Abaelards „Historia calamitatum“: Text - Übersetzung - literaturwissenschaftliche Modellanalysen [Reprint 2012 ed.] 9783110850574, 9783110170122

Peter Abelard's autobiography, the Historia calamitatum, is one of the best-known medieval texts, especially becaus

161 83 9MB

German Pages 334 [336] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
Siglen
Abaelards ,Historia calamitatum‘: lateinischer Text und deutsche Übersetzung
Modellanalysen
Rezeptionsästhetik
Leidenschaften und ihre Leser. Abaelard, Heloise und die Rezeptionsforschung
Michel Foucault
,Ich‘ als Kalkül. Abaelards ,Historia calamitatum‘ diesseits des Autobiographischen
Gender Studies
,Männer‘, ,Frauen‘, ‚Eunuchen‘ - Geschlecht und Text in der ,Historia calamitatum‘ und ausgewählten Briefstellen
Rhetorische Stilanalyse
Gebändigte Leidenschaft: zur Interpretation von ,Historia calamitatum‘ 242-370 (= 280-424 Monfrin)
Literaturpsychologie
Stigma und Trauma bei Abaelard: Bewältigungsstrategien eines körperlich und seelisch Verletzten. Ein literaturpsychologischer Versuch
Kulturwissenschaft (New Historicism)
Eine anstößige Eheschließung: die ,Historia calamitatum‘ aus kulturwissenschaftlicher Sicht
Dekonstruktion
polluisse – (De-)Konstruktion einer Geschichte um Macht/Schmutz
Register
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Abaelards „Historia calamitatum“: Text - Übersetzung - literaturwissenschaftliche Modellanalysen [Reprint 2012 ed.]
 9783110850574, 9783110170122

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de Gruyter Texte Abaelards Historia calamitatimi"

Abaelards Historia calamitatimi" Text - Übersetzung literaturwissenschaftliche Modellanalysen Herausgegeben von Dag Nikolaus Hasse

w DE

Çl Walter de Gruyter · Berlin · New York

2002

U m s c h l a g a b b i l d u n g : S-Initiale a m A n f a n g v o n A b a e l a r d s „ H i s t o r i a c a l a m i t a t i m i " in der H a n d s c h r i f t Paris, Bibliothèque n a t i o n a l e , lat. 2 9 2 3 , fol. V, spätes 1 3 . o d e r frühes 1 4 . J a h r h u n d e r t : A b a e l a r d u n d H e l o i s e (Heloises G e s i c h t ist b e s c h ä d i g t ) .

Θ

Gedruckt auf säurefreiem Papier,

das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche

Bibliothek

- CIP

Einheitsaufnahme

Abaelards " Historia calamitatimi " : Text - Übersetzung literaturwissenschaftliche Modellanalysen / hrsg. von Dag Nikolaus Hasse. - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 2 0 0 2 ISBN 3 - 1 1 - 0 1 7 0 1 2 - 4

© Copyright 2 0 0 1 by Walter de Gruyter G m b H & Co. K G , D - 1 0 7 8 5 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y Satz: R e a d y m a d e , Berlin D r u c k : G e r i c k e G m b H , Berlin B u c h b i n d e r i s c h e V e r a r b e i t u n g : Lüderitz &c B a u e r , Berlin E i n b a n d g e s t a l t u n g : H a n s b e r n d L i n d e m a n n , Berlin

Inhalt Vorwort Siglen

VII XIV

Abaelards ,Historia calamitatimi': lateinischer Text und deutsche Übersetzung

1

Modellanalysen Rezeptionsästhetik Markus Asper:

105

Leidenschaften und ihre Leser. Abaelard, Heloise und die Rezeptionsforschung

Michel Foucault Frank Bezner:

140

,Ich' als Kalkül. Abaelards ,Historia calamitatum' diesseits des Autobiographischen

Gender Studies Astrid Breith:

178

, M ä n n e r ' , ,Frauen', .Eunuchen' - Geschlecht und Text in der ,Historia calamitatum' und ausgewählten Briefstellen

Rhetorische Stilanalyse Luc Deitz:

204

Gebändigte Leidenschaft: zur Interpretation von ,Historia calamitatum' 2 4 2 - 3 7 0 (= 2 8 0 ^ 2 4 Monfrin)

Literaturpsychologie Hannes Fricke:

237

Stigma und T r a u m a bei Abaelard: Bewältigungsstrategien eines körperlich und seelisch Verletzten. Ein literaturpsychologischer Versuch

VI

Inhalt

Kulturwissenschaft ( N e w Historicism)

260

Dag Nikolaus Hasse: Eine anstößige Eheschließung: die .Historia calamitatimi' aus kulturwissenschaftlicher Sicht Dekonstruktion

285

N i c o l a Kaminski: polluisse - (De-)Konstruktion einer Geschichte um Macht/Schmutz Register

317

Vorwort Es ist die Idee dieses Bandes, einen mittelalterlichen Text aus verschiedenen literaturtheoretischen Perspektiven zu analysieren. An die Stelle einer Reflexion über die Methoden der Mittelalterforschung tritt die Praxis der Interpretation. Auf diese Weise soll die große Bandbreite der Möglichkeiten vor Augen geführt werden, über welche die Literaturwissenschaft bei der Annäherung an mittelalterliche Texte verfügt. Anhand des Materials, das dieses Buch präsentiert, läßt sich überprüfen, worin die Unterschiede zwischen verschiedenen Methoden liegen, welches ihre Chancen und Risiken sind und was sie im Kontext der Mediävistik zu leisten vermögen. Peter Abaelards ,Historia calamitatum' bietet sich für eine experimentelle Analyse dieser Art aus zwei Gründen an. Zum einen handelt es sich um einen vielgelesenen Prosatext von überschaubarer Länge, zum anderen trat die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Text viele Jahrzehnte hinter der Debatte um die Authentizität des Briefwechsels zwischen Abaelard und Heloise zurück und wurde dementsprechend vernachlässigt. Der literaturwissenschaftlichen Abaelardforschung kommt daher ein neuer Anstoß sicher zugute. Den Hintergrund für diesen Neuansatz bildet ein zunehmender Konsens der Forschung in der Authentizitätsfrage: Die Echtheitsbefürworter geben zu, daß das Corpus der Briefe Spuren einer Gesamtkomposition aufweist, 1 während ihre Gegner einräumen, daß der Inhalt des Briefwechsels aus der Lebenszeit und dem nahen Umfeld Abaelards

Vgl. David Luscombe, From Paris to Paraclete: The Correspondence of Abelard and Heloise, in: Proceedings of the British Academy 74 (1988), S. 270; John Marenbon, The Philosophy of Peter Abelard, Cambridge 1999, S. 89.

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Vorwort

und Heloises stammen muß. 2 Die ,Historia calamitatimi' ist der erste Brief des Briefwechsels und der am wenigsten umstrittene, da sich wörtliche Parallelen zu anderen Werken Abaelards nachweisen lassen. Die programmatischen und apologetischen Passagen des Textes weisen darauf hin, daß die ,Historia calamitatum' zunächst als selbständiges Werk konzipiert war und später, vielleicht vom Autor selbst, in den Briefwechsel und damit in die monastische Tradition des Paraklet-Klosters integriert wurde. 3 Es ist also möglich, die ,Historia calamitatum' auch getrennt vom Briefwechsel zu interpretieren, wie es manche Beiträger dieses Bandes tun. Für die Modellanalysen wurden sieben Bereiche aus dem grossen Feld der literaturtheoretischen Diskussion der letzten fünfzig Jahre ausgewählt, deren methodische Prinzipien trotz mancher Gemeinsamkeiten so verschieden sind, daß sie als annähernd repräsentativ für das theoretische Spektrum dieser Zeit gelten können. Die Auswahl geschah in der Überzeugung, daß nicht die historische Abfolge der Theorien über ihren Wert entscheidet, sondern die systematische Stärke und die Bewährung am konkreten Text. 4 Es ist daher durchaus Programm, daß auch Ansätze berücksichtigt sind, die vor dreißig oder vierzig Jahren populärer waren als heute. Nicht nur, daß diese Theorien Aspekte öffnen, die sonst verschlossen blieben; sie ermöglichen erst ein souveränes Umgehen mit den literaturtheoretischen Strömungen der jüngsten Zeit. Literaturtheorien sind keine in sich geschlossenen Systeme, und sie bieten für sich genommen auch keine Handlungsanleitungen für die Interpretation bestimmter Textzeugnisse. Der Literaturwissenschaftler bedarf der Theorie nicht in dem schlichten Sinne, daß er sie anwendet. Vielmehr braucht er sie, um einerseits das Bewußtsein für die methodischen Voraussetzungen

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Vgl. Georges Duby, Héloise, Isolde und andere. Frauen im 12. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1 9 9 7 , S. 95. Vgl. Peter v. Moos, Post festum: Was kommt nach der Authentizitätsdebatte über die Briefe Abaelards und Heloises?, in: Petrus Abaelardus ( 1 0 7 9 - 1 1 4 2 ) , hg. von Rudolf Thomas, Trier 1 9 8 0 , S. 86. Die Modellanalysen dieses Bandes sind daher nicht historisch, sondern zufällig, nämlich alphabetisch nach den Namen der Beiträger geordnet.

IX

Vorwort

der eigenen Interpretationsschritte nicht zu verlieren; und um andererseits der Theorie methodische Anregungen und begriffliches Werkzeug zu entnehmen und überhaupt Hilfestellungen bei der Entwicklung alternativer Interpretationen zu erhalten. Es ist also Sache des Interpreten, in diesem Fall der Autoren der Modellanalysen, den Übergang von der Theorie zur interpretatorischen Praxis zu vollziehen. Das Konzept des Bandes gründet auf der Überzeugung, daß ein Pluralismus der Perspektiven für die Literaturwissenschaft wichtig und förderlich ist, nicht aber eine Beliebigkeit derselben. Es geht allen beteiligten Autoren um historische Erkenntnis, um die Verbesserung unseres Verständnisses von Zeugnissen der Vergangenheit. Gelegentlich widersprechen Interpretationen der Beiträger einander. Diese Widersprüche sind das Ergebnis methodisch differierender Annäherungen an einen komplexen mittelalterlichen Text. Sie bedeuten nicht, daß gegensätzliche Wahrheiten akzeptiert würden. Jede Analyse muß sich an traditionellen Qualitätskriterien wie Konsistenz und Evidenz messen lassen und daran, in welchem Maße sie das historische Material zum Sprechen bringt.

Editorische

Notiz

Die ,Historia calamitatum' liegt in drei kritischen Editionen vor, die von Joseph Mückle (1950), Jacques Monfrin (1959) und Eric Hicks (1991) herausgegeben wurden. 5 Der lateinische Text der vorliegenden Ausgabe folgt weitgehend der Edition von Monfrin. Neun Handschriften der ,Historia calamitatum' sind erhalten. Die Überlieferung ist sehr einheitlich; nur an wenigen Stellen betreffen die Differenzen ganze Wortgruppen. Zwei Handschrif5

Joseph T. Mückle, Abelard's Letter of Consolation to a Friend (Historia Calamitatum), in: Mediaeval Studies 12 (1950), S. 163-213; Jacques Monfrin, Abélard: Historia calamitatum. Texte et Commentaires, Paris 1959; Eric Hicks, La vie et les epistres Pierres Abaelart et Heloys sa fame. Traduction du XIIIe siècle attribuée à Jean de Meun. Avec une nouvelle édition des textes latins d'après le ms. Troyes Bibl. mun. 802, Paris/Genf 1991.

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Vorwort

ten bieten einen besonders guten Text und bilden daher die Basis für die drei genannten Editionen: Troyes 802, fol. l r - 1 8 r (T), und Paris BN lat. 2923, fol. l r - 1 4 r (A), beide vom Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts. Die übrigen Handschriften lassen sich in die Gruppen BRDY und CEF trennen. Für diese Ausgabe wurde der Text von T, der in Hicks' Edition graphisch getreu abgedruckt ist, noch einmal mit A verglichen. Im Apparat ist angegeben, wann der Text weder Τ noch A folgt, wann er von Monfrins Ausgabe abweicht 6 und an welchen Stellen sich Mückle für eine andere Lesart entschieden hat. Die Rubriken, die von Monfrin und Mückle als Zwischenüberschriften wiedergegeben wurden, sind nur in den drei Handschriften Τ, A und Β überliefert und variieren sehr viel stärker als der übrige Text. Es ist daher unwahrscheinlich, daß die Rubriken, die von Abaelard in der dritten Person sprechen, der ursprünglichen Fassung angehörten. Sie sind vielmehr Zeugnisse der Rezeption des Werkes und werden daher in dieser Ausgabe - wie in der Editio princeps von François d'Amboise (1616) - auf dem Rand gedruckt. Ihr Wortlaut ist durchgängig der der Handschrift T, die am ausführlichsten rubriziert ist. Die Rubriken von A und Β sind im Apparat notiert. Das Werk trägt keinen zuverlässig überlieferten Titel. In den Handschriften Τ und A findet sich am Anfang des Textes eine Rubrik mit den Worten Abaelardi ad amicum suum consolatoria, geschrieben von derselben Hand wie die anderen Rubriken. Die Handschriften BDYF bieten von späterer Hand hinzugefügte oder auf dem Rand notierte Titel, die stark variieren.7 Die Be-

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Z . 4 8 0 percipere statt percepere, Z . 9 2 4 depingat statt depinguat, Z . 1 0 1 5 spirituale statt speciale, Z . 1 2 5 5 detractores statt detractatores und die Druckfehler Z . 3 3 disputando statt disputanto, Z . 165 litterati statt litterari und Z . 1 2 8 3 pertractando statt petractando. Vgl. die Korrekturen des Monfrin-Textes bei Hicks, La vie et les epistres (wie Anm. 5), S. LII. Vgl. die Beschreibung der Handschriften bei Monfrin, Abélard (wie Anm. 5), S. 9 - 3 1 : Β Vita magistri Petri Abaelardi; D Epistula magistri P. Abaielardi ad amicarti suam de temptacionibus et calamitatibus in suis eventibus habitis et qualiter suam Heloysam sibi copulavit primitus in amorem et postmodum in uxorem\ Y Sequitur prologus de statu et vita magistri Abealardi; F Epistolae venerabilis magistri Petri Abaelardi.

Vorwort

XI

Zeichnung ,Historia calamitatimi', die sich an drei Passagen des Werkes anlehnt (Z. 3, 36 und 1 3 5 5 ) , ist nicht in den Handschriften überliefert, erscheint aber schon recht früh in der Rezeptionsgeschichte: in Francesco Petrarcas ,De vita solitaria'. 8 Die auch in dieser Hinsicht einflußreiche Editio princeps titelt unter Berufung auf Petrarca: ,Epistola I. Quae est Historia Calamitatum Abaelardi, Ad Amicum scripta'. 9 Anders als in der Edition von Monfrin folgt die Schreibweise des lateinischen Textes nicht einer der neun mittelalterlichen Handschriften, sondern der klassischen Standardorthographie, um eine bessere Lesbarkeit des Textes zu erreichen. Die Eigennamen hingegen, die stärker in der mittelalterlichen Kultur wurzeln, werden durchweg in der Schreibweise von A wiedergegeben (Monfrin wählt meist T , manchmal A). Die Zeichensetzung orientiert sich an den Erwartungen deutscher Leser. Dem lateinischen Text habe ich eine neue deutsche Übersetzung beigegeben, die in Satzbau und Wortwahl deutschen, nicht lateinischen Stilkriterien folgt. Beispielsweise ist die Anzahl von Partikeln und Konjunktionen in der Übersetzung geringer als im Original, weil logische Verbindungen im Deutschen nicht so ausdrücklich markiert werden wie im Lateinischen. Die Publikation des Buches wurde sehr durch die Möglichkeit gefördert, im Haus der Werner Reimers Stiftung in Bad Homburg v.d.H. eine Autorentagung auszurichten. Der Stiftung sei für die großzügige, ebenso familiäre wie professionelle Betreuung sehr herzlich gedankt. Ein großer Dank geht auch an die beraten-

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Vgl. Francesco Petrarca, De vita solitaria, hg. von Guido Martellotti, in: Petrarca, Prose, Mailand 1 9 5 5 , Buch II, Kap. 12, S. 5 2 8 : lungam tot veteribus recentiorem unum nec valde semotum ab aetate nostra, quam recte nescio, sed apud quosdam, ut audio, suspectae fidei at profecto non bumilis ingenti, Petrum Munt, cui Abaelardi cognomen est, qui, ut in historia suarum calamitatum longa narratione idem ipse meminit, invidiae cedens solitudinis trecensis abdita penetravit.

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Abaelard, Opera, hg. von François d'Amboise, Paris 1 6 1 6 , S. 3. Vgl. die Anmerkung von André Duchesne in derselben Ausgabe, S. 1 1 4 2 : Historia Calamitatum] Genuinus Epistolae titulus, et ab auctore ipso praefixus, uti nos docet Petrarcha scriptor gravis et eloquens libro II. de vita solitaria, his verbis: lungam usw. (wie Anm. 8).

XII

Vorwort

den Teilnehmer der Tagung, Sabine Gäbe, Almuth Märker, Christine Mundhenk und Andreas Speer, deren anregende Kritik eine wertvolle Hilfe war. Für Ratschläge zu einzelnen Kapiteln danken die Autoren Peter Fricke, Susanne Friede, Ines Gora, Udo Kühne, Fidel Rädle, Luise Reddemann und Mechtild v. Riedesel. Dag Nikolaus Hasse

Würzburg, August 2001

Siglen Τ A Β R D Y C E F

Troyes, Bibliothèque municipale, Ms. 802. Paris, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 2923. Paris, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 2544. Reims, Bibliothèque municipale, Ms. 872. Douai, Bibliothèque municipale, Ms. 797. Oxford, Bodleian library, Ms. Add. C. 271. Paris, Bibliothèque nationale, Ms. nouv. acq. lat. 1873. Paris, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 2545. Paris, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 13057.

Abaelards ,Historia calamitatimi': lateinischer Text und deutsche Übersetzung

Abaelardi ad amicum suum consolatoria Saepe humanos affectus aut provocant aut mitigant amplius exempla quam verba. Unde post nonnullam sermonis ad praesentem habiti consolationem de ipsis calamitatum mearum experimentis consolatoriam ad absentem scribere decrevi, ut in comparatione mearum tuas aut nullas aut módicas temptationes 5 recognoscas et tolerabilius feras.

De loco nativitatis eius

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Ego igitur oppido quodam oriundus, quod in ingressu minoris r»



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Britanniae constructum ab urbe Nannetica versus orientem octo, credo, milliariis remotum proprio vocabulo Palacium appellatur, sicut natura terrae meae vel generis animo levis ita et ingenio exstiti et ad litteratoriam disciplinam facilis. Patrem autem habebam litteris aliquantulum imbutum, antequam militari cingulo insigniretur. Unde postmodum tanto litteras amore complexus est, ut, quoscumque filios haberet, litteris antequam armis instrui disponeret. Sicque profecto actum est. M e itaque primogenitum suum quanto cariorem habebat, tanto diligentius erudiri curavit. Ego vero quanto amplius et facilius in studio litterarum profeci, tanto ardentius eis inhaesi, et in tanto earum amore illectus sum, ut militaris gloriae pompam cum hereditate et praerogativa primogenitorum meorum fratribus derelinquens Martis curiae penitus abdicarem, ut Minervae gremio educarer. Et quoniam dialecticarum rationum armaturam omnibus philosophiae documentis praetuli, his armis alia commutavi et trophaeis bellorum conflictus praetuli disputationum. Proinde diversas disputando perambulans provincias ubicumque huius artis vigere Studium audieram, peripateticorum aemulator factus sum.

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Abaelards Trostbrief an seinen Freund Menschliche Gefühle zu erregen oder zu besänftigen, gelingt häufig besser mit Beispielen als mit Worten. Daher habe ich beschlossen, unserem langen Gespräch unter vier Augen einen Trostbrief an den Freund in der Ferne folgen zu lassen, in dem ich über die Schicksalsschläge, welche ich erlebt habe, berichte. Auf diese Weise werden Dir Deine eigenen Prüfungen im Vergleich mit meinen ganz nichtig oder zumindest unbedeutend vorkommen, und Du wirst sie leichter ertragen. Ich wurde in einem Dorf am Rande der Bretagne geboren, das ungefähr acht Meilen östlich der Stadt Nantes liegt und Palais heißt. Von der Natur meiner Heimat und der meiner Familie habe ich den Leichtsinn geerbt, aber auch das Talent und den Sinn für die Wissenschaften. Mein Vater hatte nur wenig Bildung genossen, bevor er die Schwertleite empfing. Später entwickelte er eine große Liebe zu den Wissenschaften und verfügte, daß alle seine Söhne zunächst in den Wissenschaften und erst später an den Waffen auszubilden seien; und so geschah es. Da er mich, den Erstgeborenen, besonders ins Herz geschlossen hatte, achtete er sehr sorgfältig auf meine Erziehung. Je schneller und leichter ich im Studium der Wissenschaften vorankam, desto größer wurde meine Begeisterung für sie. Diese Liebe ging so weit, daß ich auf den Glanz ritterlichen Ruhmes samt meinem Erbe und den Vorrechten der Erstgeburt zugunsten meiner Brüder verzichtete und vom Gefolge des Mars ganz Abschied nahm, um im Schoß der Minerva aufgezogen zu werden. Das Arsenal logischer Begründungen, das ich allen Schriften der Philosophie vorzog, machte ich zu meiner neuen Waffengattung und gab den Gefechten des Streitgespräches den Vorrang vor den Kriegstrophäen. Also zog ich durch verschiedene Gegenden, in denen das Studium der Disputationskunst, wie ich gehört hatte, in Blüte stand, und führte Streitgespräche, was mich zu einem Nachahmer der Peripatetiker werden ließ.

Sein Geburtsort

4 D e persecutione m a g i s t r i sui Guillelmi in e u m

Abaelardi ad amicum suum consolatoria

Perveni tandem Parisius, ubi iam maxime disciplina haec florere consueverat, ad Guillelmum scilicet Campellensem praeceptorem meum in hoc tune magisterio re et fama praecipuum; cum quo aliquantulum moratus primo ei acceptus, postmodum 30 gravissimus exstiti, cum nonnullas scilicet eius sententias refellere conarer et ratiocinari contra eum saepius aggrederer et nonnumquam superior in disputando viderer. Quod quidem et ipsi, qui inter conscholares nostros praecipui habebantur, tanto maiori sustinebant indignatione, quanto posterior habebar aetatis et 35 studii tempore. Hinc calamitatum mearum, quae nunc usque persévérant, coeperunt exordia, et quo amplius fama extendebatur nostra, aliena in me succensa est invidia.

Factum tandem est, ut supra vires aetatis de ingenio meo praesumens ad scholarum regimen adolescentulus aspirarem et locum, in quo id agerem, providerem, insigne videlicet tunc temporis Meliduni Castrum et sedem regiam. Praesensit hoc praedictus magister meus et, quo longius posset, scholas nostras a se removere conatus, quibus potuit, modis latenter machinatus est, ut, priusquam a suis recederem scholis, nostrarum praeparationem scholarum praepediret et provisum mihi locum auferret. Sed quoniam de potentibus terrae nonnullos ibidem habebat aemulos, fretus eorum auxilio voti mei compos exstiti, et plurimorum mihi assensum ipsius invidia manifesta conquisivit. Ab hoc autem scholarum nostrarum tirocinio ita in arte dialéctica nomen meum dilatari coepit, ut non solum condiscipulorum meorum, verum etiam ipsius magistri fama contracta paulatim exstingueretur. Hinc factum est, ut de me amplius ipse praesumens ad Castrum Corbolii, quod Parisiacae urbi vicinius est, quantocius scholas nostras transferrem, ut inde videlicet crebriores disputationis assultus nostra daret importunitas. Non multo autem interiecto tempore ex immoderata studii afflictione correptus a

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Rub.

De initio magisterii sui add.

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Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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Schließlich kam ich nach Paris, w o diese Disziplin schon länger einen großen Aufschwung erfahren hatte, zu Wilhelm von Champeaux, meinem Lehrer, der damals in diesem Fach an r

Können und Ansehen herausragte. Ich blieb einige Zeit bei ihm und w a r ihm zunächst willkommen. Später jedoch wurde ich ihm außerordentlich lästig, da ich manche seiner Sätze zu widerlegen versuchte, immer wieder argumentative Angriffe gegen ihn führte und manchmal im Streitgespräch als der Überlegene dastand. Auch diejenigen meiner Mitstudenten, die als die besten galten, haben darauf mit Empörung reagiert, vor allem weil ich jünger w a r als sie und noch nicht so lange studiert hatte. Hier nahm die Serie meiner Schicksalsschläge, die bis heute andauert, ihren Anfang. Je mehr sich mein R u h m ausbreitete, desto stärker loderte der Neid anderer. Es kam schließlich dazu, daß ich meiner Intelligenz für mein Alter zuviel zutraute und schon als junger M a n n die Leitung einer eigenen Schule anstrebte. Der Ort, den ich mir für dieses Unternehmen aussuchte, w a r die damals als Festung und Königssitz bedeutende Stadt Melun. Mein eben genannter Lehrer ahnte meine Pläne und versuchte, meine Schule von der seinen möglichst weit entfernt zu halten. Heimlich setzte er alle möglichen Mittel in Gang, um den A u f b a u meiner Schule zu verhindern, bevor ich noch seine eigene verlassen hatte. Er wollte es mir unmöglich machen, an den von mir gewählten Ort zu ziehen. Aber da er in Melun unter den Mächtigen des Landes einige Gegner hatte, auf deren Hilfe ich bauen konnte, gelang es mir, meine Pläne zu verwirklichen. Gerade der offenkundige Neid meines Lehrers brachte mir viele Sympathien ein. Mit der Gründung meiner Schule begann sich mein Ruf als Logiker so zu verbreiten, daß nicht nur das Ansehen meiner Mitstudenten, sondern auch der bescheidene R u h m meines Lehrers allmählich erlosch. Das führte dazu, daß ich ein noch größeres Selbstbewußtsein entwickelte und meine Schule sehr bald in die Stadt Corbeil verlegte, die etwas näher bei Paris liegt - in der H o f f nung, daß sich meiner ungestümen Angriffslust dort häufiger Gelegenheit zu argumentativen Attacken bieten würde. Nach kurzer Zeit aber mußte ich wieder in meine Heimat zurückkeh-

Die v e r f o i -



Lehrer w.iheim von Lhampeaux

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

infirmitate coactus sum repatriare, et per annos aliquot a Francia remotus quaerebar ardentius ab his, quos dialéctica sollicitabat doctrina.

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Elapsis autem paucis annis, cum ex infirmitate iam dudum convaluissem, praeceptor meus ille Guillelmus Parisiacensis archidiaconus habitu pristino commutato ad regularium clericorum ordinem se convertit ea, ut referebant, intentione, ut, quo religiosior crederetur, ad maioris praelationis gradum promoveretur, sicut in proximo contigit eo Cataulanensi episcopo facto. Nec tamen hie suae conversionis habitus aut ab urbe Parisius aut a consueto philosophiae studio revocavit, sed in ipso quoque monasterio, ad quod se causa religionis contulerat, statim more solito publicas exercuit scholas. Tum ego ad eum reversus, ut ab ipso rhetoricam audirem, inter cetera disputationum nostrarum conamina antiquam eius de universalibus sententiam patentissimis argumentorum rationibus ipsum commutare, immo destruere compuli. Erat autem in ea sententia de communitate universalium, ut eandem essentialiter rem totam simul singulis suis inesse astrueret individuis, quorum quidem nulla esset in essentia diversitas, sed sola multitudine accidentium varietas. Sic autem istam tunc suam correxit sententiam, ut deinceps rem eandem non essentialiter, sed indifferenter diceret. Et quoniam de universalibus in hoc ipso praecipua semper est apud dialécticos quaestio ac tanta, ut eam Porfirius quoque in ,Ysagogis' suis, cum de universalibus scriberet, definire non praesumeret dicens: „Altissimum enim est huiusmodi negotium", 1 cum hanc ille correxerit, immo coactus dimiserit sententiam, in tantam lectio eius devoluta est negligentiam, ut iam ad cetera dialecticae vix admitteretur, quasi in hac scilicet de universalibus sententia tota huius artis consisteret summa.

