 2209 – Mangusta/Commerzbank II, dazu EWiR 2006, 65 (Hirte).
1716 Der Antrag, die Nichtigkeit des Vorstandsbeschlusses festzustellen, ist ohne unangemessene Verzögerung geltend zu machen. Ob dafür die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG entsprechend gilt, hat der Bundesgerichtshof offengelassen. BGH, Urt. v. 10.10.2005 – II ZR 90/03, BGHZ 164, 249, 259 f. = ZIP 2005, 2207, 2209, 2211 – Mangusta/Commerzbank II, dazu EWiR 2006, 65 (Hirte).
1717 Wenn die Hauptversammlung zwar bereits selbst über den Bezugsrechtsausschluss entscheidet, hingegen über den Inhalt der neuen Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe keine Festlegungen trifft, sondern den Vorstand hierzu ermächtigt (§§ 202, 204 AktG), kann eine Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses nicht auf eine Unangemessenheit der Ausgabemodalitäten i. S. des § 255 Abs. 2 AktG gestützt werden; auch für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf einen solchen Hauptversammlungsbeschluss ist – schon mangels Vorliegens einer Regelungslücke – kein Raum. Der Vorstand muss vielmehr auf der Ebene der Ausübung der ihm übertragenen Ermächtigung bei der Bemessung des Ausgabebetrages neben § 9 Abs. 1 AktG auch die in § 255 Abs. 2 AktG gezogenen Grenzen beachten. Auf diese Weise wird dem durch die gesetzliche Regelung bezweckten Schutz der Aktionäre vor einer Verwässerung des inneren Wertes ihrer Aktien in der gebotenen Weise Rechnung getragen. BGH, Beschl. v. 21.7.2008 – II ZR 1/07, ZIP 2009, 913 Rn. 6.
1718 Die Frage, ob ein Beschluss, mit dem der Vorstand ermächtigt wird, das Grundkapital unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu erhöhen, 460
II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen
insgesamt oder ob nur der Teil über den Bezugsrechtsausschluss nichtig ist, ist nach § 139 BGB zu entscheiden. BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689, 692 (insoweit in BGHZ 83, 319 nicht abgedruckt).
Dieselben Grundsätze gelten auch, wenn die Hauptversammlung den Vor- 1719 stand zu einem Bezugsrechtsausschluss bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 AktG) im Rahmen einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) ermächtigt (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG analog). BGH, Beschl. v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, ZIP 2006, 368, 369; BGH, Beschl. v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122 Rn. 3; BGH, Urt. v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 = ZIP 2009, 1566 Rn. 26, dazu EWiR 2010, 41 (Just/Voß).
3. Vereinbarkeit mit Richtlinienrecht Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Zweite Richtlinie, 1720 insbesondere ihr Art. 29 Abs. 1 und 4, dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates nicht entgegensteht, das bei Kapitalerhöhungen durch Sacheinlagen ein Bezugsrecht der Aktionäre begründet und die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses, durch den dieses Bezugsrecht ausgeschlossen wird, einer Inhaltskontrolle der vom Bundesgerichtshof entwickelten Art unterwirft. Zur Begründung wird ausgeführt, die Richtlinie solle beim Schutz der Aktionäre und der Gläubiger einer Aktiengesellschaft ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit sicherstellen. Da die Richtlinie ein Bezugsrecht lediglich für Kapitalerhöhungen durch Bareinlagen, nicht aber solche durch Sacheinlagen vorsehe, stelle sie es den Mitgliedstaaten frei, ein Bezugsrecht für Kapitalerhöhungen durch Sacheinlagen vorzusehen. Soweit der nationale Gesetzgeber Einschränkungen oder den Ausschluss dieses Rechts nur unter bestimmten Voraussetzungen zulasse, stehe das mit dem Schutzzweck der Richtlinie in Übereinstimmung. EuGH, Urt. v. 19.11.1996 – Rs C – 42/95, Slg. 1996 I 6017, 6028 = ZIP 1996, 2015, 2016.
4. Die Kapitalherabsetzung Das Grundkapital kann mit einer Mehrheit von mindestens drei Viertel des 1721 bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals herabgesetzt werden (§ 222 Abs. 1 AktG). Die Herabsetzung führt bei Nennbetragsaktien zunächst zur Herabsetzung des Nennbetrages (Abs. 4 Satz 1). Unterschreitet der auf die einzelne Nennbetrags- oder Stückaktie entfallende Betrag den gesetzlichen Mindestbetrag (§ 8 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 AktG), müssen die Aktien zusammengelegt werden (Abs. 4 Satz 2). Die Art der Herabsetzung muss in dem Hauptversammlungsbeschluss angegeben werden (Abs. 4 Satz 3). In dem Beschluss ist ferner festzusetzen, zu welchem Zweck die Herabsetzung stattfindet. Dieser kann in der Rückzahlung von Teilen des Grundkapitals (Abs. 3), 461
H. Grundlagenentscheidungen
aber auch darin bestehen, Wertminderungen auszugleichen, sonstige Verluste zu decken oder Beträge in die Kapitalrücklage (§ 266 Abs. 3 A II HGB) einzustellen, soweit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (§ 229 Abs. 2 AktG). 1722 Anders als der Bezugsrechtsausschluss bei der Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) und dem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG) unterliegt die für die Kapitalherabsetzung erforderliche Mehrheitsentscheidung grundsätzlich keinen materiellen Schranken. BGH, Urt. v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71, 74 ff. = ZIP 1998, 692, dazu EWiR 1999, 49 (Dreher).
1723 Wird eine Kapitalherabsetzung lediglich in einem Umfange beschlossen, der die Zahl der Aktien unberührt lässt, weil der auf die Aktien entfallende anteilige Betrag den Mindestbetrag nicht tangiert, erweist sich lediglich bei der Nennbetragsaktie eine entsprechende Reduzierung des Nennbetrages als erforderlich (§ 222 Abs. 4 Satz 1 AktG). Bei dieser Durchführungsform der Kapitalherabsetzung liegt kein Eingriff in die mitgliedschafts- und vermögensrechtliche Stellung der Aktionäre vor. Rechtlich wird die Höhe der Beteiligung der Aktionäre am Grundkapital geändert, ohne dass sich Auswirkungen auf die Beteiligungsquote und das Verhältnis der Mitgliedschaftsrechte untereinander ergeben. Wirtschaftlich erleiden die Aktionäre keinen Nachteil, weil ihnen bei anteiliger Rückzahlung des frei gewordenen Betrages entsprechendes Vermögen anteilig und frei von der gesellschaftsrechtlichen Zweckbindung zur Verfügung steht bzw. bei Einstellung in die Kapitalrücklage der innere Wert der Beteiligung erhalten bleibt. Sollen Wertminderungen ausgeglichen oder Verluste abgedeckt werden, wird der Nennbetrag des Anteils lediglich dem Anteilswert angepasst. BGH, Urt. v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71, 75 f. = ZIP 1998, 692, dazu EWiR 1999, 49 (Dreher).
1724 Kommt es zum Verfahren der Zusammenlegung und verbleiben dem Aktionär nur noch „Spitzen“ aus seiner mitgliedschafts- und vermögensrechtlichen Beteiligung, steht ihm die Möglichkeit zur Verfügung, sein Teilrecht durch den Zukauf weiterer Teilrechte wieder auf den Stand des Vollrechts zurückzuführen. Tut er das nicht, muss er sein Teilrecht unter Verzicht auf die Mitgliedschaft veräußern. Diese ihm vom Gesetz eingeräumte Rechtsstellung ist derjenigen bei der Kapitalerhöhung vergleichbar: Hier muss er Zukäufe tätigen, um sein Mitgliedschafts- und Vermögensrecht als Vollrecht zu erhalten, dort muss er Bezugsrechte erwerben, um Quote und Relation seiner Beteiligung zu erhalten. Beiden Fällen ist gemeinsam, dass das Gesetz eine spezielle Regelung für die Folgen trifft, die sich aus der jeweiligen Kapitalmaßnahme ergeben. Da die Regelung abschließend ist, kommt eine ergänzende oder modifizierende Regelung auf der Grundlage des Grundsatzes der sachlichen Rechtfertigung nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71, 76 f. = ZIP 1998, 692, dazu EWiR 1999, 49 (Dreher).
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II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen
Die Kapitalherabsetzung kann mit einer Kapitalerhöhung verbunden werden. 1725 Unter den Mindestnennbetrag (§ 7 AktG) darf das Grundkapital nur dann herabgesetzt werden, wenn dieser durch eine Kapitalerhöhung wieder erreicht wird (§ 228 Abs. 1 AktG). Das Grundkapital darf auch auf Null herabgesetzt werden. Die Regelung des § 228 Abs. 1 AktG bringt die gesetzliche Wertung zum Ausdruck, dass es bis zur völligen Beseitigung des Grundkapitals keine Grenze für die Höhe des Herabsetzungsbetrages gibt, wenn gewährleistet ist, dass mit der gleichzeitig durchgeführten Kapitalerhöhung der für die Gründung erforderliche Mindestbetrag wieder erreicht wird. Da das Gesetz eine Grenze unterhalb des Mindestbetrages und oberhalb von Null nicht zieht, könnte ein solcher Betrag nur willkürlich festgesetzt werden und würde sich für eine an den wirtschaftlichen Bedürfnissen der AG ausgerichteten erfolgversprechenden Sanierung als hinderlich erweisen. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 306, 319 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = ZIP 1999, 1444, 1445 – Hilgers AG.
Aus § 222 Abs. 4 AktG folgt, dass die Kapitalherabsetzung solange nur 1726 durch Herabsetzung des auf das Grundkapital entfallenden Anteils erfolgen darf, bis der Mindestbetrag erreicht ist. Vorher darf eine Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung der Aktien nicht in Angriff genommen werden. Damit ist aber nicht die Frage beantwortet, wie das aus der Kapitalerhöhung stammende Grundkapital zu stückeln ist. Für diese Maßnahme hat der Bundesgerichtshof sachliche Grenzen in Form der Treupflicht der Mehrheit und der Gesellschaft gegenüber den Minderheitsaktionären gezogen. BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = ZIP 1999, 1444.
Die Treuepflicht gebietet es, unter den gegebenen Umständen möglichst 1727 vielen Aktionären den Verbleib in der AG zu ermöglichen. Daraus folge die Pflicht, das Entstehen unverhältnismäßig hoher Spitzen dadurch zu vermeiden, dass der Nennwert der neuen Aktien auf den gesetzlichen Mindestbetrag festgelegt werde. BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = ZIP 1999, 1444, 1445.
Eine Kapitalherabsetzung kann auch durch Einziehung von Aktien vorge- 1728 nommen werden (§§ 237 ff. AktG). Mit der Einziehung gehen die Mitgliedsrechte und -pflichten der betroffenen Aktionäre unter. Davon sind nur solche auf dem Mitgliedschaftsverhältnis beruhenden Rechte und Pflichten ausgenommen, die bereits vor der Einziehung von der Aktie gelöst und selbständig geworden sind. Eine Verselbständigung des Gewinnanspruchs tritt erst dann ein, wenn der Jahresabschluss festgestellt und über die Verwendung des ausgewiesenen Jahresgewinns beschlossen worden ist. Von diesem Zeitpunkt an gehört der Gewinnanspruch als Gläubigerrecht zum Vermögen des Gesell-
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H. Grundlagenentscheidungen
schafters; er kann vom Gesellschafter aktiviert und in der Bilanz der AG als Aufwand abgesetzt werden. BGH, Urt. v. 8.12.1997 – II ZR 203/96, ZIP 1998, 384 (GmbH); BGH, Urt. v. 12.1.1998 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378 = ZIP 1998, 467, 468 (GmbH); BGH, Urt. v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 229 = ZIP 1998, 1836, 1837 (GmbH).
5. Höchststimmrecht 1729 § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG gewährt einer nicht börsennotierten AG die Möglichkeit, dass in der Satzung das Stimmrecht durch Festsetzung eines Höchstbetrages oder von Abstufungen beschränkt wird. Eine solche Beschränkung, die sich aber nicht gegen einzelne Aktionäre richten darf (§ 134 Abs. 1 Satz 5 AktG), kann auch durch Satzungsänderung eingeführt werden, ohne dass es der Zustimmung der betroffenen Aktionäre bedarf. Die Beschränkung des Stimmrechts beruht auf einer Abwägung unterschiedlicher Interessen durch das Gesetz: Sein völliger Entzug ist unzulässig oder wird, wenn er durch Umwandlung von Stammaktien in stimmrechtslose Vorzugsaktien erfolgt, von der Zustimmung der betroffenen Aktionäre abhängig gemacht. Die Begrenzung des Stimmrechts auf einen Höchstbetrag belässt jedem Aktionär sein Stimmrecht in einem bestimmten, wenn auch geminderten Umfange, wobei die Beschränkung in den Fällen nicht eingreift, in denen das Gesetz neben der Stimmen- eine Kapitalmehrheit fordert (§ 134 Abs. 1 Satz 6 AktG). Für diese Begrenzung kann in jeder AG eine Notwendigkeit bestehen, etwa um sich vor Überfremdung zu schützen, die Unabhängigkeit des Vorstandes zu stärken oder Kleinaktionäre vor einem zu starken Einfluss von Paketinhabern zu schützen. Diese abschließende Wertung des Gesetzes lässt es nicht zu, dass die Einführung des Höchstbetragsstimmrechts von dem Vorliegen weiterer – ungeschriebener – Gesetzesmerkmale abhängig gemacht wird. BGH, Urt. v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 121 ff.
6. Übertragende Auflösung 1730 Die Wirksamkeit des Auflösungsbeschlusses ist nicht über die gesetzlichen Mehrheitserfordernisse hinaus auch von einer sachlichen Rechtfertigung des Auflösungsbeschlusses abhängig. Ein mit der nötigen Mehrheit gefasster Beschluss bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung und trägt seine Rechtfertigung in sich. BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 190 f. = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala); BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 151 = ZIP 1995, 819 – Girmes, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
1731 Das Gesetz ermöglicht es den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft, mit der nach Gesetz oder Satzung vorgesehenen Mehrheit den Gesellschafts-
464
II. Materiellrechtliche Grenzen für Mehrheitsentscheidungen
zweck zu beenden und die im Zuge der Vereinbarung über den Gesellschaftszweck geschaffenen Rechte der Minderheit wieder aufzuheben. Wenn dieses Recht der Mehrheit durch sachliche Grenzen eingeschränkt würde, führte das zu einer allgemein erhöhten Bindung des investierten Kapitals, die über die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen hinausgeht und darin keine Stütze findet. Das Ziel, das investierte Kapital wieder freizusetzen, kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Mehrheitsgesellschafter das Gesellschaftsvermögen oder Teile davon erwirbt. Die gesetzliche Folge der Auflösung, die Liquidation, trifft alle Aktionäre nach dem Maß ihrer gesellschaftlichen Beteiligung rechtlich in gleichem Maße. Mit Beendigung des Gesellschaftszwecks unterliegt das Kapital keiner gesellschaftlichen Bindung mehr. Das Gesetz enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mehrheitsgesellschafter Teile des zu liquidierenden Vermögens mit seinem frei werdenden Kapital nicht erwerben darf. BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 190 f. = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
Nimmt ein Gesellschafter vor dem Auflösungsbeschluss die Auflösung der 1732 Gesellschaft vorweg, verstößt er gegen seine den anderen Gesellschaftern gegenüber bestehende Verpflichtung, die Gesellschaft wirtschaftlich zu unterhalten und zu fördern. Spricht er mit dem Vorstand der Gesellschaft vor dem Auflösungsbeschluss den Erwerb des Gesellschaftsvermögens oder wesentlicher Teile davon ab, nimmt er den Mitgesellschaftern die Möglichkeit, sich um die Übernahme und Fortführung des Unternehmens zu bemühen und auf diese Weise ihr Kapital auf der Grundlage des bisherigen Gesellschaftszweckes weiter zu nutzen. Ein solches Vorgehen beinhaltet einen Treuepflichtverstoß unter Gesellschaftern, der zur Anfechtbarkeit eines Mehrheitsbeschlusses führt. BGH, Urt. v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 ff. = ZIP 1980, 275 (GmbH); BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 193 ff. = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
Das Bundesverfassungsgericht setzt andere Eckpunkte. Ausgehend von sei- 1733 ner Rechtsprechung, dass auch das Mitgliedschaftsrecht durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt wird, stellt es im Rahmen einer grundgesetzlichen Güterabwägung den Schutz des Anteilseigentums hinter die Interessen der Allgemeinheit an der freien Entfaltung unternehmerischen Initiativen. Es billigt dem Mehrheitsaktionär grundsätzlich das Recht zu, die Minderheit aus dem Unternehmen zu drängen. Im Übrigen lehnt es sich eng an die Regelung bei der Mehrheitseingliederung (§ 320 AktG) an. BVerfG, Beschl. v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95 und 147/97, ZIP 2000, 1670, 1671 f. – MotoMeter, dazu EWiR 2000, 913 (Neye).
Das Bundesverfassungsgericht macht es jedoch zur unabdingbaren Voraus- 1734 setzung, dass die ausscheidenden Kleinaktionäre für den Verlust ihrer An-
465
H. Grundlagenentscheidungen
teilsrechte voll entschädigt werden. Das kann entweder durch eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Spruchverfahrens oder durch gerichtliche Kontrolle im Rahmen des Anfechtungsrechts geschehen. Auf jeden Fall muss gewährleistet sein, dass eine „übertragende Auflösung“ (auflösungsbedingte Übertragung) ohne Gewährung einer vollen Entschädigung verhindert wird. BVerfG, Beschl. v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95 und 147/97, ZIP 2000, 1670, 1672 – MotoMeter, dazu EWiR 2000, 913 (Neye).
1735 Den Anfechtungskläger trifft keine Darlegungspflicht für den Inhalt der von ihm behaupteten Verhandlungen, da er darüber keine Kenntnis hat. Das gehört vielmehr zu der Pflicht der Gesellschaft. Erst wenn sie dieser Verpflichtung nachgekommen ist, kann sich die Frage stellen, ob und in welchem Umfange der Anfechtungskläger seine Behauptung zu beweisen hat. BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 196 f. = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
III. Die Treuepflicht in der AG 1736 Die Treuepflicht besteht im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft und verbietet es dem Gesellschafter, das Gesellschaftsunternehmen durch rücksichtslose Verfolgung eigener Interessen zu schädigen. BGH, Urt. v. 19.9.1994 – II ZR 248/92, BGHZ 127, 107, 111 = ZIP 1994, 1597, 1598, dazu EWiR 1995, 13 (Hirte); BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194 = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
1737 Die für eine Gesellschaftermehrheit bestehende Möglichkeit, die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, verlangt als Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht der Mehrheit, auf diese Interessen Rücksicht zu nehmen. Sie umfasst nur den Schutz des mitgliedschaftlichen Bereiches der Mitaktionäre, nicht aber ihre darüber hinausreichenden sonstigen Interessen. BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194 f. = ZIP 1988, 301 – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala); BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1470 f., dazu EWiR 1992, 1153 (H. Wiedemann).
1738 Zur Treupflicht der Gesellschaftermehrheit gegenüber der Minderheit bei der Stückelung von Aktien, die aus einer mit einer Kapitalherabsetzung verbundenen Kapitalerhöhung hervorgegangen sind, vgl. BGH, Urt. v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = ZIP 1999, 1444, 1445.
1739 Der Bundesgerichtshof misst dem Treupflichtgedanken für den Beschluss über die Auflösung einer Kapitalgesellschaft unter einem anderen Gesichtspunkt maßgebende Bedeutung bei: Leitet ein Gesellschafter bereits vor dem 466
III. Die Treuepflicht in der AG
Auflösungsbeschluss Maßnahmen ein, mit denen er eine Auflösung der Gesellschaft vorwegnimmt, verstößt er gegen seine den anderen Gesellschaftern gegenüber bestehende Verpflichtung, die Gesellschaft wirtschaftlich zu unterhalten und zu fördern. Trifft er mit der Geschäftsführung vor dem Auflösungsbeschluss eine Absprache über den Erwerb des Gesellschaftsvermögens, nimmt er den Mitgesellschaftern die Möglichkeit, sich ihrerseits um die Übernahme und Fortführung des Unternehmens zu bemühen und auf diese Weise ihr Kapital auf der bisherigen Grundlage weiter zu nutzen. BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 193 ff. = ZIP 1988, 301, 304 f. – Linotype, dazu EWiR 1988, 529 (Drygala).
