Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert: Ein historischer Vergleich [Reprint 2014 ed.] 9783050071633, 9783050028255


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German Pages 421 [424] Year 1996

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Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Organisationen des deutschen Adels seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv
Der Adel als Verwaltungselite Preußens. Die Adelslandschaft Brandenburg
Zum Wandel einer Funktionselite. Brandenburgische Landräte im 19. Jahrhundert
Adel und Laufbahnentwicklung. Das Regierungspräsidentenamt in den Familien von der Schulenburg und von Schwerin
Publizistische Tätigkeit nach amtlichen Pflichten. Magnus Friedrich von Bassewitz (1773-1858)
Karrieren nichtbrandenburgischer Verwaltungsbeamter. Das Beispiel des nobilitierten Regierungs- und Oberpräsidenten Dr. Heinrich von Achenbach (1879-1899)
Das Amt des preußischen Landesdirektors (Landeshauptmanns) in seiner historischen Entwicklung
Adel in der leistenden Verwaltung der Provinz Brandenburg. Die Landesdirektoren und das Beispiel der Anstaltsfürsorge (1876-1930)
Die Stellung des ostelbischen Adels zu Kultur, Wissenschaft und Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts
Brandenburgischer Landadel und die Weimarer Republik. Konflikte um Oppositionsstrategien und Elitenkonzepte
Eine adlige Familie in Umbruchzeiten. Das Schicksal der Familie von Ribbeck im Havelland (1933-1947)
Ämtervarianten und Verhaltensalternativen: Beispiele aus anderen Territorien und Regionen Bernd Wunder Adel und Verwaltung. Das Beispiel Süddeutschland (1806-1914)
The Nobility in South Germany (1790-1848)
Von Gerlach zu Bassewitz. Eine vergleichende Studie zur brandenburgisch-preußischen Verwaltungselite in der Reformzeit
Ostpreußischer „Gutsbesitzerliberalismus“ und märkischer „Adelskonservatismus“. Politische Perspektiven des preußischen Adels in der Lokalverwaltung im Vormärz
Rittergutsbesitz und Ämterbesetzung des Adels im Königreich Sachsen im 19. Jahrhundert
Adel, Staat und ländliche Gesellschaft in den neupreußischen Gebieten. Das Beispiel des ehemaligen Kurhessen (1867-1914)
Kontinuität und Wandel in der Sozialstruktur der Landräte Pommerns zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg
Auswahlbibliographie
Personenregister
Autorenverzeichnis
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Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert: Ein historischer Vergleich [Reprint 2014 ed.]
 9783050071633, 9783050028255

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Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert

POTSDAMER

HISTORISCHE

Herausgegeben von Helmut Assing Pedro Barcelo Peter-Michael Hahn Manfred Görtemaker Heinz-Dieter Heimann Christoph Kleßmann Dagmar Klose Jan Peters Julius H. Schoeps Luise Schorn-Schütte

BAND 2

STUDIEN

Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert Ein historischer Vergleich Herausgegeben von Kurt Adamy und Kristina Hübener

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert: ein historischer Vergleich / hrsg. von Kurt Adamy und Kristina Hübener. - Berlin : Akad. Verl., 1996 (Potsdamer historische Studien ; Bd. 2) ISBN 3-05-002825-4 NE: Adamy, Kurt [Hrsg.]; GT

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1996 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z. 39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Gestaltung: Chamäleon Design, Berlin Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei Mikolai GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Vorwort

9

Einleitung

11

Walter von Hueck Organisationen des deutschen Adels seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv

19

Der Adel als Verwaltungselite Preußens. Die Adelslandschaft Brandenburg Christiane Eifert Zum Wandel einer Funktionselite. Brandenburgische Landräte im 19. Jahrhundert

41

Claudia Wilke Adel und Laufbahnentwicklung. Das Regierungspräsidentenamt in den Familien von der Schulenburg und von Schwerin

67

Felix Escher Publizistische Tätigkeit nach amtlichen Pflichten. Magnus Friedrich von Bassewitz (1773-1858)

93

Kurt Adamy, Kristina Hübener Karrieren nichtbrandenburgischer Verwaltungsbeamter. Das Beispiel des nobilitierten Regierungs- und Oberpräsidenten Dr. Heinrich von Achenbach (1879-1899)

103

6

Inhalt

Gerd Schadewitz Das Amt des preußischen Landesdirektors (Landeshauptmanns) in seiner historischen Entwicklung

121

Kristina Hübener Adel in der leistenden Verwaltung der Provinz Brandenburg. Die Landesdirektoren und das Beispiel der Anstaltsfursorge (1876-1930)

145

Reinhold Brunner Die Stellung des ostelbischen Adels zu Kultur, Wissenschaft und Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts

167

Rainer Pomp Brandenburgischer Landadel und die Weimarer Republik. Konflikte um Oppositionsstrategien und Elitenkonzepte

185

Kurt Finker Eine adlige Familie in Umbruchzeiten. Das Schicksal der Familie von Ribbeck im Havelland (1933-1947)

219

Ämtervarianten und Verhaltensalternativen: Beispiele aus anderen Territorien und Regionen Bernd Wunder Adel und Verwaltung. Das Beispiel Süddeutschland (1806-1914)

241

Thomas Robisheaux The Nobility in South Germany (1790-1848)

267

Peter Burg Von Gerlach zu Bassewitz. Eine vergleichende Studie zur brandenburgisch-preußischen Verwaltungselite in der Reformzeit

281

Monika Wienfort Ostpreußischer „Gutsbesitzerliberalismus" und märkischer „Adelskonservatismus". Politische Perspektiven des preußischen Adels in der Lokalverwaltung im Vormärz

305

Inhalt

1

Axel Flügel Rittergutsbesitz und Ämterbesetzung des Adels im Königreich Sachsen im 19. Jahrhundert

325

Robert von Friedeburg Adel, Staat und ländliche Gesellschaft in den neupreußischen Gebieten. Das Beispiel des ehemaligen Kurhessen (1867-1914)

345

Ilona Buchsteiner Kontinuität und Wandel in der Sozialstruktur der Landräte Pommerns zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg

367

Marko Leps Auswahlbibliographie

389

Personenregister

409

Autorenverzeichnis

419

Vorwort

Dem Adel, der im Kernland des preußischen Staates, der Mark/Provinz Brandenburg, eine achthundertjährige Geschichte miterlebt und mitgestaltet hat, kommt eine Schlüsselstellung in der brandenburgisch-preußischen Geschichte zu. Wenn festzustellen ist, daß die Forschung bemerkenswerte Ergebnisse zur Gesamtthematik hervorgebracht hat, so ist dennoch zu konstatieren, daß gerade für das 19. und 20. Jahrhundert Defizite vorhanden sind. Das Anliegen des vorliegenden Sammelbandes ist es, den bisherigen Forschungsstand zu reflektieren und zu erweitern sowie Vergleiche innerhalb Preußens und mit anderen deutschen Ländern (Gemeinsamkeiten und Besonderheiten) herauszuarbeiten sowie zu Untersuchungen für den zuletzt genannten Zeitraum anzuregen. Er ist das Ergebnis eines Projektes, das vom brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur gefördert und zudem mit einem großzügigen Druckkostenzuschuß unterstützt wurde. Ein im September 1994 durchgeführtes wissenschaftliches Kolloquium der Autoren des Bandes diskutierte inhaltlich-vergleichende Probleme und trug somit zur Qualifizierung des Projektes bei. Die Herausgeber sind Herrn Professor Dr. Heinz Reif, TU Berlin, der das Projekt mit Interesse verfolgte und durch zahlreiche mündliche und schriftliche Hinweise die inhaltliche Konzeption präzisieren half, zu Dank verpflichtet. Herr Dipl.-Ing. Wolf Dietloff von Bernuth, Königstein im Taunus, hat unterstützend zum Gelingen der Publikation beigetragen. Dankenswerterweise hat Professor Dr. Julius H. Schoeps die Veröffentlichung des Bandes in der Reihe des Historischen Instituts „Potsdamer Historische Studien" angeregt und ermöglicht. Herrn Günter Hertel vom Akademie Verlag ist für die verlegerische Arbeit zu danken. Nicht zuletzt soll das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Brandenburgischen Landeshauptarchivs sowie der zahlreichen anderen Archive und Institutionen hervorgehoben werden. Potsdam, am 7. August 1995 Kurt Adamy

Kristina Hübener

Einleitung

ι.

Gustav Schmoller hat in seinen umfassenden Untersuchungen zur preußischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte immer wieder versucht, die seiner Meinung nach enge Verknüpfung der Wirtschaft eines Staates mit seinen Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen zu erklären und aufzuzeigen. „Wer nicht für jede volkswirtschaftliche Erscheinung den Staats- und Verwaltungsmechanismus, innerhalb dessen sich die sozialen und wirtschaftlichen Prozesse abspielen, ganz genau kennt, der wird mit seinen Schlüssen gar zu leicht ins Nebelhafte, Unsichere kommen." 1 Wenngleich es nachfolgend keineswegs darauf ankommt, eine Beweisführung in Schmollers Sinne anzutreten, so wird doch die Entwicklung der preußischen Staatsverwaltung und ihr besonderes Gewicht innerhalb des Staates in Verbindung mit dem Adel am Beispiel der Adelslandschaft Brandenburg einer tieferen sozial-, verwaltungs- und biographiegeschichtlichen Analyse unterzogen. Die Eigentümlichkeit des preußischen Verwaltungsaufbaus wurde vielfach beschrieben. 2 Seine Entstehung fiel in die Reformzeit. Mit der Einrichtung der Fachministerien beginnend, wurde dieser relativ zügig in den neugeschaffenen Provinzen mit den Behörden der Ober- und Regierungspräsidenten fortgesetzt. Demnach wurden die Oberpräsidenten als Vertreter des Innenministers zu Staatskommissaren, sie standen an der Spitze der jeweiligen „Provinz". Diese wiederum hatten als nächstkleinere Verwaltungseinheit die Regierungsbezirke mit den Regierungspräsidenten, die schließlich in Kreise geteilt wurden und denen ein Landrat als Staatsbeamter 1 2

Zitiert nach F. Härtung, Zur Entwicklung der Verfassungsgeschichtsschreibung in Deutschland, in: ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 447. Vgl. u.a. H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart (1950), R. Kosseileck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, 3. Aufl., Stuttgart 1981; E.R. Huber, Deutsche Verwaltungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart u.a. 1990; ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV: Struktur und Krisen des Kaiserreichs, 2. u. erg. Aufl., Stuttgart u.a. 1982 und Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie. Hrsg. v. K.G.A. Jeserich/H. Pohl/G.-C.v. Unruh, Stuttgart 1984.

12

Einleitung

vorstand. Lediglich die größeren Städte erhielten in beschränktem Maße das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Sie unterstanden jedoch in der staatlichen Aufsichtsbefiignis direkt dem Regierungspräsidenten. Einen Ausbau der kommunalen Selbstverwaltung für die Landkreise und die Provinzen sah diese staatliche Verwaltungsstruktur nicht vor, auch wenn im März 1850 eine neue Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung erlassen wurde. Der Fortschritt im Sinne einer größeren Kompetenz der kommunalen Verwaltung wurde begünstigt, nachdem 1866 die neuerworbenen Provinzen Hannover und Schleswig Holstein in den preußischen Staat eingegliedert wurden. Erst nach der Reichsgründung 1871 vollendete der preußische Staat seine Verwaltungsreform. Sie begann 1872 mit der Kreisordnung für die östlichen Provinzen, die zugleich der Durchbruch für eine weitere Reform der kommunalen Verwaltung für die Provinzen im Juni 1875 wurde. Damit waren zugleich Voraussetzungen für neue Ämter geschaffen bzw. an vorhandene Positionen wie die des Landrates neue Kompetenzen und Erwartungen geknüpft, da dieser nun zugleich staatlich und kommunal seinen Kreis verwaltete. Die neuen Strukturen sahen eine auf alle Ebenen ausgedehnte staatliche Verwaltung (Oberpräsident, Regierungspräsident, Landrat) und eine ebenso ausgeweitete kommunale Selbstverwaltung (Landesdirektor, Landrat, Oberbürgermeister) vor. Die neugeschaffenen Veränderungen hatten bis 1933 Bestand. Erst mit der nationalsozialistischen Machtübernahme gab es hier grundlegende Veränderungen. Mit dem traditionell in Preußen bestehenden Dualismus zwischen Staats- und Kommunalverwaltung wurde gebrochen, indem eine Trennung von Staats- und Selbstverwaltung aufgehoben wurde. Der Gauleiter war nun oftmals Oberpräsident, existent waren nur noch Regierungspräsidenten und Landeshauptmann (vorher in Brandenburg Landesdirektor). Schaut man auf die vorhandenen provinzialen staatlichen und kommunalen Spitzenpositionen und die Persönlichkeiten3, die sie besetzten, nähert man sich wesentlichen Fragestellungen des konzeptionell-methodischen Anliegens des Bandes, aber auch den schon vorhandenen Untersuchungsergebnissen.

II. Für die Erforschung des europäischen Adels nach 1750 wurde ein außerordentliches Forschungsdefizit festgestellt.4 Dies gilt gleichermaßen für den Kenntnisstand hin3

4

Vgl. u.a. K.G.A. Jeserich/H. Neuhaus, Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, Stuttgart/Berlin/Köln 1991 und Männer der deutschen Verwaltung. 23 biographische Essays, Köln/Berlin 1963. Vgl. H.-U. Wehler, Einleitung zu ders. (Hrsg.), Europäischer Adel 1750-1950 (= Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft, Sonderheft 13), Göttingen 1990, S. 9-18.

Einleitung

13

sichtlich des Adels in den preußischen Provinzen in der Moderae. Während es eine umfangreiche Adelsliteratur der Historiker zur Frühen Neuzeit gibt 5 , fehlen entsprechende Forschungsergebnisse zur Entwicklung des deutschen und brandenburgischen Adels sowie seines Wirkens in den verschiedenen Verwaltungsebenen im 19. und 20. Jahrhundert. Es gilt daher, wie H.-U. Wehler feststellt, „'die terre incognita' der modernen Adelsgeschichte genauer zu erkunden." 6 Eine adäquate Untersuchung des brandenburgischen Adels wie die von H. Reif über den Westfälischen Adel fehlt bis heute. 7 Wenn festzustellen ist, daß Reifs Arbeit „die differenzierteste, anspruchsvollste und zugleich bisher letzte deutschsprachige Adelsuntersuchung" 8 ist, dann sind die Landeshistoriker stark gefragt, um thematisch differenzierte Forschungen zu betreiben und die Geschichte der brandenburgischen Adelsgeschlechter und die ihrer Verteter in den verschiedensten Ämtern in der Moderne schreiben zu können. Der vorliegende Sammelband soll hierzu ein Anfang sein. Er versteht sich als Vorleistung zu einer noch vorzulegenden Arbeit über die moderne brandenburgische Adelsgeschichte, die wie folgt thematisiert werden könnte: Der Adel in der mittleren staatlichen und kommunalen Verwaltungsebene in der Provinz Brandenburg im Kaiserreich von 1871, der Weimarer Republik und in der NS-Zeit. Die Kenntnis über den Adel dazu ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zufriedenstellend. Die in Literaturberichten formulierten Forschungsaufgaben zur Geschichte des brandenburgischen Adels im 19. und 20. Jahrhundert verdeutlichen den Sachverhalt. 9 Verallgemeinerungswürdige Ergebnisse fehlen, um die „unterent5

Vgl. z.B. P.M. Hahn, Struktur und Funktion des brandenburgischen Adels im 16. Jahrhundert (= Historische und Pädagogische Studien, Bd. 9. Hrsg.v. O. Büsch und G. Heinrich), Berlin 1979; ders., Aristokratisierung und Professionalisierung. Der Aufstieg der Obristen zu einer militärischen und höfischen Elite in Brandenburg-Preußen von 1650-1725, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Neue Folge, Bd. 1, Berlin 1991; G. Heinrich, Der Adel in Brandenburg-Preußen, in; H. Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555-1740. Büdinger Vorträge, Darmstadt 1965; ders., Norddeutscher Adel im Übergang vom Spätmittelalter zur Neuzeit. Bemerkungen zur Sozialverfassung regionaler Führungsschichten, in; E. Henning/W. Vogel (Hrsg.), Festschrift der landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen 1884 bis 1984, Berlin 1984, S. 104-125; K. Spies, Gutsherr und Untertan in der Mittelmark. Brandenburg zu Beginn der Bauernbefreiung, Berlin 1972; H. Harnisch, Die Herrschaft Boitzenburg (14.-19. Jh.), Weimar 1968; ders., Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution. Agrarhistorische Untersuchungen über das ostelbische Preußen zwischen Revolution von 1848/49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Potsdam, Bd. 19), Weimar 1984; K. Vetter, Kurmärkischer Adel und preußische Reformen (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Potsdam, Bd. 15), Weimar 1979.

6 7 8 9

H.-U. Wehler, Europäischer Adel, S. 9. H. Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979. H.-U. Wehler, Europäischer Adel, S. 9. Vgl. G. Heinrich, Landesgeschichtliche Arbeiten und Aufgaben in Berlin-Brandenburg. Rückblicke und Ausblicke, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 39, Berlin 1990, S. 1-42. Heinrich konstatiert: „Weitgehend unbearbeitet ist die Adels-Sozialgeschichte fur das 19. und 20. Jahrhundert. Hier bleibt man angewiesen auf neuere Familiengeschichten." (S. 26); vgl. auch

14

Einleitung

wickelte Region" der modernen Adelslandschaft Brandenburgs zum Blühen zu bringen. Begonnen wurde damit praktisch in jüngerer Zeit in monographischen, Teil- und Gesamtdarstellungen. Hierzu zählen beispielsweise „Märkischer Adel" von H. Graf von Arnim, die „Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945" sowie die „Brandenburgische Geschichte". In ihnen wird auf den brandenburgischen Adel in der mittleren und unteren Verwaltungsebene der Provinz Brandenburg eingegangen und Ansätze für weiterführende Forschungen geboten. 10 Neuen, auch für die brandenburgische Region relevanten Fragestellungen zum sozialen Verhalten des Adels geht H. Henning in seiner Analyse des norddeutschen Adels im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nach. Es wird eine Aufgabe der weiteren Forschung sein, nachzuweisen, wie sich Adel und Bürgertum auch in Brandenburg „um die soziale Spitzenstellung in der entfalteten Leistungsgesellschaft auseinander(setzten)" und „der Wettbewerb bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch nicht (entschieden war)." 11 Die rechtliche, politische, wirtschaftliche und soziale Situation des deutschen Adels in der Weimarer Republik wird von I. Freifrau v. Hoyningen-Huene untersucht. Hier wird dem Verhalten des Adels in einer Umbruchsituation nachgegangen. 12 Für Brandenburg gibt es - auch in diesem Band - hierzu erste Ansätze, vor allem biographische Studien. Für die NS-Zeit fehlen jegliche sozialgeschichtliche Untersuchungen des brandenburgischen Adels. Lediglich erste Studien über das Verhalten einiger seiner Vertreter liegen vor. 13

W. Neugebauer, Brandenburg-Preußische Geschichte nach der deutschen Einheit. Voraussetzungen und Aufgaben, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, 43. Bd., Berlin 1992, S. 154-181. Über Periodika zu älteren brandenburgischen Forschungen seit 1888 vgl. G. Heinrich, Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Rückblicke auf einen Thesaurus, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, Bd. 1, Berlin 1991, S. 5-13. 10 Vgl. H. Graf v. Arnim, Märkischer Adel. Mit einer Einführung von G. Heinrich, 2., erw. Aufl., Berlin 1989 (= Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg. Hrsg.v. G. Heinrich u. W. Vogel, Neue Folge, Bd. 1); J. Laubner (Hrsg.), Adel und Junkertum im 19. und 20. Jahrhundert. Biographische Studien ihrer politischen, ökonomischen und sozialen Entwicklung. Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg, Halle 1990; G. Heinrich/F.-W. Henning/ K.G.A. Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945. Organisation - Aufgaben - Leistungen der Verwaltung, Stuttgart/Berlin/Köln 1993 und I. Materna/W. Ribbe (Hrsg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995. 11 H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz. Beobachtungen zum sozialen Verhalten des norddeutschen Adels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 6, Jg. 1994), Stuttgart 1994, S. 48. 12 Vgl. I. Freifrau v. Hoyningen-Huene, Adel in der Weimarer Republik (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 10), Limburg a.d. Lahn 1992 (Vorwort). 13 Vgl. D. Eichholtz (Hrsg.) unter Mitwirkung von A. Püschel, Verfolgung - Alltag - Widerstand. Brandenburg in der NS-Zeit. Studien und Dokumente, Berlin 1993.

Einleitung

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III. Den unterbreiteten Studien lagen folgende übergeordnete Gesichtspunkte zu Grunde: - Kontinuität und Diskontinuität der Tätigkeit des Adels in der Staatsverwaltung; - Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Tätigkeit in den verschiedenen Provinzen und Ämtern (historischer Vergleich); - die Auswirkungen von Prozeß- und Strukturwandlungen im Rahmen des Themas, Reaktionen des Adels auf neue Verwaltungsstrukturen und gesellschaftliche Umbrüche; - biographische und genealogische Aspekte der Adelsforschung. Die historisch-konkrete Untersuchung entspricht dieser Orientierung. Mit seinen recht unterschiedlichen Themen will der Sammelband dazu beitragen, eine Lücke in der landesgeschichtlichen Forschung Berlin-Brandenburgs, vor allem in der Adelsforschung, für das 19. und 20. Jahrhundert schließen zu helfen. Durch den Vergleich mit anderen preußischen Provinzen und Regionen außerhalb Preußens sollen einige Aspekte der brandenburgischen Adelslandschaft noch prägnanter in Erscheinung treten. Die Beiträge zeigen das Wirken von Verwaltungseliten (Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landesdirektoren und Landräte), ihre Biographien, die Geschichte ihrer Ämter und Familien im Vergleich zu außerbrandenburgischen Regionen auf. Dieses Herangehen bietet die Möglichkeit, bei der Erforschung des brandenburgischen Adels in der Moderne durch die vergleichende Perspektive von Anfang an eine gewisse Enge in der wissenschaftlichen Fragestellung zu überwinden. Die einzelnen Beiträge spiegeln Unterschiede und Ähnlichkeiten bei Personen und Ämtern, historische Individualität und Pluralität in den preußischen Provinzen wider. Neue, weiterführende, die historische Forschung vorantreibende Fragen und Hypothesen lassen sich ableiten. Den konkreten historischen Untersuchungen wird der Beitrag von Walter von Hueck zu Organisationen des deutschen Adels seit der Reichsgründung 1871 und das deutsche Adelsarchiv vorangestellt. Er informiert nicht nur über Adelsorganisationen, sondern gibt auch einen guten Einblick in Aufbau und Bestand des deutschen Adelsarchivs in Marburg. In den zwei sich anschließenden Schwerpunkten werden neue Forschungsergebnisse zur brandenburgischen Adelslandschaft und Beispiele aus anderen Territorien und Regionen zu Ämtervarianten und Verhaltensalternativen unterbreitet. Mit einer Studie zu brandenburgischen Landräten im 19. Jahrhundert (Christiane Eifert, Berlin) wird der sich auf Brandenburg beziehende Teil eingeleitet. Es schließen sich Untersuchungen zum Amt des Regierungspräsidenten in den Familien von der Schulenburg und von Schwerin (Claudia Wilke, Potsdam), zur publizistischen Tätigkeit des Oberpräsidenten Magnus von Bassewitz (Felix Escher, Berlin), zur Karriere eines nichtbrandenburgischen Verwaltungsbeamten, des nobilitierten Regierungs- und

16

Einleitung

Oberpräsidenten Dr. Heinrich von Achenbach (Kurt Adamy/Kristina Hübener, Potsdam) an. Damit wird in gewissem Sinne recht umfangreich der staatlichen Mittelinstanz und ihren Ämtern, aber auch den Persönlichkeiten der Verwaltung und ihren Leistungen Rechnung getragen. Mit den Ausführungen zur historischen Entwicklung des preußischen Landesdirektorenamtes (Landeshauptmanns) von 1876 bis 1945 durch Gerd Schadewitz und zur leistenden Verwaltung in der Provinz Brandenburg unter den Landesdirektoren am Beispiel der Anstaltsfursorge (1876-1930) durch Kristina Hübener, beide Potsdam, wird ausgehend vom Amt die praxisbezogene Wirksamkeit der Amtsträger in der Leistungsgesellschaft dargestellt. Übergreifende Studien zur Stellung des ostelbischen Adels in Kultur, Wissenschaft und Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts (Reinhold Brunner, Eisenach), zum brandenburgischen Landadel in der Weimarer Republik (Rainer Pomp, Berlin) sowie zur Familie Ribbeck im Havelland in den Jahren 1933-1947 (Kurt Finker, Potsdam) runden den Blick auf die brandenburgische Region ab. Die Beiträge umfassen insgesamt den Zeitraum des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie demonstrieren die politische und rechtliche Stellung des brandenburgischen Adels in der Gesellschaft, seinen Übergang vom privilegierten traditionellen Herrschaftsstand zur regionalen und staatlichen Funktionselite, veranschaulichen das Verhältnis von adligen Wertvorstellungen und neuen Bedingungen (Berufslaufbahn, Berufs- und Ämterwahl, Ämterfolge, -verlauf, -entwicklung) und geben Auskunft über den Beitrag des Adels an der kulturellen Entwicklung der Provinz. Die Beiträge machen das Wechselspiel von Funktionswandel und erzwungener Anpassung, Bestrebungen zur erfolgreichen Selbstbehauptung auch in Brandenburg, Prozeß-und Strukturwandlungen (neue Verwaltungsstrukturen 1815, 1872/75, 1933) und das Verhalten von Adelsvertretern in gesellschaftlichen Umbruchzeiten (1918/19, 1933, 1945) deutlich. Sie zeigen aber auch die enge Verbindung des brandenburgischen Adels zum preußischen Königshaus, nicht nur als Folge der Nobilitierungspraxis in Preußen, sondern auch als produktiven Beitrag des Adels an der Provinz. Insgesamt wird deutlich, daß brandenburgische Adlige wesentlich zu einer modernen Leistungsverwaltung auf provinzialer Ebene beigetragen haben. Sie schufen dauerhafte Ergebnisse für den Bestand und die weitere Entwicklung der Provinz. Im Schwerpunkt Ämtervarianten und Verhaltensalternativen des Adels werden Beispiele aus anderen Territorien und Regionen vorgestellt. Hierzu gehören Süddeutschland (Bernd Wunder, Konstanz und Thomas Robisheaux, Durham), das Königreich Sachsen (Axel Flügel, Bielefeld), das Beispiel des ehemaligen Kurhessen (Robert von Friedeburg, Bielefeld) und Pommern (Ilona Buchsteiner, Rostock). Eine vergleichende Studie zur brandenburgisch-preußischen Verwaltungselite in der Reformzeit (Peter Burg, Münster) und ein Beitrag zu politischen Perspektiven des preußischen Adels in der Lokalverwaltung im Vormärz (Monika Wienfort, Bielefeld) geben einen interessanten Einblick in das Wirken von Adelsvertretern in außerbrandenburgischen Regionen. Auch diese Untersuchungen zeigen, daß der Adel einen

Einleitung

17

bleibenden Beitrag zum Auf- und Ausbau der Leistungsverwaltung sowie zur Intensivierung staatlicher und kommunaler Verwaltung geleistet hat.