Porphyrius, Isagoge a Boethio translata, hg. von Adolf Busse, Berlin 1 8 8 7 , Comm. Arist. Gr. IV, 1, S. 2 5 , 1 3 - 1 4

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Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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ren, weil ich durch das übermäßige Studieren krank geworden war. Während meiner nun folgenden mehrjährigen Abwesenheit aus Franzien wurde ich von denjenigen heftig vermißt, die sich zur Logik besonders berufen fühlten. Wenige Jahre später, als ich schon längst wieder gesund war, wechselte mein Lehrer Wilhelm, der Pariser Archidiakon, sein geistliches Gewand und trat in den Orden der Regularkanoniker ein - mit der Absicht, wie man sich erzählte, den Anschein größerer Frömmigkeit zu erwecken, um auf ein höheres kirchliches Amt befördert zu werden. Das gelang dann auch wenig später: Er wurde Bischof von Chälons-sur-Marne. Das Gewand seines neuen Ordens hielt ihn allerdings weder von Paris noch von dem gewohnten philosophischen Unterricht ab, denn auch in dem neuen Kloster, das er aus Gründen der Frömmigkeit aufgesucht hatte, begann er sofort, in gewohnter Weise öffentliche Lehrveranstaltungen abzuhalten. Damals kehrte ich zu ihm zurück, um bei ihm Rhetorik zu hören. Im Rahmen anderer Streitgespräche zwang ich ihn mit vollkommen überzeugenden Argumenten, eine seiner alten Thesen über die Universalbegriffe abzuändern und eigentlich sogar aufzugeben. Seine These zur Allgemeinheit der Universalien besagte, daß eine im Wesen identische Sache, d.h. derselbe Allgemeinbegriff, ganz und zugleich in allen Einzeldingen existiert und daß sich die Einzeldinge nicht im Wesen, sondern nur in der Menge der Akzidentien unterscheiden. Er hat diese These dahingehend korrigiert, daß er nicht mehr von „einer im Wesen identischen Sache", sondern von „einer ununterscheidbar identischen Sache" sprach. Das Universalienproblem hat bei den Logikern eine solche Ausnahmestellung, daß Porphyrius an der betreffenden Stelle seiner ,Isagoge' keine Definition der Universalien zu geben wagte, da „die Angelegenheit außerordentlich schwierig" sei. Weil Wilhelm seine These korrigiert oder, besser gesagt, gezwungenermaßen aufgegeben hatte, fanden seine Vorlesungen nur noch wenig Beachtung. In der Folge hatte er Schwierigkeiten, zu den übrigen Gebieten der Logik zugelassen zu werden - als ob in der These über die Universalien die gesamte Logik ihren Abschluß fände.

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

Hinc tantum roboris et auctoritatis nostra suscepit disciplina, ut ii, qui antea vehementius magistro illi nostro adhaerebant et maxime nostram infestabant doctrinam, ad nostras convolarent so scholas et ipse, qui in scholis Parisiacae sedis magistro successerat nostro, locum mihi suum offerret, ut ibidem cum ceteris nostro se traderet magisterio, ubi antea suus ille et noster magister floruerat. Paucis itaque diebus ibi me dialecticae Studium regente, quanta invidia tabescere, quanto dolore aestuare coeperit magister 95 noster, non est facile exprimere. N e c conceptae miseriae aestum diu sustinens callide aggressus est me tunc etiam removere. Et quia in me, quid aperte ageret, non habebat, ei scholas auferre molitus est pessimis obiectis criminibus, qui mihi suum concesserat magisterium, alio quodam aemulo meo ad officium eius 100 substituto.

Mo 67

Tunc ego Melidunum reversus scholas ibi nostras sicut antea constituí, et quanto manifestius eius me persequebatur invidia, tanto mihi auctoritatis amplius conferebat iuxta illud poeticum: „ S u m m a petit livor, perflant altissima venti". 2 N o n multo autem 105 post, cum ille intelligeret omnes fere discretos de religione eius plurimum haesitare et de conversione ipsius vehementer susurrare, quod videlicet minime a civitate recessisset, transtulit se et conventiculum fratrum cum scholis suis ad villam quandam ab urbe remotam. Statimque ego Meliduno Parisius redii, pacem ab no ilio ulterius sperans. Sed quia, ut diximus, locum nostrum ab aemulo nostro fecerat occupari, extra civitatem in monte Sanctae Genovefae scholarum nostrarum castra posui quasi eum obsessurus, qui locum occupaverat nostrum. Quo audito magister noster statim ad urbem impudenter rediens scholas, quas tunc 115 habere poterai, et conventiculum fratrum ad pristinum reduxit monasterium quasi militem suum, quem dimiserat, ab obsidione nostra liberaturus. Verum cum illi prodesse intenderet, maxime nocuit. Ille quippe antea aliquos habebat qualescumque discípulos Ovid, Remedia amoris, 369

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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Mein Unterricht gewann daraufhin viel an Kraft und Autorität: Die ehemaligen Anhänger unseres Lehrers, die ihm einst mit Überzeugung gefolgt waren und meine Lehre besonders angefeindet hatten, strömten nun in meine Schule, und der Nachfolger Wilhelms an der Pariser Schule bot mir seine Stelle an. Zusammen mit anderen wollte er jetzt mein Schüler werden, und zwar an genau dem Ort, an dem zuvor sein und mein Lehrer so erfolgreich gewirkt hatte. Ich hatte erst wenige Tage in Paris Logik unterrichtet, als unser Lehrer von so heftigem Neid zerfressen, von so heftigem Schmerz verzehrt wurde, daß es sich kaum ausdrücken läßt. Er ertrug den Sturm dieses Unglücksgefühls nicht lange und versuchte mit allen Mitteln, mich auch von diesem Ort zu entfernen. Da er aber nichts in der Hand hatte, was er offen gegen mich vorbringen konnte, setzte er mithilfe übelster Vorwürfe durch, daß seinem Nachfolger, der mir das Lehramt überlassen hatte, die Schule weggenommen wurde, und einer meiner Gegner rückte an seine Stelle. Daraufhin kehrte ich nach Melun zurück und richtete dort wieder meinen Lehrbetrieb ein. Je offener mich Wilhelms Neid verfolgte, desto größeres Ansehen verschaffte er mir, ganz nach dem Dichterwort: „Der Neid trifft immer das Höchste, wie die Winde die Gipfel". Nur wenig später wurde Wilhelm klar, daß die große Mehrheit der Personen mit Verstand an seiner Frömmigkeit stark zweifelte und kräftig über seinen Ordensbeitritt lästerte, weil er Paris überhaupt nicht verlassen hatte. Darauf zogen er und sein kleiner Konvent mit ihrer Schule in eine von Paris entfernt gelegene Stadt. Sofort kehrte ich aus Melun nach Paris zurück und hoffte, in Zukunft nicht mehr von ihm behelligt zu werden. Da Wilhelm, wie erwähnt, einen meiner Rivalen auf meine Stelle hatte setzen lassen, schlug ich mein Schullager außerhalb der Stadt auf dem Berg Sainte-Geneviève auf, als ob ich den, der meinen Platz besetzt hatte, belagern wollte. Als Wilhelm das hörte, kam er auf schamlose Weise umgehend nach Paris zurück und führte die Schüler, die ihm damals zur Verfügung standen, und den kleinen Konvent in das alte Kloster zurück, um gewissermaßen seinen Soldaten, den er zurückgelassen hatte, von unserer Belagerung zu befreien. Er wollte damit meinem Rivalen

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

maxime propter lectionem Prisciani, in qua plurimum valere 120 credebatur. Postquam autem magister advenit, omnes penitus amisit et sic a regimine scholarum cessare compulsus est. Nec post multum tempus, quasi iam ulterius de mundana desperans gloria, ipse quoque ad monasticam conversus est vitam. Post reditum vero magistri nostri ad urbem quos conflictus dispu- 125 tationum scholares nostri tarn cum ipso quam cum discipulis eius habuerint et quos fortuna eventus in his bellis dederit nostris, immo mihi ipsi in eis, te quoque res ipsa dudum edocuit. Illud vero Aiacis, ut temperantius loquar, audacter proferam: „Si quaeritis huius fortunam pugnae, non sum superatus ab ilio." 3 no Quod si ego taceam, res ipsa clamai, et ipsius rei finis indicat.

M o 68

Quando Laudunum venit ad magistrum Anselmum h

Dum vero haec agerentur, carissima mihi mater mea Lucia repatriare me compulit. Quae videlicet post conversionem Berengarii patris mei ad professionem monasticam idem facere disponebat. Quo completo reversus sum in Franciam, maxime ut de divinitate addiscerem, quando iam saepe fatus magister noster Guillelmus in episcopatu Cataulanensi pollebat. In hac autem lectione magister eius Anselmus Laudunensis maximam ex antiquitate auctoritatem tunc tenebat.

Accessi igitur ad hunc senem, cui magis longaevus usus quam ingenium vel memoria nomen comparaverat. Ad quem si quis de aliqua quaestione pulsandum accederet incertus, redibat incertior. Mirabilis quidem in oculis erat auscultantium, sed nullus in conspectu quaestionantium. Verborum usum habebat mirabilem, sed sensu contemptibilem et ratione vacuum. Cum ignem accenderei, domum suam fumo implebat, non luce illustrabat. Arbor TB] om. A Ovid, Metamorphoses, XIII, 8 9 - 9 0

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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helfen, tatsächlich aber schadete er ihm außerordentlich. Denn vor diesem Zeitpunkt hatte mein Gegner noch einige mehr oder weniger fähige Schüler, vor allem wegen seiner Priscianveranstaltung, in der er, wie man glaubte, Besonderes leistete. Als aber sein Lehrer erschien, verlor er sämtliche Schüler und gab gezwungenermaßen sein Schulamt auf. Nur kurze Zeit später zog auch er sich ins Klosterleben zurück, da er seine Hoffnung, in Zukunft noch irdischen Ruhm zu erringen, begraben mußte. Im Anschluß an Wilhelms Rückkehr nach Paris lieferten sich meine Schüler mit ihm und seinen Anhängern heftige Streitgespräche. Das ist Dir schon seit langem bekannt, genauso wie der Ausgang dieser Kämpfe, den Fortuna meinen Truppen und besonders mir selbst schenkte. Ich kann hier kühn, aber in etwas bescheidenerem Ton den Satz des Ajax zitieren: „Wenn Ihr nach dem Ende des Kampfes fragt: Er hat mich nicht besiegt." Wenn ich das verschweigen wollte, berichtet es die Sache selbst und bezeugt es ihr Ausgang. Während sich diese Dinge zutrugen, veranlaßte mich meine geliebte Mutter Lucia, in die Heimat zurückzukehren. Denn mein Vater Berengar war in ein Kloster eingetreten, und meine Mutter hatte sich zu demselben Schritt entschlossen. Als der vollzogen war, ging ich zurück nach Franzien, in erster Linie, um meine Kenntnisse in der Theologie zu vertiefen. Zu diesem Zeitpunkt thronte Wilhelm, mein schon häufig genannter Lehrer, auf dem Bischofsstuhl von Châlons-sur-Marne. In der Theologie hatte Anselm von Laon, Wilhelms eigener Lehrer, seit langer Zeit das größte Ansehen. Ich begab mich daher zu diesem alten Mann, der seinen guten Ruf weniger durch Intelligenz und starkes Gedächtnis als durch lange Berufsausübung erworben hatte. Wenn man mit einer offenen Frage an seine Tür klopfte, war man hinterher noch ratloser als zuvor. Er war ein Wunder in den Augen der Zuhörer, aber eine Null, wenn man ihm Fragen stellte. Wie er die Worte gebrauchte, war bewundernswert, aber ihr Sinn war peinlich und entbehrte jeglicher Vernunft. Wenn er eine Kerze anzündete, füllte er seine Wohnung mit Rauch, statt sie zu beleuchten. Sein

Seine Ankunft in L a o n bei d e m Lehrer Anselm

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

eius tota in foliis aspicientibus a longe conspicua videbatur, sed propinquantibus et diligentius intuentibus infructuosa reperiebatur. Ad hanc itaque cum accessissem, ut fructum inde colligerem, deprehendi illam esse ficulneam, cui maledixit Dominus, iso seu illam veterem quercum, cui Pompeium Lucanus comparat dicens: „Stat magni nominis umbra, qualis frugifero quercus sublimis in agro etc." 4 Hoc igitur comperto non multis diebus in umbra eius otiosus iacui. Paulatim vero me iam rarius et rarius ad lectiones eius accedente quidam tunc inter discípulos eius iss eminentes graviter id ferebant, quasi tanti magistri contemptor fierem. Proinde ilium quoque adversum me latenter commoventes pravis suggestionibus ei me invidiosum fecerunt.

Mo 69

Accidit autem quadam die, ut post aliquas sententiarum collationes nos scholares invicem iocaremur. Ubi cum me quidam iso animo intemptantis interrogasset, quid mihi de divinorum lectione librorum videretur, qui nondum nisi in philosophicis studueram, respondí: saluberrimum quidem huius lectionis esse Studium, ubi salus animae cognoscitur, sed me vehementer mirari, quod his, qui litterati sunt, ad expositiones sanctorum intelligendas ipsa us eorum scripta vel glossae non sufficiunt, ut alio scilicet non egeant magisterio. Irridentes plurimi, qui aderant, an hoc ego possem et aggredì praesumerem, requisierunt. Respondí me id, si vellent, experiri paratum esse. Tunc inclamantes et amplius irridentes: „certe", inquiunt, „et nos assentimus. Quaeratur itaque m et tradatur vobis expositor alicuius inusitatae scripturae et probemus, quod vos promittitis". Et consenserunt omnes in obscurissima Iezechielis prophetia. Assumpto itaque expositore statim in crastino eos ad lectionem invitavi. Qui invito mihi consilium dantes dicebant ad rem tantam non esse properandum, 175 sed diutius in expositione rimanda et firmanda mihi hanc c inexperto vigilandum d . Indignatus autem respondí non esse meae

d

om. CEF, hactenus coni. Mückle sed ego immemor huius verbi psalmistae: Domine, non est exaltatum cor meum, neque elati sunt oculi mei add. Y Jean

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Lucan, Pharsalia, I, 1 3 5 - 1 3 6

c

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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Baum schien einem Betrachter aus der Ferne voller Blätter zu stehen, aber wenn man näher trat und genauer hinsah, entdeckte man, daß er keine Früchte trug. Als ich mich ihm näherte, um Früchte zu pflücken, erkannte ich: Er war der Feigenbaum, den der Herr verflucht hat, und jene alte Eiche, mit welcher Lucan den Pompeius vergleicht: „Er steht, ein Schatten seines großen Namens, wie eine hohe Eiche auf fruchtbarem Acker usw." Sobald mir das klar wurde, blieb ich nicht mehr viele Tage müßig in seinem Schatten liegen. Ich erschien jetzt immer seltener in seinen Vorlesungen, was einige der besseren Schüler übelnahmen, in der Meinung, ich würde diesen großen Lehrer verachten. So brachten sie nun auch Anselm heimlich gegen mich auf und machten mich mit falschen Anschuldigungen bei ihm verhaßt. Eines Tages geschah es im Anschluß an einen Vergleich von Autoritätenzitaten, daß unter uns Schülern Scherze gemacht wurden. Einer von uns, in der Absicht, mir eine Falle zu stellen, fragte mich, was ich für eine Meinung vom Bibelstudium hätte, da ich bisher nur Philosophie studiert hatte. Ich antwortete, daß ich es für ein sehr gewinnbringendes Studium hielte, da man etwas über das Seelenheil erfahre, daß ich mich aber sehr darüber wunderte, warum gelehrten Leuten die Bibelkommentare samt Glossen nicht ausreichten, um bei der Lektüre der Kommentare auf die Anleitung durch Lehrer verzichten zu können. Diese Äußerung provozierte Gelächter bei den meisten Umstehenden, und man fragte mich, ob ich denn selbst zu einer solchen Auslegung imstande sei und ob ich es wagen würde, sie auch tatsächlich durchzuführen. Ich erwiderte, daß ich, falls gewünscht, zu einer Probe bereit sei. Sie reagierten mit Lärm und auch mit Spott und antworten: „ N a türlich, wir stimmen zu. Wir suchen Ihnen einen Kommentar zu einer wenig bekannten Bibelstelle heraus und prüfen daran Ihre Versprechungen". Sie einigten sich auf eine ausgesprochen unverständliche Prophezeiung von Ezechiel. Ich erhielt den Kommentar und lud meine Mitschüler gleich für den kommenden T a g zur Vorlesung ein. Die gaben mir den ganz unerwünschten Rat, daß ich mich bei so einer Sache nicht übereilen und lieber einige Zeit

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

consuetudinis per usum proficere, sed per ingenium; atque adieci vel me penitus desiturum esse vel eos pro arbitrio meo ad lectionem accedere non differre. Et primae quidem lectioni nostrae iso pauci tunc interfuere, quod ridiculum omnibus videretur me adhuc quasi penitus sacrae lectionis expertem id tam propere aggredì. Omnibus tamen, qui adfuerunt, in tantum lectio illa grata exstitit, ut eam singulari praeconio extollerent et me secundum hunc nostrae lectionis tenorem ad glossandum com- íes pellerent. Quo quidem audito hi, qui non interfuerant, coeperunt ad secundam et tertiam lectionem certatim concurrere et omnes pariter de transcribendis glossis, quas prima die inceperam in ipso earum e initio, plurimum solliciti esse.

Hinc itaque praedictus senex vehementi commotus invidia et 190

De persecutione eius q u o q u e

in eum

Mo 70

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quorundam persuasionibus ìam adversum me, ut supra memim, et tunc stimulatus, non minus in sacra lectione me persequi coepit quam antea Guillelmus noster in philosophia. Erant autem tunc in scholis huius senis duo, qui ceteris praeminere videbantur, Albericus scilicet Remensis et Lotulfus Lumbardus, qui quanto 195 de se maiora praesumebant, amplius adversum me accendebantur. H o r u m itaque maxime suggestionibus, sicut postmodum deprehensum est, senex ille perturbatus impudenter mihi interdixit inceptum glossandi opus in loco magisterii sui amplius exercere, hanc videlicet causam praetendens, ne, si forte in ilio opere 200 aliquid per errorem ibi f scriberem utpote rudis adhuc in hoc studio, ei deputaretur. Quod cum ad aures scholarium pervenisset, maxima commoti sunt indignatione super tam manifesta livoris calumnia, quae nemini umquam ulterius acciderat. Quae quanto manifestior, tanto mihi honorabilior exstitit et persequendo 205 gloriosiorem effecit.

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eorum T A C E F 001. A C E F M ü c k l e

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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in das Prüfen und Festigen meiner Auslegung stecken solle, unerfahren wie ich sei. Ich erwiderte gereizt, daß es nicht meine Art sei, durch Routine voranzukommen, sondern durch Geist. Und außerdem würde ich die ganze Unternehmung absagen, wenn sie sich weigerten, zu dem von mir gewünschten Termin bei der Vorlesung zu erscheinen. Zu meiner ersten Vorlesung kamen nur wenige, weil es alle lächerlich fanden, daß ich trotz meiner völligen Unerfahrenheit so schnell mit der Bibelauslegung beginnen wolle. Allen Anwesenden aber gefiel die Vorlesung so gut, daß sie ihr besonderes Lob schenkten und mich drängten, die Kommentierung im Stil der ersten Vorlesung fortzuführen. Als sich das herumsprach, setzte unter denen, die die erste verpaßt hatten, ein Wettlauf zur zweiten und dritten Vorlesung ein. Sie alle waren sehr darauf bedacht, eine Abschrift der Kommentare zu erhalten, mit denen ich am ersten Tag meine Auslegung eröffnet hatte. Den schon erwähnten alten Mann hat dies mit ungeheurem Neid erfüllt. Anselm von Laon war schon zuvor, wie ich oben erwähnte, durch das Gerede mancher Leute gegen mich aufgehetzt worden. Er begann nun, auf dem Gebiet der Theologie gegen mich zu vorzugehen - nicht weniger, als das zuvor in der Philosophie mein Lehrer Wilhelm getan hatte. In der Schule des alten Mannes gab es damals zwei, die die anderen zu überragen schienen: Alberich von Reims und Lotulf aus der Lombardei. Sie hielten besonders viel von sich und regten sich daher umso mehr über mich auf. Vor allem aufgrund ihrer Einflüsterungen, so stellte sich später heraus, verbot mir der ganz verwirrte alte Mann auf schamlose Weise, die begonnene Auslegung am Ort seiner Lehre fortzusetzen. Und zwar schob er die Begründung vor, daß man es ihm anrechnen würde, wenn mir in meiner fachlichen Unerfahrenheit beim Verfassen der Auslegung Fehler unterlaufen sollten. Als das den Schülern zu Ohren kam, waren sie höchst entrüstet über die so offensichtlich auf Neid beruhenden Anfeindungen, die niemanden zuvor so hart getroffen hatten. Daß die Intrige eine so offensichtliche war, machte sie umso ehrenvoller für mich, und die Verfolgung mehrte mein Ansehen.

^ Seine Verfolgung auch durch diesen

Lehrer

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Abaelardi ad amicum s u u m consolatoria

Quando

Post paucos itaque dies Parisius reversus scholas mihi iam

Parisi™ venite

dudum destinatas atque oblatas, unde primo fueram expulsus, annis aliquibus quiete possedi atque ibi in ipso statim scholarum initio glossas illas Iezechielis, quas Lauduni inceperam, con- 210 summare studui. Quae quidem adeo legentibus acceptabiles fuerunt, ut me non minorem gratiam in sacra lectione adeptum iam crederent, quam in philosophica viderant. Unde utriusque lectionis studio scholae nostrae vehementer multiplicatae, quanta mihi de pecunia lucra, quantam gloriam compararent, ex fama te 21s quoque latere non potuit.

Mo 71

Sed quoniam prosperitas stultos semper inflat et mundana tranquillitas vigorem enervat animi et per carnales illecebras facile resolvit, cum iam me solum in mundo superesse philosophum aestimarem nec ullam ulterius inquietationem formidarem, 220 frena libidini coepi laxare, qui antea vixeram continentissime. Et quo amplius in philosophia vel sacra lectione profeceram, amplius a philosophis et divinis immunditia vitae recedebam. Constat quippe philosophos necdum divinos, id est sacrae lectionis exhortationibus intentos, continentiae decore maxime polluisse. 225 C u m igitur totus in superbia atque luxuria laborarem, utriusque morbi remedium divina mihi gratia licet nolenti contulit. Ac primo luxuriae, deinde superbiae; luxuriae quidem his me privando, quibus hanc exercebam; superbiae vero, quae mihi ex litterarum maxime scientia nascebatur, iuxta illud Apostoli: 230 „Scientia inflat", 5 illius libri, quo maxime gloriabar, combustione me humiliando. Cuius nunc rei utramque historiam verius ex ipsa re quam ex auditu cognoscere te volo, ordine quidem, quo processerunt.

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Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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Nur wenige Tage später kehrte ich daher nach Paris zurück. Dort leitete ich einige Jahre lang in Ruhe jene Schule, die mir schon vor geraumer Zeit angeboten und übertragen worden war, aus der man mich aber zunächst vertrieben hatte. Gleich zu Beginn meiner Lehrtätigkeit bemühte ich mich um die Fertigstellung meiner Ezechiel-Auslegung, die ich in Laon begonnen hatte. Sie fand so viel Anerkennung bei den Lesern, daß sie meinten, ich hätte in der Theologie nicht weniger Zustimmung erworben als zuvor, wie man wußte, in der Philosophie. Durch meine Tätigkeit in beiden Fächern wuchsen meine Schülerzahlen nun um ein Vielfaches. Auch Du wirst vom Hörensagen wissen, welche finanziellen Gewinne und welchen Ruhm mir das einbrachte. Aber der Erfolg macht törichte Leute immer hochmütig. Weltliches Zufriedenheitsgefühl schwächt die Kraft des Geistes und kann sie durch sexuelle Verlockungen leicht untergraben. Und da ich mir schon einbildete, der einzige noch existierende Philosoph auf der Welt zu sein, und keine Erschütterungen mehr fürchtete, begann ich, die Zügel der sexuellen Lust lascher zu führen - bislang hatte ich äußerst enthaltsam gelebt. Meine Leistungen auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie waren beträchtlich; umso grösser war die Diskrepanz, die sich zwischen mir und den Philosophen und Theologen angesichts meines schmutzigen Lebenswandels auftat. Es ist ja bekannt, daß sich die Philosophen und vor allem die Theologen, also diejenigen, die auf die Gebote der Bibel achten, besonders durch den schönen Vorzug der Enthaltsamkeit ausgezeichnet haben. Ich war an Hochmut und Wollust schwer erkrankt, und daher verabreichte mir die göttliche Gnade eine Medizin gegen beide Krankheiten, obwohl ich das nicht wollte: zuerst gegen die Wollust, später gegen den Hochmut. Sie begegnete meiner Wollust, indem sie mich dessen beraubte, womit ich diesem Laster frönte, und meinem Hochmut, indem sie mich durch das Verbrennen jenes Buches demütigte, auf das ich besonders stolz war - denn mein Hochmut bezog sich in erster Linie auf meine wissenschaftliche Bildung, ganz nach dem Apostelwort: „Wissen bläht auf". Diese beiden Geschichten sollst Du, daran ist mir gelegen, aus den Fakten erfahren und nicht, weniger wahrheitsgetreu, aus Erzählungen Dritter. Ich berichte sie in der Reihenfolge, in der sie sich abspielten.

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

Quia igitur scortorum immunditiam semper abhorrebam et 235 ab accessu et frequentatione nobilium feminarum studii scholaris assiduitate revocabar nec laicarum conversationem multum noveram, prava mihi, ut dicitur, fortuna blandiens commodiorem nacta est occasionem, qua me facilius de sublimitatis huius fastigio prosternerei, immo superbissimum nec acceptae gratiae memorem 240 divina pietas humiliatum sibi vindicaret.

Quomodo in amorem Heloysae lapsus vulnus inde tam mentis quam corporis traxit h

Mo 72

Erat quippe in ipsa civitate Parisius adolescentula quaedam nomine Heloysa, neptis canonici cuiusdam, qui Fulbertus vocabatur, qui eam quanto amplius diligebat, tanto diligentius in omnem, qua poterai, scientiam litterarum promoveri studuerat. Quae cum per faciem non esset infima, per abundantiam litterarum erat suprema. Nam quo bonum hoc, litteratoriae scilicet scientiae, in mulieribus est rarius, eo amplius puellam commendabat et in toto regno nominatissimam fecerat. Hanc igitur omnibus circumspectis, quae amantes allicere soient, commodiorem censui in amorem mihi copulare et me id facillime credidi posse. Tanti quippe tunc nominis eram et iuventutis et formae gratia praeminebam, ut, quamcumque feminarum nostro dignarer amore, nullam vererer repulsam. Tanto autem facilius hanc mihi puellam consensuram credidi, quanto amplius eam litterarum scientiam et habere et diligere noveram; nosque etiam absentes scriptis internuntiis invicem liceret praesentare et pleraque audacius scribere quam colloqui et sic semper iocundis interesse colloquiis.