Auch dem Minderheitsgesellschafter obliegt eine Treupflicht gegenüber sei- 1740 nen Mitgesellschaftern. Sie erlegt ihm die Pflicht auf, seine Mitgliedschaftsrechte, insbesondere seine Mitverwaltungs- und Kontrollrechte, unter angemessener Berücksichtigung der gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Gesellschafter auszuüben. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 142 ff. = ZIP 1995, 819 – Girmes, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner); BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 3.
So dürfen sie das vorübergehende Fehlen einer Meldung nach § 20 Abs. 7 1741 AktG und den daraus folgenden vorübergehenden Rechtsverlust eines Mitaktionärs nicht dazu ausnutzen, ohne ihn eine Vollversammlung einzuberufen und eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss für diesen Aktionär und einen Jahresabschluss mit Sondervorteilen für sich zu beschließen. BGH, Beschl. v. 20.4.2009 – II ZR 148/07, ZIP 2009, 1317 Rn. 3.
Erreichen mehrere Minderheitsgesellschafter die Voraussetzungen für die 1742 Durchsetzung eines Minderheitenrechts oder eine Sperrminorität nur in ihrer Gesamtheit, wird die Treubindung für jeden von ihnen jedenfalls dann relevant, wenn sie sich auf eine einheitliche Rechtsausübung verständigen (Stimmbindung) oder wenn sie unabhängig voneinander einen Dritten mit der Ausübung des Stimmrechts bevollmächtigen, der dafür gegenüber den Gesellschaftern ein eigenes Konzept entwickelt oder ihnen ein bestimmtes Abstimmungsverhalten empfiehlt (Stimmrechtsbündelung). Ob die Treupflicht auch bei einer zufällig eintretenden Antrags- oder Sperrminorität Bedeutung erlangen kann, ist nicht entschieden worden. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 137, 145 ff. = ZIP 1995, 819 – Girmes, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Eine Verpflichtung der Aktionäre, an der Sanierung einer AG mitzuwirken, 1743 lässt sich nicht aus einer der Gesellschaft gegenüber bestehenden Treupflicht herleiten. Die Gesellschaft genießt keinen allgemeinen Bestandsschutz gegenüber Maßnahmen ihrer Gesellschafter. Diese sind vielmehr in der Lage, den Gesellschaftszweck jederzeit und ohne Vorliegen sachlicher Rechtferti467
H. Grundlagenentscheidungen
gungsgründe zu beenden und die Auflösung der Gesellschaft zu beschließen. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung der Gesellschafter gegenüber der AG, zu ihren Gunsten Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Gesellschaft das Stadium der Konkursreife erlangt hat (§§ 15 – 19 InsO), über ihr Vermögen das Konkursverfahren eröffnet wird und auf diese Weise die Voraussetzungen für ihre Auflösung nach § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG eingetreten sind. Das Gesetz beschränkt die Förderpflicht der Aktionäre auf die durch den Nenn- oder höheren Ausgabebetrag bestimmte Einlageleistung (§ 54 Abs. 1 AktG), soweit die Satzung keine Sonderregelungen vorsieht (§ 55 AktG). BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 151 = ZIP 1995, 819 – Girmes, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
1744 Für den Fall, dass eine Gesellschaft sanierungsbedürftig ist, verbietet es die Treupflicht dem einzelnen Gesellschafter allerdings, eine sinnvolle und mehrheitlich angestrebte Sanierung aus eigennützigen Gründen zu verhindern, wenn bei Scheitern der Sanierungsmaßnahme der Zusammenbruch der Gesellschaft unvermeidlich und im Falle des Zusammenbruchs die Stellung des einzelnen Gesellschafters ungünstiger als bei einem Austritt aus der fortbestehenden Gesellschaft ist – bei der AG kommt insoweit lediglich eine Veräußerung der Aktien in Betracht –, die Durchführung der Sanierungsmaßnahme die Verfolgung des Gesellschaftszwecks nach objektiver Einschätzung nachhaltig sicherstellt und keine schonendere Sanierung möglich ist. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 152 f. = ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
1745 Die treupflichtwidrige Verletzung von Gesellschafterpflichten in der Kapitalgesellschaft kann zu einer Schadenersatzpflicht des treupflichtwidrig handelnden Gesellschafters führen. BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1470, dazu EWiR 1992, 1153 (H. Wiedemann).
1746 Ein Schadenersatzrecht wird dem Aktionär auch für den Fall zugestanden, dass er mit der Anfechtungsklage den Eintritt des Schadens nicht verhindern kann, weil das Anfechtungsurteil eine rückwirkende Gestaltung gegen eine inzwischen eingetretene Gesetzeswirkung nicht mehr entfalten kann und der das Mitgliedschaftsrecht beeinträchtigende Beschluss daher trotz erfolgreicher Anfechtungsklage wirksam bleibt. Dem stehe der Fall gleich, dass der Beschluss zwar angefochten ist und ein Urteil rechtlich rückwirkende Gestaltung entfalten kann, die Rückgängigmachung des Beschlusses aber tatsächlich keine Auswirkungen mehr hat, weil über das Vermögen der Gesellschaft unmittelbar nach der Beschlussfassung das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Unter diesen Umständen erscheint die Forderung nach Erhebung einer vorherigen Anfechtungsklage jedenfalls dann als ein nicht gerechtfertigter Formalismus, wenn die genannten Ereignisse – Konkursantrag und Konkurseröffnung – innerhalb der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG eingetreten sind.
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III. Die Treuepflicht in der AG BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 158 ff. = ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
Die auf Leistung von Schadenersatz gerichtete Haftung setze den Vorwurf 1747 schuldhaften Handelns voraus. Ob der Verschuldensmaßstab für die Haftung aus Treupflichtverletzung im Aktienrecht generell auf Vorsatz beschränkt werden muss, wie das in der dem Deliktsrecht zuzuordnenden Vorschrift des § 117 Abs. 1 AktG geschehen ist, hat der Bundesgerichtshof nicht entschieden. Eine solche Beschränkung hält er jedenfalls für den Fall der Treupflichtverletzung durch Stimmrechtsausübung für geboten. Das folgt bereits aus dem mit der Vorschrift des § 117 Abs. 7 Nr. 1 AktG verfolgten Zweck und der Bewertung der ihr zugrundeliegenden Interessenlage. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, eine Haftung für die Stimmrechtsausübung erscheine deswegen nicht angemessen, weil es dem Aktionär grundsätzlich nicht versagt sei, sein Stimmrecht zum eigenen Vorteil auszuüben. Die vom Gesetz als Sanktion gegen einen nicht hinnehmbaren Beschluss vorgesehene Anfechtung ist auf den Fall beschränkt, dass ein Aktionär mit der Ausübung des Stimmrechts Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Aktionäre zu erlangen sucht. Dieses Bestreben setzt einen – auf die Erlangung des Sondervorteils beschränkten – Vorsatz voraus, wobei bedingter Vorsatz genügt. Wenn diese Beschlussanfechtung den ihr zugedachten Schutz nicht gewähr- 1748 leisten kann und man aufgrund dessen als Sanktionsmöglichkeit die Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz zulässt, steht es mit der im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Wertung in Einklang, die Haftung auf vorsätzliches Handeln zu beschränken. Diese Beschränkung erscheint auch im Interesse der Aktiengesellschaften erforderlich, um den Aktionären eine von der drohenden Inanspruchnahme aus einer Schadenersatzverpflichtung weitgehend freie Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung zu gewährleisten. Müsste der Aktionär befürchten, bereits aus einer fahrlässig begangenen Treupflichtverletzung zur Schadenersatzleistung herangezogen zu werden, besteht die Gefahr, dass insbesondere Kleinaktionäre künftig von der Ausübung ihres Stimmrechts abgehalten werden. BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 162 ff. = ZIP 1995, 819, dazu EWiR 1995, 525 (Rittner).
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I. Nichtigkeit von Jahresabschlüssen Nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist ein festgestellter Jahresabschluss nichtig, 1749 wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Festgestellt ist der Jahresabschluss dann, wenn der Vorstand ihn aufgestellt (§ 170 AktG) und der Aufsichtsrat ihn gebilligt hat (§ 172 AktG). Beschließen Vorstand und Aufsichtsrat, seine Feststellung der Hauptversammlung zu überlassen oder billigt ihn der Aufsichtsrat nicht, so stellt die Hauptversammlung den Jahresabschluss fest (§ 173 Abs. 1 AktG). Wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Gliederung des Jahresabschlusses ist der Jahresabschluss nur nichtig, wenn seine Klarheit und Übersichtlichkeit dadurch wesentlich beeinträchtigt sind (§ 256 Abs. 4 AktG). Wegen eines Verstoßes gegen die Bewertungsvorschriften ist der Jahresabschluss nach § 256 Abs. 5 Satz 1 AktG nur nichtig, wenn Posten überbewertet (Nummer 1) oder Posten unterbewertet sind und dadurch die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird (Nummer 2). I. Umfang der Nichtigkeit Nach dem Wortlaut des § 256 Abs. 1 AktG erstreckt sich die Nichtigkeit le- 1750 diglich auf den „festgestellten Jahresabschluss“. Der Jahresabschluss umfasst die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 Abs. 3 HGB). Der Anhang (§§ 284 ff) bildet nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB damit nicht nur formal, sondern auch inhaltlich eine Einheit. Nach dem Sinn des § 256 AktG umfasst die Nichtigkeitsfolge das gesamte, zur Feststellung des Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat nach §§ 170 – 172 AktG führende korporationsrechtliche Rechtsgeschäft, das als Rechtsgeschäft eigener Art anzusehen ist. Dazu gehören die Vorlage des Jahresabschlusses durch den Vorstand, durch die das rechtlich bedeutsame Begehren nach Billigung zum Ausdruck gebracht wird, und der darauf bezogene Billigungsbeschluss des Aufsichtsrates nebst entsprechender Erklärung nach § 171 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 AktG. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 121 ff. = ZIP 1993, 1862, 1863, 1865, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
II. Einzelfälle aus der Rechtsprechung Ein Inhaltsverstoß i. S. d. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist dann gegeben, wenn 1751 Bilanz-, Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 Abs. 3 HGB) oder der Anhang selbst (§§ 284 ff. HGB) Gläubigerschutzbestimmungen verletzen. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn ein gesetzwidriges Rechtsgeschäft in die Bücher der Gesellschaft eingeht und dadurch seinen Niederschlag im Jahresabschluss findet, sondern erst bei Missachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung i. S. d. §§ 238 Abs. 1 Satz 1, 264 Abs. 2 Satz 1 HGB, ins471
I. Nichtigkeit von Jahresabschlüssen
besondere bei Aufbau- und Gliederungsfehlern und bei Fehlerhaftigkeit der Ansätze oder der Bewertung. Aufbau- und Gliederungsfehler führen jedoch nur bei einer wesentlichen Beeinträchtigung der Klarheit und Übersichtlichkeit des Jahresabschlusses zur Nichtigkeit. Der Verstoß gegen Bewertungsvorschriften hat nur bei der Überbewertung oder – soweit dadurch die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergegeben wird – bei der Unterbewertung von Posten die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zur Folge. Insoweit schränken die Gliederungs- und Bewertungsfehler regelnden Vorschriften des § 256 Abs. 4 und 5 AktG den Anwendungsbereich des § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG als Interpretationsnormen ein. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 = ZIP 1993, 1862, 1864, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
1752 Die Feststellung einer Bilanz ist dann nichtig i. S. d. § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG, wenn die Bilanz nicht um einen Anhang (§§ 264 Abs. 1, 284 ff. HGB) erweitert worden ist. BGH, Urt. v. 11.10.1999 – II ZR 120/98, BGHZ 142, 382 = ZIP 1999, 1965.
1753 Werden Rückstellungen mit einem höheren Betrag als zulässig passiviert oder steht ihrem Ansatz ein Bilanzierungsverbot entgegen, sind sie vorsätzlich unterbewertet (§ 256 Abs. 5 Satz 3 AktG) mit der sich aus Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 ergebenden Nichtigkeitsfolge. BGH, Urt. v. 23.9.1991 – II ZR 189/90, ZIP 1991, 1427, 1428 (GmbH), dazu EWiR 1991, 1217 (Schulze-Osterloh).
1754 Unterbleibt die gebotene Aktivierung einer Forderung der Gesellschaft, steht das der vorsätzlichen Unterbewertung eines Aktivpostens mit der dargelegten Nichtigkeitsfolge gleich. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 119 f. = ZIP 1993, 1862, 1864, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
1755 Wird die Bilanz den Gewerken einer bergrechtlichen Gewerkschaft nicht vorgelegt, so liegt darin kein die Nichtigkeit nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG begründender inhaltlicher Verstoß gegen § 4 Abs. 5 ABG. BGH, Urt. v. 27.6.1974 – III ZR 47/72, BGHZ 63, 14, 28 (bergr. Gewerkschaft).
1756 Ist eine Konzern- oder Holdinggesellschaft mehrheitlich an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt, kann sie den bei der Tochtergesellschaft erzielten und zur Ausschüttung vorgesehenen Gewinn noch für das gleiche Geschäftsjahr in ihrer Bilanz unter „Forderungen an verbundene Unternehmen“ und in der Gewinn- und Verlustrechnung unter „Erträge aus Beteiligungen“ ausweisen, wenn der Jahresabschluss der Tochtergesellschaft noch vor Abschluss der Prüfung bei der Muttergesellschaft festgestellt worden ist und mindestens ein entsprechender Gewinnverwendungsvorschlag vorliegt. Besteht für sie insoweit also nur ein Ansatzwahlrecht und keine Ansatzpflicht, liegt kein 472
III. Jahresabschluss bei Anfechtung eines Verschmelzungsvertrages
Verstoß gegen zwingende Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung vor, so dass der Jahresabschluss nicht nichtig ist, wenn der Ansatz unterbleibt. BGH, Urt. v. 3.11.1975 – II ZR 67/73, BGHZ 65, 230, 233; BGH, Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27 = ZIP 1993, 1886, 1890, dazu EWiR 1994, 173 (Braun).
Geht man hingegen von einer Aktivierungspflicht aus (Pflicht zum phasen- 1757 gleichen Gewinnausweis), kann ein solcher Verstoß mit der Folge der Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Konzerngesellschaft vorliegen, wenn dieser Ansatz unterbleibt. BGH, Beschl. v. 21.7.1994 – II ZR 82/93, ZIP 1994, 1259 (GmbH); dazu EWiR 1994, 891 (Crezelius).
Werden Rückstellungen, deren Bildung gesetzlich vorgeschrieben sind, nicht 1758 gebildet, liegt eine den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung widersprechende Überbewertung vor (§ 256 Abs. 5 Satz 2 AktG). Ist die Überbewertung in ihrem Umfange nicht bedeutungslos, ist der Jahresabschluss nach § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AktG nichtig. BGH, Urt. v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341, 347 ff. = ZIP 1982, 1077 (GmbH).
Wird eine AG durch ein Unternehmen beherrscht, ohne dass ein Beherr- 1759 schungsvertrag abgeschlossen worden ist, und wird der zu nachteiligen Rechtshandlungen oder Maßnahmen veranlassten Gesellschaft während des Geschäftsjahres weder ein Nachteilsausgleich gewährt noch ein Rechtsanspruch auf bestimmte zum Ausgleich vorgesehene Vorteile eingeräumt (§ 311 Abs. 2 AktG), steht dieser kein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung eines Vorteils zu. Sie kann vielmehr nur Ersatz des ihr entstandenen Schadens geltend machen (§ 317 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Aktivierung eines solchen Anspruchs in der Bilanz kann geboten sein. Unterbleibt eine gebotene Aktivierung des Anspruchs, steht das der Unterbewertung eines Aktivpostens gleich (§ 256 Abs. 5 Satz 3 AktG), der zur Nichtigkeit nach § 256 Abs. 5 Satz 3 AktG führen kann. BGH, Urt. v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 119 f. = ZIP 1993, 1862, 1864 f., dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius).
III. Jahresabschluss bei Anfechtung eines Verschmelzungsvertrages Wird in einem Vertrag die Verschmelzung einer GmbH auf eine AG vorge- 1760 sehen, kommt es jedoch infolge Anfechtung des dem Vertrag zustimmenden Hauptversammlungsbeschlusses der aufnehmenden Gesellschaft einige Geschäftsjahre danach zur Eintragung in das Handelsregister, sind die von den Gesellschaften für die Geschäftsjahre getrennt aufgestellten Jahresabschlüsse nicht nach § 256 Abs. 5 Nr. 1 und 2 AktG nichtig. Die Verschmelzung wird erst mit der Eintragung in das Handelsregister 1761 wirksam. An den Voraussetzungen für die Stichtage, die sich aus §§ 5 Abs. 1 473
I. Nichtigkeit von Jahresabschlüssen
Nr. 5 und 6, 63 Abs. 1 Nr. 3, 17 Abs. 2 Satz 4 UmwG ergeben, ändert die Entscheidung, BGH, Beschl. v. 2.7.1990 – II ZB 1/90, BGHZ 112, 9 = ZIP 1990, 985, dazu EWiR 1990, 851 (Lutter),
nichts, da sie nicht davon ausgeht, dass die Eintragung einer Verschmelzung in das Handelsregister nach Aussetzung des Eintragungsverfahrens auf einen rückwirkenden Zeitpunkt bezogen werden kann. BGH, Beschl. v. 12.10.1992 – II ZR 30/92, DB 1992, 2432 (Auszug).
IV. Heilung 1762 Nach § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG kann die Nichtigkeit nach Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 1 und 2, Abs. 4 und 5 nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit der Bekanntmachung nach § 325 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs in den Fällen des Abs. 1 Nr. 3 und 4, des Abs. 2 und des Abs. 3 Nr. 1 und 2 sechs Monate, in den anderen Fällen drei Jahre verstrichen sind. Ob die Heilung des Jahresabschlusses mit Ablauf der Fristen des § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG zur Wirksamkeit des Jahresabschlusses führt oder lediglich bewirkt, dass sich niemand mehr auf die Nichtigkeit des Jahresabschlusses berufen kann, hat der Bundesgerichtshof bisher offengelassen. BGH, Urt. v. 2.7.2013 – II ZR 293/11, ZIP 2013, 1577 Rn. 8 f., dazu EWiR 2013, 761 (Wittgens/Hancioglu).
1763 Offengelassen hat der Bundesgerichtshof auch, ob die Mitwirkung eines anfechtbar gewählten Mitglieds des Aufsichtsrats dazu führt, dass der Aufsichtsrat fehlerhaft bei der Feststellung des Jahresabschlusses mitgewirkt hat; jedenfalls wäre der Fehler innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 256 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 AktG geheilt. BGH, Urt. v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 Rn. 26, dazu EWiR 2013, 333 (Schatz/Schödel).
474
J. Die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin einer KGaA Eine GmbH kann grundsätzlich persönlich haftende Gesellschafterin einer 1764 KGaA sein. Das Fehlen einer natürlichen Person in der Eigenschaft des Komplementärs muss in der Firma der KGaA kenntlich gemacht werden (vgl. § 19 Abs. 5 HGB). In den Grenzen, die durch zwingende gesetzliche Regelungen und die Sicherheit des Rechtsverkehrs – insbesondere mit der Gewährleistung eines effektiven Gläubiger und Anlegerschutzes – gezogen werden, besteht die Freiheit zu einer privatautonomen Gestaltung, die auch im Gesetz nicht vorgesehene Mischformen und atypische Lösungen zulässt. BGH, Beschl. v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392, 393.
§ 76 Abs. 3 Satz 1 AktG, der die Mitgliedschaft im Vorstand der AG natürli- 1765 chen Personen vorbehält, ist nicht anwendbar. § 278 Abs. 2 AktG bestimmt, dass auf den Komplementär der KGaA das Recht der KG anwendbar ist, deren Komplementär – inzwischen vom Gesetzgeber anerkannt – auch eine juristische Person sein kann. Dem entspricht es, dass die abschließende Regelung des § 283 AktG unter den Vorschriften, die für den Vorstand gelten und auf den Komplementär für anwendbar erklärt werden, § 76 Abs. 3 Satz 1 AktG nicht aufgeführt wird. Gegen die Zulässigkeit dieser Gesellschaftsform lassen sich weder aus der 1766 Struktur der GmbH & Co KGaA, § 23 Abs. 5 AktG noch aus anderen Gesichtspunkten überzeugende Argumente herleiten. Ein zwingendes Organisationsmodell für die Führungsstruktur der KGaA besteht im Gesetz nicht. Die Vorschriften für die AG finden nur auf die Kapitalstruktur Anwendung (§ 278 Abs. 3 AktG), für die Führungsstruktur wird auf die für die KG geltenden Vorschriften verwiesen (§ 278 Abs. 2 AktG). Das gesetzgeberische Leitbild der natürlichen Person als Komplementär hat sich nicht als zwingende Regelung im Gesetz niedergeschlagen. Der Grundsatz der Selbstorganschaft steht der Einschaltung einer GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin nicht entgegen, wie schon das Beispiel der GmbH & Co KG zeige. BGH, Beschl. v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392, 393 – 396.
