50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz / 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz Band 002, Bd.2: Innovationsfelder in Forschung, Lehre und universitärem Alltag 9783205204152, 3205204158

Die Johannes Kepler Universität (JKU) Linz wurde 1966 als Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eröffnet.

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German Pages 430 [424] Year 2017

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50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz / 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz Band 002, Bd.2: Innovationsfelder in Forschung, Lehre und universitärem Alltag
 9783205204152, 3205204158

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Maria Wirth ∙ Andreas Reichl ∙ Marcus Gräser (Hg.)

50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz Innovationsfelder in Forschung, Lehre und ­universitärem Alltag

2017

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Hertha Hurnaus

© 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Sara Zarzutzki, Düsseldorf Einbandgestaltung: seite zwei – branding & design, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Theiss, St. Stefan im Lavanttal Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20415-2

Inhalt Vorwort. Innovationen, Neugier und Impulse . . . . . . . . . . . . . . . .

 9

Einleitung. Neues an der Johannes Kepler Universität Linz – ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zauber des Anfangs: Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Johann K. Brunner

50 Jahre Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz – einige Gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Roland Atzmüller/Brigitte Aulenbacher/Johann Bacher/Martina BehamRabanser/Kristina Binner/Hanns Peter Euler/Karin Fischer/Friedrich Fürstenberg/Joachim Gerich/Torben Krings/Susanne Pernicka/Ursula Rami/ Edeltraud Ranftl Wie ist Neues in der soziologischen Arbeitsforschung entstanden? ..

63

Gerhard A. Wührer

Marketingwissen im Praxis-Transfer – Beiträge des Instituts für Handel, Absatz und Marketing in den letzten 50 Jahren durch Diplom- und Masterarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Werner G. Müller/Helmut Waldl

Innovation in der wissenschaftsgeleiteten Lehre am Beispiel der Einführung des Studiengangs Statistik an der Universität Linz . . . . . 107

Helmut Konrad

Geschichtswissenschaft in Linz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

5

I nhalt

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät: Grundlagenbewusstsein und Praxisbezogenheit Christian Holzner

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts . . . . . . 135

Robert Rebhahn

50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . 151

Barbara Leitl-Staudinger/Michael Mayrhofer

Innovation in der Verwaltungsrechtswissenschaft am Beispiel des Planungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Karin Neuwirth

Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies . . . . . . . . 179

Ferdinand Kerschner

Das Institut für Umweltrecht (IUR) – Interdisziplinarität im Fokus oder: Von der Achillessehne zur weltweiten Umweltrechtskonferenz .. 199

Andreas Riedler

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften . . . . . . . . . . 207

Interdisziplinarität und Anwendungsnähe: Die Technisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Andreas Binder/Heinz W. Engl

Heiße Eisen? Lernende Maschinen? Exoplaneten? Schneebälle? Industriemathematik! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

25 Jahre Mechatronik an der JKU Linz – der Linzer Weg zur symbiotischen Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Erich Peter Klement/Peter Bauer/Ulrich Bodenhofer/Markus Mittendorfer-­ Holzer/Robert Pollak/Roland Richter/Herbert Exner

PapaGeno – vollautomatische menschenähnliche Qualitätskontrolle für Aufdrucke auf Compact Discs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

6

Inhalt

Siegfried Bauer

Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation – ein autobiographischer Essay.. . . . . . . . . . . . . . 283

Niyazi Serdar Sariciftci

»Wissenschaft eignet sich nicht für das Schreiben von Quartalsberichten«. Ein Gespräch über Traditionsbrüche, Freiheiten in der Forschung und eine notwendige Energierevolution . . . . . . . . 293

Über die Fakultätsgrenzen hinaus: Aufbruch, Vernetzung, Disziplinentwicklung Michael John

»1968« und die Folgen – Aufbruch, Unruhe und Veränderungen im Alltag der Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Edeltraud Ranftl

Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies an der JKU.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Lutz J. Heinrich/Gustav Pomberger

Wirtschaftsinformatik an der JKU – Über die Wirkung eines Memorandums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Bruno Buchberger

RISC: Innovation – global und regional . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

Fachgesellschaft und Disziplinentwicklung – Die Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Personenregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

7

Vorwort Innovationen, Neugier und Impulse

Als »eine Hochschule neuen Stils« gegründet, ist die Johannes Kepler Universität Linz von Anfang an für das Neue gestanden – für Novitäten und Innovationen, für einen Ort, der Neuartiges nicht nur zulässt, sondern vor allem fordert und auch Platz für Anderes und fürs Anderssein schafft. Pioniergeist und Erfindertum sind nur zwei Schlagwörter, die die JKU als Magnet für Querdenker und Querdenkerinnen die vergangenen fünf Jahrzehnte nachhaltig geprägt haben. Sie werden sie die nächsten 50 Jahre und die Zeit danach ebenfalls entscheidend beeinflussen. Die vorliegende Publikation unterstreicht das Selbstverständnis, das der Johannes Kepler Universität Linz seit ihrer Grundsteinlegung innewohnt  : nicht in enger Spezialisierung zu denken, sondern vielmehr der Vernetzung und dem Austausch zwischen den einzelnen Disziplinen und ihren Vertretern und Vertreterinnen Raum zu geben. Damit war und ist die JKU erfolgreich und wird es auch künftig sein. Ein Großteil jener, denen wir diese Leistungen und Errungenschaften zu verdanken haben, wird auf den folgenden Seiten vor den Vorhang geholt. Die Akteure und Akteurinnen haben ihre Innovationsfelder zudem selbst vielfach in Worte gegossen und blicken auch auf die Herausforderungen der Zukunft. Die Johannes Kepler Universität Linz verfolgt bis heute eine ureigene Idee, eine klare Zielsetzung  – nicht nur in ihrer Forschung und Lehre, sie vermittelt sie gesamtuniversitär  : stets neugierig zu sein, kritisch zu hinterfragen, gesellschaftliche Diskurse anzustoßen, dabei Kontroversen nicht zu scheuen und schließlich nicht nur neue Ideen zu liefern, sondern auch in Taten umzusetzen. Diese Attribute werden aus unserer jungen Tradition heraus tagtäglich gelebt und auch vorgelebt. Wir wollen Vorbild und Impulsgeberin sein  – sowohl für unsere Studierenden als auch nach außen –, um gemeinsam zu denken, zu entwickeln und zu gestalten. Beleg dafür sind die unzähligen Kooperationen der Johannes Kepler Universität Linz in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Industrie in Oberösterreich. Die Zusammenarbeit mit Partnern und Partnerinnen im In- und Ausland und ein internationales Netzwerk aus verschiedensten Institutionen und Organisationen zeugen ebenfalls von der Schaffenskraft der JKU, ihren vielfältigen Aktivitäten und ihrer umfassenden Arbeit für den Standort. Den notwendigen Boden dafür bereitet die Politik, in diesem Land aufgeschlossen und mit Handschlagqualität. Den Autoren und Autorinnen, die die Johannes Kepler Universität Linz und ihre vielfältigen Leistungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln eingehend be9

Vorwort

leuchten, gilt mein besonderer Dank. Ihnen als Lesern und Leserinnen wünsche ich eine aufschlussreiche und anregende Lektüre. Meinhard Lukas Rektor der Johannes Kepler Universität Linz

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Einleitung Neues an der Johannes Kepler Universität Linz – ein Überblick

Die Johannes Kepler Universität Linz wurde 1966 als Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eröffnet, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Universitätslandschaft in ganz Europa im Umbruch befand. Wie in vielen anderen Staaten kam es auch in Österreich zu einem Ausbau der Universitäten, um mit dem Bevölkerungswachstum mithalten und der gesteigerten Nachfrage aus Wirtschaft und Verwaltung nach akademisch geschultem Personal nachkommen zu können. Neue Bildungsreserven zu erschließen und damit auch mehr Chancengleichheit zu ermöglichen, wurde zu einem wichtigen Thema in der Debatte. Zugleich begannen auch die Studierenden immer stärker neue Umgangsformen und Mitbestimmung einzufordern und der autoritären Ordinarienuniversität den Kampf anzusagen. Dass die Johannes Kepler Universität Linz eine »Hochschule neuen Stils« (oder »neuer Prägung«) sein sollte, wurde bereits im Gründungsprozess festgelegt. In den Jahren eines allgemein politisch-gesellschaftlichen Aufbruchs und einer europaweit stattfindenden Diskussion über Universitätsreformen trat auch sie mit dem Anspruch an, etwas »Neues« sein zu wollen. Die industrielle Prägung von Linz und das Fehlen einer universitären Tradition forderten nahezu heraus, dass die neue Hochschule modern sein musste, auch wenn von Seiten der Politik neben dem Aspekt der Reform die Entlastung der bestehenden Universitäten als weitere Motivation für die Gründung genannt wurde. Der Anspruch, »Neues« zu präsentieren, ist für die Wissenschaft konstitutiv  : Der Erkenntnisfortschritt ist notwendig spekulativ und schöpferisch und kann sich weder am Bestehenden noch am Erwartbaren orientieren. Probleme und Chancen müssen erkannt und erforscht werden, bevor sie in der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen werden, woraus sich ein Spannungsfeld zwischen Universität und Gesellschaft ergibt, das nicht einfach aufgehoben und auch nicht in der einfachen Gleichung von Angebot und Nachfrage aufgehen kann. Das »Neue« an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, so wie sie in den 1960er Jahren entstand, aber ging über die Wissenschaft hinaus. Neu war zunächst die Idee der Errichtung als Campus-Universität, die einen besseren (direkteren) Umgang zwischen Lehrenden und Studierenden ermöglichen sollte. Und neu war auch die thematische Ausrichtung auf die Sozialwissenschaften, die an den damaligen Universitäten in Österreich ein Desiderat darstellten und im Planungsdiskurs der 1960er Jahre eine wichtige Rolle einnahmen. Mit der raschen, noch vor 11

Einleitung

der Eröffnung vorgenommenen Erweiterung der Hochschule änderte sich zwar dieses Profil. Das Bestreben, Neues bieten zu wollen, blieb jedoch bestehen. Mit der Erweiterung der zunächst vorgesehenen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät um eine Technisch-Naturwissenschaftliche Fakultät und die Rechtswissen­ schaften als eigenem Studienfach  – eine eigene Juridische Fakultät entstand erst 1975 – sollte sich das Neue nicht nur in einer neuartigen Fakultätengliederung und »unkonventionell gemischten Studienrichtungen« manifestieren. Auch durch eine »gegenseitige Zuordnung« und enge Kooperation der Fakultäten sollte Neues geschaffen werden. Der erste Band der Publikationen zum Universitätsjubiläum gibt einen Abriss der JKU-Geschichte, der vorliegende zweite Band beschäftigt sich mit Innovationsfeldern in Forschung und Lehre und fragt angesichts der Eröffnung der JKU in den studentenbewegten 1960er Jahren auch nach Veränderungen im universitären Alltag. Er behandelt die Entstehung von »Neuem« an den drei seit den 1970er Jahren bestehenden Fakultäten1 sowie über ihre Grenzen hinaus und dokumentiert – ohne Vollständigkeit reklamieren zu wollen – wichtige Bereiche, in denen es gelang, Neues zu generieren. Dabei versteht sich die Publikation jedoch nicht als unkritische Jubiläumsschrift, die wichtige Leistungen der JKU zusammenträgt, sondern als ein Kapitel differenzierter Universitätsgeschichte, das sich neben Erfolgen auch für Krisen und Stagnationsphasen interessiert und danach fragt, unter welchen Umständen das Momentum des Neuen, das per se nicht in Permanenz bestehen kann, zurückkehren konnte. Sie zeigt, zu welchen Zeiten und in welchen Bereichen Neues an der JKU entstanden ist, welche Faktoren hierfür wesentlich waren, und gibt zugleich Hinweise auf die für Innovationen notwendigen Rahmenbedingungen sowie Gefahren, mit denen die Universitäten heute konfrontiert sind. Darüber hinaus wird im Einzelfall auch offensichtlich, wie sich das, was in Linz geforscht und getan wurde, zur Gesamtentwicklung des jeweiligen Faches verhält. Historisch betrachtet stellten die Anfangsjahre zweifellos eine der wichtigsten Innovationsphasen in der Geschichte der JKU dar. Wie etwa die Beiträge über die Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik, das Marketing und die Statistik dokumentieren, war der Spielraum, um Neues zu schaffen, neuartige Entwicklungen zu übernehmen oder in diese einzusteigen, um und nach der Hochschuleröffnung am größten. Maßgeblich war hierfür vor allem, dass sich das Neue an der im Aufbau befindlichen Hochschule nicht gegen traditionelle Strukturen und Machtverhältnisse durchsetzen musste bzw. dass neue Einheiten tendenziell eine stärkere Offenheit zulassen. Aber auch in den kommenden Jahren kam es immer wieder zu wichtigen Innovationen, die sich sogar zu weiteren Gründungsphasen »verdichten« konnten, wie es Ende der 1980er bzw. zu Beginn der 1990er Jahre mit dem Ausbau der Industriemathematik, der Schaffung des RISC und dem Start des Mechatronik-Studiums der Fall war.2 12

Einleitung

Die Faktoren, welche die Entstehung von Neuem ermöglicht haben, sind so vielfältig wie die Beiträge der Publikation selbst. Sie umfassen das Auftauchen neuer politischer und gesellschaftlicher Themen, die einer wissenschaftlichen Behandlung bedurften (und auch nachgefragt wurden), ebenso wie die Entstehung neuer politischer Bewegungen, die die wissenschaftliche Praxis selbst, ihre Themen und Herangehensweisen herausforderten. So entstand etwa das Arbeitsrecht als neues politisches Thema in Reaktion auf das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit und eine Vielzahl neuer, zu bearbeitender Regelungen oder das Umweltrecht in Reaktion auf ein neues Problembewusstsein in Bereich des Naturschutzes, während die Frauenund Geschlechterforschung (und in ihrem Gefolge auch die Legal Gender Studies) wichtige Impulse von der sogenannten Zweiten Frauenbewegung erfuhren. Gleichfalls befinden sich das Aufkommen neuer Technologien, die Bildung von Kooperationen und Vernetzungen bzw. allgemein das Sprengen vorgegebener Organisationseinheiten unter den Faktoren, die die Entstehung von Neuem begünstigt haben. So wurde etwa die Entstehung des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften nur in Folge der Digitalen Revolution möglich, während im Bereich der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und Industrie gleich mehrfach eine wichtige Quelle für Innovationen war. Für das Projekt PapaGeno, in dem das Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg mit der Firma Uni Software Plus und Sony DADC zusammenarbeitete, war der entstehende Nutzen sogar ein zweifacher  : durch die Anwendung von theoretischem Wissen in der Praxis und die Gewinnung von Informationen über den industriellen Produktionsprozess für die eigenen Forschungen. Unabdingbar war hierfür die Bereitschaft, in einen Austausch über die Universitätsgrenze hinaus zu treten, wie dies auch bei der aus Linz ausgehenden Bildung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) war. An der Universität selbst bestehende Grenzen zu überwinden, Brücken über die Fakultäten und Disziplinen hinweg zu bauen, gehörte hingegen bereits zu den Gründungsideen. In der Praxis wurde es etwa beim Planungsrecht mit seinem interdisziplinären Ansatz oder mit der Wirtschaftsinformatik umgesetzt, die als Studienversuch für Betriebs- und Verwaltungsinformatik der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen und der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät startete. Und auch aus der Reaktion auf eine Krise konnte – wie das Beispiel der Mechatronik zeigt – das Neue hervorgegangen sein  : stand am Anfang der Entwicklung des Studiengangs doch die Stahlkrise in Linz und die Forderung von Wirtschaft und Industrie an die Universität nach interdisziplinär ausgerichteten Technikern und Technikerinnen. Die seit der Gründung mit der Stadt und dem Land eng verbundene Universität, die dezidiert als Universität mit Wirksamkeit für die Region, quasi als Infrastrukturmaßnahme für Oberösterreich geschaffen worden war, sollte somit einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Neuausrichtung und der Transformation in Richtung Hochtechnologie leisten. 13

Einleitung

Vor allem kann  – wenn nach den Faktoren für die Entstehung von Neuem in der Wissenschaft gefragt wird  – jedoch die Rolle der handelnden Personen nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wie beinahe in allen Beiträgen festgehalten wird, gehörten das Engagement, der Ehrgeiz, das Wissen und die Beharrlichkeit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zu den wichtigsten Bestandteilen, um Innovationen wahr werden zu lassen. Wichtige Impulse können sich für eine Universität hierbei insbesondere durch die Hereinnahme von Personen von außen ergeben, wie es in den 1960er Jahren mit den beiden Remigranten Karl R. Stadler (Zeitgeschichte) und Kurt Rothschild (Volkswirtschaftslehre) geschah und heute mit einem verstärkten internationalen Austausch oder Berufungen aus dem Ausland umzusetzen versucht wird. Welche Ideen – so etwa bei der Etablierung der soziologischen Arbeitsforschung  –, persönliche Erfahrungen und individuelle Eigenschaften die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mitbringen, spielt dabei zweifellos eine bedeutende Rolle. So verweist auch Siegfried Bauer in einem autobiographischen Essay darauf, dass es für ihn nicht nur wichtig war, gute Lehrer gefunden zu haben, sondern dass für die Entwicklung von Neuem folgende Eigenschaften konstitutiv sind  : sich die Neugier zu erhalten, die Bereitschaft aufzubringen, Wagnisse einzugehen, ein Scheitern zuzulassen und alles in Frage stellen zu können, sei dies nun in der technischen Grundlagenforschung oder – wie im Beitrag über das Zivilrecht ausgeführt wird – in einem juristischen Kolloquium. In allen Fällen galt dabei, dass die Etablierung von Neuem nur gelingen konnte, wenn die notwendigen organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen vorhanden waren oder (oft durch eine Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Land) geschaffen wurden. Dazu gehört auch, dass die JKU bereit sein musste, das Risiko, das mit der Schaffung von Neuem verbunden ist, mitzutragen. Eine Stagnation kann daher im Umkehrschluss nicht nur eintreten, wenn das gesellschaftliche und politische Interesse an einem Thema wieder abnimmt oder neue Thematiken in den Vordergrund treten, sondern wenn die Unterstützung von tragenden Institutionen zurückgeht und sich universitäre Freiräume verringern. Gerade angesichts der jüngeren Entwicklungen – einer fortschreitenden Verschulung des Lehrbetriebs, einer zunehmenden Ökonomisierung von Bildung, die mit dem Zwang einhergeht, rasch Drittmittel für die Forschung lukrieren zu können, und der Zunahme von kurzfristigen Dienstverträgen – wird es deshalb auch in Zukunft wichtig sein, dass die Universitäten weiterhin einen Platz für unkonventionelles Denken, neue Ideen und Herangehensweisen bereitstellen. Die Gesellschaft sowie ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen in Politik und Wirtschaft werden sicher weiterhin ihre Erwartungshaltungen an die Universitäten formulieren, diese müssen aber auch in Zukunft den allgemeinen Erkenntnisgewinn und nicht (nur) Partikularinteressen im Auge behalten. Um auch in Zukunft Neues schaffen zu können, wird dies – so auch Niyazi Serdar Sariciftci in einem Interview zu seinen 14

Einleitung

Forschungen über organische Solarzellen – neben einer soliden, breit aufgestellten Ausbildung, dem nötigen finanziellen und strukturellen Rahmen und der Ermöglichung einer längerfristigen Perspektive zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren zählen. Und auch die Fortführung eines interdisziplinären Gesprächs kann – wie viele der vorliegenden Beiträge demonstrieren  – in Zukunft wichtig für den Fortschritt in der Wissenschaft sein. Selbst wenn schlussendlich doch disziplinär gearbeitet wird, ist das Vorhandensein unterschiedlicher Wissenschaftskulturen durch die Existenz verschiedener Fächer an der Universität jedenfalls ein hohes Gut, das gepflegt werden muss. Wir danken allen Autoren und Autorinnen, die Beiträge für die vorliegende Publikation verfasst haben, den amtierenden und ehemaligen Dekanen und Dekaninnen, die uns bei der Konzeption des Buches beraten haben, Rektor Meinhard Lukas, der unser Buchprojekt in allen Projektphasen unterstützt hat, Herbert Edlinger und Wolfgang Reder für die Bereitstellung von Materialien aus dem Archiv der JKU und allen Institutionen und Personen – darunter besonders Anne Pauly –, die uns bei der Bebilderung geholfen haben. Ursula Huber und Julia Beenken danken wir für die Begleitung unseres Buchprojekts von Seiten des Böhlau Verlages. Wir hoffen, dass die zweibändige Publikation zum 50-jährigen Jubiläum der JKU nicht nur einen Beitrag zur österreichischen Wissenschaftsgeschichte darstellt, sondern vor allem auch der Selbstaufklärung und Gedächtnisbildung der JKU dient. Maria Wirth, Andreas Reichl und Marcus Gräser

Anmerkungen 1 Da sich die 2014 gegründete Medizinische Fakultät erst im Aufbau befindet, wurde sie in der vorliegenden Publikation nicht berücksichtigt. 2 Vgl. zur Periodisierung der JKU-Geschichte  : Maria Wirth, Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung der Johannes Kepler Universität Linz, in  : dies. u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 25–209.

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Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik Einleitung Ein spezifisches Merkmal der Linzer Universität ist seit Beginn ihrer 50-jährigen Geschichte die Tatsache, dass sie in besonderem Maße von Politik, Wirtschaft und Interessenvertretungen als »Landesuniversität« verstanden wurde. Entsprechende Kooperationen ergaben sich in Bezug auf Planung und Finanzierung, im Hinblick auf Forschungsaufträge und die Förderung von Projekten im Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis. Praxisnähe sollte also erklärterweise zu einem zentralen Merkmal der neuen Universität werden. Die Studienrichtung Sozialwirtschaft wurde, wie schon die Bezeichnung signalisiert, als Kombination mehrerer Fachrichtungen konzipiert und sollte durch die Möglichkeit individueller Schwerpunktsetzungen durch die Studierenden auch und vor allem entsprechende Praxisbezüge ermöglichen.1 In diesem Kontext kam dem Fach Gesellschaftspolitik besondere Bedeutung zu. Es sollte als ein Hauptfach des Sozialwirtschaftsstudiums (und als Nebenfach der anderen sozial-, wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Studienangebote) auf einer Metaebene die Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft analysieren. Das zentrale Ziel bestand darin, die Auseinandersetzung mit den in der Politik zu verortenden Bedingungen, Ursachen und Folgen des gesellschaftlichen Wandels in pluralistischen Gesellschaften herauszuarbeiten, um auf dieser Basis sozialpolitische Handlungsoptionen zu entwickeln. Wesentlicher Träger des Faches Gesellschaftspolitik und damit des Studiums Sozialwirtschaft wurde das Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik. Zu einem Charakteristikum der Institutspolitik wurde die Forschungszusammenarbeit mit politischen Institutionen, Institutionen der beruflichen, sozialen und kommunalen Selbstverwaltung, mit Trägern der freien Wohlfahrtspflege sowie mit diversen Bildungseinrichtungen. Dementsprechend vielfältig waren die Forschungsleistungen des Instituts. Gemeinsam ist ihnen die Verortung in verschiedenen Politik- und Praxisfeldern des Sozialen und die Vielfalt des Wissenstransfers durch erfolgreiche Absolventen und Absolventinnen des Studiums. Aus einigen Projekten des Instituts entstanden bedeutende Einrichtungen, wie z. B. das Museum Arbeitswelt Steyr (1987) oder der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim (2003), die aus der politischen bzw. kulturellen Landschaft Oberösterreichs nicht mehr wegzudenken sind 19

Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

und so die Position des Instituts für Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis verdeutlichen. Auch im universitären Bereich setzte das Institut mit den Initiativen zur Etablierung neuer Studiengänge, wie etwa dem Joint Master Program »Comparative Social Policy« (ab 2008) oder der Mitarbeit an der Realisierung des Bachelorstudiums Kulturwissenschaften und des Masterstudiums Politische Bildung deutliche Markierungen. Internationale Resonanz fand in den Jahren 1999 bis 2003 das Seminar »Geschichte und Demokratie«, eine Maßnahme im Rahmen der Diversion für Jugendliche, die wegen rechtsextremer bzw. neonazistischer Aktivitäten aufgegriffen worden waren.

Die Anfänge In den entscheidenden Planungsjahren der späteren Johannes Kepler Universität Linz nannte sich das Gründungsgremium (Vertreter von Land Oberösterreich, Stadt Linz, Interessenvertretungen und Institutionen wie Kirchen und Parteien) 1959 »Kuratorium Hochschule für Sozialwissenschaften2 in Linz«, womit die intendierte Schwerpunktsetzung verdeutlicht und auch die vom Unterrichtsministerium geforderte »Hochschule anderer Art« grundgelegt werden sollte.3 Es sollte ursprünglich nur eine Studienrichtung geben, deren Konzeption dem Vernehmen nach deutliche Parallelen zur späteren Studienrichtung Sozialwirtschaft aufwies. Jus sollte keine eigene Studienrichtung darstellen, vielmehr sollten zentrale juridische Fächer als Ergänzung dieser einen Studienrichtung dienen.4 Die endgültige Bezeichnung »Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften« wurde 1962 in den gesetzlichen Grundlagen des Hochschulfonds bzw. der Hochschulorganisationsnovelle verankert.5 Zu Beginn des ersten Studienjahres 1966/67 standen den gut 500 Studierenden fünf Studienrichtungen zur Wahl  : Rechtswissenschaften, Soziologie, Sozialwirtschaft, Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft sowie das Doktorat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mit der deutlichen Schwerpunktsetzung zugunsten der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sollte dem Primat der Juristen im öffentlichen Dienst bzw. dem der Absolventen und Absolventinnen der Hochschule für Welthandel im Bereich der Wirtschaft begegnet werden. Die zu diesem Zeitpunkt in Österreich völlig neue und unbekannte Studienrichtung Sozialwirtschaft erreichte mit 88 Inskribierten den dritten Platz nach Betriebswirtschaft (211 Studierende) und Rechtswissenschaften (129 Studierende). Danach kamen die Studienrichtungen Soziologie mit 72 und Volkswirtschaft mit 43 Studierenden.6 Die Studienrichtung, die es in Österreich in dieser Form nur an der Linzer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geben 20

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

sollte,7 hatte ein Vorbild an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg. Der dortige Studienplan enthielt die Hauptfächer Soziologie (mit den Schwerpunkten Betriebs- und Industriesoziologie), Psychologie und Sozialpsycho­logie (mit den Schwerpunkten Arbeits- und Berufssoziologie) und Volkswirtschafts­lehre (einschließlich Finanzwirtschaft). Dazu kamen Rechtsfächer (Öffentliches Recht, Privatrecht und Arbeitsrecht) sowie Sozialpolitik und Statistik. Das Fach Gesellschaftspolitik war allerdings in Nürnberg nicht Bestandteil des Curriculums.8 Bemerkenswert ist, dass drei Nürnberger Professoren, die dort im Bereich des Sozialwirtschaftsstudiums gelehrt hatten, nach Linz wechselten und zu Gründungsprofessoren der hiesigen Hochschule wurden  : der Sozialpsychologe Theodor Scharmann, der Jurist Ludwig Fröhler und der Soziologe Jakobus Wössner. Insbesondere Scharmann sah sich hier als Mentor der neuen Studienrichtung, und seine an der Linzer Hochschule angebotenen arbeits- und betriebspsychologischen Lehrveranstaltungen zielten eindeutig auf den Einsatz der Sozialwirte und Sozialwirtinnen im betrieblichen Personalwesen ab, das als ein zentrales Berufsfeld geplant war. Scharmann war auch langjähriges Mitglied der Studienkommission Sozialwirtschaft und von 1974 bis 1976 deren Vorsitzender.9 Die Schwerpunktsetzung im Bereich des öffentlichen Rechts und hier vor allem des Verwaltungsrechts, in Linz von Fröhler gelehrt, sollte den Einsatz der Sozialwirtschaftsabsolventen und -absolventinnen im öffentlichen Dienst ermöglichen. Von den zwölf Gründungsprofessoren der Linzer Hochschule konnten die Hauptfächer des – anfangs erst im Entwurf vorhandenen – sozialwirtschaftlichen Studienplanes abgedeckt werden, mit einer Ausnahme  : Das Fach Gesellschaftspolitik war zwar von Beginn an im Studienplan verankert, jedoch gab es im Gegensatz zu anderen Pflichtfächern des zweiten Studienabschnitts, wie Soziologie, Betriebs- und Volkswirtschaft, bis zum Wintersemester 1968/69 keinen Lehrstuhl, keine Lehrbeauftragten bzw. Lehrveranstaltungen in diesem Fach. Da die Studierenden der Sozialwirtschaft, die ihr Studium im Herbst 1966 begonnen hatten, auf ihr sechstes Semester zusteuerten, machte sich eine gewisse Nervosität breit – auch im Studienreferat der Österreichischen Hochschülerschaft. Berufungsverhandlungen mit potentiellen Kandidaten des damals im deutschen Sprachraum kaum vertretenen Fachs waren gescheitert. Was dann kam, war ein typisches Austriacum  : Der schon seit Sommersemester 1967 im Rahmen des Volkswirtschaftsstudiums unterrichtende Agrarpolitiker und dem konservativen Lager zugezählte Hans Bach und der mit 1.  April 1968 nach Linz berufene progressive Historiker Karl R. Stadler, der außerordentlicher Hochschulprofessor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte war und auch Lehrveranstaltungen in Politikwissenschaft abzudecken hatte, erhielten mit dem Sommersemester 1969 die Lehrbefugnis im Fach Gesellschaftspolitik.10 21

Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

Da in Österreich kaum etwas dauerhafter ist als ein Provisorium, sollte es über ein Jahrzehnt dauern, bis tatsächlich im Fach Gesellschaftspolitik Habilitierte auf den Plan traten – beide von Bach bzw. Stadler (co-)betreut.

Die Entwicklung des Faches Gesellschafts- und Sozialpolitik Die Entwicklung des wissenschaftlichen Faches Gesellschaftspolitik korrespondiert mit der in den 1960er und 1970er Jahren florierenden, mehr oder weniger kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen. Bis dahin gab es entsprechende Zugänge im Staats- und Verfassungsrecht, in der Sozialethik, im Rahmen der politischen Ökonomie und Soziologie. Auch die Etablierung der Politikwissenschaft als eigene, sich aus der engen Beziehung zum Staatsrecht lösende Disziplin fällt in diese Zeit. Charakteristisch für den Begriff der Gesellschaftspolitik der 1960er und 1970er Jahre ist die Überzeugung, dass gesamtgesellschaftliche Steuerung sinnvoll und möglich ist  ; dementsprechend wäre Gesellschaftspolitik »der Komplex von Bestrebungen und Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen nach Maßgabe bestimmter Wertvorstellungen einzuwirken […], so visiert die Gesellschaftspolitik das Ganze der Gesellschaft an.«11

Die Reflexion über diese – unabdingbaren – Wertvorstellungen ist notwendige Voraussetzung gesellschaftspolitischer Forschung und Praxis.12 Historisch ist die Entstehung der Gesellschaftspolitik eng mit der Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation verbunden  ; die »soziale Frage« oder »Arbeiterfrage« wurde zum Ausgangspunkt entsprechender theoretischer wie praktisch-politischer Bemühungen. In diesem Kontext bezeichnet der Begriff »Sozialreform« das, was im späten 20.  Jahrhundert als Gesellschaftspolitik definiert werden sollte, nämlich die Bemühung, »die Gesellschaft in ihrer elementaren Konstitution zu ändern und etwa (vermutete) tiefere Ursachen der sozialen Schäden (z. B. eine bestimmte Eigentumsordnung) zu beseitigen.«13 Betrachtet man die Entwicklung der verschiedenen Konzepte von Gesellschaftspolitik in Österreich, so können – analog zu den oben getroffenen Feststellungen – die Wurzeln vor allem in den entsprechenden Vorstellungen des marxistischen wie des christlich-konservativen politischen Lagers verortet werden  ; liberale Vorstellungen spielten in Österreich eine untergeordnete Rolle. Die sich in den 1860er Jahren auch in Österreich organisierende sozialistische Arbeiterbewegung machte sich – nach längeren ideologischen Richtungsdiskussionen – die marxistische Gesellschaftsauffassung und die daraus abgeleiteten gesellschafts22

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

politischen Strategien zu eigen. Im Zentrum ihrer Auseinandersetzung mit dem politischen System der Habsburger-Monarchie stand das Ziel einer umfassenden Umgestaltung der Gesellschaft  ; gemäß der marxistischen Theorie konnte diese nur über eine Änderung der ökonomischen Eigentumsverhältnisse erfolgen. Ökonomische und – darauf basierend – soziale Gleichheit sind daher auch die zentralen Ziele sozialistischer Gesellschaftspolitik  ; die politische Gleichheit, realisiert im allgemeinen Wahlrecht, wurde daher folgerichtig als unzureichend bezeichnet, jedoch als politisches Etappenziel akzeptiert.14 Über eine Eroberung der politischen Macht könne dann eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgen. Diese strikte theoretische Position wurde allerdings durch das konkrete sozialpolitische Engagement der Sozialdemokratie gewissermaßen relativiert  ; Viktor Adler und Ferdinand Hanusch seien hier als Beispiele genannt. In der Ersten Republik waren es dann führende Vertreter und Vertreterinnen des Austromarxismus wie Max Adler, Otto Bauer, Robert Danneberg, Käthe Leichter und andere, die versuchten, stringente gesellschaftspolitische Positionen der Sozialdemokratie zu formulieren. Ein zweiter wirkmächtiger gesellschaftspolitischer Ansatz wurde im Rahmen der Katholischen Soziallehre formuliert, durchaus als Reaktion auf die sich formierende sozialistische Arbeiterbewegung. Im Gegensatz zur sozialistischen Position ging die Katholische Soziallehre vom Grundsatz einer gemeinschaftsorientierten Wirtschaftsführung aus, insbesondere von einer Gemeinschaft von Kapital und Arbeit (»soziale Bindung des Eigentums«).15 Daneben finden sich Einflüsse einer universalistischen Richtung  ; die Ganzheitslehre Othmar Spanns (1878–1950),16 der ab 1919 in Wien einen Lehrstuhl für Ökonomie und Gesellschaftslehre innehatte, war sowohl ideologischer Wegbereiter des »christlichen Ständestaats« wie auch – ein Stück weit – des österreichischen Nationalsozialismus. Die Anhänger Spanns zählen trotz des Naheverhältnisses aber nicht zu den Vertretern der christlichen Soziallehre im engeren Sinn. Diese geht in Österreich zunächst von Oswald von Nell-Breuning (1890–1991) aus,17 der durch seine Studien in Innsbruck einen starken Österreichbezug hatte und sich vor allem mit Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsfragen auseinandersetzte. Vor allem aber ist es Johannes Messner (1891–1984),18 der eine berufsständische Ordnung entwirft, die den Ideen Dollfuß’ entgegenkommt. In der NS-Zeit verliert er seine Professur  ; nach seinem englischen Exil tritt er sie wieder an und wird zum Begründer der Wiener Schule des Naturrechts. Ebenfalls zu nennen ist in diesem Zusammenhang August Maria Knoll (1900– 1963),19 der sich 1934 bei Othmar Spann habilitierte und als (Religions-)Soziologe die Christliche Soziallehre in Österreich stark prägte. Von 1938 bis 1945 mit Berufs­ verbot belegt, war er maßgeblich an der Gründung des Kummer-Instituts und des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands beteiligt.20 Weniger die Gesellschafts- als die Sozialpolitik wurde in Österreich durch Anton Burghardt 23

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(1910–1980)21 geprägt. Er forschte vor allem zu Fragen von Arbeit und Eigentum, Mitarbeiterbeteiligung und Pauperismus. Von Anton Burghardt ebenso wie von Erich Bodzenta (Gründungsprofessor der Linzer Hochschule) beeinflusst ist Alfred Klose (1928–2015).22 Er habilitierte sich 1976 als erster Österreicher in Gesellschaftspolitik und politischer Theorie. Er forschte über politische Macht- und Entscheidungsstrukturen und Ethik in Bezug auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Gemeinsam ist den sozialistischen wie den konservativen Ansätzen bis 1945, dass das politische System des Parlamentarismus kritisch betrachtet wurde. Sozialistische Konzepte forderten eine Erweiterung der politischen Gleichheit, wie sie durch das allgemeine Wahlrecht gegeben war, in Richtung ökonomischer und politischer Gleichheit. Konservative Ansätze gingen von einem organizistischen Gesellschaftsbild aus und kritisierten die »Naturwidrigkeiten der Formaldemokratie«,23 denen die »autoritäre« bzw. »organische« Demokratie gegenüber gestellt wurde, in der »das Gewicht der Stimme des Einzelnen nach seiner Verantwortung abgestuft« und »den naturgemäßen Gliedgemeinschaften möglichst viel zur Regelung in eigener Verantwortung überlassen«24 bleiben sollte. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus stand das repräsentativ-demokratische System in Österreich bei allen relevanten politischen Kräften außer Streit und bildete den allgemein akzeptierten Rahmen aller Konzeptionen von Gesellschaftspolitik. In diesem Kontext ist auch das Verhältnis von Gesellschaftspolitik und Sozialpolitik zu klären  : Befasst sich Gesellschaftspolitik mit Gestaltungskonzepten, die auf die Gesellschaft als Ganzes abzielen, so ist das zentrale Thema der Sozialpolitik die Korrektur gegebener gesellschaftlicher Ressourcenverteilung durch politische Maßnahmen, um als erstrebenswert definierte (also normative) Ziele zu realisieren, wie etwa Chancengleichheit, Gerechtigkeit etc. Sozialpolitik befasst sich mit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -beziehungen ebenso wie mit der Entwicklung staatlicher Systeme sozialer Sicherung und der Entwicklung von Gesundheitssystemen sowie mit der Gestaltung von Maßnahmen zur Verbesserung der Situation benachteiligter Gruppen, um einige wichtige Felder zu nennen. Entsprechend dem interdisziplinären Herangehen, dem sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts für Gesellschafts- und Sozialpolitik verpflichtet fühlten, ist auch die historische Dimension – vor allem von dem Stadler-Schüler Josef Weidenholzer eingefordert – ein wichtiger Bestandteil des Faches. »Gesellschaftspolitik kann nicht mit der Kenntnis der Gesetze der Wirtschaft, der Funktion des Rechtes oder der dynamischen Seite der Meinungsstrukturen allein auskommen, sie hat auch deren wechselseitige Einflüsse zu berücksichtigen. Da nur Erfahrung solche Einsichten vermitteln kann und Erfahrung nur im Prozess der Geschichtsabläufe erworben wird, kommt der Geschichte und insbesondere der neueren Geschichte eine entscheidende Rolle bei der Bildung gesellschaftspolitischer Theorien zu.«25 24

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

Die Personen Wissenschaftliche Neuerungen und Entwicklungen sind wie andere gesellschaftliche Prozesse aus allgemeinen Rahmenbedingungen, dem jeweiligen situativen Kontext und den spezifischen Voraussetzungen der handelnden Personen erklärbar. Dies gilt umso mehr, wenn, wie im Fall des wissenschaftlichen Faches Gesellschaftspolitik, einerseits keine präzisen wissenschaftlichen Definitionen des Faches existieren, andererseits aber politische bzw. ideologische Erwartungen im Raum stehen.26 Die erste Generation: Institutionalisierung des Faches Gesellschaftspolitik

Dass sich der Agrarpolitiker Hans Bach und der Zeithistoriker Karl R. Stadler der Aufgabe unterzogen, das Fach Gesellschaftspolitik in Linz zu etablieren, erklärt sich nicht zuletzt aus der von Beginn an als integrativ und interdisziplinär ausgerichteten wissenschaftlichen Konzeption der Hochschule und der Praxisorientierung durch die Verankerung in der (interessens-)politischen Landschaft Oberösterreichs. Wie schon erwähnt, wurden Stadler und Bach den beiden großen politischen Lagern zugeordnet, und die dadurch realisierte großkoalitionäre bzw. sozialpartnerschaftliche Ausrichtung entsprach Politikmustern, die von 1945 bis in die 1990er Jahre in der österreichischen Gesellschaft dominierend waren. Im Zuge der Recherchen für diesen Beitrag ergaben sich allerdings neue Erkenntnisse, die geeignet waren, diese von der universitären Öffentlichkeit allgemein akzeptierte politische Zuordnung eines der Proponenten grundsätzlich in Frage zu stellen und gleichzeitig eine spezielle Ebene österreichischer Vergangenheitspolitik zu beleuchten. Hans Bach (1911–2002) studierte zunächst an der Universität Wien Geschichte und Volkswirtschaftslehre und wechselte dann an die Hochschule für Bodenkultur. 1927 war er der Hitlerjugend beigetreten, 1931 folgte die Mitgliedschaft bei der SA, 1932 trat er der NSDAP bei. Nach seiner Teilnahme am nationalsozialistischen Putschversuch im Juli 1934 wurde er verhaftet, der Hochschule verwiesen und schließlich ausgebürgert. Bach setzte seine agrarwissenschaftlichen Studien an der Universität Bonn fort und erwarb hier 1935 an der landwirtschaftlichen Fakultät den Titel eines Diplomlandwirts.27 1936 legte er an der Staats- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg seine Doktorarbeit zum Thema »Die Großstadt als Gemeinwesen« vor und promovierte im Juli 1936 mit »summa cum laude«.28 In der Arbeit zeichnet Bach die nationalsozialistische Argumentation der Ablehnung der Großstadt nach  – »Großstadt ist Unnatur, ist Vergewaltigung des natürlichen Lebens«29  –, indem er den Siegeszug von Individualismus, Liberalismus und Kapitalismus, der für das Wachstum der Großstädte verantwortlich sei, in der »Erschlaffung des völkischen Lebenswillens und der gesunden Instinkte unseres Volkes«30 begründet sieht. Marxismus, Judentum und Entartung der Kul25

Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

tur, »biologische Gegenauslese« und der »Rassentod« der nordischen Rasse werden ebenfalls der Großstadt angelastet.31 Nach der Promotion war Bach als Universitätsassistent tätig, bis er nach dem »Anschluss« von Landwirtschaftsminister Anton Reinthaller nach Österreich zurückgerufen wurde und bis Kriegsende eine Stelle als Bauernschulleiter beim Reichsnährstand, Landesbauernschaft Südmark, innehatte. Er publizierte einschlägige Schulungsbroschüren32 und wurde 1941 in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen.33 Nach erfolgter Entnazifizierung war Bach in der Landwirtschaftskammer Kärnten beschäftigt und wurde schließlich von Eduard Hartmann, der von 1959 bis 1964 in den Regierungen Raab und Gorbach Landwirtschaftsminister war, in sein Kabinett geholt. Anschließend habilitierte sich Bach im Jahr 1965 mit der Arbeit »Bäuerliche Landwirtschaft im Industriezeitalter  : Ansatz zu einer ganzheitlichen Theorie der Agrarpolitik« bei dem Ökonomen Walter Heinrich an der Hochschule für Welthandel. Bach präsentierte sich hier als Anhänger der universalistischen Gesellschaftslehre Othmar Spanns, die er auf den Bereich der Agrarpolitik anzuwenden suchte.34 Politisch war damit seine Verortung im konservativen Lager verbunden  ; seine NS-Vergangenheit wurde in der Folge zu keinem Zeitpunkt thematisiert.35 In Linz positionierte sich Bach zunehmend als Vertreter einer ökologisch nachhaltig betriebenen, kleinteiligen Landwirtschaft und argumentierte gegen den Trend zur Industrialisierung des Agrarsektors.36 Auch habilitierte er mit Irene Dyk im Jahr 1981 die erste Frau an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Karl R. Stadlers (1913–1987) Lebensweg kann in diesem Kontext geradezu als Antithese zu Bachs gelesen werden  : Als Kind einer wenig begüterten Familie in Wien-Favoriten geboren, konnte er durch die Bildungspolitik des »Roten Wien« 1931 in der Bundeserziehungsanstalt Breitensee die Matura absolvieren und begann an der Universität Wien Jus und Sprachen zu studieren. Politisch engagierte er sich im Verband Sozialistischer Mittelschüler und rückte, wie viele Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen, enttäuscht durch das Zurückweichen der Parteiführung nach links. Gemeinsam mit dem späteren Justizminister Christian Broda arbeitete er nach dem Verbot der Sozialdemokratie im Untergrund und emigrierte im März 1938 nach Großbritannien, wo er unter schwierigen Bedingungen seine Studien absolvierte  : Anglistik und Germanistik an der Universität Bristol, Neuere Geschichte an der Universität London. In England erschloss er sich auch ein Betätigungsfeld, das in seinem weiteren Leben eine große Rolle spielen sollte  : die Erwachsenenbildung. 1946 erhielt er eine Anstellung an der Universität Nottingham und blieb dort bis 1968. Die zeitgeschichtlichen Werke, die in diesem Kontext entstanden sind, gehören zu den Meilensteinen österreichischer Geschichtswissenschaft  : »The Birth of the Austrian Republic 1918–1921«,37 seine 1970 an der Universität Nottingham approbierte PhD-Thesis »Austrian Resistance to German Rule and the Development of Austrian National Aspirations 1938–1945« sowie »Österreich im Spiegel der NS26

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

Akten«.38 1968 erhielt Karl R. Stadler einen Ruf als außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte (ab 1970 ordentlicher Professor) an die neu gegründete Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Parallel dazu erfolgte die Gründung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, dessen Leitung Karl R. Stadler übertragen wurde.39 Stadler und seine Mitarbeiter begriffen Geschichte als historische Sozialwissenschaft  : heute beinahe eine Selbstverständlichkeit, kam dies in den frühen 1970er Jahren einem Paradigmenwechsel gleich. In diesem Kontext erwies sich auch die Verknüpfung mit dem Institut für Gesellschaftspolitik als prägend. »Historische und politikwissenschaftliche Forschungsansätze konnten dadurch eine Integration erfahren und einander ergänzen  : auf diese Weise war es möglich, einerseits den Aktualitätsbezug von Geschichte herzustellen als auch […] gesellschaftliche und politische Phänomene der Gegenwart in ihrem Entstehungszusammenhang zu erhellen.«40

Für Stadler wie für Bach war die große Spannweite der Themen ihrer Lehrveranstaltungen charakteristisch  : Bach unterrichtete ökonomische Dogmengeschichte, Gesellschaftstheorie, Land- und Agrarsoziologie und Gesellschaftspolitik, Stadler Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, Verfassungsgeschichte, Wissenschaft von der Politik und Gesellschaftspolitik. Im Sommersemester 1969 wurden von Bach die ersten Lehrveranstaltungen im Fach Gesellschaftspolitik abgehalten, im Wintersemester 1969/70 bot auch Stadler ein Seminar aus Gesellschaftspolitik an. Im Studienjahr 1970/71 konnten daher die ersten Sozialwirtschaftsstudierenden – 19 an der Zahl41 – ihr Studium abschließen.42 Die zweite Generation: organisatorische Trennung und neue Wege

Die organisatorische Basis des Faches Gesellschaftspolitik bildete das schon angesprochene Institut für Gesellschaftspolitik, das von Bach und Stadler geleitet wurde und in zwei Abteilungen gegliedert war  : Abteilung Agrarpolitik, Landentwicklung und Umweltschutz (Leitung  : Hans Bach) und Abteilung Sozialpolitik und politische Institutionen (Leitung  : Karl R. Stadler). Die Zusammenarbeit der zwei so unterschiedlichen Persönlichkeiten verlief nach Auskunft von Gerhard Botz korrekt und sachbezogen  ; freundschaftliche Beziehungen entwickelten sich nicht. Bach habilitierte 1979 Adolf H. Malinsky in Agrarpolitik, Raumordnungspolitik und Umweltschutz und 1981 Irene Dyk-Ploss in Gesellschaftspolitik. Stadler habilitierte 1982 Josef Weidenholzer in Gesellschafts- und Sozialpolitik.43 Weidenholzer untersuchte in seiner Habilitationsschrift »Der sorgende Staat«44 die Entwicklung staatlicher Sozialpolitik, zentriert auf die staatliche Regulierung des Arbeitsverhältnisses im Wege des Arbeitsrechts.45 Irene Dyk-Ploss definierte in ihrer Habilitation »Gesellschaftspolitische Aspekte der Planung. Zielgenese und Transformation« Ge27

Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

sellschaftspolitik als Planungswissenschaft, die einen klar bestimmbaren Standort innerhalb der Sozialwissenschaften besitzt und mit ihnen verschiedene Formen des methodischen Zugangs teilt. Josef Weidenholzer gehörte schon 1973 als Assistent und Lehrbeauftragter dem Institut für Gesellschaftspolitik/Abteilung Sozialpolitik und politische Institutionen an. Er war es auch, der den Aufbau des Faches Sozialpolitik wesentlich gestaltete, sollte doch die Sozialpolitik zum Alleinstellungsmerkmal der von ihm geführten Abteilung werden. Weidenholzer war auch Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung und wurde Leiter des 1984 an der JKU geschaffenen Forschungsinstituts für Sozialplanung. Dessen Ziel war eine Institutionalisierung der Kooperation von Wissenschaft und Praxis, indem ein Teil der Kosten vom Wissenschaftsministerium getragen wurde, ein anderer Teil von einem außeruniversitären Partner. Die Partnerinstitution war im Fall des Forschungsinstituts für Sozialplanung die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich. Aufgabe des Instituts sollte die Erforschung der strukturellen Änderungen der Arbeitsverhältnisse, ausgelöst durch Entwicklungen in den Bereichen »Mikroelektronik, Mikrobiologie und Nuklearenergie«, sein.46 In der Folge stellte er die Bemühungen zur Etablierung der Sozialpolitik als akademische Disziplin in den Mittelpunkt seiner Arbeit. In dieser Zeit bildete sich auch der an seinem Lehrer Karl Stadler orientierte Führungs- und Arbeitsstil heraus, der durch Offenheit gegenüber Ideen seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und dem Zulassen von neuen Wegen, methodisch wie inhaltlich, geprägt war. Der historische Zugang zu gesellschafts- und sozialpolitischen Themenstellungen wurde von ihm immer wieder in verschiedenen Projekten ventiliert und trug mit dazu bei, neue Themenfelder zu erschließen. Irene Dyk-Ploss arbeitete gut zwei Jahrzehnte am Österreichischen Institut für Arbeitsmarktpolitik an der JKU, anschließend am Zentrum für Fernstudien und ließ sich 1997 dem Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik zuordnen, dessen Forschung und Lehre sie in der Folge wesentlich prägte. Sie wurde 1997 zur stellvertretenden Institutsvorständin gewählt und leitete bis 2002 die Studienkommission Sozialwirtschaft. In dieser Zeit erarbeitete die Studienkommission einen neuen Studienplan, der 2001 in Kraft trat und in dem das Fach Gesellschafts- und Sozialpolitik ungleich höheres Gewicht besaß als in den vorangegangenen Curricula. Ein von Irene Dyk durchgeführtes Forschungsprojekt zur Integration von Menschen mit Behinderungen in den oberösterreichischen Arbeitsmarkt im Auftrag der oberösterreichischen Landesregierung und Wirtschaftskammer stieß auf bundesweites Interesse. Die Ergebnisse des Projekts bewirkten eine Initiative von Industriellenvereinigung, Bundeswirtschaftskammer und Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Seit 2003 gibt es für betroffene Personen mit Handicap, für Unternehmen, Personalverantwortliche und Interessenvertreter die Website www.arbeitundbehin28

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

derung.at, mit rund 60 laufend von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik aktualisierten Best-Practice-Beispielen.47 Dass Dyk-Ploss von 1979 bis 1996 ÖVP-Abgeordnete zum Oberösterreichischen Landtag mit dem Arbeitsschwerpunkt Sozial- und Randgruppenpolitik48 war, befruchtete die Forschung und Lehre am Institut ebenso wie das Engagement von Josef Weidenholzer als Vorsitzender der oberösterreichischen und österreichischen Volkshilfe und seine Tätigkeit als Abgeordneter der sozialdemokratischen Fraktion zum Europäischen Parlament ab 2012.49 Im Lauf der Jahre zeigte es sich, dass mit dem Nachrücken der zweiten Generation die beiden Abteilungen des Instituts für Gesellschaftspolitik eine sehr unterschiedliche Entwicklung nahmen. Unter Adolf H. Malinsky verstärkte sich die Schwerpunktsetzung in Richtung Raumordnung und Umweltwirtschaft einschließlich Energiepolitik  ; diese Entwicklung ging mit einer Zurücknahme des Engagements in der Gesellschaftspolitik einher. Die von Josef Weidenholzer geleitete Abteilung sah wiederum ein zentrales Anliegen darin, die Forschung im Bereich der Sozialpolitik zu erweitern und zu vertiefen sowie die Auseinandersetzung mit allgemeiner Gesellschaftspolitik auszubauen. Ab 1995 wurde daher mit dem Wissenschaftsministerium über eine fachbezogene institutionelle Trennung verhandelt, die mit August 1997 vollzogen wurde.50 Das Forschungsinstitut für Sozialplanung wurde mit der Abteilung für Sozialpolitik und politische Institutionen vereinigt und in »Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik« umbenannt  ; die Abteilung Ökologie und Politik wurde zum »Institut für betriebliche und regionale Umweltwirtschaft«.51 Diese Neuorganisation sollte in der Folge den Rahmen für eine stringentere inhaltliche Ausrichtung bilden. Im Zentrum standen die Forschungsfelder Dynamik und Gestaltung sozialer Sicherungssysteme und vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung (Weidenholzer), Bildungspolitik als Instrument der Arbeitsmarktpolitik, Bedarfs- und Akzeptanzanalysen sowie Evaluierungen von Fachhochschulstudiengängen (Irene Dyk-Ploss), dynamische Armutsforschung (Christine Stelzer-Orthofer), die historische Dimension der Sozialpolitik mit dem Schwerpunkt Eugenik als Instrument der Sozialpolitik (Brigitte Kepplinger) und Sozialphilosophie als Metatheorie der Sozialpolitik (Evelyn Schuster). Die dritte Generation: Spezialisierungen, Schwerpunkte, Projekte

Damit ist schon der Übergang zur dritten Generation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen – tatsächlich war der überwiegende Teil weiblich – angesprochen, die am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik breite Entfaltungsmöglichkeiten vorfanden. Dieses Stammpersonal wurde immer wieder durch Projektmitarbeiter und -mitarbeiterinnen ergänzt  : vom Institut wurde eine große Anzahl von Forschungsprojekten eingeworben und durchgeführt. Einerseits handelte es sich hier um Antragsforschung großer einschlägiger Organisationen (Fonds zur Förde29

Irene Dyk-Ploss/Brigitte Kepplinger

rung der wissenschaftlichen Forschung, Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, ab 1998/99 verstärkt Institutionen der Europäische Union), andererseits um Auftragsforschung verschiedener politischer und gesellschaftlicher Institutionen (diverse Bundesministerien, Land Oberösterreich, Stadt Linz, Stadt Steyr, Stadt Wels, Industriellenvereinigung, Kammer für Arbeiter und Angestellte, vöest, diverse NGOs wie Arbeiterwohlfahrt und Volkshilfe, um nur einige zu nennen). Eine zentrale Rolle kam in diesem Kontext der Arbeit von Christine Stelzer-Orthofer zu. Sie etablierte als eine der Ersten die dynamische Armutsforschung im akademischen Kontext und entwickelte sie weiter. Soziale Verunsicherung und Armutsbedrohung hat sich, bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, bis weit in die Mittelschicht hinein verstärkt. Der politisch-institutionelle Umgang mit diesem Problem wurde zu einem neuen Forschungsfeld, in das verstärkt auch junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eingebunden wurden, wie etwa Bettina Leibetseder, die in einem 2010 gestarteten Forschungsprojekt die Implementierung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in Oberösterreich und der Steiermark untersuchte.52 Stelzer-Orthofer forschte auch zu Aktivierung und Mindestsicherung, zu Arbeitsmarktpolitik und Prekarisierung der Arbeitswelt.53 Brigitte Kepplinger konzentrierte sich auf die Analyse politischer Systeme, insbesondere auf den Nationalsozialismus, auf die sich im 19. Jahrhundert herausbildenden biologistischen Erklärungsmuster sozialer Prozesse und die daraus abgeleiteten eugenischen Politiken. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Untersuchung der Auseinandersetzungen um den Parlamentarismus im Europa der Zwischenkriegszeit. Angela Wegscheider etablierte (ausgehend von der Mitarbeit in von Irene DykPloss geleiteten Projekten, wie »Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Behinderungen«) den Schwerpunkt Disability Studies am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik  ; Harald Stöger forschte zu Wohnungspolitik im nationalen Rahmen und im Rahmen der EU  ; Hansjörg Seckauer begann seine Arbeit am Institut mit einer Studie zu Determinanten der Integration von Arbeitsmigranten und -migrantinnen 199354 bzw. mit der viel beachteten »vöest-Studie« zu den Konsequenzen der Krise der Verstaatlichten Industrie.55 Margitta Mätzke, die 2011 auf den Lehrstuhl der 2009 emeritierten Irene DykPloss nachfolgte, brachte sich mit dem Forschungsschwerpunkt »Public Health« ein.

Forschungsgeleitete Lehre und Lehrforschung Entsprechend der Breite des Fachs und des interdisziplinären und multimethodischen Ansatzes sind Forschung und Lehre  – wie in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an sich üblich – verschränkt. Dies gilt vor allem für den Bereich der Sozialpolitik. 30

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

Allerdings sollte es bis 2001 dauern, bis in einem neuen Studienplan das Fach Gesellschafts- und Sozialpolitik in einem größeren Umfang und vor allem schon im ersten Studienabschnitt des Diplomstudiums verankert wurde. »Grundbegriffe und Grundzüge der Politik«, »Politische Ideenlehre« und »Grundzüge der Sozialpolitik« sollten die Studierenden an das Fach heranführen  ; im zweiten Studienabschnitt wurde das Fach durch »Politische Ideen der Gegenwart«, »Politik auf europäischer Ebene«, »Rahmen und Institutionen der Gesellschaftspolitik«, »AkteurInnen der Gesellschaftspolitik«, »Sozialpolitik in Österreich«, »Sozialpolitik im internationalen Vergleich« sowie »Politisches System Österreichs im Vergleich« vertieft. Das nunmehr zweisemestrige Projektstudium bildete einen wichtigen Schwerpunkt im zweiten Studienabschnitt.56 Durch die Erweiterung des Projektstudiums sollte auch auf die wachsende Bedeutung des tertiären und quartären Sektors – des Feldes der sozialen Dienste – reagiert werden, die als Aufgabengebiet für Absolventen und Absolventinnen zunehmend an Bedeutung gewannen. Durch die Erstellung von Forschungsberichten im Auftrag von Institutionen aus diesem Feld bzw. von staatlichen Institutionen auf kommunaler und Landesebene sollten als Mehrwert persönliche Kontakte der Studierenden zu Entscheidungsträgern und -trägerinnen ermöglicht werden, um so die Beschäftigungschancen zu erhöhen. Eine Besonderheit besteht sicher in der häufigen und engen Einbeziehung von Studierenden in die Forschungsprojekte des Instituts und der Durchführung von Forschungsprojekten im Rahmen des Studiums bzw. in der Etablierung eines zweisemestrigen Projektstudiums.57 Darüber hinaus wurde und wird am Institut in einem relativ breiten Ausmaß Lehrforschung betrieben, vor allem auch im Bereich der Armutsforschung. Im Laufe der 2000er Jahre wurden mit den Studierenden einmal jährlich spezifische Aspekte zu »Armut und sozialer Ausgrenzung« bearbeitet und beforscht, ein bis zu diesem Zeitpunkt auf regionaler Ebene kaum thematisierter Bereich. Die jährlich wechselnden Fragestellungen widmeten sich nicht nur den Lebenslagen von armutsgefährdeten Gruppen in Oberösterreich, sondern beispielsweise auch den oft vernachlässigten oder unsichtbaren Zusammenhängen von Armut und Gesundheit, den vielfältigen Facetten von Erwerbsarbeit und Armut oder der Frage der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die oberösterreichische Bevölkerung.58 Das Engagement der Studierenden, die sich nicht nur beim Recherchieren und bei der wissenschaftlichen Bearbeitung, sondern auch bei der Akquise der erforderlichen Mittel beherzt eingebracht haben, hat mit dazu beigetragen, dass Oberösterreich eines der ersten Bundesländer war, das nahezu jährlich in publizierter Form einen wissenschaftlichen Armutsbericht vorlegen konnte, der über die regionalen Grenzen hinweg als vorbildlich wahrgenommen wurde. 31

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Internationalisierung und Praxisorientierung der Lehre Das Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik beteiligte sich ab 1993, noch vor dem österreichischen EU-Beitritt, an den studentischen Austauschprogrammen der Europäischen Union (z. B. Erasmus) und hat von Anfang an Studierende motiviert, einen Teil ihres Sozialwirtschaftsstudiums an einer ausländischen Partneruniversität zu absolvieren. In diesem Kontext war Josef Weidenholzer die treibende Kraft  ; er hatte schon früh die Relevanz entsprechender Auslandserfahrungen für die Studierenden erkannt und förderte vor allem auch Praktika der Studierenden bei Institutionen der EU in Brüssel. Folgerichtig wurde vom Institut 1999 in Linz mit 60 internationalen Studierenden ein Erasmus-Intensive-Programme zum Thema »European Union and Enlargement« organisiert. Bis heute werden den Studierenden jährlich Exkursionen zu den maßgeblichen Brüsseler Institutionen der Europäischen Union im Rahmen einer Lehrveranstaltung angeboten. Erweitert wurden die Möglichkeiten der Mobilität der Studierenden auch durch universitäre Partnerschaften im südostasiatischen Raum (z. B. Bangkok, Seoul, Taipeh). Auf Josef Weidenholzer geht die 2005/06 erfolgte Gründung des Joint Master’s Degree Programme »Comparative Social Policy and Welfare« der Universitäten Tampere (Finnland), Myklos Romerius Universität Vilnius (Litauen) und der JKU zurück, das vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik organisiert wird. In viele Lehrveranstaltungen des Instituts für Gesellschafts- und Sozialpolitik wurden über die Jahre Praktiker und Praktikerinnen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Interessenvertretungen, Medien, Non-Profit-Organisationen etc. eingeladen.59 Ebenso wurden mit den Studierenden Exkursionen in die unterschiedlichsten Praxisbereiche unternommen. Die praktisch-politische Vernetzung der Institutsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen ermöglichte auch die Vermittlung von Praktikumsplätzen an interessierte Studierende sowie Hilfestellung bei der Jobsuche. Im Rahmen des schon erwähnten Projektstudiums wurden neben wissenschaftlichen Inhalten und Forschungsmethoden auch Aspekte wie Konzeption, Einwerbung und Finanzierung von Projekten behandelt. Konkrete Schwerpunkte konnten über einige Jahre auch auf Medienarbeit, Präsentations- und Diskussionstechnik gelegt werden.

Projekte der etwas anderen Art: gesellschaftspolitisch relevant und nachhaltig Zum Abschluss soll anhand von vier Projekten die spezifische Verschränkung von Theorie und Praxis illustriert werden, die die Arbeit des Instituts prägte und immer auch von der Intention gesellschaftspolitischer Intervention im Wege des Wissenstransfers getragen war. 32

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Das Museum Arbeitswelt in Steyr und seine Ausstellungen (1987–2006)

Der Anfang dieses Projekts lag im Engagement Josef Weidenholzers in der Erwachsenenbildung, genauer in der oberösterreichischen Gewerkschaftsschule. Traditionell endeten diese zweijährigen Kursprogramme mit einer Studienreise der Teilnehmer und Teilnehmerinnen  ; die hier relevante Reise führte die Gruppe Linz-Land 1979 nach England, in das Mutterland der Industrialisierung. Der Besuch des Arbeitsweltmuseums in Coalbrookdale hinterließ einen nachhaltigen Eindruck und führte zu dem Wunsch, in Österreich etwas Ähnliches zu schaffen. Zentral war dabei die Idee, nach dem Vorbild der in England und Skandinavien entstandenen Laienhistorikerbewegung »Dig Where You Stand« die Arbeitenden in den Aufbau des Museums einzubeziehen. 1981 wurde der »Verein Museum Arbeitswelt« gegründet, dessen Vorsitzender Josef Weidenholzer wurde. Gewerkschaftsnahe, aber von politischer Äquidistanz bestimmt, nahm der Verein seine Arbeit auf  ; 1984 sagte Landeshauptmann Ratzenböck die Durchführung einer Landesausstellung zum Thema Industrialisierung zu.60 Der in Aussicht genommene Standort – ein ehemaliges Objekt der Werndlschen Waffenfabrik im Steyrer Wehrgraben  – konnte durch zivilgesellschaftliches Engagement einiger Bürgerinitiativen gerettet werden, hatte sich doch die Steyrer Stadtregierung schon zu einer »Modernisierung« des Wehrgabenviertels, eines alten Industrie- und Handwerksbezirkes, entschlossen, die den Abbruch der historischen Bausubstanz bedeutet hätte. Anfang 1985 rief der oberösterreichische Gewerkschaftsbund zum Wettbewerb »Grabe, wo du stehst« auf, in dessen Verlauf Exponate und Dokumente für die Landesausstellung, die 1987 eröffnet werden sollte, gesammelt werden sollten  ; das Echo übertraf alle Erwartungen.61 Die Ausstellung, an der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts für Gesellschafts- und Sozialpolitik mitwirkten, wurde ein großer Erfolg, und das Museum Arbeitswelt konnte sich in der Folge als einzigartige Institution etablieren. Die nächste Ausstellung im Museum Arbeitswelt, die vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik (Josef Weidenholzer und Reinhard Mittersteiner) (mit-) kuratiert wurde, fand 1998 statt. Unter dem Titel »Glühendrot/Krisenbleich. Zeitmontagen zu Arbeit und Kultur der Industrieregion Steyr« wurde die politische und wirtschaftliche Geschichte der Region Steyr nachgezeichnet.62 Schließlich folgte 2006 die Ausstellung »working_world.net – Arbeiten und Leben in der Globalisierung«. Diese in Europa einzigartige Zusammenschau über die massiven Veränderungen der Arbeitswelt thematisierte die Mechanismen der immer dichter werdenden internationalen Verflechtung der industriellen Produktion und deren Auswirkungen auf Arbeit, Leben und Gesellschaft. Die wissenschaftliche Leitung lag auch hier bei Josef Weidenholzer bzw. dem Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik. 33

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Seminar Geschichte und Demokratie: ein Diversionsprojekt mit rechtsextremen Jugendlichen63

In den Jahren 1999 bis 2002 wurden in Oberösterreich rund 150 Jugendliche und junge Erwachsene wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung (sowie verschiedener ähnlicher Delikte, etwa Verhetzung, ausländerfeindlichen Ausschreitungen, Gewaltakten, Schmieraktionen etc.) angezeigt. Davon kamen rund 50 für (damals neu eingeführte) Diversionsmaßnahmen in Frage, etwa ebenso viele wurden vor Gericht gestellt. Bei den Verurteilten schienen etwa 20 für bedingte Strafen mit Auflagen geeignet. Im Jahr 2000 trat die Staatsanwaltschaft Linz mit dem Ersuchen an das Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik heran, ein Resozialisierungsmodell zu entwickeln. Irene Dyk-Ploss und Brigitte Kepplinger konzipierten daraufhin gemeinsam mit dem Psychologen Walter Hanke und einer Gruppe Studierender das Seminar »Geschichte und Demokratie«. In einem »Tandem-Modell« begleiteten (überwiegend Sozialwirtschafts-)Studierende ihre persönlich zugeordneten jungen »Neonazis« durch etwa 20 Kursstunden, in denen der historische Background der NS-Ideologie, der Kontext des politischen Systems des Nationalsozialismus und die Bedeutung demokratischer Grundwerte erläutert und diskutiert wurden. Insgesamt gab es von 2001 bis 2003 fünf Kurse für jugendliche Diversionsprobanden und -probandinnen und drei Kurse für bedingt verurteilte junge Erwachsene. Die Studierenden, die gemeinsam mit den Kursleitern Dyk, Kepplinger und Hanke auch umfangreiche Vor- und Nachbereitungen sowie Dokumentationen vornahmen, konnten durch die Teilnahme einen Lehrveranstaltungsschein erwerben  ; zudem wurden etliche Diplomarbeiten über das Projekt und verwandte Themen verfasst. »Geschichte und Demokratie« ist ein gutes Beispiel für die Verschränkung von Lehre, Forschung und konkreter Projektarbeit am Institut. Es war in diesen Jahren europaweit das größte Projekt dieser Art und löste buchstäblich weltweites Medienecho aus (bis hin zu China Daily, Cape Town News und australischen Radiostationen). Das »Projekt Hartheim«: Ausstellung »Wert des Lebens« und Etablierung des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim

Auch am Anfang dieses Projektes stand die Gründung eines Vereins  : der neue Leiter des Instituts Hartheim, Günther Weixlbaumer, ergriff 1995 die Initiative zur Aufarbeitung der Geschichte von Schloss Hartheim, das von 1940 bis 1944 eine Tötungsanstalt der Aktionen »T4« und »14f13« gewesen war.64 Der Aufruf erging an eine große Zahl von Vertretern und Vertreterinnen aus Wissenschaft, Sozialpolitik und Politik, Medizin und Kunst  ; für das Institut für Gesellschaftspolitik nahm Brigitte Kepplinger an der Gründungsversammlung teil und arbeitete in der Folge intensiv an Konzepten zur Realisierung des Vereinsziels. Dieses wurde definiert als Herstel34

Interdisziplinär und praxisnah: Sozialwirtschaft und Gesellschaftspolitik

Abbildung 1: Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim. Bildnachweis: Hartmut Reese.

lung eines würdigen Gedenkortes, verbunden mit der Verortung des Nationalsozialismus in Geschichte und Gesellschaft und einer Reflexion der Relevanz einschlägiger Ideen in gegenwärtigen sozial- und gesellschaftspolitischen Diskussionen, wie etwa zu den Themen Sterbehilfe oder Fortpflanzungsmedizin. 1998 wurde das Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik (Josef Weidenholzer, Irene Dyk-Ploss, Brigitte Kepplinger) mit der Erarbeitung der Grundlagen für eine Landes-Sonderausstellung betraut, die diese aktuellen Bezüge darstellen sollte. Die Ausstellung, die unter dem Titel »Wert des Lebens« 2003 eröffnet wurde, bildet gewissermaßen die Rahmung der Gedenkstätte für die Opfer von Hartheim, die in der ehemaligen Tötungsstrecke situiert ist. Für die Konzeption der Gedenkstätte war das Oberösterreichische Landesarchiv (damalige Leitung  : Gerhart Marckhgott) verantwortlich. In der Folge entwickelte sich ein intensiver und fruchtbarer Diskurs der verschiedenen beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und des Vereins Schloss Hartheim, sodass Gedenkstätte und Ausstellung als Produkt eines echten Teamworks angesehen werden können. 2003 konnten Ausstellung und Gedenkstätte eröffnet werden und entwickelten sich in der Folge zu einem wirklichen »Lern- und Gedenkort«, an dem wichtige sozial- und gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden. 2007 wurde die »Internationale Hartheim Konferenz« ins Leben gerufen, mit deren wissenschaftlicher Leitung in der Folge Brigitte Kepplinger betraut wurde. Mitt35

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Abbildung 2: Soziale Sicherheit als Rettungsboot: MS ASVG steuert durch die Risiken Arbeitslosigkeit, Alter und Behinderung. Bildnachweis: Andreas Zoufal.

lerweile hat schon die fünfte dieser Konferenzen stattgefunden  : Unter dem Titel »Optimierung des Menschen« wurden im November 2016 Themen wie Selbstoptimierung als gesellschaftliches Prinzip, Gesundheitliche Optimierung – Selbstmanagement und wunscherfüllende Medizin, Transhumanismus – Optimierung durch Technik, Genetische Optimierung, Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin diskutiert.65 Landessonderausstellung 2015: »hilfe. LebensRisken LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich«

Im Auftrag des Landes Oberösterreich kuratierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts unter der Leitung von Brigitte Kepplinger und Irene Dyk-Ploss die Landessonderausstellung »hilfe. LebensRisken LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich« im Haus Bethanien der Diakonie in Gallneukirchen. Während sich sonst Landesausstellungen mit der Geschichte des Landes, mit Kultur und insbesondere Architektur befassten, setzte sich diese mit der Entstehung und Ausformung der sozialen Sicherung in unserem Land auseinander. Die große wissenschaftliche und gestalterische Herausforderung bestand darin, »Unsichtbares« sichtbar zu machen und ohne herkömmliche Exponate, ohne Greifbares, ohne explizite Darstellung Armut, Krankheit, Behinderung oder Leben am Rand der Ge36

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sellschaft mit einem interaktiven Zugang nahezubringen und sozialpolitische Lösungswege mit Worten, Symbolen und neuen Wegen der Präsentation begreifbar zu machen. Auf fast 1000 Quadratmetern – in einem historisch bedeutsamen Rahmen, dem denkmalgeschützten, fast 170 Jahre alten Haus Bethanien – wurde dies mit Texten, Infographiken und besucheraktivierenden Materialien und Themenzugängen aufbereitet, mit dem Ziel, unsere spezifische Lebensqualität infolge sozialer Sicherheit einerseits zu verdeutlichen, andererseits aber ein Bewusstsein für deren Schwachstellen zu wecken und auf die Bedeutung nicht nur gesellschaftlicher, sondern individueller Verantwortung für ein akzeptables Leben und Zusammenleben hinzuweisen. Anstelle eines konventionellen Ausstellungsführers wurde eine Begleitpublikation66 mit wissenschaftlichen, praxisorientierten und literarischen Beiträgen zum Ausstellungsthema erstellt. Erstmalig in Österreich wurde diese Begleitpublikation auch in Leichter Sprache67 für Menschen mit Lese- und Lernbehinderung aufgelegt, wie auch die gesamte Ausstellung nicht nur im »physischen« Sinn barrierefrei gestaltet wurde  : Alle erläuterten Ausstellungstexte wurden auch in Leichter Sprache angeboten.

Versuch eines Ausblicks Studienrichtung wie Studienfach sind 50 Jahre nach der Gründung immer noch in Bewegung  – durch veränderte universitäre Rahmenbedingungen wie etwa die Implementierung der Bologna-Reform, durch geänderte Berufsbilder der Absolventen und Absolventinnen, und nicht zuletzt durch neue theoretische und empirische Zugänge zur zentralen Thematik des Faches, die von neuen Personen einzubringen sind. Mit der Emeritierung von Irene Dyk-Ploss und Josef Weidenholzer ging eine Ära zu Ende. Jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, wie die Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl von Irene Dyk-Ploss, Margitta Mätzke, und der Nachfolger oder die Nachfolgerin von Josef Weidenholzer68 werden sich der Herausforderung einer inhaltlichen wie organisatorischen Weiterentwicklung stellen.

Literatur Amt der Oberösterreichischen Landesregierung/Direktion Kultur u. a. (Hg.), Hilfe. LebensRisken, LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich, Begleitpublikation zur Landes­ sonderausstellung, Linz 2015. Bach, Hans, Die Großstadt als Gemeinwesen, Graz 1938. 37

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Bach, Hans, Vom Dorf zum Volk. Behelf für die weltanschauliche Schulung des Bauerntums, Graz 1940. Bach, Hans, Bauer und Boden. Leitfaden zur nationalsozialistischen Landpolitik, Leipzig 1942. Botz, Gerhard u. a., Nachwort, in  : ders. u. a. (Hg.), Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler zum 60. Geburtstag, Wien 1974, S. 563–564. Burghardt, Anton, Kompendium der Sozialpolitik, Berlin 1979. Burghardt, Anton, Parteimanagement und politische Planung, in  : Höchtl, Josef (Hg.), Akzente, Argumente, Alternativen, Wien 1980, S. 292–296. Busek, Erhard, 100 Jahre katholische Soziallehre, in  : Schambeck, Herbert (Hg.), Der Mensch ist der Weg der Kirche, Festschrift für Johannes Schasching, Berlin 1992, S. 3–8. Candussi, Klaus u. Fröhlich, Walburga (Hg.), Leicht Lesen. Der Schlüssel zur Welt, Wien 2015. Dyk, Irene, Gesellschaftspolitische Aspekte der Planung  : Zielgenese und Transformation, Berlin 1981. Dyk, Irene, Randgruppen  : Gerechtigkeit oder Chancen  ?, in  : Koller, Peter (Hg.), Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart, Wien 2001, S. 263–285. Dyk, Irene (Projektleitung) u. a., Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Behinderungen  : eine empirische Untersuchung in oberösterreichischen Unternehmen über die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Behinderungen, Linz 2002. Dyk-Ploss, Irene, Gesellschaftliche Randgruppen, sozialer Wandel und soziale Fragen, in  : Amt der Oberösterreichischen Landesregierung/Direktion Kultur u. a. (Hg.), Hilfe. LebensRisken, LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich, Begleitpublikation zur Landessonderausstellung, Linz 2015, S. 191–204. Gumplmaier, Erich u. a., Auf der Suche nach unserer Geschichte, ÖGB-Aktion »Grabe, wo du stehst« und Museum, in  : Kropf, Rudolf (Hg.), Arbeit – Mensch – Maschine  : Der Weg in die Industriegesellschaft, Oberösterreichische Landesausstellung 1987 in Steyr-Wehrgraben, Katalog, Linz 1987, S. 44–48. Hochschule für Sozialwissenschaften (Hg.), Das Studium der Sozialwissenschaften, Wilhelms­ haven 1956. Johannes Kepler Universität Linz (Hg.) u. Drachsler, Johann (Red.), Die Johannes Kepler Universität Linz 1966–2000, Linz 1999. Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich (Hg.), Die Zukunft der Arbeit, Internationales Symposium der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, des Forschungsinstituts für Sozialplanung der Johannes Kepler Universität Linz und des ORF Landesstudio Oberösterreich am 21. November 1985 in Linz, Linz 1986. Kepplinger, Brigitte (Hg.), Der Aufstieg zur Massenpartei, Ein Lesebuch zur österreichischen Sozialdemokratie 1889–1918, Wien 1990. Kepplinger, Brigitte u. a. (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, Linz 20133. Klausinger, Hansjörg, Die Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel, 1918– 1973, Wirtschaftsuniversität Wien, Department of Economics, Working paper Nr. 202, Juli 2015. Klose, Alfred, Kleines Lexikon der Politik, Wien 1982. Klose, Alfred (Hg.), Katholisches Soziallexikon, Innsbruck 1980.

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Konrad, Helmut u. a., Einleitung, in  : ders. (Schriftleitung) u. a. (Hg.), Geschichte als demokratischer Auftrag. Karl R. Stadler zum 70. Geburtstag, Wien 1983, S. 11–12. Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Hg.), 150 Jahre Lehre und Forschung in Poppelsdorf, Bonn 1997, S. 24–25. Malinsky, Adolf H., Raumordnung und Standortverteilung  : agrar-, siedlungs- und umweltpolitische Einflüsse auf die Standortstruktur, Berlin 1981. Malinsky, Adolf H. (Hg.), Agrarpolitik, Landentwicklung und Umweltschutz  : fachübergreifende Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum, Festschrift Hans Bach, Wien 1982. Messner, Johannes, Die soziale Frage der Gegenwart, Innsbruck 1934. Mittersteiner, Reinhard u. Kepplinger, Brigitte (Hg.), Glühendrot/Krisenbleich. Zeitmontagen zu Arbeit und Kultur der Industrieregion Steyr, Steyr 1998. Radkau, Joachim u. Uekötter, Frank (Hg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt 2003. Rathner, Thorsten u. Rachbauer, Gerald, Geschichte und Demokratie – Ein Diversionsprojekt mit rechtsextremen Jugendlichen, in  : Stelzer-Orthofer, Christine u. Weidenholzer, Josef (Hg.), Partizipation und Gerechtigkeit, Linz 2007, S. 186–203. Reithofer, Hans, Die ausgleichende Gesellschaft. Strategien der Zukunftsbewältigung, Wien 1978. Rohrhofer, Franz Xaver, Die 68er in Oberösterreich. Oder  : Die Lust an der Provokation, Linz 2008. Seckauer, Hansjörg, Soziale und ökonomische Determinanten der Integration, Linz 1993 (Studie im Auftrag des Landes Oberösterreich). Seckauer, Hansjörg u. Neuhofer, Max, Die Bedeutung der Linzer Betriebe der Vöest-Alpine für die Entwicklung des oberösterreichischen Zentralraums, Linz 1994 (Studie im Auftrag der Vöest). Stadler, Karl R., Österreich 1938–1945 im Spiegel der NS-Akten, Wien 1966. Stadler, Karl R., The Birth of the Austrian Republic 1918–1921, Leyden 1966. Stadler, Karl R., Hypothek auf die Zukunft, Die Entstehung der österreichischen Republik 1918–1921, Wien 1968. Stelzer-Orthofer, Christine u. Weidenholzer, Josef (Hg.), Aktivierung und Mindestsicherung, Nationale und europäische Strategien gegen Armut und Arbeitslosigkeit, Wien 2011. Stelzer-Orthofer, Christine (Leitung) u. Brunner-Kranzmayr, Elisabeth, Ein erster Einblick  : Bedarfsorientierte Mindestsicherung und Aktivierung in Oberösterreich, Abschlussbericht der LVA  : Arbeit und Beschäftigung, WS 2012/13, BBRZ-Gruppe-FAB, Linz o. J. (2013). Strasser, Rudolf, Der Standort der Gesellschaftspolitik, in  : Institut für Gesellschaftspolitik (Hg.), Gesellschaftspolitik im Aufbruch, Protokoll über die konstituierende Sitzung des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Gesellschaftspolitik, Wien 1969, S. 9–19. Weidenholzer, Josef, Der sorgende Staat. Zur Entwicklung der Sozialpolitik von Joseph II. bis Ferdinand Hanusch, Wien 1985. Weidenholzer, Josef, Das Museum Arbeitswelt. Ein Beitrag zur Orientierung in einer Periode grundlegender Umwälzungen, in  : Kropf, Rudolf (Hg.), Arbeit – Mensch – Maschine  : Der Weg in die Industriegesellschaft, Oberösterreichische Landesausstellung 1987 in SteyrWehrgraben, Katalog, Linz 1987, S. 40–43. 39

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Wittenberg, Reinhard, Soziologie in Nürnberg, Forschung und Lehre zwischen 1919 und 2000, Regensburg 2001.

Anmerkungen   1 Dies gilt auch für Studienrichtungen wie Wirtschaftspädagogik und Wirtschaftsinformatik und kann zur jeweiligen Initiierung durchaus als Linzer Spezifikum bezeichnet werden.   2 Die Bezeichnung »Studium für Sozialwissenschaften« findet sich in Deutschland schon früh im Bundesbeamtengesetz (§ 19, Abs. 2, 1953) und bezieht sich auf Abschlüsse wie den Diplomsozialwirt, die für den Höheren Verwaltungsdienst qualifizieren sollten. Siehe Hochschule für Sozialwissenschaften (Hg.), Das Studium der Sozialwissenschaften, Wilhelmshaven 1956, Abs. 9.   3 Johannes Kepler Universität Linz (Hg.) u. Johann Drachsler (Red.), Die Johannes Kepler Universität Linz 1966–2000, Linz 1999, S. 18 u. S. 29.   4 Franz Xaver Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich. Oder  : Die Lust an der Provokation, Linz 2008, S. 87.   5 Vgl. Johannes Kepler Universität Linz (Hg.) u. Drachsler (Red.), Die Johannes Kepler Universität Linz 1966–2000, S. 18.   6 Ebd., S. 85.   7 Das gleichnamige Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien ist durch eine ungleich stärkere ökonomische Ausrichtung gekennzeichnet.   8 Reinhard Wittenberg, Soziologie in Nürnberg, Forschung und Lehre zwischen 1919 und 2000, Regensburg 2001.   9 AJKU, Protokolle der Studienkommission Sozialwirtschaft 1973–1984. 10 Die Autorin (IDP) war damals Studienreferentin der Österreichischen Hochschülerschaft und erinnert sich lebhaft daran, wie Hans Bach sie im Jänner 1969 aus einer Lehrveranstaltung holen ließ und ihr begeistert von dieser Lösung berichtete. Seiner Meinung nach konnte durch die Konstellation Bach/Stadler die gesamte Breite des Fachs abgedeckt werden. 11 Rudolf Strasser, Der Standort der Gesellschaftspolitik, in  : Institut für Gesellschaftspolitik (Hg.), Gesellschaftspolitik im Aufbruch, Protokoll über die konstituierende Sitzung des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Gesellschaftspolitik, Wien 1969, S. 9–19, hier S. 18. 12 Hans Reithofer, Die ausgleichende Gesellschaft. Strategien der Zukunftsbewältigung, Wien 1978, S. 16 f. 13 Siehe hierzu etwa Anton Burghardt, Kompendium der Sozialpolitik, Berlin 1979, S. 15. 14 Siehe Brigitte Kepplinger (Hg.), Der Aufstieg zur Massenpartei, Ein Lesebuch zur österreichischen Sozialdemokratie 1889–1918, Wien 1990. 15 Reithofer, Ausgleichende Gesellschaft, S. 25. 16 Alfred Klose (Hg.), Katholisches Soziallexikon, Innsbruck 1980, S. 3100. 17 Erhard Busek, 100 Jahre katholische Soziallehre, in  : Herbert Schambeck (Hg.), Der Mensch ist der Weg der Kirche, Festschrift für Johannes Schasching, Berlin 1992, S. 3–8, hier S. 5. 18 Johannes Messner, Die soziale Frage der Gegenwart, Innsbruck 1934. 19 Klose (Hg.), Katholisches Soziallexikon, S. 2036 ff. 20 Einer seiner Schüler war der Sozialdemokrat und Professor für Gesellschaftsphilosophie Norbert Leser, der wiederum den Politikwissenschaftler Anton Pelinka habilitierte. 21 Anton Burghardt, Parteimanagement und politische Planung, in  : Josef Höchtl (Hg.), Akzente, Argumente, Alternativen, Wien 1980, S. 292–296, hier S. 292 ff. 22 Alfred Klose, Kleines Lexikon der Politik, Wien 1982. 23 Messner, Die soziale Frage der Gegenwart, S. 172. 24 Ebd.

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25 Strasser, Der Standort der Gesellschaftspolitik, S. 18. 26 1969 war von der Stadt Wien, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund und der Kammer für Arbeiter und Angestellte der Verein »Institut für Gesellschaftspolitik« gegründet worden, der als Trägerinstitution des gleichnamigen Instituts fungierte und Publikationen zu Themen der Arbeitswelt bzw. der Lage der abhängig Beschäftigten herausgab. 27 Die 1847 gegründete Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn-Poppelsdorf wurde 1934 als Landwirtschaftliche Fakultät in die Universität Bonn eingegliedert. Siehe hierzu  : Landwirtschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Hg.), 150 Jahre Lehre und Forschung in Poppelsdorf, Bonn 1997, S. 24–25. 28 Hans Bach, Die Großstadt als Gemeinwesen, Graz 1938, S. 79. 29 Ebd., S. 52. 30 Ebd., S. 20. 31 Ebd., S. 59–70. 32 Etwa  : Hans Bach, Vom Dorf zum Volk. Behelf für die weltanschauliche Schulung des Bauerntums, Graz 1940, sowie  : Hans Bach, Bauer und Boden. Leitfaden zur nationalsozialistischen Landpolitik, Leipzig 1942. 33 Die Angaben zum politischen Werdegang stammen aus dem Bundesarchiv Berlin, und zwar  : R 9361 V_12938, R 9361 II_25931, BARCH ZA_VI_3194_A, NSDAP-Zentralkartei  : R 9361_VIII_KARTEI/ 261310. 34 Walter Heinrich (1902–1984) hatte 1925 bei Othmar Spann promoviert und galt als enger Vertrauter Spanns. In der Zwischenkriegszeit arbeitete er für die österreichischen Heimwehren und war Mitautor des »Korneuburger Eides« von 1930. 1933 wurde er zum außerordentlichen Professor an der Hochschule für Welthandel ernannt. Aufgrund seiner führenden Rolle im Spannkreis wurde Heinrich nach dem »Anschluss« verhaftet und mehrere Monate im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. 1945 kehrte er an die Hochschule für Welthandel zurück. Siehe hierzu  : Hansjörg Klausinger, Die Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel, 1918–1973, Wirtschaftsuniversität Wien, Department of Economics, Working Paper Nr. 202, Juli 2015, S. 7 ff., S. 13 ff., S. 28 ff. 35 Bezeichnenderweise fehlt in der ihm gewidmeten Festschrift jede Angabe zu Bachs akademischer Vita  ; seine Publikationsliste beginnt mit dem Jahr 1958. Verzeichnis der Publikationen von Hans Bach, in  : Adolf H. Malinsky (Hg.), Agrarpolitik, Landentwicklung und Umweltschutz  : fachübergreifende Entwicklungsstrategien für den ländlichen Raum, Festschrift Hans Bach, Wien 1982, S. 265 ff. 36 Siehe ebd.: Einleitung, S.  11–15. Zum Thema Umweltschutz und Nationalsozialismus siehe Joachim Radkau u. Frank Uekötter (Hg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt 2003. 37 Karl R. Stadler, The Birth of the Austrian Republic 1918–1921, Leyden 1966, deutsch  : Karl R. Stadler, Hypothek auf die Zukunft, Die Entstehung der österreichischen Republik 1918–1921, Wien 1968. 38 Karl R. Stadler, Österreich 1938–1945 im Spiegel der NS-Akten, Wien 1966. 39 Gerhard Botz u. a., Nachwort, in  : ders. u. a. (Hg.), Geschichte und Gesellschaft. Festschrift für Karl R. Stadler zum 60. Geburtstag, Wien 1974, S. 563 f. 40 Helmut Konrad u. a., Einleitung, in  : ders. (Schriftleitung) u. a., Geschichte als demokratischer Auftrag. Karl R. Stadler zum 70. Geburtstag, Wien 1983, S. 11 f. hier S. 12. 41 Darunter befanden sich Politiker wie Christoph Leitl und Reinhard Dyk, Sozialforscher und Sozialforscherinnen wie Heinz Holley und Elisabeth Feyrer-Dostal (Südafrika), Referenten und Referentinnen in der Erwachsenenbildung, u. a. Edeltraud Buchberger und Isidor Trompedeller (Südtirol), Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Interessenvertretungen, z. B. Ilse Hauder und Eva-Maria Schindlauer, und im öffentlichen Dienst (Raumplanung) wie Helmut Weiss. 42 Unter den Inskribenten und Inskribentinnen der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen im Herbst 1966 befanden sich 20 Prozent Sozialwirte und Sozialwirtinnen, unter den Absolven-

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ten und Absolventinnen 1970 30 Prozent – sie wiesen also eine hohe Abschlussrate auf, obwohl nicht wenige berufstätig waren. 43 Adolf H. Malinsky, Raumordnung und Standortverteilung  : agrar-, siedlungs- und umweltpolitische Einflüsse auf die Standortstruktur, Berlin 1981  ; Irene Dyk, Gesellschaftspolitische Aspekte der Planung. Zielgenese und Transformation, Berlin 1981. 44 Josef Weidenholzer, Der sorgende Staat. Zur Entwicklung der Sozialpolitik von Joseph II. bis Ferdinand Hanusch, Wien 1985. 45 Ebd., S. 9. 46 Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich (Hg.), Die Zukunft der Arbeit, Internationales Symposium der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, des Forschungsinstituts für Sozialplanung der Johannes Kepler Universität Linz und des ORF Landesstudio Oberösterreich am 21. November 1985 in Linz, Linz 1986, S. 7. 47 Irene Dyk (Projektleitung), Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Behinderungen  : eine empirische Untersuchung in oberösterreichischen Unternehmen über die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit Behinderungen, Linz 2002. 48 Das Thema war auch ein zentrales wissenschaftliches Anliegen  : vgl. u. a. Irene Dyk, Randgruppen  : Gerechtigkeit oder Chancen  ?, in  : Peter Koller (Hg.), Gerechtigkeit im politischen Diskurs der Gegenwart, Wien 2001, S. 263–285, hier S. 263 ff., sowie Irene Dyk-Ploss, Gesellschaftliche Randgruppen, sozialer Wandel und soziale Fragen, in  : Amt der Oberösterreichischen Landesregierung/Direktion Kultur u. a. (Hg.), Hilfe. LebensRisken, LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich, Begleitpublikation zur Landessonderausstellung, Linz 2015, S. 191 ff. 49 Obwohl Dyk-Ploss und Weidenholzer unterschiedlichen Parteien angehören, haben sie übereinstimmende Grundwerte in der Sozialpolitik. 50 AJKU, Institut für Gesellschaftspolitik/Forschungsinstitut für Sozialplanung  : Vorschlag zur Neugliederung der beiden Institute, o. D. (1997), Ordner Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik  : Leitbild, Budgetanträge, Stellenplan. 51 Ebd. 52 AJKU, Anhang A, Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Detailbeschreibung ausgewählter Forschungsprojekte und Vorhaben, Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, Ordner Exzellenzschwerpunkt, o. J. (2010). 53 Christine Stelzer-Orthofer, u. Josef Weidenholzer (Hg.), Aktivierung und Mindestsicherung, Nationale und europäische Strategien gegen Armut und Arbeitslosigkeit, Wien 2011. 54 Hansjörg Seckauer, Soziale und ökonomische Determinanten der Integration, Linz 1993 (Studie im Auftrag des Landes Oberösterreich). 55 Hansjörg Seckauer u. Max Neuhofer, Die Bedeutung der Linzer Betriebe der vöest-Alpine für die Entwicklung des oberösterreichischen Zentralraums, Linz 1994 (Studie im Auftrag der vöest). 56 Studienplan Sozialwirtschaft, Beschluss der Studienkommission Sozialwirtschaft vom 1.2.2001, Mitteilungsblatt der Johannes Kepler Universität Linz vom 25.7.2001, 32. Stück. 57 Im rezenten Curriculum als Projektmanagement bezeichnet. 58 Etwa  : Christine Stelzer-Orthofer (Leitung) u. Elisabeth Brunner-Kranzmayr, Ein erster Einblick  : Bedarfsorientierte Mindestsicherung und Aktivierung in Oberösterreich, Abschlussbericht der LVA  : Arbeit und Beschäftigung, WS 2012/13, BBRZ-Gruppe-FAB, Linz o. J. (2013). 59 Im Lauf der Zeit konnten in zunehmendem Maße auch Absolventen und Absolventinnen der Studienrichtung Sozialwirtschaft als Vortragende in die Lehrveranstaltungen geholt werden. 60 Josef Weidenholzer, Das Museum Arbeitswelt. Ein Beitrag zur Orientierung in einer Periode grundlegender Umwälzungen, in  : Rudolf Kropf (Hg.), Arbeit – Mensch – Maschine  : Der Weg in die Industrie­

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gesellschaft, Oberösterreichische Landesausstellung 1987 in Steyr-Wehrgraben, Katalog, Linz 1987, S. 40–43. 61 Erich Gumplmaier u. a., Auf der Suche nach unserer Geschichte, ÖGB-Aktion »Grabe, wo du stehst« und Museum, in  : Rudolf Kropf (Hg.), Arbeit  – Mensch  – Maschine  : Der Weg in die Industriegesellschaft, Oberösterreichische Landesausstellung 1987 in Steyr-Wehrgraben, Katalog, Linz 1987, S. 44–48. 62 Reinhard Mittersteiner u. Brigitte Kepplinger (Hg.), Glühendrot/Krisenbleich. Zeitmontagen zu Arbeit und Kultur der Industrieregion Steyr, Steyr 1998. 63 Thorsten Rathner u. Gerald Rachbauer, Geschichte und Demokratie – Ein Diversionsprojekt mit rechtsextremen Jugendlichen, in  : Christine Stelzer-Orthofer u. Josef Weidenholzer (Hg.), Partizipation und Gerechtigkeit, Linz 2007, S. 186–203, hier S. 186 ff. 64 Brigitte Kepplinger u. a. (Hg.), Tötungsanstalt Hartheim, Linz 20133. 65 Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, Einladung zur fünften Internationalen Hartheim Konferenz »Die Optimierung des Menschen«, unter  : http://www.schloss-hartheim.at/images/Downloads/Veranstaltungen/EinladungIHK5_final_web.pdf, aufgerufen am 13.2.2017. 66 Amt der Oberösterreichischen Landesregierung/Direktion Kultur u. a. (Hg.), Hilfe. LebensRisken, LebensChancen. Soziale Sicherung in Österreich, Begleitpublikation zur Landessonderausstellung, Linz 2015. 67 Siehe hierzu  : Klaus Candussi u. Walburga Fröhlich (Hg.), Leicht Lesen. Der Schlüssel zur Welt, Wien 2015. 68 Zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrags war die Besetzung dieser Position noch nicht erfolgt.

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Johann K. Brunner

50 Jahre Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz – einige Gedanken1 Einleitung Jubiläen sind ein Anlass zur Freude  : Dass man ein bestimmtes Alter überhaupt erreicht hat und dass in den vergangenen Jahren einiges zum Erfolg wurde, was man sich zur Aufgabe gestellt hatte. Zweifellos hat das Institut für Volkswirtschaftslehre (VWL) der Johannes Kepler Universität Linz einen Grund zu solcher Freude, wie später noch ausgeführt werden wird. Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht jedoch eine allgemeinere Betrachtung  : Wie hat sich das Institut für Volkswirtschaftslehre in den 50 Jahren seit dem Beginn des Lehr- und Forschungsbetriebs an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1966 verändert  ? In welchem Zusammenhang stehen diese Änderungen mit den allgemeinen Entwicklungen des Faches Volkswirtschaftslehre  ? Welche Rolle haben die handelnden Personen dabei eingenommen  ? An diesen Fragen orientieren sich die Gedanken, die ich im Folgenden formulieren werde. Natürlich werde ich keine umfassenden Antworten bereithalten, sondern mich darauf beschränken, aus meiner subjektiven Sicht einige allgemeine Merkmale und Tendenzen der ökonomischen Forschung in den letzten Jahrzehnten zu erörtern und in diesem Rahmen die Entwicklung und die Besonderheiten des Linzer VWL-Instituts zu beschreiben. An den Beginn seien ein paar Überlegungen zum Charakter ökonomischer Erkenntnisse gestellt  : Die Ökonomie als Wissenschaft hat die Aufgabe, Aussagen zur Beschreibung und Erklärung verschiedener Phänomene des Wirtschaftsprozesses (also der Produktion und des Konsums von Gütern und Dienstleistungen) herzuleiten, einschließlich der Rolle wirtschaftspolitischer Maßnahmen des Staates. Dabei steht die volkswirtschaftliche Perspektive im Vordergrund, d. h., es geht um die Betroffenheit mehrerer (aller) Teilnehmer und Teilnehmerinnen am Marktgeschehen, nicht um das Wohl einer einzelnen Person allein. Der Untersuchungsgegenstand ist inzwischen sehr weit gefasst  ; mit ökonomischen Methoden werden nicht nur (oder sogar immer weniger) die geläufigen Fragestellungen wie Ursachen der Arbeitslosigkeit oder Wirkungen der Geldpolitik untersucht, sondern es wird auch ein weites Spektrum sehr spezifischer Fragen in verschiedensten Bereichen analysiert, bis hin zu ökonomischen Aspekten der Kriminalität, zum Heiratsverhalten u. ä.2 45

Johann K. Brunner

Jedenfalls ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die in der Volkswirtschaftslehre untersuchten Phänomene durch die Entscheidungen der Haushalte (betreffend den Konsum von Gütern oder die Wahl der Ausbildung, des Berufs und der Arbeitszeit), der Unternehmensleitungen (betreffend die Produktion von Gütern in den einzelnen Unternehmen, die Investitionen usw.) sowie durch die Entscheidungen auf den Finanzmärkten bestimmt sind, also stets durch menschliches Verhalten. Aus der Summe der einzelnen Verhaltensweisen, aus den Reaktionen auf wirtschaftspolitische Maßnahmen ergeben sich Gesamtproduktion und Einkommen einer Wirtschaft, Handel mit anderen Staaten, Innovationen, Wachstum usw. In diesem Sinn ist die Volkswirtschaftslehre eine sozialwissenschaftliche Disziplin und unterscheidet sich grundsätzlich von den Naturwissenschaften wie Physik und Chemie.3 Provokant formuliert, erweisen sich die Sozialwissenschaften  – vom Untersuchungsgegenstand her – als das deutlich schwierigere(!) Forschungsgebiet als die Naturwissenschaften, weil eben das menschliche Verhalten nicht die Konstanz naturwissenschaftlicher Erscheinungen aufweist  ; es bleibt letztlich nicht berechenbar.4 Gesetze im Sinne der Naturwissenschaften existieren dafür nicht. Darüber hinaus fehlt weitgehend die Möglichkeit der experimentellen Überprüfung von Aussagen.5 Diese prinzipielle Schwierigkeit des Faches aufgrund seines sozialwissenschaftlichen Charakters macht zugleich die Faszination des Gegenstands aus, und es ist nicht verwunderlich, dass einerseits in den letzten Jahrzehnten hoch spezialisierte quantitative Analyseverfahren entwickelt wurden, aber andererseits immer wieder Uneinigkeit über die adäquaten Forschungsmethoden besteht. Insgesamt kann man die Entwicklung der Ökonomie unter dem Gesichtspunkt betrachten, auf welche Weise die Forscher und Forscherinnen durch die Anwendung neuerer Methoden versuchen, immer besser mit der prinzipiellen Komplexität des Gegenstands umzugehen. Im Folgenden werde ich zunächst eine sehr kurze Darstellung des methodischen Vorgehens der ökonomischen Forschung geben und anmerken, wie sie am Linzer VWL-Institut gepflegt wurde und wird. Damit soll ein grundsätzliches Verständnis für das daran anknüpfende Kapitel geschaffen werden, in dem ich mich ausführlicher dem Spannungsfeld von Ökonomie und Politik widme, und in dem ich einiges zur Geschichte des Instituts anmerken werde. Am Ende stehen einige Schlussbetrachtungen.

Methoden Wie gelangt man überhaupt zu (neuen) Aussagen in der Volkswirtschaftslehre  ? Was sind interessante neue Erkenntnisse  ? Mit welchen – weithin anerkannten – Methoden können sie gewonnen werden  ? Was hat sich dabei in den letzten fünf Jahrzehnten geändert  ?6 Angesichts der fundamentalen Schwierigkeit des sozialwissenschaft46

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lichen Gegenstands liegt es nahe, gerade als Reaktion darauf, verfeinerte quantitative Methoden zu entwickeln. Die zwei wichtigsten sind seit jeher die theoretische und die empirische Analyse, wobei in jüngerer Zeit auch die Durchführung von Experimenten an Bedeutung gewonnen hat. Theorie

Mit einer theoretischen Analyse ist in der Volkswirtschaftslehre die Formulierung ­eines mathematischen Modells gemeint, dessen Annahmen die wichtigsten Elemente der betrachteten Fragestellung widerspiegeln.7 Daraus werden – meist – qualitative Aussagen hergeleitet, die ein beobachtetes Phänomen erklären können oder die Wirkungen staatlicher Instrumente (wie Steuern) auf eine gegebene Zielgröße (wie das Steueraufkommen oder auch die Wohlfahrt der von der Steuer belasteten Haushalte) beschreiben.8 Dieses Vorgehen, das »Denken in Modellen«, hat sich herausgebildet und durchgesetzt, weil die mathematische Formulierung einer Problemstellung eine konsistente Darstellung komplexer Zusammenhänge und eine klare und überprüfbare logische Herleitung von Aussagen erlaubt.9 Klarerweise kann es nie ein »wahres« Modell geben, nie können alle relevanten Aspekte des Problems einbezogen werden. So bleibt immer eine gewisse Willkür bei der Auswahl der Annahmen  ; sofern keine eindeutigen empirischen Befunde vorliegen, gibt es keine etablierte Methode zur Beurteilung, ob eine Annahme gerechtfertigt ist.10 In welchem Ausmaß und in welchem Schwierigkeitsgrad mathematische Methoden notwendig und sinnvoll sind, lässt sich nicht allgemein beurteilen, sondern hängt von der betrachteten Problemstellung ab. Es mag sein, dass der vor allem von Studierenden regelmäßig vorgebrachte Vorwurf einer überzogenen Mathematisierung eine gewisse Berechtigung hat, andererseits, wenn man Wert auf eine präzise Analyse legt, erfordert dies schnell einen entsprechend ausgefeilten mathematischen Formalismus.11 Von zentraler Bedeutung ist in vielen Modellen die Annahme des rationalen Verhaltens der Menschen bei wirtschaftlichen Entscheidungen. Sie kann hier nicht ausführlich diskutiert werden  ; man sollte diese Annahme jedenfalls nicht als eine Behauptung verstehen, dass sich die Menschen immer rational verhalten. Vielmehr stellt sie einen Ausgangspunkt für eine Analyse dar, zu welchem (keineswegs immer optimalen) Ergebnis es auf (keineswegs immer perfekten) Märkten kommt, gerade wenn sich die Beteiligten rational verhalten, also auf ihre eigenen Ziele und auf ihre eigenen Möglichkeiten schauen. Außerdem hat die Rationalitätsannahme auch einen methodischen Grund  : Rationalität ist im ökonomischen Standardmodell einigermaßen klar und eindeutig definiert. Für davon abweichendes Verhalten gilt dies weit weniger  ; die Gefahr der Beliebigkeit von Annahmen (siehe oben) besteht in viel höherem Ausmaß, wenn man nicht-rationales Verhalten beschreiben möchte.12 47

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Ein weiteres Instrumentarium der ökonomischen Analyse, das immer wieder der Kritik ausgesetzt ist, betrifft die bevorzugte Analyse von Gleichgewichten. Auch hier geht es keineswegs um eine Behauptung, die Märkte würden sich stets im Gleichgewicht befinden oder darauf zusteuern. Vielmehr ist es eine methodische Strategie, sich zunächst auf Gleichgewichtszustände zu konzentrieren, weil Ungleichgewichte meist noch viel schwieriger definiert und analysiert werden können. Rationalitätsannahme und Analyse von Gleichgewichten sind Grundbausteine des sogenannten neoklassischen Theoriegebäudes, das in den letzten 150 Jahren entwickelt wurde. Es hat nach meiner Beurteilung viele wichtige Einsichten hervorgebracht, ist aber auch viel Kritik ausgesetzt, und es stellt natürlich nicht den einzigen Zugang zur Erklärung ökonomischer Phänomene dar. Ausdrücklich hervorzuheben ist allerdings, dass dieser neoklassische Modellrahmen durchaus nicht das problemlose Funktionieren der privaten Marktwirtschaft impliziert. Es zeigt sich in einer großen Zahl von Modellen, dass gerade rationales Verhalten und Verfolgung des eigenen Vorteils durch einzelne Personen zu einem Gleichgewicht führt, bei dem die vorhandenen Ressourcen ineffizient genützt werden. Auch innerhalb der Ökonomie ist allerdings der in den letzten Jahrzehnten dominierende Versuch umstritten, in der makroökonomischen Forschung  – also zu den gesamtwirtschaftlichen Phänomenen Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum und Inflation  – ebenfalls das mikroökonomische Rationalmodell zum Ausgangspunkt zu nehmen, insbesondere wenn es um die Planung des langfristigen zukünftigen Konsums und des Erwerbsverhaltens geht. Die aktuelle Kritik daran wird vor allem mit der Tatsache begründet, dass dieser Ansatz für die jüngste Wirtschaftskrise keine Erklärung und keine Empfehlungen liefern konnte.13 Als Antithese ist die »postkeynesianische« Richtung zu nennen, eine eigene Gruppe von sogenannten »heterodoxen« Ökonomen und Ökonominnen, die den neoklassischen (»orthodoxen«) Ansatz bewusst ablehnen.14 Außerdem hat sich innerhalb der mikroökonomisch orientierten Volkswirtslehre in der jüngeren Zeit unter dem Titel »Behavioral Economics« eine neue Forschungsrichtung etabliert, die gerade jene Situationen studiert, in denen es zu einem Abweichen vom rationalen Verhalten kommt. Bevorzugtes methodisches Instrument dazu sind Experimente  ; sie werden einerseits, wie schon früher erwähnt, in einem Labor durchgeführt, wo Versuchspersonen mit unterschiedlichen Entscheidungssituationen konfrontiert werden und ihr Entscheidungsverhalten präzise studiert werden kann.15 Andererseits werden immer häufiger sehr raffinierte Feldexperimente in größerem Stil entworfen, wobei für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen unterschiedliche reale Situationen geschaffen und ihre jeweiligen Entscheidungen beobachtet werden. Die auf diese Weise gewonnenen Einsichten erweitern den Kanon der ökonomischen Denkweisen über menschliches Verhalten erheblich, wenn auch ihre Bedeutung bei der theoretischen Analyse von volkswirtschaftlichen Phänomenen noch nicht abschließend beurteilt werden kann. 48

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Empirie

Letztlich besteht das Ziel volkswirtschaftlicher Überlegungen in Aussagen über reale wirtschaftliche Zusammenhänge, und dazu bedarf es neben einer profunden theoretischen Durchdringung auch einer direkten Befassung mit der Realität in Form empirischer Untersuchungen. Der Ausgangspunkt dazu ist das Sammeln und Charakterisieren von Daten, um einen Eindruck von der quantitativen Bedeutung ökonomischer Phänomene zu bekommen. Dabei geht es etwa um Daten zur Einkommensverteilung, zu internationalen Handelsbeziehungen, zur Arbeitslosigkeit oder zur Branchenstruktur einer Volkswirtschaft.16 In den letzten Jahrzehnten werden außerdem immer mehr Daten erhoben und für die Wissenschaft verfügbar gemacht, die für (anonyme) Einzelpersonen den Verlauf ihrer individuellen Karrieren beinhalten (also das Erwerbsverhalten, die Einkommen, Gesundheitsausgaben u. a.).17 Die interessante Frage ist allerdings, welche Zusammenhänge zwischen den Daten bestehen und ob sich darin messbare Reaktionen auf bestimmte Ursachen widerspiegeln. In einem weiteren Schritt geht es daher um das Herausfinden und Quantifizieren solcher Wirkungsbeziehungen, und das ist heute die wesentliche und herausfordernde Aufgabe der Ökonometrie, also der Anwendung statistischer Verfahren auf ökonomische Fragestellungen. Damit verwandt ist das Testen von theoretisch hergeleiteten Hypothesen. Empirisches Arbeiten hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung in der Volkswirtschaftslehre gewonnen, wie die folgende Tabelle verdeutlicht  :18 Tabelle 1: Percent Distributions of Methodology of Published Articles, 1963–2011* Type of study Year

Theory

Theory with simulation

Empirical: ­borrowed data

Empirical: own data

Experiment

1963

50,7

 1,5

39,1

 8,7

0,0

1973

54,6

 4,2

37,0

 4,2

0,0

1983

57,6

 4,0

35,2

 2,4

0,8

1993

32,4

 7,3

47,8

 8,8

3,7

2003

28,9

11,1

38,5

17,8

3,7

2011

19,1

 8,8

29,9

34,0

8,2

* A type could not be assigned to seventeen of the articles published in 1963.