In huius itaque adolescentulae amorem totus inflammatus 260 occasionem quaesivi, qua eam mihi domestica et cotidiana conversatione familiarem efficerem et facilius ad consensum traherem. Quod quidem ut fieret, egi cum praedicto puellae h

TB] om. A

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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Vor der Unreinheit der Prostituierten habe ich immer Ekel empfunden. Vornehme Frauen habe ich wegen meiner zeitaufwendigen gelehrten Studien kaum getroffen und gesprochen, und auch mit gewöhnlichen Frauen der Laienwelt hatte ich nur selten Umgang. Das machte es besonders einfach für die mir schlecht gesonnene, schmeichlerische Glücksgöttin, wie man so sagt, eine Gelegenheit zu finden, mich vom Gipfel der Erhabenheit hinabzustoßen - oder anders ausgedrückt: der göttlichen Liebe eine Gelegenheit zu geben, mich, den überstolzen und für die empfangene Gnade undankbaren Mann, gedemütigt zu sich zurückzuholen. Es lebte damals in der Stadt Paris eine junge Frau mit dem Namen Heloise, die Nichte eines Kanonikers, der Fulbert hieß. Er hatte sie sehr ins Herz geschlossen und bemühte sich deshalb mit viel Eifer darum, sie so umfassend wie möglich in den Wissenschaften ausbilden zu lassen. Sie war vom Aussehen her durchaus nicht zu verachten, in ihrer ungeheuren Bildung aber übertraf sie alle anderen Frauen. Diese gute Eigenschaft der wissenschaftlichen Bildung findet sich selten bei Frauen. Umso mehr empfahl sie Heloise, die dadurch im ganzen Reich zu einer Berühmtheit geworden war. An dieser jungen Frau erblickte ich alles, was Verehrer anzulocken pflegt, und ich beschloß, mit ihr eine schöne Liebesbeziehung zu beginnen. Es war meine Überzeugung, daß mir das ganz leicht gelingen würde: Ich war damals so berühmt und von so jugendlichem Alter und gutem Aussehen, daß ich keine Zurückweisungen fürchtete, wenn ich eine Frau meiner Liebe für wert hielt - mochte sie sein, wer sie wollte. Diese junge Frau, glaubte ich, würde mir umso eher ihre Einwilligung geben, da sie, wie ich wußte, gebildet war und die Wissenschaften schätzte. Es würde uns möglich sein, mit der Hilfe von Briefen einander nahe zu sein, auch wenn wir getrennt wären. In Briefen würden wir vieles gewagter ausdrücken können als im direkten Austausch und auf diese Weise immer in herrliche Gespräche verwickelt sein. Völlig in Liebe zu dieser jungen Frau entflammt, suchte ich nach einer Gelegenheit, sie mir durch täglichen Umgang in ihrem Haus vertrauter zu machen und sie leichter zur Einwilligung zu bringen. Zu diesem Zweck habe ich mit dem schon genannten Onkel der jungen Frau verhandelt, wobei einige seiner Freunde

Seine Liebe zu Heloise und die anschließende Verwundung an Geist und K ö r p e r

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

avunculo quibusdam ipsius amicis intervenientibus, quatenus me in domum suam, quae scholis nostris próxima erat, sub quocumque procurationis pretio susciperet, hanc videlicet occasionem praetendens, quod Studium nostrum domestica nostrae familiae cura plurimum praepediret et impensa nimia nimium me gravaret. Erat autem cupidus ille valde atque erga neptim suam, ut amplius semper in doctrinam proficeret litteratoriam, plurimum studiosus. Quibus quidem duobus facile eius assensum assecutus sum et, quod optabam, obtinui, cum ille videlicet et ad pecuniam totus inhiaret et neptim suam ex doctrina nostra aliquid percepturam crederet. Super quo vehementer me deprecatus, supra quam sperare praesumerem, votis meis accessit et amori consuluit, eam videlicet totam nostro magisterio committens, ut, quotiens mihi a scholis reverso vacaret, tam in die quam in nocte ei docendae operam darem et eam, si negligentem sentirem, vehementer constringerem. In qua re quidem quanta eius simplicitas esset, vehementer admiratus non minus apud me obstupui, quam si agnam teneram famelico lupo committer«. Qui cum eam mihi non solum docendam, verum etiam vehementer constringendam traderet, quid aliud agebat, quam ut votis meis licentiam penitus daret et occasionem, etiam si nollemus, offerret, ut, quam videlicet blanditiis non possem, minis et verberibus facilius flecterem. Sed duo erant, quae eum maxime a turpi suspicione revocabant, amor videlicet neptis et continentiae meae fama praeter ita.

Mo 73

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Quid plura? Primum domo una coniungimur, postmodum animo. Sub occasione itaque disciplinae amori penitus vacabamus, et secretos recessus, quos amor optabat, Studium lectionis 290 offerebat. Apertis itaque libris plura de amore quam de lectione verba se ingerebant, plura erant oscula quam sententiae, saepius ad sinus quam ad libros reducebantur manus, crebrius oculos amor in se reflectebat quam lectio in scripturam dirigebat.

Abaelards Trostbrief an seinen Freund

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vermittelten: Er möge mich in sein Haus, das ganz in der Nähe meiner Schule lag, zu einem beliebigen Mietpreis aufnehmen. Ich schob die Begründung vor, daß meine gelehrten Arbeiten durch den eigenen Haushaltsbetrieb stark gestört würden und mich die großen Ausgaben allzu sehr belasteten. Der Onkel war ausgesprochen geldgierig und außerdem sehr darauf bedacht, daß seine Nichte in ihren wissenschaftlichen Kenntnissen ständig Fortschritte machte. Aus diesen beiden Gründen bekam ich ohne weiteres seine Zustimmung: Ich erhielt, was ich wünschte, weil dieser Mann nach Geld lechzte und weil er glaubte, daß seine Nichte etwas von meiner Bildung lernen könne. Darüberhinaus ist er, was ich gar nicht zu hoffen gewagt hatte, meinen Wünschen noch entgegengekommen: Er ebnete meiner Liebe den Weg, indem er seine Nichte ganz meiner Erziehung überließ, denn er bat mich inständig, ihr Tag und Nacht, wann immer ich nach meiner Rückkehr von der Schule Zeit hätte, Unterricht zu geben und sie streng zu bestrafen, falls sie mir unaufmerksam schiene. Ich konnte kaum glauben, welche Naivität der Mann in dieser Sache an den Tag legte. Wenn er ein zartes Lamm einem hungrigen Wolf anvertraut hätte, wäre ich nicht weniger erstaunt gewesen. Denn er übergab mir seine Nichte ja nicht nur zur Belehrung, sondern auch zur kräftigen Züchtigung - und was tat er da anderes, als meinen Wünschen völlige Freiheit zu geben. Außerdem verschaffte er mir, ob ich es wollte oder nicht, die Möglichkeit, seine Nichte mit Drohungen und Schlägen gefügig zu machen, falls ich mit Schmeicheln nichts erreichen sollte. Aber er vermutete einfach keine unmoralischen Absichten, und das vor allem aus zwei Gründen: weil er seine Nichte liebte, und weil mir bislang der Ruf der Enthaltsamkeit vorausgegangen war. Was soll ich lang erzählen? Zunächst ist es das Haus, das uns vereinigt, dann das Herz. Unter dem Vorwand des Unterrichts gaben wir uns ganz der Liebe hin. Die wissenschaftliche Lektüre bot uns jene stillen Rückzugsmöglichkeiten, die sich die Liebe wünschte. Waren die Bücher aufgeschlagen, wurden mehr Worte über die Liebe als über den Lesestoff gewechselt, gab es mehr Küsse als Sätze, wanderten die Hände öfter zum Busen als zu den Büchern, spiegelte die Liebe häufiger die Augen ineinander, als

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Abaelardi ad amicum suum consolatoria

Quoque minus suspicionis haberemus, verbera quandoque dabat 2« amor, non furor, gratia, non ira, quae omnium unguentorum suavitatem transcenderent. Quid denique? Nullus a cupidis intermissus est gradus amoris et, si quid insolitum amor excogitare potuit, est additum. Et quo minus ista fueramus experti gaudia, ardentius illis insistebamus, et minus in fastidium verte- 300 bantur.

Et quo me amplius haec voluptas occupaverat, minus philosophiae vacare poteram et scholis operam dare. Taediosum mihi vehementer erat ad scholas procedere vel in eis morari, pariter et laboriosum, cum nocturnas amori vigilias et diurnas studio 305 conservarem. Quem etiam ita negligentem et tepidum lectio tunc habebat, ut iam nihil ex ingenio, sed ex usu cuncta proferrem, nec iam nisi recitator pristinorum essem inventorum, et, si qua invenire liceret, carmina essent amatoria, non philosophiae secreta. Quorum etiam carminum pleraque adhuc in multis, sicut 310 et ipse nosti, frequentantur et decantantur regionibus ab his maxime, quos vita similis oblectat. Quantam autem maestitiam, quos gemitus, quae lamenta nostri super hoc scholares assumèrent, ubi videlicet hanc animi mei occupationem, immo perturbationem praesenserunt, non est facile vel cogitare. 315

Paucos enim iam res tam manifesta decipere poterat ac neminem, credo, praeter eum, ad cuius ignominiam maxime id spectabat, ipsum videlicet puellae avunculum. Cui quidem hoc cum a nonnullis nonnumquam suggestum fuisset, credere non poterat tum, ut supra memini, propter immoderatam suae neptis amici- 320 tiam, tum etiam propter ante actae vitae meae continentiam cognitam. Non enim facile de his, quos plurimum diligimus, turpitudinem suspicamur, nec in vehementi dilectione turpis suspicionis labes potest inesse. Unde et illud est beati Ieronimi in epistola ad Castricianum: „Solemus mala domus nostrae scire 325

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daß die Lektüre sie auf die Schrift gelenkt hätte. Um weniger verdächtig zu erscheinen, setzte es hin und wieder Schläge, und zwar aus Liebe, nicht aus Wut, aus Zuneigung, nicht aus Zorn - Schläge, die die Süße aller Salben übertrafen. Und was kam dann? Keine Stufe der Liebe wurde von den Begehrenden ausgelassen, und wenn sich die Liebe noch irgendetwas Ungewöhnliches ausdenken konnte, wurde es ausprobiert. Je weniger Erfahrung wir in diesen Freuden hatten, desto brennender hielten wir an ihnen fest, ohne ihrer überdrüssig zu werden. Die Lust ergriff immer mehr Besitz von mir, was dazu führte, daß ich weniger Zeit und Arbeit in Philosophie und Lehre stekken konnte. Es war mir höchst lästig, zur Schule zu gehen und mich dort aufzuhalten. Außerdem war es auch anstrengend, die nächtlichen Stunden für die Liebe und die täglichen für die Arbeit zu reservieren. Ich wurde ein ganz nachlässiger und matter Lehrer, dessen gesamter Vortrag sich auf Routine statt auf Einfälle stützte, und beschränkte mich auf die Wiedergabe früherer Ideen. Wenn ich überhaupt etwas produzierte, dann waren das Liebeslieder, keine philosophischen Offenbarungen. Die meisten dieser Lieder werden, wie Du selbst weißt, immer noch in vielen Gegenden verbreitet und gesungen, vor allem von denjenigen, die ein ähnliches Leben genießen. Allerdings: welche Trauer, welches Klagen und Jammern sich unter meinen Studenten verbreitete, als sie die Ablenkung meines Geistes, oder besser gesagt seine Verwirrung spürten, das kann man sich kaum vorstellen. Eine so offensichtliche Angelegenheit konnte nur wenigen Menschen verborgen bleiben, eigentlich niemandem, scheint mir, außer demjenigen, dessen Ansehen am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde: dem Onkel der jungen Frau selbst. Ihm war die Sache zwar mehrfach von verschiedenen Personen zugetragen worden, er konnte sie aber nicht glauben, und zwar aus den schon genannten Gründen: weil er seine Nichte übermäßig liebte, und weil ich bisher für mein enthaltsames Leben bekannt war. Es fällt uns nämlich nicht leicht, unmoralisches Verhalten bei denen zu vermuten, die wir über alles lieben. Der Makel eines schlimmen Verdachts kann sich bei heftiger Liebe nicht festsetzen. Hieronymus drückt das in seinem Brief an Castrician so aus: „Gewöhnlich

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novissimi ac liberorum ac coniugum vitia vicinis canentibus ignorare." 6 Sed quod novissime scitur, utique sciri quandoque contingit, et quod omnes deprehendunt, non est facile unum latere. Sic itaque pluribus evolutis mensibus et de nobis accidit. O quantus in hoc cognoscendo dolor avunculi! Quantus in 330 separatione amantium dolor ipsorum! Quanta sum erubescentia confusus! Quanta contritione super afflictione puellae sum afflictus! Quantos maeroris ipsa de verecundia mea sustinuit aestus! Neuter quod sibi, sed quod alteri contigerat querebatur; neuter sua, sed alterius plangebat incommoda. Separado autem 335 haec corporum maxima erat copulatio animorum, et negata sui copia amplius amorem accendebat, et verecundiae transacta iam passio inverecundiores reddebat; tantoque verecundiae minor exstiterat passio, quanto convenientior videbatur actio. Actum itaque in nobis est, quod in Marte et Venere deprehensis poetica 340 narrai fabula.

Non multo autem post puella se concepisse comperit et cum summa exsultatione mihi super hoc ilico scripsit consulens, quid de hoc ipse faciendum deliberarem. Quadam itaque nocte avunculo eius absente, sicut nos condixeramus, eam de domo avunculi 345 furtim sustuli et in patriam meam sine mora transmisi, ubi apud sororem meam tamdiu conversata est, donec pareret masculum, quem Astralabium nominavit. Avunculus autem eius post ipsius recessum quasi in insaniam conversus, quanto aestuaret dolore, quanto afficeretur pudore, 350 nemo nisi experiendo cognosceret. Quid autem in me ageret, quas mihi tenderei insidias, ignorabat. Si me interficeret seu in aliquo corpus meum debilitaret, id potissimum metuebat, ne dilectissima neptis hoc in patria mea plecteretur. Capere me et 6

Hieronymus, Epistula 1 4 7 , 10, CSEL 5 6 , S. 3 2 7 (ad Sabinianum)

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sind wir die letzten, die erfahren, was sich an üblen Dingen in unserem Haus zuträgt, und wir wissen auch dann noch nichts von den Lastern der Kinder und Frauen, wenn die Nachbarn schon ein Lied davon singen". Aber was man als letzter erfährt, das erfährt man irgendwann eben doch, und was alle wissen, kann einem einzigen kaum unbekannt bleiben. So geschah es nach Ablauf einiger Monate auch in unserem Fall. Welchen Schmerz bereitete die Erkenntnis dem Onkel, welchen Schmerz die Trennung den Liebenden! Wie groß war die Scham, die mich überwältigte! Wie zerknirscht war ich über das Leiden der jungen Frau! Welche Wellen der Bestürzung trafen Heloise angesichts meiner beschämenden Lage! Keiner von uns beiden beklagte, was ihm selbst, sondern nur was dem anderen passiert war. Keiner betrauerte sein Mißgeschick, sondern nur das des anderen. Die Trennung der Körper hatte einen besonders starken Zusammenhalt der Herzen zur Folge, und es feuerte unsere Liebe nur noch weiter an, daß ihr die Erfüllung verweigert war. Nachdem die Beschämung überwunden war, lebten wir nur noch ungenierter, und je schöner das war, was wir taten, desto geringer war die Q u a l der Scham. So geschah mit uns dasselbe wie in der Erzählung des Dichters mit M a r s und Venus, die auf frischer Tat ertappt wurden. Nur wenig später aber merkte die junge Frau, daß sie schwanger war. In größter Freude schrieb sie mir gleich davon und suchte meinen Rat, was nun meiner Meinung nach zu tun sei. Eines Nachts, als ihr Onkel abwesend war, habe ich sie - das hatten wir so abgesprochen - heimlich aus dem Haus des Onkels entführt und umgehend in meine Heimat gebracht. Dort wohnte sie bei meiner Schwester, bis sie einen Sohn gebar, dem sie den Namen Astralabius gab. Nach ihrem Verschwinden wurde der Onkel geradezu wahnsinnig. Nur wenn man es selbst miterlebt hat, kann man begreifen, wie sehr er von Schmerz und Beschämung gequält wurde. Er war ratlos, was er gegen mich unternehmen, welche Angriffe er gegen mich richten könne. Wenn er mich tötete oder in irgendeiner Weise körperlich verletzte, würde seine heißgeliebte Nichte, das war seine größte Angst, in meiner Heimat dafür büßen. Mich gefangen

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invitum alicubi coercere nullatenus valebat, maxime cum ego 355 mihi super hoc plurimum providerem, quod eum, si valeret vel auderet, citius aggredì non dubitarem. Tandem ego eius immoderatae anxietati admodum compatiens et de dolo, quem fecerat amor, tamquam de summa proditione me ipsum vehementer accusane, conveni hominem supplicando et promittendo, quam- 36o cumque super hoc emendationem ipse constitueret, nec ulli mirabile id videri asserens, quicumque vim amoris expertus fuisset, et qui, quanta ruina summos quoque viros ab ipso statim humani generis exordio mulleres deiecerint, memoria retineret. Atque ut amplius eum mitigarem, supra quam sperare poterat, 3ss obtuli me ei satisfacere, earn scilicet, quam corruperam, mihi matrimonio copulando, dummodo id secreto fieret, ne famae detrimentum incurrerem. Assensit ille et tam sua quam suorum fide et osculis eam, quam requisivi, concordiam mecum iniit, quo me facilius proderet. 370

Dehortatio supradictae puellae a nuptiis

Ilico ego ad patriam meam reversus amicam reduxi, ut uxorem facerem, illa tarnen hoc minime approbante, immo penitus duabus de causis dissuadente, tam scilicet pro periculo quam pro dedecore meo. Iurabat illum nulla umquam satisfactione super hoc placari posse, sicut postmodum cognitum est. Quaerebat etiam, quam de me gloriam habitura esset, cum me ingloriosum efficeret et se et me pariter humiliaret. Quantas ab ea mundus poenas exigere deberet, si tantam ei lucernam auferret; quantae maledictiones, quanta damna ecclesiae, quantae philosophorum lacrimae hoc matrimonium essent secuturae. Quam indecens, quam lamentabile esset, ut, quem omnibus natura creaverat, uni me feminae dicarem et turpitudini tantae subicerem. Detestabatur vehemen-

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zu nehmen und irgendwo gegen meinen Willen festzusetzen, war ihm in keinem Fall möglich, weil ich mich hierin besonders vorsah: Ich würde nicht zögern, ihm mit einem Angriff zuvorzukommen, falls er in die Lage käme und es wagte, gegen mich vorzugehen. Schließlich empfand ich Mitleid mit seiner maßlosen Qual und klagte mich selbst kräftig an - als ob es sich nicht um eine von der Liebe provozierte List, sondern um einen Hochverrat gehandelt hätte. Ich suchte ihn auf, bat um Verzeihung und versprach, jede Wiedergutmachung zu leisten, die er festsetzen würde. Keiner, beteuerte ich, würde die Sache außergewöhnlich finden, der die Macht der Liebe kennengelernt habe und sich daran erinnere, welchen Schaden die Frauen seit der Erschaffung des Menschengeschlechts dadurch angerichtet haben, daß sie die Männer zu Fall bringen, selbst die größten. Und um ihn noch gnädiger zu stimmen, als er eigentlich hoffen konnte, bot ich eine weitere Genugtuung an: die Eheschließung mit der jungen Frau, die ich geschwängert hatte - unter der Bedingung, daß es im Geheimen geschehe, damit mein Ansehen keinen Schaden nehme. Der Onkel stimmte zu. Er gab mir sein Wort und das seiner Familie, und unter Küssen schloß er mit mir den Frieden, den ich erbeten hatte - nur um mich desto leichter zu verraten. Sofort kehrte ich in meine Heimat zurück, um meine Geliebte abzuholen und sie zu meiner Frau zu machen. Bei ihr fand der Plan aber keinerlei Zustimmung. Sie riet aus zwei Gründen dringend davon ab: Er würde mir einerseits Gefahr, andererseits Schande einbringen. Sie schwor, daß keine Genugtuung ihren Onkel in dieser Sache jemals friedlich stimmen könne - und das bewahrheitete sich später. Sie gab auch zu bedenken, welches Ansehen sie denn selbst durch mich gewinnen könne, wenn sie doch gleichzeitig mein Ansehen herabsetze und sich selbst wie mich blamiere; welche Strafen ihr die Welt auferlegen müßte dafür, daß sie ihr eine so bedeutende Lichtquelle stehle; welche Verfluchungen, welche Schäden für die Kirche, welche Philosophen-Tränen diese Ehe nach sich ziehen würde; wie unschicklich, wie beklagenswert es wäre, wenn sich ein Mann wie ich, den die Natur geschaffen hat, um vielen zu nutzen, einer einzigen Frau weihen und einer solchen Schande unterwerfen würde. Heloise

Der W a r n u n g der erwähnten jungen Frau v o r der Eheschließung

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ter hoc matrimonium, quod mihi per omnia probrosum esset atque onerosum. Praetendebat infamiam mei pariter et difficultates matrimonii, ad quas quidem vitandas nos exhortans Aposto- 3ss lus ait: „Solutus es ab uxore? Noli quaerere uxorem. Si autem acceperis uxorem, non peccasti, et si nupserit virgo, non peccabit. Tribulationem tarnen carnis habebunt huiusmodi. Ego autem parco vobis, etc." Item: „Volo autem vos sine sollicitudine esse, etc." 7 Quod si nec Apostoli consilium nec sanctorum exhortationes de tanto matrimonii iugo susciperem, saltern, inquit, philosophos consulerem et, quae super hoc ab eis vel de eis scripta sunt, attenderem. Quod plerumque etiam sancti ad increpationem nostram diligenter faciunt. Quale illud est beati Iheronimi in primo ,Contra Iovinianum', ubi scilicet commémorât Theophrastum intolerabilibus nuptiarum molestiis assiduisque inquietudinibus ex magna parte diligenter expositis uxorem sapienti non esse ducendam evidentissimis rationibus astruxisse, ubi et ipse illas exhortationis philosophicae rationes tali fine concludens: „ H o c " , inquit, „et huiusmodi Theophrastus disserens, quem non suffundat Christianorum, etc." Idem in eodem: „Cicero", inquit, „rogatus ab Hircio, ut post repudium Therenciae sororem eius ducerei, omnino facere supersedit dicens non posse se et uxori et philosophiae operam pariter dare." 8 Non ait: „operam dare", sed adiunxit: „pariter", nolens quicquam agere, quod studio aequaretur philosophiae.

Ut autem hoc philosophici studii nunc omittam impedimentum, ipsum consule honestae conversationis statum. Quae

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I Cor 7 , 2 7 - 2 8 u. 3 2 Hieronymus, Adversus Jovinianum, I, 4 8 , Patr. lat. 2 3 , Sp. 2 7 8 C

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hatte eine starke Abscheu gegen diese Ehe, die sie ganz und gar unwürdig und belastend für mich fand. Sie stellte mir meinen Ansehensverlust vor Augen und beschrieb zugleich die Schwierigkeiten der Ehe, die der Apostel Paulus uns zu meiden aufruft: „Bist Du ohne Bindung an eine Ehefrau, dann suche nicht nach einer. Wenn Du aber eine Frau heiratest, sündigst Du nicht. Und wenn eine Jungfrau heiratet, sündigt sie nicht. Trotzdem werden solche Leute sexuelle Versuchung spüren. Ich aber möchte Euch schonen usw." Und weiter: „Ich möchte, daß Ihr ohne Sorge seid usw." Wenn ich schon nicht, argumentierte Heloise, auf den Rat des Apostels und auf die mahnenden Worte der Kirchenväter über das schwere Joch der Ehe hören wolle, so solle ich doch wenigstens bei den Philosophen Rat suchen und auf das achten, was zu diesem Thema von ihnen oder über sie geschrieben wurde. Schließlich haben das zu unserer Ermahnung auch die Kirchenväter schon ausgiebig getan. Davon zeugt zum Beispiel die Stelle bei Hieronymus im ersten Buch ,Gegen Jovinian', wo er Theophrast erwähnt. Dieser habe nach ausführlicher Darlegung all der unerträglichen Belastungen und der ständigen Sorgen, die die Ehe mit sich bringt, mit höchst einleuchtenden Argumenten gezeigt, daß ein weiser Mann nicht heiraten dürfe. Und Hieronymus fügt an die mahnenden Argumente des Philosophen die Schlußbemerkung an: „So hat sich Theophrast geäußert - welchen Christen sollte das nicht beschämen? usw." Und im gleichen Buch schreibt Hieronymus: „Cicero wurde von Hyrtius gefragt, ob er nicht nach der Scheidung von Terentia die Schwester des Hyrtius zur Frau nehmen wolle. Cicero entzog sich dieser Angelegenheit gänzlich mit den Worten, er könne sich nicht zugleich mit einer Frau und mit Philosophie beschäftigen." Er sagt nicht: „beschäftigen", sondern „zugleich beschäftigen"; er wollte nichts tun, was einen ähnlichen Einsatz erforderte wie die Philosophie. Um aber nicht mehr von dieser Behinderung philosophischer Studien zu reden: Bedenke, wie wichtig eine anständige Lebensführung ist. Denn was ist das für ein Aufeinandertreffen: Gelehr-

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enim conventio scholarium ad pedissequas, scriptoriorum ad cunabula, librorum sive tabularum ad colos, stilorum sive 410 calamorum ad fusos? Q u i s denique sacris vel philosophicis meditationibus intentus pueriles vagitus, nutricum, quae hos mitigant, nenias, tumultuosam familiae tarn in viris quam in feminis tur bam sustinere poterit? Q u a e etiam inhonestas illas parvulorum sordes assiduas tolerare valebit? Id, inquies, divites 41s possunt, quorum palada vel domus amplae deversoria habent, quorum opulentia non sentit expensas nec cotidianis sollicitudinibus cruciatur. Sed non est, inquam, haec condicio philosophorum quae divitum, nec qui opibus student vel saecularibus implicantur curis, divinis seu philosophicis vacabunt officiis. 420

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Unde et insignes olim philosophi' mundum maxime contemnentes nec tam relinquentes saeculum quam fugientes omnes sibi voluptates interdixerunt, ut in unius philosophiae requiescerent amplexibus. Q u o r u m unus et maximus Seneca Lucilium instruens ait: „ N o n cum vacaveris philosophandum est. Omnia negligenda 425 sunt, ut huic assideamus, cui nullum tempus satis magnum est. N o n multum refert, utrum omittas philosophiam an intermitías. N o n enim, ubi interrupta est, manet. Resistendum est occupationibus, nec explicandae sunt, sed submovendae." 9

Q u o d nunc igitur apud nos amore Dei sustinent, qui vere 430 monachi dicuntur, hoc desiderio philosophiae, qui nobiles in gentibus exstiterunt philosophi. In omni namque populo, tam gentili scilicet quam iudaico sive christiano, aliqui semper exstiterunt fide seu morum honestate ceteris praeminentes et se a coni. d'Amboise] philosophos TA BRDY, philosophorum CEF Seneca, Epistulae ad Lucilium, Vili, 72, 3

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te mit Haushaltshilfen, Arbeitszimmer mit Wiege, Bücher und Schreibtafeln mit Wollknäuel, Stift und Federhalter mit Spinnrad! Welcher Mann, der sich in theologische und philosophische Studien vertieft, könnte Kindergeschrei aushalten, dazu die Lieder der Erzieherinnen, welche die Kinder besänftigen, und die ganze laute Menge der weiblichen und männlichen Mitglieder eines großen Haushaltes? Und selbst welche niedrige Gesinnung könnte den dauernden Schmutz von Kindern ertragen? Reiche Leute können das, wirst Du sagen. Ihre Paläste und weitläufigen Häuser haben Schlupfwinkel, ihr Reichtum spürt die teuren Ausgaben und die quälenden Alltagssorgen nicht. Das aber, sage ich, ist die Lage der Reichen, nicht der Philosophen. Wer sich mit Finanzdingen beschäftigt und in weltliche Sorgen verstrickt ist, wird für theologische und philosophische Aufgaben keine Zeit haben. Und darum haben die bedeutenden Philosophen der Vergangenheit die Welt zutiefst verachtet, haben sie nicht nur verlassen, sondern sind geradezu vor ihr geflüchtet. Sie haben sich selbst jede Lust verboten, um in den Armen einer einzigen Ruhe zu finden: der Philosophie. Einer dieser Philosophen, der größte, Seneca, gibt Lucilius folgende Unterweisung: „Man soll nicht nur in der Freizeit philosophieren. Wir müssen alles andere vernachlässigen, um uns dem widmen zu können, wofür gar nicht genug Zeit sein kann. Es macht keinen großen Unterschied, ob Du das Philosophieren abbrichst oder es nur unterbrichst; denn es bleibt nicht dort stehen, wo es unterbrochen ist. Man muß gegen ablenkende Beschäftigungen Widerstand leisten; es geht nicht darum, sie hinter sich zu bringen, sondern sie ganz von sich fernzuhalten." Was heutzutage bei uns die Mönche - jedenfalls diejenigen, die diese Bezeichnung verdienen - aus Liebe zu Gott auf sich nehmen, das taten bei den Heiden die besten Philosophen im Verlangen nach Philosophie. Denn in jedem Volk, sei es ein heidnisches, jüdisches oder christliches, hat es immer Personen gegeben, die durch ihren Glauben oder durch den Anstand ihres Charakters ihre Mitmenschen überragten und sich durch außer-

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populo aliqua continentiae vel abstinentiae singularitate segre- «5 gantes. Apud lúdeos quidem antiquitus Nazarei, qui se Domino secundum legem consecrabant, sive filii prophetarum, Helye vel Helysei sectatores, quos beato attestante Iheronimo monachos legimus in veteri Testamento. 1 0 Novissime autem tres illae philosophiae sectae, quas Iosephus in libro ,Antiquitatum' distinguens «0 alios Phariseos, alios Saduceos, alios nominai Esseos. 11 Apud nos vero monachi, qui videlicet aut communem apostolorum vitam aut priorem illam et solitariam Iohannis imitantur. Apud gentiles autem, ut dictum est, philosophi; non enim ,sapientiae' vel ,philosophiae' nomen tam ad scientiae perceptionem quam ad vitae «s religionem referebant, sicut ab ipso etiam huius nominis ortu didicimus ipsorum quoque testimonio sanctorum. Unde et illud est beati Augustini octavo ,De civitate dei' libro, genera quidem philosophorum distinguentis: „Italicum genus auctorem habuit Phitagorem Samium, a quo et fertur ipsum ,philosophiae' nomen «0 exortum. Nam cum antea sapientes appellarentur, qui modo quodam laudabilis vitae aliis praestare videbantur, iste interrogatus, quid profiteretur, philosophum se esse respondit, id est studiosum vel amatorem sapientiae, quoniam sapientem profiteri arrogantissimum videbatur." 1 2 Hoc itaque loco cum dicitur: „qui 455 modo quodam laudabilis vitae aliis praestare videbantur etc.", aperte monstratur sapientes gentium, id est philosophos, ex laude vitae poti us quam scientiae sic esse nominatos. Quam sobrie autem atque continenter ipsi vixerint, non est nostrum modo ex exemplis colligere, ne Minervam ipsam videar docere. Abaelard, Hist, calam., Z. 4 2 0 (Monfrin Z. 4 8 1 - 4 8 2 ) . 28

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samkeitsthema durchzieht die gesamte Heloisenrede: Die antiken Philosophen untersagten sich selbst alle „sinnlichen Vergnügungen" (voluptates); die Nasiräer, die jüdischen Gelehrten, die Mönche zeichneten sich allesamt durch „Enthaltsamkeit" (continentia) aus; das continenter vivere der heidnischen Philosophen sei Abaelard so bekannt, daß Heloise es nicht noch einmal gesondert schildern möchte. Die Eheschließung würde ein enthaltsames Leben Abaelards unmöglich machen, und deshalb lehnt Heloise sie ab. Welche Art von Beziehung sie sich stattdessen vorstellt, ist nicht eigentlich Thema ihrer Rede und wird nur in einigen kurzen Schlußsätzen angesprochen. Es gibt nur wenige Positionen, die ihr am Ende der Rede noch offen stehen: Heloise kann für eine enthaltsame Beziehung plädieren oder für eine völlige Trennung - beide Alternativen würden angesichts des gemeinsamen Kindes drastische Änderungen ihres Lebens bedeuten. Sie sieht aber noch eine dritte Möglichkeit: amica („Freundin") und nicht uxor („Frau") genannt zu werden, so daß Abaelard nur durch gratia („Neigung"), nicht durch die Ehe an sie gebunden sei.31 Über die Frage der Enthaltsamkeit schweigt sie an dieser Stelle, scheint aber an eine Fortführung der bisherigen sexuellen Beziehung zu denken. Heloise plädiert also gleichzeitig für ein enthaltsames Philosophenleben und eine Fortführung ihrer ehelosen, aber sexuellen Verbindung. Das kann nur heißen, daß ihr eigentlicher Widerstand dem offiziellen und häufigen Vollzug des Geschlechtsverkehrs in der Ehe gilt und daß sie die gelegentliche sexuelle Beziehung (rariora gaudia)32 für weit weniger anstößig, für das geringere Übel hält. Es ist daher irreführend, in der Heloisenrede ein Plädoyer für die freie Liebe33 31 32 33

Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 4 7 7 ^ 7 9 (Monfrin Z . 5 4 7 - 5 4 9 ) . Abaelard, Hist, calarti., Ζ . 4 8 0 f . (Monfrin Ζ . 5 5 1 ) . Dies ist eine sehr gängige Interpretation. Vgl. z.B. Philippe Delhaye, Le Dossier Anti-Matrimonial de l'Adversus Jovinianum et Son Influence sur Quelques Ecrits Latins du XII e Siècle, in: Mediaeval Studies 1 3 ( 1 9 5 1 ) , S. 7 5 ( „ l ' a m o u r libre"), und Hubert Silvestre, Die Liebesgeschichte zwischen Abaelard und Heloise: der Anteil des R o m a n s , in: Fälschungen im Mittelalter, Bd. 5, Fingierte Briefe; Frömmigkeit und Fälschung; Realienfälschungen (Schriften der M o n u m e n t a Germaniae Histórica 3 3 ) , H a n n o ver 1 9 8 8 , S. 1 2 8 - 1 2 9 .