IV. Trotz der unterbreiteten Forschungsergebnisse und erster Verallgemeinerungen müssen dennoch eine Fülle noch offener Fragen geklärt werden, um ein differenzierteres und aussagekräftigeres Bild darüber zu erhalten, wie z.B. der Adel auch in Brandenburg seine Position festigte, wie er sich den neuen Bedingungen anpaßte und gezielte Personalpolitik betrieb. Weitere, noch offene Fragestellungen sind u.a.: - Inwiefern hatten die Institution des Reserveoffiziers, studentische Korps und die Titel- und Ordensverleihungen entscheidenden Einfluß auf eine gezielte Personalpolitik im Sinne des Adels? - Wie stand der brandenburgische Adel zur Entwicklung neuer Staatsverwaltungsbereiche? - Betrieb der Adel im Amt eine Adelspolitik oder die Politik des Königs? - Worin lag die Attraktivität bestimmter Positionen für den Adel? - Welche Rolle spielte der Einfluß der Familie? Hat sie zur Statussicherung beigetragen? - Welche Familientraditionen gibt es in bezug auf den Beruf im brandenburgischen Adel? - Welche genealogischen Forschungen müssen zur Adelsproblematik betrieben werden? Welche Auskunft gibt die Familiengeschichte zu den aufgeworfenen Grundfragen? - Wie ist das Verhältnis von adligen und bürgerlichen Vertretern im Amt des Landrats? - Worin liegen die Ursachen für die konstante Besetzung von Ämtern der Ober- und Regierungspräsidenten mit Adligen im 19. und 20. Jahrhundert bei gleichzeitiger Unterrepräsentanz in wichtigen Funktionsbereichen des Staates wie Wissenschaft und Technik? - In welchen technischen Bereichen faßte der Adel Fuß? - Wie ist das Verhältnis von Gutsbesitzern, Offizieren und Beamten unter den adligen Beschäftigten Brandenburgs im 19. und 20. Jahrhundert? - Welche Adelsgruppen dominierten in der Verwaltung Brandenburgs? Hat sich der Kleinadel auch in dieser Provinz ökonomisch und politisch stabilisiert? - Wieviel Nobilitierungen gab es in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert? Wurde der Neuadel vom alten Adel anerkannt? - Welche Rolle spielte der Adel in Interessenverbänden und Parteien des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und in der NS-Zeit?

18

Einleitung

Diese und andere Fragen zeigen, daß die Erforschung der Geschichte des brandenburgischen Adels im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert erst am Anfang steht. Wenn der vorliegende Sammelband neue Fakten unterbreitet, den Adel in seinen Ämtern untersucht hat und zu weiteren Forschungen anregt, hat er bereits seine Berechtigung. Der Anfang in einem bisher wenig erforschten sozialgeschichtlichen Bereich der Geschichte Brandenburgs ist gemacht.

Die Herausgeber

Walter von Hueck

Organisationen des deutschen Adels seit der Reichsgründung und das Deutsche Adelsarchiv

Die entscheidende Rolle in der Organisation des Adels im deutschen Kaiserreich spielt die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG). Mit ihren vielfältigen Aufgaben und Gliederungen ist sie - neben Ritterschaften, konfessionell gebundenen Adelsverbänden und den Ritterorden der Malteser und Johanniter - bis 1945 von zentraler Bedeutung. Da die heute bestehenden Organisationen des deutschen Adels und auch das Deutsche Adelsarchiv im wesentlichen auf entsprechende Einrichtungen der DAG zurückgehen, ist ihre Entstehung und Entwicklung jeweils im Zusammenhang mit diesen Vorläufern zu sehen. Die DAG wurde am 26. Februar 1874 in Berlin gegründet und zwar von 30 grundbesitzenden Adeligen aus den preußischen Provinzen Brandenburg, Pommern, (Ost-)Preußen, Sachsen und Schlesien. In einem neue Mitglieder werbenden Rundschreiben vom Februar 1878 führt der Vorstand aus: „Der Adel ist, wenn auch aller materieller Vorrechte baar, die wir nicht zurückerstreben, durch seinen Grundbesitz, seinen Dienst in der Armee und im öffentlichen Leben, im Genüsse eines Ansehens, das sich trotz aller Feindschaft und alles Neides bisher erhalten hat. [...] In einer Zeit, in welcher sich auf den Trümmern alter socialer Ordnungen in allen Schichten der Bevölkerung ein Ringen nach neuer Organisation bemerkbar macht, ist auch vor Allem für den Adel der gewiesene Weg, um wieder zur Erstarkung zu gelangen, der der Vereinigung, deren Nothwendigkeit uns bereits von vielen Standesgenossen als dringend bezeichnet worden ist."1 Diese Bemühungen werden auch seitens der preußischen Krone anerkannt: Durch Allerhöchste Kabinetts-Ordre vom 7. März 1883 verleiht Kaiser Wilhelm I. der DAG die Rechte einer juristischen Person. 2 Nun gab es aber im Königreich Preußen keine Übersicht über den Bestand an adeligen Familien und Personen. Zwar hatte Freiherr Leopold v. Ledebur noch 1855 versucht3, alle Familien zu erfassen, allein schon der Umfang des Nachtrags 4 beweist

1 2 3 4

Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1896, S. 132 f. Deutsches Adelsblatt 1 (1883), S. 84. L. Freiherr v. Ledebur, Adelslexicon der Preussischen Monarchie 1-3, Berlin (1855 ff.). Ebd., Bd. 3, S. 177-363.

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die Unvollständigkeit seiner Quellen. Ähnliches gilt für Maximilian Gritzner, der 1873 den Briefadel in Preußen erfaßte. 5 Im Königreich Bayern dagegen war eine Adelsmatrikel schon gemäß dem 5. Kapitel des Edikts vom 28. Juli 18086 geschaffen worden, und zwar „hauptsächlich um den Präsenzstand des Adels im Königreich jederzeit festzustellen und fernerhin zu verhindern, daß Unbefugte sich des Adelstitels überhaupt, resp. der höheren Grade desselben zu bedienen versuchen." 7 Erst am 19. September 1902 wird dann im Königreich Sachsen ein entsprechendes „Gesetz, die Einrichtung eines Adelsbuches und die Führung des Adels und des Adelszeichens betreffend" erlassen.8 Auch in Preußen werden ähnliche Überlegungen angestellt: „Aus dem Jahre 1882 stammt der im Sinne der Absichten des Preuß. Heroldsamtes verfaßte Entwurf der Matrikelbogen für die Mitglieder der D.A.-Gen., der Anfang eines Versuches zur Matrikulirung des deutschen Adels". 9 Auf dem Adelstag der DAG am 17. Februar 1884 in Berlin wird aber „die offizielle Matrikulisirung des Adels, obwohl sehr wünschenswerth, doch zur Zeit wegen des vorhandenen riesigen Materials nicht für durchführbar" gehalten. 10 Seit dem 18. März 1883 erscheint als „Wochenschrift für die Interessen des deutschen Adels beider Confessionen" die Zeitschrift „Deutsches Adelsblatt" (DAB1.). Ihr Herausgeber, Chefredakteur und Verleger ist zunächst Paul v. Roell in Berlin. Schon auf dem Adelstag der DAG am 17. Februar 1884 wird beschlossen, das DAB1. zum offiziellen Organ der DAG zu machen 11 . Am 1. April 1886 geht die Zeitschrift in den Besitz des „Vereins zur Förderung des Deutschen Adelsblattes" 12 über. 13 In der Einladung zum Adelstag am 25. Februar 1888 in Berlin wird angekündigt, daß „Fragen der allergrößten Wichtigkeit und Tragweite erwogen und Beschlüsse gefaßt werden sollen, die für eine kräftige und segensreiche Fortentwickelung der Genossenschaft und ihrer Ziele besonders entscheidend sein werden". 14 Auf diesem Adelstag wird vor allem die Bildung von vier verschiedenen Arbeitsabteilungen beschlossen 15 , deren Zuständigkeit aber schon zur Jahrhundertwende

5

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

M. Gritzner, Chronologische Matrikel der Brandenburgisch-Preussischen Standeserhöhungen und Gnadenacte, Berlin 1873 f.; vgl. J.K.v. Schroeder, Standeserhöhungen in Preußen, in: B. Jähnig/K. Schulz (Hrsg.), Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Herold, Berlin 1994, S. 275. Königlich-Baierisches Regierungsblatt, 51. Stück vom 14.9.1808, Sp. 2032 f. M. Gritzner, Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte Deutscher Landesfursten während der letzten drei Jahrhunderte, Görlitz 1881, S. 287. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, 21. Stück vom Jahre 1902, S. 381 -384. Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1896, S. 134. Deutsches Adelsblatt 2 (1884), S. 90. Ebd. Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1908, S. 43. Deutsches Adelsblatt 4 (1886), S. 157-158. Deutsches Adelsblatt 6 (1888), S. 97 u. 113. Ebd., S. 147.

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teilweise etwas abweichend definiert wird: 16 1. für die Aufrechterhaltung und Verbreitung der sittlichen Grundsätze der Genossenschaft (später: den geistigen und sittlich-erziehlichen Bedürfnissen der Genossenschaft dienend); 2. zur Erledigung von Unterstützungs- und Versorgungsangelegenheiten; 3. für Erhaltung und Hebung des materiellen Wohlstandes (später ergänzt: besonders auch Erhaltung des Grundbesitzes etc.); 4. für Wappen-, Geschlechter- und Siegelkunde (später: Heraldische und genealogische Angelegenheiten, Raterteilung und Förderung des familiengeschichtlichen Sinnes). Ferner wird auf dem Adelstag am 25. Februar 1888 beschlossen, „zur festeren Gliederung der Genossenschaft und um auch außerhalb Berlins eine größere Arbeitsthätigkeit für die gesteckten Ziele zu ermöglichen, [...] Zweigvereine zu bilden". 17 Damit sind die späteren Landesabteilungen der DAG aus der Taufe gehoben. Auf demselben Adelstag wird schließlich der folgende Beschluß gefaßt: „Die deutsche Adelsgenossenschaft empfiehlt die Errichtung eines Vereins, welcher die besondere Aufgabe hat, [...] dem weiteren Verfall des Adels dadurch entgegenzuarbeiten, daß er a) für die Erziehung der Kinder mittelloser Adliger sorgt; b) den würdigen Ernährern solcher Kinder zur Erlangung ehrbarer Lebensstellungen behilflich ist." 18 Das ist die Geburtsstunde des „Zentral-Hilfs-Vereins der Deutschen Adels-Genossenschaft", der späteren „Zentralhilfe" der DAG, die bis 1945 ihre segensreiche Tätigkeit ausüben kann. Die Beratung der gesamten Tagesordnung des denkwürdigen Adelstages, der am 25. Februar 1888 um 10.15 Uhr begann, ist erst um 0.30 Uhr des folgenden Tages zu Ende: „Ernste und angestrengte Arbeit hatten reiche Früchte getragen, welche ihre segensreiche Wirkung auf die Weiterentwickelung der Genossenschaft und ihrer edeln Ziele nicht verfehlen wird." 19 Trotz der noch 1884 geäußerten Zweifel an ihrer Durchführbarkeit wird auf dem Adelstag am 21. Februar 1891 der Vorstand der DAG aufgefordert, „eine Matrikel des Personalbestandes des Deutschen Adels aufzustellen". Auf dem Adelstag am 4. März 1896 referiert der Schatzmeister der DAG über das Ergebnis: 20 „Der Vorstand ist sich der Größe und Schwierigkeit der Ausführung dieses Auftrages vollkommen bewußt und hat auch [...] darauf hingewiesen, daß die unausgesetzte Arbeit langer Jahre [...] erforderlich sein werde, das gesteckte Ziel zu erreichen." Schließlich „erschien es erforderlich, die nicht titulirten Adelsfamilien, die in den Gothaischen 16 Aufruf „An den christlichen Adel deutscher Nation" der „Abtheilung I der Deutschen Adelsgenossenschaft", Berlin (1900), S. 2. 17 Deutsches Adelsblatt 6 (1888), S. 147. 18 Ebd. 19 Ebd., S. 148. 20 Deutsches Adelsblatt 14 (1896), S. 213 f.

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genealogischen Taschenbüchern nicht enthalten sind", vorrangig zu bearbeiten und deren Genealogien zu publizieren. Für die fürstlichen, gräflichen und freiheitlichen Häuser waren entsprechende Reihen des „Gothaischen Genealogischen Taschenbuches" schon 1764, 1825 und 1848 begründet worden 21 , die bis 1942 erscheinen. Im Dezember 1895 kann damit begonnen werden, das „reiche Ergebniß der Matrikel-Arbeiten der von der deutschen Adelsgenossenschaft eingesetzten Kommission" 22 zu veröffentlichen. Das Ergebnis ist das „Jahrbuch des Deutschen Adels", von dem drei Bände (1896, 1898 und 1899) erscheinen, bis im Einvernehmen mit der DAG der Verlag Justus Perthes in Gotha im Januar 1900 ein „Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser" und im November 1906 ein „Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Briefadeligen Häuser" herausgibt und damit zwei neue Reihen einrichtet, die ebenfalls bis 1942 fortgesetzt werden können. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der DAG ist die Schaffung und Führung von Einrichtungen für weibliche Angehörige des Adels. Auf dem Adelstag am 14.Februar 1907 wird mitgeteilt, daß der DAG nicht nur eine Schenkung von 250.000 Mark zugewendet worden sei, sondern daß außerdem eine Dame aus ihrem Besitz ein Rittergut mit zwei Schlössern testamentarisch der DAG vermacht habe mit der Auflage, „auf diesem Besitz ein adeliges Fräuleinstift zu errichten". Damit „stände zu hoffen, daß die Folgen dieser Schenkungen der gesamten Tätigkeit der Genossenschaft und namentlich unterstützungsbedürftigen adeligen Damen zu besonderem Segen gereichen werden." 23 Im Jahre 1906 hatte die gesamte karitative Arbeit der DAG einen Umfang von 53.500 Mark gehabt.2* Auf dem Adelstag am 12. Februar 1908 wird dann mitgeteilt, daß es sich um die Stiftung des Rittergutes Löbichau in Sachsen-Altenburg handle, welches Frau [Johanna Luise] v. Tümpling geb. v. Boyen nun schon zu Lebzeiten und zwar am 1. Oktober 1907 auf die DAG übertragen habe, damit sie dort noch persönlich an der Einrichtung eines evangelischen adeligen Damenstifts mitwirken könne 25 . Schon am 26. Mai 1908 kann im Neuen Schloß die wirtschaftliche Frauenschule eröffnet 26 und nach den notwendigen Umbaumaßnahmen am 10. August 1908 auch das „Johanna-Luisen-Stift" im Alten Schloß eingeweiht werden. 27 Frau v. Tümpling stirbt am 3. Juli 1911 in Jena. 28 Nach Schließung der Frauenschule im Jahre 1930 und nochmaligem Umbau werden 1931 neben dem adeligen Damenstift im Alten Schloß ein Familienheim im Neuen 21 T. Freiherr v. Fritsch, Die Gothaischen Taschenbücher, Hofkalender und Almanach (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 2), Limburg 1968. 22 Jahrbuch des Deutschen Adels 1 (1896), S. V. 23 Deutsches Adelsblatt 25 (1907), S. 92. 24 Ebd., S. 93. 25 Deutsches Adelsblatt 26 (1908), S. 99. 26 Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1910, S. 73. 27 Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1909, S. 250. 28 Nachruf der DAG im Deutschen Adelsblatt 29 (1911), S. 373; Todesanzeige der Familie ebd., S. 381; G o t h a i s c h e s G e n e a l o g i s c h e s T a s c h e n b u c h d e r U r a d e l i g e n H ä u s e r 1 9 1 2 , S. 8 2 0 .

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Schloß und ein Damenheim im Seitenflügel desselben gegründet. 29 Vom Weltkrieg, in dem etwa 5.000 Angehörige des deutschen Adels gefallen sind 30 , von dem Ausbruch der Revolution, dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der Republik im November 1918, von dem Verlust vor allem der Gebiete Posen, Westpreußen und Ost-Oberschlesien sowie von der Auflösung des deutschen Heeres wird der deutsche Adel besonders betroffen. Artikel 109 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) vom 11. August 1919 bestimmt, daß die öffentlich-rechtlichen Vorrechte der Geburt oder des Standes aufzuheben seien und daß Adelsbezeichnungen nicht mehr verliehen werden dürfen. Gleichzeitig werden aber die bisherigen Adelsbezeichnungen zu Bestandteilen des bürgerlichen Familiennamens erklärt und können nun auch durch Adoption und nichteheliche Geburt übertragen werden. Bisher war in solchen Fällen nur der Name ohne Adelsbezeichnungen übergegangen. Nach Auflösung des Königlich preußischen Heroldsamtes im Jahre 1919 wird als dessen private Fortsetzung eine „Buchungseinrichtung für den deutschen Adel" gegründet, und zwar unter der Leitung des Oberjustizrats a.D. Freiherrn Albrecht v. Houwald, der bisher diesem Heroldsamt angehört hatte. 31 Die „Buchungshauptstelle" für das „Eiserne Buch Deutschen Adels Deutscher Art" (EDDA) wird 1928 von der DAG übernommen. 32 Die Auswirkungen des Art. 109 WRV machen eine Differenzierung zwischen historisch berechtigten Namensträgern und solchen, die nur dank einer Adoption das Recht zur Führung eines adeligen Namens erlangt haben, notwendig. Deshalb ist 1923 „bei der Hauptgeschäftsstelle [der DAG] eine neue Abteilung für den Kampf gegen den Scheinadel gegründet worden, dem sich durch unsere moralisch so verkommenen Zustände ein reiches Feld der Tätigkeit eröffnet hat. Mit der Veröffentlichung der Scheinadelslisten im Adelsblatt ist begonnen worden. [...] Leider sind Adelsprüfungen in Zukunft besonders erschwert, da der Justizminister die Eingabe der D.A.G., ihr die Durchsicht der Heroldsamtsakten zu erleichtern, nicht nur abgelehnt, sondern sich dahin geäußert hat, daß er die 'Tendenzen der D.A.G., wie sie in der Anlegung der Adelsmatrikel und der Vornahme von Namensprüfungen zum Ausdruck kommen, durch Hergabe amtlichen Materials aus den Akten des ehemaligen Heroldsamtes zu unterstützen, anstand nehmen müsse'". 3 3 Wie sich in Zeiten der Not stets die Betroffenen stärker zusammenschließen, führen auch die Kriegsfolgen zu einer Stärkung der DAG, deren Schriftführer schon 1921 erklären kann: „Die D.A.G. hat aus der Not der Zeit neue Kräfte gewonnen. In ganz anderm Umfange als bisher strömten ihr in den beiden letzten Jahren die Stan29 Anschriftenbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft 1940, S. 46. 30 Ehrentafel der Kriegsopfer des reichsdeutschen Adels 1914-1919, Gotha (1921); Nachtrag zur Ehrentafel 1914-1919, Gotha (1926); A.v. Schoenermarck (Hrsg.), Helden-Gedenkmappe des deutschen Adels, Stuttgart 1921. 31 Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1923, S. 17-20 u. 55-57. 32 Anschriftenbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft 1940, S. 42. 33 Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1924, S. 1-2.

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desgenossen zu; auch die bisher ihr Fernstehenden erkannten die Notwendigkeit des Zusammenschlusses des gesamten Adels". 34 Lesenswert ist der Aufsatz „Rückblick und Ausblick auf die Entwicklung des Adels" des Oberstleutnants a.D. und Archivrats [Friedrich Wilhelm] v. Rieben. 35 Die Zahl der Mitglieder steigt von rund 1.600 zu Ende 191936 a u f 5.270 Ende 192137, a u f 8.938 Ende 1922, auf 11.268 am 1. Oktober 192338 und auf über 17.000 im Sommer 1926 an.39 Freifrau Iris v. Hoyningen-Huene hat in ihrer Dissertation „den Adel in seiner jüngsten Geschichte zwischen Umbruch und Neuorientierung in einer republikanischdemokratischen Gesellschaft" untersucht und „die rechtliche, politische, wirtschaftliche und soziale Situation des Adels in der Weimarer Republik dargestellt." 40 Zum Verhältnis des Adels zur DAG fuhrt sie aus: „Von Seiten des Adels war ein Beitritt in die DAG zumeist mit ganz konkreten Erwartungen gekoppelt. Der besitzende Adel wollte die Standesorganisation als Forum zur Sicherung seines Eigentums verstanden wissen. Der verarmte und zum Teil berufslose Adel hingegen hoffte, durch die DAG seinen Anspruch auf Teilhabe an der zukünftigen Führungsschicht in der neuen Republik machtvoller vertreten zu können. Manche suchten auch nur Geselligkeit und Kontakte zu solchen Standesgenossen, denen es möglich war, sie wirtschaftlich zu unterstützen. [...] Die Stagnation der Mitgliederbewegung in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik deutete darauf hin, daß die DAG zahlenmäßig an ihre Grenzen gekommen war. Nachteilig machte sich die Zersplitterung in viele kleine adelsnahe Vereinigungen und Organisationen bemerkbar, die sich zu Lasten einer Ausweitung der DAG als starke Gesamtorganisation des Adels auswirkte. Auch wirtschaftliche Schwierigkeiten im Adel trugen zunehmend dazu bei, daß sich viele Organisationswillige notgedrungen auf die Mitgliedschaft in einigen wenigen Vereinigungen beschränken mußten". 41 Der Übergang des Deutschen Reiches von der Monarchie zur Republik führt auch zu einer Satzungsänderung der DAG. Die Neufassung wird am 4. Februar 1921 behördlich bestätigt. „Einer ihrer wesentlichsten Punkte ist, daß von nun an auch Damen Mitglieder der Genossenschaft werden können." 42 Nach den großen Verlusten, die der deutsche Adel im Weltkrieg erlitten hat, bewirkt diese Erweiterung ebenfalls ein Anwachsen der Mitgliederzahl. Auch für das DAB1. ergeben sich wesentliche Veränderungen. „Das Adelsblatt ist nach Zusammenbruch des Wirtschaftsbundes für den Deutschen Adel der Waren34 Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1921, S. 4 f. 35 Im Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1921, S. 14-26. 36 37 38 39 40

Ebd., S. 5. Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1922, S. 25. Kalender der Deutschen Adelsgenossenschaft 1923, S. 15. Deutsches Adelsblatt 44 (1926), S. 429. I. Freifrau v. Hoyningen-Huene, Adel in der Weimarer Republik. (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 10), Limburg 1992, Vorwort.

41 Ebd., S. 59. 42 Kalender der Deutschen Adels-Genossenschaft 1921, S. 5.

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Handelsgesellschaft des Grafen v. Schlieffen übergeben worden, die es mit dankenswerter Selbstlosigkeit durch die Klippen der Inflation hindurchgesteuert hat. Nachdem auch die W.H.G. in gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, übernahm Graf [Wilhelm] v. Schlieffen allein den Verlag." 43 Im Mai 1923 wird auf dem Adelstag in Hannover angeregt, einen „Adels-Prüfungs-Ausschuß" (APA) zu schaffen. „Er besteht zunächst aus dem engeren Vorstand und drei hinzugewählten Herren. Die Schwierigkeit des Stoffes und das ständige Wachsen der an ihn herangetragenen Aufgaben" machen eine Vergrößerung notwendig. „Erfreulicherweise gelang es, zwei Vertreter des ehemaligen Heroldsamtes zur Mitarbeit zu gewinnen". 44 Bei diesen handelt es sich um den Oberjustizrat a.D. Freiherrn Albrecht v. Houwald und den Kammergerichtsrat Joachim v. Owstien. Dem APA gehört schon 1925 auch der Regierungsrat Hans Friedrich v. Ehrenkrook an, der dann nach dem Zweiten Weltkrieg die Initiative zum Wiederaufbau der Institutionen des deutschen Adels ergreift. Der APA „prüft und begutachtet adelsrechtlich zweifelhafte Fälle und legt sie dem Ehrenausschuß vor, der vorbehaltlich ev. späterer Königlicher Genehmigung entscheidet" 4 5 Der Ehrenausschuß ist ein Organ des Ehrenschutzbundes des deutschen Adels. 46 „Da sich aber in der Praxis die Bearbeitung durch zwei Instanzen als nicht zweckentsprechend herausstellte, wurde der A.P.A. aufgelöst, seine Aufgaben wurden dem Ehrenausschuß übertragen und dieser für die Prüfung adelsrechtlicher Fragen neu zusammengesetzt." 47 Im Frühjahr 1926 erläßt der Adelsmarschall einen Werbeaufruf 48 und stellt die Frage: „Welches sind die Aufgaben der Deutschen Adelsgenossenschaft?" Seine erste Antwort lautet: „In einer Zeit ödesten Materialismus, krassesten Unglaubens will sie neben christlichem Glauben und christlicher Gesinnung die Ideale pflegen und ihrer Jugend einimpfen, die einst unser Volk innerlich und äußerlich groß gemacht und ihm die Berechtigung gegeben haben, sich mit Stolz das deutsche zu nennen." 49 Auch die politische Bedeutung der DAG in dieser Zeit ist von Freifrau v. Hoyningen-Huene untersucht worden. 50 Die DAG kämpfte „an der Seite aller Konservativen, insbesondere der Deutschnationalen, für die Wiederaufrichtung der Monarchie. Ihre ausgeprägt antirepublikanische Haltung brachte die DAG immer mehr in Konflikt mit der Weimarer Republik. Im Laufe des Jahres 1929 kam es wegen ihres andauernden vergiftenden Kampfes gegen den bestehenden Staat zum politischen Eklat. In einer Ministerbesprechung vom 3.9.1929 wurde das Verhältnis der adeligen Reichsbeamten43 44 45 46 47 48 49 50

Jahrbuch (Kalender) der Deutschen Adelsgenossenschaft Ebd., S. 4 f. Deutsches Adelsblatt 42 (1924), S. 167. Jahrbuch (Kalender) der Deutschen Adelsgenossenschaft Deutsches Adelsblatt 44 (1926), S. 430. Jahrbuch (Kalender) der Deutschen Adelsgenossenschaft Ebd., S. 1. Das folgende nach I. Freifrau v. Hoyningen-Huene, Adel

1926, S. 6 f.

1926, S. 5. 1927, S. 5. in der Weimarer Republik, S. 63-65.

