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German Pages 180 [177] Year 2016
Adolf Schlatter Das Verhältnis von Theologie und Philosophie I
Unveröffentlichte Manuskripte Band 2
Adolf Schlatter Das Verhältnis von Theologie und Philosophie I
Die Berner Vorlesung (1884): Einführung in die Theologie Franz von Baaders Im Auftrag der Adolf-Schlatter-Stiftung herausgegeben von Harald Seubert unter Mitarbeit von Werner Neuer
Calwer Verlag Stuttgart
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Adolf-Schlatter-Stiftung
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
eBook (pdf): ISBN 978–3–7668–4400–2 ISBN 978–3–7668–4385–2 © 2016 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. Satz und Herstellung: Karin Class, Calwer Verlag Umschlaggestaltung: Karin Class, Calwer Verlag Druck und Verarbeitung: Mazowieckie Centrum Poligrafii – 05-270 Marki (Polen) – ul. Słoneczna 3C – www.buecherdrucken24.de Internet: www.calwer.com E-mail: [email protected]
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adolf Schlatters eigene philosophische Konzeption . . . . . . . 3. Adolf Schlatters frühe Berner-Vorlesung als Beispiel seiner Zuordnung von Theologie und Philosophie . . . . . . . . 4. Die bleibende Bedeutung der Philosophie Franz von Baaders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Hinweise zu dieser Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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ZUM VERHÄLTNIS VON THEOLOGIE UND PHILOSOPHIE. EINFÜHRUNG IN DIE THEOLOGIE FRANZ VON BAADERS
Berner Vorlesung im Wintersemester 1884/85 . . . . . . . . 63 I. § 1 § 2 § 3 § 4 § 5
Baaders Verhältnis zu den wissenschaftlichen Bestrebungen seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Seine Stellung zu Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Jakobi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Fichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
II. Baaders Sicht auf die christlichen Glaubensströmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 § 1 Der Katholizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 § 2 Die Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 –5–
III. Baaders Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 § 1 Jakob Böhme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 § 2 Saint-Martin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 IV. Erkenntnislehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 § 1 Begriff der Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Lehrsatz: Philosophie ist ein religiöser Begriff; denn er hat das Gottesbewusstsein in sich . . . . . . . . . . . . 154 2. Lehrsatz: Das erste uns gegebene Wissen ist das Wissen um Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Lehrsatz: Der Schlüssel zur Gottes- und Naturerkenntnis ist der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4. Lehrsatz: Das Erkennen ergibt ein System . . . . . . . . . . . . 165 5. Lehrsatz: Das spekulative Wissen ist das freie. Philosophie ist freies Erkennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 § 2 Der genetische Charakter des Denkens . . . . . . . . . . . . . 171 Anhang Was ist Wahrheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
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Vorwort Es ist allgemein bekannt, dass Adolf Schlatter in einer heute undenkbaren Weise die Disziplinen der Theologie enzyklopädisch erfasste und in Forschung und Lehre zu ihnen beitrug. Eine eindrucksvolle Summe gibt seine von Werner Neuer 2013 edierte ›Einführung in die Theologie‹. Weit weniger bekannt ist es, dass er, vor allem in seinen frühen Privatdozentenjahren, in produktiver und eigenständiger Weise auch philosophische Vorlesungen hielt. Diese Vorlesungen instrumentieren und illustrieren Schlatters späteres Metaphysik-Manuskript aus dem Jahr 1915, das posthum 1988 erschienen ist.1 Der hier vorgelegte Vorlesungstext ist weit mehr als nur eine genealogische Interpretation zu Franz von Baader. Er ist eine bemerkenswerte und eigenständige Variation des Verhältnisses von Glaube und Vernunft. Deshalb ist ihm auch im gegenwärtigen religionsphilosophischen und -theologischen Gespräch Beachtung zu wünschen. Der Text ist, trotz seines würdigen Alters, in seinem Zugriff erstaunlich frisch. Er lässt große Quellennähe erkennen. Deshalb hat sich der Herausgeber auch auf ein Minimum an Anmerkungen begrenzt, die die unmittelbaren Kontexte ausleuchten und punktuell zeigen, wie der Fortgang von Forschung und einschlägigen Diskussionen Schlatter in erstaunlichem Maße bestätigt. Auch die Eingriffe in die Textgestalt konnten sich auf einen minimalen Bestand beschränken. Es ist eine angenehme Verpflichtung zu danken: Diese Edition hätte in vergleichsweiser kurzer Zeit ohne die Mitwirkung Dritter 1 Adolf Schlatter, Metaphysik, mit einer Einführung hg. von Werner Neuer, Tübingen 1987, ZThK Beiheft 7.
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nicht gelingen können. Besonders danke ich dem Schlatter-Biographen Dr. Werner Neuer für das Vertrauen, das er mir entgegengebracht hat und das Voraussetzung für diese Herausgeberarbeit war. Von Werner Neuers stupender Schlatter-Kenntnis, seiner theologischen Tiefe und Akribie hat die Editionsarbeit maßgeblich profitiert. In intensiven gemeinsamen Sitzungen, die der Kollationierung dienten, wurde ein valider Text erarbeitet. Zu danken ist schließlich auch Dr. Helmut Burkhardt (Grenzach) für seine gründlichen Korrekturarbeiten. Professor Dr. Sven Grosse (Basel), Urs Stingelin (Basel) und Professor Dr. Claudius Strube (Köln, Wuppertal) ist für ihre freundliche Auskunft zu einzelnen strittigen Fragen zu danken. Die Edition ist in dem barocken Pfarrhaus von Schallbach entstanden, unter Umständen, die fast Züge des Monastischen haben und eine Atmosphäre schaffen, die geistiger Arbeit günstig ist wie kaum eine andere. Ohne Frau Ruth Neuer fehlte dieser Atmosphäre die Seele. Mein Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Herr cand. theol. Dominik Portmann, Basel, hat seine vielfach erprobte Sorgfalt und Kenntnis auch in diese Herausgabe eingebracht, vor allem in den Korrekturvorgang. Schließlich danke ich der Adolf-Schlatter-Stiftung und insbesondere Herrn Dr. Gerhard Schlatter, dass sie die Edition unterstützt und großzügig gefördert hat. Ostern 2016
Harald Seubert
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Einführung Manches spricht dafür, dass das Lebenswerk von Adolf Schlatter, einem der bedeutendsten Theologen beider Konfessionen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, nicht die Rezeptionsgeschichte entfalten konnte, die es verdient gehabt hätte. Dies dürfte innerhalb der evangelischen Theologie im Wesentlichen damit zu tun haben, dass Schlatter zwischen den im 20. Jahrhundert prägenden Schulen und Richtungen steht: Der liberalen Theologie in der Folge des Neuprotestantismus einerseits und der dialektischen Theologie andrerseits. Gerade darin aber könnten seine besondere Aktualität und sein Vermächtnis für die Gegenwart liegen. Führt Schlatter doch aus eingeschliffenen Argumentationsmustern und ihren Dilemmata heraus. Stupend ist aber auch die Reichweite des Schlatterschen Werkes, das keineswegs ausgeschöpft ist, wenn man es nur als herausragendes Beispiel biblischer Theologie und Exegese versteht.2 Schlatters Leistungen als Dogmatiker sind unbestritten, wenn sie auch kaum zu einer dauerhaften Schulbildung geführt haben.3 Besonders erstaunlich und geradezu einzigartig ist aber seine Bedeutung als Philosoph. Die vorliegende Edition gibt davon nach
2 Vgl. dazu die Darstellung W. Neuer, Adolf Schlatter. Ein Leben für Theologie und Kirche, Stuttgart 1996. 3 Vgl. zum positiven Urteil über Schlatter als Dogmatiker auf berufenem Mund und ohne Zugehörigkeit zur Schlatter-Tradition im engeren Sinne W. Härle, Vorwort, in: J. Walldorf, Realistische Philosophie. Der philosophische Entwurf Adolf Schlatters, Göttingen 1999, S. 5f.
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dem 1988 aus dem Nachlass edierten ›Metaphysik‹-Manuskript4 einen frühen und besonders lebhaften Eindruck. Die hier erstmals im Druck vorgelegte Baader-Vorlesung (Archiv Nr. 185; 1 und 2) hätte ursprünglich in dem gleichfalls noch unpublizierten Kolleg ›Die Geschichte der speculativen Theologie seit Cartesius‹ (1881/82)5 mit behandelt werden sollen, verlangte dann aber eine eigenständige Ausarbeitung und wurde im Wintersemester 1884/85 in Bern zweistündig vorgetragen. Sie ist für die Ausbildung von Schlatters eigener philosophischer Konzeption von erstrangiger Bedeutung.
1. Grundlinien Die Darstellung Franz von Baaders‹ gehört also in die Anfänge von Schlatters Lehrtätigkeit in Bern; jene Zeit, die man mit Werner Neuer, Schlatters Biographen, einerseits als »Lehrjahre« des jungen Privatdozenten, andrerseits als die kreativste Phase in Schlatters wissenschaftlicher Biographie verstehen kann.6 Dies gilt in besonderem Maße für seine Beschäftigung mit der Philosophie: Die Nähe zu Texten und Problemen, die Plastizität der Sprache, der frische, unmittelbar ins Zentrum gehende Zugriff 4 A. Schlatter, Metaphysik, hg. und eingeleitet von Werner Neuer, Tübingen 1987 (Zeitschrift für Theologie und Kirche, Beiheft Band 7). 5 Das hier vorgelegte Baader-Kolleg ist eine eigenständige Ausarbeitung. Es ist keineswegs identisch mit der Darstellung von Baaders Leben und Denken in A. Schlatter, Die philosophische Arbeit seit Cartesius. Ihr ethischer und religiöser Ertrag. Mit einem Geleitwort von Hans Stroh, Gießen 51981, S. 191–198. In dieser handelt es sich um eine Vorlesung aus dem Wintersemester 1905/06. Die Edition des Manuskriptes ›Die Geschichte der speculativen Theologie seit Cartesius‹ wäre ebenso wie die Herausgabe weiterer wichtiger Inedita zu Philosophie und Fundamentaltheologie dringend zu wünschen. 6 W. Neuer, Adolf Schlatter, a.a.O., S. 157ff.
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fallen sofort ins Auge. Man wird daher wiederholen können, was Werner Neuer seiner Edition von Schlatters ›Einführung in die Theologie‹ vorausstellte: die Beobachtung nämlich, dass auch dieser Text kaum Patina angesetzt hat und kaum Alterungsspuren erkennen lässt. Schlatter hatte selbst die Baader-Vorlesung in einem Brief an seine Schwester Christine als »seine Liebhaberei« charakterisiert.7 Tatsächlich war es aber ein sehr ernsthaftes Interesse, das ihn zur Beschäftigung mit Baader trieb. Während seines Pfarrdienstes am Neumünster war der junge Schlatter 1876 von Edmund Fröhlich (1832–1898), Pfarrer an der Zürcher St. Anna-Kapelle, auf Baader hingewiesen und in Verbindung mit dessen Denken gebracht worden.8 Durch Baader hatte sich Schlatter in seiner »furchtlosen Freude am Denken« bestärkt gesehen, und er konstatierte, »dass er mir bei der begrifflichen Darstellung der Liebe seine Unterstützung darbot«.9 Hier hatte Schlatter früh und zu Recht ein Defizit der protestantischen Theologie erkannt. Grundphänomene wie Kultus, Opfer, Vergebung und Demut blieben daher dunkel und leer. Diesen Defiziten konnte Baader abhelfen. Die Rekonstruktion des Biographen Werner Neuer hat ergeben, dass Schlatter etwa zwei Drittel der sechzehn Bände umfassenden Baader-Ausgabe durchgearbeitet hat. In der hier gedruckten Vorlesung findet man indes keine Spuren des sozial-philosophischen Teiles des Werkes, mit dem Baader den christlich-sozialen Gedanken exponierte.10 Gerade in der Wahrnehmungsschärfung sah Schlatter ein protestantisches Defizit. »Es lässt sich nicht berechnen, was erreich7 So in einem Brief an Christine Schlatter vom 14.9.1884, hier nach Neuer, a.a.O., S. 173. 8 Neuer, Schlatter, a.a.O., S. 100ff, insbes. S. 103. 9 Adolf Schlatters Rückblick auf seine Lebensarbeit. Zu seinem hundertsten Geburtstag herausgegeben von Theodor Schlatter, Gütersloh 1952, S. 134. 10 Die einschlägigen statistischen Materialien wurden mir freundlicherweise von Werner Neuer zur Verfügung gestellt.
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bar gewesen wäre, wenn auch unsere protestantischen Theologen ebenso die Augen offen gehabt hätten.«11 Auch die Vorbehalte und Kritikpunkte gegenüber Baader, die sich bei Schlatter schon früh zu Wort gemeldet hatten, werden im Vorlesungstext nur zurückhaltend präsentiert. So schreibt er: »Dennoch, so dankbar ich ihm […] geworden und geblieben bin, im dauernden Verkehr blieb ich nicht mit ihm. Was mich von ihm trennte, war der idealistische Zug in seinem Denken, die Ausweitung desselben zu der alles umfassenden Totalität.«12 Es gab also klare Grenzen: Schlatter war in zu hohem Grade an der Realität der beobachtbaren Wirklichkeit orientiert, als dass er die spekulativen Züge von Baaders Werk bis hinein in dessen ›Satanologie‹ und das umfassende Verständnis von Totalität sich hätte zu eigen machen können. Gleichwohl: Das Verbindende mitzuteilen, war ihm in dem frühen Kolleg wichtiger. Schlatter hat nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Baader ihn vor den Gefährdungen des ›Idealismus‹, und zwar der Kantischen und der Hegelschen Prägung, bewahrt habe. Dies gilt vor allem insofern, als Baader das Augenmerk auf eine »vernehmende Vernunft« lenkte, die gerade nicht einem apriorischen Konstruktivismus folge. Ungeachtet einer Abwehr gewisser spekulativer Züge hat Schlatter nicht übersehen, dass Baader sich »mit tieferen Begründungen als wir« von Kant und den Nachkantianern befreit hatte.13 Schlatter ver11 Schlatter, Die philosophische Arbeit seit Cartesius, a.a.O., S. 192f. 12 Schlatters Rückblick, a.a.O., S. 134. Neuer, A. Schlatter, a.a.O., S. 106ff registriert, dass Baader mindestens zwei Drittel »von Baaders 16 Bände umfassendem Gesamtwerk durchgearbeitet hat. Eine Analyse dieser Exzerpte ergibt außerdem, daß Schlatter vor allem von den (seit 1822) erschienenen Schriften des ausgereiften Baader beeinflusst ist, also von den ›Fermenta Cognitionis‹ (1822–1824); den ›Vorlesungen über religiöse Philosophie‹ (1927) und ›spekulative Dogmatik‹ (1828–1838), sodann den ›Socialphilosophische[n] Aphorismen‹ (1828–1840) und der Abhandlung ›Revision der Philosopheme der Hegelschen Schule‹ (1839). 13 So eine Aussage des Studienfreundes Adolf Bolliger, zit. nach Neuer, Schlatter, a.a.O., S. 105. Siehe auch Bolligers spätere Hauptschrift:
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ortet Baader dezidiert im Rayon der »Nachkantianer«. Er gewinnt dabei aus der Baader-Interpretation eine gerechte und ausgewogene Sicht auf die klassische deutsche Philosophie, in ihrer Größe und ihren Grenzen, ohne sie entweder pauschal zum Leitmaß zu erklären, noch sie abzuwerten: zwei Extreme, die in der Geschichte des Protestantismus allzu häufig begegnen.14 In welcher Prägnanz und Kürze, mit welcher Frische und zugleich Urteilssicherheit diese Würdigung im hier vorgelegten Kollegtext geschieht, ist bemerkenswert. Schlatters herausragender Schüler Wilhelm Lütgert hat in seinem vierbändigen Werk ›Die Religion des deutschen Idealismus‹ diese Linien weiter ausgezogen und eine flächige Darstellung Baaderschen Denkens im Gesamtraum der nachkantischen Philosophie entwickelt.15 Auch ein anderes Zentralanliegen von Schlatter sollte dann erst Lütgert ausführen, nämlich eine entfaltete Ethik der Liebe, die auch alle dogmatischen Implikationen berücksichtigt und den Zusammenhang von Augustinus über Thomas von Aquin bis zur Reformation entfaltet.16 Man möchte auch deshalb wünschen, dass das philosophische Werk von Schlatter, von der Baader-Vorlesung ausgehend, in der theologischen Diskussion eine verstärkte Berücksichtigung finden wird. Irmgard Kindt schreibt im Blick auf den späteren Schlatter durchaus zu Recht, dass Baader »ein sehr viel differenzierteres Verhältnis zu Kant, Fichte, Schelling und Hegel« gehabt habe als eben
Anti-Kant oder Elemente der Logik, der Physik und der Ethik. Band 1, Basel 1882. 14 E. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Gütersloh 1949–1954, hier vor allem Bände 4 und 5. 15 W. Lütgert, Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende. 4 Bände, Gütersloh 1923–1930. 16 Siehe dazu W. Lüttgert, Ethik der Liebe, Gütersloh 1938, wo er auf einem weiteren wichtigen Feld Schlatters Werk weiter- und zu Ende führt.
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Schlatter.17 Es ist aber nicht zu verkennen, dass dem jungen Schlatter Baaders Vertrautheit mit dem nachkantischen Denken sehr viel gegenwärtiger ist als in seiner Spätzeit und dass ihn diese Vertrautheit dazu befähigt, die Tektonik der philosophischen Systeme kongenial und an ihren neuralgischen Punkten zu erfassen. Abgrenzungen gegenüber Baader gehen in den Kollegtext allenfalls indirekt ein. Man wird dies vor allem darin sehen können, dass Schlatter die Grenze zur Theosophie bzw. zu einer losgelöst von der Offenbarung eigenständig entwickelten, gnostisch narrativen Philosophie niemals überscheitet. Schlatter verwies auch darauf, dass es nicht möglich sei, »zu jeder Zeit jeden Gedanken [zu] haben«.18 Im Einzelnen führt er dies so aus: »Der Trieb nach der unbeschränkten Erweiterung unsres Bewußtseins hat dadurch seine Begründung und zugleich seine Beschränkung empfangen. Es gibt nun für uns nichts mehr, was uns völlig fremd, nur von uns verschieden und darum für uns völlig verschlossen und unerkennbar wäre, da die Beziehung, in der alles zu Gott steht, uns mit allem die Verbindung gibt, die die Erkennbarkeit verschafft. Da aber nicht unser Bild, sondern Gottes Bild in allem ist, das von unsrem Bilde unaufhebbar verschieden ist, so stellen wir jeden Versuch ein, die uns trennenden Unterschiede gewaltsam zu beseitigen, und ehren die unsrem Bewußtsein und unsrem Willen gezogenen Schranken als unverletzlich.«19 Die mystisch spekulative Einheit zwischen Gott und Mensch, die Baader, darin von Jakob Böhme geprägt, spekulativ entwickelt, hat Schlatter nicht geteilt. Das Geheimnis Gottes wird erst enthüllt werden, wenn das Stückwerk aufhören wird und wir von Angesicht zu Angesicht sehen. Dies gilt selbstverständlich auch im Blick auf die ›Satanologie‹ und die Darstellung der inneren Genealogie des Bösen. Dass dieser Ausgriff in die Bereiche des Bösen keineswegs isoliert steht, wird am 17 I. Kindt, Der Gedanke der Einheit. Adolf Schlatters Theologie und ihre historischen Voraussetzungen, Stuttgart 1978, S. 103. 18 Das christliche Dogma, a.a.O., 96. Siehe zu dieser Einschränkung auch Walldorf, a.a.O., S. 141ff. 19 Schlatter, Metaphysik, a.a.O., S. 46.
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Ende der Einführung (4.) im Blick auf einige heutige philosophische Strömungen gezeigt werden. So frisch und originell jener mehr als 130 Jahre alte Text in unsere Zeit hineinspricht, so provozierend wird er auf sie wirken. Worin bestehen jene Provokationen? Zum einen gewiss darin, dass Schlatter angriffslustig das von ihm als falsch Aufgefasste angreift und, mit Baader, als ein religiöses und ethisches Verhängnis begreift. Gegenwärtiger Konsenskultur ist dies zunächst fremd. Ebenso ist den immer weitergehenden Differenzierungen des Diskurses das Selbstbewusstsein und die – nicht unriskante – Kühnheit ferngerückt, mit denen Schlatter das Zentrum komplexer philosophischer System- und Denkzusammenhänge zu durchleuchten und zu erfassen sucht. Man sollte sich davon nicht abschrecken, sondern durchaus faszinieren lassen, auch wenn man diesen Gestus nicht einfach zur Nachahmung empfehlen kann. Immerhin bedeutet es durchaus ein Defizit, dass ein ähnlich welt- und theorieerfahrenes christliches Denken heute kaum anzutreffen ist. Schlatter formuliert die immerhin diskussionswürdige These, dass eine atheistische Position konsequent gar nicht durchzuhalten sei, und er artikuliert den Anspruch, dass die Theologie Erste Wissenschaft sei, auch gegenüber der Philosophie, erst recht aber gegenüber Human- und Naturwissenschaften. Einer Ghettoisierung und Provinzialisierung der Theologie und christlichen Philosophie tritt Schlatter damit konsequent entgegen, und dies kann durchaus auch für unsere Gegenwart von Interesse sein. Der Anspruch war auch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert alles andere als selbstverständlich. Die Umbrüche in den Diskurslandschaften der Gegenwart zeigen sich symptomatisch darin, dass ›spekulatives‹ Denken für Schlatter einen hohen Wert darstellt. Er wendet sich damit gegen die Abwehr des Spekulativen bei Kant und im Empirismus. Dieses ist keineswegs einfach »überschwänglich« und »irrational«; es ist vielmehr die Denkform, in der das endliche Subjekt sich unbedingten, absoluten Fragen zuwendet. Quer steht jener Ansatz zu einem ›methodischen Atheismus‹ und einer auch im theologischen und philosophischen Mainstream Raum greifenden Neigung, den voraussetzungsärmsten Hypothe– 15 –
sen den Primat zuzuerkennen.20 Quer steht er aber auch zu einem neuen Fideismus und Irrationalismus, der meint, der Rechenschaft des Glaubens vor der Vernunft enthoben zu sein. Der hier vorgelegte Text sperrt sich einer vordergründigen Aktualisierung. Doch hat er das Kaliber, um Vereinseitigungen im gegenwärtigen philosophischen und theologischen Diskurs zu begegnen. Dass er damit keineswegs stromlinienförmiges Format zeigt, sondern gegenwärtige philosophische und theologische Diskurse herausfordert, dürfte sich rasch zeigen. Im Folgenden wird zunächst (2.) Schlatters dogmatische Konzeption in ihren Grundlinien skizziert; sodann (3.) wird vor diesem Hintergrund der Gedankengang der frühen Baader-Vorlesung als Beispiel für Schlatters Zuordnung von Theologie und Philosophie freigelegt. Abschließend wird der Blick auf die bleibenden Aspekte der Philosophie Franz von Baaders vor dem für Schlatter in Rede stehenden Hauptproblem (4.) gerichtet.
2. Adolf Schlatters eigene philosophische Konzeption 1. Die hier erstmals editierte frühe Vorlesung macht die Voraussetzungen von Schlatters eigener philosophischer Konzeption in seiner ›Metaphysik‹ in pointierter Weise sichtbar. In ihr ist in Spuren bereits Schlatters Grundkonzeption erkennbar, auch wenn sie noch keineswegs systematisch entwickelt vorliegt. Die frühe Vorlesung bietet in besonderer Verdichtung die Genealogie zu diesem Entwurf. Schlatters ›Metaphysik‹ selbst, die nach Erscheinen seiner Dogmatik (1911) aufgrund einer an ihn herangetragenen Bitte entstand, zielt im Sinne seines erkenntnistheoretischen und onto-
20 Dazu kritisch: H. Seubert, Was Philosophie ist und was sie sein kann, Basel 2015.
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logischen Realismus, wie Jochen Walldorf treffend gezeigt hat,21 auf die »Klammer« zwischen Subjekt und Objekt, menschlichem Selbst- und Weltbewusstsein. Damit löst sich Schlatter überzeugend aus dem cartesischen Subjekt-Objekt-Dualismus heraus. Man wird annehmen können, dass ihm nicht zuletzt Baaders Denken dafür die Augen geöffnet hat. Es geht Schlatter nicht allein um die kategoriale Erfassung der Bewusstseins- und Denk-, sondern der Seinsstrukturen. Er versteht daher Metaphysik in großer Nähe zum klassisch aristotelischen Sinn als »eine Wissenschaft, welche die einheitlichen Grundstrukturen (Kategorien) des Seienden, die die gesamte Wirklichkeit (Denken und Sein) kennzeichnen, erfasst und beschreibt«.22 Damit werden sowohl die Getrenntheit als auch das Eigenrecht der Metaphysik gegenüber der Theologie festgehalten. Metaphysik nämlich ist nach Schlatter eine »beschreibende« Wissenschaft, während die Theologie eine erklärende Bedeutung hat. Insofern aber metaphysisch nach den ersten Gründen und den letzten Ursachen gefragt wird, eröffnet sich innerhalb der Metaphysik die Gottesfrage. Der Baadersche Anspruch der Einheit von Religion und Philosophie wird in Schlatters eigener Konzeption also indirekt und sehr viel vorsichtiger eingelöst. Er wird aber nicht eigentlich preisgegeben. Bereits im Baader-Kolleg wird nachdrücklich betont, dass der Zusammenhang von Gott und Welt sich nur in Fokussierung auf den Menschen entfalte. Dies löst Schlattter in seiner ›Metaphysik‹ so ein, dass er die ›Anthropologie‹ als ›integrative Disziplin‹ begreift.23 Sie ist der Ausgangspunkt, von dem her nach der Theologie als Ursprung und Grund von Wirklichkeit und nach 21 J. Walldorf, Realistische Philosophie. Der philosophische Entwurf Adolf Schlatters, Göttingen 1999, insbesondere die Übersichtsdarstellung S. 22ff. Es ist Walldorfs Verdienst, die systematischen Grundzüge von Schlatters philosophischem Denken, auch unter Heranziehung primär theologischer Schriften, herausgearbeitet zu haben. 22 So formuliert Walldorf, a.a.O., S. 32. Im Original kursiv gesetzt. 23 Vgl. zur Stellung der Anthropologie Walldorf, Realistische Philosophie, a.a.O., S. 38ff.
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der Kosmologie zu fragen ist. Systematisch durchaus ungewöhnlich hat Schlatter die Anthropologie im ersten Teil seiner ›Dogmatik‹ verankert. In sie geht zugleich der Bestand der ›Metaphysica specialis‹, der Untersuchung von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit der Seele ein. Insofern hält die Anthropologie einerseits Theologie und Philosophie jeweils auseinander und sichert ihnen ihr jeweiliges Eigenrecht. Und zugleich begründet sie deren Zusammenhang, da die letzten Fragen des Menschen sich nur im Nexus von Theologie und Philosophie erschließen werden. Man wird insofern, was in der älteren Forschung, etwa bei I. Kindt, nicht geschieht, auch zwischen den Reflexionen zu unterscheiden haben, die Schlatter als Philosoph und jenen, die er als Theologe anstellt, ohne dass freilich das Eine vom Anderen strikt zu trennen wäre. 2. Die Baader-Vorlesung lässt bereits erkennen, dass Schlatter seine eigene realistische Metaphysik und Ontologie, bei aller Orientierung an der aristotelischen Ersten Wissenschaft letztlich erst im Durchgang durch die neuzeitliche Philosophie, insbesondere durch Kant und die Nachkantianer gewinnt. In der ›Metaphysik‹ wird diese Verbindung klassischer Metaphysik und kritischer Beurteilung der neuzeitlichen Philosophie systematisch darin deutlich, dass die Wirklichkeit des Seins erst die Erkenntniskategorien konstituiert, und keineswegs umgekehrt – wie in der Transzendentalphilosophie seit Kant. Die Erkenntniskategorien versteht Schlatter zwar im Sinne der apriorischen Verfasstheit der Vernunft.24 Doch sie sind nicht erfahrungsunabhängig. Sie können Erfahrung nur konstituieren, weil sie zuerst Konstituentien des real gegebenen Seienden sind.25 Als Ziel der Erkenntnis hat Schlatter die Findung der Wahrheit begriffen. Wie Walldorf überzeugend dargetan hat, verbindet Schlatters Wahrheitsbegriff die Korrespondenztheorie in der Wahrheitsdefi-
24 Vgl. ibid., S. 99ff, siehe auch Schlatter, Metaphysik, a.a.O., S. 39ff. 25 Vgl. dazu Schlatter, Metaphysik, a.a.O., S. 74. Siehe auch ders., Das christliche Dogma, Stuttgart 41984, S. 95. Dazu treffend Walldorf, Realistische Philosophie, a.a.O., S. 102ff.
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nition mit der Kohärenztheorie als noetischem Wahrheitskriterium.26 Dieses Wahrheitsverständnis setzt voraus, dass Wirklichkeit wahrheitsgemäß erkannt werden kann. Daran misst auch schon der frühe Schlatter die Systeme der nachkantischen Philosophie. Nicht unbedeutend ist dabei, welche Werke und Werkphasen Franz von Baaders für Schlatter vor allem leitend waren: eine detaillierte Untersuchung von Werner Neuer kommt zu dem Ergebnis, dass Schlatter insgesamt 73 Baader-Titel gekannt hat, ein Werkcorpus von ca. 4350 Seiten und mehr als 2/3 des Baaderschen Gesamtwerks. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Franz von Baaders reifem Werk, also auf den 1822–1841 erschienenen Schriften, wobei das Jahr 1822 allgemein als Wendepunkt in Baaders Denken und Werk gelten kann:27 Bezeichnet dieses Jahr doch Baaders endgültige Abkehr vom Pietismus. Zugleich datiert seit 1821 sein eingehendes Studium des Denkens von Thomas von Aquin. In Schlatters triftigen Rekonstruktionen haben wir es also in erster Linie mit jenem Baader zu tun, dessen Theologie und Philosophie maßgeblich durch Thomas geprägt ist. Am Baader’schen ›Totalitätsanspruch‹ hat Schlatter vor allem die Orientierung an der Einheit der Wirklichkeit festgehalten und für sein Denken fruchtbar gemacht. Diese Einheit ist freilich erst im Blick auf Gott als ihrem Grund zu gewinnen. Von Gott her erweist sich erst, wie Schlatter einmal in Bezug auf Johannes 1,3 bemerkt, »die Welt [als] ein Ganzes, obgleich sie unendlich ist«.28 Wenn die Baader-Vorlesung mit einer bemerkenswerten Referenz auf die unhintergehbare Subjektgebundenheit allen Erkennens schließt, so hat Baader dieses Moment in die Erkenntnislehre seiner 26 Walldorf, Realistische Philosophie, a.a.O., S. 106. 27 Dazu H. Graßl, Franz von Baader, in: Neue Deutsche Biographie, Band 1, Berlin 1953, S. 474ff. 28 Diese Formulierung begegnet in identischer Weise mehrfach bei Schlatter. Ich verweise hier nur auf ders., Der Evangelist Johannes. Wie er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar zum 4. Evangelium (1930), Stuttgart 31960, S. 3. Siehe auch die weiteren Belegstellen bei Walldorf, a.a.O., S. 109.
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›Metaphysik‹ aufgenommen, wenn er den Denkakt in den ›Lebensakt‹ einmünden lässt. Leben und Denken sind nicht voneinander zu isolieren, weshalb auch keineswegs ein transzendenter ›Ich‹-Pol vom Personsein insgesamt getrennt werden kann. Ein jeder Skeptizismus, der bestreiten würde, dass unser tatsächliches Erkennen, wenn es denn gelingt, die Wirklichkeit erreicht, ist für Schlatter nicht durchführbar. »Innerhalb der Grenzen unseres Bewusstseins können wir […] seinen Aussagen die Bejahung nur um den Preis versagen, daß wir uns vernichten,«29 hat er prägnant gegen den Skeptizismus formuliert. Mit dem Skeptizismus wird zugleich ein Cartesischer Dualismus hinfällig. Denn Erkenntnis ist gleichermaßen bewusstseinsimmanent und bewusstseinstranszendent. Erkennen ist, wie Schlatter auch einmal sagt, »das Mittel, das uns mit der uns berührenden Wirklichkeit vereint.«30 Diese Konzeption, die in der Schlatter-Forschung als »kritischer Realismus« bezeichnet wurde, der gleichermaßen weit von einer vom Erkenntnissubjekt unabhängigen naiven Realismus als auch von Skeptizismus und Phänomenalismus entfernt ist, hat in der Baader-Vorlesung einen markanten Ursprungspunkt in der Aussage über die »Einheit von Wissen und Sein.« Bedeutsam ist dabei, dass Schlatter zum Aufweis dieses Realismus einerseits auf empirischer und andererseits auf metaphysischer Ebene argumentiert. Diese Verschränkung kann man mit Walldorf als wechselseitiges Interpretations- und Korrekturverhältnis verstehen; der Rekurs auf Erfahrung erdet spekulativen Überschwang, wie ihn Schlatter auch an Baader zu kritisieren hatte; der metaphysische Horizont bewahrt die Empirie vor reduktionistischer Positivierung. Das Gesamtbild der Einheit des Seienden nämlich ist aus Erfahrungsgründen nicht zu gewinnen. Hierzu bedarf es vielmehr des Rückgangs in den metaphysischen Letztgrund. Auf der Erfahrungsebene hat Schlatter den in der Baader-Vorlesung anvisierten Vorrang des ›Gegebenen‹ vor der ›Konstruktion‹ einerseits intersubjektiv am Phänomen zwischenmenschlicher 29 Schlatter, Das christliche Dogma, a.a.O., S. 23. 30 Schlatter, Die christliche Ethik (1914), Stuttgart 51986, S. 250.
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Kommunikation, andererseits auf die Subjektivität und ihren Erkenntnisvollzug bezogen exponiert. Die theophane Struktur alles erkennenden Weltbezugs, einen weiteren Keimgedanken des BaaderKollegs gegenüber Transzendentalphilosophie und nachkantischem idealistischem Denken, hat Schlatter dann in Richtung auf diese Letztbegründung weiter ausgearbeitet: »Die Natur erweist sich, weil sie ein cognoscibile ist, als von Intelligenz durchwohnt, somit als gewusst, und unser Wissen um sie ist ein abgeleitetes.«31 Prägnant hat er dies auf die Formel gebracht: »Dass die Dinge denkbar sind, bezeugt, daß vor ihnen Gottes Gedanke steht.«32 Menschliche Vernunft ist aber selbst nicht konstituiert. Sie folgt dem Gegebensein einer von Gott her erschlossenen und eröffneten Wirklichkeit. Dieser realistische Ausgang vom Vorfindlichen bedeutet gegenüber dem auf Selbstkonstitution durch Subjektivität gerichteten Hauptstrom neuzeitlicher Metaphysik seit Descartes eine schwerwiegende Revision. Eben jene grundstürzende Umkehrung gegenüber der transzendentalphilosophischen Begründungsform ging Schlatter nun ausweislich der nachgelassenen Vorlesung an Baader auf. Die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf werde, so zeigte Schlatter, in der nachkantischen Philosophie viel zu wenig beachtet. Auch an diesem Punkt kann er auf Baader zurückgreifen. Allerdings geschieht dies in der späteren ›Metaphysik‹ mit durchaus kritischen Akzenten. Die Schranke gegenüber »theosophischem Denken« hat Schlatter in der ausgearbeiteten Erkenntnislehre seiner ›Metaphysik‹ im Verweis auf die »Unerschöpflichkeit« der Realität und die »Unbegreiflichkeit« des Wirklichen betont. Dies betrifft insbesondere die Genesis der Wirklichkeit. Schlatter war, sehr im Unterschied zu Baader oder dem späten Schelling, von der »Unsichtbarkeit des Werdens« überzeugt. »Die Wahrnehmung des Entstehens und Werdens ist uns überall versagt. Wir sehen nur Ent31 Vgl. vorliegende Publikation weiter unten. Siehe zur Charakterisierung auch Walldorf, a.a.O., S. 134. 32 So Schlatter, Dogmatik I, S. 119, hier zit. nach Walldorf, a.a.O., S. 135. Siehe auch ders., Das christliche Dogma, a.a.O., S. 453.
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standenes, nur die Resultate des Wirkens.«33 Nicht die Gedanken Gottes vor der Schöpfung, wie Hegel meinte, erschließen sich dem Menschen. Da er Gottes Ebenbild ist, erschließt sich ihm die von Gott geschaffene Wirklichkeit; da er aber Gott nicht gleich ist, hat er nur eine begrenzte Wirklichkeitserkenntnis. 3. In der Durchführung von Schlatters Allgemeiner Metaphysik fällt die Baadersche Prägung gerade dort ins Gewicht, wo eingeschliffene Denkgewohnheiten des Cartesianismus aufgebrochen werden. Dies zeigt sich in der Eigenständigkeit von Schlatters Kategorientafel, die sowohl ›ontologische‹ als auch ›personale‹ Dimensionen enthält: So expliziert Schlatter neben ontologischen Kategorien wie dem Verhältnis von ›Einheit‹ und ›Vielheit‹ auch ›Wissen‹ (Gewusstsein) und ›Wille‹ als Kategorien. Bei unerlässlicher Unterscheidung und Sonderung der Bereiche hat Schlatter gerade in der Kategorienlehre den Zusammenhang zwischen Metaphysik und Theologie besonders hervorgehoben. Die Fundamentalstrukturen des Wirklichen wie etwa Einheit und Vielheit sind mithin für Schlatter im Wesen Gottes vorgeprägt. Ontologie erweist sich, mit einer treffenden Formulierung von Christoph Schwöbel, als »Modaltheorie göttlichen Handelns«34 – insofern als Wirklichkeit und Handeln Gottes die eigentliche transzendentale Bedingung der Wirklichkeit der Welt bilden. So unbestreitbar gerade in der Kategorienlehre auch andere Einflüsse als jener Baaders wirksam wurden, unter anderem die über Trendelenburg vermittelte Aristoteles-Kenntnis,35 so führt doch gerade der Gottesgedanke die Linien weiter, die Schlatter in der frühen Baadervorlesung exponiert hatte. Sein und Werden sind nur Manife33 Vgl. Schlatter, Das christliche Dogma, a.a.O., S. 96. 34 Chr. Schwöbel, Die Rede vom Handeln Gottes im christlichen Glauben. Beiträge zu einem systematisch-theologischen Rekonstruktionsversuch, in: MJTh I (1987), S. 56ff, hier insbes. S. 77. 35 Auf die Bedeutung von Trendelenburg, Logische Untersuchungen Band I und II, Hildesheim 1964 (Nachdruck der 3. Auflage von 1870) und den damit verbundenen tieferen Zugang Schlatters zu Aristoteles und Thomas von Aquin weist Walldorf u.a. S. 172f und S. 278ff hin.
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stationen des übergreifenden Lebens. In Gott sind sie daher in ihrem einander wechselseitig durchdringenden Einheitszusammenhang originär zu erfassen.36 Im einzelnen hat Schlatter diesen Gedanken einer ursprünglicheren Verbundenheit von ›Sein‹ und ›Werden‹ im Leben, die sich dem Menschen als »vestigium trinitatis« ergibt, in der folgenden Weise entwickelt: »In der Hervorbringung unseres Bewußtseinsinhalts ist das, was wir durch die beiden Abstraktionen ›Sein‹ und ›Werden‹ bezeichnen, beisammen. Darum heißen wir das, was wir in uns als das uns Gegebene vorfinden, Leben, weder bloß Sein – das wäre nur die Identität ohne die Selbstunterscheidung, nur das Beharren ohne die Beweglichkeit – noch bloß Werden – das wäre nur der Übergang in ein anderes und zweites ohne die Einheit. Wir sind; denn wir sind auch im zweiten das erste, im neuen dasselbe. Wir werden; denn wir sind nicht bloß das erste, sondern auch das zweite und die beides verbindende Einigung. Weil wir so sind, daß wir werden, so werden, daß wir sind, darum leben wir.«37 4. Die Struktur des Schlatterschen Denkens wird aber verkannt, wenn ihm, wie es in der älteren Forschung immer wieder geschah, ein Rückfall in die vormoderne klassische Metaphysik vorgehalten und dann, mit den gängigen Münzen des Neoprotestantismus, gefragt wird, ob denn ein solches Denken noch tragfähig sei. Hier artikuliert sich dann leicht ein wenig reflektierter und begründeter antimetaphysischer Affekt. Er wird in diesem Sinne gerade gegen Baader als Inspirationsquelle zu mobilisieren sein. Kann er sich doch mit der gängigen Auffassung von Baader als einem selbst vormodernen, ja reaktiven katholischen Philosophen verbinden.38 I. Kindt hat in die36 Vgl. dazu: A. Bailer, Das systematische Prinzip in der Theologie Adolf Schlatters, Stuttgart 1968, insbesondere S. 46ff. Bailer fasst als den Fokus von Schlatters Denken den Lebensbegriff auf, der auf das Leben in und aus Gott zielt. Dies ist zwar einerseits eine gewisse Verengung, andrerseits wird damit doch eine zentrale Perspektive eröffnet. A. Schlatter, Das christliche Dogma, Stuttgart 21923, S. 25. 37 A. Schlatter, Das christliche Dogma, Stuttgart 21923, S. 25. 38 Vgl. die umsichtigen Richtigstellungen bei P. Koslowski, Philosophien
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sem Sinn bemerkt: »Schlatters Anschluss an das Denken Baaders bedingt dabei notwendig die Rezeption eines vom Standpunkt moderner Wissenschaft nicht mehr verifizierbaren theistischen Seins- und Wirklichkeitsverständnisses.«39 Eben dies ist grundsätzlich in Frage zu stellen. Bleibt doch zum einen allererst zu fragen, welchen Modellen die »moderne Wissenschaft« folgt und ob sie denn überhaupt irgend Normativität für das Welt- und Gottesdenken beanspruchen kann;40 ebenso ist der Baader-Impuls keineswegs als reaktiv und anachronistisch zu begreifen. Nahm Baader doch die nachkantische Philosophie auf und bildet doch sein Denken eine kritische Instanz auf der Höhe der avanciertesten Begründungsansprüche der Moderne.41 Überdies wird man historisch-genealogisch berücksichtigen müssen, dass Schlatter schon als Hörer von Steffensens Vorlesungen zu einem viel weiter gefassten Begriff von Metaphysik und der Überlegung kam, dass »die gesamte abendländische Philosophie im Grunde nur verschiedene Variationen der griechischen Philosophie der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn u.a. 2001, S. 277ff, siehe auch schon ders., Die Philosophie, Theologie und Gnosis Franz von Baaders. Spekulatives Denken zwischen Aufklärung, Restauration und Romantik, Wien 1993 (= Philosophische Theologie Band 3). Siehe auch die umfassende Darstellung von H. Graßl, »Die Münchner Romantik«, in: Von der Aufklärung zur Romantik. Geistige Strömungen in München, Regensburg 1948. 39 Siehe I. Kindt, Der Gedanke der Einheit, a.a.O., S. 152. 40 Auch von agnostischen Denkern wie Thomas Nagel wird heute ein reduktiver Szientismus, der wohl mit dem neuzeitlichen Mainstream identisch gesetzt wird, massiv in Frage gestellt. Vgl. T. Nagel, Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist, Frankfurt a.M. 2013. Vgl. auf argumentationsanalytischem Weg auch D. von Wachter, Die kausale Struktur der Welt. Eine philosophische Untersuchung über Verursachung, Naturgesetze, freie Handlungen, Möglichkeit und Gottes Wirken in der Welt, Freiburg i.Br./München 2009. 41 Dies zeigt D. Henrich in vielen seiner Schriften vgl. hier nur ders., Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991.
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darstellt«.42 Deshalb wird die Suche nach der Möglichkeit einer ›christlichen Philosophie‹ für Schlatter, wie Werner Neuer gezeigt hat, auch zur Debatte mit der idealistisch nachkantischen Philosophie. Die Frage ›Griechentum oder Christentum‹ kondensiert sich daher zur Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer christlichen Philosophie der Offenbarung. Diese Konfrontierung hat durchaus existenzielles Gewicht: Schlatters erste intensivere Begegnung mit der Philosophie führte ihn, durch ein Spinoza-Studium, zu einer tiefen Glaubens- und Lebenskrise.43 Auch wenn diese Krise selbst vergleichsweise schnell überwunden werden konnte, nahm Schlatter doch die Philosophie künftig sehr ernst. Die Probleme, die die Philosophie bearbeitet, werden, wie er wusste, »nie willkürlich gebildet […]. Sie entstehen vielmehr »aus dem Tatbestand des menschlichen Lebens«.44 Dies bedeutete für Schlatter, dass Eigensinn und -bedeutung philosophischen Denkens realistisch und sachgemäß wahrgenommen werden müssen und keineswegs leichtfertig beiseite gewischt werden dürfen. Dass man Schlatters Werk über ›Die philosophische Arbeit seit Cartesius‹ gar nicht anmerke, dass es das Werk eines Theologen sei, hat Helmut Thielicke wie eine Bestätigung des Schlatterschen Umgangs mit Philosophie konstatiert.45 Vordergründig ist dieses Urteil durchaus 42 So Neuer, Adolf Schlatter, a.a.O., S. 63, mit Verweis auf Steffensens Feststellung: »Ich finde nicht, daß seit Platon und Aristoteles von irgendeinem Metaphysiker wahrhaft Neues geltend gemacht worden ist«, in: ders., Zur Philosophie der Geschichte. Mit einem Vorwort von R. Eucken, Basel 1894, S. 62. 43 Hierzu Neuer, Adolf Schlatter, a.a.O., S. 58ff. 44 Schlatter, Die philosophische Arbeit, S. 285 45 So H. Thielicke in seinem Geleitwort zur [veränderten] 4. Auflage der Vorlesung ›Die philosophische Arbeit seit Descartes. Ihr ethischer und religiöser Ertrag‹, Stuttgart 1959, S. 15. Vgl. auch W. Neuer, Der Zusammenhang von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter, Gießen/Basel 1986; sowie ders., Adolf Schlatter als Philosoph, in: S. Grosse und G. Schultz (Hg.), Möglichkeit und Aufgabe christlichen Philosophierens, Münster 2011, S. 91ff.
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zutreffend. Schlatter hätte ihm dennoch wohl durchaus widersprochen, und gerade in dieser weitgehenden Vorurteilsfreiheit das Amt des Theologen gesehen, hielt er doch fest: »Jeder echte Theolog ist Beobachter, nicht Konstrukteur; er denkt auf Grund des Gegebenen, nicht ›a priori‹.«46 Mehr noch: Der Bezug auf Jesus Christus ist, wie auch Helmut Thielicke treffend bemerkt hat, gerade kein »blinder Fleck«.47 Die in Jesus Christus geschehene Erlösung ist vielmehr auch eine Erlösung zur Sachlichkeit und damit zur Möglichkeit, sachgemäß ›zu sehen‹. Darum ist »Sachlichkeit ein Modus der Erlösten«.48 Dies ist für Schlatters Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie, Offenbarung und Vernunft von Bedeutung. Man bedenke, dass er seine ›Metaphysik‹ geschrieben hat, um zu zeigen, dass das Heilsereignis in Jesus Christus die Wirklichkeit insgesamt betrifft und keineswegs ein Sondergut darstellt: »Schuf nicht Jesus dadurch, daß er unsrer Religion die Wendung gibt, die wir dankbar als unsre Versöhnung mit Gott priesen, auch die Epoche in unsrer Auffassung der Natur und des seelischen Lebens, so daß er uns auch eine neue Metaphysik gewährt?«49 Dieser Anlass führte Schlatter dazu, nur die Synthese von Offenbarung und Vernunft für eigentlich sachgemäß anzusehen. Schlatter sah darin ein wechselseitiges Geben und Nehmen; ein Akzent, der ihm nicht zuletzt durch die Anregungen Baaders aufgegangen sein wird. Er hat dies prägnant so formuliert: »Wir haben zu erkennen, um zu glauben, und zu glauben, um zu erkennen.«50 Dies bleibt mit Schlatter einer in gläubigen Kreisen bis heute begegnenden »Furcht vor dem Denken« entgegenzusetzen. Zwar kann das natürliche Licht der Vernunft niemals den Offenbarungsglauben ersetzen oder sich auch nur über ihn stellen. Doch, wie Schlatter richtig erkannte, 46 Schlatter, Die philosophische Arbeit, a.a.O., S. 12. 47 H. Thielicke, Vorwort zu Schlatter, Die philosophische Arbeit seit Cartesius, Göttingen 1959, S. 15. 48 A.a.O., S. 15. 49 Schlatter, Metaphysik a/b, in der Edition, S. 18. 50 Schlatter, Das christliche Dogma, a.a.O., S. 112.