Die Organe der Komplementär-GmbH können aber nicht zugleich Aufsichts- 1767 ratsmitglieder sein. Um zu vermeiden, dass Geschäftsführungs- und Überwachungsfunktion in einer Hand zusammenfallen, sind sie entsprechend § 287 Abs. 3 AktG inhabil. Gesellschafter der Komplementär-GmbH dürfen dagegen Aufsichtsrat sein. BGH, Urt. v. 5.12.2005 – II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 198 = ZIP 2006, 177, 178, dazu EWiR 2006, 193 (Dürr).
475
K. Faktische Beherrschung I. Herrschendes Unternehmen Die §§ 311, 317 AktG finden auch dann Anwendung, wenn eine Gebiets- 1768 körperschaft oder ein anderer öffentlich-rechtlicher Rechtsträger herrschendes Unternehmen ist. Das betraf zuletzt vor allem die Bundesrepublik Deutschland als Aktionärin der Deutschen Telekom. BGH, Urt. v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334, 344 = WM 1977, 1346; BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 = ZIP 1997, 887, 889, dazu EWiR 1997, 681 (Westermann); BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 = ZIP 2008, 785 Rn. 10; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 30 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
Ein Aktionär ist dann Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne, wenn er 1769 neben der Beteiligung an der Aktiengesellschaft anderweitige wirtschaftliche Interessenbindungen hat, die nach Art und Intensität die ernsthafte Sorge begründen, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ausüben. Liegt die Interessenbindung in der Beteiligung an einer anderen Gesellschaft, ist diese Besorgnis dann gegeben, wenn seine Beteiligung „maßgeblich“ ist und somit die Möglichkeit besteht, dass er sich unter Ausübung von Leitungsmacht auch in anderen Gesellschaften unternehmerisch betätigt. Auch eine unter 50 % liegende Beteiligung in Verbindung mit weiteren verlässlichen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Art zu der Möglichkeit einer Einflussnahme führen, die dann bestimmend ist, wenn sie beständig und umfassend ausgeübt werden kann und gesellschaftsrechtlich vermittelt ist. Das kann dann der Fall sein, wenn die Hauptversammlungen der Aktiengesellschaft erfahrungsgemäß so besucht sind, daß die unter 50 % liegende Beteiligung des Großaktionärs regelmäßig ausreicht, um für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit durchzusetzen. BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 f. = ZIP 1997, 887, 889, dazu EWiR 1997, 681 (Westermann); BGH, Urt. v. 18.6.2001 – II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125 = ZIP 2001, 1323, 1324, dazu EWiR 2001, 1079 (Kort).
II. Nachteiliges Rechtsgeschäft Unter einem nachteiligen Rechtsgeschäft i. S. v. § 311 AktG ist jede Minde- 1770 rung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft ohne Rücksicht auf Quantifizierbarkeit zu verstehen, soweit die genannte Beeinträchtigung als Abhängigkeitsfolge eintritt.
477
K. Faktische Beherrschung BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, 84 = ZIP 1999, 708; BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 8 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 37 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, ZIP 2013, 358 Rn. 32; dazu EWiR 2013, 223 (Hoffmann-Theinert).
1. Nachteil 1771 Die Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen an das herrschende Unternehmen unter ihrem Wert ist nicht nur eine verbotene Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 AktG, sondern auch ein nachteiliges Rechtsgeschäft i. S. v. § 311 Abs. 1 und 2 AktG. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 16; dazu EWiR 2012, 683 (Seulen);
1772 Auch in der Belastung mit einem Haftungsrisiko ohne Freistellung liegt eine nachteilige Vermögensminderung. Das Vermögen kann auch durch die Übernahme eines Prospekthaftungsrisikos ohne vollwertigen Freistellungsanspruch gefährdet werden. BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 37 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
1773 Dagegen liegt in der Vergabe eines ungesicherten „upstream-Darlehens“ an die Muttergesellschaft im Austausch gegen einen vollwertigen Rückzahlungsanspruch und eine angemessene Verzinsung noch kein Nachteil. Solange der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist, besteht noch keine konkrete Vermögensgefährdung. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 10 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49;
1774 Für die Vollwertigkeit ist nicht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Darlehensrückzahlung erforderlich, vielmehr genügt es, wenn aus der ex-ante-Sicht ein Forderungsausfall unwahrscheinlich ist. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 13 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49.
1775 Ist die Verzinsung nicht angemessen, ist das ein eigener Nachteil, der nicht das gesamte Geschäft nachteilig macht, sondern gesondert zu erfassen ist.
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II. Nachteiliges Rechtsgeschäft BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 17 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49.
Nach zulässiger Darlehensgewährung an die Muttergesellschaft besteht aller- 1776 dings die Verpflichtung, laufend etwaige Änderungen des Kreditrisikos zu prüfen und auf eine sich nach der Darlehensausreichung andeutende Bonitätsverschlechterung mit einer Kreditkündigung oder der Anforderung von Sicherheiten zu reagieren, was bei umfangreichen langfristigen Darlehen oder bei einem Cash-Management die Einrichtung eines geeigneten Informationsoder „Frühwarnsystems“ zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft erforderlich machen kann. Die Unterlassung solcher Maßnahmen einschließlich einer rechtzeitigen Kreditkündigung kann ihrerseits unter § 311 AktG fallen und Schadensersatzansprüche nach §§ 317, 318 AktG auslösen, wenn und soweit der durch das Unterlassen eintretende Nachteil nicht ausgleichsfähig ist. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 14 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49.
2. Abhängigkeitsfolge Für die Frage, ob ein Nachteil eine Abhängigkeitsfolge ist, kommt es auf den 1777 Vergleich mit einem hypothetischen Drittgeschäft an, BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 9 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 38 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski),
oder darauf an, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft zu denselben Konditionen vorgenommen hätte (vgl. § 317 Abs. 2 AktG). BGH, Urt. v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, 88 = ZIP 1999, 708; BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 = ZIP 2008, 785 Rn. 11; BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 9 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 38 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, ZIP 2013, 358 Rn. 34, dazu EWiR 2013, 223 (Hoffmann-Theinert).
479
K. Faktische Beherrschung
1778 Für einen marktadäquaten Preis spricht, wenn das abhängige Unternehmen an einem Bieterwettbewerb teilgenommen hat, bei dem auch Wettbewerber einen ähnlichen Preis zahlten oder zu zahlen bereit waren. BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 = ZIP 2008, 785 Rn. 14.
1779 Bei der Beurteilung der Frage, ob das Leitungsorgan bei der Führung der Geschäfte die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet hat, ist ihm zwar grundsätzlich ein weiter Handlungsspielraum zuzubilligen, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlichtweg nicht denkbar ist. Dieser Handlungsspielraum ist aber dann verlassen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen pflichtwidrig ist. Das ist etwa der Fall bei einem gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz nach § 57 AktG verstoßenden Geschäft. BGH, Urt. v. 3.3.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 Rn. 11; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 32 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski).
1780 Von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft einer ansonsten nicht mit Kreditgeschäften befassten Gesellschaft kann auch nicht angenommen werden, dass sie ihrer Mehrheitsaktionärin unbesicherte Darlehen zur Finanzierung von Grundstücksgeschäften gewährt. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 = ZIP 2009, 70 Rn. 9 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49.
1781 §§ 311 ff. AktG bewirken dagegen keinen Konzerneingangsschutz. Ein aktienrechtliches Wettbewerbsverbot zu Lasten eines bereits bestehenden, nunmehr die Mehrheit erwerbenden Wettbewerbers, das eine konzernverhindernde Wirkung entfalten würde, ist dem geltenden Aktiengesetz fremd und kann nicht zu Ansprüchen nach §§ 317, 318 AktG führen. Dieses sieht im Gegenteil Abhängigkeit und faktische Konzernierung als zulässige Formen der Unternehmensverbindung an und wirkt den Konzerngefahren nicht durch eine präventive Kontrolle, sondern durch die verhaltensorientierte Regelung der §§ 311 ff. AktG entgegen; über diese grundsätzliche Konzernoffenheit der Aktiengesellschaft hinaus spricht nicht zuletzt die Weisungsfreiheit des Vorstands auch im faktischen Aktienkonzern gegen ein derart umfassendes „konzernverhinderndes“ Wettbewerbsverbot. Unter Wertungsaspekten kann auch unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht vielmehr grundsätzlich dem „neuen“ herrschenden Unternehmen nicht zugemutet werden, sich von Geschäftsfeldern zurückzuziehen, auf denen es bereits vorher – in zulässiger Konkurrenz zu der von ihm jetzt beherrschten Gesellschaft – tätig war. 480
III. Nachteilsausgleich BGH, Beschl. v. 25.6.2008 – II ZR 133/07, ZIP 2008, 1872 Rn. 17; dazu EWiR 2009, 37 (Pluskat).
III. Nachteilsausgleich § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG erlaubt dem herrschenden Unternehmen, den 1782 Nachteilsausgleich zeitlich gestreckt erst zum Ende des Geschäftsjahrs vorzunehmen oder zu bestimmen, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll, auch wenn der Nachteil gleichzeitig eine unzulässige Einlagenrückgewähr i. S. v. § 57 Abs. 1 AktG ist. BGH, Urt. v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rn. 11 – MPS, dazu EWiR 2009, 129 (Blasche); m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2009, 49; BGH, Urt. v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = ZIP 2011, 1306 Rn. 48 – Dritter Börsengang, dazu EWiR 2011, 517 (Hoffmann-Theinert/Dembski); BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 18 f., dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
Wenn die nachteilige Veranlassung in einem mit der Stimmenmehrheit des 1783 herrschenden Unternehmens gefassten Hauptversammlungsbeschluss besteht, kann der Nachteilsausgleich nicht aufgeschoben werden, sondern muss bereits im Beschluss vorgesehen sein. Die Privilegierung des herrschenden Aktionärs, einen Nachteilsausgleich erst zum Ende des Geschäftsjahres zu vereinbaren, kann nicht greifen, wenn die Hauptversammlung über ein nachteiliges Rechtsgeschäft beschließt. Der Aktionär kann nicht darauf verwiesen werden, den Beschluss in der Hoffnung auf einen ungewissen Ausgleich unanfechtbar werden zu lassen. Die Hauptversammlung kann auch – anders als etwa der Vorstand – nicht selbst nach der nachteiligen Veranlassung dafür Sorge tragen, dass der Nachteil spätestens bis zum Ende des Geschäftsjahres durch Vorteile ausgeglichen oder ein Rechtsanspruch auf die Vorteile vereinbart wird, weil sie nicht ständig zusammentritt. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 19, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen);
Wenn der Nachteil, der der abhängigen Gesellschaft auf Veranlassung des 1784 herrschenden Unternehmens zugefügt wird, bezifferbar ist, muss eine Ausgleichsvereinbarung, die einen Zahlungsanspruch begründet, den Ausgleichsanspruch beziffern und darf ihn nicht von der späteren Feststellung des Nachteils abhängig machen. Wenn sich der Nachteil bilanziell niederschlägt, muss der Vorteil bilanzierbar sein; das gilt dann auch für die Gewährung eines Anspruchs auf Ausgleich. Jede Ausgleichsvereinbarung muss zudem Art, Umfang und Leistungszeit der als Ausgleich zugesagten Vorteile festlegen, um den Ausgleich nicht auf die lange Bank zu schieben und die Grenzen zum Schadensersatzanspruch nach § 317 AktG nicht zu verwischen. BGH, Urt. v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, ZIP 2012, 1753 Rn. 23, dazu EWiR 2012, 683 (Seulen).
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K. Faktische Beherrschung
IV. Schadensersatz nach § 317 AktG 1785 Im faktischen Aktienrechtskonzern trifft die abhängige Gesellschaft im Rahmen der Ansprüche aus §§ 317, 311 AktG grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 317 Abs. 1 AktG und damit insbesondere auch für die kompensationslose Nachteilsbzw. Schadenszufügung. Das gilt auch für eine Anspruchsverfolgung der Aktionäre gegen die herrschende oder gegen die abhängige Gesellschaft. BGH, Beschl. v. 25.6.2008 – II ZR 133/07, ZIP 2008, 1872 Rn. 5; dazu EWiR 2009, 37 (Pluskat).
1786 In dem von einem Aktionär der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen und dessen Geschäftsleitung geführten Rechtsstreit auf Ersatz des – über den Reflexschaden hinausgehenden – unmittelbaren eigenen Schadens nach § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG haben andere außenstehende Aktionäre kein Recht zur Nebenintervention auf Klägerseite. BGH, Beschl. v. 24.4.2006 – II ZB 16/05, ZIP 2006, 1218 Rn. 9 ff.
1787 Als eigener Schaden der Aktionäre kommt in Betracht, dass aufgrund einer nachteiligen Veranlassung des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesellschaft die Dividende der Aktionäre der abhängigen Aktiengesellschaft verkürzt wird. BGH, Urt. v. 22.6.1992 – II ZR 178/90, ZIP 1992, 1464, 1471, dazu EWiR 1992, 1153 (Wiedemann); BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, ZIP 2013, 358 Rn. 33, dazu EWiR 2013, 223 (Hoffmann-Theinert).
V. Abhängigkeitsbericht 1788 Nach § 312 Abs. 1 AktG muss der Vorstand über alle Rechtsgeschäfte berichten, die die Gesellschaft im vorangegangenen Geschäftsjahr mit dem herrschenden Unternehmen oder verbundenen Unternehmen oder auf Veranlassung oder im Interesse dieser Unternehmen vorgenommen oder unterlassen hat (Abhängigkeitsbericht). Die Verpflichtung zur Aufstellung eines solchen Abhängigkeitsberichtes entfällt nicht mit der Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 170 Abs. 1, 171, Abs. 1, 172 AktG). BGH, Beschl. v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 111 = ZIP 1997, 887, 888, dazu EWiR 1997, 681 (Westermann).
1789 Erstattet der Vorstand keinen Abhängigkeitsbericht oder prüft ihn der Aufsichtsrat nicht, sind die Entlastungsbeschlüsse wegen eines schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzesverstoßes anfechtbar. BGH, Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 51 = ZIP 2003, 387, 388.
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L. Unternehmensverträge I. Stille Beteiligung Die mit einer Aktiengesellschaft geschlossenen stillen Gesellschaftsverträge 1790 sind als Teilgewinnabführungsverträge i. S. des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG anzusehen. BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38, 43 = ZIP 2003, 1788, 1789, dazu EWiR 2003, 1113 (Radlmayr); BGH; Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255 f., dazu EWiR 2005, 707 (Lürken); BGH, Urt. v. 21.3.2005 – II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 755; BGH, Urt. v. 8.5.2006 – II ZR 123/05, ZIP 2006, 1201 Rn. 20; BGH, Urt. v. 18.9.2012 – II ZR 50/11, ZIP 2013, 19 Rn. 25, dazu EWiR 2013, 39 (Derleder).
Der Vertrag wird daher gem. §§ 293, 294 Abs. 2 AktG erst mit der Geneh- 1791 migung der Hauptversammlung und der Eintragung in das Handelsregister wirksam. Nach diesem Zeitpunkt kann die stille Beteiligung nicht wegen Fehlens oder Verzögerung der Genehmigung widerrufen werden. BGH, Urt. v. 8.5.2006 – II ZR 123/05, ZIP 2006, 1201 Rn. 21.
Die stille Beteiligung kann als fehlerhafte Gesellschaft auch ohne Genehmi- 1792 gung der Hauptversammlung und die Eintragung in das Handelsregister in Vollzug gesetzt sein. BGH; Urt. v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255 f., dazu EWiR 2005, 707 (Lürken).
Ist eine Verlustteilnahme der stillen Gesellschafter vereinbart, so ist es eine 1793 Vertragsänderung, wenn die stillen Gesellschafter bei Entstehen eines Jahresfehlbetrags dennoch eine Vergütung für die stille Einlage aufgrund eines freiwilligen Sonderzahlungsversprechens erhalten sollen. BGH, Urt. v. 18.9.2012 – II ZR 50/11, ZIP 2013, 19 Rn. 28, dazu EWiR 2013, 39 (Derleder).
Eine solche Vertragsänderung ist nur wirksam, wenn sie schriftlich verein- 1794 bart und im Handelsregister eingetragen wird. BGH, Urt. v. 18.9.2012 – II ZR 50/11, ZIP 2013, 19 Rn. 34, dazu EWiR 2013, 39 (Derleder).
II. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 1. Abschluss Der Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages hat 1795 keine unmittelbaren Auswirkungen auf die von dem abhängigen Unternehmen zuvor begebenen Genussscheine. Anders als die außenstehenden Aktionäre,
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L. Unternehmensverträge
denen nach § 304 AktG von dem herrschenden Unternehmen ein angemessener Ausgleich zu zahlen ist und die mit der nach § 305 AktG zu gewährenden Abfindung ein Austrittsrecht erhalten, bleiben die Genussscheininhaber grundsätzlich an die einmal festgelegten Genussscheinbedingungen gebunden. Denn die Genussrechte stellen keine mitgliedschaftliche Beteiligung an der Aktiengesellschaft dar, die im Falle der Einbeziehung der Gesellschaft in einen Vertragskonzern bestimmte Schutzmechanismen auslöst, sondern sie erschöpfen sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch. BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 = ZIP 2013, 1570 Rn. 19 ff., dazu EWiR 2013, 533 (Priester); m. Bespr. Renner/Engel, ZIP 2013, 2436.
2. Ausgleich 1796 Nach § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG muss ein Gewinnabführungsvertrag einen angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre durch wiederkehrende Geldleistung vorsehen. Die Ausgleichszahlungen dienen als Ersatz für die infolge des Unternehmensvertrages ausfallende Dividende; dementsprechend ist gem. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG in dem Unternehmensvertrag die jährliche Zahlung zumindest desjenigen Betrages zuzusichern, der ohne den Vertrag nach der bisherigen Ertragslage und den künftigen Ertragsaussichten der Gesellschaft voraussichtlich als Gewinnanteil auf die einzelne Aktie verteilt werden könnte. BGH, Beschl. v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57, 60 = ZIP 2003, 1745, 1746, dazu EWiR 2004, 1 (Müller); BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 = ZIP 2006, 663 Rn. 8, dazu EWiR 2006, 291 (Hirte/Wittgens).
1797 Wenn keine Ertragsaussichten bestehen, ist kein Ausgleich geschuldet. Ein Nullausgleich macht deshalb den Zustimmungsbeschluss nicht nichtig oder anfechtbar. BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 = ZIP 2006, 663 Rn. 8, dazu EWiR 2006, 291 (Hirte/Wittgens).
1798 Stichtag für die Bewertung ist der Tag des Hauptversammlungsbeschlusses. BGH, Beschl. v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136, 139 f. = ZIP 1998, 690, 691; BGH, Urt. v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 = ZIP 2006, 663 Rn. 8, dazu EWiR 2006, 291 (Hirte/Wittgens).
1799 Durch den Beitritt eines weiteren Unternehmens zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags entsteht keine neue Ausgleichs- oder Abfindungsverpflichtung. BGH, Beschl. v. 4.3.1998 – II ZB 5/97, BGHZ 138, 136, 139 f.= ZIP 1998, 690, 691.
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II. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
Die Entgegennahme der Ausgleichszahlung ist Fruchtziehung; sie gebührt 1800 demjenigen, der zur Zeit ihrer Entstehung berechtigt ist, ihn zu beziehen. BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 99/06, BGHZ 174, 378 Rn. 11; BGH, Urt. v. 19.4.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 = ZIP 2011, 1097 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 449 (Wilsing/Paul).
Ob der jährliche feste Ausgleich (§ 304 Abs. 2 Satz 1 AktG) zu Beginn des 1801 Folgejahres oder nach der vertraglichen Vereinbarung, spätestens mit der Hauptversammlung nach dem jeweiligen Geschäftsjahr fällig wird, kann auf die Anfechtungsklage gegen den Beschluss über die Zustimmung zum Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht geklärt werden. Die Anfechtung kann schon nicht darauf gestützt werden, dass der angebotene Ausgleich nicht angemessen ist (§ 304 Abs. 3 Satz 2 AktG). Erst recht kann sie nicht darauf gestützt werden, dass im Vertrag eine Leistungsmodalität wie die Leistungszeit gesetzwidrig angegeben sei. BGH, Beschl. v. 31.5.2010 – II ZR 6/09, ZIP 2010, 1287.