Sie zeigt einen Rückgang des Anteils an theoretischen Arbeiten in den Top-Zeitschriften der Volkswirtschaftslehre und eine Zunahme des Anteils an empirischen 49

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Arbeiten, wobei deren Schwerpunkt auf der Analyse von Wirkungszusammenhängen liegt. Neben dem offensichtlichen Grund, dass die quantitative Bestimmung ökonomischer Parameter (wie ändert sich die Nachfrage nach einem Gut im Fall einer Preisänderung  ?) bedeutsam ist und eine Präzisierung der Schlussfolgerungen aus theoretischen Überlegungen erlaubt, war für diesen Trend auch eine rapide Zunahme der Rechenkapazitäten durch den Einsatz immer leistungsfähigerer Computer verantwortlich. Sie ermöglichen die Speicherung und Auswertung riesiger Datenmengen. Parallel dazu wurden immer ausgereiftere ökonometrische Verfahren entwickelt und als Programme verfügbar gemacht. Ein wichtiger Grund für den Einsatz dieser hoch entwickelten Verfahren liegt in der Notwendigkeit, auf diese Weise den großen Nachteil sozialwissenschaftlicher Forschung auszugleichen, nämlich die nur beschränkt mögliche Durchführung von Experimenten.19 Aus der geschickten Analyse von Daten über eine hinreichende Zahl von Personen, die in unterschiedlicher Weise von einer Politikmaßnahme betroffen waren, wird auf die Wirkung dieser Maßnahme geschlossen (etwa  : Verbessern Schulungsmaßnahmen für arbeitslose Personen deren spätere Jobchancen und wenn ja, in welchem Ausmaß  ?). Die Herausforderung ist, dass die Daten der beobachteten Personen immer mit einer ganzen Reihe von Unterschieden behaftet sind, und aus diesen gilt es, den zu analysierenden Ursache-Wirkungs-Zusammenhang herauszurechnen. Methoden am Linzer Institut für Volkswirtschaftslehre

Für das Linzer Institut für Volkswirtschaftslehre war von Beginn an durch die Berufung des Gründungsprofessors Kurt Rothschild (1914–2010) ein pragmatischer und nicht dogmatischer Einsatz ökonomischer Methoden kennzeichnend. Rothschild, der bis 1985 in Linz lehrte, hatte großes Interesse an theoretischen Modellen, sofern er sie als auf dem Boden realitätsnaher Annahmen stehend ansah.20 Zugleich war ihm, nicht zuletzt aufgrund seiner Tätigkeit am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (seit 1947, als er vom Exil in Glasgow nach Österreich zurückkehrte), der Umgang mit Daten vertraut, auch wenn er selbst keine komplexeren statistischen Verfahren anwandte. Auch Kazimierz Łaski (1921–2015), Professor für Volkswirtschaftslehre an der JKU zwischen 1971 und 1991, der zusammen mit Rothschild eine prägende Figur des Instituts war, legte immer Wert auf klares und solides theoretisches Denken, das aber gleichzeitig mit den empirischen Fakten im Einklang stehen musste. Allerdings stand er den theoretischen – mikroökonomischen – Methoden weniger offen gegenüber als Rothschild. Sein Hauptinteresse galt der keynesianischen Theorie,21 und er begründete die postkeynesianische Tradition, die auch heute an der Abteilung für Ökonomische Theorie und Quantitative Wirtschaftsforschung (seit 1993 geleitet von Michael Landesmann) gepflegt wird. 50

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Besonders bedeutsam war, dass Rothschild zusammen mit Gunther Tichy (von der Universität Graz) einen Sonderforschungsbereich  – den ersten im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften – vom österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF) genehmigt bekam, im Zuge dessen junge wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angestellt werden konnten und eine Reihe von Arbeiten mit modernen mikroökonometrischen Methoden durchgeführt wurde. Die Arbeiten in diesem Schwerpunkt bildeten den Ausgangspunkt für die seither mit großem Erfolg weiterentwickelte empirische Forschung am Institut für Volkswirtschaftslehre.22 Die Anwendung mikroökonometrischer Methoden auf Fragestellungen zum Arbeitsmarkt, zum Sozial- und Gesundheitssystem sowie zum Firmenverhalten ist ein zentraler Arbeitsbereich des Instituts, wie sich auch in einem vom österreichischen Forschungsförderungsfonds unterstützten Forschungsschwerpunkt »The Austrian Center for Labor Economics and the Analysis of the Welfare State« in den Jahren 2008 bis 2014 unter der Leitung von Rudolf Winter-Ebmer (seit 2007 Professor für Arbeitsmarktökonomie) zeigt. Auch an der Abteilung für Wirtschaftspolitik (seit 1985 geleitet von Friedrich Schneider) dominieren empirische Arbeiten, mit einem speziellen Fokus auf die Schattenwirtschaft und auf politökonomische Themen. Theoretische Arbeiten nehmen  – dem allgemeinen Trend entsprechend  – einen geringeren Anteil an der Forschungstätigkeit des Instituts ein. Nach der Rothschild-Łaski-Zeit, also ab ca. 1990, bildeten sie den Schwerpunkt der Tätigkeit an zwei Abteilungen  : an der Abteilung für allgemeine Wirtschaftstheorie,23 hauptsächlich zu Themen des internationalen Handels und des Firmenverhaltens, sowie an der Abteilung für Finanzwissenschaft (seit 1995 geleitet von Johann Brunner), zur Steuertheorie und zur Sozialpolitik.24

Ökonomie und Politik Die Volkswirtschaftslehre ist von ihrem Gegenstand her traditionell mit Politik verknüpft. So lautete die Bezeichnung der ersten einschlägigen Professorenstellen bei der Gründung der JKU stets  : Professur für Volkswirtschaftslehre, Volkswirtschaftspolitik und Finanzwissenschaft.25 Man nahm und nimmt es als selbstverständlich, dass in einer volkwirtschaftlichen Vorlesung über die Angemessenheit wirtschaftspolitischer Maßnahmen gesprochen wird, z. B. über Steuern, Konjunkturpolitik, Innovationsförderung, Maßnahmen des Umweltschutzes, Sozialpolitik usw. Eine solche Politiknähe gibt es vermutlich kaum bei einer anderen Wissenschaftsdisziplin, ganz sicher nicht bei den Naturwissenschaften.

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Wirtschaftspolitik

Angesichts der eingangs angesprochenen, prinzipiellen Schwierigkeit der Wirtschaftswissenschaft, gesicherte Aussagen zu finden, erscheint es von vornherein als eine Illusion, dass die ökonomische Forschung zu allgemein gültigen und akzeptierten wirtschaftspolitische Empfehlungen führen könnte. Tatsächlich kommt es immer wieder zur vielfach kritisierten oder belächelten Situation, dass sich die von verschiedenen Ökonomen und Ökonominnen geäußerten Empfehlungen häufig deutlich unterscheiden.26 Wenn es nicht gelingt, mit nachprüfbaren Methoden einigermaßen klare Erkenntnisse zu erlangen, bleibt mehr Platz für »Meinen und Glauben«.27 Neben dem zu geringen Bestand an gesicherter Erkenntnis, bedingt durch die Eigenheiten und die Komplexität des Gegenstands, gibt es allerdings auch eine zweite Ursache, die für die Diskrepanzen in den wirtschaftspolitischen Aussagen verantwortlich ist  : das Einfließen von Werturteilen in die Formulierung wirtschaftspolitischer Ziele. Selbst wenn man genau sagen könnte, welche gesamtwirtschaftlichen Effekte z. B. eine Erhöhung des Mindestlohns für unselbständig Beschäftigte mit sich bringt (auf die Höhe und Verteilung der Einkommen, auf die Nachfrage nach Arbeitskräften, auf die Investitionsentscheidungen usw.), wird die Bewertung dieser Auswirkungen – was jemand für erwünscht hält und was für unerwünscht – je nach persönlicher Weltanschauung verschieden ausfallen. In den öffentlichen Stellungnahmen werden Erkenntnisse und deren Bewertung selten klar getrennt. In den Anfangsjahren war im volkswirtschaftlichen Studienplan tatsächlich eine klare Trennung zwischen den Fächern Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik festgeschrieben.28 Bis zur Studienreform 2001 umfasste der Kanon der zu absolvierenden volkswirtschaftlichen Fächer im zweiten Studienabschnitt 16 Stunden Volkswirtschaftstheorie, 14 Stunden Volkswirtschaftspolitik sowie zehn Stunden Finanzwissenschaft.29 Vor allem aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten (siehe dazu später), welche diese Fächer lehrten, gab es keineswegs eine Verflechtung der Fächer Theorie und Politik, sie wurden völlig unabhängig voneinander in Vorlesungen und Seminaren besprochen und geprüft. Den Studierenden erschien die Etablierung der Volkswirtschaftspolitik als eigenes Fach allerdings immer etwas seltsam, da man ja erwarten wird, dass die Analyse wirtschaftspolitischer Maßnahmen stets auf einer gründlichen Kenntnis der Wirkungszusammenhänge aufbaut und somit eine theoretische Durchdringung voraussetzt. Dies wurde auch durch die Erläuterungen im Studienplan suggeriert, wo als Beschreibung der Wirtschaftspolitik angeführt wurde  : »Anwendungen wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse auf politische Problemstellungen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Natur«.30 Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde dann diese Trennung immer mehr aufgegeben. Ab der Studienplanreform 2001 findet sich der Begriff Volkswirtschaftspolitik nicht mehr, dafür inhaltlich benannte Fächer wie z. B. »Industrieökonomie, 52

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Firmen und internationale Wirtschaft«31. Auch bei den Benennungen der Professorenstellen wurde die Bezeichnung Wirtschaftspolitik abgeschafft und durch die Beschreibung des zu betreuenden Fachgebiets ersetzt, etwa bei der Professur für Industrieökonomie im Jahr 2010. Damit wurde die schon erwähnte Idee verfolgt, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen gemeinsam mit den theoretischen und empirischen Grundlagen diskutiert werden sollen. Relevante Ökonomie

Nach meiner Beobachtung lässt sich diese Abschaffung des Namens Volkswirtschafts­ politik auch symbolhaft auffassen, nämlich als Ausdruck einer Änderung des Rollenverständnisses der Ökonomen und Ökonominnen bezüglich ihrer Wissenschaft und der damit verbundenen Lehre. Mit der Volkswirtschaftslehre war ja traditionell die Hoffnung auf die Gewinnung politisch anwendbarer Erkenntnisse verbunden, und in der Zeit der Gründung der JKU erstreckte sich diese Hoffnung generell auf die neu etablierten Sozialwissenschaften, denen eine aufklärerische Dynamik zugesprochen wurde. Eine gewisse Ernüchterung konnte in der Folge nicht ausbleiben, und sie hat in der Volkswirtschaftslehre vermutlich zu einer zunehmenden Zurückhaltung bei der Formulierung wirtschaftspolitischer Schlussfolgerungen geführt, auch zu einer Beschränkung in der Themenwahl für Arbeiten auf engere, dafür klar spezifizierte Fragestellungen. Gleichzeitig bekam die Anwendung hoch entwickelter Methoden stärkeres Gewicht, und daher nimmt die Ausbildung in mathematischen, vor allem aber in ökonometrischen Methoden heute einen viel größeren Platz ein als bei der Gründung des Instituts, mit entsprechend höheren Anforderungen an die Studierenden. Erkennbar ist die geringere Ausrichtung an wirtschaftspolitischen Fragestellungen an zwei Trends  : Zum einen an den Themen der am VWL-Institut angefertigten Dissertationen, die im ersten Jahrzehnt nach der Gründung eher zu relativ »großen« Problemen verfasst wurden, während in jüngerer Zeit eher exakt behandelbare spezifische Fragen dominieren.32 Zum anderen auch daran, dass am Institut für Volkswirtschaftslehre der Umfang an Auftragsforschung für öffentliche Einrichtungen deutlich zurückgegangen ist. Während in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung zahlreiche Studien zu nationalen oder regionalen Fragestellungen angefertigt wurden, ist dies gegenwärtig viel weniger der Fall. Neben anderen Ursachen stehen hinter dieser Änderung sicherlich eben auch die stärkere Methodenorientierung der jüngeren Forschung und der Anspruch, Arbeiten zu verfassen, die in internationalen Zeitschriften publiziert werden können, wie es für eine erfolgreiche akademische Karriere unabdingbar ist.33 Um die Bedeutung dieser Entwicklung der Volkswirtschaftslehre hin zu einer exakteren Wissenschaft, charakterisiert durch die Anwendung quantitativer Verfahren, einzuordnen, sollte man nicht vergessen, dass jedenfalls in der deutschsprachigen 53

Johann K. Brunner

Ökonomie lange Zeit spekulative Überlegungen (etwa über das »Wesen« oder die Definition einer Sache) oder exegetische Ausführungen zu sogenannten Lehrmeinungen (was hat dieser oder jener Wissenschaftler wirklich gemeint  ?) verbreitet waren, statt der Analyse eines realen wirtschaftlichen Problems.34 Hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Wende vollzogen. Heute muss eine wissenschaftliche Arbeit eine Antwort auf eine klare ökonomische Fragestellung beinhalten, die mit einem mathematisch-theoretischen oder ökonometrischen Verfahren hergeleitet wird, wobei ein origineller Zugang deutlich erkennbar sein muss. Zweifellos bedeutete diese Wende eine Annäherung an einen üblichen Wissenschaftsbegriff, wie er in den englischsprachigen Ländern schon früher gebräuchlich war und wie er in anderen Disziplinen vorherrscht. Allerdings  : »There is no free lunch«, wie ein in der volkswirtschaftlichen Diskussion geläufiger Spruch besagt. Der Preis der verstärkten Methodenorientierung ist die zunehmende Spezialisierung. Wissenschaftliches Arbeiten auf hohem, internationalem Niveau erfordert die Konzentration und Beschränkung auf bestimmte, hoch entwickelte Methoden. Gleichzeitig erfordert der Druck zu erfolgreichen Publikationen die Auswahl geeigneter und bewältigbarer – also nicht zu umfassender – Fragestellungen, für die Methoden und Daten (im Fall einer empirischen Analyse) vorhanden sein müssen. Formal schlägt sich dies z. B. darin nieder, dass Dissertationen und Habilitationen heute typischerweise nicht mehr als Bücher verfasst werden, sondern als Sammlungen von inhaltlich lose verbundenen, in englischer Sprache geschriebenen Aufsätzen, die in einer Fachzeitschrift publiziert wurden oder dafür gedacht sind.35 Mit dieser Methodenorientierung und Spezialisierung ist die Volkswirtschaftslehre in gewisser Weise zu einer »normalen Wissenschaft« geworden, die in erster Linie originelle und exakt hergeleitete Erkenntnisse sucht.36 Dass sie interessant sind, hat in vielen Fällen weiterhin mit ihrer wirtschaftspolitischen Relevanz zu tun, aber das ist nicht unbedingt das wichtigste Kriterium.37 An dieser Entwicklung wird immer wieder Kritik geübt, die häufig mit dem Vorwurf der Irrelevanz moderner Arbeiten verknüpft ist, insbesondere im Bereich der Makroökonomie, wie schon früher erwähnt.38 Tatsächlich haben die Methodenorientierung und die Spezialisierung in vielen Fällen zu seltsamen Ergebnissen geführt. Neben den Vertretern des Faches selbst sind es immer wieder die Studierenden, die ihre Unzufriedenheit über die Dominanz mathematisch-statistischer Methoden äußern, während ihr engagiertes Interesse an aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen nicht zufrieden gestellt wird, wozu auch die große Spezialisierung beiträgt.39 Diese Kritik ist immer wieder notwendig, weil sie Anlass für eine Reflexion über die Richtung der ökonomischen Forschung und Lehre gibt. Aus meiner Sicht sollte in der ökonomischen Ausbildung tatsächlich der Diskussion konkreter wirtschaftspolitischer Fragestellungen und der Darstellung realer institutioneller Gegebenheiten ein ausreichender Platz eingeräumt werden. Andererseits wird es in der 54

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Forschung (jedenfalls im hier vertretenen »Mainstream«) sicherlich keine Abkehr von den entwickelten Methoden geben  ; allerdings schon die Forderung nach ihrem Einsatz für »relevante« Fragestellungen – soweit man dies eben beurteilen kann. Viele sauber durchgeführte Forschungen haben in den letzten Jahrzehnten zweifellos unseren Wissensstock über ökonomische Zusammenhänge wesentlich bereichert, auch wenn sie sich mit sehr spezialisierten Themen befassten. Außerdem erscheinen immer wieder neue und originelle Arbeiten, welche die Sicht auf ökonomische Phänomene erweitern. Besonders wichtig wird sein, dass es neben den spezialisierten Arbeiten immer auch den Versuch einer Zusammenschau geben wird, quasi die Bestandsaufnahme all dessen, was uns die gefundenen Einzelresultate tatsächlich über eine reale ökonomische Fragestellung und die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten der Einflussnahme sagen. Parteipolitik

Zum Themenkreis Ökonomie und Politik gehört auch die Rolle der Parteipolitik, besonders in Österreich. Angesichts der oben angesprochenen Politiknähe des Faches Volkswirtschaftslehre wird man vermuten, dass sich das auch in Versuchen der politischen Parteien gespiegelt hat, einen Einfluss auszuüben, insbesondere was die Auswahl der Professoren anlangt.40 Gerade in Österreich, wo parteipolitische Einflussnahme eine besonders große Tradition hat und sogar der Bau von Wohnheimen für Studierende den Parteien (oder Kirchen) zugeordnet werden kann, war das zweifellos der Fall, auch wenn es kaum mit schriftlichen Aufzeichnungen belegt werden kann. Jedenfalls erscheint es bei der konservativen Atmosphäre, die in den 1960er Jahren an den Universitäten Österreichs herrschte (noch vor den Protestbewegungen), als außergewöhnlich, dass mit Kurt Rothschild ein Gründungsprofessor berufen – und ein paar Jahre später auch zum Rektor gewählt41 – wurde, der explizit der sozialistischen Idee nahestand.42 Für das Institut für Volkswirtschaftslehre bedeutete es einen Glücksfall, dass Rothschild andererseits überhaupt nicht dogmatisch war und durch seinen Aufenthalt in Glasgow einen neuen Stil des wissenschaftlichen Arbeitens aus dem englischsprachigen Raum nach Linz brachte. Vom zweiten Gründungsprofessor des Instituts, Hajo Riese (geb. 1933), kenne ich zwar keine explizite Aussage zur politischen Ausrichtung, aber da er als prominenter KeynesianismusVertreter bekannt wurde, hat er sicherlich auch nicht den konservativen Kreisen angehört. Dezidiert der sozialistischen Partei nahestand dann Kazimierz Łaski, der 1971 (nach Helmut Frisch, 1936–2006) auf die Stelle von Riese nachfolgte und der genau wie Rothschild größten Wert auf präzises Denken und Argumentieren legte.43 Im Jahr 1968 wurde Karlheinz Kleps (geb.  1931) berufen, der bis zu seinem Wechsel nach Lüneburg das Fach Volkswirtschaftspolitik in der Lehre vertrat, ab 1975 zusammen mit Helmut Schuster (1939–2013). Beide stellten – bei aller Unterschiedlichkeit – für die Studierenden eine Alternative zu Rothschild und Łaski dar, 55

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und zwar sowohl zu deren theoretisch und modellhaft ausgerichtetem Unterricht wie auch zu deren erklärt linken wirtschaftspolitischen Positionen. Ab 1973 wurde mit der Berufung von Ewald Nowotny (geb. 1944, derzeitiger Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, von 1978 bis 1999 Nationalratsabgeordneter der SPÖ) auf die Professur für Finanzwissenschaft jene Zusammensetzung der Professoren vervollständigt, die ungefähr ein Jahrzehnt, bis in die 1980er Jahre, den Charakter des VWL-Instituts prägte. Unabhängig von den jeweiligen wissenschaftlichen Leistungen ist es entsprechend den Überlegungen dieses Abschnitts bemerkenswert, wie genau die politischen Überzeugungen der Akteure bekannt waren. Einen Hinweis auf den Einfluss der Parteipolitik liefert eine Geschichte, die Rothschild einmal erzählte  : Er wurde in den ersten Jahren, als es um die Besetzung einer weiteren Volkswirtschaftsprofessur ging, von einem bekannten Gründungskollegen von der konservativen Partei darauf angesprochen, dass sich die Hochschule nicht noch einen weiteren »Roten« leisten könne. In dieser Hinsicht hat sich dann Grundlegendes geändert  : Parteipolitische Einflussnahmen haben meines Wissens bei späteren Berufungsverfahren nicht mehr stattgefunden (sie wären aussichtslos gewesen), außerdem ist die politische Überzeugung eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin heutzutage üblicherweise kaum bekannt und spielt auch keine Rolle. Das ist eine positive Konsequenz des oben angesprochenen geringeren Gewichts wirtschaftspolitischer Aussagen  ; die Beherrschung angemessener Forschungsmethoden und die Kreativität bei der Anwendung auf originelle Fragestellungen sind wichtiger geworden.

Schlussbetrachtungen Die vergangenen fünf Jahrzehnte kann man, wie schon eingangs betont, als sehr erfolgreich für das Institut für Volkswirtschaftslehre bezeichnen. Das gilt als erstes für die Ausbildung  ; auch wenn mir keine genauen Daten über die Situation der Linzer VWL-Absolventen und Absolventinnen vorliegen, so zeigt doch die Tatsache, dass sie in den verschiedensten Bereichen (Wirtschaftsforschungsinstitute, Ministerien, Kammern, Banken, Unternehmen, internationale Organisationen usw.) Beschäftigung fanden und in Leitungspositionen gelangten, dass die in Linz gebotene anspruchsvolle Ausbildung von Anfang an geschätzt wurde und wird. Dazu kommt ein ganz besonders hervorzuhebender Erfolg  : Viele ehemalige Studierende sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts bewiesen ihre Exzellenz in der Forschung und wurden auf Professuren an prominente Universitäten im deutschen Sprachraum berufen.44 Die geleisteten Forschungsarbeiten sind zahlreich und vielfältig, wie sich insbesondere aus den Arbeitspapieren des Instituts ersehen lässt  ;45 sie werden regelmä56

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ßig auf nationalen und internationalen Tagungen präsentiert und in renommierten Zeitschriften publiziert. Darüber hinaus ist das schon erwähnte Forschungsnetzwerk »The Austrian Center for Labor Economics and the Analysis of the Welfare State« hervorzuheben sowie das erste an einer sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingerichtete Christian-Doppler-Labor »Aging, Health and the Labor Market« unter der Leitung von Rudolf Winter-Ebmer und Gerald Pruckner (seit 2011 Professor für Gesundheitsökonomie). In der Öffentlichkeit besonders bekannt durch seine wirtschaftspolitischen Stellungnahmen ist Friedrich Schneider, der regelmäßig in den Rankings als einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschen Sprachraum aufscheint. In Zukunft mag das Umfeld schwieriger, vor allem kompetitiver werden, da als Folge der vielen Rankings die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf einige Spitzenins­ titute in Europa gelenkt wird. Für ein kleines Institut wie das Linzer VWL-Institut könnte es dann erhöhte Anstrengungen erfordern, ausgezeichnete Lehrer und Lehrerinnen sowie Studierende anzuziehen. Angesichts des guten Rufes und der engagierten Arbeit – vor allem auch der jüngeren Kollegen und Kolleginnen – bin ich dennoch überzeugt, dass sich die positive Geschichte des Instituts fortsetzen wird.

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Anmerkungen 1 Ich bedanke mich bei Wolfgang Reder für die Recherchen im Archiv der JKU. Für hilfreiche Kommentare danke ich Reiner Buchegger, Josef Falkinger, Franz Hackl, Martin Riese, Susanne Pech und Rudolf Winter-Ebmer. 2 Es gab vielerlei Versuche, den Gegenstand der Ökonomie als Wissenschaft zu bestimmen, ohne dass es zu einer allgemein akzeptierten Definition kam. Die lapidare Schlussfolgerung daraus wird Jacob Viner zugeschrieben  : »Economics is what economists do«. Siehe Roger E. Backhouse and Steven G. Medema, On the Definition of Economics, in  : Journal of Economic Perspectives, vol. 23, issue 1, 2009, pp. 221–233. 3 Vgl. dazu u. a. Max Haller, Die Ökonomie – Natur- oder Sozialwissenschaft  ? Wissenschaftstheoretische und wissenssoziologische Überlegungen zu einer alten Kontroverse, in  : Dieter Bögenhold (Hg.), Soziologie des Wirtschaftlichen. Alte und neue Fragen, Wiesbaden 2014, S. 31–65. 4 Auch nicht in einer stochastischen Betrachtung, im Sinn der Existenz konstanter Verteilungen. 5 Auch wenn in der jüngeren Zeit in der »experimentellen Ökonomie« versucht wird, menschliches Verhalten in einem Labor zu studieren, ähnlich zu der in der Psychologie schon länger verwendeten Methodik. Siehe dazu auch das folgende Kapitel. 6 Es gibt in der Ökonomie und in den Sozialwissenschaften insgesamt einige berühmte Beispiele für einen Methodenstreit, z. B. den älteren Methodenstreit zwischen der Grenznutzenschule (hauptsächlich vertreten durch Carl Menger) und der historischen Schule (mit Gustav von Schmoller als führendem Vertreter). Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts ausgetragen und betraf das Verhältnis von theoretischer und empirischer Forschung, welches auch heutzutage eine wesentliche Rolle spielt. Siehe u. a. Jürgen

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Backhaus and Reginald Hansen, Methodenstreit in der Nationalökonomie, in  : Journal for General Philosophy of Science, vol. 31, issue 2, 2000, pp. 307–336.   7 Zu einer differenzierten Betrachtung der Rolle der Mathematik in der Volkswirtschaftslehre siehe die Nobelpreisrede eines der bedeutendsten mathematischen Ökonomen  : Gerard Debreu, The Mathematization of Economic Theory, in  : The American Economic Review, vol. 81, issue 1, 1991, pp. 1–7.   8 Dies wird üblicherweise als »positive« Analyse bezeichnet, im Unterschied zu einer »normativen« Analyse, bei der ein bestes Instrument zu Verwirklichung eines wirtschaftspolitischen Zieles gesucht wird. Die Zielsetzung selbst (die »Norm«) kann natürlich nicht von der ökonomischen Analyse selbst bestimmt werden, sondern muss ihr (durch politische Entscheidungen) vorgegeben werden.   9 Das einfachste und aus volkswirtschaftlichen Einführungsvorlesungen wohl bekannte Modell ist jenes, das aus den Nachfrage- und Angebotsreaktionen für ein Gut dessen (Gleichgewichts-)Preis und die dabei gehandelte Menge beschreibt. Auch die Konsequenzen staatlicher Eingriffe werden anhand dieses Modells analysiert. 10 Zu dieser essentiellen Problematik siehe auch Martin Hellwig, Neoliberales Sektierertum oder Wissenschaft  ? Zum Verhältnis von Grundlagenforschung und Politikanwendung in der Ökonomie, in  : Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods, H. 17, Bonn 2015. 11 Ganz allgemein  : Warum sollte eine schwierige Disziplin nicht auch schwierige Methoden erfordern  ? 12 Die Arbeiten im Bereich Behavioral Economics (siehe später) liefern zwar viele Befunde für nicht-rationales Verhalten, aber bisher erscheint es nicht ersichtlich, ob sich dafür universelle (z. B. genetisch oder neurologisch fundierte) Muster finden lassen. 13 Kritische Stimmen sprechen von einer Krise der Makroökonomie, siehe z. B. Paul Krugman, The State of Macro Is Sad, unter  : http://krugman.blogs.nytimes.com/2016/08/12/the-state-of-macro-is-sad-wonkish/, aufgerufen am 28.10.2016, oder auch Paul Romer, The Trouble with Macroeconomics, unter  : https://paulromer.net/wp-content/uploads/2016/09/WP-Trouble.pdf, aufgerufen am 6.12.2016. 14 Sie stehen in der unmittelbaren Tradition des britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der mit seinem 1936 erschienenen Werk »The General Theory of Employment, Interest and Money« (Cambridge) lange Zeit die makroökomische Theorie prägte und vor allem die Bedeutung der aggregierten Nachfrage nach Gütern betonte. 15 Vgl. Fußnote 5. 16 Als Beispiel seien die langen Zeitreihen zur Verteilung der Einkommen in verschiedenen Industriestaaten angeführt, die von Piketty und Atkinson gesammelt wurden und die in jüngerer Zeit für die USA eine in historischer Perspektive sehr hohe Konzentration der Einkommen am oberen Ende offenbaren. Siehe Anthony B. Atkinson and Thomas Piketty (eds.), Top Incomes – A Global Perspective, Oxford 2010. 17 Oder auch Zeitreihen von Merkmalen einzelner Unternehmen. 18 Entnommen aus Daniel S. Hamermesh, Six Decades of Top Economics Publishing  : Who and How  ?, in  : Journal of Economic Literature, vol. 51, issue 1, 2013, pp. 162–172, hier p. 168. 19 Auch wenn sich, wie oben ausgeführt, in den letzten Jahren die experimentelle Ökonomie als Disziplin herausgebildet hat, so bleiben die meisten wirtschaftspolitisch relevanten Fragen einem Experiment nicht zugänglich. Man denke etwa an die Auswirkungen der Geldpolitik oder, im Unternehmensbereich, an die Effekte von Änderungen der Körperschaftsteuer auf Investitionsentscheidungen. 20 So tat er immer wieder seinen Unmut über die Theorie des allgemeinen Gleichgewichts kund, andererseits schrieb er selbst ein Buch über die Ungleichgewichtstheorie. Kurt W. Rothschild, Einführung in die Ungleichgewichtstheorie, Berlin 1981. 21 Um genauer zu sein, war er von Michał Kalecki geprägt, einem polnischen Ökonomen im 20. Jahrhundert, der ähnlich wie Keynes die Rolle der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage für die Bestimmung von Produktion und Einkommen in den Vordergrund stellte.

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22 Schon 1976 findet sich ein stolzer Hinweis mit Foto auf den ersten programmierbaren Kleincomputer, der von den volkswirtschaftlichen Instituten für Forschung und Lehre herangezogen wurde. Gustav Otruba (Red.), Johannes Kepler Universität Linz. Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 1966–1976, Linz 1976, S. 76. 23 Die Professur ist derzeit vakant. Nach Rothschild wurde die Abteilung in den Jahren 1987–1990 von Wilfried Fuhrmann geleitet, 1996–2004 von Wilhelm Kohler und 2007–2014 von Joseph Francois. 24 Davor wurde diese Abteilung in den Jahren 1973–1981 von Ewald Nowotny geleitet, 1983–1985 von Hans-Georg Petersen, sowie 1988–1992 von Bengt-Arne Wickström. 25 Mit Finanzwissenschaft wird die Disziplin bezeichnet, die sich mit den Finanzen des Staates beschäftigt, also mit Steuern und Staatsausgaben, und mit deren ökonomischen Auswirkungen. 26 »Ökonomie ist das einzige Feld, in dem zwei Leute den Nobelpreis dafür kriegen können, dass sie genau das Gegenteil über eine Sache behaupten«, meinte der amerikanische Ökonom Paul Krugman anlässlich der gleichzeitigen Vergabe des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften an Eugene Fama und Robert Shiller, die aufgrund ihrer Studien zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen betreffend das effiziente Funktionieren der Finanzmärkte kamen. Zitiert nach  : Zeit Online, 17.10.2013. 27 Besser wäre es, in solchen Fällen einfach offen zu legen, dass es für die Behandlung eines Problems keine adäquate wissenschaftliche Methode (oder keine ausreichenden Daten) gibt, statt mit inadäquaten Methoden oder mangelhaften Daten gefundene Ergebnisse zu verkünden. 28 In den ersten Jahrzehnten konnte man an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ein eigenes Diplomstudium der Volkswirtschaftslehre wählen, getrennt vom Studium der Betriebswirtschaftslehre, allerdings mit ähnlichen Fächern im ersten Studienabschnitt. Erst mit der Reform der Studienpläne im Jahre 2001 wurde das gemeinsame Diplomstudium der Wirtschaftswissenschaften eingerichtet, das Volkswirtschaftslehre als eine mögliche Spezialisierung im zweiten Studienabschnitt vorsah. Nach der Anpassung an die Bologna-Struktur im Jahr 2009 entstand dann das Bachelorstudium Wirtschaftswissenschaften mit ähnlichen Spezialisierungsmöglichkeiten. Auf Masterebene werden eigene VWL-Studien angeboten (Economics sowie Management and Applied Economics  ; letzteres eine Synthese aus VWL- und BWL-Fächern). 29 Mit einer Stunde ist hier eine Stunde Lehrveranstaltung pro Woche gemeint, ein Semester lang. 30 Siehe Johannes Kepler Universität Linz, Studienplan Volkswirtschaft, gültig ab SS 1997. Gewissermaßen auf einer Metaebene wurde allerdings im deutschsprachigen Raum vor allem in den 1970er Jahren das Gebiet »Theorie der Wirtschaftspolitik« vertreten und gelehrt, das sich generell mit Zweck-MittelZusammenhängen beschäftigte (im Unterschied zur mit konkreten Maßnahmen befassten praktischen Wirtschaftspolitik). Siehe z. B. Theodor Pütz, Grundlagen der theoretischen Wirtschaftspolitik, Stuttgart 19753. 31 Johannes Kepler Universität Linz, Studienplan Wirtschaftswissenschaften K 180, gültig ab 1.10.2001. Gleichzeitig erfolgte bei dieser Reform eine deutliche Konzentration auf volkswirtschaftliche Fächer. Die breite sozialwissenschaftliche Ausrichtung des älteren Studienplans (z. B. zehn Stunden Soziologie) wurde aufgegeben  ; eine ähnliche Konzentration auf das eigene Fach erfolgte auch in anderen Studienrichtungen. Schon in den 1980er Jahren wurden die Rechtsfächer stark reduziert, welche anfänglich 24 Stunden im ersten Studienabschnitt umfassten. Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, dass Volkswirtschaftslehre vor der Einrichtung der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studien in Österreich im Jahr 1966 nicht als eigenes Studium existierte. Die Volkswirte und Volkswirtinnen (sofern es welche gab  ; siehe auch Fußnote 40) hatten davor durchwegs Jus studiert (wie Rothschild) und dabei im Rahmen der Staatswissenschaften auch eine volkswirtschaftliche Ausbildung erhalten. (Allerdings gab es in Innsbruck vor 1966 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften, das mit dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938 eingeführt und  – im Unterschied zu Graz und Wien  – nach 1945 beibehalten wurde. Es

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führte zum Dipl. Volkswirt bzw. Dr. rer. oec. als Abschluss. Siehe Felix Ermacora (Hg.), Österreichisches Hochschulrecht, Wien 1956. Ich danke Engelbert Theurl für diesen Hinweis.) 32 Als Beispiel sei der Titel einer 1969 verfassten Dissertation angeführt »Die Fiskalpolitik im Spannungsfeld von Wirtschaftswachstum, Preisniveau und Einkommensverteilung«, während eine aktuelle Dissertation den typischen Titel »Essays in applied microeconometrics« trägt. 33 In seiner Antwort auf sechs von der Tageszeitung »Tagblatt« zur Hochschuleröffnung 1966 gestellte Fragen führte Rothschild aus, dass sich die »Linzer Hochschule vor allem auch mit den vor ihrer Türe liegenden regionalen Problemen einer rasch wachsenden Industrieregion und weniger entwickelter Agrargebiete beschäftigen könnte.« Sechs Fragen an die Professoren, in  : Beilage zum oö. Tagblatt, 8.10.1966. In diesem Zusammenhang sei das österreichische Institut für Arbeitsmarktpolitik erwähnt, das an der Johannes Kepler Universität Linz bis in die 1980er Jahre angesiedelt war und in dessen Schriftenreihe regelmäßig von Institutsmitarbeitern und -mitarbeiterinnen durchgeführte Studien zu regionalen und nationalen Fragestellungen erschienen. Weil sich solche Studien kaum in internationalen Zeitschriften publizieren lassen, werden sie heutzutage an Universitäten deutlich seltener durchgeführt. Gerade für ein kleines Land wie Österreich mag man dies bedauern, weil die Zahl unabhängiger Forschungsinstitute mit ökonomischer Expertise gering ist. 34 In der damals in Wien herausgegebenen »Zeitschrift für Wirtschaftswissenschaften« (nunmehr »Journal of Economics«) erschienen im Jahr 1966 Arbeiten mit Titeln wie »Operative Begriffsbildung in der Wirtschaft«, »Zur Diskussion über die Rolle der Konkurrenz in der modernen Wirtschaft«, »Problematik der Fülle« und ähnliche. 35 Siehe Fußnote 32. 36 Vergleichbar mit Studien in der Biologie oder in der Astrophysik. 37 Als Beispiel für einen aktuellen und interessanten Beitrag in einer internationalen Top-Zeitschrift, dessen wirtschaftspolitische Relevanz nicht unmittelbar erkennbar ist, sei angeführt  : Oded Galor and Ömer Özak, The Agricultural Origins of Time Preference, in  : American Economic Review, vol. 106, issue 10, 2016, pp. 3064–3103. 38 Siehe dazu die Festschrift zum 80. Geburtstag von Kurt Rothschild  : Egon Matzner u. Ewald Nowotny (Hg.), Was ist relevante Ökonomie heute  ?, Marburg 1994. Auch Josef Falkinger betont zwar die Forderung nach rigoroser Analyse, ortet aber ein Defizit der volkswirtschaftlichen Disziplin, die Bedingungen für Relevanz im wissenschaftlichen Arbeiten zu klären, und kritisiert, dass »die Ökonomie derzeit unreif und naiv in Richtung Ingenieursdisziplin« strebt. Vgl. Josef Falkinger, Was ist relevante Ökonomie heute, Festvortrag am 13. November 2015 an der Wirtschaftsuniversität Wien, unter  : http://www.econ.uzh.ch/ dam/jcr  :63abef0c-2a2d-45de-85eb-c067109881cc/Was_ist_relevante_Oekonomie.pdf, aufgerufen am 21.10.2016. 39 Siehe u. a. den Beitrag von John Cassidy, Rebellious Economics Students Have a Point, in  : The New Yorker, 13.5.2014, unter  : http://www.newyorker.com/news/john-cassidy/rebellious-economics-studentshave-a-point, aufgerufen am 7.12.2016. 40 Professorinnen gab es am Institut für Volkswirtschaftslehre (wie überhaupt in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) in den ersten Jahrzehnten nicht. Erst 2010 wurde mit Christine Zulehner die bisher einzige Frau berufen, als Professorin für Industrieökonomie. Sie nahm 2013 einen Ruf an die Universität Frankfurt am Main an. 41 Rothschild wurde vom ersten Professorenkollegium ausgewählt, das aus Erich Bodzenta, Ludwig Fröhler, Josef Kolbinger und Rudolf Strasser bestand, wobei Fröhler dem Land Oberösterreich (also der ÖVP) nahe stand, Strasser der Stadt Linz (also der SPÖ). AJKU, A 00 Rektorat, Jacket 32  : Protokoll der 11. Sitzung des Professorenkollegiums vom 17.6.1966. In seinen Erinnerungen schildert Strasser, dass die weltanschauliche Einstellung der künftigen Professoren durchaus eine Rolle spielte und er eine gewisse weltanschauliche Öffnung im zukünftigen Professorenkollegium schaffen wollte. In koalitionärer

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Eintracht würde man jedoch nicht versuchen, einander »über den Tisch zu ziehen«. Rudolf Strasser, Jurist in bewegten Zeiten, Wien 2007, S. 148. 42 In einem Interview mit der Studierendenzeitschrift »Cogito« wurde der damalige Rektor Rothschild gefragt  : »Sie erklärten […], dass Sie das sozialistische Wirtschaftssystem für das bessere halten. Wie stehen Sie zu dieser Aussage heute  ?« Rothschilds Antwort  : »Ich bin noch immer derselben Ansicht«. Vgl. Rothschild Interview 1. Teil, in  : Cogito, Jg. 6, Nov. 1971, S. 5. 43 Riese wechselte 1970 an die Freie Universität Berlin. Danach wurde Helmut Frisch berufen, der nach nur einem Jahr an die Technische Universität Wien ging. 44 So nach Zürich, München, Bayreuth, Innsbruck, Wien und Linz. 45 Eine umfassende Auflistung der Arbeitspapiere des Instituts findet sich unter  : http://www.econ.jku.at/ working_papers/, aufgerufen am 15.2.2017.

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Wie ist Neues in der soziologischen Arbeitsforschung entstanden? Drei Generationen Linzer Soziologie: Rückblicke und Einblicke Die soziologische Arbeitsforschung bildet neben anderen Arbeitsgebieten (wie beispielweise der theoretischen Soziologie, der empirischen Sozialforschung) seit der Gründung der JKU einen stabilen inhaltlichen Schwerpunkt des Instituts für Soziologie und seiner vier Abteilungen.1 Weniger stabil ist der gesellschaftliche Kontext der Arbeit und Arbeitsforschung. Die Frage »Wie entsteht Neues in der Soziologie?« lässt sich daher sehr gut anhand einer historischen und aktuellen Verortung dieses dynamischen Forschungsfeldes adressieren. Ein Streifzug durch die Geschichte der soziologischen Arbeitsforschung in Linz legt eine lebendige Vielfalt an inhaltlichen Spezialisierungen, theoretischen und epistemologischen Perspektiven sowie methodischen Zugängen zu dem Thema »Arbeit« frei. Auffallend ist, dass sich – über den Zeitverlauf – die räumliche Kontextualisierung von Arbeit gewandelt hat. Der Betrieb als Kristallisationspunkt von sozialen Konflikten und Kooperationen in der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen durch menschliche Arbeitsleistung verliert zwar nicht seine Bedeutung, wird aber zunehmend ergänzt durch Analysen von nationalen, transnationalen und globalen sozialen Strukturen und Prozessen, die bezahlte und unbezahlte Formen der Arbeit prägen. Dieser Beitrag setzt sich aus drei Teilen zusammen. Zunächst kommt mit Friedrich Fürstenberg2 einer der Gründungsprofessoren der JKU zu Wort, der sich  – neben international viel beachteten Forschungen in anderen Themenfeldern  – schwerpunktmäßig der Arbeitswelt widmete. Mit einem Themenschwerpunkt zur »Humanisierung von Arbeit und Leben« setzte sein Nachfolger Hanns Peter Euler3 die Linzer Arbeitsforschung fort und entwickelte zahlreiche, regional breit gewürdigte betriebliche Begleitforschungsprojekte. Der dritte Teil dieses Beitrags skizziert einige neuere Felder und Themen der Linzer Arbeitsforschung, in denen sie aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen empirisch Rechnung zu tragen sucht. So fordern beispielsweise der Wandel der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse, von Beanspruchungen und Belastungen in der Arbeit, der wohlfahrtsstaatlich eingebetteten Arbeits- und Sorgeverhältnisse und (alles betreffend) die Transnationalisierung von Arbeit und Politik die soziologische Arbeitsforschung neu heraus, worauf 63

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das Linzer Institut für Soziologie in zahlreichen Forschungsfeldern und in der Lehre mit neuen Akzentsetzungen reagiert.

Teil 1 Die Arbeitswelt als soziologisches Forschungsfeld – Autobiographische Rückbesinnung auf die Linzer Aufbaujahre (1966–1981) Friedrich Fürstenberg Mit meiner Berufung nach Linz wurde ein Lebensabschnitt eingeleitet, den ich rückblickend als Zeit der aktivsten und unmittelbar wirksamsten Tätigkeit kennzeichnen kann. Trotz vielfältiger Lehrtätigkeiten und administrativer Verpflichtungen waren die Linzer Jahre durch eine intensive Forschungsarbeit geprägt. Als ein Schwerpunkt kristallisierte sich hierbei die soziologische Erforschung der Arbeitswelt unter Einschluss der Arbeits-, Berufs-, Betriebs- und Industriesoziologie heraus. Der Überblick über die durchgeführten Forschungsprojekte wird von einer Darstellung meiner theoretischen Orientierung eingeleitet und ergänzt durch meine wissenschaftlichen Gutachten und außeruniversitären wissenschaftlichen Tätigkeiten. Es folgt eine Übersicht über den Ertrag für eine arbeitsbezogene Theoriebildung. Theoretische Orientierung und Forschungsschwerpunkte

Im Mittelpunkt meiner Arbeiten zur Gesellschaftsanalyse stand die Bestimmung einer Sozialstruktur als Wirkungszusammenhang sozialer Handlungsfelder. Diese Konzeption wurde allmählich, aber folgerichtig entwickelt und dann auch immer wieder angewendet. In einer ersten soziologischen Veröffentlichung aus dem Jahre 1954 wurde zunächst der Terminus »Soziales Spannungsfeld« verwendet, noch ganz unter dem Einfluss einer interaktionistischen und gleichermaßen – wenn auch kritisch – dem Strukturfunktionalismus verpflichteten Sichtweise. Eine grundlegende Arbeit von 1956 setzte sich schon eigenständiger mit dem soziologischen Strukturbegriff auseinander und begründete eine dynamisierte Betrachtungsweise, die zweifellos Parallelen zu dem später entwickelten Konzept der »Strukturierung« von Anthony Giddens zeigte. Die Habilitationsschrift von 1962 brachte dann eine Präzisierung des sozialen Feldbegriffs.4 Ihm lag das Erkenntnisinteresse zugrunde, »die Gegenwartsgesellschaft […] zunächst dynamisch auf die gestaltenden Kräfte zu analysieren, die die Gesamtstruktur bestimmen. Die Prozessabläufe werden also nicht […] a priori in ein soziales System eingeordnet, sondern als dessen oft unabhängig wirkende 64

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Grundlage betrachtet. Die feststellbaren Impulse müssen sodann in ihrer Bedeutung für die verschiedenen Sozialsektoren verfolgt werden«.5

Der jeweilige Sozialsektor wurde als »soziales Feld« charakterisiert, wodurch »an die Stelle eines Modells mechanistischer Kausalbeziehungen die Vorstellung eines Kontinuums von Wechselwirkungen gesetzt wird«.6 Allgemeiner und damit auch stärker vom Systembegriff abgesetzt wurde dann 1966 in der Arbeit zur »Sozialstruktur als Schlüsselbegriff der Gesellschaftsanalyse« das Konzept des »Handlungsfeldes« herausgearbeitet und als wesentlicher Bestandteil einer Sozialstrukturanalyse dargestellt. Ihr Ziel sollte es sein, Aussagen über die Wirkungsweise der sozialen Felder in einer Gesellschaft zu machen, wodurch sich die Grundposition wesentlich von solchen Analysen unterschied, in deren Mittelpunkt die quantitative Ermittlung von Soziallagen durch Datenmodellierung stand. Es ging also z. B. bei der Frage nach Strukturen der sozialen Ungleichheit nicht nur um den Verteilungsmodus von Soziallagen, sondern auch um die Reproduktionsmuster sozialen Handelns.7 Jede Sozialstruktur konnte einen mehr oder weniger ausgeprägten Verfestigungsgrad im Sinne der Normbindung des Verhaltens haben. In den Handlungsfeldern nahmen Personen und Gruppen ebenfalls mehr oder weniger festgelegte Positionen ein, die eine situationsspezifische Soziallage mit entsprechenden Ressourcen kennzeichnet. Entsprechend den unterschiedlichen Soziallagen bildeten sich Interessen zu deren Bewahrung oder Veränderung heraus, die das Handlungsfeld in ein soziales Spannungsfeld transformieren. Interessen konnten sich im Zusammenhang mit Bedürfnissen und sozialkulturellen Werten zu Orientierungsmustern entwickeln, die das Sozialbewusstsein der Handlungsträger/Handlungsträgerinnen nachhaltig prägen und die auch durch Sozialisationsprozesse überlieferungsfähig sind. In der gesellschaftlichen Praxis entwickeln sich durch Habitualisierung von entsprechenden Haltungen und Mentalitäten Identifizierungsmuster, die eine Typisierung der Handlungsträger/Handlungsträgerinnen ermöglichen.8 Mit einem dynamisierten Strukturbegriff war aber zum anderen auch die theoretische Voraussetzung dafür geschaffen, die komplexen sozialen Handlungsvorgänge im Betrieb durch den Begriff des »sozialen Spannungsfeldes« mit einem forschungspraktisch operationalisierbaren Konzept zu erfassen, erstmals verwendet in meinem Aufsatz »Empirische Sozialforschung im Industriebetrieb«.9 Dieses Konzept des sozialen Spannungsfeldes verweist auf meine Auseinandersetzung mit der amerikanischen Interaktionsforschung und der deutschsprachigen Bürokratietheorie sowie mein Bemühen um eine Synthese, die den Rigorismus und Schematismus der Systemtheorie zugunsten einer Berücksichtigung spontaner, innovativer, aber auch interessenbezogener Handlungen vermied. Hinzu kam mein an der Kulturanthropologie orientiertes soziologisches Selbstverständnis, dem die Ver65

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wendung kulturanthropologischer Methoden der qualitativen Sozialforschung wie etwa die teilnehmende Beobachtung oder die Situationsanalyse am ehesten entsprachen. Sie erlaubten es, durch unmittelbare Anschauung, persönliche Gespräche und Gruppendiskussionen einen direkten und von den Instrumenten der Methodologie möglichst ungebrochenen Einblick in die Lebens- und Arbeitsbedingungen der untersuchten Sozialgruppe zu erhalten. Mein Erkenntnisinteresse war durch die Konflikte des Arbeitslebens und ihre ordnende Überwindung auf partnerschaftlicher Grundlage geprägt. Dementsprechend war der arbeitende Mensch gleichermaßen Untersuchungsobjekt im Hinblick auf die objektive Sacherfordernis der Arbeitsumgebung als auch im Hinblick auf seine subjektiven Verwertungs-, Erhaltungs- und Gestaltungsinteressen. Eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Arbeitspolitik, wie sie während meiner Jahre in Linz im Sinne praktischer Unternehmensgestaltung eingefordert wurde,10 war hierbei sozusagen das praxisorientierte Komplement zu der ebenfalls vornehmlich an den Interessen der Menschen orientierten empirischen Soziologie der Industriearbeit. Forschungsprojekte

Trotz vielfältiger Lehrtätigkeiten und administrativer Verpflichtungen waren die Linzer Jahre durch eine intensive Forschungsarbeit geprägt, wobei erstmals die Möglichkeit bestand, mit Teams zu arbeiten. Ein Schwerpunkt war die Wirtschaftssoziologie. In diesem Bereich konnte 1967 unter Mitarbeit von Günther Bormann, Siegfried Bahlo, Volker Trost und dem Ehepaar Heinz und Renate Gronau eine schon 1965 in Clausthal begonnene Untersuchung zur Soziallage der Chemiearbeiter und -arbei­ terinnen abgeschlossen werden. In sieben Betrieben der chemischen Industrie wurde eine vergleichende Untersuchung der betrieblichen Situation der Chemiearbeiter und -arbeiterinnen sowie ihrer Einstellungsweisen durchgeführt. Das Team hielt sich jeweils zweimal in den Untersuchungsbetrieben zu direkten Beobachtungen und Befragungen, auch in der Form von Gruppendiskussionen, auf und wertete außerdem umfangreiche Arbeitsplatzbeschreibungen aus. Das Hauptgewicht lag neben einer objektiven Arbeitsanalyse auf den Einstellungen zu Problemen der unmittelbaren Arbeitssituation, zur betrieblichen Sozialordnung sowie zu einigen wichtigen Aspekten der Lebensführung. Es wurde festgestellt, dass der Produktionsbereich der Chemieunternehmen mit wachsendem Rationalisierungs-, insbesondere Automatisierungsgrad immer mehr von einer Personenschicht getragen wurde, die technisches Verständnis, soziale Anteilnahme und betriebsbezogenes Verantwortungsbewusstsein charakterisierte. Hierauf gründete sich ein Selbstbewusstsein, das Ansätze einer personalen Identifizierung mit der jeweiligen Betriebsrolle des Arbeiters/der Arbeiterin zeigte, bei gleichzeitiger Abschirmung des Intimbereichs von deren Anforderungen. 66

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Entscheidende Widersprüche in dieser Situation bestanden zwischen hoch entwickelten und mehr traditionellen Arbeitssystemen einerseits sowie zwischen mehr oder weniger fortentwickelten, d. h. unterschiedlich partizipativ gestalteten Sozialstrukturen andererseits. Diesen Widersprüchen entsprachen auch seitens der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unterschiedliche Grundhaltungen. Die These, dass hierdurch ein Trend zur Ersetzung eines traditionellen »proletarischen« Typs des Chemiearbeiters/der Chemiearbeiterin durch einen anderen Typ eingeleitet wird, der vom traditionellen Klassenbewusstsein »emanzipiert« ist, hat einigen Widerspruch hervorgerufen. Dennoch deckte sich dieser Befund mit internationalen Forschungsergebnissen, z. B. in Großbritannien und Frankreich. Emanzipation durfte hierbei allerdings nicht im sozialphilosophischen Sinne verstanden werden, sondern als eine individualisierende Loslösung von traditionellen Bewusstseinsstrukturen, wobei das Problem bestand, das an sich große Interesse an einer Mitwirkung bei der Gestaltung der eigenen Arbeitssituation sowohl in der Arbeitsorganisation zu berücksichtigen als auch in den gesellschaftlichen Bereich hinein zu erweitern und so den dort vorhandenen Privatisierungstendenzen entgegenzuwirken. Zwar wurde dieses Forschungsprojekt von der Industrie finanziert, jedoch mit ausdrücklicher Zustimmung und Unterstützung der betroffenen Betriebsräte durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in Buchform unter dem Titel »Die Soziallage der Chemiearbeiter« 196911 veröffentlicht. Ich hatte einige Ergebnisse daraus vorweg meinen Göttinger Kollegen Horst Kern und Michael Schumann auf deren Wunsch mitgeteilt. Dass sie dann mein Buch damals wohl als Konkurrenzprodukt ihrer eigenen, etwas später erschienenen Arbeit empfanden, hat neben einer zu erwartenden negativen Stellungnahme des »Instituts für Marxismusstudien« zu einer recht kontroversen Diskussion der Ergebnisse beigetragen. Diese sind aus heutiger Sicht eine frühe Dokumentation des Individualisierungstrends in der Arbeitnehmerschaft, verbunden mit einer Manifestation des Wunsches nach direkten Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Damals wirkten sie auf die von einer gesellschaftsverändernden Arbeiterbewegung träumenden Vertreter und Vertreterinnen der Studentenbewegung so provozierend, dass man vor dem Versuch eines bewusst inszenierten Rufmords nicht zurückschreckte. Mit großem zeitlichem Abstand sehen das natürlich einige Beteiligte ganz anders, ich selbst mit mehr Gelassenheit, die Gegenseite eher mit Bedauern. Eine weitere größere Untersuchung unter Mitarbeit von Othmar Donnenberg, Klaus Mayer, Helmut Steinbrugger und Volker Trost galt 1968 und 1969 der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes im Hause Siemens. Sie war in gewisser Weise eine folgerichtige Ergänzung der Chemiearbeiteruntersuchung. Nach der Analyse grundlegender Sozial- und Interessenlagen erfolgte nun die Untersuchung ihrer Repräsentation im Rahmen der gegenwärtigen betriebsbezogenen Rechts- und Gesellschaftsordnung. Insofern war die Studie auch ein Beitrag zur Rechtstatsachen67

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forschung. Neben einer repräsentativen Belegschaftsbefragung in 104 Siemens-Betrieben wurden im Oktober 1968 sämtliche 1.287 Betriebsratsmitglieder in einer Fragebogenaktion erfasst. Außerdem wurden alle Betriebsratsvorsitzende sowie 77 ihrer Verhandlungspartner und -partnerinnen (Führungskräfte und Personalleiter/ Personalleiterinnen) persönlich befragt. Interessant war auch die Inhaltsanalyse der Protokolle über gemeinsame Sitzungen von Betriebsrat und Betriebsleitung an drei ausgewählten Standorten für den Zeitraum von 1958 bis 1967 sowie über die Verhandlungen des Gesamtbetriebsrates mit der Firmenleitung. Die nur mimeographisch archivierten Ergebnisse, die auch für den BiedenkopfReport (Enquete zur Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes) verwendet wurden, bezogen sich auf die Wirksamkeit der Betriebsverfassung im Urteil der Betriebsratsmitglieder, auf die Zweckmäßigkeit des institutionellen Rahmens, die Zusammensetzung und Orientierung der Verhandlungspartner/-partnerinnen sowie die Stellung des Betriebsrats im betrieblichen Spannungsfeld. Die Möglichkeiten, aber auch die offensichtlichen Grenzen repräsentativer Interessenvertretungen wurden mir durch diese Untersuchung besonders klar. Als Folge habe ich versucht, die Chancen zur Erweiterung des Handlungsspielraums der Betriebsräte – etwa bei der Arbeitsgestaltung  – sowie die Voraussetzungen der unmittelbaren Mitwirkung und Mitbestimmung von Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz näher zu analysieren. In meiner Eigenschaft als Direktor der Soziologischen Abteilung des Österreichischen Instituts für Arbeitsmarktpolitik in Linz habe ich eine Vielzahl empirischer arbeits-, vor allem aber berufssoziologisch orientierter Studien mit teilweise arbeitsmarktpolitischem Beratungscharakter angeregt und fachwissenschaftlich geleitet. An dieser Stelle seien lediglich die in diesem Zusammenhang entstandenen Studien über Berufsmobilität, Teilzeitbeschäftigung oder die Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsprozess sowie insbesondere auch die frühe Untersuchung über das berufliche Selbstverständnis der öffentlich Bediensteten erwähnt. Hier wurden zum Teil bereits in den 1970er Jahren wegweisende, arbeitsweltbezogene und arbeitsmarktpolitisch orientierte Themen empirisch angegangen, welche erst Jahre später in der bundesrepublikanischen Forschungslandschaft zum Gegenstand – dann allerdings heftiger – wissenschaftlicher Kontroversen werden sollten. Weiters erteilte die Republik Österreich Forschungsaufträge an mich  : 1973 zur »Berufseingliederung der Absolventen der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz 1969–1973«, 1975 zur »Bestandsaufnahme der arbeitswissenschaftlichen Forschung in Österreich« (gemeinsam mit Peter Köck), 1976 gemeinsam mit Franz Wojda zum »Entwurf eines Forschungskonzeptes Arbeitswissenschaft«. Gutachten

Seitens der österreichischen Kommission für die Kodifikation des Arbeitsrechts wurde mir 1970 das einzige nichtjuristische Gutachten übertragen, und zwar zur 68

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Organisation der Betriebsverfassung sowie den Aufgaben, Befugnissen und Verant­ wortlichkeiten der Belegschaftsvertreter.12 Es war eine wesentliche Diskussionsgrundlage bei der Formulierung des neuen österreichischen Arbeitsverfassungsgesetzes. Aus meinen vielfältigen Aktivitäten im Zusammenhang mit einer Förderung der Humanisierung des Arbeitslebens sei das 1975 erstellte Gutachten für die Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel erwähnt  : »Konzeption einer interdisziplinär organisierten Arbeitswissenschaft«. Für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) habe ich eine Studie über die Arbeitnehmermitwirkung in der Bundesrepublik Deutschland verfasst, die im angelsächsischen Raum zu einer wichtigen Informationsquelle wurde.13 Außeruniversitäre Aktivitäten

Von 1967 bis 1969 war ich Vorsitzender der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft. 1967 gründete ich mit sechs Kollegen die Österreichische Forschungsgesellschaft für Arbeitsbeziehungen, deren Präsident ich bis 1982 war. Sie war zugleich eine Mitgliedorganisation der International Industrial Relations Research Association (IIRA) mit Sitz bei der ILO in Genf. Ich wurde Mitglied des Executive Committee und konnte 1968 in Linz die erste Regionalkonferenz für europäische Arbeitsbeziehungen veranstalten. 1979 wurde ich zum Incoming President der IIRA gewählt. Auf mehreren Forschungsreisen nach Japan mit Unterstützung des Rationalisierungskuratoriums der deutschen Wirtschaft (RKW), der Thyssen-Stiftung und der Japan Foundation war es mir möglich, auch eigene Untersuchungen im Bereich des Arbeitslebens durchzuführen, die teils in Buchform,14 teils als Aufsätze15 erschienen sind. Arbeitsbezogene Theoriebildung

Meine Versuche einer arbeitsbezogenen Theoriebildung orientierten sich an der Ermittlung von Wirkungszusammenhängen in verschiedenen Handlungsfeldern und -ebenen, die sich prozesshaft verändern. Aus meiner Sicht waren hierzu insbesondere folgende Beiträge von mir wesentlich  : • Zur soziologischen Theorie der Arbeits- und Leistungsmotivation  : die auf meinen amerikanischen Untersuchungen und einer Anwendung der Handlungstypologie Max Webers gegründete Theorie der Leistungsanreize,16 deren in Auseinandersetzung mit dem Taylorismus erfolgte kulturanthropologische Fundierung17 und schließlich die Berücksichtigung der engen Wechselwirkung von Leistungsmotivation und normativer Leistungsbestimmung. • Zur soziologischen Theorie der Arbeits- und Berufsqualifikation  : die Verbindung einer Phasentheorie der Aneignung von Berufsrollen18 sowie einer Theorie der 69

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Aufstiegsprozesse19 mit deren norm- und wertbezogenen Orientierungsmustern20 sowie die von einer Differenzierung von Funktions- und Statusqualifikation ausgehende Theorie der Diskrepanz von im Bildungs- und Beschäftigungssystem vermittelten arbeitsrelevanten Qualifikationen.21 • Zur soziologischen Theorie der Arbeitsorganisation  : die Ausarbeitung eines theoretischen Bezugsrahmens22 und die Erklärung von organisationsbedingten Arbeitskonflikten aus den Spannungen zwischen als Ergebnis von Problemlösungsprozessen festgelegten, vorwiegend wirtschaftlich-technischen Sacherfordernissen und den aus lebensweltlichen Bezügen entstandenen Interessenlagen.23 Hinzu kamen die theoretischen Arbeiten zur Arbeitsrationalisierung in Leistungsorganisationen, die den phasenhaften Verlauf des Rationalisierungsprozesses24 mit jeweils spezifischen Gestaltungsspielräumen und ihrer interessenbezogenen Nutzung verbinden.25 • Zur Theorie der Führung in Leistungsorganisationen  : die Differenzierung von Autoritätsmustern nach Handlungsebenen26 sowie die Abhängigkeit des Führungsverhaltens von der jeweiligen Phase der Organisationsentwicklung27 und seine Kulturbindung. • Zur Theorie der Arbeitsbeziehungen  : deren Machtstruktur28und die Begründung ihrer Dynamik als sozialer Innovationsprozess29 mit spezifischen Entwicklungspotenzialen, die sozialkulturell und sozialstrukturell definiert sind. Wesentlich waren auch auf empirischer Basis erarbeitete theoretische Einsichten in die Dynamik von Partizipationsprozessen.30 Alle diese Arbeiten sind durch die Absicht einer »anschaulichen« Theoriebildung gekennzeichnet, die sich an Beobachtungen und Erfahrungen orientiert und den wahrnehmbaren Kontext nicht durch abstrakte Prämissen und dogmatisierbare Folgerungen verzerrt.

Teil 2 Die Linzer Forschung zur Humanisierung des Arbeitslebens. Ein Rückblick aus der Perspektive des Humanisierungsforschers und Arbeitswissenschaftlers (1982–2008) Hanns Peter Euler Nach der Berufung in Nachfolge auf Friedrich Fürstenberg ab dem 1.  Dezember 1982 habe ich meine laufenden Forschungsarbeiten im Bereich der Arbeitsforschung von der Universität Karlsruhe kommend weitergeführt und mit zahlreichen Publikationen in den ersten Jahren an der Universität Linz zum Abschluss gebracht. Hierzu gehören im wesentlichen großindustrielle Forschungs- und Entwicklungs70

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projekte im Rahmen des umfangreichen Förderprogrammes »Humanisierung von Arbeit und Leben« (HdA) des deutschen Bundesministeriums für Forschung und Technologie, die in interdisziplinärer Kooperation mit Universitätsinstituten, Forschungseinrichtungen und Großbetrieben in den Kernbereichen der deutschen Industrie durchgeführt wurden. Im Mittelpunkt der von mir betreuten Forschungsprojekte stand der Aspekt der Arbeitsstrukturierung vorwiegend in Betrieben der elektrotechnischen Industrie, des Maschinenbaus, der chemischen Industrie, der Automobilzulieferindustrie und zum Teil auch in mittelständischen Unternehmen, wobei es im Wesentlichen um die Weiterentwicklung bis zur Neuorganisation von Arbeitsabläufen und deren Erprobung anstelle tayloristischer Produktionskonzepte ging. Im Fokus der arbeits- und organisationssoziologischen Beiträge stand der Doppelaspekt der Verbesserung der Attraktivität und Produktivität von Fertigungsabläufen und deren ökonomischen und sozialen Bedingungen, je nach Projektaufgaben in Zusammenarbeit mit Vertreter/Vertreterinnen der Betriebswirtschaft, dem Ingenieurwesen, der Ergonomie, der Pädagogik, der Psychologie, der Medizin usw. und den verantwortlichen Akteuren/ Akteurinnen von Geschäftsleitungen und Betriebsrat. Die Begleitforschungsbeiträge umfassten sowohl die hierzu notwendige Grundlagenforschung als auch deren Anwendung mit dem Ziel der Entwicklung von Handlungsanleitungen vor dem Hintergrund der jeweils interessenspolitisch und interdisziplinär, zum Teil auch konfligierend vertretenen Gestaltungsziele und daraus abgeleiteten Ansätzen unter den Rahmenbedingungen des HdA-Programmes. Die erarbeiteten Konzepte wurden in großindustriellen Feldversuchen eingeführt, erprobt und durch die beteiligten Begleitforschungsinstitute jeweils unter ihren Blickwinkeln evaluiert und die Ergebnisse abschließend in gemeinsamen Forschungsberichten aufeinander abgestimmt und publiziert. Darüber hinaus wurden aktuell die Ergebnisse vielfach auf den jährlichen Kongressen und Tagungen der interdisziplinären Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, der auch wissenschaftliche Vertreter/ Vertreterinnen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften angehören, präsentiert und zur Diskussion gestellt. Resultate mit arbeitssoziologischer Beteiligung waren u. a.: • Konkretisierung von alternativ entkoppelten Montagestrukturen bis zu neuen Formen der Gruppenarbeit einschließlich ihrer Qualifizierungs- und Einführungsbedingungen, • Ermöglichung von erweiterten und neuen Handlungs- und Interaktionsspielräumen z. B. durch die Entwicklung und die Erprobung bzw. den Einsatz von innovativen Entkoppelungstechnologien, • Weiterentwicklung des integrierten Belastungs- und Beanspruchungssystems in den Arbeitswissenschaften mit seiner konkreten Gestaltungsrelevanz, 71

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• Entwicklung einer zunehmenden Produktionsflexibilisierung hinsichtlich sich wandelnder technischer, ökonomischer und sozialer Anforderungen, • Persönlichkeitsförderlichkeit und Weiterbildungsrelevanz von neu organisierten Arbeitsabläufen einschließlich des stärkeren Einbezugs der Erfahrungen der Beschäftigten in die Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen, • Entwicklung von Konzepten und Maßnahmen für den altersadäquaten Arbeitseinsatz usw. In weiterer Folge wurden die gewonnenen Erkenntnisse an der Abteilung31 in Form von Forschungs- und Entwicklungsprojekten auf andere Branchen, insbesondere auf industrielle und mittelständische Unternehmen der österreichischen Nahrungsmittelindustrie übertragen. Anwendungen betrafen die Einführung von Teilaspekten der Gruppenarbeit in der Produktion, insbesondere die Nutzung der Erfahrungen und Auffassungen der Beschäftigten durch unmittelbare Beteiligung bei der konkreten Lösung anstehender Probleme. Durch die Aktivierung von betrieblichen Problemlösungsgruppen wurden im methodologischen Sinne des sozio-technologischen Systemansatzes neue Lösungen mit dem Ziel des Interessenausgleichs auf der Betriebsebene erarbeitet und eingeführt. In die gleiche Forschungs- und Entwicklungsrichtung zielte das von der oberösterreichischen Landesregierung (Wirtschaftslandesrat) angeregte und finanziell unterstützte Programm der Sozialpartner »Arbeitszeit nach Maß – ein Weg zu neuen Vereinbarungen«, das von 1995 bis 2007 durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt stand die Erarbeitung von praktischen Problemlösungen zur Arbeitszeitflexibilisierung in oberösterreichischen Betrieben unter Berücksichtigung sowohl der Arbeitgeber-/ Arbeitgeberinnen- als auch der Arbeitnehmer-/Arbeitnehmerinneninteressen hinsichtlich der Gestaltung der drei Dimensionen von Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit unter den geltenden aktuellen gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bedingungen. Erforderlich hierfür war die Erarbeitung eines gemeinsamen Problemverständnisses unter den oberösterreichischen Sozialpartnern (vertreten durch Wirtschaftskammer [WK], Arbeiterkammer [AK], Industriellenvereinigung [IV] und Gewerkschaftsbund [ÖGB]) und der Beschluss einer gemeinsamen Vorgehensweise unter wissenschaftlicher Anleitung, ein Vorhaben, das erstmals so in Österreich zum Zuge kam. In einem Leitfaden zur Durchführung der angestrebten Forschungs- und Entwick­ lungsprojektserie wurden die Eckpunkte des gemeinsam getragenen Problemverständnisses und Vorgehens erarbeitet und niedergelegt. Die Vorgehensweise sah das Konzept der Vertrauensberatung zur Sicherung der beteiligten Interessenlagen vor, indem jeweils von Arbeitgeber-/Arbeitgeberinnen- und Arbeitnehmer-/Arbeitnehmerinnenseite entsprechend entsandte und gemeinsam ausgebildete »Vertrauensbe­ rater«/»Vertrauensberaterinnen« für interessierte Betriebe (im Tandem) zur Verfü72

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gung standen. In den Betrieben wurden unter dem gemeinsamen Problemverständnis in einem Projektteam zusammen mit Vertretern/Vertreterinnen der Betriebs- und Belegschaftsseite neue, auf die betrieblichen Anforderungen und die konkreten Bedürfnissen der Beschäftigten »maßgeschneidert« abgestimmte Arbeitszeitregelungen für entsprechende Betriebsvereinbarungen erarbeitetet und unter fachkundiger Ausnutzung der Spielräume der entsprechenden Kollektivverträge zwischen den zuständigen betrieblichen Instanzen (Geschäftsleitung und Betriebsrat) abgeschlossen. Vorbereitend wurden in den Betrieben von der wissenschaftlichen Begleitforschung die Wünsche der Beschäftigten an die Arbeitszeit (hinsichtlich der drei Gestaltungsdimensionen) in den betroffenen Belegschaftsbereichen mittels systematischer Befragung erhoben und für die Projektarbeit zur Verfügung gestellt. Die erarbeiteten neuen Betriebsvereinbarungen wurden in den Betrieben umgesetzt und hinsichtlich ihres Erfolges evaluiert. Insgesamt wurden in der Laufzeit des Gesamtprojektes der oberösterreichischen Sozialpartner in ca. 25 vorrangig mittelständischen Industrie- und Gewerbebetrieben verschiedener Branchen neue flexibilisierte Arbeitszeitmodelle erfolgreich eingeführt. Aus dem oberösterreichischen Sozialpartnerprojekt erfolgten zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Berichte und Tagungsbeiträge.32 Ein weiteres noch junges, durch Ursula Rami bearbeitetes Gebiet betraf die Arbeitsforschung im Bereich des Umgangs mit Fehlern und des Fehlermanagements am Beispiel von Betrieben der oberösterreichischen Baubranche. Aus den empirisch fundierten Forschungsprojekten im Rahmen der Arbeitsforschung an der Abteilung gingen immer wieder Beiträge sowohl auf wissenschaftlichen Kongressen als auch zur theoretischen Weiterentwicklung in arbeitswissen­ schaftliche Kompendien und Lexika ein. Darüber hinaus entstanden aus den bearbeiteten Kontexten unter anderem auch Beiträge zur Weiterentwicklung der Arbeits- und Industriesoziologie, der Konfliktforschung und zum Teil auch der durch Edeltraud Ranftl durchgeführten Geschlechterforschung an der Abteilung. Weitere Arbeiten betrafen sowohl die Techniksoziologie als auch arbeits- und berufssoziologische Beiträge zur Ausbildung von Akademikern/Akademikerinnen, insbesondere zu den während des Studiums erworbenen fachlichen und überfachlichen Qualifikationen (wie z. B. »soft skills«) im Vergleich zu ihren später angetroffenen, beruflichen Anforderungen. Von besonderem Vorteil waren im Bereich der Arbeitsforschung die enge Zusammenarbeit mit dem regionalen Umfeld der Johannes Kepler Universität und die hierbei gewährte Nachfrage und Unterstützung sowohl durch die oberösterreichische Landesregierung als auch von Seiten der oberösterreichischen Sozialpartner, durch die es gelang, brennende sozialpolitische und wirtschaftliche Problemstellungen mit dem erforderlichen praktischen Zugang wissenschaftlich zu bearbeiten. Die Nachfrage nach innovativer wissenschaftlicher Unterstützung bei der Lösung von 73

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wirtschaftlichen und sozialen Problemstellungen im Wirkungsbereich von Arbeitsforschung war nicht nur in den Industrieregionen Oberösterreichs, sondern auch österreichweit vorhanden. In den letzten Jahren bis zu meiner Emeritierung 2009 zeigte sich zunehmend der Trend, dass die Betriebe (im Sinne lernender Organisationen) selbstständiger agierten, daneben aber auch außeruniversitäre Akteure wie z. B. die Kammern der Sozialpartner oder auch fortschrittliche Unternehmensberatungen die zeitgemäßen sozialwissenschaftlichen Ideen der Produktions- und Organisationsgestaltung durch Einbezug der Beschäftigten aufgegriffen und in ihre Programme übernommen haben. Die beginnend schon in den 1970er Jahren vor allem in Skandinavien und Deutschland von den Sozialwissenschaften wie auch später an der JKU wirtschaftsnahe bearbeiteten Themen und Problemstellungen der Arbeitsgestaltung sind zum überwiegenden Teil auch heute noch aktuell und haben mehr denn je an Aktualität, etwa hinsichtlich der globalen Anforderungen an die betriebliche Produktions- und Arbeitszeitflexibilisierung, gewonnen. Ähnliches gilt auch in Bezug auf die beruflichen Anforderungen sowie Studienschwerpunkte und -inhalte von akademischen Studiengängen vor dem Hintergrund der Globalisierung, Internationalisierung und dem sozialen und wirtschaftlichen Wandel in Industriegesellschaften (z. B. die Bedeutung von studienbezogenen Auslandsaufenthalten für den Karriereerfolg von Absolventen und Absolventinnen).33

Teil 3 Einblicke in einige empirische Felder der aktuellen Linzer Arbeitsforschung (2008 bis heute) Roland Atzmüller/Brigitte Aulenbacher/Johann Bacher/Martina Beham-Rabanser/ Kristina Binner/Karin Fischer/Joachim Gerich/Torben Krings/Susanne Pernicka/ Ursula Rami/Edeltraud Ranftl Der Wandel moderner kapitalistischer Gesellschaften erweist sich nach wie vor und in neuer Weise als zentrale Herausforderung der soziologischen Befassung mit Arbeit. Die einschlägigen Forschungsschwerpunkte des Instituts für Soziologie stehen beispielhaft für empirische Felder, in denen sozialer Wandel soziologische Neuorientierungen erfordert. Dabei zeigt sich, dass angesichts von Prozessen der Transnationalisierung und Globalisierung in theoretisch-analytischer und methodologischer Hinsicht neue räumliche Perspektiven einzunehmen sind, ohne regionale und länderspezifische Bezüge sowie die Praxisrelevanz des Fachs zu vernachlässigen. Die Transnationalisierung, Europäisierung und Globalisierung von Arbeit und Beschäftigungsordnungen sowie die grenzüberschreitende Mobilität (Migration) bilden daher zentrale Forschungsschwerpunkte. Zugleich werden nationale Restrukturie74

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rungsprozesse aus einer international vergleichenden Perspektive erforscht, denn Veränderungen von Arbeit sowie von Beschäftigungsordnungen vollziehen sich keineswegs einheitlich, sondern variieren je nach nationalen und lokalen gesellschaftlichen Ordnungsmustern. Dadurch geraten die Kontinuitäten oder Veränderungen von wohlfahrtsstaatlichen Institutionen, die Kooperationsbeziehungen und ausgetragenen Kämpfe um die Gestaltung von Arbeit und Beschäftigung auf allen Ebenen (betrieblich, lokal, national, europäisch, global) in den Blick. Solche weitreichenden gesellschaftlichen Umbrüche in allen Arbeitsbereichen fordern die Soziologie nicht nur empirisch, sondern auch methodisch, methodologisch und theoretisch heraus. Wenn das Institut für Soziologie mit diesem Beitrag anspricht, welche empirischen Felder seit 2008 bearbeitet werden, so hat dies einen guten Grund. Wir gehen davon aus, dass eine Publikation über die Geschichte der JKU, die eine starke Tradition regionaler Verankerung aufweist, (hoffentlich) auch viele Leser und Leserinnen interessiert, die nicht aus der Wissenschaft kommen, sondern aus gesellschaftspolitischem Interesse schauen, was vor Ort geforscht wird. Für sie ist es möglicherweise für einen ersten Einblick interessanter zu sehen, welche Themen wir bearbeiten, als sich damit auseinander zu setzen, wie wir dies im Einzelnen tun. Indem wir mit den Literaturhinweisen indirekt auch Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen nennen, ist es möglich, uns auf weitere Informationen zu den Feldern und zu der Art und Weise, wie wir forschen, anzusprechen.34 Versichern können wir, dass in der Frage des »Wie«  – gerade weil wir den gesellschaftlichen Wandel als Herausforderung der soziologischen Arbeitsforschung begreifen – auch theoretisch, methodologisch und methodisch viel Neues entstanden ist und noch entstehen wird, das zu präsentieren aber ein weiterer Aufsatz wäre. Sechs empirische Forschungsbereiche wollen wir nun vorstellen. Zu einer bemerkenswerten Entwicklung der letzten Jahre gehören, erstens, grundlegende Veränderungen im Bereich von Sorge und Sorgearbeit, Care und Care Work. Sorgegefährdungen und -krisen in den Ländern des globalen Nordens und neue Formen der Verwissenschaftlichung, Technisierung, Ökonomisierung und Rationalisierung von Sorgearbeit haben das Thema auf die gesellschaftliche und soziologische Agenda gesetzt. Einschlägige Forschungen des Instituts beziehen sich daher auf die aktuellen Veränderungen von Arbeit mit Blick auf Care, Familie und Wohlfahrtsstaatlichkeit. Mindestens drei Prozesse greifen hier ineinander  : die Zunahme atypischer und prekärer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse  ; die Pluralisierung der Lebensformen und Auflösung bisheriger geschlechts- und generationenbasierter Arbeits- und Sorgearrangements  ; aktivierungspolitisch und an Social Investment orientierte Governanceformen im Übergang von Wel- zu Workfare. Das Institut spürt diesen Facetten des Wandels von Arbeit und Care im Beschäftigungssystem,35 in der Familie und den Lebensformen36 sowie im Wohlfahrtsstaat nach.37 Dabei werden nationale Arbeits-, Sorge- und Wohlfahrtsstaatsregime ebenso erforscht wie trans75

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und internationale Entwicklungen in Arbeit und Politik  ; ein Schwerpunkt liegt auf der forcierten Ökonomisierung des Sozialen, die sich quer durch alle Bereiche zieht. Nicht nur bei diesen Themen, wenngleich hier möglicherweise offensichtlicher als anderenorts, zeigt sich, zweitens, für eine Arbeitsforschung, welche die soziale Organisation von Arbeit und Beschäftigung als Ergebnis sozialer Konflikte und Kooperationsbeziehungen fasst, dass sie jene Sphäre nicht ausklammern darf, in der ein großer Teil der Arbeit unbezahlt erbracht wird. Anstöße, sich kritisch mit dem traditionellen Arbeitsbegriff und seinem Fokus auf die Sphäre der Erwerbsarbeit auseinanderzusetzen und das widersprüchliche Arbeitsensemble von Frauen zu erforschen, kamen bereits aus der Frauenbewegung der 1970er Jahre. Die damals angesprochenen Themen haben erstaunlicherweise wenig an Aktualität eingebüßt. Haus- und Versorgungsarbeit wird nach wie vor einseitig Frauen angelastet, weiblich und männlich konnotierte Arbeitstätigkeiten werden ungleich bewertet und entlohnt, Arbeitszeiten sind nur schwer mit den Erfordernissen der Reproduktionsarbeit vereinbar, Teilzeitarbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse sind auch eine Folge der Hierarchisierung der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, in denen Männer und Frauen Arbeit erbringen.38 Drittens wird in den Forschungen das Thema der sozialen Ungleichheit – etwa in Bezug auf Einkommen und hinsichtlich des Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung – aufgenommen und festgestellt, dass diese weltweit innerhalb von Nationalstaaten viel geringer ausgeprägt ist als zwischen dem »globalen Süden« und dem »globalen Norden«. In der Tradition kritischer Entwicklungstheorien sprechen wir von Zentren und Peripherien. Im Weltmaßstab unterscheiden sich Zentren und Peripherien durch ihre unterschiedliche Rolle im Rahmen einer überregionalen Arbeitsteilung, ihr Verhältnis ist durch ungleiche wirtschaftliche und politische Macht, durch Hierarchie und Konkurrenz geprägt. Peripherisierung, verstanden als eine Form sozialer Ungleichheit, geschieht, wenn Peripherien auf die Rolle von Rohstoffund Nahrungsmittellieferanten39 oder auf Standorte für grenzüberschreitende, exportorientierte Fertigung reduziert werden.40 Das ist der Forschungsgegenstand der globalen Güterkettenforschung, der die Vernetzung und hierarchische Verbindung weltweiter Produktionsstandorte untersucht und sich insbesondere der ungleichen Integration ausgewählter Regionen in Entwicklungs- und Schwellenländern in die globale Geographie der Wertschöpfung widmet. Von besonderem Interesse sind die Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse an den verschiedenen »Gliedern« einer Produktionskette. Eine konkrete Alternative zur Arbeitslosigkeit in peripheren Regionen stellen selbstverwaltete, sogenannte rückeroberte Betriebe unter Arbeiterkontrolle dar, die als eine Form der solidarischen Ökonomie und der Mit- und Selbstverwaltung des Eigentums an Produktionsmitteln untersucht wurden.41 Viertens wird der zentralen Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen auf den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden 76

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von Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nimmt. Damit rückte der Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und Gesundheit sowie der Work-Life-Balance sowohl in praktischer als auch in wissenschaftlicher Hinsicht in den letzten Jahrzehnten verstärkt in den Vordergrund. Auf der Ebene der Praxis beispielsweise werden in Österreich seit 1993 strukturierte Programme der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) eingesetzt. Seit der Novellierung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes im Jahr 2013 ist eine verpflichtende Evaluierung psychischer Arbeitsbelastungen vorgesehen. Diese Entwicklungen stellen unter anderem den Rahmen zahlreicher aktueller wissenschaftlicher Arbeiten am Institut für Soziologie dar. So wurde anhand einer Metaanalyse von 45 Projekten der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF)42 bestätigt, dass diese Maßnahmen relevante, positive Effekte im Bereich sozialer Beziehungen im Betrieb, Gestaltungsmöglichkeiten, Arbeitsbelastungen und Gesundheitsbeschwerden zeigen. Es konnte jedoch auch festgestellt werden, dass die Gesundheitsrelevanz von Arbeitsbedingungen zwischen Betrieben hohe Heterogenität aufweist, weshalb zur Abschätzung der Gesundheitsauswirkungen von Arbeitsbedingungen und zur Entwicklung entsprechend wirksamer Interventionen zusätzliche Randbedingungen zu berücksichtigen sind. Eine weitere Studie43 kommt unter Berücksichtigung neuerer stresstheoretischer Ansätze ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die gesundheitliche Auswirkung von arbeitsbezogenen Stressoren nicht ohne weiteres generalisiert werden kann. Ob beispielsweise eine hohe Verantwortung oder Arbeit unter Zeitdruck zu einer gefährdenden subjektiven Überforderung oder zu einer gesundheitsförderlichen Herausforderung führt, wird neben personalen Merkmalen der Beschäftigten durch Organisationsmerkmale wie das Ausmaß der Berücksichtigung von Work-Life-Balance, das Gratifikationsausmaß, die Arbeitsplatzsicherheit oder den Bürokratisierungsgrad beeinflusst. Fünftens bildet das Thema Arbeit und Wirtschaft einen zentralen Schwerpunkt des Instituts für Soziologie. Dabei werden sowohl nationale und europäische Regulationsstrukturen von Wirtschaft und Arbeit, Veränderungen der Beschäftigungsund Ausbildungsstrukturen als auch arbeitsbezogene Migrationsprozesse in den Blick genommen.44 So ist zu konstatieren, dass der wachsenden grenzüberschreitenden Reichweite von Regulierungsstrukturen im Feld der europäischen Wirtschaftspolitik und weitgehenden Prozessen der negativen Integration, d. h. dem Abbau von Handelshemmnissen, keine vergleichbare Integrationstiefe der sozial- und arbeitspolitischen Dimension in Europa gegenübersteht. Die soziale Regulation von Arbeit und Beschäftigung in Europa ist weitgehend in den nationalen Arenen der Arbeitsbeziehungen und der Politik verblieben. Aktuelle Forschungen am Institut nehmen Strategien und Handlungsorientierungen von kollektiven Akteuren der Arbeitsbeziehungen, d. h. der Gewerkschaften, Euro-Betriebsräte, Unternehmen, Arbeitgeberverbände, und von staatlichen, nationalen und supranationalen Akteuren in den Blick und fragen nach deren möglichem Beitrag, die bestehende Inkongruenz von 77

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Ökonomie und Sozialintegration innerhalb der Europäischen Union (EU) zu reduzieren (oder zu verstärken).45 Wenngleich sich hier besonders deutlich zeigt, in welcher Weise die Transnationalisierung von Arbeit und Politik die Arbeitsforschung neu fordert, so bedeutet dies aber keine Abkehr von regionalen Themen und anwendungsorientierter betriebsbezogener Forschung. So verweisen etwa Studien über Produktionsabläufe in hochtechnisierten Betrieben darauf, wie zentral die Frage des Umgangs mit menschlichen Fehlern für betriebliche Prozesse und kontinuierliche Verbesserungen der Arbeitsabläufe sind. Fehler in menschlichen Verhaltensabläufen sind in der Arbeitsforschung ein bisher noch wenig bearbeitetes Gebiet. Am Beispiel der Baubranche und auftretender Baumängel wird seit einigen Jahren dem Phänomen des Umgangs mit Fehlern nachgegangen.46 Die Analyse der wichtigsten betrieblichen Einflussgrößen zeigt, dass es im Wesentlichen auf die innerbetriebliche Kommunikation zwischen allen Ebenen und auf vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen, Wertschätzung und soziale Rückendeckung ankommt. Einen weiteren Fokus bilden, sechstens, Studien zu den sogenannten Neet-Jugendlichen (Not in Education, Employment or Training47), die sowohl wissenschaftliche als auch breite öffentliche Beachtung finden. Auf der Basis von Grundlagenforschung zu statistischen Klassifikationsverfahren48 konnte eine empirische Typologie von Neet-Jugendlichen entwickelt werden,49 die sich für die Definition von Zielgruppen für sozialpolitische Interventionen eignet. Eine rezente Studie beschäftigt sich mit psychischen Beeinträchtigungen von Neet-Jugendlichen,50 an der ein interdisziplinäres Team aus der Soziologie, Ökonomie und Psychologie mitgewirkt hat. Ziel ist somit eine angewandte Sozialforschung auf hohem wissenschaftlichem Niveau, die einen Beitrag zur Lösung sozialer Probleme leistet. Ferner finden sich in diesem Bereich Forschungen, die sich am Schnittpunkt von Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik damit befassen, in welcher Weise das Problem der arbeitsbezogenen Integration von Jugendlichen im Rahmen von »Social Investment« bearbeitet wird und wie hier neue Formen der Pädagogisierung greifen, die soziale als individuelle Probleme erscheinen lassen.51 Dieser Schnelldurchgang durch die verschiedenen Forschungsfelder zeigt, dass mit den gesellschaftlichen Veränderungen auch die Linzer Soziologie weiterhin in Bewegung und auf vielen Wegen so unterwegs ist, dass dem Neuen in der Gesellschaft durch neue Perspektiven in der Arbeitsforschung Rechnung getragen wird.

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Anmerkungen  1 Die folgenden vier Abteilungen bilden heute das Institut für Soziologie  : Abteilung für Empirische Sozial­forschung, Abteilung für Politik und Entwicklungsforschung, Abteilung für Theoretische Soziologie und Sozialanalysen und Abteilung für Wirtschafts- und Organisationssoziologie (bis 2011 Wirtschaftssoziologie, Stadt- und Regionalforschung). Neben den genannten Arbeitsbereichen werden derzeit folgende »Spezielle Soziologien« durch das Institut in Forschung und Lehre vertreten  : die Bildungs- und Professionssoziologie, die Entwicklungssoziologie, die Familiensoziologie, die Gesundheitssoziologie, die Migrationssoziologie, die Politische Soziologie sowie die Soziologie des Abweichenden Verhaltens. Forschungsfelder, die wegen Schwerpunktverlagerungen und personeller Änderungen nicht weiterfolgt werden konnten, sind die Kultur-, Kommunikations-, Religionssoziologie sowie die Stadt- und Regionalforschung.   2 Institutsdirektor, 1966–1981.   3 Leiter der Abteilung für Wirtschaftssoziologie, Stadt- und Regionalforschung, 1982–2008.   4 Vgl. hierzu auch die Darstellung von Harald Mey, Studien zur Anwendung des Feldbegriffs in den Sozialwissenschaften, München 1965, S. 191–195.   5 Friedrich Fürstenberg, Das Aufstiegsproblem in der modernen Gesellschaft, Stuttgart 1962, S. 12.   6 Ebd., S. 53.   7 Vgl. hierzu  : Friedrich Fürstenberg, Soziale Handlungsfelder, Opladen 1995.   8 Vgl. die Anwendung dieses Bezugsrahmens in  : Friedrich Fürstenberg, Berufsgesellschaft in der Krise, Berlin 2000.   9 Friedrich Fürstenberg, Empirische Sozialforschung im Industriebetrieb, Versuch einer Grundlegung, in  : Kölner Zeitschrift für Soziologie, Jg. 6, H. 3/4, 1953/54, S. 241–260. 10 Friedrich Fürstenberg, Soziale Unternehmenspolitik, Berlin 1977. 11 Friedrich Fürstenberg, Die Soziallage der Chemiearbeiter, Neuwied 1969. 12 Friedrich Fürstenberg, Organisation der Betriebsverfassung. Aufgaben und Befugnisse sowie Verantwortlichkeit der Belegschaftsstruktur, in  : Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Jg. 6, H. 3, 1971, S. 83–96. 13 Friedrich Fürstenberg, Workers’ Participation in Management in the Federal Republic of Germany (International Institute for Labour Studies, Research Series No. 32), Genf 1978. 14 Friedrich Fürstenberg, Japanische Unternehmensführung. Management-Strukturen in der japanischen Industrie, Zürich 1972 (englische Ausgabe 1974). Eine erweiterte Neuauflage ist unter dem Titel »Erfolgskonzepte japanischer Unternehmensführung« 1981 in Zürich erschienen. 15 Friedrich Fürstenberg, Wirtschaftskooperation in Japan aus sozialorganisatorischer Sicht. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in  : Die Betriebswirtschaft, Jg. 38, H. 2, 1978, S. 245–263.

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16 Friedrich Fürstenberg, Die soziale Funktion der Leistungsanreize (incentives) im Industriebetrieb, in  : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 7, H. 4, 1955, S. 558–573. 17 Friedrich Fürstenberg, Der Lohnanreiz im Urteil der Gesellschaftswissenschaften, in  : afa-Informationen, Jg. 26, H. 1, 1976, S. 3–18. 18 Friedrich Fürstenberg, Normenkonflikte beim Eintritt in das Berufsleben, in  : Theodor Scharmann (Hg.), Schule und Beruf als Sozialisationsfaktoren, Stuttgart 1966, S. 190–204. 19 Friedrich Fürstenberg, Das Aufstiegsproblem in der modernen Gesellschaft, Stuttgart 19692, S. 52 ff. 20 Friedrich Fürstenberg, Soziale Werte im Berufsleben, in  : Die Deutsche Berufs- und Fachschule, Jg. 66, H. 2, 1970, S. 119–125. 21 Friedrich Fürstenberg, Struktureller Qualifikationsüberhang und seine Folgen, in  : Gerhard Brinkmann (Hg.), Ausbildungsgrad und Beschäftigung, Berlin 1978, S. 83–95. 22 Friedrich Fürstenberg, Die betriebliche Sozialstruktur, in  : Arthur Mayer u. Bernhard Herwig (Hg.), Handbuch der Psychologie, Bd. 9  : Betriebspsychologie, Göttingen 1970, S. 430–440. 23 Friedrich Fürstenberg, Soziale Unternehmenspolitik, Berlin 1977, S. 33 ff. 24 Friedrich Fürstenberg, Arbeitsstudium und gesellschaftliche Entwicklung, in   : afa-Informationen, Jg. 19, H. 12, 1969, S. 175–183. 25 Friedrich Fürstenberg, Ein arbeitssoziologisches Modell zur Prognose von Rationalisierungstrends, in  : Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, Jg. 33, H. 3, 1979, S. 132–136. 26 Friedrich Fürstenberg, Grundfragen der Betriebssoziologie, Köln 1964, S. 90 ff. 27 Friedrich Fürstenberg, Leitung und Verantwortung, Initiative und Kontrolle im modernen Unternehmen, in  : Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Philipps-Universität Marburg (Hg.), Marburger Gespräch über Eigentum-Gesellschaftsrecht-Mitbestimmung, Marburg 1967, S. 21–37. 28 Friedrich Fürstenberg, Die Machtstruktur der industriellen Arbeitsbeziehungen, in  : Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jg. 126, H. 2, 1970, S. 309–323. 29 Friedrich Fürstenberg, Social Innovations in Industrial Relations, in  : International Institute for Labour Studies Bulletin, vol. 9, 1972, pp. 17–29. 30 Friedrich Fürstenberg, Mitbestimmung am Arbeitsplatz, in  : Gewerkschaftliche Monatshefte, Jg.  24, H. 10, 1973, S. 604–613. 31 Gemeint ist die Abteilung für Wirtschaftssoziologie und Stadt- u. Regionalforschung. 32 Hanns Peter Euler, Neue Formen innovativer Arbeitszeitgestaltung – das Modell der OÖ Sozialpartner »Arbeitszeit nach Maß«, in  : Maria Funder u. a. (Hg.), Entwicklungstrends der Unternehmensreorganisation, Linz 2000, S. 217–245  ; Hanns Peter Euler, Arbeitswissenschaft im Zeichen gesellschaftlicher Vielfalt – Erfahrungen aus Betriebsprojekten, in  : Andreas Seeber (Red.), Arbeitswissenschaft im Zeichen gesellschaftlicher Vielfalt, Bericht zum 48. Kongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, Dortmund 2002, S. 11–22. 33 Hanns Peter Euler u. a., Lohnt sich ein Auslandsaufenthalt während des Studiums? Ergebnisse der Evaluierung eines Förderprogrammes, in  : DBW die Betriebswirtschaft, Jg. 73, H. 5, 2013, S. 425–447. 34 In den folgenden Ausführungen werden primär deutschsprachige Literatur und Forschungsberichte zitiert, da sie leichter verfügbar sind und die Basis für darauf aufbauende Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften bilden. 35 Brigitte Aulenbacher u. Maria Dammayr, Für sich und andere sorgen, Krise und Zukunft von Care in der modernen Gesellschaft, Weinheim 2014  ; Kristina Binner u. a. (Hg.), Die unternehmerische Hochschule aus der Perspektive der Geschlechterforschung  : Zwischen Aufbruch und Beharrung (= Forum Frauen- und Geschlechterforschung der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Bd. 39), Münster 2013. 36 Martina Beham-Rabanser u. Ulrike Zartler, Der Capability Approach in der Alleinerziehendenforschung, in  : Helmut Staubmann (Hg.), Internationale Verflechtungen, Innsbruck 2016, S. 411–436.

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Neues in der soziologischen Arbeitsforschung

37 Roland Atzmüller, Aktivierung der Arbeit im Workfare-Staat. Arbeitsmarkt und Ausbildung nach dem Fordismus, Münster 2014. 38 Edeltraud Ranftl, Arbeitsbewertung als Schlüssel zur Lohngleichheit. Über Gendergleichheit und Gleichheitsfassaden in der Bewertung von Arbeit, in  : WISO, Jg. 38, H. 3, 2015, S. 29–44. 39 Karin Fischer u. a. (Hg.), Rohstoffe und Entwicklung. Aktuelle Auseinandersetzungen im historischen Kontext, Wien 2016. 40 Karin Fischer u. a. (Hg.), Globale Güterketten. Weltweite Arbeitsteilung und ungleiche Entwicklung, Wien 2016. 41 Dario Azzellini, Contemporary Crisis and Workers’ Control, in  : id. (ed.), An Alternative Labour History. Worker Control and Workplace Democracy, London 2015, pp. 67–99. 42 Joachim Gerich u. Jakob Peterbauer, salsa Metaanalyse. Endbericht, Linz 2012. 43 Joachim Gerich, The Relevance of Challenge and Hindrance Appraisals of Working Conditions for Employees’ Health, in  : International Journal of Stress Management, doi  : 10.1037/str0000038, aufgerufen am 7.3.2017. 44 Torben Krings, East-West Mobility and the (Re-)Regulation of Employment in Transnational Labour Markets, in  : Jon Erik Dølvik and Line Eldring (ed.), Labour Mobility in the Enlarged Single European Market (= Comparative Social Research, vol. 32), Bingley 2016, pp. 183–213. 45 Susanne Pernicka (Hg.), Horizontale Europäisierung im Feld der Arbeitsbeziehungen, Wiesbaden 2015. 46 Ursula Rami u. a., Vom Fehler zum Fortschritt  – Handlungsperspektiven für die betriebliche Praxis, Linz 2014. 47 Johann Bacher u. a., Unterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe »neet«, Wien 2014. 48 Johann Bacher u. a., Clusteranalyse, München 20103. 49 Dennis Tamesberger and Johann Bacher, NEET youth in Austria  : a typology including socio-demography, labour market behaviour and permanence, in  : Journal of Youth Studies, vol. 17, issue 9, 2014, pp. 1239–1259. 50 Johann Bacher u. a. (Hg.), Psychische und physische Gesundheitsbeeinträchtigungen im Jugendalter, Wien 2016. 51 Roland Atzmüller u. Alban Knecht, Neoliberale Transformation der österreichischen Beschäftigungspolitik für Jugendliche, in  : SWS-Rundschau, Jg. 56, H. 1, 2016, S. 112–132.

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Gerhard A. Wührer

Marketingwissen im Praxis-Transfer – Beiträge des Instituts für Handel, Absatz und Marketing in den letzten 50 Jahren durch Diplom- und Masterarbeiten

Einleitung und Anmerkungen zur Gründungsgeschichte Als das Institut 1966 – noch unter dem Namen »Institut für Internationales Marketing« – aufgrund eines Beschlusses des Professorenkollegiums der damaligen Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eingerichtet und diese Gründung durch das Unterrichtsministerium1 genehmigt wurde, war die Marketingwissenschaft als Sozialtechnik noch ein junges Kind der Betriebswirtschaftslehre. Allerdings war das Linzer Institut damit das erste im deutschsprachigen Raum, das den Namen »Marketing« führte. 1967 folgte in der Schweiz das von Heinz WeinholdStünzi gegründete »Forschungsinstitut für Absatz und Handel« an der damaligen Hochschule St. Gallen  ; diese Bezeichnung wurde später in »Institut für Marketing und Handel« umgeändert. In Österreich wurde 19682 an der Universität Graz von Johannes Bidlingmaier das »Institut für Handels- und Marketingforschung« eingerichtet. Erst 1969 gründete Heribert Meffert das »Institut für Marketing« an der Westfälischen Wilhelmsuniversität Münster,3 das dann im Laufe der Zeit mit drei Lehrstühlen4 zum bedeutenden »Marketingzentrum Münster« ausgebaut wurde. Im Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1966/67 der ehemaligen Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz taucht bereits die Bezeichnung »Marketing« in Kombination mit »Absatzwirtschaft« auf und ab dem darauffolgenden Wintersemester wurde ausschließlich von »Marketing« im Verzeichnis gesprochen. Es wurde damit auf etwas Neues hingewiesen und der »alte« Begriff »Absatzwirtschaft« sowohl inhaltlich als auch umfänglich abgelöst. Doch das für die Universitäten zuständige Bundesministerium in Wien wollte sich von der Bezeichnung »Absatz« noch nicht so schnell verabschieden. Im Zuge der Regierungsumbildung nach 1970 wurde daher »obrigkeitlich«5 verfügt, dass die Bezeichnung von nun an »Institut für Handel, Absatz und Marketing« zu lauten habe.6 Im Übrigen wurde dies damals für alle einschlägigen Institute in Österreich verfügt. Unbeschadet der Benennung des Instituts stand eine moderne und zukunftsorientierte Auffassung bei der Institutsgründung Pate, die besonders die Praxisorientierung des Lehr- und Forschungsprogramms betonte und dies konsequent 85

Gerhard A. Wührer

sowohl im Inhalt, der Form als auch der Didaktik7 berücksichtigte. Dies zeigt sich auch durch eine Inspektion der Doktor- und Diplomarbeiten,8 der Aufsatzsammlung,9 die sich den Marketingproblemen 1986 widmete, der Darstellung der Entwicklung der Lehrveranstaltungen,10 der Einrichtung der Universitätslehrgänge zur Ausbildung von Exportkaufleuten11 und den Forschungsschwerpunkten und Projekten12 in den Jahren 1966 bis 1986. Auch eine Durchsicht der Protokolle der Institutskonferenzen, die vollständig erhalten sind und dem Institutsgründer anlässlich seines 90. Geburtstages als Jubiläumsgabe überreicht wurden,13 lässt dies nachvollziehen. Das Weiterbildungsangebot »Export und Internationale Geschäftstätigkeit« beziehungsweise »Export und Internationales Management« für Praktiker und Praktikerinnen in den Exportabteilungen von Unternehmen konnte im Laufe der Jahre noch umfassender ausgebaut werden. Im Vollbetrieb konnten ab 2000 nach einem dreistufigen Weiterbildungskonzept durch ein Grund-, Aufbau- und Masterstudium neben dem Abschluss als »Akademische/r Exportkaufmann/-frau« auch der Master of Business Administration (MBA) in »Global Marketing Management« erworben werden. Durch eine unglückliche und weitreichende Senatsentscheidung, wahrscheinlich gesteuert durch Interessenskonflikte mit der Linzer Management Akademie (LIMAK), konnte dieses Programm, das an die 1200 Exportkaufleute seit 1981 erfolgreich durchliefen, 2012 zum letzten Male durchgeführt werden. Über 30 Jahre und lange nach Auslaufen der finanziellen Ausfallshaftung 1999 durch die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) wurde hier ein wesentlicher Beitrag zur Weiterbildung von Managern und Managerinnen für das internationale Geschäft14 vom Institut für die österreichische Wirtschaft geleistet.

Entwicklungspfade in der Marketingdisziplin Allgemein und am Institut Doch zurück zur Marketingdisziplin  : Im Fach ist der Übergang graduell, die Akzente, die nach und nach sowohl in Lehre als auch in Forschung gesetzt wurden, sahen Marketing als Katalysator der Managementtheorie.15 Die lang geltende Auffassung von Erich Gutenberg zur Absatztätigkeit von Unternehmen, der mit seinem dreiteiligen Werk »Die Produktion«,16 »Der Absatz«17 und »Die Finanzen«18 das gesamte Spektrum der Betriebswirtschaftslehre in den 1950er und 1960er Jahren abdeckte, begann sich durch ein neues Problemverständnis unter dem Begriff »Marketing« im Objektbereich neu zu orientieren.19 Mitte der 1950er Jahre entstanden die ersten Käufermärkte, die Waren- und Güterengpässe der Nachkriegszeit waren durch den Wiederaufbau und die Umstellung der Produktion auf Friedensverhältnisse überwunden, was zu neuen Marktlagen und Wettbewerbssituationen führte. 86

Marketingwissen im Praxis-Transfer

Dadurch rückte die marktorientierte Unternehmensführung in den Mittelpunkt der Forschungs- und Anwendungsinteressen, wobei Wissenschaft und Praxis als zwei verschiedene Elemente der Marketingdisziplin betrachtet wurden. Sie waren eng miteinander verbunden, und in einem gegenseitigen und dynamischen Anregungsprozess wurden aktuelle Problemstellungen aus der Praxis aufgegriffen, die in neue Forschungsprojekte, Studien und Analysen einflossen. Die dabei gewonnen Erkenntnisse konnten wiederum in die Praxis transferiert und dort nutzbar gemacht werden.20 Davon unabhängig konnten durch wissenschaftliche Reflexion und Bemühungen innovative Lösungsvorschläge für die von der Forschung erkannten Probleme erarbeitet werden, die dann von der Praxis aufgrund eines aktuellen Bedarfs oder Notstands aufgegriffen wurden. Nun sind die Forschung und die Anwendung des Wissens in der Praxis die eine Seite der Marketingdisziplin, die ebenso wichtige Lehre ist die andere. Eine Bestandsaufnahme zur Entwicklung der Marketingwissenschaft21 zeigt, dass sich die meisten Forschungen auf die historische Entwicklung des Marketings konzentrieren, solche zum gegenwärtigen Stand der Marketingdisziplin und andere wiederum setzen sich mit den Zukunftsperspektiven auseinander. Impulse für die deutschsprachige Marketingdisziplin

Folgt man den Ausführungen von Philipp Sepehr,22 so sind es vor allem zwei Ereignisse, die für die Entwicklung der deutschsprachigen Marketingdisziplin von Bedeutung waren. Zum einen waren es die Gründungen von Marketinginstituten an den Universitäten in Österreich, der Schweiz und in Deutschland. Damit erfuhr die wissenschaftliche Disziplin eine organisatorisch-institutionelle Verankerung in der Universitätslandschaft. Das andere wichtige konstitutive Element der neuen Marketingdisziplin waren die Lehrbücher, die in weiterer Folge von den verschiedenen Lehrstuhlinhabern (Lehrstuhlinhaberinnen gab es damals in dieser Disziplin noch nicht) verfasst wurden. Ein Standardwerk23 war  : »Marketing. Ein entscheidungsorientierter Ansatz« von Nieschlag, Dichtl und Hörschgen, das 1971 erschien. Die Lehrbücher von Bidlingmaier24 »Marketing I« und »Marketing II«, zwei handliche Taschenbücher, die bei Rowohlt 1973 aufgelegt wurden, dürften vielen Studierenden aus dieser Zeit noch in Erinnerung sein. 1977 konnte zum ersten Mal die »blaue Marketingbibel«25 von Meffert erworben werden, die noch einen erklärenden Titelzusatz trug  : »Marketing – Einführung in die Absatzpolitik«. 1981 erschien eines der ersten deutschsprachigen Lehrbücher zum internationalen Marketing26 von Kulhavy, das 1992 auch in das Tschechische27 übersetzt wurde. 1982 erscheint das Lehrbuch28 von Meffert/Althans, 1988 das von Meissner mit dem Titel »Strategisches internationales Marketing«29. Diesem Buch ging ein Artikel von Meissner/Winkelgrund30 aus dem Jahr 1982 voraus, der auf die Herausforderung der internationalen Geschäftstätigkeit von Unternehmen hinwies. 87

Gerhard A. Wührer

Aber die junge Marketingdisziplin musste noch um ihre Anerkennung kämpfen. In der Diskussion durch die Fachvertreter der Betriebswirtschaftslehre in den 1960er und frühen 1970er Jahren wurde neben anderen Punkten auch die Frage aufgeworfen, ob das Marketing nicht nur die englischsprachige Bezeichnungsvariante für ohnehin bestehende Erkenntnisse in der deutschsprachigen Absatzlehre sei. Im Laufe dieser Auseinandersetzungen bildete sich aber dann die Auffassung31 heraus, dass von einer Gleichsetzung aufgrund zentraler Unterschiede beider Fächer nicht ausgegangen werden kann. Ein wesentlicher Unterschied ist die Entscheidungsorientierung des Marketingansatzes und damit der Beitrag, den dieser für die Lösung von Problemen der Unternehmenspraxis liefern kann. Es geht um Handlungsempfehlungen für die Verantwortlichen von Marketingentscheidungen, wobei diese Entscheidungen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen getroffen werden sollen. Es ist gängige Auffassung,32 dass Entwicklungslinien des Marketingbegriffs und der Marketingwissenschaft einer Abfolge von verschiedenen Schwerpunkten folgen. Vom Inhalt aus betrachtet, richtete sich der Fokus zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Verkauf, dieser wurde dann in den 1920er bis 1950er Jahren ergänzt durch Aspekte der Werbung. Ab 1950 stand der Marketing-Mix mit Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik bis etwa 1980 im Vordergrund des Erkenntnisgewinns und des Gestaltungsaspekts. Diese Schwerpunktsetzung wurde in den 1980er und 1990er Jahren durch Fragen ergänzt, die sich mit dem Einsatz der Marketinginstrumente beschäftigten. Eine inhaltliche Erweiterung dieser Themen erfolgte ab den 1990er Jahren durch die Betonung der marktorientierten Unternehmensführung und des Beziehungsmarketings. Es darf aber darauf hingewiesen werden, dass diesen gängigen und häufig wenig komplexen Periodisierungskonzepten33 zu misstrauen ist, da die Entwicklung des theoretischen Marketingwissens und die unternehmerische, praxisbezogene Entwicklung von Marketingtechniken schon wesentlich früher einsetzten. Eine sorgfältigere Betrachtung unter wissenschaftsgeschichtlichen Perspektiven lässt eine größere Detailliertheit der Entwicklungslinien erkennen. Die Rolle amerikanischer Schulen im Marketing-Denken

Es wäre vermessen, hier eine vollständige Entwicklungsgeschichte des deutschund englischsprachigen Marketingverständnisses darzustellen. Es erscheint aber notwen­dig, darüber zu berichten,34 dass während des 19.  Jahrhunderts die deutschen Universitäten das »Mekka« der amerikanischen Studierenden waren, wo sich diese mit den neuesten Entwicklungen im Wirtschaftsdenken, in der Praxis und der Theorie vertraut machten. Die (deutsche) Historische Schule der Nationalökonomie begann die Sozialwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften zu dominieren. Für ihre Vertreter und Vertreterinnen war sie die Antwort auf die Klassische Ökonomie 88

Marketingwissen im Praxis-Transfer

und ihr Unvermögen, Lösungsansätze für real existierende Probleme wie Armut, industrielle Entwicklung oder die Ausgestaltung des Bankensystems in der schnell wachsenden Wirtschaft des Deutschen Kaiserreichs bereit zu stellen. Die Befassung mit realökonomischen Problemen führte zu einem einzigartigen und konsistenten theoretischen Verständnis ebenso wie zu neuen Methoden in der Lehre und Forschung. Der stetige Strom amerikanischer Seminarteilnehmer und -teilnehmerinnen führte dazu, dass nach ihrer Rückkehr, dieser Zugang auch in den USA Fuß fasste und entsprechende Programme an verschiedenen Universitäten wie der Columbia University, der University of Pennsylvania, in Harvard oder an der Johns Hopkins University etabliert wurden. Von dort wurden die Gedanken weitergetragen und befruchteten das Verständnis für die Wirtschaftsprobleme in den Vereinigten Staaten. Ein Name, der hier herausragt, ist jener von Richard T. Ely, der aus dem Deutschen Kaiserreich zurückgekehrt, zunächst an der Johns Hopkins University lehrte und dessen Reputation als Amerikas führender Wirtschaftswissenschaftler dazu führte, dass sich die orthodoxe Doktrin, Ideologie und Methodik der klassischen Ökonomie mit ihren Vereinfachungen und dem starren Determinismus bald auf einem akademischen Rückzugsgefecht befanden. Der pädagogische Pragmatismus Richard T. Elys war beispielhaft für seine Schüler und Schülerinnen. Personen aus Politik und Praxis, Vertreter und Vertreterinnen von Institutionen und Unternehmen wie auch Manager und Managerinnen wurden in die Seminare eingeladen, um dort aus erster Hand über Problemlösungsansätze zu berichten. Für Richard T. Ely war die Kombination aus Buchwissen und praktischer Erfahrung und ebensolcher Anwendung der Kern seines akademischen Lehrens und Forschens. Die Anwendung der induktiven Methode in Form von Fallstudien, geschichtlicher Betrachtungsweise, das Interesse und die Berücksichtigung der Probleme allgemeiner Wohlfahrt und deren Lösung (nicht selten durch die Anwendung von Marketingtechniken) waren prägend für eine Vielzahl seiner Schüler und Schülerinnen. Ein Name, der hier genannt werden muss, ist der von Edward David Jones, der explizit von Marketingproblemen spricht, die beim Handel von Agrargütern auftreten. Die Universität von Wisconsin war damals führend im Agrarmarketing, und es lässt sich dies eindeutig auf Einflüsse von wirtschaftswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen an der Universität Halle und an der Universität Berlin zurückführen. Neben der Universität von Wisconsin etablierte sich die Harvard University, und zwar das Graduiertenprogramm für Wirtschaftswissenschaften, als wichtigstes Zentrum für die Diffusion des neuen Wissens. Auch hier gibt es eine klare (Rück-) Zuordnung zu den Inhalten der Seminare an der Berliner Handelshochschule, die 1906 gegründet worden war. Das wirtschaftswissenschaftliche Verständnis von Produktions- und Marketingprozessen wurde an der Harvard Business School (gegründet 1908) zu eigenständigen Forschungsbereichen mit ihren Objekten, Inhalten und Methoden. Frederick W. 89

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Taylor steht für das industrielle Management  ; der erste Marketing-Kurs, der auch diesen Namen trug, wurde von Paul Cherington 1914 abgehalten. Die Vermittlung der Marketinginhalte beruhte auf drei Säulen  : der Fallstudien-Methode, angewandter Marketingforschung unter Einsatz quantitativer Methoden und der Vermittlung von Marketingtechniken, die sich zunächst auf den kaufmännischen Vertrieb konzentrierten. Vom Marketing-Mix wurde damals aufgrund des Problemverständnisses noch nicht gesprochen, das kam einige Jahrzehnte später. Die Entwicklungslinien35 der Marketing-Denkschulen an den nordamerikanischen Universitäten starten mit der Schule der Marketing-Funktionen, in welcher der schon erwähnte Paul Cherington eine wichtige Rolle einnimmt. Das zentrale Bemühen dieser Forschergruppe bezog sich auf folgende Fragen  : Welche Aktivitäten beschreiben umfänglich Marketing  ? Das Schlüsselkonzept, von dem in diesem Zusammenhang gesprochen wird, ist, welcher zusätzliche Wert durch Marketingaktivitäten geschaffen wird. Die Schule der Marketing-Güter, die zum Teil auch noch von den Marketingwissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen der Funktionsschule mitgetragen wurde, setzt sich mit der Frage auseinander  : Wie können verschiedene Güter klassifiziert werden und wie sind diese mit den einzelnen Marketingaktivitäten in Beziehung zu setzen  ? Die zentralen Phänomene, die hier untersucht werden, sind  : Klassifikationen für Industrie- und Konsumgüter, Güter des täglichen Bedarfs, Produkte und Dienstleistungen, Gütersuche und Nutzungserfahrungen. Anders ist die Fragestellung der Schule, die sich mit Marketinginstitutionen näher befasst. Hier geht es um die Thematik  : Wer führt Marketingaktivitäten für Gebrauchs- und Verbrauchsgüter durch  ? Im Zentrum des Interesses stehen hier Distributionsstrukturen, Marktlücken, Güterflüsse, parallele Verteilungssysteme, Lager, Transaktionen und gegenseitige Beeinflussungsprozesse zwischen Institutionen, Sortimente und deren Neu-Zusammensetzung, Konflikte und Kooperationen, Macht und Abhängigkeiten zwischen Marketinginstitutionen. Bekannter ist der Ansatz der Marketingmanagement-Schule, den übrigens die meisten gängigen Lehrbücher (beispielhaft sei hier das von Kotler erwähnt) im Marketing vertreten. Namen wie Wroe Alderson,36 Jerome McCarthy und Philip Kotler37 prägten die Diskussion. Hier geht es um die Beantwortung der Frage, wie Manager und Managerinnen Güter und Dienstleistungen an Kunden und Kundinnen vermarkten sollen, wobei das Kundenverständnis sehr breit gefasst wird. Zentrale Konzepte sind der Marketing-Mix, Kundenorientierung, Segmentierung, Zielgruppenauswahl und Positionierung. Die Denkschule, die sich mit Marketingsystemen auseinander setzt, wird mit den Namen Wroe Alderson,38 George Fisk39 und Donald F. Dixon40 verbunden. Es geht um die Erweiterung des Verständnisses, was ein Marketing-System ausmacht, warum es existiert, wie solche Systeme funktionieren, wer in ihnen Marketingaktivitäten durchführt und wo und wann diese geleistet werden. Schlüsselkonzepte sind hier  : Beziehungen zwischen den Einzelteilen und Akteuren und Akteurinnen und zum Gesamtsystem, Abgren90

Marketingwissen im Praxis-Transfer

zungsüberlegungen, Marketingsystem, Mikro- und Makro-Marketing, gesellschaftliche Auswirkungen, die durch Marketingaktivitäten hervorgerufen werden. Die Denkschule, die sich mit dem Konsumentenverhalten auseinander setzt – berühmte Namen sind hier zum Beispiel Ernest Dichter,41 James F. Engel, Roger D. Blackwell, Paul W. Miniard42 und John A. Howard und Jagdish Sheth43 – zielen auf Beschreibung, Erklärung und Prognose des Konsumentenverhaltens. Die starke psychologische Ausrichtung der Verständnisbemühungen operiert mit Konzepten wie Motivation, rationalen und emotionalen Beweggründen des Kaufverhaltens, Bedürfnissen und Wünschen, Lernen, Persönlichkeit, Entstehung und Änderung von Einstellungen, Hierarchieeffekten, Informationsverarbeitung, der Wirkung von Symbolen und Zeichen, der Meinungsführerschaft und ihren Einflüssen, sozialen Schichten, Kultur und Subkulturen. Es ist interessant, dass sich der Einfluss44 von Wroe Alderson über mehrere Jahrzehnte und Schulen nachweisen lässt. Dies gilt auch für den Denkansatz des Makromarketings. Verstärkt wird hier eine Fragestellung aufgegriffen, die sich schon bei den Marketingsystemen findet. Welchen Einfluss haben diese Systeme auf die Gesellschaft und welche Wechselwirkungen entstehen zwischen Marketingsystemen und der Gesellschaft  ? Die zentralen Orientierungen bilden die Konzepte Lebensstandard, Lebensqualität, Marketingsysteme und die aggregierten Wirkungen in Gesellschaft und Kultur durch die Durchführung von Marketingaktivitäten. Der Marketing-Denkansatz der sogenannten Austausch-Schule befasst sich speziell mit (Aus-)Tauschprozessen. Es geht hier um Fragen wie  : Was sind die Formen des Austausches, was unterscheidet Marktaustauschprozesse von anderen Tauschprozessen, wer sind die Austauschpartner und -partnerinnen und welche Gründe und Motive führen zum Tausch bzw. prägen diesen  ? Als wesentliche Konzepte können hier strategische und alltägliche Austauschprozesse, sozialer, wirtschaftlicher und marktbezogener Tausch angeführt werden, ebenso Tauschgeschäfte auf Gegenseitigkeit und Formen des allgemeinen Tausches. Hier sind wiederum zu nennen  : Wroe ­Alderson (im Jahre 1965), Philip Kotler (1972) oder etwa Richard Bagozzi (1975). Die Denkschule zur Marketing-Geschichte dürfte das jüngste Kind der wissenschaftlichen Forschungsbemühungen darstellen. Man kann sie neben dem Denkansatz des Makromarketings als kritisch-reflexive Vorgehensweise unter den verschiedenen vorher genannten Schulen ansehen. Die wissenschaftlichen Anliegen und Ansätze beschäftigen sich mit den Fragen  : ab wann kann von Marketing-Praktiken gesprochen werden, wann entstanden Ideen, entwickelten sich Theorien und Konzepte und ab wann zeichneten sich Schulen, Denkansätze und Entwicklungen in der Marketingwissenschaft ab  ? Die Schlüsselthemen sind  : Geschichte der Marketing-Theorie und Geschichte des Marketing-Denkens. Die Vermittlung von Marketingwissen an den Universitäten und Fachhochschulen dürfte zum überwiegenden Teil über einschlägige Lehrbücher erfolgen. Die am Institut für Handel, Absatz und Marketing empfohlenen Lehrbücher bauen schwer91

Gerhard A. Wührer

punktmäßig auf dem der Marketingmanagement-Schule auf. Erst in jüngster Zeit, etwa im Master-Programm »General Management«, wird im Rahmen der Lehrveranstaltung »Dimensions of Marketing Theory and Managerial Perspectives« dieser Bezugsrahmen auf Makromarketing und Marketing-Geschichte erweitert. In einem vielbeachteten Artikel,45 der 2012 erschienen ist, weisen Achrol und Kotler auf elf Trends hin, die von der Sinnstiftung für Konsumenten und Konsumentinnen, neurophysiologischen Erkenntnissen für das Konsumentenverhalten, der Bedeutung von Netzwerken bei der Schaffung von Innovationen bei Produkten und dem Management von allgemeinen Anliegen wie Lebensqualität und Umweltschutz bis hin zur (Neu-)Interpretation von Ideologien zum Marktverständnis reichen werden. Die Zukunft wird weisen, in welchem Ausmaß diese Trends ihren Niederschlag bei zukünftigen Masterarbeiten finden werden.