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setzt Glaube Vernunfterkenntnis voraus, folgt er doch der von Melanchthon namhaft gemachten Trias von ›notitia‹ – ›assensus‹ – ›fiducia‹.51 Erst der vernunftgeleitete Glaube ist auch in der Lage, menschliche Vernunfterkenntnis von Verengungen und Verkehrungen zu lösen. 5. Dass Schlatter keineswegs in vorneuzeitliche Konstellationen zurückfällt, wird auch in seiner starken Betonung der Personalität deutlich. Personalität reicht weiter als die Subjektivität des kantischen »ich denke«, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss. Personalität ist nämlich nicht produziertes, sondern dem Menschen vorgegebenes Sein; weshalb Schlatter den Menschen als »metaphysisches Geheimnis« begreift und damit nahe an die Philosophie des Personalismus und der Dialogizität heranrückt.52 Solches Personsein entfaltet sich in der Spannung zwischen Leibnatur und Gottbezogenheit. Dies hat Schlatter, darin wiederum einem zentralen Impuls Baaders folgend, so bestimmt, dass »unser Denken implizit in dem Bewusstsein ruht, dass ihm außer uns ein Denken vorausgegangen ist, dem wir nachdenken können«.53 Jene Gottesbezogenheit versteht Schlatter als ›humane Differenz‹. In ihr zeigt sich also erst das eigentliche Humanum. Man wird die Sachgemäßheit von Schlatters Philosophie heute, dank der Arbeiten der neueren Phänomenologie und des ›New Foundationalism‹ leichter namhaft machen können, als es Jochen Walldorf seinerzeit möglich war. Und man wird dabei auf bedeutende, auf hohem Niveau argumentierende Ansätze zurückgreifen können, die sich Reduktionismus und Dualismus entgegensetzen.54 Sie bestimmen 51 Vgl. dazu Neuer, Adolf Schlatter als Philosoph, a.a.O., S. 103ff. 52 Dazu Schlatter, Metaphysik, a.a.O., S. 73ff und S. 83ff und die trefflichen Rekonstruktionen von J. Walldorf, Realistische Philosophie, a.a.O., S. 225ff. 53 Vgl. Schlatter, Franz von Baader; vorliegende Publikation weiter unten, S. 163f. 54 Vgl. hierzu v.a. die Arbeiten von Swinburne und Plantinga. Siehe hier insbes. A. Plantinga / N. Wolterstorf (Hg.), Faith and Rationality. Notre
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zwar keineswegs das Klima der internationalen philosophischen Diskussion. Sie sind aber auch nicht ohne weiteres beiseite zu wischen. Es erweist sich vor diesem Denkhintergrund gerade nicht zwingend, wie Irmgard Kindt meint, als eine Schwäche des Schlatterschen Ansatzes, dass er sich auf das Fundament der Metaphysik stellt.55 Zutreffend und auch für die Baader-Vorlesung kennzeichnend ist es zwar, wenn Kindt »die Einheit« – und zwar namentlich die Einheit Gottes – als Zentrum der Schlatterschen Theologie und Philosophie begreift. Doch diese Einheit ist ja keineswegs nur ein formales Prinzip. Sie ist vielmehr metaphysisch und ontologisch als die Einheit in der Wahrheit und im Gottesbegriff und von hier her als spannungsvolle Einheit von Vernunft und Glaube zu verstehen.
3. Adolf Schlatters frühe Berner-Vorlesung als Beispiel seiner Zuordnung von Theologie und Philosophie Die angemessene Rezeption des Vorlesungstextes fordert, dass man sich von Weichenstellungen löst, die zum Mainstream der Denkgeschichte der letzten dreihundert Jahre gehören. Das nachgelassene Vorlesungsmanuskript von Adolf Schlatter ist weit mehr als Dame 1983 und ders., Warrant and Proper Function, New York 1993. Eine bemerkenswerte Resonanz bietet auch D. von Wachter, Die kausale Struktur der Welt, a.a.O. Ich habe auf diese Linien auch in meiner Baseler Antrittsvorlesung hingewiesen: H. Seubert, Der Gott der Philosophen und die Wahrheit des Glaubens. Möglichkeiten und Grenzen christlicher Philosophie, in: G. Schultz / S. Leuenberger / H. Seubert (Hg.), Grenzüberschreitungen. Christlicher Glaube im Gespräch mit Philosophie und Weltreligionen, Münster 2013, S. 53ff. Siehe auch im Blick auf eine dezidiert christliche Metaphysik in der neueren französischen Phänomenologie H. Seubert, Zwischen Religion und Vernunft. Vermessung eines Terrains, Baden-Baden 2013, S. 357ff. 55 Kindt, a.a.O., S. 132.
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eine Gelegenheitsarbeit. Es ist ein geistes- und ideengeschichtliches Dokument ersten Ranges und zugleich ein bleibender Beitrag zur Baader-Forschung. Darüber hinaus ist es ein herausragendes Zeugnis der Schlatterschen Reflexionen über das Verhältnis von Glaube und Vernunft, damit über die Zuordnung von Theologie und Philosophie und nicht zuletzt ist es ein bedeutender Erweis der Möglichkeit einer Christlichen Philosophie. Jeder einzelne dieser Gründe kann die Edition rechtfertigen. Deren Zusammenhang legt eine Veröffentlichung zwingend nahe. Die Bedeutung der Vorlesung für die Baader-Forschung kann man kaum besser zusammenfassen als es vor mehr als zwei Jahrzehnten der renommierte Baader-Forscher Hans Graßl getan hat. Das schmale Kolleg könne als »sehr ausgereifter und überzeugender Überblick über das Gesamtwerk Baaders« gelten. In der Darstellungsweise werde »eine Übersetzung der oft schwer verständlichen, abschweifenden, gebrochenen Sprache Baaders in eine flüssige wissenschaftsgemäß-systematische Sprache« geleistet; und es zeige sich in eindrucksvoller Weise die Vertrautheit Schlatters sowohl mit Baaders Gedankenwelt als auch mit den philosophisch theologischen Kontexten von dessen Werk.56 Schlatters Kolleg zeigt den folgenden, durch römische Zahlen angezeigten architektonischen Aufbau: Zunächst positioniert er Baader innerhalb der Kantischen und nachkantischen Philosophie. Er expliziert damit zugleich eine Metakritik der Transzendentalphilosophie und der ihr nachfolgenden spekulativen Ausprägungen der klassischen deutschen Philosophie (I). Sodann werden, im Anschluss an Baader, die dauerhaften christlichen Glaubensströmungen thematisiert, die für Philosophie und Ideengeschichte, zumal in Deutschland, prägend geblieben sind: Katholizismus und Reformation. Ihre Schwächen und Einseitigkeiten werden von Schlatter ebenso klar herausgearbeitet wie ihre Ergänzungsbedürftigkeit – in der Richtung auf eine neue Oikoumene der Christenheit (II). Sodann wendet sich der 56 H. Graßl, Gutachtentext München 13.10.1986, Schlatter-Archiv Nr. 936.
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Text der mystischen Prägung Baaders zu und enthält aufschlussreiche Überlegungen zum Zusammenhang von Philosophie und Theosophie, indem er die beiden ›Lehrmeister‹ Franz von Baaders zum Thema macht: Nämlich Jakob Böhme und den in Deutschland heute fast unbekannten Jean-Claude de Saint-Martin (III). Sodann wird knapp, aber sehr prägnant der Begriff eines christlichen Denkens in fünf Lehrsätzen dargestellt. Es ist bemerkenswert, dass Schlatter zu dieser Darstellungsform, wie der Text zeigt, erst auf dem Weg eines Konzeptionswechsels gelangt. Sehr schlüssig schließt das Manuskript mit dem anti-cartesianischen Plädoyer für den Vorrang des ›cogitor‹ vor dem ›cogito‹: also der Ermächtigung des menschlichen Subjektes zum Denken, die seinen einzelnen Denkakten vorausgehen muss. Dies bedeutet zugleich, dass Dynamik und Genese des Denkens auf ein unhintergehbares Selbstbewusstsein verwiesen sind, das zugleich Gottesbewusstsein und dialogisch auf Gott als seinen Urheber geöffnet ist. 1. Den ersten Teil des Vorlesungstextes bildet ein knapper, dabei aber ungemein prägnanter Abriss zur kantischen und nachkantischen Philosophie im Blick auf Baader. Schon dieser erste Teil ist alles andere als eine bloße philosophiehistorische Übung. Hegel, Schelling und andere bedeutende Philosophen der klassischen deutschen Philosophie positionierten sich selbst innerhalb der nachkantischen Philosophie durch eine Art philosophischer Geschichtsschreibung. In diese Tradition gehört in prägnanter Weise Schlatters Darstellung des geistigen Ortes von Baader. Der spezifische Blickpunkt liegt dabei auf dem inneren Spannungsverhältnis von Philosophie und Theologie, Glaube und Vernunft. Schlatter legt zunächst dar, dass Kant sowohl in seiner theoretischen wie auch in seiner praktischen Philosophie über eine abstrakte Vernunftgesetzgebung nicht hinausgekommen sei. Kant habe Türen geöffnet, habe aber niemals die Räume betreten, die sich auf diese Weise öffneten. Das trug ihm, wie Schlatter darlegt, Baaders berechtigte Kritik ein. Baader sah aber, was durchaus bemerkenswert ist, dass Kants ›dritte Kritik‹, die ›Kritik der Urteilskraft‹, am ehesten geeignet sei, den Zusammenhang von Subjekt und Objekt darzustel– 30 –
len und eine umfassende Gesamttektonik der Vernunft zu erfassen. Diese explizite Hochschätzung der ›Kritik der Urteilskraft‹ antizipiert eine Einsicht, die auch in der neueren Kant-Forschung, etwa bei Wolfgang Wieland, begegnet.57 Schlatter konstatiert nun in Übereinstimmung mit Baader, dass dem kantischen Vernunftbegriff eine ganze Dimension fehle: die gebende, Erkennen überhaupt ermöglichende Seite, die auf den göttlichen Grund menschlichen Erkennens verweist. Diese theologische Dimension wird abgeschnitten. Indem Kant eine über das Verstandesdenken hinausgehende Vernunft als einen bloßen Grenzbegriff festhalte, leugne er die Vernunft, bzw. reduziere er sie auf einen verendlichten Verstand. Die Vitalität und Dynamik des Vernunftvermögens komme aber gar nicht in den Blick. Schlatters Vorwurf des Formalismus und der Verfehlung der metaphysischen Wirklichkeit in der kantischen Vernunftarchitektonik hat seine Entsprechung in der Verfehlung der Wirklichkeit in der kantischen Moralphilosophie. Die Rede von der »Praktischen Vernunft« begreift Schlatter als künstlich; Moral schränke sich bei Kant auf die Affirmation des Sittengesetzes ein. Die postulatorische Glückseligkeit, die nach Kant aus der Glückswürdigkeit hervorgegangen sein muss, resultiert demnach aus derselben Verlängerung des immanentistischen Pflichtbegriffs. Sie muss als »Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft« deshalb angenommen werden, weil der Mensch mit der Erfüllung seiner Erkenntnis- und seiner Moralpflichten in dem endlichen Leben nicht zum Ziel komme. Damit werde eine Kluft aufgerissen, die nicht überbrückt werden könne, die Kluft nämlich zwischen dem natürlichen Willen und dem Gesollten. Der natürliche Wille müsse niedergehalten werden. Die motivierende Kraft des guten Willens, die Schlatter letztlich im »ordo amoris« sieht, kann auf diese Weise gerade nicht 57 W. Wieland, Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen 2001. Dort wird, vor allem S. 25ff, die dritte Kritik geradezu als der Ausgangspunkt der Kantischen Begriffsarbeit verstanden. In eine ähnliche Richtung tendierte M. Riedel, Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung, Frankfurt a.M. 1989.
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gewonnen werden. Gegenüber der kantischen Konzeption arbeitet Schlatter konsequent ein Verständnis der Ethik als Liebesethik heraus. Eine immanentistische Ethik bleibt also bei dem Bruch zwischen ›Sein und Sollen‹ stehen. Demgegenüber wäre es Sache der christlichen Philosophie, den Liebeszusammenhang zu erfassen und von ihm her Pflicht zu denken. Schlatter arbeitet, mit Baader, von hier her konsequent den dezidiert anti-christlichen Grundzug der kantischen Philosophie heraus. Letztlich ergebe sich eine zwar in sich eindrucksvolle, doch »heil- und heillandlose« Konzeption. Diese Interpretation Schlatters widerspricht irenischeren Lösungsversuchen, die gerade Kants Sittengesetz als säkularisierte Version des göttlichen Gebotes verstehen und Kant als »Philosophen des Protestantismus« zu retten suchen.58 Man muss ihr aber konzedieren, dass sie Kants Grundgedanken treffend auffasst und sie konsequent zu Ende denkt. Gerade in dieser Abgrenzung wird aber die spezifische Bedeutung Kants anerkannt: Der rationalistische Gottesbegriff der Aufklärungszeit – gemeint ist die Crusius-Wolff-Schule – sei zwar in seinem materialen Gehalt ungleich inhaltsreicher gewesen als die kantische Konzeption. Zugleich aber sei er gedankenleer geblieben. Die kantische Konstellation fordert demgegenüber eine Selbstreflexion des Denkens ab, der sich die nachkantischen Philosophen je in ihrer Weise stellen. Auch der ihm besonders nahe Baader nimmt in diesem Spektrum eine Position ein, die ohne den kantischen Anstoß, dem sich Baader zwischen Zustimmung und Ablehnung genähert hat, gar nicht möglich gewesen wäre. 2. Ein eingehendes Kapitel gilt sodann Johann Heinrich Jacobi.59 Schlatter legt die Sympathien Baaders mit Jacobi offen. Dennoch 58 Die Formulierung geht auf Friedrich Paulsen zurück, wurde dann von Julius Kaftan und anderen aufgenommen. Vgl. dazu: A. Heit, Eine Studie zur systematischen Bedeutung des Rechtfertigungsgedankens für Kants Religionsphilosophie, Göttingen 2006, S. 20ff. 59 In Abweichung von Schlatters Schreibung folge ich hier der heute gängigen Schreibweise.
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besteht eine Differenz: Jacobi reißt eine Kluft zwischen Wissen und Wissenschaft einerseits, dem Absoluten andererseits auf. Damit trennt er auch Philosophie und Theologie. In dieser Konzeption wollte und konnte ihm Baader nicht folgen. Aufgrund dieser Trennung konstatiert Schlatter überraschenderweise, aber treffend, dass Jacobi im Aufklärungszeitalter und seinen Disjunktionen befangen bleibt. Die Bifurkation, auf der einen Seite ein begreifender Verstand, der in letzter Konsequenz zur Leugnung von Freiheit, zu einem Spinozanischen Determinismus und damit zu Atheismus und Nihilismus führe, dort der Sprung in den Lichtabgrund und das »Totalexperiment des Glaubens« (Erich Heintel), reißt erneut eine entzweiende Kluft auf, wie sie für das Aufklärungszeitalter charakteristisch ist. Eine Brücke zwischen beidem kann daher nicht errichtet werden. Damit würde Offenbarungstheologie dort beginnen, wo die Philosophie endete, eine genuine Korrelation zwischen Theologie und Philosophie würde unmöglich. Schlatter erkennt als Proprium von Baaders Position, dass er sich weder mit der Formalität der kantischen Transzendentalphilosophie begnügt noch den Jacobischen »Salto mortale auf festen Grund«, eben den Grund des Glaubens mit vollzieht, der in ein Anderes der Vernunft führt und begrifflich bzw. philosophisch nicht mehr eingeholt werden kann.60 Eine solche Mittelposition jenseits der Positionen von Hegel einerseits (»Flucht in den Begriff«) und Kierkegaard andrerseits (»Sprung«)61 ist auch für die Grundlagen der evangelischen Theologie in der Moderne von großer Bedeutung. Jacobis Doppelphilosophie, das Auseinandertreten von Glaube und Vernunft, ist für Baader und mithin auch für Schlatter schon darin inakzeptabel, dass er problemgeschichtlich die weitergehende Folge hat, dass der Glaube nurmehr als Paradoxon für die Vernunft verstanden wird, das sich 60 Vgl. dazu B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 61 Vgl. dazu: T. Hagemann, Kierkegaards Sprung, in: parapluie 7 (Winter 1999/2000), S. 1ff.
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allenfalls dem »Gefühl« erschließe. Hieraus ergeben sich Genealogien, die allzu ausschließlich wirksam geworden sind: Die Gefühlsreligion verbindet Jacobi mit Schleiermacher, die paradoxale Dimension wird über Kierkegaard bis in die Anfänge der dialektischen Theologie hinein wirksam. Schlatters neue Vergegenwärtigung von Baader ermöglicht es, diese Engführungen zu überwinden. Es ist bedauerlich, dass die protestantische Theologie einseitig den Weg Schleiermachers favorisiert hat, statt der Alternative Schlatters zu folgen, obwohl diese doch der reformatorischen Tradition viel eher entsprach, wie die Trias Melanchthons von notitia – assensus – fiducia eindrücklich zeigt.62 Ihnen gegenüber profiliert Schlatter mit Baader nämlich Vernunft als das Erkenntnisorgan, das sich gleichermaßen der Metaphysik und dem Glauben öffnet. Die von Schlatter recht detailliert umrissene Auseinandersetzung zwischen Baader und Jacobi über das Böse und den Teufel wird ihm zum Exempel für Jacobis verengten Blick: Baader erkennt die Einwurzelung des Bösen in der Vernunft selbst, die damit zum pervertierten, von ihrem Ursprung abgefallenen Ort des Absoluten wird. Diese Erkenntnis teilt er im Übrigen mit Schellings ›Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit‹ –,63 während Jacobi die Urgenealogie des Bösen lediglich in einem Rückfall des Menschen auf seine Tierheit ausmacht. 3. Ein weiteres dichtes Kapitel widmet Schlatter Fichtes Ichphilosophie als Begründung des Absoluten im Subjekt. Kritisiert wird an Fichtes Epoche machender erster Wissenschaftslehre von 1794/95, dass das kreatürliche Ich, das auch in seiner transzendentalen Selbstsetzung unhintergehbar bleibe, die Begründungslast 62 Vgl. auch W. Pannenberg, Systematische Theologie Band III, Göttingen 1993, S. 163ff. 63 Vgl. die Editionen: F.W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Hg. von Thomas Buchheim, Hamburg 1997; sowie: Über das Wesen der menschlichen Freiheit, hg. von H. Fuhrmans, Stuttgart 2011 (Reclam).
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seiner Selbstsetzung als ›a se‹ tragen solle, die tatsächlich nur Gott tragen kann. Bei Fichte werde mithin die Grunddifferenz zwischen Creator und Creatura kassiert. Dieser theologische Einwand ist naheliegend. Es wäre aber von großem Interesse, vor seinem Hintergrund die Genese der späteren Wissenschaftslehren (ab 1804) zu befragen, die vom menschlichen Subjekt als dem Ebenbild der Absolutheit Gottes ausgehen. Als ›particula veri‹ Fichtes und damit der Transzendentalphilosophie insgesamt anerkennt Schlatter mit Baader die Einsicht, dass Wissen nicht extern, gleichsam als »Gegenstand« der Erkenntnistheorie seinerseits zu erkennen ist, sondern nur, indem seine Selbstgenese mit vollzogen wird. Den kardinalen Mangel an Fichte und damit an der Transzendentalphilosophie insgesamt erfasst Schlatter mit Baader aber darin, dass zwischen Sein und Wesen, und zugleich zwischen Subjekt und Objekt der Cartesische Dualismus aufrechterhalten bleibe. Demgegenüber zeichnet sich aber ein anderes Gegenmodell ab: Das Verständnis des Seins selbst als Teilhabe an seinem Prinzip, der Intelligiblität Gottes. 4. Schellings frühe Naturphilosophie fand, wie Schlatter zeigt, in hohem Maße Baaders Zustimmung. Dies hat auch damit zu tun, dass Baader ebenso wie Schelling seine eigenen philosophischen Anfänge bei Naturwissenschaft und Naturphilosophie nahm. Es verweist jedoch auch auf einen Schritt über die transzendentalphilosophische Wirklichkeitskonstitution im Subjekt hinaus. Dennoch werden die Differenzpunkte scharf und deutlich bezeichnet: Schelling fasst die Natur als ›Odyssee des Geistes‹ zu sich selbst; er bleibt aber damit in der kantischen Identifikation des Geistes mit menschlicher Subjektivität befangen. Man erinnert sich an den berühmten Dreikönigsbrief des Jahres 1795, den Schelling an Hegel schrieb, wonach es darum gehe, Gott wieder an den Anfang, statt an das Ende der Philosophie zu setzen.64 Die Baadersche Kritik gibt zu verstehen, dass Schelling mehr in die kantische Denkform 64 Schelling an Hegel, »am heiligen Dreikönigsabend 1795«, in: J. Hoffmeister (Hg.), Briefe von und an Hegel. Band I, Hamburg 1952, S. 13ff.
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verstrickt war, als er sich selbst eingestehen konnte, weshalb dieses Unterfangen scheitern musste. Auch Schelling verfängt sich also nach Baader in die Annihilierung der Differenz von Schöpfer und Geschöpf. Dies hat aber einschneidende Folgen. Dieser Zug bringe es mit sich, dass er weder der Eigengesetzlichkeit der Natur noch aber dem Gottesbegriff gerecht werden kann. Er denke vielmehr eine in und durch Natur werdende Gottheit. Gottes Sein vor aller Zeit, sein immanentes Wesen werde dabei verfehlt. Auch der Dualismus von Subjekt und Objekt, Natur und Geist, kann nur in die Indifferenz der Identitätsphilosophie geführt werden. Baader habe den Spinozismus Schellings vermerkt. Ihm sei aber auch nicht entgangen, dass Schelling nicht vom Substanz-, sondern von einem dynamischen Funktionsbegriff ausging. Baader habe dennoch festgehalten, dass die Schellingsche »Naturphilosophie« letztlich nicht zu einem Grund der Natur, also zu einem wirklichen Gottesbegriff führte. Schlatter sieht, in Übereinstimmung mit Baader, in der Schellingschen Freiheitsschrift von 1809 zu Recht einen wesentlichen Umbruch im Blick auf das leitende Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie, Glaube und Vernunft. Dieser Einwand zielt wohl in das Zentrum der Selbstrevisionen, die Schelling in der Transformation seines Denkens vorgenommen hat, indem er den Weg zur realen Offenbarungsgeschichte, aber auch zur Realität des Bösen und der Endlichkeit vorzeichnete, der für seine Spätphilosophie prägend werden sollte. Schlatter bemängelt freilich, dass Schelling seine Freiheitsschrift, die nicht zuletzt unter Baaderschen Einflüssen entstanden ist,65 nicht als eine solche Selbstrevision kenntlich gemacht habe. Schellings Spätphilosophie, die die Komplementarität von ›rein rationaler, negativer Philosophie‹ einerseits und höherem Empirismus der Philosophie der Offenbarung anderseits entwickelte, wird in Schlatters Baader-Manuskript nicht eigens gewürdigt. Baader 65 Zum Einfluss Baaders auf Schelling vgl. P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 571ff.
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hat aber, vor Schelling, eine eigene Philosophie der Offenbarung entwickelt, die Schlatters eigentlicher Gesprächspartner ist. 5. Baaders Befassung mit Hegels Philosophie des Panlogismus zielt im Wesentlichen auf zwei Kritikpunkte ab: einmal darauf, dass zwar das Denken, Sein und Wollen des Menschen in Gott gedacht werde, nicht aber die freie Transzendenz Gottes gegenüber seinem Begriff. Zum anderen reduziere Hegel die Natur auf bloße Notwendigkeit, er verharre eben damit bei der cartesischen Trennung von Subjekt und Objekt. Besonders anregend ist das HegelKapitel, da es in der Brechung auf Baader hin, Hegel und Schelling (bis zur Freiheitsschrift) miteinander kontrastiert. Dies geschieht bei Schlatter in einer bemerkenswerten Unabhängigkeit, die sich auf keine Seite der Schulstreitigkeiten des 19. Jahrhunderts schlägt und gerade darin eine luzide wechselweise Erhellung der Grundpositionen leistet. Auch Hegel verstrickt sich, so Baader, obwohl sein in der ›Logik‹ grundgelegtes System die Identität von Denken und Sein zu erweisen sucht, in einen Dualismus: den Dualismus zwischen der kontingenten, nicht-vernünftigen Welt einerseits und den Begriff anderseits. Die Wahrheit am Hegelschen System liegt, wie Schlatter nachdrücklich zeigt, darin, dass er gleichsam in einem Stufenbau die Gesamtheit des Wirklichen zeigt. Doch es ist, mit Schelling, nur »negative Philosophie«, nur gedachte Totalität. Sie dringt nicht zur ›Wirklichkeit Gottes‹ vor. Vordergründig kritisierbar scheint die Schlattersche These, dass Hegel damit nach wie vor in der kantischen Konzeption befangen bleibe, aber deren Skeptizismus preisgebe. Ist nicht vielmehr Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹ ausdrücklich als »sich vollbringender Skeptizismus« angelegt? Wenn man, wie Baader, die Konstruiertheit des Ansatzes so energisch festhält, dann bleibt jene Skepsis freilich selbst ein immanenter Kunstgriff. Er hat lediglich Durchgangscharakter und öffnet den Begriffsraum nicht über die Immanenz des Begriffes hinaus. 6. Ab Seite 28 des Manuskriptes verlässt der Text die philosophischphilosophiehistorische Darlegung und wendet sich der Positionierung Baaders in den großen Religionsströmungen seiner Zeit – 37 –
zu. Schlatters leitende Frage an Baaders Gedankengang ist dabei, wie eine dogmatisch vorgegebene Kirchenlehre in ein eigenverantwortetes Gottesdenken überführt werden kann. Zugleich reflektiert Schlatter die konfessionelle Differenz und würdigt Baader als einen genuin und aus eigenster Überzeugung römisch- katholischen Denker, der zugleich in harscher und radikaler Weise Kritik am Katholizismus übte. Baader hatte, wie Schlatter eingehend zeigt, ein korporatives Kirchenverständnis. Daher kritisierte er das Papsttum und ebenso ein Sakramentenverständnis des ›ex opere operatum‹. Dies hat weitreichende Folgen: Das Papsttum ist für Baader in keiner Weise zu rechtfertigen. Baaders tiefgreifende Kritik galt, wie Schlatter herausarbeitet, nicht nur dem tridentinischen Katholizismus, dem Übergewicht des Jurisdiktionsanspruchs und dem Weihepriestertum, sondern ausdrücklich auch Erscheinungen der mittelalterlichen Katholizität wie Asketik oder Mönchtum. Baaders kritische Einwände gegenüber dem Katholizismus bedeuten aber zugleich eine Vertiefung zur inneren Kirche, wie Schlatter zeigt. Baader erkannte jedenfalls bei aller Kritik und Polemik in der Katholizität einen Traditions- und Wahrheitszusammenhang, der die Bewahrung der Autorität und die kreative Fortbildung miteinander verband. Dies fasste er als Ineinander von »Klassizität« und »Genialität«. Er nimmt mit hoher Noblesse auch dieses Motiv, und keineswegs nur die Polemik wahr, die einem evangelischen Leser besonders entgegenkommen könnte. Er ist bemerkenswert frei von allem zu kurz greifenden Konfessionalismus und kann gerade dadurch Baader als Ahnherrn einer umfassenden Kirche aus dem Geist einer Ökumene der Wahrheit in den Blick nehmen. Von hier her vermag er zu würdigen, weshalb Baader bei aller Radikalität seiner Einwände überzeugter Katholik blieb und jede »Revolution« in der Kirche abwies. ›Revolution‹ blieb für Baader ein dezidiert pejorativer Begriff, wie umgekehrt ›primitiv‹ für ihn nichts anderes als ›grundlegend‹ bedeutet. In diesem Geist einer »cooperatio« in der Wahrheit, einer Ökumene aus dem Geist der Wahrheit, liegt das hohe theologische – 38 –
und ekklesiologische Gewicht dieser Passagen der Schlattterschen Vorlesung. Jene Ökumene wird keineswegs nur ›behauptet‹. Sie zeigt sich in Schlatters sympathetischer Bestätigung der Baaderschen Erwartung eines Wiederaufbrechens der ›Una Sancta Ecclesia‹ aus den verhärteten Schalen der Petrifizierung, das er sich insbesondere von der griechischen Kirche erhoffte. Schlatter kann auch hier Baaders Vorgaben folgen, immerhin hatte Baader betont, dass Papsttum und Katholizismus »nicht untrennbar« seien.66 Schlatter sieht aber vermutlich zu wenig Baaders Differenzierung: Seinem Verdikt unterliegt der päpstliche Kirchenstaat und ein Klerikalismus, der in einer verfehlten Auffassung des Papsttums kulminiert. Doch er gewinnt umgekehrt einem synodalen Verständnis des Papstamtes positive Seiten ab:67 Baader spricht hier von einer »wahre[n] Verbindung«, die »bekräftigend und elevierend [sc. ›erhebend‹] auf die sich Verbindenden« wirke.68 Diese Elemente wird man in einem künftigen wahrheitsökumenischen Gespräch keinesfalls außer acht lassen dürfen. Hier zeichnet sich eine Skizze des Johanneischen, zukünftigen Christseins ab, wie sie auch Schelling in der abschließenden Vorlesung seiner ›Philosophie der Offenbarung‹ vorgeschwebt hatte. Schelling sah den römischen Katholizismus im Zeichen des Petrus und seiner Schlüsselgewalt. Die Paulinische Kirche könne dagegen mit den Kirchen der Reformation identifiziert werden: Sie begründe sich auf die Rückkehr zur bindenden Autorität des Wortes Gottes. Die künftige Johanneische Kirche dagegen sei die Kirche der Liebe und des Geistes, die die Inkarnation des Logos im Fleisch zu ihrem Zentrum habe. Es ist erst die Johanneische Kirche, die auf die Wiederkehr Jesu Christi vorbereitet ist. 69 66 Baader, Sämtliche Werke Band 2, S. 214ff. 67 Baader, Sämtliche Werke Band 2, S. 214ff. 68 Ibid., S. 214. 69 Schellings Werke, Münchner Jubiläumsausgabe. Nach der Originalausgabe in neuer Anordnung herausgegeben von M. Schröter. VI. Hauptband, München 1927, S. 700ff.
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7. Im Licht der gleichen Offenheit und Tiefe widmet sich Schlatter auch Baaders Sicht der Reformation. Baader verweist darauf, dass Reformation nur »intra ecclesiam« wirksam werden kann. Schlatter referiert durchaus sympathetisch Baaders Reformationsdeutung, wonach die Unwahrheit der Reformation in ihrem Scheitern und Misserfolg liege. Sie habe zwar das Zwangselement des »ex opere operatum« aufgebrochen und die lebendige Einheit von Gott und Mensch gesucht. Doch sie sei einer anderen Verhärtung und Verflachung nicht entgangen; der bloß passivischen und auf Anwendung bezogenen Deutung des stellvertretenden Leidens und Sterbens Jesu Christi. Das monarchische Element im Papsttum habe sie abgelegt; umgekehrt sich jedoch an das staatliche Regiment gebunden. Schlatter tritt im Blick auf diese herausfordernde ProtestantismusDeutung in einen exemplarischen Dialog mit Baader. Damit bleibt der ökumenische Dialog nicht länger Programm. Er konkretisiert sich in wechselseitige Zumutungen der Auseinandersetzung um Schrift- und Tradition oder sichtbare und unsichtbare Kirche, die, recht verstanden, einander gegenseitig erfordern. Aus dieser Auseinandersetzung gewinnt Schlatter Kriterien für eine »ecclesia semper reformanda«, die den schöpferischen Kern und die lebendige Quelle christlichen Glaubens ins Zentrum rücke. 8. Wie eine ›Nachholung der Vorgeschichte‹ nehmen sich die Abschnitte aus, die »Baaders Lehrern« gewidmet sind: vor allem Jakob Böhme, dem großen lutherischen Mystiker aus Görlitz, der für die Findung einer deutschen Philosophiesprache von gar nicht zu überschätzender Bedeutung war, und Saint-Martin, dem Militär und Theosophen, der in seiner Theologie des Gebetes eine geradezu mathematisch logische Beweisform mit lyrischen Evokationen verband. Die für Baader maßgeblichsten Autoritäten waren also keineswegs kanonisierte Philosophen; sie bleiben bis heute Außenseitergestalten, ›philosophes inconnus‹. Gerade darin konnte aber ein Philosophiebegriff Gestalt gewinnen, der nicht primär auf Konstruktion und Distinktion, sondern vor allem auf Wirklichkeit und Einheit konzentriert war. Schlatter macht eindrucksvoll deutlich, – 40 –
dass Baaders eigenes Profil sich aus den »Philosophes inconnus« der abendländischen ›Philosophia perennis‹ speiste und dass er gerade deshalb auf die kantische und nachkantische Philosophie mit jener einzigartigen Freiheit zurückkommen kann, die eingangs geschildert wird. Schlatter hat diesen Denkgestus brillant als »Lösung in der Bindung« und »Bindung in der Lösung« beschrieben. 9. Die Vorlesung schließt mit der systematischen Darstellung der Baaderschen Erkenntnislehre. Schlatter orientiert sich hier an Baaders ›Fermenta cognitionis‹. Doch er gießt sie in seinen fünf Lehrsätzen in eine klarer umrissene Systematik, als man sie bei Baader findet. Dies kann durchaus als eigenständige philosophischsystematische Leistung begriffen werden. Man kann in diesen Passagen aber auch Schlatters eigenen Denkansatz und -anspruch erkennen: Der junge Schlatter deutet zugleich in einer souveränen Skizze seine eigene philosophische Konzeption an, die sich in seiner ›Metaphysik‹ fast drei Jahrzehnte später voll entfalten sollte – allerdings nicht mehr in der Frische und Nähe zu den Texten und Problemen, die das frühe Berner Kolleg zeigte. Gerade in der knappen Fokussierung des systematischen Zentrums von Baaders Denken erweist sich Schlatter, wie ebenfalls bereits Hans Graßl 1986 zeigte, als Meister einer souveränen Darstellung der Gedankengänge Baaders. Seinem Blick auf Baader eignet eine luzide Klarheit, die Baadersche Texte selbst selten aufweisen. Schlatter rekonstruiert den Baaderschen Philosophiebegriff, der nicht in Indifferenz und schon gar nicht im Gegensatz zur Religion positioniert ist: Philosophie wird vielmehr selbst als religiöser Begriff verstanden, da sie das Gottesbewusstsein voraussetze. Die Zentralthese ist dabei, dass das cartesische ›cogito‹ gar nicht autonom und selbsttragend sein kann. Es setzt vielmehr das ›cogitor‹, das Gedachtwerden durch den göttlichen Geist voraus. Die Reflexion auf die Begrenztheit menschlichen Wissens und menschlicher Weisheit kann damit nicht selbstreferentiell bleiben. Sie öffnet sich vielmehr auf den im philosophischen Denken stets mitzudenkenden Grund der eigenen Intelligibilität, den Geist Gottes. Damit ist eine eigenständige christliche Philosophie nicht nur legitim, sie ist – 41 –
durch die Defizite des philosophischen Weges der Neuzeit geradezu unumgänglich. Dem schließt sich der zweite von Schlatter rekonstruierte Baadersche Lehrsatz an, wonach das erste dem Menschen gegebene Wissen das Wissen von Gott ist. Das von Gott Gekannt- und Gewusst-Sein geht menschlicher Autonomie voraus. Dieser Ausgangspunkt ist für Baader wie für Schlatter der Ankerpunkt einer dezidiert christlichen Philosophie. Damit löst er die Programmatik der Anfänge des deutschen Idealismus ein, wonach Gott, bzw. das Absolute, vom Ende wieder an den Anfang der Philosophie zu setzen sei.70 Er hatte freilich gezeigt, dass die nachkantische Philosophie dies eben nicht konsequent zu leisten vermag. Den verschiedenen Gottesbeweisformen erteilt Baader eine Absage. Alles Seiende, Natur und Geschichte, sei vielmehr ein einziger Gottesbeweis. Schlüssel zur Gottes und Naturerkenntnis ist dabei aber, so sagt es der dritte Grundsatz, der Mensch. Indem Schlatter diesen Zug Baaderschen Denkens konsequent herausarbeitet, wird deutlich, dass Baader auch als Ahnherr einer metaphysischen Anthropologie gelten kann, wie sie im frühen 20. Jahrhundert von Max Scheler weitergeführt wird.71 Bei der Erwägung über den Menschen als Schlüssel zur Allheit des Seins könnte man auch an Martin Heideggers Fundamentalontologie als eine indirekte Fortschreibung der Baaderschen Intuitionen denken.72 Wenn man jenen Bezug auf 70 Siehe dazu die in der vorigen Fußnote angeführte Belegstelle. Vgl. auch die neuere Darstellung der Denkbewegung des deutschen Idealismus: W. Jaeschke / A. Arndt, Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785 –1845, München 2012. Diese Darstellung löst sich aus der subjekttheoretischen Fixierung der Schule Dieter Henrichs, sie ist aber noch zu unprofiliert, um das Denken des Absoluten angemessen zu artikulieren. 71 M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, hg. von M. Scheler, Bern / München 1968; siehe auch ders., Späte Schriften, hg. von M.S. Frings, Bern / München 1976. 72 Ich verweise insbesondere auf das Dasein als in-der-Welt-sein. Hei degger, Sein und Zeit, Tübingen 151984, S. 41ff.
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den Menschen nicht im Blick halte, so drohe einerseits die Leere der Abstraktion, andererseits die Verkrustung und Petrifizierung in Tradition. Entscheidend ist für Schlatter, dass menschliche Erfahrung der Ausgangspunkt aller Erkenntnis und Schlussfolgerungen ist. In seiner Erfahrung hat der Mensch einen realistischen und auf das Ganze und Eine gehenden Zugriff auf die Wirklichkeit. In überzeugender Weise wird damit ein Antireduktionismus und Antinaturalismus entwickelt, der auch in den heutigen Debatten über Natur und Geist, über Wissenschaft und Freiheit von Bedeutung sein kann. Mit Aristoteles hält Schlatter den Vorrang des Ganzen vor den Teilen fest: eine Einsicht, die wesentlich auch zu seiner eigenen vielfach beschriebenen intuitiven Erkenntnisart beigetragen haben dürfte. Es ist weiter bemerkenswert, dass Schlatter damit das entschiedene Plädoyer für eine »echte Spekulation« verbindet, – ein Denken, das den Dingen auf den Grund geht und das, wenn es seinen Ausgangspunkt wirklich vom Gegebenen Gottes nimmt, auf eine umfassende Wahrheits- und Wirklichkeitserkenntnis führen kann, ohne sich in Hybris zu verlieren. Es ist unstrittig eine zeitgemäße Herausforderung an gegenwärtige Theologie und Philosophie zur Unzeit, dass spekulatives Denken in diesem Sinn unerlässlich ist, wenn man nicht einem Defaitismus oder Wahrheitsreduktionismus anheimfallen wird. Nach wie vor kursiert freilich die Rede vom »nachmetaphysischen Denken« (J. Habermas), in dem spekulative Begriffsfiguren allenfalls ex negativo zulässig wären. Es könnte an der Zeit sein, jenem Dogma der säkularen Moderne grundsätzlich zu misstrauen. Hinsichtlich der Naturerkenntnis verfolgt Schlatter einen durchaus Platonischen Weg, wie er sich im Übrigen auch in der neueren Physik verifiziert hat: Er geht von der mathematischeidetischen Ordnung der Welt aus, die sich dem menschlichen Geist erschließen kann, wenn er in die Grundlagen des Wirklichen eindringt. Der vierte Lehrsatz besagt, dass Erkennen selbst notwendigerweise »ein System« sei, freilich nicht als Konstruktion, sondern vielmehr weil das Sein aus seinem göttlichen Grund selbst – 43 –
ein Ganzes ergebe. Die Form dieser Systematik bestimmt Schlatter mit Baader eben nicht als gerade Linie, sondern als Kreisform. Jede Teilerkenntnis greift auf das Ganze aus. Erst von hier her und damit in der Wahrung der Differenz von Schöpfer und Geschöpf hat der auf Parmenides zurückgehende, von Hegel erneuerte Satz, dass Erkennen und Sein eins seien, seine Wahrheit. Diese Schlusssequenz ist zugleich ein Plädoyer für die Freiheit der Philosophie, die, wie Schlatter nachdrücklich unterstreicht, über alle einzelwissenschaftlichen Fixierungen hinausweist. Ebenfalls in deutlicher Abgrenzung gegenüber einem neuzeitlichen Mainstream verweist Schlatter in Übereinstimmung mit Baader im fünften Lehrsatz darauf, dass erst das spekulative, auf das Ganze und den Grund gehende Denken frei sei. Es befreit nämlich aus der Abhängigkeit von kontingenten Bedingungszusammenhängen. Schlatters Insistenz auf der Verbindung von christlicher Philosophie mit Freiheit ist markant. Damit wird auch verdeutlicht, dass jeder Naturalismus und Reduktionismus von der Freiheit entfernen würde. In den diesen Aufriss abschließenden Bemerkungen zum »genetischen Charakter des Denkens« wird indes deutlich, dass Baader keineswegs in eine vormoderne Denkkonstellation zurücktendiert. In diesem Erzeugen geht es um die eigenständige und freie Hervorbringung der Konvergenz von Denken und Sein als Akt endlicher, geschöpflicher Subjekte. Alles Bewusstsein ist Selbstbewusstsein; ja Denken ist sogar, gemäß dem Axiom Vicos, ›Hervorbringen‹ des Gedachten. Doch bestimmend ist dabei die auf diese Weise erfasste Wirklichkeit. Wie ist Schlatters philosophische Leistung in diesem Vorlesungskorpus zu beurteilen? Man wird der von Jochen Walldorf umrissenen Richtung, wonach hier eine eigenständige philosophiehistorische und philosophische Leistung vorliegt, zustimmen können und sie verstärken müssen. Schlatter taucht tief in die behandelten Denker und Denkweisen ein. Sein Ansatz ist provokativ, weil er konsequent menschliche Autonomie in ihrem göttlichen Grund erkannt wissen will und Versuchen einer billigen – 44 –
Versöhnung von Philosophie und Theologie seine radikale Abkehr entgegensetzt. Dies zeigt sich etwa, wenn er den kantischen Ansatz als »atheistisch« versteht und auch in der Denkbewegung des Nachkantianismus zwischen Fichte und Schelling immer wieder die Abbiegung der berechtigten Ansätze in eine Selbstermächtigung des Menschen beklagt. Doch ist Schlatter durchaus und in hohem Grade der Differenzierung fähig: Das zeigt sich etwa, wenn er (mit Baader) die kantische ›Dritte Kritik‹, die ›Kritik der Urteilskraft‹, als die bedeutendste philosophische Leistung Kants ausmacht, weil sie auf das Ganze der Vernunftarchitektonik ziele. Oder wenn er, auch wenn er sie nicht explizit behandelt, eine Abweichung der späteren Fichteschen Wissenschaftslehren von jener von 1794 notiert. Man wird sich der Provokation jenes Denkens nicht entledigen können, indem man, wie in der älteren Forschung bisweilen geschehen, Schlatter vorhält, er habe etwa Kant nicht verstanden. Solche Urteile erweisen sich vom Textbefund aus als wohlfeil und vordergründig. Vielmehr zeigt sich hier eine Antwort christlicher Philosophie auf die kantischen und nachkantischen Denkwege, die jener von Schleiermacher und dem Neuprotestantismus diametral entgegensteht: Echte realistische Spekulation, die vom Gegebensein der Wirklichkeit und der Geschöpflichkeit ausgeht, ist auch eigentlich freie Erkenntnis. Sie wahrt die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf. Sie ermöglicht dem Menschen aber ein Wissen, das über die raum-zeitlichen Einschränkungen hinausführt. Die ernsthafte Aufnahme dieses Ansatzes im systematischen Gespräch könnte überaus fruchtbar sein, um die Denkprämissen des Schleiermacherschen und des neuprotestantischen Weges in Frage zu stellen. Der Rang solcher Erwägungen rechtfertigt es auch, die Publikation weiterer Schlatterscher philosophischer Inedita zu erwägen und ernsthaft in Angriff zu nehmen.
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4. Die bleibende Bedeutung der Philosophie Franz von Baaders Dass Schlatter für seine frühe philosophische Selbstverständigung gerade auf Franz von Baader zurückgriff, versteht sich keineswegs von selbst. Es war das Ergebnis einer glücklichen biographischen Konstellation. Doch diese konnte systematisch tragfähig werden. Schlatter fand, um diese Umstände knapp zusammenzufassen, bei Baader den Ansatz zu jener umfassenden theologisch-philosophischen Ontologie und Metaphysik der Liebe, die ihm in der reformatorisch-protestantischen Tradition zu gering belichtet zu sein schien. Ehe wir diesem Sachzusammenhang nachgehen, sollte ein knapper biographischer und denkgenetischer Blick auf Franz von Baader gelenkt werden: Baader (23.3.1765–13.5.1841) studierte Medizin und Bergbau. Auf philosophisch-theologischem Gebiet war er Autodidakt. 1792–1796 hielt er sich in England auf, danach wirkte er vorwiegend in München. Baader wirkte durchaus auch im naturwissenschaftlichen Feld seiner Zeit innovativ und, was die Erfindung von neuen Technologien betraf, Bahn brechend.73 Schon von dem jungen Baader wird berichtet, dass er eine besondere Neigung zur »Mechanik« hatte. Die Verbindung von Religion und Wissenschaft blieb künftig eines seiner zentralen Anliegen. Er schlug die Laufbahn des Bergfachs ein, ähnlich wie Novalis. 1822 nimmt er sich einen längeren Urlaub. Die Zeit wird für Reisen u.a. zu Herbart und Hegel genutzt. Auch sein Wirken in Russland, am Zarenhof, fällt in diese Zeit. Hegel weist Baader auf Meister Eckhart hin, worauf der bei Kenntnis eines schmalen Ausschnitts des Corpus ausgerufen habe: »Das ist’s doch, was wir wollen!«74 73 F. Hoffmann, Biographie Franz von Baaders, nebst Nachrichten über seine Familie in: Franz von Baader, Sämmtliche Werke Band XV (= Nachgelassene Werke Band V), S. 1–160, hier S. 90. 74 Ibid., S. 159. Dazu auch W. Beierwaltes, Platonismus und Christentum, Frankfurt a.M. 1998, S. 21ff.