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schaft zur DAG dahingehend überprüft, ob sich eine Mitgliedschaft noch mit den Pflichten eines Beamten gegenüber dem Staat vertrug. Insbesondere der Reichswehrminister befürchtete, daß sich die DAG mit ihren Parolen wehrkraftzersetzend auf adelige Angehörige der Reichswehr und darüber hinaus auch auf die gesamte Reichswehr auswirken könnte. Deshalb erließ er am 8.9.1929 ein Verbot der Mitgliedschaft in der Deutschen Adelsgenossenschaft wegen ihres Kampfes gegen den Staat. [...] Für die übrigen Reichs- und Staatsbehörden wurden zwar keine derart harten Maßnahmen angeordnet, trotzdem wurden alle Beamten aufgefordert, eindeutig Stellung gegenüber der DAG zu beziehen. Der öffentliche Zorn richtete sich gegen das Deutsche Adelsblatt, das in den letzten Jahren verschiedentlich in gehässiger Form die Politik des Reichsministers Stresemann angegriffen hatte." „Gegen Ende der Weimarer Republik war der Kampf gegen das System immer weniger gleichbedeutend mit dem Wunsch nach Wiedereinführung der Monarchie. Die politische Zielsetzung der DAG aus den Anfangsjahren der Weimarer Republik wurde im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Fernziel, das um so schwerer zu realisieren war, je mehr die jüngeren Mitglieder des Adels von ihm abrückten. Die Forderung nach der Wiedererrichtung der Monarchie wurde zwar formal in den Statuten weitergeführt, jedoch mehr und mehr von dem Gedankengut des aufkommenden Nationalsozialismus überlagert. Damit einher ging deutlich erkennbar eine Veränderung der politischen Ausrichtung der DAG." In ihrer Konsequenz tritt der Adelsmarschall Friedrich v. Berg am 17. Februar 1932 von seinem Amt zurück.51 Zu seinem Nachfolger wird Fürst Adolf zu BentheimTecklenburg gewählt. 52 Am 2. Mai 1934 beruft der Adelsmarschall einen Adelsgerichtshof mit einer „Abteilung für adelsrechtliche Fragen", die ihre Aufgabe vom Ehrenschutzbund übernimmt. 53 In dieser Tradition nimmt nach dem Zweiten Weltkrieg der Adelsrechtsausschuß (ARA) seine Arbeit auf. „Von ganz besonderer Bedeutung sind für die D.A.G. die im Sommer 1924 mit dem Verlag der Goth.Gen. Taschenbücher abgeschlossenen Abmachungen und die damit in Verbindung stehenden Beschlüsse: 1. Die Gothaischen Genealogischen Taschenbücher werden die offizielle Matrikel der Deutschen Adelsgenossenschaft, 2. Die bisher von der Buchungshauptstelle geführte Allgemeine Adelsmatrikel wird nicht weitergeführt, 3. Die der D.A.G. aus der Zusammenarbeit mit den Gothaern erwachsende Aufgabe übernimmt die Buchungshauptstelle in Verbindung mit dem Adels-Prüfungs-Ausschuß". 54 Dementsprechend beginnt der einleitende Text im GGT bis zuletzt (1942) mit den Worten: „Die Gothaischen Genealogischen Taschenbücher sind 'Adelsmatrikel der 51 52 53 54

Deutsches Adelsblatt 50 (1932), S. 107. Ebd., S. 385. Deutsches Adelsblatt 52 (1934), S. 325. Jahrbuch (Kalender) der Deutschen Adelsgenossenschaft 1926, S. 6.

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Deutschen Adelsgenossenschaft'; ihre Bearbeitung erfolgt im Einvernehmen mit deren 'Abteilung für adelsrechtliche Fragen'." Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs weist die Gliederung der DAG 55 neun Abteilungen auf, von denen die folgenden hervorzuheben sind (gekürzt): 2. Schriftleitung des Deutschen Adelsblattes; 3. Bearbeitung der Kartei und des Jahrbuches; 4. Buchungshauptstelle des Deutschen Adels, Führung des „Eisernen Buches Deutschen Adels Deutscher Art" (EDDA), Geschlechter- und Wappenkunde, adelsrechtliche Fragen; 6. Kampf gegen Scheinadel, Adoptionen, Namensheiraten, falsche Namensführung. Im Jahre 1940 bestehen in der DAG 21 Landesabteilungen. 56 Mit dem Fortschreiten des Krieges muß die Tätigkeit in allen Bereichen eingeschränkt und schließlich ganz eingestellt werden. Im DAB1. vom 15. März 1943 wird mitgeteilt: „Gothaische Genealogische Taschenbücher. Der Jahrgang 1943 der Taschenbücher ist nicht erschienen; es ist unsicher, ob er noch erscheinen wird. Die Herstellung aller Druckwerke ist heute von einer Genehmigung abhängig, die nach Maßgabe der Kriegswichtigkeit erteilt oder versagt wird." 57 Das ist das Ende des „Gotha". Nur das Gothaische Jahrbuch für Diplomatie, Verwaltung und Wirtschaft sowie der Almanach de Gotha, eine in einem Band zusammengefaßte französischsprachige Dünndruckausgabe des Genealogischen Taschenbuchs der Fürstlichen Häuser und des vorgenannten Jahrbuchs, erscheinen noch 1943 und 1944, letzterer für den Export. „Mit Rücksicht auf die derzeitigen Kriegsverhältnisse in Berlin" müssen im Sommer 1943 „die Hauptgeschäftsstelle und die Zentralhilfe vorübergehend geschlossen" und die Redaktion des DAB1. nach Freiburg i.Br. verlagert werden. 58 Nach vorübergehender Wiedereröffnung des Büros unter der bisherigen Anschrift Berlin-Wilmersdorf, Kaiserallee 200 59 , wird jedoch am 22. November 1943 „das Haus, in dem die Hauptgeschäftsstelle und die Zentralhilfe der Deutschen Adelsgenossenschaft in Berlin ihre Arbeitsräume hatten, durch den Luftangriff völlig zerstört". „Das Material aus der Ahnenforschung des deutschen Adels" ist „dabei auch ein Raub des Feuers geworden [...]. Früchte jahrzehntelanger Arbeit sind dort restlos vernichtet worden." 60 Ende Mai 1944 verlegt die DAG die Hauptgeschäftsstelle nach Christinenberg in Pommern. 61

55 56 57 58 59 60 61

Abgedruckt im Anschriftenbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft 1940, S. 41. Anschriftenbuch der Deutschen Adelsgenossenschaft 1940, S. 15 f. Deutsches Adelsblatt 61 (1943), S. 67. Ebd., S. 111. Ebd., S. 135. Deutsches Adelsblatt 62 (1944), S. 9. Ebd., S. 45.

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Schon Ende 1943 war die Geschäftsstelle der Landesabteilung Hamburg „wegen Bombenschäden nicht benutzbar" 62 bzw. „durch Luftangriff zerstört" 63 , und im Sommer 1944 wird die Geschäftsstelle der Landesabteilung Bayern, die sich bisher in München, Veterinärstr. 6a/II, befand, „wegen Fliegerbeschädigung" nach Agg bei Marquartstein verlegt 6 4 „Im Zuge der durch den totalen Krieg bedingten Konzentrationsmaßnahmen auf dem Gebiete der Presse stellt unsere Zeitschrift mit dem 30. September 1944 das Erscheinen für die Dauer des Krieges ein" 6 5 Mit dieser Feststellung erscheint die letzte Ausgabe des Deutschen Adelsblatts der 1883 begründeten „Zeitschrift der Deutschen Adelsgenossenschaft für die Aufgaben des christlichen Adels", wie ihr Untertitel bis zuletzt lautet. Mit der Ausrufung des Totalen Krieges 1944, der Zerstörung der Städte durch Bomben, der Vernichtung der Hauptgeschäftsstelle der DAG in Berlin, der Flucht und Vertreibung aus dem Osten und dem gewaltsamen Tod von etwa 10.000 Angehörigen des deutschen Adels 66 ist sein gesellschaftliches Leben weitgehend erloschen. Der Erstarrung durch den Schock des politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Deutschen Reiches im Frühjahr 1945 folgt aber ein Wiederaufbauwille auf allen Gebieten. Am Anfang der Institution mit dem zunächst noch etwas irreführenden Namen „Deutsches Adelsarchiv" steht nur eine Kartei mit Namen und Adressen adeliger Flüchtlinge aus dem Osten, wonach „Flüchtlingslisten" bearbeitet und veröffentlicht werden. Die „Flüchtlingsliste Nr. 1, zusammengestellt durch das Deutsche Adelsarchiv" erscheint im Oktober 1945. Die Leitung liegt bei Rechtsanwalt Jürgen v. Flotow in Westerbrak und bei Regierungsrat Hans Friedrich v. Ehrenkrook in Wrisbergholzen, die nach ihrer Flucht aus Mecklenburg bzw. Schlesien von Verwandten aufgenommen worden sind. Weiterer Mitarbeiter ist der Stabsjägermeister Freiherr Detlev v. Hammerstein-Retzow in Gesmold, der Anfang 1946 mit dem Suchdienst betraut wird, während Flotow die Hauptgeschäftsstelle und Ehrenkrook die Genealogische Abteilung übernehmen. Wie kam man auf den Namen? Obwohl die Hauptgeschäftsstelle der DAG schon mit ihrer Registratur seit 1874 und mit der Sammlung von Matrikelbögen und Ahnentafeln ihrer Mitglieder ein unschätzbares Archiv besaß, war es nicht zu einer entsprechenden Benennung gekommen. Jetzt, nach dem Untergang dieses Archivs in Berlin, steht der Name „Deutsches Adelsarchiv" für ein Programm, das Hans Fried62 63 64 65 66

Deutsches Adelsblatt 61 (1943), S. 135. Deutsches Adelsblatt 62 (1944), S. 13. Ebd., S. 55. Ebd., S. 57. M. Graf v. Schmettow (Hrsg.), Gedenkbuch des deutschen Adels (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, B d . 3), L i m b u r g 1 9 6 7 ; d a s s . , N a c h t r a g ( = A u s d e m D e u t s c h e n A d e l s a r c h i v , B d . 6 ) , L i m b u r g 1 9 8 0 .

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rich v. Ehrenkrook verkörpert. Schon die „Flüchtlingsliste Nr. 1" enthält nicht nur „Neue Anschriften", sondern auch „Familien-Nachrichten" (Verlobungen, Vermählungen, Geburten, Todesfalle, unter diesen Gefallene, Erschossene und freiwillig aus dem Leben Geschiedene). Im Dezember 1945 erscheint die „Flüchtlingsliste Nr. 2"; sie enthält erstmals einen „Suchdienst": „Anschriften und Nachrichten über nachstehende Personen werden an das Deutsche Adelsarchiv erbeten". 67 Ferner heißt es: „Wegen des großen Papiermangels konnten [...] noch nicht einmal die Hälfte der neu ermittelten Anschriften veröffentlicht werden. Trotzdem hat diese Liste einen weit größeren Umfang angenommen, als erwartet wurde." 68 In der Liste vom Dezember 1945 steht auch der folgende Aufruf: „Zum Wiederaufbau der genealogischen Sammlungen werden dringend käuflich, leihweise oder geschenkweise genealogische und heraldische Werke, besonders alte und neue Gothaer Taschenbücher zur Ergänzung der inzwischen glücklicherweise schon wieder in erheblichem Umfang beschafften Fachbücherei gesucht, ebenso auch Abschriften von Ahnentafeln, Stammtafeln usw. zur Aufbewahrung im Archiv." 69 Dieser Aufruf wird häufig wiederholt und erweitert; seine Ergebnisse sind der Grundstock der heutigen Stiftung Deutsches Adelsarchiv (DAA). Erst im April 1946 kann die „Flüchtlingliste Nr. 3" erscheinen. Ihr muß ein Zettel mit folgendem Text beigefügt werden: „Die seit dem Februar im Entwurf vorliegende Liste konnte infolge Hochwasser, Kohlenmangel und anderer, nicht voraussehbarer Schwierigkeiten erst jetzt fertig gestellt werden." Dennoch geht der Aufbau von Bibliothek und Sammlungen so zügig weiter, daß in der im Oktober 1946 erscheinenden „Flüchtlingsliste Nr. 4" schon folgende Notiz stehen kann: „Unsere Genealogische Abteilung [...] stellt gegen mäßige Gebühren verlorengegangene Stammbäume und Ahnentafeln wieder auf." 70 Gleichzeitig erscheint die „Dringende Bitte: Unsere Arbeit, die immer größeren Umfang annimmt, ist in Frage gestellt durch Mangel an Schreibmaschinenpapier und vor allem Umschlägen [...]. Wer hilft uns?" 71 Die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Behörden mit der Flut von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern, Vertriebenen und Entwurzelten fast überfordert sind, bringen auch eine große Zahl von Hochstaplern und Namensschwindlern hervor. In einer Zeit, da man dem Träger eines adeligen Namens auch dann noch größeres Vertrauen als einem Nichtadeligen entgegenbringt, wenn er als mittelloser Heimkehrer oder gar als Bettler auftritt, nehmen viele diese „Chance" wahr. Sie schmücken ihren Namen mit einem Adelstitel oder legen sich einen häufigen oder besonders bekannten Adelsnamen zu oder nehmen einen frei erfundenen Namen an. 67 Flüchtlingsliste Nr. 2 (Dezember 1945), S. 3. 68 Ebd. 6 9 Ebd. 7 0 Flüchtlingsliste Nr. 4 (Oktober 1946), S. 2. 71 Ebd.

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So entwickelt sich eine rege Korrespondenz von Behörden und Gerichten der drei Westzonen mit dem DAA, das dadurch über den Kreis der Adelsfamilien hinaus bekannt und als Gutachterstelle anerkannt wird. Als „Flüchtlingsliste Nr. 11, zusammengestellt durch das Deutsche Adelsarchiv" erscheint die letzte Veröffentlichung dieses Titels im Juni 1948, unmittelbar vor der Währungsreform; als „Deutsches Adelsarchiv Nr. 12", herausgegeben von Jürgen v. Flotow und Hans Friedrich v. Ehrenkrook, kommt im August 1948 das erste Heft unter dem Namen der Institution heraus. „Das Deutsche Adelsarchiv erhält in täglich wachsender Anzahl aus allen Zonen Deutschlands, besonders aber aus der Ostzone, erschütternde Briefe von Standesgenossen, die sich in einer so verzweifelten Lage befinden, daß sie sich zu dem bitteren Schritt entschließen mußten, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen." - Mit diesen Worten beginnt ein von Hans Friedrich v. Ehrenkrook, Jürgen v. Flotow und Freiherrn Detlev v. Hammerstein-Retzow unterzeichneter „Aufruf zur Gründung eines Hilfswerk des Deutschen Adelsarchivs", der im Juni 1950 der Zeitschrift „Deutsches Adelsarchiv" beigelegt wird. Unmittelbar darauf nimmt dieses Hilfswerk unter der Leitung des Freiherrn v. Hammerstein seine Arbeit auf 7 2 und wird seit 1962 als „Hilfswerk des Deutschen Adelsblattes", seit 1965 als „Hilfswerk der Deutschen Adelsverbände" weitergeführt. Solange der zeitliche Abstand zum letztmaligen Erscheinen (1939-1942) der meisten Genealogien der deutschen Adelsfamilien in den Gothaischen Genealogischen Taschenbüchern (GGT) noch nicht allzu groß war, konnte darauf Bezug genommen und mit Hilfe der Kartei ergänzt werden. Schon im August 1948 wird jedoch bekanntgegeben: „Wir bemühen uns, die Tradition der Gothaer Taschenbücher so weit als möglich fortzufuhren", und es wird um Mitteilung aller Veränderungen in den Familien gebeten. 73 Bald treffen Hans Friedrich v. Ehrenkrook und der 1946 in Görlitz enteignete Verleger Hans Kretschmer 74 Vorbereitungen zur Fortsetzung dieser Taschenbücher. Sie einigen sich mit dem (erst 1953 aus Gotha nach Darmstadt übergesiedelten) Verleger Joachim Perthes 75 , und schon 1951 kann der erste Band einer neuen Reihe mit dem Titel „Genealogisches Handbuch des Adels" (GHdA) erscheinen. Der alte Name wird bewußt nicht wieder aufgenommen, um nicht die Familie Perthes in Gotha zu gefährden. Hauptbearbeiter ist Hans Friedrich v. Ehrenkrook „in Gemeinschaft mit" Jürgen v. Flotow und weiteren, vorwiegend genealogisch versierten Mitarbeitern. Anfang 1951 zieht Ehrenkrook mit seiner Familie und der genealogischen Abteilung des DAA von Wrisbergholzen nach Schönstadt bei Marburg und Anfang 1958 in sein neu erbautes 72 Deutsches Adelsarchiv, Heft 35 (Juli 1950), S. 2. 73 Deutsches Adelsarchiv, Heft 12 (August 1948), S. 2. 74 Nachruf im Deutschen Adelsblatt 15 (1976), S. 109. 75 T. Freiherr v. Fritsch, Die Gothaischen Taschenbücher, Hofkalender und Almanach (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 2), Limburg 1968, S. 12.

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eigenes Haus nach Marburg. Mit Band 36 des GHdA übernimmt 1965 der Archivar des Deutschen Adelsarchivs e.V. die Redaktion des GHdA, das nun von diesem e.V. herausgegeben wird. Die Reihe umfaßt inzwischen (1995) 108 Bände. Wie schon die Gothaischen Genealogischen Taschenbücher (GGT) „im Einvernehmen" mit der Abteilung für adelsrechtliche Fragen der DAG bearbeitet wurden, bedurften auch Ehrenkrook und seine Mitarbeiter einer adelsrechtlich kompetenten Instanz zur Beratung und Entscheidung von Zweifelsfallen. Nachdem Ehrenkrook ein halbes Jahr nach der Währungsreform durch ein Rundschreiben vom 31. Dezember 1948 alle damals bereits wiederbegründeten Adelsverbände aufgefordert hatte, erneut einen Ausschuß zur Entscheidung adelsrechtlicher Fragen zu gründen, kann er schon in einem Rundschreiben vom 25. Februar 1949 feststellen, daß sich bis auf zwei, deren Antwort noch ausstehe, alle zustimmend geäußert hätten. Damit ist der „Ausschuß für adelsrechtliche Fragen der deutschen Adelsverbände" ins Leben gerufen. „Der Ausschuß ist wegen der immer wieder auftretenden Namensfragen sowie angesichts des gemeinsam mit den zuständigen Behörden geführten Kampfes gegen die Namensschwindler für die Familien des historischen Adels zu einer besonderen Notwendigkeit geworden, da das Deutsche Adelsarchiv sich nicht für befugt hält, in allen schwierigen Fragen allein Stellung zu nehmen oder gar zu entscheiden." 76 Entscheidend für die Arbeit des Ausschusses ist der folgende Grundsatz: Die Zugehörigkeit zum deutschen Adel beurteilt sich nach dem bis zur Abschaffung der Monarchien in Deutschland geltenden Adelsrecht. Dieser Grundsatz gilt entsprechend auch für die unter der Aufsicht des ARA erfolgende Bearbeitung des GHdA. In Anbetracht der schwierigen Wirtschaftslage werden Gutachten und Beschlüsse zunächst im Umlaufverfahren erarbeitet, bis am 17./18. September 1951 in Marburg die erste Tagung der von den einzelnen Verbänden delegierten sachverständigen Herren stattfinden kann 77 . Seitdem kommen die Mitglieder dieses Gremiums, das seit 1977 den prägnanteren Namen „Deutscher Adelsrechtsausschuß" (ARA) trägt, alljährlich im Herbst in Marburg zusammen. Nur 1967 fand die Tagung anläßlich des Ausscheidens des langjährigen Präsidenten Freiherrn Rudolf v. Twickel in Münster i.W. statt. Schon 1951 sind dem ARA 15 Adelsverbände angeschlossen 78 , nämlich 5 ritterschaftliche Organisationen, 4 Verbände katholischer Edelleute, 2 Matrikel-Kommissionen, 2 Vereinigungen des Malteser-Ordens, der Johanniter-Orden und die Vereinigung des Adels in Bayern. Weitere Adelsvereinigungen in den einzelnen Bundesländern gibt es zu dieser Zeit noch nicht. Bis 1973 treten 14 weitere Vereinigungen dem Ausschuß bei 79 , nämlich 10 Adelsvereinigungen in den Bundesländern, 2 Vertretungen des Hohen Adels und 2 Verbän76 77 78 79

Deutsches Adelsarchiv, Heft 20 (April 1949), S. 2. Deutsches Adelsarchiv 7 (1951), S. 146. Aufgeführt im Genealogischen Handbuch des Adels 1 (1951), S. VIII f. Aufgeführt im Genealogischen Handbuch des Adels 54 (1973), S. XI.

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de des aus Sachsen bzw. Schlesien vertriebenen Adels. „Für historische deutsche Landschaften, für die kein Adelsverband besteht, kann der Ausschuß adelige Vertreter als vollberechtigte Mitglieder hinzuwählen." Entsprechend dieser Satzungsbestimmung gehören jetzt (1995) auch je ein Vertreter des pommerschen und des österreichischen Adels dem ARA an. Ferner sind ihm der Adelsverband für die Schweiz und die Tiroler Adelsmatrikel beigetreten. Schon ab dem ersten Band wurde das GHdA „bearbeitet unter Aufsicht des Ausschusses für adelsrechtliche Fragen der deutschen Adelsverbände in Gemeinschaft mit dem Deutschen Adelsarchiv". Aus der laufenden Bearbeitung des GHdA erwachsen die meisten Fälle, die in den Kammern und im Plenum des ARA zu entscheiden sind. Unter Abkehr von der zentralistischen Organisation der DAG und angesichts der Aufteilung in Besatzungszonen werden nach und nach Vereinigungen des Adels in den einzelnen deutschen Landschaften gegründet. So konstituiert sich schon im Juni 1949 die „Vereinigung des Adels in Bayern". 80 Sie gibt auch seit 1950 ein eigenes „Genealogisches Handbuch des in Bayern immatrikulierten Adels" heraus, von dem bisher (1995) 20 Bände erschienen sind. In einigen Landschaften wird zwar auch eine Wiederherstellung der ehemaligen Landesabteilungen der DAG versucht, so am 23. Juni 1951 in „Oldenburg-Bremen" 8 1 , am 12. September 1951 in „Westfalen-Lippe" 8 2, am 20. Oktober 1951 in Baden 8 3 , am 3. November 1951 in Niedersachsen 84 , am 11. November 1951 in „Württemberg-Hohenzollern" 85 und am 20. Januar 1952 in Hamburg 8 6 ; trotzdem wird am 24. November 1951 eine neue „Vereinigung des Adels in Baden" gegründet 87 , und weitere Vereinigungen des Adels in einzelnen Landschaften, die die ehemaligen Landesabteilungen ersetzen, folgen. Am 1. Dezember 1951 wird auch „Der Sächsische Adel" als landsmannschaftlicher Verband gegründet. 88 Auf Vorschlag der Landesabteilung Oldenburg-Bremen der DAG findet am 13. Januar 1952 in Kassel eine Aussprache über die Schaffung einer neuen Dachorganisation des deutschen Adels statt. 89 Auf Anregung der Vereinigung des Adels in Bayern wird dann am 10. Februar 1952 in München die „Arbeitsgemeinschaft der deutschen Adelsverbände" gegründet. 90 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Deutsches Adelsarchiv, Heft 32 (April 1950), S. 6. Deutsches Adelsarchiv 7 (1951), S. 115. Ebd., S. 115 u. 163. Ebd., S. 163. Deutsches Adelsarchiv 7 (1951), S. 179 und 8 (1952), S. 2 f. Deutsches Adelsarchiv 7 (1951), S. 179. Deutsches Adelsarchiv 8 (1952), S. 22. Deutsches Adelsarchiv 7 (1951), S. 179. Deutsches Adelsarchiv 8 (1952), S. 3. Ebd., S. 22. Ebd., S. 74.

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Obwohl bei der ersten Zusammenkunft des Adels in Berlin nach 1945 am 25. Januar 1954 „eine Gründung im vereinsmäßigen Sinne [...] bis zur Klärung über die Nachfolge der früheren Berliner Vereinigungen noch zurückgestellt" 91 wird, ist sie als Gründungsversammlung der Vereinigung des Adels in Berlin anzusehen. Aus dem Kreis ihrer Mitglieder werden im Sommer 1954 Dr. [Fritz] v. Hansemann und [Manfred] v. Eckartsberg vom Amtsgericht Berlin-Charlottenburg als Notvorstand für die Landesabteilung Berlin der DAG bestellt. 92 „Die am 25. November 1954 stattgehabte Mitgliederversammlung der Landesabteilung Berlin (Gau Kurmark) der Deutschen Adelsgenossenschaft und der Vereinigung des Adels in Berlin e.V. führte durch einstimmigen Beschluß beider Vereinigungen zu einem Zusammenschluß derselben unter dem Namen Vereinigung des Adels in Berlin e.V. als Rechtsnachfolgerin der früheren Landesabteilung Berlin." 93 Manfred v. Eckartsberg wird zum 1. Vorsitzenden gewählt. Ende 1955 werden „durch Verfugung des Polizeipräsidenten von Berlin [...] Herr Manfred v. Eckartsberg [und] Frau Hella v. dem Hagen [...] zum Notvorstand der früheren Deutschen Adelsgenossenschaft bestellt." 94 Dieser beruft das Adelskapitel der DAG zu einer Sitzung am 14. Mai 1956 nach Hannover ein. 95 Am Ende haben „Das Adelskapitel der früheren Deutschen Adelsgenossenschaft und die Vollversammlung der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Adelsverbände" am 14. bzw. 15. Mai 1956 in Hannover „ihren Zusammenschluß beschlossen", und zwar als „Vereinigung der Deutschen Adelsverbände" (VdDA). 96 Am 16. November 1956 genehmigt der Polizeipräsident in Berlin die Satzung der VdDA und verleiht ihr damit die Rechtsfähigkeit als Nachfolgerin der DAG. „Die VdDA tritt nunmehr in ihre Rechte als Nachfolgerin der DAG ein und übernimmt deren noch vorhandene Vermögenswerte." 97 Damit ist - trotz bewußter Abkehr von der DAG - eine Rechtskontinuität von der Gründung der DAG 1874 bis heute gegeben. Die personelle Besetzung der VdDA, der ihr angeschlossenen Verbände und der übrigen Organisationen des deutschen Adels ist aus den laufenden Veröffentlichungen im DAB1., zuletzt vom September 1994, ersichtlich. 98 Im Anschluß an einen von der VdDA im Oktober 1958 in München veranstalteten Kongreß der Adelsverbände Europas gründen mehrere europäische Adelsverbände am 25. April 1959 die Commission d'Information et de Liaison des Associations de Noblesse d'Europe (CILANE) als Dachorganisation. 99 Der Aufnahmeantrag jeder 91 92 93 94 95 96 97 98 99

Deutsches Adelsarchiv 10 (1954), S. 22. Ebd., S. 122. Deutsches Adelsarchiv 11 (1955), S. 3. Ebd. Deutsches Adelsarchiv 12 (1956), S. 70. Ebd., S. 108. Deutsches Adelsarchiv 13 (1957), S. 8. Deutsches Adelsblatt 33 (1994), S. 205 f. Bulletin d'information et de liaison des Associations de Noblesse d'Europe, (Brüssel) 1961, S. 6 f.