Die Transferleistungen des Instituts durch Diplom- und Masterarbeiten Das Ergebnis jeder guten Lehre ist es nicht nur, Studierende für das jeweilige Fach zu begeistern, sondern auch Abschlussarbeiten hervorzubringen. Diese können – insbesondere wenn sie einen Praxisbezug aufweisen – auch eine wichtige Transferleistung in die Wirtschaft darstellen. Die Anzahl der approbierten Marketing-Arbeiten

In den Jahren 1969 bis Herbst 2016 wurden an die 1500 Diplom- und Masterarbeiten an der Johannes Kepler Universität Linz angefertigt, die sich mit verschiedenen Aspekten des Marketings auseinandergesetzt haben. Diese Vielzahl von Aufgaben- und Problemstellungen wurde fast ausschließlich am Institut für Handel, Absatz und Marketing betreut und approbiert. Eine erste Gesamtübersicht46 wurde anlässlich des 20-jährigen Gründungsjubiläums des Instituts vorgestellt. Demnach wurden im Jahre 1969 fünf Diplomarbeiten angefertigt. Das Titelspektrum reicht von »Die Absatzpolitik« (Harald Stiegler), über »Marketing in Luftverkehrsunternehmen« (Roland Winkler), »Absatzorganisation – Die Organisationsstruktur des Absatzbereichs« (Günther Bauer), »Kybernetische Aspekte der Unternehmensorganisation« (Alfred Gottsbacher) bis hin zu »Die organisatorischen Grundlagen der optimalen Informationsverarbeitung in der Unternehmung« (Günther Postl). Auch in den nachfolgenden Jahren hält sich die Anzahl der Arbeiten (vgl. Tabelle 1), bedingt durch die Zahl der Studierenden an der damaligen Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, noch in Grenzen. Auch hier wird wieder deutlich, dass die Arbeiten ein weites Feld von interessierenden Fragenstellungen aufgreifen, die nicht selten auf Anregung der Praxis oder in Kooperation mit dieser bearbeitet wur92

Marketingwissen im Praxis-Transfer

den. Auch in den darauffolgenden Jahren setzte sich die für das Linzer Marketinginstitut typische Auswahl der praxisbezogenen Diplomarbeiten fort. Einige willkürlich herausgegriffene Beispiele47 mögen dies illustrieren  : »Ansätze zu einer Marketingstrategie in der Konsumgüterindustrie« (Ilse Staudinger), »Die Marketing-Konzeption des Speditionsunternehmens« (Hermann Wögerer), »Der Regionalflugverkehr in Österreich – Prognose des Flugpotentials des Inländerfremdenverkehrs. Fallstudie« (Dietrich Kropfberger), »Die dynamische Programmierung und deren Einsatzmöglichkeiten im Bereich des Marketing« (Friedrich Roithmayr), »Limitationalität und Substitutionalität der absatzpolitischen Instrumente« (Gülin Gencoglu), »Die Möglichkeiten der Anwendung der Faktorenanalyse im Marketing« (Hans Mühlbacher), »Operations Research Techniken bei der Mediaselektion« (Gerhard Stürmer) oder etwa »Marketing in Krisenzeiten« (Helmut Leihs). Was die Themenwahl bei diesen Arbeiten auszeichnet, sind zum einen der anwendungsbezogene Aspekt, der sich inhaltlich auf verschiedene Branchen erstreckt, zum anderen die methodischen Zugänge, die nicht selten damit verbunden werden. Tabelle 1: Anzahl der Diplom- und Masterarbeiten zu Aspekten des Marketings an der Johannes Kepler Universität in den Jahren 1969 bis 2016. Jahre gruppiert

Häufigkeit

Prozent

Kumulierte Prozent

1969–1973

87

5,8

5,8

1974–1978

162

10,9

16,7

1979–1983

109

7,3

24,0

1984–1988

133

8,9

32,9

1989–1993

192

12,9

45,7

1994–1998

303

20,3

66,0

1999–2003

194

13,0

79,0

2004–2008

155

10,4

89,4

2009–2013

110

7,4

96,8

2014–2016

48

3,2

100,0

1493

100,0

Gesamt

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage der Institutsdatenbank und Verzeichnis der Hochschulschriften der Johannes Kepler Universität Linz.

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Ab 1974 nehmen die Zahlen (vgl. Tabelle 1) verfasster Diplomarbeiten bereits merklich zu, eine Inspektion der Titel48 lässt erkennen, dass die breite Abdeckung von Forschungs- und Gestaltungsinteressen fortgesetzt wurde. Einen ersten zahlenmäßigen Höhepunkt verzeichnet die Betreuungstätigkeit des Instituts in den Jahren 1974 bis 1978, als fast eine Verdoppelung der approbierten Arbeiten im Vergleich zu den Vorjahren festgestellt werden kann. Auch hier verweisen die Titel der Arbeiten49 auf ein breites Spektrum von Anwendungsinteressen  : »Gleitende Arbeitszeit als absatzpolitisches Instrument im Handel, dargestellt am Beispiel der Firma Sport Eybl« (Peter Steiner), »Firma Landmaschinentechnik« (Herbert Schauer), »Moderne Kosten- und Erfolgsrechnung in der LKW-Spedition – dargestellt am Beispiel der Spedition Schachinger« (Friedrich Loidl), »Die Absatzchancen von SilhouetteModebrillen am österreichischen Markt unter Berücksichtigung des gegenwärtigen absatzpolitischen Instrumentariums und unter dem Aspekt einer darzulegenden Änderung des Marketing-Mix« (Hans-Jörg Schelling), oder »Marktsegmentierung und Marktauswahl im internationalen Marketing für Investitionsgüter – dargestellt am Beispiel der Voest Alpine AG für Lateinamerika« (Peter Bielesch). Nach einem kurzen Rückgang (1979–1983) stiegen die Zahlen weiter stetig an und erreichten in der Fünfjahresperiode von 1994 bis 1998 einen Höhepunkt (vgl. Tabelle 1). In diesen Jahren wurden an die 300 Diplomarbeiten betreut und approbiert, das sind ca. 20 Prozent der gesamten Arbeiten, die in den letzten 50 Jahren am Institut angefertigt wurden. Das mag verschiedene Ursachen haben.50 Ähnliche Effekte sind auch beobachtbar, wenn neue Ideen und Gedanken in die Lehre und Forschung51 einfließen. Zum damaligen Zeitpunkt (ab dem WS 1994/95) waren es die intensiv diskutierten Themen des Beziehungsmarketings52 in Konsum- und Industriegütermärkten, der Ansatz der Industrial Manufacturing and Purchasing Group (IMP-Group) und die besondere Aufmerksamkeit, die das internationale Marketing den aufstrebenden Märkten schenkte. Zu Themen des Beziehungsmarketings53 richtete das Institut in diesen Jahren zwei Veranstaltungen aus, die eine Reihe von internationalen Marketingwissenschaftlern mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus der Praxis zusammenführte. Im Februar 1998 wurde das »1. Internationale Business-to-Business-Symposium«54 abgehalten, und im Jahre 2001 lautete das Programm »Internationales Kundenbeziehungsmanagement – Strategien, Instrumente, Implementierung«. Als Referenten in diesem Symposium berichteten Jagdish Sheth (Emory Business School), Hermann Simon (Vorsitzender der Geschäftsführung Simon-Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants GmbH, Bonn), Michael Kleinaltenkamp (Institut für Marketing an der FU Berlin) und Stephan Wietheger (Sales Consultant – CRM/E-Commerce, Oracle Austria). Darüber hinaus machten und machen die Projekt-Seminare mit der Praxis im Lehrprogramm des Instituts die Studenten und Studentinnen  – so unter anderem mit BMW Austria Salzburg,55 der Borealis,56 der Oberösterreich Tourismus 94

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GmbH,57 der Sparkasse OÖ, Resch&Frisch, AMA, OÖ Ferngas, der Energie AG,58 den Stadtwerken Wels, Polyfelt oder der Fronius GmbH – mit vielfältigen Problemstellungen aus der aktuellen Marketing-Tätigkeit vertraut und stellten nicht selten den Anbahnungs- und Ausgangspunkt für spätere wissenschaftliche Arbeiten und auch Anstellungsverhältnisse59 dar. Im März 2002 wurde in einem Gespräch mit dem Generaldirektor der voestalpine Wolfgang Eder eine projektbezogene Zusammenarbeit mit dem Unternehmen institutionalisiert. Modell dieser Kooperation waren die Borealis-Seminare, die vom späteren Generaldirektor der OMV, Gerhard Roiss, initiiert worden waren. Der intensive Kontakt mit der Praxis während des Studiums  – noch im auslaufenden Diplomstudium oder im jetzt eingerichteten Bachelor- und Masterprogramm – beginnt aber schon früher durch die Marktforschungskurse und die in ihnen durchgeführten Projekte mit Unternehmen, die eine fundierte Ausgangsbasis für Marketing­ entscheidungen und -konzepte liefern. Hier ist das gesamte Branchenspektrum der oberösterreichischen Wirtschaft und aus dem Non-Profit-Bereich vertreten. Hinzu kommen die Einladungen an Marketingmanager und Marketingmanagerinnen, damit sie aus der Praxis für die Studierenden zu ausgewählten Themen in den Kursen berichten. Eine stärkere Fokussierung auf Themen des Business-to-Business-Marketings und internationalen Marketings, die ihren Niederschlag in der Einrichtung von zwei Abteilungen am Institut ab 2006 fand, führte und führt im laufenden Geschehen – neben der Einrichtung neuer BWL-Institute und deren Angebot an Themen – zu einer entsprechenden Zahl von approbierten Diplom- und Masterarbeiten. Für den Fünfjahresabschnitt 2014 bis 2018 ist mit einer Zahl von ca. 100 abgeschlossenen Arbeiten zu rechnen. Eine der jüngst approbierten Master-Arbeiten wurde in einem Kooperationsprojekt mit der Austria Metall AG (AMAG) in Ranshofen verfasst. Inhaltliche, bibliometrische Gruppierung der Transferleistungen nach Marketing-Schwerpunkten

In Österreich sind aufgrund des § 86 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002 (UG) positiv beurteilte Diplom- oder Masterarbeiten ebenso wie Dissertationen oder künstlerische Diplom- oder Masterarbeiten oder die Dokumentation der künstlerischen Diplomoder Masterarbeit durch Übergabe an die Bibliothek der Universität, an welcher der akademische Grad verliehen wird, zu veröffentlichen. Desgleichen muss ein Exemplar in der Österreichischen Nationalbibliothek abgeliefert werden. Auch die Vorläufer des UG forderten diese Veröffentlichung von den Verfassern und Verfasserinnen solcher Werke. Damit stehen diese Arbeiten, sofern sie nicht gesperrt sind, über den öffentlichen Leihverkehr interessierten Lesern und Leserinnen zur Verfügung, neuerdings auch als digitale Dokumente. In Deutschland besteht für Diplom- und Masterarbeiten keine Veröffentlichungspflicht, der Autor oder die Autorin können 95

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sie allerdings veröffentlichen lassen und alle Nutzungsrechte in Anspruch nehmen. Sonst stehen diese Arbeiten bestenfalls an der Institutsbibliothek oder sonst wo am betreffenden Lehrstuhl möglicherweise zur Einsicht zur Verfügung. Die angeführte Veröffentlichungspflicht der Diplom- und Masterarbeiten ist auch der Ausgangspunkt der weiteren Analyse, da sie die Anlage einer Datenbank erlaubt, die eine systematische und vollständige Erfassung und Recherche auf der Basis der mit Schlagworten versehenen Arbeiten ermöglicht, wobei die Vergabe der Schlagworte durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Universitätsbibliothek nach bestimmten Regeln erfolgt. Die Datenbank umfasst nicht nur die Schlagworte sondern auch die Signatur, den Namen des/der Verfassers/Verfasserin, Jahr der Approbation und Seitenumfang der Arbeit. Die bibliometrische Analyse erfolgt mittels der genannten Angaben. Bibliometrische Verfahren sind anerkannte Vorgehensweisen, um Analysen an Textinformationen vorzunehmen. Die ersten Ansätze bibliometrischer Studien lassen sich bis in das 18. Jahrhundert zurückführen  ; ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich systematische Vorgehensweisen, die computergestützte Software nutzen, um Textdaten nach bestimmten Kriterien zu durchsuchen, Verknüpfungsprozesse zwischen Textteilen durchzuführen und die Ergebnisse nicht nur mit Parametern zu beschreiben, sondern die Wissenslandschaften auch zu visualisieren. Bibliometrie, Szientometrie oder Informetrie sind Bezeichnungen, die für diesen Zweig einer interdisziplinären Wissenschaft60 aus Wissenschaftsgeschichte, Philosophie, Informationswissenschaften, Wissenschaftssoziologie und Mathematik synonym verwendet werden. Die Analyse erfolgt mittels einer Datenbank, die die Informationen zu den 1500 Diplom- und Masterarbeiten enthält. Der statistisch-mathematische Hintergrund wird hier nicht näher erläutert, im Detail gibt das Manual von Vos-Viewer61 darüber Auskunft. Wesentlich für die Analyse und Darstellung der Gruppierungen in Form einer Wissenslandkarte sind die gemeinsamen Auftretenshäufigkeiten der Schlagworte, nach einer Standardisierung (Mehrzahl/Einzahl) und nach Ausscheiden von Schlagworten, die weniger als fünf Mal auftreten  ; dies dient zur Reduktion von »Hintergrundrauschen«. Bei der Analyse und Darstellung blieben 300 Schlagworte übrig, die das thematische Spektrum der Arbeiten beschreiben. Der durchschnittliche Grad des gemeinsamen Auftretens von Schlagworten beträgt 25,52  ; jedes Schlagwort ist mit ca. 25 anderen Schlagworten aus den insgesamt 300 verknüpft. Der Durchmesser des gesamten Schlagwortnetzwerkes ist 2. Das bedeutet, dass über die 50 Jahre hinweg betrachtet eine enge Verknüpfung zwischen den verschiedenen Diplom- und Masterarbeitsthemen besteht. Das ist eine bibliometrische Betrachtung auf der Gesamtebene. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich die Schlagworte, die die Arbeiten beschreiben, gruppieren lassen. Dies erfolgt nach einem statistischen Verfahren,62 das genauer im Beitrag von van Eck und Waltman beschrieben wird und hier zu 15 Schlagwort-Gruppen führt, die in sich eine höhere 96

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Verknüpfungsdichte aufweisen als zu Schlagworten in anderen Gruppen. Dahinter stehen aber immer die 1500 Diplom- und Masterarbeiten mit ihren Beschreibungen durch die Schlagworte, und wir bewegen uns auf dieser Analyseebene. Das am stärksten verknüpfte Schlagwort, das hier mit allen 15 Schwerpunktthemen in Beziehung steht, lautet »Unternehmen« im Schlagwortcluster 1. Dieses Wort steht stellvertretend für die vielen im Titel genannten Unternehmen, Institutionen oder Körperschaften, die mit dem Institut in einem Diplom- oder MasterarbeitsProjekt zusammengearbeitet haben. Das funktioniert entweder so, dass Unternehmen auf das Institut zukommen und wegen einer Zusammenarbeit anfragen. Oder Studierende kommen selber mit einem Thema, das sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder Praktikanten- bzw. Praktikantinnenzeit fasziniert und von dem sie überzeugt sind, hier wäre ein Nutzen sowohl für den/die Verfasser/Verfasserin als auch für das Unternehmen durch eine entsprechende Problemstellung und Bearbeitung erreichbar. Der bedeutendste Themenkreis  – er steht im Zentrum der Wissenslandkarte  – kann mit »Internationales Marketing« übertitelt werden (vgl. Abb. 1). Hier finden sich vor allem Werke, die sich mit der strategischen Planung und dem Markteintritt durch Industriebetriebe oder klein- und mittelständischer Unternehmen, den Markteintrittsstrategien und dem Marktzugang zu aufstrebenden Märkten (»Emerging Markets«) beschäftigen. Unternehmensanalysen, die Analyse und Bewertung von Märkten, das Abschätzen von Risiken (Währung) und das Management dieser Unwägbarkeiten stehen hier im Vordergrund. Zielmärkte, die hier explizit genannt werden, sind  : Osteuropa generell, die Tschechische Republik, die Volksrepublik China oder Ungarn. Exportkonzepte werden erstellt oder umfassendere Strategien, die auf Kooperationen mit anderen Unternehmen via Joint Ventures oder strategischen Allianzen beruhen. Industriedesign und Kommunikationsstrategien finden eine besondere Aufmerksamkeit. Fallstudien und Projekte sind die üblichen methodischen Instrumente, mit denen die Autoren und Autorinnen hier arbeiten. Der nächste bedeutende Themenkranz (Cluster 2) weist einen engen Bezug zur Erstellung von »Marketingkonzepten« für Unternehmen, Institutionen oder Körperschaften auf. In diesen Diplomarbeitsprojekten werden Problemstellungen behandelt, die sich vor allem mit der Kommunikation mittels neuer elektronischer Medien befassen. Es geht um die Implementierung von E-Commerce-Lösungen, die Erforschung und Analyse von Online-Communities, die Anwendung von Social Media und ihre Bedeutung für den Handel im Allgemeinen und dem Lebensmittelhandel im Besonderen. Neben diesen Aspekten finden auch planerische Überlegungen in diesem Zusammenhang statt. Thematisch an vierter Stelle liegen Diplom- und Masterarbeiten, die sich mit Problemstellungen des »Investitionsgütermarketings« (Schlagwortcluster 3) von österreichischen Unternehmen auseinandersetzen. Die Organisation dieser Prozesse ist 97

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auch mit Internationalisierungsfragen verknüpft. Die Rolle von Messen und Kongressen für neue Technologien, Standort- und Distributionsprobleme und das Management von Produkten werden hier häufig genannt. Wenn es um geographische Zuordnungen geht, dann steht hier die Bundesrepublik Deutschland meist im Mittelpunkt des Interesses. Was hier mit »rechtliche Unternehmensform« im nächsten Cluster 4 übertitelt wird, könnte zunächst den Eindruck erwecken, es ginge an dieser Stelle um Diplom- und Masterarbeiten, die sich Problemstellungen der Wahl der Rechtsform von Unternehmen widmen. Dem ist aber nicht so. Die Bibliothekare und Bibliothekarinnen haben hier die Rechtsform, die im Titel genannt wurde, gesondert erfasst. Im Kern geht es aber um Arbeiten, die sich mit Handel, Distribution und Logistikfragen auseinandersetzen. Themen des strategischen Managements, der Positionierung im Wettbewerb, der Marketingstrategien und ihren Zusammenhängen werden im Schlagwortcluster 5 behandelt. Hier werden auch Problemstellungen bearbeitet, die sich mit der langfristigen Unternehmensplanung beschäftigen, Formen der Kooperation mit anderen Unternehmen (etwa Franchising), und welche Informations- und Frühwarnsysteme eingesetzt werden können, um sowohl in der Analyse-, Planungs-, Umsetzungs- und Kontrollphase dem Management im Allgemeinen und dem Marketingmanagement im Besonderen Unterstützung zu ermöglichen. »Beziehungsmarketing« (Cluster 6) ist ein weiteres Betätigungsfeld, mit dem sich die Projekte befassen. Die Schlagwortgruppen, die hier angeführt wurden, deuten zusätzlich darauf hin, dass dieses Thema im interkulturellen Zusammenhang untersucht wurde. Explizit wird hier auf Frankreich hingewiesen oder auf das Management von Kundengruppen und wie im Verkauf mit diesen kulturell unterschiedlich geprägten Erwartungen umgegangen werden kann. Mit »Kundenmanagement« ist die nächste Schlagwortgruppe übertitelt. Es ­handelt sich um Cluster 7. Hier finden wir Projekte versammelt, die sich mit Kunden­ bindung, Kundenbetreuung, Kundenorientierung, Kundenzufriedenheit, dem wert­orientierten Management in Business-to-Business-Märkten oder Konsumgütermärkten befassen. Nicht von ungefähr spielen hier auch Fragen des Konsumentenverhaltens, die Analyse und die Messung dieser Konzepte eine bedeutende Rolle. »Dienstleistungen« und ihre Rolle bei Marketingproblemstellungen werden im Cluster 8 durch Master- und Diplomarbeiten behandelt. Wie können durch Dienstleistungen Wettbewerbsvorteile in Konsumgütermärkten erreicht werden, in welcher Beziehung stehen Marke und Dienstleistungen bzw. welche Erfolgsfaktoren führen zur Zufriedenheit auf Kundenseite  ? »Marktforschung«, so können die Indikatoren im Cluster 9 zusammengefasst werden. Es geht hier sowohl um die Erforschung und Analyse des Verbraucherverhaltens im Tourismus, Hotel- und Fremdenverkehr im Speziellen, generell aber um 98

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Abbildung 1: Visualisierung der Themen nach Schlagworten in den Jahren 1969–2016 auf Basis Querschnittsanalyse. Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

die Erfassung von Lebensstilen, Motivationsstrukturen, Einstellungen und Werten von Konsumenten und Konsumentinnen auf nationalen und internationalen Märkten im Allgemeinen. Mit »Markt« kann die Schlagwortgruppe 10 übertitelt werden. Im Detail geht es dabei um Arbeiten, die Problemlösungsvorschläge für das Marketingmanagement in der Investitionsgüterindustrie, dem Bank- und Kreditwesen oder um spezielle Themen bei der Unternehmensgründung. Die »Kommunikationspolitik« findet ihren Arbeitsschwerpunkt im vergleichsweise ebenfalls kleinen Cluster 11. Es geht hier um Markenpolitik, Markenwert und Imageforschung. Dem »Innovationsmanagement« widmen sich Projekte, die im ebenfalls relativ kleinen Cluster 12 angegangen werden. Zum einen werden Fragen mit methodischen Inhalten behandelt (etwa mit Conjoint Measurement63), zum anderen wird speziell auf Verfahren zur Produktentwicklung und die Markteinführung von neuen Gütern und Dienstleistungen verwiesen. »Werbung« und »Öffentlichkeitsarbeit« von Non-Profit-Organisationen und Einzelhandelsbetrieben im Linzer Raum werden im Cluster 13 behandelt  ; die Anzahl dieser Arbeiten ist allerdings relativ gering. Ähnliches kann zum Stellenwert des Clusters 14 gesagt werden, der »Verbraucherverhalten« von »speziellen Zielgruppen« abbildet, oder Projekte, die sich mit dem Sponsoring und Event-Marketing 99

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auseinandersetzen, beinhaltet. Cluster 15 umfasst Themenstellungen zu Netzwerken oder beinhaltet Arbeiten, die sich mit Marketingsystemen in der Europäischen Union befassen. In der Gesamtinterpretation darf man nicht außer Acht lassen, dass diese 15 Themenschwerpunkte, die sich in den letzten 50 Jahren im Transfer von MarketingKnow-how und -Wissen herausgebildet haben, durch die gemeinsamen Auftretenshäufigkeiten von Schlagworten wiederum untereinander in mehr oder weniger starker Beziehung stehen. Im Mittelpunkt stehen jedenfalls die Arbeiten, die sich mit »Internationalem Marketing«, der Erstellung von »Marketingkonzepten«, dem »Investitionsgütermarketing« und etwas abgeschwächt mit »Handels-, Distributionund Logistik-Themen«, beschäftigen. Sie bilden in dieser Querschnittsbetrachtung den Kern des transferierten Wissens über die 50 Jahre hinweg. In einer dreidimensionalen Darstellung der Themencluster würde man sehen, dass Cluster 10 aufgrund seiner Verflechtung in ähnlicher Weise weit entfernt vom Zentrum in der Peripherie wäre wie etwa Cluster 11 oder 12. Diese Überlegungen leiten über zur Analyse der Veränderungen, die die Diplom- und Masterarbeiten in ihren Schwerpunkten in den 50 Jahren erfahren haben. Abbildung 2 ist eine schematische Darstellung der Schwerpunktbildungen über die letzten 50 Jahre hinweg, wobei jeweils fünf Jahre zusammengefasst wurden. Zwei Phänomene sind auffallend, sie sind aber kennzeichnend und typisch für Längsschnittanalysen von Wissensvisualisierungen in Form von Alluvial-Diagrammen.64 Das eine Phänomen  : Über den Zeitraum von 50 Jahren hinweg fächert sich der Bereich der behandelten Schwerpunkte auf. Waren es in den ersten fünf Jahren noch die Erstellung von Marketingkonzepten für Konsum- und Investitionsgütermärkte, Absatzprognosen für Konsumgüter, Fragen der Datenverarbeitung und Informationstechnologie in der Markenartikelindustrie, Marktforschung und Informationen, Produkteinführung und Werbung, die von größerer Bedeutung waren, so differenzieren sich die Themen in den späteren Jahren immer stärker aus. Besonders deutlich ist diese Tendenz erkennbar ab dem Fünfjahreszeitraum 1989–1993, dieser Differenzierungstrend verstärkte sich dann und hielt bis 2004 an. Die behandelten Themen lassen sich mit »Nachhaltigkeit«, »Messung & MarketingMix«, »soziale Medien«, »Innovation«, »Kundenmanagement und Investitionsgütermarketing«, »Industriebetrieb & Emerging Markets«, »Ressourcen- und Prozessmanagement« und »Marketingstrategie und Management« beschreiben. Das zweite Phänomen, das in dieser Längsschnittdarstellung sehr gut erkennbar wird, ist die Übergabe und Weiterführung von Inhalten an darauffolgende Fünfjahresabschnitte. Das heißt, dass eine Kontinuität von einzelnen Aspekten in den behandelten Themen über die Jahre hinweg beobachtbar ist. Das bedeutet auch, dass in diesem Sinne von einer kumulierten Anwendung von Marketingwissen gesprochen werden kann. Allerdings ist auch feststellbar, dass es Entwicklungslinien gibt, die unterbrochen 100

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Abbildung 2: Visualisierung der Themen nach Schlagworten in den Jahren 1969–2016 auf Basis Längsschnittanalyse. Quelle: eigene Berechnung und Darstellung.

wurden, die später aber wieder aufgegriffen werden, oder solche, die Einzelerscheinungen spezifisch für einen Fünfjahreszeitraum sind. Dieses Phänomen des Wiederaufgreifens von Marketing-Know-how und seine Verflechtung mit anderen Inhalten ist deutlich erkennbar ab dem Jahre 1989 und setzt sich dann in mehr oder weniger starker Intensität fort. Das hängt sicherlich neben dem Setzen oder Vertiefen von Schwerpunkten mit dem Anstieg der approbierten Diplom- und Masterarbeiten zusammen.

Schlussbemerkungen Was an Marketing-Know-how aus den verschiedenen Diplom- und Masterarbeiten in der Praxis umgesetzt wurde, können wir nicht sagen. Nicht selten hängt dies von den Rahmenbedingungen, der Kompetenz, Expertise und Professionalität der handelnden Personen und Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen in den Unternehmen, Institutionen und Organisationen ab. Faktum ist, dass dieses Wissen in den meisten Fällen aufgrund der Kooperationsbereitschaft seitens des Institutes, der betreuenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, der Diplomanden und Diplomandinnen und natürlich der mitwirkenden Partner auf der Unternehmensseite entstanden ist. Es würde dem Wert dieser 1500 Arbeiten nicht ganz gerecht werden, wenn man deren Zahl nur mit den dafür vorgesehenen ECTS-Punkten multiplizieren würde und diese dann mit der dafür veranschlagten Stundenzahl gewichtet.65 Nein, es muss auch mitberücksichtigt werden, mit welcher Motivation und Leidenschaft hier junge Menschen für die Allgemeinheit etwas geschaffen haben. Das Vorgehen, das im Nachhinein betrachtet alle jene didaktischen und methodischen Bestandteile aufweist, die in den frühen Jahren der Marketingdisziplin betont wur101

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den, ist – auch wenn es nun einen anderen Namen trägt – zum einen seinem Gründungsauftrag als »Institut für Internationales Marketing« schwerpunktmäßig in den Arbeiten treu geblieben. Zum anderen ist es ihm immer gelungen, neue Aspekte und Entwicklungen aus der Wissenschaft und Praxis aufzugreifen und in die Lehre und das Problemlösungsangebot der Arbeiten für die Praxis einzubinden.

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Anmerkungen 1 Vgl. Ernest Kulhavy, Die Gründungsgeschichte des Instituts, das als erstes universitäres Institut im deutschsprachigen Raum Europas das Marketing in seinem Namen aufnahm (1966), Linz 2008, S. 16. 2 Homepage des Marketinginstituts der Universität Graz, unter  : https://marketing.uni-graz.at/de/institut/, aufgerufen am 3.11.2016. 3 Vgl. Philipp Sepehr, Die Entwicklung der Marketingdisziplin. Wandel der marktorientierten Unternehmensführung in Wissenschaft und Praxis, Wiesbaden 2014, S. 40. 4 Vgl. ebd., S. IX. 5 Kulhavy, Gründungsgeschichte, S. 16 (im Original hervorgehoben). 6 Als ich mein Institutskonzept nach meiner Berufung im März 1994 mit einem Vertreter der Berufungskommission erörterte, hatte ich in Unkenntnis der Vorgeschichte zum Institutsnamen die Absicht, eine Umbenennung in »Institut für Internationales Marketing« vorzunehmen. Ich hatte mich in diesem Forschungsbereich habilitiert und war der Ansicht, dass dies für das exportorientierte Oberösterreich und die international ausgerichtete Industrie ausgezeichnet passen würde. Alleine der kritische Hinweis und

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die Bitte eines Kommissionsmitglieds, ich möge davon Abstand nehmen, denn das wäre eine plötzliche gravierende Änderung und nach den doch etwas turbulenten Nachbesetzungsereignissen solle erst einmal eine »Beruhigung der Szene« einkehren, ließ mich davon absehen.   7 Vgl. Ernest Kulhavy, Marketing 1966–1986. Jubiläumsschrift zum 20jährigen Bestehen des Instituts für Handel, Absatz und Marketing der Universität Linz, Linz 1986, S. 7.   8 Vgl. ebd., S. 181 ff.   9 Vgl. ebd., S. 13–138. 10 Vgl. ebd., S. 169–177. 11 Vgl. ebd., S. 178 f. 12 Vgl. ebd., S. 180 f. 13 Katharina Hofer u. a., Institut für Handel, Absatz und Marketing – Protokolle, Unterlagen und Notizen 1966–1994. Jubiläumsgabe zum neunzigsten Geburtstag von em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Ernest Kulhavy. Institut für Handel, Absatz und Marketing, Linz 2015. 14 Vgl. Gerhard A. Wührer, Der Aufbruch ins dritte Jahrtausend. Die Jahre 1994–1999 aus der Sicht des Instituts für Handel, Absatz und Marketing, Linz 1999, S. 53 f. Stellungnahme des Personalleiters der MIBA AG, Michael W. Schütze, »Darstellung der Herausforderungen an die österreichische Wirtschaft Inlandsmarkt und dessen Exportverflechtungen«. 15 Vgl. Kulhavy, Gründungsgeschichte, S. 8. 16 Erich Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Die Produktion, Berlin 1951. 17 Erich Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Der Absatz, Berlin 1955. 18 Erich Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Die Finanzen, Berlin 1969. 19 Kulhavy, Jubiläumsschrift, S. 6, weist in einer Anmerkung auf die unterschiedlichen Auffassungen von Absatz im Gutenberg’schen Sinne und »neuen« Marketing hin  : »Ganz deutlich wird die relativ geringe Wertschätzung des Absetzens in dem von Gutenberg geprägten Wortpaar Leistungserstellung und Leistungsverwertung (im Original hervorgehoben). Irgendwie kommt in diesen beiden Begriffen zum Ausdruck, daß die Leistung in der Produktion erbracht wird, und der Verkauf eigentlich nicht mehr tut, als das Leistungsergebnis zu verwerten.« 20 Vgl. Sepehr, Die Entwicklung der Marketingdisziplin, S. 13. 21 Vgl. ebd., S. 8–12. 22 Vgl. ebd., S. 39. 23 Robert Nieschlag u. a., Marketing. Ein entscheidungsorientierter Ansatz, Berlin 1971. 24 Johannes Bidlingmaier, Marketing I + II, Reinbek bei Hamburg 1973. 25 Vgl. Sepehr, Die Entwicklung der Marketingdisziplin, S. VIII und Vorwort von Heribert Meffert  : »Mein Engagement als Botschafter des Marketing in Forschung, Lehre und Praxis brachte mir in Verbindung mit der ›blauen Bibel‹ den schmeichelhaften Titel ›Marketing Papst‹ ein« (S. IX). 26 Ernest Kulhavy, Internationales Marketing, Linz 1981. 27 Ernest Kulhavy, Mezinárodní marketing, 1. Vyd, Prag 1992. 28 Heribert Meffert u. Jürgen Althans, Internationales Marketing, Stuttgart 1982. 29 Hans Günther Meissner, Strategisches internationales Marketing, Berlin 1987. 30 Vgl. Hans Günther Meissner u. Reinhard Winkelgrund, Internationales Marketing als Herausforderung deutscher Unternehmungen, in  : Marketing  : Zeitschrift für Forschung und Praxis, Jg. 4, H. 2, 1982, S. 115–121. 31 Vgl. Sepehr, Die Entwicklung der Marketingdisziplin, S. 41. 32 Christian Homburg, Marketingmanagement. Strategie  – Instrumente  – Umsetzung  – Unternehmensführung, Wiesbaden 2015 und die auf S. 6 erwähnten Autoren. 33 Vgl. Alexander Engel, Grundzüge der Marketinggeschichte. Vom betrieblichen Absatzinstrument zur universellen Sozialtechnik, Tagungsbericht Universität Göttingen, Göttingen 2006.

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Marketingwissen im Praxis-Transfer

34 Vgl. Brian D. G. Jones and David D. Monieson, Early Development of the Philosophy of Marketing Thought, in  : Mark Tadajewski and Douglas T. Brownlie, Critical Marketing. Issues in Contemporary Marketing, Chichester 2008, pp. 48–50. 35 Vgl. im Folgenden den umfassenden Artikel und die Gesamtschau in Tabelle 1 von Eric H. Shaw and Brian Jones, A History of Schools of Marketing Thought, in  : Marketing Theory, vol.  5, issue  3, 2005, pp. 239–281. 36 Vgl. Wroe Alderson, A Functionalist Approach to Consumer Motivation, in  : Robert Cole, Consumer Behavior and Motivation, Urbana IL 1956, pp. 6–24. 37 Philip Kotler, Marketing Management  : Analysis, Planning, and Control, Upper Saddle River NJ 1967. 38 Eine umfassende Darstellung des vielfältigen Wirkens von Wroe Alderson findet sich bei Ben Wooliscroft et al., A Twenty-First Century Guide to Aldersonian Marketing Thought, Boston 2006, pp. 3 ff. 39 George Fisk, Marketing Systems  : An Introductory Analysis, New York 1967. 40 Vgl. Donald F. Dixon, A Social Systems Approach to Marketing, in  : The Southwestern Social Science Quarterly, vol. 48, issue 2, 1967, pp. 164–173. 41 Vgl. Ernest Dichter, Psychology, in  : Market Research, Harvard Business Review, vol. 25, issue 4, 1947, pp. 432–443. 42 James F. Engel et al., Consumer Behavior, New York 1968. 43 John A. Howard and Jagdish Sheth, Theory of Buyer Behaviour, New Jersey 1969. 44 Vgl. Alderson, A Functionalist Approach to Consumer Motivation, S. 3 ff. 45 Vgl. Ravi S. Achrol and Philip Kotler, Frontiers of the Marketing Paradigm in the Third Millennium, in  : Journal of the Academy of Marketing Science, vol. 40, issue 1, 2012, pp. 35–52. 46 Vgl. Kulhavy, Jubiläumsschrift, S. 185 ff. 47 Vgl. ebd., S. 185. 48 Vgl. ebd., S. 188 ff. 49 Vgl. ebd., S. 186 ff. 50 Im Übrigen muss hier angemerkt werden, dass das Institut in den letzten 25 Jahren zwei Umstellungen der Lehrprogramme durchführen musste. In den späten 1990er Jahren von Handelswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre auf Wirtschaftswissenschaften und von Wirtschaftswissenschaften auf das Bologna-System mit Bachelor- und Masterprogramm. In welchem Ausmaß sich solche Veränderungen auf die Belegungs- und Absolventen- bzw. Absolventinnenzahlen auswirken, bedürfe einer besonderen Analyse. Darüber hinaus zeigt die Entwicklung der Anzahl der belegten Studien der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der JKU, dass während der Jahre 1992 bis 2002 hier der Höchststand erreicht wurde. Vgl. hierzu Andreas Reichl, Zahlen, Daten und Fakten zur Entwicklung der Johannes Kepler Universität Linz, in  : Maria Wirth u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 228. 51 Vgl. Wührer, Der Aufbruch, Geleitwort des Dekans o. Univ. Prof. Dr. Helmut Schuster, S. I. 52 Vgl. Homburg, Marketingmanagement, S. 6. 53 Vgl. Wührer, Der Aufbruch, S. 311 ff. 54 Vgl. ebd., S. 315. 55 Vgl. ebd., S. 49–50, »Kooperation mit dem Institut für Handel, Absatz und Marketing und BMW«, Stellungnahme von Felix Clary und Aldringen. 56 Vgl. ebd., S. 56–59, Bericht von Harald Hammer, General Sales Manager PP Borealis AG zur Zusammenarbeit mit dem Institut für Handel, Absatz und Marketing. 57 Vgl. ebd., S. 64, »Erfahrungs- und Meinungsaustausch mit dem Marketing Institut«, Stellungnahme von Karl Pramendorfer, Landestourismusdirektor OÖ. 58 Vgl. ebd., S. 51–52, »Fünf erfolgreiche Jahre  : Das Marketinginstitut unter der Führung von o. Univ.-Prof.

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Gerhard A. Wührer

Dkfm. Dr. Gerhard A. Wührer«, Stellungnahme von Leo Windtner, Vorstandsvorsitzender der Energie AG. 59 Vgl. ebd., S. 60–61, Marketing-Institut Linz – »Eines der besten im Teiche«, Stellungnahme von Roland Haslehner, Absolvent des Institutes, Procter & Gamble, Advertising Department. 60 Vgl. Wolfgang Glänzel and Stefan Hornbostel, History and Institutionalisation of Scientometrics. European Summer School for Scientometrics, Manuscript Humboldt Universität, Berlin 2013, S. 1. 61 Vgl. Nees Jan van Eck et al., A Comparison of Two Techniques for Bibliometric Mapping  : Multidimensional Scaling and VOS, Manual 2016. 62 Vgl. Nees Jan van Eck and Ludo Waltman, Software Survey  : vosviewer, A Computer Program for Bibliometric Mapping, in  : Scientometrics, vol. 84, issue 2, 2010, pp. 523–538. 63 Conjoint Measurement ist ein Verfahren zur Abschätzung, welche Nutzenbeiträge einzelne Merkmalsausprägungen eines Produktes zu dessen Gesamtnutzen leisten und wie wichtig diese verschiedenen Eigenschaften zur Nutzenbeurteilung sind. 64 Vgl. zur methodischen Vorgehensweise und zum Algorithmus im Detail  : Martin Rosvall and Carl T. Bergstrom, Maps of Random Walks on Complex Networks Reveal Community Structure, in  : Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, vol.  105, issue  4, 2008, pp. 1118–1123. 65 Würde man den Wert dieser Transferleistung versuchen, numerisch festzulegen, dann würde man auf eine geleistete Gesamtstundenzahl von 862.500 studentischen Arbeitsstunden kommen (1500 x 23 ECTS pro Arbeit x 25 Stunden pro ECTS-Punkt). Diese theoretische Zahl stellt sicherlich einen unteren Richtwert dar, nicht inbegriffen sind die Betreuungsstunden seitens der Institutsangehörigen.

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Innovation in der wissenschaftsgeleiteten Lehre am Beispiel der Einführung des Studiengangs Statistik an der Universität Linz1

Im Sommersemester 1968 wurde am Standort Linz zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum ein Vollstudium der Statistik, damals noch unter der Bezeichnung »Sozial- und Wirtschaftsstatistik«, angeboten2, welches seither besteht. Diese bis heute nachwirkende Pioniertat soll in diesem kurzen Beitrag dargestellt und die Umstände ihrer Ermöglichung erörtert werden. Die Frage, ob Ähnliches auch heute noch möglich ist, knüpft in natürlicher Weise an die Darstellung an.

Statistik als wissenschaftliche Disziplin Der Begriff »Statistik« entwickelte sich aus der von Gottfried Achenwall im 18. Jahrhundert benutzten Benennung der »Lehre von Daten über den Staat« und verbreitete sich über den englischen Sprachraum als Fachbezeichnung. Als akademisches Fach etablierte sich die Statistik dann im 19. Jahrhundert. An der Universität Wien wirkte der wegen seines prägenden Einflusses auf die österreichische Statistik legendäre Wilhelm Winkler als Universitätslehrer neben seiner Tätigkeit als Beamter im Bundesamt für Statistik schon in den 1920er Jahren. Allerdings wurde der seit 1883 vakante Lehrstuhl für Statistik erst 1947 wieder mit Winkler besetzt, der damals auch der einzige österreichische Ordinarius für das Fach war.3 Das moderne Verständnis der Statistik erlaubt eine Vielzahl von Definitionen für das Fach, doch charakteristisch bleibt das Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheit auf Basis empirischer Daten. So bildet sie auch die gemeinsame Hilfswissenschaft aller empirischen Disziplinen und stellt die Standards für die Validität von deren Resultaten. Diese Definition enthält auch die beiden Wurzeln der Statistik  : zum Ersten, wie schon erwähnt, das Sammeln und Organisieren von Daten (ursprünglich in einem staatlichen, typischerweise volkswirtschaftlichen Kontext) und zum Zweiten die Rolle des Zufalls in Entscheidungsprozessen. Letzteres hatte seine Initialzündung im legendären Briefwechsel Pierre de Fermats und Blaise Pascals im Jahre 1654 über ein Problem der Auszahlungsteilung bei einem abgebrochenen Glücksspiel, was zur Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung, einem integralen Element der Stochastik (dem Teilgebiet der Mathematik, welches sich mit dem 107

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Zufall beschäftigt), und auch dem Standardinstrumentarium der schließenden Statistik führte.4 Aus dieser zweiten, mathematischen Wurzel des Fachs mag auch herrühren, dass es in weiten Teilen der Öffentlichkeit, zum Teil auch der akademischen, ebenfalls als Teilgebiet der Mathematik angesehen wird. Und das, obwohl sich die beiden Disziplinen fundamental unterschiedlicher Logiken bedienen, die Mathematik einer Deduktiven (also vom großen Ganzen oder Axiom das Partikuläre folgern), die angewandte Statistik jedoch einer Induktiven (vom Einzelnen auf die Gesamtheit schließen).5

Statistik als Studienfach Auch schon im Schulunterricht werden statistische Konzepte vor allem im Gegenstand Mathematik behandelt, und auf universitärer Ebene war dies lange Zeit nicht anders. Selbst im angelsächsischen Raum, wo die ersten eigenständigen Curricula entstanden, war dies und der Unterricht von Statistik durch Mathematiker ein kontroversielles Langzeitthema.6 Das Vereinigte Königreich hat mit der 1834 gegründeten Royal Statistical Society und dem ersten weltweit gegründeten universitären Statistikinstitut 1911 am University College London durch Karl Pearson7 die längste akademische Tradition in diesem Fach. Nichtsdestotrotz entstanden die ersten vollen eigenständigen Studiengänge der Statistik wohl in den Vereinigten Staaten, wie etwa in Harvard 1957.8 Ende der 1960er Jahre gab es jedenfalls in den USA schon 99 solcher Programme.9 Am Indian Statistical Institute existierte ein entsprechendes Programm seit 1960.10

Die Situation in Linz Der Statistik wurde offensichtlich schon bei der Gründung der JKU große Bedeutung beigemessen, zählte doch der von Adolf Adam besetzte Lehrstuhl »Statistik und Ökonometrie« zur Grundausstattung der jungen Hochschule Linz. Adam, der ein langjähriger Assistent Winklers war und aus Köln wegberufen worden war, äußerte die Einrichtung eines Studiengangs schon früh als eines seiner Hauptziele.11 Bereits im August 1966 war auch schon ein zweites Ordinariat für Statistik beantragt worden, auf welches mit Wintersemester 1967 Gerhart Bruckmann berufen wurde, ein weiterer heftiger Befürworter eines eigenständigen Studienfaches. Adam und Bruckmanns Lehrkanzeln bildeten das damalige Institut für Statistik und Datenverarbeitung, und die beiden Gründerväter der Studienrichtung waren, wenn auch nur kurzzeitig – Bruckmann wurde bereits nach zwei Semestern wieder wegberufen und wechselte an die Universität Wien –, doch für die kritische Periode vereint. 108

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Abbildung 1: Die »Väter« des Statistikstudiums in Linz: Adolf Adam und Gerhart Bruckmann (von rechts nach links) ca. 1968. Bildnachweis: Festschrift Adolf Adam zum 65. Geburtstag; Österreichische Hochschulzeitung, 1. April 1968.

Der eine, oft als kreative »Dampfwalze« bezeichnet, sollte dann unter anderem auch für die Umbenennung der Universität verantwortlich sein. Der andere, ein organisierter Macher, war schon seit 1966 wegen seiner Wahlhochrechnungen12 bekannt und ist wohl bis heute Österreichs populärster Statistiker. Beide waren sich der Chancen für eine Studienrichtung Statistik in Linz wohl bewusst  : Das Fach war auf internationaler Ebene als eigenständige Disziplin etabliert und genoss an der Linzer Universität, vermutlich auch wegen der Protagonisten  – Adam wurde dann auch zweiter Gründungsrektor – einen sehr guten Ruf. Andererseits gab es kaum Vorbilder  : den angelsächsischen Raum natürlich, ein Studienprogramm an der Universität Rom, welches Bruckmann13 vertraut war, und bestehende Pläne, ein ebensolches Studium an der Universität Wien baldigst einzurichten. Das Rennen konnte also beginnen  !

Das Studium der Sozial- und Wirtschaftsstatistik Bereits am 14. März 1968 konnte der erste Studienplan (welcher den Autoren in Faksimile vorliegt) verabschiedet werden. Dieser war im ersten Studienabschnitt identisch mit jenen der anderen Studien an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, enthielt also nur einen geringen Anteil an Spezialvorlesungen. Nur im zweiten Studienabschnitt konnte man gestalterisch aus dem Vollen schöpfen  : dieser umfasste 16 Wochenstunden aus theoretischer, insbesondere mathematischer Statistik, 14 Wochenstunden aus angewandter Statistik einschließlich Demographie und 12  Wochenstunden wahlweise aus Operations Research oder Ökonometrie sowie ergänzende Wahlfächer aus den Gebieten der Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie der Soziologie. Auffällig ist trotz der Benennung des Instituts das Fehlen der Datenverarbeitung im Curriculum, ein Manko, welches Adam selbst während der Entstehung des Studienplans noch kritisierte.14 Die Studienrichtung selbst hieß zu109

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erst »Sozial- und Wirtschaftsstatistik«, wegen der Verankerung in der Fakultät, und der Studienplan blieb in seinen wesentlichen Zügen bis in die 1980er Jahre unverändert (und wurde von beiden Autoren dieses Beitrags15 noch in dieser Form belegt).16 Im Sommersemester 1987 fand die Umbenennung in »Statistik« statt, was der bereits immer recht allgemeinen Ausrichtung des Studiums besser Rechnung trug.17 Aus heutiger Sicht war die Einrichtung dieser Studienrichtung eine wegweisende Pioniertat, die vom späteren Lehrstuhlinhaber Friedrich Sixtl in einer Rückschau gar als revolutionäre Neuerung bezeichnet wurde.18 Wiewohl der gleiche Studiengang im folgenden Studienjahr auch an der Universität Wien gestartet wurde, dauerte es in Deutschland noch bis zum Wintersemester 1972/73, als auch an der Universität Dortmund der diesbezügliche Lehrbetrieb begann.19 Die Umstände an der Universität Linz mit der erst kürzlich erfolgten Gründung und der tatkräftigen, erfolgshungrigen Belegschaft waren für bahnbrechende Innovationen wie diese sicherlich günstig, wenn auch nicht jede Initiative von Erfolg gekrönt war (über den vergeblichen Versuch, die Biotechnologie als Fach einzuführen, schreibt Adam in einer Rückschau aus seinem Nachlass,20 dies »scheiterte an der Ungunst der Zeit«).

Nach der Gründung Auf die erfolgreiche Etablierung des Studiengangs folgte eine turbulente Zeit für das Fach an der Universität Linz. Bruckmann war, wie erwähnt, bereits Ende 1968 an die Universität Wien abgewandert, und obwohl quasi in einem Schnellverfahren der Lehrstuhl »Statistik II« wieder mit dem späteren Rektor Gerhard Derflinger besetzt wurde, musste die neue Studienrichtung schon bald ohne eigenes Institut auskommen. Dies rührte daher, dass das Institut für Statistik und Datenverarbeitung mit seinen Professoren Adam, Derflinger und dem Mathematiker Hans Knapp zur Gänze die Keimzelle der neugegründeten Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (TNF) bildete und daher an der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät (SOWIRE) kein Fachvertreter mehr verblieb. Adam, der schon 1967 das Linzer Informationswissenschaftliche Programm initiiert hatte, und auch Derflinger hatten sich nun inhaltlich stärker der Informatik21 zugewandt und übernahmen quasi provisorisch, offenbar abwechselnd, den Lehrbetrieb im statistischen Studiengang. Dies schien jedoch nicht ganz friktionsfrei zu funktionieren, denn es kam anlässlich eines Freisemesters von Adam Ende 1970 zu öffentlichen Protest- bzw. Rechtfertigungsschreiben22 Derflingers an die SOWIREFakultät und die zuständige Bundesministerin Hertha Firnberg, die wie Adam und Bruckmann eines von nur 14 Ehrenmitgliedern der Österreichischen Statistischen Gesellschaft (ÖSG) ist.23 Jedenfalls führte der offenbar unbefriedigende Zustand dazu, dass an der SOWIRE-Fakultät wieder eine eigenständige Professur für Statistik 110

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(für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) eingerichtet24 und ab September 1971 mit Friedrich Sixtl besetzt wurde. Das Institut für Statistik und Datenverarbeitung an der TNF wurde schon 1970 in das Institut für Mathematik und das Institut für Statistik und Informatik aufgespalten. Zuvor war schon die ergänzende Lehrkanzel für Wahrscheinlichkeitstheorie und mathematische Statistik (nunmehr Stochastik) von Peter Weiß mit stark statistischem Einschlag übernommen worden. Das Fach war endgültig auf zwei Fakultäten und drei Institute zerrissen, ein Zustand, an dem die Statistik an der JKU noch heute leiden muss. Umso erstaunlicher erscheint es, dass unter diesen widrigen Umständen die nachhaltige Verankerung des Linzer Studiengangs in der akademischen Landschaft gelang.

Die weitere Entwicklung Die Berufung von Friedrich Sixtl leitete eine Phase der Konsolidierung ein mit der fortan klaren Aufgabenteilung,25 dass die Hauptlast am Studiengang vom später gegründeten Institut für Angewandte Statistik (IFAS) an der SOWI-Fakultät getragen wurde. Mit der Berufung Robert Hafners auf einen neugeschaffenen Lehrstuhl für technische Statistik im Jahr 1976 bekam dieses Institut seine bis dato gültige, in zwei Abteilungen gegliederte Struktur. Viele Kohorten von Statistikstudierenden gingen seitdem abwechselnd durch die »Hände« der jeweiligen Abteilung. Zahlreiche Absolventen und Absolventinnen erfuhren erfolgreiche Karrieren in Akademie und Wirtschaft  ; beispielhaft genannt sei nur der erste Absolvent Ewald Kutzenberger, welcher später Generaldirektor der Statistik Austria wurde. Das IFAS machte zu dieser Zeit auch national auf sich aufmerksam  : die erste außerhalb Wiens stattfindende Jahrestagung der ÖSG wurde anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Studienrichtung 1998 an der JKU organisiert. Abbildung 2 zeigt die damalige und zu einem Gutteil auch noch bestehende Belegschaft des IFAS gemeinsam mit dem Präsidenten der ÖSG Peter Hackl. Nach den Berufungen von Sylvia Frühwirth-Schnatter (2003–2011) und Werner Müller (2006) als Nachfolger von Sixtl und Hafner und danach Andreas Futschik (2014) wurden die Modernisierungen wie die Umstellung auf die Bologna-Struktur und die Durchführung des Unterrichts in englischer Sprache in die Wege geleitet. Zuletzt konnte 2016 mit der Verleihung des vom European Statistical System europaweit an nur 21 Universitäten vergebenen EMOS-Labels26 ein großer Prestigeerfolg für den Studiengang erzielt werden. Und die Statistik an der TNF  ? Bereits nach dem Weggang Gerhard Derflingers 1972 wurde seine Professur in eine Lehrkanzel für Systemprogrammierung umgewidmet und entsprechend besetzt. Nach Adams Emeritierung 1988 wurde die Statistikausbildung von Helmut Beran geleitet, dessen Institut für Angewandte System111

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Abbildung 2: Jahrestagung der ÖSG anlässlich 30 Jahre Statistikstudium in Linz 1998: Friedrich Sixtl, Robert Hafner, Peter Hackl, Helga Wagner, Karl Schableger, Christine Duller, Andreas Quatember, Heinrich Potuschak, Anneliese Milly, Helmut Waldl (von links nach rechts, alle JKU außer Hackl). Bildnachweis: Andreas Quatember.

forschung und Statistik unter stets schrumpfender Personalausstattung nach seiner Pensionierung 2005 in eine Abteilung umfunktioniert wurde. Am Institut für Stochastik kam es nach der Emeritierung von Peter Weiß durch seine Nachfolgerin Evelyn Buckwar zu einer inhaltlichen Umorientierung, wiewohl die Statistikausbildung für die Mechatronik- (und Mathematik-)studierenden traditionell nach wie vor von diesem Institut getragen wird.

Fazit Es ist schwer zu sagen, ob es hauptsächlich an den durchsetzungsfähigen Protagonisten – einer davon war ja zur fraglichen Zeit noch dazu Rektor – oder den wenig durchstrukturierten, volatilen Organisationsformen der jungen Hochschule in Linz lag, dass diese innovative Idee realisierbar war. Noch schwieriger fällt die Beurteilung, ob sich die Voraussetzungen und das wissenschaftspolitische Umfeld schon so stark verändert haben, dass Ähnliches heutzutage überhaupt noch möglich wäre. Erst kürzlich wurde an der JKU die Einführung eines Masterstudiums »Data Science« diskutiert und bereits ein entsprechender Studienplan erarbeitet. Dabei han112

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delt es sich um ein interdisziplinäres Feld an der Schnittstelle zwischen Statistik und Informatik zur Erkenntnisgewinnung aus typischerweise unstrukturierten Daten,27 welches in den letzten zehn Jahren vor allem in den USA zu einem beinahe explosionsartigen Angebot an entsprechenden Studiengängen geführt hat. Durch die Flut der neuerdings in allen Lebensbereichen aufgezeichneten und gespeicherten Daten eröffnen sich gerade zahlreiche neue Betätigungsfelder für quantitative Analysten. Man kann darüber diskutieren,28 ob die Statistik nicht ohnehin die Kerndisziplin für den Umgang mit Daten darstellt und eine weitere Ausdifferenzierung des Faches deshalb nicht nötig ist. Jedenfalls aber wird auch der Studiengang Statistik durch stetige Anpassung den neuen Anforderungen Rechnung tragen müssen.29 Die Einrichtung eines eigenen Masterstudiums für »Data Science« an der JKU scheiterte 2016 allerdings, um es mit Adam zu sagen, an der »Ungunst der Zeit«.

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Werner G. Müller/Helmut Waldl

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Anmerkungen 1 Wichtige Informationen bezüglich der Anfangszeiten des Instituts für Statistik und Datenverarbeitung und des Studiums Sozial- und Wirtschaftsstatistik erhielten die Autoren in Gesprächen mit folgenden Linzer Statistikern der ersten Stunde  : Helmut Beran, seit 1967 Mitarbeiter am Institut für Systemwissenschaften (vormals  : Institut für Statistik und Datenverarbeitung)  ; Werner Pölz, studierte 1972–1977 Sozial- und Wirtschaftsstatistik an der JKU und war 1977–2013 Mitarbeiter am Institut für Systemwissenschaften (vormals  : Institut für Statistik und Datenverarbeitung)  ; Ewald Kutzenberger, der erste Absolvent der Studienrichtung Sozial- und Wirtschaftsstatistik (1967–1971), bis 1972 Assistent an der JKU, bis 1999 Statistischer Dienst der oberösterreichischen Landesregierung, dessen Leiter er ab 1985 war, 2000–2004 Vizepräsident der ÖSG  ; Heinrich Potuschak, studierte 1969–1973 Sozial- und Wirtschaftsstatistik an der JKU und war anschließend bis 2009 Mitarbeiter des Instituts für Angewandte Statistik. Besonderer Dank gebührt auch Wolfgang Reder vom Archiv der JKU, der in stundenlanger Recherche wichtige Dokumente aus der Gründungszeit des Statistikinstituts und des Statistikstudiums aushob. We are also grateful to Nicholas J. Horton, statistics professor at Amherst College, MA, USA for helpful comments on the history of statistics education in the United States. 2 Der eigentliche Studienbetrieb begann laut Vorlesungsverzeichnis im WS 1968/69. 3 Alexander Pinwinkler, Wilhelm Winkler (1884–1984). Eine Biographie. Zur Geschichte der Statistik und Demographie in Österreich und Deutschland (= Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 75), Berlin 2003. 4 Für eine ausführliche historische Darstellung des Faches siehe etwa Alain Desrosières, Die Politik der großen Zahlen  : Eine Geschichte der statistischen Denkweise, Berlin 2005. 5 Rudolf Carnap, Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, Wien 1959. 6 Harold Hotelling, The Teaching of Statistics, in  : The Annals of Mathematical Statistics, vol. 11, issue 4, 1940, S. 457–470  ; David S. Moore, Should Mathematicians Teach Statistics  ?, in  : The College Mathematics Journal, vol. 19, issue 1, 1988, pp.3–7. 7 Department of Statistical Science  : Department History, unter  : https://www.ucl.ac.uk/statistics/department/history, aufgerufen am 31.10.2016. 8 Alan Agresti and Xiao-Li Meng, Strength in Numbers  : The Rising of Academic Statistics Departments in the U. S., New York 2013. 9 Paul D. Minton, Discussion of Patrick L. Odell. A Historical Summary of Graduate Statistical Education

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in the Southwest, in  : Mitchell H. Gail and Norman L. Johnson (eds.), Proceedings of the American Statistical Association Sesquicentennial Invited Paper Sessions, American Statistical Association, Alexandria 1989, pp. 308–311. 10 Sreenivasa Rao Jammalamadaka, Some International Perspectives, in  : National Research Council (ed.), Modern Interdisciplinary University Statistics Education, Proceedings of a Symposium, National Academy Press, Washington DC, 1994, pp. 61–64. 11 Sechs Fragen an die Professoren, in  : Beilage des »Oberösterreichischen Tagblatts« zur Eröffnung der Universität, 8.10.1966. 12 Gerhart Bruckmann, Schätzung von Wahlresultaten aus Teilergebnissen, Wien 1966. 13 Gerhart Bruckmann, Aus der Werkstatt des Forschers, in  : Österreichische Hochschulzeitung, Jg.  20, H. 7, 1968, S. 22. 14 Adolf Adam, Rechenzentrum, in  : Österreichische Hochschulzeitung, Jg. 19, H. 6, 1967, S. 11. 15 Werner G. Müller studierte an der Universität Wien 1983-1987, Helmut Waldl an der Universität Linz 1983-1989. 16 Heute ist das Curriculum der Bologna-Architektur angepasst und in ein sechssemestriges deutschsprachiges Bachelorprogramm Statistik und ein viersemestriges englischsprachiges Masterprogramm Statistics gegliedert, siehe Studienrichtungen, unter http://www.jku.at/content/e262/e242/e2380, aufgerufen am 14.12.2016 17 Im Vorlesungsverzeichnis wurden bis Mitte der 1990er Jahre, offenbar aus übergangsrechtlichen Gründen, jedoch noch zwei Studienrichtungen – die Sozial- und Wirtschaftsstatistik und die Statistik – geführt. 18 Friedrich Sixtl, Sozial- und Wirtschaftsstatistik, in  : Gustav Otruba (Red.), Johannes Kepler Universität Linz. Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 1966–1976, Linz 1976, S. 86–87. 19 Das Fach hat in Dortmund allerdings außerordentlich gut floriert und verfügt dort mittlerweile über eine eigene Fakultät mit zehn Lehrstühlen, an der Programme für Statistik und Datenwissenschaften angeboten werden. 20 Nachlass Adolf Adam aus dem Archiv der JKU/N05, datiert 1977. AJKU, N05 Nachlass Adolf Adam, Ordinariat für Statistik, Angewandte Informatik und Bildungsökonomie (o. Datum), S. 1. 21 Adam bemühte sich ab 1969 auch beharrlich um die Umbenennung seiner Lehrkanzel, zunächst in »Theorie und Methodologie der reduktiven Wissenschaften«, dann in »Angewandte Informatik und Bildungsökonomie«. Derflinger übernahm zusätzlich die Leitung des Rechenzentrums der Universität. 22 Archiv der JKU/C01 Briefe Derflingers vom 30.12.1970. Vgl. AJKU, C01 Dekanat SOWIRE, 13, Mappe Prof. Sixtl, Schreiben von Rektor Derflinger an Dekan Bauerreiss vom 30.12.1970 sowie ebd., Schreiben von Rektor Derflinger an Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg vom 30.12.1970. 23 Firnberg war studierte Sozial- und Wirtschaftshistorikerin und beruflich im Bereich der Statistik tätig, so als Leiterin der Abteilung für Statistik in der niederösterreichischen Arbeiterkammer. 24 Nichtsdestotrotz scheint es wegen der Fakultätszuteilung dieser Professur zu einem erheblichen »Tauziehen« der beiden Fakultäten gekommen sein. Vgl. AJKU, C01 Dekanat SOWIRE, 13, Mappe Prof. Sixtl, Schreiben von Rektor Derflinger an Dekan Bauerreiss vom 3.12.1970  ; ebd., Gedächtnisprotokoll Prodekan Bodzenta vom 17.12.1970 über die Vorsprache bei den Präsidenten des Linzer Hochschulfonds  ; ebd., Schreiben von Dekan Bauerreiss an Rektor Derflinger vom 23.12.1970  ; ebd., Schreiben von Rektor Derflinger an Dekan Bauerreiss vom 30.12.1970 betr. Lehrkanzeln im Jahre 1971. Vgl. Briefverkehr Archiv der JKU/C01 Oktober-Dezember 1970. 25 Auch wenn es anlässlich des Weggangs Derflingers 1972 an die Wirtschaftsuniversität Wien nochmals zu einem Kompetenzgerangel zwischen den Fakultäten gekommen ist, siehe Briefverkehr Archiv der JKU/C01 Februar-Juni 1972. Vgl. AJKU, A00 Rektorat, Jacket 255, Schreiben von Dekan Runck an das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung vom 16.2.1972 betr. Antrag auf Betrauung mit

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der Supplierung der o. Lehrkanzel für Statistik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der ho. Hochschule  ; ebd., Schreiben von Dekan Runck an den Linzer Hochschulfonds betr. Supplierung der o. Lehrkanzel für Statistik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 19.4.1972  ; ebd., Schreiben des Geschäftsführers des Linzer Hochschulfonds an das Dekanat der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom 25.4.1972 betr. Supplierung der Lehrkanzel für Statistik an der TechnischNaturwissenschaftlichen Fakultät  ; ebd., Schreiben von Dekan Runck an den Linzer Hochschulfonds vom 3.5.1972 betr. Supplierung der Lehrkanzel für Statistik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät  ; ebd., Schreiben des Geschäftsführer des Linzer Hochschulfonds an das Dekanat der TechnischNaturwissenschaftlichen Fakultät Fakultät vom 5.6.1972 betr. Supplierung der Lehrkanzel für Statistik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. 26 European Statistical System, European Master (EMOS), unter  : http://ec.europa.eu/eurostat/web/ess/ about-us/emos, aufgerufen am 31.12.2016. 27 William S. Cleveland, Data Science  : an Action Plan for Expanding the Technical Areas of the Field of Statistics, in  : ISI International Statistical Review, vol. 69, issue 1, 2001, pp. 21–26. 28 Peter J. Diggle, Statistics  : a Data Science for the 21st Century, in  : Journal of the Royal Statistical Society, Statistics in Society, Series A, vol. 178, issue 4, 2015, pp. 793–813. 29 Markus Zwick, Statistikausbildung in Zeiten von Big Data, in  : AStA. Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, Jg. 10, H. 2–3, 2016, S. 127–139.

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Geschichtswissenschaft in Linz Die Anfänge Als im Oktober 1966 die Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz ihren Lehrbetrieb aufnahm, war das ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Da gab es keine Tradition, an die man, wie 1962 bei der (Neu-)Gründung der Universität in Salzburg, anknüpfen konnte. Vergleichbar war am ehesten die vier Jahre nach Linz (rechnet man die Aufnahme des Lehrbetriebs mit, waren es sogar 7 Jahre) gegründete Universität in Klagenfurt, die in ihren Anfängen der Bildungswissenschaft gewidmet war und die eine ähnliche innenstadtferne Campuslage aufwies. In weniger als einem Jahrzehnt, zwischen 1962 und 1970, waren drei neue Universitäten auf der Bühne der tertiären Ausbildung in Österreich erschienen. Sie waren der Startschuss für das gigantische Wachstum der Studierendenzahlen. Hochschulbildung war näher zu den Menschen gekommen, Kärntner und Kärntnerinnen mussten nicht mehr nach Graz, die jungen Menschen aus dem Mühl- oder Traunviertel nicht mehr nach Wien ziehen. Noch vor den Aufbruchsjahren der Ära Bruno Kreisky waren somit die Weichen dafür gestellt, dass regionale Herkunft kein entscheidendes Kriterium mehr war, um Zugang zu universitärer Bildung zu erhalten. Die neuen Universitätsstandorte vermittelten, zumindest vorerst, allerdings wenig Urbanität. Am Rande von kulturell damals nicht gerade auffälligen Städten entstanden Campus-Universitäten, der Weg in die Innenstädte war weit, emotional und auch tatsächlich verkehrsbedingt. Das galt nicht für Salzburg, wohl aber für Linz und Klagenfurt. Aber man sieht rückschauend auch klar die Stärken dieser Positionierung  : Man musste als Universitätsstandort etwas beweisen, und die Campusanlage verdichtete notwendigerweise die Binnenkommunikation zwischen jenen Menschen, die studierend oder lehrend die Universität zum Lebensmittelpunkt gemacht hatten. Wenn alle, mangels Alternativen, in die Mensa gehen, wenn alle um den rechteckig angelegten Teich spazieren, wenn fast alle in Gehweite zu den Hörsälen, den Büros und der Bibliothek wohnen, dann entsteht ein Biotop. Und wenn das Selbstverständnis der Neugründungen teilweise auch darin lag, quer zu eingefahrenen Strukturen zu lehren und zu forschen, dann hat, die richtigen handelnden Personen vorausgesetzt, dies das Potential, Neues entstehen zu lassen. Ich erinnere mich, wie ich im September 1970 mit Herbert Steiner, dem damaligen Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes, am Lin117

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zer Jägermayrhof am Freinberg gestanden bin. Herbert zeigte nach Osten, ins ferne Nebelgrau der damals wirklich mit schlechter Luft gesegneten Industriestadt. Dort, so sagte er mir damals, liegt die neue Hochschule. Wir, die Historiker und Historikerinnen der Arbeiterbewegung, die wir uns jährlich zur internationalen Tagung (ITH) in Linz rund um den Motor Herbert Steiner versammelten, hatten damals noch keine Idee davon, wie eng unsere Verflechtungen mit der jungen Hochschule noch werden sollten. Diese lag da irgendwo, für uns nicht sichtbar, am Rande der Stadt vor den Hügeln des Mühlviertels. Dabei gab es damals, 1970, schon zwei »Geschichteinstitute« an der Hochschule  : ein Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte und programmatisch ein Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (in Wien nennt sich dieses »Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte«), das damals noch als Lehrkanzel für Wirtschaftsund Sozialgeschichte firmierte und erst Ende der 1970er Jahre auch formal zu einem Institut wurde.1 Beide dienten den Haupt- und Studienfächern (von der Soziologie über die Betriebswirtschaft bis hin zur Volkswirtschaft) als die wichtigsten Wahlfächer, die den Studierenden den Blick auf breitere Zusammenhänge entlang der Zeitachse (und wohl auch der Raumachse) öffnen sollten. Und sie hatten die kulturelle und politische Dimension der Fächer einzubringen. Gustav Otruba kam 1967 als außerordentlicher Professor nach Linz und übernahm die Lehrkanzel für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (ab 1970 als ordentlicher Professor). Er hatte an der Wiener Arbeiterkammer, teilweise gemeinsam mit Hertha Firnberg, der späteren Wissenschaftsministerin und großen Förderin der neuen historischen Disziplinen, geforscht und sich 1965 in Wien habilitiert. Mit Jahresbeginn 1968 wurde Rudolf Kropf sein erster Assistent. Wenig später wurde Karl R. Stadler, der 1938 im letzten Moment Österreich verlassen konnte und in England mit seiner späteren Gattin Regina Aufnahme gefunden hatte, aus dem Exil zurück nach Österreich berufen und baute das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte auf. Gleichzeitig wurde er mit der Gründung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung betraut, dem ersten Ludwig Boltzmann Institut außerhalb der Felder Naturwissenschaften und Medizin. Sein erster Assistent wurde Gerhard Botz. Ihm folgte ein Jahr später Hans Hautmann nach. Während Gustav Otruba Udo Wiesinger als weiteren Assistenten holte, hatte ich persönlich das Glück, dass Wolfgang Neugebauer, der spätere Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, aus persönlichen Gründen nicht von Wien nach Linz wechseln wollte, wo ihm Karl R. Stadler eine Assistentenstelle angeboten hatte. Daher kam ich, schon vor meinem Studienabschluss in Wien, in den Genuss der dritten Assistentenstelle bei Stadler am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. Durch meine Promotion sub auspiciis praesicentis, die damals noch mit einem persönlichen Dienstposten belohnt wurde, wurde meine 118

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Stelle bald frei, und Josef Weidenholzer rückte nach. So konnte das Institut über vier Assistentenstellen verfügen. Ja, alle acht Personen an den beiden historischen Instituten waren Männer. Das entsprach leider auch der Gründungsidee der Hochschule, die bewusst nur Männer am Beginn zu Professoren ernannte. Heute mutet das seltsam an, die moderne Neugründung hinkte in ihrer Geschlechterpolitik hinter den alten Institutionen nach. Wien kannte Professorinnen, aber Linz war lange Männerbastion. Die Geschichteinstitute kann man aber nicht isoliert betrachten. An der Fakultät gab es etwa auch die Volkswirtschaft, wo, noch vor Karl R. Stadler, Kurt W. Rothschild aus dem Exil zurückgeholt worden war. Aus Polen war Kazimierz Łaski, geflüchtet und erhielt in Linz eine Professur  ; und das Institut, mit Ewald Nowotny als erstem Assistenten, setzte Glanzlichter und war den Geschichteinstituten und den dort arbeitenden Kollegen auch persönlich verbunden. Bis heute halten die damals geknüpften Netzwerke. Auch zur Soziologie und zur Betriebswirtschaft entwickelten sich enge Kontakte.

Die Standortvorteile Warum konnte aus dieser jungen Institution, der damaligen Hochschule für Sozialund Wirtschaftswissenschaften, so viel Schwung in die Geschichtswissenschaft unseres Landes getragen werden  ? Und warum funktionierte das ohne eine etablierte oder auch nur angedachte Studienrichtung Geschichte  ? Warum setzte sich Linz auch personalpolitisch so entscheidend in der österreichischen geschichtswissenschaftlichen Landschaft durch  ? Für diese Dynamik lassen sich mehrere Ursachen anführen  : 1. Linz musste offen sein, es gab (noch) keine »Schulen«, keine eigenen Absolventen und Absolventinnen im Fach, und auch mittel- und längerfristig keine hier ausgebildeten Historiker oder Historikerinnen. Daher musste man sich am überregionalen Markt um die Besetzungen der Professuren und um den mobilen wissenschaftlichen Nachwuchs bemühen. Dieser kam dominant aus Wien, war aber bewegungsbereit und hatte vor allem keine Standesdünkel gegenüber einer neu gegründeten »Hochschule« in einer Industriestadt, einer Institution, deren Zukunft ungewiss war und die erst später zur Universität wurde. Mir selbst war der damalige Unterschied zwischen »Hochschule« und »Universität« weder bewusst noch irgendwie von Bedeutung. Es ging um Menschen, um Themen und um Umsetzungsmöglichkeiten. 2. Die Rückholung zweier Emigranten nach drei Jahrzehnten in England brachte nicht nur internationale Kontakte in den Fächern Ökonomie (Kurt W. Roth119

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schild) und Zeitgeschichte (Karl R. Stadler), sondern auch ein angelsächsisches Verständnis von Universität, mit flachen Hierarchien und großer Eigenverantwortung auch schon der jüngsten Personen im Team. Was war das für ein Unterschied! In Wien begleiteten damals Assistenten die Professoren (die männliche Form ist hier durchaus angemessen) in die Vorlesungen, trugen Taschen und forderten die Studierenden auf, sich zu erheben, wenn der Professor den Raum betrat. In Linz hingegen hielten wir vom ersten Jahr an unsere eigenen Lehrveranstaltungen, betreuten Seminararbeiten und bestimmten unsere Forschungsrichtungen autonom. Eine sogenannte »Assistententätigkeit«, anderswo üblich, stand in Linz nicht auf der Liste der Anforderungen für die jüngeren Mitarbeiter im Team. 3. Nicht »Hauptfach« zu sein, das erlaubte, Lehre nach Neigung und nicht nach den Erfordernissen eines engen Studienplans zu halten. Die Lehre musste formal, also in der Benennung als Seminar, Proseminar, Vorlesung, Übung oder Privatissimum, ins System passen, war aber inhaltlich frei zu gestalten. Daraus ergab sich eine forschungsnahe und forschungsgeleitete Lehre, die dadurch also weniger Kapazität von der Forschungsarbeit zur Lehre abzog. Der Aufwand an Betreuungsarbeit war überschaubar, obwohl man auch an den Geschichteinstituten Abschlussarbeiten schreiben konnte. Die Zeit, die für die eigene, interessensgeleitete Forschung blieb, war jedenfalls ganz entscheidend größer als an den Traditionsuniversitäten, die Handlungsspielräume waren umfassender. 4. Dass es personenident mit der Neueren Geschichte und Zeitgeschichte das Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung gab, war ein echter Glücksfall. Es bedeutete, dass Forschungsresultate sofort den Weg in die Öffentlichkeit fanden (über die Publikationsreihen später), es bedeutete aber vor allem, dass eine politisch interessierte und engagierte Gruppe von Forschern und Forscherinnen sich über gemeinsame oder verwandte Themenfelder zusammenfand, national und international. Das Fach Geschichte sollte sich in den öffentlichen Diskurs einbringen, Stellung beziehen und mündige, kritische Menschen heranbilden. »Geschichte als demokratischer Auftrag«2 war daher auch der Titel jener Festschrift, die zum 70. Geburtstag von Karl R. Stadler 1983 versuchte, diese Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit zu beschreiben. Bis heute kann diese Sammlung als paradigmatische Darstellung unseres damaligen Wissenschaftsverständnisses dienen. 5. Das öffentliche Interesse, das der jungen Hochschule entgegengebracht wurde, war enorm. Daher war die Einbettung in den Weiterbildungssektor eine Selbstverständlichkeit. Volkshochschule (Stadler war auch Präsident des österreichischen Volkshochschulverbandes), politische Bildung (Stadler war Gründungsrektor des 1972 errichteten Dr.-Karl-Renner-Instituts), Gewerkschaften und Kammern fragten zumindest wöchentlich um Vorträge an. Daher boten sich 120

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auch Forschungsthemen entlang den Nachfragen der Öffentlichkeit an. Das hatte vor allem mit der charismatischen Persönlichkeit von Karl R. Stadler zu tun, mit dessen langjähriger Erfahrung in der englischen Erwachsenenbildung und mit dessen klarer und allgemein akzeptierter politischer Positionierung (was nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass auch die junge Hochschule voll von Ängsten gegenüber den »Linken«, den Emigranten und Emigrantinnen u. ä. war, deren Vertreter und Vertreterinnen aber nicht den damaligen Mainstream darstellten. Dennoch bekamen dies vor allem die jüngeren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oftmals deutlich zu spüren, etwa in Sitzungen oder Habilitationsverfahren). 6. Dass mit der ITH, die damals Forscher und Forscherinnen zu Fragen der Arbeitergeschichte aus aller Welt jährlich zusammenführte, Linz für einige Tage ein wissenschaftlicher (historischer und politischer) Hotspot werden konnte, gab auch den Geschichtefächern an der Hochschule kräftige Impulse. Eric Hobsbawm, Felix Kreisler und andere erlaubten uns, breite Sichtweisen kennenzulernen. Von Japan bis Afrika ging der Blick, und er ging auch quer zu praktisch allen damaligen »linken« Fraktionen der Welt. Die Konflikte innerhalb der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg wurden von damaligen Teilnehmern und Teilnehmerinnen 40 Jahre später noch einmal heftig ausgetragen. Der Militärputsch in Chile war emotional voll präsent, und Israelis wie Perez Mechav trafen in Linz auf Palästinenser. Chinesen stießen auf Amerikaner und Amerikanerinnen, und sogar Nordkorea zeigte Interesse. Der Februar 1934 wurde an einem der damaligen Schauplätze mit größtem Engagement und aller symbolischen Überhöhung nacherzählt und nachempfunden. Man war an einer Nahtstelle von Wissenschaft und Politik, mit aller Leidenschaft. Arbeitergeschichte war auch international damals das Fach der Jungen, modern, dynamisch und damit ansprechend für kritische Geister. 7. Die Einbindung in eine Fakultät der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften bot den Anreiz, das Fach Geschichte methodisch neu zu positionieren. Gerade Gerhard Botz konnte mit seinen Kursen zu (vorerst) quantitativen Methoden neue Impulse setzen und damit eine Pionierfunktion in der Methodendiskussion innerhalb der österreichischen Geschichtswissenschaft einnehmen, die er dann als Ordinarius in Salzburg weiter ausbauen und über die Ergänzung mit qualitativen Methoden festigen konnte. Gemeinsame Lehre mit anderen Fächern (»Geschichte und Ökonomie«) zwang dazu, die eigenen Methoden und Theorien an den Nachbardisziplinen zu messen und gegebenenfalls zu Adaptionen, jedenfalls aber zum intensiven Dialog bereit zu sein. 8. Als in der Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts als vierter Band das Buch »Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945«3 von Hans Hautmann und Rudolf Kropf als gemeinsames Werk der beiden Geschichteinstitute erschien, wurde, bei aller Kritik, die heute an diesem Text geübt werden kann 121

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und wohl auch muss, ein leicht rezipierbares Schlüsselwerk für die politische Erwachsenenbildung in Österreich geliefert. Über Jahre war das Buch beliebte und wertvolle Grundlage für viele, die sich damals den Fragen der Arbeitergeschichte näherten. Und Arbeitergeschichte hatte weltweit Konjunktur. Methodisch innovativ und inhaltlich von politischer Relevanz, sprach sie die Generation der »68er« ganz unmittelbar an. Die Bereitschaft, auch populärwissenschaftlich zu agieren, führte das Fach nahe an die Öffentlichkeit heran. 9. Die Studierenden der jungen Hochschule kamen dominant aus nicht-urbanen, meist sogar bildungsfernen Schichten. Aus dem Mühl- oder Innviertel und den anderen Landesteilen zog man zur Universität und lebte dort oftmals in einem der Studentenheime, die rund um den Campus entstanden. Der Weg in die Stadt war weit, so entfaltete sich das soziale und politische Leben rund um die Studierendenheimlandschaft. Nicht wenige Personen, die heute in Politik und Gesellschaft Spitzenpositionen einnehmen, stammen aus diesem Biotop. Ob das das Haus der katholischen Hochschulgemeinde oder aber das WIST-Haus (Heim der »Wirtschaftshilfe der Studierenden Oberösterreichs«) war, Akademiker und Akademikerinnen der ersten Generation schulten sich dort in Streitgesprächen oder beim abendlichen gemeinsamen Bier. Und waren es nicht die Studentenheime, dann waren es die Wohnungen oder Reihenhäuser der Familien Stadler, Nowotny oder Botz.

Die Lehre Mit nostalgischen Gefühlen nehme ich in der Bibliothek der JKU die alten Vorlesungsverzeichnisse in Empfang. Ich habe mich entschieden, die Sommersemester der Jahre 1975, 1980 und 1985 durchzusehen. Das sind Momentaufnahmen, lassen aber doch ein paar Schlüsse zur Entwicklung des Faches zu. Schon die Personalstandseite von 1975 ist aufschlussreich. Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte kann nur auf drei Personen als Stammpersonal verweisen (Gustav Otruba, Rudolf Kropf und im Sekretariat Monika Horner), die expandierende Einrichtung Neuere Geschichte und Zeitgeschichte nennt hingegen acht  : Karl R. Stadler, Gerhard Botz, Hans Hautmann, Helmut Konrad, Josef Weidenholzer. Dazu Johann Schauer als wissenschaftliche Hilfskraft und im Sekretariat Renate Krösslhuber und Renate Steindl. Das Lehrangebot sah in »Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Volkskunde« eine Überblicksvorlesung »Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Neueren Zeit II« von Gustav Otruba, ein dazugehöriges Proseminar von Rudolf Kropf und, von beiden gemeinsam geleitet, ein Seminar »Wirtschafts- und Sozialgeschichte Oberösterreichs im 20.  Jahrhundert« und ein Privatissimum vor. Die volkskundliche Ergänzung bot ein Seminar zu den oberösterreichischen Bauernkriegen (Ernst Burgstaller). 122

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Die Zeitgeschichte bot zwei Vorlesungen von Karl R. Stadler an  : »Österreich und die Neuordnung Europas nach 1945« sowie »Geschichte Europas im 20.  Jahrhundert«. Gerhard Botz hielt ein Seminar zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert, Konrad ein Proseminar zum Imperialismus, Hautmann ein Proseminar zur Arbeitergeschichte, Botz noch ein Proseminar zu Österreich. Spannend sind die Gastlehrenden  : Adolf Wagner hielt eine Lehrveranstaltung zu den Anfängen der Arbeiterbewegung in den nicht-deutschsprachigen Teilen der Habsburgermonarchie und Michael S. Voslensky, der Dissident, zum Thema friedliche Koexistenz aus westlicher und östlicher Sicht.4 Voslensky, der mit seinem Buch über die Nomenklatura, die herrschende Klasse in der Sowjetunion, weltweit Aufsehen erregt hatte, zog als Lehrbeauftragter in Linz auch das Interesse der Staatspolizei auf sich, die seine Lehrveranstaltungen überwachte und protokollierte, welche Personen anwesend waren. Die Staatspolizei und die junge Universität, das ist zudem eine ganz eigene Geschichte. Dieser erste Blick in die Lehre von 1975 zeigt klar, dass auch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zeitgeschichtelastig war, also das 20.  Jahrhundert im Fokus hatte, mit Ausnahme ihrer volkskundlichen Ergänzung. Und der Blick zeigt auch die Fixierung auf Österreich, während die Zeitgeschichte den Blick sehr viel weiter auf globale Zusammenhänge richtete (zumindest in der Lehre). Fünf Jahre später war das Bild anders. Otruba las über die Entstehung des Kapitalismus und über Kapitalismustheorien, Kropf über Industrialisierung und Infrastruktur. Der Blick war also deutlich weiter geworden. Im anderen Institut hingegen las Konrad zur Regionalgeschichte, Hautmann zur österreichischen Arbeiterbewegung, Botz zum 25. Juli 1934, d. h. zum gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten. Allerdings bot Botz bereits ein Seminar zur Oral History an (Mauthausen und Auschwitz), Stadler hielt die Bastion der europäischen Geschichte, und Wagner und Voslensky boten ihre Spezialgebiete an. Reinhard Kannonier, später eine Zentralfigur nicht nur an der JKU, bot eine Lehrveranstaltung zu politischen Konflikten im 20.  Jahrhundert an, er war zum Team des Instituts gestoßen, in dem Gerhard Botz nach seiner Habilitation zum Professor aufgestiegen war. Damit war, neben Josef Weidenholzer, der von der Linzer Soziologie gekommen war, mit einem Politik- und Musikwissenschaftler eine zusätzliche methodische Erweiterung gewonnen worden.5 Das Ludwig Boltzmann Institut hatte sich in der Zwischenzeit nach Salzburg ausgeweitet. Rudolf Ardelt und Ingrid Bauer arbeiteten dort. In Wien waren Helene Maimann, Raimund Löw, John Bunzl und andere dem Institut verbunden. Die Tagungen »Justiz und Zeitgeschichte«, die Karl R. Stadler gemeinsam mit Erika Weinzierl leitete, boten ein weiteres institutionalisiertes Standbein.

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Der Generationswechsel 1985 waren Gerhard Botz und Helmut Konrad nicht mehr im Personalstand, im Vorlesungsverzeichnis sind sie aber noch zu finden,6 zeichnet dieses doch, zumindest damals, die Karrieren der ehemaligen Angehörigen des Hauses nach. Gerhard Botz startete seine Arbeit als Ordinarius in Salzburg mit dem Wintersemester 1980, Helmut Konrad begann mit dem Sommersemester 1984 in Graz den neugegründeten Lehrstuhl zur Allgemeinen Zeitgeschichte aufzubauen. Das Institut in Linz hatte sich somit gründlich verändert. Den Lehrstuhl bezog nach Stadlers Emeritierung 1986 Rudolf Ardelt, mit ihm kamen Erika Thurner und Gabriella Hauch nach Linz. Das restliche Stammpersonal (Hautmann und Kannonier) war habilitiert, Gabriella Hauch und Herbert Edlinger ergänzten das Team. Auch im Sozial- und Wirtschaftsgeschichteinstitut zeichnete sich ein Generationswechsel ab. Roman Sandgruber folgte Gustav Otruba 1988 in der Professur nach, inzwischen war auch Michael John nach Linz gekommen, Josef Moser war neben Rudolf Kropf, dem zweiten Professor am Institut, neuer Assistent geworden, und die Riege der Lektoren und sonstigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erweiterte sich mit Gerhard Pfeisinger, Susan Zimmermann und anderen. Damit waren Personen in den beiden Instituten, die innerhalb der österreichischen Geschichtswissenschaft ein markantes Standing hatten und dieses auch an ihre neue Wirkungsstätte mitbrachten. Anderthalb Jahrzehnte nach der Gründung war also der personelle Wechsel vollzogen. In der Lehre rückten, wenn auch langsam, andere Themen ein. Mit Roman Sandgruber und Rudolf Ardelt waren zwei Persönlichkeiten aus der ersten Reihe der nächsten Generation an die Spitze der beiden historischen Institute getreten. Beide ausgeprägte, auch politisch (durchaus nicht immer im Einklang) denkende und agierende Persönlichkeiten, so sollten sie den beiden historischen Instituten der Johannes Kepler Universität neue Richtungen vorgeben. Und beide haben regionale Wurzeln in Oberösterreich, was sich bei Sandgruber auch auf die Forschungs- und Umsetzungsthemen auswirkte. Sandgruber, aus der Wiener Schule um Alfred Hoffmann und Michael Mitterauer, hatte sich 1982 mit der Studie über die Anfänge der Konsumgesellschaft habilitiert. Sein breiter Blick auf die Wirtschaftsgeschichte wird aber vor allem im großen Band »Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter zur Gegenwart«7 in der Reihe »Österreichische Geschichte«, herausgegeben von Herwig Wolfram, deutlich. Als Gestalter zahlreicher Ausstellungen in Oberösterreich, als Mitglied der österreichischen Historikerkommission zur Erforschung des »Vermögensentzuges« während der Zeit des Nationalsozialismus und später erfolgten Entschädigungen sowie als scharfzüngig politischer Kommentator gab Roman Sandgruber dem Institut ein klares Profil. Dass er mit Michael John, aus dessen Feder (als Koautor mit Albert Lichtblau) das populäre Werk »Schmelztiegel Wien«8 stammt, 124

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einen kritischen Geist ans Institut bekam und im Jahr 2000 habilitierte, gab der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zusätzliche Dynamik. Ein Jahr später habilitierte sich Michael Pammer am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Mit Roman Sandgruber, Rudolf Kropf, Michael John und Michael Pammer reihte man sich ganz weit vorne unter den historischen Instituten Österreichs ein. Wie Sandgruber ist auch Rudolf Ardelt Oberösterreicher. Und auch er hatte sich 1982 habilitiert, bei Erika Weinzierl in Salzburg, und zwar mit dem bis heute vielbeachteten Buch zu Friedrich Adler.9 Nach der Habilitation leitete er neben seiner Tätigkeit am Historischen Institut der Universität Salzburg auch die Außenstelle des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung in Salzburg. Gerhard Botz war inzwischen Erika Weinzierl am Lehrstuhl in Salzburg nachgefolgt, und Rudolf Ardelt wurde 1986 der Nachfolger von Karl R. Stadler in Linz. Das Ludwig Boltzmann Institut hatte inzwischen mit Helmut Konrad auch ein Grazer Standbein, räumlich und personell der Abteilung Zeitgeschichte am Institut für Geschichte der Karl Franzens Universität verbunden. Geschichte der Arbeiterbewegung geriet aber als Teildisziplin der historischen Wissenschaften in den Folgejahren in eine Identitätskrise. Die Implosion des Sowjetimperiums schien das »Ende der Geschichte«10 einzuleiten, jedenfalls aber brachte es das Ende teleologischer Geschichtsinterpretation. Geschichte der Arbeiterbewegung hatte aber zum Fundament, dass der Lauf der Geschichte zielgerichtet sei. So sah das Fach plötzlich alt aus, wirkte gestrig und hatte die Triebwerksfunktion der 1970er Jahre eingebüßt. Der »cultural turn« führte schließlich zu einer Umorientierung und Umbenennung. Aus »Geschichte der Arbeiterbewegung« wurde »Gesellschafts- und Kulturgeschichte«, und bald schrumpfte das Ludwig Boltzmann Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte aus pragmatischen Gründen auf seinen Grazer Standort zusammen. Dennoch, auch die Neuere Geschichte und Zeitgeschichte zeigte weiterhin ein enormes Standing. Neben Rudolf Ardelt und Hans Hautmann hatten sich Reinhard Kannonier und Gabriella Hauch habilitiert. Kulturgeschichte und Geschlechtergeschichte waren damit exemplarisch besetzt und dominierten den Diskurs. Rudolf Ardelt prägte zudem als langjähriger Rektor die Johannes Kepler Universität und verlieh ihr in großen Zügen die heutige Gestalt.

Der Marsch durch die Institutionen Gerade das Verständnis der historischen Disziplinen an der Universität Linz als Fächer nah an der Gegenwart und an jenen Fragen, die die Gesellschaft bewegen, führte dazu, dass die dort arbeitenden Personen in einem Maß an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen, das für die österreichische 125

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Hochschullandschaft wohl einmalig ist. Schon Karl R. Stadler selbst war der Gründungsrektor des Dr.-Karl-Renner-Instituts, der politischen Akademie der SPÖ, und gleichzeitig auch Präsident des österreichischen Volkshochschulverbandes. Dass er auch bei der Gründung des Instituts für Gesellschaftspolitik an der JKU Pate stand, ist ein weiteres Indiz dieses als gestaltend verstandenen »demokratischen Auftrags«. Über das Institut für Gesellschaftspolitik, das der Zeitgeschichte personell verbunden war, wurde Josef Weidenholzer Präsident der österreichischen Volkshilfe und schließlich Abgeordneter zum Europäischen Parlament. In die Öffentlichkeit hinein wirken auch jene Personen aus den Instituten, die sich in großen Ausstellungen (wie Roman Sandgruber) oder in Medien (wie Michael John) einbringen und die Diskussionen beflügeln. Wie überhaupt auch um das Ludwig Boltzmann Institut immer wieder Personen in Projekte und Publikationen eingebunden waren, die in der österreichischen Medienlandschaft zentrale Rollen spielten. Manche wurden zu führenden Gestaltern oder Gestalterinnen der österreichischen Medienlandschaft. Dazu zählen in ganz besonderem Maße Helene Maimann, Raimund Löw oder Peter Pelinka. Besonders auffallend ist aber wohl, dass aus dem kleinen Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte praktisch die Hälfte der dort agierenden Personen gestaltende Funktionen in der österreichischen Hochschullandschaft einnahmen oder sogar noch einnehmen. Helmut Konrad wurde zwei Jahre nach Dienstantritt in Graz schon zum Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät gewählt. Eine zweite Funktionsperiode, für die er gewählt worden war, wurde durch seine Wahl zum Rektor rasch beendet. In zwei Perioden im Rektorat positionierte er die altehrwürdige (und historisch eher national-konservative) Karl-Franzens-Universität nachhaltig um. Rudolf Ardelt wurde 2000 Rektor der JKU, und sein Wirken über zwei Perioden hat sich signifikant in das Erscheinungsbild der modernen Universität eingeschrieben. Reinhard Kannonier, damals schon eine zentrale Gestalt des Linzer Kulturlebens, wurde 2000 Rektor der Kunstuniversität Linz und steht im unglaublichen 17. Jahr seiner Amtszeit. Er ist damit ein Rektor, der auf eine außergewöhnlich lange und klare Zustimmung im eigenen Haus blicken kann und der die Kunstuniversität Linz international sichtbar gemacht hat. Dass auch, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, vom Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte universitäre Gestalter kamen, wie Gustav Otruba als Dekan der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und Roman Sandgruber als Senatsvorsitzender, das zeigt, neben dem Wirken von Josef Weidenholzer in Europa, dass Geschichte tatsächlich als ein gesellschaftlicher Auftrag verstanden wurde. Es war und ist in Linz ein Fach, deren Angehörige die Stimme erhoben und erheben. Auch das Wirken von Gabriella Hauch in Linz (und in der Folge ebenso an der Universität Wien) ist in diesem Zusammenhang signifikant. Dass vom Kern-Team der Zeitgeschichte aber zumindest jeder Zweite eine Gestaltungsfunktion übernommen hat, ist außergewöhnlich. Und dass ein kleines 126

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und junges Institut drei Rektoren an drei verschiedenen Universitäten hervorbringt, und das innerhalb eines einzigen Jahrzehnts, das dürfte in der österreichischen Universitätslandschaft ein statistischer Ausreißer nach oben sein. Dieses gesellschaftliche Engagement hat auch mit der alten Vorstellung der kritischen Generation der 1960er Jahre vom Marsch durch die Institutionen zu tun. Und ja  : Die Institutionen wurden verändert. Sie wurden durch diese Personen offener, engagierter und zu lauten Stimmen in der Gesellschaft. Umgekehrt haben aber auch die Institutionen die handelnden Personen verändert, manches abgeschliffen und die jeweilige Kompromissbereitschaft erhöht. Das erzählen die individuellen Biographien der aus den Instituten hervorgegangenen Politiker, Rektoren oder anderer öffentlicher Funktionsträger. Das Sein bestimmt eben unvermeidlich auch das Bewusstsein.

Die Publikationen Wissenschaft lebt davon, dass die Forschungsresultate publiziert und somit einer breiteren, zumindest fachnahen Öffentlichkeit übermittelt werden. Das geht bis heute selten ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand. Nur wenige Texte werden Bestseller und spielen die Kosten der Produktion auch wieder ein. Dabei ist es für akademische Karrieren unerlässlich, dass man auf ein möglichst umfangreiches Publikationsverzeichnis verweisen kann. Positionen an den Universitäten werden bis heute über die qualitative, vor allem aber auch quantitative Bewertung des wissenschaftlichen Outputs vergeben und nicht über die Qualitäten in Lehre oder Wissenschaftsorganisation. Das gilt natürlich auch über die österreichische Wissenschaftslandschaft hinaus. Da war es in den 1970er Jahren ein Glücksfall, dass die Kooperationsschiene zwischen dem Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung und dem Europaverlag in Wien, der sich in Händen des ÖGB befand, praktisch ein umfassendes Publizieren ohne das langwierige Suchen um Subventionen und potentielle Förderschienen möglich machte. Dass Stadler ganz besonders enge persönliche Kontakte zu Mitgliedern der SPÖ-Alleinregierung unter Bruno Kreisky hatte, erleichterte das Auftreiben von Publikationsmitteln noch zusätzlich. In den etwa anderthalb Jahrzehnten ab 1973 erschienen in drei Publikationsreihen (Publikationen des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung  ; Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung  ; Materialien zur Arbeiterbewegung) über 100 Bücher. Auch Gustav Otruba,11 Rudolf Kropf12 und Michael John13 publizierten in diesen Reihen. Insgesamt lesen sich die Autoren und Autorinnen wie ein »Who is Who« der linken und liberalen Geschichtswissenschaft Österreichs und darüber hinaus. Die Mitarbeiter und (die 127

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wenigen) Mitarbeiterinnen des Ludwig Boltzmann Instituts selbst waren natürlich überrepräsentiert. Daneben aber waren exemplarisch Autoren und Autorinnen wie Anton Pelinka,14 Wolfgang Neugebauer,15 Ernst Hanisch,16 Felix Kreissler,17 Heidemarie Uhl,18 John Bunzl,19 Karl Flanner,20 Raimund Löw,21 Peretz Merchav,22 Arye Gelbard,23 Harald Walser,24 Peter Pelinka,25 Karin Schmidlechner,26 Willibald Holzer,27 Wolfgang Maderthaner,28 oder Harald Troch29 vertreten. Und es galt als Anerkennung, wenn man in einer der drei Reihen publizieren durfte. Abgestuft zwischen den repräsentativen Hardcoverausgaben der »Publikationen« über die schönen Bände der »Schriftenreihe« bis hin zu den günstigen Paperbacks der Materialien spannten sich die Veröffentlichungsmöglichkeiten. Es mutet sich aus heutiger Sicht fast paradiesisch an, dass gute Texte, Dissertationen, Habilitationsschriften oder aber auch Konferenzprotokolle, Sammelbände und klassische Monographien praktisch ungehindert und ohne die heutige Notwendigkeit von zusätzlichen Finanzmitteln einfach publiziert werden konnten. Ganz so paradiesisch war dies für die Betroffenen Reihenherausgeber allerdings nicht. Das Lektorat lag in den Händen des Teams des Boltzmann Instituts, was manche Nacht des Durcharbeitens bedeutet hat. Allerdings weiteten sich durch diese Tätigkeit methodisch und inhaltlich das eigene Spektrum und der eigene Blickwinkel auf die Forschung. Man sah sich mit Themen konfrontiert, die außerhalb der eigenen Felder lagen, und man war danach mit dem jüdischen Arbeiterbund Russlands30 im Revolutionsjahr 1917, mit der Emigration in Australien31 oder aber mit den Bauernabgeordneten im österreichischen Reichstag 1848/4932 vertraut. All das wirkte natürlich auch auf die Lehre und auf die eigene Vortragstätigkeit zurück. Vor allem aber brachte es Netzwerke und Kontakte, etwa zu den Emigranen und Emigrantinnen von Australien bis Kanada. Es war auch diese massive Publikationswelle, die Linz mit Nachdruck auf die Landkarte der Scientific Community setzte. Dass neben den Möglichkeiten rund um das Ludwig Boltzmann Institut und den Europaverlag ebenfalls publiziert wurde, sei nur am Rande vermerkt. Es gab Reihenherausgaben im Böhlau-Verlag, Bücher bei Fink,33 Veröffentlichungen in großer Zahl in unterschiedlichsten Verlagen des In- und Auslandes. Die Produktivität der Historiker und Historikerinnen war ja, wie schon ausgeführt, auf die exzellenten Rahmenbedingungen für die Forschung zurückzuführen.

Heute Noch immer haben die historischen Institute an der Johannes Kepler Universität eine Sonderstellung im Rahmen der österreichischen universitären Geschichtelandschaft. Sie sind bis heute nicht in ganz großem Ausmaß mit der Aufgabe betraut, ein 128

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Geschichtestudium anzubieten und abzuwickeln  – wenn auch ihre zentrale Funktion in den Studienprogrammen von Global Studies bis zum Tourismus unübersehbar ist und seit dem Wintersemester 2016/2017 im Rahmen des »Clusters Mitte« das Lehramtsstudium in Zusammenarbeit mit der Universität Salzburg und den Pädagogischen Hochschulen in beiden Bundesländern angeboten wird. Und vielleicht liegt darin auch, zumindest in absehbarer Zeit, ein Grundstein für eine Geisteswissenschaftliche Fakultät als notwendigen Bestandteil einer Volluniversität. Adam Wandruszka hat schon sehr bald, wie Gerhard Botz in seiner »Festschrift« zum 75.  Geburtstag 2016 wieder einmal erwähnte, von einer »Linzer Schule« der Geschichtsschreibung gesprochen34 und dabei explizit immer auf Botz, Konrad und Weidenholzer, später auch auf Ardelt verwiesen. Sowohl Gerhard Botz als auch ich sind nicht überzeugt davon, dass dies damals als Kompliment gemeint war. Aber es war sicher die Anerkennung einer Themenführerschaft und eines für Österreich wohl äußerst ungewöhnlichen wissenschaftlichen Outputs. »Schule« deutet aber auch auf methodische Nähe hin, und die ist doch eher nur bedingt feststellbar. Es sind eher die Inhalte als die Methoden, die für die Anfangsjahre der Linzer historischen Institute eine »Schule« konstituierten. Gehe ich heute über den Linzer Campus, so kommt noch immer Vertrautheit auf. Wohl sind Gebäude dazugekommen, und der Campus erstreckt sich inzwischen weit über die Altenbergerstraße. Der Teich ist mit einem Kaffeehaus überbaut, und die Stringenz der frühen Architektur, die sich an Modellen wie der Universität Bochum orientierte, ist heute der postmodernen Gefälligkeit gewichen. Aber es gibt noch den Teich in Rechteckform, es gibt noch die Mensa, die immer noch gleich riecht, und es gibt immer noch den klassischen Campuscharakter. Nach weit über drei Jahrzehnten der Abwesenheit erstaunt es, dass man doch noch vertraute Gesichter erblickt, Kollegen und Kolleginnen, mit denen man zusammengearbeitet, gestritten oder diskutiert hat. Auhof ist ein Dorf geblieben, und unsere damals jungen Kollegen und Kolleginnen sind heute die Silberrücken im Biotop Johannes Kepler Universität. Von den Geschichteinstituten geht aber gerade heute wieder eine veränderte, aber bemerkenswerte Dynamik aus. Der nächste Generationsschritt ist bereits vollzogen. Ernst Langthaler führt das Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Marcus Gräser nun doch schon einige Jahre das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. Beide orientieren sich an globalgeschichtlichen Fragestellungen, was sinnvollerweise schon in der Ausschreibung gefordert worden war. Die Einbindung in die österreichische universitäre Forschungs- und Lehrlandschaft ist bemerkenswert gut, immer wieder halten, auch von meinem Grazer Institut aus, Personen aus anderen Standorten in Linz Lehre. So kann man also festhalten, wie ich es in meinem Beitrag zur Festschrift für Gerhard Botz benannt habe  : Es geht zum Glück noch immer sehr viel an gestalterischer Energie »von Linz aus«.35 129

Helmut Konrad

Literatur Ardelt, Rudolf G., Friedrich Adler. Probleme einer Persönlichkeitsentwicklung um die Jahrhundertwende, Wien 1984. Botz, Gerhard, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1934, München 1978. Botz, Gerhard, Zeitgeschichte zwischen Politik, Biographie und Methodik, in  : Historische Sozialforschung. HSR Supplement 28, Köln 2016, S. 23–101. Bunzl, John, Klassenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung, Wien 1978. Flanner, Karl, Die Anfänge der Wiener Neustädter Arbeiterbewegung 1865 bis 1868, Wien 1975. Fukuyama, Francis, Das Ende der Geschichte, München 1992. Gelbard, Arye, Der jüdische Arbeiter-Bund Rußlands im Revolutionsjahr 1917, Wien 1982. Hanisch, Ernst, Der kranke Mann an der Donau. Marx und Engels über Österreich, Wien 1978. Hautmann, Hans u. Kropf, Rudolf, Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik, Wien 1978. Holzer, Willibald, Politischer Widerstand gegen die Staatsgewalt. Historische Aspekte – Problemstellungen – Forschungsperspektiven, Wien 1985. John, Michael, Wohnverhältnisse sozialer Unterschichten im Wien Kaiser Franz Josephs, Wien 1984. John, Michael u. Lichtblau, Albert, Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien, Wien 1990. Konrad, Helmut (Hg.), Geschichte als demokratischer Auftrag. Karl R. Stadler zum 70. Geburtstag, Wien 1983. Konrad, Helmut, Von Linz aus. Die Formierung der österreichischen Zeitgeschichte, in  : Berger, Heinrich u. a. (Hg.), Politische Gewalt und Machtausübung im 20.  Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011, S. 47–57. Kreissler, Felix (Hg.), Fünfzig Jahre danach – Der »Anschluss« von innen und außen gesehen, Wien 1989. Löw, Raimund, Otto Bauer und die russische Revolution, Wien 1978. Maderthaner, Wolfgang (Hg.), Arbeiterbewegung in Österreich und Ungarn bis 1914, Wien 1986. Merchav, Peretz, Linkssozialismus in Europa zwischen den Weltkriegen, Wien 1978. Neugebauer, Wolfgang, Bauvolk der kommenden Welt. Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Österreich, Wien 1975. Otruba, Gustav, Wiener Flugschriften zur Sozialen Frage 1848, Wien 1980. Pelinka, Anton, Stand oder Klasse  ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938, Wien 1973. Pelinka, Peter, Erbe und Neubeginn. Zur Geschichte der Revolutionären Sozialisten 1934– 1938, Wien 1981. 130

Geschichtswissenschaft in Linz

Rektorat der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personalverzeichnis, Sommersemester 1975, Linz 1975. Rosdolsky, Roman, Die Bauernabgeordneten im konstituierenden österreichischen Reichstag 1848/49, Wien 1976. Sandgruber, Roman, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995. Schmidlechner, Karin Maria, Die steirischen Arbeiter im 19. Jahrhundert, Wien 1983. Troch, Harald, Rebellensonntag. Der 1. Mai zwischen Politik, Arbeiterkultur und Volksfest in Österreich (1890–1918), Wien 1991. Uhl, Heidemarie, Geschichte der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Ersten Republik, Wien 1991. Universitätsdirektion der Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personenverzeichnis, Sommersemester 1980, Linz 1980. Universitätsdirektion der Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personenverzeichnis, Sommersemester 1985, Linz 1985. Vaury, Frank (Weinreb, Franz), Der Zaungast. Lebenserinnerungen, Wien 1983. Walser, Harald, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938, Wien 1983.

Anmerkungen   1 In diesem Zusammenhang wurde aus der »Wirtschafts- und Sozialgeschichte« auch die »Sozial- und Wirtschaftsgeschichte«.   2 Helmut Konrad (Hg.), Geschichte als demokratischer Auftrag. Karl R. Stadler zum 70. Geburtstag, Wien 1983.   3 Hans Hautmann u. Rudolf Kropf, Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik, Wien 1978.   4 Rektorat der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personalverzeichnis, Sommersemester 1975, Linz 1975, S. 47, S. 49, S. 201 f.   5 Universitätsdirektion der Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personenverzeichnis, Sommersemester 1980, Linz 1980, S. 26 und S. 174 ff.   6 Universitätsdirektion der Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Studienführer. Verzeichnis der Lehrveranstaltungen. Personenverzeichnis, Sommersemester 1985, Linz 1985, S. 35.   7 Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995.   8 Michael John u. Albert Lichtblau, Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien, Wien 1990.  9 Rudolf G. Ardelt, Friedrich Adler. Probleme einer Persönlichkeitsentwicklung um die Jahrhundertwende, Wien 1984. 10 Francis Fukuyama, Das Ende der Geschichte, München 1992. 11 Gustav Otruba, Wiener Flugschriften zur Sozialen Frage 1848, Wien 1980. 12 Siehe Fußnote 2. 13 Michael John, Wohnverhältnisse sozialer Unterschichten im Wien Kaiser Franz Josephs, Wien 1984.