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Seit 1826 ist Baader zudem Honorarprofessor an der Münchener Universität. Erst als Zweiundsechzigjähriger beginnt er, öffentlich zu lehren. Baaders Kollegia fanden großen Zuspruch, nicht nur von Studenten, sondern auch in der weiteren Münchener Öffentlichkeit. Der Biograph Franz Hoffmann resümiert die Eindrücke der authentischen Hörer, wonach jede Kollegstunde »ein geistiger Hochgenuss [gewesen sei], hinter welchem selbst eine Schellingsche Vorlesung trotz ihrer formalen Vorzüge meistens zurückstand«.75 Schelling las in einem Semester exakt nach Baader; und dazu wird kolportiert, dass sein Kolleg, verglichen mit dem Baaderschen, eher inhaltslos gewirkt habe.76 Zugleich wird aber auch der assoziative, vielfache Gedankensprünge enthaltende Baadersche Ansatz erinnert. Es gibt enge Interaktionen mit den Romantikern. Mit einiger zeitlichen Verzögerung wirkt er auch auf die Exponenten der russischen Religionsphilosophie in der Moderne: auf Solovjev und Berdjajew. Baader exponierte eine in vielem über Schelling noch hinausgehende ›Philosophie der Offenbarung‹, die er zu einem tiefen ökumenischen Gedanken kondensierte: Der Konzeption, die unfruchtbare Antithetik zwischen ›innerer‹ und ›äußerer‹ Kirche zu überwinden, zugleich aber einer kritisch und bewusst bejahten Tradition verbunden zu bleiben. Man darf nicht vergessen, dass Baaders einschlägige Äußerungen nicht in einem Vakuum stattfanden, sondern in konfliktuösen Situationen: namentlich im Konflikt zwischen dem Kölner Erzbischof Droste zu Vischering und dem preußischen Staat über das Mischehenproblem.77 Baader entwickelte von hier her seine, Schlatter besonders beeindruckende Konzeption der Kirche, die dieselbe bleiben, sich aber zugleich »frei fortbilden« solle78 wie ein organisches Individuum. Nach dem Bericht aller, die ihn kannten, hätte Baader aber niemals Abweichungen von der Lehre der Kirche 75 F. Hoffmann, Biographie Franz von Baaders, a.a.O, S. 108. 76 Ibid. 77 Dazu Hoffmann, ibid., S. 121. 78 Ibid., S. 91
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eingestanden. Er sah sich selbst mit der einen, unteilbaren Una Sancta in tiefer Übereinstimmung. Umso schmerzlicher ist es, dass er auf dem Sterbebett von dem die Beichte abnehmenden Priester zum Widerruf seiner »unkatholischen Behauptungen« aufgefordert wurde. Jener Priester gab dies erst im Jahr 1856 zu Protokoll, Baader entsprach der Aufforderung unmittelbar79 – ein letztes Skandalon, das seine Kritik an einer petrifizierten Kirchensozietät verifizieren, seine Übereinstimmung mit der wahren Katholizität aber nicht erschüttern konnte. Baader starb nach einem langen, aber letztlich sanften Leiden im Mai 1841. Zwei Dikta aus seinen letzten Lebenstagen, in völliger Klarheit und im Rückblick auf das Vergangene getan, werden besonders hervorgehoben. Baader habe am 13. Mai seines Sterbejahres gesagt: »Das göttliche Wort […] ist im Mund und Herzen jedes Menschen, wenn er die Welt des Irdischen in sich schweigen macht. Das ist die Offenbarung, die sich jedem Menschen darbietet.«80 Ebenso habe er noch Gedanken an seine nächste Schrift gewendet, zu der es nicht mehr kommen sollte. Sie würde, so Baaders Intention, »nachweisen, dass auch ohne Lucifer’s Fall und ohne den Fall des Menschen der Sohn Gottes doch Mensch geworden wäre. Wäre die Menschwerdung Gottes nicht nothwendig gewesen zur Errettung und Erlösung, so hätte sie doch zur Bewährung und Verklärung erfolgen müssen.«81 Die von Schlatter aufgenommenen und weitergeführten Gegenstände, Kant und die nachkantische Philosophie, Reformation und römischer Katholizismus, Jakob Böhmes und Saint-Martins mystische Tiefenblicke und die Systematik einer vom göttlich Gegebenen ausgehenden Erkenntnislehre und Ontologie bilden in der Tat die Schwerpunkte von Baaders Denken. Genetisch hat sein Schüler und genauer Kenner des Werkes Franz Hoffmann vier Phasen un79 F. Hoffmann, Der Entwicklungsgang und das System der Baader’schen Philosophie, in: Franz von Baader’s Sämmtliche Werke, Band XVI (Nachlassband VI), Leipzig 1860, S. 15. 80 Ibid., S. 160. 81 Ibid.
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terschieden.82 Eine erste Phase, in der sich Baaders Publizistik allmählich von den naturwissenschaftlichen Gegenständen kritisch der kantischen Metaphysik zuwendet, datiert 1786–1796. Eine zweite, 1796–1813, rückt die Lehrer Saint-Martin und Böhme in den Blick. Zugleich formiert sich hier die Auseinandersetzung mit der nachkantischen Philosophie und den Zeitgenossen, insbesondere mit Jacobi und Schelling, aber auch mit Fichte, weiter aus. Die dritte Periode 1813–1824 führt in die Grundfragen der Erkenntnistheorie und einer spekulativen Physiologie, die der Natur nicht ihr Geheimnis entreißt und sie als eigenen Ort der Offenbarung begreift. Die letzten eineinhalb Jahrzehnte 1825–1841 schließlich werden als die klassisch philosophisch-theologische Epoche begriffen, in der Baader auf eine »höhere Autorität« hinarbeitet, namentlich in der Aneignung von Thomas von Aquin. Auch darin sollte Adolf Schlatter seinem Vorbild folgen. Zunehmend entwickelte Baader auch eine Soziallehre, die sowohl die Einseitigkeiten des traditionellen Konservatismus wie auch des von Baader von früh an als zerstörerisch erkannten Revolutionszeitalters vermied und Urbild einer christlichen Soziallehre jenseits von Links und Rechts sein kann. Man kann sich fragen, ob ein solches Konzept anders als auf den tiefen, von Baader gelegten Grundlagen überhaupt möglich sein konnte. Eine umfassende Würdigung des Denkens von Baader und eine entsprechende Systematisierung seiner Einsichten hat im Zusammenhang seiner umfassenden Studien über die ›Philosophie der Offenbarung‹ Peter Koslowski vorgelegt.83 Koslowski hat Baader 82 F. von Baader, Sämmtliche Werke, Band XVI, a.a.O., S. 16fff. 83 P. Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 277ff. Siehe daneben auch aus der jüngeren Baader-Forschung u.a.: H.-J. Görtz, Franz von Baaders ›Anthropologischer Standpunkt‹, Freiburg i.Br./ München 1977; K. Hemmerle, Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung, Freiburg i.Br./München 1963 (Symposium Bd. 13); W. Lambert, Franz von Baaders Philosophie des Gebets. Ein Grundriss seines Denkens, Innsbruck 1978.
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damit als eine satisfaktionsfähige Alternative zum Anspruch einer sich aus sich selbst begründenden Philosophie expliziert und aus dem völlig unberechtigten Odium des ›katholischen‹, reaktionären Philosophen befreit.84 Ex negativo wird die Eigenständigkeit Baaders auch darin deutlich, dass er mit der positiven Kirchenlehre in einen gravierenden Konflikt kam. Deshalb sah er sich noch auf dem Sterbebett genötigt, seinen ›Sonderlehren‹ abzuschwören. Baaders Denken geht zentral von der Frage nach dem Grund und dem ersten Begründenden aus. Er zeigt, dass die Vorstellung einer ›generatio aequivoca‹, die in allen Strömungen des deutschen Idealismus begegnet, einer Täuschung unterliegt. In der Sphäre der endlichen Welt gibt es, streng genommen, keine Selbsthervorbringung. Grundlegend ist deshalb – ein Motiv, das auch Schlatter eindrücklich herausgearbeitet hat – nicht das cartesische Sichselbstdenken (›cogito‹), sondern das Gedacht-werden (›cogitor‹) durch einen unbedingten, absoluten Geist steht am Anfang aller wahrheitsfähigen philosophischen Erkenntnis.85 Von diesem Ansatzpunkt aus kommt Baader, wie Koslowski zeigt, auch zu der fundierten Kritik an den Selbstbewusstseinstheorien des deutschen Idealismus, die, dank der einschlägigen Arbeiten von Dieter Henrich und seiner Schule, in der jüngeren internationalen Diskussion wieder vermehrt Aufmerksamkeit gefunden haben.86 Entscheidend ist dabei, dass Baaders Konzeption der Gründung des Seins im Absoluten auf dieses Absolute als auf ein absolutes Erkennen rekurriert. So ist 84 Vgl. hierzu neben Koslowski auch schon Graßl, ›Die Münchner Romantik‹, a.a.O., passim. 85 Dazu Th. Steinbüchel, Franz von Baaders Descartes-Kritik im Rahmen ihrer Zeit und in ihrer grundsätzlichen Bedeutung, in: Wissenschaft und Weisheit 10 (1943), S. 41ff, S. 103ff; und ibid. 11 (1944), S. 24ff. 86 D. Henrich, Fluchtlinien, Frankfurt a.M. 1982. Siehe auch die Festschrift anlässlich von Henrichs 60. Geburtstag, die diese internationale Resonanz spiegelt: K. Cramer / H.F. Fulda / R.-P. Horstmann (Hg.), Theorie der Subjektivität, Frankfurt a.M. 1987. Siehe ferner die Rückspiegelung M. Frank, Ansichten der Subjektivität, Berlin 2012.
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das Absolute gerade nicht »unmittelbares Sein«, es ist auch nicht entzogenes Eines oder ›Indifferenz‹, so wie es Schelling in seiner Identitätsphilosophie konzipierte. Vielmehr ist es artikuliertes, gegliedertes originäres Selbst. Dies verweist nicht auf eine gnostische Abfall-theorie, sondern auf das Hervorgehen des Geschöpfs aus der Schöpfung. Wie Schlatter treffend erkannt hat, bleibt nach Baader die endliche intelligible Existenz von Gott, als ihrem Schöpfer, abhängig. Endliches und Unendliches können sich mithin nur in der Inkarnation in Jesus Christus vereinigen. Baader folgt dabei der Lehre Thomas von Aquins von der ›causa sui‹. Der absolut Seiende und Begründende kann nur Gott selbst sein; als der Geist, der vor der Zeit vollendet und seiner selbst bewusst war. Den Selbstbewusstseinsbegriff im eminenten Sinne behält Baader Gott vor. Gott ist frei von den Dingen. Nur daher kann er auch alle Dinge zugleich in ihrer Eigengesetztlichkeit und in sich selbst erkennen, da er sie ›ist‹.87 Damit erteilt Baader einer progredierenden Dialektik des Absoluten die Absage, wie er sie bei Hegel ausmacht. Er versteht sie als eine »abenteuerliche Unendlichkeitsmystik.«88 Unhintergehbar ist die Person Gottes. Das Absolute »erzeugt« sich zunächst in der inneren Durchdringungen der drei Personen. Die Dinge sind in Gott grundgelegt und von ihm hervorgebracht; deshalb erkennt er sie so, wie ein Künstler seine Werke erkennt, nicht aber unterliegt er selbst einer prozessualen Veränderung in der Zeit. Am absoluten Selbstbewusstsein teilzuhaben, erfordert eine Analogie in der Liebe, die nicht mit einer Partizipation der Teile am Ganzen durch »Wesensgleichheit« zu verwechseln ist. Baader hat von hier her auch ein eigenes Ethos des Erkennens expliziert: nämlich einen Affekt der Bewunderung des Absoluten, statt der Selbstbewunderung und des Ressentiments gegenüber dem, was 87 F. von Baader, Vorlesungen über religiöse Philosophie im Gegensatz der irreligiösen älterer und neuerer Zeit, 1827, Baader, Sämtliche Werke, hg. von F. Hoffmann / J. Hamberger / A. Lutterbeck u.a., Leipzig 1851–1860, ND Aalen 1963 I, S. 228. 88 Ibid., S. 244. Dazu Koslowski, a.a.O., S. 357.
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eigener Erkenntnis vorausgeht und für sie vorauszusetzen ist. Frei, aber nicht autonom ist nach Baader menschliches Selbstbewusstsein. Dass der Mensch sich dieser Insuffizienz nicht mehr bewusst ist, ist ihm Indiz einer Perversion des menschlichen Intellekts und seines Abfalls von der göttlichen Ordnung. Die Erkenntnisfähigkeit des endlichen Intellektes wird sich unterscheiden, je nachdem ob sie dem Bereich gilt, der dem Menschen »subjiciert« ist, oder jenem, dem er »subjiciert« ist. Dies bedeutet, dass Gott eben nicht als ›Gegenstand‹ nach Genus und ›Differentia specifica‹ verstanden werden kann. An diesem Punkt hat Baader die kantische Lehre vom ›radikal Bösen‹ entschieden kritisiert. Sie weise als Ursprungsphänomen des Menschseins aus, was tatsächlich eine Derivation in Folge der »Versetzung« der Vernunft ist.89 Gott ist vielmehr nur dann zu erkennen, wenn der erkennende Geist in »sein Bild« transformiert wird – eine Konzeption, die sich mit der Bildtheorie bei dem späten Fichte überraschend berührt.90 Diese Selbstverfehlung der Vernunft hat auch verschiedene Dualismen und Selbstentgegensetzungen zur Folge: diese Problematik sieht Baader schon im Verhältnis von ›Verstand‹ und ›Vernunft‹, erst recht aber von Natur und Geist. Es bedürfe einer ›Integrierung‹ der von der ›gefallenen‹ Vernunft als widerstreitend gefassten Glieder. Dann erst erscheine ein »eternal moment«, als »Silberblick der vollendeten, ewigen Natur […] in eine supramaterielle Region oder Daseinsweise.«91 89 Vgl. zum Problem dieser ›Versetzung‹, Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 414ff. 90 Dazu W. Janke, Fichte. Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, S. 207ff, und S. 301ff. Siehe auch H. Rademacher, Fichtes Begriff des Absoluten, Frankfurt a.M. 1970; D. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a.M. 1967 und H.-J. Müller, Subjektivität als symbolisches und schematisches Bild des Absoluten. Theorie der Subjektivität und Religionsphilosophie in der Wissenschaftslehre Fichtes, Königstein/Taunus 1980. 91 Baader, Vorlesungen über religiöse Philosophie, in: ders., Sämtliche Werke, a.a.O., I, S. 272.
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Dies bestimmt das Verhältnis Baaders zur kantischen Philosophie, das auch Schlatter zum Ausgangspunkt seiner Baader-Studien wählt. Zu Recht sei die endliche Unabschließbarkeit und Unruhe des endlichen Geistes von Kant herausgearbeitet worden, der sie als eine ›Naturanlage zur Metaphysik‹ begriff. Es ergebe sich so ein »deutsche[r] philosophische[r] Sansculottismus«,92 der dem französischen, bürgerlichen entspreche. Wie diese Unruhe zur Ruhe kommen könne, in einem Sehen Gottes, das nichts anderes sei als »Gott zu sehen«, dieser Dreh- und Angelpunkt bleibe bei Kant aber blind. Baader hat die Vernunftautonomie des transzendentalen Idealismus als eine Form von ›Idiotismus‹ gebrandmarkt, womit eine Schein-Suffizienz gemeint ist, die ihr Für-sich-sein doch nicht einlösen kann. Erst von hier aus speist sich, wie Koslowski sehr schön gezeigt hat, die ›Via Media‹ Baaders: Die Mitte nämlich zwischen der vermeintlichen Vernunftautonomie einerseits und dem ausschließlichen Bezug auf Tradition andrerseits.93 Hier sei nur erwähnt, dass in diesem Zusammenhang auch die Zeitdiagnose und die Gesellschaftslehre Baaders ihren Ort hat. In der Zeit nämlich zeigt sich die Zweideutigkeit geschöpflichen Lebens. Gott hat sein eigenes Wesen, seine Manifestationen, suspendiert, und eben daraus geht Zeitlichkeit hervor. Erlösung aber ist dann konsequent als »Entzeitlichung« zu verstehen.94 Obwohl Schlatter in seinem frühen Kolleg nicht auf die Baadersche Gesellschaftslehre zu sprechen kommt, ist sie doch in ihrem Grundanliegen implizit durchaus von Bedeutung, um über den Widerstreit hinauszugelangen. Dabei ist entscheidend, dass nicht im Durchgang durch Geschichte ein gleichsam überhistorischer Punkt zu gewinnen ist, so wie dies die Hegelsche Geschichts dialektik nahelegt. Nur von einem Ort außerhalb der Geschichte 92 F. v. Baader, Bemerkungen über einige antireligiöse Philosopheme unse rer Zeit (1864), in: SW II, S. 443ff, hier S. 445. 93 Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 406ff. 94 Vgl. dazu Baader, Sämtliche Werke, XIV, S. 40ff. Dazu auch Koslowski, a.a.O., S. 416ff.
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lasse sich deren Totalität überhaupt erfassen. Hegel nehme eine geschichtlich prozessuale Manifestation des Absoluten an, weil er irrtümlich davon ausgehe, dass das Unendliche im Endlichen zu sich komme. Es bedarf letztlich des Descensus Gottes, eines Aktes der Liebe, um zu einem höheren Ascensus des Geschöpfes zu gelangen. Baader expliziert seine Kritik gegenüber Hegel nicht ohne eine gewisse Achtung für dessen Ansatz. Auch ihm geht es darum, die Trinität als eine allgemeine und umfassende ontologische Struktur zu begreifen, die auch die endlich seienden Dinge bestimmt. Er folgt aber keineswegs dem dialektischen Dreischritt,95 sondern einem, im Sinne der Perichorese der immanenten Trinität in sich verflochtenen ternarischen Verhältnis, das auf die Matrix von »Grund« – »Mitte« und »formiertem Sein« zu beziehen ist. Deshalb liegt ihm daran, die Selbstgewinnung der Person, als verleiblichtem Ich und inkorporierter Idee, in das Zentrum der Überlegungen zu stellen.96 Personwerdung versteht Baader keineswegs als Negierung der Natur, sondern als deren »Emporhebung« in ihren göttlichen Grund. Von Hoffart und von Niedertracht sollte dieses genuine Personsein deshalb gleichermaßen weit entfernt sein. Baaders Denken konvergiert hier mit Schellings Maxime: »Person sucht Person«, und es sucht auch in der endlichen, geschöpflichen Welt ›vestigia trinitatis‹, wie es seit Augustinus eine Grundtendenz christlicher Philosophie und Theologie gewesen war.97 95 Vgl. hierzu Baader, Fermenta Cognitionis, SW II, S. 290ff und S. 326f, siehe auch SW II, S. 483. Siehe auch die übersichtliche Zusammenstellung bei Koslowski, a.a.O., S. 554ff. 96 Dazu Baader, SW VIII, S. 64ff, und S. 71–80. 97 Vgl. dazu A. Schlatter, Das christliche Dogma, insbes. § 15: Natur in Gott; § 34: Das göttliche Denken und § 52: Gottes Liebe. Dazu A. Loos, Divine Action and the Trinity: A Brief Exploration of the Grounds of Trinitarian Speech about God in the Theology of Adolf Schlatter, in: International Journal of Systematic Theology 4, 3/2002, S. 255ff, deutsch: Handeln Gottes und Trinität. Eine Stichprobe zur Grundlegung trinitarischer Gotteserkenntnis in der Theologie Adolf Schlatters, in: Theologische Beiträge 33, (2002), S. 314ff.
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Böhme hat, was Schlatter auch im Kontrast zur Schellingschen Naturphilosophie kongenial erkannte, den Versuch unternommen, die Natur in ihrer Realität und ihrem Sosein zu erfassen, zugleich aber an ihr den göttlichen Grund zu erkennen, dessen sie zum Teil gar nicht mehr mächtig ist. So hat er auch festgehalten, dass die Philosophen keine wirkliche Klarheit darüber gewonnen hätten, was Natur in Gott und im Menschen sei. Bezogen auf die Durchdringung von Geist und Natur ging Baader bei Jacob Böhme in die Lehre. Sie ist »gefallene Natur«, die nicht mit ihrer Idee übereinstimmt. Die Natur selbst ist letztlich »in Gott« aufbehalten. Außerhalb der Schöpfung, als des irreversiblen Freiheitsaktes Gottes, kann eine »Idee der Natur« auch gar nicht gewonnen werden. Baader hat in diesem Zusammenhang betont, dass Böhmes Denken zu weiten Teilen um die Frage nach dem Ursprung des Bösen kreiste. Gegenüber einer gängigen Vorstellung hat er dabei betont, dass das Böse keineswegs mit dem »Endlichen« gleichgesetzt werden dürfte.98 Das Böse ist also höheren, intelligiblen Ursprungs. Es ist keineswegs auf einen Mangel an Einsicht und Erkenntnis zurückzuführen, wie Baader in Übereinstimmung mit Schelling weiß.99 Das Proprium Baader’schen Denkens ist im Kontrast zu Schelling und Hegel noch einmal klarer profilierbar: Baaders Verhältnis zur Hegelschen Philosophie unterlag Metamorphosen. Anfangs sieht Baader durchaus eine Nähe seiner eigenen Explikation der ›Mitte‹ zum Hegelschen ›Begriff des Begriffs‹. Der entscheidende Impuls einer Abkehr von Hegel setzt aber an dem Hegelschen »Kunststück« ein, wie der Begriff »ohne und gegen Gott sich Gott gleichmachen« könnte.100 Darin sieht Baader ein »Ultra-Alleswissen 98 Baader SW 8, S. 143f. Dazu die ausführliche Darlegung bei Koslowski, a.a.O., S. 528ff. 99 Vgl. insbesondere die Sequenzen über die Möglichkeit des Bösen: Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, a.a.O., S. 36ff, und über die Wirklichkeit des Bösen ibid., S. 44ff. 100 Baader, Bemerkungen über einige antireligiöse Philosopheme unserer Zeit, SW II, S. 494ff.
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von Gott«, das auch den Grundsatz der Untrennbarkeit von Glauben und Willen verletze. Dies freilich ändert nichts daran, dass Baader noch im Jahr 1822 in seinen ›Fermenta Cognitionis‹ festhalten kann, dass von Hegel nun einmal das »dialektische Feuer angezündet« worden sei,101 so dass man es seither nicht mehr habe auslöschen können. Naheliegend, und auch in der Spätphilosophie Schellings ähnlich formuliert, sind die Einwände gegen die Hegelsche ›Ontologik‹: Sie wird als Verfehlen der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit und damit als Zauberei mit der logischen Idee aufgefasst.102 Doch zumindest theologisch noch weit berührender ist die Vorhaltung des Gnostizismus. Hegel lehre in seinem Panlogismus, dass sich die absolute Idee gänzlich in die Natur entäußere. Das Absolute falle gleichsam von sich selbst ab, und dies bedeute, dass Hegel ein Sein und Wesen Gottes jenseits seiner Erscheinung gar nicht denken könne. Komplexer nimmt sich die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Baader und der Schellingschen Spätphilosophie aus. Beide entwickeln eine ›Philosophie der Offenbarung‹. Bei Schelling nimmt sie indes die Züge des werdenden Gottes an, worin man ein Übergewicht des »Naturalismus« und sogar eine lineare Genese des Mythos zur Offenbarung sehen kann. Baader hat demgegenüber die Gültigkeit der Offenbarung vorausgesetzt und in Natur, Geschichte, Selbstbewusstsein Indizien für sie gewonnen. Er hat sich einer ›negativen Philosophie‹ versagt, und ist mithin von der Einheit zwischen Philosophie und Religion ausgegangen. Philosophie sei ohne die Voraussetzung gar nicht möglich. Ihre Voraussetzung kann mithin niemals ein ›cogito‹, sondern muss das ›cogitor‹ sein, dessen Urheber Gott selbst sei. Eine ›negative‹, rein-logische Philosophie als Voraussetzung der Offenbarung hat Baader daher nicht exponiert. Man 101 Baader, Fermenta Cognitionis, SW II, S. 143. 102 Vgl. dazu W. Jaeschke, Gnostizismus – ein Schlagwort zwischen geschichtlicher Aufklärung und Häreseomachie, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28 (1984), S. 269ff; siehe auch den Sammelband P. Koslowski (Hg.), Die Folgen des Hegelianismus, München 1998.
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mag darin, mit E. Erdmann einen Mangel sehen.103 Viel spricht aber dafür, dies mit Peter Koslowski als den überzeugenderen hermeneutischen Zirkel zu verstehen.104 Schlatter hat wohl zu der letztgenannten Option tendiert, wenn er Baader eine so fundamentale Bedeutung zuerkannte. Koslowski bemerkt zu der Tektonik: »Da das Prinzip der Rekonstruktion der Offenbarung selbst von der Offenbarung geoffenbart ist, nämlich das Prinzip, dass der Mensch das Bild Gottes ist, kann die Offenbarung an ihrem eigenen Prinzip gemessen werden. Damit wird nicht die Eigenart der Offenbarung, dass sie nämlich etwas offenbart, was wir ansonsten nicht wissen können, dadurch durchbrochen, dass die Offenbarung an etwas gemessen wird, was wir ohne sie wissen können, wie dies bei Schelling durch die Entwicklung der positiven Philosophie als ganzer durch die Potenzenlehre geschieht.«105 Baader entwickelt eine, für eine biblisch geprägte Theologie naturgemäß besonders bedeutsame Konzeption wechselseitiger Bestätigung und Durchdringung zwischen Spekulation und Geschichte, im Unterschied zur Schellingschen Architektur einer »dokumentarischen Beglaubigung« der reinen Vernunftphilosophie durch die Geschichte.106 Koslowski hat deshalb auch nachdrücklich darauf verwiesen, dass Baader sowohl in der Konzeption die zeitliche und sachliche Priorität vor Schelling zukomme als auch das Verdienst der überzeugenderen systematischen Konzeption.107 Die zeitliche Parallelität des Wirkens beider in München und ebenso die unmittelbare Rezeption habe Baader zu Unrecht in die zweite Linie treten lassen. Diese Einsichten legen nochmals ein überzeugendes Plädoyer für die 103 J.E. Erdmann, Franz von Baaders Sämmtliche Werke und das darin entwickelte System, in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, hg. von I.H. Fichte/H. Ulrici/J.U. Wirt, N.F. 28 (1856), S. 34. 104 Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 745. 105 Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 748f. 106 Dazu Koslowski, a.a.O., S. 750ff. 107 So Koslowski durchgehend und noch einmal explizit und summierend, S. 768f.
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Aktualität Baaders und dafür ab, dass Schlatter sich ein Gegenüber wählte, das diesen Rang durchaus einzunehmen vermochte. Für die Gegenwart dürfte Baaders Konzeption eine umso größere Bedeutung haben, als sie jedwedem Obskurantismus strikt absagte – und neben dem zentralen Ziel einer Versöhnung von Empirie und Spekulation, Glauben und Wissen eine dezidiert ökumenische Absicht verfolgte. Dies, verbunden mit einem christlichen Liberalismus in hoher Sensibilität für die soziale Frage, dürfte Baader und damit auch Schlatters Baader-Exegese eine große Aktualität in einem heutigen, auf Wahrheit orientierten ökumenischen Gespräch zuweisen, wie es Papst Benedikt XVI. betrieben und inspiriert hat.108 Von hier her kann der Blick noch einmal auf Schlatters BaaderKolleg zurückkommen. Es berührt gleichermaßen Systematische Theologie, Philosophiegeschichte und Systematische Philosophie. Die Vorlesung befasst sich aber auch mit kirchen- und religionsgeschichtlichen Einsichten von großer Reichweite. Ausgewogenheit und ein hoher Sinn für Gerechtigkeit für die jeweiligen Positionen bestimmt Schlatters Darstellungsweise. Die Veröffentlichung zeigt, wozu ein Denken in der Lage ist, das sich gegen den Mainstream von Säkularisierung und Säkularismus der Offenbarung aussetzt und ihre Wahrheit expliziert. Dies ist im frühen 21. Jahrhundert 108 Die ökumenische Bedeutung des Pontifikates von Papst Benedikt XVI. sollte keineswegs unterschätzt werden. Selbstverständlich kann sie hier nicht entfaltet werden. Die entscheidenden Punkte, an denen sie sich manifestiert, sind: 1. Die Einbeziehung der reformatorischen Theologie in den theologischen und insbesondere dogmatischen Dialog, die auch die reformatorischen, insbesondere Lutherischen Kirchen auf ihre Bekenntnisschriften verpflichtet; 2. die Weg weisende Vorbereitung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre; 3. Zentral für eine Öffnung auf ein evangelisches Glaubensverständnis ist vor allem die Trilogie der Jesus-Bücher. Zu Joseph Ratzingers Verhältnis zur Theologie Adolf Schlatters vgl. ders., Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg i.Br./Basel/Wien 42004, S. 107.
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eine Position, die gerade in der Phänomenologie aus Frankreich Resonanz finden wird: Ich erinnere nur an die großen Monographien von Michel Henry zur Inkarnation,109 der Fleischwerdung des Wortes, und an den Ansatz von Jean-Luc Marion.110 Dass Baader, wie erst durch Schlatters souveräne Rekonstruktion wirklich deutlich wird, auch einen Beitrag zu Alternativen zur Säkularisierung erbringen kann, wie sie auch in England (›Radical Orthodoxy‹)111 diskutiert werden, sei mit vermerkt. Nicht zuletzt aber trägt dieses glänzende Vorlesungsmanuskript dazu bei, Schlatter auch als bedeutenden Philosophen wahrzunehmen und damit eine Linie seines Oeuvres besser zu dokumentieren, auf die etwa Werner Neuer in den letzten Jahren eindrücklich hingewiesen hat. Dies fügt dem Schlatterbild weit mehr hinzu als eine weitere Facette. Schlatters Denken markiert in der Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts eine einmalige geistige Physiognomie. Dies ist nicht nur von historischem Interesse: Dieses Manuskript kann aus manchen Sackgassen und Einseitigkeiten der gegenwärtigen Theologie und Philosophie herausführen: Es zeigt exemplarisch, wie Vernunft und Offenbarung spannungsvoll und zugleich in sinnvoller Komplementarität zusammenwirken können. 109 M. Henry, Ich bin die Wahrheit. Für eine Philosophie des Christentums. Übersetzt von R. Kühn, Freiburg i.Br./München 1997; ders., Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches, Freiburg i.Br./München 2002. 110 Schlüsseltexte von Jean-Luc Marion findet man in dem Band: M. Gabel / H. Joas (Hg.), Von der Ursprünglichkeit der Gabe. Jean-Luc Marions Phänomenologie in der Diskussion, Freiburg i.Br./München 2007. Eine valide Einführung in dessen Denken gibt Th. Alferi, »Worüber hinaus ›Größeres‹ nicht ›gegeben‹ werden kann …«. Phänomenologie und Offenbarung nach Jean-Luc Marion, Freiburg i.Br./München 2007; siehe ferner H.-B. Gerl-Falkovitz (Hg.), JeanLuc Marion. Studien zum Werk, Dresden 2013. 111 Dazu J. Milbank / C. Pickstock / G. Ward (Hg.), Radical Orthodoxy. A New Theology, London 1999 sowie S. Shakespeare, Radical Orthodoxy. A Critical Introduction, London 2007.
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Im Anhang wird erstmals das letzte von Schlatter abgeschlossene Manuskript reproduziert. Es enthält, so die Überschrift des Typoskriptes, »Praktisch-Theologische Erwägungen zu den Themen der Stuttgarter Volksmission 1938«, woran sich fünf Thesen zu der Frage: »Was ist Wahrheit?« anschließen. Deutlich wird damit, dass und wie die Wahrheitsfrage Schlatter buchstäblich bis zum letzten Atemzug beschäftigt hat. Wahrheit ist nach Schlatter gegeben. Deshalb ist auch die Pilatusfrage eine künstliche Abstraktion. Doch dabei versteht Schlatter Wahrheit keineswegs nur als metaphysische Struktur. Sie ist vielmehr in der Person Jesu Christi ein für alle Mal bezeugt und inkarniert. Damit wird auch in diesem letzten Text die Unterscheidung der Glaube fordernden Wahrheit gegenüber Metaphysik und einer vom Menschen konstituierten Religion deutlich ausgesprochen. Wie ein spätes Credo Schlatters nimmt sich die Aussage aus, dass im Gehorsam gegen die Wahrheit die Freiheit zu gewinnen sei (Joh 8, 32).
5. Hinweise zu dieser Edition Der Text wurde vom Herausgeber aus dem handschriftlichen Original Schlatters transkribiert. Eine genaue Kollationierung unter Mitwirkung von Werner Neuer stellte den Text sicher. Die Editionsprinzipien folgen im Wesentlichen den Maßstäben, die Werner Neuer in seiner Ausgabe von Schlatters ›Einführung in die Theologie‹ angelegt hat.112 Allerdings konnte das dort in Anschlag gebrachte Prinzip einer durchgängigen Erläuterung nicht so vollständig berücksichtigt werden. Doch auch diese Publikation richtet sich keineswegs nur an Forscher, sondern möchte auch von Studierenden wahrgenommen und rezipiert werden. 112 W. Neuer, Hinweise zur Edition in: A. Schlatter, Einführung in die Theologie, a.a.O., S. 30f.
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Das Eigentümliche des Textes besteht darin, dass er von Schlatter nicht zur Publikation vorgesehen oder vorbereitet worden ist. Dafür ist er erstaunlich konsistent, ohne Redundanzen und mit nur wenigen Streichungen, die in jedem Fall dokumentiert werden. Nur einige wenige Gesichtspunkte hebe ich nochmals hervor: 1. Offensichtliche Irrtümer und Verschreibungen Schlatters wurden stillschweigend korrigiert. 2. Die Orthographie wurde behutsam heutiger Duden-Konvention angeglichen, um die Verständlichkeit nicht wesentlich zu erschweren. Stileigentümlichkeiten wie das helvetische ›ächte‹ und die zahlreichen Apokopierungen (›innern‹, ›unsern‹ oder auch ›unsren‹) wurden beibehalten, um die ipsissima vox des Textes möglichst deutlich zu dokumentieren. 3. Eigene Hervorhebungen Schlatters sind in Fettdruck, lateinische Zitate, die im Originaltext in lateinischen Lettern erscheinen, sind konsequent in Kursivdruck gesetzt. 4. Im Fall von – mehr oder weniger – offensichtlichen Verschreibungen Schlatters sind die Wort- bzw. Buchstabenkonjekturen in [] gesetzt. Eine Fußnote unterrichtet über den Wortlaut im Originaltext. 5. In wenigen Fällen sind für das Verständnis wichtige Ergänzungen in [] hinzugefügt worden. Begriffs- oder Sacherläuterungen wurden immer in die Fußnoten gesetzt. Auslassungen schließlich sind als […] ausgewiesen. An ganz wenigen Stellen konnte der Wortlaut nur erschlossen werden. Dort steht ein ›?‹. 6. Die Fußnoten des Herausgebers werden durchgehend nummeriert. Schlatters eigene Nachweise sind mit * gekennzeichnet und ebenfalls an das untere Seitenende gesetzt. 7. Die Gliederung des Textes kann sich auf Formulierungen Schlatters berufen. Diese werden aber in [] ergänzt und erweitert, so dass die Gesamtarchitektonik möglichst klar zum Ausdruck kommt.
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Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie. Einführung in die Theologie Franz von Baaders
Berner Vorlesung im Wintersemester 1884/85113 113 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Bestand D 40 = Adolf SchlatterArchiv. Archivverzeichnis 185, 1 und 2. Beide Teile bilden einen klaren sachlichen und textlichen Zusammenhang. Sie werden deshalb auch zusammen ediert. Zitiert werden Baaders Schriften nach der auch Schlatter vorliegenden Ausgabe: F.X. von Baader, Sämtliche Werke, hg. von F. Hoffmann, 16 Bände, 1851–60 (Neudruck Aalen 1963). Die von Schlatter selbst stammenden, mit * gekennzeichneten Nachweise sind ihr entnommen. – Siehe auch E. Susini, Lettres inédites de Franz von Baader, Paris 1942. Vgl. aus der Forschung: P. Kosloswki, Philosophien der Offenbarung. Antiker Gnostizismus, Franz von Baader, Schelling, Paderborn u.a. 2001, zur Gesamtsicht auf Baader insbesondere S. 277ff. Vgl. auch: D. Baumgardt, Franz von Baader und die deutsche Romantik, Heidelberg 1927; F. Hartl, Franz von Baader und die Entstehung seines Kirchenbegriffs, München 1970; K. Hemmerle, Franz von Baaders philosophischer Gedanke der Schöpfung, Frankfurt a.M. 1963; W. Lambert, Franz von Baaders Philosophie des Gebets, Innsbruck 1978.
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I. Baaders Verhältnis zu den wissenschaftlichen Bestrebungen seiner Zeit
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§ 1 Seine Stellung zu Kant Baaders intellektuelles Leben gestaltete sich weder in Abhängigkeit noch in Isoliertheit von der wissenschaftlichen Tradition um ihn her, die gerade damals eine tiefgehende und in ihren Nachwirkungen auch uns noch berührende Umgestaltung erfuhr. Er kannte über der Abhängigkeit einerseits, der isolierten Geschiedenheit andrerseits eine höhere Mitte, eine innerlich freie Teilnahme an der geistigen Arbeit um ihn her, wie er dann diesen Gedanken häufig ausspricht, dass los und frei sein nicht identisch seien, vielmehr das Lossein Gebundenheit zu seinem Begleiter habe, während das Wesen der Freiheit ergebe, dass sie die Bindung bewahre in der Lösung und die Lösung in der Bindung, nicht in Sonderung, sondern in wahrhafter Einigung beider. Darum lag es in der Natur der Sache, dass sich seine intellektuelle Reifung wesentlich in und durch Kant gestaltete. Seine Studienbücher zeigen ihn in der Auseinandersetzung mit Kant, und seine erste Schrift, die wohl mehr als die gesamte breite theologische Literatur über den Kantianismus den Nagel auf den Kopf traf, ist betitelt ›Über Kants Deduktion der praktischen Vernunft und die absolute Blindheit derselben‹.114 Er gehört nach seiner philosophischen Stellung in die Reihe der Nachkantianer, welche die von Kant gegebene Anregung weiterbilden und fortführen. Wie das Urteil der Nachkantianer, ist auch sein Urteil über Kant doppelseitig. Sie haben alle den Eindruck gehabt, dass Kant eine Türe geöffnet habe, aber nicht selbst durch sie eingetreten sei, dass er vielmehr in einer Stellung geblieben sei, in der ein Stillestehen unmöglich und ein Gleichgewicht unerlangbar sei. Darum streben 114 Nachweis nach Baader, Schriften, a.a.O., mit Band- und Seitenzahl.
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sie über ihn hinaus. Kant will die Skepsis für immer überwunden haben, dadurch dass er die Möglichkeit unsrer aller Erfahrung gegenüber souveränen Urteilen aufzeigt und bleibt doch in der Skepsis drin, die jedes Überschreiten des in den Sinnen Gegebenen für Illusion erklärt, er leitet die Welt aus dem Ich ab und macht das Objekt zum Gebilde des Subjekts und lässt doch den Gottesgedanken stehen als Grenzbegriff unsrer Vernunft, er will dem Gebote absolute Gültigkeit geben,115 und fasst es doch so, dass es keinen konkreten realen Moment unsres Lebens als Motiv des Willens füllen kann, er beurteilt den Menschen als radikal schlecht und leugnet doch die Möglichkeit irgend welcher moralischen Hülfe. Das sind Positionen, die in ihrer Unleidlichkeit sich sofort entdeckten und die geistige Bewegung in unaufhaltsamem Drange über ihn hinaustrieben. Aber während der über Fichte zu Schelling und Hegel weitergehende Nachkantianismus die Weiterbildung Kants darin suchte, dass er den Gottesbegriff völlig eliminierte und das Ich zunächst auf sich selbst stellte, damit es selbst die Welt gestalte und trage, physisch wie ethisch, suchte Baader den Mangel Kants vielmehr in der Bedeutungslosigkeit, die der Gottesgedanke für ihn hatte, so dass ihm die Entfaltung der theologischen Elemente seines Denkens die Heilung der dasselbe zerklüftenden Differenzen gibt. Darum hat er – ein sehr bezeichnendes Urteil! – unter allen kantischen Untersuchungen die ›Kritik der Urteilskraft‹ für die bedeutendste erklärt,*116 weil hier 115 Diese Sicht auf die Kantische Philosophie nimmt implizit Einwände wieder auf, die die ›Metakritik‹ Kants durch Hamann (1730–1788) und Herder (1744–1803) präfiguriert hatte. Vgl. dazu O. Bayer, Vernunft ist Sprache. Hamanns Metakritik Kants, Tübingen 2002 und E. Heintel, Herder und die Sprache, in: ders. (Hg.), Herder, Sprachphilosophische Schriften, Hamburg 1960. * Die Kritik der Urtheilskraft, das eigentlich genialische Werk Kants, Baader, V, 7. 116 Baaders von Schlatter geteilte starke Präferenz der dritten Kantischen Kritik, die die Frage nach dem Schönen mit jener nach der Zweckhaftigkeit der Natur zusammenführt und am ehesten die Einheit der Tektoniken Kantischer Philosophie erkennen lässt, berührt sich
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Kant im Studium des Zweckgedankens zur Bejahung eines »architektonischen Verstandes« weitergeht, und damit wenigstens einen kleinen Schritt hinauskömmt über die Zertrennung von Subjekt und Objekt, und von Wissen und Willen, in der die Kritik der reinen wie der praktischen Vernunft gefangen bleibt. [2] So bestimmt und entschieden nun Baader Kants Stellung als unchristlich und irreligiös überhaupt bezeichnet, so steht doch neben diesem negativen Urteil das positive, dass »Kant die Rückkehr echter Spekulation eingeleitet habe, nachdem sich dieselbe in ihrer Abkehr von den Religionswahrheiten auf die Spitze getrieben hatte.« Nicht in Kant, sondern in der ihm vorangehenden Aufklärungsepoche liegt für Baader die größte Abkehr der Intelligenz von den göttlichen Gedanken, und Kant »hielt dieser Aufklärung den Leichensermon«. Allerdings liegt die Wendung in Kant nur insofern, als auch hier die Not zu Gott trieb, und das Gefühl de[s]117 Erlöschens der Erkenntnis ohne Gott, der Eitelkeit und Finsternis, welche in der Negation Gottes enthalten ist, der horror vacui, nachdem das Ich allein gelassen und sein Konnex mit Gott geleugnet ist, zum Motiv wurde, sich nach der Erkenntnis Gottes umzusehn. Aber eben diese Not, diese unversöhnlichen Risse, in die das Denken und Wollen ohne Gott auseinanderklafft, hat Kant ehrlich und gründlich aufgedeckt und benannt, und darin liegt seine geschichtliche Bedeutsamkeit; darum hat er in so durchgreifender und anhaltender Weise als Ferment für unser Gedankenleben gewirkt. Die rationalistische Theologie und Philosophie ist zwar an objektivem Wahrheitsgehalt reicher als Kant, da dieser die rationalistische Trias »Gott, Tugend, Unsterblichkeit«118 nicht festigte, sondern vielmehr unterhöhlte und mit einem in der neueren Kant-Forschung vielfach begegnenden Ansatz. Vgl. M. Riedel, Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung, Frankfurt a.M. 1989, sowie W. Wieland, Urteil und Gefühl. Kants Theorie der Urteilskraft, Göttingen 2001. 117 Im Originaltext fälschlich: ›der‹. 118 Die kantische Trias ist Gott, Freiheit, Unsterblichkeit im Sinne der Umzeichnung der ›Metaphysica specialis‹. Schlatter setzt Tugend,
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entkräftete, gleichwohl steht sie weit tiefer als Kant, darum, weil sie satt und befriedigt war.119 Sie sprach die christliche Gedankenreihe nicht weniger aus als Kant, aber war befriedigt und beruhigt in ihrer Moralität als an der festen Basis ihrer Eudämonie. Diese hohle Befriedigung zerbrach Kant auf dem intellektuellen und auf dem ethischen Gebiete, die Aufklärung wandte ihre Kritik nach außen gegen die Objekte, Kant nach innen gegen das Subjekt, die Aufklärung erklärte das, was sie von Vernunft besaß, für das Maß aller Dinge, Kant maß die Vernunft selbst, und sowie sich die Frage darauf richtete, was denn eigentlich das Erkennen sei und wie es möglich werde, brach das Mysterium wieder auf, das gehasste, wegdekretierte Mysterium und dies mitten in der Vernunft selbst, mitten in ihrem eignen Thun, und das Erkennen selbst wurde sich rätselhaft und geheimnisvoll. Analog war der Vorgang auf dem ethischen Gebiet. Der Rationalismus pries die Tugend als des Menschen Besitz und als die Vermittlung seines Glücks. Kant nimmt den Begriff des Guten ernst, und sowie Art und Inhalt des Gebots ins Auge gefasst wird, scheiden sich das Gebot und das konkrete, faktische Wollen des Menschen schlechthin, und dieses erweist sich als gegensätzlich gegen das Gebot, und ebenso scheidet sich das Glück vom Gebot, und im Gebot deckt sich der Anspruch auf, allein zu herrschen, schlechthin zu gelten, so dass es für Kant zum Problem und Rätsel wird, wieso dann für den [3] unter das Gesetz gestellten Menschen überhaupt noch ein Streben nach Lust und Glück möglich und statthaft sei. So brechen vor Kants Kritik die Grundfesten der popularen Theologie und Philosophie seiner Zeit entzwei. eine Wahl, die auch im Blick auf Kant durchaus sinnvoll ist, da die Realisierung der Freiheit an der Tugend hängt. 119 Schlatter signalisiert damit, dass eine Rückkehr zu den vorkritischen rationalen Systemen von Christian Wolff (1679–1754) oder auch Christian August Crusius (1715–1775), wegen ihres dogmatischen, die Grenzen der Vernunft nicht vermessenden Charakters, nicht möglich sei. Vgl. dazu D. Henrich, Der ontologische Gottesbeweis, Tübingen 1960.