Aus dem Zweck des Ausgleichsanspruchs, den Verlust der mitgliedschaftlichen 1802 Vermögensrechte auszugleichen und den Anspruch auf Zahlung der Dividende zu ersetzen, folgt, dass der Anspruch auf Zahlung des jährlichen festen Ausgleichs grundsätzlich mit dem Ende der auf ein Geschäftsjahr folgenden ordentlichen Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft entsteht, soweit im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zugunsten der außenstehenden Aktionäre nichts anderes vereinbart ist. BGH, Urt. v. 19.4.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 = ZIP 2011, 1097 Rn. 12, dazu EWiR 2011, 449 (Wilsing/Paul).
Ein Minderheitsaktionär hat daher weder ganz noch teilweise einen Anspruch 1803 auf Zahlung des festen Ausgleichs für ein Geschäftsjahr, wenn der Beschluss, die Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär zu übertragen, vor dem Entstehen des Anspruchs auf die Ausgleichszahlung in das Handelsregister eingetragen wird. Auch ein Anspruch gegen den Hauptaktionär entsprechend § 101 Nr. 2 BGB besteht nicht, weil der Hauptaktionär regelmäßig nicht ausgleichsberechtigt ist und die Fruchtziehungsberechtigung des Erwerbers Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist. Eine analoge Anwendung scheidet aus, weil die künftig erzielbaren Überschüsse bereits in der Abfindung für die Übertragung der Aktien berücksichtigt sind. BGH, Urt. v. 19.4.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 = ZIP 2011, 1097 Rn. 21 f., dazu EWiR 2011, 449 (Wilsing/Paul).
3. Abfindung a) Höhe Der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der 1804 Aktie ist grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Be485
L. Unternehmensverträge
kanntmachung einer Strukturmaßnahme zu ermitteln. Er ist lediglich dann entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochzurechnen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt. BGH, Beschl. v. 28.6.2011 – II ZB 2/10, ZIP 2011, 1708 Rn. 8, dazu EWiR 2011, 619 (Luttermann).
b) Entstehung 1805 Während der Dauer des Unternehmensvertrages entsteht in der Person eines jeden Aktienerwerbers, der nicht dem anderen Vertragsteil zuzuordnen und damit außenstehender Aktionär ist, mit dem Erwerb der Aktie – unabhängig vom Erwerbszeitpunkt, der Person des Veräußerers und insbesondere auch der dogmatischen Konstruktion – zugleich das Abfindungsrecht. Der Abfindungsanspruch ist kein wertpapiermäßig in der Aktie verkörpertes Mitgliedschaftsrecht, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch auf der Grundlage des Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages gegen das herrschende Unternehmen. BGH, Urt. v. 8.5.2006 – II ZR 27/05, BGHZ 167, 299 = ZIP 2006, 1392 Rn. 13 f., dazu EWiR 2006, 581 (Streit/Maier); m. Anm Braun/Krämer ZIP 2006, 1396.
1806 Der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre (§ 305 Abs. 1 AktG) besteht auch dann fort, wenn der Unternehmensvertrag während des Spruchstellenverfahrens beendet wird. Ihn hat aber nur derjenige außenstehende Aktionär, der seine Aktien vor Beendigung des Unternehmensvertrages erworben hat. Nach dem Ende des Unternehmensvertrages kann die Rechtsstellung eines außenstehenden Aktionärs i. S. von § 305 AktG nicht mehr neu erworben werden. Die Beweislast liegt bei demjenigen, der den Abfindungsanspruch geltend macht. BGH, Urt. v. 20.5.1997 – II ZB 9/96, BGHZ 135, 374, 380 = ZIP 1997, 1193, 1195, dazu EWiR 1997, 769 (Hüffer); BGH, Urt. v. 8.5.2006 – II ZR 27/05, BGHZ 167, 299 = ZIP 2006, 1392 Rn. 13 f., dazu EWiR 2006, 581 (Streit/Maier); m. Anm Braun/Krämer ZIP 2006, 1396; BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 45/06, BGHZ 176, 43 = ZIP 2008, 778 Rn. 22, dazu EWiR 2008, 357 (Goslar).
1807 Die Abfindungsansprüche aus einem Unternehmensvertrag entfallen auch nicht ohne weiteres durch den Abschluss eines neuen Unternehmensvertrages mit einem anderen herrschenden Unternehmen. Dieses sowie die bisherige Abfindungsschuldnerin können vielmehr wahlweise auf Zahlung der jeweiligen Abfindung in Anspruch genommen werden. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 45/06, BGHZ 176, 43 = ZIP 2008, 778 Rn. 27, dazu EWiR 2008, 357 (Goslar).
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II. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
Der mit dem Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsver- 1808 trages begründete Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre gegen Übertragung ihrer Aktien auf das herrschende Unternehmen (§ 305 Abs. 1 AktG) besteht im Grundsatz auch dann fort, wenn während eines laufenden Spruchverfahrens das Insolvenzverfahren über das Vermögen des herrschenden Unternehmens eröffnet wird. Entsprechend den Grundsätzen zu § 103 InsO kann der Aktionär eine Forderung wegen der Nichterfüllung als Insolvenzgläubiger geltend machen, wenn der Insolvenzverwalter den Erwerb der ihm innerhalb der Frist des § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG angedienten Aktien ablehnt. Der Erlös aus einem Deckungsverkauf der Aktien ist auf die Abfindung, nicht auf die Abfindungszinsen (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) anzurechnen. Abfindungszinsen (§ 305 Abs. 3 Satz 3 AktG) können für die Zeit nach Insolvenzeröffnung aber nicht geltend gemacht werden. BGH, Urt. v. 17.3.2008 – II ZR 45/06, BGHZ 176, 43 = ZIP 2008, 778 Rn. 17 ff. und 38, dazu EWiR 2008, 357 (Goslar).
c) Abfindungszinsen und Ausgleich Wenn der außenstehende Aktionär der beherrschten Gesellschaft nach Ent- 1809 gegennahme von Ausgleichszahlungen gem. § 304 AktG von der herrschenden Gesellschaft sein Wahlrecht auf Barabfindung nach § 305 AktG ausübt, sind die empfangenen Ausgleichsleistungen ausschließlich mit den Abfindungszinsen nach § 305 Abs. 3 Satz 3 AktG, nicht jedoch mit der Barabfindung selbst zu verrechnen. BGH, Urt. v. 16.9.2002 – II ZR 284/01, BGHZ 152, 29, 33 = ZIP 2002, 1892, 1893, dazu EWiR 2002, 1069 (Luttermann); BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 84/02; ZIP 2003, 1933, 1934; BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 85/02, BGHZ 155, 110, 116 f. = ZIP 2003, 1600, 1602; BGH, Beschl. v. 21.7.2003 – II ZB 17/01, BGHZ 156, 57, 60 = ZIP 2003, 1745, 1746, dazu EWiR 2004, 1 (Müller); BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 199/06, BGHZ 174, 378 = ZIP 2008, 310 Rn. 8.
Dazu sind entsprechende Referenzzeiträume, in der Regel für den Ausgleich 1810 die Geschäftsjahre, zu bilden. Soweit die Ausgleichszahlung – wie bei ertragsstarken Unternehmen – die Abfindungszinsen für entsprechende Referenzzeiträume übersteigt, darf der Aktionär sie sogar ohne Anrechnung behalten. Die gewinnunabhängige, in der Regel fest bemessene Ausgleichszahlung, die an die Stelle der sonst aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende tritt, ist wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage. Sie verbleibt ihm auch, wenn die Verzinsung der Abfindung geringer ist. BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 85/02, BGHZ 155, 110, 118 = ZIP 2003, 1600, 1602;
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L. Unternehmensverträge BGH, Urt. v. 10.12.2007 – II ZR 199/06, BGHZ 174, 378 = ZIP 2008, 310 Rn. 10.
1811 Für den Sonderfall des vertraglich vereinbarten früheren Beginns der Ausgleichsverpflichtung gegenüber dem gesetzlich festgelegten Zeitpunkt des Anfangs der Abfindungsverzinsung scheidet eine Verrechnung des bis dahin angefallenen anteiligen Ausgleichs mit den Zinsen aus, weil insoweit mangels zeitlicher Kongruenz beider Forderungen eine ungerechtfertigte „Überkompensation“ durch Kumulation nebeneinander bestehender Ansprüche schon begrifflich nicht in Betracht kommt. BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 84/02; ZIP 2003, 1933; 1934; BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 85/02, BGHZ 155, 110, 115 = ZIP 2003, 1600, 1601.
1812 Eine Sonderdividende, die auf der Auflösung einer besonderen vorvertraglichen Gewinnrücklage beruht, darf gem. § 301 Satz 2 AktG nicht zur Gewinnabführung herangezogen werden. Sie kann nur wie eine reguläre Dividende unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an alle Aktionäre außerhalb des Regelungsbereichs des Unternehmensvertrages ausgeschüttet werden und darf daher im Rahmen etwaiger Verrechnungen bei einer späteren Annahme der Abfindung nicht in Ansatz gebracht werden. BGH, Urt. v. 2.6.2003 – II ZR 84/02; ZIP 2003, 1933; 1934.
4. Verlustausgleich 1813 Nach § 302 Abs. 1 AktG hat das herrschende Unternehmen bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages grundsätzlich jeden während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen. Der Anspruch auf Verlustausgleich entsteht am Bilanzstichtag; denn zu diesem Zeitpunkt steht fest, ob die abhängige Gesellschaft ein positives Jahresergebnis erzielt oder ob sie einen Jahresfehlbetrag erwirtschaftet hat. Der Vorschrift des § 302 Abs. 1 AktG kann nicht entnommen werden, dass von dieser bilanziellen Betrachtungsweise für den Verlustausgleich abgewichen werden soll und er erst mit Bilanzfeststellung entstehen soll. BGH, Urt. v. 1.10.1999 – II ZR 120/98, BGHZ 142, 382, 385 = ZIP 1999, 1965, 1966.
1814 Die Höhe des vom herrschenden Unternehmen geschuldeten Ausgleichs nach § 302 AktG wird – unabhängig von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Bilanzfeststellung – durch den sich bei objektiv ordnungsgemäßer Bilanzierung zum Bilanzstichtag ergebenden (fiktiven) Jahresfehlbetrag bestimmt. Der festgestellte Jahresabschluss ist nicht maßgeblich. BGH, Urt. v. 1.10.1999 – II ZR 120/98, BGHZ 142, 382, 385 = ZIP 1999, 1965, 1966; BGH, Urt. v. 14.2.2005 – II ZR 361/02, ZIP 2005, 854, 855.
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II. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag
Endet ein Beherrschungs- oder ein Gewinnabführungsvertrag, so hat der an- 1815 dere Vertragsteil den Gläubigern der Gesellschaft, deren Forderungen begründet worden sind, bevor die Eintragung der Beendigung des Vertrags in das Handelsregister bekannt gemacht worden ist, Sicherheit zu leisten, wenn sie sich binnen sechs Monaten nach der Bekanntmachung der Eintragung zu diesem Zweck bei ihm melden (§ 303 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dieser Anspruch der Gläubiger einer abhängigen Gesellschaft auf eine Sicherheitsleistung für Verbindlichkeiten, die bis zur Bekanntmachung der Eintragung der Beendigung begründet, aber erst danach fällig werden, ist entsprechend den Nachhaftungsregeln in §§ 26, 160 HGB und § 327 Abs. 4 AktG auf Ansprüche, die vor Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntmachung fällig werden, begrenzt. Ansonsten besteht die vom Gesetzgeber nicht gesehene Gefahr einer endlosen oder jedenfalls weit über den Zeitpunkt der Beendigung des Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrages hinausreichenden Haftung des herrschenden Vertragsteils, obwohl die Gläubiger einer vertraglich konzernierten Gesellschaft keinen Anspruch auf einen Fortbestand des Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrages und der Verlustausgleichspflicht haben. BGH, Urt. v. 7.10.2014 – II ZR 361/13, ZIP 2014, 2282 Rn. 9 (GmbH), dazu EWiR 2014, 739 (Bungert/de Raet).
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M. Eingliederung Ausgeschiedene Aktionäre der eingegliederten Aktiengesellschaft haben einen 1816 Anspruch auf eine angemessene Abfindung in Aktien der Hauptgesellschaft. Die Abfindung ist angemessen, wenn die Aktien in dem Verhältnis gewährt werden, in dem bei einer Verschmelzung auf eine Aktie der Gesellschaft Aktien der Hauptgesellschaft zu gewähren wären, § 320b Abs. 1 Satz 4 AktG (Verschmelzungswertrelation). Wird das Umtauschverhältnis so festgelegt, dass nicht für eine natürliche Zahl von Aktien der eingegliederten Gesellschaft genau eine Aktie der Hauptgesellschaft gewährt wird, kann bereits mit der Zahl an Aktien, die mindestens für eine Aktie der Hauptgesellschaft benötigt wird, eine Aktie der Hauptgesellschaft verlangt werden. Das Umtauschverhältnis legt dagegen nicht eine Mindestmenge an Altaktien für den Umtausch fest. Bei einem Umtauschverhältnis von 13 zu 3 berechtigen daher bereits 5 Aktien zum Umtausch in eine Aktie der Hauptgesellschaft, nicht erst 13. BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 270/08, ZIP 2010, 2289 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 35 (Goslar).
Wird das Umtauschverhältnis durch eine Entscheidung im Spruchverfahren 1817 zugunsten der ausgeschiedenen Aktionäre neu festgesetzt, ändert sich damit auch die Mindestzahl von Aktien, die für eine Aktie benötigt wird. Das ursprüngliche Angebot entfaltet keine Sperrwirkung. BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 270/08, ZIP 2010, 2289 Rn. 12 ff., dazu EWiR 2011, 35 (Goslar).
Ein Aktionär, der seine Aktien in einzelne Pakete aufgeteilt, um anstelle der 1818 gesetzlich vorgesehenen Abfindung in Aktien soweit möglich eine Zahlung zu erhalten, kann aber nach einer Verbesserung des Umtauschverhältnisses im Spruchverfahren nicht statt der erschlichenen „Barabfindung“ Aktien verlangen. Er kann das Ergebnis des Spruchverfahrens nicht benutzen, um auf Kosten der Hauptgesellschaft zu spekulieren. Einen Anspruch auf die bestmögliche wirtschaftliche Verwertung seiner Aktien hat der Aktionär nicht. BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 270/08, ZIP 2010, 2289 Rn. 12 ff., dazu EWiR 2011, 35 (Goslar).
Der Abfindungsergänzungsanspruch der Aktionäre, die aufgrund der Ent- 1819 scheidung im Spruchverfahren erstmals statt einer baren Zuzahlung Aktien der Hauptaktionärin verlangen können, entsteht wie der regelmäßige Abfindungsergänzungsanspruch auf Leistung weiterer Aktien bei einer Verbesserung des Umtauschverhältnisses mit der Rechtskraft der Entscheidung im Spruchverfahren und verjährt damit wie dieser. Der regelmäßige Abfindungsergänzungsanspruch verjährt nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB in drei Jahren vom Schluss des Jahres an, in dem er entstanden ist und der Aktionär von
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M. Eingliederung
den anspruchsbegründenden Umständen – in der Regel der Entscheidung im Spruchverfahren – Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Abfindungs- und Abfindungsergänzungsanspruch können getrennt voneinander verjähren. BGH, Urt. v. 18.10.2010 – II ZR 270/08, ZIP 2010, 2289 Rn. 31 ff., dazu EWiR 2011, 35 (Goslar).
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N. Übertragung Nach § 327a Abs. 1 AktG kann die Hauptversammlung auf Verlangen des 1820 Hauptaktionärs, dem 95 % der Aktien gehören oder zuzurechnen sind, die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen. Dieses Hinausdrängen von Minderheitsaktionären ist unter dem Blickwinkel des Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Aktionäre dafür wirtschaftlich voll entschädigt werden. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG ist keine Enteignungsregelung i. S. d. Art. 14 Abs. 3 GG, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, muss mit der Möglichkeit eines Ausschlusses generell ein legitimer Zweck verfolgt werden. §§ 327a ff. AktG liegt ein solcher legitimer Zweck zugrunde. Minderheitsaktionäre können die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen gegen die Stimmenmehrheit des Hauptaktionärs zwar im Regelfall nicht verhindern. Bereits ihre Existenz bringt für den Hauptaktionär aber erheblichen Aufwand mit sich, der sich aus der Beachtung zwingender minderheitsschützender Normen ergibt. Unter Umständen sind Minderheitsaktionäre in der Lage, die vom Hauptaktionär als sinnvoll erachteten unternehmerischen Entscheidungen und Maßnahmen zu verzögern. BGH, Beschl. v. 25.7.2005 – II ZR 327/03, ZIP 2005, 2107 Rn. 2, dazu EWiR 2005, 845 (Linnarz); BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 8, dazu EWiR 2006, 673 (Goslar); BVerfG, Beschl. v. 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, ZIP 2007, 1261 Rn. 19, dazu EWiR 2007, 449 (von der Linden/Ogorek); BVerfG, Beschl. v. 19.9.2007 – 1 BvR 2984/06, ZIP 2007, 2121 Rn. 8, dazu EWiR 2008, 163 (Zetzsche).
Auch während der Liquidation der Aktiengesellschaft ist eine solche Über- 1821 tragung zulässig. BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 10; dazu EWiR 2006, 673 (Goslar); BVerfG, Beschl. v. 19.9.2007 – 1 BvR 2984/06, ZIP 2007, 2121 Rn. 10, dazu EWiR 2008, 163 (Zetzsche).
I. Verlangen eines Hauptaktionärs Ein Übertragungsverlangen ist nur wirksam, wenn dem Hauptaktionär Aktien 1822 in Höhe von 95 vom Hundert des Grundkapitals in dem Zeitpunkt gehören, in dem das Verlangen dem Vorstand der Gesellschaft zugeht. Es genügt nicht, wenn der erforderliche Aktienbesitz erst alsbald danach bei der Einberufung oder bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung erreicht ist. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 26, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
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N. Übertragung
1823 Für die Aktienmehrheit von 95 % kommt es nach dem Wortsinn, der Entstehungsgeschichte und der Systematik des § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG auf das sachenrechtliche Eigentum an. Ein Wertpapierdarlehen, welches als Sachdarlehen zu qualifizieren ist, vermittelt dem Darlehensnehmer Volleigentum an den „entliehenen“ Aktien, so dass dem Darlehensnehmer die Aktien i. S. v. § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG gehören. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 8 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
1824 In einem solchen Vorgehen liegt keine zur Nichtigkeit des Übertragungsbeschlusses führende Gesetzesumgehung, wenn dieses Vorgehen lediglich dem – mehr oder weniger vorübergehenden – Erreichen der Beteiligungsschwelle von 95 % dienen soll. Das Gesetz verlangt lediglich eine Kapitalmehrheit von 95 %, die auch durch Zurechnung gem. § 327a Abs. 2 i. V. m. § 16 Abs. 2, 4 AktG zustande kommen kann, und trifft keine Regelung über die erforderliche Art des Erwerbs dieser Beteiligung. Der Gesetzeszweck der §§ 327a ff. AktG besteht nicht darin, einem Hauptaktionär die dauerhafte Stellung als Alleinaktionär zu sichern, sondern im Interesse einer effizienten Unternehmensführung die Ausschließung einer kleinen Aktionärsminderheit mit einer Beteiligung von insgesamt bis zu 5 % aus der Gesellschaft (gegen volle Abfindung) zu ermöglichen, weil ihretwegen ein hoher „Formalaufwand“ betrieben werden muss und es ökonomisch keinen Sinn macht, derart kleine Minderheiten in der AG zu belassen. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 9 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
1825 Die Kapitalmehrheit muss nicht bei einem einzigen Rechtssubjekt konzentriert sein. Das Gegenteil ergibt sich aus der Zurechnungsnorm des § 327a Abs. 2 i. V. m. § 16 Abs. 4 AktG, der eine Zurechnung der von dem Hauptaktionär nur mittelbar gehaltenen Beteiligungen vorsieht. Danach kann auch durch Addition der Kapitalbeteiligungen des Hauptaktionärs und von ihm abhängiger Gesellschaften die Beteiligungsschwelle von 95 % erreicht werden, was ein aufwändiges „Umhängen“ der Beteiligungen zwecks Schaffung der formalen Voraussetzungen des § 327a AktG überflüssig macht. BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 10 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
1826 Einer sachlichen Rechtfertigung bedarf der Übertragungsbeschluss gem. § 327a AktG nicht. Der Gesetzgeber selbst hat die Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen, weshalb der Squeeze out seine Rechtfertigung in sich trägt. Der von einem unmittelbar oder mittelbar (vgl. § 327a Abs. 2 i. V. m. § 16 Abs. 4 AktG) wenigstens 95 % des Grundkapitals haltenden Hauptaktionär verfolgte Zweck, Behinderungen bei der Unternehmensführung einschließlich der Konzernführung durch die übrigen Inhaber von Klein494
II. Berichte und Gewährleistungserklärung
und Kleinstbeteiligungen zu vermeiden, ist grundsätzlich legitim, ohne dass es auf das Vorliegen zusätzlicher unternehmerischer Gründe im Einzelfall ankommt. BVerfG, Beschl. v. 30.5.2007 – 1 BvR 390/04, ZIP 2007, 1261 Rn. 21 f., dazu EWiR 2007, 449 (von der Linden); BVerfG, Beschl. v. 19.9.2007 – 1 BvR 2984/06, ZIP 2007, 2121 Rn. 8, dazu EWiR 2008, 163 (Zetzsche); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 14 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
II. Berichte und Gewährleistungserklärung Die notwendigen Unterlagen können auch nur in einem Geschäftsraum an 1827 dem Ort, an dem sich die Verwaltung der Gesellschaft befindet, ausgelegt werden, und müssen nicht am Satzungssitz ausgelegt werden. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09 –, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 16, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
§ 327c Abs. 2 Satz 1 AktG verlangt im Unterschied zu den Regelungsvorbildern 1828 der §§ 293a Abs. 1, 319 Abs. 3 Nr. 3 AktG sowie zu dem erweiterten Eingliederungsbericht nach § 320 Abs. 4 Satz 2 AktG keinen „ausführlichen“ Übertragungsbericht; dieser muss vielmehr die Voraussetzungen für die Übertragung und die Angemessenheit der Barabfindung schlüssig und plausibel darlegen. BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 17, dazu EWiR 2006, 673 (Goslar).