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Helmut Konrad

14 Anton Pelinka, Stand oder Klasse  ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938, Wien 1973. 15 Wolfgang Neugebauer, Bauvolk der kommenden Welt. Geschichte der sozialistischen Jugendbewegung in Österreich, Wien 1975. 16 Ernst Hanisch, Der kranke Mann an der Donau. Marx und Engels über Österreich, Wien 1978. 17 Felix Kreissler (Hg.), Fünfzig Jahre danach – Der »Anschluss« von innen und außen gesehen, Wien 1989. 18 Heidemarie Uhl, Geschichte der steirischen Kammer für Arbeiter und Angestellte in der Ersten Republik, Wien 1991. 19 John Bunzl, Klassenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung, Wien 1978. 20 Karl Flanner, Die Anfänge der Wiener Neustädter Arbeiterbewegung 1865 bis 1868, Wien 1975. 21 Raimund Löw, Otto Bauer und die russische Revolution, Wien 1978. 22 Peretz Merchav, Linkssozialismus in Europa zwischen den Weltkriegen, Wien 1978. 23 Arye Gelbard, Der jüdische Arbeiter-Bund Rußlands im Revolutionsjahr 1917, Wien 1982. 24 Harald Walser, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938, Wien 1983. 25 Peter Pelinka, Erbe und Neubeginn. Zur Geschichte der Revolutionären Sozialisten 1934–1938, Wien 1981. 26 Karin Maria Schmidlechner, Die steirischen Arbeiter im 19. Jahrhundert, Wien 1983. 27 Willibald Holzer, Politischer Widerstand gegen die Staatsgewalt. Historische Aspekte – Problemstellungen – Forschungsperspektiven, Wien 1985. 28 Wolfgang Maderthaner (Hg.), Arbeiterbewegung in Österreich und Ungarn bis 1914, Wien 1986. 29 Harald Troch, Rebellensonntag. Der 1. Mai zwischen Politik, Arbeiterkultur und Volksfest in Österreich (1890–1918), Wien 1991. 30 Siehe Fußnote. 22. 31 Frank Vaury (Franz Weinreb), Der Zaungast. Lebenserinnerungen, Wien 1983. 32 Roman Rosdolsky, Die Bauernabgeordneten im konstituierenden österreichischen Reichstag 1848/49, Wien 1976. 33 Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918–1934, München 1978. 34 Gerhard Botz, Zeitgeschichte zwischen Politik, Biographie und Methodik, in  : Historische Sozialforschung. HSR Supplement 28, Köln 2016, S. 59. 35 Helmut Konrad, Von Linz aus. Die Formierung der österreichischen Zeitgeschichte, in  : Heinrich Berger u. a. (Hg.), Politische Gewalt und Machtausübung im 20.  Jahrhundert. Zeitgeschichte, Zeitgeschehen und Kontroversen. Festschrift für Gerhard Botz, Wien 2011, S. 47–57.

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Christian Holzner

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

Die Entwicklung eines Fachs zu beschreiben, das als wissenschaftliches so alt ist wie die europäischen Universitäten selbst, stellt ganz eigene Herausforderungen. Neu kann naturgemäß nicht das Fach selbst sein  ; eher schon die Herangehensweise an das Fach und der Umgang mit ihm, und auch das nur in engen Grenzen. An sich ist das Zivilrecht, um dessen Durchdringung seit den römischen Juristen die besten Köpfe der Zunft gerungen haben, über weite Strecken in einem ungleich höheren Maß wissenschaftlich aufgearbeitet als junge Wissenschaftsbereiche. Für viele Fragen gibt es Lösungsmodelle, die die Jahrhunderte hindurch immer wieder auf ihre Tauglichkeit hin abgeklopft und im Bedarfsfall angepasst wurden. Bisweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es sei alles schon einmal dagewesen oder zumindest angedacht worden. Das gilt freilich nur für die Metaebene, und es betrifft obendrein nur jene Bereiche, die in ihrem Kern unverändert geblieben sind. Letzteres ist leicht erklärt  : Dass etwa das heutige Familienrecht mit dem des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) 1811 nur mehr wenig gemeinsam hat, wird auch juristischen Laien sofort einleuchten, sofern sie sich für gesellschaftliche Entwicklungen interessieren. Mit der Metaebene sind die gemeinsamen Wurzeln der europäischen Rechtssysteme gemeint, also insbesondere das Römische Recht in der durch das Corpus Iuris Civilis Justinians kompilierten Form und seine gemeinrechtliche Fortentwicklung, die lokalen – in unserem Fall germanistischen – Einflüsse und nicht zuletzt die Kanonistik. Mit dem Erstarken der Zentralstaaten im 18.  Jahrhundert ging freilich auch das Bestreben einher, die Beziehungen der »Bürger unter sich« – der cives – zu kodifizieren, also mannigfaltige lokale Einflüsse zurückzudrängen und durch eine wohldurchdachte einheitliche Regelung zu ersetzen. Dabei brachen die Verfasser des ABGB 1811 im Laufe seiner fünfzigjährigen Kodifikationsgeschichte da und dort auch ganz bewusst mit Traditionen. Das betrifft insbesondere Bereiche, in denen es galt, eine kontroverse oder allzu komplexe, tradierte Rechtslage durch klarere, leichter handhabbare gesetzliche Modelle abzulösen. Nur so konnte der angestrebte hohe Abstraktionsgrad verwirklicht und das gesamte Zivilrecht in die nur 1502 Paragraphen des ABGB 1811 gegossen werden. Mit der Erlassung der großen europäischen Kodifikationen an der Wende zum 19.  Jahrhundert  – Preußisches Allgemeines Landrecht (ALR) 1794, Code Civil 135

Christian Holzner

1804, ABGB 1811  – war der Weg in eine nationale und damit länderweise eigenständige Zivilrechtsentwicklung vorgezeichnet. Das bedingte auch eine nationale Zivilrechtswissenschaft, da es galt, die jeweils eigene Rechtsordnung dogmatisch zu durchdringen und fortzuentwickeln. Zwar hat die nach den großen Kodifikationen in Deutschland einsetzende historische Schule des 19. Jahrhunderts die gemeinsamen Wurzeln wieder aufgearbeitet und nicht nur die Gesetzwerdung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) maßgeblich beeinflusst, sondern auch auf die Auslegung der älteren Kodifikationen zurückgestrahlt. An der Ausgangslage, nämlich den länderweise durchaus verschiedenen nationalen Zivilrechten, hat aber nicht einmal die beginnende europäische Rechtsvereinheitlichung durch die EU Maßgebliches geändert. Sie betrifft bislang vor allem Randbereiche wie das Verbraucherrecht. Es gibt also weiterhin nicht einmal auf europäischer Ebene »das Zivilrecht« schlechthin, sondern nur die Zivilrechte der einzelnen Staaten. Entsprechendes gilt im Wesentlichen auch für die Zivilrechtswissenschaft, die sich, wo es um die Lösung konkreter Rechtsfragen und damit ans Eingemachte geht, mit der Dogmatik der jeweiligen nationalen Rechtsordnung auseinandersetzen muss, aber auch die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung nicht scheuen darf. Verharrte sie auf der unverbindlichen Metaebene einer – vielleicht idealen, aber real nirgends existierenden – Sollensordnung, würde sie ungehört verhallen und ihrer dienenden Aufgabe an der Gesellschaft nicht gerecht werden. Was aber hat das alles mit der Entwicklung des Zivilrechts in Linz zu tun  ? Sehr viel, wie gleich zu zeigen sein wird. Es gehört zu den Leitlinien der Linzer Zivilrechtswissenschaft – man könnte fast von einer »Linzer Schule« sprechen1  –, dass sich die Bedeutung der Normen des ABGB insbesondere aus seiner historischen Entwicklung und dem ihm innewohnenden eigenständigen System erschließt. An erster Stelle muss die Auseinandersetzung mit dem österreichischen Gesetzesmaterial und seiner Redaktionsgeschichte stehen und nicht die mit den Ideen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich auch gerne vom weit größeren Wissenschaftsraum des übermächtigen deutschen Nachbarn inspirieren haben lassen (und das nicht nur in Bereichen, die da wie dort ähnlich geregelt sind). Als Paradebeispiel kann gleich die erste an der JKU entstandene, 1970 eingereichte zivilrechtliche Habilitationsschrift von Karl Spielbüchler dienen, »Der Dritte im Schuldverhältnis«.2 Sie zeigt eindrucksvoll, dass das auf dem Grundsatz der kausalen Tradition beruhende Übereignungssystem des ABGB gerade in mehrpersonalen Verhältnissen unmittelbare Auswirkungen auf sachen- und bereicherungsrechtliche Folgen zeitigt, die sich von denen des abstrakten Übereignungssystems im deutschen BGB ganz grundlegend unterscheiden. Bei vielen, die sie vollständig gelesen (und im Großen und Ganzen verstanden) haben, hat sie tradierte bzw. importierte juristische Gedankengebäude hinweggefegt und durch neue, dem ABGB gemäßere ersetzt. Wahrscheinlich ist sie – auch wegen der 136

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

gebietsübergreifenden Breite ihres Ansatzes – die am meisten zitierte zivilrechtliche Habilitationsschrift der letzten 50 Jahre in Österreich. Für den Beginn war das natürlich ein Paukenschlag, dem noch weitere Marksteine folgten, so 1974/75 Rudolf Reischauers Habilitationsschrift »Der Entlastungsbeweis des Schuldners«.3 Sie befasst sich mit dem schillernd mehrdeutigen Verschuldensbegriff des ABGB, der einmal rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten bedeutet, bisweilen aber auch nur das Verschulden im engeren Sinn meint. Der Schuldinhalt bestimmt die Beweislast auf der Ebene der Rechtswidrigkeit  : Bei Erfolgsverbindlichkeiten muss der schädigende Schuldner zu seiner Entlastung nachweisen, dass er sorgfaltsgemäß gehandelt hat (§ 1298 ABGB), bei bloßen Sorgfaltsverbindlichkeiten trifft die Beweislast für die Sorgfaltswidrigkeit den Geschädigten. Hier findet eine intensive Auseinandersetzung mit den entstehungsgeschichtlichen Wurzeln des österreichischen Schadenersatzrechtes statt  ; die gewonnenen Ergebnisse werden anhand einzelner Vertragstypen auf ihre Einbettung in das Nichterfüllungs- und Leistungsstörungsrecht des ABGB hin überprüft. Die Darstellung soll hier aber nicht in eine Chronologie wissenschaftlicher Publikationen ausarten. Vielmehr geht es darum, zu analysieren, wer oder was diese wissenschaftliche Erfolgsgeschichte in den Gründungsjahren ausgelöst hat. Da ist – nicht nur chronologisch – an allererster Stelle Rudolf Strasser zu nennen, der Doyen des österreichischen Arbeitsrechts. Er hat in der Personalauswahl eine glückliche Hand bewiesen und eine Reihe origineller Köpfe als Assistenten an sein Institut geholt. Als stellvertretender Kammeramtsdirektor der oberösterreichischen Arbeiterkammer hatte er der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eine extern fertiggestellte Habilitationsschrift für Arbeitsrecht – man kann es kaum anders sagen – ohne jede Vorankündigung auf den Tisch geknallt,4 für die die Fakultät einen Zuständigen erst ausfindig machen musste, weil es eine facheinschlägige Professur gar nicht gab (letztlich traf es den Römischrechtler Hans Kreller, der im Deutschland der Zwischenkriegszeit auch arbeitsrechtlich geforscht hatte). Nach der Habilitation für Arbeitsrecht 1957 und Zivilrecht 1964 wurde er zum ao. Univ.-Prof. an der Universität Wien ernannt und am 1.7.1965 an die damals noch gar nicht eröffnete Linzer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften berufen. Strasser strotzte vor Energie – Karl Spielbüchler hat bei der Überreichung der Festschrift zum 70.  Geburtstag seinen Auftritt am Institut mit dem Beginn des 4.  Satzes von Bruckners 8. Sinfonie verglichen – und war in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen gut vernetzt (Aufsichtsrat der vöest etc.). Ihm gelang es 1966, Karl Spielbüchler von einer Richterstelle weg auf eine wissenschaftliche Laufbahn zu locken5 (Extraordinarius in Linz 1971, Ordinarius 1973). Er hat so verschieden geartete Charaktere wie den von einer Bilanzbuchhalterstelle über eine Abendmatura6 zum Jusstudium gelangten Rudolf Reischauer (Ordinarius für Zivilrecht 1976, JKU), Peter Jabornegg (Ordinarius für Handelsrecht 1982, JKU, und ab 1993 Strassers Nachfolger im 137

Christian Holzner

Arbeitsrecht), Konrad Grillberger (Ordinarius für Arbeits- und Sozialrecht 1983, Universität Salzburg) und Robert Rebhahn (Extraordinarius in Klagenfurt 1986, Professor an der Humboldt-Universität Berlin 1996, Univ.-Prof. für Arbeitsrecht in Wien seit 2003) als Mitarbeiter ausgewählt und »ins eiskalte Wasser geworfen«, wie Reischauer es ausgedrückt hat.7 Wer oben blieb, taugte als Wissenschaftler und machte seinen Weg. Ein Erfolgsrezept dabei war offenbar  : Auch wer dem Arbeitsrechtsinstitut und damit einem Sonderprivatrecht entstammte, hatte sich bei Strasser zudem im allgemeinen Zivilrecht zu habilitieren.8 Die solide Kenntnis der Muttermaterie scheint grundsätzlicheres und damit originelleres Denken auch in den Sonderprivatrechten zu begünstigen, und sie sorgt für eine fruchtbringende Erdung in den allgemeinen Grundlagen des Privatrechts. Stellvertretend sei Peter Jabornegg genannt, der nicht nur eine sehr eigenständige zivil- und handelsrechtliche Habilitationsschrift verfasst,9 sondern auch das Unternehmens- und dann das Arbeitsrecht sowie im Grenzbereich zwischen diesen Fächern liegende Materien um viele grundlegende Beiträge bereichert hat. Den zweiten entscheidenden Schritt setzte man mit der Berufung von Peter Rummel10 1970 auf ein Extra- und 1971 auf ein Ordinariat. Als Assistent von Franz Bydlinski – damals Professor in Bonn – folgte er diesem nach Wien, wo er sich 1970 habilitierte.11 Der »kühle Westfale«12 (bzw. Rheinländer) und nüchterne Dogmatiker hat sich – wohl auch dank seinem österreichischen Lehrer – in das österreichische Recht in einer Weise hineingearbeitet, wie das nur sehr wenigen seiner Landsleute gelang. Viele bleiben ja immer dort, wo sie aufgewachsen sind. Rummel war die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und damit ein Glücksfall für Linz. Nicht weniger glücklich fügte sich, dass er sich mit Spielbüchler auf eine ausgleichende Weise ideal ergänzte. Hatte Spielbüchler in einer Diskussion im Linzer Konversatorium über aktuelle Literatur zu weit vom Boden abgehoben, konnte Rummel ihn wieder einfangen. So entstanden legendäre Streitgespräche, die auch den Nachwuchs entscheidend prägten. Dabei vertrug man sich auf der persönlichen Ebene gut, begünstigt wohl auch durch gemeinsame Interessen (etwa an klassischer Musik). An einem Strang zogen Spielbüchler und Rummel insbesondere auch in der Lehre. An der Universität Wien waren sie in den 1960er Jahren mit einem Ausbildungssystem konfrontiert worden, das die Studierenden in Massen zu außeruniversitären »Paukern« trieb. Dafür zeichnete die nicht immer optimale Qualität der Vorlesungen, aber auch der hohe Anteil an externen Prüfern verantwortlich. Die als abschreckend empfundenen Wiener Verhältnisse taten ihre Wirkung  ; in Linz wollte man den Lehr- und Prüfungsbetrieb anders aufziehen. Qualitativ hochwertige Vorlesungen, Abhaltung von Übungen nur durch Habilitierte, Fachprüfungen nur durch das universitätseigene habilitierte Personal und ein immer ausgeklügelteres Nachbereitungssystem durch Repetitorien sorgten dafür, dass sich »Pauker«-Kurse nie ernsthaft etablieren konnten. Was an Vorbereitung notwendig war, leistete die 138

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

Universität selbst. Dabei waren die Ansprüche durchaus hoch  : Landeshauptmann Josef Pühringer hat bei Ausflügen der Professoren und Professorinnen wiederholt mit Stolz betont, dass er das Rigorosum im Zivilrecht bei Karl Spielbüchler auf Anhieb mit »Genügend« bestanden hat. Auch im Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften hatte man in den 1960er und 1970er Jahren vor den Prüfungen im Zivilrecht ähnlichen Respekt wie vor jenen in der Volkswirtschaftslehre. Die Kehrseite dieser Ansprüche war freilich, dass im Kernfach Bürgerliches Recht eine nicht unerhebliche Zahl der Studierenden noch in den 1980er Jahren nach Salzburg auswich, begünstigt durch ein damals noch österreichweit einheitliches Rechtsstudium. Dass sich in dieses System der bereits erwähnte und 1976 berufene Rudolf Reischauer nahtlos einfügte, verstand sich fast von selbst  : Er stammte ohnehin aus dem eigenen Stall, war kurz vor der Habilitation von Strasser zu Rummel gewechselt. Dazu kam dann Ende 1977 noch Peter Apathy, Sub-Auspiciis-Absolvent des zweiten Linzer Studienjahrgangs, beheimatet am Institut für Römisches Recht bei Marianne Meinhart (1972/73 die erste Dekanin, die einer Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Österreich – damals noch in Gestalt der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät – vorstand). Sie hatte dafür gesorgt, dass Apathy nicht nur bei ihr, sondern auch beim prominenten Romanisten Max Kaser in Hamburg ausgebildet und im Zivilrechtsbereich von Helmut Koziol unter die Fittiche genommen wurde (der selbst in den 1960er Jahren kurz eine Professur in Linz innehatte,13 bevor man ihn nach Wien berief). Apathy hat bei einer Feier anlässlich seiner Emeritierung Ende September 2016 selbst betont, dass man ihm bei seiner Berufung von Seiten des Zivilrechts einen hohen Vertrauensvorschuss eingeräumt habe, weil er bis dato vor allem zum Römischen Recht publiziert hatte. Diesen Vorschuss löste er umgehend durch drei grundlegende Monographien zum Privatrecht ein,14 denen viele weitere Arbeiten zum österreichischen Zivilrecht folgten (das ihn in den letzten Jahrzehnten wissenschaftlich weit intensiver beschäftigte als das Römische Recht). Dass sich auch Apathy als Romanist und Dogmengeschichtler in diesem »Linzer« Ansatz der Deutung des österreichischen Zivilrechts aus seiner spezifischen Entstehungsgeschichte wiederfand und ihn auch zu bereichern vermochte, verwundert natürlich nicht. Als zentraler Nukleus für die Wissenschafts- und Streitkultur im Zivilrecht muss nun das »Konversatorium über aktuelle Literatur« ins Blickfeld rücken. Peter Rummel und Karl Spielbüchler haben es kurz nach ihrer Ernennung bereits im WS 1971/72 eingerichtet, und es lebt bis heute fort. Fast alle Assistenten und Assistentinnen des Zivilrechts haben seither daran teilgenommen, aber auch viele Interessierte aus den Sonderprivatrechten.15 Bei so manchem/mancher weckte es erstmals die Lust auf eigene wissenschaftliche Tätigkeit. Das Konzept war einfach. Vorgetragen – meist durch den Mittelbau – wurden fremde publizierte wissenschaftliche Beiträge oder von besonders Mutigen auch eigene Publikationsvorhaben. Und dann wurde 139

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diskutiert, und zwar nicht etwa erst im Nachhinein, sondern ad hoc und obendrein in gebührender Lautstärke  – ein Beitrag zur Stimmbildung, der dazu geführt hat, dass unter den hauseigenen Habilitierten niemand flüstert. Man wäre sonst nicht zu Wort gekommen. Was den Vortrag eigener Elaborate anlangt, hat Meinhard Lukas anlässlich der Emeritierungsfeier von Peter Rummel von einem »Stahlbad« gesprochen. Hatten aber die Thesen im internen Probelauf standgehalten, waren sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für den Außenauftritt gut gerüstet. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch gut an seine Verblüffung, als er nach frisch bestandener Prüfung aus bürgerlichem Recht auf Anraten von Marianne Meinhart 1982 erstmals als Zuhörer am Konversatorium teilnahm. Da erwies sich plötzlich fast alles, was so gelehrt wurde und in den Büchern stand, auf einer höheren Ebene auch als angreifbar. Alles hinterfragen, alles anzweifeln, nichts unbesehen übernehmen  ; das hat uns vor allem Spielbüchler eindrucksvoll vorexerziert (auch wenn er dann und wann von Rummel wieder auf den Boden geholt werden musste). Hier wurde uns klargemacht, dass vor allem ein System- und Grundlagenwissen zu guten Lösungen führt, die es dann aber noch anhand praktischer Fälle zu überprüfen gilt. Beim Erfinden von Fallvarianten zur Probe bewies Spielbüchler fast unerschöpfliche Phantasie und einen pointierten Humor mit Sinn für das Unerwartete. Was haben wir oft gelacht  ! Dass spielerisches Herangehen an ein Problem und ernsthaftes Bemühen um eine Lösung einander nicht ausschließen, sondern sinnvoll ergänzen können, war eine ganz wichtige Erkenntnis. Immer wieder hat auch Peter Apathy durch sein fundiertes dogmengeschichtliches Wissen übereilten Annahmen mit einer nüchternen Ausführung den Boden entzogen. Und nach Peter Jaborneggs scheinbar naiven Wortmeldungen (»Darf ich eine blöde Frage stellen  ?«) zerfiel so manches zunächst plausibel erscheinende Gedankengebäude zu Staub (schade, dass ihm ab seiner Berufung ins Arbeitsrecht 1993 bei gleichzeitig aufrecht gebliebenem Interesse am Unternehmensrecht die Zeit fehlte, auch noch am zivilrechtlichen Konversatorium teilzunehmen). Gerade für uns damals Junge war es beeindruckend, welcher Erkenntnisgewinn aus einer solchen von Spontaneität geprägten Konfrontation verschiedener origineller Köpfe in eineinhalb Stunden entstehen konnte. Aus vorgetragenen fremden Themen entstanden nicht selten Gegenschriften (obligatorische Frage zum Schluss  : »Also wir glauben das alles nicht, wer schreibt jetzt was dagegen  ?«). Die hier vorgelebte Streitkultur bewirkte freilich auch, dass man Kontroversen innerhalb des Instituts nicht als unschicklich empfand, sondern durchaus lustvoll austrug. Als Beispiele ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien die Diskussionen über Rechtsnatur und Folgen des Zurückbehaltungsrechts des Werkunternehmers genannt (Spielbüchler einer- und Rummel sowie Jabornegg andererseits, aber auch Apathy mit einem dritten Ansatz) oder die zum Redlichkeitsbegriff und dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (Spielbüchler und Ferdinand Kerschner gegen Apathy und den Rest der Welt). Dem Institutsklima haben sie am allerwenigsten geschadet. 140

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Manchmal hielt das Schicksal auch seine schützende Hand über das Institut  : 1976 hatten sich Spielbüchler und Rummel beide auf zwei Stellen in Graz beworben, und beide waren erstgereiht. Man wollte entweder gemeinsam weggehen oder gar nicht. Da ereilte Spielbüchler mit erst 36 Jahren der Ruf an den Verfassungsgerichtshof (VfGH), und Rummel riet ihm sehr zu, diesen auch anzunehmen. So kam die junge Fakultät zu ihrem ersten Verfassungsrichter, obendrein dem am längsten amtierenden, den der Gerichtshof in seiner fast 100-jährigen Geschichte je hatte (von 1976 bis Ende 2009). Dass er bislang nur im Privatrecht gearbeitet hatte, konnte einen Juristen mit seiner Abstraktionsfähigkeit nur kurz bremsen (obwohl er zeitlebens immer betonte, kein Verfassungsrechtler zu sein). Bald hatte er die Materie so verinnerlicht, dass er gemeinsam mit dem späteren VfGH-Präsidenten Karl Korinek jahrzehntelang eine der treibenden Kräfte des Gerichtshofs bildete. Beim Gedächtnissymposium für den 2012 allzu früh überraschend Verstorbenen hat Präsident Korinek Spielbüchlers bestimmende Rolle ebenso gewürdigt wie seinen pointierten Humor (die von Korinek mitprotokollierten und launig zum Besten gegebenen Bonmots aus den Beratungen waren einer der Höhepunkte der Feier).16 Dieser Ruf an den VfGH hatte zur Folge, dass Spielbüchler der Universität Graz wegen seiner nunmehr eingeschränkten Arbeitskraft das Aufrechthalten seiner Bewerbung nicht zumuten wollte. Rummel hat mir obendrein jüngst geschildert, dass auch die räumliche Ausstattung am damals neuen Juridikum (damals prosaisch  : »Institutsgebäude II«) in Linz befriedigender gewesen sei als die veraltete in Graz. Kurzum  : Letztlich blieben beide in Linz. Nicht auszudenken, wie die Linzer Entwicklung ohne diese beiden Galionsfiguren verlaufen wäre  ! Die Bedeutung für den Standort wird sofort klar, wenn man sich die Außenwirkung des 1984 in erster Auflage fertiggestellten, zweibändigen »Rummel«-Kommentars zum ABGB in Wissenschaft und Praxis vergegenwärtigt.17 Er signalisierte am deutlichsten, wie schnell Linz im Zivilrecht zu den renommierten Standorten der Rechtswissenschaften aufgeschlossen hatte. Als Idee war das Projekt schon in den 1970er Jahren geboren worden. Als es dann um die Ausführung und damit um die mit viel Arbeit verbundene Herausgeberschaft ging, blieb von den dafür Vorgesehenen nur noch Peter Rummel übrig (auch der mit ins Auge gefasste Wiener Ordinarius Rudolf Welser wollte letztlich nur als Autor zur Verfügung stehen). Ein kompakter Kommentar zu ABGB und Nebengesetzen, ähnlich dem deutschen BGBKommentar von Otto Palandt, mit renommierten Professoren und herausragenden Praktikern (fast ausschließlich von den Höchstgerichten) als Autoren – so lautete die Vorgabe. Und mit starkem Linzer Anteil  : Neben Rummel selbst, Reischauer, Spielbüchler und Strasser auch der bei Projektbeginn noch in Linz weilende Ordinarius für Handelsrecht Josef Aicher (ebenfalls habilitierter Zivilrechtler), der dann aber bereits Anfang 1982 an die Universität Wien berufen wurde. Von seinem Erscheinen an war der Kommentar das »Flaggschiff« des Instituts, und er ist es bis heute 141

Christian Holzner

geblieben. Als einzigem Werk dieses Umfangs gelingt es den Herausgebern (ab der 4. Auflage neben Peter Rummel auch Meinhard Lukas) nach wie vor, die strengen Anforderungen an die Qualifikation der Autoren und Autorinnen aufrechtzuerhalten, auch weil es eine hohe Auszeichnung bedeutet, daran mitwirken zu dürfen. Die Bereitschaft Rummels, erforderlichenfalls Kärrnerarbeit zu leisten (wenn auch mit hohem Renommee verbundene, was freilich vielen nur als schwacher Trost erschiene), vor allem aber die fachliche Wertschätzung durch seinen Lehrer Franz Bydlinski zog 1989 eine zweite mit viel Arbeit verbundene Auszeichnung nach sich, nämlich die Übernahme der Schriftleitung der »Juristischen Blätter« (JBl) von Bydlinski (zunächst noch gemeinsam mit Hans Klecatsky und ab 1990 alleine  ; seit seiner Emeritierung 2009 gemeinsam mit Meinhard Lukas). Dabei handelt es sich um nichts weniger als die über die Fachgrenzen hinweg renommierteste juristische Fachzeitschrift in Österreich (mittlerweile im 138. Jahrgang). Von ihrem kritischen Herausgeber-Board abgelehnte Beiträge finden ihren Weg dann oft noch in andere Fachzeitschriften. Dass es für ein Institut nicht nur reputierlich, sondern auch sonst von Vorteil ist, wenn eines seiner Mitglieder eine hochrangige Fachzeitschrift leitet, bedarf keiner besonderen Erklärung. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch gut an eine Strategiesitzung Anfang der 2000er Jahre im Senat, in der seitens der Sozial- und Wirtschaftswirtschaftlichen Fakultät das Fehlen einer Herausgeberschaft von Fachzeitschriften an der eigenen Fakultät bedauert wurde (er konnte damals für die Rechtswissenschaftliche Fakultät auf die Schriftleitung der »Juristischen Blätter« ebenso verweisen wie auf jene des »Rechts der Umwelt« [RdU] durch Ferdinand Kerschner und den langjährigen, auf Rudolf Strasser zurückgehenden Einfluss des Linzer Arbeitsrechtsinstituts auf die Fachzeitschrift »Das Recht der Arbeit«). Zur Rolle des Wissenschafters in der Praxis hatten die in den 1970er Jahren ernannten Zivilrechtler einen sehr unterschiedlichen Zugang. Bei Rudolf Reischauer etwa verdrängte mit den Jahren das wissenschaftliche Interesse an der Durchdringung seiner umfangreichen Passagen im »Rummel-Kommentar« alles andere fast völlig. Sein Nachbohren in diffizilen Bereichen des Leistungsstörungs-, Schadenersatz- und Erfüllungsrechts, in denen andere längst aufgegeben hatten, hat Alleinstellungsmerkmale  ; ich kenne kaum einen anderen arrivierten Zivilrechtler, der so wie er auch nach der Emeritierung für einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn jegliches Opfer auf sich zu nehmen bereit ist. Selbst seine führende Betätigung im Arbeitskreis zur Reform des Schadenersatzrechts erklärt sich vor allem aus dem wissenschaftlichen  – und demokratiepolitischen  – Zugang, dass ein Gesetzgeber die maßgeblichen Pflöcke selbst einschlagen muss und nicht jede dogmatisch schwierige Frage einem beweglichen System und damit den Gerichten überlassen darf. Peter Apathy war von Anfang an vor allem Wissenschaftler, bei seiner romanistischen Herkunft auch kein Wunder. Angesichts der Breite, Qualität und Zahl seiner Publikationen konnte aber auch ein so stiller, bescheidener und zugleich äußerst dis142

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

ziplinierter Tüftler wie er der Praxis nicht verborgen bleiben. Das hat zu einer erheblichen Zahl von eingeladenen Vorträgen auch vor Praktikern und Praktikerinnen geführt, etwa zur Treuhandschaft oder zum Erbrecht. Sein Zugang blieb aber immer ein wissenschaftlicher  ; die wissenschaftlich taugliche Erklärung gab den Maßstab vor, nicht die Bedürfnisse der Praxis. Karl Spielbüchler dagegen kam zwar als Richter aus der Praxis an die Universität, doch waren seine wissenschaftlichen Arbeiten völlig von dogmatischen und syste­ mischen Überlegungen getragen. Sie wurzelten freilich stets im vernunftrechtlichen Konzept des ABGB, das eine taugliche Regelung für die Masse der Fälle treffen wollte und seine Normen nicht auf ausgerissene Sonderfälle ausgerichtet hat. Gute dogmatische Erklärungen hatten einfach zu sein und durften nicht in juristische Hirngespinste ausarten, die der Realität Gewalt antun. Sein Konzept für die Übereignung im Dreieck ist da ein Paradebeispiel. Umgekehrt war ihm seine unmittelbar praxiswirksame Tätigkeit als Verfassungsrichter so wichtig, dass er Gutachtensaufträge sogar im verfassungsfernen Zivilrecht stets mit der Begründung kategorisch ablehnte, er wolle auf keinen Fall eine Befangenheit riskieren und sich damit die Möglichkeit nehmen, bedeutsame Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs selbst mitzugestalten. Peter Rummel ging einen anderen Weg. Er begann Anfang der 1980er Jahre in Kontakt zu Linzer Wirtschaftskanzleien zu treten und diese mit Beratung und Gutachten zu unterstützen. Die Universität sollte auch auf diese Weise ihre Präsenz am Standort und ihre Fähigkeit zur Lösung praktischer Probleme zeigen. Dazu kam seine zunehmend gefragte Tätigkeit als Mitglied von Schiedsgerichten, die 2005/06 im Vorsitz beim Streit um die Restitution der Klimt-Bilder an Maria Altmann (»Goldene Adele« etc.) gipfelte. Den Kontakt zur Justiz und den Auftrag der JKU zur Weiterbildung sollte ein in den 1990er Jahren eingerichtetes und mit dem (nunmehrigen) Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes (OGH) Hansjörg Sailer gemeinsam abgehaltenes »Seminar über aktuelle Judikatur für Praktiker« am Oberlandesgericht (OLG) Linz sicherstellen, in dem aktuelle Entscheidungen des OGH aus dem Privatrecht analysiert und – wenn nötig – kritisch beleuchtet sowie alternative Lösungen entwickelt werden. Als weiterer Mitveranstalter kam später Ferdinand Kerschner dazu. Mit Rummels Emeritierung 2009 ist Christian Holzner nachgerückt, nach Kerschners Pensionierung 2014 Andreas Riedler. Die Veranstaltung dient zunehmend auch der Anwaltschaft zur Weiterbildung. Rummels gute Kontakte zur Praxis waren zudem behilflich, das Institut für Bankrecht ins Leben zu rufen, das von seiner Schülerin Silvia Dullinger geleitet wird und auf Vereinsbasis insbesondere Vorträge, Diskussionen und Workshops zu bankrechtlichen Themen organisiert und eine Schriftenreihe18 herausgibt. Als Mitglieder fungieren nicht nur alle namhaften oberösterreichischen Banken, sondern auch Wirtschafts-, Arbeiter-, Rechtsanwalts- und Notariatskammer. Das und die umsich143

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tige Leitung des Instituts gewährleisten einen ausgewogenen wissenschaftlichen Zugang zu den behandelten Fragen. Vom Besuch her hat es dem Wiener »Bankrechtsforum« fast den Rang abgelaufen und ist damit zu einem der bedeutsamen juristischen Foren im Land geworden. Ab 1994 wanderte dann auch die Hauptorganisationslast für das jährlich im September stattfindende »Seminar für absolvierte Juristen« am Traunsee von Wien (Leitung bis dahin die bereits genannten Professoren Franz Bydlinski und Helmut Koziol) nach Linz zu Peter Rummel (die Wiener Beteiligung an der Leitung blieb aber bis heute aufrecht). Das ursprünglich fünf und seit einigen Jahren drei Tage dauernde Seminar ist die hochkarätigste Veranstaltung im österreichischen Zivilrecht, bei der aber auch das Verfahrens- und das Unternehmensrecht nicht zu kurz sowie Gäste aus dem Ausland zu Wort kommen. Vertreter und Vertreterinnen aus den Universitäten, der Richterschaft einschließlich der Höchstgerichte, der Anwaltschaft und sonstigen juristischen Praxis – insgesamt etwa 100 bis 120 Personen – führen hier eine lebhafte Diskussion über die von prominenten Vortragenden dargebotenen Themen. Darüber hinaus besteht die gute Tradition, dass die gerade Habilitierten sich in Vorträgen vor der Fachwelt präsentieren dürfen. Hier erhält nicht zuletzt auch der universitäre Nachwuchs die wertvolle Möglichkeit, sich über die eigene Universität hinaus zu vernetzen (der Autor dieser Zeilen hat den Großteil seiner österreichischen Kollegen und Kolleginnen dort bereits als Assistenten und Assistentinnen kennengelernt). Nach Peter Rummel haben dann Peter Apathy, Meinhard Lukas und zuletzt Stefan Perner die Organisation übernommen. Ebenfalls auf eine Anregung Rummels geht die 2006 erfolgte Verleihung von Honorarprofessuren an zwei verdiente und wissenschaftlich hervorragend ausgewiesene Praktiker zurück, nämlich Hansjörg Sailer, nunmehr Präsident des 1.  Senats des OGH, und Johannes Stabentheiner, vielbeschäftigter Legist in der Zivilrechtssektion des Justizministeriums. Sie war vor allem eine Würdigung der Person, entsprang aber auch dem Bestreben, den »Linzern« in Wien an entscheidender Stelle mehr Gehör zu verschaffen. Anlässlich seiner Emeritierung 2009 hat Rummel schließlich das nach ihm benannte »Peter-Rummel-Studienprogramm« (PRSP) ins Leben gerufen und mit einer eigenen Dotation sowie durch Erwirkung von Spenden einiger namhafter Betriebe ausgestattet. Es soll zivilrechtlich überdurchschnittlichen, interessierten Studierenden durch zusätzliche Lehrveranstaltungen in kleinen Gruppen eine vertiefte Ausbildung angedeihen lassen und so den zivilrechtlichen Nachwuchs nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht fördern, sondern auch auf klassische juristische Berufe besser vorbereiten. Silvia Dullinger trägt den Löwenanteil der Verantwortung für den Ausbildungsgang, an dem diverse Lehrende des Instituts mitwirken und der sich auch schon als gutes Reservoir für künftige wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entpuppt hat. 144

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

Der erste ganz durch diese Aufbaugeneration der Linzer Ordinarien geprägte Habilitierte am Zivilrechtsinstitut war Ferdinand Kerschner, ab 1975 Studien-, ab 1977 Universitätsassistent bei Peter Rummel, Habilitation 1984 (Bereicherung im öffentlichen Recht). Dass die Prägung nicht nur durch seinen unmittelbaren Dienstvorgesetzten erfolgte (wie er selbst immer wieder betont hat), war nur natürlich  : Man konnte nicht als begeisterungsfähiger Student bei Spielbüchler im Sachen- und Erb- und bei Reischauer im Leistungsstörungs- und Schadenersatzrecht sitzen, ohne von zentralen wissenschaftlichen Ansätzen  – die sich oft vom Mainstream unterschieden – infiziert zu werden. 1990 erhielt Kerschner ein Extraordinariat, das sich dann 1993 in eine Universitätsprofessur umwandelte. Im gleichen Jahr wurde unter seiner Leitung die Abteilung Umweltprivatrecht gegründet, damals noch skeptisch beäugt von den angestammten Zivilrechtlern (man hegte gegen die Benennung einer zivilistischen Abteilung nach einer Querschnittsmaterie mit stark öffentlichrechtlichen Zügen doch gewisse Bedenken). Die Kerschner’sche Tatkraft ließ sich dadurch aber nicht beirren und verwendete die Abteilung als Nukleus für ein 1996 gegründetes Institut für Umweltrecht, zunächst auf Drittmittelbasis. Der Erfolg gab ihm recht  : Zahlreiche Veröffentlichungen – insbesondere auch Dissertationen – in einer eigenen Schriftenreihe »Recht der Umwelt« waren die Folge, und die seit 1996 großangelegte, jährlich an der JKU stattfindende Veranstaltung »Österreichische Umweltrechtstage« mit weit über 200 Teilnehmern und Teilnehmerinnen zeugt vom Bedarf nach einer wissenschaftlichen Durchdringung der Querschnittsmaterie. Damit gelang schließlich die Überführung des Umweltrechtsinstituts in den regulären Bestand der JKU. Kerschners Leidenschaft gilt freilich weiterhin auch Kernfragen des Zivilrechts, insbesondere Fragen der Methodenlehre, des Familienrechts und des Bereicherungsrechts. Und dass bei der dritten Auflage des »Klang«-Großkommentars zum ABGB19 endlich regelmäßig Bände erscheinen, geht wohl zum Gutteil auf seine energische Mitherausgeberschaft zurück. Mitgeprägt hat die Generation der ab 1970 ernannten Zivilrechtler und das von ihnen abgehaltene Konversatorium über aktuelle Literatur zweifellos aber auch die bereits genannten aus Strassers Institut für Arbeits- und Sozialrecht stammenden Habilitierten, die in der Tradition des Arbeitsrechtsinstituts zivilrechtliche Habilitationsschriften vorgelegt haben, wie Peter Jabornegg20 und Konrad Grillberger.21 Man braucht nur die Danksagungen in den Vorworten zu lesen. Beide standen auch in ihren späteren arbeitsrechtlichen (und davor bei Jabornegg handelsrechtlichen) Wirkungsbereichen für einen wissenschaftlichen Zugang, der den Bezug des Sonderprivatrechts zum allgemeinen Zivilrecht stets bedacht hat. Gleiches gilt auch für Strassers Schüler Robert Rebhahn, der mit immer breiter werdendem wissenschaftlichem Interesse fast alle Bereiche des Privatrechts im weiteren Sinn (einschließlich der Frage der Staatshaftung) durchdrungen hat und sich nunmehr verstärkt der europäischen Rechtsentwicklung zuwendet. 145

Christian Holzner

Umgekehrt haben die Zivilrechtler nach Jaborneggs Berufung in das Arbeitsrecht 1993 (Nachfolge Strasser) auch maßgeblich dafür gesorgt, dass die handelsrechtliche (bzw. nunmehr unternehmensrechtliche) Professur 1995 wieder mit einem herausragenden Zivilrechtler nachbesetzt wurde, der gerade erste Schritte ins Gesellschaftsrecht unternommen hatte. Martin Karollus, bei Helmut Koziol in Wien 1991 mit einer Schrift über »Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung«22 habilitiert und dann sofort 1992 auf eine C3-Professur für Bürgerliches Recht nach Bonn berufen, erschien allen als der Bewerber mit dem meisten Potential. Diese Bewertung hat er dann auch im Unternehmensrecht glänzend eingelöst, er gilt heute in Österreich als der wohl führende Gesellschaftsrechtler und sorgt als solcher auch für eine entsprechende Außenwahrnehmung der Fakultät in der Praxis. Die zweite (und dritte) Generation von Schülern und Schülerinnen der Ordinarien aus den 1970er Jahren wuchs dann bereits in einem etablierten, allseits anerkannten Zivilrechtsinstitut heran. So habilitierten sich bei Rummel Silvia Dullinger 199423 und Meinhard Lukas 200424 – und bei letzterem soeben Andreas Geroldinger25 –, bei Spielbüchler Christian Holzner 1997,26 bei Apathy Andreas Riedler 199727 und bei Kerschner – also bereits einem Schüler der ersten Generation – Erika Wagner 2004.28 Da der Autor dieses Beitrags selbst dieser Generation angehört, möchte er sich einer Bewertung weithin enthalten (diese mögen später andere vornehmen). Nur so viel  : Zwar färbten auf uns alle natürlich die unmittelbaren Dienstvorgesetzten und »Habilitationsväter« ab, darüber hinaus aber mehr oder weniger stark auch ein allgemeiner, von allen damaligen Professoren getragener Institutsgeist und eine lebendige wissenschaftliche Streitkultur. Auch das Interesse an guter Lehre und einer qualitätsvollen Ausbildung wurde gleichsam weitervererbt29 (auch wenn über die Mittel zur Zweckerreichung manchmal keine Einigkeit besteht). Und dass die Zugehörigkeit zu politischen oder sonstigen Gruppen für die Universitätslaufbahn irrelevant sein muss, haben uns die »Altvorderen« in ihrer (beileibe nicht nur politisch zu verstehenden) Buntheit30 vorgelebt. Die gleiche Zurückhaltung erscheint bei der Beurteilung der Nachbesetzungen der ab 2007 freiwerdenden Ordinariate geboten. In einer Wissenschaftslandschaft, die – auch bedingt durch das eingangs erläuterte Wesen des Fachs – österreichweit doch stark durch Hausberufungen geprägt ist, geraten die Fakultäten in ein Dilemma. Verweigern sie sich dem Trend, gerät der eigene Nachwuchs in eine Sackgasse  : Er kann daheim nicht reüssieren und hat auch auswärts meist nur dann eine Chance, wenn dort heimische Konkurrenz fehlt. So wurde 2001 eine »Stiftungsprofessur Privatrecht« am damaligen Institut für Fernunterricht in den Rechtswissenschaften mit Andreas Riedler besetzt und nach erfolgreicher Bewährung in den Dauerbestand der JKU übernommen. Auf den 2007 emeritierten Karl Spielbüchler folgte 2008 Meinhard Lukas (der gleichzeitig an der Universität Salzburg erstgereiht war), auf Peter Rummel 2009 Christian Holzner. 146

Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

Eine neu geschaffene Professur aus Umweltprivatrecht ging 2010 an Erika Wagner. Rudolf Reischauers Professur wurde nach seiner Emeritierung 2010 im Jahr 2011 geteilt nachbesetzt, und zwar mit Silvia Dullinger und dem im Verfahrensrecht habilitierten, aber auch zivilrechtlich hervorragend ausgewiesenen OGH-Richter Michael Bydlinski. Die 2014 durch den vorzeitigen Ruhestand freigewordene Stelle Ferdinand Kerschners ging 2015 an den in Wien habilitierten und bereits eine Professur in Klagenfurt innehabenden Stefan Perner. Die Nachfolge Apathy – also des eben emeritierten letzten der Ordinarien aus den Siebzigern  – und Bydlinski ist noch offen, es läuft gerade das Begutachtungsverfahren. Anlässlich der Emeritierungsfeier für Rudolf Reischauer im Oktober 2010 hat Karl Spielbüchler folgendes Resümee gezogen, das als Erklärungsansatz hilfreich sein könnte  : »So haben wir […] der neuen Universität im Fach ein unverwechselbares Gesicht zu geben versucht. Die jüngsten Berufungsverfahren haben mir gezeigt, dass uns das gelungen ist. Die Linzer sind nicht nur anders, sie haben auch gemeinsame Züge. […] Keiner hat eine Schule gebildet, wie schon Rudolf Strasser keine Schule gebildet hatte, aber es ist ein für Linz durchaus charakteristisches, in vielerlei Hinsicht von den Verhältnissen im übrigen Österreich abweichendes Klima entstanden. Schon das Erreichte nicht zu gefährden, war es notwendig, die nächste Generation aus dem so gebildeten Fundus zu entnehmen. Linz braucht dabei keinen Vergleich zu scheuen. Faustregeln zur Frage sogenannter Hausberufungen sind ähnlich dumm wie der Wahn, aus der Zahl von Zitierungen oder Publikationen etwas für die wissenschaftliche Bedeutung des Autors ablesen zu können. Schreibdurchfall oder Zitierkartelle sind die Folge. Verantwortliche Wissenschafts- und Fakultätspolitik muss sich von Sachüberlegungen leiten lassen.«31

Zum Abschluss ist noch kurz auf ein institutsintern nicht unumstrittenes Kapitel einzugehen, nämlich das von Andreas Riedler verantwortlich geleitete Multimediale Diplomstudium der Rechtswissenschaften. Es hat für einen beispiellosen Erfolg bei den rechtswissenschaftlichen Immatrikulationen gesorgt, die sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt haben. Die Studienabschlüsse sind aus verschiedensten Gründen leider nicht im vergleichbaren Ausmaß angestiegen. Eingeführt Ende der 1990er Jahre als Fernstudium mit Direktübertragung nach Bregenz stieß es unter den damaligen Ordinarien weithin auf große Skepsis. Wie sollte die Unmittelbarkeit des direkten Kontakts im Hörsaal durch eine Übertragung via Bildschirm ersetzt werden  ? Einzig Peter Rummel beteiligte sich in der Anfangsphase, in der das Publikum noch während einer Lehrveranstaltung Anfragen über den Bildschirm live stellen konnte, mit Feuereifer. Als nach der Einbeziehung weiterer Studien­standorte das Konzept auf eine Mischung aus gestreamten Liveübertragun147

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gen, Vorlesungen auf DVD und eigens konzipierten Lernunterlagen umgestellt werden musste, zog er sich freilich zurück  ; zu weit schien ihm dieser Zugang von einem normalen Präsenzstudium abzuweichen. Das zeigt das Dilemma  : Auch hervorragend konzipierte Lernbehelfe – und die gibt es in unserem Fach weithin32 – stoßen dort an die Grenzen, wo der unmittelbare Kontakt mit den Vortragenden den Lern­ erfolg wesentlich mitbestimmt. Eine Übung im Stream nachträglich anzusehen ist nicht dasselbe wie die körperliche Teilnahme daran, mit Fragen der Vortragenden, dem Antwortenmüssen vor der durchaus kritischen Schar der Kollegen und Kolleginnen, den Anfragen anderer Studierender aus der Situation heraus etc. Nachträgliche Vernetzung in Foren und Fragemöglichkeiten per E-Mail können die Präsenz nicht völlig ersetzen  ; sie trainieren die in juristischen Berufen wichtige rhetorische Spontaneität nicht hinreichend. Begabten Studierenden, denen autonomes Studieren nach Lernbehelfen liegt, eröffnet das Multimedia-Studium aber zweifellos eine gute – sonst oft gar nicht zur Verfügung stehende – Möglichkeit zur Erlangung eines rechtswissenschaftlichen Studienabschlusses.

Literatur Apathy, Peter, Aufwendungen zur Schadensbeseitigung, Wien 1979. Apathy, Peter, Die publizianische Klage, Wien 1981. Apathy, Peter, Der Verwendungsanspruch, Wien 1988. Apathy, Peter (Hg.), Lehrbuchreihe Bürgerliches Recht, Wien 2000 ff. Burgstaller, Manfred u. a., Peter Rummel – 70 Jahre, in  : Juristische Blätter, Jg. 132, H. 10, 2010, S. 641–642. Dullinger, Silvia, Handbuch der Aufrechnung, Wien 1995. Fenyves, Attila, Kerschner, Ferdinand u. Vonkilch, Andreas (Hg.), ABGB. 3. Auflage des von Heinrich Klang begründeten Kommentars zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Wien ab 2006. Geroldinger, Andreas, Der mutwillige Rechtsstreit  – Schadenersatzansprüche der Parteien aus materiell rechtswidriger Prozessführung, Habilitationsschrift, Linz 2016. Grillberger, Konrad, Eheliche Gütergemeinschaft, Wien 1982. Holzner, Christian, Karl Spielbüchler  – 65 Jahre, in  : Juristische Blätter, Jg.  126, H.  9, 2004, S. 577–578. Holzner, Christian, Gedenksymposium  : Karl Spielbüchler, ein Wegweiser – Bericht, in  : Juristische Blätter, Jg. 135, H. 3, 2013, S. 163. Holzner, Christian, Ehevermögen bei Scheidung und bei Tod, Wien 1998. Jabornegg, Peter, Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrages, Wien 1982. Karollus, Martin, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung. Zugleich ein Beitrag zum Deliktssystem des ABGB und zur Haftung für casus mixtus, Wien 1992.

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Zur Fachentwicklung und Institutsgeschichte des Zivilrechts

Lukas, Meinhard, Das Recht der Nichterfüllung – Systemwechsel durch Rechtsangleichung  ? Habilitationsschrift, Linz 2004. Rebhahn, Robert, Ferdinand Kerschner  – Gelungene sechzig Jahre, in  : Wagner, Erika u. Bergthaler, Wilhelm (Hg.), Interdisziplinäre Rechtswissenschaft  – Schutzansprüche und Schutzaufgaben im Recht. Festschrift für Ferdinand Kerschner, Wien 2013, S. 3–6. Rebhahn, Robert, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, Wien 1997. Reischauer, Rudolf, Der Entlastungsbeweis des Schuldners. Ein Beitrag zum Recht der Leistungsstörung mit rechtsvergleichenden Bezügen, Berlin 1975. Resch, Reinhard, Die Einwilligung des Geschädigten, Wien 1997. Riedler, Andreas, Gesamt- und Teilgläubigerschaft im österreichischen Recht, Wien 1998. Riedler, Andreas (Hg.), Studienkonzept Zivilrecht I – VIII, Wien 2010 ff. Rummel, Peter (Hg.), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, Wien 1983, u Bd. 2, Wien 1984. Rummel, Peter, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte, Wien 1972. Spielbüchler, Karl, Der Dritte im Schuldverhältnis. Über den Zusammenhang von Schuldund Sachenrecht, Wien 1973. Spielbüchler, Karl, Laudatio für Rudolf Reischauer, in  : Jabornegg, Peter u. a. (Hg.), Haftung und Versicherung, Festschrift für Rudolf Reischauer, Wien 2010, S. 9–24. Strasser, Rudolf, Die Betriebsvereinbarung nach österreichischem und deutschem Recht, Wien 1957. Wagner, Erika, Gesetzliche Unterlassungsansprüche im Zivilrecht, Wien 2006.

Anmerkungen   1 Auch wenn Karl Spielbüchler diesen Ausdruck vermeidet, aber wohl nur insofern, als keiner der drei dort gemeinten Professoren (Rummel, Spielbüchler, Reischauer) eine eigene Schule begründet hat. Vgl. Karl Spielbüchler, Laudatio für Rudolf Reischauer, in  : Peter Jabornegg u. a. (Hg.), Haftung und Versicherung, Festschrift für Rudolf Reischauer, Wien 2010, S. 9–24, hier S. 9.   2 Karl Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis. Über den Zusammenhang von Schuld- und Sachenrecht, Wien 1973.   3 Rudolf Reischauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners. Ein Beitrag zum Recht der Leistungsstörung mit rechtsvergleichenden Bezügen, Berlin 1975.   4 Rudolf Strasser, Die Betriebsvereinbarung nach österreichischem und deutschem Recht, Wien 1957.   5 Christian Holzner, Karl Spielbüchler – 65 Jahre, in  : Juristische Blätter, Jg. 126, H. 9, 2004, S. 577 f.   6 Spielbüchler, Laudatio für Rudolf Reischauer, S. 12.   7 Ebd., S. 13, Reischauer zitierend.   8 Von den Genannten gilt das nur für Robert Rebhahn nicht, doch der hat seine zivilrechtliche Ader dann später entdeckt (u. a. mit seiner Monographie »Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr«, Wien 1997). Reinhard Resch, Assistent noch bei Strasser und später bei Jabornegg im Arbeitsrecht, hat diese Tradition der zivilrechtlichen Habilitationsschrift fortgesetzt. Vgl. Reinhard Resch, Die Einwilligung des Geschädigten, Wien 1997.   9 Peter Jabornegg, Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrages, Wien 1982. 10 Zur Person siehe etwa Manfred Burgstaller u. a., Peter Rummel – 70 Jahre, in  : Juristische Blätter, Jg. 132, H. 10, 2010, S. 641 f.

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Christian Holzner

11 Peter Rummel, Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte, Wien 1972. 12 Spielbüchler, Laudatio für Rudolf Reischauer, S. 13. 13 Von Dezember 1967 bis ins WS 1969/70. 14 Peter Apathy, Aufwendungen zur Schadensbeseitigung, Wien 1979  ; Peter Apathy, Die publizianische Klage, Wien 1981  ; Peter Apathy, Der Verwendungsanspruch, Wien 1988. 15 Etwa auch Robert Rebhahn, der es als beste Schule für wissenschaftlich produktives Denken und Diskutieren bezeichnet hat, Ferdinand Kerschner – Gelungene sechzig Jahre, in  : Erika Wagner u. Wilhelm Bergthaler (Hg.), Interdisziplinäre Rechtswissenschaft – Schutzansprüche und Schutzaufgaben im Recht. Festschrift für Ferdinand Kerschner, Wien 2013, S. 3–6, hier S. 3 f. 16 Christian Holzner, Gedenksymposium  : Karl Spielbüchler, ein Wegweiser – Bericht, in  : Juristische Blätter, Jg. 135, H. 3, 2013, S. 163. 17 Peter Rummel (Hg.), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, Wien 1983, Bd. 2, Wien 1984. 18 Bank- und Kapitalmarktrecht, hg. v. Silvia Dullinger u. Claudia Kaindl bei Manz. 19 Attila Fenyves, Ferdinand Kerschner u. Andreas Vonkilch (Hg.), ABGB. 3. Auflage des von Heinrich Klang begründeten Kommentars zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, Wien ab 2006. 20 Jabornegg, Zurückbehaltungsrecht. 21 Konrad Grillberger, Eheliche Gütergemeinschaft, Wien 1982. 22 Martin Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung. Zugleich ein Beitrag zum Deliktssystem des ABGB und zur Haftung für casus mixtus, Wien 1992. 23 Silvia Dullinger, Probleme der Aufrechnung, publiziert als  : Handbuch der Aufrechnung, Wien 1995. 24 Meinhard Lukas, Das Recht der Nichterfüllung – Systemwechsel durch Rechtsangleichung  ? Habilitationsschrift 2004. 25 Andreas Geroldinger, Der mutwillige Rechtsstreit – Schadenersatzansprüche der Parteien aus materiell rechtswidriger Prozessführung, Habilitationsschrift, Linz 2016. 26 Christian Holzner, Ehevermögen bei Scheidung und bei Tod, Wien 1998. 27 Andreas Riedler, Gesamt- und Teilgläubigerschaft im österreichischen Recht, Wien 1998. 28 Erika Wagner, Gesetzliche Unterlassungsansprüche im Zivilrecht, Wien 2006. 29 Das zeigt sich nicht zuletzt an der von Peter Apathy herausgegebenen Reihe zum Bürgerlichen Recht in der 6. Auflage (mit Apathy, Dullinger, Kerschner und Riedler als Autoren und Autorinnen) sowie an dem von Andreas Riedler herausgegebenen Studienkonzept Zivilrecht für das Multimedia-Diplomstudium, das sich auch im Präsenzstudium großer Beliebtheit erfreut (Autoren und Autorinnen  : Riedler, Apathy, Kerschner und Wagner). Vgl. Peter Apathy (Hg.), Lehrbuchreihe Bürgerliches Recht, Wien 2000 ff.; Andreas Riedler (Hg.), Studienkonzept Zivilrecht I–VIII, Wien 2010 ff. 30 Spielbüchler, Laudatio für Rudolf Reischauer, S. 10  : »Gelehrte sind bunte Vögel. Das war immer so und wird auch so bleiben.« 31 Ebd., S. 9. 32 Siehe oben, FN 28.

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Robert Rebhahn

50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht

Das Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht wurde 1966 errichtet und zählt damit zu jenen Instituten, die seit der Gründung der heutigen Johannes Kepler Universität Linz (damals noch Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften) bestehen. Dem Institut war stets nur eine Professorenstelle zugewiesen. Erster Institutsvorstand war Rudolf Strasser von 1965 bis 1993  ; ihm folgte sein Schüler Peter Jabornegg von 1993 bis 2014. Strasser war an der Gründung der Hochschule in Linz maßgeblich beteiligt. Zuerst war er Prorektor (1965–1967) und von 1968 bis 1970 der dritte Rektor an der noch jungen Hochschule, die ab 1975 den Titel »Universität« trug. Das Institut war lange Jahre insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts in Öster­reich innovativ und wirkungsmächtig  ; gemeinsam mit dem Institut für Arbeits­recht und Sozialrecht der Universität Wien war es lange Zeit auf diesem Gebiet führend. Dem Anliegen dieser Publikation folgend geht es hier nicht darum, die Geschichte des Institutes im Einzelnen nachzuzeichnen1 oder viele Publikationen zu nennen. Vielmehr soll jenen Faktoren nachgegangen werden, die für Innovation in der Wissenschaft und den daran anknüpfenden Erfolg des Instituts in Wissenschaft und Gesellschaft ursächlich waren. Die Faktoren lassen sich bei den äußeren Rahmenbedingungen sowie bei der Arbeit des Instituts und damit den handelnden Personen ausmachen, wobei sich die beiden Aspekte bei der Darstellung nicht immer klar trennen lassen.

Ein neues Fach als Arbeitsgebiet und dessen Entwicklung »Arbeits- und Sozialrecht« etablierte sich erst ab den 1960er Jahren als eigenständiges Teilgebiet des Rechts und der Rechtswissenschaften. Die ersten Professuren und Institute wurden in dieser Zeit eingerichtet, beginnend mit Wien, Linz und Salzburg. Hintergrund war die Bedeutung, die ab diesen Jahren dem Fach in der Gesellschaft und in der Folge für die Rechtswissenschaft beigemessen wurde. Das beständige Wirtschaftswachstum der »dreißig glorreichen Jahre« ab 1950 (in Westeuropa und den USA) erlaubte in vielen Ländern Westeuropas einen kontinuierlichen Ausbau des Sozialstaates.2 Daher war es auch für das Arbeitsrecht und Sozialrecht eine »Zeit des Aufbruchs«. Im Sozialrecht war 1956 das Allgemeine Sozialversicherungsge151

Robert Rebhahn

setz (ASVG) als große Kodifikation des Sozialversicherungsrechts der unselbständig Erwerbstätigen beschlossen worden, in der Folge wurden auch viele selbständig Erwerbstätige sukzessive in die Sozialversicherung einbezogen. Die Gesetzeslage zum Arbeitsvertragsrecht (Individualarbeitsrecht) wurde laufend im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verändert  ; man erstellte Entwürfe für eine Kodifikation dieses Rechtsgebietes (die bis heute aussteht). Daneben wurde eine Kodifikation des Kollektiven Arbeitsrechts (Kollektivverträge, Betriebsräte und deren Befugnisse) beraten, welche die Gesetze zu Kollektivverträgen und zur Betriebsverfassung (beide aus 1947) ablösen sollte. 1974 wurde diese Kodifikation mit dem Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) beschlossen, das vor allem die Befugnisse der Betriebsräte und damit der Arbeitnehmerschaft deutlich ausweitete und in Bezug auf die Gesetzestechnik einen Quantensprung brachte. Schon diese Hinweise zeigen, dass Arbeits- und Sozialrecht damals ein zentrales Thema der Innenpolitik waren. Die vielen neuen Regelungen warfen eine Fülle von Fragen zu deren Bedeutung und Systematik auf und gaben ausreichend Stoff für rechtswissenschaftliche Bearbeitung, insbesondere im Sinne rechtsdogmatischer Arbeit. Diese Bearbeitung wurde von der Gesellschaft damals intensiv gefördert. Die für die Sozialpolitik Verantwortlichen – im Wesentlichen die Sozialpartner – erwarteten von einer wissenschaftlichen Bearbeitung einen wichtigen Beitrag zur sachgerechten Entwicklung der Rechtsmaterien. Die ersten beiden Jahrzehnte des Institutes fielen also mit einer Zeit des Aufbruchs für das Arbeitsrecht zusammen, wie es sie sonst nur in den wenigen Jahren nach 1918 gab. In der Lehre war das Fach Arbeitsrecht und Sozialrecht allerdings längere Zeit nur in den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen vorgesehen. Im rechtswissenschaftlichen Studium wurde es, auch aufgrund des langjährigen Einsatzes Strassers, erst 1978 ein Pflichtfach.3 In den ersten Jahrzehnten der JKU hatte das Institut also schon aufgrund der Neuerungen im österreichischen Recht viele Möglichkeiten, im Arbeitsgebiet innovativ zu sein. Viele neue Herausforderungen brachte sodann in den 1990er Jahren der Beitritt Österreichs zur EG. Die EG, heute EU, regelt zwar bei weitem nicht alle Fragen des materiellen Arbeitsrechts und nur sehr wenige zum materiellen Sozialrecht. Das Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht enthält aber für einige wichtige Bereiche des Individualarbeitsrechts und zur Koordination der Sozialsysteme Vorgaben in Form von Richtlinien, und bei vielen Fragen sind die Grundfreiheiten zu beachten. Hervorgehoben seien nur die Richtlinien zur Nicht-Diskriminierung und zum Betriebsübergang. Anders als im nationalen Recht steht bei den Vorgaben partiell weniger der Interessengegensatz und -ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen im Vordergrund, sondern eher der Gedanke gleicher Chancen für Arbeitende und für Unternehmer/Unternehmerinnen im Binnenmarkt. Es galt und gilt, das Einwirken dieser Vorgaben auf und deren Zusammenwirken mit dem österreichischen Recht zu bearbeiten. 152

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Allmählich änderten sich diese für Innovationen im Fach Arbeitsrecht und Sozialrecht günstigen Rahmenbedingungen. Im Sozialrecht begannen ab den 1990er Jahren die Kürzungen. Im österreichischen Arbeitsrecht und allmählich auch in jenem der EU gewann die Verwaltung des Bestehenden zunehmend an Bedeutung neben der Bearbeitung von Neuem. Beides beflügelte die Wissenschaft weniger als die vormalige Expansion. Überdies interessierte sich die österreichische Politik zunehmend weniger für eine wissenschaftliche Bearbeitung, welche den Gesamtzusammenhang im Blick hat, sondern legte mehr Wert auf »tagesaktuelle« Beratung im Sinne der Erörterung von Detailfragen. Dazu trat eine sehr langsame, insgesamt aber spürbare Verringerung der Bedeutung des Rechts und von dessen Achtung als eigenständigem Wert in der Gesellschaft, auf einzelstaatlicher wie gemeinschaftlicher Ebene.

Das Institut Das Linzer Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht wurde 1966 personell sehr gut ausgestattet  ; ihm wurden fünf volle Assistentenstellen zugewiesen. Dazu mag beigetragen haben, dass Strasser nicht nur Professor für Arbeits- und Sozialrecht, sondern auch der erste Professor der jungen Hochschule für Bürgerliches Recht – und damit für eines der Hauptfächer jedes Rechtsstudiums – war. In den Jahren bis 2003 waren so über 30 absolvierte Juristen und Juristinnen als Assistenten und Assistentinnen am Institut tätig, bevor sie mit dieser Zusatzqualifikation in die Praxis wechselten. Die Zahl der Personen, die nur für einige Jahre am Institut als wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen tätig sind, hat sich seit den 1990er Jahren aber deutlich verringert. Die starke personelle Ausstattung des Institutes war die Grundlage für die sehr intensive Tätigkeit des Instituts zum Arbeitsrecht. Sie hat es ermöglicht, dass sich vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten vergleichsweise viele am Institut Tätige habilitierten  : 1971 Karl Spielbüchler, der 1971 Professor für Bürgerliches Recht in Linz und 1976 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs (bis 2009) wurde  ; 1981 Konrad Grillberger, der 1983 als Professor für Arbeits- und Sozialrecht an die Universität Salzburg (als Nachfolger von Hans Floretta) berufen wurde  ; 1982 Peter Jabornegg, der 1983 zum Professor für Handels- und Gesellschaftsrecht der JKU berufen wurde, bevor er 1993 an das Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht zurückkehrte  ; 1984 Robert Rebhahn, der 1986 Professor für Privatrecht an der Universität in Klagenfurt wurde, sodann 1996 an die Humboldt-Universität Berlin als Professor für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht und 2003 an die Universität Wien als Professor für Arbeits- und Sozialrecht berufen wurde. 1997 habilitierte sich Reinhard Resch, der danach am Institut als außerordentlicher Professor wirkte und 2009 zum Professor 153

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für Medizinrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht an der JKU und zum Vorstand des neu gegründeten Instituts für Recht der sozialen Daseinsvorsorge und Medizinrecht berufen wurde. Seit langem gehören dem Institut Barbara Trost (seit 1983), Reinhard Geist (seit 1993) sowie Johanna Naderhirn (seit 1998) an. Das Wirken aller Institutsangehörigen, insbesondere das von Rudolf Strasser und Peter Jabornegg, hat das Institut – wie das Folgende zeigen wird – zu einer zentralen Stätte des Arbeitsrechts und der Arbeitsrechtswissenschaft in Österreich werden lassen. Der gemeinsame Erfolg wurde wesentlich durch die (von Strasser geförderte) Kollegialität der damals am Institut Tätigen befördert. Für meine Person kann ich sagen, dass ich meine wissenschaftlichen Fähigkeiten sehr weitgehend der steten Förderung durch Spielbüchler, Grillberger und Jabornegg in unzähligen Gesprächen verdanke. Spielbüchler, Jabornegg (während der Zeit im Handelsrecht) und Resch blieben bei ihrer Arbeit zum Arbeits- und Sozialrecht auch nach dem (zeitweiligen) Ausscheiden aus dem Institut in so engem Kontakt mit diesem, dass man ihr Wirken in dessen Kontext stellen kann. Auch Grillberger und der Verfasser hielten den fachlichen Kontakt mit den ehemaligen Kollegen und Kolleginnen und nahmen insoweit – von außen – an der Institutsarbeit Anteil. Diese Verbindung über die Jahre hinweg hat ohne Zweifel zur Relevanz der Institutsarbeit beigetragen.

Die Arbeit des Instituts Die rechtswissenschaftliche Arbeit am Institut konzentrierte sich vor allem auf die rechtsdogmatische Arbeit zum geltenden Recht. Rechtsdogmatik ist bestrebt, den Rechtsstoff zu ordnen und in ein System zu bringen, dessen Teile sinnvoll aufeinander bezogen sind, und zwar durch Begriffs-, System- und Prinzipienbildung, und dabei den Rechtsstoff weiterzuentwickeln, indem offene Fragen aufgespürt, erörtert und womöglich gelöst werden. Auch die anderen Institute an den österreichischen Universitäten, die dem geltenden Recht gewidmet sind, konzentrieren sich auf diesen Bereich der Rechtswissenschaft. Andere Perspektiven  – wie philosophische, rechtstheoretische, geschichtliche, rechtsvergleichende, soziologische oder explizit wirtschaftliche (law and economics) Betrachtungsweisen  – sind nur selten Gegenstand der Forschung dieser Institute. Rechtsdogmatik als somit in Österreich wesentlichster Teil der Rechtswissenschaft ist von der Rechtskunde zu unterscheiden. Diese beschränkt sich auf die Wiedergabe und Kompilation von bereits aus Gesetz, Judikatur und Lehre bekannten Aussagen, kann also voraussetzungsgemäß nicht innovativ sein. Die Rechtswissenschaft beginnt erst, wo die Rechtskunde endet.4 Die Arbeit des Instituts war auch in Bezug auf die Entwicklung der Rechtsdogmatik insoweit innovativ, als sie zur Erneuerung dieser Rechtswissenschaft in Österreich beitrug. Ab den späten 1950er Jahren veränderte sich die österreichische 154

50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht

Rechtsdogmatik zunehmend. Die Tiefe und Breite der rechtsdogmatischen Arbeiten  – sowohl der Habilitationsschriften (Dissertationen sind für das rechtswissenschaftliche Doktorat erst für Studierende erforderlich, die ihr Studium nach 1979 begonnen haben) wie der Aufsätze und Beiträge – nahm deutlich zu, entsprechend stiegen dann die Anforderungen an diese Arbeiten. Strasser und die am Institut Tätigen, insbesondere die dort Habilitierten, trugen diese Entwicklung voll mit. Durch ihre Publikationen zum Arbeitsrecht begründeten sie die »moderne« Arbeitsrechtswissenschaft mit und trugen damit wesentlich zur Neuorientierung bzw. Innovation der österreichischen Rechtswissenschaft bei. Die rechtsdogmatische Arbeit der Institutsangehörigen war durch eine weitgehende Übereinstimmung in der Herangehensweise gekennzeichnet, die – in meinen Worten – wie folgt charakterisiert werden kann  : Ausgangspunkt der Arbeit zum geltenden Recht ist der Respekt vor den politischen Entscheidungen des Gesetzgebers und damit die Maßgeblichkeit des positiven Rechts, soweit dieses Vorgaben erkennen lässt. Diese Vorgaben werden weitestgehend auf der Grundlage jener Methodenlehre zu ermitteln gesucht, die damals vor allem im Privatrecht führend wurde (während ein Teil der österreichischen Wissenschaft zum Öffentlichen Recht eine etwas andere, an der Reinen Rechtslehre orientierte Methodenlehre vertrat). Dogmatische Rechtswissenschaft soll stets den Gesamtzusammenhang der Details im Blick haben, also (wie Spielbüchler formulierte) stets das Allgemeine im Besonderen sehen. Wo das positive Recht keine Vorgaben erkennen lässt, ist Raum für eigene Wertungen der Interpreten und Interpretinnen, die sich aber stets in den Kontext des Bestehenden einfügen sollen. Die mit Hilfe dieser Methoden gewonnenen Erkenntnisse konnten und können in weitem Umfang überzeugen.5 Dem Gedanken einer »sozialen Rechtsanwendung« gab Strasser nur in diesem Rahmen Raum.6 Alle Angehörigen des Institutes haben sich an der rechtsdogmatischen Arbeit laufend durch Monographien, Aufsätze in Fachzeitschriften und Sammelbänden sowie Kommentierungen intensiv beteiligt, wobei das Arbeitsrecht klar und eindeutig mehr im Vordergrund stand als das Sozialrecht. Sie konnten damit den Diskurs zum Arbeitsrecht maßgeblich beeinflussen. Die markante Stellung des Institutes im Rahmen der österreichischen Rechtswissenschaft kam in den ersten Jahrzehnten vor allem in zwei Werken zum Ausdruck. Zum einen hat Strasser (in Fortführung eines Kommentars zum Betriebsverfassungsgesetz, der 1973 in zweiter Auflage erschien) 1975 bald nach Inkrafttreten des ArbVG – gemeinsam mit Floretta – einen Kommentar dazu herausgegeben und wesentlich geschrieben.7 Er war dafür besonders prädestiniert, weil er jene Kommission geleitet hatte, welche das Gesetz vorbereitete. Der Kommentar, der lange der einzige große Kommentar zu diesem Gesetz blieb, hat das Verständnis und damit die Anwendung des ArbVG wesentlich bestimmt. An die Seite dieses Großkommentars trat ein Kurzkommentar zum ArbVG, der insbesondere die Judikatur dokumentierte und mehrmals aufgelegt wurde.8 Zum anderen ist das große 155

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systematische Lehrbuch zum Arbeitsrecht in zwei Bänden zu nennen  ; der Band zum Individualarbeitsrecht wurde von Spielbüchler und Floretta (später Grillberger) verfasst, jener zum Kollektiven Arbeitsrecht von Strasser. Das System ist 1976 in erster und 1998/2001 in vierter Auflage erschienen und hat großen Einfluss auf Judikatur und Lehre gewonnen.9 Erwähnt sei auch eine der ersten Dissertationen, die – nach Einführung der rechtswissenschaftlichen Dissertation – am Institut geschrieben wurden, nämlich »Arbeitsvertrag und Nebenbeschäftigung« von Resch.10 Strasser legte bei der wissenschaftlichen Arbeit stets besonderen Wert auf die Verbindung des Fachs mit dem Bürgerlichen Recht und (wenn auch weniger ausgeprägt) mit dem Öffentlichen Recht als den beiden Grunddisziplinen des positiven Rechts. Diese weitergreifende Ausrichtung war lange eher die Ausnahme, weil an den österreichischen Rechtswissenschaftlichen Fakultäten die Grenzen der Fächer große Bedeutung hatten. Sie wurde von den »bei« Strasser habilitierten Institutsangehörigen aufgegriffen,11 wie schon die Habilitationsschriften von Spielbüchler,12 Jabornegg,13 Grillberger14 und Resch15 zu Themen des Bürgerlichen Rechts belegen, die daher auch die Lehrbefugnis für Bürgerliches Recht erhielten. Weitere wichtige Beispiele sind Studien von Jabornegg/Strasser zum Privaten Umweltrecht,16 von Jabornegg zum Recht der Privatversicherung17 oder von Grillberger/Strasser zum Kreditrecht.18 Auch diese Schriften haben die Rechtsentwicklung wesentlich beeinflusst. Erwähnt sei z. B. der Einfluss, den die Überlegungen Spielbüchlers in seiner Habilitationsschrift über seine Kommentierungen auf das Sachenrecht nahmen. Darüber hinaus galt das Interesse Strassers dem Unternehmensrecht, insbesondere dem Gesellschaftsrecht, das etwa in der Herausgabe eines Kommentars zum Aktiengesetz und den Beiträgen beider darin Ausdruck fand.19 Jabornegg legte  – an der Grenze von Unternehmens- und Arbeitsrecht – eine grundlegende Arbeit zum Handelsvertreterrecht vor. Das Interesse des Instituts an Fragen im Grenzgebiet von Öffentlichem Recht und Arbeitsrecht zeigte sich etwa in der Schrift von Rebhahn zu »Weisungen im Universitätsbereich«.20 1989 erschien eine Monographie von Rebhahn/Strasser zu »Zwangsvollstreckung und Insolvenz bei Gemeinden«,21 die erst nach fünfundzwanzig Jahren, dann aber aus Anlass der potentiellen Insolvenz eines Bundeslandes großes Interesse fand. Nicht unerwähnt bleiben darf in einem Beitrag, der primär der Innovation im Fach gewidmet sein soll, die beträchtliche Bedeutung von »Anregungen aus der Praxis« für das Aufgreifen von Themen. Zuweilen hat solch eine Anregung weitreichende Folgen. So wurde etwa Rudolf Reischauer während seiner (kurzen) Assistentenzeit am Institut auf das Thema der Beweislastverteilung bei Schadenersatz aus Vertragsverletzung aufmerksam. Er entwickelte daraus seine – schon am Institut für Zivilrecht geschriebene  – Habilitationsschrift zum Entlastungsbeweis des Schuldners,22 und wurde in der Folge zu einem der (zwei) großen Experten des österreichischen Schadenersatzrechts. 156

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Nach dem Übergang der Leitung des Institutes auf Peter Jabornegg im Jahre 1993 wurde die wissenschaftliche Arbeit am Institut nicht nur auf gleichbleibend hohem Niveau fortgeführt, sondern in Teilen noch intensiviert und ausgeweitet. Aus der Arbeit zum Arbeitsrecht sei insbesondere nochmals der Kommentar zum ArbVG genannt, der ab 2002 in neuer Auflage (als Faszikelwerk, herausgegeben von Strasser/Jabornegg/Resch) erscheint,23 und in dem die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Institutes immer wieder wichtige Fragen neu vermessen, wie etwa Resch die Bestimmungen zur Rechtsstellung der Mitglieder des Betriebsrates, Trost den Allgemeinen Kündigungs- und Entlassungsschutz, Naderhirn den Europäischen Betriebsrat und Jabornegg jüngst die zentralen Bestimmungen zur Mitbestimmung. Naderhirn und Trost befassten sich ferner, in der Tradition Strassers und Jaborneggs, intensiv mit der Betriebsratswahl. Jabornegg lotete in zwei großen Aufsätzen das Verhältnis des Arbeitsrechts zum Unternehmensrecht und speziell zum Konzernrecht aus24 und setzte diese für das Arbeitsrecht wichtige Sichtweise auf beide Rechtsgebiete in der grundlegenden Kommentierung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat fort.25 Eine »interdisziplinäre« Arbeit auf zwei Teilgebieten der Rechtsdogmatik, bei der eine Person beide Gebiete vollkommen beherrscht, ist selten. Das große Interesse am Unternehmensrecht führte nicht nur zu grundlegenden Beiträgen im Kommentar zum Aktiengesetz (AktG) und in dem von Jabornegg herausgegebenen Kommentar zum Handelsgesetzbuch bzw. später Unternehmensgesetzbuch (gemeinsam mit Eveline Artmann), sondern auch zum besten Kommentar zum (früheren) Recht der Bürgerlichen Gesellschaft von Jabornegg/Resch.26 Auch Geist arbeitet zum Unternehmensrecht sowie zu dessen Schnittstellen mit dem Arbeitsrecht. Aus der Beschäftigung mit der sozialen Krankenversicherung heraus entwickelte Resch seine Arbeiten zum Medizinrecht, die wesentlich zur Etablierung dieses neuen Faches im österreichischen Wissenschaftsbetrieb beitrugen. Die Arbeit des Institutes trug somit wesentlich zur Entwicklung des österreichischen Arbeitsrechts bei. Sie war innovativ, weil der Gegenstand in Entwicklung war und der Bearbeitung harrte, weil die passenden Methoden der Rechtserkenntnis systematisch angewendet wurden und weil der Zusammenhang mit anderen Teilgebieten des Rechts gesucht und gesehen wurde. Spiritus Rector der Institutsarbeit war lange Rudolf Strasser. Er hat nicht nur das österreichische Arbeitsrecht im Kontext der gesamten Rechtsordnung selbst wesentlich weiterentwickelt und die Arbeitsrechtswissenschaft in Österreich mitbegründet, er hat auch zahlreiche Jüngere motiviert und gefördert  ; es war und ist nicht selbstverständlich, dass Talente bis zur Entfaltung durchhalten. Ein zentraler Beitrag des Institutes zur Entwicklung des Fachs war ferner die Tätigkeit von Strasser als Schriftleiter von »Das Recht der Arbeit« (von 1978 bis zu seinem Tod 2010, gemeinsam mit Josef Cerny und anfangs auch Hans Floretta), einer der beiden österreichischen Fachzeitschriften für Arbeitsund Sozialrecht, herausgegeben von der Arbeiterkammer. Die Schriftleitung gab 157

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Gelegenheit, bei Aufsätzen und Urteilsanmerkungen die Aufmerksamkeit auf die wichtigen Fragen zu lenken und die Arbeitsstandards zu heben und dann beizubehalten. Strasser war ferner ab 1965 Vizepräsident und von 1983 bis 2001 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeits- und Sozialrecht, die vor allem durch ihre großen jährlichen Tagungen Impulse und Maßstäbe für das wissenschaftliche Geschehen im Fach setzt. Spielbüchler folgte als Präsident bis zu seinem allzu frühen Tod 2012 nach  ; Jabornegg fungierte in dieser Zeit als Vizepräsident. Der innovative Beitrag der Institutsarbeit wurde in den ersten Jahrzehnten noch durch einen weiteren Umstand sehr begünstigt, der den Diskursraum und die Diskursform betrifft. Die österreichische Rechtswissenschaft konnte sich damals auf das österreichische Recht konzentrieren und musste nur versuchen, die Adressaten in Österreich – Gerichte, Vertragspraxis, Gesetzgeber und Interessenverbände – zu erreichen und zu beeinflussen. Sowohl die Rechtslage wie die Interessenlagen waren überschaubar, die Adressaten lasen, was geschrieben wurde, auch weil noch nicht so viel geschrieben wurde wie später. Trotz der nicht wenigen Änderungen der Gesetzeslage blieb diese vor allem im Kollektiven Arbeitsrecht, aber auch im Individualarbeitsrecht relativ stabil. Die Wissenschaft musste nicht ständig neue Rechtsnormen verarbeiten, man hatte daher ausreichend Zeit, um über das Vorhandene nachzudenken  ; nur selten entschwand die Gesetzesbestimmung als Objekt des Nachdenkens bereits wieder, bevor man sich darüber ernsthaft Gedanken machen konnte. Diese Rahmenbedingungen haben sich im Laufe der Jahre in mehreren Aspekten deutlich verändert. Bei all jenen Fragen, zu denen das Unionsrecht Vorgaben macht, liegt die Entscheidung über den Inhalt der Vorgaben bei Unionsorganen, also Kommission, Parlament, Rat und Europäischem Gerichtshof (EuGH). Diese sind von Aussagen der österreichischen Rechtswissenschaft aber ebenso schwer zu erreichen wie von der Rechtswissenschaft anderer (kleinerer) Mitgliedstaaten. Überdies hat im Unionsrecht das systematische Denken vor dem Hintergrund einer Gesamtrechtsordnung sowie der genaue Inhalt des geschriebenen Rechts meist weit weniger Bedeutung als es im österreichischen Recht der Fall war. Die Judikaturpraxis des EuGH tendiert zu einer Fallrechtsordnung, die dann von der Lehre häufig nur nachgezeichnet wird – innovative rechtsdogmatische Arbeit wird hingegen eher durch geschriebenes Recht gefördert, das als System verstanden werden kann und »will«. Vor allem im Sozialrecht hat überdies die Änderungsgeschwindigkeit weiter zugenommen. Eine gewisse Stabilität der Rechtslage ist aber wesentlich für die Innovationskraft rechtsdogmatischer Arbeit, die ansonsten nur den »letzten Schrei« nachzeichnen kann. Ferner hat sich die Zahl der Publikationen zum Recht insgesamt und zum Arbeitsrecht im Besonderen deutlich erhöht. Dies betrifft alle Literaturgattungen, vor allem aber Zeitschriften und Kommentare. Das Interesse der Verlage hat die Zahl der Zeitschriften stark ansteigen lassen. Da die Zahl der wissenschaftlich Tätigen sich nicht in gleichem Ausmaß erhöht hat, führt dies zu einem deutlich gestiegenen 158

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Anteil von kurzen Zeitschriftenbeiträgen, die mehr an Aktualität und Berichterstattung orientiert sind als an vertiefender Erörterung. Innovative Dogmatik hat ihren Platz aber typischerweise in längeren Aufsätzen oder Monographien, nur manchmal in Kommentaren. Auch Rechtswissenschaftler und Rechtswissenschaftlerinnen können heute der Fülle an neuen Normen, Urteilen und Geschriebenem kaum mehr folgen. Das Anschwellen der Publikationszahlen ist für innovative Dogmatik ungünstig  : Monographien und längere Aufsätze werden von der Judikatur – (einer) der Hauptadressat(en) dogmatischer Rechtswissenschaft  – zunehmend weniger rezipiert  ; die Grenze von Rechtswissenschaft und Rechtskunde verschwimmt und wird vernachlässigt. Ein bedauernswertes Ergebnis dieser Entwicklung wäre es, wenn von der Politik ernsthaft erwogen würde, ein allgemeines Rechtsstudium an Fachhochschulen anzusiedeln – eine der Grundlagen unseres Gemeinwesens würde dann in Österreich eher durch Rechtskunde denn durch Rechtswissenschaft »betreut«. Trotz dieser weniger günstig gewordenen Rahmenbedingungen ist es dem Institut  – vor allem der Arbeit Jaborneggs  – jedoch gelungen, weiterhin durch sehr weiterführende rechtswissenschaftliche Beiträge zu wirken.

Zur gesellschaftlichen Bedeutung des Instituts Die Auffassung, dass sich die Bedeutung universitärer Einrichtungen  – neben der Lehre – in erster Linie nach dem Beitrag zur Weiterentwicklung des Faches durch innovative Forschung bemisst, war in den ersten Jahrzehnten der JKU sicher weit weniger in Frage gestellt als später. Seither stieg (leider auch in nicht empirischen Fächern) die Bedeutung des Einwerbens von Drittmitteln, auch wenn der innovative Ertrag gering sein sollte, und jener von verschiedenen Aufgaben der »Third Mission« zum Wissenstransfer, auch wenn es sich nicht um das selbst Erarbeitete handelt. Auch früher waren Bedeutung und »Erfolg« eines rechtswissenschaftlichen Institutes aber nicht allein durch den Beitrag zur Innovation bestimmt – gerade in Bezug auf das Arbeitsrecht und, in geringerem Maße, das Sozialrecht. Zu erinnern ist hier an die erwähnten Funktionen von Strasser, Spielbüchler und Jabornegg in der Gesellschaft für Arbeits- und Sozialrecht. In Bezug auf das Arbeitsrecht ist wesentlich, dass es von seinem Gegenstand her nicht nur ein gesellschaftspolitisch reichlich umstrittenes Gebiet war und ist, es gibt auch zwei durch die Interessenlage deutlich unterschiedene Seiten. In den ersten Jahrzehnten des Institutes wurden die im Arbeitsrecht wissenschaftlich Tätigen, mehr als später, einer der beiden Seiten »zugeordnet« – und zwar primär nicht nur/erst aufgrund der Aussagen, sondern bereits aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Organisation wie einem Universitätsinstitut. Strasser kam aus der Arbeiterkammer, dementsprechend wurde »sein« Institut der Arbeitnehmerseite zugeordnet. Diese Zuordnung änderte bei der konkreten Arbeit 159

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am positiven Recht jedoch wenig an den zuvor genannten Arbeitsgrundsätzen. Dort wo es Freiräume der Interpretation lässt, kam die eben angesprochene Ausrichtung bei den Angehörigen des Instituts in durchaus unterschiedlicher Ausprägung zum Tragen. Die gesellschaftspolitische Verankerung des langjährigen Institutsvorstandes Strasser bot aber die Basis dafür, dass zum einen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Institutsarbeit laufend von jenen wahrgenommen wurden, welche das Arbeitsrecht gestalteten, und zum anderen deren Regelungsprobleme wissenschaftlich bearbeitet wurden. Vor wie nach dem Wechsel des Institutsvorstandes wurden Institutsangehörige für Politik und Unternehmen beratend tätig. Viele wegweisende oder weiterführende Arbeiten gingen auf Anregungen aus der Praxis zurück. Der regelmäßige Kontakt mit der Praxis kann die rechtsdogmatische Arbeit sehr befruchten – solange er nicht die Oberhand gegenüber der Wissenschaft erlangt  ; das Institut hat dazu stets die richtige Balance gefunden. Strasser hat darüber hinaus zahlreiche Funktionen in Universität und Forschung (z. B. lange Präsident der Boltz­ mann-Gesellschaft), Gesellschaft (z. B. lange SPÖ-Gemeinderat der Stadt Linz) und Wirtschaft (z. B. lange Mitglied des Aufsichtsrates der vöest) ausgeübt. Er hat es verstanden, diese Funktions- und Gremientätigkeit neben der Arbeit zur Wissenschaft zu leisten – und nicht etwa an deren Stelle. Spielbüchler war während seiner langjährigen Tätigkeit am Verfassungsgerichtshof dort ein »Sachverständiger« nicht nur für Arbeitsrecht, sondern auch für Privatrecht. Das bisher Gesagte lässt erkennen, dass das Institut lange Jahre – im Kontext der Wissenschaft und der Beeinflussung des Rechtslebens – sehr wirkungsmächtig war. Die gesamthafte Zuordnung trug dazu nicht unwesentlich bei. Allerdings haben sich, wie dargelegt, die Rahmenbedingungen geändert. Für das Institut besonders schmerzhaft ist, dass auch an den Universitäten die Überzeugung von der Bedeutung des Fachs abnahm. An mehreren Universitäten, nicht nur in Österreich, machte sich der Glaube breit, Unternehmensrecht und anderes sei viel wichtiger als Arbeits- und Sozialrecht – bis hin zur Entscheidung, nach der Emeritierung Jaborneggs die einst von Strasser besetzte Professur jetzt nur mehr als halbe Stelle auszuschreiben. In Wien, Salzburg und (bald wieder) in Innsbruck ist das Fach seit langem mit zwei Professuren vertreten, in Linz – auch wenn man die Professur von Resch berücksichtigt – nicht. Am Ende seines Berichts zum 25-jährigen Bestand des Institutes hat Strasser 1991 geschrieben  : »Wenn in diesem Zusammenhang ein Wunsch geäußert werden darf, so ist es der, daß das Institut […] auch in der weiteren Zukunft jene Rolle und Bedeutung im Bereich des österreichischen Arbeitsrechts einnehmen sollte, die es in den letzten 25 Jahren dank harter und beharrlicher Arbeit, die von allen, die wir hier wirken bzw. gewirkt haben, mit großer Freude verrichtet wurde, erreicht hat.«27 160

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Jabornegg hat diesen Wunsch weiter verwirklichen können, in Zukunft wird das voraussichtlich kaum möglich sein. Ich schätze das Unternehmensrecht durchaus – allerdings wird man wohl bald noch deutlicher als jetzt schon merken, dass eine Gesellschaft nicht durch Aktien- und Finanzmarktrecht zusammengehalten wird, sondern weit eher durch eine angemessene Regelung von Arbeitsbeziehungen und Sozialleistungen. Die gründliche und innovative rechtsdogmatische Bearbeitung von Arbeits- und Sozialrecht leistet dazu einen wesentlichen Beitrag, schon weil sie auf die Kohärenz der Regelungen achtet und dringt.

Literatur Floretta, Hans u. Strasser, Rudolf, Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 1974 und 19882. Floretta, Hans u. Strasser, Rudolf, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 1975. Floretta, Hans, Spielbüchler, Karl u. Strasser, Rudolf, Arbeitsrecht Band I und II, Wien 1976. Grillberger, Konrad, Eheliche Gütergemeinschaft, Wien 1982. Hepple, Bob A. and Veneziani, Bruno (eds.), The Transformation of Labour Law, Oxford 2009. Jabornegg, Peter u. Strasser, Rudolf, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes, Linz 1978. Jabornegg, Peter, Das Risiko des Versicherers, Wien 1979. Jabornegg, Peter, Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrages, Wien 1982. Jabornegg, Peter, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht, in  : Das Recht der Arbeit, Jg. 41, H. 1, 1991, S. 8–16 und H. 2, 1991, S. 115–126. Jabornegg, Peter u. Strasser, Rudolf, Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 19993. Jabornegg, Peter u. Strasser, Peter, Kollektives Arbeitsrecht Bd. 2, Wien 20014. Jabornegg, Peter, Resch, Reinhard u. Strasser, Rudolf, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Wien ab 2002. Jabornegg, Peter, Arbeitsvertragsrecht im Konzern, in  : Das Recht der Arbeit, Jg.  52, H.  1, 2002, S. 3–14 u. H 2, 2002, S. 118–130. Jabornegg, Peter, 36 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der JKU – Ein Bericht aus Anlass des 80. Geburtstages von Em. O. Univ.-Prof. Dr. h.c. Dr. Rudolf Strasser, Linz 2003 (nicht veröffentlicht). Jabornegg, Peter, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz. 15. Lieferung, § 110, 2006. Rebhahn, Robert, Weisungen im Universitätsbereich. Eine verwaltungsrechtliche Untersuchung, Wien 1982. Rebhahn, Robert u. Strasser, Rudolf, Zwangsvollstreckung und Insolvenz bei Gemeinden, Linz 1989. Reischauer, Rudolf, Der Entlastungsbeweis des Schuldners (§ 1298 ABGB). Ein Beitrag zum Recht der Leistungsstörung mit rechtsvergleichenden Bezügen, Berlin 1975. Resch, Reinhard, Die Einwilligung des Geschädigten, Wien 1997. Resch, Reinhard, Arbeitsvertrag und Nebenbeschäftigung, Wien 1991. 161

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Anmerkungen   1 Vgl. dazu Rudolf Strasser, 25 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht an der JKU – Ein Bericht, Linz 1991  ; Peter Jabornegg, 36 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der JKU – Ein Bericht aus Anlass des 80. Geburtstages von Em. O. Univ.-Prof. Dr. h.c. Dr. Rudolf Strasser, Linz 2003.   2 Vgl. z. B. Bob A. Hepple and Bruno Veneziani (ed.), The Transformation of Labour Law, Oxford, 2009 mit einem Beitrag zum Sozialrecht von Rebhahn.   3 Bundesgesetz über das Studium der Rechtswissenschaften, BGBl. 140/1978.   4 Der erste Versuch des Verfassers, einen rechtswissenschaftlichen Aufsatz zu verfassen, enthielt mehrmals aneinandergereihte Aussagen anderer zum Thema. Strasser kritisierte deutlich, dass dies keine Verarbeitung des Stoffes und daher unbrauchbar sei.   5 Besonderen Wert legte Strasser auf klare Ausdrucksweise  ; »hinter jedem unklaren Satz steht ein unklarer Gedanke«  ; man solle sich beim Schreiben »stets den Leser vorstellen, ob er das Gesagte auch verstehen wird«.   6 Vgl. Rudolf Strasser, Juristische Methodologie und soziale Rechtsanwendung im Arbeitsrecht, in  : Das Recht der Arbeit, Jg. 29, H. 2, 1979, S. 85–99.   7 Hans Floretta u. Rudolf Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 1975.   8 Hans Floretta u. Rudolf Strasser, Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 1974 und 19882  ; Peter Jabornegg u. Rudolf Strasser, Arbeitsverfassungsgesetz, Wien 19993.   9 Hans Floretta, Karl Spielbüchler u. Rudolf Strasser, Arbeitsrecht Band I und II, Wien 1976  ; Zuletzt Karl Spielbüchler u. Konrad Grillberger, Individualarbeitsrecht Bd. 1, Wien 1998  ; Peter Jabornegg u. Rudolf Strasser, Kollektives Arbeitsrecht Bd. 2, Wien 20014. 10 Reinhard Resch, Arbeitsvertrag und Nebenbeschäftigung, Wien 1991. 11 »Von außen« habilitierte sich Ministerialrat Walter Schwarz, der dann nach Graz berufen wurde. Auch seine Habilitationsschrift war einem Thema mit vertragsrechtlichem Bezug gewidmet  : Walter Schwarz, Das Arbeitsverhältnis bei Übergang des Unternehmens, Wien 1967. 12 Karl Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis. Über den Zusammenhang von Schuld- und Sachenrecht, Wien 1973. 13 Peter Jabornegg, Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrages, Wien 1982. 14 Konrad Grillberger, Eheliche Gütergemeinschaft, Wien 1982. 15 Reinhard Resch, Die Einwilligung des Geschädigten, Wien 1997.

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50 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht

16 Peter Jabornegg u. Rudolf Strasser, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes, Linz 1978. 17 Z. B. Peter Jabornegg, Das Risiko des Versicherers, Wien 1979. 18 Rudolf Strasser u. Konrad Grillberger, Probleme des Zessionskredites, Wien 1976. 19 Karl Schiemer, Peter Jabornegg u. Rudolf Strasser (Hg.), Kommentar zum Aktiengesetz, Wien 19933. 20 Robert Rebhahn, Weisungen im Universitätsbereich. Eine verwaltungsrechtliche Untersuchung, Wien 1982. 21 Robert Rebhahn u. Rudolf Strasser, Zwangsvollstreckung und Insolvenz bei Gemeinden, Linz 1989. 22 Rudolf Reischauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners (§ 1298 ABGB). Ein Beitrag zum Recht der Leistungsstörung mit rechtsvergleichenden Bezügen, Berlin 1975. 23 Peter Jabornegg, Reinhard Resch u. Rudolf Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Wien ab 2002. 24 Peter Jabornegg, Unternehmensrecht und Arbeitsrecht, in  : Das Recht der Arbeit, Jg.  41, H.  1, 1991, S. 8–16 und H. 2, 1991, S. 115–126  ; Peter Jabornegg, Arbeitsvertragsrecht im Konzern, in  : Das Recht der Arbeit, Jg. 52, H. 1, 2002, S. 3–14 und H. 2, 2002, S. 118–130. 25 Peter Jabornegg, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, 15. Lieferung, § 110, 2006. 26 Reinhard Resch u. Peter Jabornegg, §§ 1175–1216 ABGB, in  : Michael Schwimann, ABGB Praxiskommentar, Bd. 5, Wien 20063, S. 668–796. 27 Strasser, 25 Jahre Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht an der JKU, S. 25.

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Innovation in der Verwaltungsrechtswissenschaft am Beispiel des Planungsrechts Einleitung Am 8. Oktober 1966 wurde die Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz feierlich eröffnet, am 10. Oktober 1966 startete der Studienbetrieb mit verschiedenen Studienrichtungen, darunter auch die der Rechtswissenschaften. Zu diesem Zeitpunkt rückte ein neues Thema in das Bewusstsein der Verwaltungsrechtslehre, nämlich das der staatlichen Planung, die Rechtsverbindlichkeit mit Außenwirkung1 beansprucht.2 Ein Referenzgebiet für diese Entwicklung ist das Raumordnungsrecht. Ab Ende der 1950er Jahre erließen die Länder sukzessive3 erstmalig Raumordnungsgesetze mit dem Ziel, durch rechtsverbindliche Pläne die soziale, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Entwicklung des Landesgebietes zu steuern. Über die Flächenwidmung sollten in der Folge und auf Grundlage der Landespläne (weiterhin) die Gemeinden für jedes Grundstück eine Bodennutzungsplanung erarbeiten, durch die die Bebaubarkeit oder sonstige Bodenfunktion verbindlich festgelegt wird. Es stellte sich die Frage, wie sich diese politischen Vorstellungen über verbindliche Raumordnungspläne verfassungskonform umsetzen ließen. Neben schwierigen kompetenzrechtlichen Fragen, welche Gebietskörperschaft für die gesetzliche Regelung der Planung und ihrer Durchführung überhaupt zuständig ist und wie sich verschiedene Planungsträger bei den Planungen koordinieren können, musste freilich auch geklärt werden, in welcher Rechtsform derartige Pläne erlassen werden sollen. Aufgrund der Rechtsverbindlichkeit des Planes kam nur eine jener Rechtssatzformen in Betracht, die in der Verfassung vorgesehen sind und für die die Verfassung auch ein spezifisches Rechtsschutzinstrumentarium einrichtet. Nur bei der Wahl einer solchen Rechtssatzform ist gewährleistet, dass der einzelne Betroffene die Möglichkeit hat, den für ihn verbindlichen Plan durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Dabei bot es sich an, die Planerlassung der öffentlichen Verwaltung zu überantworten, die die Raumpläne  – aufgrund des generellen Adressatenkreises  – in Form von Verordnungen zu beschließen hat. Soll aber ein Raumplan als Verordnung erlassen werden, so stellen sich Probleme im Zusammenhang mit dem in der Bundesverfassung, konkret in Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG, verankerten Legalitätsprinzip. Dieses verlangt nach der Rechtsprechung,4 dass die Gesetze das hoheitliche Handeln der 165

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Verwaltung schlechthin – also auch das Handeln in Verordnungsform – so vorherbestimmen (»determinieren«) müssen, dass das Verwaltungshandeln vorhersehbar, berechenbar und am Maßstab des Gesetzes überprüfbar sein muss. Ob planerische Maßnahmen überhaupt einer gesetzlichen Determinierung zugänglich sein können und damit die Planerlassung in einem demokratischen Rechtsstaat durch die Verwaltung erfolgen darf und in welcher Form die Gesetze diese Determinierung leisten können, beschäftigte die Raumordnungsgesetzgeber gleichermaßen wie die Verwaltungsrechtswissenschaft, die versuchte, den Boden für eine verbindliche und verfassungskonforme Raumplanung aufzubereiten. Auch die Rechtswissenschafter des Öffentlichen Rechts der neu gegründeten Linzer Hochschule brachten sich von Anbeginn an in die damals hochaktuelle Debatte ein und ließen mit neuen, innovativen Ansätzen aufhorchen. Neben dem Gründungsrektor Ludwig Fröhler war es insbesondere Peter Oberndorfer, der zunächst als Universitätsdozent und dann als Universitätsprofessor an der JKU das Planungsrecht im Allgemeinen und das Raumordnungsrecht im Besonderen wissenschaftlich bearbeitete.

Plan und Planung als Herausforderung für die verwaltungsrechtliche Dogmatik Gemäß Art. 18 Abs. 1 B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden. Diese Anordnung gilt als »ein Fundamentalsatz der österreichischen Rechtsordnung«.5 Seine besondere Bedeutung für das rechtsstaatliche Prinzip unserer Bundesverfassung erklärt sich vor dem geschichtlichen Hintergrund  :6 In Zeiten der konstitutionellen Monarchie sah man das Gesetz nur als Schranke und eben nicht als notwendige Voraussetzung von verwaltungsbehördlichem Handeln, gewisse Bereiche waren überhaupt der freien Prärogative des Monarchen vorbehalten. Einen bewussten Kontrapunkt dazu setzte das B-VG mit dem Art. 18 Abs. 1, in dem erstmals umfassend die gesamte Verwaltung an die Gesetze gebunden wurde und das Vorliegen eines Gesetzes nicht nur Schranke, sondern Voraussetzung für hoheitliches Verwaltungshandeln ist. Jedes Verwaltungshandeln muss daher auf ein Gesetz, somit auf den Willen des demokratischen Gesetzgebers zurückzuführen sein. Gleichsam als Kehrseite der Medaille leitete der Verfassungsgerichtshof aus Art.  18 Abs.  1 B-VG auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers ab, die Gesetze inhaltlich derart zu determinieren, dass es den nachprüfenden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts möglich sei, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns am Maßstab der Gesetze zu prüfen. Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung voraus, dass bereits im Gesetz die wesentlichen Voraussetzungen und Inhalte des behördlichen Handelns umschrieben sein müssen.7 Insbesondere sollte damit auch 166

Verwaltungsrechtswissenschaft und Planungsrecht

ausgeschlossen werden, dass das Gesetz nur Zwecke festschreibt und die Verwaltung zur Zweckerreichung beliebige, dazu geeignete Maßnahmen als Mittel rechtfertigen kann. Das Postulat, dass das Verwaltungshandeln in einem Rechtsstaat durch die Gesetzesbindung vorhersehbar und berechenbar sein muss, führte schließlich dazu, dass das Verwaltungshandeln konditional programmiert wurde  : Wenn ein bestimmter, vom Gesetzgeber festgeschriebener Tatbestand vorliegt, dann muss eine ebenfalls vom Gesetzgeber determinierte Rechtsfolge eintreten. Idealtypisch gibt es bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur ein richtiges verwaltungsbehördliches Handeln, Spielräume für die Verwaltung sollten so weit wie möglich ausgeschlossen werden.8 Angesichts der besonderen Bedeutung des Legalitätsprinzips für den demokratischen Rechtsstaat verwundert es nicht, dass es zahlreiche rechtswissenschaftliche Untersuchungen dazu gab. Ab 1960 wurde zunehmend diskutiert, ob diese vom Verfassungsgerichtshof streng ausgelegten Anforderungen an das Determinierungsgebot für Gesetze für alle Rechtsgebiete gleichermaßen anwendbar seien oder ob hinsichtlich der Anforderungen je nach den Eigenarten der einzelnen Rechtsgebiete zu differenzieren sei. Eine derartige Diskussion wurde für mehrere Rechtsbereiche geführt. Besonders manifestierte sich die Problematik der strengen Gesetzesbindung aber im Bereich des Raumordnungsrechts, das sich zu jener Zeit entwickelte. Durch die Raumordnung soll eine planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes in Bezug auf seine Verbauung, insbesondere für Wohn- und Industriezwecke einerseits und für die Erhaltung von im Wesentlichen unbebauten Flächen andererseits erreicht werden.9 Schon alleine diese Definition des Verfassungsgerichtshofes zeigt, dass das herkömmliche Tatbestand-RechtsfolgeSchema, das der rechtswissenschaftlichen Dogmatik zugrunde liegt, nicht greifen kann. Im Raumordnungsrecht geht es nicht darum, an vergangene Sachverhalte Rechtsfolgen zu knüpfen, sondern zukunftsgerichtete Pläne aufzusetzen, die politischen Zielvorstellungen entsprechen sollen. Es liegt daher in der Eigenart der Rechtsmaterie, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage ist, gesetzliche Kriterien aufzustellen, nach denen für jedes Grundstück gleichsam zwingend die eine richtige Flächenwidmung abgeleitet werden kann. Vor diesem Hintergrund enthielten die damaligen Raumordnungsgesetze lediglich Planungsziele, die durch die konkreten Pläne in der Folge umzusetzen waren. Dies warf umgehend Zweifel auf, dass diese Raumordnungsgesetze dem strengen Legalitätsprinzip nicht Genüge tun, umgekehrt wusste man freilich nicht, wie man die Gesetze näher determinieren sollte, damit sich gleichsam automatisch die eine richtige Flächenwidmung unmittelbar aus dem Gesetz ableite.10 Die Rechtswissenschaft erkannte zwar, dass die überkommene Begrifflichkeit des Staats- und Verwaltungsrechts nicht ausreichte, um das Phänomen der Raumplanung in den Griff zu bekommen. Wenig hilfreich waren aber resignierende Resü167

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mees, wonach sich das Planungsrecht nach seiner Logik und Terminologie nicht in die überkommene Dogmatik einordnen lasse.11 In der österreichischen Verwaltungsrechtswissenschaft wurde entweder eine angesichts der Natur der Sache weniger strenge Auslegung des Legalitätsprinzips für das Raumordnungsrecht gefordert oder zur Sicherstellung des demokratischen Rechtsstaates postuliert, dass der Gesetzgeber selbst zumindest die übergeordneten Raumpläne erlassen müsse. In diesem Sinn hat etwa Karl Korinek ausgeführt, dass die Aufzählung von unkritisch nebeneinander gestellten Planzielen oder -grundsätzen im Gesetz nicht geeignet sei, den streng ausgelegten Anforderungen des Legalitätsprinzips gerecht zu werden, sodass jedenfalls Landesraumpläne nur durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber beschlossen werden könnten.12

Das innovative Konzept Linzer Prägung: Gesetzliche Vorherbestimmung von Raumplänen durch finale Programmierung Es war das Verdienst von Peter Oberndorfer, die rechtswissenschaftliche Dogmatik für das Planungsrecht zu erweitern. Oberndorfer stellte in einem grundlegenden Aufsatz 197213 fest, dass es nicht aussichtsreich sei, die besondere Sachstruktur der Raumordnung mit den Mitteln der Rechtswissenschaft zu erhellen, und griff auf theoretische Konzeptionen der Sozialwissenschaften zurück. Er übernahm die von Niklas Luhmann getroffene Unterscheidung zwischen Konditionalprogrammen, die Entscheidungsprozesse nach dem klassischen Wenn-Dann-Schema bestimmen, und Zweckprogrammen, die das Entscheidungsverhalten zukunftsorientiert als Wahl geeigneter Mittel angesichts eines vorherbestimmten Zweckes festlegen.14 Auf Grundlage dieser Arbeiten wies Oberndorfer das Paradoxon nach, dass zwar nach dem klassischen konditionalen Schema der Gesetzgeber durch ein Mehr an gesetzlichen Tatbeständen die Handlungsfreiheit der Verwaltung einschränkt, im Bereich der Zweckentscheidungen aber gerade mit einem umfangreichen Zielkatalog erst die gestalterische Planungsfreiheit eröffnet, da die einzelnen Planungsziele in ihrer Vielfalt trotz aller Gleichläufigkeit im konkreten Planungsfall einander widersprechen. Wenn etwa §  2 Abs  1 Oö. ROG verlangt, dass zum einen die Umwelt umfassend vor schädlichen Einwirkungen zu schützen ist und der Naturhaushalt zu sichern ist, gleichzeitig aber auch die räumlichen Voraussetzungen für eine leistungsfähige Wirtschaft verbessert werden sollen, sind Ziel- und Mittelkonflikte vorprogrammiert.15 Diese räumen der Verwaltung erhebliche Entscheidungsspielräume ein.16 Insbesondere eröffnen sich dadurch auch besondere Probleme der Legitimitätsbeschaffung und Folgenverantwortung, die das Konditionalprogramm nicht kennt. Nach Oberndorfer ändere dies aber nichts daran, dass solche gesetzlichen Zweck168

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programme eben auch dem in Österreich streng verstandenen Legalitätsprinzip entsprechen, falls eine öffentliche Aufgabe aus der Sache nur zweckhaft vorgezeichnet werden könne.17 Der Ansatz Oberndorfers wurde schon damals als der erste systematisch fundierte Versuch gewürdigt, die schrankenlose Anwendung des Legalitätsprinzips mit Überlegungen zu bekämpfen, die nicht mehr dem juristischen, sondern dem allgemein wissenschaftstheoretischen Bereich zugehören. Zwar war immer wieder mit der faktischen Unmöglichkeit einer lückenlosen Determinierung von Gesetzen argumentiert worden, aber diesen Gedanken fehlte bis zur Untersuchung Oberndorfers der spezifisch methodologische Charakter, den dieser in den Werken Luhmanns fand.18 Zum Teil wurde dieser neue Ansatz kritisch gesehen. So äußerte etwa Heinz Mayer das Bedenken, dass die Auffassung Oberndorfers zu einer Zurückdrängung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit führe, weil die Überprüfbarkeit auf die materielle Gesetzmäßigkeit erheblich reduziert werde.19 Auch Peter Pernthaler warnte davor, dass die Theorie der finalen Programmierung des Planungsrechts aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich sei, da sie eine empirische und zweckrationale Struktur des Planungsgeschehens nur vortäusche und damit verhülle, dass in Wahrheit eine Fülle von existenzentscheidenden Wertungsfragen der Vollziehung überantwortet werden, für die der Gesetzgeber keine Wertmaßstäbe zur Verfügung stelle und die – abgesehen vom Fall der Willkür  – rechtlich nicht überprüfbar seien.20 Bernhard Raschauer qualifizierte Luhmanns Unterscheidung zwischen konditionaler und finaler Programmierung als »Begriffszauberei« und erachtete die Übernahme dieser Begriffsbildung in das Planungsrecht als problematisch.21 Andere Rechtswissenschafter im Inland,22 aber auch in Deutschland23 übernahmen hingegen den Ansatz. Oberndorfer selbst stellte nur sechs Jahre nach dem Erscheinen seines Beitrags fest, dass seine Einsicht »mittlerweile wohl Allgemeingut der Planungsrechtstheorie« geworden sei.24 Zum entscheidenden Durchbruch kam Oberndorfers Ansatz schließlich mit ­einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes im Jahr 1978 zu einem Flächenwidmungsplan. Im sogenannten Perchtoldsdorfer Erkenntnis25 hielt der Verfassungsgerichtshof fest, dass das Legalitätsprinzip zwar auch für Raumordnungspläne gelte, deren normativer Inhalt aber weitgehend durch das Wesen eines solchen Planes vorherbestimmt sei. Der Verfassungsgerichtshof konzedierte, dass es regelmäßig nicht möglich sei, schon auf Gesetzesstufe im Einzelnen festzulegen, für welche Gebiete die gesetzlich vorgesehenen Widmungen gelten sollen, und es daher mit dem Legalitätsprinzip vereinbar sei, solche Pläne in Verordnungsform final, also im Hinblick auf bestimmte zu erreichende Planungsziele zu determinieren. Gleichzeitig hob der Verfassungsgerichtshof aber hervor, dass in den Fällen finaler Programmierung der Gesetzgeber nicht nur die Planungsziele, sondern auch das Verfahren der Planerlassung entsprechend genau regeln müsse. Gerade den gesetzlichen Regelungen über 169

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die Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage für den Plan komme besondere Bedeutung zu, um die Transparenz der planerischen Abwägungsentscheidung nachvollziehbar und durch den Verfassungsgerichtshof überprüfbar zu machen. Oberndorfer bezeichnete dieses Erkenntnis als »einen Markstein in der rechtsstaatlichen Durchdringung des Planungsrechts«.26 Er konzedierte den Kritikern und Kritikerinnen seines Ansatzes, dass die aus rechtsstaatlichen Gründen zu fordernde Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns auf dem Umweg über finale Determinierungen weitgehend preisgegeben würde. Unter rechtsstaatlichem Aspekt müsse daher einerseits die finale Determinierung die Ausnahme für solche Bereiche bleiben, für die ansonsten auf eine gesetzliche Vorzeichnung des Verwaltungshandelns verzichtet werden müsste und daher dann überhaupt keine Verwaltungstätigkeit stattfinden könne. Zum anderen strich er hervor, dass der Verfassungsgerichtshof im genannten Erkenntnis die ausreichende rechtsstaatliche Legitimation aufgrund der gesetzlichen Regelung des Planerlassungsverfahrens annahm, deren Einhaltung wiederum überprüfbar ist. Die beschränkte Kontrolle des Planes am materiellen Gesetz werde damit durch eine Kontrolle der Einhaltung des Planungsverfahrens substituiert. Oberndorfer arbeitete auf Grundlage der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in weiteren Untersuchungen detailliert heraus, welche Verfahrensschritte im Zuge der Planerlassung erforderlich sind, um eine Legitimation durch Verfahren annehmen zu können. Dies beginnt bei der Datensammlung und einer gehörigen Bestandsanalyse  – die der Verfassungsgerichtshof als »Grundlagenforschung« bezeichnet  – bis hin zu einer Interessenabwägung, in der öffentliche wie auch private Interessen an möglichen Flächenwidmungen gegeneinander abzuwägen sind. Schließlich müssen in das Verfahren sowohl aus rechtsstaatlichen, aber auch aus demokratiepolitischen Erwägungen die vom künftigen Plan Betroffenen in den Planungsprozess eingebunden werden, auch um die Individualinteressen zu berücksichtigen. Schließlich ist das Planungsverfahren praktisch nicht überprüfbar, wenn der Plan nicht gehörig begründet wird.27

Weiterentwicklung des Konzepts bis heute Der Verfassungsgerichtshof übertrug seine Ausführungen zu den Flächenwidmungs­ plänen in der Folge auch auf andere Pläne und wich von seiner Rechtsprechung zur finalen Programmierung im Planungsrecht im Wesentlichen nicht mehr ab. Die Gesetzestechnik der finalen Programmierung besitzt heute nicht nur für die Raumplanung, sondern auch für die Fachplanung enorme Bedeutung.28 Der Verfassungsgerichtshof hat sie beispielsweise bei Regelungen der Planung von Naturschutzgebieten,29 von Straßentrassen30 und von Schulsprengeln31 sowie bei Regelungen 170

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abfallrechtlicher32 und vor allem wirtschaftsrechtlicher Planungen33 ausdrücklich akzeptiert. Er beruft sich in seinen Erkenntnissen regelmäßig auf seine mit »VfSlg 8280/1978 beginnende Rechtsprechung im Bereich der Raumordnung«,34 für die die Linzer Untersuchungen die entscheidenden dogmatischen Grundlagen geschaffen haben. Die vom Verfassungsgerichtshof erstmals in seinem Perchtoldsdorfer Erkenntnis35 betonte Surrogatfunktion verfahrensrechtlicher Vorschriften im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG hat darüber hinaus abseits finaler Normierungen Relevanz erlangt.36 Insbesondere im Zusammenhang mit Regelungen, die »wegen ihrer Offenheit für außenrechtliche Entwicklungen« mit weitgehend unbestimmten Gesetzesbegriffen operieren (müssen),37 wurde der Topos von der »Legitimation durch Verfahren« um eine spezifische Ausprägung, die als »Legalität durch Sachverstand«38 bezeichnet wird, erweitert. Die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe und damit ein geringerer Determinierungsgrad kann danach selbst dann zulässig sein, wenn sich der nähere Gehalt der Begriffe nur mit entsprechendem Sachverstand erschließen lässt. Nach der Rechtsprechung kann der Sachverstand auf unterschiedliche Arten organisiert werden. Insbesondere kommt die Heranziehung (amtlicher oder nichtamtlicher) Sachverständiger39 oder von »objektivierten« (generellen) Gutachten in Gestalt technischer Normen, Richtlinien oder ähnlichen Dokumenten40 in Betracht. Im Zusammenhang mit dem EU-Recht wurden die Erkenntnisse Oberndorfers und der auf sie aufbauenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Klärung zentraler verfassungsrechtlicher Fragen an der Schnittstelle zwischen EU-Recht und nationalem Recht aufgegriffen und weiterentwickelt.41 Soweit das Unionsrecht den nationalen Gesetzgeber zur finalen Determinierung von Planungen verpflichtet, kann die Umsetzung dieser Verpflichtung unter Beachtung der wesentlichen Voraussetzungen dieser Gesetzestechnik, d. h. insbesondere bei einer engmaschigen verfahrensrechtlichen Steuerung des Verwaltungshandelns, verfassungskonform erfolgen. Der Verfassungsgerichtshof behandelt unionsrechtlich geprägte Regelungen insofern nicht anders als rein innerstaatliches Verwaltungsrecht, wie seine Judikatur zu den energierechtlichen Systemnutzungstarifen42 sowie zum stufenweise abfolgenden Allokationssystem im Emissionszertifikatehandelsrecht43 zeigt. Das Unionsrecht verlangt allerdings über derartige Planungskonstellationen hinaus in bestimmten Bereichen eine »Zurückhaltung« des nationalen Gesetzgebers bei der Determinierung des Verwaltungshandelns. So setzen beispielsweise die europaweit agierenden Netzwerke unionaler und staatlicher Regulierungsbehörden im Energierecht und im Telekommunikationsrecht44 in funktioneller Hinsicht harmonisierte, mit weiten Entscheidungsspielräumen ausgestattete staatliche Behörden voraus, für die die Bezeichnung »Regulierungsermessen« gebräuchlich geworden ist.45 Insbesondere der EuGH hat in seinem berühmt gewordenen »Regulierungsferien«171

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Urteil46 einen behördlichen Entscheidungsspielraum eingemahnt, der über den sekundärrechtlich induzierten Rahmen hinaus von legislativen Vorhaben der nationalen Parlamente frei zu bleiben habe. Die Tendenz »in Richtung von Eigenständigkeit der Verwaltung, Rückbau der Kontrolle und Ausdünnung parlamentsgesetzlicher Steuerung« geht im europäischen Verwaltungsrecht mittlerweile so weit, dass »von einer generellen Entwicklungslinie« gesprochen werden kann.47 Das Phänomen solcher unionsrechtlich gebotener »Zonen verdünnter Legalität« ist der von Oberndorfer in den 1970er Jahren angegangenen Problematik durchaus ähnlich und lässt sich mit Hilfe der damals entwickelten dogmatischen Ansätze im Hinblick auf Art.  18 Abs.  1 und 2 B-VG verfassungsrechtlich in den Griff bekommen. Zwar ändert eine unionsrechtliche Umsetzungsverpflichtung vor dem Hintergrund des Grundsatzes der doppelten Bindung nichts am Maßstab des verfassungsrechtlichen Determinierungsgebots.48 Ebenso wie sich Zweckprogramme sachbereichsabhängig als notwendige Gesetzestechnik erweisen können, kann aber auch die unionsrechtliche Forderung nach einem weitmaschigen materiell-rechtlichen Maßstabsnetz durch den jeweiligen Regelungszweck begründet sein. So setzt etwa die europäische Verwaltungszusammenarbeit im Regulierungsrecht und die von ihr bezweckte Sicherstellung europaweit einheitlicher Regulierungsentscheidungen weite Spielräume der einzelnen Regulierungsbehörden voraus, die nicht durch die nationalen Gesetzgeber, sondern erst durch die Interaktion im Netzwerk der Regulierungsbehörden Einschränkungen erfahren sollen. Das damit einhergehende geringere Maß an gesetzlicher Determinierung des Verwaltungshandelns macht andere Formen der Legitimationsbeschaffung erforderlich. Solche sind dann aber, wie der Verfassungsgerichtshof in den 1970er Jahren erkannte, auch verfassungsrechtlich erlaubt. Damit kommt der Topos der »Legitimation durch Verfahren« und das diesbezügliche Potential der Verwaltungszusammenarbeit ins Spiel. Die legitimationsstiftende Wirkung partizipativer Verfahren besitzt in den unionsrechtlich veranlassten »Zonen verdünnter Legalität« eine entscheidende Bedeutung für die im Hinblick auf das Legalitätsprinzip gemäß Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG verfassungskonforme Umsetzung der Vorgaben des Unionsgesetzgebers im österreichischen Recht. Nach der mit dem Perchtoldsdorfer Erkenntnis eingeleiteten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes können verfahrensrechtliche Interaktionsmechanismen vier legitimitätsstiftende Funktionen erfüllen  : Erstens die koordinierte Erfassung fachlicher Einzelbeiträge und Informationen  ; zweitens die Berücksichtigung divergierender Interessen  ; drittens den präventiven Rechtsschutz und viertens die bereits angesprochene legitimierende Wirkung sachverständiger Beiträge. Entscheidend für die aktuelle Problematik ist, dass alle diese von der Rechtsprechung als relevant erachteten Funktionen mit je und je unterschiedlicher Ausprägung und Intensität auch von den sekundärrechtlich verwirklichten Formen der europäischen Verwaltungszu172

Verwaltungsrechtswissenschaft und Planungsrecht

sammenarbeit49 erfüllt werden können. Diese ermöglicht und befördert über Informations- und Anhörungsrechte sowie über Genehmigungs- und Ablehnungsrechte die koordinierte Erfassung fachlicher Einzelbeiträge. Die prozessuale Einbindung von Agenturen, die ein wesentlicher organisatorischer Baustein der Unionseigenverwaltung sind,50 von wissenschaftlichen Ausschüssen der Agenturen und von anderen Expertennetzwerken bringt wissenschaftlichen Sachverstand in die vernetzten Entscheidungsprozesse ein. Die Verwaltungszusammenarbeit trägt schließlich entscheidend zur rechtsstaatlichen Funktion von Verwaltungsverfahren bei. Durch die Einbindung der Kommission in Verfahren vor mitgliedstaatlichen Behörden wird dem von einem Verwaltungshandeln Betroffenen bereits im Rahmen des behördlichen Verfahrens eine Auseinandersetzung mit den maßgeblichen Rechtsmeinungen der Kommission, anderer Unionsorgane und von Organen der anderen Mitgliedstaaten gewährt. Das Zusammenwirken mehrerer Verwaltungsorgane trägt überdies durch die mit ihr einhergehende Selbst- und Fremdkontrolle bereits während des Verwaltungsverfahrens zur Rechtsrichtigkeit der Entscheidung bei. Nach allem ist daher eine Ergänzung des Konzepts einer »Legitimation durch Verfahren« um eine »Legitimation durch Verwaltungszusammenarbeit« angebracht. Instrumente der europäischen Verwaltungszusammenarbeit können ebenso wie etwa im österreichischen Planungsrecht etablierte partizipative Verfahrensmechanismen eine Kompensationsfunktion in rechtsstaatlicher Hinsicht erfüllen. Die Verwaltungszusammenarbeit kann daher in unionsrechtlich induzierten »Zonen verdünnter Legitimität« der entscheidende Legitimationsbaustein sein, der eine verfassungskonforme Umsetzung im österreichischen Recht erlaubt. In diese Richtung weist auch bereits das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.157/2010, mit dem der Gerichtshof die an ihn unter dem Blickwinkel des Art. 18 B-VG herangetragenen Bedenken gegen das Zuteilungssystem für Emissionshandelszertifikate der Sache nach mit dem Argument verwarf, der Zuteilung lägen ohnehin unterschiedliche Akte (auch) der Zusammenarbeit der zuständigen staatlichen Behörde und der Kommission zugrunde.