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Aber er füllte die Risse, die er zeigte und aufdeckte, nicht, und indem er sie vielmehr für überwindbar erklärte, für wesenhaft begründet in der menschlichen Natur, ging, wie Baader sagt, »seine Haupttendenz dahin, unsre Geistesflachheit recht gründlich stereotyp zu machen«. Schon das Unternehmen, die Vernunft allein [in] ihrem Gebrauch vorgängig einer Kritik zu unterstellen, erklärt Baader für eine Absurdität. Er eignet sich Hegels Diktum an, das heiße, nicht früher ins Wasser gehen wollen bis man vollkommen schwimmen gelernt hätte. Zweifellos liegt eine Wahrheit in seinem Unternehmen (I, 259), wird das kritische Postulat nur bedingt gestellt, d.h. wird gefragt, ob unser erkennendes Organ Integrität besitze oder nicht, so ist dasselbe richtig und weise, aber Kant fasst es unbedingt; er frägt nicht nach möglichen Erkrankungen unsres Erkennens, seine Untersuchung ist nicht pathologischer Art; das Erkennen an sich soll geprüft werden, ehe es gebraucht werden darf, und schon darin manifestiert sich die Schranke Kants frappant und charakteristisch: er leugnet damit alle Vitalfunktionen unsres Erkenntnisvermögens, die unser Erkennen anfangen und die nicht wir anfangen. Mit andern Worten: die erkennende Funktion ist für Kant nichts Gegebenes, in dessen Gebrauch wir hineingesetzt wären, sondern wir reg[u] lieren, setzen, ordnen dieselbe.120 Die kritische, äußerliche Funktion 120 Vgl. dazu J. Simon, Kant. Die fremde Vernunft und die Sprache der Philosophie, Berlin/New York 2003, insbesondere S. 13ff. Siehe zur kategorialen Erkenntnis und deren impliziten Vorannahmen auch klassisch K. Reich, Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel, in: ders., Gesammelte Schriften, hg. von M. Baum u.a., Hamburg 2001, S. 3–113. Dazu auch die für die neuere Forschung maßgebliche Studie von D. Henrich, Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion, Heidelberg 1976, sowie Wolfgang Carl, Die Transzendentale Deduktion der Kategorien in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Ein Kommentar, Frankfurt a.M. 1992. Der Hiatus, den Schlatter konstatiert, wird auch in der neueren Forschung festgehalten. Ebenso ist es eine bis heute offene Frage, inwiefern Kant die Bedingung der Möglichkeit
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und die gesetzgebende sind untrennbar. Der Richter ist auch der Gesetzgeber. Bei Kant kritisiert die Vernunft sich selbst, gibt sich selbst Gesetz, ist alles durch sich selbst, nichts ist mehr Natur, d.h. Gabe, Leben; alles ist Kunst. Doch ist ja die Frage nach der Möglichkeit und den Bedingungen des Erkennens eine unsrem Nachdenken gestellte. Aber hat sie Kant beantwortet? Baader verneint dies. Er bringt es bloß zur Fragestellung, aber zu keiner Antwort auf sie. Er schließt so: Erfahrung ist wirklich; wie ist sie möglich? Nur durch synthetische Urteile apriori; folglich sind diese als die Erfahrung bedingend und in ihr enthalten auch selbst wirklich; aber wie sind sie möglich? Darauf ist Kants Antwort nur logischer, aber nicht transzendentaler Art, d.h. er grenzt nur die Sphäre der Verwendbarkeit dieser Urteile ab, aber er zeigt den Realgrund nicht, kraft dessen sie entstehen. Er gibt Regeln für ihren Gebrauch, aber deckt nicht die Wurzeln ihres Ursprungs und ihrer Gültigkeit auf. So bleibt das Problem, um welches es ihm zu tun ist, ungelöst. Die Antwort war Kant unmöglich, weil er »Verstand« und »Vernunft« auseinanderriss.121 Er scheidet zwischen Analysis und Synthesis, und dies sind in der Tat die unterscheidbaren Bewegungen im Erkennen; Synthesis ist der Akt des Empfangens, des sammelnden Auffassens, Analysis das Wiederentfalten des Geeinten. Aber Kant schränkt diesen Doppelakt nur auf das verständige Bewusstsein [4] ein, und schließt das vernünftige Bewusstsein gegen dasselbe ab. Im Vernunftgebiet gibt es für Kant kein Empfangen, kein Sammeln und Aufnehmen. Aber was ist dies schließlich andres als des Denkaktes selbst freilegen kann. Dass dies nicht hinreichend geschehen sei, war jedenfalls der Eindruck des nachfolgenden deutschen Idealismus. 121 Dazu D. Henrich, Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991; sowie die minutiöse Nachzeichnung ders., Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus, Tübingen/ Jena 1790–1794, Frankfurt a.M. 2004.
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Leugnung der Vernunft? Vernunft kommt von Vernehmen, aber Kants Vernunft vernimmt nichts. Eben dies wäre der Akt der Synthesis: das Vernehmen, das Hören. Und hier findet sich die Antwort auf die von Kant nur gestellte, dann aber umgangene Frage: »Wie sind synthetische Urteile apriori möglich? Sie sind möglich durch einen ihnen unmittelbar vorangehenden einfachen Akt der Apperzeption apriori, welcher Akt dem Urteil selbst als Kraftquelle zu Grunde liegt.« Wir können von der Erfahrung unabhängig urteilen, wenn wir von der Erfahrung unabhängig vernehmen, apperzipieren, wenn es noch eine andere Weise des Empfangens als die durch die Sinne vermittelte gibt. Wer apriorische Urteile statuiert, muss auch apriorische Apperzeptionen statuieren. Kant behauptete jene, leugnete diese, und in dieser Halbheit verfuhr sich sein Denken ohne Resultat. Damit erhalten wir nun jene beiden Denkbewegungen auch auf dem Vernunftgebiet. Denn jene Apperzeptionen sind Synthesis, und das Urteil, zu dem sie uns befähigen, entfaltet das Wahrnehmen durch einen Akt der Analysis. Die Folge davon, dass Kant in der Vernunfttätigkeit des Apperzeptionsvermögens kein Apperzeptionsmoment wahrzunehmen vermochte, war die, dass sich seine Erkenntnistheorie skeptisch gestaltete. Das zu Erkennende kömmt bei Kant dem Erkennenden nicht entgegen, und enthüllt sich nicht. Gäbe es in unserem Erkennen ein Empfangen, so gäbe es auf Seite des zu Erkennenden ein Geben. Nachdem jenes geleugnet ist, fällt natürlich auch dieses weg, und das Erkenntnisobjekt wird im Erkenntnisprozess als rein passiv vorgestellt. Der kantische Mensch verhält sich im ganzen Erkenntnisprozess nur in der Sinnesfunktion empfangend. So wird das Erkennen zu einer puren »Flächenbewegung«, die lediglich an den Dingen hinstreift, aber nicht das »Ding an sich«, die Tiefe zu fassen vermag. Daher kömmt auch sein wunderlicher Begriff von Erscheinung, in der nach Kant nichts zum Vorschein kömmt, die vielmehr lediglich als verhüllender Schein gefasst wird, ohne dass gerade in der Erscheinung das Wesen erschiene. Wie viel Erscheinung, so viel Realität, die erscheint, aber das leugnet Kant. – 73 –
Nun suchen wir aber im Erkennen nicht Schein, sondern Wahrheit, Realität; diesen Trieb in unsrem Wissen setzt Kant somit zu einer konstitutiven Täuschung herab. Er schreibt uns wohl Vernunft zu, aber als »leeren Titel ohne Mittel«, und verlegt so eine radikale Illusion, eine natürliche Lügenhaftigkeit in unsre denkende Natur. [5] Die Leugnung der hörenden, empfangenden Funktion in unserm intellektuellen Leben hat, wie Baader hervorhebt, noch eine weitere Folge, nämlich die, dass das Denken von seinen ethischen Faktoren abstrahiert wird. Kant vergisst völlig, dass »das Wahrnehmungsvermögen zugleich mit dem Lügenwahrnehmungsvermögen« eintritt.122 Sind wir in unserm Erkennen abhängig, so wird nun die Frage wichtig, von wem wir abhängig sind, und das ist die Stelle, wo die ethischen Vorgänge principiell ins Erkenntnisleben greifen. Das alles ignoriert Kant. Er lässt den ganzen Erkenntnisvorgang sich abspielen bis zum Gottesbegriff hinauf, ohne dass irgendwie ethische Funktionen dabei in Frage kämen. Auf Nummer 1: die reine Vernunft folgt dann Nummer 2: die praktische Vernunft. Baader sagt: »Die theoretische und die praktische Vernunft sind nicht zwei von einander trennbare Potenzen, sondern beide sind ein und dieselbe Vernunft«.* Der »Nebel«, den Kant durch den Missbegriff: praktische Vernunft über die ethischen Phänomene breitet, hindert ihn daran, den Wahrheitsgehalt seiner ethischen Beobachtungen zur vollen Geltung zu bringen. Er hat Recht, wenn er vom Gewissen aus zum Gottesgedanken fortgeht, aber er beginnt die Beobachtung der Ge122 Hier rekurriert Baader auf die enge Verbindung von Wahrheit und Irrtum bzw. Wahrheit und Lüge. Diese Zusammenhänge sind in der Tat von der Kantischen Erkenntnistheorie kaum erfasst worden. Vgl. zu der konstitutiven Bifurkation in bejahende versus verneinende, zusprechende vs. absprechende Urteile H. Lipps (1889–1941), Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik, Frankfurt a.M. 1976 (EA. 1938). * I, 285.
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wissensphänomene nur und schnürt ihr dann alsbald den Hals zu mit seinem System. Statt auf die Bedingungen einzutreten, dass Kant die gegebenen Erkenntnisbedingungen nicht berücksichtigt, durch die uns ein Wissen um ein absolutes Gebot möglich ist, führt er den Begriff eines »selbstgemachten Gesetzes« ein, eine Kontradiktio in Adjecto:123 denn, was ich selbst setze und mache, ist mir nicht Gesetz. Dieser ethische Missbegriff geht dem erkenntnistheoretischen innerlich parallel. Wie das Erkennen für Kant nur ein Selbstgemächte ist, so auch das Gebot. Auch das Gebot ist ihm nichts Vernommenes, Empfangenes. Die Folgen sind denjenigen parallel, die sich in der Lehre über das Erkennen ergaben. Wurde Kant sein Wissen, das er als ein pures Selbstgemächte behandelt, zur leeren Negativität, so wird ihm auf dem ethischen Gebiete die Freiheit nur bloße Negation. Er sieht im Gesetz nur die in ihm enthaltene Schranke, nur sein verbietendes, negierendes Moment, das alle heteronomen Motive ausschließt; aber er verkennt das Positive, welches erst die Freiheit begründet, die Gabe der das Gesetz erfüllenden Kraft. Von hier aus erwächst Kants schneidiger, unversöhnlicher Gegensatz gegen das Christenthum, den Baader mit aller Schärfe erkannte, im Unterschied von einer großen Zahl von ev[angelischen] und zum Theil auch kathol[ischen] Theologen, die eine kantianisierende Theologie zustande zu bringen hofften. Dadurch, dass nach Kant nur das Gesetz mein Wollen regieren und meine Freiheit begründen soll, wird seine Moral heillos, weil heilandslos. Er will uns die Irreligiosität förmlich zur Gewissens pflicht machen, da er als Triebfeder zur Befolgung des Gesetzes lediglich und ausschließend den Imperativ selbst gelten läßt, und jedes Verlangen nach einer lösenden Hilfe unmoralisch schilt. So wird aber für uns in ethischer Impotenz stehende Menschen [6] die Moral lediglich zur »Unseligkeitslehre«. 123 Im Original so geschrieben. Eigentlich: Contradictio in adiecto: ›Widerspruch in der und durch die Beifügung‹. Ein einfaches Beispiel dafür wäre: ›rundes Quadrat‹.
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Das Gesetz gibt mir nicht gute Kraft und nimmt mir nicht böse Kraft. Es ist in ihm nichts mehr als der Antrieb enthalten, mich nach solchen Kräften umzusehn, und sie gewissenhaft zu gebrauchen, wo immer sie sich finden. Ist aber die Moral nichts anderes als Affirmation des Gebots, so resultiert aus ihr das Bewusstsein um meine Immoralität, mehr nicht, dann zeigt sie mir mein Nichtwollen meines Sollens, mehr nicht; und dieses Nichtwollen deckt Kant ab, »die Gottseligkeit kannte er nicht«. Kant sagt: »Du kannst, wenn du willst«124 und expliziert damit den Gedanken des Sollens richtig. Aber der Tatbestand unsres Verhaltens ist eben der: wir wollen nicht. Nun sollen wir diesen unsern Willen niederhalten, verleugnen, einen Akt der Selbsttötung vollziehen in noch viel intensiverem Sinn als es der physische Selbstmord wäre. Und diese Forderung ist sehr vernünftig, wenn wirklich meinem konkreten Leben, das meiner innern bessern Natur widerstreitet, ein anderes höheres Leben entgegensteht. Aber nach Kant wissen wir von einem solchen höhern Leben nichts. Wir sollen dem Wollen, das wir haben, ein Nein entgegensetzen, ohne dass diesem Nein ein Ja zur Seite ginge. Das Christenthum verfuhr umgekehrt, es forderte auch die Verneinung unsres Willens aber aufgrund einer erschienenen und uns zugänglich gewordenen höhern Lebensgestalt. Es forderte, dass wir unsern Willen dadurch verneinen, dass wir ihn lassen [Unterstreichung im Original H.S.] an einen absolut guten, restaurierend hülfreich mir sich darbietenden Willen. Aber eben diese Laßbarkeit unsres Willens leugnet Kant, indem er von radikaler Bosheit des Menschen spricht. Und wenn einmal die ethische Hülfe geleugnet wird, hat diese Behauptung allerdings Grund. Denn »jeder Akt philosophischer Selbstverleugnung, welcher der Bejahung eines entgegengesetzten Lebens entbehren zu können vor-
124 Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 71ff. ›Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft‹. Sinn dieser Aussage ist, dass der reine gute Wille auch die ausschließliche und hinreichende Triebfeder des guten Handelns ist.
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gibt, ist Charlatanerie und Affektation.«125 Eine Reformation des Willens kömmt so nicht zustande.126 Das Gesetz fordert allerdings, wie Kant sagt, dass ich das Gute willig, natürlich, wie mir angeboren tun soll. Aber eben hiezu bedarf es einer Radikalkur in unserm Willenscharakter, während sie Kant nicht nur nicht nachzuweisen versteht, sondern ausdrücklich verwirft. Die Analyse des bloßen Postulats hilft mir nichts. »Ich mag über den Text, daß ich ein Schurke bin, nachdenken, soviel ich will, das Resultat wird nicht sein, dass ich aufhöre ein Schurke zu sein, sondern höchstens dies, dass ich ein verschmitzter und gescheiter Schurke werde.«127 [7] Kant hat einen bloß negativen Begriff von Gott, als dem bloßen Gesetzgeber. Von seiner Ethik aus muss der barmherzige, Kraft gebende Gott der Christen notwendig als ein widernatürliches Wesen erscheinen. Er leugnet die Liebe, er leugnet sie im Menschen und deshalb auch in Gott, er leugnet sie in Gott und deshalb auch im Menschen, beides bedingt einander wechselseitig. Er lässt unser Lieben »in der Überzeugung von dem Vorteil gegründet sein, den das geliebte Objekt uns wachruft«. Ist damit alles menschliche Lieben auf den selbstsüchtigen Trieb reduziert, so kann noch viel weniger von einem göttlichen Geben und Helfen die Rede sein. »Welch ein Gegensatz zwischen der Definition Gottes von einem römischen Heiden (Plinius) und einem christ-
125 Mit der ›Reformation des Willens‹ verweist Schlatter auf die von Kant in der Religionsschrift entwickelte ›Umwendung‹ vom bösen in das gute Prinzip. Siehe dazu Kant, Akademie-Ausgabe Band VI, Berlin 1968, vor allem S. 55–78. 126 Siehe Kant, ibid. Eben diese Umkehrung des Willens von der heteronomen Selbstbezüglichkeit zur autonomen Unterstellung unter das Sittengesetz ist ein Dreh- und Angelpunkt von Kants Religionsphilosophie. Vgl. dazu mit Nachweisen H. Seubert, Moral und Religion – ein unumgänglicher Übergang?, in: Ethica 2009, S. 255ff. 127 Baader, SW, Band I, S. 17.
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lich geborenen Heiden (Kant)! Jener sagt: Deus est mortali juvans mortalem!128 Dieser: lex est res surda et inexorabilis!«129* Allerdings geht auch Kant vom ethischen Gebiet zur Unsterblichkeitshoffnung fort, aber sein Schluss ist nichts weniger als christlich: Nach Kant ist der Mensch darum unsterblich, weil er nie fertig wird und nie zu einem seinem Gesetz entsprechenden Dasein gelangt. Der Zustand des Menschen, in dem er sich mit seinem Gesetz in Differenz befindet, ist aber der unversöhnte, unselige. Und auf die ewige Permanenz dieser Unversöhntheit gründet Kant sein Postulat der Unsterblichkeit und ewigen Seligkeit. Das Prinzip seiner Moralphilosophie ist die Leugnung des verbum caro factum est,130 des Mensch gewordenen Moralgesetzes, die Leugnung des Christus als des Versöhners in alle Ewigkeit. Was er so
128 Die Quelle ist Plinius Liber II, cp. XVIII: Wörtlich heißt es dort: »Deus est mortali iuvare mortalem«: »Ein Gott ist für einen Sterblichen, wer dem Sterblichen hilft.« Da die Grammatik in diesem Satz nicht ganz der Schulgrammatik entspricht und vielmehr ein Gedankensprung vorliegt, hat Schlatter den ungewöhnlichen Infinitiv, der die Aktion betonen sollte, in ein Partizip Praesens verwandelt. Dieses kann und muss aber vielschichtiger übersetzt werden. Einerseits in dem unmittelbar von Plinius beabsichtigten Sinn. Es kann aber auch bedeuten: »Gott ist für einen Menschen ein dem Menschen Helfender.« Bei Plinius hatte dieses Diktum die Funktion zu beweisen, dass die Göttlichkeit Vespasians darin begründet ist, dass er als Wohltäter der Menschheit auftritt. Für philologische Auskünfte danke ich Frau Heidi Henschel herzlich. 129 »Das Gesetz ist etwas Taubes und Unerbittliches; es kann also durch Bitten und Flehen nicht erweicht werden«. Diese Stelle findet sich bei Titus Livius Liber III, cap. III ›Historiarum ab urbe condita libri XXXV‹. Zitiert von Kant am Ende der Schrift ›Das Ende aller Dinge‹, Akademie-Ausgabe Band VIII, S. 338: »Denn das Gesetz ist eine unerbittliche und [für Klagen] unempfängliche Sache.« * VIII, 42. 130 Zitiert wird damit der Beginn des Johannesevangeliums, Joh 1,1: »Das Wort ward Fleisch.«
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an Unsterblichkeitslehre zustande brachte, ist nur eine Theorie der Unsterblichkeit der Verdammten.* Doch auch der Gottesgedanke wird ihm vom göttlichen Gebot aus zum Postulat, was nach Kant einen vernünftigen Glauben an Gott ergibt. Auch der Glaube ist, wie das Erkennen, wie das Gesetz, somit ein Selbstgemächte, ein Postulieren, nicht ein Empfangen. Kant bleibt beharrlich bei der Leugnung der Synthesis über die Verstandessphäre hinaus. Wie er sie schon für die Vernunft leugnet, so leugnet er sie auch für den Willen. In der Willenssphäre ist der Akt der Synthesis, der Kraft schöpfend der Ausbreitung des Willens zugrunde liegt, der Glaubensakt, das credere Deo. Für Kant bleibt derselbe, eben weil der Mensch nichts empfängt, sondern nur postuliert, für Erkenntnis und Wirken völlig bedeutungslos. Eine weitere Negation ist hievon die unmittelbare Folge: diejenige des Gebets, über die sich Kant in der ›Rel[igion] innerhalb der Grenzen [der bloßen] Vernunft‹ schlechthin negativ ausgesprochen hat, in welcher Leugnung die antichristliche Richtung seines Gedankenganges handgreiflich wird. Das Christenthum bietet uns einen Organismus [8] göttlicher Lebensbetätigung dar, der uns ethisch hülfreich entgegenkömmt, und die Aneignung dieser Hülfe ist an gewisse innere Funktionen gebunden. Dieselben fassen sich kurz und bündig in die alte Regel zusammen: ora et labora; aber Kant eliminiert das ora und verweist uns nur an das labora, welches eben hiermit zum labor improbus wird.131 Die Spontaneität der Persönlichkeit fordert, dass sie zu ihrer Belebung selbsttätig mit* I, 285. 131 Hier verweist Schlatter auf den bekannten Grundsatz der BenediktRegel, das »Ora et labora«. Vgl. O.J. Kaftan OSB, Ora et labora – (K) ein benediktinisches Motto. Eine Spurensuche, in: Erbe und Auftrag 90 (2014), S. 415ff. Siehe auch B. von Nursia, Die Regel des Heiligen Benedikt, Beuron 1990. Mit dem Verweis auf den »labor improbus« expliziert Schlatter, dass die Mühe alleine, ohne eine entgegenkommende Gnade – und den Glauben, der auf sie setzt, vergeblich sein mag. Dies ist ein erkennbarer Gegengedanke zu der verbreiteten Aussage: »Labor omnia vincit improbus«: »Arbeit siegt über alles.«
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wirksam wird. Sie muss nehmen, will sie empfangen. Wenn aber nichts da ist, was gibt und geben will, so kann sie nichts nehmen. Wenn nichts über dem Menschen ist, so dass er alles aus sich selber schöpfen soll, so muss man ihn in der Tat glauben machen, er habe in sich selbst alles, d.h. man muss ihn zum selbsttrunkenen Narren machen. Was der Mensch in seiner Spontaneität vermag, das ist zu allernächst das Wünschen, und dieses Wünschen gilt es in sich zu hegen und pflegen und zu beleben, wie das heilige Feuer der Vesta,132 und darin liegt die Unerlässlichkeit des Gebetsakts. Kant fürchtet sich vor Fetischen und wirft damit auch das Gebet zur Superstition. Aber der Mensch verhält sich im Gebet nicht anders wirkend als wie immer, nämlich als naturam adiuvans; der Natur dienen, eben dies heißt: Gott dienen. Allerdings ist’s unbegreiflich, ein Arkanum. Aber alle Willenskausalität ist ein Arkanum, nicht nur die auf Gott gerichtete. Sie ist »magisch« im wahrhaften Sinn des Worts, unvermittelt, alle Vermittlung des Wirkens setzend, selbst aber nicht in sie eingehend. Freilich wäre das Gebet nur, wie es Kant definiert, »die Deklaration der Wünsche an den, an den man sich bittend wendet«, so wäre es ohne Effekt. Natürlich enthält das Gebet den Wunsch der Erhörung in sich, aber Kant ignoriert, dass sich der Bittende an einen Gebenden wendet, den er in seinem Bitten berührt, so dass der Gebetsakt eine communio vitae spiritum wird. Aber das Pfaffentum! Was beweisen die Quacksalber und Betrüger anderes als dass die Krankheit da ist? Was beweisen sie gegen den Arzt und die Arznei! Kants Stellung zum Kultus und Gebet bindet sein Moralsystem in völlige Impotenz hinein. Die Unterlassung des Gebets ist gerade die eigentliche Sünde, die Kant nicht [auf]hebt, sondern festigt (?). Alles übrige, alles Thun des Bösen fällt unter den Gesichtspunkt der Strafe für jenen zentralen sündigenden Akt, das ist das Verlas132 Vesta ist die altitalische Göttin, die als Hüterin des heiligen Feuers firmiert. Ihre Priesterinnen sind die Vestalinnen. Vesta entspricht in etwa der griechischen Hestia.
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sensein von Gott, das als Korrelat dem Verlassen Gottes folgt. Wir bedürfen darum einer religiösen Philosophie, und diese kann nichts anderes sein als »une philosophie de la prière. Kant hat sie uns nicht gegeben.«133 Er hat das Bedürfnis nach einer solchen aufgedeckt, aber dasselbe gleichzeitig für unstillbar erklärt und eben dadurch seine Stillung, so viel an ihm lag, erschwert. [9]
133 Vgl. Briefe 1–7. Eine solche Philosophie des Gebetes hat Baader vorgelegt. Vgl. dazu W. Lambert, Franz von Baaders Philosophie des Gebets, Innsbruck 1978. Siehe zum grundsätzlichen Ansatz, der in der neueren Französischen Religionsphilosophie wiederaufgenommen wurde: W. Schüßler, ›Philosophie de la prière‹, in: Revue des sciences religieuses 84.3 (2010), S. 341ff. Siehe auch I. Gondal, Philosophie de la prière, Paris 1990.
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§ 2 Jakobi134 Mit Jakobi berührte sich Baader persönlich nach seiner Rückkehr aus England; und sodann in München, wo Jakobi die Akademie präsidierte, und wo sich der energische Kampf zwischen Jakobi und Schelling vollzog, bei dem Baader im Wesentlichen auf Schellings Seite gegen Jakobi trat.135 Jakobi vertritt die Aufklärungsepoche in einem edeln Typus, sowohl gegen die niedrigeren Formen des Rationalismus selbst, als gegen Kant, als gegen die pantheistische Spekulation der Nach134 Adolf Schlatter schrieb, wie in seiner Zeit gängig, »Jakobi«. Dem wird in der Transkription des Textes gefolgt. Im Kommentar folge ich der heute gängigen Orthographie. J.H. Jacobi (1743–1819); Kaufmann und Beamter, ab 1778 Privatgelehrter auf dem Gut Pempelfort nahe Düsseldorf. Jacobi war 1807–12 der erste Präsident der Akademie der Wissenschaften in München. Besonderes Aufsehen erregte die These, dass Lessing Spinozanischer Pantheist geworden sei, in seiner Schrift ›Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn‹ (1785). Jacobi übte seinerseits Kritik am Kantischen Kritizismus. Er prägte die Formel von der Vernunft als »Vernehmen des Übersinnlichen«. Vgl. dazu K. Hammacher, Die Philosophie Jacobis, München 1969; ders. (Hg.), Friedrich Heinrich Jacobi. Philosoph und Literatur der Goethezeit, Frankfurt a.M. 1971. Siehe auch die Publikationsreihe: M. Brüggen / H. Gockel / P.P. Schneider (Hg.), F.H. Jacobi. Dokumente zu Leben und Werk, Stuttgart 1989ff. 135 Vgl. zum jüngeren Diskussionsstand über diese Streitfragen: W. Jaeschke (Hg.), Der Streit um die Göttlichen Dinge (1799–1812), Hamburg 1999, sowie zu den biographischen Hintergründen X. Tilliette, Schelling. Biographie, Stuttgart 2004, S. 251ff und S. 258ff. Zu den systematischen Implikationen: H. Seubert, Zwischen Religion und Vernunft. Vermessung eines Terrains, Baden-Baden 2013, S. 241ff.
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kantianer. Er überschreitet aber in seiner Polemik die Position der Aufklärung nicht wesentlich, und so stellte sich dieselbe den fortschreitenden Tendenzen gegenüber lediglich als hemmend, reprimierend, den alten Standpunkt konservierend dar. Eben darum hatte Baader bald den Eindruck, dass ein Zusammengehen mit ihm unmöglich sei. Was Baader zunächst zu Jakobi hinzog, war die Bejahung des Gottes, zu der sich Jakobi stets bekannte als zu einem wesentlichen Element des menschlichen Wissens. Aber er schied nun innerhalb des Wissens zwei Sphären, »Verstand« und »Vernunft«, oder wenn er von der Kantischen Terminologie unabhängig und mehr im Anschluss an den dichterischen Humanismus sprach, Empfindung und Verstand. Eine Wissenschaft von Gott gibt es für Jakobi nicht. Der Verstand und seine spekulative Betätigung haben ein positives Intresse daran, dass Gott nicht sei, sofern die Erklärung der Dinge nur dann eine mögliche und abschließbare ist, wenn die sachlichen Faktoren, die eine Erscheinung bedingen, lediglich im Kreise der endlichen, sinnenfälligen Potenzen zu suchen sind, so dass die Analyse abschließbar ist, ohne Regress über die Dinge und ihren naturhaften Kausalkonnex hinaus zu Gott empor. Insofern haben die atheistischen Philosopheme Kraft, sie geben das Resultat der Verstandesarbeit. Darum protestierte er auch gegen die Schellingsche Spekulation, welche ein Wissen vom Absoluten also von Gott zu besitzen vorgab, als gegen eitel Selbstbetrug, da das Denken notwendig atheistisch werde und sich als einstimmig mit dem religiösen Gedanken nur durch täuschende Amphibolien136 ausgeben könne, aus welchem Traum ein schlimmes, für die Religiosität höchst gefährliches Erwachen folgen müsse. Es gebe nun aber neben dem Verstand noch eine andre Quelle des Wissens in uns, das Empfindungs- und Vernunftleben, und dieses habe die Gewissheit 136 ›Amphibolie‹: Mehrdeutigkeit von Begriffen, die deshalb zur Ursache von Fehlschlüssen werden können. Gerade in Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹, ›Transzendentale Analytik‹ wird die Amphibolie der Verstandesbegriffe eingehend behandelt, KrV B 323ff, A 269ff.
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Gottes in sich. Er gab Kant nicht zu, dass dies kein Wissen [sei]; Wissenschaft ist’s allerdings nicht, Objekt der Spekulation kann es nicht werden, aber ein Wissen ist es, das keines Beweises bedürftig in sich selber ruht und an Kraft der Gewissheit dem sinnlichen und verständigen Wissen nicht nachsteht. So zerteilte Jakobi sich selbst und den Menschen überhaupt in zwei feindliche Lager, hier die begreifende Funktion, welche es zu wissenschaftlichem Verständnis der Welt bringt, aber Gott nicht findet, dort das in innerlichen Gefühlsleben enthaltene Wissen um Gott, das auf Beweis und wissenschaftliche Ausarbeitung verzichten muss; [10] über diesen Riss in sich selbst kam er nicht hinaus. Baader erklärte die Klagen Jakobis über den angeblich notwendigen Atheismus des Verstands für Feigheit.* Wären diese Klagen begründet, so wäre das Einstellen des Denkens Religionspflicht, ganz analog wie Kant das Einstellen des Glaubens an die erlösende Hilfe zur Gewissenspflicht macht. Will uns Kant so viel Religion lassen als uns bleibt, wenn unser Verhältnis zu Gott lediglich im Gesetz aufgeht, so will uns Jakobi so viel Religion lassen, als uns bleibt, wenn wir auf das Denken und Erkennen verzichtet haben.137 Die eine und die andre Operation endigt im Tode unsrer Religiosität. Jakobi wie Kant sträuben sich dagegen, über unsre Subjektivität hinauszugehn (VIII, 24, 25). Kant hält uns bei dem lediglich als unsre Selbstgesetzgebung gefassten Gewissen fest, Jakobi bindet uns in ein lediglich als unser Empfinden gefasstes Wissen hinein. Beide leugnen ein über unsrer Subjektivität Entspringendes, aber in dieselbe eintretendes Verhalten Gottes, in welchem für die beiden * I, 166. 137 Damit ist auf Jacobis Doppelphilosophie hingewiesen; die Notwendigkeit des ›Salto mortale‹ auf festen Grund, die der Glaube abfordere. Ein Rationalismus der Gotteserkenntnis werde demgegenüber zu einem Spinozanischen Atheismus führen und damit zu einem Weltverständnis nahezu vollständiger Necessitiertheit. Vgl. dazu grundlegend: B. Sandkaulen, Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000.
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Zweige unsres Lebens, für das Erkennen wie für das Wollen, die befreiende und begabende Hülfe enthalten ist. Dieser Verschluss in die eigne Subjektivität, die nicht emporlangt über sich selbst hinauf in die Sphäre Gottes hinein, ist bei Kant wie bei Jakobi ganz analog das ungläubige Radikal138 in ihrem Denken. Der Gott, der gewusst werden könnte, wäre gar kein Gott, sagte Jakobi vollkommen richtig jedem Versuch gegenüber, Gott als ein passives Erkenntnisobjekt zu behandeln, dessen wir selbst mächtig würden, ohne ihn. Erkenntnis ist Erhebung über das Erkannte. Wir bringen das Erkannte in unsern Besitz, eignen es uns an, und wenn nun hiebei das Erkannte passiv sich verhält, so erweist es sich uns subjiciert, subordiniert, einer uns untergebenen Region angehörig, über die wir ein Dominium139 besitzen. Auch in dieser Beziehung gilt: Scientia et potentia in idem coincidunt.140 Aber gibt es nur ein erhofftes Wissen, ein in eigner Machtvollkommenheit gewonnenes Erkennen? Wie, wenn es auch ein gegebenes Wissen gibt? Ein Wissen, in welchem ein Gott, Gott selbst aktiv uns entgegenkömmt, uns zu seiner Erkenntniß befähigend und sollicitierend?141 Dann ist 138 Gemeint ist damit die Wurzel, die keiner Veränderung zugänglich ist. Im Blick auf eben diese Radix spricht auch Kant in seiner Religionsschrift vom ›radikal Bösen‹. AA VI, S. 26f u.ö. 139 ›Dominium‹ ist in der alteuropäischen Sprache des Lehnsrechtes die Oberhoheit über einen Zusammenschluss von Gütern. Man kann dabei zwischen einem ›Dominium directum‹ und einem ›Dominium indirectum‹ unterscheiden. In unserem Zusammenhang bedeutet ›Dominium‹ so viel wie »Herrschaft«. 140 Dies ist eine Aussage Francis Bacons (1561–1621), die vollständig lautet: »Scientia et potentia humana in idem coincidunt, quia ignoratio causae destituit effectum«: »Wissen und Macht des Menschen fallen zusammen, weil Unkenntnis der Ursache [auch] über deren Wirkung täuscht.« (Aphorismi de interpretatione naturale de regno hominis). In simplifizierter Weise wurde daraus das Diktum: »Wissen ist Macht«. 141 Auch: ›Sollizitieren‹ von lat. ›sollicitare‹: ›etwas veranlassen‹ bzw. ›hervorrufen‹. In der philosophischen Terminologie des 18. und frühen
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jene Subordination Gottes unter uns, die Gott zum Objekt, Inhalt und Besitz unserer Subjektivität macht, nicht ein Widerspruch und Gegensatz zu seiner absoluten Lebenshoheit, weil sie auf seiner freien, selbst eignen Herablassung beruht. Die Argumentationen Jakobis beweisen nur, dass es kein Erkennen Gottes gibt, das nicht durch Gott selbst vermittelt wäre, dass alles Erkennen Gottes auf göttlicher Gabe beruht, dass auch in der intellektuellen [11] Sphäre der Mensch sich nichts nehmen kann, es werde ihm denn gegeben von oben. Jakobi hätte sagen sollen: der Gott, welcher ohne Gott gewusst werden könnte, wäre kein Gott; so aber ist seine These lediglich ein sophisme paresseux.142 Gibt es ein gegebnes Wissen, so wird die intensive Betätigung all unsrer erkennenden Kräfte unmittelbar zur Pflicht. Denn die Gabe Gottes soll gebraucht, folglich nicht missbraucht werden. Darum ist nicht das Denken, sondern vielmehr dessen Repression unfromm, weil sie undankbar ist. Und der Begriff einer religiösen Spekulation, wobei der Begriff der Spekulation dem denkbar höchsten Ideal wissenschaftlicher Arbeit konform gedacht werden soll, ist kein Widerspruch, als wäre ein religiöses Verhalten nicht nur neben, sondern im Akt der Spekulation unmöglich, sondern ein in sich einstimmiger Begriff. Jakobi betonte die höhern Gefühle als eine eigenartige Quelle des Wissens, und Baader bejaht durchaus den Wert derselben für den Gewinn unsres intellektuellen Besitztums,143 im Gefühl der Bewunderung und Verehrung bezeugt sich uns das Dasein eines Objekts, das einer höhern Region angehört, als die ist, in der wir stehen, und aus derselben hereintritt in die unsrige, uns 19. Jahrhunderts, also auch bei Schelling oder Hegel, war diese Rede sehr gebräuchlich. 142 Ein ›fauler Sophismus‹, wie er von Gegnern oder Skeptikern dem stoischen Grundgedanken eines alles umfassenden Fatums vorgeworfen wird. Vgl. Cicero, De fato, Cp. XIII. Auch Leibniz nahm diese Formel wieder auf. 143 Cf. Ueber den Affekt der Bewunderung, Band I.
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nicht deprimierend, sondern in der Beugung zugleich erhebend, uns emporziehend zu sich. Non elevare ist aber labi,144 und darum liegt nach Jakobis feiner Bemerkung im taûma145 der Ursprung der Philosophie, zugleich aber auch derjenige der Religiosität, denn das nil admirari146 versetzt nicht bloß den Verstand in eine brutale Stupidität, sondern ist auch das Ende aller Adoration. Dass in unserm Erkenntnisvermögen Bewunderung, in unserem Begehren Ehrfurcht entstehen, wenn das Leben weckende Höhere an uns herantritt, das und nur das ist der normale Verlauf [?] des Innenlebens, und es ist das Zeichen tiefgreifender Verwerfung und Verderbnis, wenn an Stelle der Bewunderung nur das dumpfe Staunen, an Stelle der Verehrung nur die knechtische Furcht in uns entsteht. Allein wenn Jakobi diese Gefühle in einen Gegensatz zum Erkennen stellt, mit Rousseau,147 welcher sagt, dass der Mensch zu empfinden aufhöre so wie er zu denken anfange, so liegt hierein eine Verletzung des diesen Gefühlen selbst innewohnenden Triebs: Sie haben vielmehr die Tendenz nach Erkenntnis in sich, so gewiss sie die Gemeinschaft mit dem Bewunderten und Verehrten suchen, so gewiss sie nicht Flucht von ihrem Objekt weg, sondern Trieb zu ihm hin sind. Und die Unterdrückung dieses Strebens
144 Zu deutsch: »Sich nicht erheben ist aber fallen«. 145 Platon hat das ›Erstaunen‹ (thaumazein) als den Beginn der Philosophie charakterisiert. Vgl. Platon, Symp. 178a und 210a; sowie De leg. XII 957c. Dazu M. Riedel / H. Seubert, Einführung in die Philosophie, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 5ff. Man darf nicht vergessen, dass das ›Erstaunen im wörtlichen Sinne bedeutete, zu einer Säule zu erstarren. 146 Das »nil admirari« bedeutet, von nichts überwältigt zu werden. Daher kann dieses Gegenkonzept, das sich prominent bei Horaz, Epistulae 1, 6, 1 findet, auch als Inbegriff für den Weisen gelten. So Cicero, Tusculanae Disputationes 3, 30. Vgl. auch Seneca, Epistulae Morales 8, 5. 147 Im Original ist ›Rousseau‹ im Genitiv (›Rousseau’s‹) versehentlich nicht getilgt. Ein von Schlatter vorausgehender, gestrichener Absatz erklärt dieses Überbleibsel.
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durch Obscurantismus148 unterbindet auch die Gefühlserhebung zum bewunderten Objekt. Das Sehen in der Lichtregion ergibt die Gemeinschaft mit ihr als der zündenden. Die Furcht, dass das Erkennen die Bewunderung auslöschen würde, kann nur da statthaben, [12] wo es sich um ein unächtes Objekt derselben handelt, das in Wahrheit keiner höhern Region angehört, sondern dem Bewundernden gleichgestellt oder untergeordnet ist. Dann freilich erlischt mit der Enthüllung des Objekts auch der Respekt; er erlischt aber nicht, wenn wirklich die Bewunderung nach oben geht. Je mehr das ächte Wunder beleuchtet und der Erkenntnis erschlossen wird, umso wunderbarer wird es, umso voller erschließt sich seine Superiorität über unser Ich, sowohl über dessen Erkennen als über dessen nachbildendes Wirken. Das Mysterium bleibt in ihm, aber nicht als ein finsteres und verfinsterndes, das Erkennen bindendes, sondern im Gegenteil es erleuchtet, es hilft dem Erkennen zu Gehalt und Reichtum, und bleibt Mysterium nur dadurch, dass es eine dem Auge des Beschauenden überlegene Lichtfülle in sich hat. So weit verbreitet die Behauptung ist, dass der Verstand und das Wunder einander feind seien, so falsch ist sie. Umgekehrt: der Verstand ruht im Wunder, befriedigt und gesättigt, weil er nur in ihm ein Objekt erlangt hat, das dem Erkenntnistrieb gewachsen und seiner würdig ist. Schon der geschichtliche Verlauf der Gedankenbildung ist hiefür die Demonstration, da die gesamte Theologie sowohl des Judentums als der Kirche aus dem Wunder erwachsen ist. Die erkenntnistheoretischen Differenzen wurzelten auch hier in ethischen Differenzen. Es ist sehr bezeichnend, dass der Briefwechsel zwischen Baader und Jakobi, der sich im Anschluss an seinen Besuch in Hamburg entspann, rasch zu einer Kontroverse über den 148 Auch ›Obskurantismus‹ meint ›Dunkelheit‹ und ›Unklarheit‹. In diesem Sinne wurde vor allem im 18. Jahrhundert von ›Obskurantismus‹ in Abgrenzung von ›Aufklärung‹ gesprochen. Freilich verweist der Begriff zurück in die Polemik im Zusammenhang der Dunkelmännerbriefe, jener in bewusst schlechtem Latein abgefassten Humanistensatire, die sich gegen die Scholastik richtete.
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Teufel führte. Baader hatte ihm geschrieben: »Die Generirbarkeit des Bösen [in uns] ist das Factum, dem ich gern zu Leibe möchte, und [vielleicht ist] unser [erschlafftes] Jahrhundert […] wirklich dazu reif, dass man es wieder etwas durch die Gefahr erschrecke, die [einmal sich] nicht leugnen läßt.«149 Jakobi antwortete ihm: »Wir sind in Gott, wenn auch nicht im schwarzen Diabolus vereinigt. Ich bescheide mich, ich will mich über den Knoten, der jenen postuliert, lieber bescheiden, als ihn nur anders schlingen.«150 Baaders Entgegnung war: »Über den Teufel werden wir wohl in der Hauptsache doch auch einig sein, da wir es in Gott über die Teufelei sind,«151 eine schöne Antwort, da in der Tat, wo Einigkeit über die Teufelei ist, auch Einigkeit über den Teufel sein wird, und das Einssein in Gott das Einssein über und wider den Teufel in sich schließt. Aber eben diese Voraussetzung des Einsseins in Hinsicht auf die Teufelei traf nicht zu. Baader sah bald, dass die ethischen Urteile Jakobis wesentlich von den seinen differierten. Zunächst hob er die erkenntnistheoretischen Gesichtspunkte [13] hervor, das Mysterium, das in der Sphäre des Bösen sich auftut und demgegenüber Bescheidenheit uns obliegt. Baader antwortete: auch er bescheide sich; nicht Erklärungssucht des Unerklärlichen, sondern das Enthüllungsstreben des Verhüllten, aber Gegebenen treibe ihn, dem Keim jenes Giftes nachzuforschen, der sich wie der Keim des Guten nun einmal fortpflanze in dieser Natur. Die böse Gabe ist ebenso gegeben wie die gute, die böse Reaktion ebenso real wie die gute, die böse Begeisterung ebenso real als die gute. Es ist nicht der tote Tod, sondern der lebendige Tod, dem ich auflauere. Die vorliegende Lebensgestalt weist unmittelbar auf ihn: wir sehen den Menschen überall herabgewürdigt in die Heteronomie hinab, während er zur Autonomie berufen ist; der normale Gang des Lebens beginnt stets mit Negationen, mit Vernichtung 149 Baader an Jacobi, Hamburg, 19.11.1796, in: Baader, SW XV, S. 170. 150 Jacobi an Baader, Hamburg, 16.12.1796, in: Baader, SW XV, S. 171. 151 Brief Baader an Jacobi, Regensburg 3.1.1798, Baader, SWd XV, S. 172.
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und Verleugnung des Gegenwärtigen müssen wir beginnen, einem Nichterkennen, Nichtwollen, Nichtglücklichsein, so dass unser Leben vielmehr ein s’empêcher de mourir ist,152 ein Streben nach dem Leben. Aber Streben ist aufgehobene Kausalität und diese Folge eines Widerstreits, so dass die Forschung nach einer uns feindlichen Potenz in der Zerrüttung unsers Lebens uns unmittelbar aufgegeben und geboten ist. Hat dieselbe ein Ende, so hat sie auch einen Anfang, und wir können denselben nur in Intelligenzen suchen, denn, was unser Denken reaktioniert,153 kann nur ein denkendes Wesen sein. Aber diese ganze Sphäre von Zerrüttungsphänomenen, die Baader mit aller Kraft beschäftigten und auf einen jenseitigen Grund und Anfang der Bosheit wiesen, hatten für Jakobi geringes Gewicht, ihn quälten diese Rätsel nicht. Es kam dies sehr deutlich zu Tage in einer Rede, die Jakobi in der Münchner Akademie 1807 hielt über gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck, auf die Baader antwortete in der Schrift: ›Über die Behauptung dass kein übler Gebrauch in der Vernunft sein könne.‹154 Jakobi kämpfte dort gegen die Missachtung der Vernunft, die sich als Gegenschlag gegen die Revolution und ihren Vernunftkultus geltend mache, und unterschied den Verstand als 152 Die Sentenz entstammt La Rochefoucauld, Maxime 23. »Leben ist nichts anderes als sich dem Tod widersetzen«. Vgl. dazu E. Turcat, La Rochefoucauld par quatre chemins. Les Maximes et leurs ambivalences, Tübingen 2013, S. 200ff. 153 Das Wort ist im Originaltext nur schwer entzifferbar. Es ist eine Verbalform von ›Reaktion‹ und drückt als solche eine Erwiderung aus, die durchaus auch eine Einschränkung sein kann. Entscheidend ist freilich die Überzeugung, dass menschliches Denken diese Erwiderung nur von einem gleichfalls intelligiblen Wesen empfangen kann. 154 Es handelt sich um die Rede: F.H. Jacobi, Über gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck. Gelesen bei der feierlichen Erneuerung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München, 1807, in: Jacobis Werke, Band VI, S. 1–62. Vgl. dazu: M.-E. Zovko, Natur und Gott. Das wirkungsgeschichtliche Verhältnis Schellings und Baaders, Würzburg 1996.
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die dem Thierzweck unterstellte intelligente Funktion, und die Vernunft als die dem höhern, spezifisch humanen Zweck dienende Intelligenz. Die letztere, behauptete er, sei immer gut und heilsam; von einem übeln Vernunftgebrauch könne nicht die Rede sein, und auch von einem übeln Gebrauch des Verstandes nur insoweit, als derselbe von der Sinnlichkeit unterdrückt ist, die er vielmehr zu regieren bestimmt ist. Eine der Missbilligung und Verwerfung unterliegende Gedankenbildung gibt es also nicht, nur der Defekt unsres Denkens ist das Verwerfliche; jede positive [14] Betätigung unsres Denkens ist gut. Jakobi bestätigte damit, dass jedem »zu wenig« ein »zu viel« kopuliert ist, und jeder Unglaube seinen Glauben in sich hat. Er sperrte die Sphäre der göttlichen Dinge ab gegen Wissenschaft und Spekulation und pries gleichzeitig die Vernunft als keiner Korruption fähig, anders als so, dass sie in ihrer Äußerung gehemmt werde. In diesen Thesen sah Baader eine gründliche Verkennung des Bösen. Es gibt im Menschen nicht nur das Thier und die Vernunft, sondern noch ein Drittes, und eben dieses Dritte ist das eigentliche Böse, derjenige Vernunftgebrauch, der den Menschen unter das Thier herunterstellt, durch welchen der Mensch seine Sinnlichkeit ebenfalls beherrscht und sie seinen Zwecken dienstbar macht, aber durch ein verbrecherisches Wollen setzt: Nach Jakobi sänke der Mensch, wenn er seine Vernunft unter die Sinnlichkeit stellt, lediglich zum schuldlosen Thier herab, aber eben dies findet nicht statt. Wohl verliert er seine Freiheit an die Sinnlichkeit, aber nicht in dieser liegt der Grundakt des bösen Verhaltens, jene ist der Kerker, in [den]155 dieses führt, der allerdings als Fessel und Kette uns umschließt, aber ebensowohl heilsame als hemmende Wirkung auf uns hat. Denn unsre Sinnlichkeit hemmt ebenso sehr unzähliges Böses, als vieles Gutes. Sie schützt uns vor dem rapiden Fall in das Verbrechen hinab. Das Böse ist in seinem Grundakt ein geistiges Geschehn und der Vernunftgebrauch bei demselben ebensowohl übersinnlicher Art als im guten Akt. Und zwar ist derselbe positiver 155 In Schlatters handschriftlichem Original fälschlich »die«.
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Art, da auch im bösen Handeln die Einsicht uns nicht fehlt in das, was uns zum Guten führen würde.156 Diese Einsicht wird aber verleugnet, die uns innerlich gegenwärtige Wahrheit verworfen. Das ist nicht nur das Ausbleiben einer Aktivität, sondern selbst Aktion, nicht nur die niedrigere Natur, sondern die Unnatur. Die Folge dieser Verschleierung des ethischen Problems musste notwendig die sein, dass gerade die zentralen christlichen Gedanken für Jakobi Absurditäten wurden. Er hat dies Christenthum im Denkmal von den göttlichen Dingen religiösen Materialismus, Götzendienst, Bilderdienst, verliebte Torheit etc. gescholten, weil Claudius157 einen handelnden, gebenden Christus hatte und bekannte, der nicht nur eine Idee vermittle, ob der die Person gleichgültig werde, sondern der in seinem eignen Wesen und Wirken die Beziehung zu Gott uns gewährt und erhält. Baader antwortete darauf: also dasselbe Resultat wie bei Kant! Nämlich eine heilandslose, also auch heillose Moral, eine Moral der Impotenz, die es höchstens zum leeren Wünschen bringt und sich an demselben nur dadurch befriedigen kann, dass sie sich über den Bestand unsres bösen Wollens und Wirkens in Illusionen wiegt.