Gem. § 327c Abs. 2 Satz 3 AktG werden die sachverständigen Prüfer auf An- 1829 trag des Hauptaktionärs vom Gericht ausgewählt und bestellt. Unabhängig davon, ob hieraus sogar ein eigenes Vorschlagsrecht des Hauptaktionärs abzuleiten ist, ist ein solcher Vorschlag nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Gesetzes dem Hauptaktionär jedenfalls nicht verboten; denn dadurch wird die Unabhängigkeit der allein dem Gericht obliegenden Auswahl- bzw. Bestellungsentscheidung und damit zugleich die bestmögliche Gewähr für die Unabhängigkeit des Prüfers nicht tangiert. BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 13, dazu EWiR 2006, 673 (Goslar).
In der zeitlich mit der Aufstellung des Berichts durch den Hauptaktionär 1830 (§ 327c Abs. 2 Satz 1 AktG) einhergehenden „Parallelprüfung“ gem. § 327c Abs. 2 Satz 2 AktG liegt kein Verstoß gegen § 327c Abs. 2 Satz 4, § 293d Abs. 1 AktG, § 319 Abs. 3 HGB. BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 14;, dazu EWiR 2006, 673 (Goslar).
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N. Übertragung BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 32 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
1831 Die Gewährleistungserklärung nach § 327b Abs. 3 Satz 1 AktG für die Erfüllung der Verpflichtung des Hauptaktionärs muss nicht auch eine mögliche Erhöhung der Abfindung im Spruchverfahren umfassen. BGH, Beschl. v. 25.7.2005 – II ZR 327/03, ZIP 2005, 2107 Rn. 2, dazu EWiR 2005, 845 (Linnarz); BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 225/04, ZIP 2006, 2080 Rn. 14, dazu EWiR 2006, 673 (Goslar); BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = ZIP 2009, 908 Rn. 28 – Wertpapierdarlehen, dazu EWiR 2009, 327 (Grunewald).
1832 Dem Kreditinstitut darf nach der Gewährleistungserklärung nicht die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) oder ein vergleichbares Leistungsverweigerungsrecht zustehen, das zunächst auf eine Inanspruchnahme des Hauptaktionärs verweist. Ein Verweis darauf, erst den Hauptaktionär in Anspruch zu nehmen, widerspricht dem Zweck von § 327b Abs. 3 AktG, den Minderheitsaktionären durch einen unmittelbaren Anspruch gegen ein Kreditinstitut aus einer „Bankgarantie“ die Durchsetzung ihres Anspruchs gegen den Hauptaktionär zu erleichtern. Eine Leistungserklärung des Kreditinstituts für den Fall, dass der Hauptaktionär die festgelegte Barabfindung nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt, enthält aber keinen solchen Verweis auf eine vorrangige Inanspruchnahme. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 18 f., dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
III. Anfechtungsklage 1833 Selbst wenn der Übertragungsbeschluss vor Erhebung der Anfechtungsklage eingetragen wird und der Aktionär dadurch die Aktionärseigenschaft verliert (§ 327e Abs. 3 Satz 1 AktG), behält der Aktionär seine Anfechtungsbefugnis. Um den Minderheitsaktionär nicht rechtlos gegen die zwangsweise Übertragung seiner Aktien zu stellen, ist seine Mitgliedschaft in der beklagten Aktiengesellschaft, deren Erhaltung letztlich das Ziel der Klage ist, für diese Klage als fortbestehend anzusehen. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 6, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
1834 Der Bundesgerichtshof hat offengelassen, ob und inwieweit die Feststellung der Nichtigkeit (§ 241 Nr. 1 bis 4 AktG) oder die Nichtigerklärung des Übertragungsbeschlusses (§ 241 Nr. 5 AktG) zu einem automatischen Rückfall der Aktien auf die Minderheitsaktionäre und von selbst zum Wiederaufleben der mitgliedschaftlichen Rechte führen, wenn keine Freigabe erfolgt ist. Die Minderheitsaktionäre haben bei einem Erfolg ihrer Klagen jedenfalls einen
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IV. Angemessene Abfindung
Anspruch auf Wiedereinräumung ihrer Mitgliedschaftsrechte und Rückübertragung der Aktien durch den Hauptaktionär. Wie sich im Umkehrschluss aus § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 Satz 11 AktG ergibt, lassen Mängel des Übertragungsbeschlusses außerhalb eines Freigabeverfahrens seine Durchführung nicht unberührt und steht die Eintragung der Beseitigung ihrer unter anderem in der Übertragung liegenden Wirkungen nicht entgegen. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 9, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
Das Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage entfällt auch nicht, 1835 wenn die Rückübertragung der Aktien unmöglich geworden ist oder ein Freigabebeschluss ergangen ist, der eine Rückabwicklung ausschließt. Wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 319 Abs. 6 Satz 10 und 11 AktG ergibt, genügt es für den Fortbestand des rechtlichen Interesses an der Anfechtung des Übertragungsbeschlusses, dass der Erfolg der Klage Grundlage eines Schadensersatzanspruchs sein kann. Ein Erfolg der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bildet entsprechend § 327e Abs. 2 AktG, § 319 Abs. 6 Satz 8 AktG die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch. Die Gesellschaft hat klagenden Minderheitsaktionären den Schaden zu ersetzen, der aus der Eintragung entstanden ist, wenn sich die Beschlussmängelklage nach einer Eintragung aufgrund eines Beschlusses im Freigabeverfahren als begründet erweist. Ein solcher Anspruch besteht erst recht, wenn der Übertragungsbeschluss ohne vorangegangenes Freigabeverfahren eingetragen wurde und die Rückabwicklung der Übertragung nicht mehr möglich ist. BGH, Urt. v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055 Rn. 10, dazu EWiR 2011, 329 (Goslar).
IV. Angemessene Abfindung Der einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legende Börsenwert der 1836 Aktie ist grundsätzlich aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung einer Strukturmaßnahme zu ermitteln. Wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der Hauptversammlung ein längerer Zeitraum verstreicht und die Entwicklung der Börsenkurse eine Anpassung geboten erscheinen lässt, ist zum Schutz der Minderheitsaktionäre der Börsenwert entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung unter Berücksichtigung der seitherigen Kursentwicklung hochzurechnen. BGH, Beschl. v. 19.7.2010 – II ZB 18/09, BGHZ 186, 229 = ZIP 2010, 1487 Rn. 10 ff. – Stollwerck, dazu EWiR 2010, 509 (Wilsing/Paul); m. Bespr. Decher, ZIP 2010, 1673.
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O. Verschmelzung und Umwandlung I. Verschmelzung 1. Prozessuale Fragen Für Ansprüche, die sich aufgrund der Verschmelzung nach deren Durch- 1837 führung für und gegen die übertragende Gesellschaft ergeben, gilt diese als fortbestehend (25 Abs. 2 UmwG). Diese Ansprüche können nur durch einen besonderen Vertreter geltend gemacht werden (§ 26 Abs. 1 UmwG). Sinn dieser Regelung ist es, eine Häufung gleichartiger Prozesse zu vermeiden und eine einheitliche Entscheidung zu gewährleisten. Dieser Gesichtspunkt kommt dann nicht zum Tragen, wenn sich die Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft unter der alten Satzung wieder zusammengefunden haben, um durch ein neu bestelltes Vertretungsorgan die Unwirksamkeit der Verschmelzung geltend zu machen. In einem solchen Falle besteht weder ein Bedürfnis für die Bestellung eines besonderen Vertreters noch die Gefahr, dass über gleichartige Ansprüche uneinheitlich entschieden werden könnte. BGH, Urt. v. 21.10.1971 – II ZR 90/68, WM 1971, 1502, 1503 f.
Die übernehmende bzw. neu gebildete Gesellschaft tritt als Gesamtrechts- 1838 nachfolgerin materiell- und prozessrechtlich mit Ausnahme der von 25 UmwG umfassten Fälle an die Stelle der übertragenden Gesellschaft bzw. der sich vereinigenden Gesellschaften. Das gilt auch für die Rechtsverteidigung gegenüber einer Klage, mit der Aktionäre die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses geltend machen. § 28 UmwG, wonach eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Verschmelzungsbeschlusses der übertragenden Gesellschaft gegen den übernehmenden Rechtsträger zu richten ist, steht dem nicht entgegen. Es spricht nichts für die Annahme, dass nach dem Gesetz die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit anderer Hauptversammlungsbeschlüsse oder eines festgestellten Jahresabschlusses unzulässig sein soll. Die Vorschrift hat nur klarstellende Funktion über den Anfechtungsgegner, jedoch keine Ausschlussfunktion für die Geltendmachung sonstiger Rechte durch die Aktionäre. Diese können auch nicht auf § 249 Abs. 1 Satz 2 AktG verwiesen werden, da die Geltendmachung auf andere Weise als durch eine Nichtigkeitsklage die Wirkungen des § 248 AktG nicht erzielen und auch den Fristablauf gem. § 256 Abs. 6 Satz 2 AktG nicht verhindern kann. BGH, Urt. v. 3.11.1975 – II ZR 67/73, BGHZ 65, 230, 232 f.
Ist die Klage bereits vor Durchführung der Verschmelzung rechtshängig ge- 1839 worden, entspricht der prozessrechtlichen Stellung der übernehmenden bzw. neu gegründeten Gesellschaft aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge diejenige des Aktionärs, dessen Mitgliedschaft sich bei der übernehmenden bzw. neu gebildeten Gesellschaft fortsetzt. Eines besonderen Feststellungsinteresses bedarf es für diese Nichtigkeitsklage nicht. BGH, Urt. v. 3.11.1975 – II ZR 67/73, WM 1976, 12, 13 (insoweit in BGHZ 65, 230 nicht vollständig abgedruckt).
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O. Verschmelzung und Umwandlung
1840 Für Klagen Dritter gegen die Gesellschaft gilt, dass Prozesse nicht unterbrochen werden, wenn die Gesellschaft durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. Wird eine durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene GmbH während des Rechtsstreits auf eine AG verschmolzen, tritt diese entsprechend § 246 Abs. 1 ZPO ohne Unterbrechung des Verfahrens in den Prozess ein und wird entsprechend § 86 ZPO durch den bisherigen Prozessbevollmächtigten der GmbH „nach Vorschrift der Gesetze“ vertreten. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 155 = ZIP 2004, 92, 93, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
1841 Die Änderung der gesetzlichen Vertretungsverhältnisse führt dann nur zu einer Rubrumsberichtigung. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 155 = ZIP 2004, 92, 93, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
1842 Bei der Verschmelzung einer GmbH auf eine AG wird die AG gegenüber einer Klage des früheren Geschäftsführers der GmbH nicht vom Vorstand, sondern vom Aufsichtsrat vertreten. BGH, Urt. v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 155 = ZIP 2004, 92, 93, dazu EWiR 2004, 97 (Ziemons).
1843 Das Erlöschen eines Rechtsträgers im Zuge seiner Verschmelzung auf einen anderen Rechtsträger führt zum Erlöschen der Ämter der Organe. BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467 Rn. 3; BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, ZIP 2000, 508, 510.
1844 Das Amt des besonderen Vertreters erlischt daher mit der Verschmelzung des übertragenden Rechtsträgers auf einen anderen Rechtsträger. BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467 Rn. 3.
1845 Das führt dazu, dass eine Anfechtungsklage gegen einen Beschluss, mit dem seine Bestellung rückgängig gemacht wurde, gegenstandslos geworden ist. BGH, Beschl. v. 18.6.2013 – II ZA 4/12, ZIP 2013, 1467 Rn. 3.
2. Verschmelzungsbericht 1846 Der Vorstand kann im Verschmelzungsbericht die Ausführungen zu dem vorgeschlagenen Umtauschverhältnis nicht auf die Grundsätze beschränken, nach denen es ermittelt worden ist. Die Kenntnis der Bewertungsgrundsätze ermöglicht dem Aktionär noch nicht die Beurteilung, ob das Umtauschverhältnis sachlich angemessen ist. Die Funktion des Vorstandsberichts besteht darin, Vorgang und Hintergründe der Verschmelzung transparent zu gestalten, damit sich die Aktionäre ein Bild darüber machen und in Kenntnis dieser Umstände sachgerecht abstimmen können, ob die Verschmelzung wirtschaftlich zweckmäßig ist und den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Anordnung der Prüfung des Verschmelzungsvertrages ändert an dieser Beurteilung
500
I. Verschmelzung
nichts. Die Einschaltung der Verschmelzungsprüfer soll Gewähr dafür bieten, dass der Verschmelzungsvertrag vollständig ist, die in ihm enthaltenen Angaben zutreffen und die Bewertung der Unternehmen sowie das Umtauschverhältnis angemessen sind. Das Gesetz versteht die Pflichten zur Offenlegung und zur Prüfung als einander ergänzende – nicht aber beschränkende – Maßnahmen, mit denen der Schutz der außenstehenden Aktionäre so vollkommen wie möglich ausgestaltet werden soll. BGH, Urt. v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 297, 302 ff. = ZIP 1989, 980, dazu EWiR 1989, 843 (Hirte); BGH, Urt. v. 18.12.1989 – II ZR 254/88, ZIP 1990, 168, 170 f., dazu EWiR 1990, 321 (Timm); BGH, Urt. v. 29.10.1990 – II ZR 146/89, ZIP 1990, 1560 ff., dazu EWiR 1991, 9 (T. Keil).
3. Wirksamwerden der Verschmelzung Bei der Anmeldung der Verschmelzung zur Eintragung in das Handelsregister 1847 hat der Vorstand zu erklären, dass die Verschmelzungsbeschlüsse innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten worden sind oder dass die Anfechtung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist (§ 16 Abs. 2 UmwG). Diese gesetzlich vorgeschriebene Negativerklärung hat das Gesetz zum Anmeldungserfordernis gemacht. Liegt sie nicht vor, so hindert das die Eintragung der Verschmelzung. BGH, Beschl. v. 2.7.1990 – II ZB 1/90, BGHZ 112, 9 = ZIP 1990, 985, dazu EWiR 1990, 851 (Lutter).
Ist dem Registerrichter eine zweifelsfreie Beurteilung der Anfechtungsklage 1848 nicht möglich, sollte er zweckmäßigerweise das Eintragungsverfahren aussetzen. BGH, Beschl. v. 2.7.1990 – II ZB 1/90, BGHZ 112, 9, 25 f. = ZIP 1990, 985, dazu EWiR 1990, 851 (Lutter).
Da auch dies zu einer faktischen Registersperre für die Eintragung führt, hat 1849 der Gesetzgeber in § 16 Abs. 3 UmwG ein Freigabeverfahren eingeführt, in dem die Oberlandesgerichte abschließend entscheiden. Die Regelung einer variablen Gewinnbezugsberechtigung, nach der die Ak- 1850 tionäre der auf einen anderen Rechtsträger verschmolzenen Gesellschaft erst mit dem Jahr gewinnberechtigt werden, in dem die Verschmelzung wirksam wird, ist zulässig. Eine solche Regelung benachteiligt die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers nicht unangemessen. Auch zur Wahrung der Verschmelzungswertrelation muss das Gewinnbezugsrecht nicht bereits in dem Jahr entstehen, in dem die Verschmelzung vereinbart wird. BGH, Urt. v. 4.12.2012 – II ZR 17/12, ZIP 2013, 358 Rn. 12 ff., dazu EWiR 2013, 223 (Hoffmann-Theinert).
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O. Verschmelzung und Umwandlung
4. Differenzhaftung 1851 Bei einer Verschmelzung von Aktiengesellschaften im Wege der Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) mit Kapitalerhöhung der übernehmenden Gesellschaft (§ 69 UmwG) trifft die Aktionäre der beteiligten Rechtsträger im Fall einer Überbewertung des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers grundsätzlich keine verschuldensunabhängige Differenzhaftung. § 69 Abs. 1 Satz 1 UmwG bestimmt ausdrücklich, dass u. a. § 188 Abs. 2 AktG nicht anzuwenden ist. Damit entfällt auch dessen Verweisung auf § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG als Grundlage für eine Differenzhaftung. Die Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers erlangen ihre Mitgliedschaft in der übernehmenden AG – anders als bei einer „normalen“ Kapitalerhöhung – auch nicht durch Zeichnung der neuen Aktien, sondern durch den Verschmelzungsvertrag und übernehmen insbesondere auch keine Leistungspflicht hinsichtlich der „Sacheinlage“ i. S. v. § 36a Abs. 2 AktG. Ihnen fehlt damit eine Kapitaldeckungsverantwortung. BGH, Urt. v. 12.3.2007 – II ZR 302/05, BGHZ 171, 293 = ZIP 2007, 1104 Rn. 7 ff.
II. Umwandlung 1. Anfechtung bei Verletzung von Auskunfts- und Informationsrechten 1852 Die Anfechtung von Umwandlungsbeschlüssen regelt das Gesetz nur rudimentär. Klagen gegen die Wirksamkeit dieser Beschlüsse müssen innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben werden (§ 195 UmwG). Das Gesetz setzt demnach die Regelung über die Anfechtung von Beschlüssen nach den für die jeweilige Gesellschaftsform maßgebenden Vorschriften voraus. Für die AG ist das die Anfechtungsklage (§§ 243 ff. AktG). Insoweit gilt auch § 246 Abs. 1 AktG, so dass keine Anfechtungsgründe nach Ablauf der Anfechtungsfrist nachgeschoben werden können. BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, ZIP 2005, 1318, 1320.
1853 Im Umwandlungsrecht trifft das Gesetz die Anfechtung einschränkende Sonderregelungen. Eine Klage gegen die Wirksamkeit eines Umwandlungsbeschlusses kann nach § 195 Abs. 2 UmwG nicht darauf gestützt werden, dass die in dem Beschluss bestimmten Anteile an dem Rechtsträger neuer Rechtsform zu niedrig bemessen sind oder dass die Mitgliedschaft kein ausreichender Gegenwert für die Anteile oder die Mitgliedschaft bei dem formwechselnden Rechtsträger ist. Die jeweiligen Anteilsinhaber haben einen Anspruch auf Ausgleich durch bare Zuzahlungen gegen den Rechtsträger neuer Rechtsform (§ 196 UmwG). 1854 Der formwechselnde Rechtsträger hat Anteilsinhabern, die gegen den Umwandlungsbeschluss Widerspruch erklären, den Erwerb der umgewandelten Anteile gegen eine angemessene Barabfindung anzubieten (§ 207 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Der Umwandlungsbeschluss kann nicht mit der Begründung angefochten werden, das Angebot sei zu niedrig bemessen oder die Barabfindung
502
II. Umwandlung
sei im Umwandlungsbeschluss nicht oder nicht ordnungsgemäß angeboten worden (§ 210 UmwG). In all diesen Fällen verweist das Gesetz den Anteilsinhaber auf die Wahr- 1855 nehmung seiner Rechte in dem Spruchverfahren (§§ 196, 212, 305 UmwG). Der Ausschluss der Anfechtungsklage nach § 210 UmwG wegen zu niedriger Bemessung, des Fehlens oder der fehlenden Ordnungsmäßigkeit des Barabfindungsangebotes sowie die diesbezügliche Verweisung der außenstehenden Aktionäre in das Spruchverfahren erfasst auch die Verletzung der auf diese Einzelheiten bezogenen Berichts-, Informations- und Auskunftspflichten; eines Rückgriffs auf § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG bedarf es nicht. BGH, Urt. v. 18.12.2000 – II ZR 1/99, BGHZ 146, 179, 182 = ZIP 2001, 199, 200, dazu EWiR 2001, 331 (Wenger); BGH, Urt. v. 29.1.2001 – II ZR 368/98, ZIP 2001, 412, 413.