Resümee Ein abschließendes Resümee muss insbesondere auf zwei Umstände hinweisen, die die von der JKU maßgeblich mitgeprägte Lehre von der finalen Programmierung auszeichnet. Bemerkenswert ist, dass die mit der Entwicklung der Raumplanung entstandene verfassungsrechtliche Problematik damals durch den Verfassungsgesetzgeber gelöst hätte werden können. Dieser hätte  – in Entsprechung mancher Forderungen der Lehre – den verfassungsrechtlich an die Bestimmtheit von Gesetzen angelegten Maßstab reduzieren und damit dem Planungsphänomen Rechnung 173

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tragen können. Denkbar wäre auch gewesen, Raumpläne durchwegs als Gesetze zu erlassen. Beide Varianten hätten allerdings gravierende Schwächen aufgewiesen  : Im ersten Fall wäre die demokratisch und rechtsstaatlich besonders bedeutsame gesetzliche Vorherbestimmung des Verwaltungshandelns für den Bereich der Planung weitgehend aufgegeben worden. Im zweiten Fall wären erhebliche Abstriche bei der Praktikabilität der Planung zu machen gewesen – mitunter hätte jeder Flächenwidmungsplan einer Gemeinde als Landesgesetz erlassen werden müssen. Mit dem Konzept der finalen Programmierung wurde eine dritte Variante entwickelt, die nicht nur beide Schwächen vermeidet, sondern im Verein mit der legitimierenden Wirkung verfahrensrechtlicher Regelungen geradezu die Idealform gesetzlicher Steuerung der rechtsverbindlichen Verwaltungsplanung darstellt. Ihre dogmatische Fundierung verdankt dieses Konzept dem interdisziplinären Ansatz Peter Oberndorfers, der es verstanden hat, Erkenntnisse der Sozialwissenschaften für die Rechtswissenschaft nutzbar zu machen. Diese, über eine bloße Zusammenschau weit hinausgehende Interdisziplinarität zeichnet die Lehre von der finalen Programmierung ganz besonders aus und kann als Musterbeispiel für eine Interaktion der Rechtswissenschaft mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen dienen.

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Barbara Leitl-Staudinger/Michael Mayrhofer

Öhlinger, Theo, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte, Wien 1975. Pernthaler, Peter, Raumordnung und Verfassung. 2. Raumordnung, demokratischer Prozeß und Rechtsschutz (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Raumforschung und Raumplanung, Bd. 19), Wien 1978. Raschauer, Bernhard, »Finale Programmierung« und Raumordnung, in  : Zeitschrift für Verwaltung, Jg. 5, H. 2, 1980, S. 93–100. Raschauer, Nicolas (Hg.), Europäische Agenturen, Wien 2012. Rill, Heinz Peter, Art 18 B-VG, in  : Kneihs, Benjamin u. Rill, Heinz Peter (Hg.), Rill-SchäfferKommentar Bundesverfassungsrecht (1. Lfg. 2001), Wien 2001. Wimmer, Norbert, Strategie für ein umweltfreundliches Recht in Österreich, in  : Juristische Blätter, Jg. 94, H. 21/22, 1972, S. 556–567.

Anmerkungen   1 Rein verwaltungsinterne Pläne wie Haushalts- und Stellenpläne oder militärische Pläne sind hingegen seit langem bekannt und werfen keine besonderen rechtlichen Probleme auf, vgl. dazu insbesondere Ernst Forsthoff, Über Mittel und Methoden moderner Planungen, in  : Joseph H. Kaiser (Hg.), Mittel und Methoden planender Verwaltung (= Planung, Bd. 3), Baden-Baden 1968, S. 21–38, hier S. 26 f.   2 Zu den verschiedenen Ursachen des Aufkommens des Planungsrechts vgl. etwa Peter Oberndorfer, Plan und Planung, in  : Felix Ermacora u. a. (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1979, S. 229–250, hier S. 229.   3 Als letztes Bundesland hat Vorarlberg 1973 ein Raumordnungsgesetz beschlossen  ; Wien ist insofern ein Sonderfall, als hier die Wiener Bauordnung bereits seit 1930 raumordnungsrechtliche Regelungen enthält und bis heute kein gesondertes Raumordnungsgesetz existiert.   4 Vgl. dazu unten »Plan und Planung als Herausforderung für die verwaltungsrechtliche Dogmatik«.   5 Walter Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1954, S. 104.   6 Vgl. dazu und zum Folgenden Ludwig Adamovich, Hoheitsverwaltung und Gesetz, in  : Felix Ermacora u. a. (Hg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1979, S. 77–87, hier S. 78, der davon spricht, dass sich in Art. 18 Abs. 1 B-VG »der Triumpf des demokratischen Rechtsstaates liberaler Prägung« manifestiert.   7 Vgl. VfSlg 8395/1978, 8813/1980, 9226/1981, 10.158/1984 und 11.499/1987. Aus der Literatur vgl. insbesondere Heinz Peter Rill, Art. 18 B-VG, in  : Benjamin Kneihs u. Heinz Peter Rill (Hg.), Rill-SchäfferKommentar Bundesverfassungsrecht (1. Lfg. 2001), Wien 2001, Rz 5 ff. sowie zum Grad der gebotenen gesetzlichen Determinierung Rz 51 ff.   8 Vgl. dazu eingehend Peter Oberndorfer, Strukturprobleme des Raumordnungsrechts, in  : Die Verwaltung, Bd. 5, H. 3, 1972, S. 257–272, hier S. 261.   9 VfSlg 2674/1954. 10 Vgl. insbesondere Karl Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Gedanken zu Planungsrecht und Eigentumsschutz (= Österreichisches Institut für Mittelstandspolitik, H. 1), Linz 1971, S. 20 ff. 11 Dies war insbesondere in der deutschen Rechtswissenschaft die Conclusio, vgl. etwa Max Imboden, Der Plan als verwaltungsrechtliches Institut (= Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Bd. 18), Berlin 1960, S. 113 ff.; Thomas Ellwein, Politik und Planung, Stuttgart 1968, S. 58 f.; Forsthoff, Mittel und Methoden moderner Planungen, S. 24. 12 Korinek, Verfassungsrechtliche Aspekte der Raumplanung, S. 28 ff.

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Verwaltungsrechtswissenschaft und Planungsrecht

13 Oberndorfer, Strukturprobleme, S. 257–272. 14 Niklas Luhmann, Lob der Routine, in  : Verwaltungsarchiv, Bd. 55, H. 1, 1964, S. 1–33, hier S. 1 ff.; ders., Funktionen und Folgen formaler Organisation (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 20), Berlin 1964, S. 231 u. 282  ; ders., Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung. Eine verwaltungswissenschaftliche Untersuchung (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 29), Berlin 1966, S. 36  ; ders., Rechtssoziologie, Wiesbaden 20084, S. 227 ff. 15 Oberndorfer, Strukturprobleme, S. 266 f. 16 Vgl. zu diesen insbesondere Oberndorfer, Planung, S. 241. 17 Oberndorfer, Strukturprobleme, S. 268. 18 So Adamovich, Hoheitsverwaltung und Gesetz, S. 82. 19 Heinz Mayer, Die Verordnung. Eine dogmatische Untersuchung auf Grundlage des österreichischen Verfassungsrechts, Wien 1977, S. 35. 20 Peter Pernthaler, Raumordnung und Verfassung. 2. Raumordnung, demokratischer Prozeß und Rechtsschutz (= Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Raumforschung und Raumplanung, Bd. 19), Wien 1978, S. 49 f. 21 Bernhard Raschauer, »Finale Programmierung« und Raumordnung, in  : Zeitschrift für Verwaltung 1980, Jg. 5, H. 2, S. 93–100, hier S. 95. 22 Z. B. Norbert Wimmer, Strategie für ein umweltfreundliches Recht in Österreich, in  : Juristische Blätter, Jg.  94, H.  21/22, 1972, S.  556–567, hier S.  562 f.; Theo Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte, Wien 1975, S. 41  ; Ludwig Fröhler u. Peter Oberndorfer, Österreichisches Raumordnungsrecht. Planungsnormstruktur, Planungsträger und -instrumente, Planung und Eigentumsrecht (= Schriftenreihe des Institutes für Raumordnung und Umweltgestaltung, Bd. 1), Linz 1975, S. 30 ff. 23 So z. B. Fritz Ossenbühl, Welche normativen Anforderungen stellt der Verfassungsgrundsatz des demokratischen Rechtsstaates an die planende staatliche Tätigkeit  ? Dargestellt am Beispiel der Entwicklungsplanung, Gutachten für den 50. Deutschen Juristentag, Verhandlungen des fünfzigsten Deutschen Juristentages, München 1974  ; Werner Hoppe, Zur Struktur von Normen des Planungsrechts, in  : Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 89, H. 17, 1974, S. 641–647, hier S. 641 ff. 24 Vgl. Peter Oberndorfer, Zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Flächenwidmungsplänen, in  : Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Jg. 5, H. 4, 1978, S. 97–102, hier S. 97. 25 VfSlg 8280/1978. 26 Oberndorfer, Kontrolle von Flächenwidmungsplänen, S.  97. Kritisch zum Erkenntnis hingegen z. B. Bernhard Raschauer, »Finale Programmierung«, S. 93 ff. 27 Vgl. insbesondere Oberndorfer, Kontrolle von Flächenwidmungsplänen, S. 99  ; ders., Planung, S. 229  ; für das Raumordnungsrecht im Besonderen ders., Österreichisches Raumordnungsrecht II. Verfahren, Planänderung, Rechtsschutz (= Schriftenreihe des Institutes für Raumordnung und Umweltgestaltung, Bd. 15), Linz 1986, S. 15 ff. 28 Zur Unterscheidung von Raum- und Fachplanung vgl. Andreas Hauer, Planungsrechtliche Grundbegriffe und verfassungsrechtliche Vorgaben, in  : ders. u. Markus L. Nußbaumer (Hg.), Österreichisches Raum- und Fachplanungsrecht, S. 1–30, hier S. 5. 29 VfSlg 17.854/2006. 30 VfSlg 9823/1983, ferner z. B. VfSlg 19.126/2010. 31 VfSlg 12.687/1991, ferner z. B. VfSlg 18.709/2009. 32 VfSlg 16.674/2002. 33 VfSlg 10.313/1984, 10.820/1986, 17.094/2003, 17.348/2004, 17.773/2006. 34 Vgl. z. B. VfSlg 17.094/2003. 35 VfSlg 8280/1978.

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36 Vgl. VfSlg 15.177/1998 (Sozialpläne von Schlichtungsstellen), 16.921/2003 (Ausgleichssystem für Stranded Costs von Energieerzeugungsunternehmen), 19.530/2011 (Schwerarbeiterpension). 37 Vgl. Benjamin Davy, Legalität durch Sachverstand  ? Zur Bestimmbarkeit von Technik-Klauseln im österreichischen Verwaltungsrecht, in  : Zeitschrift für Verwaltung, Jg. 7, H. 4, 1982, S. 345–358, hier S. 347. 38 Vgl. Davy, Legalität, S. 350 und passim  ; ähnlich bereits Herbert Hofer-Zeni, Der Sachverständige in der rechtsstaatlichen Wirtschaftsverwaltung, in  : Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Jg. 3, H. 1, 1976, S. 12–18, hier S. 14  ; ferner Raschauer, »Finale Programmierung«, S. 99, der von einer »technokratischen Legitimation« spricht. Die Lehrmeinung kann sich auf ältere Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes berufen (VfSlg 5107/1965, 5993/1969, 6053/1969), die jedoch noch das dogmatische Fundament vermissen lassen, das gleichsam erst mit den Arbeiten Oberndorfers nachgereicht wurde. 39 VfSlg 5107/1965, 6053/1969, 12.393/1990. 40 VwSlg 15.282 A/1999. 41 Vgl. dazu und zum Folgenden näher Michael Mayrhofer, Europäische Verwaltungszusammenarbeit im österreichischen Recht (= Forschungen aus Staat und Recht, Bd. 180), Wien [im Erscheinen]. 42 VfSlg 17.348/2004  ; bestätigt u. a. mit VfSlg 17.417/2004 und 19.634/2012. 43 VfSlg 19.305/2011 und 19.415/2011. 44 Umfassend zu Regulierungsbehörden im österreichischen Recht Barbara Leitl, Die Regulierungsbehörden im österreichischen Recht, Wien 2006. 45 Vgl. mit weiteren Nachweisen Leitl, Regulierungsbehörden, S. 48 ff.; Claudia Fuchs, Zur »Regulierungsautonomie« nationaler Behörden im europäischen Telekommunikationsrecht. Bemerkungen aus Anlass des Urteils des EuGH zur Zulässigkeit von Regulierungsferien für neue Märkte, in  : Zeitschrift für Verwaltung, Jg. 36, H. 6, 2011, S. 943–951, hier S. 947  ; Barbara Leitl-Staudinger, Energieregulierung nach der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 – Auswirkungen auf Organisation und Rechtsschutz, in  : Daniel Ennöckl (Hg.), Festschrift für Bernhard Raschauer zum 65. Geburtstag, Wien 2013, S. 313–334, hier S. 322 ff. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat einen solchen weiten administrativen Spielraum von Regulierungsbehörden anerkannt, vgl. VwGH 03.09.2008, 2006/03/0079  ; 25.10.2008, 2007/03/0211. 46 EuGH 03.12.2009, C-424/07, Kommission/Deutschland. 47 So zutreffend Wolfgang Kahl, 35 Jahre Verwaltungsverfahrensgesetz – 35 Jahre Europäisierung des Verwaltungsverfahrensrechts, in  : Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 30, H. 8, 2011, S. 449–457, hier S. 450. 48 VfSlg 15.189/1998, 16.921/2003. In eine andere Richtung weist allerdings – mit nicht überzeugender, zumal auf einen »Anwendungsvorrang« der umgesetzten Richtlinie gestützter Begründung – VfGH 15.06.2016, G 25, 26/2016. 49 Siehe für Beispiele Michael Mayrhofer, Von den nationalen Verwaltungen zum Europäischen Verwaltungsverbund, in  : Österreichische Verwaltungswissenschaftliche Gesellschaft (Hg.), Der Europäische Verwaltungsverbund, Wien 2011, S. 23–71, insbesondere, S. 32 ff. 50 Vgl. die Beiträge in Nicolas Raschauer (Hg.), Europäische Agenturen, Wien 2012.

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Karin Neuwirth

Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies

Das Institut für Legal Gender Studies besteht an der JKU formell erst seit 2010 – es entstand durch Umwandlung des Instituts für Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte unter der Leitung von Ursula Floßmann. Dennoch war das Institut in der österreichischen Universitätenlandschaft das erste mit einer Denomination im Fach Legal Gender Studies und ist eines der wenigen im deutschsprachigen Raum.1 Durch diese Neudenomination kurz vor Emeritierung der Lehrstuhlinhaberin wurde auch nach außen hin sichtbar, was Kollegen und Kolleginnen sowie Studierende an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und wohl an der gesamten JKU ohnehin bereits verinnerlicht hatten  : Fragen der Geschlechterdifferenz bzw. -gleichheit waren bereits seit etwa 40 Jahren Teil der rechtshistorischen Forschung am Institut und damit Ausgangspunkt dieses »neuen« Faches gewesen.2 Mit der Überschrift »Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies« sollen dennoch keine inhaltlichen Entwicklungslinien beschrieben, wohl aber chronologische Etappen der (juristischen) geschlechterkritischen Auseinandersetzung an der JKU gespiegelt werden. Die Entstehung der gendersensiblen Forschung in den Rechtswissenschaften folgte einer generellen Entwicklung, wie sie auch in anderen Disziplinen, insbesondere aber den Geschichtswissenschaften zu beobachten war. Ob damit die Rechtsgeschichte besonders prädestiniert für die Etablierung der Legal Gender Studies war oder ob der kritische Geist der Forschenden den Ausschlag gegeben hat, soll vorerst dahingestellt bleiben. Frauenforschung an sich ist weder Vorgängerin noch Gegenpol der Gender Studies, diese haben jene weder abgelöst noch handelt es sich bloß um einen modernisierenden Anglizismus, weil »sich hinter diesen Begriffen nicht notwendigerweise Gegensätze verbergen, noch […] damit ein epistemologischer Fortschritt impliziert würde.«3 Im aktuellen Lehrveranstaltungsprogramm der JKU finden sich beide Termini als Bestandteile von Lehrveranstaltungstiteln, und es wurden bereits vor vielen Jahren unter dem ›Dach‹ der Frauenrechtsgeschichte Aspekte der Genderforschung bearbeitet,4 und selbstverständlich werden in Zukunft Legal Gender Studies ohne historische Analyseansätze nur unvollständig funktionieren.5 Die akademische Frauenforschung entwickelte sich in den 1970er und frühen 1980er Jahren in Folge der politischen Frauenbewegung, deren Ziel nichts Geringeres als ein Ende der Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen – somit ein grundlegender gesellschaftlicher Umbruch  – war. Bei der Frauenbewegung selbst 179

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handelte es sich um die sogenannte Neue (Zweite) Frauenbewegung (Second Wave Feminism), wobei sich für viele Akteure und Akteurinnen keine unmittelbare Anknüpfung an die Ergebnisse der Alten (Ersten) Frauenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts anbot. Die Frauenbewegung selbst wurde im Kontext der 68er-Studierenden-Bewegung bzw. sich entwickelnder sonstiger kritischer ziviler Gruppierungen wahrgenommen  ; eine Verbindung zu früheren Entwicklungen fehlte großteils.6 Als Haupterfolg des First Wave Feminism ist die Erlangung des Wahlrechts für Frauen in den sich entwickelnden (demokratischen) Verfassungsstaaten der westlichen Welt zu nennen.7 Im Gegensatz zu dieser staatsbürgerlich-politischen Anerkennung von Frauen am Beginn des 20. Jahrhunderts, insbesondere nach den Ereignissen des Ersten Weltkrieges, entschieden sich Fragen von Bildungs- und Berufszugängen8 sowie der Erreichung privater Autonomie und sozialer Absicherung9 national sehr unterschiedlich bzw. erlebten sie mit der Machtübernahme der faschistischen Regime herbe Rückschläge.10 Gerade die Erkenntnis eines fehlenden Bewusstseins dessen, was Frau-Sein historisch in unterschiedlichsten Zusammenhängen bedeutet hatte, bildete letztlich den Ausgangspunkt und die Basis für zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen der sich entwickelnden Frauenforschung. In den historischen sowie Sozial- und Kulturwissenschaften rückte die frühe Forscherinnengeneration bisher übersehene oder ausgeblendete Frauen in den Mittelpunkt. Frauengeschichtsforschung thematisierte nicht länger nur die wenigen bekannten politischen Regentinnen oder Pionierinnen der verschiedensten Bereiche, sondern insbesondere die Lebensumstände der durchschnittlichen Frau(en), die von der traditionellen Geschichtsforschung maximal in stereotypen Rollen (als Mutter, Ehefrau oder Geliebte) und meist als Annex zu beforschten Männern oder im Exkurs zu sonstigen Ergebnissen wahrgenommen worden waren. Denn selbst die sozialgeschichtliche »Wende« von einer Geschichtsschreibung der »FunktionsträgerInnen territorialen bzw. staatlichen Handelns« zur Erklärung der »Veränderung der jeweils eigenen Gesellschaft« hatte ein »Bild der Vergangenheit, in dem Frauen an historischen Prozessen weitgehend unbeteiligt waren oder bloße Statistinnenrollen einnahmen«,11 geliefert. Mit den neuen bzw. neu zu Tage geförderten Erkenntnissen verknüpfte sich zunehmend die Kritik an den bestehenden Disziplinen und ihren Methoden  – die Kritik an der männlichen, androzentristischen Wissenschaft, die Frauen ignoriert, marginalisiert oder stereotypisiert hatte, sich jedoch als objektiv, universell gültig und unparteiisch gerierte.12 »War das Bedürfnis nach Identifikation ein Motor des aufblühenden Interesses, so führte die Auseinandersetzung mit der Vielfalt und Uneinheitlichkeit der nun neu beleuchteten Vergangenheiten bald zu komplexen geschichtswissenschaftlichen Zugängen. Von Beginn an war damit nicht nur die  – oft schwierige  – Rekonstruktion vergangener Verhältnisse intendiert, sondern auch die Dekonstruktion von Mythen und Bildern.«13 180

Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies

Diese Wissenschaftskritik und die Hinterfragung der bisherigen Wissensproduktion, die größtenteils ohne Frauen erfolgt war, bildete schließlich die theoretische Fundierung der feministischen Forschung, die sich weiterhin – wie schon die (feministische) Frauenbewegung – mit bewusster Parteilichkeit dem Ziel der Beseitigung der männlichen Vorherrschaft in Gesellschaft und Wissenschaft verschrieb.14 Nach der selbstkritischen Infragestellung eines Kollektivsubjekts »Frau« durch die feministische Forschung selbst und mit der Übernahme der Analysekategorie »Geschlecht« Ende der 1980er Jahre kann schließlich der Übergang zur bzw. die Ausbildung der Geschlechterforschung respektive Gender Studies beschrieben werden. Gearbeitet wurde mit der und auf die »Perspektive einer systematischen Verknüpfung verschiedener Formen von Diskriminierung, Ungleichheit und Differenz«15 hin. Auch hier sind die Geschichtswissenschaft und insbesondere die Forschungen zum Nationalsozialismus als wichtiger Impuls zu nennen. Augenscheinlich wurden Frauen gerade in dieser politischen Phase durch kein kollektives Interesse und keine gemeinsame Unterdrückungserfahrung vereint  ; sie waren nicht nur Opfer männlicher Herrschaft, sondern auch Profiteurinnen und Täterinnen des Systems. Ihre Positionen und Handlungsräume wurden  – neben dem Faktor Geschlecht  – klar durch rassische und rassistische Zuschreibungen bedingt  ; Über- und Unterordnung sowie Macht und Ohnmacht wurden nicht ausschließlich durch geschlechtsspezifische Bedingtheit entschieden.16 Die Forschungsfrage nach Geschlechterdifferenz und Geschlechterverhältnissen, die eine Öffnung für beide Geschlechter erlaubte,17 aber auch die Analyse der Unterschiede entlang sozialer und ethnischer Kategorien (Klasse und Rasse) bildete nunmehr den wissenschaftlichen Fokus.18 Dass allen genannten Kategorien eine nach Epochen und geographischen Räumen unterschiedliche Zuschreibung, Konstruktion und damit kulturelle Wertigkeit zukommt, musste wiederum erst Teil des Forschungsverständnisses werden. Intra-, inter- und transdisziplinäre Ansätze stellen somit ein weiteres wichtiges Charakteristikum der Genderforschung dar, denn Geschlecht als Struktur- und Analysekategorie sollte nicht nur in allen wissenschaftlichen Bereichen Anwendung finden, sondern setzt(e) bezüglich der Hinterfragung bestehender Annahmen auch neue methodische Herangehensweisen voraus.19 Die Ausdifferenzierung des Begriffs »Geschlecht« durch die Unterscheidung zwischen biologischem und kulturell-sozialem Geschlecht (sex/gender) stellte einen entscheidenden Zwischenschritt dar, wurde aber inzwischen durch eine Debatte um die Sinnhaftigkeit dieses Ansatzes erweitert bzw. abgelöst. So bestehe einerseits die Gefahr einer Vernachlässigung bzw. Verschleierung tatsächlicher biologischer Unterschiede und andererseits der bloßen Verlagerung biologistischer und deterministischer Argumente zur Rechtfertigung sozialer Wirklichkeit.20 Eine kritische Intervention hinsichtlich Methode und Inhalt erfolgte für die Gender Studies schließlich durch die Queer Studies, deren intendierte Überwindung der Begriffe und Ideen 181

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von männlich und weiblich bzw. hetero- und homosexuell den Ansatz zur Auseinandersetzung mit einem Spektrum an geschlechtlichen und sexuellen Identitäten bildete.21

Infragestellung des etablierten Kanons oder: Gegen den Strom und schließlich Mainstream Wann und wo liegen nun die Anfänge der Legal Gender Studies an der JKU  ? Die rechtshistorische Forschung der 1970er Jahre fiel in Österreich mit aktuell-rechtlichen Umbrüchen des Familien- und Strafrechts zusammen, die in diesen beiden Bereichen einen Sprung von Wertungen und Normierungen des 18. Jahrhunderts hin zu den Realitäten des ausgehenden 20. Jahrhunderts vollzogen.22 Sowohl die sogenannte Kleine und Große Strafrechtsreform als auch die Große Familienrechtsreform könnten vordergründig als Ergebnis der 68er-Bewegungen bzw. eines generellen gesellschaftlichen Aufbruchs gesehen werden. Mit Blick auf geschlechtsspezifische Unterschiede und die rechtliche Schlechterstellung der Frau stellte die feministische, rechtshistorische Auseinandersetzung jedoch fest, dass der Reformstau weiter zurückgereicht hatte und dass realisierte Änderungen zum Teil bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts – als Forderungen der Ersten Frauenbewegung und im Rahmen der Demokratisierung und Erreichung des allgemeinen Wahlrechts – diskutiert worden waren. Wie es dennoch zu einem gesetzgeberischen Beharren und Fortbestand der Rechtsgrundlagen aus den frühen Kodifikationsepochen gekommen war und wie lange geschlechtsstereotype und somit gleichheitswidrige Annahmen als Rechtfertigung von Unterschieden in einzelnen gesetzlichen Normen dienten, wurde am Institut (damals noch  : für Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte) in mehreren rechtshistorischen Seminaren erforscht. Dabei war es der Institutsleiterin und ihrem Team immer ein besonderes Anliegen, die Einbindung der Studierenden in die wissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, um ein (selbst-)reflektiertes Lernen und Lehren und die Verbindung von Theorie und gesellschaftlicher Praxis zu gewährleisten. Die ersten  – noch in der Reihe der Sozialwissenschaftlichen Materialien23 – veröffentlichen Sammelbände zu Frauen- und Geschlechterthemen belegen diese Ansätze. Die Freiheit, als alleinige Fachvertreterin an einer Lehrkanzel neben bzw. in der Vermittlung der Inhalte eines Pflichtfaches auch neue Fragestellungen zu behandeln, war wohl Voraussetzung für die Etablierung der rechtshistorischen Frauenforschung an der JKU. Zudem bestand die Möglichkeit, im Rahmen eines freien Seminarbetriebes Themen aufzugreifen und sogenannte Freie Lehrveranstaltungen tatsächlich noch frei anzubieten, ohne der ökonomischen Logik einer Studienplan- und Lehrveranstaltungsbewirtschaftung gehorchen zu müssen. Die Lehrveranstaltungen von 182

Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies

Ursula Floßmann waren ohnehin sehr beliebt und immer gut besucht  ; Lehre war ihr ein zentrales Anliegen und nicht bloß (lästige) Pflicht als Forscherin  ; die Idee eines Hineinschnupperns in verschiedenste Bereiche für Studierende überdies noch Selbstverständlichkeit und keine Gefährdung eines schnellen Studienerfolgs. Nach etlichen Semestern eines »Seminars zur Frauenrechtsgeschichte« fand im April 1985 unter gleichem Titel eine interdisziplinäre Tagung an der JKU statt. Alle rechtshistorischen und aktuell-rechtlichen Themen der Tagung erhielten eine sozial-, wirtschafts- bzw. politikwissenschaftliche Rahmung, um Rechtsentwicklungen mit Blick auf soziale Wirklichkeit und Wirkungen aufzeigen zu können. Staats-, straf-, ehegüter- und vormundschaftsrechtliche Fragestellungen wurden mit Bezug auf die Bedingungen einer ständischen bzw. industrialisierten Gesellschaft, im Hinblick auf Politiken der Reproduktionsfreiheit bzw. -kontrolle sowie unter Analyse der gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Frauen diskutiert. Der von Ursula Floßmann und Oskar Lehner herausgegeben Tagungsband »Frau – Recht – Gesellschaft«24 glänzt mit Geleitworten des damaligen Bundesministers für Wissenschaft und Forschung Heinz Fischer sowie von Johanna Dohnal  – in ihrer Funktion als »Staatssekretär für Allgemeine Frauenfragen«. Offensichtlich wäre damals eine geschlechtsspezifische Funktionsbezeichnung als Staatssekretärin selbst im Vorwort dieser Publikation zu gewagt gewesen.25 Der fünf Jahre später erschienene Sammelband »Offene Frauenfragen«26 präsentierte schließlich neben weiteren aktuellen rechtspolitischen Anliegen (im Bereich des Familienrechts) erstmals die Frauenforschung sowie die Situation der (studierenden und forschenden) Frauen an den Universitäten selbst als Forschungsthema. Neben der rechtswissenschaftlichen Frauenforschung finden sich Beiträge der feministischen Philosophie, Soziologie und Theologie. Rahmenbedingungen frauenspezifischer Forschung und Lehre, Gleichbehandlungsrecht und Frauenförderung als Aufgabe des öffentlichen Dienstes und der Universitäten wurden, insbesondere mit Blick auf Realitäten und Aktivitäten an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der JKU, diskutiert. Damals im allgemeinen Sprachgebrauch noch primär mit dem Begriff der »Chancengleichheit« umschrieben, handelte es sich aus juristischer Sicht um Themen des Verfassungs- und Arbeitsrechts. Rechtliche Grundlagen eines Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsrechts waren neu bzw. im Entstehen begriffen. Was uns heute als selbstverständlich erscheint, war zu jenem Zeitpunkt Zentrum der rechtswissenschaftlichen Debatte, um nicht zu sagen Kontroverse  : die Erkenntnis, dass die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgebotes über eine formelle – dem Buchstaben des Gesetzes entsprechende – Gleichheit hinaus auch ein Umdenken hinsichtlich Arbeitsstrukturen und begleitende Maßnahmen, teilweise auch vorübergehende Sondermaßnahmen in Form von Förderung, voraussetzt. Formelle Gleichheit bot zwar die theoretische Möglichkeit der Überwindung männlich dominierter Strukturen, stellte im Zusammenspiel rechtlicher und faktischer Gege183

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benheiten jedoch keine Garantie einer Gleichheit dar. Dieser Aspekt eines materiellen – also reale Gegebenheiten, Zusammenhänge und Bedingungen berücksichtigenden – Gleichheitsbegriffs hatte sich zwar bereits in völkerrechtlichen Abkommen und im EU-Recht entwickelt  ; die österreichische Rechtswissenschaft betrat hier aber erst Neuland, wobei sich sehr viele Forschende in Besitzstandswahrung ihrer bisherigen Positionen versuchten. Einen wichtigen, kritischen Debattenbeitrag leisteten die an der JKU etablierten geschlechtssensiblen Rechtswissenschaften. Universitätspolitisch konstituierte sich im Jahr 1989 (nach dem Vorbild der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät) auch an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät ein »Ausschuss für fakultätsbezogene Frauenfragen«. Und obwohl der Mehrheit der Fakultätsmitglieder die Idee der (strikt qualifikationsabhängigen) Bevorzugung von Frauen bei der Aufnahme in den Universitätsdienst wohl abstrus bis skandalös erschien, wurde 1990 vom Fakultätskollegium ein »Frauenförderplan« beschlossen, der zumindest die Zielsetzung der Erhöhung des Frauenanteils im Wissenschaftsbetrieb formulierte. Neben der Frage der Ermöglichung wissenschaftlicher Karrieren für Frauen (im Hinblick auf die »Vereinbarkeit« von Beruf und Familie) war es auch die Situation der Institutssekretärinnen, insbesondere deren schlechte Entlohnung, die intensiv thematisiert wurde.27 Das für Arbeitsverhältnisse in der Privatwirtschaft geltende Gleichbehandlungsgesetz hatte ebenfalls 1990 – in Umsetzung der Bestimmungen der in Österreich seit 1982 teilweise im Verfassungsrang ratifizierten UN-Frauenrechtekonvention  – klargestellt, dass Sondermaßnahmen zur Herbeiführung einer De-facto-Gleichstellung der Geschlechter, konkret Frauenförderungsmaßnahmen, keine Diskriminierung von Männern darstellten.28 Für die Universitäten fehlten noch entsprechende gesetzliche Bestimmungen einer konkreten Umsetzung bzw. Handlungsanleitung.29 Würden die sich abzeichnenden gesellschaftlichen Änderungen ohnehin irgendwann in ferner Zukunft eine Gleichverteilung zwischen Frauen und Männern in verschiedensten Berufsfeldern herbeiführen und somit rechtliche Vorgaben obsolet machen  ? Oder waren Gleichbehandlung und Frauenförderung in allen Tätigkeitsbereichen nun selbstverständliche gesetzliche Pflicht aller Rechtsunterworfenen  ? Oder handelte es sich bloß um eine freiwillige Selbstverpflichtung von (universitären oder betrieblichen) Entscheidungsgremien  ? Zu diesen in den Rechtswissenschaften vertretenen Meinungen bezog der genannte Sammelband pointiert und progressiv Stellung. Die entsprechenden, klarstellenden Rechtsgrundlagen folgten 1993 im Rang von Verfassungsnormen sowohl im Universitätsorganisationsgesetz als auch im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz  ;30 dies änderte jedoch wenig am Widerstand gegen die Frauenförderung an den Universitäten. Obwohl die folgenden Ausführungen jetzt ein Vorgriff und Verlassen der chronologischen Schilderung sind, möchte ich an dieser Stelle auf die enorme Bedeutung der UN-Frauenrechtekonvention (CEDAW)31 hinweisen, die im juristischen Bereich Basis internationaler Entwicklungen, innovativer Ansätze und moderner 184

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Rechtsinterpretationen ist. Ein materielles Gleichheitsverständnis, Gewaltfreiheit als Vorbedingung gleichberechtigten Rechtszugangs sowie die staatliche Verpflichtung zur Garantie und Umsetzung eines effektiven Rechtsschutzes für Einzelne sind als wichtigste Schlaglichter in diesem Zusammenhang zu nennen. Dass die CEDAW trotz der frühen Ratifikation durch Österreich im Jahr 1982 in der österreichischen Rechtsentwicklung nur langsam bzw. nur in ausgewählten Teilbereichen zum selbstverständlichen Instrumentarium werden konnte, ist der traditionellen, äußerst fachspezifisch orientierten Rechtsdogmatik zuzuschreiben. Auch am Institut für Rechtsgeschichte bedurfte es hier einiger Lernprozesse  : Während der fächerübergreifende, interdisziplinäre Ansatz der geschlechtsspezifischen juristischen Forschung bezüglich nationaler Regelungen von Beginn an zentraler Ansatzpunkt war, gestaltete sich die Verbreiterung der Analyse um völker- und europarechtliche Grundlagen auch für die primär rechtshistorisch geschulten Wissenschafterinnen am Institut zunächst schwierig. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Susanne Baer, wissenschaftliche Mitarbeiterin und später Professorin an der Humboldt-Universität Berlin sowie der University of Michigan und heute Richterin des deutschen Bundesverfassungsgerichts, schuf hier Abhilfe bzw. eröffnete neue Arbeitszusammenhänge. Die Kooperation basierte zunächst auf Einladungen zu Gastvorträgen und Lektoraten, erst später folgte die Einbindung in Publikationen des Instituts.32 So wurde und war es wiederholtes Anliegen der Vertreterinnen der Legal Gender Studies der JKU, das Verständnis um die Anwendbarkeit der UN-Frauenrechtekonvention auch für die österreichische Rechtsfindung zu betonen. Diese Anstrengungen wurden jüngst gekrönt durch den von Silvia Ulrich, der nunmehrigen Institutsvorständin, mitherausgegebenen schweizerisch-österreichischen Kommentar zur CEDAW, der erstmals in deutscher Sprache eine systematische Aufarbeitung dieses Kernabkommens des internationalen Menschenrechtsschutzes auch für die Rechtspraxis vornimmt und unter Einbindung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts entstanden ist.33 Ein vergleichbarer Bogen zwischen der frühen und der aktuellen Genderforschung des Instituts kann auch hinsichtlich der Fragen zum Arbeits- und Berufsleben gespannt werden  : Hier offenbar(t)en sich weiterhin die größten Defizite der Geschlechtergleichstellung. Trotz rechtlicher Gleichheit hielten bzw. verfestigten sich ökonomische Differenzen zwischen Frauen und Männern. Die Problematik der Unvereinbarkeit von (meist schlecht entlohnter) Berufs- und (unbezahlter) Familienarbeit blieb das »Frauenthema«. Unter dem Titel »Aktuelle Themen der Frauenpolitik«34 gelang eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Fragen der beruflichen und sozialen Absicherung von Frauen sowie der volkswirtschaftlichen bzw. steuer-, sozial- und arbeitsrechtlichen Implikationen traditioneller Arbeitsteilung – dies unter Einbeziehung von Praktikerinnen bzw. von außerhalb der Universität forschenden Frauen. Tradierte Rollenzuschreibungen und geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Erwerbs- und Reproduktionsbereich sowie staatliche Verantwortlichkeit 185

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diesbezüglich thematisierte jüngst abermals ein interdisziplinärer Sammelband »Zum Verhältnis von Reproduktion, Erwerbsarbeit und fairer Budgetpolitik«  ;35 neu ist die Erweiterung des Themas um die Analyse der (rechtlich verstärkt betonten und faktisch immer noch geringen) Beteiligung von Männern und Vätern an der Reproduktionsarbeit. Denn erst die tatsächliche, benachteiligungsfreie Gleichbeteiligung von Frauen und Männern in Familien- und Erwerbsarbeit würde einer vollständig gleichberechtigten Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse entsprechen. Eine Symbiose aus Theorie und Praxis  – mit einem zusätzlichen Blick auf die bundesdeutsche Entwicklung feministischer, rechtskritischer Forschung  – dokumentierte schließlich der von Ursula Floßmann herausgegebene Band »Feministische Jurisprudenz«  ;36 der letzte vor Begründung ihrer Schriftenreihe der »Linzer Schriften zur Frauenforschung«. Inhaltlich wäre es ein guter Auftakt der neuen Reihe gewesen, denn Fragen nach der Existenz eines weiblichen Naturrechts, nach formeller und informeller Normgestaltung sowie Geschlechterdemokratie thematisierten Grundsätzliches aus dem Bereich der (juristischen) Frauenforschung. Bevor ich allerdings auf diese neue Schriftenreihe zu sprechen komme, möchte ich auch die letztgenannte Publikation wieder mit einem ganz neuen Projekt des Instituts in Verbindung stellen  : »Legal Gender Studies und Antidiskriminierungsrecht«37 setzt erneut den Kanon aktueller Theorieansätze der Legal Gender Studies in Verbindung mit unterschiedlichsten praktischen Anwendungsbeispielen und offenen Fragestellungen. Das Werk liefert den Nachweis, wie weit sich Recht und (Gesellschafts-) Normen seit Etablierung der Legal Gender Studies entwickelt und verändert haben, insbesondere inwieweit diesbezügliche Fragestellungen mittlerweile im Alltag sowie Mainstream juristischer Auseinandersetzung angekommen sind.

Persönliches Engagement und institutionelle Beständigkeit Mehr als 20 Jahre intensiver Auseinandersetzung mit Fragen von Gleichheit und Differenz, Geschlechterbildern und -verhältnissen, dem Rechtsschutz benachteiligter Gruppen von Menschen, historischen Ursachen sowie sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen von Rechtsentwicklungen am Institut dokumentieren sich in den von Ursula Floßmann 1995 begründeten »Linzer Schriften zur Frauenforschung«, die seit der 2013 erfolgten Neuausrichtung als »Linzer Schriften zu Gender und Recht« weiter bestehen.38 In der Tradition der Frauenforschung interdisziplinär offen und besonders bemüht, wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern, finden sich in der Schriftenreihe zwar überwiegend Arbeiten zu juristischen Fragestellungen und Themen, jedoch auch Diplomarbeiten und Dissertationen aus den Wirtschafts-, Kultur- und Musikwissenschaften, Studien aus den Bereichen Soziologie und Politik sowie unterschiedlichste Tagungs- und Sammelbände. Die Publikationsreihe ist 186

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trotz der in den letzten Jahren erfolgten Neugründungen juristischer Fachverlage, Jahrbücher und Zeitschriften nach wie vor die einzige genderspezifisch juristische in Österreich.39 Um einerseits die Kontinuität mancher Themenstellungen bzw. andererseits das Entwicklungs- und Innovationspotenzial sowie die Bandbreite der Publikationen aufzuzeigen, möchte ich nachfolgend einige Themenschwerpunkte, die durch mehrere Bände der Schriftenreihe, aber auch durch sonstige Publikationen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Instituts sowie durch wissenschaftliche Abschlussarbeiten40 abgedeckt wurden, kurz zusammenfassend darstellen  :41 Die Frage nach der Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder besser der historischen Ungleichheit und der schrittweisen, nicht linear verlaufenden Beseitigung derselben war  – wie bereits beschrieben  – die Grundforschungsfrage der feministischen Rechtswissenschaft. Frühe (mittelalterliche) Rechtsordnungen unterschieden klar zwischen verschiedenen Kategorien von Berechtigten und Verpflichteten, der Mensch wurde nach Geschlecht, sozialer und regionaler Herkunft, Stand etc. definiert und rechtlich kategorisiert. Während (insbesondere adelige) Privilegien tatsächlich ein Mehr an Rechten bedeuteten, wurden durch sogenannte Rechtswohltaten Menschen, insbesondere auch Frauen, vordergründig von Verpflichtungen befreit, gleichzeitig dadurch ihr rechtlicher Handlungsspielraum wesentlich eingeschränkt. Diese in der frühen Neuzeit einsetzende Abkehr von Tendenzen einer Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wurde auch durch das vernunftrechtliche Gleichheitsverständnis nicht korrigiert. Ständische Ungleichheit wurde bekämpft, geschlechtsspezifische Differenzen von der Mehrzahl der Juristen und Gelehrten nicht in Frage gestellt. Die Idee der Menschen- und Grundrechte änderte somit nichts an der Beibehaltung ungleicher Normen und geschlechtsspezifischer Ausnahmen. Diese erfuhren lediglich diffizilere Begründungen, meist mittels biologischer und biologistischer Rechtfertigungen, und damit eine faktische Verfestigung.42 Erst durch das modernisierte Menschenrechtsverständnis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Entwicklung eines Antidiskriminierungsrechts, das nicht nur offene, formale, unmittelbare Benachteiligung von Menschen mit bestimmten personalen Eigenschaften (Statusmerkmalen wie Geschlecht, Alter, Ethnie, Behinderung etc.) untersagte, sondern auch versteckte, strukturell bedingte, mittelbare Benachteiligung, die keine sachliche Rechtfertigung hatte, verbot, gelang der Sprung zur materiellen Gleichheitsidee. Dennoch sind verfestigte Rechtsstrukturen und gesellschaftliche Gegebenheiten der Erreichung individueller Gleichheit weiterhin hinderlich  ; dies zeigt sich insbesondere in der ebenfalls bereits angesprochenen Verflechtung der Bereiche Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, also Vereinbarkeit individueller, autonomer Lebensgestaltung mit familiärer bzw. sozialer Verantwortung und notwendiger ökonomischer Absicherung.43 Für die Frauenrechtsgeschichte im engeren Sinn stellen die Hexenprozesse, also jenes Phänomen der strafrechtlichen Verfolgung von Schadenszauber verbreiten187

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den Personen durch kirchliche und staatliche Gerichte, geradezu einen Klassiker dar. Dass mehrheitlich Frauen verfolgt, angeklagt und verurteilt wurden, offenbart eine geschlechtsspezifische Komponente, die unmittelbar zu anderen Bereichen der Strafrechtsgeschichte, nämlich der Sexualitätskontrolle in ihren verschiedenen Formen, weiterleitet. Auch die Delikte des Schwangerschaftsabbruchs und Kindsmords waren quasi weiblich  ; Verbote bzw. die strikte Reglementierungen der Prostitution betrafen primär weibliche Rechtsunterworfene  ; vergewaltigt werden konnte  – in historischer Betrachtung – nur die unverheiratete, sexuell reine Frau, allenfalls die verheiratete Frau, diese jedoch nicht von ihrem Ehemann. Letztgenannte juristische Annahmen, die eine anachronistische, Frauen kontrollierende und gleichzeitig weibliche Sexualität abwertende Sicht offenbarten, wurden erst in den 1980er bzw. 1990er Jahren umfassenden Reformen unterzogen. Im Bereich der Bestrafung von Homosexualität dominierte historisch hingegen die Verfolgung männlicher Sexualität  – auch dies ein Ausdruck rigider Bilder von Geschlechtlichkeit bzw. Erwartungen hinsichtlich bestimmter Geschlechterrollen und ihres Einflusses auf die gesellschaftliche Moral. Inzwischen ist eine echte Paradigmenwende eingetreten, die sich in zahlreichen Reformen des österreichischen Sexualstrafrechts niederschlug, die nicht nur zur gleichen Anerkennung der sexuellen Selbstbestimmung für beide Geschlechter, sondern auch zu zahlreichen Verbesserungen für minderjährige Missbrauchsopfer führte. Sexualitäts- und Reproduktionskontrolle unter den Aspekten der  – nicht ausschließlich in der NS-Zeit relevanten  – Eugenik und Rassenideologie bildete einen weiteren Schwerpunkt der Forschungsarbeit. Im breiteren Zusammenhang zu nennen wären weiters die rechtlichen Implikationen der modernen Reproduktionsmedizin im Sinne einer von Sexualität entkoppelten Fortpflanzung, die nicht nur medizinethische Herausforderungen und den Ruf nach rechtlicher Reglementierung brachte, sondern auch zur Auflösung klassischer abstammungsrechtlicher Zuschreibungen und damit ins Familienrecht führt.44 Jenen Bereich des Rechts, in dem Geschlechterstereotype durch entsprechende Normen am deutlichsten ausgedrückt wurden und werden, stellt das Ehe- und Kindschaftsrecht dar  ; unterstrichen durch die in Österreich erst 2010 erfolgte rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, aber auch das nach wie vor sehr dürftige Regelwerk hinsichtlich Lebensgemeinschaften, also Paarbeziehungen außerhalb von Ehen und eingetragenen Partnerschaften, die jedoch hinsichtlich der Betreuung und Erziehung von Kindern immer schon eine bedeutende Rolle gespielt haben. Die Gleichheit von Ehemann und Ehefrau wurde in Österreich erst Mitte der 1970er Jahre formell festgelegt. Was fehlte, war die Transformation dieses Gedankens der rechtlichen und faktischen Gleichbeteiligung in einzelne Teilbestimmungen des Ehe- und Scheidungsrechts – welches als eines der letzten in Europa immer noch verschuldensorientiert ist – bzw. in andere Rechtsbereiche, wie beispielsweise das Sozialrecht. Erst in jüngster Vergangenheit wurden bestehende Ungleichheiten 188

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und widerstreitende Interessen zwischen Familienangehörigen in ihrer grundrechtlichen Dimension begriffen bzw. diesbezügliche Defizite der heimischen Rechtsordnung auf Druck internationaler Höchstgerichtsentscheidungen beseitigt. Rechtliche Benachteiligung von Kindern, die außerhalb einer Ehe geboren werden, oder die vom Gesetzgeber betonten Differenzen zwischen hetero- und homosexuellen Paaren gehören mehrheitlich der Vergangenheit an.45 Der familiäre Nahbereich stellt jedoch auch aus einem anderen Blickwinkel Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit vor große Herausforderungen  : im Gewaltschutz. Die Garantie körperlicher und psychischer Unversehrtheit in Intimbeziehungen durch das staatliche Gewaltmonopol erlebte einen von der geschlechtssensiblen Rechtswissenschaft mitgetragenen Paradigmenwechsel, in dem sich Österreich Ende der 1990er Jahre durch ein beispielhaftes Wegweisungsrecht federführend hervortat. Die Gesetzgebung ist diesbezüglich weiterhin intensiv bemüht, internationale Höchststandards umzusetzen. An dieser Stelle muss wieder auf die Bedeutung der CEDAW und die durch sie intendierten Grundsätze verwiesen werden, die mittlerweile durch zahlreiche andere internationale Übereinkommen weiterentwickelt und spezifiziert wurden. Gleich geblieben ist die Erkenntnis, wonach Rechtsgleichheit auch die Bekämpfung struktureller Unterschiede erfordert, persönliche Sicherheit die Voraussetzung für jede Art der Rechtsdurchsetzung darstellt, und diese Sicherheit als individueller Rechtsschutz Schwächerer von staatlicher Seite garantiert werden muss – auch in Abwägung zu Rechten und gegen die Interessen anderer Beteiligter.46 Mit diesen juristischen Ansätzen, die oftmals ein Argumentieren gegen Gewohn­ tes und gegen etablierte Anschauungen sowie eine Neuverteilung von Macht bedeuten, sind  – bildlich gesprochen  – keine Blumensträuße zu gewinnen. Ursula Floß­mann hat sich Blumen und auch Festschriften aber ohnehin immer verbeten. Dennoch sollen am Schluss dieses Festschriftbeitrages für die JKU noch einmal ihr Engagement und ihre Beharrlichkeit hervorgehoben werden, ohne die eine Etablierung der Legal Gender Studies als innovativer Forschungsbereich an der Universität undenkbar gewesen wäre. Die eigene Begeisterung für die Sache muss aber auch an jüngere Generationen weitergegeben werden können  : Und so ist es wohl kein Zufall, dass neben der einstigen Institutsleiterin etliche Vertreter und Vertreterinnen des Instituts nicht nur forschend, sondern auch im Rahmen der Universitätspolitik (beispielsweise in der Studienkommission oder im Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen) die institutionelle Verankerung der (Legal) Gender Studies vorangetrieben haben. Obwohl viele Aspekte nicht angesprochen werden konnten, wurden  – wie ich hoffe – die Komplexität der Forschungsfragen der Legal Gender Studies sowie die Ausdauer derer, die ihre Themen als Forschende und Lehrende über lange Zeit begleiten, sichtbar. Neben der intrinsischen Motivation sind Austausch und Aufgeschlossenheit, Neugierde und die Möglichkeit, auch unproduktive Seitenwege einschlagen zu können bzw. sich mit scheinbar weit entfernten Disziplinen und 189

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Sachfragen auseinander setzen zu dürfen, Basis für Neues. Als Rechtshistorikerin warne ich freilich vor der Gefahr, rechtliche Entwicklungen vorschnell als inhaltlich erledigt oder zeitlich abgeschlossen zu sehen, denn Geschichte wiederholt sich scheinbar doch, und leider lernen wir zu wenig aus ihr.

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Anmerkungen 1 Der erste juristische Lehrstuhl des Fachs war jener von Ursula Rust an der Universität Bremen, der 1992 unter der Bezeichnung »Recht der Geschlechterbeziehungen« begründet wurde und seit 2001 mit der veränderten Denomination »Gender-, Arbeits- und Sozialrecht« besteht. An der Humboldt-Universität Berlin gibt es seit 2002 das Institut für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien (Lehrstuhlinhaberin Susanne Baer). Weiters finden sich mittlerweile an etlichen Instituten des traditionellen juristischen Fächerkanons Professuren mit einer Widmung aus Gender Law bzw. Legal Gender Studies. Vgl. die Übersicht unter http://www.legal-gender-studies.de/lehre-forschung, aufgerufen am 7.12.2016. Auch an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Fernuniversität Hagen wurde 2016 eine Professur für »Gender im Recht« zur Besetzung ausgeschrieben. 2 Vgl. Ursula Floßmann, Die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Privatrechtsgeschichte, in  : dies. (Hg.), Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik. Festschrift Hermann Eichler (= Linzer Universitätsschriften, Festschriften Bd. 1), Wien 1977, S. 119–144. 3 Christina Lutter, Einleitung, in  : dies. u. Elisabeth Menasse-Wiesbauer (Hg.), Frauenforschung, feministische Forschung, Gender Studies. Entwicklungen und Perspektiven, Wien 1999, S. 7–15, hier S. 9. 4 Dazu unten. 5 So auch Claudia Opitz, Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung. Plädoyer für die historische Perspektive in der Geschlechterforschung, in  : Rita Casale u. Barbara Rendtorff (Hg.), Was kommt nach der Genderforschung  ? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung, Bielefeld 2008, S. 13–28. 6 Grundlegend Ursula Floßmann, Frauenrechtsgeschichte. Ein Leitfaden für den Rechtsunterricht (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 26), Linz 20062. 7 Zur Frage, wie bahnbrechend dies angesichts der Dominanz männlicher Sichtweisen und Strukturen in der Entwicklung von Gesellschaftsvertrag, Nationalstaatlichkeit und politischer Institutionen war, vgl. Thomas Kühne, Staatspolitik, Frauenpolitik, Männerpolitik  : Politikgeschichte als Geschlechtergeschichte, in  : Hans Medick u. Anne-Charlott Trepp (Hg.), Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, Göttingen 1998, S.  171–231, insbes. S.  175 sowie

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S.  179 ff. mit weiteren Nachweisen. Zur »Dämonisierung« der politisch agierenden Weiblichkeit im 19. Jahrhundert ebd., S. 196 f. Zur Tatsache, dass politischer Einfluss und Wahlberechtigung nicht nur Geschlechter-, sondern auch Standesfrage war, vgl. Ursula Floßmann, Das Frauenwahlrecht in Oberösterreich vor 1918, in  : Helfried Valentinitsch (Hg.), Recht und Geschichte. Festschrift Hermann Baltl zum 70. Geburtstag, Graz 1988, S. 155–181.   8 Die österreichischen Universitäten öffneten sich schrittweise ab 1897 für Frauen – akademische Berufe teilweise erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Rechtswissenschaften konnten Frauen ab 1919 studieren, die erste Richterin Österreichs wurde 1947 ins Amt berufen, die erste Notarin 1989. Vgl. Ursula Floßmann, Das Recht auf wissenschaftliche Berufsausbildung für die Frau, in  : dies. u. Oskar Lehner (Hg.), Frau – Recht – Gesellschaft. Seminar zur Frauenrechtsgeschichte (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 11), Linz 19862, S. 219–252, sowie Lilian Hofmeister, Die kurze Geschichte der Juristinnen in der österreichischen Justiz, in  : Walter Pilgermair (Hg.), Wandel in der Justiz, Wien 2013, S. 297–341.   9 Hier nahmen die skandinavischen Länder in den 1920er Jahren Entwicklungen vorweg, die in anderen europäischen Staaten erst lange nach 1945 umgesetzt wurden. Vgl. dazu die Beiträge von Christina Carlsson Wetterberg und Harry Willekens in  : Stephan Meder and Christoph-Eric Mecke (eds.), Family Law in Early Women’s Rights Debates. Western Europe and the United States in the nineteenth and early twentieth centuries, Köln 2013. 10 Dazu Floßmann, Frauenrechtsgeschichte, S. 209 ff. 11 Andrea Griesebner, Geschlecht als soziale und als analytische Kategorie, in  : Johanna Gehmacher u. Maria Mesner (Hg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte. Positionen/Perspektiven (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 14), Innsbruck 2003, S. 37–52, hier S. 38 f. 12 Stellvertretend für viele der 1998 erstmals erschienene Aufsatz von Karin Hausen, Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, in  : dies., Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Göttingen 20132, S. 371–392. 13 So die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung zu Johanna Gehmacher u. Gabriella Hauch (Hg.), Frauenund Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus. Fragestellungen, Perspektiven, neue Forschungen (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 23), Innsbruck 2007. 14 Zum Ideologieverdacht, dem die feministische Forschung ausgesetzt war, siehe Johanna Gehmacher u. Mona Singer, Feministische Forschung in Österreich. Eine Geschichte zur Fortsetzung, in  : Christina Lutter u. Elisabeth Menasse-Wiesbauer (Hg.), Frauenforschung, feministische Forschung, Gender Studies. Entwicklungen und Perspektiven, Wien 1999, S. 19–41, hier S. 20 f. 15 Gudrun-Axeli Knapp, »Intersectionality« – ein neues Paradigma der Geschlechterforschung  ? in  : Rita Casale u. Barbara Rendtorff (Hg.), Was kommt nach der Genderforschung  ? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung, Bielefeld 2008, S. 33–53, hier S. 34. 16 Vgl. dazu die Überblicksdarstellung von Susanne Lanwerd u. Irene Stoehr, Frauen- und Geschlechterforschung zum Nationalsozialismus seit den 1970er Jahren, in  : Johanna Gehmacher u. Gabriella Hauch (Hg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte des Nationalsozialismus. Fragestellungen, Perspektiven, neue Forschungen (= Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte, Bd. 23), Innsbruck 2007, S. 22–68. 17 Zur Entwicklung der Männlichkeitsforschung vgl. Walter Erhart u. Britta Herrmann (Hg.), Wann ist der Mann ein Mann  ? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart 1997. 18 Zur Kritik an der Geschlechterforschung, nur mehr analytisch und nicht länger transformatorisch – somit nicht mehr im Sinn eines gesellschaftspolitischen Anspruchs der Beseitigung ungleicher, geschlechterhierarchischer Verhältnisse – zu wirken vgl. Kathrin Hönig, Propädeutische Begriffserklärung  : Gegenstandsbereich und Methodologie der Geschlechterforschung (Gender Studies), in  : Therese Frey Steffen

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u. a. (Hg.), Gender Studies. Wissenschaftstheorien und Gesellschaftskritik, Würzburg 2004, S.  43–53, hier S. 47. 19 »Dass feministische Historikerinnen […] durch ihre frühe Rezeption auch die Arbeiten von Michel Foucault, Jacques Lacan, Jacques Derrida oder Pierre Bourdieu im deutschen Sprachraum bekannt machten, wird heute gerne übergangen.« Griesebner, Geschlecht, S. 40. 20 Vgl. dazu die beiden Beiträge von Barbara Duden, Vom »biologischen Geschlecht« zur »statistischen Differenz«, und Bettina Bock von Wülfingen, Diverse Biologien – Schwindende Geschlechter, in  : Elisabeth Greif (Hg.), Körper que(e)r denken. Tagungsband des 11. AbsolventInnentages der Johannes Kepler Universität Linz (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 33), Linz 2006, S. 7–27 sowie S. 59–92. 21 Zur Erklärung der Begrifflichkeiten und mit einer kritischen Analyse siehe Nina Degele, Heteronormativität entselbstverständlichen – Zum verunsichernden Potenzial von Queer Studies, in  : Freiburger FrauenStudien. Zeitschrift für Interdisziplinäre Frauenforschung, Jg. 10, H. 17, 2005, S. 15–39. 22 Vgl. mit weiteren Nachweisen die Überblicksdarstellungen von Oskar Lehner, Familie – Recht – Politik. Die Entwicklung des österreichischen Familienrechts im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1987, sowie den Sammelband von Ursula Floßmann (Hg.), Sexualstrafrecht. Beiträge zum historischen und aktuellen Reformprozeß (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 17), Linz 2000. 23 Die Reihe wurde ab 1982 von Ingo Mörth und Franz Wagner im »Universitätsverlag R. Trauner« herausgegeben und trägt mittlerweile den Titel »Sozial- und kulturwissenschaftliche Materialien«. 24 Ursula Floßmann u. Oskar Lehner (Hg.), Frau  – Recht  – Gesellschaft. Seminar zur Frauenrechtsgeschichte (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 11), Linz 1985 bzw. 19862. 25 Die Verfassungsnorm, wonach Amtsbezeichnungen das Geschlecht des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zum Ausdruck bringen können, folgte 1988. 26 Ursula Floßmann (Hg.), Offene Frauenfragen in Wissenschaft – Recht – Politik (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 29), Linz 1991. 27 Auch das Fehlen männlicher Vertreter in der Berufsgruppe wurde als Diskriminierung bzw. Rollenstereotypisierung kritisiert. Vgl. Gabi Fischer, Frauenförderung an der RE-Fakultät der Johannes-KeplerUniversität Linz, in  : Ursula Floßmann (Hg.), Offene Frauenfragen in Wissenschaft – Recht – Politik (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 29), Linz 1991, S. 105–130, hier S. 123. 28 Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG), BGBl. 1979/108 i. d. F. BGBl. 1990/410. 29 Vgl. Barbara Trost, Über die Notwendigkeit eines Gleichbehandlungsgesetzes für den öffentlichen Dienst, in  : Ursula Floßmann (Hg.), Offene Frauenfragen in Wissenschaft – Recht – Politik (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 29), Linz 1991, S. 145–163. 30 Universitäts-Organisationsgesetz (UOG) 1975 i. d. F. BGBl. 1993/249 bzw. Universitäts-Organisationsgesetz (UOG) 1993, BGBl. 1993/805 bzw. Bundes-Gleichbehandlungsgesetz (B-GlBG.), BGBl. 1993/100. 31 Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, BGBl. 1982/443. Dieses 1979 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen angenommene internationale Rechtsübereinkommen wird in der Fachliteratur vielfach mit seiner englischen Abkürzung CEDAW (Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women) zitiert. 32 Vgl. Susanne Baer, Feministische Rechtswissenschaft und juristische Ausbildung, in  : Ursula Floßmann (Hg.), Feministische Jurisprudenz. Blicke und Skizzen (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 36), Linz 1995, S. 3–31, und dies., Von der Frauenfrage zu Gender Mainstreaming. Ein qualitativer Sprung in der Gleichstellungspolitik, in  : dies. (Hg.), Universitäre Weiterbildung »Gender Studies« (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 28), Linz 2004, S. 1–15. 33 Erika Schläppi u. a. (Hg.), CEDAW-Kommentar zum UNO-Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, Bern 2015. Als erste Vertreterin Österreichs im CEDAW-Komitee und Mitglied dieses internationalen Rechtsschutzgremiums ist Lilian Hofmeister, Richterin i. R. und

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Von der Frauenrechtsgeschichte zu Legal Gender Studies

Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes, hervorzuheben, die dem Institut für Legal Gender Studies seit langem durch Gastlektorate und Kooperationen verbunden ist. 34 Barbara Trost u. Ursula Floßmann (Hg.), Aktuelle Themen der Frauenpolitik (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 35), Linz 1994. 35 Silvia Ulrich u. Karin Neuwirth (Hg.), Zum Verhältnis von Reproduktion, Erwerbsarbeit und fairer Budgetpolitik (= Linzer Schriften zu Gender und Recht, Bd. 56), Linz 2015. 36 Ursula Floßmann (Hg.), Feministische Jurisprudenz. Blicke und Skizzen (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 36), Linz 1995. 37 Elisabeth Greif u. Silvia Ulrich, Legal Gender Studies und Antidiskriminierungsrecht (= Linzer Schriften zu Gender und Recht, Bd. 58), Linz 2017. 38 Das Herausgeberinnenteam der Reihe besteht nunmehr aus Ursula Floßmann, Silvia Ulrich, Karin Neuwirth und Elisabeth Greif  ; die Reihe wurde und wird mit Unterstützung des Landes Oberösterreich sowie der Stadt Linz finanziert und erscheint im Trauner Verlag. Ein Gesamtverzeichnis der Titel der Monographien und Sammelbände findet sich auf der Homepage des Instituts für Legal Gender Studies unter http://www.jku.at/legalgenderstudies/content/e99272, aufgerufen am 26.9.2016. 39 Ein vergleichbares Periodikum stellen die seit 1991 im deutschen Nomos Verlag erscheinenden »Schriften zur Gleichstellung (der Frau)« dar. In der Bundesrepublik existiert überdies bereits seit 1982 die feministische Rechtzeitschrift »Streit«. Eine österreichische Fachzeitschrift im Bereich Gender und Recht fehlt aktuell noch. 40 Alle Arbeiten anzuführen, würde den Rahmen des Beitrags sprengen. Das Curriculum der Rechtswissenschaften sah an der JKU lange Zeit die Ablegung der Diplomarbeit in Form einer Prüfungsarbeit vor. Die Zahl der im Fach Legal Gender Studies betreuten Diplomarbeiten ist im Verhältnis zum relevanten Zeitraum enorm  : seit 2001 wurden knapp 150 Arbeiten abgeschlossen  ; bis 2010 oblag dem Institut auch die Betreuung zahlreicher rechtshistorischer Arbeiten ohne spezifischen Genderfokus. Die Zahl der Dissertationen zu frauen- bzw. geschlechtsspezifischen Fragestellungen, die von Ursula Floßmann betreut wurden, beträgt rund 30. 41 Da es sich bei den nachfolgenden Literaturangaben (vgl. Fußnoten 42–46) primär um Auflistungen zur Dokumentation der Themenschwerpunkte handelt, werden diese Werke in der Literaturliste des Beitrags nicht wiederholt. 42 Ursula Floßmann, Geschlechtsspezifische Diskriminierung und Gleichbehandlungsgebot als Strukturelemente frühneuzeitlicher Rechtsordnungen, in  : Louis C. Morsak u. Markus Escher (Hg.), Festschrift Louis Carlen, Zürich 1989, S. 617–625  ; dies., Die abgestufte Grundrechtssubjektivität der Frau im historischen Wandel, in  : Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Gleichbehandlung ist das Ziel, H.  17, Wien 1989, S.  1–16  ; dies., Die weiblichen Rechtsfreiheiten in der Landtafel ob der Enns, in  : Herwig Stiegler u. a. (Hg.), Vestigia Iuris Romani. Festschrift Gunter Wesener, Graz 1992, S. 131–145  ; dies., Die beschränkte Grundrechtssubjektivität der Frau. Ein Beitrag zum österreichischen Gleichheitsdiskurs, in  : Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts, München 1997, S. 293–324. 43 Ilse Hackl, Das Recht auf (bezahlte) Arbeit. Die Arbeitsmarktsituation von Frauen in oberösterreichischen Krisenregionen (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  2), Linz 1997  ; Sabine Ziegler, Frauennachtarbeitsverbot in Österreich (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  3), Linz 1997  ; Andrea Heitz, Zeitsouveränität für ArbeitnehmerInnen. Ein Gestaltungsmerkmal der Arbeitszeit und eine personalwirtschaftliche Herausforderung (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  6), Linz 1998  ; Karin Neuwirth, Die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Ehescheidung. Historische Entwicklung, gegenwärtige Rechtslage und Reformüberlegungen (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 7), Linz 1998  ; Ursula Floßmann, Teilzeitarbeit im feministischen Diskurs, in  : dies. u. Ilse Hauder (Hg.), Recht auf Teilzeitarbeit für Eltern (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 8), Linz 1998  ; S.  6–55  ; Claudia Wolfsgruber, Gleichbehandlung und Frauenförderung im Arbeitsleben. Eine rechts-

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historisch fundierte Untersuchung (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  16), Linz 2000  ; Michaela Harrer-Schütt, Kinderbetreuung, Ehe und Geschlechtergerechtigkeit im Sozialstaat Österreich (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 38), Linz 2008  ; Elisabeth Winter, Die Notstandshilfe nach dem AlVG. Mittelbare Diskriminierung von Frauen (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 41), Linz 2009  ; Christopher Frank, Rechtsschutzwege im Antidiskriminierungsrecht (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 43), Linz 2010  ; Jasmine Senk, Gendersensibles Vergabeverfahren – Einbindung eines Sekundärzwecks (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 48), Linz 2011  ; Silvia Ulrich, Vielfalt in Unternehmen. Zum Verhältnis von Antidiskriminierungsrecht und Diversity Management, in  : Werner Hauser u. Andreas Thomasser (Hg.), Bildung, Wissenschaft, Politik. Instrumente zur Gestaltung der Gesellschaft, Festschrift Christian Brünner (= Studien zu Politik und Verwaltung, Bd. 104), Köln 2014, S. 685–704. 44 Ursula Floßmann u. Elisabeth Križ, Die geschichtliche Entwicklung des Sexualstrafrechts. Dargestellt an zwei Beispielen  : Abtreibung und Vergewaltigung, bzw. Helga Maria Mayer, Fortpflanzungsmanipulation im Lichte des österreichischen Zivilrechts, in  : Ursula Floßmann (Hg.), Frau im Recht. Geschichte – Praxis – Politik (= Sozialwissenschaftliche Materialien, Bd. 21 ), Linz 1988, S. 27–59 bzw. S. 99–112  ; Sonja Tauber, Fristenlösung. Möglichkeiten und Grenzen für eine frauenfreundliche Regelung (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 4), Linz 1997  ; Ursula Floßmann (Hg.), Nationalsozialistische Spuren im Recht. Ausgewählte Stolpersteine für ein selbstbestimmtes Frauenleben (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 11), Linz 1999  ; dies. (Hg.), Sexualstrafrecht. Beiträge zum historischen und aktuellen Reformprozeß (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 17), Linz 2000  ; Eva-Maria Moser, Strafrechtliche und zivilrechtliche Aspekte der Fristenregelung. Die Entwicklung des Abtreibungsstrafrechts unter besonderer Berücksichtigung des NS-Zeitalters (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  18), Linz 2001  ; Susanne Balthasar, Die Tatbestände der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung. Eine rechtsvergleichende Betrachtung des deutschen und österreichischen Rechts mit Schwerpunkt im 20.  Jahrhundert (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  19), Linz 2001  ; Elisabeth Greif, Embryopathische Indikation. Entwicklungsgeschichtliche und aktuelle Diskussion (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  20), Linz 2001  ; Karin Neuwirth, Fortpflanzungsmedizin. Rechtlicher Rahmen, feministische Kritik und gesellschaftliche Perspektiven, in  : Ursula Floßmann (Hg.), Universitäre Weiterbildung »Gender Studies« (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 28), Linz 2004, S. 141–207  ; Alice Sadoghi, Offene Rechtsfragen zur Prostitution in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 30), Linz 2005  ; Julia Schwarzenberger, Hebammen im Nationalsozialismus (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 37), Linz 2008  ; Elisabeth Greif (Hg.), SexWork(s) verbieten – erlauben – schützen  ? (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 51), Linz 2012  ; dies., »Unzüchtige Umarmungen«  – Weibliche gleichgeschlechtliche Unzucht in der Zwischenkriegszeit, in  : juridikum, Jg. 26, H. 3, 2014, S. 291–300. 45 Anna Margaretha Sturm, Das josephinische Leitbild der Frau in Ehe und Familie (= Dissertationen der Johannes-Kepler-Universität Linz, Bd.  75), Wien 1988  ; Ursula Floßmann, Geschlechterdifferenz und persönliche Ehewirkungen in historischer Perspektive, in  : Monika Bacher u. a. (Hg.), Wahnsinnsweiber  ? Weiberwahnsinn  ? Wer braucht Feminismus  ? Erweiterte Dokumentation des 6. Linzer AbsolventInnentages (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 15), Linz 2000, S. 147–196  ; Ursula Floßmann u. Herbert Kalb, »Illegitime« Kinder im Recht des Landes ob der Enns, in  : ders. u. Roman Sandgruber (Hg.), Festschrift Rudolf Zinnhobler, Linz 2001, S. 23–39  ; Karin Mader, Ehebruch als Scheidungstatbestand. Von den Anfängen staatlicher Ehegesetzgebung zum Eherechts-Änderungsgesetz 1999 (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 21), Linz 2002  ; Andreas Hölzl, Die erbrechtlichen Ansprüche des überlebenden Ehegatten im Kodifikationszeitalter. Eine rechtsdogmatisch-rechtssystematische Untersuchung von der Neuen Satz- und Ordnung vom Erbrecht außer Testament 1720 bis zum ABGB 1811, Linz 2010  ; Karin Neuwirth (Hg.), Familie neu  ? Wie zeitgemäß sind die jüngsten Familienrechtsänderungen im

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Hinblick auf bestehende Partnerschaften und gelebte Familienformen  ? (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 45), Linz 2010  ; Silvia Ulrich, Die Judikatur des EGMR und VfGH zum Obsorge- und Namensrecht, in  : Astrid Deixler-Hübner u. dies. (Hg.), Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz. Grundrechte – Elternrechte – Kinderrechte, Wien 2013  ; S. 1–33  ; Mariella Mayrhofer, Verfahrensrechte Minderjähriger sowie Obsorgerechte und -pflichten gegenüber dem Kind (= Linzer Schriften zu Gender und Recht, Bd. 54), Linz 2014  ; Ines Rössl u. Caroline Voithofer, 40 Jahre »Große Familienrechtsreform«  : Gleichheit hinter den Türen des Privaten  ?, in  : juridikum, Jg. 27, H.4, 2015, S. 540–544  ; Karin Neuwirth, Historische Entwicklung bis zur Gegenwart, in  : Astrid Deixler-Hübner (Hg.), Handbuch Familienrecht, Wien 2015, S. 1–38. 46 Ursula Floßmann (Hg.), Probleme bei der Strafverfolgung von Gewalt in Familien. Empowerment der Opfer durch Sanktionssystem und Verfahrensrecht (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd. 24), Linz 2003  ; Martina Zimmermann, Das Anti-Stalking-Gesetz. Rechtslage und frauenspezifische Beratungspraxis (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  36), Linz 2007  ; Gisela Troppmair, Gewaltbetroffene Lebensgefährtinnen  – Rechtsschutz in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive (= Linzer Schriften zur Frauenforschung, Bd.  49), Linz 2012  ; Kristina Wascher, Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (= Linzer Schriften zu Gender und Recht, Bd. 53), Linz 2013  ; Maria Schwarz-Schlöglmann u. Silvia Ulrich (Hg.), Aktuelle Entwicklungen im Gewaltschutz (= Linzer Schriften zu Gender und Recht, Bd. 55), Linz 2014.

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Das Institut für Umweltrecht (IUR) – Interdisziplinarität im Fokus oder: Von der Achillessehne zur weltweiten Umweltrechtskonferenz

Fünfzig Jahre JKU treffen zwanzig Jahre Institut für Umweltrecht Im Gründungsjahr der JKU 1966 war das Umweltrecht auch an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät ein juristisches Fremdwort. Heute ist das 1996 gegründete Institut für Umweltrecht (IUR) ein fester Bestandteil der Fakultät und noch immer das einzige dieser Art in Österreich. »Mögen sich auch mehrere Wissenschafter mit Fragen des Umweltrechts befassen, hat die Umweltrechtswissenschaft in Österreich doch ein eindeutiges institutionelles Zentrum  : das Institut für Umweltrecht an der Universität Linz«, so Bernhard Raschauer, einer der ersten und bedeutendsten Umweltrechtspioniere in Österreich.1 Das Umweltrechtsinstitut prägt die Außensicht der JKU maßgeblich mit, es hat  – wie vorangestellt  – noch immer Alleinstellung in Österreich. Was mit einem Achillessehnenriss und einem »Kostnix-Institut« (zu beidem weiter unten) begann, kann heute auf Vieles verweisen  : die Mitveranstaltung einer weltweiten Umweltrechtskonferenz 20162, 22 Österreichische Umweltrechtstage in Linz, fast 50 Bände der Schriftenreihe »Recht der Umwelt« (RdU), die Herausgabe der einzigen österreichischen Umweltrechtszeitschrift »Recht der Umwelt« (RdU) (23 Jahrgänge), acht Bände der Schriftenreihe »Umweltrecht und Umwelttechnikrecht«, ein umfassendes Lehr- und Handbuch zum Umwelt- und Anlagenrecht, eine Visiting Professur an der Karls Universität Prag, einen Award im Bereich Grundlagenforschung des Landes Oberösterreich (Erika Wagner), die Mitgliedschaft in der International Union for Conservation of Nature and Natural Ressources (IUCN), vielfältige internationale Beziehungen, die Etablierung des Umweltrechts als eigenem Rechtsgebiet sowie eines Studienschwerpunkts im Rechtswissenschaftlichen Studium u. v. a.

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Die Rahmenbedingungen im Wandel Bereits 1990 hat der österreichische Nationalrat die Bundesregierung beauftragt, eine Regierungsvorlage zu einer neuen Umwelthaftung vorzulegen. Im Rahmen einer von der Bundeswirtschaftskammer veranstalteten Tagung durfte der Verfas­ ser ein Referat zu den Umwelthaftungssystemen des geltenden Rechts3 halten. Ein Achillessehnenriss und die damit damals verbundene mehrwöchige Bettruhe ermöglichte eine intensive Auseinandersetzung mit den Sachproblemen und der Rechtslage im Umweltbereich. Das Ergebnis war erschreckend  : Trotz zunehmender faktischer Verschlechterung der Umwelt4 gab es keine auch nur einigermaßen adäquate normative Regelung. Ganz im Gegenteil  ! Weitere einschlägige rechtswissenschaftliche Abhandlungen des Verfassers führten mit Unterstützung des damaligen Vorstands des Instituts für Zivilrecht Peter Rummel zur Gründung der Abteilung Umweltprivatrecht des Instituts für Zivilrecht. Aber bald war offensichtlich, dass Umweltprobleme juristisch nicht allein mit den Instrumenten des Privatrechts lösbar waren  : Alle Teilgebiete des Rechts, wie Europa-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Strafrecht und Unternehmensrecht griffen und greifen auch heute noch intensiv ineinander. Nur eine interdisziplinäre Betrachtung5 konnte und kann zu der erforderlichen Lösungsqualität vordringen. Der harte Kampf um ein eigenes, interdisziplinär ausgerichtetes Institut für Umweltrecht begann. Bald war klar, dass auch eine Zusammenarbeit mit nichtjuristischen Fächern, wie Umweltmedizin, Umwelttechnik, Umweltökonomie, Ökologie und anderen Naturwissenschaften, erforderlich war und noch immer ist. Es ging und geht um die Verbindung von praktischem und wissenschaftlichem Wissen.

Sachliche und persönliche Voraussetzungen des Neuen Zur Erkenntnis der notwendigen Zusammenarbeit mit anderen Fachwissenschaften haben besonders auch intensive Diskussionen mit Bruno Binder beigetragen, der immer wieder auf die Bedeutung interdisziplinärer Verflechtungen hingewiesen hat. Letztlich aber ganz essentiell war die Einsicht, dass sich die Umweltbedingungen zunehmend verschlechtert haben und weiterhin verschlechtern  : Schon als Student wurde mir – von der damals noch einigermaßen guten Landluft kommend – oft eben »schlecht«, wenn ich am Montag der Bahn entstieg und den miserablen Linzer Luftimmissionen ausgesetzt war. Ständige Verschlechterungen der Wasserqualität, tausende Altlasten, gesundheitsgefährdende Verkehrsimmissionen, das geplante Atomkraftwerk Zwentendorf, Müllberge, Chemie, vor allem Pestizide in der Landwirtschaft u. v. a. mehr waren für mich Fakten einer ständigen Beeinträchtigung der menschlichen Lebensbedingungen. Dazu kam die traurige Erkenntnis, dass vieles nicht rechtlich, 200

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sondern allein politisch (kurzsichtig) entschieden wird. Nicht das Recht, sondern politische Interventionen oder solche von Interessenvertretungen oder Lobbyisten und Lobbyistinnen entschieden im Genehmigungsverfahren. So wurde von Betreiberseite behauptet, es gäbe ein Grundrecht auf Arbeit, und in der Causa Zwentendorf wurde prognostiziert, dass die österreichische Wirtschaft ohne das Atomkraftwerk zusammenbrechen werde,6 Landeshauptleute verkündeten die Genehmigung von Projekten, bevor überhaupt ein Genehmigungsverfahren abgeführt worden war. All das führte zur Überzeugung und dem Bekenntnis, dass die Umwelt einer juristischen Stimme bedurfte und dass dies wichtiger ist, als Vermögen hin und her zu schieben. Und wer sonst sollte langfristig denken, wenn nicht die Wissenschaft  ? Ein Professor/eine Professorin ist jemand, der/die sich unabhängig von Politik, Mainstream, Stakeholdern und Zeitgeist zu Grundlagen, langfristigen Ideen und damit verbundenen Thesen offen bekennen kann7 und sich nicht als Handlanger oder Werkzeug momentan vorherrschender politischer oder anderer Interessen erweisen muss. Neben diesen faktischen Rahmenbedingungen führten letztlich auch persönliche Gründe – trotz sonstiger massivster Widerstände – zur Gründung des Instituts für Umweltrecht  : Eine gesetzliche Neuorganisation der Universitäten8 brachte auch an der JKU eine gewisse Neustrukturierung der Institute. Dem damaligen Senatsvorsitzenden Rudolf Reischauer ist es zu verdanken, dass zumindest ein sogenanntes »Kostnix-Institut« gegründet werden konnte  : So entstand zwar ein reguläres Universitätsinstitut, aber ein solches ohne Ressourcen. Nur durch eine erhebliche Anschubfinanzierung durch das Land Oberösterreich und die Stadt Linz auf drei Jahre konnte das Institut auch wirklich die Arbeit beginnen. Auf Seite des Landes sind wir Herrn Landeshauptmann Josef Pühringer und Hofrat Dietmar Kriechbaum, auf Seite der Stadt Linz Herrn Bürgermeister in Ruhe Franz Dobusch zu größtem Dank verpflichtet. Als Drittmittelassistent konnte Rainer Weiß mit interdisziplinärer Ausbildung gewonnen werden. Er zählt bis heute zu den tragenden Säulen des Instituts. Für die Zukunft des Instituts war es ein ganz entscheidender Glücksfall im Jahr 1997, dass sich  – damals noch als Magistra  – Erika Wagner um eine Projektassistentenstelle bewarb. Sie hat ganz maßgeblich und entscheidend zum Aufbau und zur Entwicklung des Instituts beigetragen und ist nun seit März 2014 eine überaus engagierte und erfolgreiche Vorständin des Instituts. Zur aktiven interdisziplinären Beteiligung am Institut sind damals alle Professoren und Professorinnen der Rechtwissenschaftlichen Fakultät, besonders jene des Europarechts, Verfassungs- und Verwaltungsrechts und des Strafrechts eingeladen worden. Von JKU-Seite sind nur der Völkerrechts- und Europarechtsexperte und langjährige Dekan Heribert Köck und der Umweltstrafrechtspionier Herbert Wegscheider dem Institut beigetreten. Von außen konnten die prominenten Vertreter des öffentlichen Rechts Bernhard Raschauer und Bernd-Christian Funk gewonnen 201

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werden. Zwischenzeitlich gelang auch immer wieder eine Kooperation mit Andreas Hauer vom Institut für Verwaltungsrecht und -lehre und Andreas Janko vom Institut für Staatsrecht und Politische Wissenschaften, dem nunmehrigen Vizerektor der JKU Linz. Bei den österreichischen Umweltrechtstagen und bei der Schriftleitung der Zeitschrift »Recht der Umwelt« (RdU) konnten wir lange Zeit mit einem der ersten Umweltrechtswissenschafter Österreichs, Bernhard Raschauer von der Universität Wien, zusammenarbeiten. An seine Stelle ist nun seit mehreren Jahren Eva Schulev-Steindl von der Universität Graz getreten. Die so wichtige Verbindung zwischen Theorie und Praxis gewährleistet auf höchstem Niveau Wilhelm Bergthaler von der Rechtsanwaltskanzlei Haslinger/Nagele & Partner in Wien/Linz.

Die Widerstände Der Widerstand innerhalb der Rechtswissenschaftlichen Fakultät war zunächst  – um solche »dummen« Ideen bereits im Keim zu ersticken – fachlicher Natur  : Das Umweltrecht sei kein eigenes Fach, nur Querschnittmaterie. Da könne jeder kommen. Das Umweltrecht wurde mit Hunderecht und Ähnlichem verglichen. Heute ist das Umweltrecht unbestrittener Maßen weltweit ein eigenes Rechtsgebiet, ein eigenes Forschungs- und Lehrfach mit zunehmender Bedeutung und Verbreitung. Allein in Deutschland finden sich derzeit an die zehn universitäre Umweltrechtsinstitute.9 Die weltweite umweltrechtswissenschaftliche Literatur ist kaum mehr übersehbar. In fast allen Staaten finden einschlägige universitäre Ausbildungen statt. Auch an der JKU wird vermehrt Umweltrecht auch außerhalb des IUR geforscht10 und gelehrt. Der inter- und transdisziplinäre Ansatz ist freilich prägendes Alleinstellungsmerkmal des IUR geblieben, hat aber eben auch einen Multiplikator-Effekt ausgelöst. Der noch starke Widerstand von innen resultierte aber letztlich aus der Angst der meisten anderen Institute, Ressourcen zu verlieren, etwas vom »eigenen Kuchen« abgeben zu müssen. Der Kompromiss führte dann eben zum »Kostnix-Institut«, wodurch dieses nach der Anschubfinanzierung völlig auf Drittmittel angewiesen war. Diese materielle Abhängigkeit barg natürlich die große Gefahr der inhaltlichen Einflussnahme auf Forschungsthemen und -inhalte. Wir glauben jedenfalls fest, dieser Gefahr nicht unterlegen zu sein und die schwierige Balance geschafft zu haben. So hat das IUR doch noch immer den guten Ruf der fachlichen Unabhängigkeit. Auch andere »Keulen« sind geschwungen worden. Man hat sogar von Seite der Kollegen und Kolleginnen versucht, eine »Vorzensur« bezüglich der Referenten und Referentinnen an den von uns organisierten Veranstaltungen auszuüben. Wir haben dem Ansinnen – welch unwissenschaftliches und provinzielles Vorgehen – natürlich nicht entsprochen. 202

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Auch die bisherige Unterstützung des IUR durch die früheren Universitätsleitungen war meist zurückhaltend. Als rühmliche Ausnahmen sind hier Rektor Rudolf Ardelt11 und Vizerektor Herbert Kalb zu nennen, die unser Fach stets auch in die Strategiepläne der JKU eingebaut haben. Von vielen anderen Hindernissen, die auch mit dem nicht immer gerade initiativen Denken und Handeln – um nicht »Konservatismus« zu sagen – der meisten Juristen und Juristinnen zusammenhängen, soll hier nicht näher die Rede sein. Wir haben stets auch die Kooperation mit der Wirtschaft und Industrie gesucht.12 Die gewaltigen Unterschiede im kurz- und langfristigen Denken und die differierende Sicht auf die Aufgabe der Ökonomie (Selbstzweck der Gewinnmaximierung oder als Mittel zum Zweck13) haben noch ein weites, ausbaufähiges Feld hinterlassen.

Unabhängigkeit und Wissenschaftsfreiheit Ob dieser großen Widerstände von außen und innen war der bisher gezeichnete und gegangene Weg nur durch die persönliche Unabhängigkeit und die verfassungsrechtlich gewährleistete Wissenschafts- und Lehrfreiheit möglich. Wie Rektor Meinhard Lukas im Rahmen der Linzer Klangwolke zum 50. Geburtstag der JKU – vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Türkei – völlig zu Recht die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre als fundamental und entscheidend hervorgehoben hat, ist offen zu bekennen  : Ohne Pragmatisierung wäre es sicher nicht zur Gründung des IUR gekommen. Soviel Sturheit, Konsequenz, Mut und Besessenheit kann man gar nicht aufbringen, um den vielfältigen, besonders den politischen Einflüssen standhalten zu können. Dabei hat auch heute die Universität die ganz wesentliche Funktion, einen geistigen Freiraum für Forschung, Innovation und schöpferisches Wirken zu gewährleisten, Quer- und Vordenker/-denkerinnen zu tolerieren, ja zu fördern, gerade auch, wenn sie mit dem Zeitgeist, den Interessen der momentan übermächtigen Konzerne und politischen Parteien nicht konform gehen. »Die Universität ist heute einer der letzten Zufluchtsorte für kreatives Denken«.14 Eigentlich sollte dieses freie Denken in unserem demokratischen System keines Heldentums, sondern nur eines Mindestmaßes an Zivilcourage bedürfen  – ganz anders als in einem totalitären System, wie etwa im Nationalsozialismus. Aber auch unser universitäres System läuft Gefahr, die weitgehende wissenschaftliche Unabhängigkeit zu verlieren  : Zunehmende Abhängigkeit von Drittmitteln und noch schlimmer  : Befristete Dienstverträge der Professoren und Professorinnen. Was auf diese da alles hereinbrechen kann  ?

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Interdisziplinarität als Lösungsvoraussetzung Was das Besondere des IUR ausmacht und hoffentlich immer ausmachen wird, ist der inter- bzw. transdisziplinäre Ansatz im Denken, aber auch im Handeln. Da kann es keinerlei Abbruch tun, dass die Anfänge im Umweltprivatrecht liegen. Nur durch fächerübergreifendes, gesamthaftes (»integratives«) Denken ist es möglich, bessere Lösungsqualitäten zu erzielen. Das Umweltproblem macht nicht beim Verwaltungsrecht halt, setzt EU-Recht und Völkerrecht voraus, bedarf der Sanktionen des Umweltstraf- und Privatrechts, aber zum besseren Verständnis des Umweltrechts auch der Nachbarwissenschaften, erfordert ein Zusammenwirken mit der Ökonomie, Medizin, Technologie, Chemie, Toxikologie u. v. a. mehr. Das erfordert übermäßige Anstrengung, gerät leicht in Gefahr der aufkeimenden Abwehr  : »Da kann«  – wie auch schon der fakultätsinterne Widerstand gezeigt hat – »ja jeder kommen, da lassen wir uns nichts dreinreden«  : Der Fachneid, aber auch der Futterneid bauen teilweise riesige Mauern auf. Unsere praktischen Erfahrungen mit interdisziplinärer Arbeit, die gerade auch jetzt von der JKU-Leitung stets und besonders eingefordert wird, sind ambivalent  : Oft findet man keinen Zugang, oft scheitert man schon am wissenschaftlichen terminologischen Duktus. Aber es geht, wenn es auch sehr mühsam ist. So kann man nur zur Problematik der Amtssachverständigen in Umweltverfahren vorstoßen, wenn man sich der Bedeutung der Amtssachverständigen bewusst wird, deren faktische Position und Dilemmata im Verfahren kennt, aber auch deren Eingliederung in die Verwaltungshierarchie ohne Blendung und Vorverständnisse sieht.15 Als Ergebnis einer erfolgreichen interdisziplinären Kooperation sei nur auf unser letztes fächerübergreifendes Werk »Rechtsrahmen für eine Energiewende Österreichs« (2016)16 hingewiesen.

Ausblick: Resignation oder Stärkung Es sei zugegeben  : Jedenfalls der Verfasser war öfter nahe der Aufgabe, der Resignation, weil viel zu wenig oder viel zu spät von den Erkenntnissen und Studien des IUR in die Realität umgesetzt worden ist. Anders als in den skandinavischen Ländern ist in Österreich die Bereitschaft zu Neuem sehr gering. Die retardierenden Kräfte siegen meist. Dennoch sind viele Fortschritte im Umweltbereich erzielt worden  : Das Waldsterben ist beendet, die Qualität der österreichischen Gewässer wieder gut oder sogar sehr gut, die Ozonlöcher (angeblich) wieder weitgehend geschlossen, die Altlasten werden (allmählich) saniert, viele Natura-2000-Gebiete stehen unter Schutz. Ohne strenges Umweltrecht wäre das alles nicht erreicht worden. Dennoch bleiben viele Aufgaben, vor allem der Klimawandel macht zu schaffen, er ist die zentrale 204

Institut für Umweltrecht (IUR)

Herausforderung unseres neuen, noch jungen Jahrhunderts. Effektive ökonomische Instrumente des Umweltrechts haben sich noch nicht durchgesetzt, da sie offenbar den kurzfristigen und kurzsichtigen Gewinn schmälern. Dabei arbeiten wir auf der Basis der Umweltökonomie  : »Wir glauben an die Kraft der Märkte und die menschliche Kreativität, die Umwelt und die Wirtschaft nachhaltiger gestalten zu können.«17 Wir glauben daran, dass eine florierende Wirtschaft auch ohne wesentliche und unzumutbare Immissionen möglich ist. Dem Umweltrecht geht es um die Regelung der Wiedergewinnung, Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensbedingungen für unsere, aber auch für die kommenden Generationen. Österreichische Umwelttechnologie,18 Landwirtschaft und Fremdenverkehr brauchen das  ! Und auch eine deutliche Stärkung des IUR in personeller und sachlicher Sicht.19 Aber all dieser aufgezeigte Widerstand hat uns wohl noch gestärkt, beflügelt und angespornt und manches bewirkt, was sonst nicht geschehen wäre. Der Wissenschafter/die Wissenschafterin darf kein Angsthase sein, er/sie muss anecken, selbst »das Establishment« angreifen und für die eigene Überzeugung kämpfen. Das IUR muss weiterhin der inter- und transdisziplinären Ausrichtung fest verhaftet bleiben und seine Eigenständigkeit bewahren, sonst verliert die Institutsstruktur ihre entscheidende zukunftsorientierte nachhaltige Bedeutung.

Literatur Christian, Reinhold, Kerschner, Ferdinand u. Wagner, Erika (Hg.), Rechtsrahmen für eine Energiewende Österreichs, Wien 2016. Kerschner, Ferdinand, Umwelthaftungssysteme des geltenden österreichischen Rechts  – Nachbarrecht, in  : Hanreich, Hanspeter u. Schwarzer, Stephan (Hg.), Umwelthaftung, Wien 1991, S. 42–58. Kerschner, Ferdinand, Artikel 6 EMRK noch nicht voll erfüllt. Zu den neuen Verwaltungsgerichten, in  : Giese, Karin u. a. (Hg.), Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat. Festschrift für Harald Stolzlechner zum 65. Geburtstag, Wien 2013, S. 347–361. Kerschner, Ferdinand, Rechtliche Prämissen einer Umweltwirtschaft oder  : Aufruf zur Verpartnerung von Wirtschaft und Umwelt, in  : Institut für Umweltrecht (Hg.), Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts, Wien 2016, S. 167–172. Proelß, Alexander (ed.), Protecting the Environment for Future Generations – Principles and Actors in International Environmental Law, Berlin 2017. Raschauer, Bernhard, Umweltrecht Allgemeiner Teil, in  : Raschauer, Nicolas u. Wessely, Wolfgang (Hg.), Handbuch Umweltrecht, Wien 20102, S. 13–48. Ziegler, Jean, Ändere die Welt, München 2015.

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Ferdinand Kerschner

Anmerkungen   1 Bernhard Raschauer, Umweltrecht Allgemeiner Teil, in  : Nicolas Raschauer u. Wolfgang Wessely (Hg.), Handbuch Umweltrecht, Wien 20102, S. 13 ff., hier S. 26.   2 Siehe dazu den Tagungsband  : Alexander Proelß (ed.), Protecting the Environment for Future Generations – Principles and Actors in International Environmental Law, Berlin 2017.   3 Ferdinand Kerschner, Umwelthaftungssysteme des geltenden österreichischen Rechts – Nachbarrecht, in  : Hanspeter Hanreich u. Stephan Schwarzer (Hg.), Umwelthaftung, Wien 1991, S. 42–58.   4 Dazu kurz unten »Sachliche und persönliche Voraussetzungen des Neuen«.   5 Auch im weiten Sinne von trans- und multidisziplinärer Forschung.   6 Das erinnert an manche Argumentationsmuster zum Thema ceta und ttip.   7 »Profiteor« heißt maßgeblich »sich offen bekennen, gestehen«.   8 Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten (UOG 1993), BGBl. 805/1993.   9 Ein Pionier ist das Institut für Umwelt- und Technikrecht an der Universität Trier, mit dem uns ein Partnerschaftsvertrag besonders eng verbindet. 10 Mit eigenen Studien- und Gutachtensaufträgen. 11 Der uns den ersten von der JKU finanzierten Universitätsassistenten konzedierte, was eine ganz wichtige Zäsur in der Institutsentwicklung bedeutete. 12 Vgl. dazu noch näher unter »Ausblick  : Resignation oder Stärkung« 13 Wir arbeiten, um zu leben, aber wir leben nicht, um zu arbeiten. 14 So Jean Ziegler, Ändere die Welt, München 2015, S. 99. 15 Zum Problem vgl. nur Ferdinand Kerschner, Artikel 6 EMRK noch nicht voll erfüllt. Zu den neuen Verwaltungsgerichten, in  : Karin Giese u. a. (Hg.), Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat. Festschrift für Harald Stolzlechner zum 65. Geburtstag, Wien 2013, S. 347–361, hier S. 357–360. und VfGH 7.10.2014, E707/2014. 16 Reinhold Christian, Ferdinand Kerschner u. Erika Wagner (Hg.), Rechtsrahmen für eine Energiewende Österreichs, Wien 2016. 17 So schon Ferdinand Kerschner, Rechtliche Prämissen einer Umweltwirtschaft, in  : Institut für Umweltrecht (Hg.), Jahrbuch des österreichischen und europäischen Umweltrechts, Wien 2016, S. 167–172, hier S. 168. 18 Siehe auch Michael Strugl, Wirtschaftslandesrat in Oberösterreich im »UC Journal« 2016  : »Unser Ziel ist es, oö. Unternehmen beim Eintritt in neue Märkte zu unterstützen und die Marke ›Ökoenergie- und Umwelttechnologie aus Oberösterreich‹ weiter auszubauen.« Mit Mut und Weitblick, in  : UC Journal, H. 2, 2016, S. 22. 19 Das entspricht auch dem gesetzlichen Auftrag der Universitäten, »zur gedeihlichen Entwicklung […] der natürlichen Umwelt beizutragen« (§ 1 UG 2002).

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Andreas Riedler

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften Ausgangssituation Die Linzer Rechtswissenschaftliche Fakultät rangierte Ende der 1990er Jahre in Bezug auf Studienanfänger- und Absolventenzahlen an der letzten Stelle aller Rechtswissenschaftlichen Fakultäten Österreichs. Zur Absicherung des Standortes sowie zur Anhebung der Studierendenzahlen wurde daher die Idee geboren, ein modernes, effizientes und attraktives Studienangebot zu entwickeln, das die Linzer Rechtswissenschaftliche Fakultät von allen anderen Fakultäten Österreichs differenzieren sollte. Einerseits sollte das Studienangebot attraktiver, moderner und flexibler gestaltet, andererseits auch der zunehmenden Zahl von Berufstätigen der Zugang zu universitärer Bildung eröffnet werden. Dies setzte sowohl die Schaffung von nach didaktischen Erkenntnissen konzipierten Studienmaterialien als auch die Entwicklung neuer, moderner und zeitlich sowie örtlich flexibler Wissensvermittlungssysteme voraus. Die Anfänge waren nicht gerade einfach. Trotz der Bereitstellung von Initiativbudgetmitteln durch das Wissenschaftsministerium war die Skepsis vieler Fakultätsmitglieder groß, die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Studienbetrieb beschränkte sich auf eine Handvoll von freiwilligen Idealisten und Idealistinnen. Zahlreiche Vorbehalte wurden geäußert, die von der Untauglichkeit der in Aussicht genommenen Medien zur Wissensvermittlung bis hin zu persönlichen Vorbehalten gegenüber Auftritten vor einer Webcam reichten. Universitätsextern wurde das neue Studienangebot von anderen Fakultäten als Konkurrenz wahrgenommen, fakultätsintern wurde von manchen Gegnern und Gegnerinnen die Befürchtung geschürt, das neue Studienkonzept würde den Präsenzstudienbetrieb beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund waren Konzeption, Umsetzung und Aufbau des Studienbetriebes überaus mühsam. Unzählige Informations- und Aufklärungsgespräche, zahlreiche Präsentationen, schrittweise Überzeugungsarbeit in allen Gremien und bei handelnden Akteuren auf allen Ebenen führten jedoch in einem sich über Jahre erstreckenden Entwicklungsprozess langsam zur Erkenntnis, dass das MultimediaDiplomstudium nicht als Gegensatz zum Präsenzstudium, sondern vielmehr als gleichwertige Alternative zum Präsenzstudium und als qualitativ hochwertige Erweiterung des Studienangebotes anzusehen ist, zudem der Standortabsicherung der Linzer Juridischen Fakultät dient und schließlich sowohl der JKU als auch ihren Studierenden neue Chancen und Möglichkeiten eröffnet. Nach der Gründung der 207

Andreas Riedler

JKU Multimediale Studienmaterialien GmbH wurde mit der Produktion aller Medienkoffer der gesamten Fächer des ersten und zweiten Studienabschnittes begonnen, gleichzeitig unter der Leitung von Andreas Riedler als Vorstand des Instituts für Multimediale Linzer Rechtsstudien die gesamte Aufbauarbeit in Angriff genommen.

Idee – Vision – Erfolg Am Anfang stand also die Idee zur Innovation  – die Idee, unter Verwendung der modernen Kommunikationsmedien einen hochkarätigen, effizienten und flexiblen Studienbetrieb zu schaffen, der es den Studierenden ermöglicht, ein vollständiges Diplomstudium der Rechtswissenschaften weitestgehend unabhängig vom Standort der Präsenzuniversität Linz und möglichst unabhängig von starren Zeit- und Semesterplänen durchzuführen. Universitäre Lehre auf höchstem Niveau sollte weltweit und jederzeit für jeden und jede verfügbar sein. Die Regional-Universität Linz sollte im Bereich der Rechtswissenschaften zur »Österreich-Universität Linz« aufsteigen. Die Umsetzung dieser Vision ist in mittlerweile 15-jähriger Aufbauarbeit gelungen. Die Idee wurde ein voller Erfolg für die JKU  : Durch das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften haben wir die Regional-Universität Linz im Bereich der Rechtswissenschaften zur »Österreich-Universität« aufgewertet, gleichzeitig den Standort der Rechtswissenschaftlichen Fakultät abgesichert und die Zahl der Studierenden vervielfacht. Der Studienbetrieb gilt mittlerweile österreichweit als vorbildhaft, die Studierenden erreichen ausgezeichnete Prüfungsergebnisse, die Absolventen und Absolventinnen sind in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tätig. Zuletzt wurde das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften im Herbst 2016 als Best-Practice-Modell im E-Learning-Bereich in Wien präsentiert.