156 Vgl. zu dem Jacobi-Schelling-Streit: G. Wenz (Hg.), Das Böse und sein Grund. Zur Rezeptionsgeschichte von Schellings Freiheitsschrift 1809, München 2010. 157 Diese Konfrontation mit dem Liedschaffen und der Dichtung von Matthias Claudius ist bemerkenswert. Claudius und Jacobi verband eine lebenslange, wenn auch nicht ungetrübte Freundschaft. Dazu jetzt: M. Geck, Matthias Claudius. Biographie eines Unzeitgemäßen, München 2014.
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§ 3 Fichte Die Kantische Entdeckung, dass der Geist die Welt bilde, hat Fichte mit kühner Energie von allen Verhüllungen und Halbheiten Kants befreit.158 Das dunkle jenseitige Ding an sich wird abgeworfen. Das Ich setzt das Nichtich159 voll und ganz, und eben damit verschwindet für einen Moment der Gottesgedanke völlig. Es ist ein neuer Weltschöpfer entdeckt im Ich, und mit dieser Entdeckung wird der Kantische »Grenzbegriff« Gott, der doch nirgends in die Welt des Ichs aktiv hineinreicht, abgestreift und überflüssig. Aber vermochte wirklich das Ich diese neue Würde zu tragen? Der Gottesgedanke, 158 Vgl. dazu Chr. Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei J.G. Fichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. Schlatter bezieht sich hier primär auf die Epoche machende erste Wissenschaftslehre Fichtes aus dem Jahr 1794 und seine frühe Religionskritik. Die spätere Wendung der Wissenschaftslehren seit 1804 zu einer Philosophie des Absoluten, dessen bedingtes Abbild der menschliche Geist ist, würde seinen Einwänden in mancher Hinsicht Rechnung tragen. Vgl. die souveräne, systematisch orientierte Gesamtdarstellung: G. Zöller, Fichte lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013. Vgl. ferner: J. Stolzenberg, Fichtes Begriff der intellektualen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986; sowie W. Janke, Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Philosophie Fichtes, Berlin/New York 1993; sowie ders., Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009. 159 Fichte schreibt selbst in der Regel ›Nicht-Ich‹. Vgl. Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794) als Handschrift für seine Zuhörer (1794), Hamburg 1988, §§ 2–3: zweiter und dritter Grundsatz. Dennoch wird hier die Schlattersche Schreibweise ›Nichtich‹ beibehalten.
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eben erst ausgetrieben, kehrte unabtreibbar zurück. Das Ich setzt das Nichtich, aber nicht mein konkretes, empirisches Ich setzt die Natur, also das reine Ich, das Ich, welches über allen einzelnen, empirischen Ichheiten steht. Was war das reine Ich schließlich anderes als eine Art Gott? Nur dass dieser neue Gott nun mit dem menschlichen Ich unmittelbar verschmolzen und verflochten blieb. Baader hat Fichtes erste, an Kant angeschlossene Prämisse sehr kräftig bejaht: es ist der Grundirrthum aller Geist und Gott leugnenden Philosophie, dass sie ein Sein oder Ding an sich statuiert, welches absolut unerkennbar und absolut unerkannt doch bestünde. So gewiss etwas ist, so gewiss ist es gewusst und gekannt. Es gibt kein Sein, das nicht zuerst ein Gewusstsein wäre. Die umgekehrte Ordnung der Begriffe, welche zuerst ein vom Erkennen abgesondertes Sein postuliert und hernach zu diesem hinzu das Erkennen hinzutreten lässt, leugnet Gott, da Gottes Schaffen kein intelligenzloses ist, sondern im Denken und Wort Gottes ruht. Aber diese Leugnung Gottes ist zugleich die Geistleugnung. Denn so wird das Erkennen per generationem aequivocam160 aus der Unwissenheit und Unfähigkeit zu erkennen abgeleitet. Das Wissen ist das Primitive161 und Fertige, was nicht von unten herauf aus seinem Gegenteil sich herauswickelt. Und zu dieser Einsicht in die Identität des Gottleugnens und Geistleugnens hat Fichte den Weg gebahnt.162 Dieselbe falsche Scheidung von 160 »Die Urzeugung«: Entstehung organischen Lebens aus der anorganischen Materie. 161 Schlatters Wortgebrauch von ›primitiv‹ unterscheidet sich sehr markant von dem gängigen Verständnis. Für ihn ist ›primitiv‹ keineswegs von minderem Rang, weil weniger elaboriert. ›Primitiv‹ bezeichnet vielmehr den originären Zustand, wie er dem Seienden von der Schöpfung her eigen ist. 162 Hier ist der Atheismusstreit um Fichte in Jena 1798/99 der Ort, an dem dieser grundlegende theologische Einwand Anhalt finden konnte. Es ging letztlich darum, dass »ein besorgter Vater« Fichte des Atheismus zieh, weil Fichte zu jener Zeit Gott gänzlich in die freie Selbsttätigkeit des Subjektes aufgelöst dachte und die Annahme eines ›persönlichen Gottes‹ konsequent verwarf. Daraus erwuchs ein hand-
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Sein und Wissen fand sich in der Weise, wie das Selbstbewusstsein betrachtet wurde. Man dachte sich das Selbstbewusstsein als ein vom Sein des Geistes Verschiedenes.* Der Wissende trete als ein für sich Bestehender zum gleichfalls für sich bestehenden Sein nur hinzu und bringe so das Selbstbewusstsein hervor. Als wäre das Selbstbewusstsein nur im accidens163 oder modus,164 das einem andern, einem Ding an sich inhärierte, und nicht schon selbst das Sein, die Substanz des Geists (I, 178). [16] Das ist die Wahrheit in Fichtes These: Das Ich setzt sich selbst. Er hat Recht gegenüber jener Vorstellung, man könne den Geist nur dadurch kennenlernen, dass man aus ihm heraustrete, ihn überspringe und eben dadurch aus dem Geistlosen ableite und begreife.165 Der Geist oder das seiner selbst bewusst Seiende ist vielmehr, wie Fichte richtig ponierte,166 ein nicht entstandenes, von fester Skandal, der letztlich zur Enthebung Fichtes aus dem Lehramt führte. Dazu kam es freilich nur, weil Fichte zu keinem Kompromiss bereit war, auch nicht als Goethe als zuständiger Minister vermittelnd intervenierte. Vgl. zu den Hintergründen die vorzügliche Biographie: M. Kühn, Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph 1762–1814, München 2012, S. 376ff mit weiteren Nachweisen. * SW I, 198 163 ›Accidens‹: im Sinn der Aristotelischen ›Metaphysik‹ die Eigenschaften, die einer Substanz mit zukommen, aber von ihr unterschieden sind. Im Sinne der Spinozanischen Metaphysik gibt es nur eine Substanz, Gott als Natur: ›Deus sive natura‹, die unendliche Attribute oder Akzidenzien hat. Erkennbar sind davon freilich nur ›Extensio‹ (Ausdehnung) und ›Cogitatio‹ (Denken). 164 ›Modus‹ ist die grundsätzlich kontingente Form, in der die Substanz gegeben ist. ›Modus‹ kann daher äquivalent mit ›Akzidenz‹ verstanden werden; bei Spinoza strukturieren sich die Akzidenzien wieder in mehrere Modi auf. 165 Die damit charakterisierte Position benennt sehr genau den Reduktionismus, der im Mainstream gegenwärtiger Hirnforschung zu beobachten ist. Aus der Fülle der kritischen Literatur: M. Knaup, Leib und Seele oder mind and brain? Zu einem Paradigmenwechsel im Menschenbild der Moderne, Freiburg i.Br./München 2012. 166 ›Ponieren‹ von lat. ›ponere‹: ›setzen‹ meint ›behaupten‹ in einem stren-
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keinem anderen ableitbar, das wahrhaft Bewunderungswürdige und Göttliche. Er hat den Charakter der vollendeten, selbständigen, der in sich geschlossenen Totalität und steht so der Natur, welche stets über sich hinausweist, aus sich nicht begreiflich, selbstlos und unganz ist, als das Vollendete und Absolute gegenüber. Allein Fichtes Mangel war nur der, dass er wenigstens in der ersten Gestalt seines Systems167 nur am menschlichen Ich haften blieb und den in seiner Selbständigkeit und Substantialität gefassten Geist nirgends anders wiederfand als in sich selbst. Seine Philosophie wurde damit, dass sie die Einsicht in die primitive Natur des Geistes gewann, nicht sofort auch religiös. Sie legte jenen Charakter der Göttlichkeit unmittelbar und ursprünglich in den kreatürlichen Geist und unterschied denselben vom schöpferischen Geiste nicht gehörig. So wurde der Mensch der Thierheit enthoben,* jedoch nur dadurch, dass jene Philosophie sich zu Gott selbst zu machen vermaß. gen, apodiktischen Sinn. Diese Rede von ›setzen‹ ist auch bei Fichte selbst seinerzeit gebräuchlich gewesen. 167 Jene Einschränkung Schlatters ist bemerkenswert. Denn tatsächlich geht Fichte in den späteren Fassungen seiner Wissenschaftslehre, seit der WL ›nova methodo‹, ab 1796, einen wesentlichen Schritt: Nicht mehr das sich selbst bestimmende Ich bildet nun den Ausgangspunkt, sondern der göttliche Intellectus archetypus. Das menschliche Ich ist lediglich ein Bild und Abdruck dieses Urintellektes. Vgl. dazu die in Fußnote 90 genannten Literaturangaben, vor allem Janke. Die Edition der späteren Wissenschaftslehren erfolgte erst durch die von Fichtes Sohn Immanuel Hermann besorgte Ausgabe ab 1845. Fichte selbst hat sie zu Lebzeiten nicht publiziert. Doch erst durch die von R. Lauth inaugurierte Akademie-Ausgabe (seit 1964) sind verlässliche Texte vorgelegt worden, auf die sich auch eine immer differenziertere Forschung zu Fichtes Spätwerk stützen kann. Es ist unverkennbar, dass Schlatter seinen Akzent auf die erste Wissenschaftslehre legt. Doch an der zitierten Stelle wird auch deutlich, dass er den späteren Fichte keineswegs ignoriert. Es würde zu sagen sein, dass dieser sich einer Johanneischen Christologie zumindest nähert. * I, 199.
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Es beherrscht ihn hiebei der von Kant veranlasste falsche Begriff von Spontaneität intelligenter Naturen. Er sieht sie auch darin, dass der Mensch das Gesetz in sich habe, so dass er in dieser Fähigkeit, dasselbe als Kausalität selbst in sich aufzunehmen, seine Geschiedenheit vom Thier und seinen vernünftigen Charakter besitzt, sondern er behauptet, dass diese Spontaneität absolut sei, dass der Mensch auch der Quell und Urheber des Gesetzes sei und dasselbe nicht nur in sich, sondern auch von sich habe. Er leugnete den Unterschied zwischen dem konstituierenden Thun Gottes und dem konstituierten Thun der Kreatur, als würde mit dem Thun Gottes das der Kreatur vernichtet und aufgehoben und nicht vielmehr begründet und ermöglicht, als müssten entweder wir zu Grunde gehen oder Gott, wenn der eine oder andere in Aktivität tritt, als wäre ein Zusammenbestehn einer primitiven und einer mitgeteilten Bewegung, einer bewegenden Aktion und einer die Bewegung empfangenden und fortleitenden Aktion undenkbar. Das ist der Scheidepunkt, auf dem Fichte die Linie des christlichen Glaubens verließ. Die Religion macht den Menschen zum Organ des Gesetzes, Fichte [Zusatz Herausgeber: macht ihn] zum Gesetzgeber selbst, die Religion macht ihn zum Bild Gottes, Fichte zu Gott selbst.168 Die Folge war auch hier, wie immer, ein zu wenig neben dem zu viel, ein Sinken als Folge der Überspannung. Derselbe Geist, der von Fichte als das sich selbst setzende und weltschaffende Prinzip beschrieben wird, [17] wird dann doch auch bei ihm wie in den materialistischen Systemen aus dem Bewusstlosen abgeleitet. Vom menschlichen Ich konnte er unmöglich einen seiner selbst bewuss ten und mächtigen Akt der Freiheit aussagen, durch welchen das 168 Damit ist eine Tendenz auch noch des späten Bilddenkens Fichtes benannt. Vgl. C. Cesa, J. G. Fichte e l’idealismo trascedentale, Bologna 1992; siehe auch: L. Hühn, Fichte und Schelling oder: Die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1993; sowie die im Blick auf die klassische Metaphysik und ›Ontotheologie‹ noch immer sehr erhellende Arbeit H. Heimsoeth, Fichte, München 1923.
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Ich sich selbst und das Nichtich setzte. Er musste sagen, das sich selber Setzen geschehe dem Ich unbewusst, also entsteht doch auch hier der Geist aus dem Ungeistigen, Bewusst- und Selbstlosen. Er brachte es darum auch zu keiner Einheit zwischen Ich und Nichtich. Das Ich setzt sich im Nichtich seinen Gegensatz, der es stets verneint und den es stets verneint. Wir erhalten einen unaufhebbaren Krieg zwischen beiden. Gewiss ist das Ich sofort mit einem Nichtich afficiert, was aber hieraus zu schließen ist, ist einfach dieß, dass das Ich sich nicht allein weiß; in der Entfaltung dieser Beobachtung öffnete sich für Fichte die Türe zur Rettung vor dem Solipsismus, dem er logisch nicht zu entrinnen vermag und nur durch einen energischen Willensakt, in welchem er die Pluralität der Geister und ihre Gemeinschaft untereinander behauptet, entrinnt. Er fasst nämlich das Nichtich gleich als Negation des Ichs, während doch das Nichtich als vom Ich unterschieden sich ebensowohl ponierend als negierend gegen das Ich verhalten kann. Fichte fasst den Unterschied sofort als Gegensatz.169 Was sich vom Ich unterscheidet, das steht ihm widerstreitend entgegen, während in der bloßen Unterschiedenheit noch alle Verhältnisse Raum haben zwischen Nichtich und Ich, von der das Ich erhaltenden und fördernden Gemeinsamkeit an bis zum totalen auf die absolute Zerstörung des Ichs ausgehenden Gegensatz. Gott ist sowohl für den Engel als [auch] für den Teufel darum Nichtich, d.h., er ist von ihnen unterschieden; aber das bedingt nicht für beide den Gegensatz,170 sondern in der Unterschiedenheit findet sich der Engel von Gott bejaht und in seinem Ich poniert, der Teufel negiert. 169 Dies ist der Fußpunkt der ›limitativen Dialektik‹ in Fichtes erster Wissenschaftslehre: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, GA I. 2, S. 173–461. Dazu P. Baumanns, Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs, Bonn 1974; siehe auch M. Heidegger, Der Deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart. Vorlesung SS 1929. Heidegger GA Band 28, Frankfurt a.M. 22011. 170 Bei Schlatter im Original fälschlich ›Gegensatzes‹.
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Der Grund dieser Vermischung war, dass ja allerdings die zeitlich materielle Natur uns einen Krieg vor Augen hält, in welchem das Nichtich jedes einzelne Gebilde immer wieder negiert und gefährdet. Diesen Zustand der Zwiespältigkeit zwischen Natur und Geist erklärt Fichte für den primitiven, notwendigen, unaufgebbaren. Es wirken sich auch hierin die Kantischen Missgriffe aus; fasste Kant den ethischen Zwiespalt im Menschen als unversöhnlich und unaufhebbar, so erweitert sich in Fichte dieser Riss auf das ganze Sein des Menschen, das in Geist und Natur auseinanderklafft, die sich gegenseitig aufheben. Er übersah, dass neben dem uns bedrohenden und widerstrebenden Nichtich uns auch äußerlich und innerlich ein Nichtich gegenwärtig ist, das uns poniert, stützt, trägt, hilft. Diese uns göttlich gegebene Hülfsmacht sah Fichte so wenig als Kant; und es blieben darum [18] auch ihm die Zentralgedanken der Schrift völlig unfassbar.
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§ 4 Schelling Unmöglich ließ sich die Natur auf die Dauer ignorieren, so wie es Fichte in seinem kräftigen, aber bornierten und darum abstrakten Ethizismus tat. Sie liegt ja offenkundig in ihrer massiven Realität vor uns, alles menschliche Dasein bewegend und bedingend. Der Kantsche Gedanke eines Ursprungs der erfahrbaren Welt aus dem Ich musste, wenn er überhaupt gehalten werden sollte, durchgeführt werden im Versuche, die Natur als das Gebilde des Geistes zu begreifen. Mit der Kategorie »Nichtich«, das als Antithese zum Ich von diesem gesetzt wird, ließ sich der Kosmos nicht abfertigen. Darum bleibt Fichtes Gedanke auf ihn selbst beschränkt, und seine Zeitgenossen trieben unter dem Vorgang und der Führerschaft Schellings »Naturphilosophie«. Auch Baader kam in seinen Studien von der Naturwissenschaft her und trieb seine philosophische Arbeit nicht als Gegensatz zu seinen Naturbeobachtungen, nicht als ein von diesen abgesondertes geschiedenes Gebiet erkennender Thätigkeit, vielmehr war ihm beides zur innigsten Einigkeit verknüpft. Das war der starke Berührungspunkt, der ihn mit Schelling auch in dessen erster Periode verband. Theosophie171 und Physiosophie,172 Einblick in die Natur 171 ›Theosophie‹, wörtlich: ›Die Weisheit von Gott‹ im Unterschied zu ›Theologie‹, der Wissenschaft von ihm. Baader verstand sich selbst als ›Theosophen‹, als ›Seher‹ des Inneren Lebens Gottes. Im späten 19. Jahrhundert wurde die Theosophie durch Exponenten wie Annie Besant und Helena Blavatsky zu einer synkretistischen Geheimwissenschaft und Weltanschauung. Rudolf Steiner überführte jene ›Theosophie‹ in die ›Anthroposophie‹. Doch diese weltanschauliche Entwicklung und Verzerrung ist in unserem Zeitraum noch nicht im Blick. 172 ›Physiosophie‹ benennt analog zu ›Theosophie‹ die Einsicht in das geheime Innenleben der Natur und des eigenen Leibes. Ein geprägter
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und in Gottes Leben sind ihm untrennbar.173 Ignorierung der Natur verschließt uns alle Pforten der Erkenntnis. Wir werden es, falls uns die Natur ein dunkles Räthsel bleibt, ebenso wenig zur Wissenschaft über das Göttliche bringen, als wir es zur Naturwissenschaft bringen, so lange uns Gott verborgen bleibt. Unser Erkennen kann nur dann gedeihn, wenn es in die Totalität wächst und Natur in Gott, Gott in Natur zu fassen vermag. So konnte er die Aufgabe, die Schelling sich selbst und der Wissenschaft stellte, voll bejahen als ein Grundbedürfnis unsres Erkennens aussprechend. Aber auch die Weise, wie Schelling den Naturbegriff gestaltete, deckte sich innerhalb bestimmter Grenzen mit seinen eignen Auffassungen. Die Natur wird für den Nachkantianismus zum Werdeprozess des Geists. Sie stand diesem nicht wie bei Kartes[ius] als eine schlechthin andre Substanz entgegen, sie wird als Gebilde des einen und selben Lebens gefasst, das im Geiste eine Innerlichkeit gewinnt und zur Persönlichkeit sich gestaltet. Materie und Natur deckten sich für diese Schellingsche Spekulation nicht mehr, wie für Kartes[ius] und die atomistische Physik, und hierin stimmte Baader mit voller Freude bei. Man hatte die Natur, sagt er, über der Materie vergessen, seit Kartes[ius] und Newton.174 Die Identifiideengeschichtlicher und geisteswissenschaftlicher Terminus wurde daraus nicht. Doch begegnen einschlägige Tendenzen in der heutigen Esoterik aufs neue. 173 Schelling hat in seiner Naturphilosophie diese teleologische Rekonstruktion von Natur und Geist als »Konstruktion« verstanden. Es geht dabei letztlich um die Freilegung des kategorialen inneren Ordnungszusammenhangs aller Dinge, in dem sich die Identität von Natur und Geist zeigt. Vgl. dazu: M. Rudolphi, Produktion und Konstruktion. Zur Genese der Naturphilosophie in Schellings Frühwerk, Stuttgart 2001 (Schellingiana Band 7); siehe auch M. Gerhardt, Von der Materie der Wissenschaft zur Wissenschaft der Materie, Berlin 2002. 174 Zu der Entteleologisierung der Natur vgl. R. Brague, Die Weisheit der Welt. Kosmos und Welterfahrung im westlichen Denken, München 2006, S. 237ff; sowie J. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung.
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kation derselben mit der Summe der res extensa und die Ableitung alles Geschehens in derselben aus räumlicher Bewegung war eine eigentliche Leugnung der Natur. Nun be-[19]kommen wir wieder einen Naturbegriff, und nicht nur denjenigen der Materie, und dies war ihm auch in ethischer und religiöser Hinsicht von großer Bedeutung. Denn wer die Natur leugnet und sie zur bloßen Materialität herabsetzt, wird schwerlich der Gefahr entgehn auch den Menschen zu leugnen und in ihm auch Gott. Allein der Kantische Ausgangspunkt pflanzte dieser ganzen Spekulation von vornherein wieder eine sie tief schädigende Verirrung ein. Machte man den Versuch, genetisch den Aufbau der Natur zu konstruieren, so sah man sich allerdings sofort über das empirische Ich hinausgetrieben; man bedurfte dazu eines Surrogats des Gottesgedankens, eines »Absoluten«. Aber dieses Absolute stellte sich von der Kantischen Basis der ganzen Bewegung her als wesenhaft identisch mit dem menschlichen Geiste dar. So waren nun und nun erst die Bedingungen gegeben, welche dem Spinozismus zu weitreichender Macht im wissenschaftlichen Denken verhalfen. Der Weltgrund und das menschliche Ich sollen als eins gefasst werden; die Lösung dieses Postulats kann sich nur in einer der Spinozistischen Substanz parallelen Vorstellung finden. Allerdings ist es ein idealistischer Spinozismus, der so entsteht. Während Spinozas Substanz die beiden Attribute der Ausdehnung und des Denkens als ihre einander koordinierten Eigenschaften an sich hat, die nicht auseinander abgeleitet werden, vielmehr nur in der Einheit der Substanz miteinander verbunden sind, in ihren Modi dagegen nicht auseinander entstehen,175 sondern in einem keine Wechselwirkung zulassenden Parallelismus gestaltet sind, bewegt sich Schellings Absolutes durch die Natur und ihre Studien zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft und Philosophie, Berlin/New York 1970. 175 Zu Spinozas Lehre vom Absoluten vgl. klassisch: W. Cramer, Spinozas Philosophie des Absoluten, Frankfurt a.M. 1966. Siehe auch die Übersicht: W. Bartuschat, Baruch de Spinoza, München 1996.
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Materialität hindurch zum Geist, und dieser erscheint als Zweck und Vollendung der Natur. Die Naturbetrachtung ist hier eine teleologische und die Kategorie, unter der die eine, alles aus sich hervorgehen lassende Kausalität betrachtet wird, ist hier nicht die der Substanz, sondern vielmehr die des Aktus. Als sich bewegend, produzierend, gestaltend durchläuft das Absolute die verschiedenen Daseinsstufen bis hinauf zum erkennenden Geist. Aber hier wie dort verlieren die naturhaften und die geistigen Existenzen ihr eignes Sein, ebenso sehr aber auch Gott seine eigene in sich vollendete Subsistenz, zwischen Gottes Wesen und dem Wesen der Welt wird ein Gleichheitszeichen gesetzt. Hier lag der Punkt, wo Baaders Polemik gegen die »Naturphilosophie«, wie er Schellings Gedanken mit schonender Behandlung ihres Urhebers zu nennen pflegt,176 begann.177 Er hat die Repristination178 Spinozas in demselben sehr wohl erkannt. Vom theologischen Gesichtspunkt aus ist ihm zu sagen, dass er den Schöpfungsbegriff leugne, er vermischt Schöpfer und Geschöpf. Aber ebenso 176 Von einer »schonenden Behandlung« spricht Schlatter, weil mit dieser Darstellung keine Polemik gegen Einseitigkeiten des Schellingschen Ansatzes bezeichnet ist, sondern dieser als das gekennzeichnet wird, was er sein will und kann, eben als Naturphilosophie in Ergänzung zur Fichteschen Transzendentalphilosophie. 177 Baaders polemische Benennung »Naturphilosophie« hat daran ihr fundamentum in re, dass Schelling gegenüber der Fichteschen Transzendentalphilosophie das Eigenrecht der Natur zur Geltung brachte. Dies dokumentiert sich eindrücklich in dem Fichte-Schelling, Briefwechsel, eingeleitet von Walter Schulz, Frankfurt a.M. 1968. Zu den Details vgl. Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 739ff. 178 Repristination bedeutet in diesem Zusammenhang: ›Erhaltung‹ oder ›Konservierung‹. Der Spinozismus in der Identitätsphilosophie ist bereits von Zeitgenossen immer wieder konstatiert worden. Vgl. dazu die umsichtige Rekonstruktion der Debatte: W. Jaeschke (Hg.), Der Streit um die göttlichen Dinge (1799–1812). Texte und Kommentare, Hamburg 1999.
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wenig als Gott kömmt die Natur [20] bei dieser Vermischung zu ihrem Recht. Ihre Apotheose ist nur dadurch möglich, dass sie in ihrer gegenwärtigen Materialisiertheit festgehalten und diese als ihre einzige und unveränderliche Existenzform behauptet wird. Schelling erklärt die Natur für die Selbstmanifestation Gottes; sein Gott bringt sich an ihr nur zum bestimmten, aktions- und lebensvollen Dasein. Die Folge hiervon ist, dass er keinen Raum mehr für eine höhere Existenzweise der Natur übrig behält als die gegenwärtige. Er kann keine Verklärung der Natur hoffen, da sich die Kausalität Gottes in der Hervorbringung des gegenwärtigen Naturbestandes erschöpft. Damit wird das tiefste Problem des Naturlebens völlig umgangen und verschleiert. Die räumlich-zeitlich materialisierte Existenzweise der Welt bietet sich der Manifestation Gottes nicht nur als dienendes Organ dar, sondern verhält sich zu ihr ebenso sehr als Hemmung und Verhüllung. Und dieses Defizit im gegenwärtigen Weltdasein, welches dem Manifestationsbestreben und der Manifestationsmacht Gottes als Schranke entgegensteht, das ist recht eigentlich das Hauptproblem an der Natur, das an ihr zu erklärende, was begreifender Auffüllung bedarf. Schelling muss Tod und Leben, Schöpfung und Vernichtung auf dasselbe Wesen und Wirken zurückführen, sie fließen ihm aus einer und derselben Quelle. Sein Absolutes vernichtet sich ebenso sehr konstant wie es sich erhält, es hat nur im Vernichten seinen Bestand. Das darf mit Fug ein »lügenhafter Gedanke« genannt werden. Vielmehr stellt uns die Schwäche des Naturlebens, die Unkräftigkeit ihrer Aktion, die Gebundenheit ihrer Existenz vor die Frage: woher diese Untergebenheit der Schöpfung unter den Dienst der Eitelkeit stamme, da wir sie nicht unmittelbar als Manifestationen Gottes begreifen können und dürfen, und erst diese Frage bezeichnet, wo die Würdigung der Natur und ihres Zusammenhangs mit dem Geiste uns erreichbar wird.179 Mit ihr fällt aber auch die spinozistische Identifikation der für uns existierenden Natur mit Gott dahin. 179 Im Hintergrund steht hier Römer 8,6ff mit dem Verweis auf die Eitelkeit und Vergänglichkeit aller irdischen Dinge.
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Schelling bringt es darum, wenn er die Einheit zwischen Geist und Natur ausdrücken will, nur zum Gedanken der Indifferenz beider. Er beschreibt sein Absolutes als die »Indifferenz« von Natur und Geist. Darin liegt aber nicht mehr als ein gleichgültiges Nebeneinanderbestehen der bis dahin in Spannung Gegenübergestandnen und ihr wechselseitiges Erschöpftsein oder Zerfließen. Er konnte freilich zu keinem höhern Endbegriff kommen, wo er einmal nur die materielle Natur im Sinne hatte und diese für die alleinige und einzige nahm. Denn in ihr endigt der Gegensatz, wenn er seine Aufhebung findet, in einem Erlöschen, in einer Annulierung. Hätte Schelling unsre Natur [21] nicht als die primitive und vollendete betrachtet, so hätte er auch einen andern Endbegriff für sie erreicht als den der Indifferenz, nämlich den der Reintegration.* Mit der Abhandlung über die Freiheit 1809 vollzog Schelling eine bedeutsame Wendung,180 wohl unverkennbar mit durch die von Baader ausgehende Anregung. Über das Verhältnis Baaders zum spätern Schelling soll sich bei Deutinger [›]Das Prinzip der neuern Philosophie und die christliche Wissenschaft[‹]181 (I, 251–293.337–370). (der * I, 271. 180 Vgl. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Hg. von Th. Buchheim, Hamburg 1997; vgl. insbesondere die Einleitung S. IXff, die mit den wesentlichen Forschungsproblemen bekannt macht, sowie das Literaturverzeichnis LVIIIff. 181 Martin Deutinger (1815–1864), Studium in Dillingen, 1841 Dozent der Philosophie in Freising, 1846 Extraordinarius in München, 1847 in Folge der Lola Montez-Affäre, in der er König Ludwig I. offen kritisiert, Strafversetzung nach Dillingen, 1852 Ruhestand und umfassende Reisetätigkeit vor allem nach Italien. Nach 1858 wirkt er viel beachtet als Universitätsprediger in St. Ludwig in München. Das hier zitierte Werk ist: Deutinger, Das Princip der neueren Philosophie und die christliche Wissenschaft, Regensburg 1857; Deutingers Hauptwerk ist indes: Grundlinien einer positiven Philosophie als vorläufiger Versuch einer Zurückführung aller Theile der Philosophie auf christliche Principien, 6 Bände, Regensburg 1843–1853.
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Satz ist offenbar nicht zu Ende geführt!) Die Probleme der ethischen Sphäre treten in seinen Horizont; das Böse beschäftigte ihn, und diese Vorgänge waren auf dem alten Immanenzstandpunkt unlösbares Rätsel. Er sah sich zu einer Neubildung seiner ganzen Gedankenreihe gedrängt, bei der nun die Erlebnisse des Menschen in der ethischen und religiösen Sphäre ins Zentrum seines Gedankens traten, so dass er den Versuch machte, die christliche Doktrin, Trinität, Schöpfung, den gottmenschlichen Christus wissenschaftlich zu reproduzieren. Damit erweiterten sich selbstverständlich die Berührungspunkte zwischen seinem System und Baaders Überzeugungen, aber vollständig befriedigt war dieser nicht. Er hätte eine entschiedenere und völligere Revision seiner frühern Gedankengänge von ihm gewünscht, die ihn nach Baaders Urteil auch in seiner spätern Periode noch viel zu sehr beherrschten. Schellings neues System ist, sagt er, die Vertirung182 des Spinozismus in’s christlich Jakob Böhmische [Denken].183 Schelling will nicht mehr eine unchristliche, sondern eine das Christenthum stützende Philosophie lehren. Aber sein Verhalten zum Christenthum oder vielmehr zu Christus ist nicht das normale, das Christenthum soll ihm verdanken, dass es Wissenschaft wird, aber er selbst verdankt dem Christenthum nichts. Schelling tut geheim mit seiner neuen Doktrin, und doch hätte die christliche Welt im Blick auf den großen Schaden, den die frühere Naturphilosophie ihr gestiftet hat, das Recht, ein öffentliches 182 Diese Wendung findet sich auch bei Baader, Sämtliche Werke XV, S. 462. Der Ausdruck signalisiert einen Rückfall in die Animalität. 183 Zum Verhältnis von Schellings Freiheitsschrift zu Jacob Böhme vgl. von heute her systematisch Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 207ff und S. 517ff, sowie G. Bonheim, Zeichendeutung und Natursprache. Ein Versuch über Jacob Böhme, Würzburg 1992 und W.A. Schulze, Der Einfluss Böhmes und Oetingers auf Schelling, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 56 (1956), S. 171ff. Siehe ferner auch die ältere Arbeit: K. Leese, Von Jacob Böhme zu Schelling. Zur Metaphysik des Gottesproblems, Erfurt 1922 (Dissertation).
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Zeugnis der Retraktation vom Stifter jener Naturphilosophie selbst zu erhalten. Davon war Schelling freilich weit entfernt, auch als er später in Berlin seine neuen Ergebnisse öffentlich vortrug, betonte er, dass seine frühere Doktrin zwar nur eine negative Philosophie, aber doch als negative eine der Vernunft notwendige und wesentliche Durchgangsstufe gewesen sei.184 Er redete sich ein, dass seine intellektuelle Arbeit dennoch geradlinig gewesen sei. Und dies ist schwerlich nur eine formale Täuschung geblieben, ohne materielle Folgen für den Inhalt seines neuen Gottesbegriffs. Schelling bestimmt die drei Momente seines Gottesgedankens als Seinkönnen (Wollen), Sein, und Einheit beider – Potenz, Energie und beider Kopula, und das ist nicht wesentlich mehr als die Hegelsche Trilogie von Sein, Nichtsein und Dasein, wie denn das Schellingsche Sein sich zum Seinkönnen negativ, determinierend185 verhält.186 Er 184 Schlatter nimmt hier die Unterscheidung von ›negativer‹ und ›positiver‹ Philosophie in Schellings Spätphilosophie auf. Die ›negative‹, rein begrifflich und logisch orientierte Philosophie firmiert dort auch als ›rein-rationale‹ Philosophie, die ›positive‹ entfaltet sich als Philosophie der Mythologie und der Offenbarung. Nur in ihr, im konkreten geschichtlichen Handeln, wird Gott als »frei« erkannt. Vgl. dazu Chr. Danz, Die philosophische Christologie F.W.J. Schellings, StuttgartBad Cannstatt 1996. 185 Die rein rationale Philosophie, die das Absolute auf seinen Begriff reduziert, versteht Schelling, in Übereinstimmung mit Jacobi, als ›determinierend‹ und insofern als eine Art von Spinozismus. Vgl. dazu die Frontlinien im Spinozismusstreit: H. Scholz (Hg.), Die Hauptschriften im Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn, Waltrop 2004 (E.A. Berlin 1916). 186 Das Verhältnis zwischen Schelling und Hegel ist vielfach untersucht worden. Vgl. hierzu H. Krings, Die Entfremdung zwischen Schelling und Hegel 1801–1807. München. Sitzungsberichte der bayrischen Akademie der Wissenschaften Heft 6. Zu den im Hintergrund stehenden zeitgenössischen Streitfällen vgl. H. Wimmershoff, Die Lehre vom Sündenfall in der Philosophie Schellings, Baaders und Friedrich Schlegels. Diss., Freiburg i.Br. 1934; F. Wolfinger, Denken und Transzendenz – Zum Problem ihrer Vermittlung. Der unterschiedliche Weg der Philo-
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kömmt damit nicht über den Dualismus hinaus, und hat das Gesetz der dreifachen Vermittlung alles Lebens verdunkelt. Sohn und Geist sind vermischt, und wenn der Vater als [22] das Seinkönnen beschrieben [wird], das vom Sohne als dem Sein Bestimmtheit und Gesetz empfängt, so ergibt dies eine monströse Vorstellung des heiligen Ternars.187 Wir erhalten so ein Fatum in Gott.188 Wo bleibt aber der Teufel bei Schelling? Er verflacht ihn zu einer impersonellen Potenz, und das weist auf eine dem Tatbestand des Bösen ausweichende Denkrichtung. Er deduziert das Christenthum aus der heidnischen Mythologie und diese bildet ihm nicht weniger eine in Gott begründete, notwendige Vorstufe der absoluten Religion als Israels Religion, dem Christenthum zuwider, das sich nicht auf Israels Gesetz und weiter zurück auf die ursprüngliche Offenbarung Gottes begründet, dagegen vom Heidentum sich schlechthin sondert und dasselbe als einen verbrecherischen Kultus negiert. Da bleibt die religionsgeschichtliche Spekulation Schellings in Analogie mit seiner frühern Naturkonstruktion. Wie er einst den Demiurgen maulwurfsartig von unten nach oben sich emporarbeiten ließ durch alle unteren sophien F.H. Jacobis und F.W.J. Schellings und ihre Konfrontation im Streit um die göttlichen Dinge 1811/12, Frankfurt a.M. 1981. 187 Ein Ternar ist eine in sich verbundene Dreiheit, deren Glieder einander wechselweise durchdringen. Der Ternar-Begriff steht daher in einem engen Verhältnis zur Trinität und kann als Realisierung des dreieinigen Verhältnisses verstanden werden. Bei Baader bezeichnet der Begriff Ternar sowohl die göttliche Drei-Einheit als auch den Ternar des Menschen als Geist, Seele und Leib. Vgl. dazu Baader, Sämtliche Werke I, S. 226. Er kann sich dabei auf Augustinus ›vestigia trinitatis‹ ebenso berufen wie auf die neuplatonischen Vorprägungen bei Proklos (412–485). 188 Dies ist Schlatters Verdikt gegen den Hegelschen Ansatz, das Trinitätsmysterium begrifflich zu fassen. Die neuere Hegel-Forschung kennt durchaus auch die begründete Position eines Hegel Christianus. Vgl. dazu G. Rohrmoser, Glaube und Vernunft am Ausgang der Moderne. Hegel und die Philosophie des Christentums. Aus dem Nachlass hg. von Harald Seubert, St. Ottilien/München 2009.
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Naturstufen hindurch, bis er endlich im Menschen emporbricht, so lässt er jetzt die religiöse Offenbarung Gottes durch alle korrupten Kulte hindurch sich bewegen als durch ihre unvermeidlichen Mittelformen, bis endlich der Gottmensch möglich wird und das Christenthum erscheint.189 Man könnte, sagt Baader, ebenso gut behaupten, dass ein Organismus alle seine in ihm versteckt liegenden Krankheitskeime erwecken und alle Krankheiten durchmachen müsse, um zur völligen Gesundheit zu gelangen.* Schelling apotheosiert190 das Bestehende und Geschehende und vermag sich nicht zur runden, scharfen191 Negation zu erheben, die das Christenthum dem gegenwärtigen Status des Menschen und der Welt entgegensetzt. Diese und verwandte Bedenken ließen Baader mit großer Zurückhaltung die neuschellingsche Lehre beobachten. Er hat trotz der eminenten Begabung und trotz dem unleugbaren Ernst, mit dem Schelling sich in die religiösen Phänomene vertiefte, von ihr nicht viel erwartet. Der Einfluss, den sie, bis jetzt wenigstens, auf unsre moderne Gedankenbewegung geübt hat, blieb auch in der Tat sehr gering.192 189 Schlatter rückt hier Israel und das griechisch geprägte Heidentum in einen deutlichen Kontrast. Dies zeigt sich auch in ›Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis‹, § 8: »Das Gotteszeugnis im geistigen Verlauf« und § 9: »Die Selbstbezeugung in der Prophetie Israels und in Christus«; unveröffentlichtes Originalmanuskript S. 85ff; bzw. § 9, S. 121ff Israel, Heidentum im Kontrast. Dieser Befund wäre auch an der nachgelassenen Vorlesung ›Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis‹ zu erhärten. * IX, 157. 190 ›Apotheose‹: Erhebung in den Bereich des Göttlichen. 191 Die Wortzusammenstellung von ›rund‹ und ›scharf‹ ist gewiss auf den ersten Blick ungewöhnlich. Schlatter meint mit ›rund‹ einen Gedanken, der zu solcher Reife gelangt ist, dass ein sicheres Urteil möglich wird. 192 An einer Randständigkeit der Schellingschen Spätphilosophie, sowohl für Philosophie als auch für Theologie, hat sich lange Zeit, trotz detaillierter Einzelforschung, wenig geändert. Vgl. dazu Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 25ff.
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§ 5 Hegel193 Nachdem Schelling die von Kant gemachte Entdeckung auf die Natur appliziert hatte, arbeitete nun Hegel dieselbe zu einem umfassenden Systeme aus, das den einen und selben Grundgedanken durch alle Gebiete des Seins und Wissens durchführte. Der Grundbegriff der ganzen Systembildung liegt in der Identifizierung von Denken und Sein, und das ist zugleich das Band, [23] das Hegel mit Kant verbindet. Aber das skeptische Element in Kant ist vollständig abgestreift; die Philosophie ist vielmehr »absolut« geworden, da sie in der Denkbewegung unmittelbar auf die Gestaltung des Seins fassen zu können glaubt. Darum ist die Grundwissenschaft die Logik, und die Dialektik, welche den Begriff durch Thesis, Antithesis und Synthesis hindurchführt, ist das oberste Gesetz alles Geschehens. Hegel, sagt Baader, hat das dialektische Feuer wieder neu entzündet, das Autodafé der bisherigen Philosophie. Man kann nicht anders, als durch dasselbe hindurch selig werden, d.h. nur, indem man sich und seine Werke durch dasselbe führt, aber nicht, indem man von ihm abstrahiert oder es ignoriert. Die Befreiung von der Phantasmagorie,194 der spektrischen195 Vorstellung von »Erscheinung«, die Kant einführte, 193 Vgl. zur Einführung in Hegels Denken H.F. Fulda, G.W. Hegel, München 2003, u.ö. Siehe auch W. Jaeschke, Hegel-Handbuch. Leben-Werk-Schule, Stuttgart/Weimar 2003. 194 Zum Begriff der ›Phantasmagorie‹ bei Baader siehe ders., SW III, 317; IV, 176; VI, 16. 195 Gemeint ist mit dieser ungewöhnlichen Bezeichnung wohl eine Entfaltung der Erscheinungen als »Rhapsodie der Mannigfaltigkeit«, die erst durch die Subsumption unter Kategorien Ordnung gewinnt. Damit hängt die Unterscheidung von »Erscheinung« und »Ding an sich« zusammen, die Hegel ebenfalls hinter sich gelassen habe.
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achtete Baader für ein wesentliches Verdienst Hegels. Er habe gezeigt, dass eben dasselbe Ding, welches den Sinnen erscheint, dem Wissen, Erkennen, Nennen das Ding an sich ist, das Ding in Wahrheit; nur überschreitet auch Hegel die Identifizierung des gegenwärtigen Weltbestandes mit Gottes Sein und Wesen nicht, auch er unterscheidet das Ding an sich und dessen Erscheinung nicht vom ewigen Ding an sich und seiner ewigen Erscheinung. Hegel hatte Recht, wenn er der Logik ganz Virtualität und Wesenhaftigkeit wieder vindizierte,196 welche sie seit langem verloren hatte, so dass man die leere Form der abgeschiednen Logik für sie selber hält.197 Er hat damit die Verflachung und Leugnung aller Wahrheit des Erkennens, welche das Wort »ist« im Urteil Lügen straft, indem man dafür nur »es scheint« sagen dürfte, in der Wurzel angegriffen, und dem Verständnis der Lehre vom Logos Bahn gemacht, sofern er wieder den Weg öffnete, ob er ihn auch nicht selbst beschritt, zu der Einsicht, dass das Sprechen und Aussprechen selber das zentrale, primitive und schaffende Thun, das Vernehmen somit das zentrale Empfangen ist. Aber so bedeutsame Wahrheitsmomente in allen diesen Stellungen liegen, so büßt doch auch Hegel den Abfall der Philosophie von der Religion damit, dass er das verkannte göttliche Prinzip mit dem Geiste vermengen und diesen folglich vergöttern muss, analog wie Schelling dasselbe mit der Natur vermengt hat. Die von Gott sich nicht unterscheidende Kreatur sagt: la raison c’est moi.198 Hegel leugnet die Konkretheit des Vernunftichs in einer 196 ›Vindizieren‹: ›Etwas‹ bzw. Jemanden für sich in Anspruch nehmen. 197 Zu Hegels Begriff der Logik und ihrer Realität vgl. zusammenfassend Fulda, a.a.O., S. 75ff genealogisch und S. 93ff systematisch. Siehe auch K. Hartmann, Hegels Logik, Berlin/New York 1999 und I. Harnischmacher, Der metaphysische Gehalt der Hegelschen Logik, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, sowie D. Henrich (Hg.), Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978. 198 ›Die Vernunft, das bin ich‹. Diese Aussage ist dem Ausspruch des »Sonnenkönigs« Louis XIV. ›L’Etat c’est moi‹ nachgebildet. Im Sinne Schlatters überschreitet das Subjekt, das sich derart mit der Vernunft identifiziert, offensichtlich die Schranken seiner Endlichkeit.
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absoluten Geistforma und verteilt dieses Licht polytheistisch in unzählige partielle Gestirne oder Sonnen. Ein doppelter Irrtum liegt dabei zu Grunde, einmal wird die Peripherie damit dem Centrum gleichgesetzt und ihm koordiniert, während doch das Centrum, indem es seine Peripherie setzt, sich dieselbe subordiniert und über sie sich erhebend sich von ihr unterscheidet, wie der Geist sich von seinem Leibe unterscheidet, sondern setzt diese Vorstellung des Geschöpfs zum Schöpfer in das Verhältnis der Peripherie zum Centrum und macht dadurch das Geschöpf zum integrierenden Teil des Schöpfers, während unser Denken, Wollen, Leben nicht Teil des göttlichen Denkens, Wollens, Lebens wird, wohl aber desselben teilhaftig werden kann und soll durch göttliches Geben.199 [24] Mit dem Zuviel ist zugleich hier das Zuwenig verbunden. So hoch Hegel die Vernunft stellt, so sehr er dem Wissen einen absoluten Charakter gibt, so verunmöglicht doch gerade er jeden vernünftigen Begriff von der Autorität der Vernunft.200 Es gibt keine Autorität ohne Autor, und die Berufung auf Autorität der Vernunft hat nur Sinn, wenn sie Berufung auf die Vernunft des Autors unsrer Vernunft ist, d.h. auf die göttliche Weisheit. Aber Hegels Vernunft ist autorlos, darum auch autoritätslos.201 199 Hier nimmt Schlatter mit Baader einen Topos theologischer HegelKritik auf, deren latenten Pantheismus. Dazu auch kritisch M. Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin/New York 1970, sowie Rohrmoser, Glaube und Vernunft am Ausgang der Moderne, a.a.O. 200 Wenn Hegel von ›Autorität‹ im Zusammenhang mit der Vernunft spricht, so versteht er darunter die eigenen Prinzipien des Denkens. Vgl. u.a. Hegel, Theorie-Werkausgabe Band 12, S. 326 und S. 493, sowie Band 16, S. 215. 201 Die Frage, wer denn in Hegels Philosophie die Autorität des Sprechers einnehme und wie sich der absolute zum endlichen Geist angesichts der »Selbstbewegung des Begriffs« verhalte, ist in der Forschung vielfach thematisiert worden. Vgl. insbes. H. Schmitz, Hegels Logik, Bonn/Berlin 1992; D. Henrich (Hg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, sowie K.