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und ein Aufbegehren gegen christliche Keuschheitsvorschriften 34 zu sehen, denn der Ton der gesamten Rede ist sexualitätsfeindlich. Abaelard piaziert in der Heloisenrede die Schlagworte einer zölibatären Lebensform, die am Anfang des 12. Jahrhunderts noch äußerst umstritten war. Papst Gregor VII. und seinen Nachfolgern war es noch nicht gelungen, die Lebensweise der Priester entscheidend zu ändern. Der verheiratete Klerus reagierte mit passivem Widerstand, mit Bestechung oder, wie in Rouen, mit Gewalt. Und es gab weiterhin berühmte und mächtige Klerikerdynastien, insbesondere in England. 3 5 Allerdings hatte die päpstliche Propaganda das Enthaltsamkeitsideal so weit in der Öffentlichkeit verbreitet, daß verheiratete Priester von ihren Gemeinden Ablehnung zu erwarten hatten und mit Eingriffen der Landesfürsten rechnen mußten. Teile des Adels hatten ein Interesse an der Durchsetzung des Zölibats, weil es die Dynastiebildung zum Privileg ihres eigenen Standes werden ließ. 36 Obwohl Abaelard den neuen monastischen Strömungen, den Zisterziensern, den Prämonstratensern und der Sonderform der Regularkanoniker provokant ablehnend gegenüberstand, 37 griff er doch die Thematik der Abgeschiedenheit (solitudo), der Enthaltsamkeit (continentia) und sogar auch die der Armut (paupertas) auf und spielte sie geschickt für seine eigenen Zwecke aus. Auch Abaelard arbeitete in Richtung einer kulturell klar abgegrenzten, zölibatären Kaste. Der Abaelardsche Abgrenzungsdiskurs verzichtet allerdings auf einige wichtige Punkte der gregorianischen Reformer. Die kultische Reinheit der Priester, ihre

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Deborah Fraioli, The importance of satire in Jerome's Adversus Jovinianum as an argument against the authenticity of the Historia calamitatum, in: Fälschungen im Mittelalter (wie Anm. 33), S. 1 9 7 : „Heloise is rejecting the precept of Christian chastity". Anne L. Barstow, Married Priests and the Reforming Papacy. The Eleventh-Century Debates, New Y o r k / T o r o n t o 1 9 8 2 , S. 88; Christopher N.L. Brooke, The Medieval Idea of Marriage, Oxford 1 9 8 9 , S. 8 4 - 8 9 . Vgl. Georges Duby, Ritter, Frau und Priester. Die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt a.M. 1 9 8 5 , S. 1 3 5 . Jürgen Miethke, Abaelards Stellung zur Kirchenreform. Eine biographische Studie, Francia 1 ( 1 9 7 3 ) , S. 1 5 8 - 1 9 2 , bes. S. 1 5 9 - 1 6 0 , 1 6 7 - 1 7 0 , 187-188.

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Unbeflecktheit, die Beschmutzung ihrer Hände durch die Berührung des weiblichen Körpers, Hände, die auch das Blut und den Leib Christi berühren 38 - diese Rhetorik vermeidet Abaelard weitgehend. Stattdessen ist auffällig an seinem Modell, daß er anders als alle anderen Propagandisten die Lebensform der antiken Philosophen ebenso für sich in Anspruch nimmt wie die der alttestamentlichen Prophetenjünger und der christlichen Mönche. Wissenschaft und Enthaltsamkeit, Gelehrte, die den Eindruck von Eremiten machen - eremitae magis quam scholares videbantur, heißt es von Abaelards Schülern im Paraklet 39 - , das sind die Ideale, welche Abaelard, der Meister kultureller Codes seiner Zeit, aus einer christlich unbestreitbaren Autorität, dem Kirchenvater Hieronymus, zitiert. 40 Er tut das nicht nur in der Heloisenrede. In der ,Theologia Christiana', die in den 1120er Jahren, also vor der ,Historia calamitatum' entstand, ist das Ideal einschließlich aller Paulusund Hieronymuszitate bereits ganz ausgeführt. 41 Diese in der Forschung schon lange bekannten wörtlichen Parallelen zu Abaelards ,Theologia' 4 2 bestätigen den oben gewonnenen Eindruck, daß die ,Historia calamitatum' Züge einer Programmschrift trägt und an das gelehrte Umfeld Abaelards, seine Gegner und Parteigänger, gerichtet war (ebenso wie die apologetischen Passagen, die dem Vorwurf der Ketzerei begegnen). Die Verknüpfung der ,Historia calamitatum' mit den Briefen von und an Heloise zu einem ,Parakletbuch' war sicher nicht Abaelards ur38

Vgl. Petrus Damiani, De celibatu sacerdotum, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 1 4 5 ) , Paris 1 8 5 3 , Sp. 3 8 5 . Vgl. Barstow, M a r r i e d Priests (wie Anm. 3 5 ) , S. 5 9 - 6 0 .

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Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 9 4 7 - 9 4 8 (Monfrin Z . 1 0 9 2 - 1 0 9 3 ) . Vgl. Delhaye, Le Dossier Anti-Matrimonial (wie A n m . 3 3 ) , S. 6 5 - 8 6 . A b a e l a r d , T h e o l o g i a Christiana, hg. von Eligius M . Buytaert (Petri Abaelardi O p e r a theologica 2 ) , T u r n h o u t 1 9 6 9 , S. 1 7 0 - 1 7 7 . Die Parallelen sind schon von Schmeidler und M ü c k l e gesehen worden: vgl. Bernhard Schmeidler, Der Briefwechsel zwischen Abälard und Heloise eine Fälschung?, in: Archiv für Kulturgeschichte 11 ( 1 9 1 4 ) , S. 2 1 - 2 3 , und J o seph T . Mückle, Abelard's Letter of Consolation to a Friend (Historia calamitatum), in: Mediaeval Studies 1 2 ( 1 9 5 0 ) , S. 1 7 3 - 1 7 4 . Z u m K o n t e x t der Forschungsgeschichte vgl. Peter v. M o o s , Mittelalterforschung und Ideologiekritik. Der Gelehrtenstreit um Héloise, München 1 9 7 4 , S. 7 9 - 8 0 .

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sprüngliche Absicht. Leider sagen die Quellen sehr wenig über die Pariser Jahre Abaelards, die auf die Abfassung der ,Historia calamitatum' folgen, so daß sich die Zirkulation ihrer Programmatik nicht erforschen läßt. Die kulturwissenschaftliche Analyse kann also zeigen, daß Abaelard in der ,Historia calamitatum' im besonderen Maße soziale Praktiken der Zeit aufgreift, umdeutet und seinen Anhängern zur Umsetzung in gesellschaftliche Praxis empfiehlt. Sie kann aber auch die eigenartige Form der Darstellung verstehen helfen, die Abaelard der neuen Lebensform in der Heloisenrede gibt: die unsanfte Verbindung von indirekter Rede, langen Zitaten und wörtlicher Rede, die Kombination ganz unterschiedlicher Argumente - gesellschaftlicher, persönlicher, religiöser, philosophischer, kirchlicher - gegen die Ehe. Der Schlüssel zum Verständnis der Heloisenrede liegt in einer alternativen Version, die der sogenannte zweite Brief des Briefwechsels bietet, in der Heloise auf die ,Historia calamitatum' antwortet. Eine Stelle dieses Briefes nimmt ausdrücklich auf die Heloisenrede Bezug: Heloise tadelt, daß Abaelard die meisten Gründe verschwiegen habe (plerisque tacitis), mit denen sie ihn von der Eheschließung abbringen wollte. Es ist mit mehr oder weniger gewichtigen Gründen bezweifelt worden, ob dieser Brief wirklich von Heloise stammt. Woran man nicht zweifeln kann, sind die offensichtlichen Diskrepanzen in der Darstellung der Ehedebatte. Wer auch immer die Quelle der Darstellung im zweiten Brief war, sie präsentiert eine andere Geschichte. Der heterogene Charakter von Abaelards Heloisenrede, so wird sich zeigen, beruht darauf, daß weder Abaelard noch Heloise zur Zeit ihrer Eheschließung vom Ideal einer enthaltsam-philosophischen Lebensform überzeugt waren. 15 Jahre danach, zur Zeit der Abfassung der ,Historia calamitatum', strebte die kirchliche Zölibatskampagne und der damit einhergehende langsame kulturelle Wandel einem Höhepunkt zu, und aus dem mehr weltlichen als geistlichen Paar Abaelard und Heloise waren klerikale Reformer geworden. Im Brief von Heloise folgt unmittelbar nach dem plerisque tacitis-Vorwurf an Abaelard - und man erwartet nun Heloises

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tatsächliche Gründe - der später berühmt gewordene, meist ohne die Folgesätze zitierte Dirne-Kaiserin-Vergleich: 4 3

Deum testem invoco, si me Augustus universo praesidens mundo matrimonii honore dignaretur, totumque mihi orbem confirmaret in perpetuo possidendum, carius mihi et dignius videretur tua dici meretrix quam illius imperatrix. Non enim quo quisque ditior sive potentior, ideo et melior. Fortunae illud est, hoc virtutis. Nec se minime venalem aestimet esse quae libentius ditiori quam pauperi nubit et plus in marito sua quam ipsum concupiscit. Certe quamcunque ad nuptias haec concupiscentia ducit, merces ei potius quam gratia debetur. Certum quippe est earn res ipsas non hominem sequi, et se si posset velie prostituere ditiori.44 Gott rufe ich zum Zeugen an: Wenn Augustus, der Herrscher der gesamten Welt, mir die Ehre der Ehe erweisen wollte und mir zusicherte, daß ich die gesamte Welt zu ewigem Besitz erhalten sollte, fände ich es trotzdem schöner und anständiger, deine Dirne zu heißen als seine Kaiserin. Denn reicher oder mächtiger zu sein, macht niemanden besser: das eine ist Sache des Glücks, das andere Sache der Tugend. Und diejenige, die lieber einen Reichen als einen Armen heiratet und die mehr den Besitz des Mannes als ihn selbst begehrt, muß sich selbst für ausgesprochen käuflich halten. Einer Frau, die eine solche Begierde zum Heiraten veranlaßt, schuldet man nur Geld, aber wenig Zuneigung. Es ist klar, daß sie am Vermögen und nicht am Menschen interessiert ist, und wenn sie könnte, würde sie sich einem Reicheren anbieten. Ist diese Passage ein „stolz-demütiges Bekenntnis zur unbedingten, interessenlosen L i e b e " ? 4 5 W e n n überhaupt, dann nur in zweiter Linie. Heloises erstes Anliegen ist es, zu zeigen, daß sie tugendhaft gehandelt und ihren inneren Anstand gewahrt hat 43

44 45

Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Peter v. Moos, Heloise und Abaelard. Eine Liebesgeschichte vom 13. zum 2 0 . Jahrhundert, in: Mittelalter und Moderne, hg. von Peter Segl, Sigmaringen 1 9 9 7 , S. 7 7 - 9 0 , bes. S. 80. Ep. II, hg. von Jacques Monfrin, Paris 1 9 7 8 , Z. 1 5 7 - 1 6 8 . Die Tradition dieser Auslegung beleuchtet v. Moos, Heloise und Abaelard (wie Anm. 45), S. 80ff.

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(dignius videretur tua dici meretrix [...] fortunae illud est, hoc virtutis). Denn sie habe schon damals gesehen, daß die Ehe die schlechtere moralische Alternative sei. Ihre Kriterien für dieses moralische Urteil - und das ist auffällig - sind nicht spiritueller, sondern weltlicher Natur. Die Eheschließung ist anstößig, weil sie mit materiellen Vorteilen einhergeht. Der Dirne-Kaiserin-Vergleich ist also nicht einfach nur eine Metapher für die unbedingte Ablehnung eines Heiratsantrages, sondern ein moralisches Argument. Die unmittelbar folgenden, kritischen Sätze über Frauen, die einen Mann wegen seines Geldes heiraten, zeigen, daß Heloise den Vorwurf der Käuflichkeit (venalis) als entscheidenden Nachteil einer Eheschließung, der Kaiserin-Alternative, ansah. Es ist denkbar, daß Heloise an dieser Stelle des Briefes von realen Gegebenheiten absah und den Zuwachs an Reichtum und Macht (ditior sive potentior) der Eheschließung im allgemeinen zuschrieb. Deutlich wahrscheinlicher aber ist, daß Heloise besonderen Anlaß hatte, dieses Argument anzuführen. Denn es gibt Hinweise darauf, daß ihr die Heirat mit Abaelard viel Geld und gesellschaftliches Renommee eingebracht hat. So sagt sie selbst am Anfang des gerade besprochenen Abschnittes: Nihil umquam, Deus seit, in te nisi te requisivi, te pure, non tua concupiscens. Non matrimonii foedera, non dotes aliquas exspectavi46 („Ich habe niemals in Dir etwas anderes, Gott weiß es, als Dich selbst gesucht, denn ich habe nur Dich, aber nicht Deinen Besitz begehrt. Ich habe weder einen Ehevertrag noch eine Brautgabe erwartet"). Verschiedene Zeugnisse legen darüber hinaus nahe, daß Abaelard in finanzieller Hinsicht eine ,gute Partie' war.47 Zwar hatte er in seiner Jugend um der Wissenschaft willen auf das Erbe verzichtet, das ihm als Erstgeborenem zustand, aber seine großen Schülerzahlen in Paris führten zu einer beträchtlichen Vermehrung seines Vermögens: quanta mihi de pecunia lucra, quantam gloriam compararent ex fama te quoque latere non potuti** 46 47

48

Ep. II, hg. von Monfrin, Ζ. 1 4 3 - 1 4 5 . Es ist unklar, an welchen Kirchen Abaelard Kanoniker war, ob in Paris oder auswärts, und ob einträgliche Pfründe damit verbunden waren (vgl. Mückle, Abelard's Letter (wie Anm. 42), S. 1 8 8 , Anm. 81). Abaelard, Hist, calam., Z. 2 1 4 - 2 1 6 (Monfrin Z. 2 5 0 - 2 5 1 ) .

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(„Auch Du wirst vom Hörensagen wissen, welche finanziellen Gewinne und welchen Ruhm mir das einbrachte"). Nach der Kastration fordern seine Schüler, er solle sich jetzt wieder um die Lehre kümmern, die er bis dahin um des Geldes und des Ruhmes willen betrieben habe; seine neue Motivation solle die Liebe zu Gott sein. 49 Und auch Fulco, Prior des Klosters von Deuil, der kurz nach der Kastration, wohl im Jahr 1 1 1 8 , einen gehässigen Brief an Abaelard schreibt, erwähnt Abaelards Einnahmen durch die Unterrichtsgelder seiner zahlreichen Schüler - Abaelard freilich habe das Geld für Prostituierte verschleudert. 50 In den Verhandlungen mit Fulbert hatte Abaelard deshalb so leichtes Spiel, weil er bereit war, quocumque pretio („zu einem beliebigen Preis") bei ihm einzuziehen - und Fulbert „gierte" nach Geld. 5 1 Pecunia und gloria war das, was Abaelard in den Pariser Jahren, als er Heloise kennenlernte, reichlich geerntet hatte - und alle Welt (fama) war sich dessen bewußt. Es gibt in Heloises Antwortbrief auch Stellen, die nahelegen könnten, sie bekenne sich in erster Linie zur Unbedingtheit und Interesselosigkeit ihrer Liebe. Sie beteuert, sich erniedrigen zu wollen, um höher und reiner in Abaelards Gunst zu stehen (ut

[...] ampliorem

apud te consequerer

gratiam).52

Und wenn sie

eine einträgliche Ehe ablehnt, dann auch, damit ihr in der Beziehung mehr geschuldet wird als nur materielles Gut - im Unterschied zu einer Frau, die des Geldes wegen heiratet (merces ei potius quam gratia debetur)." Doch das Argumentationsziel ihres Briefes ist ein anderes: Sie ist tugendhaft, weil ihre Liebe interesselos ist - und nicht umgekehrt. Besonders deutlich wird dies, wenn sie am Ende der gesamten Passage in den Kategorien von Schuld und Unschuld spricht: Heloise gibt zu, „für großen Scha49 50

51 52 53

Abaelard, Hist, calam., Z . 5 6 0 - 5 6 2 (Monfrin Z. 6 4 4 - 6 4 6 ) . Fulco von Deuil, Epistola ad Petrum Abaelardum, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 178), Paris 1 8 8 5 , Sp. 3 7 2 - 3 7 3 : Quidquid ver(o) scientiae tuae venditione perorando praeter quotidianum victum et usum necessarium, sicut relatione didici, acquirere poteras, in voraginem fornicariae consumptions d(e)mergere non cessabas. Abaelard, Hist, calam., Z . 2 6 3 - 2 6 9 (Monfrin Z. 3 0 3 - 3 1 0 ) . Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 1 4 9 - 1 5 1 . Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 1 6 6 - 1 6 7 .

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den verantwortlich" (plurimum nocens), aber zugleich „ganz und gar unschuldig" (plurimum innocens) zu sein, denn sie habe schließlich den Ausgang der Sache - und das heißt, die Folgen der Ehe: die Konfrontation mit Fulbert, Kastration, Trennung, Kloster - nicht gewollt. Sie insistiert Abaelard gegenüber auf der Rechtschaffenheit ihrer Absichten, ihres Gewissens, das allein über Schuld und Unschuld entscheide.54 Der weltliche Charakter ihrer Argumentation wird noch einmal dadurch unterstrichen, daß sie ausführlich auf die Reaktionen der Gesellschaft, insbesondere anderer Frauen eingeht: Sie wissen genauso wie Heloise selbst, daß Abaelard der beste aller Männer ist. Jede verheiratete Frau, jedes Mädchen sehnte sich nach seiner Gegenwart und entflammte, wenn er anwesend war. Selbst im hohen Adel erregte sie Neid, betont Heloise: „Welche Fürstin, welche hohe Dame hat mich nicht um meine Freuden und mein Ehebett beneidet?" (Quae regina velpraepotens femina gaudiis meis non invidebat vel thalamis?).55 Abaelards Liebeslieder hätten sie in kurzer Zeit in vielen Gegenden bekannt gemacht und ihr den Neid vieler Frauen auf den Besitz dieses gutaussehenden und intelligenten Mannes eingetragen. Aber jetzt, also nach Kastration und Klostereintritt, müßten ihre früheren Neiderinnen eigentlich Mitleid mit ihr haben.56 Diese Passage zeigt einerseits, daß Heloise gesellschaftlich unter erheblichem Druck gestanden haben muß, daß die Heirat mit dem begehrtesten Mann des Landes Heloise viele Feindinnen in der Schicht geschaffen hat, in der sich beide bewegten, dem Adel. Andererseits präsentiert sie Heloise im Bemühen, Verständnis für ihre Position zu wecken: Eine interesselose und damit anständige Liebe, argumentiert sie, ist dadurch gekennzeichnet, daß sie sich auf den besten Mann oder die beste Frau richtet. Die meisten Menschen bilden sich nur ein, eine solche Person zu lieben, in ihrem Fall

54 55

56

Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 2 1 1 - 2 1 6 . Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 192-193. thalamis verwendet Heloise wenige Absätze zuvor ebenfalls im engeren Sinne von „Ehebett" (Ep. II, Z. 154155: ubi et rationes nonnullas, quibus te a conjugio nostro et infaustis thalamis revocare conabar, exponere non es dedignatus). Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 194-211.

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aber zeigt die Verehrung Abaelards durch andere Frauen, daß sie wahrhaftig interesselos liebt, denn Abaelard ist objektiv der beste aller Männer. Die Gesellschaft, so beobachtet Heloise, bestätigt ihre Rechtschaffenheit. Im zweiten Brief wird eine andere Geschichte erzählt als in der Heloisenrede von Abaelards ,Historia calamitatum'. Das Programm der ,Theologia Christiana', das vacare philosophiae und die sexuelle Enthaltsamkeit, fehlen ganz, die Mahnung an die Pflichten des Klerikers ebenso. Heloises Gründe für die Ablehnung der Ehe sind hauptsächlich gesellschaftlicher Natur und betreffen sie selbst, nicht Abaelard. Eine Eheschließung ist moralisch bedenklich, weil sie nicht uneigennützig ist, weil sie eine Tugend, die Uneigennützigkeit, in Frage stellt, die anders als die Keuschheit nicht nur die Kleriker, sondern alle Menschen auszeichnen soll. Deshalb schlägt Heloise das Konkubinat als eine andere rechtliche Verbindung vor, eine beim weltlichen und geistlichen Adel Nordfrankreichs und Englands verbreitete Praxis: Schöner und anständiger als die Bezeichnung „Ehefrau" habe sie schon immer den Namen „Freundin" (amica) oder „Konkubine" (concubina) oder „Dirne" (scortum) gefunden.57 Das Konkubinat im engeren Sinne war eine Eheform niederen Ranges, die bestimmte Riten der beteiligten Familien beinhaltete und sozusagen eine Art Leihe der Tochter zur Folge hatte, die wieder rückgängig gemacht werden konnte. Für den weltlichen Adel bedeutete es eine Möglichkeit, das Familienerbe gezielt weiterzugeben, an eben diejenige Frau des Sohnes, der man die höchste rechtliche Stellung gestattete.58 Es war auch die Bezeichnung für eine eheliche Verbindung, bei welcher der Mann nicht allen Verpflichtungen der Eheschließung nachkam, insbesondere, wenn er die Morgengabe nicht zahlte.59 Im geistlichen Diskurs 57

58

59

Ep. II, hg. von Monfrin, Z. 1 4 7 - 1 4 9 : Et si uxoris nomen sanctius ac validius videretur, dulcius mihi semper extitit amicae vocabulum aut, si non indigneris, concubinae ν el scorti. Vgl. Duby, Ritter, Frau und Priester (wie in Anm. 36), S. 4 9 - 5 3 und 174, und Hans-Jürgen Becker, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft (Konkubinat) in der Rechtsgeschichte, in: Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, hg. von Götz Landwehr, Göttingen 1 9 7 8 , S. 1 3 - 3 8 , bes. S. 1 4 - 2 4 . George H. Joyce, Die christliche Ehe, Leipzig 1 9 3 4 , S. 5 2 0 .

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schwankt die Bedeutung der Worte concubina und concubinatus: Es konnte rhetorisch eingesetzt werden und jedes Zusammenleben bezeichnen, das den klerikalen Regeln nicht entsprach, zum Beispiel eine Doppelehe oder eine inzestuöse Ehe oder, wie wahrscheinlich bei den Priestern von Rouen, eine Priesterehe.60 In den Synodalbeschlüssen über die Klerikerehe meint es das ehelose Zusammenleben eines Geistlichen mit einer Frau. 61 Eine Londoner Chronik berichtet folgende Episode aus dem Jahr 1137: Die Küchenmädchen (focariae) einiger Säkularkanoniker, wahrscheinlich der Kanoniker von St. Paul's in London, werden zu ihrer großen Schande in einen Turm geworfen (wohl den Tower of London) und dort viele Tage gefangen gehalten. Sie kehren körperlich mißhandelt und mit stark beschädigtem Ansehen nach Hause zurück, nachdem für ihre Freilassung Geld gezahlt worden ist - vermutlich von den Kanonikern selbst.62 Man kann dieser Geschichte entnehmen, daß Londoner Kanoniker auch 1137 noch mit Konkubinen - denn das meint das klerikale Schimpfwort focariae - zusammenlebten, daß aber die gesellschaftliche Opposition gegen eine solche Lebensform zunahm.63 Über die Londoner Klerikerehefrauen und -konkubinen von St. Paul's wissen wir dank einer guten Quellenlage recht viel. Mindestens 13 der 30 Pfründe wechselten am Anfang des 12. Jahrhunderts von Vater zu Sohn, wie Einträge der Art „Radulf Sohn des Algod, Wilhelm Sohn des Radulf" (Radulphus filius Algodi, Willelmus filius eius) im Pfründenkatalog zeigen.64

60 61 62

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Duby, Ritter, Frau und Priester (wie Anm. 36), S. 1 0 5 und 1 7 4 . Vgl. oben den Text der Synode von Pisa, Anm. 15. Radulfus de Diceto, Opera histórica, hg. von William Stubbs, London 1 8 7 6 , Bd. 1, S. 2 4 9 : Focariae quorundam canonicorum qui saeculares dicuntur, raptae sublimes, ad turrim non sine dedecore gravi pertractae sunt, et ibidem constrictae multis diebus. Quae quidem non sine ludibrio corporis, nec sine dispendio famae, nec sine numeratione pecuniae redierunt ad propria. Christopher N.L. Brooke, The Composition of the Chapter of St. Paul's, 1 0 8 6 - 1 1 6 3 , in: Cambridge Historical Journal 10 ( 1 9 5 1 ) , S. 1 2 5 . Diana E. Greenway, John le Neve: Fasti Ecclesiae Anglicanae, 1 0 6 6 1 3 0 0 , Bd. 1 (St. Paul's, London), London 1 9 6 8 , S. 7 4 - 7 5 . Brooke, The Medieval Idea of Marriage (wie Anm. 35), S. 8 4 - 8 9 .