Konzept des Multimedia-Diplomstudiums Die Johannes Kepler Universität Linz bietet durch das Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien als erste und einzige österreichische Universität ein vollständiges Diplomstudium auf der Basis von E-Learning an. Das Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien organisiert und betreut das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften, führte bereits vor 15 Jahren alle modernen Techniken der Telekommunikation ein und konzipierte ein völlig neues virtuelles MultimediaDiplomstudium der Rechtswissenschaften, an welchem die Studierenden weltweit mit großer Flexibilität unabhängig vom Ort und unabhängig von starren Zeit- und Stundenplänen teilnehmen können.1 Das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften ermöglicht hohe Lernautonomie und einen individuellen Lernstil 208

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften

mit modernstem elektronischen Studienmaterial nach neuesten didaktischen Erkenntnissen. Vorlesungen bzw. Kurse werden den Studierenden auf DVD zur Verfügung gestellt, der Stoff ist multimedial aufbereitet  ; automatisierte Testsequenzen bieten die Möglichkeit zur Selbstüberprüfung. An laufenden Lehrveranstaltungen (Arbeitsgemeinschaften, Übungen etc.) nehmen die Studierenden während des Semesters über Internet teil. Schriftliche Lehrveranstaltungsprüfungen können weltweit abgelegt werden, mündliche Prüfungen werden von mehreren externen Universitätsstandorten über Videokonferenzschaltungen abgenommen. Das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften ist mit dem traditionellen Präsenzstudium inhaltlich und in den Prüfungen identisch und schließt mit dem akademischen Grad »Mag.(a) iur.« ab. Ein Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften kann anschließen. Präsenzphasen

Das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften beginnt mit einer fünftägigen Präsenzphase, die an mehreren Orten in Österreich (Stadtschlaining/Burgenland, Villach/Kärnten und Bregenz/Vorarlberg) zu unterschiedlichen Terminen angeboten wird. Die Studierenden nehmen am Ort und Termin ihrer Wahl teil. In der Präsenzphase werden die Studierenden in den Stoff aller Prüfungsfächer (Privatrecht I, Öffentliches Recht I, Strafrecht I, Romanistische Grundlagen der europäischen Zivilrechtsdogmatik, Österreichische und europäische Rechtsgeschichte) eingeführt. Die Professoren/Professorinnen halten täglich acht Stunden Unterricht und erörtern mit den Studierenden die Lerninhalte ihres Faches, erläutern die Handhabung der im Medienkoffer enthaltenen multimedialen Lehrmaterialien (DVDs etc.) und erklären den empfohlenen Lernrhythmus für das nächste Studienjahr. Zusätzlich erhalten die Studierenden eine Einführung in die Bedienung der mmjus-moodleLernplattform, über welche später während des laufenden Semesters Arbeitsgemeinschaften, Übungen, Klausurenkurse, Repetitorien, Seminare, Dokumente sowie korrigierte schriftliche Prüfungsarbeiten online abgerufen werden können. Ein ganz wesentlicher Aspekt der Präsenzphase ist der soziale Kontakt unter den Studierenden sowie zu den jeweiligen Professoren/Professorinnen. Die Studierenden deklarieren sich durch das  – freiwillige  – Tragen von Ansteckbuttons, aus welchen Bundesländern sie stammen, und finden sich so rasch und unkompliziert zu Arbeits-, Lern- und Studiengruppen zusammen. Zudem haben sie jederzeit die Möglichkeit mit den Professoren/Professorinnen und Studierendenvertretern/Studierendenvertreterinnen sowie fortgeschrittenen Kollegen/Kolleginnen Kontakt aufzunehmen.2 Im Rahmen der Präsenzphasen wird auch der Grundstein für die entsprechenden E-Mail- und Nachrichtenverteiler gelegt, über welche sie später durchgehend mit aktuellen Informationen zum Studien- und Prüfungsbetrieb versorgt werden. 209

Andreas Riedler

Während der Präsenzphase können die Studierenden die Medienkoffer des ersten und zweiten Studienabschnittes beziehen und auch alle organisatorischen Anliegen direkt vor Ort erledigen. Das Office des Instituts für Multimediale Linzer Rechtsstudien organisiert die Zulassung zum Studium, die Inskription, fertigt die Studierendenausweise an und gibt auch diese noch während der Präsenzphase an die Studierenden aus. Am Beginn des zweiten Studienabschnittes steht eine weitere dreitägige Präsenzphase, die nach demselben Konzept aufgebaut ist wie die Präsenzphase des ersten Studienabschnittes. An Lehrveranstaltungen sind vorgesehen  : Arbeits- und Sozialrecht, Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, Steuerrecht, Strafrecht II, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Public International Law, Europarecht, Zivilgerichtliches Verfahrensrecht, Wirtschaftswissenschaftliche Wissensgebiete für Juristen/Juristinnen, Legal Gender Studies und Antidiskriminierungsrecht, Grundzüge der Rechtsphilosophie sowie die Vorstellung mehrerer fakultativer Studienschwerpunkte. Medienkoffer

Der Vorlesungs-/Kursbetrieb während des Semesters findet nicht in Hörsälen, sondern völlig orts- und zeitunabhängig statt. Am Beginn jedes Studienabschnittes erhalten die Studierenden Medienkoffer für die einzelnen Prüfungsfächer ausgehändigt. Diese Medienkoffer enthalten alle zur Vorbereitung auf die einzelnen Fachprüfungen nötigen Unterlagen. Darunter finden sich auch DVDs, auf denen die Vorlesungen aus den jeweiligen Fachgebieten multimedial aufbereitet abgespeichert sind  : Die Vortragenden führen mittels Video- und Audiosequenzen, die mit Präsentationen, Graphiken, Texten und Bildern unterstützt und verknüpft sind, durch den gesamten Stoff des Faches. Der Studierende sieht und hört den jeweiligen Professor/die jeweilige Professorin und bekommt dazu den gesamten Stoff graphisch aufbereitet. Um eine Interaktion der Studierenden zu ermöglichen und deren Konzentration aufrecht zu erhalten, sind bei besonders wichtigen Passagen interaktive Prüfungsfragen in den Vortrag eingearbeitet. Die Studierenden können anhand dieser Fragenmodule selbst prüfen, ob sie den eben vorgetragenen Stoff inhaltlich verstanden und durchdrungen haben und auf einen praktischen Fall übertragen können. Die Antworten der Studierenden werden automatisiert ausgewertet, inhaltlich falsche und inhaltlich richtige Antworten angezeigt und Begründungen angeboten, die den Studierenden klarmachen sollen, warum die jeweiligen Antwortmöglichkeiten inhaltlich richtig oder inhaltlich falsch sind. Diese Fragenmodule geben jedem/jeder Studierenden die Möglichkeit zur Überprüfung seines/ihres Wissens und beziehen ihn/sie aktiv in den Vortrag ein.3 Während im Hörsaal die Frage also nur von einem bzw. einer Studierenden beantwortet werden kann, geben die interaktiven Fragenmodule auf der DVD allen Studierenden die Möglichkeit, aktiv (und anonym) in der Vorlesung mitzuarbeiten und das erworbene Wissen schrittweise zu überprüfen. 210

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften

Abbildung 1: Andreas Janko, DVD Staats-/Verwaltungsorganisation2 (2014). Bildnachweis: JKU Multimediale Studienmaterialien GmbH Linz.

Der wesentliche Vorteil dieser auf der DVD abgespeicherten Vorlesungen liegt darin, dass die Studierenden die Vorlesung wo immer, wann immer und in dem von ihnen gewünschten zeitlichen Umfang besuchen können. Über die Inhaltsübersicht kann das gewünschte Vorlesungskapitel aufgerufen werden, in der Folge wird zunächst die Grobgliederung der aufgerufenen Vorlesungssequenz angezeigt, um die Grobstruktur des folgenden Vortrages klar vor Augen zu führen. Nach dem Einstieg in das Vorlesungskapitel hört der/die Studierende den Vortragenden/die Vortragende, sieht ihn/sie sowie die eingespielten Präsentationen, Graphiken und Texte und kann die Vorlesung in der Regel auch in dem mit der DVD vernetzten gedruckten Lehrbuch mitverfolgen. Auf der DVD kann der/die Studierende in den graphischen Darstellungen (Folien) vor- und zurückblättern, zum nächsten Gliederungspunkt des jeweiligen Vorlesungskapitels »springen«, Ton und/oder die interaktiven Zwischenfragen de-/aktivieren sowie die Vorlesungssequenz zu jeder beliebigen Stelle vor- und zurückspulen. Zu jedem Zeitpunkt erhält der/die Studierende die Gesamtdauer des jeweiligen Vorlesungskapitels sowie die bisher bereits »konsumierte« Vorlesungszeit genau angezeigt, zusätzlich gibt auch eine graphische Zeitleiste dem/der Studierenden jederzeit einen Überblick, an welcher Stelle des Vortrages er/sie sich befindet. Der dort mitlaufende Cursor kann an jede beliebige Stelle des Vortrages bewegt werden.4 211

Andreas Riedler

Abbildung 2: Andreas Riedler, DVD ZR IV Schuldrecht BT5 (2015). Bildnachweis: JKU Multimediale Studienmaterialien GmbH Linz.

Hat der/die Studierende Fragen zu den im Vortrag verwendeten Fachbegriffen, so kann er/sie jederzeit auf ein in der DVD integriertes elektronisches Glossar zugreifen, sich den jeweiligen Fachbegriff erklären lassen und anschließend wieder zu jener Stelle des Vortrages zurückkehren, von welcher das Glossar aufgerufen wurde. Zudem kann jeder bzw. jede Studierende jederzeit über einen in die DVD integrierten Link eine automatisch generierte E-Mail mit seinen/ihren individuellen Fragen an den Vortragenden/die Vortragende absenden. Jeder/jede Studierende kann jede Vorlesungseinheit auch mehrfach besuchen. Es besteht eine völlige Loslösung von starren Zeit-, Semester- oder Stundenplänen und vom Standort der Präsenzuniversität Linz. Für die Teilnahme an einer Vorlesung ist nur ein Computer oder Laptop mit einem DVD-Laufwerk und Lautsprechern erforderlich, nicht jedoch eine Internetanbindung oder eine besondere Software. Legt der/die Studierende die DVD in das DVD-Laufwerk ein, so startet sich die Vorlesung automatisch mit der Inhaltsübersicht. Besonders hervorzuheben ist unter didaktischen Aspekten der Umstand, dass jede/r Studierende im Anschluss an jedes Vorlesungskapitel sein/ihr in der Vorlesungseinheit erworbenes Wissen anhand verschiedener Testmöglichkeiten selbst überprüfen kann  : Zur Verfügung stehen ein Definitionstest, ein Multiple-ChoiceTest und ein Fehlertext-Test. Der besondere didaktische Wert dieser Testsequenzen liegt darin, dass beim Multiple-Choice-Test sowie beim Fehlertext-Test die Antworten des/der Studierenden nicht nur automatisch ausgewertet werden, son212

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften

dern auch Begründungen angeführt werden, warum eine Antwort inhaltlich richtig oder inhaltlich falsch ist. Fragen und Antworten werden bei jedem Zugriff durch einen Zufallsgenerator neu durchgemischt, sodass ein bloß optisches Einprägen der Lösungen verhindert wird. Verschiedene Testungen werden mittlerweile auch im laufenden Prüfungsbetrieb eingesetzt, sodass die Studierenden ihr Wissen während des Semesters schrittweise aufbauen können und im Zuge von Online-Testungen nachweisen müssen. Der Medienkoffer beinhaltet neben dem elektronischen auch ein schriftliches Glossar, in dem alle Fachbegriffe des jeweiligen Gegenstandes ausgewiesen sind, sowie alle weiteren Unterlagen, die für das Studium des Faches erforderlich sind (Gesetzestexte, Falllösungsbücher, Prüfungsaufgaben etc.). Jeder Medienkoffer bietet dem/der Studierenden daher ein umfassendes multimediales Gesamtpaket  : 1. Vollständigkeit  : Jeder Medienkoffer beinhaltet alle auf DVDs abgespeicherten Vorlesungen jedes Faches sowie alle für das Studium des Faches erforderlichen Unterlagen. 2. Multimediales Studium  : Jeder Medienkoffer bietet ein multimediales Ausbildungskonzept. Jeder/jede Studierende wählt völlig frei, ob er/sie sich seine/ihre Vorlesung aus z. B. Straf-, Steuer-, Verwaltungs- oder Zivilrecht nur anhört, auch ansieht oder sich auch mit dem vernetzten gedruckten Studienmaterial erarbeitet – die Vielzahl der Medien eröffnet im Multi-Media-Diplomstudium der Rechtswissenschaften völlig neue Perspektiven in der universitären Wissensvermittlung. 3. Anpassung des Vorlesungsbetriebes an den individuellen Lerntypus  : Die Vielzahl der Medien eröffnet eine Anpassung an den individuellen Lerntypus jedes/jeder Studierenden. Jeder/jede Studierende kann seinen/ihren universitären Vorlesungsbetrieb entsprechend seinem/ihrem individuellen Lerntypus konsumieren  – der Studienbetrieb passt sich dem auditiven, dem visuellen, aber auch jedem vernetzten Lerntypus an.5 Elektronischer Unterricht (Internet-Streaming)

Während des Semesters finden Arbeitsgemeinschaften, Übungen, Klausurenkurse, Repetitorien und Seminare statt. In diesen Lehrveranstaltungen wird elektronischer Unterricht abgehalten. Lehrende der Universität leiten ebenso wie herausragende Praktiker/Praktikerinnen diese interaktiven Lehrveranstaltungen und unterrichten persönlich eine Gruppe von Studierenden, die vor Ort in den Aufnahmestudios des Instituts für Multimediale Linzer Rechtsstudien an der Lehrveranstaltung teilnehmen. Gleichzeitig werden diese Lehrveranstaltungen mit mehreren Kameras aufgenommen und weltweit im Internet übertragen. Die Studierenden des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften können an jedem Termin der Arbeitsgemeinschaften, Übungen, Klausurenkurse, Repetitorien oder Seminare weltweit zeitgleich über Internet teilnehmen. Auch jene Studierenden, welche die Lehrveranstaltungen über Internet besuchen, können jederzeit aktiv an der Lehr213

Andreas Riedler

Abbildung 3: Barbara Leitl-Staudinger, Stream AG Öffentliches Recht I WS 2016/17. Bildnachweis: JKU Linz.

veranstaltung mitwirken und Fragen an den Vortragenden/die Vortragende stellen. Diese Fragen werden entweder schriftlich über ein in den Videostream integriertes Chat-Modul an den Vortragenden/die Vortragende übermittelt, wobei der/die Vortragende diese Fragen auf einem Laptop im Studio eingeblendet erhält. Daneben können die Studierenden ihre Fragen aber auch jederzeit telefonisch an den Vortragenden/die Vortragende im Studio richten oder sich (mit Bild) über Webcam in die Lehrveranstaltung einwählen und direkt und – ebenso wie im Hörsaal – live mit dem Vortragenden/der Vortragenden diskutieren. Zudem kann jeder Studierende/jede Studierende  – unabhängig vom Live-Termin – die gespeicherte Version der Lehrveranstaltung – ähnlich Video-on-Demand – binnen 14 Tagen ab Abhaltung weltweit über Internet von jedem PC, Laptop oder Smartphone abrufen. Auch hier können die Studierenden Fragen an den Vortragenden/die Vortragende richten, die als E-Mail bei den Vortragenden eingehen und von diesen schriftlich oder in der nächsten Lehrveranstaltung beantwortet werden. Dokumente (Sachverhaltsangaben, Gesetzestexte, Gerichtsentscheidungen, Links etc.), welche die Studierenden während der Lehrveranstaltung benötigen, werden in der Regel eine Woche vor dem jeweiligen Veranstaltungstermin auf der Lernplattform zum Ausdruck und zur Vorbereitung der nächsten Lehrveranstaltungseinheit zur Verfügung gestellt. Auf dieser Lernplattform finden die Studierenden auch alle Terminpläne oder sonstige Nachrichten des Lehrveranstaltungsleiters/der Lehrveranstaltungsleiterin zu jeder Lehrveranstaltung sowie die korrigierten schriftlichen Prüfungsarbeiten. 214

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften

Der elektronische Unterricht gewährleistet  – ebenso wie das asynchrone elektronische Studienmaterial – zeitliche und örtliche Unabhängigkeit der Studierenden im Studienbetrieb. Alle im Studienhandbuch vorgesehenen Arbeitsgemeinschaften, Übungen, Klausurenkurse oder Seminare des ersten und zweiten Studienabschnittes werden in jedem Semester angeboten, damit die Studierenden ihren Studienrhythmus und Prüfungsablauf frei und flexibel bestimmen können. Persönliche Betreuung

Alle Studierenden des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften werden vom Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien während des Studienjahres laufend mit aktuellen Informationen versorgt. Der Multimedia-Newsletter informiert die Studierenden über Prüfungstermine, Lehrveranstaltungen, Repetitorien, Exkursionen und sonstige wichtige Ereignisse, die den Studienbetrieb, die Studienorganisation oder den Prüfungsablauf betreffen. Für alle fachlichen Fragen stehen den Studierenden die Leiter/Leiterinnen der jeweiligen Lehrveranstaltungen und häufig auch spezielle Betreuungsassistenten/ Betreuungsassistentinnen als Ansprechpersonen zur Verfügung, sodass die von den Studierenden herangetragenen Fragen möglichst rasch beantwortet werden. Die Studierenden können ihre Fragen via E-Mail oder Telefon übermitteln. Damit ist jederzeit eine persönliche Betreuung der Studierenden des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften unabhängig von bestimmten Sprechstunden gewährleistet. Prüfungsbetrieb

Studierende des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften können ihre Prüfungen nicht nur in Linz ablegen, sondern  – nach eigener freier Wahl  – auch an zahlreichen anderen Standorten absolvieren. Für den Prüfungsmodus ist zwischen den verschiedenen im Studienplan bzw. Studienhandbuch vorgesehenen Prüfungstypen zu unterscheiden  : Schriftliche Lehrveranstaltungsprüfungen (z. B. Klausuren) können Studierende nicht nur direkt am Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien in Linz, sondern zeit- und inhaltsgleich unter universitärer Aufsicht auch an den vom Institut betreuten Standorten in Vorarlberg (Bregenz), Burgenland (Stadtschlaining), Kärnten (Villach), Niederösterreich (St. Pölten), Salzburg (Zell am See) und Wien absolvieren. Darüber hinaus arbeitet das Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien im Prüfungsbetrieb mit Notariaten und österreichischen Auslandsvertretungen zusammen  : Alle Studierenden können schriftliche Lehrveranstaltungsprüfungen weltweit bei jeder Botschaft Österreichs bzw. innerhalb des gesamten EWR-Raums auch in jedem Notariat ablegen, sofern sich die Auslandsvertretung/das Notariat zur Beaufsichtigung bereit erklärt. 215

Andreas Riedler

Die Absolvierung der schriftlichen Fachprüfungen wird vom Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien zu den Prüfungsterminen im Oktober, März und Juni organisatorisch auch an allen Außenstandorten betreut. Die Studierenden können zu diesen Terminen ihre schriftlichen Fachprüfungen nicht nur an der Universität Linz, sondern auch in Bregenz, Stadtschlaining, Villach, St. Pölten, Zell am See und Wien ablegen. Selbstverständlich steht es allen Studierenden des MultimediaDiplomstudiums der Rechtswissenschaften auch frei, die Zwischentermine (November, Jänner, April) direkt in Linz in Anspruch zu nehmen. Zu beachten ist, dass alle Fachprüfungsarbeiten im Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften zeit-, inhalts-, aufgaben- und korrekturgleich mit den Prüfungsarbeiten im Präsenzstudium stattfinden, sodass Prüfungsmodus, Prüfungszyklus und Prüfungsanforderungen im Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften exakt den Anforderungen des Präsenzstudiums entsprechen. Alle schriftlichen Arbeiten werden an das Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien übermittelt. Nach der zentralen Erfassung werden die Prüfungsarbeiten an Korrekturassistenten/Korrekturassistentinnen verteilt. Nach der endgültigen Beurteilung durch die Prüfer/Prüferinnen wird jede korrigierte Arbeit am Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien mit einem Barcode (Strichcode) versehen, mit einem Hochleistungsscanner elektronisch abgespeichert und im persönlichen elektronischen Postfach jedes/jeder Studierenden abgelegt, sodass er/sie seine/ihre korrigierten schriftlichen Prüfungsarbeiten zu Hause aufrufen, ansehen, abspeichern und ausdrucken kann. Damit liefert das Institut für Multimediale Linzer Rechtsstudien den Studierenden nicht nur die Vorlesungen/Kurse auf DVD und die Arbeitsgemeinschaften, Übungen, Klausurenkurse, Repetitorien und Seminare über Internetstreaming, sondern auch die korrigierten Prüfungsarbeiten über die mmjus-moodle-Lernplattform direkt ins Haus. Mündliche Prüfungen werden von den Professoren/Professorinnen während der Präsenzphasen sowie zu weiteren Terminen an mehreren Orten in Österreich (z. B. Villach, Stadtschlaining, Bregenz) entweder persönlich oder über Videokonferenzschaltungen abgenommen. Jeder/jede Studierende hat aber natürlich auch hier die Möglichkeit, seine/ihre Prüfung direkt an der JKU in Linz abzulegen.

Resümee Das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften realisiert ein österreichweit einzigartiges hocheffizientes und flexibles Studienkonzept im tertiären Bildungssektor nach den Maßstäben eines modernen und serviceorientierten Ausbildungssystems. Den Studierenden wird universitäre Ausbildung auf hohem Niveau geboten, wobei sich Art der Wissensvermittlung, Ort der Wissensvermittlung 216

Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften

und Zeit der Wissensvermittlung den individuellen Bedürfnissen der Studierenden anpassen.6 Damit wird die universitäre Ausbildung vom Standort der Universität genauso gelöst wie von starren Zeit-, Semester- und Stundenplänen. Zahlen, Daten und Fakten zum Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften sind eindrucksvoll  : Im Studienjahr 2015/16 haben ca. 5.000 Studierende das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften aktiv betrieben, wobei sie über 15.000 schriftliche Prüfungsarbeiten im Studienjahr abgelegt haben. Den Studierenden stehen derzeit ca. 3.500 Seminar-Einheiten über Internet pro Studienjahr zur Verfügung. Im Studienjahr 2015/16 wirkten ca. 130 Universitätsprofessoren und -professorinnen, -dozenten/innen und -assistenten/innen im Lehr- und Prüfungsbetrieb des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften mit. Die JKU wird seit ihrer Gründung vom Geist der Innovation und der Aufgeschlossenheit zum Beschreiten neuer Wege geprägt. Die Erforschung neuer Wissenschaftsfelder und die Etablierung innovativer Studienkonzepte sind Merkmale dieser Universität. In diesen Geist fügt sich das Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften nahtlos ein. Es ist österreich- und europaweit einzigartig – ein Alleinstellungsmerkmal und Aushängeschild der JKU. Pionierarbeit  – auf in den Anfängen neuem und unbekanntem Terrain – zu leisten war und ist freilich nicht immer einfach und bedarf einer großen Portion an Motivation, Einsatzbereitschaft, Unterstützung, Stehvermögen und Kooperation. Das Ergebnis jedoch belegt – Idealismus, Mühe und Einsatz haben sich ausgezahlt  : Denn mit dem Multimedia-Diplomstudium der Rechtswissenschaften ist die Rechtswissenschaftliche Fakultät der JKU zur zweitgrößten Juridischen Fakultät Österreichs aufgestiegen, nimmt die JKU unangefochten österreichweit die führende Rolle im E-Learning-Bereich ein7 und offeriert gleichzeitig in Erfüllung ihres Bildungsauftrages zum Wohle aller Studierenden einen völlig neuen Weg in der universitären Wissensvermittlung. Neuartiges und Innovatives bleibt nur innovativ, wenn es sich auch weiterhin am Puls der Zeit orientiert und seiner Zeit »einen Schritt voraus« ist. Die Herausforderungen für die Zukunft liegen daher in der ständigen Fortentwicklung dieses Studienbetriebes. In diesem Zusammenhang ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an Bildungsinstitutionen aufgrund der sich ständig ändernden Gesellschaftsstrukturen einem steten Wandel unterliegen. Andererseits ändern sich aber auch die Arten und die Wege des Wissenstransfers aufgrund der laufenden technischen Innovationen. Die konstruktive Fortentwicklung des Studienbetriebes unter Berücksichtigung der aktuellen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Sinne des Innovationsgeistes der gesamten JKU ist daher Leitlinie für die Zukunft.8

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Andreas Riedler

Literatur Beurskens, Michael, Neue Spielräume durch Digitalisierung  ? E-Learning in der deutschen Rechtslehre, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaften, Jg. 3, H. 1, 2016, S. 1–17. Dittler, Ullrich (Hg.), E-Learning. Erfolgsfaktoren und Einsatzkonzepte mit interaktiven Medien, München 2002. Schärtl, Christoph, E-Learning im Jurastudium – Spielerei oder Chance zur Reintellektualisierung  ?, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, Jg. 3, H. 3, 2016, S. 252–257. Schulmeister, Rolf, eLearning  : Einsichten und Aussichten, München 2006. Simon, Bernd, E-Learning an Hochschulen. Gestaltungsräume und Erfolgsfaktoren von Wissensmedien, Köln 2001. Sutter, Carolin, Zum Stand des digitalen Lehrens und Lernens in juristischen Studiengängen in Deutschland – Folgerungen für Hochschullehre und Hochschullehrende, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaften, Jg. 3, H. 1, 2016, S. 44–70.

Anmerkungen 1 Dazu Rolf Schulmeister, eLearning  : Einsichten und Aussichten, München 2006, S.  207 ff.: Durch ELearning können die Zeitschranke, die Raumschranke, die Analog-Digital-Schranke und die Normenschranke überwunden werden. Vgl. auch Bernd Simon, E-Learning an Hochschulen. Gestaltungsräume und Erfolgsfaktoren von Wissensmedien, Köln 2001, S. 33 ff. 2 Zur »besonderen Kraft« einer Präsenzphase durch räumliche und zeitliche Konzentration sowie »elektrisierende« persönliche Kontakte siehe Christoph Schärtl, E-Learning im Jurastudium – Spielerei oder Chance zur Reintellektualisierung  ?, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, Jg. 3, H. 3, 2016, S. 252–257, hier S. 256. 3 Damit kann je nach Fragestellung auch eine Vorbereitung auf die spätere Falllösungstechnik einhergehen. Vgl.: Michael Beurskens, Neue Spielräume durch Digitalisierung  ? E-Learning in der deutschen Rechtslehre, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaften, Jg. 3, H. 1, 2016, S. 1–17, hier S. 6. 4 Vgl.: Schulmeister, eLearning, S. 239 ff. 5 Vgl.: Schulmeister, eLearning, S. 209  : Multiple Medien ermöglichen mehrkanalige Wahrnehmung. 6 Vgl. dazu Schulmeister, eLearning, S. 208. 7 Zum allgemeinen Trend Richtung E-Learning und Digitalisierung  : Carolin Sutter, Zum Stand des digitalen Lehrens und Lernens in juristischen Studiengängen in Deutschland – Folgerungen für Hochschullehre und Hochschullehrende, in  : Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaften, Jg. 3, H. 1, 2016, S. 44–70, hier S. 58. 8 Ob und inwieweit eine Übertragung des Konzepts des Multimedia-Diplomstudiums der Rechtswissenschaften oder von Teilen des Konzepts auch auf andere Studienrichtungen erfolgen kann, hängt im Einzelfall von den jeweiligen konkreten fachspezifischen Vorgaben, Lehrinhalten, curricularen Ausgestaltungen der Studienverläufe sowie insbesondere auch der Aufgeschlossenheit der handelnden Akteure und Akteurinnen gegenüber E-Learning-Komponenten ab. Vgl.: Ullrich Dittler, Einführung – ELearning zur Vermittlung von Hard- und Softskills, in  : ders. (Hg.), E-Learning. Erfolgsfaktoren und Einsatzkonzepte mit interaktiven Medien, München 2002, S. 21 f.

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Andreas Binder/Heinz W. Engl

Heiße Eisen? Lernende Maschinen? Exoplaneten? Schneebälle? Industriemathematik!

Industriemathematik kann, wie uns voreingenommenen Autoren durchaus bewusst ist, ein sperriges Thema sein. Wenn die Überschrift dieses Artikels dazu beiträgt, Neugier zu wecken, was es damit auf sich hat, ist ein erstes Ziel erreicht. Im Gegenzug versprechen wir die Auflösung des impliziten Rätsels.

Mathematik und ihre Anwendungen, Mathematik als Werkzeug Historisch ist die Entwicklung der Mathematik geprägt von Wellenbewegungen zwischen Bedürfnissen aus der Praxis und der theoretischen Weiterentwicklung der dafür erarbeiteten Methoden um ihrer selbst willen, ohne eine konkrete Anwendung im Hinterkopf. Wer eine Sonnenfinsternis vorhersagen will, tut gut daran, eine zumindest phänomenologische Kenntnis von Himmelsmechanik zu haben. Bereits Thales von Milet soll dies im Jahr 585 v. Chr. korrekt gelungen sein. Zur Berechnung von Flächeninhalten krummlinig berandeter Flächen (etwa eines Kreises) kann man diese durch Verwendung von Rechtecken oder Dreiecken »ausschöpfen«  ; Eudoxus (6. Jh. v. Chr.) gilt als Begründer dieser Exhaustions-(= Ausschöpfungs-)methode, die eine Vorgängermethode der heute als Integration bezeichneten Technik zur Berechnung von Flächeninhalten ist. Im Deutschen werden die Begriffe »Reine Mathematik« und »Angewandte Mathematik« verwendet, im Englischen wird diese gelegentlich noch unterschieden in »Applied Mathematics« und »Applicable Mathematics«  : Applied Mathematics würde in den obigen Beispielen mathematische Methoden entwickeln, um eine Lösung für eine Problemstellung der Astronomie zu bekommen (wann ist der Mond das nächste Mal vor der Sonne  ?), Applicable (»Anwendbare«) Mathematics würde eine Methode entwickeln, um Flächeninhalte (oder verallgemeinert Volumina) von recht komplexen Formen zu berechnen, solange diese Formen sich »gut ausschöpfen« lassen. Selten ist das so eindeutig wie im Fall der von Bruno Buchberger entwickelten Gröbnerbasen, die zum Zeitpunkt ihrer Publikation1 ein fundamentaler Satz der Algebra (und damit der Reinen Mathematik) waren und heute eine wichtige Grundlage aller Computeralgebrasysteme, also sehr breit anwendbar sind. Die im 221

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Vorrat vorhandenen mathematischen Methoden reichen für eine komplexe Aufgabenstellung der Industrie meist nicht aus  ; die Notwendigkeit der Kombination aus Techniken des Methodenvorrats und neu zu entwickelnden Methoden ist in industriemathematischen Aufgabenstellungen eher die Regel als die Ausnahme.

Industrie und Mathematik Die Geschichte der Industriemathematik an der JKU begann mit dem viel zu früh verstorbenen Hansjörg Wacker (1939–1991), der seit 1972 Professor für Numerische Mathematik an der jungen JKU war.2 Seine für damalige Verhältnisse radikale Einstellung in der Kooperation mit der Industrie war, als Mathematiker direkt die Kooperation mit der Industrie zu suchen und sich auf die Bearbeitung konkreter Problemstellungen einzulassen. Dabei kann man nicht sagen  : »Wir haben eine Lösungsmethode und suchen Aufgabenstellungen, auf die diese Lösungsmethode anwendbar ist«, sondern man hat folgende Fragen zu stellen  : Was ist die konkrete Problemstellung der Industrie  ? Können wir mit den zur jeweiligen Zeit zur Verfügung stehenden Methoden dazu beitragen, die in der Industrie implementierten Verfahren zu verbessern, sodass die Produkte (beispielsweise) ressourcenschonender, in einer besseren Qualität zum gleichen Preis oder mit geringeren Stehzeiten produziert werden können  ? Müssen wir dazu Methoden neu entwickeln  ? Können im Idealfall die Fragestellungen der Industrie zu einer Verbreiterung und Vertiefung einzelner Fachgebiete der Mathematik führen  ? Um eine solche Industriemathematik betreiben zu können, braucht es einerseits Industriebetriebe, die bereit sind, Zeit und Geld in eine Kooperation mit, was die Anzahl der Forscher und Forscherinnen betrifft, kleinen Einheiten zu investieren, andererseits ein Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die bereit und in der Lage sind, das oben formulierte Paradigma umzusetzen und gegebenenfalls die vorhandene Mathematik weiterzuentwickeln und sich zugleich auf die Fragestellungen der Praxis einzulassen. Damals (in den 1980er Jahren) wurde ein solches Vorgehen in der akademischen Welt nicht unbedingt als karrierefördernd angesehen  : Die Dauer bis zur Promotion ist im Normalfall länger, die Publikation von Forschungsergebnissen gemeinsam mit Vertretern und Vertreterinnen aus der Industrie erfordert wesentlich mehr an Abstimmung, um berechtigte Interessen der Partnerunternehmen zu wahren, ohne alles geheim zu halten. Der Publikationsstil in der Industriemathematik weicht vom traditionellen Schema »Definition – Satz – Beweis« deutlich ab. Trotzdem sind aus der Linzer Industriemathematik zahlreiche erfolgreiche Karrieren in der akademischen und in der industriellen Forschung hervorgegangen. 222

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Vor den Vorhang: Die Industrie Hansjörg Wacker betrieb mit großem Einsatz die Einrichtung des Lehrstuhls für Industriemathematik, die schließlich 1988 erfolgte.3 Ein wesentlicher Punkt für die seither andauernde Kooperation mit der Industrie war die bei der Gründung ausgesprochene Selbstverpflichtung der Industrie, fünf Jahre lang zwei Assistentenstellen zu finanzieren, und die Zusage des Bundes, diese Stellen dann zu übernehmen. Wenig überraschend waren es die Leitbetriebe der Eisen- und Stahlindustrie der damaligen Austrian Industries, nämlich die Voest Alpine4 und die Voest Alpine Industrieanlagenbau, die diese Verpflichtung übernahmen. Der Ruf, den sich das junge Institut für Industriemathematik (das erste dieses Namens in Kontinentaleuropa) durch erste Kooperationserfolge erarbeitete, war so gut, dass 1992 ein Christian Doppler Laboratorium für Mathematische Modellierung und Numerische Simulation eingerichtet wurde, das im Schnitt bereits acht Drittmittelstellen, finanziert aus Mitteln der Christian Doppler Gesellschaft und der Industrie, hatte. Seit damals besteht, zusätzlich zum Schwerpunkt Eisen und Stahl, eine intensive Kooperation mit der Grazer AVL List GmbH im Bereich der automotiven Simulation. Auf den folgenden Seiten versuchen wir anhand konkreter Aufgabenstellungen, die in Linz bearbeitet wurden bzw. werden, die industriemathematische Arbeitsund Denkweise vorzustellen.

Was passiert in einem Hochofen? Eisenerzeugung ist eine sehr alte Technologie. Aus Eisenerz (oft Varianten von Eisenoxid, als Erz vom Erzberg Eisenkarbonat) wird bei hohen Temperaturen (1500°C) der Sauerstoff durch Verwendung von Koks (historisch auch andere Kohlen) »ausgebrannt« und flüssiges Eisen gewonnen. Zeitgenössische Hochöfen, wie sie etwa bei der voestalpine verwendet werden, sind durchgehend zehn Jahre oder länger im Einsatz und produzieren pro Jahr mehrere Millionen (!) Tonnen Roheisen und eine noch höhere (unvermeidliche) Menge an Kohlendioxid. Das einfachste mathematische Modell, aus dem man die benötigte Kohlenstoffmenge für die Umwandlung von Eisenerz in Roheisen (zumindest indikativ) berechnen könnte, benötigt die Zusammensetzung des Erzes (etwa Fe2O3) und eine sehr vereinfachte Reaktionsgleichung  : 2 Fe2O3 + 3 C → 4 Fe + 3 CO2 Nur funktioniert ein solcher »Labor-Hochofen« im industriellen Maßstab nicht  : Tatsächlich wird ein Hochofen mit verschiedenen Erzen (in Form von sogenann223

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Abbildung 1: Hochofen aus der chinesischen Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.). Bildnachweis: Privatfoto (Heinz W. Engl) aus einem chinesischen Museum.

ten Pellets oder als Sinter) und mit Koks (in abwechselnden Schichten) von oben beschickt. Im Gegenstrom wird Reduktionsgas (z. B. Wasserstoff, Kohlenmonoxid) bei den Windformen eingeblasen. Zuschläge (Kalk, Dolomit) beeinflussen den pHWert und damit die Viskosität der Schlacke, außerdem die Schmelztemperatur des Eisens. Ein realistisches mathematisches Modell benötigt also • Strömungen von erzhaltigen (und mit Zuschlägen angereicherten) Schichten (dem sogenannten Möller) und von Koksschichten nach unten. • Strömungen von Reaktionsgas nach oben. Die Geschwindigkeiten dieser Feststoff-/Gasströmungen unterscheiden sich um einen Faktor in der Größenordnung von 10.000, was numerisch (also bei der Lösung der Gleichungen auf dem Computer) eine große Herausforderung darstellt. • Eine Formulierung des Schmelzens zu Roheisen, die Schlacke ergibt sich als Nebenprodukt. • Die oben angeschriebene chemische Reaktion läuft in mehreren Stufen ab. Tatsächlich sind, je nach Beschickung des Hochofens bis zu 80 verschiedene chemische Reaktionen simultan, wenn auch möglicherweise in verschiedenen Zonen 224

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des Ofens, zu behandeln. Durch diese Reaktionen verschwinden Massenanteile einer chemischen Spezies und entstehen Massenanteile von anderen. • Manche der Reaktionen benötigen Energie, manche produzieren Energie. Durch eine geeignete Wahl der Zuschläge kann die Schmelztemperatur beeinflusst werden. • Ist das Erz zu feinkörnig (staubartig) und/oder erlaubt eine ungünstige Beschickung mit Koks nicht das Entstehen von sogenannten Windfenstern, kann es zu Verstopfungen in gewissen Bereichen des Ofens kommen. Solche Zonen, die ein Weiterfließen des Materials behindern (unbeweglich sind), werden im Jargon der Metallurgie »Tote Männer« genannt und können zu hohem wirtschaftlichen Schaden führen, weil im Extremfall der Hochofen niedergefahren werden muss. Am Institut für Industriemathematik der JKU war das Thema Roheisengewinnung ein Dauerbrenner seit den 1990er Jahren, die zu einigen Dissertationen5 und zu zahlreichen Publikationen führte, siehe etwa den Überblicksartikel von Engl et al.6 Die obige Beschreibung wesentlicher Phänomene im Hochofen (Strömungen, chemische Reaktionen, Phasenumwandlungen, Temperatur- und Energiebilanzen) muss, um einer mathematischen Lösung zugänglich gemacht werden zu können, übersetzt werden in mathematische Gleichungen, hier in sogenannte partielle Differentialgleichungen, die die zeitliche und die örtliche Änderung interessierender Größen beschreiben  : So nimmt in der obigen Reaktionsgleichung Fe2O3 unter geeigneten Umgebungsbedingungen von oben nach unten ab. Wie schnell dies geht, hängt von der Fließgeschwindigkeit des Erzes und des Kokses ab, aber auch – vereinfacht gesprochen  – von den dann lokal vorliegenden Temperaturen und Kokskonzentrationen. Die einzelnen Differentialgleichungen des sich ergebenden Systems sind oft von unterschiedlichem Typ, je nachdem, ob eines der Phänomene Reaktion-KonvektionDiffusion für die jeweils betrachtete Größe besonders dominant ist. Bei der Auswahl der numerischen Verfahren zur Lösung für jede dieser bis zu hundert Gleichungen (wir rekapitulieren  : je eine Gleichung für die Konzentration der einzelnen Substanzen, außerdem Impuls- und Energieerhaltung) ist auf den jeweiligen Typ besondere Rücksicht zu nehmen. Um ein solch komplexes System in vernünftiger Rechenzeit behandeln zu können, bedarf es der Entwicklung neuer Methoden. Wir kommen weiter unten auf den methodischen Ansatz eines modularen Vorgehens zurück.

Europäische und weltweite Dimension Im Jahr 1987 wurde, ausgehend von den starken nationalen Knoten in der Bundes­ republik Deutschland (Kaiserslautern), Finnland (Jyväskylä), Großbritannien (Ox225

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ford), Italien (Bari und Florenz), den Niederlanden (Eindhoven) und Österreich (Linz) das European Consortium for Mathematics in Industry (ECMI7) gegründet, das heute Knoten in fast allen europäischen Ländern hat. ECMI veranstaltet alle zwei Jahre8 die ECMI Conference, erleichtert den Studierenden das Studium im Ausland durch die Zertifizierung von Studiengängen und  – ebenso wichtig  – durch informelle Kontakte der Lehrenden. Bereits 1988 wurde ein postgradualer Studiengang »Industrial Mathematics« (vier Semester nach dem Diplom) eingerichtet, in dem ein Auslandssemester ebenso verpflichtend war wie eine Abschlussarbeit zu einem industriellen Thema.9 Bereits in den späten 1980er Jahren gab es via ECMI, obwohl Österreich noch nicht EU10-Mitglied war, Zugang zu EU-Austauschprogrammen, die die Mobilität von Studierenden (Erasmus) und den Austausch zwischen Universität und Industrie (Comett) förderten. An der JKU wurde in den frühen 1990er Jahren ein Studienzweig »Industriemathematik« im Rahmen des Diplomstudiums Technische Mathematik eingerichtet  ; im Bologna-System wurde dieser Studienzweig übergeführt in das Bachelor-Studium »Technische Mathematik« und das Master-Studium »Industriemathematik«. Eine besondere Erfolgsgeschichte sind die European Study Groups with Industry, von denen, ausgehend von den Oxford Study Groups, in Europa schon über 100 stattgefunden haben  : Innerhalb einer Woche werden einige (noch nicht oder noch nicht vollständig gelöste) Aufgabenstellungen der Industrie durch Vertreter und Vertreterinnen der jeweiligen Unternehmen vorgestellt (am ersten Tag)  ; die teilnehmenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verteilen sich dann, ihren Spezialdisziplinen entsprechend, auf die jeweiligen Problem-Arbeitsgruppen und versuchen, gemeinsam mit den Unternehmen mögliche Lösungswege zu lokalisieren, die dann oft zu mittel- und langfristigen Kooperationen führen. Eine breite Streuung der mathematischen Fachgebiete der Forscher und Forscherinnen ist ein Schlüssel zum Erfolg einer solchen Study Group. In Amerika ist die Society for Industrial and Applied Mathematics (SIAM) die Einrichtung (wesentlich größer und einflussreicher als ECMI), deren statutengemäßes Ziel es ist, »to ensure the strongest interactions between mathematics and other scientific and technological communities through membership activities, publication of journals and books, and conferences.«11 Bereits im Jahr 1998 wurde im SIAM-Report zu Computational Science and Engineering12 ausdrücklich die Linzer Industriemathematik als Role Model erwähnt  : »In Europe there are strong activities in CSE. For example, a curriculum was started in 1997, at the Royal Institute of Technology in Stockholm, Sweden. Interdisciplinary application oriented and problem solving curricula that take into account computer simulation have been introduced into the U.S. in recent years under the label Computational Science and Engineering (CSE). Related curricula called ›Industrial Mathematics‹ or ›Technical 226

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Mathematics‹ have been introduced earlier at various places, e.g., in Linz and in Kaiserslautern.«13

Liefern Lösungen von Teilproblemen nützliche Erkenntnisse? Die industriemathematischen Aufgabenstellungen im Umfeld des Hochofenprozesses sind so vielfältig, dass ein sinnvolles Vorgehen, das dann auch den Industriepartner zufriedenstellt, nur Schritt für Schritt und gemeinsam mit dem Kooperationspartner erfolgen kann. Dies betrifft sowohl das Expertenwissen in der jeweiligen Fachdomäne, das für die Mathematische Modellierung essentiell ist, als auch die Definition von Ergebniszielen – welche Fragen sollen durch das Modell und die darauf aufbauende numerische Simulation beantwortet werden  ? In diesem Prozess der Modellierung ist das Finden einer gemeinsamen Sprache zwischen den Mathematikern und Mathematikerinnen und den Ingenieuren und Ingenieurinnen ein nicht zu unterschätzender und oft schwieriger Schritt. Die Notwendigkeit der Übersetzung der Fragestellung des Kooperationspartners in eine mathematische (Gleichungs-) Sprache zwingt beide Partner dazu, die Problemstellung präziser zu formulieren. Ein modularer Aufbau eines Hochofen-Simulationsmodells erlaubt dann beispielsweise, dass die Feststoffgeschwindigkeit (von oben nach unten) in einem ersten Schritt von außen vorgegeben wird und damit zwar global in der richtigen Größenordnung liegt, die lokale Frage, ob der Hochofen »randgängig« oder »mittengängig« ist, aber noch unbeantwortet lässt. Mit dieser Geschwindigkeitsvorgabe lässt sich aber überprüfen, ob die chemischen Reaktionen, quantifiziert durch Reaktionsparameter, schnell bzw. langsam genug ablaufen, dass in der gewünschten Schmelzzone die eisentragenden Materialien die dafür notwendige Temperatur erreichen. Diese ersten, einfachen Modelle sind oft der Ausgangspunkt für weitere Forschungen. So kann ein quasistationäres14, zweidimensionales Hochofenmodell, das wenige chemische Reaktionen berücksichtigt, zumindest in drei Richtungen, nämlich transient (zeitabhängig), dreidimensional oder unter Berücksichtigung vieler chemischer Reaktionen vertieft werden. Im letzten Fall stoßen wir auf eine Fülle neuer Fragen, auf die es nicht immer eine zufrieden stellende Antwort gibt  : Kennen wir die Materialeigenschaften aller beteiligten Substanzen  ? Kennen wir sie auch bei den relevanten Temperaturen  ? Wie genau müssen wir sie überhaupt kennen  ? Können wir (hier  : der Industriepartner) Messungen durchführen, um die Plausibilität unserer Modellierung zu validieren  ? Sind in solch feindlichen Umgebungen herkömmliche Messungen überhaupt möglich  ? Wie fehlerbehaftet sind sie  ? Oder abstrakter  : Lässt sich aus beobachteten oder beabsichtigten Wirkungen auf die Ursachen für diese Wirkungen zurückschließen  ? 227

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Grundlagenforschung als solides Fundament Diese abstrakte letzte Fragestellung ist der Prototyp eines sogenannten inversen Problems. Angenommen, in ein Becken mit Wasser wird an einer oder mehreren Stellen Salz eingebracht und dieses Salz diffundiert (verteilt sich) innerhalb des Beckens. Wenn wir ein Becken vorfinden, in dem Salz-Konzentrationsunterschiede noch messbar sind, können wir dann herausfinden, wo das Salz eingebracht wurde  ? Hierbei handelt es sich um ein sehr schwieriges Unterfangen, weil Diffusion ein Prozess ist, der Information sehr schnell verschmiert.15 Verwandte Fragestellungen spielen bei der Source Localisation (etwa  : wo ist ein Abwasserrohr undicht  ?) eine große Rolle. Hadamard führte im Jahr 1902 den Begriff eines korrekt gestellten physikalischen Problems ein.16 Demnach ist ein Problem korrekt gestellt, wenn (1) zu jeder Datenvorgabe eine Lösung existiert, (2) die Lösung eindeutig ist und (3) diese Lösung stetig von den Daten abhängt. Gerade bei inversen Problemen ist die Bedingung (3) sehr oft verletzt, sodass spezielle Verfahren, sogenannte Regularisierungsverfahren, angewendet werden müssen, um stabile Ergebnisse, auch im Fall fehlerbehafteter Daten, erzielen zu können. Die numerische Behandlung von inversen Problemen ist einer der Schwerpunkte, für den das Institut für Industriemathematik international höchstes Ansehen genießt.17 Beispiele solcher inverser Fragestellungen aus der Industrie, die auch konkret in Linz behandelt wurden, sind etwa  : Lassen sich durch Messungen eines gestreuten Magnetfeldes die Positionen von Armierungseisen in einer Mauer bestimmen  ? Wie ist bei veränderlicher Gießgeschwindigkeit die Wassermenge der einzelnen Sekundärkühlzonen so einzustellen, dass die Sumpfspitze (= die Position der völligen Durcherstarrung) eines Gießstrangs (beim Stranggießen von Stahl) im Zeitverlauf innerhalb eines engen Toleranzbandes liegt  ? Kann man aus Messungen der Dämpfung von Röntgenstrahlen in möglichst vielen verschiedenen Richtungen durch den Körper Schichtbilder vom Inneren des Körpers bekommen  ? Diese letzte Fragestellung ist die der klassischen Computertomographie. Mathematisch wurde dieses Problem bereits 1917 von Johann Radon analysiert. Bis zu einer brauchbaren (schnellen, stabilen, den Patienten nicht unmäßig belastenden) Umsetzung im Computer dauerte es aber noch viele Jahrzehnte. Im Jahr 1979 erhielten Allan Cormack und Godfrey Hounsfield für diese Arbeiten den MedizinNobelpreis. Johann Radon ist der Namensgeber des Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das 2003 in Linz eingerichtet wurde und an dem etwa 60 Mathematiker und Mathe228

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matikerinnen aus etwa 20 Herkunftsländern Forschung auf höchstem internationalen Niveau betreiben. Wie »Computational and Applied« schon andeutet, ist das RICAM kein Institut der Reinen Mathematik, sondern ein Grundlagenforschungsinstitut in verschiedenen Teilgebieten der Mathematik mit einer erheblichen Anwendungskomponente. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen gelegt. Wie dies funktionieren kann, wurde im Spezialforschungsbereich SFB  013 »Numerisches und Symbolisches Wissenschaftliches Rechnen« vorgezeigt, der von den Instituten für Symbolisches Rechnen, für Numerik und für Industriemathematik initiiert worden und von 1998 bis 200818 in Linz (der erste SFB je in Linz) angesiedelt war. Was für die Kooperation zwischen Mathematikern und Mathematikerinnen einerseits und Ingenieuren und Ingenieurinnen andererseits gilt, trifft auch zu, wenn Mitglieder der mathematischen Community aus unterschiedlichen Teilgebieten zusammenarbeiten. In diesem SFB 013 waren es die Gruppen von Bruno Buchberger (aus der Algebra kommend) und von Heinz W. Engl (aus der Analysis bzw. Numerik kommend), die, bevor sie gemeinsam zu definierende Aufgabenstellungen behandeln konnten, auch zuerst die gemeinsame Sprache finden mussten. Dies passierte im Rahmen eines gemeinsamen Seminars, das ein Semester dauerte und in dem sich Vertreter und Vertreterinnen dieser Teilgebiete so weit annäherten, dass schließlich Aufgabenstellungen der Analysis mit Methoden der Computeralgebra behandelt werden konnten.19

Wer kann langfristig Lösungen anbieten und warten? Die Langfristigkeit von Forschungs- und Entwicklungskooperationen (insbesondere, wenn diese Kooperationen auch zu Softwareprototypen führen), die von der Industrie im Regelfall gewünscht wird, ist im akademischen Umfeld nur schwer aufrecht zu erhalten  : Forscher und Forscherinnen an Industrieprojekten verlassen nach der Promotion oft die Universität, und damit geht auch oft wertvolles Wissen dauerhaft verloren. Die MathConsult GmbH wurde im Jahr 1996 gegründet, um der Industrie ein Mehr an Kontinuität bieten zu können und um auch Lösungen für Aufgabenstellungen auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft in der Form von Software anbieten zu können. Zwischen der Grundlagenforschung am einen Ende und der Entwicklung von Lösungen mit geringem F&E-Anteil, für die Absolventen und Absolventinnen der Industriemathematik ausgebildet wurden, spannt sich seither der Bogen über industrielle Forschung und experimentelle Entwicklung20 bis zur Entwicklung mathematikbasierter Software. 229

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Wenn schnelle Verfahren noch immer zu langsam sind In der Industriemathematik gelangt man relativ häufig zu Aufgabenstellungen, deren Lösung für die Kooperationspartner um Größenordnungen zu langsam ist. Beispielsweise möchte man die Strömung in einem Auspuffrohr im Subsekundenbereich berechnen. Dies mit einer dreidimensionalen, fein aufgelösten Strömungssimulation durchführen zu wollen, ist aussichtslos. Im konkreten Fall kann es aber sein, dass die Ergebnisse, die für die Auslegung des Motors gebraucht werden, nur Temperaturen, Durchflussmengen und Drücke am Auslass des Auspuffrohrs sind (wenn man die Daten am Einlass im Zeitverlauf kennt). Hier bietet sich eine »Modellreduktion« an  : Statt der voll dreidimensionalen Lösung der Navier-Stokes-Gleichungen21 kann hier die Lösung einer eindimensionalen Euler-Gleichung oft ausreichend genau sein. Die Kunst ist hier, für die jeweilige Aufgabenstellung Kompromisse zwischen Genauigkeit der Lösung und Schnelligkeit der verwendeten numerischen Verfahren zu finden, die »so einfach wie möglich und so kompliziert wie notwendig«22 sein sollten. Die Analyse der 1D-Euler-Gleichungen (als ein Grenzfall der Navier-Stokes-Gleichungen) in Kombination mit der Analyse der numerischen Verfahren zu ihrer Lösung erlaubt dann Fehlerabschätzungen, die zur Schrittweitensteuerung verwendet werden können. Bei einem Lastwechsel sind dann vielleicht kleinere Zeitschritte nötig als im ruhigen Dauerbetrieb. Auf modernen Motorprüfständen werden oft die Konzepte »Hardware, Software, Model in the Loop« (HiL, SiL, MiL) eingesetzt, sodass also auf einem solchen Prüfstand etwa der Motor tatsächlich physisch eingebaut ist, die anderen Fahrzeugkomponenten aber entsprechend durch softwaregesteuerte Komponenten abgebildet werden. Dreht ein Motor mit 3000 Umdrehungen pro Minute (= 50 pro Sekunde), dann hat man in der Berechnung für eine Drehung von 18 Winkelgrad eine Millisekunde Zeit, in der vielleicht Ventile gesteuert oder Einspritzungen von Treibstoff erfolgen sollten. Um dies bewältigen zu können, kann man Ersatzmodelle entwickeln, die in der Ausprägung beispielsweise sogenannte Support Vector Regressions (SVR) oder neuronale Netze sein können. In Parameterstudien einer Offline-Simulation wird dann das erzielte Drehmoment als Funktion der Eingangsgrößen (im untenstehenden Bild  : Rotationsgeschwindigkeit, Druck) für Hunderte von Kombinationen durch numerische Lösung der Differentialgleichungen ermittelt. Das kann Tage dauern. Das Ersatzmodell erlaubt dann innerhalb des Zulässigkeitsbereiches ein sehr schnelles Nachschlagen auch interpolierter Werte.23 Verfahren, die aus gemessenen oder (wie im eben beschriebenen Fall) berechneten Werten eine funktionale Gesetzmäßigkeit ermitteln, werden oft als »Machine Learning« bezeichnet. Wenn heutige Waschmaschinen beim Schleudern der Wäsche nicht mehr durch die halbe Wohnung fahren, liegt das an mathematischen Algorithmen in der Drehzahlsteuerung.24 230

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Abbildung 2: Verschiedene Ersatzmodelle zur schnellen Auswertung von Drehmomenten (als Funktion von Drehzahl und Druck) in einem Motor. Bildnachweis: MathConsult GmbH.

Die Mathematik dahinter (die beschreibenden Koeffizienten der Fläche stabil und robust zu bestimmen) ist wieder ein inverses und inkorrekt gestelltes Problem.25 Machine Learning in dem Sinn, dass versucht wird, aus großen Datenmengen auf stabile und robuste Weise Information zu generieren oder Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, oder im Sinn von Big Data bzw. Data Science bedeutet im Kern oft anspruchsvolle und schwierige Mathematik.

Mathematik als Querschnittswissenschaft Die Ausbildung von Studierenden der Mathematik hat als einen Schwerpunkt das Lehren von Methoden, mit denen gewisse Modellprobleme behandelt werden können, sei es nun mit analytischen oder (oft) numerischen Methoden. Die Modellierung selbst findet noch einen Schritt davor statt, manchmal durch die Mathematiker 231

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und Mathematikerinnen, manchmal durch die Experten und Expertinnen des Fachgebiets, meistens durch gemeinsame Anstrengungen des Teams. Wenn wir also die folgenden Fakten wissen  : • Der Wärmefluss in einem isotropen wärmeleitenden Medium ist proportional zum negativen Temperaturgradienten26 (mit der Wärmeleitfähigkeit als Proportionalitätsfaktor). • In einem porösen Medium, etwa Sand, ist (unter gewissen Voraussetzungen) die Durchflussrate eines Fluids proportional zum negativen hydraulischen Gradienten, der sich aus der Ableitung der Standrohrspiegelhöhe ergibt. Dann erhalten wir durch Anwendung von Erhaltungssätzen (Energie oder Impuls) und durch Umformung über die sogenannten Gaußschen oder Greenschen Integralsätze27, dass die Wärmeleitungsgleichung ohne Transport durch Konvektion und die Gleichung für laminare Strömungen in einem porösen Medium dieselbe strukturelle Form haben, auch wenn die Koeffizienten eine unterschiedliche physikalische Bedeutung haben. Wenn also ein effizientes Verfahren für eine der beiden Gleichungen vorhanden ist, sollte sie auch für die andere zur Verfügung stehen. Etwas erstaunlicher ist schon, dass diese Diffusionsprozesse, wie sie Wärmeleitung und porösen Fluss beschreiben, auch in der Finanzmathematik eine wesentliche Rolle spielen. Das einfachste Modell für die Bewegung eines Aktienkurses ist die geometrische Brownsche Bewegung  : dS(t)/S=μ dt+σ dW.

Dabei wird angenommen, dass Aktien kontinuierlich und ohne Transaktionskosten gehandelt werden. Die relative Änderung dS(t)/S des Aktienkurses S zum Zeitpunkt t hat eine deterministische Komponente mit einem Wachstumsfaktor μ (der, wenn er negativ ist, ein Schrumpfungsfaktor ist) und einer zufälligen Komponente, die durch den Term σdW beschrieben wird. Der Ausdruck dW ist dabei »das Inkrement des Wiener-Prozesses«.28 Die Größe σ, die sogenannte Volatilität, beschreibt die Schwankungsfreudigkeit. Ist sie 0, liegt ein reiner Verzinsungsprozess mit dem Zinssatz μ vor. Typische Größenordnungen von σ für liquide Aktien liegen zwischen 10 und 40 Prozent pro Jahr.

Ist Optionsbewertung Mathematik? Möchte man zur Absicherung eines Aktienbestandes gegen zu große Kursschwankungen nach unten sogenannte Put-Optionen verwenden, dann stellt sich die Frage nach einem angemessenen Preis (sozusagen einer Versicherungsprämie) für dieses 232

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Abbildung 3: Mögliche Realisierungen von Kursentwicklungen einer Aktie (Anfangskurs = 70) ohne Dividendenzahlungen über zwei Jahre (504 Handelstage). Als Volatilität wurde 25 Prozent pro Jahr angenommen. Bildnachweis: Erzeugt aus eigenem Programmcode (Andreas Binder).

Recht, aber nicht die Pflicht, zum Verfallstag der Option die Aktie zu einem fixen Preis zu verkaufen. Fischer Black, Myron Samuel Scholes und Robert C. Merton entwickelten 1973 die Grundlagen der modernen Optionspreistheorie, für die die beiden Letztgenannten (Black war bereits 1995 verstorben) im Jahr 1997 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhielten. Die Gleichung, die dort zu lösen ist, ist wieder eine Diffusionsgleichung, die Black-­Scholes-Differentialgleichung, 𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕 1 2 2 𝜕𝜕𝜕𝜕 2 𝜕𝜕𝜕𝜕 𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕 + 𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟 + 𝜎𝜎𝜎𝜎 𝑟𝑟𝑟𝑟 − 𝑟𝑟𝑟𝑟𝜕𝜕𝜕𝜕 = 0. 𝜕𝜕𝜕𝜕𝑟𝑟𝑟𝑟 2 𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕𝜕 𝜕𝜕𝜕𝜕𝑟𝑟𝑟𝑟 2

Dabei ist V (S0,t0) der zu berechnende Wert der Option zum Zeitpunkt t0 Benötigt wird noch eine Endbedingung am Verfallstag der Option, die den Ausübungspreis und den Payoff beschreibt.29 In den Jahrzehnten darauf folgten Modelle in unterschiedlichen Komplexitätsausprägungen, die nicht nur Aktienkurse und Wechselkurse beschreiben, sondern 233

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auch Rohstoffe oder Zinssätze. Die Lehrmeinung, dass Zinssätze nicht negativ werden können oder dürfen, die bis zum Crash der Lehman Brothers (2008) unbestritten war, ist in den letzten Jahren von der Realität des Zinsverfalls massiv in Frage gestellt worden. Das bedeutet dann aber für die Modellierung, dass ein lognormalverteiltes Modell für Zinsen, wie von Black 1976 vorgeschlagen,30 nicht mehr verwendet werden kann. Seit den 1990er Jahren wurden auch die gehandelten derivativen Instrumente zum Teil immer komplizierter, etwa  : Range Accrual Notes sind Anleihen, bei denen man für diejenigen Handelstage, in denen eine Beobachtungsgröße innerhalb eines gewissen Bandes liegt, einen (höheren) Kupon bekommt, für die Handelstage, an denen diese Größe außerhalb liegt, jedoch keinen. Dabei kann die Beobachtungsgröße ein Zinssatz sein, ein Aktienindex oder beispielsweise der Preis von Kakaobohnen. Snowball Notes waren um 2005 (auch bei österreichischen Emittentinnen) sehr populär. Ausgehend von einem (oder mehreren) hohen Startkupons, berechnete sich der neue Kupon aus dem alten Kupon plus einer Anpassung, die sich aus einer Beobachtungsgröße ergab. Konkret etwa  : Kupon halbjährlich, die ersten beiden fix 7.5% per annum, danach Kupon (i) = Kupon (i-1) + Aufschlag (i) – 2* Euribor6m (zum Zeitpunkt der Kupon­ zahlung i). Dabei stieg der Aufschlag (i) von 4% bis auf 8.25%. Ab 2006 wurde ein kontinuierlicher Anstieg der Zinsen, also auch des 6-Monats-Euribor beobachtet. Wäre nicht der Absturz der Zinsen nach Lehman Brothers passiert, hätte die emittierende Bank gute Erfolgsaussichten gehabt, sehr lange (bis 2015) extrem niedrige Kupons zahlen zu können. Um sich gegen einen solchen Zinsabsturz abzusichern, waren Snowball Notes, soweit wir wissen, immer mit Kündigungsrechten (zum jeweiligen Kupontag) auf der Seite der Emittentin ausgestattet (die in der konkreten Marktentwicklung natürlich dann auch schlagend wurden). Für die Bewertung einer bereits laufenden Snowball-Anleihe benötigt man Marktdaten (wie sind die aktuellen Zinsen, wie sehen die Marktteilnehmer zukünftige Zinsen, wie volatil sind diese Zinsen  ?) und die Information, wie der aktuelle Kuponstand ist. Ohne ein (mehrfaches) Kündigungsrecht könnte die Bewertung vergleichsweise einfach über Monte-Carlo-Simulation des Zinsprozesses erfolgen. Durch das Mitschleppen des vorangegangenen Kupons entsteht dieser Schneeballeffekt, der zu einer hohen Hebelung des Zinsniveaus führt. Zukünftige Kündigungsrechte der Emittentin reduzieren aber den Wert der Anleihe, sodass eine auf den ersten Blick vernünftig erscheinende Kündigung, weil der Barwert der (unkündbaren) Anleihe zu einem gewissen Zeitpunkt 100  Prozent übersteigt, aus rationalen Gründen vielleicht später oder gar nicht ausgeübt werden wird. 234

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Vereinfacht gesprochen, lassen sich Kündigungsrechte gut aus der Zukunft kommend in Richtung Gegenwart abbilden, Marktentwicklungen aber von der Gegenwart in die Zukunft.31 Noch komplizierter ist die Situation bei der Bewertung von Stromderivaten. Elektrischer Strom kann (anders als Aktien oder Fremdwährungen) nur mit großen Verlusten gelagert werden. Für die Kassamärkte am Strommarkt ist »Physical Delivery« essentiell  : Der Netzbetreiber möchte zu gewissen Zeiten seinen Endkunden und Endkundinnen eine gewisse Strommenge zur Verfügung stellen können, auch dann, wenn beispielsweise ein Kraftwerk ausfällt und daher kurzfristig die Preise in die Höhe schnellen. Auf den Terminmärkten werden dann Kontrakte vereinbart, die die Parteien verpflichten, zu vereinbarten Preisen gewisse Mengen zu liefern und gewisse Mengen abzunehmen (eventuell innerhalb gewisser Bandbreiten). Die Basel-II-Richtlinie und die Publikationen der Aufsichtsbehörden, etwa der Finanzmarktaufsicht und der Oesterreichischen Nationalbank (für Österreich)32 empfehlen (bereits in Basel II) die Berechnung von historischem oder Monte Carlo Value-at-Risk. Dabei beantwortet der 99  Prozent-Value-at-Risk die Frage »Was erwarte ich als maximalen Verlust in 99 Prozent der Fälle mit einem Zeithorizont von (typischerweise) zehn Tagen  ?« (D. h., dass der Verlust in einem Prozent der Fälle höher erwartet wird). Im einfachsten Fall (historischer Value-at-Risk mit einem Rückblick auf das letzte Jahr, also etwa 250 Handelstage) bedeutet das, dass jedes Instrument im Bestand 250 Mal bewertet werden muss, bei Monte Carlo Value-atRisk, um statistische Aussagekraft zu haben, öfter als 10.000 Mal. Basel III ist, wenn die Übergangsfristen ausgelaufen sind, wesentlich rigoroser. Die Berechnung sogenannter Credit Valuation Adjustments (CVA) und verwandter Größen wird es im Normalfall erfordern, dass jedes Instrument unter typischerweise mehr als einer Million verschiedener Szenarien bewertet wird. Die MathConsult GmbH führt seit 2014 ein von der FFG gefördertes Forschungsprojekt zur schnellen Berechnung dieses Kontrahentenrisikos durch. Während die Bewertung von Optionen oder von strukturierten Finanzinstrumenten wie der Snowball-Anleihe die Lösung einer (oft mehrdimensionalen) Differentialgleichung erfordert, braucht es für das Risikomanagement (nach Basel II oder Basel III) diese Lösung nicht einmal, sondern, wie oben ausgeführt, diese Lösung 250, 10.000 oder eine Million Mal.

Entwicklung der Hardware Diese (und andere) Berechnungen erfordern Computer-Hardware, an die zur Zeit der Einrichtung des Instituts für Industriemathematik nicht zu denken war. Die Gründungs-MicroVax 3500 hatte (wir schreiben das Jahr 1988) einen Hauptspeicher von 8 Megabyte und kostete etwa drei Jahresgehälter eines Universitätsassistenten. 235

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Ein heutiger PC hat den 1000-fachen Speicher, kostet etwa zehn Tagesgehälter und läuft auf jedem Rechenkern mit der 300-fachen Taktfrequenz. Diese Entwicklung der Hardware erlaubt es heutzutage, wesentlich größere und komplexere Aufgabenstellungen zu behandeln (wie bei den Hochofenthemen angedeutet). Finite Elemente-Berechnungen mit hunderttausenden Unbekannten sind heute auf konventioneller Hardware gut zu bewältigen. Für Matrix-VektorOperationen oder für auf Fourier-Techniken basierenden Methoden sind moderne Graphikkarten besonders geeignet. Die von Oosterlee entwickelte Fourier-CosinusMethode, etwa für das Heston Modell33, erlaubt dann die Bewertung von etwa einer Million Optionen pro Sekunde (auf dieser speziellen GPU-Architektur).

Wenn schnelle Hardware alleine zu wenig ist: Teleskope Nachdem im Jahr 2008 Österreich dem European Southern Observatory (www.eso. org) beigetreten war, erhielt im Jahr 2009 ein von Ronny Ramlau wissenschaftlich geleitetes Konsortium, bestehend aus dem Institut für Industriemathematik, dem RICAM und der MathConsult GmbH, den Auftrag, die bestehenden Algorithmen (mehr dazu weiter unten) für die Adaptive Optik der Very Large Telescopes (VLT – Teleskope mit acht Meter Spiegeldurchmesser) dahingehend zu überprüfen, ob sie sich auf das geplante E-ELT (European Extremely Large Telescope mit 39 Meter Spiegeldurchmesser) übertragen lassen könnten. Wenn nicht, sollte versucht werden, neue Algorithmen, die dies leisten können, zu entwickeln. Welche Vorteile bringen größere Spiegeldurchmesser  ? Erstens steigt die Lichtstärke mit dem Quadrat des Spiegeldurchmessers, zweitens ist die sogenannte Point Spread Function zentrierter, sodass Objekte, die nahe aneinander liegen (weit entfernte Doppelsterne oder in günstigen Fällen sogar Exoplaneten und ihr jeweiliger Stern), die auf kleineren Teleskopen nicht separiert werden können, auf sehr großen Teleskopen unterschieden werden können. Die Atacamawüste in Chile, wo die derzeit größten ESO-Teleskope stehen und wo auch das E-ELT errichtet werden wird, bietet klimatisch ideale Bedingungen für große erdgebundene Teleskope  : Höhe und Trockenheit. Eine große Seehöhe ist vorteilhaft, weil dadurch »weniger Atmosphäre« zwischen dem Teleskop und den zu beobachtenden Objekten liegt, Trockenheit bietet gute Voraussetzungen für möglichst viele wolkenfreie Beobachtungsnächte. Im langjährigen Schnitt gibt es in der Atacamawüste nur an zwölf Tagen pro Jahr einschränkende Bewölkung. Nichtsdestoweniger sind die aufgenommenen Bilder nicht völlig scharf, weil Temperatur- und Luftdruckschwankungen sowie turbulente Luftströmungen die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Lichtwellen lokal verändern und eine außerhalb der Atmosphäre ebene Wellenfront am Teleskop »leicht zerknüllt« ankommt. Ein nachgelagerter 236

Industriemathematik

Abbildung 4: In gleichem Maßstab: das geplante E-ELT und der Stephansdom. Bildquelle: European Southern Observatory (ESO).

Kor­rekturspiegel versucht in der Adaptiven Optik, die zerknüllte Welle wieder plan zu machen.34 Weil diese turbulenten Luftströmungen aber nicht konstant sind, muss diese Anpassung häufig passieren, und zwar umso häufiger, je größer das Teleskop ist. Im Fall von Single Conjugate Adaptive Optics (SCAO)35 am VLT passiert die Anpassung 500 Mal (!) pro Sekunde, im Fall von Extreme Adaptive Optics (XAO) am E-ELT soll dies 3000 Mal pro Sekunde erfolgen. Erschwerend kommt dazu, dass der XAO-Korrekturspiegel feiner auflösen muss und daher mehr Aktuatoren (piezoelektrische Stellmotoren) hat, etwa 60.000. Für diese 60.000 Auslenkungen der Stellmotoren ist also 3000 Mal pro Sekunde ein vollbesetztes Gleichungssystem mit jeweils 60.000 Zeilen und ebenso vielen Unbekannten zu lösen. Die am VLT bis dahin verwendeten Algorithmen waren Matrix-Vektor-Multiplikationen (MVM) für die Lösung des Gleichungssystems. Der numerische Aufwand dafür steigt zumindest quadratisch mit der Anzahl der Aktuatoren. Dabei wäre weniger die Anzahl der benötigten Rechenoperationen das Problem als die Tatsache, dass im Fall einer Parallelisierung auf hunderte Prozessoren die notwendige Kommunikation zwischen diesen enorm anwächst und die Übertragung auf XAO unmöglich erscheinen lässt, sodass also neue Verfahren entwickelt werden mussten. Dieser Kommunikationsaufwand (jede einzelne geänderte Auslenkung eines Aktuators hat Auswirkungen auf die gesamte Bildqualität) spielt übrigens bei der Berechnung des Credit Valuation Adjustments für Basel III eine untergeordnete Rolle, sodass dort eine Beschleunigung durch Parallelisierung mit der Anzahl der Prozessoren skaliert  : 100 Computer sind (fast) 100 Mal so schnell wie einer. Die Erfolgsgeschichte des Austrian-Adaptive-Optics-Teams stellte sich mit der sorgfältigen Analyse der zu invertierenden Matrix ein. Tatsächlich ist die Struktur 237

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dieser Matrix so, dass sich die Aufgabenstellung mit linearem Aufwand bewältigen lässt. Während für das E-ELT die MVM auf 20 Cores eine Rechenzeit von acht Millisekunden benötigte (also etwa um einen Faktor 30 zu langsam wäre), erzielte der in Linz entwickelte Cumulative Reconstructor mit Domain Composition (CuReD) eine Rechenzeit von 61 Mikrosekunden auf acht verwendeten Cores.36 Möchte man mit dem Teleskop verschiedene Objekte (in unterschiedlichen Beobachtungswinkeln) erfassen, dann ist für diese Objekte die Atmosphäre in unterschiedlichen Höhen möglicherweise unterschiedlich turbulent. In dieser atmosphärischen Tomographie spielen dann wieder Techniken aus der Parameteridentifikation und der inversen Probleme eine erhebliche Rolle.37

Ist mit der Industriemathematik in Linz Neues entstanden? Wir haben auf den vorangegangenen Seiten versucht, anhand einiger ausgewählter Aufgabenstellungen die industriemathematische Arbeitsweise, von der mathematischen Modellierung über die Entwicklung von numerischen Prototypen bis zur Entwicklung von Software, die für den Dauerbetrieb geeignet ist, zu beleuchten und darzustellen, dass dieser Prozess in der Interaktion zwischen Mathematikern und Mathematikerinnen und den Experten und Expertinnen in den jeweiligen Fachdisziplinen einer ist, der nicht stehen bleibt, sondern im Lauf der Zeit fortschreitet. Kraftvolle Hardware, leistungsfähige Software (Betriebssysteme, Programmiersprachen, Datenmanagement) und fortschrittliche mathematische Algorithmen sind dafür wesentliche Grundpfeiler. Es entstanden nicht nur Lösungen für die Industrie, die im Idealfall auch zu einem tieferen Verständnis – auf der Seite der Mathematiker und Mathematikerinnen sowie auf der Seite der Fachexperten und Fachexpertinnen – für die Prozesse führen, sondern auch, motiviert aus dem Anwendungszusammenhang, abstrakte Fragestellungen, die zu neuen und tiefgreifenden mathematischen Resultaten in der Grundlagenforschung führten. In den letzten 30 Jahren ist eine Vielzahl von Karrieren aus dem Linzer Industriemathematik-Umfeld entstanden, sowohl auf Positionen in Industrie und Wirtschaft als auch im akademischen Bereich. Die derart Lehrenden verbreiten die Industriemathematik, quasi in einem Schneeballeffekt, weiter. Die Erfolgsfaktoren dafür sind vielfältig  : Aus unserer Sicht sind eine solide akademische Ausbildung und eine breite Kenntnis des mathematischen Forschungsstands das Fundament, dazu gehören auch die Neugier und die Bereitschaft (im forschenden Sinn), sich auf neue Themenstellungen einzulassen, sowie der Blick über den Tellerrand, der durch internationalen Austausch und Auslandsaufenthalte geschärft wird. Für erfolgreiche Problemlösungen sind die Soft Skills Teamgeist, die 238

Industriemathematik

Bereitschaft, interdisziplinär und interkulturell zu arbeiten, ebenso von großer Bedeutung. Dafür gab es an der jungen JKU besonders gute Rahmenbedingungen.

Eine Danksagung Die Linzer Industriemathematik hätte ohne die Unterstützung von nationalen und internationalen Förderungsgebern nicht diese Entwicklung durchlaufen können. Unser Dank gilt  : • der Europäischen Union und ihren Rahmenprogrammen, • der Republik Österreich, • dem Land Oberösterreich, • der Stadt Linz, • dem FWF und der FFG, jeweils in verschiedenen Programmen, • der Christian Doppler Gesellschaft, • der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, • den verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen, die Forschungsaufenthalte von Gästen in Linz bzw. von Linzer Forschern im Ausland kofinanziert haben. Wir danken auch den Kooperationspartnern aus Industrie und Wirtschaft, deren Aufgabenstellungen wesentliche Antriebsfedern für die Entwicklung der Industriemathematik waren. Literatur Aichinger, Michael and Binder, Andreas, A Workout in Computational Finance, Chichester/ UK 2013. Albrecher, Hansjörg, Binder, Andreas u. Mayer, Philipp, Einführung in die Finanzmathematik, Basel 2009. Binder, Andreas and Yudytskiy, Mykhaylo, Large Scale Adaptive Optics, in  : Louis, Alfred K., Arridge, Simon and Rundell, Bill (eds.), Proceedings of the Inverse Problems from Theory to Applications. Conference (IPTA 2014), Bristol/UK 2014, pp. 40–44. Black, Fischer, The pricing of commodity contracts, in  : Journal of Financial Economics, vol. 3, issue 1–2, 1976, pp. 167–179. Buchberger, Bruno, Ein Algorithmus zum Auffinden der Basiselemente des Restklassenringes nach einem nulldimensionalen Polynomideal, Univ.-Diss., Universität Innsbruck 1965.

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Burger, Martin and Engl, Heinz W., Training neural networks with noisy data as an ill-posed problem, in  : Advances in Computational Mathematics, vol. 13, issue 4, 2000, pp. 335–354. Einstein, Albert, Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen, in  : Annalen der Physik, Bd. 17, 1905, S. 549–560. Engl, Heinz W., Gökler, Gerald, Schatz, Andrea and Zeisel, Helmut, Modelling and Numerics for the Transient Simulation of the Blast Furnace Process, in  : Jeltsch, Rolf, Li, Ta-Tsien and Sloan, Ian H. (eds.), Some Topics in Industrial and Applied Mathematics, Beijing, 2007, pp. 95–119. Engl, Heinz W., Hanke, Martin and Neubauer, Andreas, Regularization of Inverse Problems, Dordrecht 1996. Engl, Heinz W., Hansjörg Wacker (1939–1991), in  : Computing, vol. 46, issue 4, 1991, pp. 275– 278. Engl, Heinz W., Prof. Dr. Wacker †, in  : Universitäts-Nachrichten, Jg. 12, H. 5, 1991, S. 12. Fang, Fang and Oosterlee, Cornelius W., A Novel Pricing Method for European Options Based on Fourier-Cosine Series Expansions, in  : SIAM Journal on Scientific Computing, vol. 31, issue 2, pp. 826–848. Gökler, Gerald, Moving Layers  – Tracking Characteristics. A Mathematical Model and the Numerical Simulation of two Ironmaking Processes, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2005. Hadamard, Jacques, Sur les problèmes aux dérivées partielles et leur signification physique, in  : Princeton University Bulletin, vol. 13, 1902, pp. 49–52. Kaltenbacher, Barbara, Neubauer, Andreas and Scherzer, Otmar, Iterative Regularization Methods for Nonlinear Ill-Posed Problems (Radon Series on Computational and Applied Mathematics 6), Berlin 2008. Lery, Thibaut et al. (eds.), European Success Stories in Industrial Mathematics, Berlin 2012. Neunzert, Helmut u. Prätzel-Wolters, Dieter (Hg.), Mathematik im Fraunhofer Institut, Berlin 2015. Oesterreichische Nationalbank, Leitfaden zum Management des Zinsrisikos im Bankbuch, Wien 2008, unter  : www.oenb.at/dam/jcr  :04a628e2-43a0-4f39-8aa9-509242c0ccd6/leitfaden_zrs_screen_tcm14-83154.pdf, aufgerufen am 14.10.2016. Ramlau, Ronny, Obereder, Andreas, Rosensteiner, Matthias and Saxenhuber, Daniela, Efficient iterative Tip/Tilt Reconstruction for Atmospheric Tomography, in  : Inverse Problems in Science and Engineering, vol. 22, issue 8, 2014, pp. 1345–1366. Rosenkranz, Markus, Buchberger, Bruno and Engl, Heinz W., Solving Linear Boundary Value Problems Via Non-commutative Gröbner Bases, in  : Applicable Analysis, vol. 82, issue 7, 2003, pp. 655–675. Rosensteiner, Matthias and Ramlau, Ronny, The Kaczmarz algorithm for multiconjugated adaptive optics with laser guide stars, in  : Journal of the Optical Society of America A, vol. 30, issue 8, 2013, pp. 1680–1686. Rosensteiner, Matthias, Cumulative Reconstructor  : fast wavefront reconstruction algorithm for Extremely Large Telescopes, in  : Journal of Optical Society of America A, vol. 28, issue 10, 2011, pp. 2132–2138. Saxenhuber, Daniela, Gradient-based reconstruction algorithms for atmospheric tomography 240

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in Adaptive Optics systems for Extremely Large Telescopes, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2016. Schatz, Andrea, Lump Ore, Pellets and Dead Man. Mathematical Modelling and Numerical Simulation of the Corex Reduction Shaft, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2000. Wurzenberger, Johann C., Heinzle, Roman, Schuemie, Ales and Katrasnik, Tomaz, CrankAngle Resolved Real-Time Engine Simulation  – Integrated Simulation Tool Chain from Office to Testbed, in  : SAE Technical Paper, 2009-01-0589. Zeisel, Helmut, Mathematische Modellierung und numerische Simulation der Vorgänge im Hochofen, Univ.-Diss., Johannes Kepler Universität Linz, 1995.

Anmerkungen   1 Bruno Buchberger, Ein Algorithmus zum Auffinden der Basiselemente des Restklassenringes nach einem nulldimensionalen Polynomideal, Univ.-Diss., Universität Innsbruck, 1965.   2 Heinz W. Engl, Hansjörg Wacker (1939–1991), in  : Computing, vol. 46, issue 4, 1991, pp. 275–278  ; Heinz W. Engl, Prof. Dr. Wacker †, in  : Universitäts-Nachrichten, Jg. 12, H. 5, 1991, S. 12.   3 Die Autoren dieses Artikels waren als darauf berufener Ordinarius (Heinz W. Engl) bzw. als Assistent (Andreas Binder) bei der Gründung (und lange darüber hinaus) dabei.   4 Damals in Getrenntschreibung.   5 Helmut Zeisel, Mathematische Modellierung und numerische Simulation der Vorgänge im Hochofen, Univ.-Diss., Johannes Kepler Universität Linz, 1995. Andrea Schatz, Lump Ore, Pellets and Dead Man. Mathematical Modelling and Numerical Simulation of the Corex Reduction Shaft, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2000. Gerald Gökler, Moving Layers – Tracking Characteristics. A Mathematical Model and the Numerical Simulation of two Ironmaking Processes, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2005.   6 Heinz W. Engl, Gerald Gökler, Andrea Schatz and Helmut Zeisel, Modelling and Numerics for the Transient Simulation of the Blast Furnace Process, in  : Rolf Jeltsch, Ta-Tsien Li and Ian H. Sloan (eds.), Some Topics in Industrial and Applied Mathematics, Beijing 2007, pp. 95–119.   7 Gesprochen  : »Ekmi«, unter  : www.ecmiindmath.org, aufgerufen am 18.12.2016.   8 2018 in Budapest.   9 Thibaut Lery et al. (eds.), European Success Stories in Industrial Mathematics, Berlin 2012, zeigt, wie vielfältig solche industriellen Themen in Europa sein können. 10 Damals noch EWG – Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. 11 Society for Industrial and Applied Mathematics, About SIAM, unter  : https://www.siam.org/about/, aufgerufen am 24.1.2017. 12 Society for Industrial and Applied Mathematics, Graduate Education for Computational Science and Engineering, unter  : http://www.siam.org/students/resources/report.php, aufgerufen am 19.10.2016. 13 In Kaiserslautern wurde 1995 mit dem Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) ein Institut der Fraunhofer-Gesellschaft eingerichtet. Siehe auch Helmut Neunzert u. Dieter Prätzel-Wolters (Hg.), Mathematik im Fraunhofer Institut, Berlin 2015. 14 Quasistationär bedeutet hier, dass (modellhaft) die Betriebsbedingungen des Prozesses unverändert bleiben, dass also die gleiche Koks- und Möllerzusammensetzung und die gleiche Menge und Temperatur des Reduktionsgases verwendet wird. Dieses Quasistationäre stimmt natürlich schon aufgrund un-

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terschiedlicher Außentemperaturen oder, ob gerade ein Roheisenabstich stattfindet oder nicht, natürlich nicht. Im Oberofen sollte der Abstich aber eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielen. 15 Genauer  : Diffusion macht innerhalb beliebig kurzer Zeit aus unstetigen Anfangskonzentrationen beliebig oft differenzierbare Konzentrationsverteilungen. »Jeder Sprung, jeder Knick ist sofort geglättet.« 16 Jacques Hadamard, Sur les problèmes aux dérivées partielles et leur signification physique, in  : Princeton University Bulletin, vol. 13, 1902, pp. 49–52. 17 Heinz W. Engl, Martin Hanke and Andreas Neubauer, Regularization of Inverse Problems, Dordrecht 1996. Barbara Kaltenbacher, Andreas Neubauer and Otmar Scherzer, Iterative Regularization Methods for Nonlinear Ill-Posed Problems (= Radon Series on Computational and Applied Mathematics 6), Berlin 2008. 18 Spezialforschungsbereiche des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung haben immer eine maximale Laufzeit von zehn Jahren mit mehreren Zwischenevaluierungen durch internationale Gutachter und Gutachterinnen. 19 Markus Rosenkranz, Bruno Buchberger and Heinz W. Engl, Solving Linear Boundary Value Problems Via Non-commutative Gröbner Bases, in  : Applicable Analysis, vol. 82, issue 7, 2003, pp. 655–675. 20 Im Sinn der Frascati-Definition. 21 Die Navier-Stokes-Gleichungen sind auch die, die für die Wettervorhersage Verwendung finden. Weil kleine Störungen in den Luftströmungen sich aufschaukeln können (der vielzitierte Schmetterlingseffekt), sind Wetterprognosen über einen Zeitraum von mehr als etwa zehn Tagen mit großen Unsicherheiten behaftet. In topographisch komplexen Gegenden (Alpentäler) oder in Gegenden mit extrem schnellen Wetterumschwüngen (Irland) sind regional verlässliche Vorhersagen noch wesentlich schwieriger. 22 Albert Einstein zugeschrieben. 23 Johann C. Wurzenberger, Roman Heinzle, Ales Schuemie and Tomaz Katrasnik, Crank-Angle Resolved Real-Time Engine Simulation – Integrated Simulation Tool Chain from Office to Testbed, in  : SAE Technical Paper, 2009-01-0589. 24 »Too few people recognize that the high technology so celebrated today is essentially a mathematical technology.« (From the 2nd David-report, so named after the committee’s chairman Dr. E. E. David Jr., 1988.) 25 Martin Burger and Heinz W. Engl, Training neural networks with noisy data as an ill-posed problem, in  : Advances in Computational Mathematics, vol. 13, issue 4, 2000, pp. 335–354. 26 Wenn wir uns die Temperatur in einem zweidimensionalen Gebiet als Landschaft vorstellen (die Seehöhe eines Punktes wird durch seine Temperatur bestimmt), dann zeigt der negative Gradient in die Richtung des steilsten Abstiegs. 27 Das sind mehrdimensionale Verallgemeinerungen des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung. 28 Benannt nach dem Amerikaner Norbert Wiener (1894–1964). Albert Einstein, Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen, in  : Annalen der Physik, B. 17, 1905, S. 549–560. 29 Hansjörg Albrecher, Andreas Binder u. Philipp Mayer, Einführung in die Finanzmathematik, Basel 2009. 30 Fischer Black, The pricing of commodity contracts, in  : Journal of Financial Economics, vol. 3, issue 1–2, 1976, pp. 167–179. 31 Siehe etwa Michael Aichinger and Andreas Binder, A Workout in Computational Finance, Chichester/ UK 2013. 32 Oesterreichische Nationalbank, Leitfaden zum Management des Zinsrisikos im Bankbuch, Wien 2008, un-

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ter  : www.oenb.at/dam/jcr:04a628e2-43a0-4f39-8aa9-509242c0ccd6/leitfaden_zrs_screen_tcm14-8315 4.pdf, aufgerufen am 14.10.2016. 33 Fang Fang and Cornelius W. Oosterlee, A Novel Pricing Method for European Options Based on Fourier-Cosine Series Expansions, in  : SIAM Journal on Scientific Computing, vol. 31, issue 2, pp. 826–848. 34 Auf https://www.eso.org/public/videos/adaptiveoptics/, aufgerufen am 15.10.2016, wird das Prinzip Adaptiver Optik sehr gut dargestellt. 35 Vereinfacht gesprochen  : Das zu beobachtende Objekt liegt in der Nähe (was den Winkel betrifft, also etwa eine Bogenminute entfernt) eines natürlichen Leitsterns, der zum Fokussieren geeignet ist. 36 Matthias Rosensteiner, Cumulative Reconstructor  : fast wavefront reconstruction algorithm for Extremely Large Telescopes, in  : Journal of Optical Society of America A, vol. 28, issue 10, 2011, pp. 2132–2138. 37 Andreas Binder and Mykhaylo Yudytskiy, Large Scale Adaptive Optics, in  : Alfred K. Louis, Simon Arridge and Bill Rundell (eds.), Proceedings of the Inverse Problems from Theory to Applications. Conference (IPTA 2014), Bristol/UK 2014, pp. 40–44. Matthias Rosensteiner and Ronny Ramlau, The Kaczmarz algorithm for multiconjugated adaptive optics with laser guide stars, in  : Journal of the Optical Society of America A, vol. 30, issue 8, 2013, pp. 1680– 1686. Ronny Ramlau, Andreas Obereder, Matthias Rosensteiner and Daniela Saxenhuber, Efficient iterative Tip/Tilt Reconstruction for Atmospheric Tomography, in  : Inverse Problems in Science and Engineering, vol. 22, issue 8, 2014, pp. 1345–1366. Daniela Saxenhuber, Gradient-based reconstruction algorithms for atmospheric tomography in Adaptive Optics systems for Extremely Large Telescopes, PhD Thesis, Johannes Kepler Universität Linz, 2016.

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25 Jahre Mechatronik an der JKU Linz – der Linzer Weg zur symbiotischen Wissenschaft Einleitung Die Gründung des weltweit ersten zehnsemestrigen Diplomstudiums für Mechatronik im Jahre 1990 an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU Linz) und die Entwicklung dieses Studiums sowie des zugehörigen Fachbereichs stellen eine universitäre Innovation mit starken industriellen und standortpolitischen Auswirkungen dar. Die historische Darstellung dieser neuen Entwicklung, ihrer Rahmenbedingungen sowie der Erfolge und Rückschläge ist deshalb auch außerhalb der Ingenieurwissenschaften von exemplarischem Interesse. Im Folgenden wird eine solche Darstellung versucht. In der vorliegenden Einleitung wird zunächst ein kurzer Abriss der Gründung der Mechatronik in Linz und einiger grundsätzlicher Auffassungen des Fachbereichs gegeben, welche den speziellen Linzer Mechatronik-Weg ausmachen  ; in den nachfolgenden Abschnitten wird genauer auf Einzelheiten der Entwicklung eingegangen. Teile des nachfolgenden Textes sind einer vorhergegangenen Mechatronik-Darstellung entnommen,1 besonders bei den Abschnitten 2 und 3, welche sich mit der Zeit von 1990 bis zum Jahr 2010 beschäftigen. Abschnitt 4 berichtet aus der letzten Zeit. Unsere Darstellung endet mit abschließenden Bemerkungen. Insgesamt beschreibt der vorliegende Beitrag den Linzer Mechatronik-Weg aus der aktuellen Sicht des Jubiläumsjahres 2016 der JKU Linz. Die Verfasser bitten um Verständnis, dass in der folgenden Darstellung, welche ja einen Beitrag zur Entwicklung der JKU Linz darstellt, aus Platzgründen nicht auf die Entwicklung weiterer, für den Erfolg der Mechatronik in Oberösterreich und darüber hinaus unverzichtbarer Ausbildungsinstitutionen wie Berufsschulen, HTLs und Fachhochschulen eingegangen werden konnte. Diese haben wesentlich zur Etablierung von Oberösterreich als einem »Mechatronik-Land« beigetragen, und ihren Verantwortlichen sei ebenso wie den Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft, die für diese Entwicklung Verantwortung tragen, und allen beteiligten Beamten und Beamtinnen an dieser Stelle ausdrücklich und in großem Respekt gedankt. Stellvertretend für die vielen beteiligten Persönlichkeiten sei als ein Pionier der ersten Zeit der Alt-Innungsmeister Gunther Krippner genannt. Dieser sorgte für die Umgestaltung der »Mechaniker-Innung« in »Mechatroniker-Innung«, was eine wesentliche Voraussetzung für die Durchlässigkeit des Bildungssystems in der Mechatronik war, und er engagierte sich sehr für die Einrichtung des Mechatronik-Studiums an der JKU Linz. 245

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

Das Wort »Mechatronik« wurde zunächst in Japan in der feinwerktechnischen Industrie erfunden und vermarktet  : »The portmanteau ›mechatronics‹ was coined by Tetsuro Mori, the senior engineer of the Japanese company Yaskawa in 1969.«2 Das japanische Unternehmen Yaskawa ließ sich diesen Begriff daraufhin mehrere Jahre lang als Markenzeichen schützen. Damals verstand man unter Mechatronik eine Management-Methode, bei welcher ein Projektleiter in der Industrie Methoden und Lösungen des Maschinenbaus (»Mecha-«), der Elektrotechnik (»-tronik«) sowie der Informatik kombiniert  : der Projektleiter/die Projektleiterin sorgt für die »Verständigung« der in den unterschiedlichen Einzeldisziplinen ausgebildeten Ingenieure/Ingenieurinnen  ; diese sollen beibringen, was sie in ihrer jeweiligen Disziplin gelernt haben. Eine eigenständige Ausbildung zum »Mechatroniker«/zur »Mechatronikerin« existierte damals noch nicht. Nach Freigabe des Markenschutzes kam es im Laufe der Zeit durch Zusammenwirken von Industrie und Academia zur begrifflichen Verallgemeinerung auf eine Ingenieurwissenschaft, die sich eigenständig mit Systemen beschäftigt, die durch eine enge Interaktion maschinenbaulicher, elektrotechnischer/elektronischer sowie Software-gesteuerter Komponenten gekennzeichnet sind. In der Einleitung zum Buch »Mechatronics« schreibt Denis K. Miu, Professor am California Institute of Technology, im Jahre 1993 unter anderem  : »[…] in the field of mechatronics, there is a never-ending discussion on whether it is a new field or merely an extension or a combination of some existing fields. […] at least we are in agreement that in recent years, much efforts and resources from both industry and academia have been focused on an exciting body of activities which in the most simplistic sense can be categorized as those involving interaction of mechanics, electronics, and information. […] All we know is that there are materials that need to be taught at our universities that have not been taught before, there are concepts that ought to be integrated that have not been integrated before, and there are research opportunities that can be exploited that have not been exploited before.«3

Seit damals, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Entwicklung des Mechatronik-Studiums und des Fachbereichs Mechatronik an der JKU Linz, hat sich die Mechatronik zu einer Ingenieurwissenschaft entwickelt, die sich mit der einheitlichen Anwendung und Weiterentwicklung mathematisch-naturwissenschaftlicher Grundlagenerkenntnisse auf multi-physikalische Probleme des Maschinenbaus und der Elektrotechnik beschäftigt. Dies wird z. B. schon im Jahre 2005 von André Preumont, Professor an der Université Libre de Bruxelles, klar angesprochen, der im Vorwort zu seinem Buch »Mechatronics« schreibt  : »This book attempts to offer a systematic and unified way of analyzing electromechanical and piezoelectric systems, following a Hamilton-Lagrange formulation.«4 Hervorzuheben ist bei der speziellen Linzer Ausformung dieser systematischen Verallgemeinerung der ursprünglichen Mechatronik-Idee von Tetsuro Mori die Aus246

25 Jahre Mechatronik

gangssituation in Oberösterreich und an der JKU im Vergleich zu anderen europäischen Universitäten, welche Ende der 1980er Jahre und zu Beginn der 1990er Jahre partielle Mechatronik-Programme im Rahmen von bestehenden Maschinenbauoder Elektrotechnik-Studien ins Leben gerufen haben  : • An der JKU Linz waren 1990 weder ein Maschinenbau- noch ein ElektrotechnikStudium vorhanden. • Es gab aber bereits starke Fachbereiche in Mathematik, Informatik, Physik und Chemie. • Die Oberösterreichische Industrie wies (und weist) eine starke mechatronische Prägung auf. • Es gab (und gibt) einen hohen, durch ausführliche Umfragen nachgewiesenen Industriebedarf nach universitär ausgebildeten Ingenieuren und Ingenieurinnen in diesem am stärksten industrialisierten Bundesland Österreichs. • Aus damaligen universitätspolitischen Gründen gab es aber nur geringe Aussichten, Maschinenbau- oder Elektrotechnik-Studien an der JKU errichten zu können. Diese spezielle Ausgangssituation führte zu einem eigenständigen Weg in der Linzer Auffassung von Mechatronik. Die Einführung der Mechatronik in Linz ist dabei besonders mit dem damaligen Dekan der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (TNF) an der JKU, dem Mathematiker Peter Weiß, verbunden. Dieser griff einen erneuten Vorstoß der oberösterreichischen Industrie zur Gründung einer Ingenieurausbildung in den Bereichen Maschinenbau und Elektrotechnik an der JKU auf, verknüpfte die aktuellen Bedürfnisse der Industrie (erhoben in zahllosen Firmenbesuchen) mit den entstehenden Mechatronik-Initiativen in anderen europäischen Ländern und den speziellen Gegebenheiten an der JKU  Linz, brachte geschickt die verschiedenen Stakeholder (Bundesland Oberösterreich, Stadt Linz, Wissenschaftsministerium in Wien, Interessensvertretungen, Universitätsleitung und die Fakultäten der JKU) ins Spiel und konnte kurz darauf das weltweit erste DiplomVollstudium Mechatronik in Linz starten, in einer Zeit, welche durch die nur kurz zurückliegende Krise der Verstaatlichten Industrie in Österreich noch stark geprägt war. Obwohl diese Krise die Notwendigkeit neuer Wege in der Industrie klar aufgezeigt hatte, war dies damals ein durchaus riskanter und teilweise kritisch kommentierter Schritt. Im Zuge des Aufbaus des Studiums legte man sich auf ein grundlagenorientiertes ingenieurwissenschaftliches Studium fest, eben auch, um die Stärken bereits bestehender Fachbereiche der TNF zu nutzen. Dies stellte sich als eine nachhaltige und für spätere Erfolge wichtige Entscheidung heraus. Die Entscheidung zur grundlagenorientierten Ausbildung mit der Möglichkeit, sich nach Neigung und Interesse 247

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

in verschiedenen mechatronischen Teilgebieten zu spezialisieren, wird von allen in der Zwischenzeit berufenen Mechatronik-Professoren des Fachbereichs auch heute mitgetragen. Sie bekennen sich zu einer möglichst breiten Grundlagenausbildung und hegen Wertschätzung für alle Disziplinen, die an der Klärung von Grundlagenfragen zur Lösung brennender industrieller Probleme orientiert sind, ob sie nun theoretisch oder experimentell, analytisch oder konstruktiv betrieben werden. Die um 1990 eher kühne Idee einer breiten Mechatronik-Ausbildung mit Spezialisierungsmöglichkeit von Peter Weiß und seinen Mitstreitern traf in der Umsetzung auf Ingenieurwissenschaftler, die diese Idee richtig fanden und sie mit soliden, grundlegenden Methoden der Ingenieurausbildung umsetzen wollten. Ein weiterer Gleichklang unter den Professoren des Fachbereichs bestand und besteht zur forschungsgeleiteten Lehre sowie zur Forschung auf internationalem Niveau in den einzelnen Teildisziplinen der Mechatronik. Mechatronik wurde rasch als ein neuer Zugang in der Entwicklung moderner maschineller Systeme begriffen, der aber zur erfolgreichen industriellen Umsetzung in die Praxis Fortschritte bzw. neue Lösungen in den Teildisziplinen braucht, seien es Technologien oder Methoden. Kein Mitglied des Fachbereichs behauptet deshalb, Mechatronik schlechthin zu betreiben  : Wohl aber wird versucht, in der jeweiligen Disziplin mechatronische Aspekte zu betonen. Auch das ist ein grundlegender Unterschied zu vielen Mechatronik-Initiativen an anderen Universitäten. In den nächsten Abschnitten wird dargestellt, wie und unter welchen Rahmenbedingungen sich diese Auffassungen entwickelt haben und was deren Auswirkungen waren.

Lehre und Forschung in Mechatronik an der JKU Linz bis zum Jahre 2000 Bereits aus dem 19. Jahrhundert sind Bestrebungen überliefert, in Linz eine Technische Hochschule einzurichten. Solche Versuche wurden seit damals in Oberösterreich immer wieder unternommen  ; es war ihnen aber lange kein Erfolg beschieden, weil es in Wien und Graz bereits Technische Hochschulen gab. Bald nach Gründung der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz im Jahre 1966 wurde dieser aber eine Technisch-Naturwissenschaftliche Fakultät angegliedert, jedoch zunächst ohne technische Kernstudien wie Maschinenbau, Elektrotechnik oder Bauingenieurwesen. Im Jahre 1987 ergab nun eine von der Kammer der Gewerblichen Wirtschaft gemeinsam mit der Kammer für Arbeiter und Angestellte in Auftrag gegebene Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts, dass im wirtschaftlich bedeutenden Raum Oberösterreich rund 1000 akademisch ausgebildete Techniker und Technikerinnen fehlen würden. Die in der Zwischenzeit zur Johannes Kepler Universität Linz gewordene Hochschule beauftragte daraufhin den damaligen De248

25 Jahre Mechatronik

Abbildung 1: Von Professor Peter Weiß, JKU, entworfene Skizze des MechatronikAusbildungsprofils.

kan der TNF, den Mathematiker Peter Weiß, durch Schaffung eines neuen technischen Studiums, Abhilfe zu schaffen. Weiß brachte das damals neue, auch international noch kaum gebrauchte Wort »Mechatronik« in die Überlegungen ein. In einer aus Vertretern des Landes Oberösterreich, der Stadt Linz, der Kammern, der Industriellenvereinigung und Mitgliedern der JKU Linz bestehenden Arbeitsgruppe wurden unter seiner Leitung die Grundlagen für die Einrichtung eines Studienversuchs Mechatronik an der JKU  Linz erarbeitet. Die Einrichtung dieses damals weltweit einzigartigen Studienversuchs mit zehn Semestern Regelstudiendauer an einer Universität im Jahre 1990 fand national und international starke Beachtung. Dies galt auch für den richtungsweisenden Studienplan, für den Peter Weiß als Vorsitzender und sein Assistent Roland Takacs als stellvertretender Vorsitzender der Studienkommission verantwortlich zeichneten. Es war eine glückliche Fügung, dass in den ersten Semestern des Studiums mit Rektor Ernest Kulhavy eine im internationalen Marketing führende Persönlichkeit an der Spitze der JKU stand und die Einrichtung des Studienversuchs Mechatronik sehr unterstützte, ebenso wie sein Vorgänger Hans Knapp. Seit damals fand die Mechatronik eine stete Förderung durch die nachfolgenden Rektoren. Die Unter249

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

stützung der Einrichtung des Studienversuchs Mechatronik durch die Angehörigen der JKU Linz war (und ist) aber auf allen Ebenen groß, ebenso die Förderung seitens der politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger und -trägerinnen in Linz und Oberösterreich. Dieses sehr positive Klima können die Autoren des vorliegenden Beitrages, die 1990 als Professor für Maschinenbau (Rudolf Scheidl) und 1991 als Professor für Technische Mechanik (Hans Irschik) zur Betreuung des Mechatronik-Studiums nach Linz berufen wurden, aus eigener Erfahrung bestätigen. Die bestehenden Fachrichtungen der TNF, nämlich Technische Mathematik, Technische Physik, Technische Chemie und Informatik, erklärten sich bereit, ihren Anteil an der Ausbildung im neuen Mechatronik-Studium zu übernehmen, und dies ist dankenswerter Weise bis heute so geblieben. Peter Weiß verfasste in der Zeit der Einrichtung des Studienversuchs eine Schrift mit dem Titel »Das Linzer Mechatronik-Konzept«, aus der nachfolgend einige Zitate angeführt seien. So schreibt Weiß als »Vater der Mechatronik« in Linz mit berechtigtem Stolz  : »Mit der Einrichtung des Studienversuchs Mechatronik an unserer Johannes Kepler Universität besitzen wir das erste von Grund auf neu konzipierte akademische Mechatronik Studium der Welt. Mit der Möglichkeit, dafür 10 neue Ordinariate einrichten und als Ordinarien europaweit hervorragende Fachkräfte nach Linz holen zu können, haben wir die einmalige Chance, international an der Spitze mitzuhalten.«5

Von Anfang an war es also das Ziel, in Linz im internationalen Vergleich führend tätig zu sein. Weiß setzt fort  : »Es wäre aber falsch, sich nun im Erfolg des Erreichten zu sonnen. Vor allem die heimische Industrie als der eigentliche Nutznießer dieser Bestrebungen ist jetzt aufgerufen, das ihrige dazu beizutragen. Die Struktur der neuen Mechatronikordinariate ist nämlich so konzipiert, dass zwar ein gewisser, nicht unansehnlicher Grundstock an Ressourcen (Personal und Ausstattung) gemeinsam von Stadt, Land und Bund zur Verfügung gestellt wird, die Ordinariate darüber hinaus aber angehalten sind, im Rahmen von Auftragsforschung (ähnlich der in den USA gewohnten Praktik) mit der heimischen Industrie eng zusammenzuarbeiten. Nur so kann nämlich Mechatronik sinnvoll und für beide Seiten effizient betrieben werden. Von der Universität Linz wird damit die so vielfach geforderte Öffnung hin zur Praxis in großem Umfang betrieben. Es liegt nun an der Industrie, die gebotenen Möglichkeiten optimal und mit richtigem Augenmaß zu nutzen.«6

Peter Weiß legte mit dieser beiderseitigen Aufforderung an Academia und Industrie den Grundstock für umfangreiche gemeinsame Forschungen der universitären 250

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Mechatronik-Institute und der Industrie, von denen noch zu berichten sein wird. Es ist dankend hervorzuheben, dass diese Zusammenarbeit ohne die Förderung durch die Stadt Linz und das Land Oberösterreich (beide im Wege des Linzer Hochschulfonds) sowie ohne laufende Mittel und Unterstützung durch die österreichische Bundesregierung nicht möglich geworden wäre, aber natürlich auch nicht ohne die erheblichen materiellen und ideellen Aufwendungen aus Wirtschaft und Industrie. Die Anfangszeit des Studiums gestaltete sich als durchaus schwierig. Im Wintersemester 1990/91 inskribierten 360 Studenten und Studentinnen die neue Studienrichtung Mechatronik. Aber erst am 1.  Dezember konnte das erste von zehn geplanten Ordinariaten (Rudolf Scheidl) besetzt werden. Der Studienplan war von Peter Weiß aber weitsichtig so konzipiert worden, dass die Hauptlast der Lehre des ersten Studienjahres von Mathematik, Informatik und Physik gestaltet wurde. Jedoch verzögerten sich die Genehmigungen und auch die Besetzungen von Ordinariaten immer wieder. Die Mechatronik-Professoren der ersten Jahre (Rudolf Scheidl, Hans Irschik, Reinhard Lerch, Kurt Schlacher, Wolfgang Amrhein und Hartwig Thim) waren daher sehr gefordert, den Anfängern und Anfängerinnen der ersten Studienjahre, 360 im Jahr 1990, 180 im Jahr 1991, sowie den späteren Jahrgängen eine adäquate mechatronische Ausbildung im engeren Sinn zu vermitteln. Dies war auch deshalb möglich, weil es unter den Mechatronik-Studenten und -Studentinnen damals eine goldgräberähnliche Aufbruchsstimmung gab. Der geplante Vollausbau der Mechatronik an der JKU Linz mit zehn Ordinariaten wurde erst im Jahr 1998 erreicht. Der oben bereits genannte Hartwig Thim, ein international ausgewiesener Experte der Mikroelektronik, der bereits seit 1985 an der JKU Linz im Bereich der Informatik tätig gewesen war, und der sich als Mitstreiter von Peter Weiß für die Errichtung des Mechatronik-Studiums sehr eingesetzt hatte, stieß als elfter Ordinarius zur Fachgruppe Mechatronik. Das von Peter Weiß formulierte Ziel der Zusammenarbeit mit der Industrie wurde von der Mechatronik-Fachgruppe der JKU Linz konsequent weiterverfolgt, ebenso wie die Arbeit im internationalen Konnex. Exemplarisch sei an dieser Stelle für seine Tätigkeit Alexander Belyaev gedankt, der als Gastprofessor aus Russland am Aufbau des Linzer Mechatronik-Studiums mitwirkte und dabei von 1993 bis 1999 mit seiner Familie in Linz lebte. Heute lehrt er als Universitätsprofessor in St. Petersburg und wirkt als Direktor des bedeutenden Institute for Problems of Mechanical Engineer­ ing (IPME) der Russian Academy of Sciences, kommt aber seitdem jedes Jahr zu Vorlesungen nach Linz, und das IPME wurde ein wichtiger internationaler Partner des im nächsten Abschnitt angeführten Kompetenzzentrums ACCM. Im Jahre 2012 wurde Alexander Belyaev das Ehrendoktorat der JKU Linz verliehen. Die ersten Diplom-Ingenieure und -Ingenieurinnen für Mechatronik schlossen ihr Studium im Jahre 1995 ab. Seit Oktober 1996 wurde dem Mechatronik-Studium 251

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

an der JKU Linz daraufhin der Status eines regulären Universitätsstudiums zugebilligt. Wir wenden uns nun noch kurz der Frage zu, wie die Mechatronik in Linz in der Pionierzeit verstanden wurde. Es ist die große Zahl der von Peter Weiß im Zuge der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe ins Spiel gebrachten Beteiligten positiv hervorzuheben, und dass Weiß damit weltweit erstmals im Jahre 1987 Academia und Industrie in Fragen der Mechatronik erfolgreich zusammen führen konnte. Zur Bedeutung des Wortes selbst findet man bei P. Weiß  : »Der Name Mechatronik […] steht stellvertretend für eine Symbiose der drei Wissensgebiete Mechanik und Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik, Informatik und Computerwissenschaften, wobei die unterstrichenen Wortteile das Kunstwort Mechatronik bilden.«7

Der damaligen Auffassung entsprechend heißt es dort z. B. über Aktoren (Antriebs­ elemente)  : »Auch dabei besteht die Aufgabe des Mechatronikers wieder nicht so sehr im Entwickeln neuartiger Aktoren, sondern vielmehr im Auswählen des für die spezielle Problemstellung am besten geeigneten Aktors.«8

Ähnliche Bemerkungen finden sich zu Sensoren und zum Einsatz der Computerwissenschaften. Die Diskussionen, die die Fachgruppe Mechatronik der JKU  Linz laufend mit ihren nationalen und internationalen, inner- und außeruniversitären Partnern führte, ergaben bald eine Wandlung der Bedeutung des Wortes »Mechatronik« hin zu einer Ingenieurwissenschaft, bei der es nicht nur um die Auswahl von Lösungen aus den beteiligten Einzelwissenschaften geht, sondern um eine eigenständige, grundlagenorientierte Technik, die dann wiederum die Weiterentwicklung dieser Einzelwissenschaften selbst ermöglicht. Drei Umstände waren dafür in erster Linie verantwortlich  : Die andauernde Zusammenarbeit mit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern der TNF, die Notwendigkeit, klare Verwendungsprofile für die Universitätsabsolventen und -absolventinnen zu schaffen (auch im Hinblick auf die damals neu geschaffenen, anwendungsnäheren Fachhochschulen) sowie ein grundsätzliches Problem, das Peter Weiß in seiner Schrift wie folgt beschrieb  : »Grundsätzlich ist zu sagen, dass der in Linz neu eingerichtete Studienversuch nur im Sinn von ›Studium für Mechatronik‹ und nicht im Sinn von ›Studium der Mechatronik‹ verstanden werden darf. Die Universität kann Studenten nur für eine Tätigkeit als Mechatroniker vorbereiten, sie kann Mechatronik nicht als solches unterrichten. Hier sind Vergleiche 252

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mit der Kunst angebracht  ; auch dort können nur gewisse Techniken gelehrt werden, zum Künstler muss der junge Mensch selbst heranreifen.«9

Techniken von allgemeiner Anwendung zu lehren, und zwar vom Standpunkt der Grundlagen aus, im Sinne eines Beitrags zu einer »Theoriebildung einer allge­ meinen Technologie«, kristallisierte sich deshalb im Laufe der Zeit als ein wichtiges Forschungs- und Ausbildungsziel der Mechatronik an der JKU Linz heraus.