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Allerdings nicht das einzelne Individuum, isoliert von den andern, ist nach Hegel der Träger des Wissens und Denkens; sondern er rekurriert auf die Geschichte und die in ihr sich herausbildende objektive Vernunft; in fortschreitender Arbeit seit Jahrtausenden bringe der eine lebendige Geist das, was er an sich ist, sich zum Bewusstsein. Hiegegen, sagt Baader, ist nichts einzuwenden, falls man unter diesem Bewusstsein nicht das göttliche Selbstbewusstsein, sondern jenes der Menschen versteht, jene Arbeit also als die kreatürliche Manifestation Gottes fasst.* Aber Hegel vermengt diese in der Geschichte wandernde objektive Vernunft mit dem göttlichen Selbstbewusstsein; und das ist gottesleugnerisch. So wird der Begriff Gottes als des Absoluten, als eines bereits fertigen und nicht erst in der Zeit zu immer hellerem Bewusstsein sich vollendenden, negiert; der schöpferische Geist als der seiner selbst bewusstseiende ist in diesem seinem Selbstbewusstsein von nichts anderm, nämlich nicht von den Menschenkindern abhängig. Auch in der Hegelschen Schule (z.B. Göschel202) bemühte man sich, den Gottesgedanken zu in sich selbst vollendeter Subsistenz abzuschließen und ihn aus seiner Verquickung mit unsrer Geistigkeit zu befreien. Und Hegel selbst sprach zu einem dahin zielenden Aufsatz Göschels seine Zustimmung aus.203 Baader hat sich an dieser Äußerung gefreut. Es gibt auch in Christi Sinn eine ImmanenzDüsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 21984. * I, 199, 200. 202 Carl Friedrich Göschel (1781–1861), Kirchenjurist in Naumburg und Berlin sowie Vertreter der rechtshegelianischen Schule. Sein philosophisches Hauptwerk ist: Hegel und seine Zeit, 1832, ND Frankfurt a.M. 1984. 203 Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften: Theorie-Werkausgabe Band 10, S. 374, unter Bezugnahme auf Göschels ›Aphorismen über Wissen und Nichtwissen‹, Berlin 1829; siehe auch Hegel, ›Vorlesungen über die Philosophie der Religion‹, TheorieWerkausgabe Band 17, a.a.O., S. 381.
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lehre, nämlich die, welche sagt: dass der Mensch in Gott denken, wollen, thun soll; diese Immanenz Gottes im Menschen und des Menschen in Gott ist nicht eines, wohl aber einig, und geeinigt sein des Menschen mit Gott; sie leugnet die Unterschiedenheit, ja gegensätzliche Geschiedenheit des Menschen von Gott nicht, hebt sie aber restaurierend, reintegrierend, versöhnend auf.204 Aber der Übergang zum christlichen Gottesgedanken hätte eine gründliche Revision des ganzen Systems notwendig gemacht, hätte derselbe Ernst und Folge haben sollen, und dies blieb aus. Hegel hat sich auch über Baader geäußert in der Vorrede zur zweiten Auflage der ›Encyklopädie‹.205 Er polemisiert dort gegen Tholuck 206 als gegen den Vertreter eines antispekulativen blindgläubigen Pietismus und hält demselben mit Wohlgefallen eine Stelle aus Baaders ›Fermenta cognitionis‹ entgegen. Hieran schließt sich 204 Dies zeigt sich insbesondere in Hegels Lehre vom absoluten Geist und den Folgen für die Religionsphilosophie. Vgl. dazu wiederum Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, a.a.O. 205 G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Theorie-Werkausgabe Band 8, S. 27ff. 206 Friedrich August Tholuck (1799–1877), in Berlin mit einer Arbeit über den Sufismus promoviert, wirkte seit 1826 als Ordentlicher Professor an der Universität Halle, der damals größten evangelischen Fakultät im deutschen Sprachraum. Tholuck gilt als maßgeblicher Theologe der Erweckungsbewegung. Er hatte großen Einfluss auf die Fakultät und wirkte u.a. 1828/29 auch als Gesandtschaftsprediger in Rom. Vgl. H. Burkhardt, Tholuck, in: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, S. 1996–1998; die Stellung Hegels zu Tholuck ist von Schlatter übrigens übertrieben kritisch gekennzeichnet: Hegel hat Tholuck durchaus wertgeschätzt. Als Tholuck 1826, ein Jahr vor der 2. Ausgabe der Enzyklopädie Hegels, von Berlin nach Halle ging, rief Hegel ihm bei einem Abschiedsessen zu: »Gehen Sie hin und bringen Sie ein Pereat dem alten Hallischen Rationalismus!« (vgl. Witte I, S. 451). Im Vorwort zur 2. Ausgabe der Enzyklopädie sind die drei, z.T. sehr ausführlichen Bezugnahmen auf Tholuck in durchaus vornehmer, sachlicher Kritik gehalten!
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nun eine kurze Auseinandersetzung mit Baader, welche die Analogie seiner Spekulation mit Hegels eignen Gedanken betont und nur die Durchführung derselben durch die Kategorien [25] von ihr vermisst und die logische Ableitung des Prinzips, das Baader lediglich voraussetze. Im zehnten Bande liegt eine Antwort Baaders auf diese Äußerung vor: Die Hegelsche Logik anerkenne er in ihrer Kategorienreihe nicht. Dass er aus Voraussetzungen heraus denke, sei zweifellos; sein Denken sei hierin danach nicht anders beschaffen als das Hegels und aller andern. Denn das Erkennen hebt nicht mit Nichts an, sondern von einem uns gegebnen Wissen aus finden wir das uns aufgegebne.207 Der Unterschied zwischen ihm und Hegel bestehe in dieser Hinsicht nur darin, dass Hegel mit einem leeren Begriff anfange, nämlich mit der von allem Inhalt entblößten Abstraktion des »reinen Seins«.208 Aus dieser leeren Null heraus gebe es keinen Fortschritt zur Welt und zu Gott. Er fange mit Gott an, weil es nun einmal keine Erkenntnis Gottes gebe, sie gehe denn von ihm aus. Ohne Gott Gott erkennen wollen, ist ein sich selbst zerstörendes Beginnen. Im übrigen sei die Einheit zwischen ihm und Hegel nicht so groß als sie Hegel darstelle, und er macht nun auf folgende Differenzen aufmerksam. 207 Vgl. zu diesem Gedanken des Vorrangs des Gegebenen auch Schlatter, Dogmatik, a.a.O., S. 67f. Es ist bemerkenswert, dass unter den zitierten Philosophen in Baaders Dogmatik Kant mit fünfzehn Zitationen am häufigsten genannt wird. Gleich darauf folgt Baader mit acht Zitationen. Auf Fichte entfallen sieben, auf Hegel fünf und auf Aristoteles fünf Zitationen. 208 Damit ist auf den Anfang der Hegelschen ›Wissenschaft der Logik‹ verwiesen, mit dem berühmten Hinweis auf die »unbestimmte Unmittelbarkeit«. Erst im ›Werden‹ treten ›Sein‹ und ›Nichts‹ in eine vermittelte Relation. Hegel, Theorie-Werkausgabe Band 5, S. 82f. Man kann deshalb davon sprechen, dass der Anfang der Hegelschen ›Logik‹ letztlich im Bereich des Kontingenten bleibt und niemals vollständig eingelöst wird. Vgl. dazu D. Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt a.M. 1971, S. 157ff.
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1. Hegel setzt den Begriff zur Anschauung dualistisch; der Begriff subjiziert209 sich die Anschauung. Hegels Begreifen lässt alles Empfinden, Vorstellen, Anschauen, damit aber auch Wollen hinter sich zurück. Sein Geist ist nur Denken. Baader setzt den Begriff in die Mitte zwischen einer peripherischen und einer zentralen Anschauung, sei es nun, dass zum Zentrum die Peripherie oder zur Peripherie das Centrum gesucht wird und durch den Begriff als Schema mit dem gesuchten verbunden wird. Allerdings hat der Begriff Gefühl und Vorstellung vor sich, aber er öffnet ebenso sehr eine bleibende Quelle desselben in sich; er wird nicht gefühl- und anschauungslos, führt vielmehr in solches erst ein. Die Aufgabe, die unserm geistigen Leben gestellt ist, ist nicht nur die, zu einem gegebenen Gefühl und Vorstellung den Begriff zu finden, sondern ebensosehr die, zu einem gefundenen Begriff das ihm korrespondierende Gefühl und Vorstellung zu finden. Fehlt diese, so ist der Begriff nicht im mindesten als reines Denken erwiesen, vielmehr dessen Impotenz und Unwahrheit dargetan. So bleibt im Gegensatz zur Hegelschen Entleerung des gesamten Lebensprozesses in ein abstraktes Denken bei Baader das Erkennen in seiner Einheit mit der Fülle unsrer Lebensbewegung. Die Konsequenzen dieser logischen Differenz sind sehr weittragend und wichtig. Hegel musste alles, was sich nicht auf den reinen Begriff reduzieren lässt, der logischen Funktion als ein Geringeres unterordnen. Er hat z.B. nur eine Person, welche in Traum und Ahnung demselben vorangeht, aber aufgelöst werden soll in den Begriff. Für Baader gibt es nun eine doppelte [26] [Person], eine den Begriff vorbildende, aber ebenso sehr eine erst mit der Vollendung des Begriffs eintretende, die nun als dessen Zeugin und Verkündigerin auftritt. Analog musste sich Hegels Urteil über die Religion gestalten; er musste sie, da ihr Gefühls- und Anschauungsmomente wesentlich sind und sie sich 209 ›Subjizieren‹: ›sich unterordnen‹, bzw. ›unterwerfen‹. Dies ist in der philosophischen Sprache des 18. Jahrhunderts ebenfalls ein gängiger Begriff. In ihm schwingt auch mit, sich zum Subjekt bzw. zum Haupt des Subjizierten zu machen.
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nicht auf einen logischen Prozess reduzieren lässt, als eine von der Philosophie abgetrennte Region erklären, in welcher die Vernunft von sich selbst gekommen sei, da sie nur in der Philosophie durchaus bei sich selbst, d.h. vernünftig ist. Für Baader geht die ganze erkennende Funktion mit allen ihren Resultaten in das religiöse Verhalten ein, ohne dasselbe zu stören und in sich aufzuheben, vielmehr dasselbe weckend, reinigend, begründend.210 2. Hegel steht noch im alten logischen Irrtum, welcher das Subjekt in Gegensatz zum Objekt setzt, während doch dieser Gegensatz im Objekt selber liegt; denn das Subjekt setzt sich als Objekt a und setzt weiter dieses a nicht sich sondern dem Objekt b entgegen. Indem Hegel im Gegensatz von Subjekt und Objekt stecken bleibt, bleibt er überall im Subjekt eingeschlossen und kömmt nicht über dasselbe hinaus. 3. Hegel kennt die Natur nur als notwendig materialisiert; er weiß nichts von der Dematerialisierung der Natur, nichts von einem geistlichen Leib. Der Geist steht aber in einer dreifaltigen Relation zu Gott und deshalb auch in einem dreifachen Verhältnis zur Natur. Er ist Gott innig, so beherrscht er die Natur als seine Peripherie centraliter; er kehrt sich von Gott ab, so fällt er in diese Peripherie, ihr untertan, er kehrt sich zentral und total gegen Gott, so fällt er unter sie. Die von Gott sich abkehrende Intelligenz wird in die Natur gebunden, die gegen ihn gekehrten [Intelligenzen, Zusatz des Herausgebers] unter sie. Deshalb ist die Materialität nicht die einzige Seinsweise der Kreatur, sie eignet ihr vielmehr nur dann, wenn sie sich von Gott abkehrt. Himmlische Immaterialität, irdische Materialität, höllische Immaterialität das sind die drei Seinsweisen, in welche das Geschöpf eingehen kann. Hegel leugnet die obere und die untere und anerkennt nur die mittlere. Hegel kam der Einsicht in diesen Stufenbau des Lebens sehr nahe dadurch, dass er seine ganze Dialektik auf den Gedanken des 210 Vgl. zur Bestätigung und Illustrierung dieser Schlatterschen Angabe den Abschnitt: Baader und der Idealismus, in: Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 739ff.
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Aufhebens gründete. Er sieht nirgends ein unvermitteltes Sein oder Geschehen, vielmehr ist ihm jede Einheit das Resultat einer Vermittelung, in der ein ihr zu Grunde liegender Gegensatz aufgehoben wird. Aber dieses Aufheben vermag er nur nach seiner negativen Seite zu fassen, und doch ist, wenn ein Höheres das Niedrigere in sich aufhebt, dieses Aufheben zugleich ein Erheben, Emporheben des letzteren, sein Aufbewahren, Wahrmachen, Bewahren, indem das Aufbewahrte der Wahrheit des Bewahrenden teilhaftig und das Nichtintegre der Integrität des Integren teilhaft [27] wird. Damit erst tritt der wahre Begriff der Mittlerschaft ins Licht mit ihrem [?] positiven Ziel. Hegel lässt das Endliche, und zwar mit Einschluss des Menschen, immer wieder verschlungen werden vom Zeitlichen und gewinnt kein anderes Ponieren, als ein solches, das stets zugleich ein Negieren und Vernichten alles Bestehenden ist. Ebenso war die Unterscheidung des »an sich« und »für sich« sein211 ein geistvoller Blick. Er bringt damit den Gegensatz des selbstlosen, offenen, sich exponierenden und des selbstischen, verschlossenen, jedem andern sich entziehenden Daseins zum Ausdruck, und er setzt nun Geist sein als das Vollendete, in der Konkretheit das an und für sich Bestehende und dadurch Vollendete. Aber er sieht nicht, wie er darin einen Schlüssel hätte zum Verständnis der ethischen Phänomene und des Christenthums.212 Denn seine Fassung dieser Begriffe bleibt eine bloß mechanischnaturhafte. Er unterscheidet nicht das unfrei selbstlose, was sich einem anderen nicht zu entziehen und zu schließen vermag, von 211 Das Zitat wird in Schlatters Original ohne Anführungszeichen dargestellt. 212 Hegel sah in der Tat das ethische und rechtlich-politische Verhältnis, das er dem absoluten Geist zuwies, im Christentum eo ipso überwunden. Auch aufgrund seiner starken Abwendung von Schleiermachers Segmentierung des Christentums auf Gefühl und Anschauung stellt sich ihm ein solches eigenes ethisches Problem nicht mehr. Dazu G. Rohrmoser, Glaube und Vernunft am Ausgang der Moderne, a.a.O., S. 25ff und S. 359ff in Auseinandersetzung mit Kierkegaard.
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dem sich frei für ein anderes öffnenden, sich mitteilenden, exponierenden und insofern sich entselbstigenden. Darum bleibt ihm die communio, die Gemeinschaft unter den bewussten Wesen, ein Rätsel, die gerade darin besteht, dass das eine sein »an sich« dem andern gibt, das »für sich« des einen mit dem »an sich« des andern sich kopuliert. Daher bleibt ihm das Verständnis der Liebe, des Opfers, des Kultus etc. verschlossen, darum auch das Böse in seinem freien Verschluss in sich selbst, in seinem selbstgewählten Für-sich-sein unfasslich. Gegenüber dem frühern Schelling bildet Hegel insofern einen Fortschritt, als er die Idee der Natur als ihr erstes, tieferes voranstellt, und beide nicht in einer in »Indifferenz« sich auflösenden Koordination belässt. Allein er sieht nicht, was doch schon Böhme zeigte, dass die Natur ebensosehr die Realisierung der Idee begründet, als diese die Realität der Natur, dass die noch unofffenbare Idee und das gleichfalls noch unoffenbare Prinzip der Natur nur mittels ihrer Konjunktion in ihrer Integrität offenbar, also real werden. Für Hegel gibt es keine Brücke von der Idee zur Natur, als durch einen Abfall der Idee von sich selbst, was nur der alte gnostische Irrtum ist. Allerdings steht die Natur in einer unmittelbaren Unangemessenheit zur Idee, aber diese ist eben das durch die Verherrlichung der Natur aufzuhebende.213 Und sodann ist dieselbe keineswegs mit 213 Hegel hat die Natur als »Anderes« der Vernunft und des Geistes verstanden. Der Geist ist in der Natur in der weitesten Entferntheit von seinem Zu-Sich-Kommen und seiner Selbstidentität. Vgl. dazu die erschöpfende Monographie: Th. S. Hoffmann, Philosophische Physiologie. Eine Systematik des Begriffs der Natur im Spiegel der Geschichte der Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003 (= Quaestiones 14). Demgegenüber hat Baader Natur im Zusammenhang des göttlichen Lebens und der Heilsordnung gedacht. Zeitliche und ewige Natur stehen in einer engen, abbildhaften Verbindung. Über diese komplexe Naturtopologie und die wichtigsten Referenzstellen unterrichtet das Sach- und Namenregister zu Franz von Baaders sämmtlichen Werken, hg. von Anton Lutterbeck, Leipzig 1860, s.v. ›Natur‹ S. 343–353. Vgl. dazu heute: A. Bonchino, Materie als geronnener Geist. Studien zu Franz von Baader in den philosophischen Konstellationen seiner Zeit, Paderborn 2014.
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dem eigentlichen Abfall zu vermengen; dieser ist fixierte Renitenz, durch welche die Kreatur ihrer Idee nicht nur nicht entspricht, sondern widerspricht. Diese Unfähigkeit, Natur und Idee zu einen, bewirkt, dass die Idee immer wieder wegfällt von der Natur, in welchen Entstehen und Vergehen die Persönlichkeit zur Phantasmagorie wird. Sie hat keinen Raum zu [28] einer begründeten, bleibenden Existenz zwischen diesem unversöhnlichen Negativen, welche[s] die Idee der Natur, die Natur der Idee entgegensetzt. So findet sich nach Hegel Gott wohl im Ich, aber das arme Ich findet sich nicht in Gott. Der Hegelsche Gott nimmt nur, aber er gibt nichts. Und wenn nun auch er vom Christus spricht, so versteht sich von selbst dies, dass sein Christus etwas total anderes ist als der Christus der Schrift.
II. Baaders Sicht auf die christlichen Glaubensströmungen
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§ 1 Der Katholizismus Die katholische Kirche legt ihren Gliedern ein Denkgesetz auf, das Dogma, und es ist deshalb für jedes Glied der katholischen Kirche, das Wissenschaft sucht, eine Lebensfrage, wie das Dogma aufzufassen [sei].214 Gäbe es keinen andern, wenigstens keinen andern legitimen Ursprung des Erkennens als aus dem Zweifel heraus, müsste das wissenschaftliche Denken mit Negationen beginnen, so läge zwischen Dogma und spekulativer Arbeit ein Gegensatz vor; denn das Dogma poniert bestimmte Begriffe als feststehend, als ausgemachte Erkenntnisse, es wird geleugnet von einer Spekulation, die es für ihren Beruf erklärt, immer wieder ab ovo215 anzufangen. Nun wird allerdings von philosophischer Seite gewöhnlich die Behauptung vertreten, dass der Zweifel die erste wissenschaftliche Tat sei. Der Ausgangspunkt der modernen Philosopheme lag im Entschluss Descartes‹216: de omnibus dubitandum.217 Aber Baader erklärt eine 214 Diesen von Schlatter ingeniös erkannten Ansatzpunkt kann man auf höchstem Niveau entfaltet sehen bei J.A. Möhler, Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus. Dargestellt im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte (hg. von J.R. Geiselmann), Köln 1957; sowie in jüngerer Zeit: J. Ratzinger, Dogma und Verkündigung, München/Freiburg i.Br. 1973. 215 ›Ab ovo‹: ›vom Ei aus‹, also: ›von Anfang an‹. 216 Bei Schlatter hier »des Kartes«. Diese Schreibung des Namens von René Descartes (1596–1650), der durch sein ›Ego cogito‹-Argument als »Vater der neuzeitlichen Philosophie« gilt, ist bei Schlatter selbst und zu Schlatters Zeit durchaus geläufig. 217 Siehe R. Descartes, Meditationes de prima philosophia, hg. von L. Gäbe, Hamburg 1959, Med. I. Das de omnibus dubitandum est
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solche Stellung für revolutionär, d.h. das Erkenntnisstreben kehrt sich in der Zweifelssucht gegen das, was es begründen und tragen würde. Revolution heißt Baader jede Richtung einer Tätigkeit, welche anstatt von ihrem Begründenden aus, in und an ihm fortzugehn, sich von diesem erst los zu machen strebt, wovon die Folge sofort die ist, dass es sich gegen dasselbe erhebt. »Der Teufel gibt den Philosophen ein, dass sie ihr selber wissen nicht mit einem ihnen gegebenen und aufgegebenen Wissen und Überzeugtsein, sondern mit dem Wegwerfen, Leugnen und Verleugnen alles letztern, sohin mit einer innern Lüge, welche man nun Zweifel heißt, anzufangen und zu begründen haben.«* Eine neue Wahrheit, eine neue Religion, eine neue Kirche, ein neuer Gott, das ist absurd. Wie das Selbstbewusstsein nichts absolut Neues in sich aufnimmt, was seinen Fortbestand, seine Kontinuität und Identität aufhöbe, so kann auch in der Religionslehre oder Religionswissenschaft keine Neuerung in dem Sinn statthaben, dass sie ihre Identität aufhöbe. Insofern war für Baader der Anspruch des Dogmas, eine kontinuierliche, beharrende, sich selbst gleich bleibende Lehre und Erkenntnis in der Kirche zu begründen, ein innerlich durchaus gerechtfertigter und unbedingt zu bejahender. Damit aber war nun für ihn eine fortschreitende Entwicklung im Wachstum in der Gotteserkenntnis keineswegs ausgeschlossen, vielmehr bedingen sich jene Stabilität und diese Mobilität gegenseitig. Sind die Prinzipien der Theologie unveränderlich, so darf doch diese selbst als die lebendige Entfaltung dieser Prinzipien nicht erstarren und zum Petrefakt218 werden. Die Revolution hat zu ihrer Antithese nicht den Stillstand aller Bewegung, vielmehr den von seinem Grund gehaltenen und durch ihn vermittelten Fortschritt, die Evolution. bezeichnet Hegel, Theorie-Werkausgabe Band 20, S. 126 als den »erste[n] Satz« des Descartes. Mit ihm beginne gleichsam die neuzeitliche Philosophie. * Baader, SW IX, 292. 218 ›Petrefakt‹ bedeutet ›Versteinerung‹. Damit ist deutlich auf die fehlende Lebendigkeit der römischen Kirche hingewiesen.
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Und diese ist zur Konservation des Gegebenen schlechthin unerlässlich. Soll es in der Theologie im guten und richtigen Sinn beim Alten [29] bleiben, so muss dieses vor dem Veraltern bewahrt bleiben; soll kein Neues entstehn, so muss das Alte erneuert werden. Der Bestand des Lebens fällt in der Zeit zusammen mit seiner Restauration, und nur durch konstante Restauration erliegt es der Zeit nicht und tritt über sie empor. Das Fortmachen in der Zeit ist das sich frei Halten gegen die veralternde, starrmachende Macht der Zeit, der Egress [?] ins Nichtzeitliche. Er zitiert Eckharts Wort: ihn verdrösse es, falls er morgen jünger werden könnte als er heute gewesen!219 Und so gilt es auch für’s Dogma, dass es immer jünger wird, je älter es wird. Und nur dadurch dass es sich verjüngt, veraltert es nicht, sondern erhält sich in seiner Identität. Zu dieser fortschreitenden, in neuen Entdeckungen fruchtbaren, sich bewährenden Bewegung innerhalb der Religionswissenschaft verhält sich nun das Dogma wie das Urbild, das Prototyp, [die]220 Sonne/Summe, die Einheit, welche die verschiedenen Lehrhaltungen in der Kirche zu verbinden hat, ist derjenigen des Typus vergleichbar, wie sie z.B. Knaben, Mann und Greis die Einheit derselben Persönlichkeit gewährt. Das Dogma ist ein gegebenes Wissen, und als solches unentbehrlich, denn Überzeugung entsteht nur durch das Zusammentreffen der innern und der äußern Begründung. Unser Wissen ist solange unvollendet und nicht in die Gewissheit getreten, bis wir zu uns[rer] innern Überzeugung die dieselbe konfirmierende äußere oder umgekehrt zu unser[er] äußeren die ihr entsprechende innre [Überzeugung] gefunden haben. Solange ein Zwiespalt zwischen beiden besteht, ist die Gewissheit unfertig. Diese äußere Begründung unsres eigenen Wissens weist uns die Kirche in ihrem Dogma dar, und dieses Wissen ist uns auch durch Menschen vermittelt, so doch im Grunde nicht von 219 Meister Eckhart, Predigt 20B: ›Homo quidam fecit cenam magnam etc. (Luc 14,16), in: Meister Eckhart, Werke I. Predigten, Frankfurt a.M. 1993, S. 234–244. 220 Bei Schlatter fälschlich: »das«.
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Menschen gegeben und aufgegeben, sondern von Gott.221 Das Wissen ist seinem Wesen nach ein gemeinsames, nicht auf die einzelne Persönlichkeit isolierbares. Das ist kein Wissen, was nur ich weiß und niemand sonst; wir wissen nur, was wir alle wissen, wir wissen nur, was wir selbst wissen. Beide Momente haften dem Wissen mit derselben Unentbehrlichkeit inne. Und das Gemeinsame zum Gesamtbesitz der Kirche gewordene Wissen, eben dies ist das Dogma. Allein aus dem Gegebensein eines Wissens um Gott und Göttliches haben wir nicht den Schluss zu ziehen: folgerichtig bedarf es unsrer erkennenden Selbsttätigkeit nicht. Aus dem Vorhandensein einer äußern Begründung derselben ist nicht der Verzicht auf die innre abzuleiten. Diese träge Konklusion ist ethisch korrupt. Nur die umgekehrte Folge ergibt sich als die ethisch richtige: die äußre Begründung ist dazu da, um uns zur innern zu helfen; das gegebene Wissen ist dazu da, um unsre erkennende Selbsttätigkeit zu begründen und zu ermöglichen. [30] Ist die Verwerfung und Leugnung des gegebnen Wissens revolutionär, so ist deswegen der Akt dessen, der ob der äußern Begründung seines Wissens die innere, in seine eigene Person fallende unterlässt, nicht löblich: das ist der Akt des Sklaven. Wir haben das gegebene und das aufgegebene Wissen zu unterscheiden. Jede Gabe bringt ihre Aufgabe mit sich, doch nicht nur als Imperativ und Gesetz, sondern vielmehr als Kräftigung und Befreiung zu derselben, doch so, dass sie in der Betätigung unsrer eigenen Vermögen und Kräfte auf ein ihnen gewiesenes Ziel hin ihre einzig richtige Konsequenz und Verwertung hat. Und nur im Gewinn des uns aufgegebenen Wissens wird auch das gegebene Wissen bewahrt und als Eigentum erfasst. Die Talente und ihre Zinsen im Evangelium.222 221 In diesem Grundverständnis des Dogmas verhält sich Schlatter konsequent antithetisch zu Harnacks Auffassung und der Konzeption der liberalen Theologie, wobei Harnack unter den zeitgenössischen Theologen in seiner ›Dogmatik‹ am häufigsten genannt wird. Dazu auch W. Neuer, Adolf Schlatter, a.a.O., S. 304ff u.ö. 222 Jesu Gleichnis von den anvertrauten Talenten findet sich mit Über-
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Das Verhältnis zwischen Dogma und neuer eigner theologischen Produktion stellte sich deshalb für Baader in Analogie mit dem Verhältnis, das für das künstlerische Produzieren zwischen der Klassizität und der Genialität besteht. Die Klassizität bewahrt die ästhetische Regel, welche nicht neu zu entdecken, sondern in der künstlerischen Begabung bereits enthalten und ans Licht gestellt ist. Die Genialität reproduziert diese Regel in immer neuer Gestalt. So oft nun auch beides in Gegensatz widereinander gestellt werden mag, so falsch ist dieser Gegensatz. Nur im Zusammensein beider Momente kömmt es zur wahren Kunstleistung. Die Klassizität ist nicht der Todfeind der Genialität, weckt diese vielmehr und zügelt sie. Ganz analog kömmt unsre wissenschaftliche Theologie nur dadurch vorwärts, dass sie gleichzeitig das Dogma als die begründende Regel bewahrt, darin ihre Klassizität bewahrt, und in immer neu sich verjüngender Reproduktion dasselbe neu gestaltet; das geniale Moment in der erkennenden Produktion. Diese Gedankengänge zeigen, wieso Baader mit dem runden, vollen Willen, Katholik und nichts als Katholik zu sein, nach neuen Ergebnissen in der theologischen Sphäre geforscht hat. Nun ergibt sich aber hiebei die Schwierigkeit, dass in die erneuernde zugleich eine kritische Funktion dem Dogma gegenüber eintreten muss. Wäre die Arbeit der früheren Kirche, wie sie im Dogma ihr Resultat hat, schlechthin [31] normal, so wäre unser Weiterschreiten leicht und einfach; wir hätten dann in dem uns Gegebenen lediglich die begründende und bewegende Stützung unsres eignen Erkennens. Aber eignet der kirchlichen Dogmenbildung diese absolute Normalität? Die katholische Kirche behauptet es und anerkennt keine legitime Kritik des Dogmas. Wie stellte sich Baader hiezu? Zunächst steht er der Kirche um ihn her mit scharfer Kritik gegenüber. Die Verteidigung des Katholizismus, sagt er, ist keine Verteidigung der Katholiken, die Menschen, welche den Katholizismus vertreten, einstimmungen und einzelnen Unterschieden bei Mt 25,14–30 und Lk 19,12–17. Es lehrt, dass die anvertrauten Begabungen gemehrt werden müssen, da sie sonst verloren zu gehen drohen.
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sind vielfach ihrer Aufgabe nicht gewachsen, logisch und ethisch miserabel.*223 Sie leiden an Wissensscheu aus Furcht, das Dogma zu gefährden, der Begriff des Pfaffen ist ihm unentbehrlich, ebenso unentbehrlich als der des Sophisten. Ist der Sophist der Träger eines entarteten Wissens, so ist der Pfaffe der Repräsentant eines entarteten Priestertums. Ihr Kommandowort ist: Kopf unter, Augen zu! Sie sehen die Verwüstung, die eine ungezähmte Wissenschaft angerichtet hat in allen Zweigen des menschlichen Wissens und Wirkens, und, statt das göttliche Licht in alles Erkennen und Handeln zu leiten, sprechen sie das Salomonische Urteil von der Teilung des Wissens und Glaubens, der Theologie und der Weltweisheit und geben damit feige die Kirche der Verwüstung preis.* Und diese Feigheit ist lediglich darin begründet, dass der Klerus verteidigt, was er selbst nicht versteht. Diese Unwissenheit bleibt aber nicht nur ein Gebrechen, sondern wird vom Klerus, dem Lehrstand!, zum Verbrechen. Darum beunruhigte ihn der bald auftretende Widerspruch der bayrischen Geistlichkeit gegen ihn nicht. »Ich werde mich durch die Römer nicht hindern lassen, den Katholizismus zu verteidigen […] Ich brauche die Römer in wissenschaftlichen Dingen so wenig als zum Beten und ich bin vollkommen überzeugt, dass ein Katholik, auch wie sie jetzt sind, doch noch leichter als irgend ein anderer ein * Zu dieser Kritik ist er schon durch St. Martin angeleitet, der über den Katholizismus weit hinaus ist: Katholizismus Mittel, Christentum Ziel mit energischer Kritik der Verwalter des Worts und der religiösen Litteratur (minist. De l’homme). 223 Dass dies zu schweren Verwerfungen mit der Kirche seiner Zeit führte, zeigt F. von Baaders Biographie in teils dramatischer Weise. Vgl. zur Vita F. Lieb, Franz Baaders Jugendgeschichte. Zur Frühentwicklung eines Romantikers; F. Hoffmann, Baader, Franz von, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 1, Leipzig 1875, S. 713ff, sowie H. Graßl, in: Neue Deutsche Biographie, Band 1, Berlin 1953, S. 474ff. Zur Entfaltung der Baaderschen Ekklesiologie: F. Hartl, Franz von Baader und die Entwicklung seines Kirchenbegriffs, München 1970. * XV, 544.
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Christ werden kann«.* Einen Verkauf des eignen Gewissens an die Jurisdiktion irgend eines Priestertums hat er schlechthin abgelehnt als Gewissensleugnerei. Trifft der Vorwurf der Unwissenheit und Wissensscheu zunächst das Verhalten der römischen Geistlichkeit zur Wissenschaft, so hat er auch über die Weise, wie sie den Kultus leitet und gestaltet, Analoges zu klagen. Auch der Kultus ist nicht nur ein rein innerlicher Akt, sondern einigt ein Äußerliches und Innerliches in Harmonie. Allein er bleibt nur dann normal, wenn das äußere Moment in der Unterordnung unter [32] das innere gehalten wird. Wird jenes zur Hauptsache, so entsteht ein materialisierter oder paganisierter Kultus,224 welcher der Teufelei im Inneren nicht nur Raum lässt, sondern Raum macht. Und unter diesen Begriff fiel ihm von dem, was in der katholischen Kirche geschieht, vieles. So sagt er zum Beispiel: die französische und spanische Revolution der dreißiger Jahre hat lediglich das schon im romanisierenden Katholizismus dieser Völker vorgefundene zum Vorschein gebracht, sie war kein Abfall von ihrer Kirchlichkeit, sondern deren Folge.*225 Die Kritik Baaders an der römischen Kirche griff aber über die Gegenwart zurück in die Vergangenheit der Kirche und dehnte sich auf Momente aus, die mit dem Leben der katholischen Kirche sich aufs engste verschmolzen haben, so dass ihre Erneuerung eine durchgreifende Umgestaltung der Kirche ergeben müsste[].226 Er * Vgl. die Schrift über den christlichen Begriff der Unsterblichkeit Baader SW IV, 259ff. 224 ›Pagan‹ von lat. ›paganus‹, ursprünglich ›dörflich‹, später ›heidnisch‹. Paganisierung: Verschiebung ins Heidnische. * SW X, 181. 225 Im Blick auf Spanien ist die Revolution von 1820–1823 gemeint, die zu einer vorübergehenden konstitutionellen Monarchie führte. Vgl. dazu auch: W.L. Bernecker, Spanische Geschichte. Vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1999. Im Blick auf Frankreich zielt Schlatter auf die Julirevolution des Jahres 1830 ab, die LouisPhilippe, den liberalen Bürgerkönig aus dem Haus Bourbon, auf den Thron brachte. 226 Bei Schlatter fälschlich: »müssten«.
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verwarf die Ascetik,227 die bekanntlich im römischen System eine überaus wichtige Stelle hat. Die Ascetik, sagt er, ist heidnisch und ad maoirem cleri gloriam228 ins Christenthum eingepflanzt; heidnisch ist sie, weil ihr Ideal die absolute Entselbstigung ist, während uns Christus gerade dazu gegeben ist, uns zu einem befreiten, in Gott begründeten und darum zu ungehemmter Aktion befähigten Selbst zu verhelfen.* Es ist eine gnostische Irrlehre, dass die Natur mit Füßen getreten werden müsse oder auch nur dürfe. Der Klerus hat sich im Orient in Unwissenheit der Möncherei akkommodiert229 und hiedurch die Scheidung des Klerus von der übrigen Kirche durchgeführt. Dieser Protest gegen die Ascetik steht mit Baaders Grundgedanken in unlöslichem Zusammenhang. Natur und Gott ist nicht zu trennen und wider einander zu kehren.230 Wie er die Zerteilung unsres Intellekts in Wissen und Glauben verwirft, so dass ein ungläubiges Wissen neben einem unwissenden Glauben stünde, so verwirft er auch die Zerteilung unsres Wollens und Handelns in eine gottlose Natürlichkeit und in eine naturlose Heiligkeit. Wer das Bild Gottes in der Zerstörung der Natur sucht, arbeitet dem 227 ›Ascetik‹ oder ›Asketik‹, vor allem in der katholischen Theologie ausgeprägte Lehre der christlichen Übung und Lebensformung. Zur vorkonziliaren katholischen Asketik vgl. F. Ratte, Kleine praktische Asketik für Kleriker, Luxemburg 1873; F.X. Mutz, Christliche Asketik unter besonderer Berücksichtigung des priesterlichen Lebens, Paderborn 1907 u.ö. Eine Übersicht gibt der Artikel Aszetik, in: LThK, Band 1, Freiburg i.Br. 2006, Sp. 1120f. 228 »Zur höheren Ehre des Klerus« – in ironischer Abweichung von »ad maiorem Dei gloriam«: Zur höheren Ehre Gottes. Die Formel geht auf Basilius den Großen (540–604) zurück und findet sich später in den Beschlüssen des Tridentinum (1545–1563). * IX, 330. 229 Akkomodieren: Annähern, anbequemen. 230 Schlatter selbst hat die Berechtigung freiwilliger Askese gerade nicht in Frage gestellt. Vgl. dazu Schlatter, Dogmatik, a.a.O., S. 407: »Die neutestamentliche Askese«.
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Teufel in die Hand; denn dieser und nicht Gott ist der Feind der Natur. Von dieser widernatürlichen Tendenz der Kirche leitet er die atheistische Verflachung und Zertrümmerung des modernen Geisteslebens in beträchtlichem Umfang ab, denn die Kirche ist an demselben nicht unschuldig; Häresien sind nie nur [33] ein Unglück für die Kirche, das als ein unschuldiges Leiden von außen über sie käme, sondern die Häresien zeigen der Kirche ihre eignen Versäumnisse und der Umfang der modernen Häresien zeigt231 ihr die Größe ihrer Schuld. Ein weiterer für den Katholizismus höchst folgerichtiger Begriff ist der des opus operatum. Derselbe drücke darin seine Wertschätzung der Gnade aus als einer von aller menschlichen Mitwirkung unabhängigen. Die Überzeugung, dass in Sakrament und Kultus nicht der Mensch dem Menschen, sondern Gott dem Menschen hilft, ist, sagt Baader, an jenem Gedanken das Richtige. Aber das Irrige an demselben ist die Vorstellung eines lediglich passiven Verhaltens des Menschen sowohl bei der Mittheilung als beim Empfang jener Hilfe. Wir haben in der Heilsvermittlung an den Menschen ein dreifaches Verhalten Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott zu unterscheiden. Gott tut etwas für den Menschen, ohne dessen Wirken und Willen, das ist der erste anhebende Akt; Gott tut selber etwas mit dem Menschen, seinen Willen zur Kooperation mit dem seinigen befähigend, und der Mensch tut etwas allein für Gott. Gott will, ehe und bevor der Mensch will; Gott will und der Mensch will mit ihm; der Mensch will und Gott will, was der Mensch will; durch diese Dreifachheit des Verhältnisses läuft die Beziehung des göttlichen zum menschlichen Willen, und erst in der letzten Stufe war der Mensch als der Freigelassene Gottes zur Erzeugung eines eignen Gott gemäßen Wollens befähigt, vollendet sich Gottes erlösendes Handeln in uns. Der katholische Begriff dagegen zerstört diesen organischen Verband der göttlichen und menschlichen Aktion. Er leugnet im opus operatum alle menschliche Kooperation, doch nur, um im Begriff des meritum daneben eine menschliche Aktion zu statuieren, in 231 Im Original fälschlich: »zeigen«.
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der das göttliche Wirken geleugnet ist und das menschliche Gott gegenüber verselbständigt ist als in sich die Kausalität der Erlösung tragend. Die eine Negation ruft der andern, die falsche Objektivität der falschen Subjektivität. Das im opus operatum ausgeschlossene Subjekt tritt im meritum allein auf den Plan, ohne dass sein Wirken dem Wirken Gottes als seiner [des Subjekts] alleinige[n] Kraftquelle entnommen ist. So wenig die Objektivität der göttlichen Speisung und Begeistung in Frage zu stellen ist, so wenig erfordert die Bejahung derselben eine Negation der Subjektivität. Denn nicht, dass der Mensch selbst weiß, selbst will, selbst tut, ist verkehrt, wohl aber dies, wenn der Mensch etwas [34] von sich selber wissen, von sich selber wollen, von sich selber thun will, a se, und nicht aus Gott. Die Stellung des Menschen ist die, dass er Gott fortsetze, der erste Wirker ist Gott, er wirkt aber dazu und darum, dass der Mensch in sein Wirken eintrete als durch ihn zu Leben und Wirken erhöht.232 Die Folgen dieser Stellung waren für die gesamte Sakramentslehre233 durchgreifende, und bedingten auch Baaders Stellung zum Priestertum wesentlich. Der character indelebilis234 fällt dann, wenn 232 Schlatter verweist hier auf die Unterscheidung zwischen ›causa prima‹ und ›causa secunda‹, den Unterschied zwischen der »Allwirksamkeit« und »Alleinwirksamkeit« Gottes. In der Folge der »causae secundae« wirkt Gott nicht unmittelbar auf die Wirklichkeiten der Welt ein, sondern nur so, dass er sich anderer Zweitursachen bedient. Dies ist ein Unterschied, der etwa in der islamischen Ontologie niemals wirksam wurde. Vgl. J. de Vries, Grundbegriffe der Scholastik, Darmstadt 1980, S. 99ff. 233 Sakramente sind geheime Deutungszeichen, die in der sichtbaren Welt die Präsenz Gottes symbolisieren. Die römisch-katholische Kirche kennt sieben Sakramente: Taufe, Firmung, Eucharistie, Beichte, Ehe, Weihesakrament und Sakrament der Krankensalbung. Vgl. zur Übersicht den einschlägigen Artikel in: LThK 8, Freiburg i.Br. 2008, S. 1437–1451. 234 Nach christlicher Lehre der lateinischen Kirche die unwiderrufliche Prägung einer Person durch bestimmte kirchliche Sakramente, namentlich die Taufe, die Firmung und das Weihesakrament. Das Bild
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alles Wirken Gottes auf das menschliche Wirken zielt und abreißt, wenn es nicht von diesem aufgenommen und fortgesetzt wird, so kann auch das Priesterthum nicht unabhängig vom Verhalten des Priesters in seiner Virtualität fortbestehen. Allerdings ist der Charakter unzerstörbar, nämlich als Pflicht, wie der Mensch seinen humanen Charakter in alle Vertierung und Verteufelung hineinnimmt, wie der Teufel seinen spirituellen Charakter bewusst auch im Fall in seiner Abgründigkeit, nämlich als ein Sollen, das er nicht von sich abwischen kann. Aber diese Unzerstörbarkeit des Sollens verträgt sich sehr wohl mit der Suspension des Könnens. Nicht alles, was der Priester tut und spricht, ist somit göttlich gültig. Gibt es ein entwürdigtes impotentes Priestertum, so kann die Stellung der Kirche ihm gegenüber nicht mehr vorbehaltlose Untergebenheit sein.235 Auch das Papsttum hat Baader verworfen. Die Kirche ist Korporation, Sozietät.236 Sie bedarf als solche der Vorsteher, der Führer, des Amts. Aber sie verträgt keine monarchische Regierung, eben darum, weil sie Sozietät sein soll. Darum kann die Kirchenverwaltung nur Gemeindeverwaltung sein. Mit der Instituierung eines sichtbaren Oberherren fällt die Einführung einer äußern zwinglichen Macht in die Gemeinde zusammen, und diese Zwangsmacht widerspricht dem Grundbegriff, der als Zweck die kirchliche Sozietät zu leiten hat. Denn diese Zwangsmacht verlangt den Zusammenschluss der Kirche aus der Gemeinschaft und Kommunion ihrer Glieder untereinander heraus in den Zwang, der sie von außen bedeutet, dass sie den Menschen so prägen wie ein unaulöschlich eingeprägter Stempel es tut. Siehe Katechismus der Katholischen Kirche, Nummer 698; siehe dazu auch den Artikel »Charakter«, in: LThK 2, Sp. 1009ff, sowie J. Finkenzeller, Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen, 2 Bände, Frankfurt a.M. 1980f. 235 Ein genauer Blick zeigt, dass Baader keineswegs das Priestertum überhaupt und auch nicht das Papsttum sui generis verworfen hat, sondern nur ein solches, das in der Institutionalität und im kultischen Akt erstarrt ist. 236 ›Sozietät‹: Gesellschaft bzw. gesellschaftlicher Zusammenschluss.
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aneinander kettet; sie ist darum nicht nur ein Rückgang, sondern die Destruktion des Gemeindelebens. Die Folge der Einführung des Papsttums nach innen hin war notwendig eine Reaktion unter den Gemeindegliedern gegen dieses, die Union der Kirche aufhebende und störende Element, welche Reaktion entweder durch gewaltsame Niederhaltung derselben [35] zur Stagnation oder dann zur Zersetzung der Kirche führen muss. Nach außen hin verkehrte sich das Verhältnis der Kirche zum Staat: der in einen Regenten verkehrte Vorsteher tritt dem in der äußern Region bestehenden Regenten mit gleicher Macht entgegen, nicht mehr im Staat seiend, sondern außer, neben und über ihm. Historisch lässt sich das Papsttum nicht begründen, weder die Schrift kennt es noch die alte Kirche, und schon dadurch, dass es in der Schrift fehlt, ist es widerlegt. Der Grundsatz, dass das katholisch sei, was zu jeder Zeit überall und von allen gelehrt worden sei,237 befasst vor allem auch238 die apostolische Zeit. Was in der apostolischen Zeit in der Kirche nicht gelehrt worden ist, ist nicht überall und zu aller Zeit in der Kirche gelehrt worden. Das Unapostolische ist folglich auch das Unkatholische. Wenn Möhler zugab,239 das Papsttum sei am Ende der patristischen Zeit entstan237 Gemeint ist hier der Grundsatz: Quod ubique quod semper creditum est. Er stammt von Vinzenz von Lérins (gestorben zwischen 434 und 450) und findet sich in dessen Commonitorium II, 5. 238 Im Original steht fälschlich: »aus auch«. 239 J.A. Möhler (1796–1838) wirkte seit 1826 als Extraordinarius und seit 1828 als Ordinarius in Tübingen. Möhler, zunächst durch die Aufklärung, später die Romantik geprägt, ist einer der Vordenker einer Ökumene aus der Wahrheit. Neben der Ekklesiologie befasst er sich vor allem mit dem Fragezusammenhang von Wahrheit und Geschichtlichkeit. Das Traditionsprinzip wird von ihm als Entfaltung des lebendigen Anfangs der frühen Kirche begriffen. Hier einschlägig sind seine Schriften: Die Einheit der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, dargestellt im Geiste der Kirchenväter der ersten drei Jahrhunderte, Tübingen 1825, Geiselmann, Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten
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den, jedoch notwendig gewesen wegen der Anarchie in der Kirche, so war Baader nicht der Mann, um sich an solchen Ausflüchten zu beruhigen. Damit ist die Divinität des Papsttums aufgegeben und die zeitweilige geschichtliche Notwendigkeit beweist nicht dessen permanente Notwendigkeit. Keine Ascetik, kein Sakrament, das ex opere operato wirkt,240 kein Papsttum: damit ist offenbar eine tiefgreifende Kritik am Katholizismus vollzogen. Wären der Reformation diese drei Punkte von den damaligen katholischen Theologen bejaht worden, so wäre es nie zum Schisma gekommen. Es ist geschichtlich merkwürdig, dass Baader diese Sätze aufrechthalten und zugleich voll und ganz bejahen konnte, er sei Katholik. Damals war es noch möglich, natürlich auch damals nicht ohne Widerspruch und Anfeindung, heute nach 1870 nicht mehr.241 Baaders Polemik gegen den Katholizismus innerhalb des Katholizismus veranschaulicht instruktiv die Tragweite der Wendung, welche der katholischen Kirche die Infallibilitätserklärung gebracht hat; sie hat sich mit derselben hermetisch gegen alle Reformation aus ihrer eignen Mitte heraus abgesperrt. Und dennoch, so sehr diese Negationen den gesamten Katholizismus nach Lehre, Kultus und Verfassung umfassen: dennoch nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften, Mainz 1832, hier München 1923, S. 388ff. 240 »Durch das Tun an sich«: gemeint ist die Gültigkeit des bloßen Vollzugs, unabhängig von der Einstellung, bzw. Würdigkeit dessen, der die heilige Handlung vollzieht. Die Formulierung findet sich in Can. 8 des Dekrets über die Sakramente im Tridentinum (3.3.1547). Vgl. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und Lehrentscheidungen. Nummer 1608, Freiburg i.Br. 402005. 241 Die Zäsur, auf die Schlatter damit verweist, wird durch das I. Vaticanum und insbesondere den Unfehlbarkeitsanspruch des päpstlichen Lehramtes in »ex cathedra« getätigten Lehräußerungen markiert. Dazu vgl. Schatz: Vaticanum I: 1869–1870 (Konziliengeschichte Reihe A.) Paderborn u.a. 1992ff (Teil 1: Vor der Eröffnung, 1992; Teil 2: Von der Eröffnung bis zur Konstitution »Dei Filius«, 1993; Teil 3: Unfehlbarkeitsdiskussion und Rezeption, 1994).