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Von Radulf beispielsweise wird in anderen Quellen berichtet, daß er eine socia, also eine Konkubine, mit Namen Mahald hatte und einen zweiten Sohn. 65 Manche der Londoner Kleriker waren sicherlich auch verheiratet. Wenn Heloise davon spricht, daß sie Abaelards Dirne und Konkubine sein möchte, zitiert sie eine Lebensform, die sie mit manchen anderen Frauen geteilt hätte und die sie aus ihrer Jugend unter den Kanonikern von Notre Dame gut kannte. Denn es ist anzunehmen, daß sich die soziale Praxis der Londoner Kanoniker, unter ihnen viele Franzosen, von der der Pariser nicht wesentlich unterschied. Heloise plädiert für das Konkubinat, so das Zeugnis des zweiten Briefes, nicht um eines bestimmten Liebesideals willen, sondern um ihre Integrität zu wahren - vor sich selbst, vor Abaelard, vor der Gesellschaft. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, das Verhältnis der Heloisenrede zu dieser alternativen Version der Ehedebatte zu erklären: Entweder transportiert der zweite Brief altes Material, das schon Abaelard bekannt war, als er die Heloisenrede schrieb, oder er präsentiert eine nachträgliche Stilisierung und Radikalisierung von Heloises Ehefeindlichkeit, um ihre conversio im Sinne des ,Parakletbuches' umso notwendiger erscheinen zu lassen. Die oben beobachteten sprachlichen Unebenheiten machen die erste Möglichkeit - daß Abaelard Heloises Argumente tatsächlich kannte - viel wahrscheinlicher. Denn auffälligerweise sind es genau diese Argumente, die in indirekter Rede am Anfang und Ende der Heloisenrede erscheinen: Vorsichtig thematisiert Abaelard das Ansehen von Heloise (quam de me gloriam habitura esset), die Reaktionen der Gesellschaft gegen sie (quantus ab ea mundus poenas exigere deberet), die Nebenbuhlerinnen (quam lamentabile esset, ut [...] uni me feminae dicarem),66 das Institut der Konkubine (mihique honestius amicam dici quam uxorem).67 Dazwischen steht, in direkter Rede, die lange Ermahnung zu

65

" 67

Brooke, The Composition (wie Anm. 63), S. 123, Anm. 66. Abaelard, Hist, calam., Z. 3 7 5 - 3 8 2 (Monfrin Z. 4 3 0 - 4 3 8 ) . Abaelard, Hist, calam., Z. 4 7 7 - 4 7 8 (Monfrin Z. 5 4 6 - 5 4 7 ) .

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mönchisch-philosophischer, enthaltsamer Lebensform, die Abaelards Auffassung aus der ,Theologia Christiana' wiederholt worüber der zweite Brief schweigt. Die Heloisenrede zerfällt sprachlich und inhaltlich in einen kurzen weltlichen und einen langen geistlichen Teil, eben weil Abaelard manipuliert hat, weil er versucht hat, die gesellschaftlichen Bedenken Heloises zu entschärfen - die „Konkubine" wird zur „Freundin", die üble Nachrede des weiblichen Adels wird zur Trauer der Welt - und gleichzeitig seine eigenen, neuen Vorstellungen über Enthaltsamkeit und vacare philosophiae programmatisch darzulegen. Zu diesem Zweck durfte er Heloise nicht in gleichem Maße kompromittieren wie sich selbst. Die Figur Abaelards, wie sie im Trostbrief an den Freund präsentiert wird, ist von stultitia („dummer Verstocktheit") geschlagen und in zwei schwere Sünden verstrickt: superbia („Hochmut") und luxuria („Wollust"). Das erlaubt dem Autor, seine eigene Person ohne Rücksicht auf moralische Gebote handeln zu lassen. Die Verstrickung entwertet aber zugleich die Ideen, die diese Figur verkündet. Es bedarf der Darstellung einer anderen, integren und autoritativen Figur, damit im Lebensrückblick eines Sünders die Ideen des Autors piaziert werden können. Das gilt in besonderem Maße für Ideen, für die auch das Erzähler-Ich keine Autorität besitzt, weil ihm die Sünde, hier die Wollust, immer noch unterstellt wird. Entsprechend ist die Heloise der ,Historia calamitatum' konzipiert: eine Frau, die keine innere conversio mehr nötig hat, die in ihren Anschauungen schon die spätere Lebensform vorwegnimmt, deren Klostereintritt nur noch eine Äußerlichkeit ist. Alle problematischen Stationen ihres Lebens werden auf diese Sicht hin präsentiert: ihre Sexualität bleibt passiv, eine Reaktion auf Abaelards Verführung; ihr Klostereintritt ist auf Abaelards Wunsch hin vorgenommen und wird ohne Einblick in ihre Motive geschildert. 68

68

Es scheint mir daher im Hinblick auf die Heloisenrede wenig plausibel, daß Abaelard wichtige programmatische Ideen von Heloise gelernt hat, wie hin und wieder suggeriert wird (vgl. z.B. Bonnie Wheeler, Hg., Listening to Heloise. The Voice of a Twelfth-Century Woman, N e w York 2000, bes. das Vorwort, S. XXII).

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Anders als die Heloise-Figur der ,Historia calamitatimi' hat die historische Heloise der Jahre 1116 und 1117 die Ehe wahrscheinlich nicht aus Gründen der Enthaltsamkeit abgelehnt. Das jedenfalls legt das Material des zweiten Briefes nahe. Wie gezeigt, wollte sie ihren Anstand wahren; hatte sie die Absicht, eine Heirat mit dem begehrten Magister zu vermeiden, um nicht an seinem Reichtum und seinem Renommee zu partizipieren; wollte sie dem gesellschaftlichen Vorwurf der Käuflichkeit entgehen und wahrscheinlich auch den Neid anderer adliger Frauen von sich ablenken. Als Fulbert daher die Nachricht von der Eheschließung verbreitete, leugnete Heloise diese rundweg, was den Onkel in Rage versetzte (wenn das Zeugnis der ,Historia calamitatum' in diesem Punkt nicht trügt). 69 Abaelard brachte sie daraufhin nach Argenteuil, blieb aber selbst in Paris. Das läßt vermuten, daß für Heloise - nicht für Abaelard - die gesellschaftliche Situation in Paris, zumindest im Umkreis ihrer Familie, sehr schwierig geworden war. Es scheint, daß sie den Vorwürfen und dem Druck, den sie vorausgesehen hat, nicht gewachsen war. 70 Betrachtet man die Heloisenrede nicht wie hier kulturwissenschaftlich, sondern im Licht textlicher Traditionen, kann man in ihr ein typisches Beispiel des frauenfeindlichen Diskurses seit Hieronymus sehen - oder ein satirisches Spiel mit Bruchstücken dieses Diskurses oder einen Vorgriff auf Theorien der Liebe bei späteren mittelalterlichen Autoren. Sieht man von den kulturellen Zusammenhängen ab, liegt die Interpretation der Heloisenrede als ein Plädoyer für die „freischenkende Liebe" verführerisch nahe. 71 Die gewaltsamen Angriffe auf verheiratete Kleriker in Rouen, die Verschleppung der Konkubinen der Kanoniker in London, das adlige Konkubinat, die synodalen Beschlüsse zur Klerikerehe und die Propaganda der päpstlichen Reformer sind Teile eines Netzwerkes von sozialen Praktiken, zu denen auch die .Historia é

> Abaelard, Hist, calam., Ζ. 4 9 7 - 4 9 9 (Monfrin Ζ. 5 6 9 - 5 7 2 ) . Vgl. die Interpretation Bautiers: „II protège Héloïse en la plaçant dans le monastère d'Argenteuil", in: Bautier, Paris au temps d'Abélard (wie Anm. 11), S. 56. 71 Vgl. oben Anm. 33. 70

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calamitatum' gehört. Souverän setzt Abaelard die kulturellen Schlagworte einer noch umstrittenen klerikalen Lebensform für seine eigenen literarischen und außerliterarischen Zwecke ein, besonders in der Heloisenrede: um die erzählerische Balance zwischen Sündenbekenntnis und Demonstration geistiger Führerschaft zu halten, um auf die gesellschaftliche Praxis intellektueller Lebensformen einzuwirken. Das Wissen um die kulturellen Verflechtungen öffnet den Blick für den programmatischen Charakter und die schriftstellerische Raffinesse der ,Historia calamitatum', für die Präsenz des Enthaltsamkeitsideals als Merkmal einer bestimmten Lebensform und dafür, daß Abaelard und Heloise zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung von diesem Reformideal noch nicht überzeugt waren.

Dekonstruktion N I C O L A KAMINSKI

polluisse - (De-)Konstruktion einer Geschichte um Macht/Schmutz Finge ich an: „Unter Dekonstruktion versteht man ...", „Dekonstruktion läßt sich definieren als ...", so hätte ich das Anliegen von Dekonstruktion bereits verraten, denn eine grundlegende Prämisse dekonstruktiver Lektüren ist Strukturalität ohne die Möglichkeit einer der Strukturalität entzogenen Metaposition, von der aus Grenzziehungen (,Definitionen') vorgenommen werden könnten. „Das Anliegen", „eine Prämisse von" ...? Schon wieder, auch im Sagen dessen, was Dekonstruktion nicht ist, ist definierende, Unterscheidungen vornehmende Grenzziehung am Werk, während Dekonstruktion doch gerade darauf zielt, solche binären Unterscheidungen zu unterwandern, in Bewegung zu bringen. „Darauf zielt" ...? Der Aporie, im Aussprechen das Auszusprechende zu verlieren, ist offenbar nicht zu entkommen, zugleich aber findet in diesem Hin und Her auch etwas statt: Dekonstruktion als Ereignis, als Prozeß der Reibung von Grenzziehung und Entgrenzung? Ein anderer Anfang also, performativ: „München wird modern". Wenn ich das sage, ereignet sich überhaupt nichts, wohl aber, vielleicht, wenn ich es schreibe. Das Augenmerk der Dekonstruktion richtet sich - unentrinnbarer Definitionszwang! - mit Vorliebe auf die Schrift, das (vermeintlich) Sekundäre, eine vorgängige Präsenz (bloß) Repräsentierende. Wenn ich diesen Satz also schreibe, dann kann sich ereignen, was Wolfgang Welsch als „im Nu - in einem traumatischen Nu - " vollzogenen Schritt „von der Moderne in die Postmoderne" beschrieben hat:

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Nicola Kaminski

München erlebte Ende der sechziger Jahre einen gigantischen Modernisierungsschub. Die Olympischen Spiele standen bevor, und im Zug des U-Bahn-Baus wurde allenthalben unter der Erde aufgegraben und darüber die Modernisierungsflagge gehißt: Auf Bautafeln der dreifachen üblichen Größe konnte man sich über die jeweiligen Bauvorhaben und ihre Details informieren. Oben prangte jedesmal - in roten Lettern - eine Standardzeile, die Programm und Fazit verkündete: „MÜNCHEN WIRD MOD E R N " . [...] Eines Morgens jedoch las ein gedankenverlorener Passant in zerstreuter Wahrnehmung plötzlich einen anderen Text (er ist ihn seither nicht mehr losgeworden). Die Tafeln, die Farben, die Buchstaben - gewiß, alles war noch wie vorher. Aber der Text lautete anders. Da prangte nicht mehr die Fortschrittsparole „München wird modern", sondern da stand plötzlich eine Fäulnisprophetie: „München wird modern" [...]. Die Modernisierungsparole erwies sich als Palimpsest, jetzt war das Menetekel hervorgetreten: München wird - dereinst, in absehbarer Zeit, bald, es hat schon begonnen - modern: wird sich in Fäulnis, Verwesung, Moder auflösen. Nichts war geschehen, nichts verändert worden - nur alles. Niemand hatte eingegriffen, kein anderes Programm war angelaufen - nur eine Tiefenschicht der Fortschrittsparole war für eine andere Wahrnehmung plötzlich lesbar geworden. Und man begriff: Nichts muß geschehen, es läuft schon alles. Der Modernisierungsprozeß ist der Moder-Prozeß. 1 Ein vermeintlich unzweideutig einsinniges, programmatisches Stück Text hat sich seiner Intention, der Intention seines ,Autors' vielmehr, widersetzt und einen subversiven Gegensinn entfaltet. Oder eigentlich nicht es selbst, das Stück Text, sondern ein unaufmerksamer, für die programmatische Intention gerade nicht empfänglicher Rezipient: unaufmerksam zwar, gedanklich abwesend vielleicht oder noch nicht ganz wach, aber doch nicht einfach falsch lesend, sich ferlesend. Vielmehr erfolgt diese Lektüre ihrerseits durchaus regelgeleitet korrekt, nur daß sie anstelle Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim S. 178 f.

31991,

Dekonstruktion

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des ,modernen', französisch-endbetonten Fremdwortes im morgendlichen München ein deutsches Wort mit germanischer Anfangsbetonung liest. An die Stelle des vermeintlich eindeutigen Textsinns ist so die Geschichte eines Lesens getreten („Eines Morgens jedoch las [ . . . ] " ) , damit eine Prozessualisierung, die in Spannung zum synchron konzentrierten Programm der Parole eine ,Zerstreuung' des Sinns Ereignis werden läßt, den hermeneutischen Akt lesenden Verstehens seiner Selbstverständlichkeit entkleidet. Ein dekonstruktives Paradigma also? Das nun eben nicht - sowie der performative M o m e n t des Zugleich von „modérn" und „modern" fixiert wird als applizierbare, insofern paradigmatische Regel, ist sein dekonstruktives Potential schon domestiziert: zum beliebig wiederholbaren, harmlosen Wortspiel. M a n kann sich nicht vornehmen, „gedankenverloren", „in zerstreuter Wahrnehmung" zu lesen. Doch ist es legitim zu fragen, wie ein Text seinen Leser ,zerstreut', wie er ihn dazu bringt, seinen (des Textes, des ihn verantwortenden Autors, des verständniswilligen Lesers) Gedanken zu ,verlieren'. Vom semiologischen Wirbelsturm des modern(d)en München ins beginnende 12. Jahrhundert, in dem zeichentheoretisch die Welt noch in Ordnung ist - führt dahin ein Weg? Immerhin: als gemäßigtem Nominalisten hat man Abaelard „unzweifelhaft [...] eine gewisse ,Modernität'" 2 zugesprochen, und seine um 1 1 3 2 verfaßte ,Historia calamitatum' samt dem durch sie provozierten Briefwechsel mit Heloise hat dem Paar bis in die (post)moderne Gegenwart zu literarischer Berühmtheit verholfen. Einer Berühmtheit freilich, die den Mediävisten mit gemischten Empfindungen erfüllt, 3 da in grellem Widerspruch zu ihrer ungebrochenen Kontinuität die Geschichte dieser Rezeption von Beginn an durch einen radikalen Bruch bestimmt ist. Nach weitgehend einhelli-

Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. V o n Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 2 2 0 0 0 , S. 2 4 2 . Vgl. etwa Peter v. M o o s , Heloise und Abaelard. Eine Liebesgeschichte v o m 1 3 . zum 2 0 . Jahrhundert, in: Mittelalter und M o d e r n e . Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, hg. von Peter Segl, Sigmaringen 1 9 9 7 , S. 7 7 - 9 0 .

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gem Konsens der jüngeren Forschung komponiert als okkasionell verankertes ,Gründerbuch' für das von Abaelard begründete, später Heloise und ihrem Nonnenkonvent überlassene Kloster Paraklet, 4 als Stiftermythos mit aitiologischer und paränetischer Funktion für ein präzise umrissenes monastisches Primärpublikum demnach, erfährt das Textcorpus bereits im 13. Jahrhundert die für die weitere Wirkungsgeschichte entscheidende Umakzentuierung: wenn im ,Roman de la Rose' des Jean de Meun Heloise zur zeitlosen Figur der unbedingt Liebenden erhoben wird. Eine höchst selektive, den monastischen Kontext zugunsten weniger Schlüsselzitate aus zwei Briefen Heloises 5 konsequent ausblendende Rezeption liege diesem „Umdeutungsprozeß" 6 freilich zugrunde, beeilt man sich sogleich hinzuzufügen. Unbehagen bleibt gleichwohl angesichts einer derart eklatanten Fehlrezeption oder (mildere Variante desselben Verdikts) eines so folgenreich produktiven Mißverständnisses; kann man Jean de Meun (der die ,Historia calamitatum' samt Briefwechsel ins Altfranzösische übersetzt hat) doch weder Ignoranz des Zitatkontextes vorwerfen noch ihn, den gerade einmal anderthalb Jahrhunderte Späteren, leichthin des unreflektierten Überspringens historischer Distanz bezichtigen. So bleibt als Alternative zum schieren Kopfschütteln nur der Ausweg in den Text, dessen Strategien Aufschluß darüber geben müßten, wie es zu einer - gemessen am normativ-auktorialen Sinndiktat des Paraklet-Buchs 7 - derart unaufmerksamen', ,zerstreuten' Lektüre kommen konnte. Signifikant erscheint bereits bei erstem Lesen, daß der Text, als aus acht Briefen bestehender Briefwechsel, Lektüre nicht nur

4 s 6 7

Dazu ausführlich Markus Asper im vorliegenden Band, S. 119ff. Zusammengestellt bei v. Moos, Heloise und Abaelard (wie Anm. 3), S. 80f. v. Moos, Heloise und Abaelard (wie Anm. 3), S. 83. Der Vorbehalt muß freilich gemacht werden, daß die Einschätzung des Textes als Gründerbuch zu monastischem Gebrauch nicht auf durch Belege gesichertem Wissen beruht, sondern sich einer allenfalls wahrscheinlich gemachten Rekonstruktion der Forschung verdankt. Problematisch wird eine solche Gattungsbestimmung allerdings erst im Moment ausschließender Absolutsetzung; daß eine um den Paraklet zentrierte pragmatische Dimension das Textcorpus mitkonstituiert, dürfte hingegen außer Zweifel stehen.

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als Binnenphänomen in Szene setzt (jede/r Briefschreiber/in erscheint als Leser/in des je vorangegangenen Briefes), sondern diesen fortgesetzten Wechsel von Schreiben und Lesen als eine Geschichte nicht ankommender, umgelenkter, verfehlender Lektüre entwirft. Abaelardi ad amicum suum consolatoria ist die ,Historia calamitatum' überschrieben, ein Trostbrief an den Freund will sie demnach sein, wie auch die rahmenden Anfangsund Schlußworte beglaubigen8 - aber dieser Freund wird auf den Brief nie antworten, ob er ihn je bekommen hat, bleibt ungewiß. Statt dessen fällt die an den Freund gerichtete konsolatorische Epistel unversehens, forte,9 der in die Hände, von der (und nicht eben vorteilhaft) im ersten Brief gegenüber einem Dritten die Rede war: Heloise. Der lesen sollte, liest also nicht oder gibt dies wenigstens nicht zu erkennen, die hingegen, die in der ,Historia calamitatum' als überstandener lapsus, als abgeschlossenes Kapitel unter der Rubrik Quomodo in amorem Heloysae lapsus vulnus inde tarn mentis quam corporis traxit10 („Wie er Heloise in Liebe verfiel und sich dadurch eine Wunde an Geist und Körper zuzog") firmiert, liest den für sie nicht bestimmten Text und fühlt sich keineswegs getröstet. Im Gegenteil: nicht nur keine consolatio hat der weitschweifige Brief (prolixa epistola) ihr gewähren können, er hat sie sogar noch in äußerste desolatio gestürzt. 11 Indem so die vermeintlich abschließend Besprochene und nach der ,Heloisenrede'12 endgültig Entmündigte als lesendes Subjekt unversehens, forte, eigene Stimme gewinnt, entwickelt sich aus der monologisch, vom Ich Abaelards kontrollierten ,Historia calamitatum' eine dialogische Briefauseinandersetzung, die den scheinbar am Ende der ,Historia' erreichten Konsens jäh auf-

8

9

10 11 12

Abaelard, Historia calamitatum, diese Ausgabe, Z . 1 - 6 und 1 3 5 4 - 1 3 9 7 (hg. von Jacques Monfrin, Paris 1 9 7 8 , Z . 1 - 7 und 1 5 6 0 - 1 6 0 9 ) . Z u Titel und Rubriken siehe das V o r w o r t in diesem Band, S. X - X I . Ep. II, hg. von Joseph T . Mückle, in: Mediaeval Studies 1 5 ( 1 9 5 3 ) , S. 4 7 9 4 , hier S. 6 8 . Die Zählung der Briefe differiert von der bei Mückle, da dieser die ,Historia c a l a m i t a t u m ' nicht als ersten Brief mitzählt. Abaelard, Hist, calam., Z . 2 4 2 (Monfrin Z . 2 8 0 ) . Ep. II, hg. von Mückle, S. 6 9 . Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 3 7 4 - 4 8 6 (Monfrin Z . 4 2 8 - 5 5 7 ) .

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bricht. Die nächste Bruchstelle in dieser nur formal dialogischen, tatsächlich aber von Nichtverstehen und Aneinander-Vorbeireden geprägten Kommunikation stellt nach je zwei Briefen von Heloise und Abaelard13 der von Heloise geschriebene sechste Brief dar, der mit einer revocatio, dem Entschluß zur Selbstzügelung der eigenen Rede nach dem Gebot des Gegenübers beginnt14 - um sich, anstelle des erwartbaren Dialogabbruchs, unvermittelt im von Abaelard erwünschten monastischen Austausch fortzusetzen. Was zunächst aussieht wie die Geschichte einer beinahe ,entgleisten', zuguterletzt doch noch in die richtige Bahn gelenkten paradigmatischen Binnenrezeption (Heloise als exemplarische, vom Autor nach seinen Wünschen zurechtgemodelte Leserin der ,Historia calamitatum'), erscheint, legt man den Finger auf die Bruchstellen, ebensogut lesbar als aus der ,Historia' kontingent, im Zusammenspiel von Zufall und Gewalt, entbundenes Rezeptionsresultat: als nicht intendierte Lektüre, die Widersprüche in der Konzeption der ,Historia' zutage fördert, die sich nur gewaltsam, durch einen autoritären Machtspruch wieder zum Schweigen bringen lassen. In dieser zweiten, der programmatisch zur Schau getragenen Autorintention zuwiderlaufenden Lesart hat die ,Historia calamitatum' nicht den Stellenwert eines in sich ruhenden auktorialen Sinnzentrums, dessen Sinnpotential im anschließenden Briefwechsel dialogisch entfaltet würde; vielmehr stellt sie sich als prekäre, Sinn und Kohärenz gewaltsam produzierende Textur dar, die, sobald sie sich der auktorialen Kontrollgewalt zu entziehen vermag (wie in der fingiert fehlgeleiteten Erstlektüre und in der späteren Rezeption seit Jean de Meun), einen in der ,Historia' selbst unterdrückten Gegen-Sinn freisetzt. Dieses Widerspiel von konstruktivem und destruktivem Potential in der ,Historia calamitatum' will ich in einer dekonstruktiven Lektüre des Textes, die das intentional

13

14

W e n n hier und im folgenden die Rede ist von Heloise und Abaelard, so sind damit die im T e x t literarisch konturierten Sprecherrollen gemeint. N i c h t intendiert ist dagegen ein Beitrag zur Verfasser- und Autorschaftsdebatte. Ep. VI, hg. von Joseph T . Mückle, in: Mediaeval Studies 1 7 ( 1 9 5 5 ) , S. 2 4 0 - 2 8 1 , hier S. 2 4 1 .

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sinnsetzende Zentrum Abaelard aus der prozessualen semiologischen Bewegung nicht ausnimmt, nachzuzeichnen versuchen. Vom ersten Satz seiner consolatoria (epistola) an präsentiert sich Abaelards Sprecher-Ich als übermächtiges, in logozentrischer Schlüsselposition sitzend: Ist es in dem Muster dialogischer Trostliteratur, Boethius' ,Consolatio philosophiae', die personifizierte Philosophie, die das verzagte Boethius-Ich argumentativ wiederaufrichtet, so schlüpft in der,Historia calamitatum' (die über den Umweg des farblos anonymen Freundes entschieden auch consolatoria ad se ipsum ist) in diese Rolle des philosophischen Trösters umstandslos der philosophiae magister Abaelard selbst. Und entsprechend muß in dieser Trostgeschichte (ein Münchhausensches Unterfangen!) die Machtstellung des Tröster-Ichs legitimiert werden. Geleistet wird dies, zunächst unproblematisch, in den ersten vier Kapiteln, die den Aufstieg Abaelards zum führenden Logiklehrer in Paris erzählen: in eine Position, deren unanfechtbare auctoritas auf den Besitz der besseren dialecticarum rationum armatura15 („der schlagkräftigeren logischen Argumente") gegründet ist. Diese Geschichte kontinuierlichen logozentrischen Machtgewinns bis zum relativen Maximum eines floruit,16 wozu sich, ungeachtet durchgängiger persecutiones durch die Neider, von Anfang an alle Umstände glücklich vereinigen, erfährt jedoch eine jähe Konterdetermination durch die Begegnung mit Heloise. Und mit ihr auch die Geschichte einer Identitätsbildung - der Identität des idealen, in allen calamitates souverän seiner ratio gewissen Trösters. Auf einmal erscheinen die bis dahin fraglos sich fügenden Zuordnungen fraglich, Alternativen zulassend: Am Beginn von Abaelards Karriere hatte der Vater die Weichen gestellt, indem er in ihm den amor litterarum

15

Abaelard, Hist, calam., Z . 2 2 (Monfrin Z . 2 5 ) ; vgl. auch Hist, calam., Z . 70ff. (Monfrin Z . 80ff.), den argumentativen, ja regelrecht ,destruktiven' Sieg Abaelards über seinen Lehrer Wilhelm von C h a m p e a u x aufgrund von patentissimae argumentorum rationes ( Z . 7 3 , Monfrin Z . 83f.).

16

Die Rubrik vor Hist, c a l a m . , Z . 2 0 7 (Monfrin Z . 2 4 1 ) , lautet in den Handschriften A und B: Quando novissime Parisius floruit („Als er schließlich in Paris auf dem H ö h e p u n k t seiner M a c h t s t a n d " ) und steht über dem Abschnitt, in welchem Heloise Abaelards Laufbahn kreuzt.

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weckte, 17 so leidenschaftlich, ut [...] Martis curiae penitus abdicarem, ut Minervae gremio educar erlg („daß ich vom Gefolge des Mars ganz Abschied nahm, um im Schoß der Minerva aufgezogen zu werden"). Eine kompromißlose Entscheidung gegen die militärische Laufbahn und für die wissenschaftliche, die die väterliche Hierarchisierung (litteris antequam armis instruí19 - „erst in den Wissenschaften und dann in den Waffen unterwiesen werden") noch radikalisiert, so scheint es - wäre da nicht die mythologische Reformulierung, die, unmerklich, die strikte Polarisierung unterläuft. Denn als Göttin der Wissenschaften und Künste ist Minerva dem Kriegsgott Mars zwar entgegengesetzt, doch firmiert sie auch als Göttin des Krieges und ist wie ihr griechisches Pendant Pallas Athene stets mit Helm und Brustpanzer bekleidet; entsprechend partizipiert auch das Vokabular dieser emphatischen Hinwendung zu den Wissenschaften metaphorisch von Anfang an auffällig an der Terminologie des Militärischen. 20 Nicht minder bedenklich muß bei hellhöriger Lektüre die bildliche Vorstellung von der Erziehung des jungen Mannes im Schoß der Minerva stimmen, die den ohnehin bereits stark erotisch konnotierten amor litterarum nahezu körperlich Gestalt annehmen läßt. Freilich: die metaphorische Stabilität ist gewährleistet, das anarchische Potential etwaiger sexueller Phantasien gebändigt durch Minervas unbezwingbar keusche Jungfräulichkeit. Eben diese Sicherheit der konnotativen Zuordnungen gerät jedoch in der Begegnung mit Heloise durcheinander, einer gelehr17 18 19 20

Vgl. Abaelard, Hist, calarti., Ζ. 13ff. (Monfrin Ζ. 15ff.). Abaelard, Hist, calam., Z. 1 8 - 2 1 (Monfrin Z . 2 1 - 2 5 ) . Abaelard, Hist, calam., Z. 14f. (Monfrin Z. 16f.). Vgl. Abaelard, Hist, calam., Z . 2 2 - 2 4 (Monfrin Z. 2 5 - 2 8 ) : et quoniam dialecticarum rationum armaturam omnibus philosophiae documentis praetuli, his armis alia commutavi et trophaeis bellorum conflictus praetuli disputationum. Vgl. auch Z. 1 1 1 - 1 1 8 (Monfrin Z. 1 2 8 - 1 3 6 ) : S e d q u i a [ . . . ] locum nostrum ab aemulo nostro fecerat occupari. extra civitatem [...] scholarum nostrarum castra posui quasi eum obsessurus. qui locum occupaverat nostrum. Quo audito magister noster statim [...] scholas [...] adpristinum reduxit monasterium quasimilitem suum. quem dimiserat, ab obsidione nostra liberaturus: und passim. Dazu auch David Luscombe, From Paris to the Paraclete. The correspondence of Abaelard and Heloise, in: Proceedings of the British Academy 7 4 ( 1 9 8 8 ) , S. 2 4 7 - 2 8 3 , hier S. 2 5 2 .