Lehre und Forschung in Mechatronik an der JKU Linz von 1999 bis 2010 Im November 1999 wurde die Linzer Fachgruppe Mechatronik in eine vom Universitätenkuratorium beauftragte Evaluierung des Maschinenbaus an den österreichischen Universitäten einbezogen. Daraufhin verfasste die Fachgruppe einen zweiteiligen Selbstevaluierungsreport,10 in welchem die Entwicklung seit 1990 aus eigener Sicht dargestellt wurde. Der erste, allgemeine Teil stellt eine zusammenfassende Darstellung von Fachgruppe und Diplomstudium Mechatronik dar  ; seine Abfassung wurde von Hans Irschik, der damals als Vize-Rektor für Forschung der JKU Linz tätig war, koordiniert und wurde im Jahre 2000 fertig gestellt. Dieser Teil des Selbstevaluierungsreports sollte den internationalen Peers zusätzlich zu den Fragebogen und den Datensammlungen des Universitätenkuratoriums Informationen über die Universität Linz, die TNF in die die Fachgruppe eingegliedert ist, sowie über die Fachgruppe Mechatronik selbst, ihre strategische Positionierung in Lehre und Forschung, ihre Entwicklung und die Zukunftsplanung bieten. Es wurde auch auf die Schwierigkeiten beim Aufbau des Studiums hingewiesen und wie diese überwunden werden konnten. Im vorliegenden Zusammenhang sei aus dem Report zunächst folgende Klarstellung zitiert  : »[…] dass das Mechatronik-Studium in Linz eine interdisziplinäre Ausbildung darstellt, die sich der theorie- und forschungsgeleiteten Lehre im Überlappungsbereich von Informatik, Elektrotechnik und Maschinenbau verschrieben hat. Das Mechatronik-Studium und die zugehörige Forschung in Linz können und wollen keine Vertiefungsrichtung des Maschinenbaus oder der Elektrotechnik sein. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen und informatikbezogenen Grundlagen dieses Studiums werden von den entsprechenden Fachgruppen in der Fakultät abgedeckt, und zwar in einem Ausmaß, das höher ist, als bei klassischen Maschinenbau- oder Elektrotechnik-Studien üblich. Für die maschinenbaulichen und elektrotechnischen Grundlagen und Spezialisierungen wurden seit Ende 1990 in Linz 5 neue Ordinariate aus Mechanik und Maschinenbau sowie 5 neue Ordinariate 253

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

aus Elektrotechnik und Regelungstechnik eingerichtet. Ein weiteres Ordinariat aus dem Bereich der Elektrotechnik kam aus dem Bestand der Fakultät hinzu. Diese 11 Ordinariate bilden die engere Fachgruppe Mechatronik, mit nahen Beziehungen zu den übrigen Fachgruppen der technisch-naturwissenschaftlichen Fakultät in Linz.«11

Es werden hier also die mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen explizit einbezogen, es wird eine Gehilfenrolle für Maschinenbau und Elektrotechnik zurückgewiesen, und es wird darauf hingewiesen, dass die Mechatronik-Lehre an der JKU Linz wesentlich theorie- und forschungsgeleitet betrieben wird. Über die Linzer Ausbildungsziele wird unter anderem festgehalten  : »Der Fachbereich Mechatronik bekennt sich ausdrücklich zu einer wissenschaftlichen Ingenieurausbildung seiner Absolventen mit dem übergeordneten Ziel einer zeitgemäßen und nachhaltigen Vorbereitung auf das gesamte Berufsleben. […] Durch eine breit gefächerte, solide Ausbildung soll die/der Diplom-Ingenieur/in für Mechatronik befähigt werden, sich während ihrer/seiner gesamten Berufslaufbahn rasch in neue Fachgebiete, neue Technologien und Problemstellungen einzuarbeiten und ihr/sein Wissen zu aktualisieren. Dadurch ist ihre/seine Mitwirkung vor allem dort gefragt, wo es um Verbindung von Theorie und Praxis geht. Sie/er soll sowohl praktische Aufgabenstellungen selbständig und zweckmäßig lösen, als auch auf Teilgebieten wissenschaftliche Kenntnisse und Methoden weiterentwickeln können.«12

Diese Ausbildungsziele haben sich für die Fachgruppe Mechatronik der JKU seit 2000 nicht mehr wesentlich verändert. Die Tätigkeit eines Mechatronik-Absolventen/einer Mechatronik-Absolventin der JKU Linz soll Theorie und Praxis verbinden und zur Weiterentwicklung der Ingenieurwissenschaften im Sinne einer einheitlichen Theoriebildung beitragen. Hinsichtlich der Forschungsziele wird z. B. angeführt  : »Gleichwertigkeit zwischen erkenntnisorientierter und anwendungsorientierter Forschung […] Wir erwarten die größten Fortschritte für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft in einer gegenseitigen Befruchtung beider Ausrichtungen. […] Anwendung und Nutzung von Gemeinsamkeiten und Analogien der verschiedenen Teilgebiete der Mechatronik in Forschung und Lehre zur nutzbringenden Bewältigung technischer Aufgabenstellungen  ; […] Weiterentwicklung und Etablierung der interdisziplinären Wissensgebiete und Methoden der Mechatronik  ; […] Berücksichtigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse und Anliegen bei der Ausrichtung der Forschungsgebiete unter besonderer Bedachtnahme auf den Standort O.Ö. Dazu wollen wir durch effizienten Technologietransfer und intensive Kommunikation zu den interessierten Gruppen und deren Vertretern beitragen.«13

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Zu den Schwierigkeiten, die beim Ausbau der Mechatronik-Institute zu überwinden waren, seien aus dem Selbstevaluierungsreport nur folgende Bemerkungen zitiert  : »Durch den im April 1996 von der österreichischen Bundesregierung im Zuge eines Sparpaketes beschlossenen generellen und ausnahmslosen Personalaufnahmestopp kam es aber bei der Besetzung der zugehörigen Universitätsassistenten-, Techniker- und Sekretariatsstellen zu massiven Verzögerungen […] Ein großes Problem warf 1996 die Frage auf, ob das noch nicht besetzte 10. Mechatronik-Ordinariat unter den gegebenen budgetären Rahmenbedingungen überhaupt zur Besetzung freigegeben werden könnte. Auf Grund der Bemühungen von Rektor Franz Strehl und Dekan Heinz Engl, der Unterstützung seitens des Landes Oberösterreich, der Stadt Linz und des Wissenschaftsministeriums, war es jedoch möglich, die budgetären Mittel für die Einrichtung dieses Ordinariats zu gewährleisten.«14

Die Bestrebungen der Fachgruppe Mechatronik, eine auf mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen aufbauende, interdisziplinäre Ingenieurwissenschaft zu entwickeln, die um die Nutzung von Gemeinsamkeiten und Analogien der verschiedenen Teilgebiete der Mechatronik und somit um eine einheitliche Theoriebildung bemüht ist, wurden von der Evaluierungskommission durchaus gewürdigt  : Im Abschlussbericht der Kommission, der nach ausführlicher und kritischer Begehung der evaluierten Institute unter der Leitung des angesehenen Stuttgarter Professors Engelbert Westkämper verfasst wurde, heißt es  : »Der Studiengang der Mechatronik an der Universität Linz ist hinsichtlich Aufbau und Struktur als neuartig und richtungsweisend zu bezeichnen. Von vornherein wurden eine enge Verbindung zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen einerseits und eine Interdisziplinarität von Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik andererseits angestrebt. […] Als richtungsweisend sind ferner die Elemente des Studiums zu bezeichnen, welche zu einer Modellierung der technischen Prozesse beitragen. Durch die hohe Interdisziplinarität und wohl auch die äußerst positive Kooperation der Ordinarien entstehen hohe Synergieeffekte. […] Die Kommission empfiehlt das Gedankengut der Mechatronik verstärkt in die grundlegenden Studiengänge des Maschinenbaus in Wien und Graz zu integrieren. […] Die Anzahl der Studierenden und die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigen eine trotz allgemeinem Rückgang der Studierenden des Ingenieurwesens steigende Tendenz in Linz. Die jungen Institute und Ordinarien zeigten trotz mancher erschwerender Faktoren eine erstaunlich dynamische und positive Entwicklung in der Forschung. Schwerpunkte und der Aufbau eines Kompetenzzentrums Mechatronik sind herausragende Beispiele der erfolgreichen Entwicklung.«15

Es gab auch kritische Empfehlungen hinsichtlich noch fehlender Fachgebiete, die in der Zwischenzeit teilweise berücksichtigt werden konnten. Negativ wurde auch die 255

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Unterbringung der Mechatronik-Institute in einem alten Gebäude auf dem Gelände des Linzer Stahlwerks gesehen  : »Die Ausstattung der Labors und die Unterbringung in einem angemieteten, den Anforderungen der Labors nicht entsprechenden Gebäude (Voest-Alpine BG01, Hochofenstraße) außerhalb des Campus sollte baldmöglichst verbessert werden.«16

Im Jahre 2010 bestand der Fachbereich Mechatronik bereits aus den folgenden zwölf Instituten, deren Bezeichnungen die Namen der mechatronischen Kernkompetenzen angeben, die derzeit an der JKU  Linz, neben den mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen und der Informatik, abgedeckt werden  : Institut für Elektrische Antriebe und Leistungselektronik (Wolfgang Amrhein)  ; Institut für Elektrische Messtechnik (Bernhard G. Zagar)  ; Institut für Design und Regelung Mechatronischer Systeme (Luigi del Re)  ; Institut für Konstruktiven Leichtbau (Martin Schagerl)  ; Institut für Mikroelektronik und Mikrosensorik (Bernhard Jakoby, in der Nachfolge von Hartwig Thim)  ; Institut für Nachrichtentechnik und Hochfrequenzsysteme (Andreas Springer, in Nachfolge von Robert Weigel)  ; Institut für Regelungstechnik und Prozessautomatisierung (Kurt Schlacher)  ; Institut für Maschinenlehre und hydraulische Antriebstechnik (Rudolf Scheidl)  ; Institut für Rechnergestützte Methoden im Maschinenbau (Klaus Zeman)  ; Institut für Robotik (Hartmut Bremer)  ; Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung (Philipp Gittler)  ; Institut für Technische Mechanik (Hans Irschik). Das zwölfte Mechatronik Institut, das Institut für Konstruktiven Leichtbau, wurde im Jahre 2009 unter Rektor Richard Hagelauer und Dekan Erich Peter Klement eingerichtet, ebenso im Jahre 2010 das JKU Hoerbiger Research Institute for Smart Actuators (Wolfgang Amrhein). Die raschen Erfolge der frühen Absolventen und Absolventinnen in der Industrie und die erfolgreichen Forschungskooperationen des Fachbereichs mit der Industrie erzeugten ein breites Bewusstsein, dass Mechatronik in der angewandten Forschung nunmehr stärker verankert werden sollte. Ein Vorstoß des damaligen Geschäftsführers der Oberösterreichischen Technologie- und Marketinggesellschaft (TMG) Berghold Bayer zur Gründung eines Kplus-Mechatronik-Kompetenzzentrums im November 1997 führte zur Gründung des »Linz Center of Mechatronics (LCM)« im Jahr 2001 durch die damals elf Mechatronik-Institute, gemeinsam mit der Industrie. Dies geschah wohl nicht zuletzt aufgrund des positiven Ausganges der oben beschriebenen Maschinenbau-Evaluierung. Das LCM führte zunächst bis zum Jahre 2007 als gefördertes Forschungszentrum im Rahmen des Kplus-Programms der österreichischen Bundesregierung vorwettbewerbliche, international evaluierte Forschungsvorhaben durch (wissenschaftliche Sprecher  : Wolfgang Amrhein und Rudolf Scheidl). Zuvor war schon ein einjähriges, vom Bundesministerium und 256

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der TMG gefördertes Referenzprojekt erfolgreich abgeschlossen worden, welches in der Maschinenbau-Evaluierung bereits positiv hervorgehoben worden war  ; wissenschaftlicher Koordinator dieses Projekts und des Kplus-Antrags für das LCM waren Kurt Schlacher und Luigi del Re. Seit ihrer Gründung ist die LCM GmbH unter ihrem Geschäftsführer Gerald Schatz einerseits als Forschungsdienstleistungsunternehmen am freien Markt tätig, andererseits wurde das LCM gemeinsam mit der JKU  Linz und der vatron GesmbH im Jahre 2008 als Träger des »Austria Center of Competence in Mechatronics (ACCM)« tätig. In diesem COMET-K2-Zentrum (wissenschaftlicher Sprecher  : Bernhard Zagar, Stellvertreter Rudolf Scheidl) wurden vorwettbewerbliche, geförderte Forschungen in noch größerem Umfang durchgeführt, als dies vorher im LCM der Fall war. Die Bezeichnungen der Forschungsabteilungen (Areas) des ACCM geben einen Eindruck über die Breite dieser Forschungen  : »Computational and Experimental Process Modelling and Simulation  ; Mechanics and Model Based Control  ; Information and Control  ; Mechatronic Design of Machines and Components  ; Sensors and Signals  ; Wireless Technologies.« Dabei geht es um Themen aus vielen Disziplinen der Mechatronik  : von Mikrosensoren über drahtlose Positionserkennung, die Optimierung von Maschinen und Anlagen, bis hin zu neuartigen elektrischen und hydraulischen Antrieben. Das ACCM wurde wieder in enger Zusammenarbeit mit den Mechatronik-Instituten der JKU Linz sowie mit nationalen und internationalen Partnern aus Academia und Industrie betrieben. Der Fachbereich Mechatronik ist seit den Anfängen indirekt Miteigentümer an der LCM  GmbH und zwar über den »Verein der wissenschaftlichen und industriellen Partner des Linz Center of Competence in Mechatronics«. Der Verein ist mit 35  Prozent des Stammkapitals Mehrheitseigentümer und bietet allen wissenschaftlichen und industriellen Partnern des Zentrums die Mitgliedschaft an  ; die JKU ist statutengemäß durch seine am Zentrum mitwirkenden Institute beteiligt. Seit den Anfängen im Jahre 2001 hat der Verein als Abstimmungsplattform zwischen den industriellen und wissenschaftlichen Partnern fungiert und hat über diesen Interessensabgleich in wichtigen Phasen der LCM GmbH einen starken Rückhalt gegeben und ihre erfolgreiche Ausrichtung als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft mitbestimmt. Der Mathematiker Erich Peter Klement hat von den Anfängen 2001 bis 2013 als Obmann den Verein geleitet und als Eigentümervertreter in der Gesellschafterversammlung der LCM GmbH eine sehr besonnene und förderliche Rolle gespielt, danach übernahm Rudolf Scheidl die Aufgabe. Es kann jedenfalls gesagt werden, dass mit der Errichtung der Forschungszentren LCM und ACCM das ursprüngliche Ziel eines effizienten Technologietransfers realisiert wurde  ; besonders mit dem COMET-K2-Zentrum ACCM wurde das oben ebenfalls angesprochene Ziel, nämlich »international an der Spitze mitzuhalten«, weiter verfolgt. 257

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Die Mechatronik-Institute haben im Laufe der Zeit auch sieben Christian-Doppler-Forschungslabors (CD-Labors) begründet (Leiter  : Reinhard Lerch, Kurt Schlacher, Andreas Stelzer, Stefan Pirker, Martin Schagerl, Andreas Springer gemeinsam mit Mario Huemer und Simon Schneiderbauer). Die Mechatronik-Institute führten (und führen) geförderte Forschungen im Rahmen anderer COMET-Programme sowie im Rahmen von Projekten der Europäischen Union und des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) durch, worauf hier aus Platzgründen leider nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Die Entwicklung der forschungsgeleiteten Lehre im Linzer Mechatronik-Studium wurde im Studienjahr zunächst 1996/97 durch Rudolf Scheidl von Peter Weiß als Vorsitzenden der Studienkommission übernommen und dann von Kurt Schlacher moderiert, zuerst als Studiendekan und später als Vorsitzender der Studienkommission, und zwar zunächst 1997/98 und dann von 2004 bis heute. Von 1998 bis 2004 wurde diese wichtige Aufgabe durch Hartmut Bremer erfüllt. Zunächst erfolgte die Weiterentwicklung des Studienplans zu einem dreiteiligen Diplom-Studium  ; im Jahre 2007 gelang dann erfolgreich die Umstellung auf das Bachelor-Master-System. Zum Beispiel waren im Jahre 2010 insgesamt etwa 950 Studenten und Studentinnen der Mechatronik inskribiert und es gab bereits mehr als 700 Absolventen und Absolventinnen. Linzer Mechatronik-Absolventen und -Absolventinnen hatten und haben keinerlei Probleme, sich am Arbeitsmarkt zu bewähren und sind auch international sehr gesucht.17 Mit der Übersiedlung der Mechatronik in den neuen Science Park am Campus der JKU im Jahre 2009 konnte schließlich das oben genannte Problem der »Unterbringung in einem angemieteten, den Anforderungen der Labors nicht entsprechenden Gebäude« gelöst werden. Der Fachbereich Mechatronik ist aber seit längerer Zeit nicht nur im Mechatronik-Studium selbst beschäftigt, sondern auch bei den neu eingerichteten Studiengängen »Informationselektronik« und »Kunststofftechnik« der JKU Linz. Einige Jahre lang wurde im Rahmen der Linzer Management Akademie (LIMAK) ein dreisemestriger postgradualer Master-Lehrgang »Management for Engineers« angeboten (begründet durch Franz Strehl und Hans Irschik), in dem sich die Absolventen und Absolventinnen von Ingenieurstudien hauptsächlich im Management weiterbilden konnten und dessen kleiner technischer Teil von Professoren der Fachgruppe Mechatronik begleitet wurde.

Lehre und Forschung in Mechatronik an der JKU Linz seit 2010 Wesentliche Veränderungen waren die Neuberufungen von Werner Baumgartner im Jahr 2013 für Medizinmechatronik und Andreas Müller (2014) für Robotik in Nachfolge von Hartmut Bremer. Werner Baumgartner ist einer der ersten Absolven258

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ten und Absolventinnen des Linzer Mechatronik-Studiums und ein beredter Zeuge der vielfältigen beruflichen und akademischen Entfaltungsmöglichkeiten, die dieses Studium seinen Absolventen oder Absolventinnen bietet. Nach seinem Diplomstudium dissertierte er an der JKU im Bereich Biophysik bei Hansgeorg Schindler, ging dann an die Medizinische Fakultät der Universität Würzburg, Institut für Anatomie, und folgte sodann einem Ruf der Rheinisch-Westfälischen Technische Hochschule (RWTH) in Aachen und zwar für eine Professur in Neurozellulärer Bionik. An der JKU leitet Werner Baumgartner das Institut für Medizin- und Biomechatronik. Seine Professur und sein Institut sind Ergebnis der Bemühungen an der JKU um eine enge Zusammenarbeit der TNF mit der neuen Medizinischen Fakultät, auch mit dem langfristigen Ziel der Gründung medizintechnischer Unternehmen in Oberösterreich. Andreas Müller ist über seine Forschungen in der Mehrkörperdynamik an deutschen Universitäten und Forschungsorganisationen sowie am Joint Institute der University of Michigan und der Shanghai Jiao Tong University zur Robotik an der JKU gekommen, wo er dem schon bisher sehr erfolgreichen Institut für Robotik eine noch stärkere internationale Ausrichtung geben wird. Weitere wichtige Entwicklungen waren die Gründung einer eigenen Abteilung für Hochfrequenzsysteme am Institut für Nachrichtentechnik und Hochfrequenzsysteme mit dem neuberufenen Andreas Stelzer als Leiter im Jahre 2011, die Einrichtung einer Abteilung für Particulate Flow Modeling mit dem Leiter Stefan Pirker am Institut für Strömungslehre und Wärmeübertragung sowie die Umbenennung des Instituts für Rechnergestützte Methoden im Maschinenbau in Institut für Mechatronische Produktentwicklung und Fertigung (Klaus Zeman). Die Bedeutung der Fachbereichsstruktur der TNF und der JKU Linz wurde seit 2015 universitätsintern durch das Rektorat stärker verankert  ; die somit noch wichtiger gewordene Aufgabe eines Fachbereichssprechers/einer Fachbereichssprecherin für Mechatronik hat derzeit Bernhard Jakoby inne, sein Stellvertreter ist Andreas Springer. Das ACCM hat 2012 die Fünfjahresevaluierung durch internationale Experten erfolgreich bestanden, und erhebliche Forschungsförderungsmittel wurden dem K2-Zentrum für weitere fünf Jahre genehmigt. In diesem Zentrum wird gemeinsam mit zahlreichen Unternehmen des In- und Auslands an breiter Front an innovativen Lösungen gearbeitet. Aus den vielfältigen und breit gestreuten Forschungsprojekten seien nur drei Innovationsbeispiele exemplarisch herausgegriffen  : Die Entwicklung eines elektromagnetischen Aktuators für ein neuartiges Hörgerät – die sogenannte »BoneBridge« der Firma Medel, die Reduktion des Energieverbrauchs bei Biegemaschinen der Firma Salvagnini um ca. 75 Prozent und die Verfolgung der Bewegung jedes einzelnen Tieres einer großen Herde über eine Ohrmarke mit einem Lokalisationssystem samt daraus ableitbaren Schlussfolgerungen, z. B. über Nahrungsverhalten oder eine bevorstehende Geburt. 259

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Die beiden in der Fünfjahresevaluierung des Jahres 2012 erteilten Auflagen, nämlich die Verschmelzung der LCM GmbH und der ACCM GmbH sowie die Installierung eines wissenschaftlichen Leiters im Range eines Geschäftsführers/einer Geschäftsführerin, wurden umgesetzt. Das verschmolzene Unternehmen trägt den Namen »Linz Center of Mechatronics GmbH« (LCM). Als wissenschaftlicher Geschäftsführer konnte Johann Hoffelner gewonnen werden. Er ist Absolvent der Linzer Mechatronik und hat langjährige Erfahrung als F&E-Leiter in einem internationalen Medizintechnik-Unternehmen. Er hatte soeben als eine wesentliche Aufgabe den Neuantrag für ein K2-Zentrum ab 2018 zu organisieren. In einem intensiven Prozess, der die am Zentrum beteiligten Unternehmen und die wissenschaftlichen Partner mit einbezog, wurde eine neue thematische Ausrichtung des künftigen Zentrums erarbeitet. Sie gibt Antworten darauf, wie sich mechatronische Systeme der Zukunft im Hinblick auf die sich abzeichnenden industriellen und gesellschaftlichen Veränderungen entwickeln müssen und wie daher die Forschung auszurichten sein wird  ; Stichworte dafür sind etwa  : »Vierte Industrielle Revolution«, »Cyber-physikalische Systeme« oder »Internet der Dinge«. Als allgemeines neues Paradigma wurde die symbiotische Interaktion mechatronischer Systeme mit ihren Umgebungen erkannt  ; das Zentrum soll daher »Symbiotic Mechatronics« heißen. Zum synergistischen Miteinander von mechanischen, elektrischen und softwaretechnischen Teilen im Inneren eines mechatronischen Systems wird sich künftig ein gegenseitigen Nutzen stiftendes, nach außen gerichtetes Zusammenspiel mit unterschiedlichen Teilen der Systemumgebung, seien es andere Maschinen, Personen, Tiere, Pflanzen oder die Cyberwelt, gesellen müssen.

Abschließende Bemerkungen Die vorhergehende Beschreibung der Lehr- und Forschungsaktivitäten in den vergangenen 25 Jahren belegt, dass es der Fachgruppe Mechatronik der JKU Linz gelungen ist, technische Fortschritte aus einer gegenseitigen Befruchtung von grundlagenorientierter und anwendungsorientierter Forschung zu erzielen, was durch Evaluierungen durchaus belegt ist. Alle geförderten Forschungsprojekte wurden ja in kompetitiven Verfahren nach Linz geholt, wobei die wissenschaftliche Exzellenz der Anträge durch internationale Gutachter und Gutachterinnen geprüft wurde und die Fortschritte in Zwischen- und Nachevaluierungen nachzuweisen waren bzw. noch nachzuweisen sein werden. Die Forschungen müssen vorwettbewerblich sein, und sie müssen einen ausreichend hohen Grundlagenanteil aufweisen, um öffentliche Förderungen zu rechtfertigen. Die Finanzierung von Kplus- COMET-Projekten und CD-Labors erfolgt gemeinsam durch die öffentliche Hand und die Industrie, anders als bei FWF-Projekten, wo es eine Förderung nur von Seiten der öffentlichen 260

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Hand gibt. Bei COMET-Projekten und CD-Labors kommt aber als weiteres Qualitätsmerkmal die Zufriedenheit der Industrie hinzu, die sich in der Bereitschaft ausdrückt, vorwettbewerbliche Forschungen überhaupt zu finanzieren. Dass es möglich war, sowohl im Hinblick auf wissenschaftliche Exzellenz in den Grundlagen als auch im Hinblick auf die Zufriedenheit der Industrie erfolgreich zu sein, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Auffassung der Mechatronik, welche an der JKU vertreten wird, ausreichend Platz für Forschungen im Grundlagenbereich bietet, deren Ergebnisse der Industrie dann wieder Möglichkeiten für neue Entwicklungen aufzeigen. Diese führen in weiterer Folge zu neuen Grundlagenproblemen und so fort. Der vorteilhafte Einfluss eines solchen Regelkreises auf die forschungsgeleitete Lehre liegt auf der Hand. Zur Frage, wie Neues in der Ingenieurausbildung bzw. ingenieurwissenschaftlichen Forschung entsteht, kann in der Retrospektive aus den Erfahrungen der Linzer Mechatronik abschließend Folgendes angeführt werden  : Durch besondere Umstände und einen starken, aber damals noch nicht klar erkannten Bedarf (die oberösterreichische Wirtschaft mit ihrer mechatronischen Prägung war »überreif« für Mechatronik-Ingenieure und -Ingenieurinnen) entstand die Bereitschaft für Neues in ingenieurwissenschaftlicher Lehre und Forschung. Durch entschlossenes Handeln von Personen, die zur richtigen Zeit diesen Bedarf erkannt haben, konnten das Studium und der Fachbereich Mechatronik an der JKU eingerichtet werden. Das Aufeinandertreffen verschiedener »Kulturen« (visionäre Pläne einer damals völlig ungewöhnlichen, überwiegend auf Grundlagenvermittlung ausgerichteten, breiten Ingenieurausbildung und ihre Umsetzung durch aufgeschlossene Ingenieurwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen) ließ neue Synergien entstehen. Die Akteure hatten und haben die gleiche Vorstellung bei der grundlegenden Ausrichtung in den folgenden, wesentlichen Punkten  : Grundlagen sollen Vorrang haben, und die Ausbildung soll in großer Breite mit nachfolgender Vertiefungsmöglichkeit erfolgen. Die Mechatronik-Forschung soll in den einzelnen Disziplinen auf hohem, internationalem Niveau umgesetzt werden, aber es soll nicht »Mechatronik schlechthin« betrieben werden  ; eine Bestätigung des Niveaus durch internationale Peer-ReviewVerfahren ist laufend anzustreben. Durch wiederkehrende Evaluierungen der gesamten Mechatronik-Forschung, z. B. von Forschungsanträgen des Linz Center of Mechatronics, soll der Fachbereich gezwungen werden, seine Ausrichtung laufend zu aktualisieren. Die Mechatronik soll als ein neuer, interdisziplinärer Zugang verstanden werden, der auf alle Branchen anwendbar ist, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Dass der oben skizzierte, eigenständige Linzer Mechatronik-Weg zielführend ist, zeigt sich unter anderem auch daran, dass die JKU Linz 2016 im »Shanghai Academic Ranking of World Universities« im Bereich Mechanical Engineering als einzige österreichische Universität unter die weltweit besten 100 Universitäten gereiht 261

Hans Irschik/Rudolf Scheidl

wurde,18 im Bereich Electrical-Electronical Engineering immerhin unter die besten 200 Universitäten weltweit.19 Literatur Brown, Alan S., Who owns mechatronics  ?, in  : Mechanical Engineering Magazine, vol. 130, issue 6, 2008, pp. 24–29. Evaluierung des Fachbereichs Maschinenbau an vier österreichischen Universitäten  : Bericht und Empfehlungen der Internationalen Kommission (Vorsitzender  : Univ.-Prof. Dr.-Ing. Prof. E.h. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. Engelbert Westkämper), Österreichisches Universitätenkuratorium, Wien 2001. Irschik, Hans, Mechatronik  – Ausbildung und technischer Fortschritt, in  : Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, Jg. 157, H. 1–6, 2012, S. 69–75. Miu, Denny K., Mechatronics. Electromechanics and Contromechanics, New York 1993. Preumont, André, Mechatronics. Dynamics of Electromechanical and Piezoelectrical Systems, Dordrecht 2005. Selbstevaluierungsreport Mechatronik, verfasst anlässlich der Evaluierung des Maschinenbaus an den Österreichischen Universitäten, Johannes Kepler Universität Linz 2000. Weiß, Peter, Das Linzer Mechatronik-Konzept (als Handout verbreitete Schrift), Linz um 1990. Weiß, Peter, Das Linzer Mechatronik-Programm, in  : Blickpunkt Oberösterreich, Jg. 41, H. 1, 1991, S. 72–77.

Anmerkungen   1 Hans Irschik, Mechatronik  – Ausbildung und technischer Fortschritt, in  : Österreichische Ingenieurund Architekten-Zeitschrift, Jg. 157, H. 1–6, 2012, S. 69–75.   2 Mechatronics, unter  : https://en.wikipedia.org/wiki/Mechatronics, aufgerufen am 15.11.2016  ; Alan S. Brown, Who owns mechatronics  ?, in  : Mechanical Engineering Magazine, vol. 130, issue 6, 2008, pp. 24– 29.   3 Denny K. Miu, Mechatronics. Electromechanics and Contromechanics, New York, 1993, S. ixx.   4 André Preumont, Mechatronics. Dynamics of Electromechanical and Piezoelectrical Systems, Dordrecht 2005, S. xxiii.   5 Peter Weiß, Das Linzer Mechatronik-Konzept (als Handout verbreitete Schrift), Linz um 1990.   6 Ebd. sowie Peter Weiß, Das Linzer Mechatronik-Programm, in  : Blickpunkt Oberösterreich, Jg. 41, H. 1, 1991, S. 72–77, hier S. 74.   7 Peter Weiß, Das Linzer Mechatronik-Konzept (als Handout verbreitete Schrift), Linz um 1990.  8 Ebd.  9 Ebd. 10 Selbstevaluierungsreport Mechatronik, verfasst anlässlich der Evaluierung des Maschinenbaus an den Österreichischen Universitäten, Johannes Kepler Universität Linz 2000. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd.

262

25 Jahre Mechatronik

14 Ebd. 15 Evaluierung des Fachbereichs Maschinenbau an vier österreichischen Universitäten  : Bericht und Empfehlungen der Internationalen Kommission (Vorsitzender  : Univ.-Prof. Dr.-Ing. Prof. E.h. Dr.-Ing. E.h. Dr. h.c. E. Westkämper), Österreichisches Universitätenkuratorium, Wien 2001. 16 Ebd. 17 Für Informationen zum Studium der Mechatronik an der Johannes Kepler Universität Linz siehe  : Mechatronik an der Johannes Kepler Universität Linz, unter  : http://www.mechatronik.jku.at, aufgerufen am 16.11.2016. 18 ShanghaiRanking’s Global Ranking of Academic Subjects 2016 – Mechanical Engineering, unter  : http:// www.shanghairanking.com/Shanghairanking-Subject-Rankings/Mechanical-Engineering-2016.html, aufgerufen am 18.11.2016. 19 ShanghaiRanking’s Global Ranking of Academic Subjects 2016 – Electrical & Electronic Engineering, unter  : http://www.shanghairanking.com/Shanghairanking-Subject-Rankings/Electrical-Electronic-Engineering-2016.html, aufgerufen am 18.11.2016.

263

Erich Peter Klement/Peter Bauer/Ulrich Bodenhofer/Markus Mittendorfer-Holzer/ Robert Pollak/Roland Richter/Herbert Exner

PapaGeno – vollautomatische menschenähnliche Qualitätskontrolle für Aufdrucke auf Compact Discs

PapaGeno ist ein Prüfsystem zur Qualitätskontrolle für im Siebdruckverfahren hergestellte Aufdrucke auf einer Compact Disc (CD) bei Sony DADC (Anif, Thalgau). Die Software für diesen Entscheidungsprozess wurde von Mitarbeitern des Fuzzy Logic Laboratoriums Linz-Hagenberg (FLLL, Institut für Mathematik, JKU) ab 1994 in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Firma Uni Software Plus entwickelt. Die besondere Herausforderung bestand darin, unter engen Rahmenbedingungen in Bezug auf Laufzeit und verfügbaren Speicherplatz, nicht jede beliebige Abweichung der Drucke auszusortieren, sondern  – aus wirtschaftlichen Erwägungen  – nur jene, die Kunden und Kundinnen auch wirklich als störend empfinden würden. Dazu kamen außergewöhnliche hohe Anforderungen an die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Prüfergebnisse. Eine zentrale Rolle kam dabei der sogenannten Fuzzy Logic1 zu, einer mehrwertigen Logik, die nicht nur die beiden klassischen Wahrheitswerte 0 (»falsch«) und 1 (»wahr«), sondern auch alle Werte dazwischen, also ein Kontinuum von Wahrheitswerten kennt. Vor allem sprachliche Unschärfen lassen sich mit ihrer Hilfe modellieren, ebenso ist ein logisches Schließen auf der Basis unvollständiger, vager oder (teilweise) widersprüchlicher Informationen möglich. Damit können viele typisch »menschenähnliche« Entscheidungsprozesse in realen Situationen im Computer abgebildet werden. Das Prüfsystem wurde von Sony weltweit erfolgreich eingesetzt. In der Hochblüte der CD-Produktion um die Jahrtausendwende betrug der Marktanteil der mit PapaGeno vollautomatisch geprüften CD-Aufdrucke in Europa knapp 25 Prozent. Der Nutzen dieses Forschungsprojekts für die JKU im Allgemeinen und das FLLL im Besonderen lag vor allem in der Möglichkeit, vorhandenes, überwiegend theoretisches Wissen aus verschiedensten Bereichen der Mathematik und Informatik (nicht nur, aber insbesondere auch aus der Fuzzy Logic) zur Lösung eines ausgesprochen harten industriellen Prüfproblems einzusetzen. Dabei konnten viele (reale) Grenzen konzeptiver Ideen ausgelotet und unschätzbar wertvolle Erfahrungen über einen hochkomplexen Produktionsprozess gewonnen werden. Diese Grenzen und Erfahrungen (zusammen mit den während des Projekts gesammelten Daten) 265

Erich Peter Klement u. a.

lieferten wiederum – quasi als Rückkopplung – weitere wichtige Inputs für unsere eigenen Forschungsthemen. Für Laien immer wieder überraschend, aber sehr typisch für die Arbeitsweise der modernen Wissenschaft ist auch, dass ein mathematischer Begriff (die sogenannte Diskrepanz-Norm), der vor vielen Jahren in einem gänzlich anderen Kontext (der Gleichverteilung reeller Zahlen) entwickelt wurde, sich als außerordentlich nützliches Werkzeug für eine robuste, zuverlässige und automatisierbare Detektion von Kanten in digitalen Bildern herausstellt.

Problemstellung Einer der letzten Schritte bei der Produktion einer Compact Disc (CD) ist der Aufdruck eines Labels, das in der Regel Informationen zum Inhalt der CD (Musik, Video, Software etc.), aber auch graphische Objekte beliebiger Komplexität enthält. Dieser Aufdruck erfolgte zu Projektbeginn (1994) im Siebdruck (theoretisch bis zu sechs Farben, am häufigsten kamen Einfärber und Zweifärber sowie Vier- und Fünffärber vor  : weißer Hintergrund, Gelb, Magenta, Cyan und Schwarz). Später wurden derartige Labels auch auf andere optische Speichermedien, wie etwa auf Digital Versatile Discs (DVD) oder auf Blu-Ray Discs, aufgebracht, und es kamen auch weitere Druckverfahren, z. B. der Offsetdruck, zum Einsatz. Ziel war die Erstellung eines vollautomatischen Qualitätsprüfsystems für diese Aufdrucke, wobei die Prüfung und die Sortierung der geprüften CDs online, also während des Produktionsprozesses, erfolgen sollten. Für die Qualitätsprüfung dieser Aufdrucke gab es – außer dem Bestreben, im gesamten Produktionsprozess möglichst hohe Qualitätsstandards einzuhalten  – kaum technische Gründe  : die Lesbarkeit auch klein gedruckter Textinformation auf dem Label über den Inhalt der CD musste natürlich durch hervorragende Druckqualität gewährleistet werden, aber ein guter oder schlechter Aufdruck hatte keinerlei Einfluss auf die Qualität der auf der Rückseite aufgebrachten Musik- oder Videoaufnahmen. Vielmehr waren überwiegend ästhetische und Marketing-Überlegungen für diese Prüfung maßgeblich  : im Gegensatz zu Musik, Video oder Software, die auf einer CD gespeichert sind, ist das aufgedruckte Label ein gut sichtbares Merkmal, eigentlich bis auf die Verpackung und ein allfällig beigelegtes Booklet das einzige mit freiem Auge beurteilbare Merkmal. Natürlich wollen die Hersteller vermeiden, dass die Kunden und Kundinnen von einer allfälligen niedrigen Qualität des Aufdrucks (irrtümlich) auf eine schlechte Qualität der Musik oder der Videos schließen. Aus wirtschaftlichen Gründen sollten daher nur jene CDs aussortiert werden, deren Labels von den potenziellen Käufern und Käuferinnen als störend empfundene Fehler aufweisen. 266

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Abbildung 1: Siebdruckmaschine (Symbolfoto). Bildnachweis: Simon Weir, Alamy Stock Photo.

Ausgangssituation Die Firma Sony DADC produziert CDs in den Werken Anif (seit 1986) und Thalgau (seit 1991).2 Der Aufdruck der Label erfolgte anfangs ausschließlich im Siebdruck mit einer Frequenz von 50 Drucken pro Minute (Stand 1994). Jedes gedruckte Label wurde mit einer digitalen Videokamera aufgenommen. Die im Jahr 1994 verwendete Prüfmethode ordnete jedem Pixel auf der Grundlage eines vom Maschinen-Operator approbierten Master-Drucks je einen »Grauwert« (Sollwert) auf der Skala von 0 bis 255 (8-Bit-Auflösung) in den drei Farbkanälen Rot, Grün und Blau zu. Weiters wurde eine, für alle Pixel und alle Farbkanäle gleiche, universelle Toleranzschwelle für diese Grauwerte festgelegt sowie eine Maximalzahl an Pixeln, bei denen in einem (oder mehreren) der drei Farbkanäle die Abweichung vom Sollwert größer als die Toleranzschwelle sein durfte. Bei der eigentlichen automatischen Prüfung wurden nun alle CDs aussortiert, bei denen die vorher festgelegte Maximalzahl von fehlerhaften Pixeln überschritten wurde. Die Prüfung erfolgte äußerst rigoros, da eine der absoluten Qualitätsvorgaben war, dass die »False Negative Rate«, also der Ausschuss-Anteil an den vom System als »OK« klassifizierten Drucken, ein Promille nicht überschreiten durfte. 267

Erich Peter Klement u. a.

Dies hatte zur Folge, dass insgesamt viel zu streng geprüft wurde und im Schnitt über viele Aufträge etwa 3 Prozent der produzierten Menge als »NG« (= non-good) klassifiziert wurden (auch abhängig vom Design des Labels). Eine nochmalige, von Menschen durchgeführte Überprüfung des Ausschusses ergab in vielen Fällen, dass die beanstandeten Fehler für Menschen keineswegs störend waren  : von den ursprünglich aussortierten 3 Prozent waren im Schnitt 85 Prozent ohne erkennbaren Fehler. In der damaligen Diktion hieß das, dass die »Hitrate« des Systems lediglich 15  Prozent betrug (heute würde man im Machine Learning von einer »Precision« von 15 Prozent sprechen). Als praktische Konsequenz aus diesen Beobachtungen wurden alle vom System als »NG« aussortierten CDs von Inspektorinnen nochmals von Hand geprüft, wodurch sich der tatsächliche Ausschuss-Anteil meist deutlich reduzierte. Dies zeigte einerseits, dass die automatische Prüfung nicht treffsicher genug war und offenbar einen anderen Qualitätsstandard als den gewünschten (für Menschen störende Druckfehler) beurteilte. Andererseits war die Methode wegen der zusätzlich benötigten Arbeitskräfte für die Qualitätssicherung der Aufdrucke auch sehr kostenintensiv, was in der Zeit einer rasant steigenden CD-Produktion besonders ins Gewicht fiel. Daher bestand seitens Sony DADC der Wunsch nach einer möglichst vollautomatischen »intelligenten« Qualitätskontrolle, die »menschenähnliche« Entscheidungen liefert.

Projektteam Das Forschungsprojekt PapaGeno wurde als sogenanntes »Drittmittelprojekt” im Rahmen der Teilrechtsfähigkeit österreichischer Universitätsinstitute gemäß Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 1993 durchgeführt. Universitärer Partner war das Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg (FLLL) als Teil des Instituts für Mathematik3 der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), das im von Bruno Buchberger4 1989 gegründeten und bis 2013 geleiteten Softwarepark Hagenberg ansässig ist. Das FLLL brachte vor allem seinen Forschungsschwerpunkt, die vom JKU-Ehrendoktor Lotfi A. Zadeh (University of California, Berkeley) 1965 begründete Fuzzy Logic,5 in das Projekt ein. Darüber umfasste die Kompetenz des FLLL noch ein Methodenspektrum aus Mathematik (algebraische, analytische und stochastische Methoden), Signal- und Bildverarbeitung6 (Fourier-Transformation, Wavelets, etc.), Mustererkennung7 sowie weiteren Methoden der Künstlichen Intelligenz (neuronale Netzwerke, genetische Algorithmen8 und maschinelles Lernen9). Als Firmenpartner fungierte die damals ebenfalls im Softwarepark Hagenberg agierende Uni Software Plus (USP)10, die wie eine Marketing- und Vertriebsabteilung 268

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

des FLLL operierte und mit viel Industrieerfahrung als Schnittstelle zum Endverbraucher Sony DADC fungierte. USP warb die Projekte ein und arbeitete selbst mit einem forschungsnahen Mix von Marketing und Verkauf, der angepasste Modelle der Projektabwicklung (wie evolutionäres Prototyping11) und sowohl fix bepreiste Knowhow-Pakete als auch variable Komponenten (vor allem Qualitätstuning) umfasste. Seitens Sony DADC flossen das gesamte Fachwissen (domain knowledge) dieser internationalen Firma über die CD-Produktion im Allgemeinen und die Druckprozesse (vorerst nur Siebdruck, später auch Offsetdruck) im Besonderen sowie eine beeindruckende Hardware- und Integrations-Kompetenz in das gemeinsame Forschungsprojekt ein.

Projektspezifikation Die von Sony DADC gestellten Anforderungen an ein neues Qualitätsprüfsystem waren vielfältig und ambitioniert  : • Die Prüfung sollte vollautomatisch erfolgen und nur jene Drucke aussortieren, die für Menschen störende Fehler enthielten, • zur Vermeidung von Reklamationen musste der Ausschuss-Anteil an den vom System als »OK« klassifizierten Drucken kleiner als ein Promille sein, • die »Hitrate«, also der Anteil der tatsächlich schlechten Drucke unter den vom System als »NG« klassifizierten, musste deutlich höher sein als 15 Prozent, • das System musste so konfiguriert sein, dass es auch für zu erwartende größere Druckgeschwindigkeiten als 50 Drucke pro Minute geeignet ist. Menschen können die Qualität komplexer Vorgänge und Produkte aufgrund langer Lernprozesse oft recht gut beurteilen. Allerdings ist diese Beurteilung in vielen Fällen nicht ganz frei von subjektiven Komponenten. Will man nun Teile der Qualitätsbeurteilung dem Computer übertragen, so gilt es einerseits, mehr Objektivierbarkeit zu erzielen, andererseits aber, die typisch menschliche Sensibilität bei der Entscheidungsfindung zu bewahren. Dabei stellte sich heraus, dass mit rein analytischen Verfahren der Bildbearbeitung und der damals zur Verfügung stehenden Hardware die Anforderungen im Hinblick auf Genauigkeit, Geschwindigkeit und Menschenähnlichkeit nicht realisierbar waren. Die Erfüllung der höchst anspruchsvollen und komplexen Ansprüche seitens des Engineering und der Qualitätssicherung bei Sony DADC erforderte die geschickte Kombination unterschiedlichster moderner Methoden, wobei der Fuzzy Logic eine wesentliche Rolle zukam. 269

Erich Peter Klement u. a.

Die Möglichkeit zur Modellierung von Expertenwissen  – das oft nur in Form linguistischer Wenn-Dann-Regeln verfügbar ist  – und die für die Fuzzy Logic typischen gleitenden Übergänge zwischen »wahr« und »falsch« sind geeignete Hilfsmittel, um mit dem Computer menschenähnliche Entscheidungen in transparenter Weise mit geringem Rechenaufwand nachzubilden.

Hardware Sehr früh musste entschieden werden, welche Hardware für die Entwicklung und später für den industriellen Einsatz des Prüfsystems verwendet werden sollte. Aufgrund der (für die damalige Zeit außergewöhnlich strengen) Spezifikationen kamen auch theoretisch nur zwei für Bildverarbeitung ausgelegte Konfigurationen in Frage  : entweder ein System mit mehreren parallelen Prozessoren (Sony Grid), welches auf Assembler-Ebene programmiert werden musste, um seine Parallelität gut ausnutzen zu können, oder ein Standard-PC unter Windows mit einer speziellen Bildverarbeitungskarte der deutschen Firma Stemmer Imaging mit Sitz in Puchheim bei München. Diese Karte hatte eine Anzahl spezialisierter DSPs, die speziell für Bildverarbeitung optimiert waren. Als Alternative dazu stand noch die Verwendung einer General Purpose Workstation der US-Firma Silicon Graphics (SGI) zur Diskussion, welche allgemein in C/ C++ programmierbar, aber speziell für hohe Graphikleistung optimiert war. Im Zuge einer sorgfältigen, von allen Projektpartnern getragenen Analyse stellte sich heraus, dass mit den oben erwähnten speziellen Hardware-Konfigurationen (zusammen mit den gegenüber einer Workstation eingeschränkten Software-Möglichkeiten) die ambitionierten Projektziele aller Voraussicht nach nicht erreicht werden könnten. Daher fiel schlussendlich die Entscheidung zugunsten der Graphik-Workstation Indy von Silicon Graphics unter IRIX, die im Jahr 1993 in den USA auf den Markt gekommen war und das »Low-End« der SGI-Produktpalette bildete. Die Workstations von SGI wiesen besonders hohe 2D- und 3D-Graphikleistungen auf und waren daher für Visualisierungs- und Bildsynthese-Anwendungen in Forschung und Entwicklung sowie in der Unterhaltungsindustrie prädestiniert.12 Insgesamt überstieg die Graphikleistung der Indy die Möglichkeiten der damals verfügbaren PC-Hardware bei weitem. Eine genauere Beschreibung dieser Workstation und der verwendeten Peripherie-Geräte findet sich im Anhang.

270

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Qualitätskontrolle Die Qualitätskontrolle der Label auf einer CD erfolgte in folgenden Schritten. Vor dem Beginn des Seriendrucks wurde vom Maschinen-Operator ein Master-Design des Aufdrucks ausgewählt. Zur Erstellung einer Referenz, gegen die geprüft werden konnte, wurde dieses Design mit der Videokamera aufgenommen und mit unserem Algorithmus segmentiert. Nach Bedrucken der ersten CD wurde das Label mit der Kamera aufgenommen, mit der Referenz verglichen und die CD – je nach Entscheidung – durch einen Roboter auf dem »OK«- bzw. »NG«-Stapel abgelegt. Dann wurde die nächste CD bedruckt und mit ihr in gleicher Weise verfahren.

Aufnahme des Label-Drucks Die Datenmenge pro Aufnahme betrug rund 1,5 Megabyte (MB) bei einer räumlichen Auflösung von 720 × 576, und ein Pixel – also ein einzelner Bildpunkt der entstandenen digitalen Rastergraphik – entsprach dabei ungefähr 0,04 mm2.

Segmentierung des Masters Ein entscheidender Nachteil der zu Projektbeginn verwendeten Prüfmethode war, dass jedes einzelne Pixel gleich streng geprüft wurde. Damit wurden auffällige Abweichungen vom Master, die etwa in einer farblich homogenen Umgebung oder im Bereich von Kanten lagen, gleich bewertet wie weniger auffällige Abweichungen in weniger sensiblen Umgebungen. Die Ingenieure von Sony DADC schlugen daher vor, die einzelnen Pixel mehr oder weniger streng zu prüfen, je nachdem, wie sensibel der Bereich war, in dem sich das geprüfte Pixel befand. Das setzte eine Segmentierung des Masters voraus, für die folgende vier Bereiche festgelegt wurden, die mit ansteigender Toleranz geprüft werden sollten  : • Homogen  : mit einer Farbe gleichmäßig bedruckter Bereich  ; • Kante (Edge)  : Bereich von Pixeln, die auf oder in unmittelbarer Nähe einer visuell signifikanten Kante liegen  ; • Raster (Halftone)  : Bereich, der aus einer gewissen Distanz homogen aussieht, aber durch das Drucken kleiner Rasterpunkte in zwei oder mehr Farben entsteht  ; • Aquarell (Picture)  : Bereich von Rasterpunkten mit großen chaotischen Abweichungen, insbesondere kleine Details mit großen Kontrasten.

271

Erich Peter Klement u. a.

Natürlich mussten homogene Bereiche am strengsten (also mit der kleinsten Toleranz) geprüft werden, und Aquarellbereiche am wenigsten streng. Kantenbereiche kamen z. B. auch bei Buchstaben vor (die auf den Labels oft sehr klein ausfielen), und deren relativ strenge Prüfung war im Hinblick auf die Lesbarkeit von Texten wichtig, sodass dafür kleinere Toleranzen als für Rasterbereiche gewählt wurden. Um nun algorithmisch zu bestimmen, in welchem dieser vier Bereiche ein bestimmtes Pixel des Masters lag, wurden die acht nächsten Nachbar-Pixel dieses Pixels betrachtet (die mit diesem ein 3×3-Quadrat bildeten). Erste Versuche und Analysen ergaben, dass in homogenen Bereichen die Farbwerte der acht nächsten Nachbarn in den drei Farbkanälen Rot, Grün und Blau (jeweils auf einer Skala von 0 bis 255) nur wenig streuten, während sie in Rasterbereichen eine mittlere und in Aquarellbereichen eine hohe Streuung aufwiesen. Der Unterschied zwischen Raster- und Aquarellbereichen einerseits und Kantenbereichen andererseits lag darin, dass erstere typischerweise eine kleine Anzahl zusammenhängender lokaler Maxima zeigten, während die lokalen Maxima der letzteren eher chaotisch angeordnet waren. Daher wurden für jedes einzelne Pixel aus den Farbwerten seiner acht nächsten Nachbarn nun zwei Kenngrößen (Features) berechnet, und zwar ein Streuungs-Parameter S, der durch die Summe der Varianzen der Farbwerte der acht nächsten Nachbar-Pixel über die drei Farbkanäle definiert ist, und ein Kantigkeits-Parameter K, der auf der vor 100 Jahren von Hermann Weyl erstmals beschriebenen Diskrepanz-Norm13 beruht.14 Dem Streuungs-Parameter wurden drei linguistische »Werte« zugewiesen (klein, mittel und groß), die durch (paarweise überlappende) Fuzzy-Teilmengen15 des Intervalls [0,255] modelliert wurden, während für den Kantigkeits-Parameter sogar mit zwei Werten (klein und groß) das Auslangen gefunden werden konnte. Es ergab sich ein sehr schön interpretierbares Fuzzy-System vom Typ Mamdani mit max-min-Inferenz,16 dessen fünf Entscheidungsregeln (Regelbasis) folgendermaßen lauteten  : Regel 1:

WENN

S ist klein

Regel 2:

WENN

S ist mittel

UND

K ist groß

DANN

Output = Homogen

DANN

Output = Kante

Regel 3:

WENN

S ist groß

UND

K ist groß

DANN

Output = Kante

Regel 4:

WENN

S ist mittel

UND

K ist klein

DANN

Output = Raster

Regel 5:

WENN

S ist groß

UND

K ist klein

DANN

Output = Aquarell

Dieses Fuzzy-System ermittelte für jedes Pixel des digitalen Masters aus den beiden Eingangsgrößen (Streuungs-Parameter S und Kantigkeits-Parameter K) als Ausgangsgröße jenen Bereich (Homogen, Kante, Raster oder Aquarell), dem das Pixel zuzuordnen war. 272

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Die so modellierte Segmentierung war besonders gut geeignet, um echte Kanten von Scheinkanten zu unterscheiden, die die meisten konventionellen Kantendetektoren aufgrund des Raster-Musters detektiert hätten.17 Der hier beschriebene Segmentierungsalgorithmus wurde nur auf bedruckte Bereiche der Discs angewendet. Unbedruckte Bereiche, in denen die metallische Oberfläche zu sehen war, wurden durch einen besonderen optischen Trick detektiert, bei dem ausgenutzt wurde, dass die spiegelnde Oberfläche das Licht gerichtet reflektiert, während der Druck das Licht diffus streut.

Das Prüfsystem Bei der laufenden Prüfung wurde die Disc mit der Videokamera aufgenommen, sobald sie im Prüfsystem angekommen war. Als erstes wurden die Abweichungen des Bildes vom Master-Druck berechnet. Pixel, bei denen die Toleranzen überschritten wurden, wurden als potenziell »NG« vorklassifiziert. Die Größe der Toleranzen wurde, wie schon erwähnt, für jedes Pixel auf Basis der Segmentierung festgelegt. Abweichungen, die nicht größer als zwei zusammenhängende Pixel waren, wurden von vornherein als tolerabel betrachtet und daher nicht weiter berücksichtigt. Alle nach dieser Filterung verbleibenden Abweichungen wurden nach Bereichstyp, also Homogen, Kante, Raster, Aquarell und Unbedruckt, getrennt betrachtet. Für alle Bereichstypen wurden Gesamtfehlerfläche und ein mittlerer Fehlerkontrast berechnet. Diese beiden Parameter wurden jeweils mit einem Fuzzy-System klassifiziert. Dabei kamen für jeden der Bereichstypen unterschiedliche Fuzzy-Mengen und Regeln zur Anwendung, da die Beurteilung der Abweichungen, abhängig vom Bereichstyp, unterschiedlich streng zu sein hatte. Die einfache Interpretierbarkeit der Fuzzy-Systeme erwies sich dabei bei der Optimierung der Prüfparameter als großer Vorteil. Letztendlich wurde auf Basis aller Prüfresultate der einzelnen Bereichstypen eine Gesamtentscheidung getroffen. Diese Entscheidung war binär – »OK« oder »NG«. Die kontinuierlichen, von den Fuzzy-Systemen gelieferten Qualitätswerte wurden zwar durch diese Entscheidung binärisiert, fanden aber dennoch eine wichtige Verwendung  : aus den kontinuierlichen Qualitätswerten wurde über ein Zeitfenster von drei bis vier Discs eine Tendenz ermittelt. Hatte sich die Qualität dabei tendenziell verschlechtert, wurde an die Operatoren eine Warnung ausgegeben. Dadurch wurde ein aktiver Beitrag zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung geleistet, der über die reine Qualitätskontrolle weit hinausging. Das System PapaGeno erlaubte weiters, im Expertensystem verschiedene zusätzliche Werkzeuge zur Überwachung und Optimierung des Prüfsystems mitlaufen zu lassen, z. B. eine Lupe, mit der man einzelne Abweichungen der Drucke vom Mas273

Erich Peter Klement u. a.

Abbildung 2: Screenshot PapaGeno: Klassifikation »NG«. Master (links, aus urheberrechtlichen Gründen verfremdet), kumulierte Fehler (rechts, grün = unbedruckt, pink = Abweichung vom Master). Bildnachweis: Robert Pollak.

ter genau visualisieren und analysieren konnte. Hier zeigte sich die Überlegenheit der gewählten Hardwareplattform ganz besonders  : auf einer DSP-basierten Spezialhardware wären solche Funktionalitäten unmöglich gewesen. Auf einer komfortablen X-Windows-Oberfläche wie in irix, gepaart mit den Graphikfähigkeiten der SGI-Workstations, waren sie aber relativ einfach zu realisieren.

Rahmenbedingungen und regionale Besonderheiten Eine wesentliche rechtliche Voraussetzung, die dieses Projekt erst möglich gemacht hat, war die seit den 1980er Jahren bestehende Teilrechtsfähigkeit der Universitätsinstitute (später im Universitätsgesetz 2002 zur Vollrechtsfähigkeit der Universitäten erweitert), die es den Instituten und ihren Vorständen ermöglichte, Verträge mit Dritten (z. B. für die Durchführung von Forschungsprojekten) abzuschließen und die Erlöse selbstständig zu verwenden, etwa zur Bezahlung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, zum Ankauf von Geräten oder zur Anmietung zusätzlicher Räume. 274

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Eine wichtige Komponente ergab sich aus einem hohen »Leidensdruck« des CDProduzenten, da das existierende Prüfsystem zwar kaum fehlerhafte Drucke »durchrutschen« ließ, aber nur eine geringe Treffsicherheit im Hinblick auf tatsächlich störende Fehler aufwies, sodass eine zeit- und kostenintensive zweite (manuelle) Prüfung der vom System aussortierten Drucke erforderlich war. Als äußerst positiver Faktor erwies sich der damals junge Softwarepark Hagenberg, den Bruno Buchberger nach der 1989 erfolgten Übersiedlung seines Institut für Symbolisches Rechnen (Research Institute for Symbolic Computation, RISC)18 in das vom Land Oberösterreich großzügig renovierte Schloss Hagenberg konzipierte und bis 2013 auch selbst leitete. Der Softwarepark vereinte Firmen, Ausbildungseinrichtungen und Forschungsinstitute zum Thema Software auf engstem Raum, und die Folge war eine bisher nie gekannte Aufbruchsstimmung. Uni Software Plus und das FLLL zählten zu den ersten Mietern im ehemaligen Meierhof des Schlosses Hagenberg, was die Kooperation in diesem Projekt stark begünstigte. Dazu kam noch eine über die damals neu gegründete Technologie- und Marketing-Gesellschaft (TMG)19 abgewickelte Landesförderung für Universitätsinstitute, die mit oberösterreichischen Firmen in Drittmittelprojekten kooperierten – dies ermöglichte dem FLLL, seine Hardware-Ausstattung rasch zu erweitern. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass in den 1990er Jahren die Fuzzy Logic eine Blütezeit erlebte. Positive Erfahrungen bei der Steuerung von U-Bahnen in Japan und von Geräten der Konsum- und Unterhaltungselektronik begünstigten die Akquisition von Drittmittelprojekten, wobei allerdings auch angemerkt werden muss, dass im Hype um die Fuzzy Logic von manchen Medien teilweise weit überzogene Erwartungen geweckt wurden.

Die handelnden Personen Hauptansprechpartner bei Sony DADC war der leider bereits verstorbene Hermann Hochfilzer, ein Mitarbeiter der ersten Stunde in Anif, der sich mit seiner außerordentlich hohen fachlichen Kompetenz für diese Kooperation engagierte und mit Hartnäckigkeit die Sony-eigenen, extrem hohen Qualitätsansprüche an den komplexen Druckprozess von allen Partnern einforderte, aber auch selbst zu jeder Unterstützung bereit war. Uni Software Plus fungierte, ausgestattet mit viel Verhandlungsgeschick und reicher Industrieerfahrung, als Schnittstelle zwischen dem CD-Produzenten und dem Universitätsinstitut. Seitens des FLLL war ein junges Team am Institut (großteils Mathematik- und Informatik-Studierende in ihren Abschlusssemestern) im Projekt PapaGeno engagiert. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen konnten sich auf die Lösung des (Software-) 275

Erich Peter Klement u. a.

Problems konzentrieren und kompensierten die fehlende Industrieerfahrung durch Unbekümmertheit und eine ausgeprägte Fähigkeit, beim Denken eingefahrene Bahnen zu verlassen.

Einsatz von PapaGeno und weitere Zusammenarbeit mit Sony DADC Der Name PapaGeno war ursprünglich ein Akronym für »Print Analyzing Program Applying GENetic algOrithms«, da anfangs eine genetische Optimierung der Segmentierungsparameter angedacht war.20 Später wurden die genetischen Algorithmen aus dem Namen entfernt und PapaGeno stand dann – nur mehr sehr frei als Akronym interpretierbar – für »Print Analyzing Program Applying Fuzzy Logic«. Die im Projekt gemeinsam entwickelte Segmentierung ermöglichte eine vollautomatische Prüfung aller produzierten Aufdrucke (ohne dass eine menschliche Nachkontrolle erforderlich gewesen wäre), wobei a priori für die vier Bereiche Homogen, Kante, Raster und Aquarell unterschiedliche Toleranzintervalle festgelegt wurden. Dies führte zu einer Senkung des Anteils der aussortierten Drucke von 3 Prozent auf unter 1 Prozent. Insgesamt ergab sich so ein sehr robustes System, für das beim Wechsel des Druck-Designs keine Neu-Kalibrierung erforderlich war, da es sich automatisch an das jeweilige Design anpasste. Aufgrund des Erfolges von PapaGeno wurde 1996 eine Entwicklungspartnerschaft zwischen Sony DADC, Uni Software Plus und dem FLLL abgeschlossen. Im Rahmen dieser Partnerschaft wurden zusätzliche Leistungen in PapaGeno inte­griert  : etwa eine Fehler-Früherkennung zur Vermeidung von Siebrissen (ein anfangs tolerabler Fehler an immer derselben Stelle wird kontinuierlich größer), ein automatisches Verfahren zur Siebeinrichtung, um die Umrüstzeiten zwischen zwei Chargen deutlich zu senken, ein integrierter Barcode-Reader und anderes mehr. Es folgte ab dem Jahr 2000 eine mehrjährige Kooperation der drei Partner innerhalb des Software Competence Center Hagenberg (SCCH)21 im Projekt »Inspire.«22 Ein erster Schritt in diesem Projekt war die Portierung des PapaGeno-Systems von Indy-Workstations unter dem Betriebssystem irix hin zu handelsüblichen (und wesentlich kostengünstigeren, allerdings auch etwas leistungsschwächeren) IntelRechnern unter Windows XP mit Matrox-Graphikkarten. Diese Version 3.0 von PapaGeno war Ausgangspunkt für eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Software bis etwa zum Jahr 2011. Zunächst wurde das Prüfsystem in das Produktionsleitsystem von Sony DADC integriert. Das PapaGeno-System tauscht nunmehr Daten mit mehreren verteilten Rechnern aus, angefangen von den Servern, die die Designs der Drucke in digitaler 276

Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Form zur Verfügung stellen, bis hin zu den Datenbanken, die Informationen über Aufträge, Stückzahlen und Qualitätsparameter enthalten. Über die Jahre hat sich die Taktrate von anfangs 50 hin zu 160 Drucken pro Minute erhöht, und naturgemäß musste das Prüfsystem mit dieser Beschleunigung Schritt halten. Da in einem Taktzyklus auch Zeiten für das Handling der Disc enthalten sind, muss das Ergebnis der Qualitätsprüfung (»OK« oder »NG«) in weniger als 300  Millisekunden zur Verfügung stehen  – heute sind mittlere Laufzeiten von 140 Millisekunden pro Prüfung typisch. Mehrere neue Disc-Formate wurden im Lauf der Zeit berücksichtigt. Während DVD- und Blu-Ray-Discs dieselbe Geometrie wie CDs (Durchmesser 12 cm) haben und dafür nur geringfügige Anpassungen nötig waren, machte die 2004 vorgestellte Universal Media Disc (UMD) für die PlayStation »Portable« mit einen Durchmesser von nur 6 cm größere Umstellungen erforderlich. In den 2000er Jahren wurde der Anteil des höherwertigen Offsetdrucks gegenüber dem Siebdruck kontinuierlich größer. Beim Offsetdruck treten einige spezielle Fehlerarten auf, die beim Siebdruck nicht vorkommen (und umgekehrt). Ein typisches Beispiel  : Beim Offsetdruck ändert sich die Farbsättigung des Aufdrucks – und damit der gesamte Farbeindruck – langsam, aber kontinuierlich, über mehrere hundert Drucke hinweg – die Qualität des Drucks beginnt zu »driften«. Das bedeutet noch nicht, dass solche Drucke allesamt fehlerhaft wären. Ein einzelner Druck sieht für das menschliche Auge nämlich unauffällig aus, auffallend wird die Drift erst, wenn man etwa die erste neben die tausendste Disc legt. Auch bei der Prüfung dieser Fehlerart kam wieder der Grundgedanke des PapaGeno-Systems zum Ausdruck  : als »NG« ist ein Druck erst dann zu bewerten, wenn er dem menschlichen Eindruck nach fehlerhaft ist. Das Prüfsystem PapaGeno wird von Sony DADC nach wie vor eingesetzt. Der Marktanteil der Firma in Europa betrug auf dem Höhepunkt der CD-Produktion um die Jahrtausendwende knapp 25 Prozent. Vor zehn Jahren war PapaGeno auf ca. 65 Produktionslinien weltweit installiert und prüfte in Summe etwa zwei Milliarden Aufdrucke jährlich. Seit dieser Zeit ist aber auch ein Rückgang der Produktionszahlen spürbar. Die Problemstellungen von Sony DADC rund um das PapaGenoSystem haben seither allerdings auch weitere Forschungsaktivitäten ausgelöst, etwa hinsichtlich des automatischen Lernens von Prüfparametern und verschiedener Aspekte der Mensch-Maschine-Interaktion. Daher kooperierten – und kooperieren – Sony DADC und FLLL unter der Gesamtkoordination von Profactor Steyr im Rahmen des EU-STRP-Projekts »Dyna­ Vis«23 (2005–2008) sowie in den beiden von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekten »UseML«24 (2013–2015) und »mvControl«25 (seit 2015). Die beiden letzteren beschäftigen sich, nach dem weltweiten Rückgang der CD-Produktion, mit der Qualitätskontrolle von MikrofluidikChips, der neuen Produktlinie von Sony DADC in Anif. 277

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Über das ursprüngliche Forschungsprojekt und die Grundideen des Prüfsystems PapaGeno wurde auf mehreren internationalen Tagungen berichtet, und zwar erstmals während des Thirteenth European Meeting on Cybernetics and Systems Research 1996 (EMCSR)26 in Wien27 und dann auch noch in Granada28, New Orleans29, Prag30 und Dortmund31 – die dazu gehörigen Publikationen erschienen in den entsprechenden Tagungs- und Sammelbänden. Auch die nachfolgenden Forschungsprojekte mündeten in eine Reihe von Publikationen (stellvertretend seien hier nur32 und33 genannt).

Ein paar Gedanken aus heutiger Sicht Eine rückblickende Beurteilung dieses Projekts muss immer die durch die vor gut 20 Jahren existierenden Beschränkungen der zur Verfügung stehenden Hardware berücksichtigen. Selbstverständlich ist es heute möglich, ähnliche und komplexere Projekte auf Laptops und teilweise Smartphones in Echtzeit abzuwickeln, siehe z. B. die von Facebook entwickelte Online-Gesichtserkennung.34 Gigantische Fortschritte bei der Miniaturisierung und Beschleunigung der Hardware-Komponenten, aber auch in methodischer Hinsicht, und zwar sowohl im analytischen Bereich als auch beim maschinellen Lernen (Stichwort Deep Learning), machten das möglich. Dennoch war das Prüfsystem PapaGeno eine unkonventionelle, von vielen für unmöglich gehaltene Lösung einer anspruchsvollen Aufgabe in der optischen Qualitätskontrolle, die sich seit vielen Jahre im harten industriellen Produktionseinsatz unter laufend steigenden Anforderungen bewährt. Bewährt hat sich auch die langjährige Kooperation des industriellen Partners Sony DADC mit dem FLLL bzw. dem Institut für Wissensbasierte Mathematische Systeme, die  – in wechselnden Konstellationen  – seit 1994 bis heute besteht. An dieser Zusammenarbeit lassen sich die Vorteile des sogenannten Drittmittelbereichs der JKU für beide Seiten festmachen  : der industrielle Partner, Sony DADC, konnte Fragestellungen aus der Produktion in diverse industrienahe Forschungsprojekte einbringen und die neuesten Ergebnisse umgehend wieder in seinen Produktionsprozess integrieren. Die JKU wiederum profitierte zunächst natürlich durch die nicht gering zu schätzenden Ressourcen eines global tätigen Unternehmens. Beinahe noch wertvoller war aus Sicht eines wissensbasierten Forschungsinstituts aber ein anderer Rohstoff  : eine Fülle von Informationen über einen industriellen Produktionsprozess, verknüpft mit dem umfangreichen Fachwissen der Ansprechpersonen bei Sony DADC.

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Fuzzy Logic und das Projekt PapaGeno

Anhang: Im Projekt eingesetzte Hardware Die Graphik-Workstation SGI  Indy verwendete wie alle damaligen SGI-Workstations das Betriebssystem irix, eine unix-Variante mit einer auf dem X-WindowSystem basierenden graphischen Benutzer-Oberfläche. Darin waren die RISC-Prozessoren R4400, R4600 und (später) R500035 von MIPS36 verbaut. RISC-Prozessoren bildeten zu dieser Zeit die Spitze der Forschung in Bezug auf die Performance von Prozessorleistung. Der Hauptspeicher der SGI Indy umfasste 32 MB, für die Bildverarbeitung stand eine 8-Bit-Graphik mit einer maximalen Auflösung von 1280 × 1024 Pixel zur Verfügung. Über die sogenannte SGI-Vino-Schnittstelle waren Composite, S-Video und Digital Video direkt am Motherboard ansprechbar. Über die digitale Schnittstelle konnte die SGI IndyCam angeschlossen werden, mit der auch die erforderliche Datenübertragung in Echtzeit erreicht werden konnte. Allerdings waren weder die Auflösung noch die Qualität der Farbauflösung der IndyCam für die Anwendung im Projekt ausreichend. Daher wurde für die Aufnahme der Aufdrucke eine herkömmliche 3-Chip-CCDKamera von Sony mit einer räumlichen Auflösung von 768 × 684 Pixel und einer Farbauflösung von einem Byte pro Farbkanal (das entspricht 256 Stufen pro Farbkanal) eingesetzt. Das Problem, dass mit dieser Kamera die Datenübertragung in Echtzeit ursprünglich nicht gewährleistet war, wurde erst mit Hilfe des von der US-amerikanischen Firma Miranda entwickelten Videokonverters gelöst  : ein digitales Signal (CCIR-601 Serial Digital Interface) wurde vom Mindy-Konverter übernommen und für das SGI-Interface konvertiert. Vor der Serienreife dieses Konverters existierten in Europa nur zwei Prototypen davon, einer beim FLLL in Hagenberg und einer bei Sony DADC in Anif. Die Kommunikation mit der speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) simatic von Siemens des Roboters, der am Ende des Prüfvorgangs die geprüften CDs (je nach Prüfergebnis) auf dem »OK«- bzw. »NG«-Stapel ablegte, war anfangs über die standardisierte Centronics-Schnittstelle geplant. Allerdings erreichte die Centronics die von dieser Schnittstelle geforderte Bandbreite von 24 In/24 Out nicht, sodass in weiterer Folge auf eine Kommunikation mittels serieller Schnittstelle umgestellt wurde. Der resultierende Verlust an Laufzeit-Performance wurde durch eine flexiblere Handhabung kompensiert.

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Anmerkungen   1 Rudolf Seising, Die Fuzzifizierung der Systeme. Die Entstehung der Fuzzy Set Theorie und ihrer ersten Anwendungen – Ihre Entwicklung bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2005.   2 Sony DADC gehört zur Sony Corporation mit Sitz in Minato (Tokio).   3 Das FLLL war nach der Teilung des Instituts für Mathematik ab 1998 eine Abteilung des Instituts für Algebra, Stochastik und Wissensbasierte Mathematische Systeme der JKU und ist, nach der Teilung auch dieses Instituts, ab 2004 im Institut für Wissensbasierte Mathematische Systeme der JKU aufgegangen.   4 Bruno Buchberger, Mathematik – Management – Meditation, Wien 2016.   5 Lotfi A. Zadeh, Fuzzy Sets, in  : Information and Control, vol. 8, 1965, S. 338–353.   6 Azriel Rosenfeld and Avinash C. Kak, Digital Picture Processing, vol. 2, Orlando 19822.   7 James C. Bezdek and Sankar K. Pal, Fuzzy Models for Pattern Recognition  : Methods That Search for Structures in Data, New York 1992.   8 John H. Holland, Adaptation in Natural and Artificial Systems, Cambridge MA 1992.   9 Tom Mitchell, Machine Learning, New York NY 1997. 10 Uni Software Plus übersiedelte 2002 nach Linz und ist seit 2014 in Perg tätig. 11 Frederick P. Brooks, The Mythical Man-Month, Boston 1995. 12 Unter anderem kamen sie damals auch bei den Hochrechnungen und Analysen des ORF im Rahmen von Nationalratswahlen zum Einsatz. 13 Hermann Weyl, Über die Gleichverteilung von Zahlen mod. Eins, in  : Mathematische Annalen, Bd. 77, 1916, S. 313–352. 14 Siehe auch Helmut Neunzert and Brian Wetton, Pattern Recognition Using Measure Space Metrics, Universität Kaiserslautern, Fachbereich Mathematik, Technical Report 28, Kaiserslautern 1987. 15 Rudolf Kruse u. a., Fuzzy-Systeme, Stuttgart 1993. 16 Ebrahim H. Mamdani and Seto Assilian, An Experiment in Linguistic Synthesis With a Fuzzy Logic Controller, in  : International Journal of Man-Machine Studies, vol. 7, 1975, S. 1–13. 17 Peter Bauer et al., A Fuzzy Algorithm for Pixel Classification Based on the Discrepancy Norm, in  : Proceedings Fifth IEEE International Conference on Fuzzy Systems fuzz-ieee ’96, vol.  3, New Orleans 1996, S. 2007–2012. 18 In seinem Buch Mathematik – Management – Meditation, S. 108, schreibt Bruno Buchberger, dass die Kooperation mit Herbert Exner Anlass zur Gründung des RISC war. 19 Die TMG heißt seit 2015 Business Upper Austria – OÖ Wirtschaftsagentur GmbH. 20 Peter Bauer et al., A Fuzzy System for Image Pixel Classification and its Genetic Optimization, in  : Robert Trappl (ed.), Cybernetics and Systems ’96, vol. 1, Wien 1996, S. 285–290. Siehe auch Ulrich Bodenhofer and Erich Peter Klement, Pixel Classification  : A Fuzzy-Genetic Approach, in  : Proceedings Seventh IFSA World Congress ’97, vol. 4, Prague 1997, S. 38–43  ; Ulrich Bodenhofer and Erich Peter Klement, Genetic Optimization of Fuzzy Classification Systems – A Case Study, in  : Bernd Reusch and Karl-Heinz Temme (eds.), Computational Intelligence in Theory and Practice, Heidelberg 2001, S. 183–200. 21 Das SCCH wurde 1999 auf Initiative mehrerer Mathematik- und Informatik-Institute (darunter das FLLL) der JKU als Kplus-Zentrum gegründet und ist seit 2008 ein K1-Zentrum im Rahmen des ­C OMET-Programms der österreichischen Bundesregierung. 22 Inspire ist ein Akronym für »INSpection of Prints In REal Time«. 23 DynaVis steht für »Dynamically Reconfigurable Quality Control for Manufacturing and Production Processes Using Learning Machine Vision«. 24 UseML ist ein Akronym für »Usability of Machine Learning in Industrial Inspection Systems«. 25 mvControl steht für »Generating Process Feedback from Heterogeneous Data Sources in Quality Control«.

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26 Bauer et al., A Fuzzy System for Image Pixel Classification and its Genetic Optimization. 27 Für diese Präsentation wurde Ulrich Bodenhofer mit einem »Best Paper Award« ausgezeichnet. 28 Peter Bauer et al., A Fuzzy Method for Pixel Classification and its Application to Print Inspection, in  : Proceedings IPMU ’96, Information Processing and Management of Uncertainty in Knowledge-Based Systems, vol. 3, Granada 1996, pp. 1301–1305. 29 Bauer et al., A Fuzzy Algorithm for Pixel Classification Based on the Discrepancy Norm. 30 Bodenhofer and Klement, Pixel Classification  : A Fuzzy-Genetic Approach. 31 Bodenhofer and Klement, Genetic Optimization of Fuzzy Classification Systems. 32 Davy Sannen et al., An On-Line Self-Adaptive and Interactive Image Classification Framework, in  : Antonios Gasteratos et al. (eds.), Computer Vision Systems. Proceedings 6th International Conference, ICVS 2008 Santorini, Berlin 2008, pp. 171–180. 33 Edwin Lughofer et al., On Human-Machine Interaction During Online Image Classifier Training, in  : Proceedings 2008 International Conference on Computational Intelligence for Modelling Control & Automation, Vienna 2008, pp. 995–1001. 34 Yaniv Taigman et al., DeepFace  : Closing the Gap to Human-Level Performance in Face Verification, in  : Proceedings 2014 IEEE Conference on Computer Vision and Pattern Recognition, Columbus (CVPR), Piscataway NJ 2014, pp. 1701–1708. 35 In einer noch späteren Projektphase wurden am FLLL auch SGI O2-Workstations mit R10000-Prozessor verwendet. 36 Die 1984 in Mountain View, CA, gegründete Firma MIPS Computer Systems war 1992 zur Gänze von SGI übernommen worden.

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Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation – ein autobiographischer Essay

»Wie entsteht Neues in der Wissenschaft  ?« ist eine schnell gestellte Frage, die sich bei genauer Betrachtung einer einfachen Antwort entzieht. Wissenschaft wird von Menschen für Menschen gemacht. Deshalb möchte ich auch nicht in einer tiefschürfenden Analyse der Frage nachgehen, sondern stattdessen meinen persönlichen Weg zur Wissenschaft schildern, darauf eingehen, welche Personen dabei entscheidend waren und wie all dies zusammen meinen Ansatz, Neues in der Wissenschaft zu finden, geprägt hat. Der Titel verrät bereits, was mir dabei besonders wichtig ist  : die Bereitschaft, Wagnisse einzugehen und dabei auch zu akzeptieren, dass Scheitern für das Vorankommen in der Wissenschaft unabdingbar ist, die Ahnungslosigkeit als Triebfeder des wissenschaftlichen Fortschritts zu erkennen und dies mit einem spielerischen Zugang und mit neuen Ideen und Konzepten zu verbinden. In meiner Forschungsgruppe gehen wir deshalb bei unseren Arbeiten oft nicht von einem klar definierten Problem aus. Ja, wir haben in der Regel nicht einmal eine wissenschaftliche Methodik zur Hand, sondern nur eine Frage. Dies steht natürlich im schroffen Gegensatz zur inzwischen etablierten Vorgehensweise in der Wissenschaft, die klar formulierte wissenschaftliche Hypothesen, eine wohldefinierte Methodik zur Überprüfung von Hypothesen und einen genauen Arbeits- und Zeitplan vorsieht.1 In gewisser Weise ist unser Ansatz, Wissenschaft zu betreiben, ein Aufdie-Spitze-Treiben von Paul Feyerabends Slogan »Anything goes« aus seinem provokanten Buch »Wider den Methodenzwang.2 Neugierig geworden  ? Dann hoffe ich, dass es Ihnen eine Freude ist, meinen Essay zu lesen, der Sie vielleicht auch zum Nachdenken über die Wurzeln von meinem wissenschaftlichen Selbstverständnis und meinen Zugang zum Erkenntnisgewinn (und jenem meines Teams) anregt. Aufgewachsen als jüngstes Kind einer Arbeiterfamilie mit Nebenerwerbslandwirtschaft hatte ich keinerlei Berührung zur akademischen Welt, aber Eltern, die den Wert von Bildung sehr schätzten und mich deshalb ermutigten, das Gymnasium zu besuchen. Als Schüler war ich in der Unterstufe mittelmäßig, meine beste Note war ein »Befriedigend« in Mathematik. Ein monatelanger Spitalsaufenthalt, der mich über die gesamten Sommerferien bis in den Herbst zur Bewegungslosigkeit verdammte, führte mich schließlich zur Mathematik und Physik. Um nicht vor 283

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Langeweile wahnsinnig zu werden, bat ich meine Mutter, mir Physik- und Mathematikbücher mitzubringen. Radio oder gar Fernsehen im Spitalszimmer gab es zu der Zeit zum Glück noch nicht. Im Nachhinein war diese unfreiwillige und gerade deshalb intensive Beschäftigung mit mathematischen und technischen Fragestellungen ein Glücksfall. Zurück in der Schule war ich plötzlich in Mathematik und Physik der beste Schüler. So entschied ich mich für Leistungskurse in diesen Fächern, und es war vor allem mein Physiklehrer, der in dieser Zeit prägend war. Er gab uns Schülern und Schülerinnen den Freiraum, eigene Projekte mit der Physiksammlung der Schule durchzuführen. Dabei begleitete er uns lediglich vorsichtig bei unseren Versuchen und führte uns damit behutsam zum Erfolg. Schon in der Schulzeit entwickelte ich dadurch meine Leidenschaft dafür, alles zu hinterfragen und Inspiration aus ganz profanen Dingen des Alltags zu schöpfen. Einen solchen Unterricht wünsche ich mir auch heute an den Schulen. Nicht das einfache Abfragen von Wissen, sondern die Heranführung zum kritischen Hinterfragen, vor allem von dem, was uns selbstverständlich scheint, ist notwendig. Die Eigenschaft, alles in Frage zu stellen und nichts als gegeben hinzunehmen, ist für mich zu einer der wichtigsten Grundlagen für erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten geworden. Ein Beispiel soll das verdeutlichen  : Im Schulunterricht lernen wir, dass alle Körper gleich schnell fallen. Manche Bücher machen sich sogar lustig über die »naiven« Vorstellungen des Mittelalters hinsichtlich des Falls von Objekten, die geprägt waren durch die »veraltete Physik« des Aristoteles,3 wonach schwere Objekte schneller fallen als leichte. Dabei übersehen wir aber, dass diese Beobachtungen sehr wohl unserer Alltagserfahrung entsprechen. Und dass der Fall oder der Wurf eines Körpers geradezu unglaublich vielfältig sein kann, wissen Kinder aus dem Spiel mit Luftballons. Gleichfalls erleben sie auch beim Federball und beim Fußball Abweichungen von dem, was sie später in der Schule lernen. Darüber hinaus gibt es sogar eine Welt, in der die »veraltete« Physik des Aristoteles in ihrer reinsten Form gilt.4 Ein Bakterium bewegt sich nämlich im Sinn von Aristoteles nur dann, wenn eine Kraft einwirkt, und die Bewegung kommt ohne Kraft sofort zum Erliegen. Gerade Lehrer und Lehrerinnen müssen sich deshalb in die Lebenswelt der Kinder einfühlen, sie bei ihren Erfahrungen »abholen«, um ihnen nicht das Gefühl zu vermitteln, dass Physik schwierig und unverständlich oder gar das schrecklichste Schulfach ist, wie es leider immer wieder in Umfragen gesagt wird.5 Für die Forschung haben wir aus der Betrachtung des Spannungsfeldes von mittelalterlicher und neuzeitlicher Physik wichtige Impulse erhalten. Diese haben letzten Endes zu einer neuen Art kaum wahrnehmbarer, »federleichter« Elektronikfolien geführt, die sechsmal dünner sind als die feinste Haushaltsfolie. Das Studium der Physik begann ich in Karlsruhe, ohne eine konkrete Vorstellung über das Berufsbild des »Physikers« bzw. der »Physikerin« zu haben. Während des Studiums waren Vorlesungen von Gottfried Falk, Friedrich Herrmann und Wolf284

Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation

gang Ruppel, meinem späteren Doktorvater, in jeder Hinsicht einschneidend und prägend für mich. Ihre Schule, die sich im Karlsruher Physikkurs niedergeschlagen hat,6 der gerade in Deutschland sehr kontrovers diskutiert wird, hat meinen Zugang zur Wissenschaft zwingend beeinflusst. In Karlsruhe habe ich gelernt, Zusammenhänge zwischen völlig unterschiedlichen Gebieten zu erkennen. Zu Beginn meiner eigenständigen Forschung an der JKU ist es unserer Arbeitsgruppe beispielsweise gelungen, zu erkennen, was geschäumtes Plastik mit Plasmafernsehern und piezoelektrischen Materialien verbindet.7 In der Forschung werden diese Gebiete getrennt gesehen, Plastikschäume werden in der Kunststofftechnik untersucht, Plasmafernsehen in der Elektrotechnik und piezoelektrische Materialien in den Materialwissenschaften. Wir konnten dabei aufklären, wieso in aufgeladenen, geschäumten Plastikfolien Drucksignale in elektrische Spannungssignale umgewandelt werden – eine Technik, die jetzt in Sensoren zum Nachweis von tonisch-klonischen Krampfanfällen zum Einsatz kommt.8 Die Beschäftigung mit Plastikschäumen hat dann in Folge auch zu spannenden Projekten geführt  : einer Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Elgar Fleisch,9der Professor für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen und für Informationsmanagement an der ETH Zürich ist, und einem erfolgreichen Wissenstransfer an die Firma »Plastic Electronic« bei der Entwicklung von »loadskin«-Drucksensormatten.10 Ausgehend von einer Zusammenführung von Konzepten aus der Kunststofftechnik, Elektrotechnik und den Materialwissenschaften ist es gelungen, neue Impulse für innovative Produkte zu setzen. Die Dissertation bei Wolfgang Ruppel war ein weiterer entscheidender Schritt in meiner wissenschaftlichen Laufbahn. Er gab mir alle Freiheiten, um mein eigenes Thema zu finden, nachdem ich aufzeigen konnte, dass das von ihm vorgeschlagene Problem experimentell mit den damals vorhandenen Methoden nicht lösbar war. Hier wurde ich zum ersten Mal mit der Problematik und der Akzeptanz des Scheiterns in der Wissenschaft schmerzhaft vertraut. Im Nachhinein war mein Scheitern beim vorgeschlagenen Thema aber das Beste, was mir passieren konnte. Denn nur so kamen wir bei einer feuchtfröhlichen Feier mit Brezeln auf die verrückte Idee, eine elektrisch aktive Sensorfolie aus Plastik auf einen empfindlichen Halbleiterschaltkreis aufzukleben, was nach einer durchgearbeiteten Nacht auch sofort erfolgreich war. Stolz berichtete ich am Morgen meinem Doktorvater von unserem Experiment, das er schmunzelnd mit den Worten kommentierte  : »Lieber Herr Bauer, das zeigt mir, dass sie keine Ahnung von Ferroelektrika haben. Ich hätte dieses Experiment nie durchgeführt, weil ich mir sicher gewesen wäre, dass es nicht erfolgreich ist. Ihre Folie hätte den Schaltkreis zerstören müssen. Aber damit haben Sie ja jetzt ein wunderbares Thema für ihre Dissertation gefunden«.

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Dies zeigt zum einen die menschliche Größe meines Doktorvaters, der sein eigenes Scheitern bei der Vergabe des nicht lösbaren Problems an mich sofort akzeptierte, und verdeutlicht zum anderen seine tiefe Liebe zur Wissenschaft, die darin gipfelte, dass er sich mit mir gemeinsam darüber freute, dass ich aus reiner Ahnungslosigkeit etwas Neues entdeckt hatte. Hier lernte ich zum ersten Mal, dass Naivität und Nichtzu-viel-Wissen eine mächtige Triebfeder in der wissenschaftlichen Forschung sein können. Diese Erkenntnis gebe ich heute an meine Studenten und Studentinnen plakativ mit den Worten »Traut uns alten Knaben nicht« weiter, denn ich beobachte an mir selbst, dass ich mit dem Alter vorsichtiger werde und mich nicht mehr so viel traue wie früher. Nicht verhehlen möchte ich an dieser Stelle auch, dass ich meine Entdeckung viel zu früh gemacht habe. Im Zuge meiner Dissertation stieß sie nur auf eine geringe Resonanz in der wissenschaftlichen Szene. In dieser Situation war Geduld angesagt und das Vertrauen in die eigenen Ideen, getreu Mark Twains Motto »Jeder Mensch mit einer neuen Idee ist ein Spinner, bis sich die Idee durchsetzt«.11 Und so griffen wir sechzehn Jahre nach meiner Dissertation das Konzept wieder auf, nur verbanden wir jetzt die elektrisch sensitive Plastikfolie mit der Plastikelektronik von Sigurd Wagner von der Princeton Universität – die Zeit war jetzt reif für die Idee, und so fanden wir eine grundlegende neue Architektur für »elektronische Haut«, dieses Mal mit einem erfreulichen Echo in den wissenschaftlichen Fachkreisen. Unser papierdünner Sensor schaffte es auf das Titelblatt der Zeitschrift »Applied Physics Letters« und entwickelte sich zu einer klassischen Arbeit im Gebiet der flexiblen Elektronik.12 Es ist also entscheidend, nie aufzugeben, sondern beharrlich seine Ziele zu verfolgen. Nach der Dissertation wusste ich nicht, was aus mir werden sollte. Meine Bemühungen, in der Industrie Fuß zu fassen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Aus meiner Stellenzusage als Forschungsleiter einer mittelgroßen Firma wurde nichts, weil die Firma von einem großen Konzern aufgekauft wurde und die Stelle deshalb intern besetzt werden musste. Obwohl es mich frustrierte, war es das Beste, was mir passieren konnte, denn so fand ich eine Stelle am Heinrich-Hertz-Institut für Nachrichtentechnik in Berlin und mit Reimund Gerhard, später Professor an der Universität Potsdam, einen weiteren Mentor, der mich wissenschaftlich ebenso tief geprägt hat wie mein Doktorvater. Bei Reimund Gerhard habe ich die Macht der klaren Sprache gelernt und wie wichtig es ist, mit einfachen Worten den Dingen auf den Grund zu gehen. In wissenschaftlicher Hinsicht wurde ich vor die Frage gestellt, inwieweit es uns vor allem in der Lehre und Ausbildung gelingt, die oft verborgenen Talente unserer Studenten und Studentinnen zu erkennen. Es war ein Mitarbeiter am Heinrich-Hertz-Institut, der – trotz mäßiger Noten im Diplom  – ein geradezu begnadeter Experimentator in der technischen Optik war. Seiner Kreativität war es zu verdanken, dass uns der Aufbau des ersten Rasterelektrooptischen Mikroskops gelang, mit dem Strukturen, die in der optischen Nachrich286

Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation

tentechnik eine wesentliche Rolle spielen, untersucht werden können.13 Hier stellt sich sofort die Frage, ob es unserer universitären Ausbildung gelingen kann, die Talente von Studierenden zu erkennen, vorsichtig freizulegen und zu fördern. Ich glaube, dies ist nur durch intensive und individuelle Betreuung möglich, was in Zeiten der Massenuniversität jedoch ein Problem darstellt. Auf die Frage, wie eine solche zeitintensive Befassung mit Studierenden gelingen soll, habe ich für mich keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Allerdings ist die Analyse des kreativen und innovativen Experimentators mit schlechten Noten sehr wichtig, weil sie die Vielfalt in der Wissenschaft aufzeigt und uns vor Augen führt, dass auch scheinbar weniger herausragende Studenten und Studentinnen Höchstleistungen erbringen können, wenn es gelingt, ihre verborgenen Talente zu entdecken. Das kurze Intermezzo am Heinrich-Hertz-Institut dauerte nur drei Jahre. Nach sehr intensiven Forschungsaufenthalten in Montreal und Washington DC ging ich zu Reimund Gerhard an die Universität Potsdam, um mich zu habilitieren. Mit dem Wechsel verband sich auch eine signifikante Änderung in meiner Forschungsrichtung. An der Universität Potsdam klärten wir Vorgänge bei der Polung ferroelektrischer Polymerfolien auf  – eine Arbeit, die zunächst wenig Interesse hervorrief und erst viele Jahre später als grundlegend in der Plastikelektronik wahrgenommen wurde.14 Auch hier zeigte sich wieder, dass nur Geduld, Beharrlichkeit und der Glaube an die Tragfähigkeit der eigenen Ideen der Schlüssel zum Erfolg sein kann. Nach der Habilitation im Fach »Angewandte Physik« kam auch zeitnah der Ruf an die JKU auf eine Professur für Experimentalphysik, den ich 1997 annahm. Dabei möchte ich hervorheben, dass ich nicht dem Wunschprofil des Fachbereichs entsprach, was die erste Frage im Berufungsgespräch verdeutlicht  – lautete diese doch  : »Herr Bauer, wieso sind Sie eigentlich hier  ? Sie passen nicht in unser Profil«, was ich freundlich lachend mit »Das müssen Sie sich schon selber fragen« beantwortete und mit den Worten abschloss  : »Ich habe mich ja nicht selbst hier eingeladen.« Offensichtlich war das die richtige Antwort. Und obwohl ich zunächst große Anlaufschwierigkeiten an der JKU hatte, bin ich hier geblieben und zu einem überzeugten Wahloberösterreicher mit deutscher Staatsbürgerschaft geworden. An der JKU Linz hatte ich zum ersten Mal eine eigenständige Professur und beschloss, mein Profil zu stärken und meinen Ideen freien Lauf zu lassen. Keine Planung, einfach der Wissenschaft mit Freude und Leidenschaft nachgehen, sollte meine Devise sein. In Linz erweiterte ich mein Themenspektrum mit der Plastikelektronik, mit Forschungen über künstliche Gummimuskeln und die Nutzung erneuerbarer Energien (wie etwa der Transformation der mechanischen Energie von Wasserwellen in elektrische Energie und in die Umwandlung solarer Energie mit unkonventionellen Solarzellen) nachhaltig. Auch diese Arbeiten gipfelten 2011 in der Verleihung eines Advanced Research Grants des European Research Councils, der 287

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eine begehrte wissenschaftliche Auszeichnung darstellt, die es gestattet, fünf Jahre in größtmöglicher Freiheit zu forschen. In diese Zeit fallen viele neue Entwicklungen, die uns weltweites Ansehen eingebracht haben, so z. B. die ersten mechanisch dehnbaren Batterien, Solarzellen, die dünner als ein Seidenfaden sind, Elektronik, die federleicht ist, aber auch künstliche Muskeln auf der Basis von Gummimembranen. Zusammenfassen durften wir die Arbeiten meines Advanced Research Grants in einem Artikel zum 25-jährigen Jubiläum der Zeitschrift »Advanced Materials«.15 Dabei erkannten wir, dass ein weiterer wichtiger Schlüssel für wissenschaftlichen Erfolg darstellt, Forschungsergebnisse – sowohl in der schriftlichen als auch visuellen Kommunikation – leicht verständlich darzustellen. Dies hat mich zu der Erkenntnis geführt, dass ein guter Physiker heute nicht mehr nur Physiker, sondern gleichzeitig auch Schriftsteller, Künstler und Entertainer sein muss. Er sollte eine gute Geschichte erzählen können, schwer verständliche wissenschaftliche Ergebnisse mit einfachen Bildern vermitteln und gleichzeitig die Kollegen und Kolleginnen begeistern können. Leider kommen diese als »soft skills« eher gering geschätzten Fähigkeiten in unserer Ausbildung jedoch viel zu kurz. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen  : Wie veranschaulicht man das leichteste Solarzellenpanel der Welt  ? Mit einem Solarflieger, der über den Campus fliegt.16 Ein Foto, das dies veranschaulicht, hat es sogar auf die Titelseite der Zeitschrift »nature materials« gebracht. Für ein solches Bild verwenden wir gerne ein paar Tage, um nicht nur am Design, sondern auch an der Wirkung zu arbeiten. Und es sind gerade solche Tätigkeiten, die meinen Studierenden zeigen, wie scheinbar einfache, aber tiefliegende wissenschaftliche Fragestellungen an der Grenze zwischen Physik und Ingenieurswissenschaften auf den Punkt gebracht werden können.17 Meine Aufgabe als Hochschullehrer sehe ich darin, junge Menschen vorsichtig zu führen, damit sie frühzeitig zu eigenständigen Ideen und Projekten kommen. Meine Dissertanten und Dissertantinnen bearbeiten deshalb alle ein sogenanntes »Flaggschiffprojekt«, für das sie eigenverantwortlich sind und für das sie in der Regel selbstständig ein fächerübergreifendes Team bilden. Darüber hinaus können sie an allen Projekten partizipieren, wenn sie glauben, etwas beitragen zu können. In der Forschung haben wir erkannt, dass Themen, die mit geringem Risiko verbunden sind, aber gleichzeitig einen großen Gewinn versprechen, am besten geeignet sind, um wissenschaftliches Neuland zu betreten. Auch hier brechen wir eine gewohnte Regel auf, die in der Maxime »high risk, high gain« zusammengefasst ist und heute in allen Projekten abgefragt wird. In jüngster Zeit haben wir begonnen, uns mit verborgener Elektronik zu befassen, denn Technik ist nur dann erfolgreich, wenn sie von den Menschen nicht wahrgenommen wird. Dabei arbeiten wir auch viel mit Papier, das in die Klebefugen von Holz eingefügt ist und wertvolle Informationen über die Stabilität der Verklebung liefern kann.18 Weitere Anwendungen wären – übermalt und unsichtbar – Feuchte288

Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation

Abbildung 1: »Mit Einfachheit Dinge auf den Punkt bringen«: Um die dünnsten, leichtesten und an Luft stabilen Solarzellenpanels der Welt zu veranschaulichen, die wir zusammen mit der Arbeitsgruppe von Niyazi Serdar Sariciftci an der JKU entwickelten, haben wir ein ultraleichtes Solarflugzeugmodell über den Campus fliegen lassen. Das Bild hat die Herausgeber der Zeitschrift »nature materials« so beeindruckt, dass es das Titelbild der Ausgabe vom Oktober 2015 zieren durfte und dadurch veranschaulichen konnte, wie komplexe wissenschaftliche Ergebnisse »auf den Punkt gebracht« werden. Bildnachweis: Martin Kaltenbrunner, Soft Matter Physics, JKU Linz und Soft Electronics Laboratory, Linz Institute of Technology.

sensoren für die Wand oder für Windeln. Der Sensor kommuniziert dann mit Bluetooth über ein Mobiltelefon und meldet, wann die Wand oder die Windel zu feucht ist. Wenn ich diesen Gedanken noch weiter führe, dann denke ich, dass wir in 20 bis 30 Jahren mit Elektronik in Kleidung, am oder sogar im Körper so vertraut sein werden, wie wir es heute mit Smartphones und Tablet-Computern sind. Dabei gehen wir bei unserer Forschung spielerisch vor. Wie Kinder tasten wir uns mit Naivität und Neugier an unsere ungewöhnlichen Fragestellungen heran und lernen zunächst Hypothesen zu formulieren, um daran anknüpfend die Methodik zu finden, mit der wir die aufgeworfenen Fragen zu beantworten versuchen. Erinnern Sie sich noch an den Leitfaden zum Schreiben eines Projektes mit Hypothesen, Methodik, Arbeits- und Zeitplan  ? Es war der Advanced Grant, der es mir ermöglichte, Forschung zu betreiben, die zunächst weder klare Hypothesen noch eine Methodik hat, sondern eben nur eine offene Frage. Leitbild für unseren ureigenen Stil in der Wissenschaft ist dabei ein Zitat Albert Einsteins  : »Das Spiel ist die 289

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höchste Form der Forschung«.19 Erfolgreiche Forschung ist eigentlich ganz einfach. Sie benötigt lediglich die Freiheit und die Bereitschaft, Wagnisse einzugehen. Dann spielt es eigentlich auch keine Rolle, wo geforscht wird  – an einer Universität, an außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in der Industrie. Unser Wissenschaftssystem sollte akzeptieren, dass es Querdenker und -denkerinnen gibt, die alles in Frage stellen und sich nicht an tradierte Regeln halten, und sollte diese fördern anstatt sie als unbequeme »Störenfriede« wahrzunehmen.

Literatur Bauer, Siegfried et al., A soft future  : From robots and sensor skin to energy harvesters, in  : Advanced Materials, vol. 26, issue 1, 2014, pp. 149–162. Bauer-Gogonea, Simona u. Bauer, Siegfried, Mikrogewitter im Polymerschaum, in  : Physik Journal, Jg. 2, H. 4, 2003, S. 41–46. Feyerabend, Paul, Wider den Methodenzwang, Frankfurt 1986. Graz, Ingrid et al., Flexible ferroelectret field-effect transistor for large-area sensor skins and microphones, in  : Applied Physics Letters, vol. 89, issue 7, 2006, p. 073501. Kaltenbrunner, Martin et al, Flexible High power per weight perovskite solar cells with chromium oxide – metal electrodes for improved stability in air, in  : Nature Materials, vol. 14, issue 10, 2015, pp. 1032–1039. Metzger, Christian et al., Flexible-foam-based capacitive sensor ararys for object detection at low cost, in  : Applied Physics Letters, vol. 92, issue 1, 2008, 013506 (3 pages). Purcell, Edward Mills, Life at low Reynolds numbers, in  : American Journal of Physics, vol. 45, issue 3, 1977, pp. 3–11. Rollik, Denis et al., Separate contributions to the pyroelectricity in poly(vinylidene) fluoride from the amorphous and crystalline phases, as well as from their interface, in  : Journal of Applied Physics 85, issue 6, 1999, pp. 3282–3288. Schling, Hans-Joachim, Zum Fall des freien Falles, in  : Sumfleth, Elka (Hg.), Chemiedidaktik im Wandel  – Gedanken zu einem neuen Chemieunterricht. Festschrift für Altfried Gramm, Münster 1999, S. 255–277. Ucke, Christian u. Schlichting, Joachim H., Spiel, Physik und Spaß  : Physik zum Mitdenken und Nachmachen, Weinheim 2011. Yilmaz, Sükrü et al., Scanning Electro-Optical and Pyroelectrical Microscopy for the Investigation of Polarization Patterns in Poled Polymers, in  : Applied Physics Letters, vol.  63, issue 13, 1993, pp. 1724–1726.

Anmerkungen 1 Vgl. hierzu etwa die Richtlinien zur Beantragung eines FWF Einzelprojektes, unter  : https://www.fwf.ac.at/ fileadmin/files/Dokumente/Antragstellung/Einzelprojekte/p_antragsrichtlinien.pdf, aufgerufen am 25. 11.2016.

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Akzeptanz des Scheiterns, Ahnungslosigkeit und Spiel als Triebfeder von Innovation

  2 Feyerabends Buch gipfelt in der These »Anything goes«. Im Prinzip bedeutet das  : »Mach, was du willst«. Es ist ein Aufruf, in der Forschung gegen geltende Regeln und Maßstäbe zu verstoßen, um gerade dadurch die Wissenschaft voranzubringen. Vgl. Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt 1986.  3 Eine lesenswerte Abhandlung hat Hans-Joachim Schlichting vorgelegt. Vgl.: Hans-Joachim Schling, Zum Fall des freien Falles, in  : Elka Sumfleth (Hg.), Chemiedidaktik im Wandel – Gedanken zu einem neuen Chemieunterricht. Festschrift für Altfried Gramm, Münster 1999, S. 255–277.   4 In anschaulicher Weise hat dies der Nobelpreisträger Edward Mills Purcell beschrieben. Vgl.: Edward Mills Purcel, Life at low Reynolds numbers, in  : American Journal of Physics, vol.  45, issue  3, 1977, pp. 3–11.   5 Eine Umfrage des Chemieunternehmens »Sasol Olefins & Surfactants« im Rahmen des »Einstein-Jahres« 2005 hat ergeben, dass Chemie und Physik zu den unbeliebtesten naturwissenschaftlichen Fächern zählen. Vgl.: Studie  : Chemie und Physik sind die unbeliebtesten Schulfächer, unter  : https://www.analytik-news.de/Presse/2005/138.html, aufgerufen am 25.11.2016.   6 Vgl. zum Karlsruher Physikkurs und dem Diskurs über diesen sehr innovativen, aber auch provokanten Weg in der Physik  : Der Karlsruher Physikkurs, unter  : http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de, aufgerufen am 25.11.2016.   7 Simona Bauer-Gogonea u. Siegfried Bauer, Mikrogewitter im Polymerschaum, in  : Physik Journal, Jg. 2, H. 4, 2003, S. 41–46.   8 Grand mal seizure monitor – Emfit MM (in EU area), unter  : https://www.emfit.com/sleep-time-grandmal-seizure, aufgerufen am 25.11.2016.   9 Christian Metzger u. a., Flexible-foam-based capacitive sensor arrays for object detection at low cost, in  : Applied Physics Letters, vol. 92, issue 1, 2008, 013506 (3 pages). 10 Loadskin Technologie von »plastic-electronic«, unter  : https://plastic-electronic.com/de, aufgerufen am 25.11.2016. 11 Das Zitat entstammt dem Buch »Followoing the Equator« (Kapitel 32). 12 Ingrid Graz et al., Flexible ferroelectret field-effect transistor for large-area sensor skins and microphones, in  : Applied Physics Letters, vol. 89, issue 7, 2006, p. 073501. 13 Sükrü Yilmaz et al., Scanning Electro-Optical and Pyroelectrical Microscopy for the Investigation of Polarization Patterns in Poled Polymers, in  : Applied Physics Letters, vol. 63, issue 13, 1993, pp. 1724–1726. 14 Denis Rollik et al., Separate contributions to the pyroelectricity in poly(vinylidene fluoride) from the amorphous and crystalline phases, as well as from their interface, in  : Journal of Applied Physics, vol. 85, issue 6, 1999, pp. 3282–3288. 15 Siegfried Bauer et al., A soft future  : From robots and sensor skin to energy harvesters, in  : Advanced Materials, vol. 26, issue 1, 2014, pp. 149–162. 16 Martin Kaltenbrunner et al., Flexible High power per weight perovskite solar cells with chromium oxide – metal electrodes for improved stability in air, in  : Nature Materials, vol. 14, issue 10, 2015, pp. 1032–1039. 17 Ein ausführliches Porträt zu meinen wissenschaftlichen Ansichten und Arbeitsweisen findet sich auch in der Rubrik »Porträts« auf der Homepage des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF). Vgl.: Margit Schwarz-Stiglbauer, »Nur wer scheitert, kommt weiter«, unter  : https://scilog.fwf. ac.at/natur-technik/5070/nur-wer-scheitert-kommt-weiter, aufgerufen am 25.11.2016. 18 380.000 Euro für »Intelligentes Holz«-Projekt, unter  : http://www.jku.at/content/e213/e63/e48/e47?apath= e32681/e262488/e289831/e289907, aufgerufen am 20.1.2017. 19 Christian Ucke u. H. Joachim Schlichting, Spiel, Physik und Spaß  : Physik zum Mitdenken und Nachmachen, Weinheim 2011, S. 1.

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Niyazi Serdar Sariciftci

»Wissenschaft eignet sich nicht für das Schreiben von Quartalsberichten« Ein Gespräch über Traditionsbrüche, Freiheiten in der Forschung und eine notwendige Energierevolution1 Niyazi Serdar Sariciftci wurde 1961 in Konya in der Türkei geboren. Er besuchte das österreichische St.-Georgs-Kolleg in Istanbul und studierte Physik an der Universität Wien  ; nach Aufenthalten in Stuttgart und Santa Barbara übernahm er 1996 die Professur für Physikalische Chemie an der JKU und gründete hier das Linzer Institut für organische Solarzellen (LIOS). 2012 erhielt er den Wittgenstein-Preis für seine Forschungen im Bereich der organischen Halbleiter. Herr Sariciftci, können Sie uns Ihren akademischen Werdegang skizzieren  ? Wann sind Sie an die JKU gekommen  ? Ich bin im September 1980 nach Wien gekommen, um Musik zu studieren. Ich habe die Aufnahmeprüfung an der Akademie für Musik und darstellende Kunst gemacht  – flog aber mit Pauken und Trompeten durch  ! So habe ich ein Physik- Abbildung 1: Niyazi Serdar Sariciftci. Studium begonnen, das ich in Wien mit der Promotion ab- Bildnachweis: Sariciftci@LIOS. geschlossen habe. Danach war ich als Post-Doc drei Jahre in Stuttgart, bis mich der spätere Nobelpreisträger Alan J. Heeger nach Santa Barbara geholt hat. Dort war ich von 1992 bis 1996. Am 1. April 1996 bin ich mit 35 Jahren als jüngster Ordinarius in Österreich an die JKU berufen worden, wo ich die Professur für Physikalische Chemie übernommen habe. Bald nach meinem Wechsel nach Linz haben wir auch mit dem Aufbau des Linz Institute for Organic Solar Cells (LIOS) begonnen. Bis es zur Gründung kam, hat es jedoch einige Jahre gedauert. Das war erst im Jahr 2000 der Fall. Das LIOS haben wir als Forschungsinstitut gegründet, um Drittmittelprojekte durchzuführen. Es war das erste Institut der Welt, das »organische Solarzellen« in seinem Namen verwendet hat  ; mittlerweile gibt es mehrere Institute, deren Bezeichnung mit »organische Solarzellen« verbunden ist. Wichtig war uns damals die Außenwirkung  ; durch einen eindeutigen Institutsnamen sollte die Arbeit nach außen sichtbar gemacht und ein Thema öffentlich »besetzt« werden. Den Arbeitsschwerpunkt im Bereich der organischen Solarzellen habe ich aus 293

Niyazi Serdar Sariciftci

Santa Barbara mitgebracht  ; an der JKU war das Thema vorher nicht präsent. Es war eine organisatorische Weitsicht der JKU, diese Institutsgründung zuzulassen. Was heißt Forschung um organische Solarzellen und worin liegt ihre Bedeutung  ? Der steigende Energiebedarf ist eine der größten Herausforderungen, die es gegenwärtig zu lösen gilt. Dabei sind auch künstliche Verknappungen, die aus politischen und wirtschaftlichen Erwägungen am Energiemarkt geschaffen werden, und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu berücksichtigen. Ich denke, dass es zu einer »Energierevolution« durch eine dezentrale, delokalisierte und autonome Solarenergieerzeugung kommen muss. Die Sonnenenergie hat unglaubliche Kapazitäten und steht allen offen. Ihre Förderung kann den Zugang zu Energie demokratisieren, globale Gleichberechtigung fördern und soziale Spannungen abbauen. Historisch betrachtet, können wir drei Methoden in der Nutzung von Sonnenergie unterscheiden. Die älteste Form ist die Gewinnung von Wärme durch Sonnenkollektoren. Die zweite Methode, die ab den 1950er Jahren zur Anwendung kam, betrifft die Umwandlung von Sonnenergie in elektrische Energie, d. h. die Photovoltaik, die sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt hat und mittlerweile zu einem milliardenschweren Markt geworden ist. Die dritte und jüngste Methode zielt darauf ab, aus der Sonnenenergie direkt Kraftstoffe, etwa Benzin, zu erzeugen. Daran arbeiten wir heute, wobei wir organische Halbleiter, d. h. Halbleiter aus organischen Materialien – im Gegensatz zu Siliziumzellen, wie sie bei der Photovoltaik verwendet werden – einsetzen. Das kann vielleicht auch die Umwandlung von Sonnenenergie in elektrische Energie in den nächsten Jahren stark verändern. Herr Sariciftci, wie entsteht Neues in der Wissenschaft  ? Neues entsteht, wenn mit der Tradition gebrochen wird. In aller Regel wird ein solcher Bruch durch Personen vollzogen  : Mit meiner Berufung auf eine Professur für Physikalische Chemie im Jahr 1996 hat die JKU sich dafür entschieden, die Arbeitsfelder meines Vorgängers nicht, jedenfalls nicht durch mich fortzusetzen. Ich habe mich mit einem für die Universität neuem Thema – den organischen Solarzellen – beworben, und man hat mich berufen. Das reicht aber natürlich noch nicht aus, denn die Risikobereitschaft, die sich mit einer Berufung verbindet, muss ein materielles Fundament erhalten  : Im meinem Fall hat sich eine Ministerialrätin im Wissenschaftsministerium sehr dafür eingesetzt, dass ich die nötige Ausstattung bekommen habe. Dass ich zeitgleich einen Ruf an die Australian National University in Canberra hatte, trug zu diesem guten Ergebnis natürlich bei. Aber klar war  : Die Risikobereitschaft des Wissenschaftlers im Beschreiten neuer Wege muss eine Entsprechung finden in der Bereitschaft der Institutionen, diesen Weg mitzugehen. Die 294

»Wissenschaft eignet sich nicht für das Schreiben von Quartalsberichten«

großen Beispiele dafür kommen aus den USA  : Jeder kennt die Geschichten, wie etwa aus Spin-offs der Stanford University sich das Silicon Valley entwickelt hat. In dieser Hinsicht gibt es in Österreich noch Nachholbedarf  : Meiner Ansicht nach liegt der Schwerpunkt der öffentlichen Wissenschafts- und Wirtschaftsförderung in Europa auf der Stabilisierung und Weiterentwicklung der bestehenden Unternehmen und nicht in der Ermöglichung des Neuen, das sich auch abseits der bestehenden Unternehmen und Institutionen entfalten können muss. Die Bereitschaft zum Risiko könnte bei allen Beteiligten größer sein. Auch die JKU kann noch mehr tun, um Studierende zu Unternehmensgründungen zu motivieren. Kapital können wir nicht zur Verfügung stellen, wohl aber Ermunterung und Beratung anbieten. Das »Neue« in der Wissenschaft lässt sich ja nicht auf Dauer stellen, irgendwann ist das Neue »etabliert« oder »alt« oder »verbraucht«. Wie geht man damit um, wie gelingt ein neuer Aufbruch, wie vermeidet man Stagnation  ? Die Wissenschaft ist eine endloser Fluss, oder anders formuliert  : Die Wissenschaft an sich ist eine Krise, denn ohne die permanente Infragestellung des tradierten Wissens sind neue Erkenntnisse ja nicht zu haben. Diese neuen Erkenntnisse aber verunsichern, wollen fundiert werden, treiben zu neuen Fragen – und so setzt sich die Sache fort. Ich unterscheide gerne zwischen zwei Typen von Wissenschaftlern  : dem Christoph-Columbus-Typ und dem Amerigo-Vespucci-Typ. Kolumbus findet etwas absolut Neues, und Vespucci gibt dem neuen Kontinent dann später den Namen  ; Vespucci war es, der den neu gefundenen Kontinent als »Mundus Novus« bezeichnete, weil er sich schon sicher sein konnte, dass es sich eben nicht um »Indien«, handelt. Kolumbus aber ist das größere Risiko eingegangen, und ihm gebührt der Verdienst der Entdeckung, während Vespucci kaum noch ein Risiko eingegangen ist und nur noch die Klassifizierung vorgenommen hat. Ich habe immer versucht, mich an Kolumbus zu orientieren. Wissenschaft eignet sich nicht für das Schreiben von Quartalsberichten, in denen immer »pünktlich« eine Bilanz gezogen werden kann. Umwege müssen einkalkuliert werden und sind notwendig. Ebenso notwendig aber ist es, bestimmte Dinge dann »laufen« zu lassen  : Ich habe mich lange mit der Photovoltaik befasst, aber da wissen wir schon so viel, dass die Anwendungen klar sind. Also verlasse ich diese »Insel« und gehe auf neue Reisen  ! Wie sehen Sie die Situation an der JKU in Hinblick darauf, »Neues« zu schaffen  ? Welche spezifischen Vorteile hat sie  ? Ein Vorteil der JKU ist sicher ihre Größe. Dadurch, dass sie eine kleinere Universität ist, ist sie wendiger, kann flexibler sein und rascher agieren. Ihre Größe lässt auch einen direkt Kontakt unter den Professoren und Professorinnen zu. Umso größer eine 295

Niyazi Serdar Sariciftci

Universität bzw. ein Institut allgemein wird, umso schwerer kommt Dynamik auf  ; die Verwaltung nimmt hingegen zu. In der Organisationssoziologie wird häufig davon gesprochen, dass die kritische Größe bei 120 Personen liegt. Als einen weiteren Vorteil der JKU betrachte ich den Linzer Hochschulfonds. Was meine persönliche Arbeitssituation betrifft, hat er sich mehrfach als Instrument bewährt, um Neues zu unterstützen. Hierzu gehört auch der direkte Kontakt zum Bürgermeister und Landeshauptmann, d. h. zu wichtigen Entscheidungsträgern. Sicherlich ist durch die Form der Finanzierung auch ein gewisser Einfluss der Politik gegeben  ; meiner Meinung nach ist dieser aber gar nicht zu vermeiden. Auch wenn das Ministerium früher die Entscheidungen getroffen hat, hat es sich nicht um unpolitische Maßnahmen gehandelt, und auch dort hatten die handelnden Personen einen politischen Hintergrund. Was fehlt an der Universität, wo liegen die Gefahren in den kommenden Jahren  ? Ich sehe drei Gefahren für die Universität  : Die eine besteht darin, dass es eine ungute Tendenz der Annäherung der Universitäten an die Fachhochschulen gibt. Die Tendenz hin zu einer »Werkbank« der Industrie und einer Ausbildung, die die gegenwärtigen Bedürfnisse der Industrie befriedigen kann, taugt nicht als Strategie. Wir an den Universitäten müssen den Spielraum öffnen und dazu arbeiten und forschen, was nicht heute, sondern morgen und übermorgen relevant sein wird – und in diesen Prozess müssen wir unsere Studierenden einbinden. Die zweite Gefahr besteht darin, dass die Wirtschaft dazu neigt, Besitzansprüche zu formulieren. Dadurch verlieren wir unsere Fähigkeit, internationale Netzwerke und Bündnisse einzugehen – wenn ich mit der Firma X »verheiratet« bin, kann ich – plastisch gesprochen – nicht auch mit der Firma Y eine Ehe eingehen. Die dritte Gefahr sehe ich darin, dass unsere Universitäten immer mehr in spezialisierte Teilbereiche zerfallen und auch unter den Lehrenden das Gefühl für so etwas wie die Einheit der Wissenschaft und eine Arbeit an gemeinsam definierbaren Zielen abnimmt. Ich habe vor einigen Jahren zusammen mit Kollegen und Kolleginnen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten den »Linzer Kreis« ins Leben gerufen, der es sich zur Aufgabe gesetzt hat, ein fakultätsübergreifendes Gespräch zu gewährleisten und sich dabei aufklärerisch-humanistischem Gedankengut verpflichtet weiß.