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weiteren Nation wird in den Gremien der Mitgliedsnationen beraten, um zu gewährleisten, daß die Petenten auch den Statuten der CILANE entsprechen. Für die VdDA wird diese Aufgabe vom ARA wahrgenommen, der im internationalen Verkehr zu seinem Namen den Zusatz „Conseil de Noblesse" führt. Um sie langfristig zu sichern, erwirbt die VdDA „1957 von Herrn v. Ehrenkrook dessen wertvolle adelsgeschichtliche und genealogische Sammlungen". 1 0 0 In der Sitzung der VdDA am 29. März 1960 „wurde Bericht über den Stand der Erwägungen zur Errichtung der Stiftung erstattet, welche einmal Trägerin der durch die VdDA von Herrn v. Ehrenkrook erworbenen Sammlungen werden soll. [...] Die Versammlung beschloß alsdann, die Gründung der Stiftung einstweilen zurückzustellen." 101 Dafür gründet sie 1961 den Verein „Deutsches Adelsarchiv e.V.", der die Aufgaben der bisherigen genealogischen Abteilung des DAA übernimmt, dafür einen Archivar anstellt und als gemeinnützig anerkannt wird. 1 0 2 Das Archiv befindet sich im Hause von Ehrenkrook, der 1957 das Nutzungsrecht auf Lebenszeit erhalten hat. Nach der Gründung des Deutschen Adelsarchivs e.V. muß auch nach außen eine Unterscheidung von der gleichnamigen Zeitschrift erfolgen. Im Einvernehmen mit dem Sohn des 1945 verschleppten und umgekommenen Grafen Wilhelm v. Schlieffen 1 0 3 ändert die Zeitschrift deshalb mit Wirkung vom 1. Januar 1962 ihren Namen in „Deutsches Adelsblatt, Mitteilungsblatt der Vereinigung der Deutschen Adelsverbände". 1 0 4 Schon nach wenigen Jahren wird angesichts der laufend erweiterten Bibliothek und der größer werdenden Aktenbestände des DAA, die teilweise schon ausgelagert werden müssen, eine neue Bleibe gesucht. Das Hessische Staatsarchiv Marburg stellt entsprechende Räume zur Verfügung. Der plötzliche Tod von Hans Friedrich v. Ehrenkrook am 1. Februar 1968 überschattet die Vorbereitungen des Umzugs, der aber noch im Februar durchgeführt wird. Dank einem großen Magazinraum können die Bestände des DAA nun übersichtlich aufgestellt und bequem benutzt werden. Die umfangreiche Aktenablieferung nach der Gebietsreform und die Erweiterung der Archivschule zwingen die Archivdirektion jedoch ein Jahrzehnt später zur Kündigung des Mietvertrages mit dem DAA. Nun stellt die Stadt Marburg mehrere Etagen eines älteren Wohnhauses (Schwanallee 21) zur Verfügung. Mit der Übersiedlung in dieses Haus im Juni 1984 ist eine weitere Verbesserung der Raumverhältnisse verbunden. So war es einigen Herren des deutschen Adels, in erster Linie dem aus Schlesien geflüchteten Regierungsrat Hans Friedrich v. Ehrenkrook, in der schwierigen Nachkriegszeit innerhalb weniger Jahre gelungen, nicht nur die verschiedenen Arbeits100 101 102 103 104

Deutsches Adelsblatt 1 (1962), S. 2. Deutsches Adelsarchiv 16 (1960), S. 96. Deutsches Adelsblatt 1 (1962), S. 2. Genealogisches Handbuch des Adels 82 (1983), S. 368. Deutsches Adelsblatt 1 (1962), S. 2.

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gebiete der DAG wiederzubeleben und in neuer Form zu organisieren, sondern auch ein Zentrum für die wissenschaftliche Bearbeitung der Geschichte und Genealogie des deutschen Adels und seiner Familien zu begründen: das Deutsche Adelsarchiv (DAA). Über „Die Arbeit des Deutschen Adelsarchivs" habe ich schon vor 30 Jahren berichtet. 105 Die Grundlage der Arbeit sind die Genealogien des Adels deutscher Lande. Sie müssen erforscht, in den bisherigen Publikationen erfaßt und für die Veröffentlichung im GHdA bearbeitet werden. Dabei wird jede Heirat mit dem Mitglied einer anderen Adelsfamilie in deren Genealogie geprüft und ergänzt. Auf diese Weise werden allmählich auch Genealogien von Familien erarbeitet, über die es bisher überhaupt noch keine Vorarbeiten gab. Bestände und Arbeitsmöglichkeiten des DAA entsprechen seinen Aufgaben. Die Bibliothek orientiert sich an den Erfordernissen der Redaktion des GHdA, des ARA und der genealogischen Auskunftstätigkeit. Dabei steht den Mitarbeitern außer dem Aktenbestand eine Präsenzbibliothek von inzwischen etwa 20.000 Bänden zur Verfugung, insbesondere Monographien über einzelne Familien, genealogische Sammelwerke und Zeitschriften, Ranglisten und Regimentsgeschichten sowie orts- und landesgeschichtliche Literatur. Die im DAB1., in den Nachrichtenblättern des Sächsischen Adels und der Baltischen Ritterschaften sowie in den zahlreichen Familienblättern einzelner Geschlechter erscheinenden Familiennachrichten werden laufend ausgewertet. Hinzu kommen die dem DAA übersandten Geburts-, Vermählungs- und Todesanzeigen. Deren Verarbeitung für die Genealogien der beteiligten Familien ist eine zeitraubende, für die Fortführung derselben jedoch unverzichtbare Aufgabe. Die Hauptarbeit des DAA ist unverändert die Redaktion des GHdA. Dabei handelt es sich nicht einfach um die auf den neuesten Stand gebrachte Wiederholung schon früher erschienener Genealogien. In vielen Fällen erfolgte die letzte Veröffentlichung vor mehr als 50 Jahren, und es lassen sich kaum noch alle seither eingetretenen Veränderungen feststellen; in manchen Fällen liegt aber überhaupt noch keine Veröffentlichung vor, so daß umfangreiche Vorarbeiten und Quellenforschungen nötig sind, um eine Aufnahme in das GHdA zu ermöglichen. Das GHdA ist zu einem entscheidenden und unverzichtbaren Hilfsmittel für die Familien und für die Verbände des Adels geworden. Ohne die Genealogien mit dem Nachweis der einzelnen Familienglieder wären Adelsfamilien und -Vereinigungen hilflos angesichts der immer mehr anwachsenden Zahl nichtadeliger Namensträger durch Adoption, nichteheliche Geburt, Einbenennung, Legitimation, Namensänderung und Übertragung durch Eheschließung auf einen fremden Mannesstamm. Der Nachweis eines adeligen Namens allein besagt also im Zweifel nichts für die Zugehörigkeit eines Namensträgers zum Adel.

105 Deutsches Adelsarchiv 1963/64 (= Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 1), Limburg 1965, S. 11-14.

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Seit 1972 gibt das DAA „als Ergänzung und künftige Grundlage des Genealogischen Handbuchs des Adels [...] innerhalb der Gesamtreihe das Adelslexikon" heraus, in welchem natürlich die Familien der deutschen und österreichischen Grenzgebiete ebenfalls zu berücksichtigen sind. Ferner ist für alle Familien auch die neuere Literatur auszuwerten, wobei es sich häufig um Veröffentlichungen an entlegener Stelle handelt, von denen man nicht immer rechtzeitig Kenntnis erhält. Der Band I dieses Adelslexikons enthält in der Einführung (S. IX-XXXIII) eine Würdigung seiner seit 1719 erschienenen elf Vorläufer, von denen das von Ernst Heinrich Kneschke herausgegebene neunbändige Werk 1 0 6 wohl das bekannteste ist, sowie eine Bibliographie aller Adelslexika und der seit 1822 erschienenen Zusammenstellungen aller für das Adelslexikon zu berücksichtigenden „Standeserhebungen und Gnadenakte". Für das im vorliegenden Sammelband behandelte Gebiet sind die entsprechenden Veröffentlichungen von Gritzner 107 und Houwald 1 0 8 zu nennen. Es gibt immer noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Bibliographie der in den letzten 50 Jahren erschienenen Familiengeschichten und genealogischen Monographien. Das vom DAA herausgegebene Adelslexikon soll die für den Laien vollends unübersehbar gewordene genealogische Literatur erschließen. Da zu jedem einzelnen Artikel die entsprechenden Monographien und weiterführenden Aufsätze angegeben werden, gewinnt dieses Adelslexikon den Charakter einer genealogischen Bibliographie des Adels deutscher Lande. Es dient als „künftige Grundlage" des GHdA, weil in den laufenden Bänden der Gräflichen, Freiherrlichen und Adeligen Häuser bei den einzelnen Artikeln die Einleitungen und Literaturhinweise, Wappenbeschreibungen und -abbildungen weggelassen werden, sobald der Text im Adelslexikon veröffentlicht ist. Viele Behörden fragen noch heute regelmäßig, wenn ein adeliger Name involviert ist, beim DAA an. Dessen Arbeit liegt unvermindert im öffentlichen Interesse, zumal die neue Flut der Aus- und Übersiedler aus Osteuropa auch zahlreiche Familien umfaßt, die Adelstitel beanspruchen. Ihre Ausweispapiere enthalten keine Adelsbezeichnungen, weil deren Führung in den Heimatländern verboten war. Waren sie trotzdem früher dazu berechtigt? Sind sie es noch oder wieder? In solchen Fällen wird das DAA als Gutachter eingeschaltet. Die Institution mit dem zunächst nicht ganz zutreffenden Namen „Deutsches Adelsarchiv" ist in dem halben Jahrhundert seines Bestehens auch zu einem Archiv im Wortsinne geworden. Nicht nur wird hier die gesamte Korrespondenz des DAA, der Redaktion des GHdA und des ARA verwahrt, sondern auch die VdDA und die in

106 E.H. Kneschke (Hrsg.), Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexicon 1-9, Leipzig 1859-1870; 2. Aufl., Leipzig 1929 f. 107 M. Gritzner, Chronologische Matrikel der Brandenburgisch-Preussischen Standeserhöhungen und Gnadenacte, Berlin 1873 f. 108 A. Freiherr v. Houwald, Brandenburg-Preußische Standeserhöhungen und Gnadenakte fiür die Zeit von 1873-1918, Görlitz 1939.

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ihr zusammengeschlossenen Adelsverbände überlassen, soweit sie kein eigenes Archiv haben, ihre Akten dem DAA in Marburg. Das empfiehlt sich um so mehr, als bei jedem Wechsel in einem (ehrenamtlich besetzten) Verbandsvorstand die Gefahr der voreiligen Vernichtung älterer Akten besteht. Mit der „Ablieferung" solcher Verbandsakten nach Marburg ist hier inzwischen ein wirkliches „Archiv" des deutschen Adels entstanden. Dazu hat das DAA von mehreren Adelsverbänden deren DAG-Akten aus der Zeit vor 1945 erhalten, was angesichts der Vernichtung der Hauptgeschäftstelle der DAG in Berlin von eminenter Bedeutung ist. Deposita von Familienverbänden und Einzelpersonen sowie unterschiedliche Nachlässe kommen hinzu. Der umfangreichste Nachlaß im DAA ist die Sammlung Besch. Ihr Eigentümer, der Generalmajor a.D. Helmut Besch, vermachte schon zu Lebzeiten seine etwa 5.000 Bände umfassende genealogische und adelsgeschichtliche Bibliothek und seine biographische Sammlung dem DAA als „Stiftung Helmut und Liselotte Besch". 1 0 9 Außerdem hat das DAA eine Reihe von Depositalverträgen mit Familienverbänden und Einzelpersonen abgeschlossen und deren Archive zur Verwahrung und Verwaltung übernommen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Akten von historischem Interesse, deren sachgemäße Verwahrung bei den Eigentümern nicht gewährleistet ist, wenn der Familie kein geeignetes Haus für die Unterbringung des Familienarchivs zur Verfügung steht oder wenn der bisherige Betreuer in ein Altersheim gezogen ist. Daher hat schon eine ganze Reihe von Familien die Möglichkeit wahrgenommen, ihre Unterlagen unter Wahrung ihrer Eigentumsrechte dem DAA als Depositum zu überlassen. In diesen Beständen befinden sich nicht nur Akten, die die einzelnen Familien betreffen, sondern oft auch ältere Veröffentlichungen, die eine wertvolle Bereicherung der Bibliothek darstellen. Mit dem „Bericht des Deutschen Adelsarchivs e.V. 1963-1964" wurde eine neue Schriftenreihe „Aus dem Deutschen Adelsarchiv" eröffnet, in der bisher 11 Bände erschienen sind. Mit Wirkung vom 1. Januar 1994 wurde das DAA in eine Stiftung umgewandelt. Die laufende Arbeit im DAA, nämlich die Redaktion des GHdA, die Gutachten gegenüber Behörden und Gerichten und die allgemeine Auskunftstätigkeit gehen unvermindert weiter.

109 Vgl. Nachruf im Deutschen Adelsblatt 13 (1974), S. 263.

Der Adel als Verwaltungselite Preußens. Die Adelslandschaft Brandenburg

Christiane Eifert

Zum Wandel einer Funktionselite. Brandenburgische Landräte im 19. Jahrhundert*

I. Einleitung Die langsame und spannungsgeladene Ablösung der feudalen, ständisch gegliederten, absolutistisch regierten Gesellschaft durch die bürgerliche Klassengesellschaft auf industriekapitalistischer Grundlage prägt die Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert.1 Im Zuge dieses Prozesses verlor Herrschaft ihre agrargesellschaftliche Basis, wurde deterritorialisiert und depersonalisiert, wurde „abstrakt".2 An ihre Stelle traten Regierung und Verwaltung als legitime Herrschaft tendenziell rationalen Charakters. 3 Die Auflösung ständischer Herrschaft zog sich allerdings bis ins 20. Jahrhundert hinein, da der preußische Staat den gesellschaftlichen Systemwechsel nur durch politische Kompromisse mit den Eliten des Ancien Regime ermöglichen konnte. Dieses Paradox demonstriert Reinhart Koselleck auch am Beispiel des Hauses als ständischer Herrschaftseinheit. Er zeigt, wie der preußische Staat immer wieder die Präsenz der hausväterlichen Herrschaft forderte, die abzubauen er eigentlich bemüht war: „Überall dort, wo die staatliche Gewalt die Individuen nicht direkt erreichen und kontrollieren konnte, bediente er (der Staat - C.E.) sich notgedrungen des »pater familias«." 4

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Dieser Beitrag ist aus Forschungen zu einem umfangreicheren Projekt über die Geschichte preußischer Landräte im 19. Jahrhundert hervorgegangen. Er beruht auf der Auswertung von Archivalien für die Provinz Brandenburg aus dem Zeitraum zwischen 1815 und 1918. R. Rürup, Deutschland im 19. Jahrhundert 1815-1871, 2. durchges. und bibliogr. erg. Aufl., Göttingen 1992; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution" 1815-1848/49, 2. Aufl., München 1989. Herrschaft, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 1-102, bes. S. 64 ff. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Bd. 1.1, Berlin/Köln 1964, S. 156-188. R. Koselleck, Die Auflösung des Hauses als ständischer Herrschaftseinheit. Anmerkungen zum Rechtswandel von Haus, Familie und Gesinde in Preußen zwischen der Französischen Revolution und 1848, in: N. Bulst u.a. (Hrsg.), Familie zwischen Tradition und Moderne. Studien zur Geschichte der Familie in Deutschland und Frankreich vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 1981, S. 109-124, Zitat S. 121.

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Christiane

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Als ein klassisches Beispiel für den politischen Kompromiß mit den Eliten des Ancien Regime gelten die preußischen Landräte. „Das Amt des Landrats war das schönste, das der alte preußische Staat zu vergeben hatte. Kein anderes kam ihm in der Möglichkeit gleich, praktisch zu wirken, kein anderes in der Vielseitigkeit der Tätigkeit. Gab es doch kaum irgendein Gebiet des menschlichen Lebens und Schaffens, mit dem der Landrat nicht in Berührung kam ... Man nannte den Landrat im alten Staate oft einen kleinen König. Das war er auch in gewissem Sinne, wenn er einigermaßen geschickt war und seine Kreisinsassen richtig zu behandeln wußte." 5 In seinen zwischen 1934 und 1936 niedergeschriebenen Erinnerungen gerät Felix Busch, Ururenkel von David Friedländer und Großvater des Historikers Julius Schoeps, ins Schwärmen, sobald er über das Amt des Landrats spricht. Er selbst war von 1905 bis 1907 Landrat im westfälischen Kreis Hörde und, nach einem Intermezzo im preußischen Finanzministerium, von 1911 bis 1917 Landrat des brandenburgischen Kreises Niederbarnim. 6 Büschs Euphorie ist nicht damit abzutun, daß der als Nachfahre von Juden Diskriminierte Mitte der 1930er Jahre seine Vergangenheit im preußischen Staatsdienst nur verklärend betrachten könne. Auch der Hinweis auf Büschs bürgerliche Herkunft beantwortet die Frage nach den Ursachen seiner Überschwenglichkeit nicht. Denn er ist nicht der einzige. Sehen wir uns andere Urteile an. Karl Wilhelm von Deleuze de Lancizolle kennzeichnete Amt und Position der Landräte 1846 folgendermaßen: „Charakteristisch für die schöne, ersprießliche Stellung, welche manche Landräte in Sonderheit zu den Bauern eingenommen haben, ist die in einigen Gegenden üblich gewordene Benennung »Landesvater«." 7 Der Landrat Hans von Kleist-Retzow schrieb ein Jahr zuvor an seinen Freund von Ranke: „Das mir von Gott anvertraute Amt ist gar köstlich und schön. Unabhängig nach oben gegen die Regierung sowie gegen die Kreisinsassen nach unten, bringt es mich allenthalben mit diesen in lebendige Berührung und ruht allein auf meiner Verantwortung. ... Noch hat der Landrat eine Autorität, die mich oft selbst erschreckt. ... Wenn man den Kindern erzählt, der Papst dürfe nicht heiraten, dann fragen sie, ob es ihm denn der Landrat verboten habe." 8 Diese Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung von Landräten als kleinen Königen wird in Forschungen über die Persistenz adliger Herrschaft im 19. Jahrhundert aufgegriffen. 9 Da sich die preußischen Landratsämter noch 1901 zu 62 Prozent in den

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F. Busch, Aus dem Leben eines königlich-preußischen Landrats, hrsg.v. J.H. Schoeps, Berlin 1991, S. 113, 115. Ebd., S. 113-120 u. 161-232; D. W e g m a n n , Die leitenden staatlichen Verwaltungsbeamten in der Provinz Westfalen 1815-1918, Münster 1969, S. 256. K.W.v. Lancizolle, Uber Königtum und Landstände in Preußen, Berlin 1846, S. 90. H.v. Petersdorff, Kleist-Retzow - Ein Lebensbild, o.O. 1907, S. 83. Vgl. R. Braun, Konzeptionelle Bemerkungen z u m Obenbleiben: Adel im 19. Jahrhundert, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1990, S. 87-95, hier S. 91; F.L. Carsten, Der preußische Adel und seine Stellung in Staat und Gesellschaft bis 1945, in: Ebd., S. 112-125.

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Händen Adliger befanden 10 , dienen die Landräte Arno Mayer als ein Beleg für die „Bastionen der alten Ordnung" in Politik, Regierung und Verwaltung, die seiner Ansicht nach bis 1914 in Preußen wie in ganz Europa vorherrschten." Hans-Ulrich Wehler sieht in den Landräten ein Beispiel für junkerliches Geschick, „aus den Folgen der staatlichen Modernisierung einen unerwarteten anachronistischen Machtgewinn" zu ziehen. 12 Und nach einer These von Rudolf Vierhaus verdankt der preußische Adel seine fortgesetzte privilegierte Stellung im 19. Jahrhundert seiner Fähigkeit, wesentliche Elemente seiner sozialen Vorrangstellung und seines politischen Einflusses im Funktionssystem der konstitutionellen 'monarchie bureaucratique' zu verankern. 13 Das vielzitierte Beispiel preußischer Landräte im 19. Jahrhundert verspricht demnach Aufschluß darüber zu geben, wie die Transformation adliger Herrschaft im 19. Jahrhundert in Preußen auf dieser Ebene der Staatsverwaltung vor sich ging. Das Beispiel der Landräte eröffnet die Chance, die Kosten und den Nutzen dieses langsamen Wandels sowohl für das Amt wie fur seine Inhaber präzise auszuloten. Die These Kosellecks aufgreifend, daß der preußische Staat ständische Herrschaftsformen einforderte, die eigentlich überwunden werden sollten, ist bei der folgenden Untersuchung des „Obenbleibens" brandenburgischer Adliger vor allem darauf zu achten, inwieweit die ständische Herrschaftselite ihre tradierten Herrschaftsformen über ihre Art der Amtsführung in die staatliche Verwaltung integrieren konnte. Daher wird im folgenden zunächst nach dem Amt gefragt, nach seinen Zuständigkeiten, seiner Einbindung in die Staatsverwaltung und deren Wandel im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Danach wendet sich der Blick den brandenburgischen Landräten zu. Es wird untersucht, wer in den Landkreisen dieser Provinz Landrat wurde und worin die spezielle Qualifikation der Amtsinhaber lag. An Konflikten über die Bewertung der Qualifikation wird das Verhältnis zur vorgesetzten Behörde, dem Potsdamer Oberpräsidium bzw. den Regierungspräsidien, verdeutlicht. Schließlich wird die Amtsführung der Landräte thematisiert, um die Rationalität ihrer Verwaltung zu überprüfen. 10 Unterschiedliche Erhebungsweisen sorgen für differierende Angaben in der Literatur. N.v. Preradovich, Die Führungsschichten in Österreich und Preußen, Wiesbaden 1955, S. 112-114, unterscheidet beispielsweise zwischen junkerlichen und anderen adligen Landräten; üblich ist die Differenzierung zwischen bürgerlichen und adligen Landräten, ohne jedoch auf den Zeitpunkt der Nobilitierung zu achten. Vgl. L.W. Muncy, The Prussian Landräte in the Last Years of the Monarchy: A Case Study of Pomerania and the Rhineland in 1890-1918, in: Central European History 6, 1973, S. 299-338, hier S. 307 f., 317; A.J. Mayer, Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 18481914, München 1988, S. 175 ff.; F.L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt/Main 1988, S. 100. 11 A.J. Mayer, Adelsmacht und Bürgertum, S. 129-185, bes. S. 175 ff.; D. Lieven, The Aristocracy in Europe 1815-1914, New York 1993, bes. S. 243-251. 12 H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 157. 13 R. Vierhaus, Vom aufgeklärten Absolutismus zum monarchischen Konstitutionalismus. Der deutsche Adel im Spannungsfeld von Revolution, Reform und Restauration (1789-1848), in: P.U. Hohendah!/ P.M. Lützeler (Hrsg.), Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200-1900, Stuttgart 1979, S. 119-135.

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II. Das Landratsamt Die historischen Wurzeln des Landratsamtes liegen in der ständischen Kreisverwaltung, die seit 1701 von einem Landrat geleitet wurde, der zugleich Staatsbeamter und ständischer Repräsentant war. 14 Die Reform der preußischen Staatsverwaltung zu Beginn des 19. Jahrhunderts sollte auch die Landkreise als unterste staatliche Verwaltungsebene einschließen, scheiterte jedoch am energischen Widerstand der Stände, die keine Beschneidung ihrer Privilegien hinzunehmen bereit waren. 15 Mit Hilfe von Reskripten und Instruktionen wurden die Aufgaben von Landräten, ihre Bestellung, die erforderliche Qualifikation und deren Nachweis sowie die landrätliche Geschäftsführung provisorisch zu regeln versucht, bis eine Verwaltungsreform auf Kreisebene vollbracht sein würde. 16 Besondere Bedeutung, wenn auch keine rechtliche Verbindlichkeit, erlangte hierbei der „vorläufige Entwurf einer Instruktion für die Landräte und die ihnen untergeordneten Kreisoffizianten vom 31.12.1816". 17 In der Provinz Brandenburg galt, daß die nur von den Rittergutsbesitzern gebildete Kreisversammlung aus ihrer Mitte drei Kandidaten für das Landratsamt vorschlug. Nach Prüfung durch das Innenministerium ernannte der König einen der Kandidaten zum Landrat. Die Kreisversammlung wählte zudem zwei ihrer Mitglieder zu Kreisdeputierten, also zu Stellvertretern des Landrats. 18 Weder von dem künftigen Landrat

14 Hierzu und zu den folgenden Ausführungen: O. Hintze, Der Ursprung des preußischen Landratsamtes in der Mark Brandenburg, in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte A b h a n d l u n g e n zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, hrsg.v. Gerhard Oestreich, Göttingen 1967, S. 164203; ders., Die Wurzeln der Kreisverfassung in den Ländern des nordöstlichen Deutschland, in: Ders., Gesammelte Abhandlungen, hrsg.v. G. Oestreich, Göttingen, Bd. 1, o.J., S. 186-241; K.G.A. Jeserich, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1800-1871, in: K.G.A. Jeserich/H. Pohl/G.-C.v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1983, S. 301-332; ders., Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1871-1918, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1984, S. 645-669; M. Knaut, Geschichte der Verwaltungsorganisation, o.O., o.J., S. 77-83; G.-C.v. Unruh, Der Kreis. Ursprung und O r d n u n g einer kommunalen Körperschaft, Köln/Berlin 1964; ders., Der Landrat. Mittler zwischen Staatsverwaltung und kommunaler Selbstverwaltung, Köln/Berlin 1966; H. Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, Stuttgart o.J.; B. Wunder, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt/Main 1986. 15 R. Koselleck, Preußen zwischen R e f o r m und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale B e w e g u n g von 1791 bis 1848, München 1989 (unveränd. N D der 2. bericht. Aufl. 1975). 16 Preußisches Finanzministerium und Innenministerium, Ministerial Rescript vom 20.6.1816, Extract aus demselben an Kgl. Regierung Potsdam, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (künftig zitiert: B L H A Potsdam), Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag.; Minister des Innern von Schuckmann an Kgl. Regpräs. Potsdam v. 18.10.1818, Abschrift, in: B L H A . Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag.; G.-C.v. Unruh, Verwaltung und Verwaltungsrecht in Preußen im „Vormärz", in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Neue Folge, 3, 1993, S. 107-116. 17 Abgedruckt in: Ergänzungen und Erläuterungen der Preußischen Rechtsbücher durch Gesetzgebung und Wissenschaft, 2. verbesserte u. vermehrte Ausg. bearb.v. H. Gräff/L.v. Rönne/H. Simon, Bd. 6, Breslau 1844, S. 191-199. Vgl. auch G.-C.v. Unruh, Der Kreis, S. 96-98.