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blieb Baaders Verhältnis zum Dogma das positive einer in sich freien, aber runden und ganzen Zustimmung. Dem Zusammenbestehn jener Negation und dieser Position liegt freilich nicht nur ein logischer Akt zugrunde, sondern zugleich ein ethischer, ein Glaubensakt. Das Erkennen der Kirche und sein eignes steht für Baader in innerster Abhängigkeit vom einen und selben Gott, und in dieser Zuversicht wurzelt seine Fähigkeit, einerseits der Kirche gegenüber sich in eine lernende [36] Stellung zu setzen, die ihr Lehrwort aufnimmt und als Basis dem eignen Denken unterlegt, und zugleich sich über sie zu erheben zu eine[m]242 ihre Verirrung richtenden Urteil, welches Recht und Freiheit der eigenen Einsicht nicht preisgibt, sondern auch wider die Kirche geltend macht, in der Gebundenheit an den einen und selben Gott, der den Trägern des kirchlichen Lehramts erleuchtend nahe war und ihm selbst in seinem eignen Forschen, die Wahrheit erschließend, nahe ist. Der Einblick in den innern Zerfall des Katholizismus bewog Baader, große Hoffnungen auf die griechische Kirche zu setzen. Historische Erwägungen und persönliche Erlebnisse beeinflussten ihn hiebei. Alexander243 zeigte sich frommen Einflüssen sehr zugänglich, und es geschahen am Hof zu Petersburg damals in religiöser Hinsicht merkwürdige Dinge. Auch Baaders Arbeit wurde in Petersburg sehr beachtet, während das Berliner Ministerium Altenstein244 kurzsichtig genug in der Hegelisierung Preußens das Heil 242 Bei Schlatter fälschlich: »einer«. 243 Gemeint ist damit Zar Alexander I. (1777–1825), jener RomanowHerrscher, der seine Politik auch im Zusammenhang des Wiener Kongresses von religiösen Überzeugungen bestimmen ließ. Der Zar stand unter starkem Einfluss der Frau von Krüdener (1764–1824). Vgl. dazu die jüngste, sehr detaillierte Biographie, die aber die strittigen Charakterzüge J. von Krüdeners etwas unterbelichtet: D. Sommer, Juliane von Krüdener. Eine Baronin missioniert Europa, Marburg a.d. Lahn 2014. 244 Karl Sigmund Franz Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770–1840) war Mitarbeiter Hardenbergs und 1808 nach dem Sturz des Reichs-
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des preußischen Staates suchte. Petersburg schien darum ein geeigneter Boden zu einer kräftigen, religiös-wissenschaftlichen Aktion. Dazu kommen die historischen Betrachtungen: die griechische Kirche konservierte die alte Kirche in ihrem Dogma und in ihrer episkopalen Verfassung, allerdings in einem toten Konservatismus, aber der alte Besitz schien doch erhalten, entgegen der Alternative der römischen Kirche durch das Papsttum und der Auflösung des kirchlichen Lehrworts im Protestantismus. Und Baader hoffte, es könnte gelingen, diese versteinernde Hülle zu durchbrechen und jenen überlieferten Besitz wieder flüssig zu machen, zu einer Entwicklung, die nun nicht belastet und geschädigt wäre durch die Irrgänge des Abendlandes, sondern restaurierend, helfend auf dieses zurückwirken könnte. Es waren groß gedachte Hoffnungen, aber er selbst hat noch in denselben bittere Enttäuschungen erlebt.
freiherrn vom und zum Stein Finanzminister. 1810 wurde er entlassen, weil er eine Abtretung Schlesiens an Frankreich vorgeschlagen hatte. 1817 wurde er erster preußischer Kultusminister. In dieser Funktion kommt ihm das Verdienst der Realisierung der Humboldtschen Universität und des humanistischen Gymnasiums zu. Zugleich verhalf er der Hegelschen Schule in Preußen zum Durchbruch. Diese Tendenz sieht Schlatter in Übereinstimmung mit Baader überaus kritisch.
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§ 2 Die Reformation Auf Baaders Standpunkt, wo der Bestand des Dogmas keineswegs als Unveränderlichkeit gefasst wird, war der Begriff Reformation nichts weniger als von vornherein zu negieren. Aber reformatio fiat intra ecclesiam,245 sonst wird sie revolutionär. Die Spaltung der Kirche stellt sich ihm deshalb als ein großes Unglück dar,246 welchem247 er die Schuld zwar keineswegs ausschließlich auf Seiten der Reformatoren suchte, vielmehr machte er, wie für alle Häresien, so auch für die konfessionelle Spaltung in erster Linie die Kirche verantwortlich, sowohl den frühern Unverstand der damaligen Kirchenleitung, als frühere Vorgänge, welche [37] die Gestaltung der mittelalterlichen Kirche bedingen. In letzterer Hinsicht machte er namentlich die Nichtachtung, ja Unterdrückung der mittelalterlichen Mystik namhaft.* Hier nahm die Spekulation einen freien, neuen Aufschwung, und wenn auch trübendes, einengendes Ge245 »Die Reformation geschehe in der Kirche«. Baader, GS Band 4, 1855, S. 98. Siehe auch Band 1, 1851, S. 359. 246 Dies war auch eine Grundintention Schlatters. Vgl. ders., Einführung in die Theologie, S. 156: »Die Zerspaltung der Kirche soll als das behandelt werden, was überwunden werden muß. Nur dann ist der konfessionelle Charakter der Theologie legitimiert« (Kursivierung im Original). Vgl. zu den mystischen Elementen bzw. Spuren in der Reformation den Sammelband: V. Leppin (Hg.), Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther, Tübingen 2007, darin insbesondere S. Grosse, Der junge Luther und die Mystik. Ein Beitrag zur Frage nach dem Werden der reformatorischen Theologie, S. 187ff. * SWVIII, 301. 247 Grammatikalisch korrekt sollte es heißen ›für welches‹.
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dankengut der Mystik innewohnte, es waren doch tiefdringende Blicke in die göttliche Sphäre erlangt, Erkenntnisse gewonnen. Aber die Kirche hat diese Arbeit unterdrückt. Meister Eckhart wird zum Beispiel zum Widerruf genötigt.248 Und durch diese Regression hat die Kirche selbst die sie spaltende Explosion der in ihr unzerstörbaren fortschreitenden Tendenzen veranlasst und herbeigeführt. Die Revolution war auch hier die Folge der unterdrückten und gehemmten Evolution. Für beide Teile war diese Wendung der Dinge nach Baaders Urteil ein Unglück: nicht nur für die vom Katholizismus sich Abtrennenden, sondern auch für den Katholizismus selbst. Auf beiden Seiten trat mit der Fixierung des konfessionellen Gegensatzes Scheu und Misstrauen gegen die freie Bewegung der Intelligenz in der religiösen Sphäre ein. Der Katholizismus überschlug in seiner antirevolutionären Tendenz ins Petrefakt, und auch der Protestantismus schloss seinen Lehrbegriff auf die dem Katholizismus gegenüber kontroversen Fragen polemisch ab. Dadurch bekamen beiderseitig die antireligiösen Doktrinen freien Spielraum, durch welche das religiöse Element aus allen Wissenszweigen hinausgetrieben und die Theologie vom übrigen Aufbau der Wissenschaft isoliert worden ist. Diese Erkrankung unsres geistigen Lebens erstreckt sich gleichmäßig über die protestantischen wie über die katholischen Länder, und Baader setzte sie in wesentlichen Kausalkonnex mit der Reformation, nicht als deren direktes, beabsichtigtes Ziel, wohl aber als ein durch sie eingeleitetes und ermöglichtes Resultat. Das Unrichtige in der Reformation erweist sich nach Baader in ihrer Erfolglosigkeit. Was sie suchte, hat sie nicht erreicht. Sie brachte keine Kirche zu Stande, keine religiöse Sozietät, sie fiel in diejenige Form des kirchlichen Verbandes zurück, der dem Papst-
248 Über die Einzelheiten unterrichtet jetzt: W. Trusen, Der Prozess gegen Meister Eckhart, Paderborn 1988; vgl. zu Eckharts Denkform: K. Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums, München 2010.
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tum vorangegangen ist und repristinierte249 das Staatskirchentum; d.h. sie entfernte zwar das die Einigung der Kirche störende Zwangselement, welches als kirchliche Obrigkeit sich herausgebildet hatte, aber nur dadurch, dass sie an dessen Stelle ein anderes Zwangselement setzte, unmittelbar das staatliche. Die Folge war, dass der universelle Begriff der Kirche preisgegeben werden musste, da die Grenzen des Staats auch diejenige[n]250 der Kirche wurden, womit an Stelle der Weltinnung die nationalen kirchlichen Institute traten.251 Aber auch im Gebiet des Dogma[s] wurden die Missgriffe der vorangehenden Kirchenlehre nicht überwunden. [38] Die Reformation suchte das göttliche und menschliche Subjekt in ihrer lebendigen Einheit zu fassen, und verwarf darum den Begriff des opus operatum.252 Aber dieser selbe Begriff kehrt in der protestantischen Fassung des Todes Jesu und noch schärfer im Prädestinationsbegriff wieder. Hier wie dort spricht das Dogma von einem göttlichen Wirken, das nicht Grund und Kraft menschlichen Wirkens, vielmehr dessen Regression [?] wird in seinem schlechten Stellvertretungsbegriff, wo der Stellvertretende nur darum wirken, geben, leiden soll, damit der von ihm Vertretene nicht zu wirken und [zu] leiden braucht. Daher schrumpft der Glaube auf prote249 ›Repristinieren‹ (lat.: restituere in pristinum = In den früheren Zustand versetzen): Wiederherstellen. Vgl. auch die Repristinationstheologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die gegen die liberale Theologie einen früheren Zustand wiederherzustellen versuchte. Den Orientierungsrahmen bildete dabei primär die lutherische oder die reformierte Orthodoxie. J. Lauster, Prinzip und Methode. Die Transformation des protestantischen Schriftprinzips durch die historische Kritik von Schleiermacher bis zur Gegenwart, Tübingen 2004. 250 Bei Schlatter fälschlich: »diejenige«. 251 Siehe zur Katholizität als ›Weltinnung‹: Baader SW X, S. 8. Der ungewöhnliche Begriff der ›Weltinnung‹ meint die weltweite Einheit der ›Una ecclesia‹. 252 Opus operatum: »Vollzogene Handlung«: Formel für das römisch-katholische Sakramentenverständnis, Baader, SW X, S. 135; vgl. auch SW 12, S. 363.
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stantischem Boden zu einem utiliter Appliciren253 des meritums254 Christi zusammen,255 so dass er nicht als Kraft schöpfender Akt die eigene Lebensbewegung emporhebt in die göttliche Norm, sondern lediglich Christi meritum an die vom Menschen selbst leer gelassene Stelle setzt. Damit war jene »tote« Orthodoxie gegeben, die den Zusammenbruch des Dogmas unmittelbar verschuldet hat. Was haben sich wissenschaftlich gebildete Katholiken und Protestanten gegenseitig zuzumuten? Womit werden sie sich als tolerant erzeigen? Der Protestant kehrt die Schriftautorität gegen die Tradition, der Katholik betont seinerseits die Autorität der Tradition, und gegen beide kehrt sich eine irreligiös gewordene Wissenschaft. Intolerant erweisen sie sich nicht dadurch, dass jedes sein Recht behauptet, tolerant nicht dadurch, dass sie sich indifferent für das Recht der Traditions- und Schriftautorität zeigen, sondern dadurch erweisen sie ihre wahre Toleranz und Aufklärung, dass sie das freie 253 ›Nützliches Anwenden‹. Gerichtet ist diese Kritik gegen die Position, der Mensch sei im Errettungsgeschehen ein nur passives Wesen. Vgl. dazu Schlatter, Dogmatik, S. 38–51 (›Die passive Bekehrung‹). Zu einem ersten Akt der receptio muss demnach ein zweiter Akt der aktiven Aneignung hinzutreten. Hier liegt auch eine Wurzel für Schlatters Blick auf die forensische Einseitigkeit des Protestantismus, der zu wenig zu einer Theologie der Liebe finde. Vgl. Schlatter, Der Dienst des Christen. Beiträge zu einer Theologie der Liebe, hg. von Werner Neuer, Gießen/Basel 2002, siehe insbesondere auch die ›Einführung‹, ibid., S. 7–19. Vgl. auch die reformationskritische Sicht Baaders, SW X, 135. 254 ›Meritum‹ bedeutet ›‹Verdienst‹. Hier insbesondere das Verdienst Jesu Christi, das er durch sein stellvertretendes Strafleiden erworben hat. 255 Schlatter wendet sich damit gegen eine protestantische Aushöhlung des ›sola gratia‹ der Rechtfertigung und ihre Abkoppelung von jedweder Heiligung und Umgestaltung als latenter Gefahr einer Verzerrung der evangelischen Erkenntnis. Vgl. dazu die vollständige Entwicklung des Lehrbegriffs bei W. Pannenberg, Systematische Theologie Band 2, Göttingen 1991, S. 433ff und S. 441ff. Siehe aber auch die ekklesiologische Einbettung in: Pannenberg, Systematische Theologie, Band 3, Göttingen 1993, S. 265ff.
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Zugleich-Bestehen-Können und Zugleich-Bestehen-Sollen aller drei Autoritäten, der Tradition, Schrift und Wissenschaft anerkennen und überall de facto geltend machen.256 Die Zersetzungsprodukte des alten Protestantismus sind Rationalismus einerseits, Pietismus andrerseits. Jener tritt als direkte Negation Christi auf mit mehr oder minder konsequenter Gottesleugnerei; dieser ist fromm, aber ohne Kirche auf der Flucht in den individualistischen Separatismus, und im Zusammenhang damit auch ohne Wissenschaft auf der Flucht ins Gefühl. In der Abwendung von der Erkenntnis Gottes berühren sich beide: denn wenn jener das kirchliche Dogma für unverständig erklärt, dieser für unverständlich, so sind dies verwandte Stellungen. Zum Verständnis derselben, zur Aufnahme derselben ins Erkennen [39] kömmt es weder hier noch dort. Die pietistische Gefühlsfrömmigkeit steht vielmehr der katholischen blinden Autoritätsgläubigkeit innerlich sehr nah. Alle diese Erscheinungen veranschaulichen die Not der Zeit, denn sie vergegenwärtigen den Zwiespalt zwischen unserm Glauben und unserm Wissen, und hier liegt das Grundübel derselben. Auch der Pietismus, wenn er auch um seines frommen Ernstes willen geschont werden soll, unterliegt demselben doch auch seinerseits und ist darum nicht Hülfe für unsre Situation. Vielmehr alles, was die Überzeugung verdunkelt, dass der Staat die bürgerliche Freiheit und dass die Kirche die Freiheit der Intelligenz begründet, führt dort wie hier zum Revolutionismus, zu jenem motus turbidus,257 der das Zerrbild der in ihrem göttlichen Grunde bleibenden und darum auch in ihrem Ziel sich vollendenden Lebensbewegung ist. 256 Damit ist ein durchaus zukunftweisender Anspruch an eine Ökumene aus der Wahrheit formuliert. Vgl. dazu auch die sehr ähnlich gelagerten Prolegomena in: W. Pannenberg, Systematische Theologie, Band 1, Göttingen 1988, S. 11ff. 257 Eine störende Bewegung oder – im übertragenen Sinne – ein Umsturz oder Staatsstreich. Vgl. dazu etwa Tacitus, Hist., 1, 16 oder Quintilian, Inst. 8, 5, 35, bzw. 9, 1, 2.
III. Baaders Lehrer Mit unermüdlicher Beharrlichkeit hat Baader auf zwei Männer als auf seine Lehrer hingewiesen, denen gegenüber er sich empfangend verhalte: Jakob Böhme258 und Louis Claude de St. Martin.259 Beide gehören nicht zu den geltenden Autoritäten in der wissenschaftlichen Tradition; Böhme stand vom wissenschaftlichen Handwerk ganz abseits. St. Martin ist durch seine soziale Stellung in die modernen Begriffsreihen hineingestellt, steht aber zu ihnen in einer bewussten totalen Opposition, welchem Gegensatz er auch in seiner Selbstbenennung Ausdruck gibt: un philosophe inconnu. Beide stehn miteinander in innerm Verbunde, sofern auch St. Martin Böhme las und übersetzte und kommentierte. Wir werden hier auf eine Tradition geführt, die neben der vulgären und wissenschaftlichen Überlieferung sich fortpflanzt, still, verborgen, aber lebenskräftig als ein keineswegs wirkungsloser Faktor in unsrer geistigen Gesamtexistenz.
258 Vgl. zu J. Böhme (1575–1624) G. Bonheim, Zeichendeutung und Natursprache, a.a.O.; J. Hoffmeister, Der ketzerische Schuster. Leben und Denken des Görlitzer Meisters Jacob Böhme, Berlin 1976; A. Koyré, La Philosophie de Jacob Böhme, Paris 1929, NA 2000. Ebenso die differenzierte Darstellung der Böhmeschen ›Theosophie‹ bei Koslowski, Philosophien der Offenbarung, a.a.O., S. 207ff, sowie F. Ferstl, Jacob Böhme. Der erste deutsche Philosoph. Eine Einleitung in die Philosophie des Philosophus Teutonicus, Berlin 2001. 259 Zu Louis Claude de Saint-Martin (1743–1803), der theosophische mit freimaurerischen und später mesmerisierenden Überlegungen verband und im 18. Jahrhundert in frommen und spekulativen Kreisen starke Resonanz fand, vgl. G. Wehr, Louis Claude de SaintMartin. Der »unbekannte Philosoph«, Berlin 1995.
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§ 1 Jakob Böhme Jakob Böhme war 1575 in Altseidenberg in Böhmen260 von armen Eltern geboren und wuchs Vieh hütend in ärmlichen Verhältnissen auf. Dann wurde er zu einem Schuhmacher in die Lehre getan. Von früh auf war er fromm und sinnig, ja mehr als das visionär, so gab ihm der Meister den Abschied, weil er keinen Hauspropheten wolle. Als wandernder Geselle kömmt er in die protestantische Welt hinaus mit ihrer theologischen Polemik, und verfiel in Zweifel, gegen die er sich durch eigne angestrengte Schriftforschung half. Da wird er während der Arbeit plötzlich in einen Zustand seliger Ruhe versetzt, in einen Sabbath der Seele, welcher sieben Tage anhielt, während deren er in seinem Innern wie umflossen war von einem göttlichen Licht. Nachdem er 1594 nach Görlitz zurückgekehrt und [15]99 Meister geworden und in die Ehe getreten war, erlebte er 1600 eine eigenartige innere [40] Erleuchtung. Die Veranlassung bildete ein hell spiegelndes zinnernes Gerät. Es war ihm, als könne er in das Innerste der Dinge hineinschauen, und als er hinausging, war ihm auch die Natur licht. 1610 sammelte sich ihm das stückweise Geschaute in ein inwendiges Ganzes, und der Trieb zum Schreiben stellte sich ein. Er schrieb vor und nach der Arbeit, seiner selbst nicht mächtig, das war die [›]Morgenröthe im
260 Diese Verortung ist nicht üblich – man spricht normalerweise von Böhme als dem »schlesischen« Mystiker (vgl. Ch. Waldemar, Jakob Böme der schlesische Mystiker, München 1959). Zur Zeit seiner Geburt gehörte sein Geburtsort Altseidenberg bei Görlitz zwar tatsächlich zu Böhmen, seit 1635 aber zu Sachsen und seit 1815 zum preußischen Schlesien, heute zu Polen.
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Anfang[‹].261 Noch ehe das Werk, übrigens nicht das klarste und vollendetste, fertig war, wurden Abschriften davon genommen und in Zirkulation gesetzt.262 Eine solche fiel dem Pastor primarius der Stadt, Richter, in die Hand. Darauf erfolgte eine Predigt wider die falschen Propheten und der Rat wies ihn am nächsten Tage aus. Letzteres wurde revoziert,263 aber die [›]Aurora[‹] musste er ausliefern, und das Schreiben wurde ihm untersagt. Er gewann Freunde, den Görlitzer Arzt und den Direktor des Dresdener Laboratoriums Walther. Sieben Jahre gehorchte er dem Befehl des Rats, obgleich er oft in tiefe Betrübnis verfiel und das Licht sich ihm zu entziehen schien, weil er es nicht mitteile. Schließlich wagte er sich auf Zureden seiner Freunde wieder ans Schreiben: und nun entstanden 1614–24 eine Reihe von Aufzeichnungen: von den drei Prinzipien264, vom dreifaltigen Leben des Menschen265, ›von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen‹266 – ›Von der Gnadenwahl‹ [1623], das Mysterium magnum267, ›Vierzig Fragen über die Seele‹ [1624), Von der Menschwerdung Christi. Einiges Erbauliche, der Weg zu Christus betitelt,268 wurde gedruckt und veranlasste eine neue grobe Polemik Richters. Böhme reichte eine Schutzschrift ein und antwortete öffentlich, der Rat gab ihm den Rat, er solle auswandern. Böhme ging nach Dresden, wo ein Kolloquium mit maßgebenden Theologen, darunter Gerhard,269 stattfand. Dieselben erklärten sich 261 J. Böhmes einschlägiges Werk trägt den Titel: ›Aurora, oder: Morgenröthe im Aufgang‹, 1612. 262 »In Umlauf setzen«. 263 ›Revozieren‹: zurücknehmen. 264 ›De tribus principiis‹ – ›Von den drei Prinzipien göttlichen Wesens‹, 1619. 265 ›De triplici vita hominis‹ – ›Von dem dreifachen Leben des Menschen‹, 1620. 266 ›De signatura rerum‹, 1623. 267 ›Mysterium Magnum‹ – ›Erklärung über das Erste Buch Moses‹, 1623. 268 Christosophia – Der Weg zu Christus, 1621. 269 Johann Gerhard (1582–1637) war seinerzeit Theologieprofessor in
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in der Sache nicht für urteilsfähig, sie könnten und wollten den Mann nicht verurteilen, jedoch auch nicht seinem sonderlichen Beruf und seinen eigenartigen Gedanken sich anschließen. Geschützt durch dieses Zeugnis, kehrte er zurück und starb bald darauf 1624. Was ihn charakterisiert, ist zunächst dieses überaus intensive Erkenntnisstreben. Ihm ist Erkennen ein Bedürfnis des Lebens in des Wortes vollstem Sinn. Und schon darum kömmt ihm eine bleibende, unvergessliche Bedeutung zu. Wenn wir in gemeinsamer Arbeit im Fort [41] gang der Geschlechter in der Kirche Begriffe suchen, ein Lehrwort, das ein Erkennen zum Ausdruck bringen soll, so ist das nicht nur Luxus, ein Schmuck des Lebens, der, [wenn schon einmal] vorhanden, allerdings wertvoll ist, aber auch entbehrt werden könnte, sondern diese Arbeit ist eine innerlich notwendige, zur Lebenserhaltung des Menschen unentbehrliche. Geister bedürfen des Lichts, und wer ihnen das Licht nimmt, tötet sie; wer Licht gibt, der begründet Leben.270 Und diesen Ernst, der im Erkenntnisstreben liegt und dem berufsmäßigen Betrieb desselben nur zu leicht sich bedeckt, den repräsentiert Böhme in klassischer Weise. Nichts in seiner äußeren Situation berief ihn zum Forschen und Lehren, vieles widersprach in dieser Sphäre jenem Triebe direkt.271 Er war von allen Hilfsmitteln äußerer Art völlig entblößt, er musste sich bis auf die Worte hinaus alles selbst bilden, er riskiert ein sehr peinliches Martyrium. Aber mit der unwiderstehlichen Gewalt eines physischen Hungers, mehr noch mit der unverweigerlichen Heiligkeit eines ethischen ImperaJena. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Theologen der Lutherischen Orthodoxie. 270 Damit referiert Schlatter einen Grundgedanken Jacob Böhmes, den man eher als theosophisch denn als dogmatisch-religionsphilosophisch identifizieren wird. Eine Distanznahme zur eigenen Konzeption ist zwar nicht explizit gemacht, man wird aber keineswegs davon ausgehen dürfen, dass Schlatter sich die Böhmesche ›Theosophie‹ vollständig angeeignet. 271 Zu den biographischen Umständen Jakob Böhmes vgl. G. Wehr, Jakob Böhme. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek 82002.
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tivs tritt das Verlangen nach Erkenntnis in ihn. Weiter ist die Art dieses Verlangens bezeichnend. Er sucht nicht ein abstraktes Wissen, nicht jenen Überblick über eine Vielzahl von Dingen, [der]272 sie nach Allgemeinbegriffen ordnet, gruppiert und benennt. Das Erkennen, welches er sucht, liegt in der Linie des Sehens, Schauens. Es ist nicht eine Bewegung in die Breite, sondern in die Tiefe, er sucht den Grund. Sein Streben ist auf Gott gerichtet, aber nun nicht in der Weise der traditionellen Theologie, nicht auf einen von den Dingen und der Welt abgelösten Gottesbegriff. Er sucht die Dinge, aber273 in Gott und Gott in den Dingen. Jener erleuchtende Moment bringt ihm nicht eine Gottesvision, sondern zieht von den Dingen um ihn her gleichsam die Hülle ab, so dass sie ihm in ihrem Verbund mit Gott schaubar sind. Das charakterisiert seine Tendenz. Er steht mit dem, was man die mittelalterliche und reformatorische Mystik zu heißen pflegt,274 in deutlichem Konnex. Ganz ohne Tradition denkt natürlich auch er nicht, so dass er vollständig isoliert lediglich sein eignes geistiges Gebilde wäre. In diesem absoluten Sinne ist kein Mensch Autodidakt. Es fließen ihm vielmehr auf allerlei stillen Wegen die mystischen Traditionen zu, wie er selbst seither eine reiche Quelle von solchen geworden ist. Aber er unterscheidet [42] sich von dieser ältern Mystik sehr bestimmt dadurch, dass er sich nicht wie diese negativ zur Natur verhält. Er will nicht durch Abstraktion vom Leiblichen, Sichtbaren, Irdischen das Geistige, Unsichtbare, Göttliche fassen, sondern jenes ist der Zeuge und Bote Gottes und des göttlichen Wesens. Alles Sichtbare wird ihm Gleichnis, es wiederholt in sich denselben Lebensprozess, der Gott selbst eignet urbildlich und schöpferisch. In der Kreatur ist er abbildlich und geschaffen, aber er bleibt auch so die Analogie, der Reflex des Göttlichen. 272 Im Original fälschlich: »die«. 273 Im Original bleibt das aus einer gestrichenen Passage übernommene »und« vor »aber« fälschlich stehen. 274 Vgl. zum Begriff einer »reformatorischen Mystik« wiederum den in Fußnote 248 genannten Sammelband, darin insbesondere den Aufsatz von Sven Grosse.
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In diesem Streben lag der Einheitspunkt zwischen Baader, aller frommen oder unfrommen Leugnung und Geringschätzung des Erkennens gegenüber aller formalen Verfremdung desselben zuwider und namentlich auch aller Geringschätzung der Natur entgegen, welche mit einem Sprung über sie hinweg Gott fassen will. Und er war überzeugt, dass Böhme nicht bloß gesucht, sondern auch gefunden habe, und es machte ihm eine positive Freude, Schelling und Hegel und allen berühmten Kathedernamen seiner Zeit immer wieder zu sagen, dass jener Schuhmacher mehr gesehn und mehr verstanden hätte als sie alle, dass sie nichts Klügeres thun könnten als bei ihm zu lernen.275 Und darin lag nicht nur ein ironischer Spott, sondern zugleich der tief ethische Gedanke, dass gerade dann, wenn die größten Probleme angefasst werden, die tiefste Demut unerlässlich sei, welche da lernt, wo zu lernen ist.
275 Vgl. insbesondere Baader SW XV, S. 235, S. 238, S. 494ff und S. 572.
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§ 2 Saint-Martin Auch St. Martin war nicht theologischer oder philosophischer Fachmann, sondern nach seiner äußern Lebensstellung Militär. Er ist 1743 in Amboise geboren, wurde zum Rechtsstudium bestimmt und trat dann in die Armee ein. Hier wurde er mit dem Spanier276 Martinez Pasqualis bekannt,277 einer jener eigentümlichen Gestalten, wie sie das letzte Jahrhundert mitten in allem Rationalismus und Aufklärungsstreben mehrfach aufzeigt. Pasqualis erklärte, eine Geheimlehre zu besitzen, die zugleich den Schlüssel zu effektiven Aktionen biete, in der Richtung auf [?] Gott und die Geisterwelt, und zur Kultur dieser Lehre und zur Ausübung seiner Theurgie stiftete er einen Geheimbund, eine Art religiösen (?) Orden mit geheimer Institution. St. Martin trat bald wieder aus diesem Kreise zurück, behielt aber bleibend eine Vertiefung seines Innenlebens, das nun auf Durchdringung der [43] heiligen Mysterien gerichtet blieb. Er trat 1787 aus der Armee aus und brachte längere Zeit auf Reisen in England und Deutschland zu. In Straßburg lernte er deutsch, um Böhme zu lesen. Darauf kehrte er nach Paris zurück, ward dort von den Revolutionswirren mitbetroffen, wurde verbannt und starb 1803 in Armut in Aulnay.278 Mitten in den Revolutionslärm fällt seine Schriftstellerei, die ziemlich ausgebreitet ist: ›Von den Irrtümern und der Wahrheit‹;279 ›Natürliches Bild der 276 Von Geburt her ist Pasqualis allerdings Portugiese. 277 M. de Pasqualis (1727–1772): Theosoph, theurgischer Denker und Gründer eines eigenen geheimbündlerischen Ordens. 278 Schlatter schreibt fälschlich ›Auray‹. 279 Des Erreurs et de la vérité. 1773. Eine deutsche Übersetzung von Matthias Claudius, Breslau 1782.
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Beziehungen, die zwischen Gott, Mensch und Welt bestehen‹;280 ›Der sehnende Mensch‹281[›], ›Ecce homo‹[1792];*282 dazu einiges Poetische.283 Er vertritt neben Böhme und auch neben Baader bei aller Einheit der Grundanschauungen doch wieder einen eigenartigen Typus geistiger Existenz. Baader führte gelegentlich gegen Hegel aus, dass der Begriff zur Empfindung strebe und nur darin seine Wahrheit und Kraft betätige, dass er die ihm entsprechende Empfindung zu erzeugen vermöge. Dieses Moment, der Umsatz der spekulativen Gesichtspunkte in die ihnen parallelen Affekte, tritt bei St. Martin sehr in den Vordergrund.284 Er ist der theologische Lyriker. Aber der Schwung des Affekts wird nichts weniger als gedankenlos, vielmehr nährt und hält er sich konstant an dem durchschauenden erkennenden Blick. Diese lyrische Gestalt seiner Schriftstellerei öffnet einerseits, erschwert andrerseits seine Mitteilungen. Es liegt eine öffnende, erleichternde Kraft in dieser Poesie, da sie das Ergebnis der logischen Operation und nicht diese selbst in einer vielgeteilten Dialektik bietet, und dasselbe der Fassungskraft des Herzens nahelegt. Andrerseits ist sein Affektenleben ein so hochgespanntes, erregtes, und die Lyrik wird konstant zum Hymnus in einer Höhe, die dem Leser eine starke und anhaltende Anspannung zumutet. Dafür ist er aber auch auf jeder Seite an hellen, lichtvollen Gedanken reich. Leider hat sich auf französischem Boden noch niemand gefunden, der eine Gesamtausgabe seiner zerstreuten Schriftstellerei 280 Tableau naturel des rapports qui unissent Dieu l’Homme et l’Uni vers, 1782. 281 L’Homme de Désir’, 1790. * Dies nach Baader seine reifste Schrift, XII, S. 369. Gemeint ist damit dessen Autorität im umfassenden Sinn. Vgl. dazu Rahel Varnhagen von Ense und Karl August Varnhagen von Ense, Angelus Silesius und Saint Martin, Berlin 31849. 282 Zugänglich sind die Werke von Saint-Martin heute in der Ausgabe: Oeuvres majeures, Hildesheim 1974–1990. 283 Im Original fälschlich: »Poetisches«. 284 Vgl. dazu Baader SW Band XII, S. 333.
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besorgt hätte, wie dies Baader durch seinen Schülerkreis zuteil geworden ist. [44]285
285 Die gesamte Seite 44 wurde von Schlatter gestrichen. Der Argumentationsgang ist inhalts- und weitgehend textidentisch mit dem auf S. 45 folgenden. Allerdings erfolgte offensichtlich eine Revision zu der Form von Lehrsätzen und ihrer Erläuterung.
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IV. Erkenntnislehre
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§ 1 Begriff der Philosophie 1. Lehrsatz: Philosophie ist ein religiöser Begriff; denn er hat das Gottesbewusstsein in sich. Wer von »Liebe zur Weisheit« spricht, der anerkennt die objektive Existenz einer bereits fertigen Weisheit, die er von sich selbst und seinem eignen Bewusstseinsinhalt unterscheidet, da er sie als das Gesuchte, Erstrebte bezeichnet, auf dessen Erlangung er seine Aktivität richtet. Wer von Philosophie spricht, bejaht, dass Weisheit und folglich ein Weiser und Weisender da ist, dass aber der Mensch nicht selbst jene Weisheit ist noch sie als sein Eigentum hat, sondern dass er bestimmten Gesetzen folgend oder nicht folgend ihrer teilhaft wird oder nicht wird. Er spricht für sich die Notwendigkeit des sich Weisenlassens aus, der Unterordnung (Subjektion)286 unter jene Weisheit, die über ihm steht. So hat der Begriff Philosophie die Bejahung Gottes in sich, und die Leugnung Gottes negiert auch den Begriff der Philosophie, weil sie den Weisen und damit auch die Weisheit negiert, welche der Philosoph zu lieben und zu suchen erklärt. Eine irreligiöse »Philosophie« verzehrt sich darum notwendig in einem Selbstwiderspruch, sei es, dass sie die Welt als gedanken- und weisheitlos beurteilt und nun doch »Weisheit« aus ihr ziehen will; sei es, dass sie den Menschen als den Quell und »Schöpfer« der Weisheit poniert, und doch nicht leugnen kann, dass dieser sie nicht hat, sondern erst suchen und empfangen muss.
286 Der denkende Intellekt soll sich also unter jene ihm vorausgehende Weisheit subjizieren, also ›unterstellen‹ bzw. ›unterwerfen‹.
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2. Lehrsatz: Das erste uns gegebene Wissen ist das Wissen um Gott. Wir können nicht denken, ohne vor und über uns eine Vernunft zu bejah[e]n, der wir teilhaft zu werden suchen, um selbst vernünftig zu werden, während wir uns als unvernünftig wissen, solange sie uns entzogen ist. Nur Gedachtes ist denkbar. Unser eignes Denken ruht im Bewusstsein, dass ihm außer uns ein Denken vorangegangen ist, dem wir nachdenken können. Das, wonach wir denken, kann aber nur ein Gedanke sein. Wie unser Wollen nur einen Willen wollen kann, so kann unser Denken nur ein Denken denken; Intelligenz hat zum Inhalt und Objekt nur Intelligenz. Nun weiß der Mensch, dass er nicht der erste anhebende Denker ist, dass nicht sein Denken dem Erkannten Intelligibilität verleiht; es ist folglich in jedem Erkenntnisakt, in jedem Akt des Selbstbewusstseins Gottesbewusstsein mitgesetzt. Jeder Akt des Selbstbewusstseins ist conscientia syneidesis287 im höchsten Sinne des Wortes, nicht nur so, dass wir uns selbst scheiden in den Wissenden und Gewussten, sondern auch so, dass wir unser Wissen als ein sekundäres wissen, als ein Mitwissen mit Gottes Wissen, folglich ein Gekannt- und Gewusstsein von Gott bejah[e]n. Und dieses Sich-Gekannt-Wissen ist ebenso original und primitiv in uns als unser Sich-selber-Wissen; es ist unsrem Selbstbewusstsein von Haus aus immanent. Nicht nur den Gewissensvorgängen im engern Sinn, sondern jedem Erkenntnisakt eignet der Charakter der Conscienz,288 obgleich 287 Vgl. H.D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt a.M. 1991; siehe auch P. Dauner, Das Gewissen. Dissertation Univ., Stuttgart 2005. Online als pdf-Datei zugänglich. 288 »Des Mit-wissens«, womit wiederum auf die etymologische Wurzel des Gewissensbegriffs angespielt wird. Vgl. zum Gewissensbegriff auch die magistrale Abhandlung von Erich Heintel, Zum Begriff des Gewissens im Gesamtraum der Humanität mit besonderer Berücksichtigung seiner Ursprünge in der Antike und bei Kant, in: Erich Heintel, Gesammelte Abhandlungen, Band 6, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, S. 317ff.
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derselbe in jenen am frappantesten sich geltend macht. Wenn in unserm Selbstbewusstsein eine richterliche Funktion hervortritt, die sich gegen uns selber kehrt, so dass es sich zum Selbstgericht gestaltet, so tritt hierin vollends zutage, dass wir uns gekannt wissen und in ein Auge sehn, das uns sieht und von dem wir wissen, dass es uns sieht. Gegen den, dem wir verborgen sind, haben wir kein Gewissen. Die Nötigung zur Selbstbeurteilung entsteht daraus, dass wir uns einem uns Beurteilenden gegenüberfinden, dessen Urteil in unsrer urteilenden Funktion seinen Reflex hat; wir beweisen in dieser unsre Kenntnis seines Spruchs. [46] Die Richtigkeit dieser Beobachtung bewährt sich darin, dass sich der Wissenstrieb in doppelter Richtung bewegt, nicht nur von außen nach innen als Aneignung und Mehrung des Wissensstoffs, sondern ebenso sehr in der Richtung von innen nach außen als Aussprache und Mitteilung des von mir Gewussten. Das Bedürfnis, sich zu offenbaren, sich dem erkennenden Einblick andrer zu erschließen, ist uns ebenso konstitutiv als das Verlangen, unser Bewusstsein mit Erkenntnissen zu füllen. Wir wissen unser Wissen als ein mitteilbares, also nicht als unsern singulären Besitz, sondern als einen Gemeinbesitz, der erst dadurch wahrhaft unser wird, dass er auch von andern geteilt wird. Und mitteilbar ist es dadurch, dass es ein Teilhaftsein an einem universalen Erkennen, an einer in sich vollendeten Weisheit ist, die über allen einzelnen wissenden Subjekten steht, allen sich öffnend, alle verbindend in der Einheit einer selbigen Vernunft.289 Der Ausgangspunkt der Philosophie kann darum niemals Solipsismus290 sein. Als Kartesius einen festen unbezweifelbaren Aus289 Vgl. dazu Schlatter, Dogmatik I § 27: Der Gottesbeweis aus dem Wissen, 21923, S. 99ff, insbes. S. 98. 290 ›Solipsismus‹: Eine Haltung bzw. Philosophie, die von der Ausschließlichkeit der Ichperspektive in der 1. Person singular ausgeht. Sie kann metaphysisch, erkenntnistheoretisch, aber auch ethisch angelegt sein. Der Transzendentalphilosphie zwischen Descartes und Fichte wurde, aufgrund ihrer starken Betonung der Subjektivität, immer wieder der Vorwurf des Solipsismus gemacht.
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gangspunkt für seine Gedankenreihe suchte, griff er nach dem cogito;291 aber er übersah, dass das cogitor uns nicht minder gewiss und gegeben ist als das cogito. Der Mensch weiß sich nicht allein, als ob er zuerst ein Selbstbewusstsein hätte und nun nachträglich zu demselben hinzu ein Gottesbewusstsein fügen müsste, als fände er sich zuerst von sich selber und für sich selber seiend, so dass er erst nachträglich die Entdeckung machte, dass er nicht von sich selbst noch für sich selbst bestehe. Vielmehr, wenn der Mensch auch nur in seinem Herzen denkt und spricht,292 so weiß er sich nicht allein, sondern als Gott bekannt. An die Stelle des unvollständigen Kartesianischen Schlusses, der die Beobachtung zu früh abbricht, cogito ergo sum, ist darum der andre zu stellen, welcher erst das im Selbstbewusstsein Gegebene voll zum Ausdruck bringt: cogitor ergo sum ergo cogito; weil wir erkannt sind, sind wir und erkennen wir. Wenn Kartesius meinte, es gebe ein sichereres Wissen als das um Gott, von welchem aus er über das Dasein Gottes richten könne, so war das Phantasterei; wir haben schlechthin kein früheres und festeres Wissen als das von Gott, und nicht erst nachträglich tritt der Gottesgedanke in unser Erkennen ein, sondern er ist in unserm ersten Wissen bereits enthalten. Es gibt deshalb keinen wirklichen Atheismus, sondern alle Gottesleugnung hat in ihrer Negation Gottes doch zugleich eine Position des Gottesgedankens, da sie stets ein Surrogat und Äquivalent desselben aufstellt, heiße man es Materie, Natur, objektive Vernunft etc.; immer ists ein schaffender und regierender Weltherr. 291 Damit verweist Schlatter auf das für die Neuzeit fundamental entscheidende: »Ich denke, also bin ich« »Ego cogito, ego sum« als schlechthin gewisses Fundament (»fundamentum inconcussum«) in der 2. Meditation ›De prima philosophiae‹. Zur Verankerung des Cartesischen ›cogito‹ im göttlichen intelligiblen Absoluten siehe grundlegend: W. Pannenberg, Theologie und Philosophie. Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte, Göttingen 1996, S. 142ff. 292 So Psalm 14,1 und Psalm 53,1 der Verweis auf die Worte der Toren zu sich selbst, dass kein Gott sei. Dies ist bekanntlich der Punkt, an dem das ontologische Argument Anselms von Canterbury ansetzt.
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Die Wahl ist niemals die, ob Gott zu bejah[e]n oder verneinen sei, sondern nur die, was für ein Gott zu bejahen sei. Der Atheismus ist nur Versetzung des Göttlichen ins Nichtgöttliche hinab, und Römer 1,23.25 bezeichnet den tiefsten Punkt, bis zu dem die Intelligenz sinken kann; sie kann nicht noch tiefer sinken, nämlich bis zur völligen Leugnung Gottes hinab, weil dem Menschen ein Wissen um Gott [47] gegeben ist. Es ist darum nicht die Aufgabe unsres Denkens, Gott zu beweisen. Wenn Kartesius, nachdem er sich seines eignen Denkens und Seins versichert hatte, nun daran ging, Gott zu beweisen als die nächst notwendige Funktion der Systembildung, so war dies unvernünftig, weil wir Gott nicht als des Beweises bedürftig behandeln können, ohne eine versteckte Gottesleugnerei zu begehn. Und darin liegt der Grund für die Ohnmacht jener Gottesbeweise, für ihre Unfähigkeit, einen Glaubensakt zu begründen; sie kommen ihrem Anfang, der in ihnen enthaltenen maskierten Negation Gottes entsprechend auch nur zu einem negativen Resultat.293 Eine Gottesleugnung liegt in jenem Beweisverfahren deshalb, weil Gott dabei lediglich als Objekt unsres Erkennens aufgefasst und nur als cognoscibile294 betrachtet wird, das in Passivität unsrer erkennenden Funktion hingegeben ist. Er wird behandelt wie die unter uns stehenden Erkenntnisobjekte, welche unsrem Begreifen 293 Hier zeigt sich Schlatters durchgehender realistischer Grundgedanke, den er letztlich Thomas von Aquin verdankt, wonach rationale Schlüsse nur auf der Grundlage der Wahrnehmung gefällt werden können. Vgl. ders., Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis: »Wie können wir überhaupt Dasein beweisen? Dasein beweist sich selbst und wenn es sich nicht selbst beweist, können wir es durch keine Deduktionen beweisen. »Dasein«, noch unveröffentlichtes Originalmanuskript, S. 19. Deshalb, so fährt sein Gedankengang fort, könne man auch nicht eine bestimmte Anzahl von Gottesbeweisen nennen. Jedes Handeln Gottes in der Welt sei eine Art von Gottesbeweis. Siehe auch Schlatter, Briefe über das christliche Dogma, Kapitel 11, S. 30–33. 294 ›Cognoscibile‹: ein ›Erkennbares‹, bzw. zu Erkennendes. Ein gängiger Begriff der lateinischen Metaphysik seit Aurelius Augustinus.
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und Beweisen exponiert sind und sich demselben nicht entziehen können, weil sie in unsre Macht gegeben sind. Diese Versetzung Gottes in Passivität ist das unfromme Element in jenen Gottesbeweisen, die in ihnen enthaltene Negation Gottes. Wenn wir ihn bejahen wollen, können wir ihn nur als den aktiven, nicht als den unserm Erkennen Unterstellten, sondern als den über uns Stehenden, in seine Erkenntnis Erhebenden denken. Gott ist nicht nur Objekt, sondern zuerst Subjekt, dessen selbsteignes Thun all unser Wissen von ihm bedingt. Damit wird Kenntnis Gottes keineswegs unmöglich. Freilich gilt der Satz: scientia et potentia in idem coincidant.295 Denn Erkennen ist Erhebung über das Erkannte; es findet im Erkennen Aneignung und Besitznahme des Erkannten statt; und wenn sich hiebei das Erkannte passiv verhält, so erweist es sich uns subjiciert,296 subordiniert,297 und gehört einer uns untergebnen Region an, über die wir ein Dominium besitzen. Ein Gott, der gewusst werden könnte, anders als durch ihn selbst, wäre folglich selbst kein Gott. Aber es gibt nicht nur ein errafftes Wissen, das sich der Mensch in eigner Machtvollkommenheit nähme, sondern es gibt auch ein gegebnes Wissen, ein Wissen um Gott, in welchem Gott selbst uns aktiv entgegenkömmt und uns zu seiner Erkenntnis sollicitiert298 und befähigt. Darum liegt darin, dass Gott Objekt, Inhalt und Besitz unserer Subjektivität wird, kein Widerspruch und Gegensatz zu seiner absoluten Lebenshoheit, da dies auf seinem eignen freien Niedersteigen beruht. Unmöglich ist nur dies, dass es ein Erkennen Gottes geben könnte, das von etwas anderem ausginge als von Gott selbst und durch etwas anderes vermittelt wäre als durch Gott selbst. Alles Erkennen Gottes ist Gottes Gabe und an dieser 295 So wiederum das Diktum »Wissen ist Macht« nach F. Bacons ›Novum Organon‹. Siehe dazu weiter oben Fußnote 140. 296 Deutsch: ›sich unterordnet‹, bzw. ›unterwirft‹. 297 Deutsch: ›unterordnet‹. 298 Deutsch: ›veranlasst‹, ›verursacht‹. Ein in der Metaphysik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gängiger Begriff.