2. Umwandlung einer AG in eine GmbH Wird eine AG in eine GmbH umgewandelt, sind die Mitgliedschaftsrechte in 1856 der Zeit zwischen Eintragung der Umwandlung und der Kraftloserklärung der Aktien nach Aktienrecht und nicht nach § 15 Abs. 3 GmbHG übertragbar. § 247 UmwG besteht die AG von der Eintragung der Umwandlung an als GmbH weiter. Das Grundkapital ist zum Stammkapital, die Aktien sind zu Geschäftsanteilen geworden. Für den Umtausch der Aktien gegen Geschäftsanteile gelten § 73 Abs. 1 und 2 AktG, bei Zusammenlegung von Aktien § 226 Abs. 1 und 2 AktG über die Kraftloserklärung von Aktien sinngemäß (§ 248 Abs. 2 UmwG). Das ist jedoch kein Umtausch im gegenständlichen Sinne, weil die Aktie ihres Inhaltes als der Verkörperung einer Mitgliedschaft an einer AG entkleidet ist und über den Geschäftsanteil keine Anteilscheine ausgegeben zu werden brauchen. Vielmehr sind die nicht eingereichten Aktien für kraftlos zu erklären. Die an die Stelle der für kraftlos erklärten Aktien tretenden Geschäftsanteile hat die Gesellschaft für Rechnung der Beteiligten durch öffentliche Versteigerung zu verkaufen. Erst damit ist die Umwandlung der Aktien in Geschäftsanteile vollzogen. Aus diesem Grunde ist es gerechtfertigt, bis zu diesem Zeitpunkt die Mitgliedschaftsrechte an der umgewandelten Gesellschaft noch nach Aktienrecht zu übertragen, nicht aber die Regeln für die Übertragung von Geschäftsanteilen (§§ 15, 17 GmbHG) anzuwenden. BGH, Urt. v. 2.7.1956 – II ZR 124/55, BGHZ 21, 175, 177 f.
Bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH kann jeder Aktionär, der ge- 1857 gen die Umwandlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, innerhalb von zwei Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung der Umwandlung in das Handelsregister von der Gesellschaft gegen Übergabe seines Geschäftsanteils eine angemessene Barabfindung verlangen (§ 207 UmwG). Satzungsmäßige Verfügungsbeschränkungen stehen einer Veräußerung innerhalb dieser Frist nicht entgegen (§ 211 UmwG). Das gilt jedoch nur zugunsten der Ak-
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O. Verschmelzung und Umwandlung
tionäre, die gegen die Umwandlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt haben. Denn diese Regelung dient nicht nur dem Interesse der Gesellschaft, Anzahl und Umfang der zum Erwerb anstehenden Gesellschaftsanteile in Erfahrung zu bringen, um die dafür erforderlichen Mittel bereitzustellen, sondern sie soll auch dem Aktionär eine zusätzlichen Möglichkeit eröffnen, aus der Gesellschaft auszuscheiden. Dem Widerspruch kommt der Wert einer Erklärung des Gesellschafters zu, aus der Gesellschaft ausscheiden zu wollen. § 211 UmwG soll diesem Gesellschafter neben dem Anspruch auf Abfindung die Möglichkeit anderweitiger Anteilsveräußerung gewähren. Das setzt den Widerspruch voraus. BGH, Urt. v. 3.7.1989 – II ZR 5/89, BGHZ 108, 217, 218 f. = ZIP 1989, 1050, dazu EWiR 1989, 945 (Schiessl).
3. Umwandlung einer KGaA in eine AG 1858 Wird in der Jahresbilanz einer KGaA, die in eine AG umgewandelt worden ist, für einen Zeitraum, der vor der Umwandlung liegt, eine Rückstellung für „Umwandlungskosten“ in Höhe der Abfindungszahlungen an die persönlich haftenden Gesellschafter ausgewiesen, darf sich das nicht zu Lasten der Gewinntantieme eines Gesellschafters auswirken, der bereits vor dem Umwandlungsstichtag aus der Gesellschaft ausgeschieden ist. Für die Berechnung der Gewinntantieme kommt nach dem Zweck dieser Leistung nur eine normale, der periodischen Gewinnermittlung dienende Ertragsbilanz in Betracht, die das innerhalb eines Jahres erzielte Geschäftsergebnis zutreffend wiedergibt (§§ 242, 264 f. HGB, §§ 150 f. AktG). Posten, die über den Jahreserfolg nichts aussagen, haben für die Ermittlung des Gewinnanteils auszuscheiden. Bei der Umwandlung einer KGaA in eine AG erfolgt die Auseinandersetzung nach dem Recht der KGaA zwischen den ausscheidenden persönlich haftenden Gesellschaftern und der Gesamtheit der bisherigen Kommanditaktionäre als verbleibenden Gesellschaftern, die daher wirtschaftlich als künftige Aktionäre Träger der Abfindungsleistung sind. Rechtlich ist es die in neuer Form fortbestehende Gesellschaft (§§ 202 Abs. 1 Nr. 1, 247 Abs. 3 UmwG), nicht aber die bisherige KGaA. Denn sonst müssten die ausscheidenden persönlich haftenden Gesellschafter ihre eigene Abfindung mittragen. Ist die KGaA schon vor der Umwandlung bilanzmäßig mit einer Rückstellung in Höhe des Abfindungsbetrages belastet worden, kann das somit nicht auf Kosten der Gewinnbeteiligung eines persönlich haftenden Gesellschafters gehen, der vor dem Umwandlungsstichtag aus der KGaA ausgeschieden ist. BGH, Urt. v. 24.1.1974 – II ZR 128/71, WM 1974, 276, 278 f.
4. Umwandlung einer AG in eine KG 1859 Wird eine AG in eine KG umgewandelt (§ 20 UmwG, vgl. § 202 Abs. 1 Nr. 2 UmwG), entsteht aus den Aktien, die sich in einer Hand befinden, ein Gesellschaftsanteil. Handelt es sich dabei um den Anteil eines persönlich haf504
II. Umwandlung
tenden Gesellschafters, geht das Verwaltungsrecht eines Testamentsvollstreckers, das an den Aktien besteht, unter. Denn ein Testamentsvollstrecker kann diesen Anteil nicht verwalten, weil er den Erben ohne dessen Einverständnis nur im Rahmen des Nachlassvermögens verpflichten kann, nicht aber, soweit dieser – notwendigerweise – unbeschränkt haftet. BGH, Urt. v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106, 112 f.; BGH, Beschl. v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 195 = ZIP 1989, 1186, dazu EWiR 1989, 991 (Rowedder).
Verwandeln sich die Aktien in einen Kommanditanteil, so besteht das Ver- 1860 waltungsrecht des Testamentsvollstreckers fort, soweit es zuvor alle Aktien umfasst hat. Denn die Bedenken, die sich aus der persönlichen Haftung ergeben, bestehen hier nicht, da die Einlage geleistet ist (§ 171 Abs. 1 HGB). Die Ausnahmen, in denen – bei Zulässigkeit der Testamentsvollstreckung im Übrigen – der Erbe persönlich haftet und insoweit durch den Testamentsvollstrecker nicht verpflichtet werden kann, sind hier nicht gegeben. Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 196 f. = ZIP 1989, 1186, dazu EWiR 1989, 991 (Rowedder).
Von vornherein anders ist die Sachlage, wenn nur ein Teil der Aktien der 1861 Testamentsvollstreckung unterstand. In diesem Falle geht das Verwaltungsrecht des Testamentsvollstreckers unter, weil im Rahmen der Umwandlung ein einheitlicher Kommanditanteil entsteht und die Testamentsvollstreckung sich nicht auf einen Teil davon erstrecken kann. Eine Aufspaltung des einheitlichen Geschäftsanteils, bei dem ein Teil dem Erben (Gesellschafter) zur unbeschränkten Verfügung steht und der andere Teil der Testamentsvollstreckung unterliegt, ist aus Rechtsgründen unmöglich. BGH, Urt. v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106, 113; BGH, Urt. v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, BGHZ 101, 123, 129 = ZIP 1987, 1254; BGH, Beschl. v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 199 = ZIP 1989, 1186, dazu EWiR 1989, 991 (Rowedder).
Wird die bereits als Minderheitsaktionärin an der AG beteiligte 100 %-ige 1862 Tochtergesellschaft der Mehrheitsaktionärin zur Komplementärin der KG bestellt, während die Mehrheitsaktionärin ebenso wie die übrigen Minderheitsaktionäre die Rechtsstellung eines Kommanditisten erhält, so stellt dies grundsätzlich keinen zur Nichtigerklärung des Umwandlungsbeschlusses führenden Verstoß gegen das Gebot der Kontinuität der Mitgliedschaft, den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Verfolgung von Sondervorteilen oder die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht dar. Ein durch den Rechtsformwechsel von der Aktiengesellschaft zur GmbH & Co. KG allein der Mehrheitsgesellschafterin aufgrund der Steuergesetze entstehender Steuervorteil stellt keinen verbotenen Sondervorteil i. S. v. §§ 53a, 243 Abs. 2 AktG dar; vielmehr ist die sich aus der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von
505
O. Verschmelzung und Umwandlung
Kapital- und Personengesellschaften ergebende steuerrechtliche Rechtsfolge des Rechtsformwechsels von den Minderheitsgesellschaftern hinzunehmen. BGH, Urt. v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, ZIP 2005, 1318, 1320.
1863 Ist eine AG aus steuerlichen Gründen in eine kapitalistisch strukturierte KG umgewandelt worden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausschließung eines Gesellschafters wie bei der AG aus Rechtsgründen nicht möglich ist. Der kapitalistische Aufbau und Charakter der KG können nur insoweit berücksichtigt werden, als bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen geprüft wird, ob angesichts der aufgetretenen Zerwürfnisse eine andere, allen zumutbare Lösung möglich ist. BGH, Urt. v. 27.10.1955 – II ZR 310/53, BGHZ 18, 350, 361 f., 365.
5. Umwandlung einer KG in eine AG 1864 Die Umwandlung einer Personenhandelsgesellschaft in eine AG (§§ 40 f. UmwG a. F., vgl. §§ 190 f., 228 f. UmwG n. F.) hat zur Folge, dass das Vermögen der Personenhandelsgesellschaft einschließlich ihrer Verbindlichkeiten auf die AG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übergeht. Rechte und Pflichten aus Dienstverträgen, die von der umgewandelten Gesellschaft abgeschlossen worden sind, werden davon umfasst. 1865 Das gilt auch für die Anstellungs- und Versorgungsverträge der Organmitglieder von Kapitalgesellschaften (die umgewandelte KG hatte einen solchen Vertrag mit dem Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH abgeschlossen). Ob solche Verträge nur in dem Umfange auf eine AG übergehen, in dem das Aktienrecht (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG) deren Begründung zulässt, ist nicht entschieden worden. BGH, Urt. v. 19.12.1988 – II ZR 74/88, ZIP 1989, 294, 297, dazu EWiR 1989, 317 (Fleck).
1866 Die Barabfindung (vgl. §§ 207, 30 UmwG) bemisst sich für die Aktionäre, die aus der Gesellschaft ausscheiden, nach den Grundsätzen, die von Rechtsprechung und Schrifttum zur Abfindung eines aus einer Personengesellschaft ausscheidenden Gesellschafters entwickelt worden sind. Der Anteilswert ist auf der Grundlage des wirklichen Wertes des lebenden Unternehmens einschließlich der stillen Reserven und gegebenenfalls auch des „goodwill“ zu errechnen. Dieser ergibt sich im Allgemeinen aus dem Preis, der bei einer Veräußerung des Unternehmens als Einheit erzielt würde. BGH, Urt. v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130, 136 (OHG); BGH, Urt. v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, WM 1967, 479; BGH, Urt. v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH, Urt. v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, WM 1977, 781; BGH, Urt. v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, WM 1984, 1506;
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II. Umwandlung BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 370 f. = ZIP 1992, 237, dazu EWiR 1992, 321 (H. Wiedemann).
In der Regel ist der Wert durch Einholung eines Sachverständigengutachtens 1867 zu ermitteln. Die Entscheidung darüber, ob der Ermittlung des Unternehmenswertes die Ertragswertmethode oder eine andere anerkannte Methode zugrunde zu legen ist, obliegt im Prozessverfahren dem Tatrichter. BGH, Urt. v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, WM 1984, 1506; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 371 = ZIP 1992, 237, dazu EWiR 1992, 321 (H. Wiedemann); BGH, Urt. v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1162, dazu EWiR 1993, 769 (H. P. Westermann).
Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Ertragswertmethode heute vor- 1868 herrscht und dem Substanzwert sowie den in den bilanziellen Buchwerten steckenden stillen Reserven in der Regel nur noch mittelbare Bedeutung zukommt. BGH, Urt. v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, WM 1984, 1506; BGH, Urt. v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 371 = ZIP 1992, 237, dazu EWiR 1992, 321 (H. Wiedemann).
Zu einem Ausnahmefall von dieser Regel
1869
vgl. BGH, Urt. v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, ZIP 1993, 1160, 1162, dazu EWiR 1993, 769 (H. P. Westermann).
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P. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG) Gem. § 221 Abs. 3 AktG dürfen Genussrechte ebenso wie Wandel- und Ge- 1870 winnschuldverschreibungen nach Absatz 1 der Vorschrift nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden. Die Aktionäre haben auf diese Rechte ein Bezugsrecht. § 186 AktG, der das Bezugsrecht bei der Kapitalerhöhung regelt, gilt sinngemäß (§ 221 Abs. 4 AktG). Im Anhang zu dem gesetzlichen Jahresabschluss (§§ 242, 264 Abs. 1, 284 ff. HGB) sind Angaben über Genussrechte zu machen (§ 160 Abs. 1 Nr. 6 AktG). Bei der Verschmelzung sind den Genussscheininhabern der übertragenden Gesellschaften von der übernehmenden oder neu gebildeten Gesellschaft Rechte zu gewähren, die denen in den übertragenden Gesellschaften gleichwertig sind (§§ 23, 36 Abs. 1 UmwG). I. Begriff und Erscheinungsform des Genussrechts Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer AG gegen Einlagen kann nur 1871 durch die Gewährung von Aktien, nicht jedoch durch Berechtigungen wie Genussscheine eingeräumt werden. Das Genussrecht ist kein gesellschaftsrechtlich geprägtes Mitgliedschaftsrecht. Vielmehr gewährt es nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Gesellschaft. Der Genussrechtsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis eigener Art. BGH, Urt. v. 23.10.1958 – II ZR 4/57, BGHZ 28, 259, 265; BGH, Urt. v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 435; BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 309 f., 327 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 146 f. = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens).
Die Genussrechte werden in Genussscheinen verbrieft, die börsengängige 1872 Wertpapiere sind und die sich in bestimmten geldwerten Ansprüchen erschöpfen. Sie gewähren somit ein Vermögensrecht. BGH, Urt. v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 436; BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 309 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
Die Abgrenzung von anderen Rechtsverhältnissen bereitet häufig Schwie- 1873 rigkeiten. Vom stillen Gesellschaftsverhältnis unterscheidet sich das Genussrecht dadurch, dass es keine gemeinsame Zweckverfolgung zum Gegenstand hat. BGH, Urt. v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 436; BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 309 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38, 43 = ZIP 2003, 1788, 1789, dazu EWiR 2003, 1113 (Radlmayr).
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P. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG)
1874 Der Bundesgerichtshof ist als selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Vorschriften über den Teilgewinnabführungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) keine Anwendung finden und Schuldverschreibungen nicht vorliegen. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141 = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens).
II. Voraussetzungen der Ausgabe durch die AG 1. Inhalt des Hauptversammlungsbeschlusses 1875 § 221 Abs. 3 AktG verweist lediglich auf Absatz 1, der sich auf das Beschlussverfahren nach §§ 182 ff. AktG bezieht. Das Ermächtigungsverfahren nach §§ 202 ff. AktG ist nach der Regelung des Gesetzes (§ 221 Abs. 2 AktG) nur für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen vorgesehen. In der Praxis der Gesellschaften wird die Ausgabe von Genussscheinen auch im Ermächtigungsverfahren durchgeführt. Das ist in entsprechender Anwendung des § 221 Abs. 2 AktG zulässig. BGH, Urt. v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, ZIP 1994, 1857.
1876 § 221 Abs. 2 AktG sieht die Anwendung des Ermächtigungsverfahrens (§§ 202 ff. AktG) für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen vor. Das kann jedoch nicht – allein – auf der Erwägung beruhen, die Aktionäre müssten vor einer Veränderung der Beteiligungsstruktur der Gesellschaft geschützt werden, die bei einem späteren Umtausch der Schuldverschreibungen in Aktien eintrete. Nähme man das an, wäre es nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen das Gesetz nicht nur die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, sondern auch von Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten, die keine mitgliedschaftsrechtlichen Beteiligungen darstellen und die auch nicht in solche Rechte umgetauscht werden können, der Hauptversammlung vorgehalten hat. Der Zweck dieser Regelung kann nur in dem Schutz der Aktionäre vor einer Beeinträchtigung der vermögenswerten Rechte ihrer Beteiligung bestehen, BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 146 ff. = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens),
und damit vor einer Veränderung der Finanzstruktur der Gesellschaft. Ein solcher Schutz ist auch bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten im Ermächtigungsverfahren erforderlich. Die Ausgabe derartiger Titel ist daher auch nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 221 Abs. 2 AktG zulässig. BGH, Urt. v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, ZIP 1994, 1857.
2. Ausschluss des Bezugsrechts 1877 Das den Aktionären zustehende Recht auf den Bezug von Genussscheinen kann in entsprechender Anwendung des § 186 Abs. 3 AktG ausgeschlossen
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II. Voraussetzungen der Ausgabe durch die AG
werden. Auch der Ausschluss des Rechts auf den Bezug von Genussscheinen muss grundsätzlich durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt sein. Die Prüfung dieser sachlichen Wirksamkeitsvoraussetzung schließt ebenfalls eine Abwägung der Interessen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein. Einer sachlichen Rechtfertigung bedarf der Bezugsrechtsausschluss jedoch dann nicht, wenn die Genussrechte nach ihrer vertraglichen Ausgestaltung die vermögensrechtliche Stellung des Aktionärs nicht beeinträchtigen. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141 = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens).
Die Beeinträchtigung einer mitgliedschaftlichen Stellung durch Verschiebung 1878 von Stimmrechtsquoten scheidet bei Genussrechten aus. Denn die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer AG gegen Einlagen kann nur durch Aktien, nicht aber durch Berechtigungen wie Genussscheine eingeräumt werden. Das Genussrecht ist kein gesellschaftsrechtlich geprägtes Mitgliedschaftsrecht, das mit der Aktie verbundene, auf der Mitgliedschaft beruhende Verwaltungsrechte gewährt, sondern ein Recht, das sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch erschöpft. Der Verlust einer Sperrminorität oder der Verlust von Minderheitsrechten kommt unter diesen Umständen ebenfalls nicht in Betracht. BGH, Urt. v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434, 436; BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
Sind die Genussrechte aktienähnlich ausgestaltet, kann der Bezugsrechtsaus- 1879 schluss die vermögensrechtliche Position der Genussrechtsinhaber verschlechtern. Das kann den Anteil am Liquidationserlös betreffen, soweit die Genussscheinbedingungen einen solchen Anspruch geben; es kann eine Minderung der Gewinnbeteiligung herbeigeführt werden, wenn die Genussrechte einen vom Bilanzgewinn der Gesellschaft abhängigen Dividendenanspruch gewähren. Ist beides nicht der Fall und sind die Genussrechte insoweit obligationsähnlich ausgestaltet, bedarf der Bezugsrechtsausschluss unter diesen Gesichtspunkten keiner sachlichen Rechtfertigung. BGH, Urt. v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 146 ff. = ZIP 1992, 1728, dazu EWiR 1993, 323 (Martens).