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noch von seinen Stellvertretern wurde der Nachweis einer Vorbildung im Staatsdienst verlangt. In ihrem § 1 sah die Instruktion lediglich vor, daß Landräte „Männer von reifer Lebensbildung, erprobter Rechtschaffenheit und Ansehen unter ihren Mit-Eingesessenen, folglich selbst im Kreis angesessen" sein sollten. 19 In dem mit „Allgemeiner Dienstordnung" überschriebenen Passus der Instruktion wurde das erwartete Dienstverhalten der Landräte definiert: „(Die Landräte haben C.E.) gegen die Kreiseingesessenen Glimpf, Bescheidenheit, Geduld, aber auch, wo die Pflicht es erheischt, Ernst zu beweisen, sich überall rechtschaffen zu benehmen, thätig und überlegt zu handeln, auf alles, was in ihrem Kreis vorgeht, Acht zu haben, sich von allem und jedem Notiz zu verschaffen, dazu die ohnehin nach der Natur ihrer Geschäfte vorkommenden Reisen im Kreise fleißig zu benutzen und sich dadurch des in sie gesetzten vorzüglichen Vertrauens werth zu machen und zu erhalten." 20 Besondere Aufmerksamkeit sollten die Landräte, so der folgende Paragraph, den „unteren Volksklassen der Handwerker und Landleute" widmen, „ihnen überall mit Belehrung, Aufmunterung und gutem Rath an die Hand gehen, ihre Gesinnungen für König und Vaterland möglichst zu heben suchen, das Gute in ihnen erwecken und fördern und vorzüglich sie zur kirchlichen Andacht und zum sorgsamen Anhalten ihrer Kinder zur Schule ermahnen. Sie müssen (...) überhaupt durch Wecken des persönlichen Vertrauens die Kreiseinwohner gewöhnen, den Landrath als ihren natürlichen Rathgeber zu betrachten." 21 Die wichtigste Aufgabe eines Landrats bestand demnach darin, seine väterlichen Tugenden der Aufsicht, der Fürsorge und der Erziehung allen Menschen im Landkreis zukommen zu lassen. 22 Im Anschluß hieran listet die Instruktion unter dem Titel „Besondere Dienstverpflichtungen der Landräthe" die speziellen Arbeitsgebiete auf, die auch heute noch als deren klassische Verwaltungsaufgaben begriffen werden: Straßen- und Brückenbau sowie deren Instandhaltung, Städtebau, Förderung von Ackerbau und Gewerbe, Schulwesen, Gesundheitswesen (Medizinal- und Veterinärhygiene). 23 Bemerkenswert ist, daß insbesondere die Förderung der Gewerbe und des Städtebaus nur vorgestellt wurden, das Ausmaß ihres Engagements aber den Landräten selbst überlassen blieb 2 4 Sehr konkrete Anweisungen enthielt die Instruktion jedoch für den Fall von Bränden, ansteckenden Krankheiten und in allen Militärangelegenheiten 2 5 18 Ergänzungen und Erläuterungen, S. 183-187; W. Vogel, Brandenburgische Verwaltungsgeschichte im 19. Jahrhundert (1815-1871), in: G. Heinrich/F.-W. Henning/K.G.A. Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, Stuttgart u.a. 1993, S. 708-736. 19 Zit. n. Ergänzungen und Erläuterungen, S. 191. 20 § 28 der Instruktion, zit. n. Ergänzungen und Erläuterungen, S. 195. 21 § 29 der Instruktion, zit. n. ebd. 22 So auch § 10 der Instruktion über den Geschäftskreis der Landräte; vgl. Ergänzungen und Erläuterungen, S. 192, und der § 36, ebd., S. 196. 23 §§ 33-56 der Instruktion, ebd., S. 195-199. 24 §§ 39, 48, ebd. 25 §§ 38, 41, 42-44, ebd.

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Hinzu kamen die Aufgaben, die bislang von den Kriegs- und Steuerräten wahrgenommen worden waren, deren Funktion ganz entfiel: Die Landräte übernahmen die Aufsicht über die Steuerleistungen der Städte und der ehemaligen kreisfreien Domänenbauern. 26 Auch für die Erfassung der im Zuge der Finanzreformen eingeführten Klassensteuer und Gewerbesteuer sowie der nichtreformierten Gebäude- und Grundsteuern wurden sie verantwortlich. 27 Ausgehend von der Instruktion umfaßte das Amt also, neben den Militärangelegenheiten und der Steuererhebung, verschiedene Aufsichts- und Fürsorgeaufgaben, die darauf zielten, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Kreises und seiner Bewohner zu fördern und zu schützen. Förderung und Schutz bestanden jedoch nicht allein in strukturellen Verbesserungen wie beispielsweise dem Chausseebau, sondern wurden ausdrücklich auch als persönliches Verhältnis des Landrats zu den Bewohnern des Kreises charakterisiert. Insofern Schloß die Tätigkeit eines Landrates nahtlos an den gutsherrlichen Paternalismus an, den Robert Berdahl bei den preußischen Rittergutsbesitzern des 18. Jahrhunderts konstatierte. 28 Das Provisorium erwies sich als langlebig, denn erst 1872/81 gelang, nach immer neuen einstweiligen Reskripten und Verordnungen sowie den provinziellen Kreisordnungen der 1820er Jahre, die Verabschiedung einer allgemeinen Kreisordnung, in der ständisches System, Vorrechte der Rittergüter, gutsherrliche Polizeigewalt und Aufsichtsrecht der Gutsherren über die Landgemeinden endgültig beseitigt wurden. Die Landkreise verwandelten sich in Selbstverwaltungsverbände, die zugleich staatliche Verwaltungsbezirke waren. Der Kreistag, nun nach verschiedenen Wahlmodi von den Rittergutsbesitzern, den Städten und den Landgemeinden gemeinsam besetzt 29 , übte weiter das Präsentationsrecht der Kandidaten für ein Landratsamt aus und wählte zwei Kreisdeputierte als Stellvertreter des Landrats. Die Kandidatur für ein Landratsamt blieb an Gutsbesitz oder einen Wohnsitz im Kreis (seit mindestens einem Jahr) geknüpft. 30 Dem Landrat wurde als eigentlich leitendes Verwaltungsorgan ein Kreisausschuß zur Seite gestellt, der vom Kreistag gewählt wurde, als ständiger Ausschuß unter dem Vorsitz des Landrats tagte und wie der Landrat selbst sowohl Organ der Selbstverwaltung wie auch staatliche Behörde war. 31

26 § 46, ebd.; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 157. 27 § 55, ebd.; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815, 2. Aufl., München 1989, S. 437 ff. 28 R.M. Berdahl, Preußischer Adel: Paternalismus als Herrschaftssystem, in: H.-J. Puhle/H.-U. Wehler (Hrsg.), Preußen im Rückblick, Göttingen 1980, S. 123-145. Vgl. auch E. Melton, The Decline of Prussian Gutsherrschaft and the Rise of the Junker as Rural Patron, 1750-1806, in: German History 12, 1994, S. 334-350. 29 Vgl. G.-C.v. Unruh, Der Kreis, S. 170 f. 30 W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltung in den Bundesstaaten. § 1: Preußen, in: K.G.A. Jeserich/ H. Pohl/G.-C.v. Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, S. 678-714, hier S. 694; M. Knaut, Verwaltungsorganisation, S. 82; G.-C.v. Unruh, Der Landrat, S. 66. 31 W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltung, S. 697.

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Parallel hierzu änderte sich die Provinzialverwaltung. Mit dem Ausbau der Leistungsverwaltung trat neben die Regierungspräsidien der von einem Landesdirektor geführte Provinzialverband. 32 Dieser übernahm bisher landschaftlich organisierte ständische Einrichtungen beispielsweise für die Landarmen, das Kredit- und das Versicherungswesen. Er unterstützte die Landkreise auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft und Bodenkultur, der Straßenverwaltung und des Eisenbahnbaus. Die Amtsgeschäfte der Landräte wurden seit Beginn des 19. Jahrhunderts in langsam, aber stetig wachsendem Maß von den vorgesetzten Behörden, den Regierungspräsidenten sowie dem preußischen Ministerium des Innern, festgelegt. Die zunehmende Binnendifferenzierung der Staatsverwaltung sowie die Neuordnung des Staatshaushaltes auf der Grundlage eines tragfahigen Steuerwesens brachten für die Landräte eine erhebliche Ausdehnung ihrer Aufgaben. Hierdurch sahen sie sich, insbesondere seit der Jahrhundertmitte, dazu gezwungen, die Vermehrung ihrer „Officianten" zu fordern, denn mit der üblichen Hilfe eines Kreisboten, eines Kreissekretärs und eines Schreibers konnten sie die steigende Arbeitslast nicht mehr bewältigen. 33 Die nun langsam zunehmende Zahl des Personals ließ sich nicht mehr in wenigen angemieteten oder in dem eigenen Gutshaus zur Verfügung gestellten Räumen unterbringen. „Kreishäuser" wurden in den Kreisstädten errichtet, die neben den Büroräumen auch meist eine Dienstwohnung für den Landrat enthielten. 34 Der Begriff Landratsamt bezeichnete nun immer weniger den Aufgabenkreis eines Amtsträgers, statt dessen zunehmend den Sitz einer Verwaltungsbehörde. 35 Zugleich wurde den Landräten immer häufiger und detaillierter vorgeschrieben, welche ihrer vielen Aufsichts- und Fürsorgepflichten für die Kreisbewohner sie mit welcher Intensität wahrnehmen sollten, denn mit den in Preußen wachsenden sozialen und politischen Spannungen insistierte die vorgesetzte Behörde zunehmend heftiger, die Berichtspflicht nach oben und die Ratgebertätigkeit nach unten nicht zu vernachlässigen. Die Landräte sollten Horchposten und Sprachrohr der Regierung im Kreis sein, nicht Vertreter von ständischen und von Kreisinteressen gegenüber der Regierung.

32 Vgl. F. Escher, Brandenburg und Berlin 1871-1914/18, in: G. Heinrich/F.-W. Henning/K.G.A. Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, S. 737-756, hier 742 ff. 33 Siehe BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 559, 560, 561, 562, 563, 564, 565, 566, unpag., alle zu Personalangelegenheiten der Angestellten des Landratsamts. 34 K.v. der Groeben, Provinz Ostpreußen, in: G. Heinrich/F.-W. Henning/K.G.A. Jeserich (Hrsg.), Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands 1815-1945, S. 147-258, hier S. 162; G.-C.v. Unruh, Provinz Pommern, ebd., S. 592-676, hier S. 628; P.-M. Hahn, Provinz Brandenburg und Berlin, ebd., S. 681707, hier S. 706 f.; exemplarisch für die Provinz Brandenburg der Konflikt um das Kreishaus in Kyritz, vgl. Kreis-Ausschuß der Ost-Prignitz, Denkschrift betreffend den Erweiterungsbau des Kreishauses zu Kyritz vom 7.3.1879, 3 Bl., in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 483, unpag. 35 Für die Veränderungen seit 1871 vgl. T. Süle, Preußische Bürokratietradition. Zur Entwicklung von Verwaltung und Beamtenschaft in Deutschland 1871-1918, Göttingen 1988, S. 36-40.

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III. Die Landräte Zwischen 1816 und 1918 wurden für die 30, ab 1872 31 Landkreise 36 der Provinz Brandenburg 217 Landräte ernannt, wovon 174 adliger und 43 (19,81 Prozent) bürgerlicher Herkunft waren. 3 7 Sechs dieser bürgerlichen Landräte wurden während oder nach ihrer Amtszeit nobilitiert. 38 Von den 43 bürgerlichen Landräten traten 24 ihr Amt vor dem Erlaß der neuen Kreisordnung 1872 an, davon 16 im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder und 8 im Regierungsbezirk Potsdam. Insgesamt waren im Regierungsbezirk Frankfurt/Oder mit 29 mehr als die Hälfte aller 43 bürgerlichen Landräte ernannt worden. Von den 174 adligen Landräten wurden nach 1850 32 befördert (davon 11 allein zwischen 1900 und 1918), von den bürgerlichen Landräten im selben Zeitraum vier (davon drei nach 1900). Das Landratsamt diente folglich erst spät und nur sehr wenigen Inhabern als Einstieg in eine Verwaltungskarriere, für die meisten erwies es sich als ein lebenslängliches Amt. Dies bestätigt ein Blick auf die Dienstzeiten: 39 Prozent aller Landräte hielten ihr Amt bis zu zehn Jahren, immerhin 38 Prozent zwischen elf und zwanzig Jahren, 16 Prozent amtierten zwischen einundzwanzig und dreißig Jahren und 7 Prozent aller Landräte schließlich waren über dreißig Jahre im Dienst. Bemerkenswerterweise wirkten sich politische Zäsuren bis 1918 so gut wie gar nicht auf die Anstellung von Landräten aus. 39 Weder die Revolutionszeit 1848/49 noch die Reichsgründung hinterließen hier Spuren. Der Niederbarnimer Landrat Georg Scharnweber (1843-1891) und der Sorauer Landrat Carl Rudolf von Lessing (1840-1888) demonstrieren dies ebenso wie der Arnswalder Landrat Leuthold Meyer (1846-1884) oder der Landrat des Kreises Jüterbog-Luckenwalde, Julius Leberecht Hauschteck (1828-1863). Betrachtet man alle 54 Landräte mit zwanzig und mehr Dienstjahren, so zeigt sich eine überraschend ausgewogene Streuung: 17 traten ihr Amt bis 1830 an, 17 zwischen 1830 und 1870, 20 wurden 36 1872 wurde der Kreis Sternberg in West- und Oststernberg getrennt. 37 In den genannten Zahlen sind kommissarische und interimistische Landratsamts-Verwalter bzw. -Verweser nicht enthalten. Eigene Berechnungen auf der Grundlage von: W. Hubatsch (Hrsg.), Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945. Reihe A: Preußen, Bd. 5: Brandenburg, bearb.v. W. Vogel, Marburg 1975; Personalakten im Bestand des BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 472-501; biographischen Nachschlagewerken. Die prosopographische Erhebung ist noch nicht abgeschlossen, daher können einstweilen nur wenige vorläufige Ergebnisse mitgeteilt werden. 38 In chronologischer Folge: Leopold Albrecht (Landrat Kreis Teltow 1822-51), nobilitiert 1840; Carl Ferdinand Theodor Brescius (Züllichau-Schwiebus 1838-1851), nobilitiert 1856; Wilhelm Meyer (Arnswalde 1846-84), nobilitiert 1865; Dr. Oskar Weiss (Soldin 1879-1901), nobilitiert 1888; Ernst Stubenrauch (Teltow 1885-1908), nobilitiert 1900; Dr. Moritz Bernus (Ruppin 1907-14), nobilitiert 1912. Zur Nobilitierung Bürgerlicher in Preußen siehe H. Berghoff, Aristokratisierung des Bürgertums?, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (künftig zitiert: V S W G ) 81, 1994, S. 178-204. 39 Vgl. H.-K. Behrend, Zur Personalpolitik des preußischen Ministeriums des Innern. Die Besetzung der Landratsstellen in den östlichen Provinzen 1919-1933, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (künftig zitiert: JBGMO) 6, 1958, S. 173-214.

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nach 1870 ernannt. Es läßt sich folglich keineswegs konstatieren, daß im Zuge einer Professionalisierung des Landratsamtes die Dienstzeiten der Landräte kürzer geworden seien und das Amt selbst stärker in eine Verwaltungshierarchie eingebunden worden sei. Der relativ geringe Zuwachs an Karrierechancen vor allem nach 1900 ist auf den personellen Ausbau der Staatsverwaltung zurückzuführen. Im gesamten Untersuchungszeitraum hatten die Kreisversammlung bzw. der Kreistag das Recht, für den Posten des Landrats drei Kandidaten vorzuschlagen, deren Qualifikation vom Regierungspräsidium sowie dem preußischen Innenministerium begutachtet wurde. Zur Wahl der Landratsamtskandidaten konnte sich - bis zur Kreisordnung von 1872/81 - jeder Mann nominieren lassen, der erstens als Besitzer eines im Kreis gelegenen landtagsfähigen Rittergutes in die Matrikel eingetragen war 40 , zweitens zur Übernahme der Amtsgeschäfte qualifiziert war und drittens in geordneten Vermögensverhältnissen lebte. 41 Diese Voraussetzungen sind genauer zu klären. Der notwendige Nachweis, im Besitz eines im Kreis gelegenen landtagsfähigen Rittergutes und damit rechtmäßig dem privilegierten Stand im Kreis anzugehören, ließ sich nicht immer einfach erbringen. 42 Schon allein durch das nachlässige Führen der Matrikel waren Konflikte um die Standschaftszugehörigkeit und damit um das aktive wie das passive Wahlrecht auf den Kreistagen vorprogrammiert. Der in der Potsdamer Regierung tätige Referent Oelrichs meldete dem Ministerium des Innern unterm 6. Mai 1840, daß die Wahl von Landratsamts-Kandidaten im westhavelländischen Kreis als ungültig betrachtet werden müsse, da „der zum zweiten Candidaten erwählte Graf von Königsmarck nicht zu den Rittergutsbesitzern gehört, und deshalb so wenig gewählt, als überhaupt in der Kreisversammlung zugelassen werden konnte." 43 Komplizierter wurde die Situation, wenn Lehns- oder Allodialgüter unter den Erben aufgeteilt worden waren. Der Regierungsreferent Theodor Gustav von Saldern erkundigte sich vor der im Kreis Westprignitz abzuhaltenden Kandidatenwahl, zu der er sich nominieren lassen wollte, vorsorglich bei der Potsdamer Regierung, ob der alleinige Besitz eines Rittergutes nachgewiesen werden müsse. Von Saldern bewirtschaftete das Rittergut Plattenburg gemeinsam mit seinem Bruder. 44 Bei der Kandidatenwahl Ende Mai 1838 reüssierte von Saldern, und obwohl die Rechtmäßig40 Reglement wegen des Verfahrens bei den Wahlen der Landräthe und Kreisdeputirten in den Provinzen Brandenburg und Pommern v. 22.8.1826, § 4, in: Ergänzungen und Erläuterungen, S. 183; Rescript Minister des Innern und der Polizei v. 19.10.1837, in: Ebd., S. 188. 41 Siehe z.B. Regpräs. Potsdam an Landratsamt Jüterbog-Luckenwalde v. 25.5.1827, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 475, unpag. 42 W. Vogel, Brandenburgische Verwaltungsgeschichte im 19. Jahrhundert, S. 727. 43 Regierungsreferent Oelrichs an Ministerium des Innern v. 6.5.1840, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 492, unpag. 44 Regierungsreferent von Saldern an Regpräs. Potsdam v. 19.5.1838, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 493, unpag.

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keit dieser Wahl angezweifelt wurde, entschied das Ministerium des Innern kurz darauf, sie trotz kleinerer Mängel gelten zu lassen. 45 Grundsätzlich sollten solche Konflikte anhand der Verordnung vom 11. August 1825 über die Ritterguts-Qualität von Gütern entschieden werden 4 6 , und es bürgerte sich langsam ein, im Vorfeld der Wahlversammlung „erst eine Prüfung der Legitimation der einzelnen Besitzer" durchzuführen. 47 Komplikationen ergaben sich auch, wenn die Ehefrau die rechtmäßige Besitzerin des Gutes war. Wohl mußte sie dann das Stimmrecht per Vollmacht an einen Vertreter des männlichen Geschlechtes, häufig den Ehemann, abgeben, denn Frauen waren in der Kreisversammlung nicht zugelassen. Allerdings berechtigte diese Vollmacht den Gatten keineswegs, sich zur Kandidatenwahl zu stellen. 48 Herr von Thümen, der bereits 1826 wegen fehlender Kreisstandschaft als Kandidat des Kreises JüterbogLuckenwalde gescheitert war, ließ sich ein Jahr später wieder wählen, nachdem ihm seine Ehefrau drei Rittergüter, von denen zwei immatrikuliert waren, verkauft hatte. 49 Da das Potsdamer Regierungspräsidium die Rechtmäßigkeit dieses Verkaufes anzweifelte, entschied es nach Rücksprache mit dem Innenministerium, den in den Konflikt nicht involvierten Julius Leberecht Hauschtek als Landrat vorzuschlagen. In diesem Fall konnte sich das Regierungspräsidium auf den § 3 des vorläufigen Entwurfs einer Instruktion für die Landräte berufen, worin gestattet wurde, „auch andere durch Tüchtigkeit und sonstige ihnen zur Empfehlung gereichende persönliche Eigenschaften ausgezeichnete Individuen" vorzuschlagen. 50 Wen präsentierten die versammelten Rittergutsbesitzer eines Kreises nun als ihren Kandidaten für das Landratsamt? Die 174 adligen Landräte lassen sich anschaulich zu Familienverbänden gruppieren: So stellen die Familie von Arnim 8 Landräte, die von Bredows und die von Graevenitz' jeweils 4, die von Tschirschky-Boegendorff 3, 45 Kreisdeputierter von Putlitz an Regpräs. Potsdam v. 26.5.1838; Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 16.8.1838, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 493, unpag. Vgl. Rescript des Ministers des Innern und der Polizei v. 30.11.1840, in: Ergänzungen und Erläuterungen, S. 184 f. 46 Siehe z.B. Kreisdeputierter von Schenckendorff an Regpräs. Potsdam v. 19.1.1842 und v. 10.2.1842; Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 28.2.1842, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag. Vgl. auch Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 10.5.1827, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 475, unpag. 47 Kreisdeputierter von Platen an Regpräs. Potsdam v. 26.11.1859, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 493, unpag. 48 Vgl. für das LRA Kreis Beeskow-Storkow: Ministerium des Innern und der Polizei an Regpräs. Potsdam v. 2.11.1835, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 474, unpag. Rescripte des Ministers des Innern und der Polizei v. 26.5.1840 und 15.4.1842, in: Ergänzungen und Erläuterungen, S. 186 f. 49 Regierungsreferent von Gerhard an Regpräs. Potsdam v. 22.12.1826; Kgl. Preuß. Kammergericht an Regpräs. Potsdam v. 19.4.1827; Kreisdeputierter Ferdinand von Rochow an Regpräs. Potsdam v. 1.10.1827; Regpräs. Potsdam an Kgl. Preuß. Kammergericht v. 10.10.1827; Kgl. Preuß. Kammergericht an Regpräs. Potsdam v. 22.10.1827; Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 22.11.1827, alle in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 475, unpag. 50 Zit. n. Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 10.5.1827, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 475, unpag.

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und die Familie von Winterfeld(t) wie die Familie von Manteuffel je 5 Landräte. 51 Da die Übernahme des Landratsamtes an Rittergutsbesitz im Kreis gebunden war, besetzten die genannten Familien den Landratsposten „ihres" Kreises bisweilen in mehreren Generationen: Die Familie von Arnim hielt das Landratsamt im Kreis Templin von 1817 bis 1834, räumte den Posten für einen von Winterfeld(t) und andere kürzere Amtsinhaber, besetzte ihn 1867 wieder und hielt ihn bis 1920. Die Familie von Winterfeld(t) stellte den Landrat des Kreises Prenzlau von 1816 bis 1903, lediglich unterbrochen durch die Amtszeit des Carl von Stülpnagel-Dargitz zwischen 1837 und 1863. Der Kreis Zauch-Belzig wurde zwischen 1828 und 1919 von der Familie von Tschirschky-Boegendorff regiert, wiederum mit einem von Stülpnagel (von 1861 bis 1897) dazwischen. Die Familie von Manteuffel schließlich besetzte das Landratsamt im Kreis Luckau zwischen 1833 und 1851, übernahm es 1872 wieder und hielt es bis 1926. Rittergutsbesitz eines Familienverbandes in mehreren Kreisen befähigte auch zur Übernahme des Landratsamtes an unterschiedlichen Orten: die von Arnim besetzten Landratsämter, außer im Kreis Templin, auch in den Kreisen Niederbarnim und Angermünde; die von Graevenitz hielten mehrfach das Landratsamt in der Ostprignitz und in der Westprignitz; die von der Schulenburg amtierten in den Kreisen Oberbarnim und Niederbarnim; die von dem Knesebeck stellten Landräte in den Kreisen Teltow und Ruppin, die von Manteuffel im Kreis Luckau und im Kreis Guben; schließlich besetzten die von Waldow das Landratsamt in den Kreisen Arnswalde, Friedeberg und Niederbarnim. Die direkte Amtsübergabe von dem Vater an den Sohn läßt sich hingegen relativ selten beobachten: Die von Tschirschky-Boegendorffs hatten damit 1852 Erfolg; Enkel Bernhard von Tschirschky-Boegendorff konnte das Amt jedoch nicht von seinem Vater übernehmen. Kreuzwendedich Emil Hermann von Waldow löste seinen Vater Achatz Wilhelm August von Waldow 1841 im Landratsamt des Kreises Arnswalde ab; Joachim von Winterfeldt-Menkin erhielt das Landratsamt des Kreises Prenzlau 1897 von seinem Vater; Georg von Buch folgte seinem Vater Alexander 1895 nach zehnjähriger Unterbrechung auf das Landratsamt des Kreises Angermünde. Erst nach vierjährigem Zwischenspiel durch den Grafen von der Schulenburg übernahm Carl Eduard Graf von Zedlitz-Trützschler 1825 das Oberbarnimsche Landratsamt von seinem Schwiegervater, dem Freiherrn von Vernezobre. 52 Selbstverständlich spiegelt sich in dieser beobachtbaren „Erbfolge" bei der Besetzung der Landratsämter wie überhaupt in der Kandidatenwahl die Zusammensetzung der ständischen Kreistage wider. 53 Als sich im März 1832 die Rittergutsbesitzer des 51 Die interimistische oder kommissarische Verwaltung von Landratsämtern ist hierbei nicht berücksichtigt, sie würde die genannten Ziffern erheblich erhöhen. 52 R. Schmidt, Oberbarnimer Landräte, in: Oberbarnimer Rreiskalender. Ein Heimatbuch für Stadt und Land für das Jahr 1940, 29. Jahrgang, S. 66-69. 53 F. Escher, Provinz Brandenburg und Berlin, S. 748, weist daraufhin, daß 1888 im Kreistag des Kreises Teltow der führende Wahlverband der größeren Grundbesitzer mehrheitlich aus städtischen Hausbesitzern bestanden habe. Er betont nachdrücklich, daß der Kreis Teltow ein Ausnahmefall g e w e s e n sei.