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ten jungen Frau, deren amor litter arum in einer beinahe spiegelbildlichen Bildungsgeschichte entwickelt wurde.21 Daß Abaelard in ihr eine leibhaftige Minerva antreffen würde, hätte nach allem, was voranging, der (wie Heloises Onkel Fulbert) gutgläubige Leser22 erwarten müssen, und daß amor, litterae und gremium so aufs harmonischste zusammenfinden. Statt dessen treten sie im Zeichen der Hypokrisis (scheinbar Wissenschaft - tatsächlich Sex) irritierend auseinander: Apertis itaque libris plura de amore quam de lectione verba se ingerebant, plura erant oscula quam sententiae, saepius ad sinus23 quam ad libros reducebantur manus, crebrius oculos amor in se reflectebat quam lectio in scripturam dirigebat.24 Waren die Bücher aufgeschlagen, wurden mehr Worte über die Liebe als über den Lesestoff gewechselt, gab es mehr Küsse als Sätze, wanderten die Hände öfter zum Schoß als zu den Büchern, spiegelte die Liebe häufiger die Augen ineinander, als daß die Lektüre sie auf die Schrift gelenkt hätte. Gleichermaßen irritierend wird wenig später der, der sich emphatisch von Mars ab- und der Minerva zugewandt hatte, bei der Liebe ertappt - aber nicht als (mythologisch unerhörter) Liebhaber im Schoß der Minerva, sondern nach prominentem poetischem Vorbild: Actum [...] in nobis est, quod in Marte et Venere deprehensis poetica narrat fabula25 („So geschah mit uns dassel21

22

Vgl. Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 1 1 - 1 7 mit Z . 2 4 2 - 2 4 5 (Monfrin Z . 1 3 1 9 mit Z . 2 8 0 - 2 8 4 ) . D a ß der Leser so gutgläubig natürlich nicht ist, sich vielmehr mit Abaelard über die simplicitas des Onkels verwundert (Abaelard, Hist, calam., Z . 2 7 9 [Monfrin Z . 3 2 2 ] ) , ist zum einen auf die auktorialen Vorausdeutungen des Erzählers zurückzuführen; zum anderen muß er es aber auch mit sich selbst und seinen offenbar nicht so ganz unschuldigen Phantasien ausmachen.

23

Freilich meint sinus im Unterschied zu gremium den Schoß nicht im eigentlichen, sondern im übertragenen Sinn und kann zudem auch ,Busen' bedeuten; die Bedeutung ,Schoß' erscheint mir an dieser Stelle aber plausibler - zum einen, weil das der O r t ist, an dem bei gemeinsamer Lektüre die Bücher sich befinden, zum anderen, weil die Liebkosung andernfalls als einseitig männliche verstanden werden müßte, während der ganze Passus die Wechselseitigkeit des Liebesspiels betont.

24

Abaelard, Hist, calam., Z . 2 9 1 - 2 9 4 (Monfrin Z . 3 3 5 - 3 3 9 ) . Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 3 4 0 f . (Monfrin Z . 3 9 0 f . ) .

25

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be wie in der Erzählung des Dichters mit Mars und Venus, die auf frischer Tat ertappt wurden."). Zitiert (aber nicht namentlich als Autorität ausgewiesen) ist damit Ovid, der in der ,Ars amatoria' 26 vom ehebrecherischen Treiben zwischen Mars und Venus erzählt und, wie der rechtmäßige Ehemann Vulcanus sie mittels eines kunstvoll geknüpften, beinahe unsichtbaren Drahtnetzes in flagranti fängt. 27 So hat hinter dem Rücken der erzählten Figur und des programmatischen Ich-Erzählers unversehens eine dritte Instanz, der anonym bleibende poetische discours,28 eine eigene Version von Abaelards ,Bildungsgeschichte' entworfen, hat aus subversiv ins Spiel gebrachtem mythologischem Material seinerseits ein kunstvolles Netz geknüpft, in dem das Personal der ,Historia' sich verfängt: bloßgestellt als Venus und Mars, die sich den Anschein des noch nie Dagewesenen geben wollten (si quid insolitum amor 29 excogitare potuti ) - einer Liebe zwischen der keuschen Minerva und dem litterarum amator. Das Treiben dieser dritten Instanz, 26

27

29

2?

Ovid, Ars amatoria 2 , 5 6 1 - 5 9 2 ; vgl. auch Metamorphoses 4 , 1 6 9 - 1 8 9 . Luc Deitz hat im vorliegenden Band, S. 2 2 6 f . , jedoch aufgrund von wörtlichen und erzählstrukturellen Übereinstimmungen wahrscheinlich machen können, daß den unmittelbaren Prätext die ,Ars amatoria' bietet. Dem Rekurs auf die mythologische Dreiecksgeschichte zwischen Venus Mars - Vulcanus und ihrer subtextuellen Relevanz hat die Abaelardforschung bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt. Eine Ausnahme bildet die Studie von Deborah Fraioli, The importance of satire in Jerome's Adversus Jovinianum as an argument against the authenticity of the Historia Calamitatum, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Histórica, München, 1 6 . - 1 9 . September 1 9 8 6 . Teil V : Fingierte Briefe - Frömmigkeit und Fälschung Realienfälschung, Hannover 1 9 8 8 , S. 1 6 7 - 2 0 0 , die aus inadäquatem "use of quotations from others" (S. 167) in der ,Histona calamitatum' Indizien für die Annahme zu gewinnen sucht, es handle sich bei dem T e x t um eine "anti-Abelardian satire" (S. 189). Im Zuge dieser Argumentation legt sie kurz auch den Finger auf die unstimmige Applikation des Mars-Venus-Exemplums, das "much less a p t " sei (als in einer zum Vergleich herangezogenen lateinischen Kastrationskomödie), "since it implies, when taken full length, that Fulbert (Vulcan) was the husband of Heloise (Venus)", ohne jedoch nach weiterreichenden Implikationen dieses bloß vermeintlich ,unpassenden' Zitats zu fragen. Begriff im Sinne von Tzvetan Todorov, Les catégories du récit littéraire, in: Communications 8 ( 1 9 6 6 ) , S. 1 2 5 - 1 5 1 . Abaelard, Hist, calam., Z . 2 9 8 f . (Monfrin Z . 343f.).

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die im Gegensatz zur personal erlebenden Figur Abaelard und zum rückblickend auktorial wertenden Erzähler Abaelard nicht als Person in Erscheinung tritt, gleichwohl aber in ihren textuellen Manipulationen als anwesend zu erkennen ist und so die für die Ich-Erzählung charakteristische „Zweidimensionalität" 3 0 des Erzählens aufsprengt, gilt es genauer in Augenschein zu nehmen. Was der Text der Erzählung ihr nicht zugesteht: personale Konturen, das gewährt ihr die mythologische Bildebene um so bereitwilliger: ein aus der Anonymität sie entlassendes όνομα und, damit verbunden, einen unverwechselbaren poetischen Körper. Der listenreich netzeknüpfende artifex Vulcanus, der als betrogener Ehemann die sexuelle Demütigung durch einen Kunstgriff in Triumph umzumünzen sucht, ist nämlich, wie Abaelard, ein körperlich Gezeichneter - er lahmt, ein Defekt, den die fremdgehende Venus vor Mars in lustvoller Grausamkeit bloßstellt, wenn sie sich über die Beine ihres Gatten lustig macht und seinen hinkenden Gang nachäfft. 31 Damit aber wird hinter der narrativ evidenten Dopplung des Ichs Abaelardus eine signifikante ,Trinität' sichtbar, die mit der in der ,Theologia summi boni' definierten göttlichen Trinität (eine substantia, differenziert in drei personae) strukturell durchaus kompatibel ist: Neben die erlebende Figur Abaelard, deren historia calamitatum mit ihren Demütigungen und Verfolgungen mehr und mehr das Modell der Passion Christi postfiguriert, 32 und den mit unbegrenzter konsolatorischer Autorität ausgestatteten auktorialen Erzähler Abaelard

30

31

32

Jürgen H. Petersen, Kategorien des Erzählens. Zur systematischen Deskription epischer Texte, in: Poetica 9 (1977), S. 1 6 7 - 1 9 5 , hier S. 175. Ovid, Ars amatoria, 2, 5 6 7 - 5 6 9 : A, quotiens lasciva pedes risisse mariti / Dicitur, et duras igne ν el arte manus. / Marte palam simul est Vulcanum imitata („Ach, wie oft soll sie sich mutwillig über die Beine ihres Gatten lustig gemacht haben und über die, sei es vom Feuer, sei es vom Kunsthandwerk, harten Hände. Zudem hat sie vor den Augen des Mars Vulcanus nachgeäfft"). Insbesondere in der Leidensgeschichte um die Verbrennung seines Buches ,De Unitate et Trinitate divina'; vgl. dazu auch Michael T. Clanchy, Abaelard. Ein mittelalterliches Leben. Übersetzung aus dem Englischen von Raul Niemann und Ralf M.W. Stammberger, Darmstadt 2000, S. 278f.

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tritt als irritierendes Drittes etwas, das auch Abaelard zu sein beansprucht und doch in diesem Anspruch aufs empfindlichste gekränkt wurde - Abaelard der Kastrierte, Verstümmelte, der rechtmäßige, aber impotente Ehemann. Die in der Forschung beobachtete verdeckte Verschränkung der eigenen Verlustgeschichte mit dem in der ,Theologia summi boni' geführten Beweis der substantiellen Identität der trinitarischen personae33 findet so in der ,Historia calamitatum' ein mythologisch-bildliches und zugleich narratologisches Analogon: Wird dort am Beispiel des Menschen, dem eine Hand oder ein Fuß abgetrennt wurde (,abscisa manu ¡si pes abscidatur34), die von diesem Eingriff unangetastete substantielle menschliche Identität dargetan, so gewinnt hier im (verglichen mit der Kastration nicht minder euphemistischen) mythologischen Bild des am Bein verstümmelten, daher lahmenden, aber eben zugleich auch vom sexuellen Verkehr ausgeschlossenen Gottes eine dritte persona Abaelard verdeckte Existenz, die gegenüber der als tragisch inszenierten Figur und der auktorial-machtvollen Erzähler-persomz entscheidend gehandicapt scheint, diese Defizienz jedoch ummünzt in ein raffiniert geknüpftes Textnetz. Exponenten dieses vom entmannten Abaelard - dem Abaelard, den die ,Historia calamitatum' programmatisch gerade nicht ins Licht zu stellen, vielmehr als quantité négligeable systematisch 33

Vgl. Peter Abaelard, Theologia Summi boni. Tractatus de unitate et trinitate divina. Abhandlung über die göttliche Einheit und Dreieinigkeit. Übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen hg. von Ursula Niggli, Hamburg 2 1 9 9 1 , S. XXVIf. (Einleitung) sowie S. 2 7 1 (Anm. zur Stelle). Vgl. auch Gerhart v. Graevenitz, Differenzierung der Differenz. Grundlagen der Autobiographie in Abaelards und Héloises Briefen, in: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, hg. von Johannes Janota u.a., Tübingen 1 9 9 2 , Bd. 1, S. 2 5 - 4 5 , hier S. 29f., ferner Hannes Fricke im vorliegenden Band, S. 256f. Auf die Diskussion um die circumcisio („Beschneidung") in Abaelards ,Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum' verweist Martin Irvine, Abaelard and (re)writing the male body. Castration, identity, and remasculinization, in: Becoming male in the Middle Ages, hg. von Jeffrey Jerome Cohen/Bonnie Wheeler, New Y o r k / L o n d o n 1 9 9 7 , S. 8 7 - 1 0 6 , hier S. 9 9 - 1 0 2 .

34

Abaelard, Theologia Summi boni (wie Anm. 33), S. 1 7 6 / 1 7 8 , Ζ. 3 3 7 und 3 4 0 . Über manus und pedes ihres Gatten mokiert sich in der ,Ars amatoria' auch Venus, vgl. o. Anm. 31.

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herunterzuspielen sucht 35 - , Exponenten dieses wie eine Falle ausgelegten Netzwerkes sind Reizwörter, die regelmäßig dann im Text bestimmend werden, wenn die Rede auf die Kastration kommt: erstmals mit der in die Kastration mündenden Heloisengeschichte, deutlich schwächer, als Abaelard in Soissons gezwungen wird, das eigene Buch ,De unitate et trinitate divina', eben die ,Theologia summi boni', zu verbrennen, schließlich in aller Vehemenz noch einmal, als man ihn nach der Übergabe des Paraklets an Heloise und ihre Nonnen ungeachtet seiner Kastration aufs neue der Unkeuschheit bezichtigt. Unverhüllt, direkt benennend überhaupt nicht zur Sprache gebracht, 36 wird diese traumatische Erfahrung vermessen in den komplementären Koordinaten von polluere (,beschmutzen, beflecken') und luere (,reinwaschen, büßen') sowie in Relation zum sprachlich interferierenden pollere (,Macht, Geltung haben'). Besondere Aufmerksamkeit kann dabei das erste Auftreten des von polluere repräsentierten Wortfeldes in der Exposition der Heloisengeschichte beanspruchen, das zunächst einmal gar keines zu sein scheint: Sed quoniam prosperitas stultos semper inflat et mundana tranquillitas vigorem enervai animi et per carnales illecebras facile resolvit, cum iam me solum in mundo superesse philosophum aestimarem nec ullam ulterius inquietationem formidarem, frena libidini coepi laxare, qui antea vixeram continentissime. Et quo amplius in philosophia νel sacra lectione profeceram, amplius 35

Vgl. hierzu Evelyn Birge Vitz, Medieval narrative and m o d e m narratology. Subjects and objects of desire, N e w York/London 1 9 8 9 , S. 1 1 - 3 7 , die zeigt, dai? Abaelards Selbstdarstellung bis in die syntaktische Konstruktion hinein dominant "by the quantity of [his] 'qualities'" bestimmt ist, "not by the quality of [his] 'qualities'" (S. 16), mit der Zielvorstellung eines superlativischen, keineswegs aber unvergleichlich einzigartigen Ichs, und daß folgerichtig der qualitativ grundlegend von anderen Männern unterscheidenden Kastration wenigstens an der Textoberfläche keine übermäßige Bedeutung beigemessen werden kann. Eben hieraus ergibt sich aber ein für die Darstellungsstrategie charakteristischer Widerspruch: "First, Abaelard does consistently present his castration as the least of his calamities [...]. But, second, it is striking h o w the castration presents a sort of model for all his subsequent griefs: they are all violent blows, bringing pain and loss" (S. 24).

36

Vgl. Vitz, Medieval narrative (wie Anm. 35), S. 2 4 .

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a philosophis et divinis immunditia vitae recedebam. Constat quippe philosophos necdum divinos, id est sacrae lectionis exhortationibus intentos, continentiae decore maxime polluisse.37 Aber der Erfolg macht törichte Leute immer hochmütig. Weltliches Zufriedenheitsgefühl schwächt die Kraft des Geistes und kann sie durch sexuelle Verlockungen leicht untergraben. Und da ich mir schon einbildete, der einzige noch existierende Philosoph auf der Welt zu sein, und keine Erschütterungen mehr fürchtete, begann ich, die Zügel der sexuellen Lust lascher zu führen - bislang hatte ich äußerst enthaltsam gelebt. Meine Leistungen auf den Gebieten der Philosophie und der Theologie waren beträchtlich; umso größer war die Diskrepanz, die sich zwischen mir und den Philosophen und Theologen angesichts meines schmutzigen Lebenswandels auftat. Es ist ja bekannt, daß die Philosophen, und zwar auch wenn sie keine Theologen sind, d.h. sich nicht durch die Gebote der Heiligen Schrift leiten lassen, durch den Vorzug der Keuschheit besonders große Geltung haben. Auf den ersten Blick erscheint der Sinn des Gesagten (wie ihn auch die Übersetzung ,orthodox' wiederzugeben sucht) nicht zweifelhaft: Der wahre Philosoph (und erst recht der Theologe!) zeichnet sich durch seine Keuschheit aus (für die zu Beginn die keusche Minerva stand); wer sich hingegen den Versuchungen der Welt über antwortet, ja gar der superbia verfällt zu glauben, er sei der einzige Philosoph auf der Welt (solus in mundo philosophus), dessen philosophische Geltung bekommt einen unauslöschlichen Schandfleck (immunditia), zusätzlich beglaubigt durch die spielerisch etymologische Modulation von mundana tranquillitas über in mundo zu immunditia. Das wird abschließend auktorial bekräftigt durch den resümierenden constat-Satz, der das pollere, die Geltung eines Philosophen in zeit37

Abaelard, Hist, calam., Z. 2 1 7 - 2 2 5 (Monfrin Z. 2 5 2 - 2 6 2 ) , mit leichten Änderungen zur Übersetzung dieser Ausgabe. Necdum lese ich nicht als Variation zu nedum, sondern als Partikel mit ausschließender Bedeutung. So übersetzt auch Jean de Meun, hg. von Eric Hicks, Paris/Genf 1 9 9 1 , S. 9: [...] que li philosophe, qui η'estaient devin ne entendons neis aus amonestemens de la sainte leçon, resplendirent sur touz autres de la beauté de continence (den Hinweis auf Jean de Meun verdanke ich Dag Nikolaus Hasse).

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loser Gültigkeit an seine continentia knüpft. Oder nicht? Seltsam ist für diese zeitlos gültige Konstatierung die durchaus entbehrliche, allenfalls als gnomisch zu erklärende Perfektform polluisse anstelle des präsentischen Infinitivs pollere. Wer, durch das unmittelbar vorausgegangene Wortspiel von in mundoI immunditia und das dadurch aufgerufene Vorstellungsfeld des Schmutzigen noch beschäftigt, ein wenig ,zerstreut' liest, kann so durchaus auf den Holzweg geraten und statt polluisse (Inf. Perf. zu pollere) polluisse (Inf. Perf. zu polluere) lesen. Was aber steht dann da? „Es ist ja bekannt, daß die Philosophen, und zwar auch wenn sie keine Theologen sind, [...] durch den Vorzug der Keuschheit besonders beschmutzen" - wen oder was aber? Es fehlt ja das Akkusativobjekt, polluere ist (anders als pollere) transitiv! Schäm dich, lector immunde, deiner schmutzigen Lektüre und tu Buße! Büßen, luere, also ist angesagt, und hierfür sind erstes und unentbehrliches Instrumentarium die sieben Bußpsalmen, die auch Abaelard unmittelbar nach der Entdeckung der verbotenen Liebe in einer rhetorisch exponierten Periode durch die unüberhörbaren Signalwörter dolor, erubescentia, contritio und afflictus aufruft.38 Allerdings erscheint die so aufrichtig beteuerte Reue - und das mag den bußwilligen Leser erneut auf ,zerstreute' Gedanken bringen - in der ,Historia' seltsam deplaziert, folgt doch unmittelbar auf dieses Bußbekenntnis eben jene verfängliche mythologische Identifizierung der Delinquenten als Venus und Mars. Und so mag er, statt selber büßend zu aufrichtiger Reue, zur contritio, zu finden, dem merkwürdigen Zusammenhang von luere und polluere nachhängen ... Denn pollutio, insbesondere als pollutio nocturna, ist bereits im Alten Testament39 im Zusammenhang von Reinheit/Unreinheit, Gesetz /Übertretung /Bestrafung nicht irgendeine Befleckung, sondern terminus technicus für den Samenerguß (mit zugehöriger medialer Verbform pollui)·, von dort gelangt das Problem in die Keuschheitsdiskussion der Patristik und von hier wiederum in die mittelalterlichen Buß38

M

Abaelard, Hist, calam., Z . 3 3 0 - 3 3 4 (Monfrin Z . 3 7 9 - 3 8 3 ) . Den Bezug auf die Bußpsalmen 6, 3 7 und 5 0 hat L u c Deitz im vorliegenden Band, S. 2 2 4 , nachgewiesen. Einschlägig vor allem Lev. 1 5 sowie Deut. 2 3 , 1 0 f .

300

Nicola Kaminski

b û c h e r sowie die späteren K a n o n s a m m l u n g e n

und

summae

confessorum.40 Immundus erit (usque ad vesperum), lautet Leviticus 15 (De viro qui fluxu seminis patitur) refrainartig die rekurrente conclusio

n a c h jeder denkbaren Spezifizierung des

Tatbestandes, und vorgeschrieben werden als emundatio

Separa-

tion und detaillierte W a s c h - und Reinigungshandlungen; in späteren d o g m a t i s c h e n

Systematisierungen,

etwa in der

.Regula

m o n a c h o r u m ' des Isidor von Sevilla, 4 1 tritt an deren Stelle die Institution der poenitentia, Septem

Davidici

psalmi,

w o f ü r als congruentissimi

einhellig hi

die sieben Bußpsalmen, empfohlen wer-

den. 4 2 N o c h in den 1 1 2 2 entstandenen ,Consuetudines' des - für 40

41

42

Vgl. dazu Pierre J. Payer, Sex and the penitentials. The development of a sexual code 5 5 0 - 1 1 5 0 , Toronto 1984, zur pollutio speziell S. 4 9 - 5 4 ; außerdem Hubertus Lutterbach, Sexualität im Mittelalter. Eine Kulturstudie anhand von Bußbüchern des 6. bis 12. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 1999. Isidorus Hispalensis, Regula monachorum, in: Sancti Isidori Hispalensis episcopi opera omnia, tomus quintus, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 83), Paris 1850, Kap. XIII (De stramentis), Sp. 883: Stratus monachi in nulla turpi cogitatione versetur [...]. Qui nocturna illusione polluitur, publicare hoc Patri monasterii non moretur, culpaeque suae merito hoc tribuat, et occulto poenitentiam agat, sciens quia nisi praecessisset in eo luxus animi turpia cogitantis, non sequerentur sordidae atque immundae pollutiones [...] („Während der Nachtruhe soll der Mönch nicht in unkeuschen Gedanken weilen [...]. Wer infolge einer nächtlichen Traumerscheinung einen Samenerguß hat, soll dies unverzüglich dem Oberhaupt des Klosters melden (und zwar verdientermaßen als Zoll für seine Schuld) und soll im Verborgenen Buße tun, denn er weiß ja: wäre er in den Ausschweifungen seiner unkeuschen Gedanken nicht so weit gegangen, wäre es in der Folge auch nicht zu schmutzigen und unreinen Samenergüssen gekommen"). Vgl. Alcuinus, Opusculum secundum. De psalmorum usu über cum variis formulis ad res quotidianas accommodatis, in: B. Flacci Albini seu Alcuini abbatis et Caroli Magni Imperatoris magistri opera omnia, tomus secundus, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 101), Paris 1851, Kap. III (Poenitentia, et publicae poenitentiae gemitus), Sp. 470: Canamus praeterea sedula reciprocatione hos Septem Davidicos psalmos, quos pene omnes spirituales viri congruentissimos poenitentiae tradiderunt, id est: Miserere mei, Deus; Domine, ne in ira tua arguas me; Beati quorum; Domine, ne in ira tua [...] quoniam sagittae tuae, etc.; Domine, exaudi orationem meam, et clamor; De profundis; Domine, exaudi orationem meam, auribus. („Außerdem laßt uns in beständigem Wechselgesang diese sieben Psalmen Davids singen, die beinahe alle Kirchenschriftsteller übereinstimmend als besonders geeignet für die Buße über-

Dekonstruktion

301

Abaelard freilich nur bedingt einschlägigen - regulierten Kanonikerstifts Klosterath wird für den Fall der pollutio als Bußübung das Beten der Bußpsalmen und des Vaterunsers vorgesehen.43 Aber quo vadis,,zerstreuter' Leser? Festzuhalten war: Constat philosophos maxime polluisse sagt etwas über die Geltung der wahren, keuschen Philosophen aus - wer anderes glaubt, wird falsifiziert durch den grammatischen Defekt des fehlenden Akkusativobjekts (bzw. des aktiven anstelle des medialen Infinitivs). Überdies ist in der ,Historia calamitatum' bis zum Beginn der Heloisengeschichte das Vorstellungsfeld des Unreinen, der Befleckung noch gar nicht in Erscheinung getreten, wohingegen das ranking an der Meßlatte des pollere, das ständige Konkurrieren um größtmögliche auctoritas und fama den ubiquitären Präsentationsmodus darstellte: saepe fatus magister noster Guillelmus [...] pollebat - Anselmus Laudunensis maximam [...] auctoritatem [...] tenebat - Albericus [...] Remensis et Lotulfus Lumbardus praeminere videbantur - novissime Parisius floruit,44 endlich er selbst, Abaelard. Doch hat der Leser sich nun nach einer nüchternen grammatischen Rekapitulation des Kasus seiner illicitae cogitationes, wie es bei Isidor heißt, seiner unerlaubten, weil verfänglichen, immundae tentationes („schmutzige Versuchungen") nach sich ziehenden Gedanken45 endgültig entschlagen, muß er im Weiterlesen ausgerechnet über ein Kirchenväterzitat

43

44

45

liefern, nämlich: ,Erbarme dich meiner, Herr'; .Herr, klage mich nicht an in deinem Zorn'; .Selig sind die, deren'; .Herr, nicht im Zorn, ... da ja deine Pfeile' usw.; .Herr, erhöre mein Gebet, und Schreien'; ,Aus der Tiefe'; .Herr, erhöre mein Gebet mit den Ohren'"). Daß das canat .vii. psalmos („er soll die sieben Psalmen singen") in den mittelalterlichen Bußbüchern das gewissermaßen standardisierte Bußminimum darstellt, das gegebenenfalls ausgeweitet werden kann, zeigt auch die vergleichende Darstellung von Payer, Sex and the penitentials (wie Anm. 40), S. 5 0 - 5 2 sowie S. 175, Anm. 175. Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 4 0 8 . Abaelard, Hist, calam., Z. 136f., 138f., 194f., vor 2 0 7 (Monfrin Z. léOf., 162f., 227f., vor 241). Isidor, Regula monachorum (wie Anm. 41). Im Anschluß an die oben zitierte Stelle heißt es weiter: quem enim praevenit cogitatio illicita, tentatio illum cito fedat immunda („wen nämlich ein unzulässiger Gedanke überkommt, den befleckt schnell eine unreine Versuchung").

302

N i c o l a Kaminski

stolpern, das seine unbotmäßige Lektüre nachträglich doch wieder zu legitimieren scheint. De infamatione turpitudinis („Verdächtigung unkeuschen Lebenswandels") ist das Kapitel der ,Historia' überschrieben, in dem als Autorität Augustinus mit seiner Predigt ,De vita et moribus clericorum suorum' zitiert wird. Abaelards Situation hat sich inzwischen gewandelt, mit der von Papst Innozenz II. 1131 bestätigten Überantwortung des Paraklets an Heloises Nonnenkonvent ist ein deutlicher Schritt auf dem Weg zur monastischen Institutionalisierung bewältigt. Über das im Fortgang der ,Historia' nur marginal berührte Kastrationstrauma - so sollte man meinen - ist 1129, zwölf Jahre danach, längst Gras gewachsen. Tatsächlich hingegen bricht die Wunde in ungemilderter Heftigkeit wieder auf, kaum verdächtigt man ihn, seine Fürsorge für das frischgegründete Nonnenkloster sei in Wahrheit durch die ihm immer noch innewohnende carnalis concupiscentiae oblectatio46 („Fleischeslust") motiviert. Das gesamte Arsenal der in weiblicher Begleitung keusch ihrem apostolischen Auftrag obliegenden Jünger und Kirchenväter bietet Abaelard zu seiner Verteidigung auf, den Hl. Hieronymus, Paulus, Malchus, die zwölf Apostel, ja sogar Christus selbst - um vor diesem illustren Hintergrund den eigenen Fall in noch absurderen Farben erscheinen zu lassen: O si tantam suspicionis causam aemuli mei in me reperirent, quanta me detractione opprimèrent! Nunc vero mihi divina misericordia ab hac suspicione liberato quomodo huius perpetrandae turpitudinis facúltate ablata suspicio remanetìA1 Wie groß wäre die Last des Vorwurfes, wenn meine Feinde so viel Grund für ihre Verdächtigung an mir fänden! Jetzt aber hat mich die göttliche Barmherzigkeit von diesem Verdacht befreit wie kann da noch ein Verdacht bestehen bleiben, wo mir doch die Fähigkeit genommen ist, eine solche Unkeuschheit zu begehen?