3. Teilanfechtung bei Bezugsrechtsausschluss Die Frage, ob der Beschluss, mit dem der Vorstand ermächtigt wird, das 1880 Grundkapital unter Ausschluss des Bezugsrechts zu erhöhen, insgesamt oder ob nur der Teil über den Bezugsrechtsausschluss für nichtig zu erklären ist, ist nach § 139 BGB zu entscheiden. BGH, Urt. v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689 = WM 1982, 660, 662 (insoweit in BGHZ 83, 319 nicht abgedruckt).
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P. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG)
III. Die Genussscheinbedingungen 1881 Der Ausgabe von Genussscheinen legen die Gesellschaften Genussscheinbedingungen zugrunde. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass diese Bedingungen als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen sind. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, nach dem das Gesetz auf Verträge aus dem Gesellschaftsrecht keine Anwendung findet, umfasst keine Vereinbarungen über Genussrechte, weil sie keine gesellschaftsrechtlich geprägten Mitgliedschaftsrechte, sondern schuldrechtliche Gläubigerrechte sind. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 312 = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
1882 Die Genussscheinbedingungen unterliegen einer Inhaltskontrolle. Soweit sie aktienähnlich ausgestaltet sind, ist die Inhaltskontrolle auch an aktienrechtlichen Normen und Grundsätzen auszurichten. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 312 = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
1883 Soweit in den Genussscheinbedingungen der Begriff „Bilanzverlust“ verwendet wird, ist von einem solchen auch auszugehen, wenn er aus einer Geschäftstätigkeit herrührt, die rechtswidrig, satzungswidrig oder kaufmännisch schlechthin unseriös ist. Eine Unterscheidung in Verluste aus ordnungsgemäßen und nicht ordnungsgemäßen Geschäften und damit nach ihrer Herkunft ist in § 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AktG nicht vorgesehen. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Rechtsbegriffe sind in der Regel entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen, insbesondere wenn sie – wie hier der Begriff des Bilanzverlusts in den Genussscheinbedingungen – erkennbar auf eine gesetzliche Regelung Bezug nehmen. BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 24 ff., dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
1884 Eine Regelung, nach der im Falle der Herabsetzung des Grundkapitals, die ausschließlich dem Ausgleich von Wertminderungen und der Deckung sonstiger Verluste dienen soll, oder bei einem Bilanzverlust im entsprechenden Verhältnis und zu gleichen Bedingungen der Gesamtgrundbetrag des Genusskapitals herabgesetzt ist oder das Genusskapital daran teilnehmen soll, stellt keine unangemessene Benachteiligung der Genussrechtsinhaber i. S. d. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar. Da Begriff und Inhalt des Genussrechts gesetzlich nicht geregelt sind, muss sein Leistungsinhalt im Einzelnen vertraglich festgelegt werden. Wird eine Verlustbeteiligung zum Gegenstand einer nicht mitgliedschaftlichen Vereinbarung über Genussrechte gemacht, legen die Parteien im Rahmen der ihnen gesetzlich gewährten Gestaltungsfreiheit ihren Hauptleistungsinhalt fest. Eine solche den Hauptleistungsinhalt eines Rechtsverhältnisses festlegende Vereinbarung unterliegt keiner Inhaltskontrolle. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/92, BGHZ 119, 305, 313 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen);
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IV. Wiederauffüllung der Genussrechte nach Verlusten BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 29, dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
Dagegen unterliegt die Frage, ob eine einseitige Aufhebung oder Abände- 1885 rung von Genussrechten zulässig ist und ob den Genussrechtsinhabern bei der Herabsetzung des Genusskapitals Mitwirkungs- und Kontrollrechte einzuräumen sind, einer Inhaltskontrolle. Die Herabsetzung des Genusskapitals unterliegt nach aktienrechtlichen Grundsätzen keiner einseitigen Herabsetzung durch die Gesellschaft. Grundlage sind vielmehr die Genussscheinbedingungen, in denen die Herabsetzung vorgesehen ist und die ausdrücklich zum Gegenstand des zwischen Gesellschaft und Genussrechtsinhaber abgeschlossenen Begebungsvertrages gemacht worden sind. Die Durchführung einer derartigen Maßnahme beruht demnach auf einer ausdrücklichen Vereinbarung. Mitwirkungsrechte können Genussrechtsinhabern nicht eingeräumt werden, weil diese nur den Aktionären als Ausfluss ihrer mitgliedschaftlichen Beteiligung an der AG zustehen, eine solche Stellung den Genussrechtsinhabern aber nicht zukommt. Das gilt auch für das Anfechtungsrecht i. S. d. §§ 243 ff. AktG. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 317 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
Eine Vereinbarung, nach der die Herabsetzung des Genusskapitals an die 1886 Herabsetzung des Grundkapitals oder die Verminderung des Rückzahlungsanspruchs an den Bilanzverlust gekoppelt ist, verstößt nicht gegen das Transparenzgebot. Die Regelung, dass bei einer unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommenen Herabsetzung des Grundkapitals das Genusskapital im gleichen Verhältnis und zu gleichen Bedingungen herabgesetzt ist, ist für das Verständnis des typischerweise für den Abschluss derartiger Verträge in Betracht zu ziehenden Durchschnittsvertragspartners unmissverständlich. Ob und in welchem Umfang das Kapital herabzusetzen ist oder Verluste eintreten, folgt aus dem Gesetz. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 312 f., 318 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 29, dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
IV. Wiederauffüllung der Genussrechte nach Verlusten Eine Verpflichtung zur Wiederauffüllung der Genussrechte kann nicht aus 1887 § 216 Abs. 3 AktG oder §§ 23, 36 Abs. 1 Satz 1 UmwG hergeleitet werden, weil der diesen Vorschriften zugrundeliegende Rechtsgedanke, die mittelbare Beeinträchtigung gewinnabhängiger Rechte Dritter bei Grundlagenentscheidungen zu verhindern, auf den Fall der Herabsetzung von Genussrechtskapital nicht zutrifft, durch die das Genussrechtskapital unmittelbar betroffen wird. Auch wirtschaftlich können die Sachverhalte nicht verglichen werden: § 216 Abs. 3 AktG will die Schmälerung gewinnabhängiger Rechte Dritter durch Besserstellung der Aktionäre verhindern, § 23 UmwG will den Genussrechtsinhabern eine an ihren Verhältnissen gemessene, den Aktionären 513
P. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG)
der übertragenden Gesellschaften vergleichbare Rechtsposition gewähren. Bei der gleichmäßigen Herabsetzung von Grund- und Genusskapital verlieren Aktionäre und Genussrechtsinhaber ihre Rechte im gleichen Verhältnis. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 322 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen).
1888 Wenn der Fall, dass das Genusskapital bei zu hoch angenommenen Verlusten herabgesetzt wird, in den Genussrechtsbedingungen nicht geregelt ist, weist der Vertrag eine Lücke auf, die im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden muss. Das kann zu einem Zahlungsanspruch der Genussrechtsinhaber führen. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 325 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 29; dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
V. Schadenersatzanspruch bei fehlerhafter Geschäftsführung 1889 Der Bundesgerichtshof billigt den Genussscheininhabern Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung zu. Der Genussrechtsinhaber hat keine Mitwirkungsbefugnisse in der Gesellschaft wie ein Aktionär und kann daher gegen ein fehlerhaftes Vorstandshandeln nicht einschreiten. Er ist rechtswidrigen Einwirkungshandlungen auf sein gegenüber der Gesellschaft bestehendes Recht schutzlos ausgesetzt. Er stellt sein Kapital, wenn es haftungsrechtlich dem Einlagekapital gleichstehen soll, der Gesellschaft aber in der erkennbaren Erwartung zur Verfügung, dass sich ihre Geschäfte im Rahmen des von der Satzung vorgegebenen Unternehmensgegenstandes bewegen und das Kapital nicht durch eine Geschäftstätigkeit gefährdet wird, die schlechterdings kein seriöser Kaufmann durchführen würde. Bei Verletzung der Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genusskapitals zu unterlassen, entsteht eine Schadenersatzpflicht der Gesellschaft, allerdings mit Rücksicht auf die mit dem Genusskapital verbundenen Besonderheiten nur unter eingeschränkten Voraussetzungen. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 327 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 22 und 37, dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
1890 Die Gesellschaft haftet den Genussscheininhabern allerdings nicht für jedes Versehen und jede Fehlentscheidung Sie haftet ihnen auch nicht für jede Tätigkeit, die fahrlässig außerhalb des Unternehmensgegenstandes entfaltet wird. Die Haftung der Gesellschaft gegenüber den Genussscheininhabern entspricht nicht der Haftung der Vorstände gegenüber der Gesellschaft nach § 93 AktG für fehlerhafte Geschäftsführung, sondern ist an engere Voraussetzungen geknüpft. Die Gesellschaft haftet danach für eine Tätigkeit außerhalb des Unternehmensgegenstandes, die ein seriöser Kaufmann, der die ihm
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V. Schadenersatzanspruch bei fehlerhafter Geschäftsführung
mit dem Unternehmensgegenstand gezogenen Grenzen grundsätzlich beachtet, schlechterdings nicht durchführen würde. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 326 ff. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 22; dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
Die in § 10 Abs. 5 KWG a. F. enthaltenen aufsichtsrechtlichen Regelungen 1891 über die Voraussetzungen einer Zurechnung des Genussrechtskapitals zum Ergänzungskapital bzw. haftenden Eigenkapital haben für den Schadensersatzanspruch keine Sperrwirkung. Eine unmittelbare Wirkung auf zivilrechtliche Vereinbarungen haben die aufsichtsrechtlichen Vorschriften zum Eigenkapital nicht. Ein aufsichtsrechtliches Verbot, die Minderung der Rückzahlungsansprüche auszugleichen oder Schadensersatz zu leisten, kann trotz des Hinweises in § 8 der Genussscheinbedingungen auf § 10 Abs. 5 Satz 3 und 4 KWG bzw. der Kenntnis der Genussscheininhaber von der Funktion als haftendes Eigenkapital nicht als konkludente Vereinbarung zwischen Gesellschaft und Genussscheininhabern über eine Haftungsbegrenzung oder einen Haftungsausschluss verstanden werden. Nachteile bei der Berechnung des haftenden Eigenkapitals der Gesellschaft sind ein Risiko, das bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht der Genussscheininhaber, sondern die Gesellschaft zu tragen hat. BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 36; dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
Wenn die – nach den Grundsätzen der Herabsetzung von Grundkapital – vor- 1892 genommene Herabsetzung des Genusskapitals bzw. des Rückzahlungsanspruchs wirksam geworden ist oder gar zum Verlust der Genussrechte geführt hat, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Wiederauffüllung im Wege der Naturalrestitution. Der Schaden ist zwar mit der Minderung des Nennbetrags des Rückzahlungsanspruchs bzw. der Herabsetzung des Genusskapitals eingetreten. Der Ersatzanspruch geht aber, solange das Genussrecht nicht wegfällt, zunächst nur auf Wiederauffüllung des Rückzahlungsanspruchs/ Genusskapitals im Wege der Naturalrestitution (§ 249 BGB) und wandelt sich erst dann, wenn die Gesellschaft bis zum Ablauf der Laufzeit der Genussrechte den Rückzahlungsanspruch nicht wieder aufgefüllt hat, in einen Zahlungsanspruch (§ 251 BGB). BGH, Urt. v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 44; dazu EWiR 2014, 441 (Bracht).
Dem Begehren, die Genussscheine aufzufüllen, kann die Gesellschaft bei 1893 Herabsetzung auf Null nur dadurch nachkommen, dass sie neue Genussscheine begibt. Die Entscheidung über die Ausgabe von Genussrechten setzt die Berücksichtigung vielfältiger wirtschaftlicher Gesichtspunkte und Überlegungen voraus und bedarf einer gründlichen Prüfung. Der Bundesgerichtshof hat es abgelehnt, der Gesellschaft unter Eingriff in die Entscheidungsauto-
515
P. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 und 4 AktG)
nomie der Hauptversammlung eine derart weitreichende wirtschaftliche Maßnahme durch Urteil aufzuzwingen. Daher besteht auch in diesem Fall nach § 251 BGB nur ein Anspruch auf Entschädigung in Geld. An einer Kapitalerhöhung nach Kapitalherabsetzung sind die Genussscheine daher nicht unmittelbar beteiligt. BGH, Urt. v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 333 f. = ZIP 1992, 1542, dazu EWiR 1993, 3 (Hammen); BGH, Beschl. v. 23.1.2006 – II ZR 186/04, ZIP 2006, 2171 Rn. 6.
VI. Genussscheine nach einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 1894 Schließt eine Gesellschaft, die Genussscheine begeben hat, als abhängige Gesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ab, sind die Genussscheinbedingungen an die neu geschaffene Lage dergestalt anzupassen, dass jedenfalls in den Fällen, in denen bei Abschluss des Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrages davon auszugehen ist, dass die abhängige Gesellschaft in der Zukunft bis zum Ende des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ohne den Vertrag genügend Gewinn ausgewiesen hätte, um die Genussrechte bedienen zu können, sie dies auch nach Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages tun muss, ohne dass es auf die dann ausgewiesenen (fiktiven) Gewinne oder Verluste ankommt; sie darf dann auch den Rückzahlungsanspruch nicht kürzen. BGH, Urt. v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, BGHZ 197, 284 = ZIP 2013, 1570 Rn. 19, dazu EWiR 2013, 533 (Priester); m. Bespr. Renner/Engel, ZIP 2013, 2436.
516
Stichwortverzeichnis
Abberufung des Vorstands
418 ff. – Widerruf aus wichtigem Grund 418 ff. – Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung 421 ff. – Vertrauensentzugs durch den Mehrheitsaktionär 423 Abschlussprüfer 1262 ff. Abwickler 1117 ff. Aktionär – Alleinaktionär 1376 – Auskunftsrecht 1394 – Einberufungsverlangen 1391 Amtslöschung 1539 Anfechtbarer Beschluss – Abhängigkeitsbericht 1592, 1788 – Ankündigungsfehler 1378 – Auflösung 1602 – Aufsichtsratswahl 1385, 1581 – Aufsichtsratsbericht 1576 – Auskunftserzwingungsverfahren 1645 – Bekanntmachungsfehler 1384 – Bestätigung 1616 ff. – Durchführungsfehler 1568 – Einberufungsfehler 1375, 1563 – Entlastungsbeschluss 1573, 1587 – Entsprechenserklärung 1593 – Gewinnverwendungsbeschluss 1584 – Interessenkonflikt 1597 – Lagebericht 1580, 1590 – Relevanz 1380, 1567, 1570 ff. – Sondervorteile 1603 – Stimmrechtsmissbrauch 1531, 1585 – Teilnahmebedingungen 1379 – Widerspruch 1540 – Zählfehler 1564 – Zustimmung 1543
Anfechtungsklage 1540 ff. – Anfechtungsbefugnis 1540 ff., 1833 – Anfechtungsfrist 1548 ff., 1634 – Anfechtungsgrund 1560 ff., 1639 – Aussetzung 1625 – Erledigungserklärung 1623, 1638 – Gebühren 1680 – Insolvenz 1547, 1549 – Kostenentscheidung 1677 – Kostenvorschuss 1556 – Missbrauch 1607 – Nebenintervention 1664 ff. – Rechtsverlust 1546 – Rechtsschutzinteresse 1652, 1660 – Streitgegenstand 1630 – Streitgenossenschaft 1635 – Streitwert 1672 – Teilurteil 1632, 1636, 1651 – Übertragung der Aktie 1657 – Veräußerung der Aktie 1656 – Widerspruchserfordernis 1540 – Zustellung 1551 Anstellungsverhältnis des Vorstands 453 ff. – Angebot einer anderweitigen Tätigkeit 444 f. – Annahmeverzug der Gesellschaft 565 ff. – arbeitsrechtliche Vorschriften 453 ff. – Beendigung 482 ff., s. a. Kündigung – Dienstvertrag 453 – Diskriminierungsschutz nach dem AGG 460 ff. – Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats 467 ff.
517
Stichwortverzeichnis
– Geschäftsbesorgung 453 – Gestaltungsfreiheit 465 ff. – Kündigungsschutzgesetz 455, 465 ff. – Kündigung des Anstellungsvertrags s. Außerordentliche Kündigung und Ordentliche Kündigung – persönliches und wirtschaftliches Schutzbedürfnis 456 ff. – rechtliche Einordnung 453 ff. – stillschweigende Verlängerung 470 – Tantieme 472 ff. – Treue- und Fürsorgeanspruch 481 – Umwandlung 478 ff. – Vergütung 470a ff. – Verhältnis zur Organstellung 433 ff., s. a. Organstellung und Anstellungsvertrag Aufbringung des Grundkapitals s. Kapitalaufbringung Auflösung 1602, 1730 Aufsichtsrat – Abschlussprüfer 1262 ff. – Aufsichtsratsbericht 1272 ff., 1387, 1576 – Auskunft 1409, 1429 – Beendigung der Mitgliedsstellung 1159 ff. – Beratungsverträge 1306 ff. – Beschlussvorschläge 1381 – Einsichtnahme geschäftlicher Unterlagen durch Sachverständige 1269 ff. – Entsendungsrecht 1141 ff. – Ersatzmitglieder 1145 ff. – Haftung 1339 ff. – Klagebefugnis 1339 ff. – persönliche Voraussetzungen 1129 ff. – Pflichten 1339 ff.
518
– Überwachungs- und Kontrollaufgabe 1234 ff. – Verfolgung von Ansprüchen gegen den Vorstand 1247 ff. – Vertretung gegenüber Vorstandsmitgliedern 600 f., 1275 ff. – Wahl 1132 ff., 1525, 1581, 1622 – Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters 1155 ff. – Zusammensetzung 1123 ff. – Zustimmungsvorbehaltes, § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG 1255 ff. Aufsichtsratsausschüsse 1213 ff. – Beschlussfassung 1222 ff. – Grenzen der Zuständigkeit 1219 – Mitbestimmungsgesetz 1229 ff. – Mitgliederzahl 1214 – nicht ordnungsgemäß besetzte Ausschüsse 1215 ff. – Zusammensetzung 1222 ff. Aufsichtsratsbeschlüsse 1160 ff. – Aufsichtsratsmitglied als Dritter 1186 ff. – Ausführung des Beschlusses 1168 ff. – Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats 1175 ff. – Dritte bei Aufsichtsratssitzungen 1181 ff. – Fehlerhaftigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen 1193 ff. – Form der Entscheidung 1160 ff. Ausgabebetrag 1707, 1714 Ausgliederung 1691 Auskunftserzwingungsverfahren 1442 ff., 1645 Auskunftsrecht 1394 ff. – Aufsichtsrat 1409, 1429 – Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 1411, 1433
Stichwortverzeichnis
– – – –
Beteiligungen 1413 eigene Aktien 1410 Entlastung 1405, 1573 Erforderlichkeit der Auskunft 1400 ff. – Form 1419 – Nachfragepflicht 1418, 1438 – Relevanz 1570 ff. – Umfang 1415 – Verschmelzung 1579 – Verweigerung 1424 ff. – Vorbereitung 1416 – Vorlage von Unterlagen 1421 Außenhaftung des Vorstands 761 ff. – Anbahnung von Vertragsverhandlungen 765 ff. – Delikt 792 ff. – Garantenpflicht, keine 761 – Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens 765 ff. – Insolvenzverschleppung 1013 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Rechtsscheinhaftung des Handelnden 775 ff. – Schutzgesetz 794 ff. – Wettbewerbsverstöße 810 ff. – wirtschaftliches Eigeninteresse 765 ff. Außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags 485 ff. – Abmahnung 505 ff. – Abwägung 487 ff. – Angabe von Kündigungsgründen 531 ff. – Anhörung 504 – Annahmeverzug der Gesellschaft 565 ff. – arbeitsrechtliche Vorschriften 453 ff. – Ausschlussfrist 511 ff. – Beginn der Ausschlussfrist 511 ff. – Beweislast 545 ff.
– Diskriminierungsschutz nach dem AGG 460 ff. – Einschränkung des Kündigungsrechts 509 f. – Erklärungsfrist 511 ff. – gerichtliche Überprüfung 535 ff. – Gesamtverhalten als Kündigungsgrund 526 – geschäftspolitische Gründe 500 – innergesellschaftliche Kompetenzordnung 495 – Insolvenzantragspflicht 494 f. – Interessenabwägung 487 ff. – Kenntnis der Kündigungsgründe 514 – Kenntnis von strafbaren Umständen 527 – Kenntnis von vertragsverletzenden Umständen 527 – Kenntnisträger 514 ff. – Kenntnisumfang 523 ff. – Kündigungsschutzgesetz 455, 465 ff. – Nachschieben von Kündigungsgründen 538 ff. – nichtverschuldete Gründe 493 – Organpflichten 494 – Streitwert 576 – Umdeutung 559 – Verdachtskündigung 501 ff. – Verhaltensanforderungen 548 – Versorgungsanspruch 549 – wichtiger Grund – Allgemeines 485 ff. – wichtiger Grund – Einzelfälle 494 ff.