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Kreises Angermünde zur Wahl ihrer drei Landrats-Kandidaten trafen, kamen fünf der insgesamt neunzehn Anwesenden aus der Familie von Arnim, je drei aus den Familien von Buch und von Diringshofen. 54 Mit großer Sicherheit kann man vermuten, daß informelle Absprachen der offiziellen Wahl von Landrats-Kandidaten in den Kreisversammlungen vorangingen. Hinweise hierauf lassen sich nicht in den Akten, die die Wahlprotokolle enthalten, aber in Memoiren finden. Der ehemalige Landrat des Kreises Prenzlau, Joachim von Winterfeldt-Menkin, beschreibt den Hauptritterschaftsdirektor Leopold von Buch als einen „Königsmacher": „Ohne selbst eine besonders überragende Stellung innezuhaben, „machte" er Landräte, Regierungs- und Oberpräsidenten, ja Minister. ... Es war etwas ganz Selbstverständliches, daß bei Vergebung wichtiger Staats- oder provinzieller Ämter Leo Buch - man sprach nie anders von ihm - um seine Meinung befragt wurde, und seine Kandidaten waren in der Tat stets die geeignetsten." 55 Nach der Reform der Kreisordnung 1872/81 majorisierten die adligen Rittergutsbesitzer zwar die Kreistage nicht mehr 5 6 , dennoch scheinen sie, wie das obige Beispiel aus den 1880er und 1890er Jahren zeigt, die Wahl der Landrats-Kandidaten weiter bestimmt zu haben. Die Zugehörigkeit zu einer in der Provinz bekannten Familie scheint in der Regel als vollständiger Nachweis der Qualifikation akzeptiert worden zu sein - womit die zweite Voraussetzung für die Wahl zum Landratskandidaten angesprochen ist. Zumindest die Kreisstände scheinen dies so gehalten zu haben, denn ihre Urteile über die Qualifikation eines Landratskandidaten sind nur selten so ausführlich wie das folgende: „Wenn ich übrigens mein Urtheil über die Qualification der gewählten Candidaten unverholen abgeben soll", teilte der Landrat von Vernezobre der Potsdamer Regierung im April 1821 mit, „so glaube ich, daß da zur Verwaltung des landräthlichen Amts keine gelehrte Kenntnisse erforderlich sind, und mithin nur mit gutem Willen, mit Thätigkeit und gesundem schlichtem Menschenverstand das Amt füglich verwaltet werden kann; beide Candidaten sich leicht in die Weisen und in die Form desselben hierin finden werden, daß aber Ausdauer von beiden kaum zu erwarten ist, da der Herr von Pfuel wohl zu sehr an ein ungebundenes Leben gewohnt ist, der Herr von Baerensprung aber hin und wieder an Hypocondrie leidet." 57 Positiver schilderte der Kreisdeputierte von Katte den Kandidaten des westhavelländischen Kreises 1840: „Der Eifer des Herrn von der Hagen für das ständische Wesen, sowie für das Landwehr-Institut, lassen indeß mit Recht auf seine patriotischen Gesinnungen, sein Name auf treue Anhänglichkeit an seine Majestät und das Allerhöchste

54 Kreis Deputierter von Arnim an Kgl. Regpräs. Potsdam v. 17. März 1832, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 472, unpag., 9 Bl. 55 J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten des Lebens. Das Buch meiner Erinnerungen, Berlin 1942, S. 103 f. 56 Vgl. BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 497-501, Akten die Landräte und ihre Geschäftsverwaltung betreffend, unpag., mit Verzeichnissen der Kreistagsabgeordneten. 57 Landrat von Vernezobre an Regpräs. Potsdam v. 6.4.1821, Bl. 2, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, N r . 4 7 8 , u n p a g .

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Königliche Haus schließen." 58 Meist beschied man sich mit einem knappen Urteil: „Über seine Qualification sowohl, wie über seine Gesinnung und pecuniären Verhältnisse mich auszulassen ist wohl nicht nöthig, da die erstere unbezweifelt ist, und letztere ganz vorzüglich sind", schrieb der osthavelländische Kreisdeputierte von Bredow 1857 nach Potsdam. 59 Im Mittelpunkt der sogenannten Gutachten standen jeweils der Ruf und die Gesinnung der Familie sowie deren Vermögensverhältnisse. Letztere waren von großer Bedeutung, weil das Gehalt eines Landrats vergleichsweise niedrig war: zwischen 1826 und 1855 betrug es 800 Taler im Jahr zuzüglich eines Wohngeldzuschusses und einer Dienstaufwands-Entschädigung. Von dieser Dienstaufwands-Entschädigung mußten die im Landratsamt als Kanzlisten beschäftigten „Privat-Secretaire" ebenso bezahlt werden wie die für Fahrten im Kreis dringend benötigten Pferde und Kutschen. 60 Zur Bestreitung ihres standesgemäßen Unterhaltes blieben die Landräte also immer auf Einnahmen aus ihrem Rittergutsbesitz angewiesen. 61 Nicht zuletzt aus diesem Grund galt das Landratsamt den Rittergutsbesitzern lange als ein Ehrenamt. 62 Mit der Darstellung von Ruf und Gesinnung reagierten die Kreisdeputierten auf den bereits zitierten § 1 der Instruktion von 1816, der vorschreibt, daß Landräte Männer von reifer Lebensbildung, erprobter Rechtschaffenheit und Ansehen sein sollten. Daher wurde als Vorteil eines Kandidaten in den Gutachten gerne erwähnt, daß er das Vertrauen der Kreisstände genieße; nur selten wurde hingegen die Vertrautheit mit „Sprache, Sitten und Eigenthümlichkeiten" der einheimischen Bevölkerung gerühmt. 63 Als wichtiger galt, in Übereinstimmung mit dem zitierten Paragraphen, die Persönlichkeit eines Kandidaten, beispielsweise weil „derselbe diejenige männliche Haltung mit einem gewandten und bescheidenen Betragen zu verbinden scheint, welche die Stellung des Landraths sowohl unter seinen Standsgenossen als in dem Verkehr mit den untern Volksklassen erheischt, um seiner amtlichen Thätigkeit eine

58 Kreisdeputierter von Katte an Regpräs. Potsdam v. 10.4.1840, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 492, unpag. 59 Kreisdeputierter von Bredow an Kgl. Regpräs. Potsdam v. 2.5.1857, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A IP, Nr. 481, unpag., Bl. 1. 60 Lediglich der Kreissekretär und der Kreiskassen-Rendant galten als öffentliche Staatsdiener und erhielten ihr karges Jahresgehalt direkt aus der Staatskasse gezahlt. Vgl. BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 559, 563. 61 Zum Einkommen preußischer Verwaltungsbeamter vgl. K.G.A. Jeserich, Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes 1800-1871, in: K.G.A. Jeserich/H. Pohl/G.-C.v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 301-332, hier S. 325; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 305 u. 310. Daß das Einkommen der Landräte völlig unzureichend sei, kritisierte auch das Regpräs. Potsdam in seinem Schreiben an das Ministerium des Innern v. 7.6.1850, Bl. 1, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 488, unpag. 62 Vgl. G.-C.v. Unruh, Landrat, S. 66; K.G.A. Jeserich, Öffentlicher Dienst, S. 325. 63 Vgl. Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 12.4.1851, Bl. 1 RS, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 488, unpag.; Regierungsassistent von Willich an Regpräs. Potsdam v. 11.9.1838, Bl. 1 RS, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 493, unpag.

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fördernde Wirksamkeit zu verschaffen." 6 4 Auch „sehr gute natürliche Fähigkeiten" und „praktisches Geschick" 6 5 wurden den zukünftigen Landräten häufig attestiert, beides Bewertungen, die sich, wörtlich an § 27 des Regulativs von 1846 angelehnt, auf ihre Führungsqualitäten bezogen. 66 Daß die Persönlichkeit eines Kandidaten bei der Ernennung zum Landrat eine erhebliche Rolle spielte, belegen noch zu Ende des 19. Jahrhunderts die Vorschläge der Potsdamer Regierung an das Innenministerium, welche Regierungsassessoren die Qualifikation zur Führung eines Landratsamts besäßen. 67 Während der Regierungsassessor Scherz 1894 für „noch nicht ausgereift" 68 galt, wurden einige seiner Kollegen als Persönlichkeiten beschrieben, „welche sich nur für ein „kleineres Landrathsamt" „mit einfachen Verhältnissen" „mit bäuerlicher Bevölkerung" eignen möchten". Der Innenminister Rheinbaben protestierte energisch beim Potsdamer Regierungspräsidenten, solche unzureichenden Bewerbungen künftig zu unterbinden. 6 9 Die Verzeichnisse der für Landratsämter geeigneten Regierungsassessoren, die das Regierungspräsidium alljährlich anlegte, wurden nun merklich kürzer. 7 0 Bereits 1818 legte das Preußische Innenministerium fest, daß alle Kandidaten für ein Landratsamt sich einer Prüfung beim Regierungspräsidium oder der Ober-Examinations-Kommission zu unterziehen hätten, falls sie die Große Staatsprüfung nicht bereits abgelegt hätten. 71 Schon erworbene Meriten im Königlichen Dienst, die „ihre praktische Brauchbarkeit" 72 beweisen konnten, wurden den Landrats-Kandidaten nicht mehr anerkannt. Selbst Stabsoffiziere der Armee hatten keinen Anspruch darauf, ohne Prüfung zum Landrat ernannt zu werden. 73 In der Sprache der Akten

64 Ebd., Bl. 2; Kreisdeputierter von R o c h o w an Regpräs. Potsdam v. 26.3.1828, Bl. 1 RS, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 494, unpag. 65 Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 18.6.1850, Bl. 3 RS, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 494, unpag.; Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 15.12.1838, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 493, unpag.; Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 9.2.1821, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 482, unpag.; 66 E. Richter, Die Vorbildung der höheren Verwaltungsbeamten in Preußen, in: Preußische Jahrbücher (künftig zitiert: PJB) 17 (1866), S. 1-19, hier S. 17; Cassius, Die Vorbildung für den höheren Verwaltungsdienst, in: PJB 84 (1896), S. 300-324. 67 Vgl. B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495. 68 Landrat von Bethmann Hollweg an Regpräs. Potsdam v. 22.3.1894, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495, unpag. 69 Innenminister Rheinbaben an Potsdamer Regierungspräsidenten v. 20.3.1890, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495, unpag. 70 Enthalten in B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495. 71 Minister des Innern an Regpräs. Potsdam v. 16.10.1818, Abschrift, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478; Regulativ über die P r ü f u n g der Landrathsamts-Kandidaten v. 13.5.1838, in: Ergänzungen und Erläuterungen, S. 188-190. 72 Minister des Innern an Regpräs. Potsdam v. 16.10.1818, Abschrift, Bl. 1 RS, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag. 73 Regpräs. Potsdam an Legationsrat von Gerhardt v. 2.3.1849; ders. an dass. v. 19.3.1849, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 473, unpag.

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werden die Landrats-Kandidaten aufgefordert, sich „der landräthlichen Prüfung zu unterwerfen" 74 , und dieser Ausdruck dürfte das Empfinden insbesondere der Landrats-Kandidaten aus alteingesessenen adligen Familien exakt getroffen haben. 75 Entsprechend finden sich bis in die Mitte des Jahrhunderts Anträge auf Entbindung von der Prüfung. Dem Landrat des Kreises Niederbarnim, Domherrn C. Otto F. von Voß auf Buch, wurde die Prüfung 1826 aufgrund des positiven Gutachtens der Potsdamer Regierung erlassen 76 , und noch 1855 wurde Friedrich Wilhelm Leopold Adolph von Graevenitz ohne Prüfung zum Landrat der Ostprignitz ernannt. 77 Im allgemeinen setzte sich jedoch durch, daß auch der adlige Nachwuchs die vorgeschriebene Laufbahn absolvierte 78 , wenngleich offenbar unter angenehmeren Bedingungen und mit anderen Schwerpunkten als die bürgerlichen Konkurrenten. Als Beispiel hierfür sei der 1865 geborene Prenzlauer Landrat Joachim von WinterfeldtMenkin genannt, der sein Amt 1897 von seinem Vater übernommen hatte. In sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften war die ehedem übliche Kavalierstour gleich mehrfach integriert: er flanierte ein Semester in Genf und besichtigte ein weiteres Semester italienische Städte und Museen. Nach Examen, Militär- und Gerichtsassessorenzeit (unter anderem im heimatlichen Kreis) unternahm der inzwischen zum Referendar avancierte von Winterfeldt eine mehrmonatige Mittelmeerund Orientreise. Anschließend setzte er seine Ausbildung beim Frankfurter Regierungspräsidium fort, die er wie folgt beschreibt: „Der Dienst, der von uns Referendaren gefordert wurde, war wenig anstrengend. Man ging gegen elf Uhr auf das Büro, erledigte etwa vorliegende Arbeiten, wie Entwürfe für Verfügungen oder Berichte, um dann um ein Uhr im Zivilkasino zum Mittagessen zu landen. Das war schon auszuhalten." 79 Nach weiteren sechs Monaten in einem Landratsamt und be74 Vgl. Regulativ v. 13.5.1838, in: Ergänzungen und Erläuterungen, S. 188; Preußisches Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 18.12.1844, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2 A I Ρ Nr. 4 7 9 , unpag. 75 Vgl. H. Gollwitzer, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815-1918, 2. Aufl., Göttingen 1964, S. 315; H. Reif, Westfälischer Adel 1770-1860. V o m Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979, S. 386 f. Die Qualität dieser Prüfung ist schwer zu beurteilen; vgl. K.v. der Groeben, Provinz Ostpreußen, S. 158; dagegen: Kgl. Regierungs-Präsidium Potsdam an designierten Landrat von Rohr Holzhausen v. 23.7.1858, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2 A 1 P, Nr. 4 8 2 , unpag. (Themen für die zwei einzureichenden schriftlichen Probearbeiten). 76 Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 13.10.1826, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2 A I P, Nr. 476, unpag. 77 Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 3.1.1855, in: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2 A I P, Nr. 4 8 2 , unpag. Vgl. Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 14.7.1844; Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 18.12.1844; Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 17.6.1845 in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2 A I P, Nr. 479, unpag., betr.: die Ernennung des Grafen A l e x i s von Haeseler zum Oberbarnimer Landrat 1844, obwohl er keinerlei Schul- und Universitätszeugnisse vorzulegen vermochte. 78 Obwohl die prosopographische Auswertung noch nicht abgeschlossen ist, kann bestätigt werden, daß von den insgesamt 174 adligen Landräten der Provinz Brandenburg zwischen 1816 und 1918 mehr als die Hälfte studiert hat. Selbstverständlich steigt der Anteil der so Ausgebildeten nach 1850 stark an. 79 J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten, S. 80.

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standener Prüfung kehrte von Winterfeldt-Menkin nach Prenzlau zurück, um zuerst als Vertreter, dann als ordentlicher Landrat das Amt seines Vaters zu übernehmen. 80 Zu seiner Ausbildung waren nicht nur das Studium, die Praktika im Justiz- und Verwaltungsdienst sowie die Auslandsaufenthalte zu rechnen, sondern ebenso die Jagden, beispielsweise mit dem Prenzlauer Landgerichtspräsident Herms, der sich mit seiner Familie im Prenzlauer Kreishaus eingemietet hatte und bei dem von Winterfeldt-Menkin sein Referendariat abgeleistet hatte. 81 Auch der „Königsmacher" im Prenzlauer Kreis, Leopold von Buch, versammelte die Herren des Kreises und der Staatsspitze regelmäßig bei seinen Jagden. „Da erschienen Würdenträger über Würdenträger, um Hasen zu schießen und sich nachher in der Junggesellenhäuslichkeit des Jagdherrn gründlich die Nase zu begießen", notiert von Winterfeldt-Menkin. 82 Letzterer sah sich erst nach seiner Eheschließung veranlaßt, den Schwerpunkt seines gesellschaftlichen Verkehrs von der Jagd ins Haus zu verlegen. 83 Über das gesamte 19. Jahrhundert gesehen läßt sich in der Tat eine zunehmende Formalisierung der Qualifikation von Landräten beobachten. Herkunft, Gesinnung, Vermögensverhältnisse und persönliche Autorität entfallen zwar nicht als Einstellungsvoraussetzungen, können aber ein abgeschlossenes Studium und eine Ausbildung im Staatsdienst nicht mehr ersetzen. Das Beispiel des WinterfeldtMenkin zeigt, daß die erbrachte Anpassung an neue Qualifikationsanforderungen ständische Qualifikationsmuster dennoch nicht verblassen ließ, sondern beide zur Erleichterung des Kandidaten vortrefflich miteinander verbunden werden konnten. Die geringe Zahl nichtadliger Landräte, die nach Erlaß der neuen Kreisordnung in Brandenburg ernannt wurden, weist ebenfalls darauf hin, daß Studium und Staatsexamina wohl eine notwendige, aber nicht die hinreichende Voraussetzung für die Übernahme eines Landratsamtes bildeten. So lange ständisch definierte Qualitäten wie Herkunft und persönliche Autorität gleichermaßen zählten 84 , kann von einer Professionalisierung der Landräte im strikten Wortsinn wohl kaum gesprochen werden. 85

80 Ebd., S. 60-90; K. Adamy/K. Hübener, „Ein echter Sohn der Mark!" Joachim von Winterfeldt-Menkin (1865-1945) - Landesdirektor und Kulturförderer der Provinz Brandenburg, in: J B G M O 41, 1993, S. 181-195; H. Fricke, Die Landesdirektoren der Provinz Brandenburg 1876-1945, in: J B G M O 5, 1956, S. 295-325, hier S. 308-315; ders., Joachim von Winterfeldt-Menkin. Seine Verdienste um die märkische Geschichtsforschung, in: Forschungen zur Brandenburgisch-Preußischen Geschichte 47, 1935, S. 385388. 81 J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten, S. 102 f.; vgl. auch H. Gollwitzer, Die Standesherren, S. 288291; H.W. Eckardt, Herrschaftliche Jagd, bäuerliche Not und bürgerliche Kritik, Göttingen 1976, insbes. S. 268 ff. 82 J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten, S. 104; F.W.v. Oertzen, Junker. Preußischer Adel im Jahrhundert des Liberalismus, Oldenburg, Berlin 1939, S. 328. 83 J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten, S. 103. 84 Vgl. Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 20.3.1890, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495, unpag., betr. Nennung von Regierungs-Assessoren, die zu Landräten befördert werden können: „so betone ich ausdrücklich, daß nur solche Assessoren zu benennen sind, deren Qualifikation

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IV. Die Amtsführung Wenn ständische Qualifikationen die Ernennung zum Landrat tatsächlich so sehr beförderten, müssen sie sich auch in der landrätlichen Amtsführung nachweisen lassen. Einblick in die unterschiedlichen Auffassungen einer korrekten Amtsführung gewähren die Akten der vorgesetzten Behörde zum einen in Konfliktfällen, zum anderen bei Beurteilungen, die vor Beförderungen, Ordensverleihungen und Dienstentlassungen eingeholt wurden. 86 Die verhinderte Karriere des Grafen Carl Albrecht Alexander von der Schulenburg gibt ein Beispiel für divergierende Ansichten über die Amtsführung eines Landrats zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Als Landrat des Kreises Oberbarnim hatte sich v. d. Schulenburg im Sommer 1824 direkt an den König gewandt und um seine Beförderung zu einem höheren Staatsamt gebeten. 87 Das Ministerium des Innern forderte daraufhin das Potsdamer Regierungspräsidium auf, über die Qualifikation des Landrats v. d. Schulenburg zu urteilen, und erhielt von Regierungsrat von Sellenthin 88 einen harschen Bericht: Des Landrats „intellektuelle Fähigkeiten" werden darin als schnell, aber oberflächlich beschrieben, er sei eigensinnig, unbelehrbar und neige zu Renitenz. Seine „wissenschaftliche Bildung" könne nicht beurteilt werden, da dem v.d. Schulenburg das landrätliche Examen erlassen worden sei; seine schriftlichen Arbeiten fielen allerdings durch einen „Mangel an logischer Ordnung und an genügender Bekanntschaft mit der Theorie der Staatswissenschaften" auf. Seine „praktische Führung" schließlich zeichne sich dadurch aus, daß sie „keine Spuren in seinem Kreise" hinterlasse. Da der v.d. Schulenburg „als Landrath seine Stelle nicht ausfüllt", sei er für höhere Ämter schon gar nicht geeignet. 89 Von der Schulenburg war im Februar 1821 von den Rittergutsbesitzern des Kreises Oberbarnim zum einzigen Landrats-Kandidaten gewählt worden; an seiner hervorragenden Qualifikation für das Landratsamt zweifelte niemand, „da der Graf von der Schulenburg Einer Königlichen Hochlöblichen Regierung nicht allein pernach ihrer ganzen Persönlichkeit, nach ihren Charaktereigenschaften und Fähigkeiten außer jedem Zweifel steht." 85 Vgl. hierzu die in den Preußischen Jahrbüchern u.a. am Beispiel der Landräte geführte Debatte über Rang und Gehalt in Justiz und Verwaltung, die wesentlich auf Qualifikation Bezug nimmt. Sellow, in: PJB 78 (1894), S. 118-136; Gottfried, in: PJB 79 (1895), S. 132-139; Sellow, Replik, in: PJB 79 (1895), S. 139-145. Allgemein: W. Bleek, Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg. Studium, Prüfung und Ausbildung der höheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1972; T. Süle, Preußische Bürokratietradition. 86 Vgl. BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 495, unpag. 87 Ministerium des Innern an Regpräs. Potsdam v. 2.7.1824, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag. 88 Von Sellenthin hatte 1815-16 kommissarisch das Landratsamt des Kreises Beeskow-Storkow verwaltet und war dann zum Regierungs-Präsidium Potsdam gewechselt. 89 Reg.Rat v. Sellenthin, Regpräs. Potsdam, an Königliches Ministerium des Innern, Berlin, v. 16.8.1824, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag., Bl. 1, 2, 3, (in der Reihenfolge der Zitation).

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sönlich, sondern auch in scientifischer Hinsicht bekannt ist". 90 Diese Bekanntschaft scheint auch dazu gefuhrt zu haben, daß dem v.d. Schulenburg die landrätliche Prüfung, trotz gegenteiliger Stellungnahme des Potsdamer Regierungspräsidiums, im Juni 1822 erlassen wurde. 91 Sie reichte aber nicht hin, die Karriere des ehrgeizigen Landrats im Staatsdienst zu befördern. Zum Jahresende 1824 gab er das Landratsamt auf, um nun als Direktor der Brandenburgischen Landesfeuersozietät zu wirken. 9 2 In der Beurteilung der landrätlichen Amtsführung kam der „praktischen Führung" offenbar große Bedeutung zu. Dies veranschaulicht das Beispiel des Ruppiner Landrats Friedrich Christian Ludwig Emilius von Zieten, der in weitestgehender Übereinstimmung mit dem Potsdamer Regierungspräsidium agierte. 93 In seinem Bericht vom 26. Dezember 1841, in dem er der Potsdamer Regierung die Geschäftsübergabe an den Kreisdeputierten Major von Schenckendorff anzeigt, erklärt der 76jährige von Zieten: „Es ist meine Absicht, fortzufahren, das Gute im Ruppinschen Kreise zu fördern; freilich wird es nicht mehr so geschehen können wie bisher. Denn ich habe laut meiner Rechnung im Jahre 1841 zu Verbesserungen, Unterstützungen der Armen und Kranken, Erziehung von Waisen im Landarmenhause (pp/etc), in den Städten und auf dem platten Lande über 1.500 RTh baar verwendet, ohne die Bäume zu Alleen zu rechnen, welche ich unentgeltlich aus meiner Baumschule habe verabfolgen lassen und von denen jedes Schock gewiß 5 RTh werth war." 9 4 Auch von Zieten hatte einst Eigensinn, Unbelehrbarkeit und Renitenz gegenüber seiner Regierung demonstriert. Zusammen mit den Landräten von Bredow (Kreis Soldin), von Pannwitz (Kreis Niederbarnim) und von Rochow (Kreis Zauch-Belzig) hatte er zur erklärten Opposition der preußischen Verwaltungsreform gehört; gemeinsam hatten die vier brandenburgischen Landräte 1809 ein Gegen-Gutachten vorgelegt. 95 Diese Renitenz entsprang einem von ständischem Pflichtbewußtsein geprägten Dienstverständnis. Im Gegensatz zu seinem Amtskollegen von der Schulenburg war dem von Zieten nicht an einer Karriere im Staatsdienst gelegen, sondern an der sorgfältigen Verwaltung und Pflege „seines" Kreises, die er offenbar mit demselben Engagement betrieb wie die Verwaltung und Pflege seines Rittergutes 90 Landrat von Vernezobre an Kgl. Regpräs. Potsdam v. 15.2.1821, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag. Bl. 3. 91 Regpräs. Potsdam an Ministerium des Innern v. 20.3.1822, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag., Bl. 2; Regierungsrat v. Seilenthin an Ministerium des Innern v. 16.8.1824, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 478, unpag., Bl. 2. 92 R. Schmidt, Oberbamimer Landräte, in: Kreiskalender Oberbarnim 29, 1940, S. 66-69, hier S. 67. 93 Vgl. Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Erster Teil: Die Grafschaft Ruppin, Berlin 1987, S. 21-24. 94 Landrat von Zieten an Kgl. Regpräs. Potsdam v. 26.12.1841, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag., Bl. 1 RS f. 95 Für seine „Beratungsdienste" bei der Reform wurde von Zieten von Friedrich Wilhelm III. als bester Landrat gewürdigt und 1840, als letzter Lebender der vier „Berater", in den Grafenstand erhoben. Vgl. B. Schulze, Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809-1818, Berlin 1931, S. 22, 24 f.