46 47

Abaelard, Hist, calam., Z. 1 1 7 1 (Monfrin Z. 1348). Abaelard, Hist, calam., Z. 1 1 8 2 - 1 1 8 6 (Monfrin Z. 1 3 6 1 - 1 3 6 5 ) .

Dekonstruktion

303

D a ß , ungeachtet der unwiderruflichen Beseitigung des corpus delicti, seine fama derart in den Schmutz gezogen wird, schmerzt ihn schlimmer als der Akt jener körperlichen Verstümmelung selbst (plus ex detrimento famae quam ex corporis crucior 4S diminutione ). Um diesen ,Phantomschmerz' aber legitimieren zu können und im Beharren auf seiner fama nicht dem Verdikt weltlicher Eitelkeit zu verfallen, führt er Augustinus ins Feld: Et ut beatus meminit Augustinus in sermone quodam ,De vita et moribus clericorum': [...] „Providemus", inquit, „bona, ut ait Apostolus, non solum coram Deo, sed etiam coram hominibus. Propter nos conscientia nostra sufficit nobis; propter vos fama nostra non pollui, sed pollere debet in vobis. Duae res sunt conscientia et fama. Conscientia tibi, fama proximo tuo. "49 Und wie Augustinus in einer seiner Predigten ,Über das Leben und die Sitten der Kleriker' anmerkt: [...] „Wir achten auf gutes Handeln, wie Paulus sagt, nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen. Wenn es um uns geht, genügt uns unser Gewissen. Wenn es um Euch geht, darf unser Ruf keine Flecken bekommen, sondern muß viel bei Euch gelten. Gewissen und Ruf sind zwei verschiedene Dinge. Das Gewissen ist für Dich, der Ruf für Deinen Nächsten." Da ist es wieder, das Spiel mit polluere und pollere, für das der Leser sich eben noch zu Recht gescholten glaubte - jetzt autorisiert von höchster theologischer Instanz. Freilich auch signifikant entschärft: An die Stelle der die Verantwortung für den Sinn an den Rezipienten delegierenden Unbestimmtheit ist das explizite Auseinanderlegen der H o m o n y m i e ins Wortspiel getreten. Zudem hat das verfängliche Verb polluere ein Objekt bekommen (fama), das den Sachverhalt von vornherein aus dem Einzugsbereich körperlich-sexueller Assoziationen transponiert auf das abstrakte Vorstellungsfeld des guten Rufs, des geistig-morali48 49

Abaelard, Hist, calam., Z. 1 2 0 7 f . (Monfrin Z . 1389f.). Abaelard, Hist, calam., Z. 1 2 0 9 - 1 2 1 6 (Monfrin Z. 1 3 9 1 - 1 3 9 9 ) . Vgl. Augustinus, De Vita et Moribus clericorum suorum, in: Sancti Aurelii Augustini Hipponensis episcopi opera omnia, tomus quintus, pars altera, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 39), Paris 1 8 4 6 , Sp. 1 5 6 9 .

304

Nicola Kaminski

sehen Ansehens, des pollere eben. Diese abstrahierende Vereindeutigung steht in genauem Einklang mit der vom Erzähler Abaelard nachdrücklich bekundeten Aussageabsicht, daß nämlich die Kastration als solche nicht negativ zu bewerten sei, vielmehr als besonderes Privileg der divina misericordia, während die eigentliche Sorge der verfolgten fama zu gelten habe. Damit leistet die zitierte Autorität, was man von ihr erwartet: Affirmation. Jedenfalls vordergründig, denn bei genauerer Betrachtung erweist sich der Effekt des Augustinus-Zitats als durchaus zweischneidig: Einerseits wird in der adversativen Gegenüberstellung non - sed unmißverständlich die Differenz zwischen polluere bzw. pollui (!) und pollere eingefordert; doch andererseits wird gerade durch das Differenzpostulat rückwirkend die unbotmäßig differenzverwischende Lektüre von polluisse auch wieder rehabilitiert - des Gesetzes, der Grenzziehung bedarf es schließlich erst im Moment denkbarer oder bereits begangener Übertretung. Im Zwielicht solcher Semilegalität aber vermag die defiziente (da objektlose) polluisse-Lesart eben diese Defizienz bedeutsam umzumünzen, und zwar nach Spielregeln, die im zeitgenössischen Diskurs gängige Münze waren: Imperfectus homo („unvollständiger Mann") hatte Roscelin seinen ehemaligen Schüler und Gegenspieler Abaelard in einem gehässigen Brief genannt und ihm auf der Ebene der Grammatik die Anrede durch ein masculini generis nomen verweigert (da ihm hierfür auf der Referenzebene gerade die entscheidende pars fehle), um sodann in einer performativen Wendung die Unvollständigkeit des eigenen Schreibens (opus quod coeperam imperfectum relinquo) mit der Unvollständigkeit des Adressaten zu begründen (quia contra hominem imperfectum ago).50 In diesem performativen Horizont

50

Vollständig lautet der betreffende Passus: Si igitur ñeque clericus neque laicus neque monaebus es, quo nomine te censeam, reperire non valeo. Sed forte Fetrum te appellati posse ex consuetudine mentieris. Certus sum autem, quod masculini generis nomen, si a suo genere deciderit, rem solitam significare recusabit. [...] Solent enim nomina propriam significationem amittere, cum eorum significata contigerit a sua perfectione recedere. Neque enim ablato tecto vel pariete domus, sed imperfecta domus vocabitur. Sublata igitur parte quae hominem facit non Petrus, sed

305

Dekonstruktion nun wird die g r a m m a t i s c h defiziente lectio imperfecta lichen Satzes Constat continentiae

decore

Signatur eines homo

quippe maxime

philosophes polluisse

imperfectus,

necdum

des frag-

divinos

[...]

ihrerseits zur perfekten

jener in der .Historia c a l a m i t a -

t u m ' unterdrückten Instanz des kastrierten Abaelard und seiner mythologischen R e i n k a r n a t i o n im hinkenden artifex Polluisse

Vulcanus.

- im n e u e n , , s t r e u e n d e n ' Licht wird auf einmal etwas

w a h r n e h m b a r , w a s m a n zu kennen glaubt und w a s regelrecht zur K e n n m a r k e von Dekonstruktion avanciert ist: différence rance,

/ diffé-

dieses irritierend sinnstreuende, untrennbar mit dem N a -

m e n Derrida verbundene Z a u b e r w o r t , in d e m „es sich, gleichsam faktisch, [trifft], daß dieser graphische Unterschied (das a an der Stelle des e), dieser ausgeprägte Unterschied zwischen zwei anscheinend vokalischen Schreibweisen, zwischen zwei Vokalen, rein graphisch bleibt: er läßt sich schreiben oder lesen, aber er läßt sich nicht v e r n e h m e n . " 5 1 U n d eben in diesem ,,stumm[en], verschwiegen [en] und diskret[en]" „ a " , so heißt es weiter, sei wie in einem imperfectus Petrus appellandus es. [...] Plura quidem in tuam contumeliam vera ac manifesta dictare decreveram, sed quia contra hominem ìmperfectum ago, opus quod coeperam imperfectum relinquo. („Wenn du also weder Kleriker noch Laie noch Mönch bist, so vermag ich den Namen, bei dem ich dich nennen soll, nicht zu finden. Aber du wirst vielleicht auf die Lüge verfallen, man könne dich wie gewohnt Petrus nennen. Doch bin ich mir sicher, daß ein Nomen männlichen Geschlechts, wenn die Sache diesem Geschlecht nicht mehr angehört, sich weigern wird, diese wie gewohnt zu bezeichnen. [...] Es pflegen nämlich die Nomina die ihnen eigene Bedeutung zu verlieren, wenn die von ihnen bezeichnete Sache das Pech hat, ihre Vollkommenheit einzubüßen. Denn man wird, wenn das Dach oder eine Wand fehlt, auch nicht von einem Haus, sondern von einem unvollständigen Haus sprechen. Wenn dir also der Teil, der jemanden zum Mann macht, genommen wurde, hat man dich nicht Petrus, sondern unvollständigen Petrus zu nennen. [...] Ich hatte ja eigentlich vor, noch mehr Wahres und Bewiesenes zu deiner Schande zu schreiben, doch da ich es mit einem unvollständigen Mann zu tun habe, will ich das begonnene Schreiben unvollständig lassen.") Der lateinische Text wird zitiert nach Joseph Reiners, Der Nominalismus in der Frühscholastik. Ein Beitrag zur Geschichte der Universalienfrage im Mittelalter, Münster 1910, S. 6 3 - 8 0 , hier S. 80. 51

Jacques Derrida, Die différance [frz. zuerst 1972], in: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart. Mit einer Einführung hg. von Peter Engelmann, Stuttgart 1990, S. 7 6 - 1 1 3 , hier S. 77.

306

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„Grabmal" 5 2 geborgen, was die nur vermeintlich gesicherte Zeichenverweisung in eine von keinem Punkt aus beherrschbare „Spielbewegung" 53 versetzt. Zugleich, bei genauerem Hinsehen, fällt auf, daß polluisse offenbar eher wie ,modern' funktioniert, das umgekehrt graphisch, im Medium der Schrift, alles unentschieden ließ und erst beim Aussprechen zur Entscheidung und zur Scheidung zwang: in die unterschiedenen Les- oder, richtiger, Sprecharten ,modern' oder ,modern'. Und, noch genauer hingesehen, funktioniert es eigentlich noch einmal anders: läßt es die Sinnstreuung doch weder sehen noch hören. Handelt es sich bei polluisse also um différance im Sinne Derridas? Wichtiger als eine Antwort auf diese Frage wäre die Wahrnehmung, daß eben der Versuch, ein dekonstruktives Modell zu autorisieren, es als Richtlinie und Maßstab an eine dekonstruktive Lektüre anzulegen und in ihr wiederfinden zu wollen, aus dem dekonstruktiven Lektüreakt bereits ausgestiegen ist. Wiedereinstieg also dort, wo polluisse und polluisse, Abaelard der philosophus perfectus und Abaelard der homo imperfectus sich auseinanderzusetzen begannen ... Wenn nämlich die grammatisch defiziente lectio imperfecta (zu polluere) sich als perfekte Signatur eines homo imperfectus Geltung (pollere) gegen die grammatisch korrekte, ,orthodoxe' lectio perfecta (zu pollere) zu verschaffen vermag, dann erscheint dieser an gravierender Stelle erfolgende grammatische Defekt eben ausgerechnet den Akt der pollutio durchstreichend, den der an ebenso gravierender Stelle erfolgte körperliche Defekt nicht mehr zuläßt 54 - zugleich auch als Reflex eines in der ,Historia 52 53 54

Derrida, Die différance (wie Anm. 51), S. 78. Derrida, Die différance (wie Anm. 51), S. 89. Auf diesen Sachverhalt spielt in einem als consolatio kaschierten beißenden Glückwunsch zur Kastration Fulco von Deuil an, vgl. Epistola XVI. Quae est Fulconis prioris de Diogilo, ad Petrum Abaelardum, in: Petri Abaelardi abbatis Rugensis opera omnia, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 178), Paris 1855, Sp. 373: Et omnino post hos hujus fragilissimae fragilitatis fluxus, quod magnum Dei gratiae munus in hoc ordine aestimo, nocturnas somniorum illusiones te minime sentire ita certum est, sicut certum est quoniam voluntatem, si forte aderii, nullus sequetur effectus („Und überhaupt wirst du nach dem Dahinschwinden dieses zerbrechlichsten aller zerbrechlichen Dinge - und das halte ich in deinem Stand für ein großes Geschenk der göttlichen Gnade - so gewiß

Dekonstruktion

307

calamitatimi' um Geltung ringenden prekären Entwurfs von Autorschaft. Die Funktion Autor stellt im literarischen Diskurs eine zentrale Macht- und Ordnungsposition dar, wobei dieses diskursbeherrschende Sinnzentrum sich in einer Uberlagerung von Logozentrismus und (da dieser Diskurs ein dominant männlich codierter ist) Phallozentrismus als phallogozentrisches konstituiert. Was aber, wenn Logos und Phallos auseinandertreten, wenn Autorschaft aus dem Verlust des Phallos (nicht lediglich des biologischen Körperteils, sondern des symbolischen Machtattributs) erwächst,55 wenn die Narration des Textes ihr heimliches Zentrum eben in dieser unterdrückten Verlustgeschichte hat? Die körperliche, aber eben zugleich auch symbolisch das pollere beeinträchtigende Leerstelle umschreibend umschreiben zum erfüllten geistigen und geistlichen Sinnzentrum - so könnte man pointiert das Programm der ,Historia calamitatum' formulieren. Im Mittelpunkt dieses Umschreibeprojekts aber steht als blind zu machender Fleck, als macula, die Kastration, die sich im Koordinatensystem von polluere und luere als Ort höchst widersprüchlicher Zuschreibungen erweist. Noch ohne spezifischen Bezug in auktorialem Vorgriff eingeführt wird die Kastration zu Beginn der Heloisengeschichte nach dem Modell der consolatio: als von der göttlichen Gnade gegen nicht mehr das geringste von den nächtlichen Traumerscheinungen zu befürchten haben, wie es gewiß ist, d a ß - sollte vielleicht doch der Wille dazu noch bestehen - dies keine Folgen haben w i r d " ) . M a n beachte die hinterhältig performative W o r t w a h l , die den Verlust ( f l u x u s im Sinne von amissio) in die Terminologie des Verlorenen (fluxus [sc. seminis] = pollutio) kleidet! 55

In der Abaelard-Forschung ist verschiedentlich ein Z u s a m m e n h a n g zwischen Kastration und dem Beginn von Abaelards Autorschaft beobachtet worden, vgl. Irvine, (Re)writing the male body (wie A n m . 3 3 ) sowie Vitz, Medieval narrative (wie Anm. 3 5 ) , S. 2 3 . Einen Bezug zwischen, wenn nicht stilus, so doch lingua und cauda stellt bereits Roscelin (wie A n m . 5 0 ) , S. 6 4 , her: Sed valde tibi divina metuenda est iustitia, ne, sicut cauda, qua prius, dum poteras, indifferenter pungebas, merito tuae immunditiae tibi ablata est, ita et lingua, qua modo pungís, auferatur ( „ D o c h mußt du die Gerechtigkeit Gottes sehr fürchten - nicht daß m a n dir, wie m a n dir zuvor den Schwanz, mit dem du, als du noch konntest, unterschiedslos zustachst, zur wohlverdienten Strafe für deine Unreinheit a b n a h m , nun auch noch die Z u n g e nimmt, mit der du jetzt zustichst").

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den Willen des Kranken verabreichtes Heilmittel (morbi remedium divina mihi gratia licet nolenti contulitS6). Zieht man in Betracht, daß diese Bestimmung unmittelbar auf den zwielichtigen polluisse-Satz folgt, wird man in der Relektüre darin freilich auch die programmatische Paradoxie erkennen, das vulnus, als welches die Kastration in der nächsten Kapitelrubrik benannt wird, S7 zum remedium umzuschreiben. Entsprechend wird die Kastration auch vom erlebenden Ich zunächst keineswegs als heilsam empfunden - zwar nicht so sehr als körperlich schmerzende Wunde, aber doch als regelrecht vernichtende Verletzung des Selbstwertgefühls, des pollere·. [...] ut multo amplius ex eorum compassione quam ex vulneris laederer passione et plus erubescentiam quam plagam sentirem et pudore magis quam dolore affligerer. Occurrebat animo, quanta modo gloria pollebam, quam facili et turpi casu haec humiliata, immo penitus esset exstincta (.../.58 Ich litt viel mehr unter ihrem Mitleid als an der schmerzenden Verletzung, und die Scham empfand ich stärker als den verletzenden Hieb, die Schande focht mich mehr an als der Schmerz. Mir ging durch den Kopf, wie groß der Ruhm war, in dem ich eben noch gestanden hatte; wie schnell er durch diesen blamablen Fall verringert, ja ganz ausgelöscht worden war [...]. Freilich wird bereits hier die Kastration als gerecht zugemessene Strafe anerkannt, sowohl von göttlicher (iusto Dei iudicio) als auch von menschlicher Seite (iusta proditione) ,59 So scheinen bei aller Kränkung der Selbstliebe die Koordinaten, innerhalb deren dieses einschneidende Ereignis zu vermessen ist, doch schon festzustehen: Abgeschnitten wird das Glied, das sich schuldig gemacht, das frühere pollere in pollutio, Befleckung, verkehrt hat - so ist die Kastration als alttestamentarisch gerechtes Büßen, als luere, zu begreifen, später wird sie sogar neu gefaßt als Chance 56 57 58

59

Abaelard, Hist, calarti., Ζ. 2 2 7 (Monfrin Ζ. 263f.). Abaelard, Hist, calam., vor Z. 2 4 2 (Monfrin vor Z. 2 8 0 ) . Abaelard, Hist, calam., Z. 5 1 9 - 5 2 4 (Monfrin Z. 5 9 7 - 6 0 2 ) , mit leichten Änderungen zur Übersetzung dieser Ausgabe. Abaelard, Hist, calam., Z. 524f. (Monfrin Z. 6 0 2 - 6 0 4 ) .

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309

zu ungleich fester gegründetem pollere, da fleischliche Versuchungen dem neugewonnenen (kastrierten) Ich nichts mehr anhaben können.60 Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur konsolatorischen Einsicht vom vulnus als remedium. Vollzogen wird er im Briefwechsel mit Heloise, wenn nun die Kastration weniger als Strafe denn als Reinigung gedeutet wird (me divina gratia mundavit potius quam privavit61} und Gott damit nicht mehr als alttestamentarischer ultor („Rächer") erscheint, sondern als purgator („Reiniger"), als der gütige Gott des Neuen Testaments (benignus magis quam iustus, pater misericors, non austerus Dominus).62 Dieser, wie es scheint, unanfechtbaren Emsicht, die dogmatisch keine anderen Sichten neben sich duldet, geht jedoch zunächst, als erste Reaktion auf die Verstümmelungserfahrung, eine Irritation voraus, die tiefer gründet als im Verlust des pollere. Eine Irritation, die den tröstenden Glauben an die zwar gewaltsame, aber heilende Entflechtung von pollere/polluere, von Macht- und Schmutzgeschichte von Grund auf erschüttert, da vor Gott selbst offenbar die Kastration nicht auf der Seite des luere /pollere zu verbuchen ist: Nec me etiam parum confundebat, quod secundum occidentem legis litteram tanta sit apud Deum eunuchorum abominatio, ut homines amputatis vel attritis testiculis eunuchizati intrare ecclesiam tamquam olentes et immundi prohibeantur, et in sacrificio quoque talia penitus ammalia respuantur.63

60

61

« "

Vgl., noch fremdvermittelt und daher in oratio obliqua, Abaelard, Hist, calam., Z. 5 6 5 - 5 6 8 (Monfrin Z. 650-654): et ob hoc maxime dominica manu me nunc factum esse cognoscerem, quo liberius a carnalibus illecebris et tumultuosa vita saeculi abstractus studio litterarum vacarem, nec tarn mundi quam Dei vere philosophus fierem („Ich möge erkennen, daß mich die göttliche Hand vor allem zu dem Zweck geschlagen habe, daß ich mich frei von sexuellen Verlockungen und abgeschieden vom unruhigen Leben der Welt ganz dem Studium der Wissenschaften widmen und ein wahrer Philosoph Gottes und nicht der Welt werden könne"). Ep. V, hg. von Mückle, S. 89. Ep. V, hg. von Mückle, S. 93. Abaelard, Hist, calam., Z. 5 3 4 - 5 3 8 (Monfrin Z. 613-618).

310

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Auch beunruhigte es mich sehr, daß Eunuchen nach dem tötenden Buchstaben des Gesetzes bei Gott auf solchen Abscheu stoßen: Wer durch abgeschnittene oder zerstörte Hoden Eunuch geworden ist, darf wie ein stinkender oder unreiner Mensch die Kirche nicht mehr betreten. Auch zum Opfer werden Tiere solcher Art gar nicht zugelassen. Unmittelbarer Reflex auf diese nun auch geistliche Traumatisierung ist die ,Flucht nach vorn', in die monasticorum latibula M claustrorum („Schlupfwinkel hinter Klostermauern"). Daß die heimliche Wunde, vor Gott nun erst recht als immundus, als pollutus zu gelten, jedoch auch in der euphorischen Feier des göttlichen purgator am Ende des fünften Briefes noch schwärt, zeigen zwei nur scheinbar affirmative, da die Kastration als willkommene Maßnahme und Auszeichnung empfehlende Bibelzitate an, während diese Auslegung sich tatsächlich als irrtümliche Deutung nach einem zu eng verstandenen sensus historiens erweist - vorgenommen ausgerechnet von dem Kastraten Origines.65 Verdeckt und als verdecktes zugleich aufgerufen wird durch solche Scheinzitation das wahrhaftig auf Abaelards Kasus passende, nach wie vor unwiderlegte alttestamentarische Verdikt über die Verschnittenen (Mensch wie Tier); indem ihm für den Rest des Textes das Wort abgeschnitten wird, wiederholt sich im gewaltsamen Schnitt des Nicht-mehr-zu-Wort-kommen-Lassens die Figur der Kastration auf der Diskursebene.

64 65

Abaelard, Hist, c a l a m . , Z . 5 4 4 f . (Monfrin Z . 6 2 5 ) . Vgl. Ep. V, hg. von Mückle, S. 8 9 f . Der Widerspruch zwischen das Eunuchentum feiernden Bibelstellen wie M t . 1 9 , 1 2 oder Jes. 5 6 , 3 - 5 und solchen, die Eunuchen v o m Gottesdienst ausschließen, wie Deut. 2 3 , 1 hat die mittelalterlichen Bibelexegeten verschiedentlich beschäftigt; eine H a r monisierung wurde jedoch erreicht durch die Unterscheidung zwischen , E u n u c h ' im Literalsinn (dem die göttliche Anerkennung vorenthalten bleibe) und ,Eunuchen' im spirituellen Sinn (die vor Gott besonders privilegiert seien). Vgl. dazu Susan Tuchel, Kastration im Mittelalter, Düsseldorf 1 9 9 8 , S. 1 2 0 - 1 2 6 . Eben diese Spiritualisierung der Kastration stellt sich im Fall Abaelards, w o die Körperlichkeit des Eunuchenstatus als gegebenes Substrat in die Auslegung immer schon miteinbezogen werden muß, als zentrales Problem dar.

Dekonstruktion

311

Warum aber bedarf es, nach der Verdrängung, nochmals eines so gewaltsamen Schnitts? Der Grund dafür liegt in Heloise: Heloise, die ihr Ich aus der Narration der ,Historia' emanzipiert hat, sich der dort vorgetragenen Argumentation widersetzt, das ganze scheinbar wohlgeordnete Gespinst von luere und polluere wieder durcheinanderzubringen droht. Heloise, die nicht nur gegenüber dem auktorial sinnschaffenden Erzähler Abaelard an die tragische Figur des unglücklich Liebenden und ungerecht Bestraften appelliert, sondern dabei auch an jene verdeckte dritte, ins mythologische Bild des verstümmelten Gottes Vulcanus gebannte Instanz rührt: Abaelardus imperfectus. Daß das vocabulum [...] concubinae vel scorti („der Name Beischläferin oder Hure") ihr viel süßer vorkomme als das der Gattin (uxoris nomen), schreibt Heloise in einem berühmten Passus ihres ersten Briefes,66 damit Abaelards Selbstdarstellung als Minervae amator konterkarierend, der doch wenigstens vor der immunditia scortorum67 („der Unreinheit der Huren") immer Abscheu empfunden haben will und allenfalls der minervagleichen Gelehrten Heloise habe verfallen können. Doch es kommt noch schlimmer: Ihr ein und alles war und ist der Geliebte, allein seinet-, nicht Gottes wegen ist sie ins Kloster gegangen, ihm gefolgt, nur äußerlich vorangegangen; ebensogut (aeque) wäre sie ihm auch woandershin gefolgt oder vorangegangen - wohin aber? Ad Vulcania loca.6S Was für eine Örtlichkeit ist gemeint? „In die Hölle" bieten einhellig die Übersetzungen, 69 darin offenbar einer Erläuterung 66 67 68

69

Ep. II, hg. von Mückle, S. 71. Abaelard, Hist, calam., Z. 235 (Monfrin Z. 272). Ep. II, hg. von Mückle, S. 72f.: Properantem te ad Deum secuta sum, habitu immo praecessi. /.../ Aeque autem Deus seit ad Vulcania loca te properantem praecedere vel sequi pro iussu tuo minime dubitarem. („Dir bin ich auf dem Weg zu Gott gefolgt, wenn ich auch äußerlich vorangegangen bin. [...] Ebensowenig aber - Gott weiß es - hätte ich gezögert, dir auf dem Weg ins Gebiet des Vulcanus voranzugehen oder auch zu folgen, hättest du es verlangt."). Abaelard, Die Leidensgeschichte und der Briefwechsel mit Heloisa. Ubertragen und hg. von Eberhard Brost. Mit einem Nachwort von Walter Berschin, Heidelberg 1979, S. 85; Abaelard, Der Briefwechsel mit Heloisa. Übersetzt und mit einem Anhang hg. von Hans-Wolfgang Krautz. Stuttgart 1989, S. 68.

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in den ,Indices Linguisticae' des Herausgebers der patrologia Latina' folgend: bei Abaelard stehe Vulcania pro inferno.70 Der Haken daran ist bloß: Sooft das von Vulcanus abgeleitete Adjektiv in der patrologia Latina' sonst begegnet,71 bezieht es sich entweder geographisch auf die Sizilien vorgelagerten vulkanischen Inseln oder erklärt sich metonymisch aus Vulcanus' Affinität zur Schmiedekunst und zum Feuer. 72 Abaelard freilich scheint zu verstehen, wovon die Rede ist, und zugleich diese Äußerung noch drei Briefe später des wörtlichen Zitats für würdig zu erachten73 - um unmittelbar darauf zum entscheidenden letzten Schlag (plaga) in Sachen luere/polluere auszuholen. An etwas unnennbar Aufwühlendes hat Heloise mit den Vulcania loca offenbar gerührt, zugleich an etwas, was nur die beiden angeht, wortkarg keiner Erklärung oder Kontextualisierung für nötig befunden wird, als sei es idiomatisch (was es aber eben nicht ist). Doch Abaelard verrät sich wenig später in der Wahl seines Gegengiftes selbst, wenn er Heloise beschwört: Attende itaque, attende, carissima, quibus misericordiae suae retibus a profundo huius tarn periculosi maris nos Dominus piscaverit et a quantae Charibdis voragine naufragos licet invitos extraxerit [...].74 Bedenk also, bedenke, Liebste, wie uns der Herr mit den Netzen seiner Barmherzigkeit aus der Tiefe dieses so gefährlichen Meeres aufgefischt und aus welchem Strudel der Charybdis er uns schiffbrüchig, selbst gegen unseren Willen, herausgezogen hat [...]. 70

71

72

73

74

Indices, generales simul et speciales, Patrologiae Latinae, tomus quartus, hg. von Jacques Paul Migne, Paris 1 8 6 4 , Sp. 7 4 3 . Leicht überprüfbar mithilfe der von Chadwyck-Healey herausgegebenen patrologia Latina Database'; zugleich kann dieses umfangreiche Textcorpus als repräsentativ für den lateinischen Sprachgebrauch des frühen Mittelalters gelten. Der Schritt vom Feuer zum Höllenfeuer aber, der offenbar assoziativ für die Herausgeberglosse verantwortlich zeichnet, wird nirgends getan. Verkürzt freilich um das signifikante aeque. Ep. V, hg. von Mückle, S. 87: Sustinebis illuc [ad beatitudinem] me sine te pergere, quem etiam ad Vulcania profiteris te sequi velie? („Wirst du es denn ertragen können, wenn ich meinen Weg dorthin [zur Seligkeit] ohne dich fortsetze, da du doch beteuert hast, du wollest mir sogar ins Gebiet des Vulcanus folgen?"). Ep. V, hg. von Mückle, S. 88.