Bareinlage
106 ff. – Ausschluss säumiger Aktionäre 133 – Aufrechnungsverbot 149 ff. – Cash-Pool 285 ff., s. a. gesondertes Stichwort
519
Stichwortverzeichnis
– Debetkonto 144 ff. – Fälligkeit der Bareinlage 124 ff. – Haftung der Vormänner 134 – Hin- und Herzahlen 256 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Leistung zur endgültig freien Verfügung 106 ff. – Sacheinlage 167 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Unterbilanzhaftung 108 ff. – Unversehrtheitsgrundsatz 107 ff. – Verlustdeckungshaftung 108 ff. – verdeckte Sacheinlage 191 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Vergleich über die Einlageforderung 163 ff. – Verjährung des Einlagenanspruchs 336 ff. – Verwendungsabsprachen 135 ff. – Vorbelastungshaftung 108 ff. – Vorbelastungsverbot 90, 107 ff., 119 – Zahlung an Gesellschaftsgläubiger 139 ff. – Zahlung auf ein Bankkonto 142 ff. – Zinsen 128 ff. Beendigung der Organstellung 418 ff. – Abberufung 418 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Amtsniederlegung 435 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Widerruf s. Abberufung Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 1795 ff. – Abfindung 1804 – Abfindungszinsen 1809 – Abschluss 1795 – Ausgleich 1796, 1809 – Auskunftsrecht 1411
520
– Genussrechte 1795, 1894 – Verlustausgleich 1813 Belegschaftsaktien 1712 Beschlussfeststellungsklage 1624, 1641 ff. Bestätigungsbeschluss 1616 ff. Bestellung des Vorstands 414 ff. – Bestellung in der Vor-AG 55 – Bestelldauer 414 ff. – einverständlicher Amtsniederlegung 415 – Vorstandsdoppelmandate 416 f. – Wiederholte Bestellung 414 f. Betroffenheit der Aktionäre 746 ff.
Cash-Pool
285 ff. Hin- und Herzahlen 290 f. kein Sonderrecht 285 Rechtsfolgen 296 ff. teilweise verdeckte Sacheinlage 292 – verdeckte Sacheinlage 288 f. – Zahlungen aus dem Cash-Pool 293 ff. Corporate Governance Kodex 1593 – – – –
Delisting
1698
Eigene Aktien – Auskunftsrecht 1410 Einberufung der Hauptversammlung 1373 ff. – Aufsichtsratswahl 1383 – Bekanntmachung 1379 – Beschlussvorschläge 1381 – durch Aktionär 1391 – Einladung 1377 – Ermächtigung 1393 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 1374 – Tagesordnung 1377 – Teilnahmebedingungen 1379 – Zeit und Ort 1377 – Zuständigkeit 1373
Stichwortverzeichnis
Eingliederung 1816 ff. Einmann-Gesellschaft 1502 Entlastung 1503 – Auskunftsrecht 1405 – Einzelentlastung 1450, 1503 – Gesamtentlastung 1450, 1503 Erhaltung des Grundkapitals s. Kapitalerhaltung
Faktische Beherrschung
1768 ff. – Abhängigkeitsbericht 1788 – Abhängigkeitsfolge 1777 – herrschendes Unternehmen 1768 – Nachteil 1771 – Nachteilsausgleich 1782 – Nachteilszufügung 1606, 1770 – Schadensersatz 1785 – upstream Darlehen 1773 Feststellungsklage 1715 Fragerecht s. Auskunftsrecht
Genehmigtes Kapital
1708 Genussrechte 1795, 1870 ff. – Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag 1894 – Bezugsrechtsausschluss 1877 – Genussscheinbedingungen 1881 ff. – Schadensersatzanspruch 1889 – Wiederauffüllung 1887 Gesellschaftervereinbarungen (Nebenvereinbarungen, schuldrechtliche Nebenabreden oder side-letters) 37 ff. – Anfechtung 47 ff. – Begriff 37 – Form 45 – Nebenabrede mit der AG 50 f. Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts 324 f. Gründer der Gesellschaft 1 Grundlagengeschäfte 1684 ff.
Haftung des Vorstands s. Vorstandshaftung Hauptversammlung 1373 ff. – Abstimmung 1478 – Auskunft s. Auskunftsrecht – Dauer 1459 – Debattenschluss 1462 – Einberufung s. Einberufung der Hauptversammlung – Ergänzungsverlangen 1391 – Gegenantrag 1392 – Hauptversammlungsort 19 ff. – Leitung 1449 ff. – Niederschrift 1464 ff. – Ordnungsmaßnahmen 1451 ff. – Protokoll 1464 ff. – Protokollabschriften 1472 – Redezeitbeschränkung 1461 – Saalverweis 1453 – Stimmauszählung 1466 – Tonaufzeichnung 1471 – Widerspruch 1468 – Wortentzug 1453 – Wortprotokoll 1470 Heilung nichtiger Beschlüsse 1535 ff. Herrschendes Unternehmen 1768 Hin- und Herzahlen 256 ff. – Befreiung von der Einlageschuld 275 ff. – Her- und Hinzahlen 260 – keine personelle Identität 272 – ARUG 265 ff. – nachträgliche Erfüllung 279 ff. – Tatbestand 257 ff. – Vor-Absprache 273 f. Höchststimmrecht 1729
Innenhaftung des Vorstands 602 ff. – Anstellungsvertrag 606 – Beginn der Haftung 603 f. – Berater 687 ff.
521
Stichwortverzeichnis
– Betroffenheit der Aktionäre 746 ff. – Beweislast 706 ff. – Buchführungspflicht 629 – business judgement rule 651 ff. – Ende der Haftung 608 f. – Entlastung durch Berater 687 ff. – Entlastung durch die Hauptversammlung 687 ff. – Entsprechenserklärung 673 ff. – faktisches Organmitglied 610 ff. – gefahrengeneigte Arbeit 455 – Geschäftschancenlehre 730 ff., s. Wettbewerbsverbot – Kassen- oder Warenfehlbestand 713 ff. – Kompetenzverstoß 643a – Mitverschulden 683 ff. – objektiver Verschuldensmaßstab 679 – Passivlegitimation 603 ff. – Pflichten der Vorstandsmitglieder 620 ff. – Pflichtverletzung durch Dritte 615 f. – Prokurist 614 – rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft nach außen 625 – Rechtsirrtum 687 ff. – Reflexschaden 750 ff. – Schaden 694 ff. – Schweigepflicht 662 ff. – Sorgfaltsmaßstab 679 ff. – Übernahme von Geldstrafen 1107 ff. – unternehmerisches Ermessen 651 ff. – Verhältnis der Organhaftung zu anderen Haftungsgrundlagen 617 ff. – Verjährung 700 ff. – Verschulden 679 ff.
522
– Wettbewerbsverbot 716 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat 667 ff. Insolvenzverschleppung, Zahlungsverbot 1013 ff., 899 ff. – Abgrenzung Alt- oder Neugläubiger 1014 ff. – Altgläubigerschaden 1023 ff. – Anfechtbarkeit der Zahlung 996 ff. – Aktiventausch 985 ff. – Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs 959 f. – Bank als Neugläubigerin 1020 f. – Beginn des Zahlungsverbots 920 f. – Beobachtung der wirtschaftlichen Lage 948 ff. – Darlegungs- und Beweislast 941 f., 971 ff., 1057 – Delikt 1069 ff. – Einberufung der Hauptversammlung 897 – entgangener Gewinn 1036 – fachkundige Beratung 954 f. – Fortbestehensprognose 877 ff. – Geltendmachung des Anspruchs 904, 1051 – Gesellschaft als Geschädigte 1052 – Handelsbilanz 885 f. – Indizien 828 ff. – interne Geschäftsaufteilung 945 – Insolvenzreife 814 ff. – Insolvenzverursachungshaftung 1005 ff. – Liquiditätsbilanz 841 ff. – negatives Interesse 1031 ff. – Neugläubigerschaden 1030 f. – Normadressat des Zahlungsverbots 911 ff. – Patronatserklärung 891 ff.
Stichwortverzeichnis
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
„Passiva II“ 844 Pflichtenkollision 962 ff. Quotenschaden 1023 ff. rechnerische Überschuldung 885 f. Rechtsverfolgungskosten 1040 Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht 1039 f. Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns 943 ff. Überschuldungsbegriff, einstufiger 868 Überschuldungsbegriff, zweistufiger 867, 870 ff. Überschuldungsbilanz 878, 885, 888 ff. ungekürzte Erstattung 978 ff. Veranlassung der Zahlung 938 f. Verjährung 976 f., 1067 f. Verschulden 943 ff., 1064 f. Vertrauensschaden 1031 ff. Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht 1053 ff. Wiederaufnahme von Zahlungen 835 f. Zahlungen an Aktionäre 1005 ff. Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife 917 ff. Zahlungseinstellung 816 ff. Zahlungsstockung 832 f., 860 ff. Zahlungsunfähigkeit 815 ff., 840 ff.
Jahresabschluss
1749 ff.
Kapitalaufbringung
106 ff. – Aufrechnungsverbot 149 ff. – Bareinlage 106 ff., s. gesondertes Stichwort – Cash-Pool 285 ff., s. a. gesondertes Stichwort
– Fälligkeit der Bareinlage 124 ff. – Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts 324 f. – Hin- und Herzahlen 256 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Sacheinlage 167 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Unterbilanzhaftung 108 ff. – Unversehrtheitsgrundsatz 107 ff. – Verlustdeckungshaftung 108 ff. – verdeckte Sacheinlage 191 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Vergleich über die Einlageforderung 163 ff. – Verjährung des Einlagenanspruchs 340 ff. – Verwendungsabsprachen 135 ff. – Vorbelastungshaftung 107 ff. – Vorbelastungsverbot 90, 107 ff., 119 – Zahlung an Gesellschaftsgläubiger 139 ff. – Zahlung auf ein Bankkonto 142 ff. Kapitalerhaltung 340 ff. – „Abkauf“ einer Anfechtungsklage 365 ff. – Dritter als Leistungsempfänger 371 ff. – Mittels- oder Strohmann 377 f. – nahe Angehörige 386 ff. – Nießbraucher 385 – Pfandgläubiger 384 – stiller Gesellschafter 379 ff. – Treuhänder 375 f. – verbundene Unternehmen 389 ff. – drittgleiche Umsatzgeschäfte 356 – Einlagenrückgewähr 342 ff.
523
Stichwortverzeichnis
– – – –
Empfänger der Leistung 366 ff. Jahresüberschuss 410 Leistung an Aktionäre 366 ff. „November“-Rechtsprechung 354 ff. – Rechtsnatur des Rückgewähranspruchs 406 ff. – Rückgewähranspruch nach § 62 AktG 398 ff. – Rückgewähranspruch, keine Aufrechnung 403 Kapitalerhöhung 301 ff., 1702, s. a. ergänzend die Stichworte bei Kapitalaufbringung – Erfüllungsanspruch des Übernehmers 436 – Bezugsrechtsausschluss 301 ff. – Thesaurierungsgebot 119 ff. – Unversehrtheitsgrundsatz 119 – Voreinzahlung 308 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Zahlung auf ein Bankkonto 142 ff. Kapitalherabsetzung 1721 Kapitalmehrheit 1481 Kommanditgesellschaft auf Aktien 1764 ff. – Einberufung der Hauptversammlung 1374 – GmbH als Komplementärin 1764 Kündigung des Anstellungsvertrags s. Außerordentliche Kündigung und Ordentliche Kündigung
Liquidator
1117 ff.
Mantelgründung s. Vorratsgründung
Nachteilsausgleich 1528 Nachteiliges Rechtsgeschäft 1770 Nebenvereinbarungen s. Gesellschaftervereinbarungen 524
Nichtiger Beschluss 1520 ff. – Amtslöschung 1539 – Ankündigungsfehler 1378 – Aufsichtsratswahl 1525 – Bestätigung 1618 – Beurkundungsmangel 1464 ff. – Einberufungsfehler 1375, 1522 – Heilung 1535 ff. – SE 1520 – Sittenwidrigkeit 1529 – Stimmrechtsmissbrauch 1531 – Wesen der Aktiengesellschaft 1524 Nichtigkeitsklage – Streitgegenstand 1630 – Teilurteil 1632
Ordentliche Kündigung
483 ff. – arbeitsrechtliche Vorschriften 453 ff. – Annahmeverzug der Gesellschaft 565 ff. – Anwendbarkeit des § 622 Abs. 1 und 2 BGB 483 – Diskriminierungsschutz nach dem AGG 460 ff. – Kündigungsschutzgesetz 455, 465 ff. – rechtfertigender Grund 484 – Streitwert 576 – Umdeutung 559 ff. Organstellung und Anstellungsvertrag 433 ff. – Angebot einer anderweitigen Tätigkeit 444 f. – Niederlegung 435 ff. – Trennungsgrundsatz 433 – Unterschiedlichkeit der Rechtsverhältnisse 444 – vertragliche Verknüpfung der Beendigung von Organverhältnis und Anstellungsvertrag 578 ff.
Stichwortverzeichnis
Parallelprüfung
1830
Rechtsverlust 1510 ff., 1540 Reflexschaden 750 ff. Sacheinlage
167 ff. – Differenzhaftung 181 ff. – Differenzhaftung und Aufrechnungsverbot 161, 185 – Differenzhaftung und Vergleich 186 – Fälligkeit 168 – Gegenstand 169 ff. – gemischte Sacheinlage 188 ff. – Unterbilanzhaftung 110 – verdeckte Sacheinlage 191 ff., s. a. gesondertes Stichwort Sachverständiger Prüfer 1829 Satzung 6 ff. – Auslegung, objektive 15 ff. – Auslegung, subjektive 13 f. – Gerichtsstandsklausel 29 ff. – Gründungsaufwand 32 f. – Hauptversammlungsort 19 ff. – Heilung nichtiger Bestimmungen 34 ff. – individualrechtliche Regelungen 9 f. – korporative Regelungen 7 f. – Verhältnis zu Gesellschaftervereinbarungen 37 ff. Schutzgemeinschaft 1491 ff. Sittenwidrigkeit 1529 Squeeze out s. Übertragung Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern 1113 ff. Stille Beteiligung 1790 Stimmauszählung 1466 Stimmbindungsvertrag 1486, 1491 ff. Stimmenmehrheit 1481 ff., 1565 Stimmrecht 1484 ff. – Bevollmächtigung 1484, 1487 – Bindung 1486, 1491 ff.
– Meldepflicht 1514 – Missbrauch 1531 – Verbot 1500 ff. – Verlust 1510 ff., 1566 Stimmverbot 1500 ff.
Tantieme 472 ff. Teilgewinnabführungsvertrag 1790 Treuepflicht 1736 ff. Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen oder Geldauflagen 1107 ff. Übertragende Auflösung 1730 Übertragung 1820 – Abfindung 1836 – Berichte 1827 – Gewährleistungserklärung 1827 – Hauptaktionär 1822 – Sachverständiger Prüfer 1829 – Verlangen 1822 Umwandlung 1852 ff. Unterbilanzhaftung 108 ff. – Aufrechnungsverbot 161 – Geltung bei der AG 113 ff. – Haftungsumfang 110 f. Unternehmensverträge 1790 ff. – Stille Beteiligung 1790 – Teilgewinnabführungsvertrag 1790
Verdeckte Sacheinlage
191 ff. – Anrechnungslösung 241 ff. – Einlagegegenstand 199 ff. – Heilung der verdeckten Sacheinlage 245 ff. – Identität personelle oder gegenständliche 233 ff. – mittelbares Bezugsrecht 228 ff. – Rechtsfolgen 240 ff. – Tatbestandsvoraussetzungen 194 ff. – tatsächliche Vermutung 211 ff.
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Stichwortverzeichnis
– „Schütt-aus-hol-zurück“-Verfahren 217 ff. – Umgehungsabsicht 214 – Umsatzgeschäfte 215 ff. – verdeckte gemischte Sacheinlage 203 ff. – Verwendungsabsprache 206 ff. – zeitlicher und sachlicher Zusammenhang 211 ff., 216 Verlustausgleich 1813 Verlustdeckungshaftung 108 ff. – Verschmelzung 1837 ff. – Differenzhaftung 1851 – Verschmelzungsbericht 1846 – Wirksamwerden 1847 Vermögensübertragung 1685 Versicherung i. S. d. § 37 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG durch ein Kreditinstitut 324 ff. Vertretungsbefugnis des Vorstands 587 ff. – Duldungsvollmacht 598 – Einzelvertretungsbefugnis 588 ff. – Gesamtvertretungsbefugnis 588 ff. – Satzungsgestaltung 591 ff. – Übertragungsverbot 589 ff. – Zurechnung der Kenntnis des Vorstands 596 ff. Vollversammlung 1375, 1523 Vor-AG 52 ff. – Erster Vorstand 55 – Handelndenhaftung 56 – Kündigung 58 – Liquidation 61 f. – Parteifähigkeit im Rechtsstreit 54 – Rechtsnatur 53 Voreinzahlung auf künftige Einlageschulden – Voreinzahlung bei Barkapitalerhöhung 310 ff. – Voreinzahlung und Sachkapitalerhöhung 321 ff.
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– Voreinzahlung und Sanierungsfall 318 ff. Vorbelastungshaftung s. Unterbilanzhaftung Vorbelastungsverbot 90, 107 ff., 119 Vorgesellschaft s. Vor-AG Vorratsgründung 63 ff. – Abgrenzung 95 ff. – Haftung bei unterbliebener Offenlegung 93 f. – Handelndenhaftung 88 ff. – Liquidation 103 ff. – offene 66 ff. – registerrechtlicher Präventivschutz 75 ff. – Umgehungs- und Gläubigerschutz 70 ff. – Umorganisation oder Sanierung 101 f. – Unterbilanzhaftung 84 ff. – unzutreffende Angabe des Unternehmensgegenstandes 68 f. – Vorbereitungshandlungen 96 ff. Vorstand (Funktion und Stellung) 414 ff. – Abberufung 418 ff., s. gesondertes Stichwort – Amtsbeendigung durch Verschmelzung 432 – Amtsniederlegung 435 ff. – Anstellungsverhältnis 453 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Anzahl der Vorstandsmitglieder 584 – Außenhaftung des Vorstands 761 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Beschlussvorschläge 1381 – Bestellung 414 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Einberufung der Hauptversammlung 1373
Stichwortverzeichnis
– Innenhaftung des Vorstands 602 ff., s. a. gesondertes Stichwort – kein schuldrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Vorstand 446 ff. – Loyalitätspflicht 717 f. – nachvertragliche Pflichten 577 – Organstellung 414 ff. – Organstellung und Anstellungsvertrag 433 ff., 578 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Stellvertreter von Vorstandsmitgliedern 1113 ff. – Streitwert 450 f. – Treuepflicht 716 ff. – Vertretungsbefugnis 587 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Vetorecht des Vorsitzenden 585 f. – Widerruf s. Abberufung – Wettbewerbsverbot 716 ff., s. a. gesondertes Stichwort Vorstandshaftung 602 ff. – Außenhaftung des Vorstands 761 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Buchführungspflicht 629 – Delikt 792 ff. – Geschäftschancenlehre 730 ff., s. Wettbewerbsverbot – Innenhaftung des Vorstands 602 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Insolvenzverschleppung 1013 ff., s. a. gesondertes Stichwort
– Insolvenzverursachungshaftung 1005 ff. – Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung 1077 ff. – sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB 1069 ff. – Übernahme von Geldstrafen 1107 ff. – unerlaubte Handlung 792 ff. – Wettbewerbsverbot 716 ff., s. a. gesondertes Stichwort – Zahlungsverbot 899 ff., s. a. Insolvenzverschleppung
Wettbewerbsverbot, auch Geschäftschancenlehre 716 ff., 722 ff. – Freigabe der Geschäftschance 740 ff. – Geschäftschancenlehre 730 ff. – Geschäftszweig der Gesellschaft 722, 726, 734 – Handeln zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil 719 f. – nach der Amtszeit 727 ff. – Schadensersatz 744 – Verjährung 743 – während der Amtszeit 724 ff. – Zuordnung der Geschäftschance 736 ff. Widerspruch gegen Beschluss 1468, 1540 Wirtschaftliche Neugründung s. Vorratsgründung
Zahlungsverbot
899 ff., s. a. Insolvenzverschleppung
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