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Wustrau. 96 In der Zeit unmittelbar vor seiner Pensionierung im Januar 1842 wandte sich von Zieten wiederholt an die Potsdamer Regierung, um seinen heftigen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Er „als ein von nun an moralisch Todter" 97 schildert ausführlich, „wie schwer es mir wurde, aus einem so ehrenvollen Verhältnisse zu scheiden, in welchem ich während 41 Jahre die Freude und das Glück meines Lebens suchte und fand." 98 Bis zu seinem Tod im Juni 1854 beschäftigte sich von Zieten, der unverheiratet geblieben war, vorwiegend damit, das öffentliche Gedenken an seinen berühmten Vater zu fördern. 99 Bestätigung fand sein achtsames Verhalten in dem Urteil seiner vorgesetzten Behörde „über das bisherige Dienstbenehmen", das kurz und prägnant „Meisterhaft" lautete. 100 So wie es offenbar nach übereinstimmender Meinung die Aufgabe des Landrats war, „das Gute" im Kreis zu fördern, so repräsentierte der Landrat persönlich, im eigenen wie im Verständnis seiner Standesgenossen, dieses „Gute" des Kreises. Wurde ihm dieses Recht versagt, so sah sich ein Landrat zu Konsequenzen gezwungen. 101 Oskar von Arnim-Kröchlendorff, Landrat des Angermünder Kreises, reichte im November 1848 aus solchem Grunde sein Abschiedsgesuch ein. Er erläutert seiner vorgesetzten Behörde: „Bei Gelegenheit des am 25ten h. hieselbst stattgehabten Kreis-Conventes wurde eine Deputation erwählt, welche dem Königspaare am 29ten h. die Glückwünsche Namens des Kreises persönlich überbringen soll. Ich halte es in der Natur der Sache begründet, daß bei einer Deputation, die bei solcher Gelegenheit den Kreis vertritt, der Landrath nicht fehlen darf. Nichts destoweniger wurde ich nicht nur nicht in diese Deputation gewählt, sondern erhielt sogar nur sehr wenige Stimmen. Mit Recht erblicke ich hierin ein mir Seitens der Kreisstände gegebenes Mißtrauens-Votum und zwar ein sehr starkes." 102 Mit Hilfe der Intervention des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, von Patow, und einer „seitens der Kreisstände oder einer namhaften Anzahl ehrenwerter Männer" gegebenen „Manifestation des Wunsches, Sie zu behalten" gelang es, den in 96

Vgl. auch Landrat Graf von Zieten an Regpräs. Potsdam v. 10.11.1841, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag.; C. Brinkmann, Wustrau. Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte eines brandenburgischen Rittergutes, Leipzig 1911, S. 130 ff., 149 f., 153. 97 Landrat von Zieten an Regpräs. Potsdam v. 28.12.1841, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag., Bl. 2. 98 Landrat von Zieten an Regpräs. Potsdam v. 23.12.1841, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag., Bl. 1 RS. 99 Vgl. T. Fontane, Wanderungen 1, S. 21 -24. 100 Nachweisung der Pensions-Vorschläge für die zum Ressort des Königlichen Ministerii des Innern und der Polizei zugehörigen Officianten im Departement der Königlichen Regierung zu Potsdam, undat., in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 484, unpag. Anlage zu Landrat v. Zieten an Regpräs. Potsdam v. 23.8.1841. 101 Vgl. auch K.v. der Groeben, Provinz Ostpreußen, S. 160: Der Landrat des Kreises Angerburg ging noch 1889 so weit, mehrere Mitglieder des Kreisausschusses zum Duell mit Pistolen zu fordern. 102 Landrat v. Arnim, Angermünde, an Regpräs. Potsdam v. 27.11.1848, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I Ρ, Nr. 473, unpag.

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seiner Ehre verletzten Landrat zur Rücknahme seines Abschiedsgesuches zu bewegen. 103 Die Akten geben nicht zu erkennen, inwieweit das Verhalten des Landrates von Arnim in der Revolutionszeit die Protestaktion seiner Standesgenossen verursacht hatte. Allerdings boten gerade Loyalitätsadressen an das Herrscherhaus häufiger Anlaß, den Landräten als ersten Herren im Kreis einen Denkzettel zu verpassen, ihren Status an der Spitze der Gesellschaftspyramide des Kreises in Frage zu stellen. So hatte sich im Jahre 1903 der Konflikt darum, wer bei den Kaisergeburtstags-Festessen eines Kreises Vorsitzen dürfe, derart zugespitzt, daß das Preußische Innenministerium das Staatsministerium um eine grundsätzliche Entscheidung bat. Für den Vorsitz des Landrates sprach, nach Ansicht des Innenministeriums, neben der „wohl ziemlich allgemein althergebrachte(n) Sitte", „daß der Landrat die Staatsregierung in ihrer Gesamtheit ... vertritt und der politische Beamte des ganzen Kreises ist, der bei politischen Anlässen - und dazu ist doch auch dieses Festessen zu rechnen - naturgemäß an die Spitze tritt". 104 Doch während es zur Jahrhundertmitte noch die Kreisstände waren, die dem von ihnen gewählten Landrat die Ehre verweigerten, die Huldigungsdelegation des Kreises anzuführen, so sprachen fünfzig Jahre später „im Range gleichgesetzte Zivilbeamte" wie die Landgerichtspräsidenten dem Landrat das Recht auf Repräsentanz ab. 1 0 5 Die Konkurrenz zwischen „landadeligen »Dilettanten«" 106 und Laufbahnbeamten einerseits, die zwischen Justiz- und Verwaltungsbeamten andererseits bezog sich eben nicht nur auf Gehalts-, sondern auch auf Rangfragen. Und in Fragen von Rang und Status scheint diese Konkurrenz die adligen Landräte sehr viel härter getroffen zu haben als in Gehaltsangelegenheiten. Denn noch von anderer Seite wurde dem Landrat zunehmend bestritten, politisch wie gesellschaftlich jede Entwicklung im Kreis zu steuern. Hierauf weisen die seit 1849 verzeichneten, sich seit den 1860er Jahren vermehrenden Anfragen aus dem Innenministerium über das politische Leben im Kreis hin. Die Regierung zeigte sich beunruhigt von einer insbesondere in den Städten der Kreise wachsenden Vereinskultur, die vor allem aus Handwerkervereinen, patriotischen Vereinen, Schützenvereinen, Vereinen der Altertumskunde-Freunde, Kriegervereinen, Vereinen der kirchlichen Armenpflege sowie landwirtschaftlichen Vereinen bestand. Diese Vereine sollten von den Landräten ermittelt, gemeldet und möglichst durch eigene 103 Oberpräsident von Patow an Landrat von Arnim v. 1.12.1848, Bl. 3; von Arnim an v o n Patow v. 3.12.1848, Bl. 1; von A r n i m an von Patow v. 8.12.1848, Bl. 1; von Arnim an Oberpräsidium Provinz Brandenburg v. 12.12.1848, Bl. 1, alle: B L H A Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 473, unpag. Grundlegend zu Ehre: U. Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, M ü n c h e n 1991; dies., Ehre - männlich/weiblich. Zu einem Identitätsbegriff des 19. Jahrhunderts, in: Tel Aviver Jahrbuch f ü r deutsche Geschichte 1992, S. 21-68. 104 V o t u m des Ministers des Innern v. 22.10.1903, in: Bundesarchiv, R 43 F, Nr. 1339, Bl. 57-60, zit. n. F. Schellack, Nationalfeiertage in Deutschland von 1871-1945, Frankfurt/Main u.a. 1990, S. 405-408. 105 Ebd., S. 407. 106 T. Süle, Preußische Bürokratietradition, S. 38.

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Mitwirkung im Vereinsvorstand kontrolliert werden. 107 Auch wenn der ostelbische grundgesessene Adel ansonsten wenig Neigung zu ehrenamtlichem Engagement demonstriert haben mag 108 , so konnten sich die Landräte hier nicht ihrem dienstlichen Auftrag entziehen. Auf mehrfache Anweisung ihrer vorgesetzten Behörde hin gründeten sie seit dem Herbst 1864 denn auch Vaterländische Frauenvereine, deren Vorständen sie ebenfalls angehörten. 109 Die Politisierung des Landratsamtes seit der Revolution von 1848 spiegelt sich nicht nur darin, daß die Landräte im neuen Beamtengesetz konsequent den politischen Beamten zugeordnet wurden. 110 Sie zeigt sich auch darin, daß die Landräte nun zunehmend politische Mandate, sei es in der Zweiten Kammer bzw. im preußischen Abgeordnetenhaus oder nach 1871 im Reichstag, übernahmen. 111 Zumindest in den 1850er Jahren geschah dies nicht zuletzt auf Anweisung von oben hin und führte dazu, daß in dem 1855 gewählten Abgeordnetenhaus immerhin 72 Landräte unter den 352 Abgeordneten saßen. 112 Von den 31 brandenburgischen Landräten wurden bis zu elf gleichzeitig in das Abgeordnetenhaus gewählt; insbesondere die Landräte der Kreise West- und Oststernberg, Landsberg/Warthe, Sorau und Teltow zogen über mehrere Legislaturperioden in dieses Parlament ein. 113 Die Landräte erkannten in der Übernahme von Mandaten die Chance, ihre politischen Interessen, die keineswegs immer mit denen der Regierung identisch waren, aber als die ihres Kreises angesehen 107 BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 791, 792, 793. Vgl. T. Rohkrämer, Der Militarismus der „kleinen Leute". Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich, 1871-1914, München 1990; K. Saul, Der „Deutsche Kriegerbund". Zur innenpolitischen Funktion eines „nationalen" Verbandes im kaiserlichen Deutschland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 6, 1969, S. 95-159; W. Pyta, Landwirtschaftliche Interessenpolitik im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 1991; H.-J. Behr, Das landwirtschaftliche Vereinswesen Westfalens im 19. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 39, 1989, S. 180-211; U. Daniel, Die Vaterländischen Frauenvereine in Westfalen, in: Westfälische Forschungen 39, 1989, S. 158-179. 108 H. Henning, „Noblesse oblige?" Fragen zum ehrenamtlichen Engagement des deutschen Adels 18701914, in: V S W G 79, 1992, S. 305-340, hier S. 337. 109 Regierungspräsident Potsdam an sämmtliche Herren Landräthe v. 6.4.1864, v. 10.7.1865, v. 14.6.1866, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 999, unpag. 110 F. Härtung, Studien zur Geschichte der preußischen Verwaltung. Dritter Teil: Zur Geschichte des Beamtentums im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1948, S. 21 ff.; K.G.A. Jeserich, Öffentlicher Dienst, S. 327 ff. 111 Sitze im Herrenhaus bleiben hier unberücksichtigt. Vgl. B. Mann, Das Herrenhaus in der Verfassung des preußisch-deutschen Kaiserreiches, in: G.A. Ritter (Hrsg.), Gesellschaft, Parlament und Regierung. Zur Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, Düsseldorf 1974, S. 279-298. 112 G. Grünthal, Parlamentarismus in Preußen 1848/49-1857/58. Preußischer Konstitutionalismus - Parlament und Regierung in der Reaktionsära, Düsseldorf 1982, S. 327, 343, 351, 424 f.; ders., Grundlagen konstitutionellen Regiments in Preußen 1848-1867, in: G.A. Ritter (Hrsg.), Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1983, S. 41-55, bes. S. 50 ff. 113 Vgl. B. Haunfelder, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849-1867, Düsseldorf 1994; B. Mann unter Mitarbeit von M. Doerry, C. Rauh u. T. Kühne, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1867-1918, Düsseldorf 1988.

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wurden, in den Parlamenten nachdrücklich zu verfechten. 114 Den Erfolg ihrer Bemühungen findet man unter anderem in den jahrelangen und zähen Auseinandersetzungen über die Reform der Kreisverfassung dokumentiert. 115 Doch scheint es nicht allein um die Interessenvertretung gegangen zu sein, sondern ebenso um die Repräsentanz des Kreises. Persönlich fur „das Gute" im Kreis einzustehen, bedeutete eben nicht allein die Pflege, Fürsorge und Förderung erwünschter sozialer, ökonomischer und kultureller Entwicklungen im Kreis. In dieses nicht näher definierte „Gute" wurde mit der zögerlichen Parlamentarisierung Preußens auch die politische Entwicklung mit eingeschlossen. Und nach wie vor blieb die Dokumentation alles „Guten" im Kreis nach außen ein Vorrecht des Landrates. Unabhängig von der eigenen Kandidatur stellten die Landräte deshalb ihre Führungsqualitäten und ihr Verantwortungsbewußtsein bei der Organisation von Wahlen unter Beweis. 116 Sie waren es schließlich, die nachher das Wahlergebnis gegenüber ihrer vorgesetzten Behörde zu rechtfertigen hatten und begründet fürchteten, dafür gegebenenfalls auch zur Verantwortung gezogen zu werden. 117 Man greift deshalb zu kurz, in den Landräten lediglich die Wahlagenten der Regierung und der konservativen Parteien zu sehen. Vielmehr scheinen die Landräte weiter an dem ständischen Vorrecht der Vertretung ihres Kreises festgehalten zu haben, das in den Provinziallandtagen vor 1848 praktiziert und modifiziert im Wahlrecht für das Preußische Abgeordnetenhaus festgeschrieben worden war. Otto Theodor Freiherr von Manteuffel etwa, der in den 1850er Jahren als Ministerpräsident amtierte, gehörte während seiner Amtszeit als Luckauer Landrat (1833-41) dem ständischen Provinziallandtag an, Landrat Achatz von Waldow (1809-41) vertrat seinen Kreis Arnswalde im Neumärkischen Landtag. Diese Tradition wurde fortgesetzt: Rudolf Anton Lukas von Cranach, Landrat des Soldiner Kreises zwischen 1853 und 1879, 114 Berühmtestes Beispiel sind die „Kanalrebellen", vgl. H. Horn, Der Kampf um den Bau des Mittellandkanals. Eine politologische Untersuchung über die Rolle eines wirtschaftlichen Interessenverbandes im Preußen Wilhelms IV., Köln/Opladen 1964; S. Wehking, Zum politischen und sozialen Selbstverständnis preußischer Junker 1871-1914, in: Blätter fur deutsche Landesgeschichte 121, 1985, S. 395-448. 115 Detailliert G.-C.v. Unruh, Der Kreis, S. 119-146; W. Hofmann, Staat und kommunale Selbstverwaltung 1867-1918, in: K.G.A. Jeserich/H. Pohl/G.-C.v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, bes. S. 623-638. 116 Vgl. Tagebuch der Baronin Spitzemberg, geb. Freiin von Varnbüler. Aufzeichnungen aus der Hofgesellschaft des Hohenzollernreiches. Ausgewählt u. hrsg.v. R. Vierhaus, 3. Aufl., Göttingen 1963, S. 370; J.v. Winterfeldt-Menkin, Jahreszeiten, S. 85. 117 Über die Landräte als „Wahlmacher" vgl. G. Grünthal, Parlamentarismus, S. 428 ff.; ders., Grundlagen, S. 51; H. Fenske, Der Landrat als Wahlmacher, in: Die Verwaltung 12, 1979, S. 433-456, mit dem Beispiel des Kreises Herzogtum Lauenburg in der Reichstagswahl von 1881; L.W. Muncy, The Prussian Landräte, S. 310-314, 329-333 mit Beispielen aus Pommern und dem Rheinland; D. Wegmann, Verwaltungsbeamte, S. 222 f. fur Westfalen; zuletzt und mit nicht immer plausibler Argumentation für die Reichstagswahlen: M.L. Anderson, Voter, Junker, Landrat, Priest: The Old Authorities and the New Franchise in Imperial Germany, in: American Historical Review 98, 1993, S. 1 4 4 8 - 1 4 7 4 .

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war von Dezember 1870 bis Mai 1873 Mitglied des Abgeordnetenhauses und gleichzeitig von 1867 bis 1874 auch Abgeordneter erst des Norddeutschen, dann des Reichstags. Ebenso nahm der Cottbuser Landrat Danko Balthasar von Funcke während seiner Amtszeit (1872-93) sowohl ein Mandat im Abgeordnetenhaus (Oktober 1879 bis Juni 1888) als auch im Reichstag (1884-90) an. Schließlich übernahm Joachim von Winterfeldt-Menkin nicht nur das Prenzlauer Landratsamt von seinem Vater, sondern „erbte" nach dessen Tod 1908 auch den Sitz im Reichstag. 118 In der Selbstverständlichkeit, mit der die adligen Landräte die Repräsentanz ihres Kreises in den verschiedenen Parlamenten wahrnahmen, lag somit auch ein ständisches Moment. Der erste politische Beamte des Kreises, der sich im Vorstand der wichtigsten Vereine befand, alle Denkmalseinweihungen vornahm, bei offiziellen Festen präsidierte, kurz: der im Kreis an der Spitze der Gesellschaft stand, dem gebührte auch die Vertretung des Kreises in den neuen politischen Einrichtungen des Staates. Durch die Herkunft geprägter Führungsstil und Habitus kamen hierbei ebenso zustatten wie bei der Ausübung des Landratsamtes.

V. Die kleinen Könige Die brandenburgischen Landratsämter blieben bis 1918 weitestgehend in der Hand adliger Beamter. Noch 1918 wurden 13 der 14 Kreise des Regierungsbezirkes Potsdam (92,8 Prozent) und 12 der 17 Kreise des Regierungsbezirkes Frankfurt/Oder (70,6 Prozent) von adligen Landräten verwaltet. 119 Für die Provinz Brandenburg ergibt das eine Quote von 80,6 Prozent adliger Landräte. Vergleichbar hohe Ziffern liegen für Pommern vor, wo zwischen 1890 und 1918 86,7 Prozent aller Landratsämter von Adligen besetzt wurden. 120 Weder im Rheinland mit 41,5 Prozent noch in der Provinz Westfalen mit 57,4 Prozent 121 konnte eine derartig hohe Zahl adliger Amtsinhaber gezählt werden; für ganz Preußen beläuft sich die Quote für das Jahr 1914 auf 56,2 Prozent. 122 118 M. Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 500. Zu diesem Zeitpunkt war von Winterfeldt-Menkin bereits seit vier Jahren beim Oberpräsidium der Provinz Brandenburg in Potsdam beschäftigt. 119 Vergleichszahlen für 1913: Regbez. Potsdam mit 14 Kreisen 11 adlige LR; Regbez. Frankfurt/Oder mit 17 Kreisen 13 adlige LR. 120 Vgl. L.W. Muncy, The Prussian Landräte, S. 307. Leider gibt Muncy keine Zahlen für 1918. 121 Für das Rheinland L.W. Muncy, ebd., S. 317; für Westfalen H. Reif, „Erhaltung adligen Stamms und Namens". Adelsfamilie und Statussicherung im Münsterland, 1770-1914, in; N. Bulst u.a. (Hrsg.), Familie zwischen Tradition und Moderne, S. 275-309, hier S. 285; D. Wegmann, Verwaltungsbeamte, S. 158 f. 122 Berechnet nach N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 112. Preradovich differenziert zwischen Junkern und anderen Adligen; seine Angaben für Verwaltungsbeamte insgesamt differenziert er für Hoch-, Alt-, Neuadel und Bürgerliche sowie nach der regionalen Herkunft (Altpreußen, Nord-, Mittelund Süddeutsche). Vgl. ebd., S. 121-123.

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Landratsämter können folglich für einige, aber nicht für alle preußischen Provinzen in gleichem Umfang als Beispiel herangezogen werden, wenn das „Obenbleiben" des Adels am Beispiel dieses Amtes erläutert werden soll. 123 Für die Dominanz des Adels bei der Besetzung von Landratsämtern bietet die Literatur sehr unterschiedliche Erklärungen an. Auf den jeweiligen Grad der Industrialisierung abhebend, argumentiert Muncy, der Landrat habe als alleiniger Vertreter der Staatsregierung beste Kontakte zu den wichtigsten Persönlichkeiten des Kreises pflegen müssen und sei daher, um größere Konflikte zu vermeiden, in den agrarischen Kreisen bevorzugt aus der Gruppe des Landadels, in industrialisierten Kreisen hingegen häufiger aus bürgerlichen Kreisen gewählt worden. 124 Diese These nimmt eine zentralstaatliche Perspektive ein und kann daher die Attraktivität des Amtes für Adelige so wenig erklären wie sie die Chancen für Herrschaftserhalt aufzeigen kann, die es Adeligen bot. Darüber hinaus ist die Verknüpfung von vorherrschendem Wirtschaftssektor und Besetzung der Staatsämter doch etwas eindimensional. 125 Die Provinz Brandenburg ließe sich in ein solches Raster kaum einordnen. Sie umschloß früh und stark industrialisierte Kreise, so etwa Teltow, Niederbarnim oder Cottbus, in denen sich keineswegs vorrangig bürgerliche Landräte hervortaten. 126 Adlige Landräte in der Provinz Brandenburg wiederum zögerten nicht, Handelsgenossenschaften, Eisenbahn-, Landund Baugesellschaften oder auch Maschinenbaufabriken mitzugründen. 127 Aufschlußreicher scheinen Erklärungsansätze zu sein, die mehrere Faktoren zu kombinieren suchen. Bei der Untersuchung des Überlebens der viktorianischen Aristokratie hat Walter L. Arnstein dies getan: er weist auf die fortgesetzte Tradition der Übernahme von Staatsämtern durch Adlige hin, auf andauerndes Prestige und Einfluß im Herrenhaus und das ununterbrochene Dominieren der lokalen Verwaltung. 128 Daneben betont er u.a. „the manner in which the British Empire provided careers for them and their younger sons and in which its existence reinforced paternalistic habits of mind". 129 Vergleichbares scheint auch fur die Adligen der Provinz Brandenburg zuzutreffen. In den Auseinandersetzungen über die preußische Agrar- und die Kreis123 Das relative Scheitern des westfälischen Adels hierbei diskutiert H. Reif, Westfälischer Adel, S. 387391. 124 L.W. Muncy, The Prussian Landräte, S. 307, 317. 125 Vgl. R. Braun, Konzeptionelle Bemerkungen, S. 92 f. 126 Niederbarnimer Landräte waren Georg Scharnweber (1843-1891), Wilhelm von Waldow (18921898), Sigismund von Treskow (1898-1905), Siegfried von Roedern (1905-1911), Dr. Felix Busch (1911-1917); Teltower Landräte waren Emst von Gayl (1862-1870), Prinz von Handjery (1870-1885), Ernst von Stubenrauch (1885-1908), Adolf von Achenbach (1908-1931); Cottbusser Landräte waren Danko von Funcke (1872-1893), Oskar von Wackerbarth gen. von Bomsdorff (1893-1919). 127 Beispiele aus den Kreisen Prenzlau und Teltow: Joachim von Winterfeldt-Menkin, Prinz von Handjery und Leo Freiherr von dem Knesebeck. 128 W.L. Arnstein, The Survival of the Victorian Aristocracy, in: F. Cople Jäher (Hrsg.), The Rich, The Well Born, and the Powerful. Elites and Upper Classes in History, Urbana u.a. 1973, S. 203-257, hier S. 252 f. 129 Ebd., S. 253.

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reform zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sie erfahren, welche Bedeutung den Landratsämtern zukommen würde, die sie traditionell besetzt hatten. Ohne ihr gehabtes Monopol auf diese Stellen ganz bewahren zu können, gelang es ihnen doch, einerseits die Agrarreformen so einzuschränken, daß ihnen als Rittergutsbesitzern wichtige gutsherrliche Rechte wie das der Patrimonialgerichtsbarkeit erhalten blieben, andererseits die Verwaltungsreform so zu blockieren, daß ihre ständischen Vorrechte im Kreis nicht beschnitten wurden und schließlich insgesamt zu verdeutlichen, daß der Staat einstweilen nur mit ihrer Vermittlung, das heißt mit ihnen als Landräten, die ländliche Bevölkerung in seine Verwaltung integrieren konnte. 130 Der die preußische Entwicklung prägende Kompromiß zwischen Adel und Krone wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts keineswegs aufgehoben, der Austausch von Staatsdienst gegen unverbrüchliche Loyalität mit dem Herrscherhaus blieb bestehen. 131 Gerade die Auseinandersetzungen, die zwischen Kreisständen und Regierungspräsidien zwischen 1816 und 1820 über die Besetzung von Landratsstellen ausgetragen wurden, belegen anschaulich, daß sich der brandenburgische Landadel seiner Stärke bewußt war. 132 Landratsstellen boten keine Alimentierung, sondern setzten eine anderweitig gesicherte Existenz voraus. Wer außer den adligen Rittergutsbesitzern hätte dieses Ehrenamt im Staatsdienst in den Landkreisen übernehmen sollen? Aus der Perspektive der adligen Rittergutsbesitzer wiederum bedeutete die Übernahme eines Landratsamtes die Chance, den Transformationsprozeß der ländlichen Gesellschaft nach ihren Vorgaben zu steuern, zumal das Amt neben der Repräsentation des Staates, also des Königs, zunächst kaum mehr bedeutete als die Ausdehnung ihrer paternalistischen Gutsherrschaft auf den gesamten Kreis, bis mit Beginn des Kaiserreichs die Leistungsverwaltung auch hier Einzug hielt. Auf die damit einhergehende Übernahme des bürgerlichen Leistungsprinzips, das zunehmend auf die Arbeit der Landräte angewandt wurde, war man vorbereitet. Die neben Loyalität und Führungsqualitäten unumgänglichen allgemeinen Laufbahnvoraussetzungen erwarben die landadligen Söhne seit der Jahrhundertmitte wie ihre bürgerlichen Konkurrenten, doch unter deutlich angenehmeren, von adligen Privilegien und Kontakten geförderten Bedingungen. Da sie die obligatorische Ausbildung für den staatlichen Verwaltungsdienst absolvierten, konnten sie mit ihrem adligen Habitus eine zusätzliche Qualifikation vorweisen und so bürgerliche Mitbewerber um das Amt ausstechen. Es ist exakt diese eigentümliche Mischung aus Beharrungs- und Anpassungsvermögen, die es dem staatstragenden brandenburgischen Adel ermöglichte, die Landratsstellen als eine Stufe seines „Obenbleibens" noch bis zum Ende der Monar-

130 Vgl. R. Koselleck, Preußen, insbes. S. 540 ff.; ders., Die Auflösung. 131 Vgl. F.L. Carsten, Der preußische Adel, S. 116 f., 123-125. 132 Acta betr. die Wahl und Bestätigung der Landräthe des Ober Bamimschen Kreises 1810 bis 1814, in: BLHA Potsdam, Pr.Br. Rep. 2A I P, Nr. 477, unpag.; Acta betr. die Anstellung der Landräthe im Ober Bamimschen Kreise 1820 bis 1843, in: Ebd., Nr. 478, unpag.; für den Kreis Teltow 1817-21, in: Ebd., Nr. 486, unpag.; für den Kreis Ostpriegnitz 1819-58, in: Ebd., Nr. 482, unpag.

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chie zu nutzen. Die überwiegend adligen Amtsinhaber und deren ungebrochen paternalistische Amtsführung verhalfen dieser auf unterster Ebene angesiedelten staatlichen Verwaltungsstelle zu einer Reputation, die weit ausstrahlte und nicht zuletzt den hoch qualifizierten und mit hervorragenden Verbindungen ausgestatteten Dr. Felix Busch 1911 veranlaßte, statt einer Karriere im Finanzministerium das Amt des Landrats, das eines „kleinen Königs" zu wählen.