Dekonstruktion

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Verdeckt unter den Netzen des göttlichen Fischers wird das kunstvolle Drahtnetz des artifex Vulcanus kenntlich, das der hinkende Gott in seinem Terrain, dem ehelichen Schlafgemach, als Falle ausgespannt hatte - in diese loca will Heloise dem Geliebten folgen oder vorauseilen, selbst auf die Gefahr hin, dort aufs neue als Venus und Mars im raffinierten Netz des Vulcanus vor der (Götter-)Welt ausgestellt zu werden. Behält so am Ende doch der Abaelardus imperfectus mit seinem dekonstruktiven Netzwerk das letzte Wort? Und somit eine Instanz, die nicht nur die perfectio von Abaelards geistlichem pollere in Frage stellt, sondern überdies noch für die imperfectio, die Unabgeschlossenheit, ja Unabschließbarkeit der Liebes- und Kastrationsgeschichte in den Koordinaten von luere/polluere einsteht? Für die Hintertreibung des souveränen Autor-Über-Ichs Abaelard, dessen Macht der Text zu beglaubigen sucht, durch Spaltung in den potenten, aber ohnmächtigen Mars und den impotenten, doch kraft seiner Kunst triumphierenden Vulcanus? An diesem Punkt vermag nur noch ein Machtwort zu helfen. Gesprochen wird es, indem Abaelard Heloise unwiderruflich auf den Namen dessen zu verpflichten sucht, qui etiam sancto quodam notninis praesagio te praecipue suam fore praesignavit, cum te videlicet Heloissam id est divinam ex proprio nomine suo quod est Heloim insignivit75 („der dich sogar in einer Art Prophezeiung durch deinen Namen als sein künftiges Eigentum gekennzeichnet hat, indem er dich nämlich als Heloise, d.h. die Göttliche, bezeichnet hat nach seinem eigenen Namen Heloim"). Damit sollte in Gottes Namen der Fall nun wirklich entschieden sein. Doch wer seine Rede auf die sichere Signifikanz von Namen gründet, müßte zuvor sicherstellen, daß der,vulkanische' Doppelsinn von polluisse nicht mehr aktiv ist. Ist er das noch/nicht mehr? Erat quippe in ipsa civitate Parisius adolescentula quaedam nomine Heloysa76 („Es lebte damals in der Stadt Paris eine junge Frau mit dem Namen Heloise") - so wird Heloise in die ,Historia calamitatum' eingeführt. Läuft, wer Heloises Namen etymolo75 76

Ep. V, hg. von Mückle, S. 90. Abaelard, Hist, calam., Z . 242f. (Monfrin Z. 280f.).

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gisch zu deuten unternimmt, nicht Gefahr, verdeckt eine andere, w o m ö g l i c h näherliegende E t y m o l o g i e mitaufzurufen? Die einer gleichfalls großen Liebenden, einer, die enger n o c h als Heloise mit Paris verbunden ist, freilich nicht mit der mittelalterlichen Stadt P a n s , sondern mit Paris, dem trojanischen Königssohn

-

Helena? H e l e n a , um deretwillen M i n e r v a (und J u n o ) zugunsten der Venus v e r s c h m ä h t w u r d e n , Helena, die m a n έτητύμωξ, „mit W a h r h e i t " , ελένας ελανδρος ελέιττολι$ („Schiffezerstörerin, M ä n nerzerstörerin, S t ä d t e z e r s t ö r e r i n " ) nennen könne? 7 7 U n d die in der mittelalterlichen T r a d i t i o n als Gefährtin des Simon M a g u s als apostolische Begleiterin mithin, wie Abaelard in der , H i s t o r i a ' so viele zu Kronzeuginnen seiner Liaison mit Heloise aufruft 7 8 in eine höchst zwielichtige Existenz überführt wird: changierend zwischen meretrix,

socia

V e r k ö r p e r u n g der Minerva,

scelerum

in o r t h o d o x e r Sicht 7 9

der göttlichen Sophia,

und

oder gar des

77

Aischylos, Agamemnon, V. 682 und 688f. zu έλεϊν („erobern"). Den Hinweis auf Aischylos verdanke ich Richard Kannicht (Tübingen). Ob diese griechische Etymologie ins Lateinische gefunden hat, ist mir leider nicht gelungen nachzuweisen. Der Sachverhalt (Helena als die universell Zerstörende) ist freilich in der klassischen wie der mittelalterlichen lateinischen Literatur omnipräsent. Und daß Heloise neben Latein nicht nur (das für Abaelards Etymologie benötigte) Hebräisch konnte, sondern auch Griechisch, bezeugt mehrfach Abaelards ,Epistola ad virgines Paracletenses. De studio litterarum', worin Heloise den Nonnen als Sprachlehrerin empfohlen wird, quae non solum Latinae, verum etiam tarn Hebraicae quam Graecae non expers litteraturae, sola hoc tempore illam trium linguarum adepta peritiam videtur, quae ab omnibus in beato Hieronymo, tanquam singularis gratia, praedicatur („die keine schlechte Kennerin nicht nur der lateinischen, sondern auch der hebräischen und griechischen Literatur ist und so gegenwärtig die einzige Frau zu sein scheint, die über jene Kenntnis in den drei Sprachen verfügt, die von allen am seligen Hieronymus wie eine einzigartige Auszeichnung gepriesen wird"). In: Petri Abaelardi abbatis Rugensis opera omnia, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 178), Paris 1844, Sp. 333.

78

Vgl. Abaelard, Hist, calam., Z. 1217-1255 (Monfrin Z. 1400-1444), ferner Ep. VII von Abaelard an Heloise, hg. von Mückle, bes. S. 259. Augustinus, De haeresibus, in: Sancti Aurelii Augustini Hipponensis episcopi opera omnia, tomus octavus, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 42), Paris 1841, Sp. 25: Minervam vero meretricem quamdam Helenen [credi volebat], quam sibi sociam scelerum fecerat, imaginesque et suam et ejusdem meretricis discipulis suis praebebat adorandas [Simon magus] („Er [Simon Magus] verlangte aber, daß man eine Hure namens Helena für Minerva halte, und ließ seine Jünger sein

79

Dekonstruktion

315

Spiritus Sanctus in den Augen der simonianischen Gnostiker? 80 Spiritus Paraclite, hilf, schon beginnt sich ein neues vulkanisches' Netz zu knüpfen ...

Kann ein Stoßgebet an den Paraclitus, den Tröster, den Wörtern die Unschuld wiedergeben, die sie im Fadenkreuz von polluisse/ polluisse verloren haben? Videns autem Pilatus quia nihil proficeret [...], accepta aqua, lavit tnanussi („wie Pilatus aber sah, eigenes Bild und das jener Hure anbeten"); vgl. auch Tertullian, De anima, in: Quinti Septimii Florentis Tertulliani presbyteri Carthaginiensis opera omnia, tomus secundus, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 2), Paris 1 8 4 4 , Kap. 3 4 , Sp. 708f., Philastrius Brixiensis, De haeresibus, in: Sancti Eusebii episcopi Vercellensis opera omnia, Firmici Materni necnon sancti Philastrii opera omnia, hg. von Jacques Paul Migne (Patrologia Latina 12), Paris 1 8 4 5 , Kap. 2 9 , Sp. 1 1 3 7 - 1 1 4 1 . 80

81

Vgl. Jarl Fossum/Gilles Quispel, Helena I (simonianisch), in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, hg. von Ernst Dassmann u.a., Bd. 14, Stuttgart 1 9 8 8 , Sp. 3 3 8 - 3 5 5 . Mt. 27,24.

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daß er nichts ausrichtete, ließ er sich Wasser bringen und wusch seine Hände") - ich wasche meine Hände in Unschuld. Wasserhahn an - das luere selbst in die Hand nehmen? Beten die ,Betenden Hände' noch, wenn der Wasserhahn über ihnen ins Bild tritt? 82 ,Zerstreut' das Wasser ihr Gebet, beten sie sich selbst, den allmächtig wasserspendenden Handgriff, an? Werden sie modern?

82

Das Bild unter dem Titel ,AD Hände' stammt von Vikas Rosenthal (Abbildung nach einer Postkarte, Berlin: Edition Inkognito).

Register Das Register verzeichnet Personen- und Ortsnamen. Erscheint ein N a m e nur in den Fußnoten, ist die Seitenzahl mit einem ,n' gekennzeichnet. Nicht aufgenommen sind Autorennamen in den Fußnoten, die mit Kurztiteln auf schon genannte Literatur zurückverweisen. Adam 193, 234, 2 5 2 Ahasver 8 4 - 8 5 Aischylos 314n Ajax 10-11 Alberich von Reims 14-15, 4 4 - 4 7 , 49, 301 Alkuin 300n d'Amboise, François X , X l n Amstutz, Nathalie 198n Anaclet II. 264 Angenendt, Arnold 301n Angermüller, Johannes 197n Anselm von Laon 1 0 - 1 1 , 1 5 , 4 4 - 4 5 , 153, 154n, 301 Antonius 5 6 - 5 7 Anz, Thomas 240n Archipoeta 2 6 I n Arduzon 6 8 - 6 9 , 269n Argenteuil 3 6 - 3 7 , 4 0 - 4 1 , 8 0 - 8 1 , 2 8 3 Arieti, Silvano 2 3 8 η Aristoteles 208 Asella 8 4 - 8 5 , 9 8 - 9 9 Asper, Markus 108n, 288n Assmann, Aleida 130n Astralabius 2 4 - 2 5 , 2 0 7 , 2 2 9 - 2 3 0 Athanasius 5 4 - 5 7 , 7 6 - 7 7 , 160, 2 5 5 Athen 33, 5 8 - 5 9 Athene 2 9 2 Augustinus 3 2 - 3 3 , 4 8 - 4 9 , 8 6 - 8 7 , 112, 124, 141n, 158-159, 3 0 2 304, 314n Augustus 275 Bad Homburg v.d.H. XI Bagge, Sverre 111η, 142n

Baldwin, John W. 112n Barner, Wilfried 107n Barrow, Julia 120n Barstow, Anne L. 272n Baßler, Moritz 173n, 261n Bauer, Gerhard 115n Bautier, Robert-Henri 208n, 263n Beauvais 264n Becker, Hans-Jürgen 279n Beda 5 8 - 6 1 Benedikt 9 4 - 9 5 , 160, 164 Benson, Robert 142-143nn Benton, John F. 116n, 142n Berengar 1 0 - 1 1 Bernardus Silvestris 2 6 I n Bernhard von Clairvaux 155, 166, 167n, 168, 264 Berschin, Walter 31 In Bezner, Frank 176n Birus, Hendrik 239n Boelens, Martin 265n Boethius 135, 2 9 1 Bourdieu, Pierre 173 v. Braun, Christina 178n Bretagne 2 - 3 , 7 6 - 7 7 , 2 2 7 - 2 2 8 Brieler, Ulrich 144n Brooke, Christopher N . L . 126n, 272n, 280n Brost, Eberhard 31 In Brown, Peter 149n, 186n Brundage, James Α. 126n Bublitz, Hannelore 146n Bührmann, Andrea 146n Burckhardt, J a c o b 143n, 148, 149n Burnett, Charles 120n

318

Register

Busse, Adolf 6n Busse, Wilhelm G. 1 7 1 η Bußmann, Hadumod 179n Butler, Judith 1 7 9 Buytaert, Eligius 1 6 3 n , 1 6 5 n , 2 7 3 n Bynum, Caroline Walker 1 5 9 n , 1 7 0 n , 198 Castrician 2 2 - 2 3 Châlons-sur-Marne 6 - 7 , 1 0 - 1 1 Charrier, Charlotte 137n Chartier, Roger 174n Charybdis 3 4 - 3 5 , 2 6 8 , 3 1 2 Chenu, Marie-Dominique 142n Chibnall, Marjorie 2 6 3 n Chuzas 8 8 - 8 9 Cicero 2 8 - 2 9 , 96n, 117, 2 1 0 n , 2 1 5 n , 233 Cipollone, Maria 120n Clanchy, Michael Τ . 1 1 9 n , 2 9 5 n Clermont 2 6 4 n Cluny 2 5 9 Cohen, Jeffrey Jerome 2 4 3 n , 2 9 6 n Constable, Giles 1 1 3 η , 125η, 1 4 2 143ηη, 160η, 2 5 9 η Corbeil 4 - 5 Cornelia 4 0 ^ 1 1 Culler, Jonathan 106η, 1 7 5 η Daniel 5 4 - 5 5 Dassmann, Ernst 3 1 5 n David 2 3 4 Dedeck-Héry, Venceslas L. 135n Deitz, Luc 2 9 4 n , 2 9 9 n Delhaye, Philippe 2 7 1 n Denzinger, Heinrich 54n Derrida, Jacques 1 7 3 , 1 7 5 , 3 0 5 Dilthey, Wilhelm 1 4 0 Diogenes 6 6 - 6 7 Dionysios der Tyrann 9 6 - 9 7 Dionysius Areopagita 5 8 - 6 1 , 1 3 1 , 251 D o m Gervaise 1 3 1 η Dorn, Erhard 112n Douie, Decima L. 1 2 6 n Dreyfuss, Hubert L. 1 4 4 n Dronke, Peter 1 1 6 n , 1 2 4 n , 142n Duby, Georges VHIn, 1 9 9 n , 2 7 2 n Duchesne, André X I n Duerr, Hans Peter 187n

Echo 7 4 - 7 5 Eco, Umberto 105n Elias 3 2 - 3 3 , 1 5 2 , 162 Elisa 3 2 - 3 3 , 6 6 - 6 7 Elisabeth 9 0 - 9 1 Engel, Manfred 137n Engelmann, Peter 3 0 5 n Engels, Lodewijk J . 154n England 2 7 2 Eribon, Didier 177n Essäer 3 2 - 3 3 Esther 8 4 - 8 5 Eusebius 4 2 n , 86n Eva 1 9 9 , 2 5 2 Ezechiel 1 2 - 1 3 , 1 6 - 1 7 Farinelli 186n Farmer, Dennis Η . 126n Febvre, Lucien 1 7 3 Ferguson, Chris D. 11 I n , 141n Ferroul, Yves 2 4 3 n Ferruolo, Stephen 153n Fiedler, Peter 2 4 7 n Fischer, Gottfried 2 4 6 Fish, Stanley 106n Flasch, Kurt 2 8 7 n Flynn, Thomas 144n Fossum, Jarl 3 1 5 n Foucault, Michel 1 4 3 - 1 4 4 , 1 4 6 - 1 5 0 , 1 6 1 , 1 6 9 - 1 7 1 , 1 7 3 - 1 7 6 , 177n Fraioli, Deborah 2 7 2 n , 2 9 4 n Frank, Donald Κ. 141n Frank, Manfred 1 4 3 - 1 4 4 n n Franken 5 8 - 5 9 , 7 6 - 7 7 Frankreich 4 4 - 4 5 , 135 Franzien 6 - 7 , 1 0 - 1 1 Freud, Sigmund 2 3 7 - 2 3 8 Fricke, Hannes 1 8 7 n , 2 4 2 n , 2 9 6 n Fricke, Peter X I I Fried, Johannes 118n Friede, Susanne X I I Friedrich, Hugo 113 Fulbert 1 8 - 1 9 , 1 5 0 , 2 0 6 - 2 0 7 , 2 0 9 , 212, 2 2 1 - 2 2 3 , 225, 2 2 9 - 2 3 0 , 243, 266, 277-278, 293 Fulco von Deuil 1 5 1 n , 1 5 8 n , 2 4 3 , 244n, 248, 277, 306n Gäbe, Sabine X I I Geertz, Clifford 1 3 0 η , 2 6 1 η

Register Geier, Andrea 197n Georgianna, Linda 117n Gilbert, Sandra 197n Gildas von Rhuys siehe St. Gildas Gilson, Etienne 143n Godman, Peter 170n Godfried Erzbischof von Rouen 262, 268 Goeppert, Herma C. 239n Goeppert, Sebastian 238-239nn Goethe, Johann Wolfgang 238 Goetz, Hans Werner 171-172nn Goffmann, Erving 251n Gora, Ines XII Gössmann, Elisabeth 192n, 199 Gottfried Bischof von Chartres 4 8 49, 52-55 Gouron, André 154n v. Graevenitz, Gerhart 119n, 138n, 169η, 172n, 257n, 296n Greenblatt, Stephen 173, 260, 2 6 1 262nn Greenway, Diana Ε. 280n Gregor VII. 269, 272 Griechenland 58-59 Grünzweig, Walter 197n Gubar, Susan 197n Guillaume de Lorris 133n Gumbrecht, Hans Ulrich 176n Gurjewitsch, Anton J. 142n Gutenberg, Andrea 200n Hark, Sabine 179n Hasse, Dag Nikolaus 298n Haug, Walter 172n, 261n Haverkamp, Anselm 143n Hefele, Carl J. 264n Heinzle, Joachim 171n Helena 314 Heliodor 98-99, 157 Heloise VII-VIII, 18-19, 25, 27, 29, 35, 37, 41, 80-81, 83, 106, 109, 111, 113, 115-121, 123-126, 128n, 129,130n, 1 3 1 - 1 3 4 , 1 3 7 138, 140, 141n, 143, 154-155, 164, 180-182, 190-196, 198202, 204-205, 208-212, 2 1 6 218, 220, 222-223, 225, 2 2 7 231, 234-235, 243, 247, 249,

319

258-260, 2 6 3 - 2 7 9 , 2 8 1 - 2 8 4 , 288-292, 297, 301-302, 307, 309, 311-314 Herodes 88-89 Hermann von Köln 112n Hicks, Eric IX, X, 106n, 110-112nn, 117n, 135n, 298n Hieronymus 22-23, 28-29, 32-35, 50-51, 64-69, 76-77, 84-85, 90-91, 98-99, 111, 112n, 156157, 160, 183, 206, 223, 227, 230, 267, 269n, 273, 283, 302 Hilduin Abt von St. Denis 58-59 Hiob 164, 193 Hof, Renate 179n Holland, Norman Η. 130n, 238n Honegger, Claudia 185n Horaz 50n Hugo der Kartäuser 126n Humbertus de Silva Candida 88n Hüther, Gerald 247n Hyrtius 28-29 Innozenz II. 82-83, 96-97,264-265, 302 Irvine, Martin 255n, 296n Iser, Wolfgang 106, 124 Isidor von Sevilla 300-301 Israel 54-55 Ivo von Chartres 88n, 125, 264n Jaeger, C. Stephen 11 On, 159n Jannidis, Fotis 241n Janota, Johannes 119n, 169n, 257n, 296n Jauß, Hans Robert 106n, 107n, 123n, 128n, 138n Jean de Meun IXn, 127, 133-138, 288, 290, 298n Jenal, Georg 119n Jerusalem 84-85, 183 Johanna Frau des Chuzas 88-89 Johannes 72-73 Johannes der Täufer 32-33, 155, 162 Jolivet, Jean 208n, 263n Jordan 68-69 Josephus 32-33 Jovinian 28-29, 3 4 - 3 5 , 6 4 - 6 5 , 2 6 9 n

320

Register

Joyce, George Η . 279n Judas 235 Juno 314 Juvenal 92n Kain 9 2 - 9 3 Kandace 8 4 - 8 5 Kannicht, Richard 314n Kaplan, Steven L. 174n Kephas 8 8 - 8 9 Klapisch-Zuber, Christiane 199n v. Kleist, Heinrich 238 Klosterath 301 Kögler, Hans-Herbert 144η Könsgen, Ewald 114η Korinth 5 8 - 5 9 Krautz, Hans-Wolfgang 181n, 259n, 311n Kühne, Udo XII, 113n, 117n Kunibert von Turin 269 Kuno von Praeneste 44—45, 47, 53 Kuoni, Martina 198n La Capra, Dominick 174n Ladner, Gerhart 154n Laistner, M a x 58n Lalore, Charles 130n Landwehr, Götz 279n Lanser, Susan S. 197n Laon 10-11, 1 6 - 1 7 Lausberg, Heinrich 206n Leclerq, Jean 151n, 162n, 166n Lehmann, Elmar 197n Lenz, Bernd 197n Lenz, Jacob M. R. 238 Leo IX. 8 8 - 8 9 Lillebon 264n Lindemann, Gesa 179n London 264n, 268n, 2 8 0 - 2 8 1 , 283 Lorenzer, Alfred 238n Lotulf aus der Lombardei 14-15, 44—45, 301 Lucan 12-13, 40n Lucia 1 0 - 1 1 Lucilius 3 0 - 3 1 Luscombe, David E. Vlln, 114n, 116η, 120n, 164n, 292n Lutterbach, Hubertus 300n Lüttich 268η

Mahald 281 Mahérault, Marie-Joseph-François 243η Maihofer, Claudia 185n Malchus 90-91, 159, 302 Mansi, Giovanni D. 265n Marenbon, John Vlln, 120n, 249n Maria Magdalena 88-89, 112n Märker, Almuth XII Marquard, Odo 138n Mars 2 - 3 , 2 4 - 2 5 , 207, 2 2 6 - 2 2 7 , 2 9 2 - 2 9 5 , 299, 313 Martellotti, Guido Xln v. Matt, Peter 237n McLaughlin, Mary M . l l l - 1 1 2 n n , 141n McLaughlin, Terence Ρ. 117η, 264η Meaux 6 2 - 6 3 Melun 4 - 5 , 8 - 9 Mengal, Paul 143n Menke, Bettine 198η Mews, Constant J. 113-114nn Michael 7 2 - 7 3 Miethke, Jürgen 272n Migne, Jacques Paul l l l - 1 1 2 n n , 118n, 125-126nn, 151-152nn, 156η, 166η, 244n, 264n, 273n, 277η, 300η, 303n, 306n, 312n, 314-315nn Minerva 2 - 3 , 32, 2 9 2 - 2 9 4 , 2 9 8 , 311, 314 Mirbt, Carl 270n Misch, Georg 112η, 140, 141η Monfrin, Jacques IX-XI, 11 On, 119, 150η, 181η, 204η, 244η, 263η, 275η, 289η v. Moos, Peter VlIIn, 110η, 112η, 114η, 119η, 140η, 142η, 154η, 180η, 273η, 275η, 287η Morales, Edgardo 90η Moreau le Jeune, Jean-Michel 243η, 245 Morris, Colin 142η Morrison, Karl F. 154η Moser, Tilmann 240 Mückle, Joseph Τ. IX-X, 126n, 164η, 181η, 196n, 249n, 273n, 289-290nn Müller, Jan-Dirk 171 η

Register Müller, Ulrich 134n München 286-287 Mundhenk, Christine XII de Musset, Alfred 137 Nantes 2-3, 94-95 Nasiräer 32-33, 267, 271 Nepotian 98-99, 157 Niggl, Günter 134n Niggli, Ursula 187n, 257n, 296n Nikodemus 50-51 de Nolhac, Pierre 116n, 140n Notre Dame 281 Ordericus Vitalis 263 Origines 42-43, 84-85, 87, 151, 159, 186n, 190, 310 Orléans 207 Ortkemper, Hubert 186n Otloh von St. Emmeram 112n Ott, Karl Α. 133n, 135n Ovid 8n, 10η, 226-227, 230, 294 Palais 2-3 Paphos 227 Paraklet VIII, 70-71, 74-75, 80-83, 93,119-123,126,128-137,155, 181-182, 189, 269, 273, 281, 288, 297, 302, 315 Paris 4-9, 11, 16-19, 36-37, 136, 207, 210, 227-228, 263, 266, 274, 281, 283, 291, 301, 313314 Parmenianus 88-89 Paula 84-85, 183 Paulus 29, 71, 73, 75, 79, 87-89, 91, 99, 152,157-158,164, 184, 267, 270, 273, 302-303 Payer, Pierre J. 300n Pelcovitz, David 250n Père Lachaise 137 Peripatetiker 2-3 Perrot, Michelle 199n Peters, Ursula 171-172nn, 180n Petersen, Jürgen Η. 295n Petrarca, Francesco XI, 115-116, 140, 141n, 143 Petrus 72-73 Petrus Damiani 269-270, 273n

321

Petrus Venerabiiis 125, 128n, 131, 259 Pharisäer 32-33, 88-89 Philastrius Brixiensis 315n Philipp der Apostel 84-85 Philipp IV. 135 Pilatus 315 Pisa 264-265, 280n Piaton 66-67, 146 Poitiers 264n Poltermann, Andreas 130n Pompeius 12-13 Pope, Alexander 137 Porphyrius 6-7 Priscian 10-11 Provins 62-63 Psalmist 98-99 Pythagoras von Samos 32-33 Pythagoreer 66-67 Quintilian 68-69, 222, 227 Quispel, Gilles 315n Rabinow, Paul 144n Rädle, Fidel XII Radulfus de Diceto 280n Radulf Erzbischof von Reims 44—45 Radulf Sohn des Algod 280-281 Reddemann, Luise XII Reemtsma, Jan Philipp 247n Reif, Adalbert 175n Reims 44-45, 262, 264 Reindel, Kurt 270n Reiners, Joseph 258n, 305n Renna, Thomas J. 112n Rhuys 265 v. Riedesel, Mechtild XII Riedesser, Peter 246n Rilke, Rainer-Maria 137-138 Robertson, Durant W. 243n Römer 76-77 Rorty, Richard 176n Roscelin von Compiègne 187n, 258, 304 Rosenthal, Vikas 316n Rouen 262, 264, 268, 272, 280, 283 Rousseau, Jean-Jacques 137 Rusticus 66-67

322

Register

Sabinianus 24n, 2 2 3 Saduzäer 3 2 - 3 3 Sainte-Geneviève 8 - 9 Salomo 193 Samson 2 3 4 Schabert, Ina 197n Schmale, Franz-Josef 114n Schmeidler, Bernhard 113n, 2 7 3 n Schmitt, Jean-Claude 143n Scholz, Piotr Ο. 186n Schöne, Albrecht 2 3 9 η Segl, Peter 119n, 275n, 2 8 7 n Seitter, Walter 144n Seneca 3 0 - 3 1 , 115n Seuse, Heinrich 170n Shay, Jonathan 2 4 1 n Silvestre, Hubert 117n, 142n, 2 7 1 n Simon Magus 3 1 4 Sizilien 312 Smits, Edmé R. 11 I n , 127n Sokrates 3 4 - 3 5 , 268 Sophia 314 Southern, Richard W. 134n Speer, Andreas XII St. Denis 4 0 - 4 1 , 5 2 - 5 3 , 59, 61, 8 0 81, 131, 134, 150 St. Evroul 263 St. Gildas 7 6 - 7 7 , 196, 2 6 4 - 2 6 5 St. M e d a r d 5 6 - 5 7 St. Paul's 280 von den Steinen, W o l f r a m 142n Stempel, Wolf-Dieter 123n Stephan Truchseß des Königs 6 4 - 6 5 Stephan, Inge 178n, 2 0 0 n Streeck-Fischer, Annette 246n Stubbs, William 2 8 0 n Soissons 44^15, 159, 251, 255, 2 9 7 Solbach, Andreas 197n Sophisten 146 Suger von St. Denis 154 Susanna 5 4 - 5 5 , 8 8 - 8 9 , 159 Taylor, Charles 143n Terentia 2 8 - 2 9 Terricus 5 4 - 5 5 Tertullian 315n

Tervooren, Helmut 171n Teufel 9 2 - 9 3 , 9 8 - 9 9 , 157, 193 Theobald 6 0 - 6 1 , 63 Thomas, Rudolf VHIn, 114n Theophrast 2 8 - 2 9 Thrakien 2 2 7 Todorov, Tzvetan 294n Troyes 6 2 - 6 5 , 268n Tuchel, Susan 187n, 243n, 310n van den Eynde, Damien 120n van der Kolk, Bessel Α. 2 4 6 n Vannes 7 6 - 7 7 Veeser, H a r o l d A. 2 6 I n Vegetius 135 Venus 2 4 - 2 5 , 207, 2 2 6 - 2 2 7 , 2 9 3 295, 296n, 299, 3 1 3 - 3 1 4 Verdeyen, Paul 167n Veyne, Paul 144n, 149n Vitz, Evelyn Birge l l l n , 169n, 2 9 7 n Vollmann, Benedikt Κ. 218n Voßkamp, Wilhelm 115n Vulcanus 2 9 4 - 2 9 5 , 305, 3 1 1 - 3 1 3 W a c q u a n t , Loïc 173n Waddel, Chrysogonus 119n W a r b u r g , Aby 2 6 0 Warning, Rainer 106n Wegmann, Nikolaus 137n Weigel, Sigrid 2 0 0 n Weinrich, Harald 107n Weintraub, Karl J. 160n Welsch, Wolfgang 285, 2 8 6 n Wendehorst, Alfred 118n Wheeler, Bonnie 282η, 2 9 6 η Wilhelm Sohn des Radulf 2 8 0 Wilhelm von Champeaux 4 - 7 , 9 11, 1 4 - 1 5 , 44—45, 291n, 301 Wilhelm von St. Thierry 1 6 6 - 1 6 8 Wobbe, Theresa 179n Würzburg XII Xanthippe 3 4 - 3 5 Zacharias 9 0 - 9 1 Zeuxis 117n Ziegeler, Hans-Joachim 170n