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Gabe beginnt unser gesamter Denkprozess. Unser Wissen ist darum zwiefacher Art, es ist teils ein gegebenes, teils ein uns aufgegebenes; und die Aufgabe, welche unsrm Wissen gestellt ist, entsteht erst durch die Gabe; sie ist das primitive Moment.299 Darum sind jene traditionellen Gottesbeweise lediglich Affektation, sofern der Mensch in ihnen als ungewiss und problematisch behandelt, was ihm nicht verborgen und ungewiss ist. Freilich kann auch in einem richtigen Sinne von Gottesbeweisen die Rede sein, [48] nämlich [nicht]300 in dem Sinn, als ob Gott bewiesen würde, sondern so, dass Gott sich selbst beweist, wie es denn Gott ist, der uns alles, auch uns selbst beweist. Gott ist sein eigner Zeuge. Und in diesem Sinne den Gottesbeweis uns und andern zu vermitteln, das ist allerdings die Aufgabe aller Wissenschaft, ja mehr noch allen menschlichen Handelns.301 Wenn Jesus von sich selbst aussagt, er sei dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass er der Wahrheit Zeugnis gebe, so definiert er den wahrhaft menschlichen Beruf. Es ist ein Zeichen der Zerrüttung, wenn wir die Natur um Gott befragen und von ihr den Gottesbeweis erwarten, während wir ihn doch selbst in unsrem eignen Sein und Wirken geben sollten. Die Natur ist auf uns als auf die Träger der Manifestation Gottes angewiesen, und nicht umgekehrt, wir sollten folglich der Natur Gott beweisen, mehr noch: wir sollten auch die Natur Gott beweisen machen. Darin deckt sich der Grund unsres Daseins und unsrer gesamten Befähigung zu eigner Aktivität im Erkennen und Wirken auf: causa vitae testimonium 299 Auch an dieser Stelle bedeutet ›primitiv‹ ›originär‹ und ›ursprünglich‹. 300 Im Original fehlt die Verneinung fälschlich, die aus dem Sinnzusammenhang allerdings als unerlässlich erscheint. 301 Vgl. dazu W. Pannenberg, Systematische Theologie I, unter Bezugnahme auf Römer 1, insbesondere S. 230ff und S. 288ff. Neuer, Adolf Schlatter, a.a.O., S. 97 referiert einen Brief Schlatters anlässlich der Geburt des Sohnes Theodor, in dem er ihn als »Der Wahrheit ein Zeuge« charakterisiert; ein Gedankenmotiv, das Schlatter gerade in dieser Zeit beschäftigt,
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Dei.302 Und wenn wir uns nach außen kehren, als fänden wir in uns selbst kein Zeugnis Gottes und von der Natur verlangen, was wir selbst nicht in uns haben, so ist dies nicht nur logische Impotenz, sondern in und mit derselben offenbart sich zugleich unser ethischer Defekt, unser Abgefallensein vom Grunde unsres Lebens. 3. Lehrsatz: Der Schlüssel zur Gottes- und Naturerkenntnis ist der Mensch. In Gott muss unser Denken anheben und enden, als in seinem Prinzip und in seinem Ziel. Das heißt aber nicht, dass wir einen abstrakten Gottesgedanken in das Zentrum unsrer Gedankenbewegung zu stellen hätten, wie er sich als toter Überrest eines lebendigen Erkenntnisprozesses der Tradition einreiht, sondern der sich selbst bezeugende, der wirkende Gott ist Prinzip wirklicher Erkenntnis, und es hat sich darum der Aufbau und die Gliederung unsres Denkens dem Gange des göttlichen Wirkens konform zu gestalten. Das Organ der göttlichen Selbstbezeugung in der Region, in der wir stehen, ist aber der Mensch. Und dieser ist folglich das Zentralobjekt aller Wissenschaft, sie hat sich auf den anthropologischen Standpunkt zu stellen, sowohl in ihrer Richtung nach oben auf Gott, als [auch] in ihrer Richtung nach unten in die Natur. Im Menschen erkennen wir Gott und im Menschen die Natur. Der anthropologische Standpunkt ist vielfach umgangen worden, entweder so, dass sich die Forschung sofort zu Gott erheben zu können meinte, oder so, dass sie sich sofort zur Natur herab- und herauskehrte. Der erstere Abweg, welcher die Gotteserkenntnis sich nicht an seinem Bilde in uns vermitteln will, fällt entweder in die Leere der Abstraktion oder in die Knechtschaft der Tradition.303 302 »Die Ursache des Lebens ist Zeugnis Gottes«. 303 Systematisch hat Schlatter die Lehre vom ›Wahrnehmungsbild‹ in seiner Vorlesung ›Wesen und Quellen der Gotteserkenntnis‹ SS 1883, Schlatter-Archiv Nummer 191 entfaltet. Vgl. unter anderem S. 5 der
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An den abstrakten Begriff haftet sich leicht die Illusion, als sei er recht eigentlich das Mittel und die Basis des spekulativen Erkennens. Indem er vom bestimmten einzelnen Dasein emporführt und an dessen Stelle ein einfaches, umfassendes Schema setzt, scheint er ein erstes Begründendes darzureichen, von dem aus [sich]304 die Fülle [49] der einzelnen individuellen Erscheinungen gewinnen und beherrschen lasse. Und doch besteht in Wahrheit zwischen der Abstraktion und der spekulativen Funktion ein direkter Widerstreit und Gegensatz. Denn die Abstraktion bewegt sich vom Objekt weg und lässt es fallen, es entsinkt aus ihrem Horizont, und stattdessen behält sie ein gehaltloses Schema in der Hand, das allerdings einfach ist, aber mit einer leeren Einfachheit, welche die Fülle verloren hat, das allerdings eine umfassende Geltung hat, doch nur in äußerlicher Gruppierung und Zusammenordnung der Mannigfaltigen, nicht in einem inneren genetischen Begriff. Darum wird auch vom Abstraktum aus das Konkrete nie erreicht; die Abstraktion hält dieses von sich weg, so dass das Reale ihr unfasslich wird und sie nur durch Sprünge willkürlicher Vorstellungskombinationen aus ihrer leeren Höhe wieder heruntergelangt in die Sphäre reeller Objekte. Ächte305 Spekulation geht dagegen nicht von ihrem Gegenstande weg, sondern in ihn hinein, oder, was dasselbe ist, sie lässt den Gegenstand eingehen in sich selbst in seiner ganzen Konkretheit und sich erfüllen von ihm. Sie wird des Gegenstandes inne, statt ihn von sich wegzuhalten, indem dessen Tiefe in den Erkennenden eingeht und in ihm selbst zur Tiefe wird, statt in einer vermeintlichen Höhe über dem ObOriginalhandschrift: »Aber Realität kommt der Abstraktion als solcher niemals zu. Sie hat ihre Wahrheit lediglich in den realen Wahrnehmungen, deren einheitliche Zusammenfassung sie ist.« Eine Edition dieses gleichfalls noch unveröffentlichten Konvolutes ist für 2017 beabsichtigt. 304 »Sich« fehlt im Original. 305 Ein Archaismus bzw. Helvetismus Schlatters, der hier als charakteristisches Stilmerkmal stehen gelassen wird.
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jekt zu schweben, die dasselbe unerreichbar macht. Sie erreicht so auch Einheiten, aber nicht inhaltslose Nullen, sondern Lebenseinheiten, welche die Fülle in ihrer Verbundenheit aufschließen, sie gewinnt ebenfalls umfassende Universalia, aber nicht äußerliche Schemata, sondern die durchgreifenden Grundkräfte und Zentralaktionen, welche alles Seiende gestalten.306 Dazu kann sie sich aber nicht in Begriffen wie »reines Sein«, »Indifferenz von Natur und Geist« ihre Basis geben, sondern sie muss sich hineinsenken in den Kosmos selbst und ganz in das Zentralgeschöpf desselben, das die Klammer zwischen den verschiednen Regionen desselben bildet, in den Menschen als Gottes Bild. Oder, wenn weder das leere Spiel mit Abstraktionen getrieben werden soll, und doch nicht die anthropologische Basis gesucht wird, dann bleibt als der Stützpunkt für unsre höheren Erkenntnisse nur die Tradition. Die mit Abstraktionen operierende und die aus traditionellen Lehrsatzungen sich aufbauende Scholastik 307 sind innerlich verwandt und lösen einander ab. Nun ist allerdings Tradition Träger und Begründer von Erkenntnissen, aber sie gibt noch nicht das spekulative Wissen, das Wissen in seiner Vollendung. Denn sie gibt unserm Wissen nur eine äußerliche Begründung, während es neben und mit dem von außen als Gesetz an uns herantretenden Grunde308 auch eines innerlichen, in uns selbst sich findenden Grundes bedarf. Und nur wenn beides sich uns in Kongruenz geeinigt hat, [50] das äußere Zeugnis und die innere Evidenz, wenn sich das, was die Lehrautoritäten innerhalb der menschlichen Gesellschaft sagen, und das, was wir selbst am Menschen, wie er leibt und lebt, sehen, sich als einstimmig erwiesen hat, nur dann ist voll begründete, ganze Erkenntnis da. 306 Vgl. dazu die ›Wahrnehmungslehre‹ in: Schlatter, Dogmatik, a.a.O., S. 80ff (›Wahrnehmung und Urteil‹), hier insbesondere S. 92. 307 Hier ist davon auszugehen, dass Schlatter nicht in einem historisch präzisierten Sinne von ›Scholastik‹ spricht, sondern einen mechanischen, unkreativ an Traditionsvorgaben haftenden Denktypus meint. 308 Im Original fälschlich ›Grunde‹.
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Die andre Abweichung vom anthropologischen Standort, welche sich sofort zur Natur kehrt und nicht durch den Menschen die Dinge, sondern durch die Dinge den Menschen erklären will, führt zu einer begrifflosen Vorstellung von der Natur und enthält zugleich eine Leugnung des Menschen in seiner menschlichen Eigenschaft in sich. Aus der Natur kann der Mensch aber nur dann begriffen werden, wenn er ihr gleichgesetzt wird, wenn er nur als Weltbild und nicht als Gottesbild, nur als Mikrokosmos309 und nicht als Mikrotheos310 gefasst wird. Ist er Bild Gottes, so kann er nicht aus der Natur deduziert werden,311 sondern dann muss er in Gott begriffen werden. Die Leugnung des Menschen hat ihre Folge in der Verdunkelung der Naturerkenntnisse. Denn das Ganze schließt den Teil auf, nicht umgekehrt, maius includit minus312 nicht um309 »Welt im Kleinen«. 310 Die Rede vom Menschen als ›Mikrotheos‹ oder als ›anderer Gott‹ ist seit der Renaissance gängig. Vgl. exemplarisch Goethe, Faust I: »Mephisto: ›Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.‹« (Vers 258–259). 311 Der Begriff der ›Deduktion‹ wird gängig als ›Ableitung‹ wiedergegeben. Ursprünglich entstammt er aber der Rechtssprache und bedeutet ›Nachweis der Berechtigung eines Rechtsanspruchs‹. Diese Verwendung spielt auch noch bei Kant (›Transzendentale Deduktion‹) eine Rolle. Zur Begriffsgeschichte vgl. K. Lorenz, Deduktion, in: J. Ritter (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band II, Basel/ Darmstadt 1972, Sp. 27f. 312 »Das Größere schließt das kleinere [sc. Geringere] in sich ein.« Ein logischer Grundsatz. Vgl. dazu die zeitgenössische Schullogik H. Ulrici, Compendium der Logik. Zum Selbstunterricht und zur Benutzung für Vorträge auf Universitäten, Leipzig 1872, S. 190ff. Dieser Grundsatz variiert die Aristotelische Aussage, wonach das Ganze mehr ist als die »Summe seiner Teile«. Aristoteles, Metaphysik VII, 17, 1041b. »Das, was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet – nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe –, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde.«
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gekehrt, der höhere Organismus deutet den niedrigeren in seinem Grund und Zweck, nicht umgekehrt. Bei dem entgegengesetzten Gedankengang werden die Probleme lediglich negiert und weggedeutet, weil in den niedrigeren Formen des Seins sich die Mittel zu ihrer Lösung nicht finden. Es ist nur Schein, wenn sich die Naturwissenschaften als sichrer darstellen, verglichen mit unsrem Wissen um das, was der Mensch ist nach Seele und Geist.313 Jene Sicherheit erstreckt sich nur soweit, als die unmittelbare Sinneswahrnehmung reicht. Sie gibt aber noch kein Begreifen und Verstehn; sowie es sich um Erklärung und Begriff handelt, geht im Gebiet der Natur sofort ein unsichres Tasten und Vermuten an. Es gibt kein Wissen, das uns näher läge und für uns gewisser wäre, als das, welches in unserm Selbstbewusstsein enthalten ist. Hier liegt die Basis für alle Begriffsbildung. 4. Lehrsatz: Das Erkennen ergibt ein System. Gott wird am Menschen als an seinem Zeugen und Bilde fasslich und erkennbar, ebensosehr wird jedoch der Mensch erst in Gott verständlich und durchsichtig; der Mensch deutet die Natur, die Natur aber wiederum den Menschen. Keine Verzweigung des Wissens kann ohne die andre bestehn und sich vollenden, sie stehen in engster Wechselwirkung, und eben hierin manifestiert sich unser Wissen als System. Der Charakter des Systems314 im Unterschied 313 Vgl. zu Schlatters späterer Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Holismus und Reduktionismus, insbesondere mit dem Darwinismus: ders., Dogmatik, a.a.O., S. 45f, insbesondere S. 46. 314 Bemerkenswert ist diese grundlegende Reflexion über das philosophische System. Nachdem die großen Systembauten der neuzeitlichen Metaphysik im Zuge einer dezidiert nachmetaphysischen Denkform eher für obsolet erklärt worden sind – Nietzsche etwa nannte das System Indiz eines »Mangels an Redlichkeit im Denken« –, gibt es wieder dezidierte Berufungen auf die Unabdingbarkeit und Stringenz der Systemphilosophie. Vgl. L.B. Puntel, Struktur
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vom Aggregat besteht darin, dass sich nicht der eine Teil vom anderen unabhängig gestalten und bewegen kann, vielmehr alle seine einzelnen Teile sich gleichzeitig gestalten und bewegen. Eine Viehherde z.B. ist kein System, ebensowenig eine Reihe von sogenannten [51] »Fachwissenschaften«, von denen jede gegen die andre sich isoliert und sich selbständig an- und ausbauen zu können meint. Das System hat sein Urbild im Organismus, der sich dadurch vom Anorganischen unterscheidet, dass in diesem die Teile gleichgültig nebeneinander stehn, im Organismus jeder Teil nur durch den andern existieren kann. Es ist deshalb eine törichte Illusion, durch Zertrümmerung und Zerbröckelung der erkennenden Funktion dieselbe fördern zu wollen, als ließe sich Physiologie gewinnen ohne Anthropologie und ohne Theologie und umgekehrt. Der Wissensstoff lässt sich freilich häufen in Beschreibung dessen, was uns die Sinne melden. Aber diese Häufung ist nicht zugleich Mehrung des Wissens, eher umgekehrt zunächst Häufung unsrer Unwissenheit. Die Wahrheit hat ihr Gleichnis nicht in einer Geraden, die zunächst stückweise existiert und sodann beliebig verlängert werden kann, sondern im Kreise, für den jedes Teilchen nur aus der ganzen Kreislinie heraus bestimmt werden kann. Analog schließt jede Erkenntnis potentiell die Totalität der Wahrheit in sich.315 Diese Überzeugung beherrschte Baaders ganze Art zu arbeiten und gab ihr einen dem traditionellen Wissenschaftsbetrieb direkt entgegengesetzten Charakter. Er machte nie einen Versuch, irgend und Sein. Ein Theorierahmen für eine systematische Philosophie, Tübingen 2006. 315 Der Begriff der ›Spekulation‹ firmiert bei Schlatter, anders als bei Kant, gerade nicht als Indizierung des Scheins, sondern im Sinne der Baaderschen Wendung der nachkantischen Philosophie außerordentlich positiv als ein Denken, das Fragen und Sachverhalten auf den Grund geht. Siehe im Sinne einer Rehabilitierung der spekulativen Vernunft: H. Seubert, Was Philosophie ist und was sie sein kann, Basel 2015.
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eine einzelne Wissenschaft als für sich bestehendes Ganzes darzustellen, noch weniger eine Reihenfolge der einzelnen Wissenschaften zu beschreiben in Hegels Art.316 Diesen Schein eines Ganzen zu suchen, hielt er für unzeitig, eben weil es nur Schein sei, weil wir die prinzipiellen Einsichten, die ein solcher Abschluss unsers Wissens voraussetzt, nicht herausarbeiten müssten.317 Gleichwohl sucht er höchst energisch die Totalität; es gibt keine Sphäre menschlichen Wissens, auf deren Bearbeitung er verzichtet hätte, er arbeitet vielmehr konstant auf allen Gebieten. Er gewinnt seine Einsichten so, dass er konstant mit einem Blick alle Regionen des Seienden überschaut und erprobt und bewährt sie dadurch, dass er sie durch alle Sphären durchführt und wiederfindet von Gott bis zur Materie hinab. So scheint sein Gedanke springend, unvermittelt in jäher Plötzlichkeit aus einer Region in die andre übergehend, aber gerade diese Gedankenbildung hat er mit vollem Recht als systematisch bezeichnet und nicht die Atomisierung des Wissens in eine Unzahl von »Fächern«, weil gerade seine Gedankenbildung die Kraft in sich habe und bewähre, ausgedacht und in ihre Folgen entfaltet, in ein Universum des Erkennens auszuwachsen.
316 Ob damit dem Hegelschen Systemanspruch und seiner Einlösung Rechnung getragen ist, wäre an Hegels Systemform selbst zu überprüfen. Vgl. V. Hösle, Hegels System, 2 Bände, Neuauflage, Tübingen 1990. 317 Implizit charakterisiert Schlatter damit auch seine eigene Denkweise. Vgl. W. Lütgert, Adolf Schlatter als Theologe innerhalb des geistigen Lebens seiner Zeit. Eine Festgabe der Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, ihrem Begründer zum 80. Geburtstag dargebracht, Gütersloh 1932. Lütgert spricht S. 6f in seiner treffenden Kennzeichnung der Denk- und Arbeitsweise Schlatters von dessen »intuitiver Methode, einer Zeitlosigkeit, wobei »das Ergebnis […] nicht stückweise durch Zusammensetzung von Einzeluntersuchungen gewonnen [wird], sondern wie im Organismus die Teile aus dem Ganzen entstehen, so wird auch der Teil vom Ganzen aus verstanden«.
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5. Lehrsatz: Das spekulative Wissen ist das freie. Philosophie ist freies Erkennen. In dieser Ganzheit des Erkennens hat der philosophische Gedankenbau seine spezifische Differenz allen Einzelwissenschaften gegenüber. Der Unterschied zwischen Philosophie und der sonstigen Wissenschaft kann nicht in ihrem Objekt gesucht werden. Die Philosophie hat stets den Anspruch erhoben, unser gesamtes Wissen zusammenzufassen in die Einheit eines Zentralerkennens. Die Differenz fällt somit nicht in das »Was«, sondern in das »Wie« des Erkennens, und der Charakter, welcher der gelungenen, zu ihrem Ziel gelangten Spekulation eignet, besteht darin, dass sie dem Erkennen zu seiner Ganzheit verhilft. Die bloße Empirie, das bloße Summenzeugnis oder die bloße Historik, die bloße Tradition schöpfen ihr Resultat nicht aus einer Quelle unsres Wissens, der äußern, die Spekulation vereinigt die beiden Gründe alles Erkennens, den äußern und den innern. Und indem sie das Wissen wie außer uns so in uns begründet, erhebt sie es in die Freiheit. Das spekulative Wissen ist das freie, während an allem übrigen Wissen als Folge seiner Unganzheit und Unvollendetheit Unfreiheit haftet, Abhängigkeit von dem Erkennenden noch [54] äußerlich bleibenden Erkenntnisgrund. Aber frei bedeutet auch hier nicht los. Ob der erlangten innern Begründung entsinkt uns die äußere nicht; sie wirken zusammen in ein Resultat, sie stellen als die beiden Zeugen, deren einstimmiges Zeugnis Beweiskraft hat, die eine und selbe Wahrheit fest, aber sie machen einander gerade deshalb nicht überflüssig. Vielmehr besteht für Baader das spekulative Wissen als das freie nur in ihrer Konjunktion. Er stellt sich damit in einen fundamentalen Gegensatz zu dem, was seit Kartesius als Philosophie galt. Sie erschien als das Traditionslose, und parallel damit als das von Beobachtung und Empirie Emanzipierte. Diesen Gegensatz zwischen Philosophie einerseits, Sein und Geschichte andrerseits hat Baader nie anerkannt. Historisch mag es richtig sein, dass die philosophischen Bestrebungen aus dem Widerstreit gegen die Tradition erwuchsen bei Phöniziern, – 168 –
Babyloniern etc., nachdem die den ursprünglichen Erkenntnisbesitz der Menschheit bildenden Traditionen sich verunreinigt und verdunkelt hatten, und eben damit den Widerstreit der Vernunft herausriefen, und diesen dadurch zur Aufsuchung der innern im Menschen selbst liegenden Wahrheitsbegründung veranlassten. Allein an sich besteht zwischen beiden Wissensquellen kein Gegensatz, und dass die Philosophie in einem Gegensatz gegen die Tradition erwachsen ist, hat nicht nur die Tradition geschädigt, sondern ebenso sehr auch die philosophische Arbeit in Irrgänge geführt. Hier eine Einheit zu suchen und zu bejah[e]n, dazu war Baader durch seine Grundanschauungen getrieben. Inneres und Äußeres kann er nicht in Gegensatz stellen, Geist und Leib, Wesen und Erscheinung will er nicht widereinander gekehrt haben, als sich feindliche Potenzen, wenigstens dann nicht, wenn es sich um den normalen Verlauf der menschlichen Lebensbewegung handelt. In der Entgegensetzung beider widereinander liegt nicht Freiheit, sondern Unfreiheit. Wenn er auch für die Theologie den anthropologischen Standpunkt einnimmt, so hat dies in seinem Sinne keinerlei rationalistische Bedeutung, als wäre der Mensch sich selbst zur Gotteserkenntnis genug, als bedürfe er nur der Einkehr in sein Inneres, um in’s Licht zu treten, ohne dass ihm dieses auch von außen her als ihn anscheinendes Licht vermittelt werden müsste. St. Martin hatte in ›[Le] Minist[ère] de l’Homme esprit [›par le philosophe inconnu‹]‹318 einige weitgehende Äußerungen gewagt in dem Sinn: das einzige von Gottes [55] Hand selbst geschriebene Buch sei der Mensch. Alle übrigen Bücher seien sekundär und nur als bestätigendes Zeugnis zu dem, was wir in jenem einen primitiven originalen Gottesbuche lesen könnten, zu nützen. Baader restringierte319 den Gedanken ausdrücklich: das sei geredet, als könnten wir ohne Schrift und Tradition die in uns vorgebildete Wahrheit in unser 318 Übersetzung des Titels: ›Das Priesteramt des begeisteten Menschen, von dem unbekannten Philosophen‹. Eine Neuausgabe erschien Paris 1992. 319 ›Restringieren‹: Einschränken, Substantiv: ›Restriktion‹.
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Bewusstsein erheben, als wäre der Mensch sich selbst nicht ein unverständliches Rätsel, bis ihm das deutende Wort durch Hülfe von außen kömmt. Beide Gründungen unsres Wissens tragen und dienen einander gegenseitig; es findet nicht nur eine Subordination der einen unter die andre, sondern eine Subordination beider unter beide statt, und eben in diesem Dienst, den sie sich gegenseitig leisten, einigen sie sich.
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§ 2 Der genetische Charakter des Denkens Scimus quae und quia facimus,320 nur als hervorbringend wissen wir uns und das Hervorgebrachte. Dies zeigt uns schon die von jeher mit einem gewissen Recht als Urbild aller andern Wissenschaft gerühmte Mathematik: sie ist völlig Konstruktion. Daraus, dass unsre Raumphantasie [56] in ihrer Produktion ungehindert ist, ist begründet dass sich die Mathematik dem sonstigen Wissen voreilend entfaltet hat. Die Formationen des Raums sind ein Gebiet, in welchem unser Gestalten und Bilden sich frei bewegen kann, drum schreitet hier auch unser Wissen sicher voran. Aber dieselbe Wahrnehmung gewähren auch die Naturwissenschaften, nicht nur dadurch, dass das mathematische Element in ihnen das wissenschaftlich entfaltetste ist, sondern auch das ihnen eigentümliche Erkennen wird durch Experiment erworben im Zusammenhang mit der Beobachtung. Das Experiment aber ist ein facere, die Beobachtung ein innres Nachbilden desjenigen facere, das die Natur selbst vor uns vollzieht. Allerdings ist in der Natur unser Erkenntnisobjekt nicht erst ein von uns aus Hervorzubringendes; ist hier unser Erkennen nicht Produktion, so ist es dagegen Reproduktion, eine Wiederholung des primitiven Produzierens, aus dem das Erkenntnisobjekt entstanden ist. Dabei ist zu beachten, dass unser Erkennen der Natur gegenüber ebensowenig ein primitives ist, als 320 Wörtlich bedeutet das Zitat: »Wir wissen das, was wir tun, und wir wissen es, weil wir es tun.« Schlatter betont beide Seiten der Aussage: Die Faktizität des Tuns und die kausale Verbindung zwischen Wissen und Tun. Diese Aussage ist eine Variante des »Verum et factum convertuntur«-Satzes von G. Vico. Vgl. dazu S. Otto, Giambattista Vico, Stuttgart 1989.
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unser Produzieren. Die Naturobjekte sind vor unserem Erkennen schon produziert; unser Erkennen ist ebenso sekundär wie unser Bilden, und in diesem Parallelismus beider bekräftigt sich jenes Grundgesetz, das321 die Kongruenz unseres Wissens und Thuns aussagt. Gewusst, gedacht, erkannt ist die Natur, so gewiss sie unser Denken in Bewegung setzt und in demselben sich ihr Abbild schafft, weil unser Denken nichts finden und fassen kann als Gedanken, und Intelligenz sich nur mit Intelligenz füllen kann. Was mir als Nichtintelligenz manifest wird und was nicht ich zu dieser Manifestation bestimme, das kann nur durch eine andre Intelligenz hiezu bestimmt werden. Die Natur erweist sich, weil sie ein cognoscibile ist, als [von] Intelligenz durchwohnt, als gewusst, und unser [Wissen] um sie ist ein abgeleitetes. [Wir] [be]gegnen also auch in der Natur keinem Ding an sich, das schlechthin ein solches wäre, als allem Gewusstsein entzogen. Vielmehr ist auch hier die Genesis des Dings mit dem Wissen desselben kongruent. Vor alle[m]322 aber ergibt sich jene Beobachtung am Grundakt unsers Wissens, dem Selbstbewusstsein, denn hier ist uns die Einheit von Wissen und Sein unmittelbar gegeben. Das Selbstbewusstsein ist ein Bewusst»sein«, Sein und Wissen zugleich in Kongruenz. Es vollzieht sich in uns eine Unterscheidung in den Wissenden und Gewussten, eine Differenzierung hat statt; aber diese ist, indem sie zustandekömmt, auch wieder aufgehoben: der Wissende und der Gewusste erkennen sich als eins. Nun besteht aber das Selbstbewusstsein nicht neben dem Sein des Geists, so dass das Sein des Geists hinter dem Selbstbewusstsein erst noch zu suchen wäre; sondern das Selbstbewusstsein ist das Sein des Geists. Das Werden des Ichs fällt somit zusammen mit einem Erkenntnisakt, in welchem das Ich sich in Subjekt und Objekt scheidet und zugleich in seiner Einheit erfasst. [56] Nun ist aber alles, was in unser Wissen eingeht, ein Moment unseres Selbstbewusstseins, da wir schlechterdings kein Bewusstsein 321 Im Original fälschlich ›daß‹. 322 Schlatter fügt hier fälschlich nach ›alle[m]‹ ein ›aus‹ hinzu.
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haben, das nicht Selbstbewusstsein wäre.323 Bei allem Erkennen muss ich notwendig bei mir selber sein und mich selber wissen.
323 Dies ist ein Grundgedanke der klassischen nachkantischen deutschen Philosophie, der aber von Schlatter auf den Schöpfungsgrund zurückgedacht wird. Vgl. zur Gedankenfigur: D. Henrich, Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982.
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Anhang
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Was ist Wahrheit? Johannes 18,37.38 1. Die Frage des Pilatus, die Frage einer müden Skepsis, ist nicht die Frage des natürlichen Menschen. Er weiss von der Wahrheit, bejaht das Leben, das ihm gegeben ist, bejaht die Gemeinschaft, in der er lebt und der er verpflichtet ist. Dieser Wille, ja zu sagen zu der uns gegebenen Wirklichkeit, und diese Bereitschaft, sich von der uns gegebenen Wahrheit verpflichten zu lassen, darf bei unseren Hörern vorausgesetzt werden. Pilatus ist nicht der Typus unserer Zeit. 2. Und doch: wir Menschen haben die Wahrheit nicht in uns. Wir können irren, ja wir können lügen und erfahren, dass menschliche Treue bricht. Darum erwacht mannigfach die Frage: was ist Wahrheit? und wo ist Wahrheit? Dass wir Wahrheit kennen und Wahrheit ehren und davon wissen, dass der Wahrheit entschlossen gehorcht werden muss, darin bezeugt sich uns Gott, von dem alle Wahrheit kommt. Dass wir lügen können und der Lüge die Ehre geben, die allein der Wahrheit gebührt, ist das Werk des grossen Lügners (Joh 8,44). Die Wahrheit aber bleibt, mag die Lüge noch so oft triumphieren, der Lüge überlegen, weil Gott Gott ist (1. Joh 4,4b) 3. Für unser Verbundensein mit Gott ist es entscheidend wichtig, ob wir die Wahrheit, die uns gesagt und gezeigt ist, bejahen, eh324 Es handelt sich dabei um das letzte von Schlatter zu Lebzeiten abgeschlossene Manuskript aus dem Februar 1938. Die fünf Thesen sind überschrieben: »Praktisch-theologische Erwägungen zu den Themen der Stuttgarter Volksmission«. Der Passus: »Was ist Wahrheit?« trägt die römische Nummer I. Zu einer weiteren Ausarbeitung ist es offensichtlich nicht gekommen.
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ren und thun. »Wer die Wahrheit tut, der kommt an das Licht« (Joh 3,21, vgl. auch Joh 4,23.24). Wir Menschen können auch in der Religion mit Träumen und mit Lügen arbeiten: da schafft sich der Mensch seinen Gott nach seinem Bild und erdenkt sich eine Religion nach eigenen Wünschen und Ansprüchen und baut sich seinen eigenen Heilsweg. Eine vom Menschen erdichtete Religion, in der »Gott« das Spiegelbild des Menschen ist, nennt die Wissenschaft einen Mythus. Die erfundenen Religionen sind ein wesentlicher Teil der Not und Schuld der Menschheit. 4. Allen erdichteten Religionen gegenüber ist Jesus der Zeuge der Wahrheit. Hier redet Gott, damit der Mensch höre; hier gebietet Gott, damit der Mensch gehorche; hier schenkt Gott Leben, damit wir durch seine Gnade leben. Nicht wir haben die Wahrheit erdacht oder erfunden; sie kommt zu uns als Offenbarung Gottes. Darin, dass Jesus gar nicht seine Ehre sucht, sondern redet, was er gehört hat, und tut, wozu er gesandt ist (Joh 5,19), darin liegt – menschlich gesehen – der Erweis seiner Sendung durch Gott. Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (Joh 1, 7). Er ist die Wahrheit (Joh 14,6). 5. Wahrheit fordert Glauben. Der Wahrheit nicht glauben ist Schuld. Unfähig zum Glauben macht uns Eigenliebe und Ehrsucht (Joh 5,44); der Ehrgeizige zerrüttet sich selbst, zerbricht die Gemeinschaft und vor allem, er verliert Gott. Gott erwartet von uns, dass wir die Wahrheit, die uns kund wurde, glauben. So ist der Glaube unsere Gerechtigkeit. Als Glaubende empfangen wir das Heil. Wir können aber glauben, weil Jesus vor uns steht als der, der uns Gott kund macht, und gewinnen in Gehorsam gegen die Wahrheit die Freiheit (Joh 8,32).
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Personenregister* Alexander I. . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Angelus Silesius (Johannes Scheffler) . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Anselm von Canterbury (bzw. von Aosta) . . . . . . . . . . 157 Arndt, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Aristoteles . . . . . . . . 22, 43, 115, 164 Asmuth, Ch. . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Augustinus, Aurelius . . . . . . . 54, 158 Baader, F. von . . . . . . 10ff, 14ff, 23ff, 29ff, 35ff, 46ff, 64, 67ff, 72, 81, 89ff, 93, 100ff, 105, 110, 113ff, 122ff, 132ff, 148, 150f, 168 Bacon, F. . . . . . . . . . . . . . . . . 85, 159 Bailer, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Basilius der Große . . . . . . . . . . . . 129 Bartuschat, W. . . . . . . . . . . . . . . . 102 Baum, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Baumanns, P. . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Bayer, O. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Beierwaltes, W. . . . . . . . . . . . . . . . 46 Benedikt XVI. (J. Ratzinger) . . 58, 122 Benedikt von Nursia . . . . . . . . . . . 79 Berdjajew, N. . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Bernecker, W.L. . . . . . . . . . . . . . . 128 Besant, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Blavatsky, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Böhme, J. . . . . . . . . . . 14, 30, 48f, 54, 106, 143, 144–150 Bolliger, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Bonchino, A. . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Bonheim, G. . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Brague, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
Brüggen, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Buchheim, Th. . . . . . . . . . . . . 34, 105 Burkhardt, H. . . . . . . . . . . . . . 8, 114 Carl, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Cartesius (= R. Descartes, bei Schlatter auch als »Kartesius«) . . 10, 17, 20, 101, 122, 156f, 168 Cesa, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Cicero, M.T. . . . . . . . . . . . . . . 86, 87 Claudius, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Cramer, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Cramer, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Crusius, Chr.A. . . . . . . . . . . . . 32, 70 Dauner, P. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Deutinger, M. . . . . . . . . . . . . . . . 105 Droste zu Vischering, C.A. . . . . . . 47 Düsing, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . 112f Meister Eckhart . . . . . . . 46, 124, 138 Erdmann, J.E. . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Eucken, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Ferstl, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Fichte, I.H. . . . . . . . . . . . . . . . 57, 96 Fichte, J.G. . . . 34ff, 52f, 93–100, 156 Finkenzeller, J. . . . . . . . . . . . . . . . 132 Flasch, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Frank, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Frings, M.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Fröhlich, E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Fuhrmans, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Fulda, H.F. . . . . . . . . . . . . . . 50, 110
* Kursivierte Seitenzahlen verweisen auf Namen, die nur in den Fußnoten genannt sind.
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Gabel, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Geck, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Geiselmann, J.R. . . . . . . . . 122, 133f Gerhard, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Gerhardt, M. . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Gerl-Falkovitz, H.-B. . . . . . . . . . . . 59 Görtz, H.-J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Göschel, C.F. . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Gockel, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Gondal, I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Graßl, H. . . . . . . . . . . 24, 29, 41, 127 Grosse, S. . . . . . . . . . . 8, 25, 137, 147 Habermas, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Härle, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Hagemann, T. . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Hamann, J. G. . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Hamberger, J. . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Hammacher, K. . . . . . . . . . . . . . . . 82 Hardenberg, K.A. Freiherr von . . . . . . . . . . . . . 135f Harnack, A. v. . . . . . . . . . . . . . . . 223 Harnischmacher, I. . . . . . . . . . . . 111 Hartl, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 64, 127 Hartmann, K. . . . . . . . . . . . . . . . 111 Hegel, G.W.F. . . . . . 12f, 33, 35ff, 44, 46, 51, 53ff, 71, 93, 98, 108f, 110–121, 123, 167 Heidegger, M. . . . . . . . . . . . . . 43, 98 Heimsoeth, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Heintel, E. . . . . . . . . . . . . . . . 33, 155 Heit, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Hemmerle, K. . . . . . . . . . . . . . 49, 64 Henrich, D. . . . . . . . . 24, 42, 50f, 52, 70ff, 111, 115, 173 Henry, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Herbart, J.F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Herder, J.G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Hirsch, E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Hösle, V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Hoffmann, F. . . . . . . 46, 47ff, 51, 119 Hoffmeister, J. . . . . . . . . . . . . . . . 143 Horaz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Horstmann, R.-P. . . . . . . . . . . . . . 50 Hühn, L. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Jacobi, J.H. (bei Schlatter geschrieben: Jakobi) . . . 32ff, 82–93 Jaeschke, W. . . . . 42, 56, 82, 103, 110 Janke, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . 52, 93 Jesus Christus . . . 26, 40, 106, 120, 139 Joas, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Kaftan, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Kaftan, O.J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Kant, I. . . . . 12f, 15, 27, 30ff, 67–81, 83ff, 93ff, 99, 100, 102, 110, 164, 166 Kierkegaard, S. . . . . . . . . . . . 33, 118 Kindt, I. . . . . . . . . . . . 13f, 18, 23f, 28 Kittsteiner, H.D. . . . . . . . . . . . . . 155 Knaup, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Koslowski, P. . . . . . . 23f, 36, 49, 51f, 53, 54, 56, 57ff, 64, 103, 109, 117 Koyré, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Krüdener, J. v. . . . . . . . . . . . . . . . 135 Kühn, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 La Rochefoucauld, F. . . . . . . . . . . . 90 Lambert, W. . . . . . . . . . . . 49, 64, 81 Lauster, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Lauth, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Leese, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Leibniz, G.W. . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Leppin, V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Leuenberger, S. . . . . . . . . . . . . . . . 28 Lieb, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Lipps, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Loos, A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Lorenz, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Lütgert, W. . . . . . . . . . . . . . . 13, 167 Lutterbeck, A. . . . . . . . . . . . . 51, 119 Marion, J.-L. . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Milbank, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Mittelstraß, J. . . . . . . . . . . . . . . 101f Möhler, J.A. . . . . . . . . . . . . . 122, 133 Müller, H.-J. . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Mutz, F.X. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
– 178 –
Nagel, Th. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Neuer, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Neuer, W. . . . . . . 7ff, 25, 27, 60, 125 Newton, I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Novalis (F. von Hardenberg) . . . . 46 Otto, S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Pannenberg, W. . . . 34, 140f, 157, 160 Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Pasqualis, M. . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Pickstock C. . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Plantinga, A. . . . . . . . . . . . . . . . . 27f Plinius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77, 78 Portmann, D. . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Puntel, L.B. . . . . . . . . . . . . . . . . 165f Quintilian . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Rademacher, H. . . . . . . . . . . . . . . . 52 Ratte, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Reich, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Richter, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Riedel, M. . . . . . . . . . . . . . 31, 69, 87 Ritter, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Rohrmoser, G. . . . . . . . 108, 112, 118 Rousseau, J.-J. . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Rudolphi, M. . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Saint-Martin, L.C. . . . . 40, 48f, 143f, 149–152, 169 Sandkaulen, B. . . . . . . . . . . . . . 33, 84 Schatz, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Schelling, F.W.J. . . . . 13, 34, 35ff, 45, 47, 100–110, 119 Schlatter, Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Schlatter, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Schmitz, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Schneider, P.P. . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Scholz, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Schröter, M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Schüßler, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Schultz, G. . . . . . . . . . . . . . . . . 25, 28 Schulz, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Schulze, W.A. . . . . . . . . . . . . . . . 106
Schwöbel, Chr. . . . . . . . . . . . . . . . 22 Seubert, H. . . 16, 28, 77, 82, 87, 166 Simon, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Shakespeare, S. . . . . . . . . . . . . . . . 59 Solovjev, W.S. . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Spinoza, B. de . . . . . . . . . . . . . . 102f Steffensen, K. . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Stein, Karl Sigmund Freiherr von . . . 135 Steinbüchel, Th. . . . . . . . . . . . . . . . 50 Steiner, R. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Stolzenberg, J. . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Stroh, H. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Strube, C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Susini, F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Swinburne, R. . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Theunissen, M. . . . . . . . . . . . . . . 112 Thielicke, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 25f Tholuck, F.A. . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Thomas von Aquin . . . . . 22, 51, 158 Tilliette, X. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Trusen, W. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Ulrici, H. . . . . . . . . . . . . . . . . 57, 164 Varnhagen, R. . . . . . . . . . . . . . . . Varnhagen von Ense, K.A. . . . . . Vico, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vinzenz von Lérins . . . . . . . . . . . De Vries, J. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
150 150 171 133 131
Wachter, D. v. . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Waldemar, Ch. . . . . . . . . . . . . . . 144 Walldorf, J. . . . . . . 9, 14, 17ff, 27, 44 Ward, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Wehr, G. . . . . . . . . . . . . . . . 143, 146 Wenz, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Wieland, W. . . . . . . . . . . . . . . . 31, 69 Wimmershoff, H. . . . . . . . . . . . . 107 Wirt, J.U. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Wolff, Chr. . . . . . . . . . . . . . . . 32, 70 Wolfinger, F. . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Wolterstorf, N. . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Zöller, G. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
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Sachregister Adoration (Anbetung) . . . . . . . . . 87f Affekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150f Anthropologie (›humane Differenz‹) . . . 17ff, 27f, 52f, 161ff Apperzeption (apriori) . . . . . . . . . 73f Asketik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Aufklärung (Aufklärungszeitalter) . . . . . . . . . . . . . . 69, 82ff Begriff (Hegel) . . . . . . . . . . 110, 116ff Böses . . . . . . . . . . 14ff, 89ff, 91f, 98ff Character indelebilis . . . . . . . . . 131f Christentum . . . . . . . . 75ff, 79, 105ff Christliche Philosophie . . . . . . . 105ff Deduktion (transzendentale D.) . . . . . . . . . . . 68f, 72f Dogma . . . . . . . . . . . . . . 123ff, 126ff Dogmatik . . . . . . . . . . . . . 8ff, 123ff Ekklesiologie . . . . . . . . . 38f, 39, 132f Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Erkenntnis (-Erkenntnisfunktion) . . . 71ff, 85, 162ff, 168ff Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . 36f Geistleugnung . . . . . . . . . . . . . . . 94f Geschichtsphilosophie . . . . . . . . 113ff Gesetz . . . . . . . . . . . . . . 70f, 78f, 97f Glaube . . . . . . . . 14f, 33ff,79ff, 129ff Glück (Eudämonismus) . . . . . . . . 70f Gnosis (Gnostizismus) . . . . . . . . . 24f Gott . . . . . . . . 20f, 26ff, 37, 51ff, 69f, 77f, 93ff, 115ff, 154ff, 158f Gottesbeweise . . . . . . . . . . . 70, 154ff
Gottesbewusstsein . . . . . . . . . . . 154f Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . . . 155ff Gottmensch . . . . . . . . . . . . . . . . 109f Grenzbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . 93ff Hören (hörende Vernunft) . . . . . . 74f Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95ff Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 20ff Kantianismus . . . . . . . . . . . . . . . . 17ff Katholizismus (-Katholizität) . . . . 50f, 122ff Kausalität (-Kausalitätsstruktur) . . 24f Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17f Kirche . . . . . . . . . . . . . . 134ff, 139ff Klassizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111f Logik (Logos) . . . . . . . . . . . . . . 110ff Meritum . . . . . . . . . . . . . . . 131, 140 Metakritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68f Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . 17ff, 22 Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80f, 92 Mysterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88f Mystik (Unendlichkeitsmystik) . . . 51f, 145ff Nachkantianismus (Deutscher Idealismus) . . . . . . . . . . 67ff, 101ff Natur (Naturmacht) . . . . . 102f,119f Negative Philosophie (Schelling) . . 56f Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117f Offenbarung . . . . 14, 26f, 56ff, 108ff Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Opus operatum . . . . . . . . . . 134, 139 Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 79f
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Pfaffentum . . . . . . . . . . . . . . . . . 127f Phänomenologie . . . . . . . . . . . . 59ff Positive Philosophie (Schelling: ›Philosophie der Offenbarung‹) . . . . . . . . . . . . 56, 108ff Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Physiosophie . . . . . . . . . . . . . . . . 95f Postulat . . . . . . . . . . . . . . 75, 77, 102 Potenz (Schelling) . . . . . . . . . . . 107f Rationalismus . . . . . . . . . . . . 32, 69f Realismus (kritischer R. ) . . . 20, 160ff Reflexionsbegriffe (Amphibolie der R.) . . . . . . . . . 83 Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . 137ff Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41ff Restauration . . . . . . . . . . . . . . . 124f Revolution (Französische) . . . . 123ff Schöpfung (creatura-creator) . . 35, 43f Skeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Sklave (Sklaverei) . . . . . . . . . . . . 125f Sozialphilosophie . . . . . . . . . . . . 46ff Sozialphilosophie . . . . . . . . . . . . 46ff Spekulation . . . . . . . . . . . . . 84ff, 86f
Spinozismus . . . . . . . . . . . . . . . . 102f Subjekt . . . . . . . . 34f,95ff, 117f, 172ff Substanzbegriff . . . . . . . . . . . . . . 36f System (Phil. S.) . . . . . . . . 96ff, 165ff Teufel . . . . . . . . . . . . . 89f, 98ff, 128ff Theosophie . . . . . . . . . . . . . . 14, 100f Transzendentalphilosophie . . . . 34ff Urteilskraft (Kant, Kritik der Urteilskraft) . . . . . . . . . . 30ff Vernunft . . . . . . 26f, 32f, 52, 72, 83, 85ff, 113f Praktische Vernunft . . . . . . . . . . . 32f Verstand . . . . . . . . . . . . . 72f, 83, 85ff Via media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111ff Wahrnehmung . . . . . . . . . . . .14f, 21 Wille . . . . . . . . . . . . . . 31f, 75ff, 111f Wirklichkeitserkenntnis . . . . . . . 20f Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172ff Zins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
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Unveröffentlichte Manuskripte Band 1
Adolf Schlatter Einführung in die Theologie Im Auftrag der Adolf-Schlatter-Stiftung herausgegeben von Werner Neuer 2013. 223 Seiten, gebunden mit Lesebändchen, Format: 14 x 22 cm ISBN 978-3-7668-4274-9
Die 1924 gehaltene und aufgrund einer stenographischen Mitschrift des Kirchenhistorikers Erwin Mülhaupt für die Nachwelt erhaltene Vorlesung »Einführung in die Theologie« vermittelt einen ganz neuen Einblick in Schlatters Verständnis von Theologie, ihren Voraussetzungen, Methoden und Zielen. Die von dem Schlatter-Forscher Werner Neuer mit einer Einführung und sachkundigen Erläuterungen versehene Vorlesung spiegelt nicht nur die damalige theologische Diskussion wider, sondern sie vermittelt auch einen oft verblüffend aktuellen Eindruck von den immer wiederkehrenden theologischen Fragen. Sie stellt daher gerade für Theologie und Kirche heute eine Bereicherung dar. Das vorliegende Buch enthält auch Schlatters Rede »Erfolg und Mißerfolg im theologischen Studium«, mit der sich der Tübinger Theologe 1931 nach einer 50-jährigen akademischen Lehrtätigkeit von seinen Studenten verabschiedet hat.
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Werner Neuer Adolf Schlatter
Ein Leben für Theologie und Kirche 1996. 937 Seiten, gebunden, Leinen, Schutzumschlag, mit zwei Lesebändchen, Format: 14 x 22 cm ISBN 978-3-7668-3390-7
Werner Neuer hat dem beeindruckenden Leben und Werk Adolf Schlatters nachgespürt und dabei sämtliche Schriften, unveröffentlichte Manuskripte und Briefe berücksichtigt. Ergebnis seiner mehr als ein Jahrzehnt währenden Forschungsarbeit ist ein detailgetreues, allgemein verständlich geschriebenes Buch, das das Ineinander und Miteinander von Leben und Werk Adolf Schlatters auf faszinierende Weise darstellt.
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