Claudia Wilke

Adel und Laufbahnentwicklung. Das Regierungspräsidentenamt in den Familien von der Schulenburg und von Schwerin

I. Allgemeine Tendenzen in der Laufbahnentwicklung des Adels Bis heute ist die Geschichte des ostelbischen und damit auch des brandenburgischen Adels ein immer noch kaum beachtetes Gebiet der historischen Forschung. 1 Mit der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die Beharrungskraft des ostelbischen Adels am Beispiel eines brandenburgischen und pommerschen Geschlechts im 19. und 20. Jahrhundert darzustellen. Dabei soll das Wechselspiel von Funktionsverlust und erzwungener Anpassung aufgrund äußerer Bedingungen einerseits sowie Selbstbehauptung und Identitätsbewahrung auf der Grundlage althergebrachter standesspezifischer Traditionen andererseits mittels der Berufswahl thematisiert werden. Es wird nach internen Mechanismen und externen Strategien sowie nach Verhaltensund Bewußtseinsänderungen gefragt, die letztendlich auch die Selbsterhaltung als Verwaltungselite im Regierungspräsidentenamt ermöglichte. Der autochthone Adel Ostelbiens hat trotz der erheblichen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Wandlungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, seine Positionen als militärisch-politische Funktionselite auch im 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ohne bedeutende Einbußen erhalten können. „Dieselben Familien, die seit dem 13. und 14. Jahrhundert in der Mark und in Pommern nachgewiesen sind, ... die die Schlachten des Großen Kurfürsten und Friedrichs des Großen geschlagen haben, sind im 19. und 20. Jahrhundert immer noch an der Führung." 2 1

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Untersuchungen zur Laufbahnentwicklung des preußischen Adels u.a. von: H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz. Beobachtungen zum sozialen Verhalten des norddeutschen Adels in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 6), Stuttgart/Mainz 1994 sowie ders., Die deutsche Beamtenschaft im 19. Jahrhundert. Zwischen Stand und Beruf (= Wissenschaftliche Paperbacks Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 19), Stuttgart 1984 und N.v. Preradovich, Die Führungsschichten in Österreich und Preussen (1804-1918). Mit einem Ausblick bis zum Jahre 1945 (= Veröffentlichungen des Instituts fur europäische Geschichte Mainz, Bd. 11), Wiesbaden 1955. Weitere Literaturhinweise befinden sich in der Auswahlbibliographie des Bandes. N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 182. - Um 1900, als die Reichsbevölkerung ca. 56 Mio. zählte, wurde die Größe des ostelbischen Adels auf 24.000 Personen geschätzt. Bei dieser geringen

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Trotz weiterer Machtstellung des Adels hatten sich seine Positionen im Laufe der Jahrhunderte gewandelt. Waren bisher die Struktur und Rolle des Adels vornehmlich Produkt politischer Faktoren gewesen, drängte sich mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts immer stärker die wirtschaftliche Entwicklung als bestimmendes Element in den Vordergrund. Ein schleichender Zerfallsprozeß hatte eingesetzt, von dem auch der brandenburgische Adel betroffen war. Nicht Beharrung auf alten Positionen, sondern Anpassung an die neue gesellschaftliche Situation wurde zur Maxime. Eine Adaption zeigt sich im grundlegenden Wandel des adligen Berufsbildes. Eine Neuorientierung wurde zunächst infolge des Stein-Hardenbergschen Reformwerkes aus Konservatismus und Liberalismus, Tradition und Fortschritt notwendig. Den Ausgangspunkt bildete die 1807 gegen den Widerstand des reaktionären Adels begonnene Heeresreform, die die Offizierslaufbahn allen jungen Männern ohne Unterschied des Standes entsprechend ihrer Bildung ermöglichte. 3 Für den Adel bedeutete das Aufgeben der ihm bislang vorbehaltenen Offiziersstellen die erste Wende in der Berufswahl. In vielen Adelsfamilien spielten neben den traditionellen auch finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle für die Wahl des Heeresdienstes. Im Gegensatz zu einer akademischen Ausbildung war eine militärische Laufbahn bei entsprechendem persönlichen Verhalten wesentlich kostengünstiger. Nicht ohne Wirkung blieben auch die mit dem Offiziersposten verbundenen Rechte wie das Tragen einer Uniform, die Anrede mit „Hochwohlgeboren" oder der militärische Gruß. Außerdem erreichte ein Offizier mit ca. 20 Jahren eher als seine studierenden Standesgenossen die materielle und damit auch die persönliche Selbständigkeit. 4 Der schnelle Aufbau einer eigenen Existenz war mit Sicht auf den Adel vor allem für Geschlechter ohne Grundbesitz bzw. für die nicht erstgeborenen Söhne begüterter Familien wichtig. Aber auch für die später in Aussicht genommene Bewirtschaftung des eigenen Besitzes stellte der Offiziersberuf seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine willkommene Form des Übergangs dar. Aus der Standespflicht war somit eine vorübergehende standesgemäße Beschäftigung geworden, die dem um seine soziale Stellung fürchtenden Adel entgegenkam. Es war die zeitgemäße Synthese zwischen traditioneller Legitimation und ökonomischer Notwendigkeit. Die Militärlaufbahn blieb trotz des freien Zugangs für das Bürgertum bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Domäne des Adels. Erst in den folgenden Jahren begann sich das Bürgertum infolge der Abnahme der adeligen Kriegsschüler und altersbedingtem Ausscheiden der bisherigen Funktionsträger stärker durchzusetzen und stellte 1909 bereits 41 Prozent der Generalität. Im Laufe der Zeit

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Zahl erscheint es fast unwahrscheinlich, daß von dieser „kleinen Herrschaftselite" noch derart viel Macht ausgehen konnte. Vgl. H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918 (= Deutsche Geschichte, Bd. 9), 6., bibliogr. ern. Aufl., Göttingen 1988, S. 53. Vgl. H.-H. Müller, Brandenburg als preußische Provinz. Das 19. Jahrhundert bis 1871, in: I. Materna/ W. Ribbe (Hrsg.), Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 404. Vgl. F.v. Schulte, Adel im deutschen Offizier- und Beamtenstand. Eine soziale Betrachtung, in: Deutsche Revue (1896), S. 186 f.

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mußten also die Schlüsselpositionen bürgerlich besetzt werden. Gewissermaßen als Katalysator in diesem Prozeß wirkte der Erste Weltkrieg, der den bürgerlichen Anteil auf über 50 Prozent erhöhte. In den höchsten militärischen Positionen blieb der Adel dominant, doch er hatte Konkurrenz erhalten.5 Der Rückgang des Adels war ein langfristiger Prozeß, der auch biologisch begründet war. Infolge rückläufiger Familiengröße sowie Einschnitte in den Seitenzweigen durch Ehe- und Kinderlosigkeit reichte der Adelsanteil nicht mehr aus, um die zahlreichen Spitzenpositionen zu besetzen. Eine weitere Ursache lag in dem zunehmend fehlenden Interesse des grundeingesessenen Adels, Berufssoldat zu werden. 6 Immer häufiger wurde der Offiziersdienst nur für kurze Zeit ausgeübt, um anschließend den eigenen Besitz zu bewirtschaften? Verstärkt wurde diese Neigung auch durch das Ergebnis der Agrarrevolution und der sich 1840/47 anschließenden Hochkonjunkturphase bis 1876. Die im Ergebnis neu strukturierte Agrarwirtschaft fährte zusammen mit Modernisierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen zu einer gewaltigen Leistungssteigerung und stärkte noch einmal das Selbstbewußtsein und Kraftgefühl des grundbesitzenden Adels. Aus einer florierenden Landwirtschaft heraus wirkte er bei politischen Prozessen mit und bekräftigte seinen historisch verankerten Führungsanspruch gegenüber den konkurrierenden bürgerlichen Repräsentanten der Industriellen Revolution. 8 Auch wenn das Oktoberedikt dem Bürgertum den freien Zugang zum ritterschaftlichen Grundbesitz gewährte, so konnte es nur in der Industrie den ersten Platz einnehmen. Eine Renaissance erlebte der land- und forstwirtschaftliche Beruf abermals nach dem Zusammenbruch der Monarchie im Jahre 1918. Zahlreiche Offiziere, Beamte und Diplomaten wandten sich auf eigenen Wunsch bzw. nach ihrer Entlassung durch die Regierung der Weimarer Republik ihren Gütern zu, um sie nun selbst zu bewirtschaften, soweit diese nicht von der Auflösung der Fideikommisse nach Artikel 155 der Reichsverfassung vom 11. August 1919 betroffen waren. 9 Weniger eindeutig vollzog sich der gesellschaftliche Übergang zwischen Adel und Bürgertum in der Diplomatie. Der Einfluß des Bürgertums unter den führenden 5

Nach Preradovich betrug der bürgerliche Anteil an der Führung des Heeres bis 1890 lediglich 7-21 % und stieg danach auf fast das Doppelte an. Durch die Aufstockung der Armee im I. Weltkrieg stellte das Bürgertum schließlich mehr als die Hälfte der Generalität. Vgl. N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 130. Henning gibt für das Jahr 1860 im Offizierskorps einen bürgerlichen Anteil von knapp 35 % an, der sich bis 1913 auf 70 % erhöhte, wobei die elitären Positionen weiter durch den preußischen Uradel besetzt wurden. Vgl. H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz, S. 10. - Ebenso F.L. Carsten, Geschichte der preußischen Junker, Frankfurt a.M. 1988, S. 149 f.

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Vgl. H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz, S. 13. Vgl. hierzu das märkische Adelsgeschlecht von der Marwitz nach der Familiengeschichte von W.v. Diest, Geschichte der Familie von der Marwitz, Kolberg i. Pommern 1929. Vgl. H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich, S. 20. Vgl. G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Berlin 1930, S. 623. Das Fideikommiß war eine Familienstiftung, durch die die Teilung eines adligen Gutes unter mehreren Erben verhindert wurde und auf den ältesten männlichen Erben überging.

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Beamten des auswärtigen Dienstes erreichte im Jahre 1829 mit 50 Prozent den höchsten und bis 1918 nicht mehr erreichten Stand. 10 Eine Domäne des Adels waren und blieben jedoch die Spitzenstellungen in den Hauptstädten Wien, Rom, Petersburg, Paris, London und Konstantinopel. 11 Es gelang dem Bürgertum nicht, in die eigentliche entscheidungsvorbereitende Diplomatie vorzudringen. Im Europa der Monarchien bot allein der adelige Staatssekretär bzw. Botschafter den Vorteil seines anerzogenen hervorragenden Auftretens, seine Sprachkenntnisse und, nicht zu unterschätzen, die häufig vorhandenen verwandtschaftlichen Beziehungen, die ihm zu gesellschaftlichen Kontakten und Hintergrundinformationen verhalfen. 12 Nicht ohne Kritik war der Blick des einstigen Petersburger und Pariser Gesandten Otto von Bismarck auf den preußischen Landadel in der Diplomatie. Ihm mangelte es nach Meinung des späteren Reichskanzlers „an Bereitwilligkeit zur Übernahme eigner Verantwortlichkeit bei fehlender Deckung durch zweifellose Instruktion, ähnlich wie im Militär 1806 bei der alten Schule aus Friderizianischer Zeit. Wir züchteten schon damals das Offiziersmaterial bis zum Regimentskommandeur in einer Vollkommenheit wie kein andrer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabung wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst". 13 Bismarcks Skepsis gegenüber dem preußischen Adel im auswärtigen Dienst zeigte sich deutlich im Anstieg des bürgerlichen Anteils von 27 Prozent 1862 auf 37 Prozent im Jahre 1878.14 Ein wenig offener gestaltete sich die Konstellation bei den Verwaltungsbeamten, der dritten Säule der Monarchie. Hier wurde der Adel im 19. Jahrhundert mit neuen Ausbildungs- und Zugangsvoraussetzungen konfrontiert, die eine Anpassung - bis hin zur Modifikation von Sozialisationsmustern, Lebenshaltung, Verhaltens- und Wertnormen - erforderten. In gewissen Bereichen der Verwaltung konnte er seine Startvorteile wahren und erwies sich bis 1918 bei den preußischen Ministern, den Oberpräsidenten sowie den Regierungspräsidenten als dominierend. 15 Auch wenn sich diese Ämter dem Bürgertum öffneten, so geschah dies im zeitlichen Verlauf nicht kontinuierlich. In der Ministerialbürokratie wurden vor allem die 10 Der bürgerliche Anteil unter den fuhrenden Beamten des auswärtigen Dienstes gestaltete sich wie folgt: 1806: 33 %; 1816: 46 %; 1829: 50 %; 1847: 31 %; 1862: 27 %; 1878: 37 %; 1890 und 1909: 38 %; 1918: 45 %. Vgl. N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 100-102. 11 Washington wurde erst 1893 zur Botschaft erhoben. Vgl. ebd., S. 82. 12 Vgl. H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz, S. 16-18. - Vgl. hierzu auch ders., Die deutsche Beamtenschaft im 19. Jahrhundert, S. 45. 13 O.v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Neuausg.d. 3 Bde. in 1 Bd., Stuttgart/Berlin 1928, S. 42. 14 Vgl. Zahlen nach N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 82. 15 Vgl. zu den preußischen und außerpreußischen Ministern bis 1914 H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz, S. 18 f. Zu den Oberpräsidenten vgl. B. vom Brocke, Die preußischen Oberpräsidenten 1815 bis 1945. Sozialprofil einer Verwaltungselite. Eine Bilanz, in: K. Schwabe (Hrsg.), Die preußischen Oberpräsidenten 1815-1945 (= Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Bd. 15), Boppard am Rhein 1985, S. 264 f. Zu den Regierungspräsidenten vgl. N.v. Preradovich, Die Führungsschichten, S. 111 f.

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Ränge von denen des Unterstaatssekretärs abwärts für bürgerliche Laufbahnbeamte zugänglich. 16 Die Ämter mit aufwendigen Repräsentationen blieben in der Regel auch weiterhin in der Hand des Adels. Bewußt nutzte der preußische Staat die gesellschaftlichen Möglichkeiten des Adels für seine Interessen, ohne ihm einen wirklichen Einfluß auf den Entscheidungsprozeß zuzubilligen. Verdeckt wurde dem Adel Stück für Stück seine Herrschaftsstellung genommen. Seine gesellschaftliche Stellung nach außen hin blieb jedoch erhalten. 17 Trotz der berufsbedingten Annäherung zwischen Adel und Bürgertum infolge der preußischen Reformen fand in Preußen keine so intensive Verschmelzung beider Klassen wie in England statt. Vielmehr setzte sich die kastenförmige Absonderung fort. Der Adel hatte zwar gegenüber dem Bürgertum an „Boden" verloren, doch politische Privilegierung, soziale Macht und die Nähe zum Thron sicherten ihm ein weiteres Jahrhundert seine „scheinbare" Machtposition. Der endgültige Niedergang kam mit dem Ende der Monarchie 1918. Mit ihr entfiel das notwendige Korrelat - der Monarch als Herr und Gegenspieler des Adels. Der Sturz Wilhelms II. brachte eine völlig neue Situation für den Adel. Eine jahrhundertealte Konfiguration fand ihren Abschluß. Eine neue, deren Aufbau sich bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts langsam und in unterschiedlicher Intensität mit der allmählichen Integration des Adels in die bürgerliche Gesellschaft vollzogen hatte, nahm ihren Beginn. Vor diesem Hintergrund war eine neue Standortfindung auch des brandenburgischen Adels dringend notwendig, um sich, wenn auch nicht mehr als eigener Stand, am Leben zu erhalten. 18 Einen Beitrag zur Machterhaltung des ostelbischen Adels leisteten mit ihren Laufbahnentwicklungen auch das brandenburgische Geschlecht von der Schulenburg sowie das pommersche Geschlecht von Schwerin. Die Schulenburgs gehörten bereits in der Kurmark zu den einflußreichsten Amtsträgerfamilien. Neben ihnen standen große Adelsgeschlechter wie die Arnims, die Bredows, die Hakes, die Quitzows oder die Rochows. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte bei der Besetzung von Ämtern und dem damit verbundenen Prestige und 16 Bei einer allgemeinen Betrachtung der Verwaltungsbeamten ergibt sich nach Preradovich folgendes Bild: 1829 betrug der adlige Anteil im inneren Dienst 40 %, danach stieg er auf 64 und 60 % an. In der Bismarck-Ära wurden erneut die Werte von 1829 erreicht. Der höchste Stand mit 75 % wurde unter Reichskanzler Bülow erlangt. Im Jahre 1918 konnte der Adel noch auf einen Anteil von 53 % verweisen. Vgl. ebd., S. 107 f. Nach Henning liegt der Adelsanteil bei den preußischen Ministem zwischen 1860 und 1914 bei 65,3 % und schwankt bei den Oberpräsidenten um die 50 %-Marke. Beim Amt des Regierungspräsidenten und den Ratsstellen des Innenressorts spricht er von relativ festen Positionen des Adels im Gegensatz zum Finanz-, Bau- und Justizressort. Vgl. H. Henning, Die unentschiedene Konkurrenz, S. 18 f., 21. 17 Vgl. ebd., S. 24. 18 Die Aufhebung des Adelsstandes in Deutschland erfolgte durch den Art. 109 Abs. 3 der Reichsverfassung vom 1.8.1919. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, Abt. Merseburg (künftig: GStAPKM), I. HA Rep. 176 VI Gen. (Heroldsamt), Nr. 1: Adel der Bundesstaaten des Deutschen Reiches (1880-1918), Bl. 338.

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Finanzen die Heiratspolitik. Unter diesen Umständen waren die 13 begütertsten Adelsfamilien der Kurmark - darunter auch die Schulenburgs - bestrebt, den Kreis der Amtsträger so klein wie möglich zu halten. Sie allein besetzten im Zeitraum von 1470 bis 1620 von den 526 vorhandenen Ämtern 227, d.h. 43 Prozent. 19 Die Tätigkeit der Schulenburgs als Beamte reicht damit ebensoweit zurück wie die Tradition der Militärdienstleistung. Bis zum Jahre 1918 stand der Soldatenberuf unangefochten an erster Stelle. 20 Dem ausgesprochenen Interesse daran entsprach die zahlreiche Beteiligung des gesamten Geschlechts an den Reichseinigungskriegen 1864-1870/71 und dem Ersten Weltkrieg, an denen 38 bzw. 55 männliche Mitglieder teilnahmen. 21 An zweiter Stelle stand bis 1918 der Dienst in der inneren Verwaltung. 22 Auch die Forstlaufbahn bildete ein adelstypisches Betätigungsfeld. Beim Schwarzen Stamm des Geschlechts blieb diese auf das Haus Lieberose im Kreis Lübben (Regierungsbezirk Frankfurt a.O.) mit zwei Vertretern vor 1918 und zwei nach 1918 beschränkt. Wesentlich attraktiver stellt sich im Vergleich dazu der landwirtschaftliche Beruf dar, der in einem relativ ausgewogenen Verhältnis von den untersuchten Generationen 18 bis 21 ergriffen wurde. 2 3 Die Diplomatentätigkeit spielte im Geschlecht keine bedeutende Rolle. Im Schwarzen Stamm wurde sie lediglich von zwei Vertretern in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgeübt. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Heeresstärke auf 100.000 Mann beschränkt, wodurch im Geschlecht von der Schulenburg der eigentliche Wandel im Berufsbild bewirkt wurde. Die Mehrzahl der zwischen 1919 und 1933 in das Berufsleben tretenden Familienmitglieder wählten nun unpolitische land- und forstwirtschaftliche Betätigungsfelder. Dies geschah nicht zuletzt im Zuge der Rückbesinnung darauf, die früher oftmals verpachteten Güter nun selbst zu bewirtschaften. Kauf- und finanzmännische sowie technische Berufe blieben weiterhin selten und setzten sich nur vereinzelt durch. Auch die akademische Laufbahn, der sich vor 1918 lediglich ein

19 Vgl. P.-M. Hahn, Struktur und Funktion des Brandenburgischen Adels im 16. Jahrhundert (= Historische und Pädagogische Studien, Bd. 9), Berlin 1979, S. 204, 207. 20 Vgl. D.W.v.d. Schulenburg/H. Wätjen, Das Geschlecht von der Schulenburg 1237-1983, Wolfsburg 1984, S. 307. 21 Vgl. ebd. 22 Der Schwarze Stamm stellte immerhin 5 Landräte und 1 Oberpräsidenten. - Das Geschlecht von der Schulenburg zählte 1900 insgesamt 104 männliche Mitglieder, von denen 37 auf den Schwarzen und 67 auf den Weißen Stamm entfielen. Infolge der beiden Weltkriege sank die männliche Gesamtzahl auf 91 im Jahre 1983, und zwar 19 beim Schwarzen und 72 beim Weißen Stamm. Vgl. ebd., S. 305 u. 308. 23 Die 18. bis 21. Generation des Schwarzen Stammes umfaßt nach den Geburtsjahren den Zeitraum von ca. 1800 bis ca. 1940. Es konnte festgestellt werden, daß die 3 Vertreter aus der 21. Generation des Schwarzen Stammes, die nicht mehr über Grundbesitz verfügten, ein agrarwissenschaftliches Studium absolvierten.

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von der Schulenburg zugewandt hatte, blieb bis 1945 die Ausnahme. 24 Eine Renaissance erlebte der traditionelle Militärdienst mit der Wiederherstellung der Wehrhoheit im Jahre 1933. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges waren sieben Vertreter beider Stämme in die Wehrmacht eingetreten, um Offizier zu werden. 25 Anzahl

Abb. 1: Berufsbild der männlichen Vertreter des Geschlechts von der Schulenburg - Schwarzer Stamm in der 18. bis 21. Generation (Zusammengestellt nach: D.W.v. Schulenburg/H. Wätjen, Das Geschlecht von der Schulenburg 1237-1983, Wolfsburg 1984, S. 86-353.)

Wie bei den Schulenburgs dominierte auch im untersuchten pommerschen Geschlecht von Schwerin der Militärdienst bis 1918. So beteiligten sich beispielsweise 84 männliche Mitglieder der in Deutschland ansässigen Linien am Ersten Weltkrieg. 26 Eine nahezu ähnlich starke Position konnte der land- und forstwirtschaftliche 24 Vgl. ebd. - Diese Gruppe wurde mit den Akademikern (Theologen, Volkswirte), Journalisten, Versicherungsinspektoren, Generalsekretäre etc. aufgrund der geringen Anzahl unter sonstige Berufe zusammengefaßt. Hierunter fallen auch Vertreter ohne nachweisbare berufliche Tätigkeit. 25 Vgl. ebd., S. 308. - Mit 22 Generälen von 1933 bis 1983 stellte das gesamte Geschlecht von der Schulenburg deutlich mehr als in den Jahren zwischen 1856 und 1918. - Zwei Schulenburgs aus dem Weißen Stamm, Friedrich-Werner (1875-1944) und Fritz Dietlof von der Schulenburg (1902-1944), gehörten zu den über 150 Hitlergegnern, die nach dem fehlgeschlagenen Hitlerattentat am 20. Juli 1944 durch das NS-Regime den Tod fanden. Vgl. hierzu u.a. U. Heinemann, Ein konservativer Rebell. Fritz Dietlof Graf von der Schulenburg und der 20. Juli, Berlin 1990. 26 Vgl. Herrmann v. Schwerin, Liste der Angehörigen des Geschlechts von Schwerin, die während des Krieges 1914/19 im Dienste des Heeres, der Marine und der Schutztruppen gestanden haben, Königs-

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Beruf erzielen. Die zahlreichen Besitzungen wurden von vielen Familienangehörigen in der 19. bis 22. Generation selbst bewirtschaftet. 27 Mit dem Zusammenbruch der Monarchie hatten auch die Schwerins zunächst ihren Lebensunterhalt in der Armee verloren. In der sehr viel kleineren Reichswehr stellten sie im Jahre 1931 neben den Stülpnagels, Witzlebens und Arnims bereits wieder vier Offiziere. 2 8 Auch wenn sich über 60 männliche Vertreter am Zweiten Weltkrieg beteiligten, so stand das Geschlecht dem NS-Staat nicht ohne Skepsis gegenüber. 2 9 So ist auch der Name von Schwerin eng mit dem 20. Juli 1944 verbunden. Der Landwirt Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld wurde als Mitglied der Widerstandsgruppe um Stauffenberg am 8. September desselben Jahres hingerichtet. 30 Bei der großen Bedeutung des militärischen und des landwirtschaftlichen Berufes für die Familie konnte der Verwaltungsdienst, der sich erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verstärkt durchgesetzt hatte, nicht die Attraktivität erreichen. Nach 1918 ging die Tätigkeit in diesem Bereich bereits wieder sehr stark zurück. Der adelstypische auswärtige Dienst blieb wie bei den Schulenburgs die Ausnahme. Ein Grund dafür dürfte wohl, um mit Bismarck zu sprechen, in der engen Verbundenheit mit den provinziellen Anschauungen zu suchen sein. 31 Um 1900 begannen sich in der Familie von Schwerin sporadisch neue Berufe - kaufund finanzmännische, technische, medizinische und künstlerische - durchzusetzen, die jedoch das allgemeine Berufsbild nicht wesentlich änderten. 32 Bei der Analyse konnte festgestellt werden, daß die in Schweden lebenden Linien sich neben dem Militär- und Verwaltungsdienst wesentlich häufiger neuen Berufen öffneten. Der Grund dürfte in dem fehlenden politischen Einfluß des Geschlechts in Skandinavien liegen. 33 Als Vertreter des ostelbischen Adels gehörten sowohl die Schulenburgs wie auch die Schwerins zur regionalen Elite Brandenburgs bzw. Pommerns. In ihren adels-

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berg 1919, S. 9-82. Im Jahre 1936 zählte das Geschlecht noch 345, davon 119 männliche Mitglieder, 1949 nur noch 311, einschließlich 102 männlicher und 1972 316 Angehörige, wovon 106 männlichen Geschlechts waren. Vgl. Hildegard v. Schwerin, Vierter Nachtrag zur Geschichte des Geschlechts von Schwerin, in: Deutsches Familienarchiv, Bd. 56, Neustadt a.d. Aisch 1973, S. 10. Die 19. bis 22. Generation umfaßt die Geburtsjahre ca. 1800 bis ca. 1930. Die Auswirkung der Fideikommißauflösungen konnte bei den Schwerins nicht festgestellt werden. Vgl. F.L. Carsten, Der preußische Adel und seine Stellung in Staat und Gesellschaft bis 1945, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), Entwicklung des europäischen Adels 1750 bis 1950, Göttingen 1990, S. 123. Vgl. Hildegard v. Schwerin, Vierter Nachtrag zur Geschichte des Geschlechts von Schwerin, S. 4. Der Potsdamer Polizeipräsident Detlef von Schwerin j ü n g s t e r Sohn des Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, hat sich intensiv mit den Männern des 20. Juli 1944 beschäftigt. Vgl. D.v. Schwerin, Die Jungen des 20. Juli 1944, Berlin 1991. Vgl. O.v. Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, S. 42. Zu den sonstigen Berufen zählen Akademiker (Theologen, Politologen, Dolmetscher), Journalisten und Vertreter ohne nachweisbare Berufsausübung. Die in Schweden lebenden Linien sind die Stegeborger aus der Altwigshagener Hauptlinie sowie die Linien Husby und Wopersnow der Spantekower Hauptlinie. Vgl. Herrmann v. Schwerin, Verzeichnis der Mitglieder des Geschlechts von Schwerin 1936, Stettin 1936, S. 5 f.

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typischen Laufbahnentwicklungen variierten sie im 19. und 20. Jahrhundert. Anzahl 70 60

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