Anmerkung 1 Das Interview wurde am 12. Jänner 2017 von Maria Wirth und Marcus Gräser geführt.

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»1968« und die Folgen – Aufbruch, Unruhe und Veränderungen im Alltag der Universität1

Die Bedeutung des Jahres »1968« erschöpft sich nicht in den großen politischen oder sozialen Reformen.2 Solche Reformen hat es gegeben, aber im Erleben der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen stand anderes im Vordergrund  : Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter und Generationen, ein Abflachen der gesellschaftlichen Hierarchien, eine neue Diskussions- und Streitkultur, neue Wohnformen, kurz  : Veränderungen im Alltag, die Freiräume schufen.3 Einen wichtigen Beitrag dazu leisteten Studierende und auch Lehrende an den Hochschulen und Universitäten4 – wie an der neuen, im Aufbau befindlichen Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz.5

Die Eröffnung der Hochschule und das gesellschaftliche Klima Die Linzer Hochschule war als Gründung der 1960er Jahre tatsächlich »neu«. Damit wurden neue Formen einer Hochschulorganisation realisierbar, neue Koalitionen konnten entstehen, unkonventionell gemischte Studienrichtungen umgesetzt, neuartige Karrieren ermöglicht und neue Wege in der Hochschulfinanzierung beschritten werden. Bereits vor der Hochschuleröffnung war davon die Rede, dass es sich um eine »Hochschule neuen Stils« handeln sollte.6 Der kommunistische Politiker und Schriftsteller Franz Kain betonte als zeitgenössischer Akteur Ende der 1960er Jahre, »dass die Hochschule keine erstarrte Tradition hat«, weswegen man hier den »rebellischen Geist« gut fördern könne.7 Linz hatte 1961 195.978 Einwohner und Einwohnerinnen, 1971 waren es 202.874 und 1981 199.910.8 Die Wirtschaft boomte in den 1960er Jahren, besonders stark von 1967 bis 1973, aber auch nach 1973 blieb die Arbeitslosigkeit niedrig. Linz stellte damals den zweitstärksten Wirtschaftsstandort Österreichs dar. Die Wohnbevölkerung stammte zu einem hohen Prozentsatz aus Linz bzw. den Vierteln Oberösterreichs, ein kleinerer Teil kam aus den deutschsprachigen Regionen Osteuropas (sog. »Volksdeutsche«). Täglich pendelten zehntausende Menschen aus den umgebenden ländlichen Regionen in die Industriestadt ein. Nach der Volkszählung von 1971 waren 32,8 Prozent der Stadtbevölkerung unter 26 Jahren alt.9 Erst in den späten 1960er und in den 1970er Jahren begannen Migration (»Gastarbeiter«) und Internationalität stärker zum Thema zu werden. 299

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Als die Linzer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften am 8. Oktober 1966 eröffnet wurde, dachte wohl niemand an Unruhe und Aufruhr. Auf dem Hauptplatz wurde Rektor Ludwig Fröhler, ausgestattet mit Barett, Talar und vergoldeter Kette, symbolisch der Schlüssel für die Hochschule überreicht. Der damalige Prorektor und Gründungsprofessor Rudolf Strasser (1923–2010) hielt dies wie folgt in seinen Memoiren fest  : »Die prunkvollen Talare der ausländischen und österreichischen Rektoren boten […] ein prachtvolles Bild. Vorher zogen die ersten zwölf Professoren mit Fröhler und mir an der Spitze, gefolgt von den zahlreichen Rektoren in- und ausländischer Universitäten vom Linzer Landhaus auf der Promenade zum Rathaus auf dem Hauptplatz […] Irgendwie erinnerten der Festzug und die Feier an Ereignisse, wie sie uns aus längst vergangenen Zeiten überliefert sind. Es war für Linz ein ganz großer Tag.10

Dem Festakt wohnten mehrere tausend Menschen bei. Bundespräsident Franz Jonas eröffnete anschließend auf dem Campus, im Hörsaal 1, die Hochschule in offizieller Form. Der Lehrbetrieb konnte nach jahrelanger Vorbereitung aufgenommen werden.11 Der Begriff der »langen fünfziger Jahre« stammt aus Deutschland, er kann für die Zeit ab 1948 bis Mitte der 1960er Jahre aber auch auf die österreichische Entwicklung angewendet werden. In diesem Zeitraum wurde das vorherrschende konservative Paradigma in Gesellschaft und Kultur brüchig. Das Ende des »goldenen Zeitalter des Heiratens und Kinderkriegens«, des »Babybooms«, der Verdrängung von Frauen, war angebrochen. Es sollte bis 1966 dauern, als mit Grete Rehor erstmals eine Frau in Österreich als Ministerin angelobt wurde. Die Jahre des Nationalsozialismus galten nach wie vor im Wesentlichen als »großes Tabu«, das kaum thematisiert wurde.12 In den 1950er und 1960er Jahren konnte man von einem ökonomischen Boom sprechen, man glaubte an die Führungsrolle des Mannes, traditionelle Familienformen, ein starkes Wirtschaftswachstum und an den Fortschritt durch Technik. Gesetze, die zum Teil erst in den 1970er Jahren liberalisiert wurden, betrafen die gleichgeschlechtliche Liebe oder das Geschlechterverhältnis in der Ehe, vieles galt als »öffentliches Ärgernis«. Veraltete Gesetze, die öffentliche Bekämpfung von »Schmutz und Schund« plus »freiwilliger Selbstkontrolle« führten zu einer vorerst wirksamen Zensur. Körperliche Übergriffe gehörten in vielen Schulklassen zum pädagogischen Repertoire. In Teilen Österreichs war die Jugendzeitschrift »Bravo«, das Tragen des Bikinis und das Tanzen des Twists verboten. Unverheiratete junge Frauen hatten Ende der 1960er Jahre Schwierigkeiten, die Anti-Baby-Pille zu erhalten.13 An der Universität Wien dozierte man in den 1960er Jahren noch vom Katheder herab, die Assistenten trugen die Aktentaschen der fast ausschließlich männlichen Professoren. Diskussionen im Lehrsaal waren unbekannt. 1967 vertrat nach der Er300

»1968« und die Folgen

innerung des ÖH-Vorsitzenden in Linz Gründungsrektor Ludwig Fröhler bei der Vorstellung der ersten Studentenvertreter die Meinung, dies sei nicht notwendig, da man keine Studentenvertretung brauche. Er musste erst darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Existenz der Studentenvertretung in Österreich per Gesetz geregelt war.14 Gleichzeitig gab es damals – abseits des politischen Mainstreams – auch Widerstand gegen den Konformismus der Nachkriegsgesellschaft. Die Jugend hörte seit den frühen 1960er Jahren die Beatles und Rolling Stones, Rock ’n’ Roll und Beat. Die ersten Miniröcke und auch die ersten indischen Kleider wurden nicht nur in London, sondern auch in Österreich getragen. Bei den jungen Männern waren der Haarschnitt und eventuelle Bärte ein zentrales Thema im Generationenkonflikt. Lange Haare setzten einen Kontrapunkt gegen den an Militär und Autorität anknüpfenden Kurzhaarschnitt. »Ich hatte so um 1968 sehr lange Haare«, erinnert sich Siegbert Janko, damals Student, später Kulturdirektor der Stadt Linz  : »Wir hatten heftige Diskussionen zu Hause […] Mein Vater hatte ganz andere Ansichten, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg […] Damals aber wollte ich auf, von zu Hause weg, ich habe das nicht ausgehalten […] wollte studieren.«15

Die Medien sorgten dafür, dass das Aufbegehren in anderen Ländern auch in Österreich bekannt wurde. Schließlich wurden Sexualität und individuelle Freiräume zum Thema, ebenso wie das Verhalten der Väter-Generation während des Nationalsozialismus. Dazu hatte auch, bereits ins Jahr 1965 datierend, die Affäre um Taras Borodajkewycz beigetragen, der sich an der Hochschule für Welthandel in Wien offen antisemitisch geäußert hatte.16

Das Jahr 1968 Markanter, offener Protest war in Linz, anders als in den großen Metropolen, 1966 bis 1968 kaum wahrnehmbar.17 Das Jahr 1968 war in Linz zwar nicht ereignislos, es gab allerdings nur wenige einschlägige studentische oder sonstige politische Aktionen. Im Juni 1968 organisierte etwa die Linzer Hochschülerschaft (ÖH) eine radikaldemokratische Rektorenwahl, an der Studierende, Assistenten und Assistentinnen sowie Professoren in gleicher Form wahlberechtigt waren. Die meisten Stimmen erhielt der linksgerichtete Kurt Rothschild (1914–2010), von den Professoren wurde allerdings Rudolf Strasser zum Rektor bestellt.18 Wie man sich die Hochschule aus der Sicht eines Studenten im Studienjahr 1968/69 vorstellen kann, geht aus der Erinnerung von Josef Weidenholzer hervor  : 301

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»Damals war die Hochschule ganz klein, man hat sich genähert mit dem Bus über die Reindlstraße. Es gab eine Umsteigestelle, alles war klein, eine überschaubare Mensa, Vorlesungen, die überschaubar waren, großes Interesse, große Neugierde. Die ersten Soziologievorlesungen waren enttäuschend, weil man nicht alles verstanden hat […] Und, es gab unfraglich eine Aufbruchsstimmung, man wollte etwas unternehmen, wollte aktiv sein [….] Eigentlich los ging es erst 1969.«19

Im November 1968 erschienen in der Studentenzeitschrift »Cogito« kritische Artikel zu den Themen Sexualmoral, Abtreibung und Vietnam-Politik der USA. Im Dezember 1968 beteiligten sich Linzer Studenten und Studentinnen führend an den Protesten gegen einen Bischof. Der Inaugurationsfeier des neuen Rektors, Rudolf Strasser, im Dezember 1968 blieb die Hochschülerschaft fern (»Boykott«). An der Linzer Hochschule hatten Studierende überdies 1968 Reisen nach Berlin und Paris unternommen und das dortige Klima an den Universitäten miterlebt. Den Einfluss der Wiener Szene gab es ohnedies.20 Strasser hielt in seinen Memoiren zu den Jahren 1966 bis 1968 fest  : »(Nun) begann der Vorlesungsalltag. Ich hatte die Einführungsvorlesung für Juristen übernommen. Der große Hörsaal war fast überfüllt. Ich war […] von einer unglaublichen Freude und Genugtuung erfüllt. Manche meiner damaligen Hörer sind heute, da ich dies niederschreibe [Veröffentlichung 2007, MJ], aus höchsten Verwaltungs-, Wirtschafts- und Wissenschaftspositionen längst in Pension gegangen […] Sie alle haben damals hervorragend abgeschnitten. Das spornte naturgemäß auch mich an. Diese ersten Semester an unserer neuen Hochschule waren eine wunderschöne Zeit, für die Lehrenden wie für die Lernenden. Das Jahr 1968, dessen Ereignisse in Österreich erst 1969/70 mit Verspätung und in sehr abgeschwächter Form Folgen zeitigten, war noch weit.«21

Demonstrationen und Hörerversammlungen 1969 begannen ereignisreiche Jahre an der Linzer Hochschule.22 Die für die Protestgeneration wichtigsten Studentenparteien waren in Linz im Zeitraum 1968 bis 1974 der VSStÖ (Verband Sozialistischer Studenten Österreichs), die kurzlebige, aber erfolgreiche, linksliberale »Aktion«  – sie trat bei den ÖH-Wahlen 1974 nicht mehr an  – und, in einem bestimmten Ausmaß, die sich aus katholischen Kreisen speisende ÖSU (Österreichische Studentenunion). Die radikaleren, teils durch Spaltung entstandenen Gruppierungen wie der kommunistische KSV (Kommunistischer Studenten Verband), die letztlich maoistische MLS (Marxistisch Leninistische Studenten) und die trotzkistische GRM (Gruppe Revolutionärer Marxisten) wurden zwar bereits davor gegründet, traten aber erst bei den Hochschülerschaftswahlen 1974 302

»1968« und die Folgen

Abbildung 1: Studentische Demonstration gegen Preiserhöhungen im öffentlichen Verkehr (»ESG-Demo«), 1969. Bildnachweis: Oberösterreichische Nachrichten/Bildstelle.

(oder später) in Linz als wahlwerbende Gruppierungen an. Die radikalen Gruppen zusammen genommen blieben stets unter 10  Prozent. Von 1969 bis 1974 erzielte die ÖSU Ergebnisse von knapp unter bzw. knapp über 50  Prozent, die Aktion erreichte 1971 rund 22 Prozent, der VSStÖ erhielt bis zu 25 Prozent der abgegebenen Stimmen. Wenn man vom dezidiert rechtsgerichteten Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) absieht, der bis zu 16 Prozent der Stimmen lukrieren konnte, ist davon auszugehen, dass alle größeren Studentengruppierungen »links« von den sogenannten »Mutterparteien« standen. An den Wahlen nahmen zwischen 40 und 60 Prozent der Wahlberechtigten teil.23 Im März 1969 sorgte die Herausgabe der Schrift »Kritik 69« durch die Studentin Renate Janota (VSStÖ) für Aufregung – handelte es sich doch um eine Streitschrift, in der Fragen der Sexualität, aber auch der Gleichberechtigung der Geschlechter erörtert wurden. Janota hatte sich bereits vorher mit diesen Themen beschäftigt und tat dies später auch in der Studentenzeitschrift »Cogito«.24 Etwa zeitgleich fand eine Demonstration gegen das Franco-Regime in Linz statt. 303

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Im April 1969 folgte der »kleine Sturm auf das Rathaus«, eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Verkehr  : »Das war eigentlich ziemlich ›heavy‹, meine zweite Demo«, erinnert sich Edith Friedl, »ich war 18 Jahre alt. Viele Leute. Es wurden Eier geworfen (und auch Steine, MJ), auf die Schienen, gegen die Straßenbahnen, und die Polizei ist ziemlich heftig auf uns losgegangen.«25 Im Juni 1969 folgte eine Versammlung gegen die weit rechtsgerichtete NDP, wobei es auch um die Verharmlosung des Nationalsozialismus ging, organisiert von großteils studentischen Aktivisten und Aktivistinnen. An der Hochschule selbst, am Campus, wurden immer mehr Hörerversammlungen, Sit-Ins, Teach-Ins abgehalten, die Studierenden politisierten sich, sie lehnten sich aber auch in Bereichen auf, die Verhaltensformen betrafen.26 Strenge Besuchsregeln in einem Studentenheim führten 1969 zum empörten Protest der Studierenden. Ingrid Dyk-Ploss erinnert sich  : »Ich war als Studentin in linkskatholischen Kreisen engagiert […] Im KHG-Heim (Heim der Katholischen Hochschulgemeinde, MJ) gab es einen Mädchen- und einen Burschentrakt, und ab 20 Uhr […] musste jeder in seinen Trakt. Wir Studierenden waren der Ansicht, es gibt keinen logischen Grund dafür. Eines Tages haben wir unsere Matratzen gepackt, den Raum besetzt und den Heimleiter belagert […].«27

Von den strikten Heimregeln waren damals tatsächlich alle Heimbewohner betroffen, so auch der Universitätsassistent Gerhard Botz, dessen Frau im Studentenheim von ihm getrennt hätte wohnen müssen  : »Und dann habe ich oberhalb (des Campus) im Zelt gewohnt […] aus Protest.«28 Er drohte auch auf der Insel inmitten des Hochschul-Teichs zu campieren. Nach einigen Wochen wurde ihm schließlich eine Kleinwohnung zugeteilt.29 Im Sommersemester 1969 wurden an den Eingängen zum Campus Drehkreuze montiert, weil sich Professoren durch flanierende Mütter mit ihren Kinderwägen gestört fühlten. Mit Kinderwägen kam man nicht durch die Drehkreuze. Irene DykPloss dazu  : »Ich weiß nicht, wie oft die Drehkreuze im Teich versenkt worden sind […] Dann haben wir uns den Spaß erlaubt, die Drehkreuze rosa zu lackieren und mit Schleifchen zu versehen […] Daraufhin sind (sie) wieder verschwunden. Die Uni war wieder offen und das wollten wir, symbolisch, den freien Zugang.«30

Zu einer ernsthaften Eskalation kam es im Oktober 1970  : Der Student Manfred Eder hatte die (sehr) hohen Zusatzeinkünfte (sogenannte »Aufbauzulagen«) einzelner Linzer Gründungsprofessoren kritisiert und moniert, Gelder würden nicht zur Förderung von Forschung und Lehre, sondern zur privaten Vermögensbildung verwendet.31 Die »Oberösterreichischen Nachrichten« titelten  : »Geheimzulagen an Linzer Profes304

»1968« und die Folgen

Abbildung 2: Besetzung des Instituts für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Professor Strasser), 1970. Bildnachweis: Österreichische Nationalbibliothek/ Bildarchiv.

soren machen böses Blut.«32 Eder, der Vorsitzende des Linzer VSStÖ, hatte sich zu dieser Zeit um einen Posten als wissenschaftliche Hilfskraft bei Professor Rothschild beworben und diesen trotz Rothschilds Unterstützung nicht erhalten. Als Begründung wurde die Veröffentlichung der »Aufbauzulagen« angegeben. Die Studierenden protestierten dagegen und wollten eine Diskussion mit dem finanziell begünstigten Professor Strasser führen. Dieser verweigerte aber das Gespräch und schloss sich in seinem Büro ein, worauf die Studenten und Studentinnen sein Institut besetzten.33

Ministerin Firnberg eilt nach Linz In weiterer Folge verhängte der Dekan der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät Wolfgang Bauerreiss einen Prüfungs- und Vorlesungsstopp.34 Dies führte zu weiteren Protesten bis hin zu einer Besetzung des Rektorats, wobei Rektor Gerhard Derflinger Partei gegen Bauerreiss ergriff, dem er Kompetenzüberschreitungen vorwarf.35 Schlussendlich konnte der Konflikt erst durch das persönliche Eingreifen von Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg beruhigt werden, »Firnberg als Feuerwehr an der Linzer Hochschule«, titelten die »Oberösterreichischen Nachrichten«.36 Die Ministerin (!) kam tatsächlich wegen einer wissenschaftlichen Hilfskraft von Wien nach Linz, um zu diskutieren und zu vermitteln. Manfred Eder wurde als wissenschaftliche Hilfskraft angestellt, und die Auszahlungen des Linzer Hochschulfonds an die begünstigten Professoren wurden überprüft. 305

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Dekan Bauerreiss, der unbefugt gehandelt hatte, blieb Dekan,37 obwohl er auch aus einem anderen Grund nicht unumstritten war  : Er war in Graz NSDAP-Mitglied, SS-Rottenführer und Hauptstellenleiter für Rechtspolitik im Gaurechtsamt gewesen. Nach 1945 war ihm daher die Venia Docendi entzogen worden.38 Den Studierenden in Linz war das Faktum bekannt.39 Im Fall der Professorenzulagen stellte sich die politisch moderater eingestellte Mehrheitsfraktion ÖSU auch auf die Seite Eders.40 Der ÖSU- und ÖH-Vorsitzende Helmut Kukacka, der später Staatssekretär werden sollte, schrieb seine Diplomarbeit im Fach Soziologie über diese Ereignisse und versuchte, die Auswirkungen auf die nächsten Hochschülerschaftswahlen zu untersuchen.41 Im Hochschulskandal hatten die Studentenparteien zu rund 90 Prozent für Manfred Eder und den ihn unterstützenden Professor Rothschild Partei ergriffen.42 Eine Art Resümee zog der damalige VSStÖ-Aktivist Othmar Friedl  : »Das [der Fall Eder, MJ] hat sich relativ lange hingezogen, und es hat sich ziemlich etwas verändert. Die Professoren sind vorsichtiger geworden. Uns hat es vorerst gereicht, dass eine Diskussion stattgefunden hat, darüber wie die Abläufe sind, wie verlogen sozusagen Beschlüsse sind, wie geheim und intransparent das war.«43

Eine Abberufung des Dekans, des Prorektors oder weiterer Akteure fand nicht statt, auch an den grundsätzlichen Machtverhältnissen hatte sich nichts verändert. Das bedeutete aber nicht gleichzeitig die Wirkungslosigkeit des Aufbegehrens – die Wissenschaftsministerin war nach Linz geeilt, Rektor Derflinger hatte sein Verständnis für die Studierenden bekundet, erneute Geheimzulagen gab es nicht mehr, und 1971 wurde der studentenfreundliche Kurt Rothschild zum Rektor gewählt.44 Die Zahl der Studierenden hatte in der Zwischenzeit deutlich zugenommen, von 562 im Jahre 1966 auf 2.118 im Wintersemester 1971. Und es setzte sich 1971 die Proteststimmung fort, bei den ÖH-Wahlen im Jänner wurde die enorme Wahlbeteiligung von 60,8 Prozent erreicht. Die Studentenpartei »Aktion« errang einen großen Erfolg, 22 Prozent der Stimmen, die ÖSU erhielt 42 Prozent, ein bescheidenes Ergebnis mit einem Verlust von rund 7 Prozent.45 Linksgerichtete Studierende sahen sich, was die Ressourcen und die Vertretung anbelangte, in der Folge zu wenig repräsentiert und besetzten die Räumlichkeiten der Hochschülerschaft. Die Polizei griff nicht ein, es kam allerdings zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Studierenden  ; schließlich blieb es bei der Dominanz der ÖSU.46 Der VSStÖ hatte vom »Fall Eder« bei den Studentenwahlen weniger profitieren können, als zu erwarten gewesen wäre. Die Gruppierung fuhr ein deutliches Minus ein und verfolgte einen vergleichsweise markanten Kurs. Es wurde die Mensa bestreikt. Für Aufregung sorgte auch, dass Eder und der oberösterreichische VSStÖ die »restaurativen Tendenzen« der Politik von Verteidigungsminister Lütgendorf 306

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kritisierten.47 In der oberösterreichischen Landeshauptstadt fand am 8.  Juni 1971 ebenso wie in anderen Städten eine Demonstration gegen Kreiskys Verteidigungsminister Lütgendorf statt, zu der auch der VSStÖ aufgerufen hatte.48 In Linz war der VSStÖ schon früher maßgeblich an einer Demonstration gegen die Erhöhung der Fahrpreise für öffentliche Verkehrsmittel beteiligt gewesen, die sich damit direkt gegen deren Eigentümer, die sozialdemokratisch regierte Stadt Linz gerichtet hatte.49 Ab diesem Zeitpunkt war das Verhältnis des VSStÖ zur Sozialdemokratischen Partei in der Landeshauptstadt deutlich getrübt. Im Zuge eines Aufstands gegen die harten Methoden in einem Erziehungsheim in Linz-Süd leistete die ÖH im Sommer 1971 aktive Unterstützung.50 Im Herbst folgten Hörerversammlungen. 1971 war ein aktives Jahr – unterschiedliche Fraktionen unterstützten damals logistisch und inhaltlich die studentische Protestbewegung. Um Namen zu nennen  : Peter Kuthan, Michael Pollak, Herbert Vorbach, Josef Weidenholzer, Othmar Friedl, Manfred Eder, Renate Janota, Margit Knipp, Nikolaus Trojan, Richard Berndt, Greta Skau, Wolfgang Moringer hießen damals die »local heroes« aus dem harten Kern der Studentenbewegung  ; Aktivisten und Aktivistinnen, die den Protest offensiv vorantrieben.51

Eine prüfungsfreie Universität und Marxismus-Diskussionen Zu dieser Zeit konnte man auch von einem gewissen Schulterschluss von Studierenden, Assistenten und Assistentinnen sowie Teilen der Professorenschaft sprechen.52 An der Hochschule herrschte ungeachtet einer konservativ ausgerichteten Professorenmehrheit eine reformorientierte Aufbruchsstimmung. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich der »Law and Order«-Dekan Bauerreiss nicht gegen den linksgerichteten, antiautoritäre Akzente setzenden Kurt Rothschild durchsetzen konnte. Nachdem Rothschild zum Rektor der Hochschule Linz gewählt worden war, veröffentlichte er etwa einen Artikel namens »Prüfungsfreie Universität«, in dem er diese propagierte.53 In einem Interview mit sozialistischen Studenten und Studentinnen trat er unmissverständlich für eine egalitärere Gesellschaft und für flachere Hierarchien in Gesellschaft und Hochschule ein. Er stehe auf der Seite »der Entrechteten«.54 Unterstützung erhielt der damalige Rektor auch von Kazimierz Łaski (1921– 2015), der 1971 zum Professor für Volkswirtschaft in Linz berufen wurde. Łaski kam aus Polen, war jüdischer Herkunft wie Rothschild, er hatte sowohl das Angebot, an einer französischen Universität zu lehren als auch nach Linz berufen zu werden. Łaski dazu rückblickend  : »I did not know the University of Linz, was never before in this town but I could not wipe out from my memory the names of some Linz inhabitants […]. Ernst Kaltenbrunner, Adolf 307

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Eichmann and the worst Franz Stengl [Stangl, MJ], the commandant of the Death Camp in Treblinka, where all my family was gassed. On the other hand my children continued their education in German, and my wife was quite fluent in German […]. Moreover, the hospitality that I personally and my family enjoyed since the moment of our arrival to Austria did play an important role. I decided to choose the University of Linz.«55

Łaski sollte in Linz zwei Jahrzehnte lang lehren, Kollegen ebenso wie Studierende verwiesen auf seine Fachkenntnis, seine Freundlichkeit und sein entgegenkommendes Wesen.56 Auf die Bedeutung der Existenz eines zumindest linksliberalen Einflusses im Professorenspektrum hat Christian Fleck aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass dieser Einfluss in der neu gegründeten Universität Linz stark gewesen sei.57 Einige Institute und ihr Lehrpersonal boten spezifische Möglichkeiten an, sich mit Fragen der Entwicklung der Arbeiterbewegung und marxistischer Theorie auseinanderzusetzen, wie etwa das Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte. 1971 bis 1973 wurden sowohl ein Lehrgang als auch Konversatorien angeboten. Erhalten gebliebene Listen der Referenten und Referentinnen wiesen etwa unter anderem Gerhard Praschak, Helmut Konrad, Peter Kuthan, Gerhard Botz, den als »roten Rudi« apostrophierten Rudolf Wohlgenannt, Hans Hautmann und den Institutsvorstand selbst, Karl R. Stadler aus.58 »Es ist wild diskutiert worden«, erinnert sich Hans Hautmann  : »Und es wurde auch der Stadler attackiert wegen seiner ›rechtsstehenden‹ Sozialdemokratie. Wir haben sogar in einem Hörsaal öffentliche Veranstaltungen gehabt. Wir haben Bruno Pittermann eingeladen, zum Thema Wirtschaftslenkung in der Zweiten Republik. Eine lange Diskussion hat es gegeben, der Hörsaal 2 war bummvoll. Und einmal hat Joe Weidenholzer zu mir gesagt  : ›Geh, lade den Erwin Scharf ein‹, und er ist auch nach Linz gekommen. Das waren erfolgreiche Veranstaltungen, eine sehr gute Sache für die Politisierung der Studenten.«59

Im Zuge der Entspannungspolitik fuhr im März 1972 eine Delegation der Universität Linz auf Einladung der DDR nach Berlin, Leipzig, Halle und Dresden.60 Mit dabei waren der Rektor, der Philosoph und ausgewiesene Marx-Kenner Rudolf Wohlgenannt, Studierende und Assistenten/Assistentinnen, darunter Hans Hautmann  : »Es war lustig, ich war Delegationsleiter, und Rothschild ist als Rektor mitgefahren. Er hat sich aus so etwas nichts gemacht, er war nicht eitel. Rothschild war ein Typ, der hat das nicht gebraucht, das Repräsentieren und ›Ich-bin-der-Chef‹-Sein. Er hat also mir den Delegationsleiter überlassen.«61

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Schließlich kann auch der »Fall Renate Pluta« als Ausdruck des spezifischen Klimas an der jungen Hochschule und als Indiz verstärkter Zivilcourage gesehen werden. Im Zuge einer Amtshandlung der Polizei wurde die Soziologiestudentin Renate Pluta offenkundig erheblich verletzt. Der behandelnde Arzt im Allgemeinen Krankenhaus Linz erstattete Anzeige. Eine polizeikritische Protestresolution, die vom VSStÖ ausging, unterzeichneten auch Professoren sowie Assistenten und Assistentinnen, und zwar nicht nur links-liberale Intellektuelle, sondern etwa mit Dekan Wolfgang Bauerreiss, mit Richard Holzhammer, Peter Rummel, Herbert Schambeck, Helmut Widder, Ernst Sucharipa, Bruno Binder und Manfred Rotter eine Reihe von Juristen ebenso wie auch etwa die Hochschullehrer Klaus Zapotoczky und Hans Bach, die nicht als linksgerichtet zu bezeichnen waren. Mit Kurt Rothschild hatte der damals amtierende Rektor unterschrieben, mit Johannes Hengstschläger, Hans Knapp und Rudolf Wohlgenannt drei weitere Personen, die später als Rektoren fungieren sollten. Die Liste der Unterzeichnenden umfasste mehr als 40 Linzer Hochschullehrer.62

Nixon, Die Dritte Welt und die Isolation der 68er-Bewegung An Universitäten und Hochschulen werden Perspektiven entwickelt, die über den lokalen bzw. regionalen Kontext hinausreichen. Von Anfang an wurden internationale Themen wie das Franco-Regime in Spanien, die Verhältnisse in Persien (Iran), in Südamerika, in Griechenland und auch in der Türkei sowie in dominanter Form in Südostasien, vor allem in Vietnam, erörtert. Einen Höhepunkt im österreichischen Protest gegen den Vietnam-Krieg stellten die Demonstrationen vom 20. Mai 1972 anlässlich eines Besuches des US-amerikanischen Präsidenten Richard Nixon in Salzburg dar  : »Eine Demonstration ist in Salzburg und auch von Linz aus mit vorbereitet worden. Dabei waren wir Feuer und Flamme. Nixon und der Vietnamkrieg waren das Feindbild Nummer eins. Wir haben eigene Busse organisiert, viele Studenten aus Linz sind mitgefahren. Danach war es aber irgendwie aus, die Nixon-Demonstration war ein Höhepunkt«,

erinnert sich Josef Weidenholzer.63 Neben dem VSStÖ engagierten sich auch kommunistische Studenten und Studentinnen an der Vorbereitung. Es nahmen rund 3.000 Personen an den Protesten teil. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, oberösterreichische Studenten und Studentinnen spielten dabei eine Rolle, und zu einem harten Polizeieinsatz.64 Neben der Radikalisierung, die von einer Mehrheit der Studierenden nicht mitgetragen wurde, wirkten auch die Spaltungen der frühen 1970er Jahre der Breitenwirkung studentischen Protests entgegen. Die Streitigkeiten innerhalb des linken 309

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Lagers waren durch den Aktionismus der Anti-Nixon-Demonstration »überdeckt« worden, danach nahmen sie stark zu.65 Im Jänner 1973 wurde in Linz eine lokale »Demo« gegen Nixon abgehalten. Im Vorfeld fand die Demonstration noch eine breite Unterstützung durch katholische, sozialistische und kommunistische Jugendorganisationen. Die katholische Hochschuljugend kündigte am Abend vor der Demonstration ihre Teilnahme auf. Laut Zeitungsangaben beteiligten sich schließlich 250 Personen an der Demonstration, die ohne Zwischenfälle verlief.66 Nach 1972 sollte im Protestspektrum die Bedeutung der radikaleren Gruppen zunehmen  : »Ich glaube, dass wir dann eine Reihe origineller Elemente in die Protestkultur eingebracht haben«, erinnert sich Peter Kuthan an seinen Wechsel vom VSStÖ zur radikaleren MLS, zu pointierteren Inhalten und Präsentationsformen  : »Wir haben etwa Veranstaltungen umfunktioniert […] Wir haben abstimmen lassen, was im Hörsaal zu geschehen habe, wir hatten Auseinandersetzungen mit Rechtsextremen […] Organisierte Pfeifkonzerte bei Regierungsveranstaltungen, Sprayaktionen, Graffiti gegen die ›Aktion Leben‹ [eine katholische Organisation, die sich gegen die Fristenregelung stark machte und macht, MJ], die Aufnahme ökologischer Themen. Auch die Wiener Genossen sind nach Linz gekommen und haben sich das angesehen […] Es kam auch zur Anwendung von Gewalt, die aber von der Polizei ausging«,

resümierte Kuthan aus seiner Sicht.67 Die Aktivistin Edith Friedl erinnert sich  : »Wir haben uns etwas getraut, aber viele waren wir nicht. Wir haben während der großen ›Aktion Leben‹-Demonstration mit 20.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen Flugblätter mit der Gegenposition verteilt.«68

Es folgten seitens des (radikaleren) linken Spektrums Demonstrationen in Hinblick auf Kambodscha, die Türkei, Griechenland und Chile, alle mit weniger als 250 oder 200 Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Die politische 68er-Bewegung wirkte nun zunehmend isoliert.69

Die Kanalisierung der Revolte Um 1973 begann der Elan der »klassischen« Studentenbewegung im Sinne der sogenannten »1968er« nachzulassen. Dies stand im Zusammenhang mit der Regierungszeit des intellektuellen Sozialdemokraten Bruno Kreisky (1911–1990), der 1970 eine Minderheitsregierung bilden konnte und von 1971 bis 1983 mit absoluter Mehrheit regierte. Obgleich aus einer anderen Generation stammend und realpolitisch ein Gegner der »1968er«, gelang ihm und seinen Team ein Kunststück  : »Kreisky lenkte 310

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die großen Themen der Jugendrevolte – Vietnam, Mitbestimmung, freie Sexualität – auf die Mühlen seiner Politik. Das Lebensgefühl dieser protestierenden Jugend […] war ihm nicht fremd.«70 Kreisky war ein realpolitischer Gegner der Studentenbewegung, nahm auch Stellung gegen den VSStÖ und gegen alle kommunistischen Gruppierungen. Gleichzeitig hatte er, der selbst in den 1930er Jahren als Student inhaftiert worden war und Mitglied der damals illegalen »Revolutionären Sozialisten« wurde, Verständnis für die Studentenbewegung.71 Der zeitgenössische Protest wurde durch die Maßnahmen der nun amtierenden Regierung Bruno Kreiskys kanalisiert – etwa durch eine Reform des Bundesheers oder durch Liberalisierungen im Strafrecht wie das Verbot diverser Körperstrafen, die (weitgehende) Entkriminalisierung der Homosexualität oder die Einführung der Fristenregelung in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs. Die Universitätsreform von 1972 (gebührenfreier Zugang zum Studium für Inländer und Inländerinnen sowie Studierende aus »Entwicklungsländern«), das Schulunterrichtsgesetz 1974 und das Universitätsorganisationsgesetz 1975 zielten auf eine Demokratisierung von Schule und Universität durch verstärkte Mitsprachemöglichkeiten ab, so wurde etwa an den Universitäten auf verschiedenen Ebenen die Drittelparität implementiert. Und im Bereich des Geschlechterverhältnisses sollte nicht nur die Familienrechtsreform (durch die Abschaffung des Mannes als »Haupt der Familie«), sondern auch das erste Gleichbehandlungsgesetz von 1979 (Festsetzung des Entgelts in der Privatwirtschaft) zu mehr Demokratie zwischen den Geschlechtern beitragen.72 Als Mitglied und zeitweiliger Vorsitzender des Linzer Assistentenverbandes hielt Gerhard Botz zur Entwicklung in Linz fest  : »Gerade weil einige Assistentenkollegen bei besonders liberalen Professoren wie Karl Stadler, Kurt Rothschild und Erich Bodzenta waren, konnten wir uns stark engagieren und für andere sprechen. Wir haben uns geärgert über die Ausbeutung von Assistenten, die damals stattgefunden hat. Gemeinsam mit einigen Ökonomen, Juristen, Soziologen und Statistikern haben wir bei einiger Skepsis gegen Hausberufungen ein radikales Forderungsprogramm, strenge Drittelparität, Abschaffung von Qualifikationsstufen, rationale Entscheidungen durch alle Gremien, utopisch wie nur was, durchgebracht […] Das war fertig, wie der Kreisky gekommen ist.«73

Bei der Pressure-Group dabei waren der Volkswirt Ewald Nowotny, die Sozialrechtlerin Ingrid Nowotny, der Völkerrechtler Manfred Rotter und die Soziologen Laszlo Vaskocics und Klaus Zapotoczky.74 Das Mitbestimmungsmodell hatte Folgen, wie Helmut Konrad, damals Assistent in Linz, festhielt  : 311

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»Ich kann selbst als gutes Beispiel dienen […] Ohne viel vom Universitätswesen zu verstehen, saß ich sehr bald im nunmehr zu konstituierenden Senat der Hochschulen und spielte auf dem Klavier der nichtprofessoralen Mitbestimmung. Es herrschte also Frühling und Aufbruchsstimmung, die Probleme waren über Wachstum lösbar. Neue Sichtweisen stellten die konservativ-nationale Dominanz in Frage. Gerade in Linz.«75

Im Vergleich zur vergangenen Ordinarienuniversität tat sich am 22. Oktober 1976 in Linz Revolutionäres – ohne Sprechchöre, Demonstrationen oder Steinwürfe. Im Sitzungssaal der Universität wurde der neue Vorsitzende der Budget-Dienstpostenplan-Kommission der Rechtswissenschaftlichen Fakultät bestimmt. Acht Personen nahmen an der Sitzung teil, erstmals kandidierte mit Franz Dobusch ein Mitglied mit nicht-abgeschlossenem Studium, also ein Student, gegen den ehemaligen Rektor Rudolf Strasser um den einflussreichen Posten. Dobusch wurden mit fünf zu zwei Stimmen gewählt (eine Stimme entfiel auf Professor Peter Oberndorfer). Binnen zehn Minuten war die Sitzung zu Ende, der Vorsitzende Johannes Hengstschläger trat zurück, Franz Dobusch wurde in weiterer Folge neuer Vorsitzender  :76 »Ich war kein 1968er,« erinnert sich Dobusch, der lange Jahre als Bürgermeister der Stadt Linz wirken sollte, »der Stil war nicht meine Sache, ich war engagiert, ja. Aber das war schon ein Umbruch, ich bin wirklich zum neuen Vorsitzenden gewählt worden, mit nicht abgeschlossenem Studium. Tatsache.«77 In Linz sollte der Schwung einer gewissen Aufbruchsstimmung bis Ende der 1970er Jahre reichen. 1975 wurde die Hochschule zur Johannes Kepler Universität, weitere Investitionen wurden getätigt, die Universität weiter ausgebaut. 1976 schlossen sich die Linzer Studenten und Studentinnen Österreich weiten Protesten an, die vor allem für den laufenden Lehrbetrieb mehr Mittel forderten.78 Von 1977 bis 1979 fungierte mit dem Philosophen Rudolf Wohlgenannt erneut ein Linksintellektueller als Rektor. Dieser gründete das Kulturinstitut an der Johannes Kepler Universität. Ziel war es, das kulturelle Leben auf dem Campus und im Universitäts-Stadtteil zu beleben, die wichtigste ständige Einrichtung des Instituts war das Universitätsorchester, eine Neuerung, die ausschließlich von gemeinsamen kulturellen Interessen getragen wurde.79 Ende der 1970er Jahre hatte sich die regionale ÖSU, die Österreichische Studentenunion, an der Universität Linz so weit nach links bewegt, dass sie von der gesamtösterreichischen ÖSU mit dem Ausschluss bedroht wurde.80 Die ÖSU in Linz (und auch in Salzburg) vertrat für Konservative provokante Positionen in der Frage der sozialen Ungleichheit, der Notwendigkeit eines Bundesheers und der Bedeutung eines staatlichen Gesundheitswesens  : Durch die Existenz des von der ÖVP geförderten Studentenforums, das als besonders CV-nahe galt, entwickelte die ÖSU an der Universität Linz weiterhin eine gewisse Distanz zu ausgewiesen konservativen Positionen. Der Vorwurf, »marxistisch« zu sein, stand im Raum.81 Noch anlässlich der ÖH-Wahlen 1983 wurde die ÖSU in Linz der »Linkslastigkeit« bezichtigt.82 312

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»Die ÖH war damals eine einmalige Adresse für uns ausländische Studenten«, erinnert sich Selcuk Hergüvenc, der von 1979 bis 1983 das Ausländerreferat leitete  : »Wir haben einige Aktionen gemacht, etwa Mensenbons und Studentenheimzimmer speziell für ausländische Studierende. Auf der Ebene des Ausländerreferats hat uns die ÖSU sehr unterstützt, wir konnten sogar Abdallah Frangi, den PLO-Repräsentanten,83 nach Linz zu einer Veranstaltung holen und mit der Hilfe des damaligen ÖH-Rechtsberaters Bruno Binder eine Regelung für die Aufnahme der Kinder von Gastarbeitern als außerordentliche Hörer an der Universität verwirklichen.84 Und dies gelang als überparteiliches Ausländerreferat der JKU Linz […] Wir hatten auch einen Fußballverein, den FC Internationale. Die Hochschülerschaft hat uns ausländische Studierende sehr unterstützt, der VSStÖ mit Peter Eichbauer, die ÖSU und der KSV mit Klaus Luger und anderen […] Aber die ÖSU hatte das Sagen und war sehr entgegen kommend, Josef Stockinger und vor allem Kuno Haas. Selbst bei der Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit und für ein Wahlrecht 1982/83 war das so.«85

Mittlerweile studierten 5.904 Personen an der Universität Linz (WS 1980).86 Andere Schwerpunktthemen hatten die Demokratie- und Mitbestimmungsfrage an den Universitäten abgelöst  : Die Budget- und Frauenpolitik (Geschlechterfragen), Umweltfragen (Anti-AKW-Bewegung), die Friedensbewegung und auch das »Ausländerthema« hielten an den Universitäten verstärkt Einzug. Eine neue gesellschaftliche Ära zeichnete sich ab, die anhaltende Wirtschaftskrise begann die Gestaltungsspielräume stärker einzuschränken  : Finanzminister Herbert Salcher und Bundeskanzler Kreisky bereiteten ein steuerliches Belastungsprogramm, das sogenannte »Mallorca-Paket«, vor.87Zukunftsangst breitete sich aus, eine aggressive Rüstungspolitik der USA führte zu Songs wie »Besuchen Sie Europa, solange es noch steht«, auch Studenten und Studentinnen überlegten damals, auszuwandern.88

»Verkrustete Strukturen aufbrechen … und ein neuer Umgang« Vom »längsten Jahr« sprach Ernst Hanisch und meinte »1968«. Die linksgerichtete, aber nicht parteipolitische, kulturelle Rebellion  – sie reichte weit in katholische Kreise hinein  : »Die Jahrgänge von 1940 bis 1955 (plus/minus), eine Generation,« so Hanisch, »die von einem bestimmten Lebensgefühl getragen wurde und deren Mentalität, Denkformen und Lebenspraxis von der 68er-Bewegung mitgeformt wurden  ; das wirkte auch auf die Gegner […] ›1968‹ dauerte länger als ein Jahrzehnt, nämlich von Mitte der Sechziger- bis Ende der Siebzigerjahre.«89

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Als Irene Dyk-Ploss im Mai 1965 in ihrem Maturajahr einen UNO-Redewettbewerb gewann, wurde sie zur Direktorin des Gymnasiums gerufen  : »Ich habe gedacht, sie wird mir gratulieren. Ganz im Gegenteil  : Sie sagte zu mir, Bichlbauer, so hieß ich damals, eine Kreuzschwesternschülerin produziert sich nicht in der Öffentlichkeit. Also, da war kein Aufbruch spürbar.«90

Als sie zu studieren begann und Teil der damaligen Studentenbewegung wurde, mit dabei war, ein Heim und auch ein Institut zu besetzen, durchlebte die junge Frau eine enorme Entwicklung  : »Ich sage, für mich war es der Weg vom Entchen zum Schwan. Ich habe gelernt, man kann etwas verändern, nur muss man etwas tun, und man braucht dazu die Leute, die das mit einem machen, dann geht es. Das war absolut prägend für mich.«

Letztlich sei es damals um Folgendes gegangen  : »Man wollte verkrustete Strukturen aufbrechen, und das ist auch gelungen.«91 Um zu erkunden, wie sich »1968« in Linz manifestiert hat, wurden 20 Interviews geführt bzw. perzipiert  ; die Auswahl war nicht repräsentativ, aber auch nicht zufällig.92 Es handelt sich um Personen, die an den Ereignissen im Kontext der Hochschule und der Protestbewegung beteiligt waren. In allen wird für den Zeitraum des »langen Jahres 1968« eine spezifische Mischung aus Aufbruchs- und Umbruchstimmung erinnert.93 Nostalgie, Verklärung  ? »Wer an seine Studentenzeit zurückdenkt, wird nostalgisch«, meinte etwa Christoph Leitl, damals Student, heute Präsident der Bundeswirtschaftskammer, seinerzeit auf der Liste der linksliberalen »Aktion« kandidierend.94 Was bleibt von früheren Wahrnehmungen und Gefühlen in späteren Berichten  ? »Gefühlte Jugend« oder »Gefühlte Adoleszenz« könnte man es in Anlehnung an Linde Apel nennen.95 Wobei das konkrete Alter weniger eine Rolle spielt, denn »sich als aktiv handelndes Individuum erfahren zu haben.«96 Dies war bei allen Interviewpartnern und -partnerinnen der Fall. Das Spezifische an der Hochschule bzw. Universität Linz ist dabei  : Nach allen vorliegenden Quellen waren die Handlungsspielräume, die Freiräume vergleichsweise groß, in den 1970er Jahren war der Einfluss der nicht-beharrenden Kräfte in Linz stark und dies möglicherweise etwas länger als an anderen Universitätsstandorten. Die einfachen Kontaktmöglichkeiten mit den Lehrenden bis hin zur partiellen Solidarität wurden stets betont, fast im Sinne einer »Gedächtnisgemeinschaft«.97 Die 1968er-Generation erlebte damals in Linz ein neues Lebensgefühl, nicht nur im Hörsaal, sondern in verschiedenen Lebensbereichen  : Margit Knipp erinnert sich  : »Wenn man bedenkt – ein kurzer Zeitraum  : Ich war Mitte der sechziger Jahre zwei Jahre in einem Mädchenheim […] Es war eine dauernde Kontrolle, beim Essen, im Schlafsaal, 314

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beim Beten, beim Waschen. Strenge Kleidungskontrolle, unerträglich  ! Ich bin mir vorgekommen wie im Gefängnis […] Dann habe ich allein ein Untermietzimmer gehabt […] Und wurde Studentin, kam auf die Hochschule […] Und dann kamen die WGs, die Wohngemeinschaften, das waren damals meist Leute von der Hochschule […] Ich denke, ich bin 1970 in die erste WG gezogen, ich war in mehreren. Wir haben viel diskutiert, es war meiner Erinnerung nach behaglich und kommunikativ.«98

An ihre Zeit als studentische Aktivistin hat sie positive Erinnerungen  : »Die ›Aktion‹ war eine Sammlung von Freigeistern, hat gekämpft um mehr Mitbestimmung, mehr Freiheit, das war der Ausgangspunkt dieser Bewegung […] Ich habe bei der ganzen Organisationsarbeit, angefangen von der ›Aktion‹ bis zu meiner späteren Mitgliedschaft bei der MLS, viele praktische Dinge gelernt, Flugblätter formulieren, Protest organisieren, Hörerversammlungen usw. […] Man darf nicht vergessen, es gab danach immer eine Party, Musik, man hat etwas getrunken, es war lustbetont. Heute ist das alles selbstverständlich, aber damals  ?«99

»Damals« war 1970, 1971  : Wohngemeinschaften waren etwas Neues, in erster Linie lebten in ihnen Studenten und Studentinnen, wie etwa in der »Roten Lokomotive«‹ in der Schubertstraße. In dieser Wohngemeinschaft wohnten unter anderem die Studierenden Peter Kuthan, Wolfgang Moringer, Richard Berndt, die aus Norwegen stammende Soziologiestudentin Greta Skau, Peter Utz und Sylvia N. »Das war die erste Kommune in Linz. Die ›Rote Lokomotive‹ war ein Abendprogramm – für die Studenten und die Szene. Also man ist abends, da ist man einfach hingegangen auf einen Tee, oder was zu trinken, politische Unterhaltungen führen oder einfach quatschen. Da war immer ›open house‹. Da ging man hinein, da waren dann politische Plakate, ein großer Tisch«,

erinnert sich die ehemalige Studentin Hedwig Kuthan.100 »Die größte Attraktion war das riesige Gemeinschaftsbett, in dem wir alle geschlafen haben, das wollten alle sehen«, ergänzt Peter Kuthan.101 Ludwig Scharinger hat anders akzentuierte Erinnerungen. Er war ÖSU-, CVMitglied und Katholik. Er wurde später Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich, von Kritikern und Kritikerinnen als »König Ludwig« tituliert.102 Scharinger grenzt sich von der Linken klar ab, er klassifiziert die damaligen Aktivitäten aber positiv  : »Ich gehöre an sich zur 68er-Generation.« Ins Detail gehend heißt es dann über seine Zeit als stellvertretender ÖH-Vorsitzender  :

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»Die Professoren haben bestimmt und geherrscht. Am meisten gelitten hat der Mittelbau – die Assistenten und wissenschaftlichen Hilfskräfte. Die haben sich sehr stark mit den Studenten solidarisiert gegen die Professoren  : So wurden diverse demokratische Rechte eingeführt […] Wir haben die Drittelparität auf allen Ebenen durchgebracht, gewisse Prüfungsmethoden, gewisse Objektivierungen […] Wir konnten in den akademischen Gremien dabei sein. Damit hat man uns wahrgenommen.«

Laut Scharinger hat die Studentenbewegung zu einer Gesellschaftsveränderung beigetragen  : »Es hat von der Uni aus eine Demokratisierung fast aller Lebensbereiche begonnen […] Die autoritären Strukturen sind aufgeweicht worden […] Es war eine wilde, prägende Zeit für mich. Vorher hast Du Dich mit einem Professor fast nicht zu reden getraut. Auf einmal sitzt Du ihm auf Augenhöhe gegenüber, verhandelst mit ihm […] Es hat mich ganz enorm gefestigt und geformt.«103

Erinnerungen an diese Zeit sind von den Personen abhängig, die sie mit sich tragen. Seyfollah Seyyed-Hashemi stammt aus dem Iran (damals Persien), er kam als Flüchtling. Zuerst studierte er in Wien, lernte die studentische Realität in der Bundeshauptstadt kennen  : »Als ich von Wien (Hochschule für Welthandel) nach Linz kam, war alles sehr angenehm, meiner Erinnerung nach«, hält er fest. »Man konnte alle Vorlesungen besuchen, zu Professoren gehen und das Anliegen vortragen, ich habe Linz als sehr fortschrittlich empfunden, habe 1975 bis 1980 Sozialwirtschaft studiert. Als ich kam, hat man mir als Ausländer so ein blaues Autokennzeichen gegeben. Die ÖH hat mich zum Dr. Binder, ihrem Rechtsberater, geschickt und der hat es dann geregelt […] Ich glaube, die Studenten waren sehr fortschrittlich, auch die ÖSU hat sich von Ausländeranliegen überzeugen lassen. Und meinem Gefühl nach waren auch die Professoren weniger konservativ.«104

Selcuk Hergüvenc, aus der Türkei stammend, meinte dazu  : »Die Verwaltung der Universität, Zeugnisanerkennung, die haben mit mir gespielt, das war kolonial [lacht], die Verwaltung sehe ich nicht so positiv, die haben Schwierigkeiten gemacht, 1978,79 […] Aber viele Professoren waren in Linz wirklich offen. Ich habe bei Professor Kulhavy oder bei Professor Fürstenberg nicht ins Sekretariat gehen müssen, sondern man hat dort direkt angeklopft und ist eingetreten. Bei Fürstenberg habe ich die Dissertation geschrieben, Wirtschaftssoziologie, bin wunderbar behandelt worden. Und zu Professor Stadler, Weidenholzer und vor allem zu Helmut Konrad, da gab es einen sehr guten Draht.«105 316

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»Auch Professor Bach war offen und neugierig, und er war ›schwarz‹ [politisch konservativ, MJ], er war entgegenkommend«, ergänzt Seyyed-Hashemi. »In der Zeit gab es eine recht positive Stimmung, ich sage das als damals iranischer Student.«106

Und Gerhard Botz, damals Assistent, etwa begann gegen Ende der 1970er Jahre Studierende zum Abschluss des Seminars zu sich und seiner Frau, einer Griechin, einzuladen, zu einem Buffet, oder es wurde aufgekocht.107 Auch der Mathematiker und spätere Rektor Hans Knapp (1935–2004) lud Studierende zu sich ein, es wurde diskutiert und gefeiert.108

Schlusskadenz Weder die regionale noch die österreichische Gesellschaft hat sich durch eine hyperaktionistische Minderheit bleibend verändert, viele Themen wurden damals zwar angestoßen, wurden aber im Prinzip nicht aufgearbeitet.109 Die späten 1960er und 1970er Jahre waren auch eine Phase gelebter Illusionen. Christian Fleck ironisiert die 1970er Jahre in Anlehnung an Stefan Zweig als eine nostalgische »Welt von gestern  ?«, für die er auch das »besser gewesen zu sein« thematisiert und für die Universitäten verneint.110 Die Hochschule in Linz erlebte damals jedenfalls eine ereignisund konfliktreiche Phase, in der es zu vielen Veränderungen kam. Der oberflächliche Vergleich mit heute verbietet sich  : andere Gesellschafts-, andere europäische, andere globale Systeme, ein anderes Verhältnis der Geschlechter, ein wesentlich stärkerer ökonomischer Druck. Die Aufbruchsstimmung, die Spielräume, das Entdecken eines neuen Lebensgefühls nachzuzeichnen, auch der Versuch mit Mitteln des Oral History-Interviews den subjektiven Versuchen Raum zu geben, im Rückblick Ereignisse zu ordnen, zu deuten, ihnen einen Sinn zu geben, ist hingegen legitim.111 Edith Friedl wurde 1951 in Freistadt geboren  : »Ich war von Anfang an dabei, 1969 noch als Mittelschülerin bei der Franco- und dann bei der ESG-Demonstration, ich habe schon bald in Wohngemeinschaften gelebt und dann im WIST-Heim mit dem Buffet im 13. Stock, wo man sich allerlei ausgedacht hat.«112

Sie hat eine interessante, aber männlich dominierte Szene erlebt. »Und ich war vier Jahre als Angestellte, im Mittelbau, auf der Hochschule (Universität), bei der Experimentalphysik, von 1973 bis 1977 bei der ›roten‹ Experimentalphysik, bei Helmut Heinrich. Es gab eine zweite Experimentalphysik, unter Professor Paul, die war ›schwarz‹. Wir hatten einen gemeinsamen Sozialraum und da sind wir in den Pausen gesessen, wir und die ›Paulaner‹, und haben uns angefunkelt  ! Da wurde schon auch heftig diskutiert 317

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[…] Ich habe aber den Eindruck, dass es auf der Uni damals flachere Hierarchien gab, bei den Diskussionen etwa, ich konnte Leute beeinflussen, Assistenten, auch Professoren, wir haben bis heute Kontakt.«113

Die Aktivistin spürte dann eine gewisse Flaute bei den klassischen Linken  : »1974 haben wir das ›Unabhängige Frauenkollektiv‹ gegründet, im Keller des WIST-Heims. Anfangs haben wir auch Männer zugelassen, wollten nicht diskriminieren. Das war ein Fehler  : Soziologiestudenten, die haben gesagt, wir wüssten nichts, seien unpolitisch, wir – die Frauen als Nebenwiderspruch  – ignorierten den Hauptwiderspruch.114 Nein, dann haben wir nur mehr Frauen eingeladen, wir haben Simone de Beauvoir, Janssen-Jurreit, Bornemann und Meulenbelt gelesen und diskutiert, vielleicht 20 Frauen […] Irgendwann brauchten wir wieder Aktionen, und wir haben eine wilde Störung bei der Eröffnung der Peep-Show in der Goethestraße durchgeführt und eine Miss-Oberösterreich-Wahl aufgemischt. Man hat die Veranstaltung im Kaufmännischen Vereinshaus abgebrochen, die Polizei hat uns mitgenommen, wir haben eine Ordnungsstrafe bezahlt, die ›Kronen-Zeitung‹ berichtete. […] Das hat auf jeden Fall auch Spaß gemacht, das war etwas Lebendiges.«115

Schließlich versuchen Studentinnen ebenso wie berufstätige Frauen erneut einen Akzent zu setzen  : »Ja, wenn’s ein Haus findets«, sagte der Linzer Bürgermeister zum Anliegen, ein Frauenhaus zu eröffnen. »Und das haben wir«, erinnert sich Edith Friedl, »in der Altenbergerstraße das alte ÖVP-Studentenheim, das seit zwei Jahren leer stand.«116 Die Aktion, an der Frauen aus dem Bund Demokratischer Frauen (BDF), dem Unabhängigen Frauenkollektiv und der Uni-Frauengruppe »Nora« teilnahmen, startete am 14. November 1980  : »Wir haben uns gut vorbereitet, Notstromaggregate mitgenommen, vier Anwälte waren bereit, Moringer, Anderle, Tasler und Bruno Binder. Und dann sind wir hinein, vielleicht 70 Frauen […] Nach fünf Tagen hat die Polizei die Hausbesetzung aufgelöst. Man hat uns aus dem Gebäude hinausgetragen.117

Es gab internationale Solidaritätsbekundungen, Presseberichte, in der Folge wurde 1982 ein Linzer Frauenhaus eingerichtet.118 »Damals hatten sich die aktionistischen Studentengruppen aufgelöst«, so Friedl, »oder verändert. Die Leute haben das Studium abgeschlossen, es entstanden Familien, man wurde berufstätig. Es kam zur Vereinzelung. In den 1980er Jahren wurde es grau für einige Jahre, gesellschaftlich. Für mich war diese Studentenheimbesetzung das Ausklingen der 68erBewegung in Linz, die Schlusskadenz.«119

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Interviews Interview mit Gerhard Botz, geb. 1941, am 4.6.2013. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Franz Dobusch, geb. 1951, am 15.3. 2010. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Irene Dyk-Ploss, geb. 1947, am 31.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Hans Hautmann, geb. 1943, am 23.7.2012. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Selcuk Hergüvenc, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Siegbert Janko, geb. 1945, am 27.5.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 320

»1968« und die Folgen

Interview mit Hedwig Kuthan, geb. 1950, am 26.4.2006. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Peter Kuthan, geb. 1945, am 26.4.2006 und am 10.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Kurt Rothschild, 1914–2010, am 6.6.2005. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Seyfollah Seyyed-Hashemi, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Interview mit Josef Weidenholzer, geb. 1950, am 23.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers.

Anmerkungen  1 In den Text verwoben wurden Passagen einzelner Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die in verschiedenen Formen Teil der Geschehnisse und Ereignisse in Linz waren. An dieser Stelle sei allen Interviewpartnern und -partnerinnen herzlich gedankt. Alle Interviews wurden sprachlich geglättet. Vielen Dank auch an Wolfgang Reder, Andreas Reichl und Maria Wirth für die reichhaltigen Quellenhinweise.   2 Vgl. dazu auch Michael John, Protest, Unruhe und ein violetter Mantel – 1968 und die Folgejahre in Linz, in  : Fritz Mayrhofer u. Walter Schuster (Hg.), Linz im 20. Jahrhundert, Bd. 2, Linz 2010, S. 837–884.   3 Vgl. Martin Klimke u. Joachim Scharloth (Hg.), 1968. Handbuch zur Kultur- und Mediengeschichte der Studentenbewegung, Bonn 2008, S. V f.   4 Vgl. Louis Vos, Studentische Bewegungen, in  : Walter Ruegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Band IV  : Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, München 2010, S. 249–282, hier S. 258–271.   5 Zur Frage der Periodisierung vgl. Maria Wirth, Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung der Johannes Kepler Universität Linz, in  : dies. u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 129 f. und S. 154 f. Der Beginn der Aufbauphase steht mit der Eröffnung des Lehrbetriebs 1966 fest. Das Ende dieser Periode könnte man mit 1979, mit der Inbetriebnahme des TNF-Turms, dem Ende der Kanzlerschaft Bruno Kreiskys 1983 oder mit dem Jahr 1980 festlegen, in dem die letzten größeren Protestaktionen mit Universitätsbezug in Linz stattfanden. In jedem Fall handelt es sich um eine Zäsur mit einer bestimmten Flexibilität.   6 Rudolf Strasser, Blick in die Zukunft  : Auf dem Weg zu einer Universität neuen Stils, in  : Österreichische Hochschulzeitung, Jg. 16, H. 20, 15.12.1964, S. 9  ; Marcus Gräser, Reformuniversität  ? Entlastungsuniversität  ? Eine »Hochschule neuen Stils«  !, in  : Maria Wirth u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 9–24, bes. S. 17.   7 Protokoll des 20. Parteitages der KPÖ, 3. bis 6. Jänner 1969 in Wien. Zit. nach  : KPÖ Oberösterreich (Hg.), Schriftsteller, Journalist, Politiker – Franz Kain (1992–1997), Linz 2007, S. 6.   8 Magistrat der Stadt Linz (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Landeshauptstadt Linz 1967, Linz 1968, S. 72  ; Magistrat der Stadt Linz (Hg.), Statistisches Jahrbuch der Landeshauptstadt Linz 1973/1974, Linz 1976, S. 18.   9 Ebd., S. 233 f. 10 Rudolf Strasser, Jurist in bewegten Zeiten, Wien 2007, S. 199. 11 Hanns Kreczi, Der Linzer Hochschulfonds. Werden und Aufbau der Johannes-Kepler-Universität Linz. Dokumentationsschrift Linzer Hochschulfonds aus Anlass des 10jährigen Bestehens der Hohen Schule in Linz, Linz 1976, S. 101 f. 12 Vgl. Anton Pelinka u. Erika Weinzierl (Hg.), Das große Tabu. Österreichs Umgang mit seiner Vergangenheit, Wien 1987.

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13 Vgl. John, Protest, S. 866 f. 14 Johannes Kepler Universität Linz (Hg.), Die Johannes Kepler Universität Linz 1966–2000, Linz 2000, S. 19. 15 Interview mit Siegbert Janko, geb. 1945, am 27.5.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 16 Am 29. und 31.3.1965 fanden im Zusammenhang mit dem Auftreten des antisemitischen Professors Taras Borodajkewycz an der Wiener Hochschule für Welthandel Massendemonstrationen statt. Studenten und Studentinnen gingen in Wien zu Tausenden auf die Straße. Es war erstmals bei einer Demonstration nach 1945 ein Todesopfer zu beklagen. Der ehemalige KZ-Insasse Ernst Kirchweger wurde von einem Rechtsextremisten niedergeschlagen und erlag seinen Verletzungen. Vgl.: Gérard Kasemir, Spätes Ende für »wissenschaftlich« vorgetragenen Rassismus. Die Borodajkewycz-Affäre 1965, in  : Michael Gehler u. Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim, Innsbruck 2007, S. 486–501. 17 Vgl. John, Protest, S. 837–848. 18 Vgl. Kurier, 26.6.1968, S. 2. 19 Interview mit Josef Weidenholzer, geb. 1950, am 23.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 20 Vgl. John, Protest, S. 847 f.; Franz Xaver Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich. Oder  : Die Lust an der Provokation, Linz 2008, S. 41–56  ; AJKU, 0 Allgemeines, Dokumentation Hochschule Linz 1961–1976, 1/3, Österreichische Hochschülerschaft Information, Dezember 1968, S. 1. 21 Strasser, Jurist in bewegten Zeiten, S.  159 f. Interessant ist, dass Strasser die weiteren Ereignisse  – er wurde selbst mehrfach Zielscheibe massiven Protests – mit keinem Wort erwähnt. Strasser war stellvertretender Arbeiterkammeramtsdirektor, Sozialdemokrat und Gemeinderat in Linz. 22 Es wurden in weiterer Folge signifikante Vorkommnisse ausgewählt, insgesamt sind von 1968 bis 1983 hunderte Protestbekundungen festzustellen. Zu den folgenden Ereignissen vgl. insgesamt John, Protest, S. 837–884 bzw. die ausgezeichnete Diplomarbeit von Elisabeth Berger, 1968 in der Provinz. Ein Beitrag zur Geschichte des studentischen Protests in Linz in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren, Linz 2012. 23 Vgl. Andreas Reichl, Zahlen, Daten und Fakten zur Entwicklung der Johannes Kepler Universität Linz, in  : Maria Wirth u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 211–240, hier S. 236–239. 24 Vgl. John, Protest, S. 86  ; Kritik 69 (Schülerzeitung), Linz 1969. 25 Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 26 Vgl. John, Protest, S. 849 f. 27 Ebd., S. 858 f. und S. 865  ; vgl. weiters Berger, 1968 in der Provinz, S. 80–106. 28 Interview mit Gerhard Botz, geb. 1941, am 4.6.2013. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 29 Gerhard Botz, Zeitgeschichte zwischen Politik, Biografik und Methodik, Köln 2016, S. 54. 30 Interview mit Irene Dyk-Ploss, geb. 1947, am 31.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 31 John, Protest, S. 850  ; Vgl. Berger, 1968 in der Provinz, S. 93–103. 32 Oberösterreichische Nachrichten, 23.10.1970, S. 1. 33 Ebd. Vgl. auch AJKU, E03 Institut für Römisches Recht, 2, Flugschrift Institutsbesetzung bei Strasser. Beschluss der Studentenversammlung vom 22.10.1970. 34 Vgl. Oberösterreichische Nachrichten, 27.10.1970, S. 1  ; Oberösterreichische Nachrichten, 28.10.1970, S. 2. 35 Vgl. Oberösterreichische Nachrichten, 30.10.1970, S.  5  ; Linzer Volksblatt, 31.10.1970, S.  4  ; Linzer Volksblatt, 30.10.1970, S. 5. 36 Vgl. Oberösterreichische Nachrichten, 29.10.1970, S. 1. 37 Dies wurde eindeutig festgestellt. Vgl. Berger, 1968 in der Provinz, S. 98–101  ; Die Perspektive des Dekans Bauerreiss ging aus einer Sachverhaltsdarstellung hervor, vgl. AJKU, E03 Institut für Römisches

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Recht, 2, Sachverhaltsdarstellung über die Ereignisse an der Linzer Hochschule (21. bis 29.  Oktober 1970), Dekan Bauerreiss, 11.12.1970. 38 Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes. Neue Folge, H. 15, 1950, Graz 1951, S. 430–433  ; Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik (Hg.), Grenzfeste Deutscher Wissenschaft. Über Faschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz, Graz 1985, S. 69. 39 Vgl. top public, Jg. 2, H. 1, 1967, S. 15. 40 Vgl. Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 98 f. 41 Helmut Kukacka, Soziologische Analyse der Linzer Hochschülerschaftswahlen 1971, Univ.  Dipl.Arb., Linz 1971. 42 Vgl. Kukacka, Hochschülerschaftswahlen 1971, S. 59–61  ; Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 95– 104. 43 Interview mit Othmar Friedl, zit. nach Berger, 1968 in der Provinz, S. 100. 44 Vgl. öh-information, H. 14/15, WS 1971/72, S. 5–7  ; Reichl, Zahlen, Daten und Fakten, S. 237. 45 Reichl, Zahlen, Daten und Fakten, S. 224 und S. 236 f. 46 Vgl. Oberösterreichische Nachrichten, 19.3.1971, S. 2  ; Neue Zeit, 19.3.1971, S. 3  ; John, Protest, S. 857, 862. 47 Vgl. Sigrid Nitsch, Die Entwicklung des allgemeinpolitischen Vertretungsanspruches innerhalb des Verbandes Sozialistischer StudentInnen Österreichs (VSStÖ) in Wien im Zeitraum von 1965 bis 1973, Univ. Dipl.-Arb., Wien 2004, S. 204. 48 Vgl. Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 113  ; Berger, 1968 in der Provinz, S. 81–85. 49 Vgl. Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 93. 50 Vgl. Michael John, 1968ff in Linz – Aspekte einer Jugendrevolte, in  : Ingrid Böhler u. a. (Hg.), 7. Österreichischer Zeitgeschichtetag 2008. 1968 – Vorgeschichte – Folgen. Bestandsaufnahme der österreichischen Zeitgeschichte, Innsbruck 2010, S. 53–63, hier S. 57–62  ; Berger, 1968 in der Provinz, S. 107–110. 51 Vgl. John, Protest, S. 857 und S. 869 f. 52 Vgl. Johannes Kepler Universität Linz 1966–2000, S. 42. 53 Kurt Rothschild, Prüfungsfreie Universität, in  : Neues Forum, Jg. 18, H. 215/I/II, November/Dezember 1971, S. 43–45. 54 Cogito, Jg. 6, November 1971, S. 4 f. 55 Kazimierz Łaski, My career as econmist and the role of Kalecki, unter  : http://www.pte.pl/pliki/0/101/ Laski.pdf, aufgerufen am 12.2.2017. 56 Dr.  Kazimierz Łaski, 1921–2015, Prof. emeritus. Vgl.: http://www.econ.jku.at/Laski/, aufgerufen am 12.2.2017. 57 Christian Fleck, Auch eine Welt von gestern  ?, in  : Christian Brünner u. a. (Hg.), Mensch  – Gruppe  – Gesellschaft. Von bunten Wiesen und deren Gärtnerinnen bzw. Gärtnern. Festschrift für Manfred Prisching, Wien 2010, S. 389–400, hier S. 396. 58 Privatarchiv Hans Hautmann, Mappe 27 (Abschriften im Besitz des Verfassers). 59 Interview mit Hans Hautmann, geb.  1943, am 23.7.2012. Aufnahme im Besitz des Verfassers. Bruno Pittermann (1905–1983) war Vorsitzender der SPÖ, Vizekanzler der Republik Österreich und Präsident der Sozialistischen Internationale  ; Erwin Scharf (1914–1994) war Widerstandskämpfer, SPÖ-Zenralsekretär von 1945 bis 1948, später Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der KPÖ. 60 Vgl. Jens Harms, Sinneswandel. Ein Leben im Spiegel der Zeit, Berlin 2012, S. 111. 61 Interview mit Hans Hautmann, geb. 1943, am 23.7.2012. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 62 Vgl. Cogito, Jg. 6, November 1971, S. 2 f. 63 Interview mit Josef Weidenholzer, geb. 1950, am 23.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 64 Vgl. dazu die detaillierte Beschreibung in Ewald Hiebl, »Kein ruhiges Plätzchen«. Studentenbewegung in

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Michael John

Salzburg 1965–1975, Univ. Dipl.-Arb., Salzburg 1991, S. 136–148  ; Interview mit Peter Kuthan, geb. 1945, am 10.3.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 65 Vgl. Fleck, Welt von gestern  ?, S. 389 f. 66 Neue Zeit, 17.1.1973, S. 1. Volksblatt, 20.1.1973, S. 2. 67 Interview mit Peter Kuthan, geb. 1945, am 10.3. 2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 68 Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 69 Vgl. Berger, 1968 in der Provinz, S. 128–148. 70 Vgl. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 465. 71 Vgl. John, Protest, S. 854. 72 Robert Kriechbaumer, Die Ära Kreisky. Österreich 1970–1983 in der historischen Analyse, Wien 2004, S. 181. 73 Botz, Zeitgeschichte, Biografik, S. 55 f.; Interview mit Gerhard Botz, geb. 1941, am 4.6.2013. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 74 Botz, Zeitgeschichte, Biografik, S. 55 f. 75 Helmut Konrad, Universitäten in Bewegung. Zur Dynamisierung des Bildungssystems, in  : Walter Schuster u. a. (Hg.), Stadtarchiv und Stadtgeschichte. Forschungen und Innovationen. Festschrift für Fritz Mayrhofer, Linz 2004, S. 253–261, hier S. 254. 76 AJKU, E01 RE-Dekanat, 21/1, Protokoll über die Wahl des Vorsitzenden der Dienstpostenplan-Kommission, 22.10.1976. 77 Interview mit Franz Dobusch, geb. 1951, am 15.3.2010. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 78 Die ÖH der Universität Linz erklärte hinsichtlich des Vorlesungsstreiks im November 1976, dass sie ihre Kritik nicht ad personam an Ministerin Firnberg richte, sondern die Budgetpolitik der Regierung kritisiere, die zu wenig Mittel insbesondere für die Lehre vorsähen. Oberösterreichische Nachrichten, 12.11.1976, S. 2. 79 Vgl. http://www.kulturinstitut.jku.at/98herbst/7998UniOrchester.html  ; http://www.kulturinstitut.jku. at/98herbst/7998Kulturinstitut.html, aufgerufen am 18.12.2017. 80 Oberösterreichische Nachrichten, 25.1.1978, S. 2  ; 30.1.1978, S. 2  ; 31.1.1978, S. 4. 81 Oberösterreichische Nachrichten, 26.1.1978, S. 2. 82 Oberösterreichische Nachrichten, 15.5.1983, S. 2. 83 Abdallah Frangi war Vorsitzender der Konförderation Palästinensischer Studenten in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich sowie PLO-Vertreter in Deutschland, Österreich und bei der UNIDO. Heute ist er Gouverneur von Gaza. 84 Der Anteil der außerordentlichen Hörer und Hörerinnen stieg von 1978 bis 1983 deutlich an. Der Anteil ausländischer Studierender lag 1980 bei 2,7 Prozent, jener der außerordentlichen Hörer und Hörerinnen bei 8,0 Prozent. Vgl. Studienführer der Johannes Kepler Universität Linz, SS 1978–SS 1984. 85 Interview mit Selcuk Hergüvenc, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers  ; Lebenslauf von Selcuk Hergüvenc, 2016 (Kopie im Besitz des Verfassers). 86 Reichl, Zahlen, Daten und Fakten, S. 224. 87 Vgl. Kriechbaumer, Die Ära Kreisky, S. 237 f. und S. 346. 88 Interview mit Kurt Rothschild, 1914–2010, am 6.6.2005. Aufnahme im Besitz des Verfassers  ; Interview mit Gerhard Botz, geb. 1941, am 4.6.2013. Aufnahme im Besitz des Verfassers  ; Botz, Zeitgeschichte, Biografik, S. 55. In Österreich komponierte 1982/83 die Band »Erste Allgemeine Verunsicherung« das Lied »Stolzer Falke«, in dessen Mittelpunkt träge gewordene Revoluzzer standen, die nach Australien und Neuseeland auswandern wollten. Vgl. Stolzer Falke Songtext, unter  : http://www.songtexte.com/ songtext/erste-allgemeine-verunsicherung/stolzer-falke-3bdcf4dc.html, aufgerufen am 12.1.2017. 89 Die Presse. Spectrum Literatur, 8.3.2008, S. I f.

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»1968« und die Folgen

  90 Interview mit Irene Dyk-Ploss, geb. 1947, am 31.3.2009, Aufnahme im Besitz des Verfassers.   91 Ebd. Vgl. ferner Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 127.   92 Es konnten bei weitem nicht alle Interviews präsentiert werden, dies wird im Rahmen vertiefender Studien geschehen.   93 Selbstverständlich erlebten eine Reihe von historischen Akteuren und Akteurinnen in den 1970er Jahren auch Fehlschläge (Scheitern beim Studium, Drogenprobleme, früher Tod, Selbstmord) – auch diese Biographien gibt es. Im Rahmen der Erfassung eines bestimmten historischen Klimas stehen diese Fälle hier aber nicht im Mittelpunkt. Vgl. John, Protest, S. 867 f. und S. 873.   94 Vgl. Rohrhofer, Die 68er in Oberösterreich, S. 39.   95 Vgl. dazu Linde Apel, Gefühle in Bewegung. Autobiographisches Sprechen über die Jugend, in  : Knud Andresen u. a. (Hg.), Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, Göttingen 2015, S. 59–77.   96 Knud Andresen u. a., Es gilt das gesprochene Wort, in  : dies. (Hg.), Es gilt das gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, Göttingen 2015, S. 7–22, hier S. 19.   97 Zum Begriff vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1999, S. 30.   98 Interview mit Margit Knipp, geb. 1949, am 29.11.2009. Aufnahme im Besitz des Verfassers.  99 Ebd. 100 Interview mit Hedwig Kuthan, geb. 1950, am 26.4.2006. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 101 Interview mit Peter Kuthan, geb. 1945, am 26.4.2006. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 102 Vgl. Die Presse, 13.4.2014 (online). 103 Hans Drachsler u. Josef Ertl, Ludwig Scharinger – Vision und Wirklichkeit, Linz 2002, S. 121 f. Ludwig Scharinger wurde 1942 geboren. 104 Interview mit Seyfollah Seyyed-Hashemi, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers  ; Lebenslauf von Seyfollah Seyyed-Hashemi, 2016. Kopie im Besitz des Verfassers. 105 Interview mit Selcuk Hergüvenc, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 106 Interview mit Seyfollah Seyyed-Hashemi, geb. 1949, am 13.12.2016. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 107 Interview mit Gerhard Botz, geb. 1941, am 4.6.2013. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 108 Persönliche Wahrnehmung. Der Autor wohnte mehr als ein Jahrzehnt direkt oberhalb der Familie Knapp in Linz. 109 Vgl. dazu Friedrich Stadler, Das Jahr 1968 als Ereignis, Symbol und Chiffre gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Konfliktzonen, in  : Oliver Rathkolb u. Friedrich Stadler (Hg.), Das Jahr 1968 – Ereignis, Symbol, Chiffre, Göttingen 2010, S. 9–17. 110 Fleck, Welt von gestern  ?, S. 400. 111 Vgl. Apel, Gefühle in Bewegung, S. 60. 112 Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers. 113 Ebd. 114 Haupt- und Nebenwiderspruch sind Begriffe der marxistischen Diskussion. Als Hauptwiderspruch gilt das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital im Kapitalismus als Grundverhältnis der kapitalistischen Gesellschaft. Der Nebenwiderspruch der Unterdrückung der Frau in Ehe, Familie und Gesellschaft kann allein durch die Beseitigung des Hauptwiderspruchs aufgehoben werden, somit also nur durch die Überwindung kapitalistischer Gesellschaftsbedingungen. Unter anderem hat sich Mao Tse Tung mit diesem Theorem auseinandersetzt. Der Ansatz wurde von Simone de Beauvoir und anderen Vertreterinnen des Feminismus nachhaltig zurückgewiesen. Vgl. Werner Fuchs-Heinritz u. a. (Hg.), Lexikon zur Soziologie, Opladen 1994, S. 267  ; Ursula I. Meyer, Die andere Philosophiegeschichte, Aachen 2007, S. 269. 115 Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers.

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Michael John

116 Ebd. 117 Ebd. 118 Vgl. Berger, 1968 in der Provinz, S. 57  ; Regina Matauschek, … Und immer wieder an der »Ordnung der Welt« rütteln  ! Ein Beitrag zur Geschichte des Autonomen Frauenzentrums Linz, Linz 2011, S. 57 f. 119 Interview mit Edith Friedl, geb. 1951, am 4.1.2017. Aufnahme im Besitz des Verfassers.

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Edeltraud Ranftl

Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies an der JKU

Wie die Entstehung der neuen (Natur-)Wissenschaften, so sollte auch die Gründung der Hochschule in Linz eine rein männliche Angelegenheit sein und sich  – dem Wunsch des Hochschulfonds folgend – keine Frau unter den Gründungsprofessoren befinden.1 Hier geht es nun aber nicht um das Werk von Francis Bacon,2 sondern um Streiflichter durch die Geschichte der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften von einer rein männlichen Wissenschaft(-svermittlung) hin zur Verankerung von feministischer Forschung und Gender Studies in den Curricula der heutigen Johannes Kepler Universität Linz. Der Zulassung von Frauen als ordentliche Hörerinnen an Universitäten an der Wende zum 20. Jahrhundert waren lange Kämpfe und Auseinandersetzungen vorausgegangen. Auch die feministische Forschung und Lehre ist nicht ohne vorherige Proteste und entsprechendes Engagement verschiedenster Gruppen in die Alma Mater eingezogen. Der oftmals steinige Weg dahin sowie auch förderliche Bedingungen werden im Folgenden ein Stück weit nachgezeichnet.

Gesellschaftlicher Kontext in den Anfangsjahren der Hochschule 1967 studierten an der neuen Hochschule insgesamt 713 Personen, davon 85 Frauen – ein Anteil von 11,9 Prozent. Ihr Anteil stieg 1968 auf 14,2 Prozent, und unter den Lehrenden gab es fünf Frauen. 1972/73 waren es 445 Studentinnen oder 16,4 Prozent, unter den 377 Lehrenden fanden sich 20 Frauen, was einen Anteil von 5,3 Prozent der Lehrenden ausmacht.3 Mittlerweile ist nicht ganz die Hälfte (49 Prozent) der Studierenden weiblich, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern liegt der Frauenanteil bei 37  Prozent, und 15 Prozent der Professuren sind mit Frauen besetzt.4 Dekaninnen wurden bisher äußerst selten gewählt. Erste Dekanin war 1972/1973 Marianne Meinhart, die 1969 auch die erste ordentliche Professorin gewesen ist. Eine Rektorin hat die JKU noch nie gehabt. Wer waren die Studenten und Studentinnen der 1960er, 1970er und 1980er Jahre, welche gesellschaftlichen Leitbilder wurden ihnen vermittelt  ? Das in den »goldenen« 1950er Jahren dominierende Leitbild der Geschlechterordnung war der männliche Familienernährer und die »Nurhausfrau«  ; also das Festlegen der Frauen primär auf 327

Edeltraud Ranftl

ihre Ehefrauen- und Mütterfunktionen. Egal, ob dieses Modell der Realität entsprochen hat oder nicht, als Leitbild hat das bürgerliche Weiblichkeits- und Mutterideal auch Arbeiterfamilien erreicht. Die Erziehungsstile in Elternhaus und Schule waren meist autoritär. Insbesondere Mädchen sollten zu Fleiß, Häuslichkeit, Gehorsam und Keuschheit erzogen werden.5 Aber die Mütter, die meist noch zur Kriegsgeneration gehörten, haben den Mädchen auch eine Doppelorientierung mit »auf den Weg« gegeben  ; d. h., eine Orientierung hin auf Familie und Beruf. Dieser sind Mädchen und junge Frauen auch gefolgt, sie haben vermehrt das in den 1960er Jahren auf- und ausgebaute höhere Schulwesen genutzt. Auf der entstandenen Massenbasis einer lernenden und konsumierenden Jugend entwickelte sich ab Ende der 1960er Jahre eine neue Jugendavantgarde, die Schüler- und Studentenbewegung, die 68er-Bewegung, die politische Themen wie Abrüstung, Friedenspolitik, Hochschulreform, Frauenemanzipation und Demokratisierung auf allen Ebenen diskutierte und einforderte. Nach dem Babyboom Anfang der 1960er Jahre sind gegen Ende der Dekade viele Frauen erwerbstätig gewesen und haben Beruf und Familie vereinbaren müssen, am Leitbild der Geschlechterordnung hatte sich noch wenig geändert. Frauen wollten sich nun aber nicht länger in das Korsett einer properen Ideologie der »natürlichen« Geschlechterrollen und einer »geschlechtsspezifischen« Arbeitsteilung zwängen lassen und haben kollektiv nach Wegen gesucht, aus diesem auszubrechen. Das Aufbegehren der Jugendlichen, der Studenten und Studentinnen sowie der Frauen richtete sich auch gegen die Scheinmoral der herrschenden Ordnung der Geschlechter und gegen die »sexuelle Ordnung«. Ein Ziel war  : mehr und selbstbestimmte Freiräume. Im Folgenden werde ich primär die Frauenbewegung behandeln und der Frage nachgehen, wie diese in Linz in »Berührung« mit der Universität kam. Die Aktionen der Frauen in den 1970er und 1980er Jahren waren recht kreativ, ungewöhnlich und mit einem gewissen Witz ausgestattet. Dazu das Credo von Dario Fo  : »Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott.«6

Neue Dynamiken in der Alma Mater Die neue autonome Frauenbewegung7 der 1970er Jahre formierte sich zunächst in der Stadt, scheinbar weit weg von der Universität. Der Leitspruch der international sich verbreitenden Bewegung »Das Private ist politisch« der italienischen Feministin Marierosa Dalla Costa, wurde zunächst nur von Frauen außerhalb der Hochschule »gehört«. Die biologisch begründete Geschlechterdifferenzierung wurde noch nicht in Frage gestellt. Die Studentenbewegung und linke studentische Organisationen diskutierten zwar auch über die Frauenemanzipation, konnte doch das Entstehen von Frauengruppen 328

Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies

und Frauenseminaren an anderen Universitäten nicht übersehen werden, jedoch sollte Frauendiskriminierung weitestgehend behoben sein, wenn der »Hauptwiderspruch« (zwischen Lohnarbeit und Kapital) 8 gelöst wäre. Ja, Frauendiskriminierung, die gesellschaftliche Organisation der Geschlechterverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse, wurde als »Nebenwiderspruch« behandelt. Michael John zufolge gab es in der 68er-Bewegung in Linz durchaus auch Proteste von (Soziologie-)Studentinnen gegen die ihnen zugeschriebene »Frauenrolle«.9 Die »Frauenfrage«, die schon im 19. Jahrhundert als allgemein politische und gesellschaftliche Frage begriffen wurde, hat aber vor den Toren der hiesigen Wissen(-schaft-)svermittlung Halt gemacht. Das sollte sich in den 1980er Jahren ändern. Offen als »Frauenforschung« deklariertes Lehrangebot gibt es an der JKU seit 1984. Zunächst jedoch zum Engagement und Protest von Studentinnen. Einige »frauenrelevante« Reformen10 waren bereits über das Land gezogen, bevor sich 1979 die erste Linzer Uni-Frauengruppe »Nora«11 gründete, im gleichen Jahr also, in dem vier Staatssekretariate mit Frauen (u. a. Johanna Dohnal) besetzt und das Gleichbehandlungsgesetz für die Privatwirtschaft verabschiedet wurden. Die Initiative ging von Frauen aus, die stärker in der autonomen Frauenbewegung, im »unabhängigen Frauenkollektiv«, eingebunden waren. Zu den Treffen von »Nora« kamen Studentinnen der Kunsthochschule und der Universität Linz. Die zentralen inhaltlichen Diskussionen bezogen sich auf die unterdrückte Situation von Frauen, die Ursachen der Frauendiskriminierung und Wege zu deren Überwindung  ; d. h. es wurde auch über die konkreten Situationen und über die Erfahrungen als Studentinnen in Linz diskutiert. Auseinandersetzungen über die Fragen Selbstbestimmung und Autonomie versus Politik der Gleichberechtigung, also »etablierter Frauenpolitik«, wurden in dieser Frauengruppe ebenfalls geführt. 1980 schloss sich »Nora« mit anderen Linzer Frauengruppen und »unorganisierten« Frauen zu einer Aktionseinheit, dem »Linzer Frauenaktionskomitee«, zusammen. Eine große Aktion wurde geplant und durchgeführt. Das Frauenaktionskomitee besetzte am 14. November 1980 ein leerstehendes Studentenheim und verlangte, dieses wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Es wurde ein Ort gefordert, in dem Platz für ein »unabhängiges Haus für misshandelte Frauen und Kinder«, ein unabhängiges Frauenkommunikationszentrum (Frauencafé, -bibliothek, Veranstaltungsräume, Archiv zur Geschichte der Frauenbewegung usw.), eine Krabbelstube sowie einen Kindergarten mit Übernachtungsmöglichkeit und diverse Beratungsstellen sein sollte.12 Dieser Aktion gingen lange Verhandlungen und (leere) Versprechungen von Politikern, sich für die Anliegen der Frauen einzusetzen, voraus. Das Haus wurde nach mehreren Tagen der Besetzung (mit ca. 120 Frauen) polizeilich geräumt. Im Mai 1982 wurde ein Frauenhaus in Linz eröffnet. In diese Aktionen der Linzer Frauenbewegung waren auch einige wenige Wissenschafterinnen eingebunden. 329

Edeltraud Ranftl

Die erste Uni-Frauengruppe »Nora« löste sich Ende 1980 stillschweigend auf. Ab dem Wintersemester 1980/81 konzentrierten sich (vorerst einige) Studentinnen und ÖH-Funktionärinnen auf die Integration der »Frauenfragen« in den Wissenschaftsbetrieb. Die Problematik der Frauendiskriminierung wurde massiv in die ÖH-Politik getragen. Noch 1981 wurde von der Sozialreferentin (Angelika Volst) in eine Senatsarbeitsgruppe zur Planung des weiteren Ausbaues der Universität ein »Konzept der Studentenvertretung zur Einrichtung eines Instituts für Frauenfragen, -bewegung und -politik« eingebracht.13 Das Institut sollte vor allem der wissenschaftlichen Aufarbeitung der im Zusammenhang mit der Frauenbewegung sichtbar gewordenen gesellschaftlichen Problematik der Benachteiligung von Frauen dienen, und die Inhalte sollten in den Studienbetrieb integriert werden. Dieser Antrag auf Errichtung eines Frauenlehrstuhls wurde jedoch abgelehnt. Ab 1982 gab es eine neue Uni-Frauengruppe. Diesen Studentinnen war wichtig, ein Bewusstsein, eine Sensibilisierung für die gesellschaftliche, auch in der bzw. durch die Wissenschaft stattfindende Diskriminierung zu schaffen und eine Auseinandersetzung darüber einzuleiten. Die Frauengruppe, die 1983/84 auf mehr als 20 Studentinnen angewachsen war, hat zu Beginn eines jeden Semesters eine Frauenvollversammlung einberufen und auch groß angekündigt. »[U]nd einmal, da war der Hörsaal zwei (200 Plätze) total voll, das war ein großer Erfolg, das war wichtig«14 und hat der Forderung nach einem ÖH-Frauenreferat Nachdruck verliehen. Den Studentinnen war ebenso wichtig, Frauen aus allen studentischen Fraktionen einzubeziehen. 1985 hat der ÖH-Hauptausschuss dann beschlossen, ein »Referat für Frauenfragen« einzurichten.15 Die Frauen, die nun nicht mehr »zu übersehen« waren, hatten kulturelle Veranstaltungen wie »frauenrelevante« Filme, Lesungen und Vorträge an die JKU geholt, ein Frauencafé (mit Frauenmusik) wurde im Gang organisiert, weil man dort einfach vorbeikommen und sich dazusetzen konnte. Mindestens einmal pro Monat gab es einen Frauenbüchertisch. Das Frauenreferat hat eine Frauenbibliothek angelegt und vor allem Bücher gekauft, die für frauenspezifische Lehrveranstaltungen verwendet werden konnten. Für feministische Lehre hat sich das ÖH-Frauenreferat ab 1985 verstärkt eingesetzt. Ein Auslöser für größer angelegte Aktionen war, dass Studierende meiner Lehrveranstaltung Zielscheibe für menschenverachtende Übergriffe wurden. Ein damaliger Statistikprofessor hatte in einer Kommission (worauf weiter unten näher eingegangen wird) diese Studierenden als »lauter verlauste Kommunistinnen« diffamiert. Dazu eine Interviewaussage der ÖH-Frauenreferentin  : Daraus »hat sich eigentlich sehr schön entwickelt, daß wir offensiv gegen Leute aufgetreten sind, die im Lehrbetrieb totale Macht haben […] und die frauenfeindlich bis ins Letzte sind«. Den Studentinnen sei »mit diesen total argen Äußerungen« so richtig bewusst geworden, »wie geringschätzig Frauen mit ihren Qualifikationen und Interessen von der Institution und nicht nur von einzelnen männlichen Sonderexemplaren behandelt werden. Da haben wir dann angefangen…«16 330

Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies

Die Studentinnen haben auch für eine Verbesserung der Studienbedingungen gekämpft. Die Installierung eines Universitätskindergartens und einer Kinderspielstube war daher ursprünglich ebenfalls eine Forderung der Frauengruppe. Beide Einrichtungen  – Kindergarten und Kinderspielstube  – gibt es seit 1986. Was weit über die JKU hinausging, war die fünfte österreichische »Frauensommeruniversität« im Juli 1988, deren Planung und Durchführung von einem breiten Bündnis von Frauen (darunter das ÖH-Frauenreferat sowie Wissenschafterinnen der JKU) getragen wurde. Abschließend zum Engagement und den Aktionen der Studentinnen noch die rückblickende Einschätzung der ersten Frauenreferentin  : »Bis zur Frauensommeruni waren wir eine große Gruppe. Dann ist das abgeflaut  ; das Frauenreferat hat sich zu einer Serviceeinrichtung17 hin entwickelt, zu einem Referat für Frauen, also wo sich Frauen hinwenden können, wenn sie was brauchen. […] Das Abbröckeln ist so ein Nachteil von Institutionalisierung […], und seit der Institutionalisierung von frauenspezifischen Lehrveranstaltungen gibt es auch nicht mehr so die Zusammenarbeit zwischen Frauenreferat und Assistentinnen bzw. Lehrveranstaltungsleiterinnen.«18

Wie in der Interviewpassage angesprochen, ist die Bereitschaft für und die Teilnahme an »Frauenaktionen« durch die Institutionalisierung der Frauenpolitik abgeflaut. Frauenvollversammlungen gibt es längst nicht mehr an der JKU.

Pionierinnen feministischer Wissenschaft in Academia Frauen waren in der Wissenschaft lange nicht vorgesehen. Ein kleines Beispiel dazu  : Anfang der 1990er Jahre habe ich auf ein mit offiziellem Briefkopf der Universität versandtes Schreiben eine Antwort erhalten, die an Herrn Prof. Johannes Kepler und Frau Edeltraud Ranftl adressiert gewesen ist.19 Dass bei Frauen der akademische Titel vergessen wird, Männer aber mit diesem angesprochen werden, wird zur Beobachtung von so manchem Leser/mancher Leserin gehören. Analysieren lässt sich das beispielsweise mit dem theoretischen Werkzeug von Pierre Bourdieu als männliche Herrschaft und symbolische Gewalt.20 Aber auch mit »Orchideenfächern« sind selten Lorbeeren zu ernten. Als »Orchideenfach« wurde die Frauenforschung21 und Lehre in feministischer Wissenschaft oftmals mild belächelt bzw. mehr oder weniger geduldet, solange sie nichts kostet und kein Aufsehen erregt. Im Folgenden werde ich ein Stück weit nachzeichnen, wann und wie feministische Wissenschaft in Lehrveranstaltungen kam und aufzeigen, welche Probleme mitunter damit verbunden waren. Frauen sind in den Lehrveranstaltungstiteln bis 1984 überhaupt nicht aufgetaucht.22 Ab dem Wintersemester 1984/85 habe ich so331

Edeltraud Ranftl

ziologische Lehrveranstaltungen abgehalten, in denen der Schwerpunkt auf Themen der Frauenforschung lag, und diese auch so angekündigt. Im selben Semester wurden in Rechtsgeschichte zwei Lehrveranstaltungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter angeboten. Abgehalten wurden diese von Ursula Floßmann und Karl R. Stadler bzw. Ursula Floßmann und Gerhard Putschögl. Meine und die an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ersten frauenspezifischen Lehrveranstaltungen sollten mir und den Studenten und Studentinnen Folgendes bescheren  : Nach gut einem Jahr an der Universität hatte ich einen Antrag auf Verlängerung meines Dienstverhältnisses gestellt, die Befürwortung bzw. Empfehlung des Institutsvorstands und der Institutskonferenz lagen vor. In der Personalkommission ließ sich ein fachfremder Professor (der, wie er später beteuerte, »nur ein Stimmungsbild« liefern wollte, um meinen Antrag abzulehnen) zu folgenden Äußerungen hinreißen  : »Studenten an meinem Institut haben mir erzählt, daß in dieser LV ›merkwürdige‹ Inhalte behandelt werden und ein merkwürdiges Publikum anwesend sei, das großteils aus ›unappetitlichen, verlausten KSV-lerinnen [Kommunistischer Studentenverband, ER] bestehe.‹«23

Damit noch nicht genug, es schlossen sich weitere Personen einer Ablehnung an.24 Die Studienrichtungsvertretung Soziologie und die Uni-Frauengruppe starteten Aktionen gegen diese Vorgangsweise und verfassten u. a. an diesen Professor einen offenen Brief,25 in dem sie gegen »Angriffe auf demokratische, frauenfreundliche Lehrinhalte und die faschistoide Diffamierung der Teilnehmer/innen der Lehrveranstaltung« protestierten, und in dem die Aufforderung erging, o. a. Äußerungen öffentlich zu widerrufen. Zehn Tage später informierte der Hauptausschuss der ÖH, dass besagter Professor seine »Äußerungen bedauert, es bleibt allerdings der bittere Nachgeschmack, daß es Professoren gibt, die gewisse Lehrmeinungen, die nicht ihrer eigenen entsprechen, nicht akzeptieren.«26 Ja, einerseits gab es Solidarität und Bestürzung über die Diffamierungen, andererseits aber doch eine gewisse Skepsis gegen »Frauenlehrveranstaltungen« und eine Wissenschaftlerin, die »Orchideenfächer pflegt«. So wurde die Anstoß-Lehrveranstaltung kontrolliert  ; d. h. mein Chef kam und diskutierte mit den Teilnehmerinnen. Das Ergebnis war  : Er war positiv beeindruckt und die Teilnehmerinnen ob seines Besuches (war angekündigt) empört. Wieviel versprach und wie wenig hielt sie (gelegentlich), die Freiheit der Lehre und Forschung  ? Zurück zur weiteren Entwicklung des Angebotes an Lehre aus dem Bereich Frauenforschung. Ab 1984/85 gab es in der Rechtsgeschichte und der Soziologie regelmäßig sogenannte »frauenspezifische« Lehrveranstaltungen. 1986 kam mit Margit Knipp27 die Studienrichtung Wirtschaftspädagogik dazu. Margit Knipp und ich 332

Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies

haben »Frauenarbeit und neue Technologien« als interdisziplinäre und anrechenbare Lehrveranstaltung abgehalten.28 Ab 1986/87 wurde »frauenspezifische« Lehre als gesondertes Paket im Ministerium beantragt.29 Dass Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg30 bereits 1982 ein »Sonderkontingent zur Förderung der Frauenforschung« eingerichtet hatte, war nicht bis zu den in Frauenforschung engagierten Personen in Linz vorgedrungen. Dies u. a. deshalb, weil es zu dieser Zeit noch keine österreichweite Vernetzung der in der Frauenforschung engagierten Personen gab. Aus diesem Kontingent konnten an der gesamten JKU ab nun fünf zusätzliche Lehraufträge pro Semester finanziert werden. Neue Lehrangebote in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie Neuere Geschichte und Zeitgeschichte (Gabriella Hauch und Ingo Andruchowitz) 31 sind dazu gekommen. 1987 folgten dann Gesellschaftspolitik (Christine Orthofer, später Stelzer-Orthofer), 1990/91 die Volkswirtschaft mit der Vorlesung »Frauen und Nicht-Marktproduktion« (Silvia Zendron), und ein Jahr später wurde schließlich von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät eine Vortragsreihe »Women in Physics« vom Institut für Halbleiterphysik beantragt. Von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät kamen neue Anträge vom Institut für Zivilprozessrecht (Marianne Roth und Astrid Deixler-Hübner), 1992/93 wurde »Frau und Management« (Cäcilia Innreiter-Moser) und »Technik im Spiegel des Geschlechterverhältnisses« (Angelika Volst) angeboten. Bis Ende 1993 waren es insgesamt ca. 30 Personen, die ein- oder mehrmals »frauenspezifische« Lehrveranstaltungen an der JKU abhielten. Aber lediglich das Institut für Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte und das Institut für Soziologie hatten regelmäßig Lehrveranstaltungen aus dem Bereich der Geschlechterforschung angeboten.32 An der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät war eine Verankerung dieser Lehre abhängig von der Forschungsausrichtung einzelner Mittelbauangehöriger. Hervorzuheben ist ferner, dass bis fast zur Jahrtausendwende in keinem anderen Studienfach als der Soziologie an der JKU mit dem Verweis auf den Studienplan von den Studierenden »frauenspezifische« Lehrveranstaltungen eingefordert werden konnten. An der Juridischen Fakultät wurde 1999/2000 ein Studienschwerpunkt »Frauenrecht« verankert, was ein Novum in den Rechtswissenschaften in Österreich darstellte.33 Insgesamt ist aber festzuhalten, dass bei aller Diskussion über »Karrierefeminismus« von dem Platz aus, den feministische Forschung und Lehre in Linz hatte (und zum Teil noch hat), nicht wirklich Lorbeeren geerntet werden konnten. Feministischen Wissenschafterinnen wurde meist eine Nebenrolle oder Statistinnenfunktion im Konzert der hiesigen Wissenschaften zugewiesen.

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Die Soziologie als Musterbeispiel für die Verankerung von »Frauenforschung« im Studienplan Die Studienrichtung Soziologie will ich deswegen herausgreifen, weil zum einen im Lehrangebot der Soziologie Frauen- bzw. Geschlechterforschung relativ früh – nicht nur im Vergleich zu anderen Studienrichtungen der JKU, sondern auch zu anderen soziologischen Studienplänen in Österreich  – zum fixen Bestandteil geworden ist, lange bevor Gender Studies für alle Studienrichtungen verpflichtend wurden. Zum anderen ist dafür wesentlich, dass Frauen- und Geschlechterforschung von Beginn an nicht als Bindestrich-Soziologie und somit als Spezielle Soziologie verankert wurde, sondern den Status eines Pflichtfaches für alle Soziologie-Studierenden erhielt. Denn Geschlecht ist nicht nur in einzelnen, sondern in allen soziologischen Feldern relevant. Allerdings ist diese Entwicklung nicht ohne Blessuren und das Engagement von Studenten und Studentinnen und zunächst wenigen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen möglich gewesen. Förderlich für eine frühe Verankerung war gewiss auch, dass das Generalthema des Österreichischen »Soziologentages« 1985 lautete  : Die andere Hälfte der Gesellschaft.34 Mit dem Verweis auf den Studienplan konnten Studierende ab 1986 »frauenspezifische« Lehrveranstaltungen einfordern, denn im Zuge einer Studienplanänderung wurde »Frauenforschung«, die damals noch übliche Bezeichnung, in diesen aufgenommen. Durch eine weitere Veränderung des Studienplanes 1994 konnte »Frauenforschung« auch als Diplomprüfungsfach im zweiten Studienabschnitt gewählt werden. Eva Kreisky (Wien) war ab 199535 Prüfungskommissärin für diese schriftliche und mündliche Diplomprüfung. Von 1997 bis zur Implementierung von Bachelor- und Masterstudien 2009 waren im zweiten Studienabschnitt verpflichtend zwei Lehrveranstaltungen, nämlich »Grundlagen sozialwissenschaftlicher Gender Studies« und ein dazugehöriges Seminar, von allen Soziologie-Studierenden zu absolvieren. Mit einer weiteren Studienplanänderung wurde 2001 »Frauenforschung« auch als Studienschwerpunkt verankert. Um diesen im Diplomprüfungszeugnis »bescheinigt« zu bekommen, musste die Diplomarbeit den Gender Studies zuzurechnen sein und als Vertiefung die Lehrveranstaltung »Theorie der Frauen- und Geschlechterforschung« absolviert werden. Zusätzlich war das Fach Frauen- und Antidiskriminierungsrecht zu belegen sowie ein weiteres soziologisches Seminar »Studienschwerpunkt Gender Studies«. Seit Inkrafttreten des Bachelor- und Masterstudiums Soziologie (2009) sind im Bachelor zwei soziologische Gender-Studies-Lehrveranstaltungen verpflichtend, weitere Gender-Lehrveranstaltungen können gewählt werden (z. B. Gender-StudiesÖkonomie). Im Masterstudium ist eine Lehrveranstaltung »Positionen und Trends in den Gender Studies« zu absolvieren. Weitere Gender-Lehre kann gewählt wer334

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den, beispielsweise »Gender and Intersectionality Studies Soziologie«. Anzuführen ist, dass erst 2007 eine Professur für »Soziologische Theorie und Sozialanalyse (unter besonderer Berücksichtigung der Gender-Dimension)«36 eingerichtet und 2008 mit Brigitte Aulenbacher besetzt wurde. Ferner will ich hervorheben, dass mit der Umstellung auf Bachelor und Master im Curriculum nicht  – wie an anderen Universitäten  – die Soziologische Geschlechterforschung und feministische Theorie ausgemustert wurde.37 Dies ist vor allem auch der Studienrichtungsvertretung38 zu verdanken, die soziologische Gender-Lehre vehement eingefordert hatte. Wieder zurück zur Anfangsphase. Nach den o. a. anfänglichen »Turbulenzen« wurden »frauenspezifische« Lehrveranstaltungen relativ unkompliziert durch den Vorsitzenden der Studienkommission als »ganz normale« Lehre, je nach Thematik für soziologische Theorie,39 Bildungssoziologie, Arbeitssoziologie etc., angerechnet. Eine gängige Praxis war, dass ich auch bei schriftlichen Diplomprüfungen in Absprache mit den jeweiligen Prüfern Fragen zur »Geschlechterproblematik« gestellt habe (z. B. mit Hanns Peter Euler in Industriesoziologie oder Otto Nigsch in Bildungssoziologie). Im Folgenden noch ein paar Beispiele für von mir abgehaltene Lehrveranstaltungen der 1980er und 1990er Jahre  : »Frauenbildung  – ›Heimliche Curricula‹«, bearbeitet wurde u. a. die Theorie des sozialen Lernens, der »Lernstoff« sollte sich auf die Realitäten von Frauen, auf Konflikte in weiblichen Lebensläufen, die sich aus der Organisation der Geschlechterverhältnisse ergeben, beziehen. Oder  : »Das Geschlecht läuft immer mit« (u. a. Studien zur Arbeitswelt von Professoren und Professorinnen), ein weiterer Titel einer Lehrveranstaltung lautete »Computer und/oder Kochtopf«, in dieser wurden u. a. die zentralen Studien zur Debatte über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wie etwa die sogenannte Hannoveraner Studie, aus der das Theorem der »doppelten Vergesellschaftung« von Regina Becker Schmidt bekannt ist, die Frankfurter Studie mit der These des »familienorientierten Instrumentalismus« und der Bielefelder Ansatz mit der These der Hausfrauisierung bearbeitet. Da selbstverständlich auch Männlichkeitsforschung Gegenstand der Geschlechterforschung ist und die bedeutenden Ansätze von Soziologinnen und Soziologen stammen (»Hegemoniale Maskulinität« von Connell, die »Männliche Herrschaft und Symbolische Gewalt« bzw. »Die ernsten Spiele des Wettbewerbes« von Bourdieu), haben beispielsweise Ingo Mörth und ich Lehre zu diesen Problemfeldern abgehalten. Nicht unerwähnt will ich die »Töchter der Alma Mater«40 lassen. Diese 1990/91 abgehaltene Lehrveranstaltung sollte einen Überblick über den Stand der Frauenforschung zu Hochschule und Beruf liefern, zudem sollten die Studentinnen nicht an ihren Bedürfnissen und Interessen vorbeistudieren müssen. Theoretische Basis für die Konzeption und Durchführung dieser Lehre boten die Publikationen »Geschlechtertrennung – Geschlechterdifferenz. Suchbewegungen sozialen Lernens«41 sowie das – zu dieser Zeit – viel diskutierte und kritisierte »Affidamento-Konzept«42. Wesentlich ist, 335

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dass Lernen auch stark von sozialen Bedingungen abhängig ist und die Lebensrealität von Frauen – auch an Universitäten – anders strukturiert ist als jene von Männern. Um gute Lernbedingungen zu gewährleisten, haben die Studierenden selbst gleich andere Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Lernatmosphäre hat sich u. a. durch eine positive Streitkultur und einen intensiven Austausch ausgezeichnet. Nun aber zu den Gastprofessorinnen im Bereich der Geschlechterforschung am Institut für Soziologie. In mehrfacher Hinsicht ein Highlight war eine sogenannte große Gastprofessur (d. h. nicht nur Lehrbeauftragte, sondern Präsenz-Professorin) im Sommersemester 1993. Wir, also Mittelbau und Studienrichtungsvertretung, hatten den Antrag auf diese Professur für Regina Becker-Schmidt, eine damals schon renommierte Soziologin und Sozialpsychologin, gestellt. Der Antrag musste durch zahlreiche Gremien gehen und jeweils beschlossen werden. Von der Institutskonferenz Soziologie über die Personalkommission der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät bis zum Wissenschaftsministerium  ; und schließlich musste auch das Finanzministerium zustimmen, was auch erfolgt ist. Becker-Schmidt hat u. a. eine Vorlesung und ein Seminar zu »Soziologische Theorien zum Geschlechterverhältnis« sowie eine Vorlesung und ein Seminar »Zum Verhältnis von Arbeit und Technik« abgehalten.43 Erwähnenswert finde ich, dass Becker-Schmidt 1993 die erste (!) Professorin an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gewesen ist. Maria Funder (Marburg) hatte von 1998 bis 2000 ebenfalls am Institut für Soziologie eine große Gastprofessur inne. Neben der Genderforschung zählten Wirtschaftssoziologie und Organisationssoziologie zu ihren Lehr- und Forschungsschwerpunkten an der JKU. Funder hat Seminare zu »Arbeit und Geschlecht«, »Wandel von Arbeitsgesellschaften unter besonderer Berücksichtigung der Frauenerwerbsarbeit« sowie »Organisation und Geschlecht« abgehalten. Um eine Pluralität an Lehrmeinungen und Themen zu gewährleisten, vor allem aber auch, um Gender-Lehre überhaupt qualifiziert abdecken zu können, wurden neben o. a. Gastprofessorinnen externe Lehrbeauftragte an die JKU »geholt«. Beispielsweise hat Angelika Wetterer44 2002 ein Seminar »Entwicklungen feministischer Theorie  : Vom ›weiblichen Arbeitsvermögen‹ zur sozialen Konstruktion von Geschlecht« und 2005 ein Seminar mit dem Titel  : »Schmutzige Wäsche. Diskurs und Praxis im Alltag von Paarbeziehungen« angeboten. Als weitere externe Lehrbeauftragte am Institut für Soziologie, an deren Lehre auch Studierende anderer Studienrichtungen teilgenommen haben, sind anzuführen (alphabetisch)  : Sabine Blaschke, Eva Cyba, Irmgard Eisenbach-Stangl, Hanna Hacker, Johanna Hofbauer, Brigitte Liebig, Indra Munschi, Rosa Reitsamer, Annette Treibel, Alexandra Weiss mit Monika Jarosch u. v. a. m. Im Bereich der Geschlechterforschung wurden auch zahlreiche Diplomarbeiten angefertigt, von denen die eine oder andere bei Veranstaltungen vorgestellt oder in Lehrveranstaltungen behandelt wurde. Beispielsweise hat bei der Veranstaltung 336

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der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie, Sektion Feministische Theorie und Geschlechterforschung »Entzauberung des Geschlechts. Frauen in der Soziologie – eine Situierung« (1996 in Wien) Gabriele Schauer über »Frauen in der Hier­archie Soziologischer Institute an den Österreichischen Universitäten« referiert. Petra ­Kodré hat ihre eigene Diplomarbeit mit dem Titel »Der forsche Hansi und die entzückende Resi. Eine Analyse von Alltagssexismus am Beispiel eines Lehrbuches« (eines Jusprofessors der JKU) 1994 als Basis für eine Arbeitsgemeinschaft zu Alltagssexismus gedient. Stand am Anfang der Frauenforschung die Geschlechterdifferenz im Zentrum, also differenztheoretische Ansätze, so haben sich die Perspektiven verändert und sind beispielsweise um hierarchietheoretische, konstruktivistische sowie postkoloniale, queertheoretische und rassismuskritische Zugänge erweitert worden. Durch die Gender-Lehre werden Studierende für mitunter sehr subtile Diskriminierungsmechanismen sensibilisiert, und sie setzen sich mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen auseinander. Zentral in den Lehrveranstaltungen ist immer, dass an den Erfahrungen und Wahrnehmungen der Studierenden angeknüpft wird und sie lernen, diese mit einer »Gender-Brille«, d. h. mit Hilfe von theoretischen Erklärungsansätzen, kritisch zu reflektieren. Akademisches Geschlechterwissen kann von Absolventen und Absolventinnen als berufliche Kompetenz genutzt werden. Wichtig ist eine Rückvermittlung von Forschungsergebnissen in die Praxis. Ebenso erwähnenswert ist, dass (frühe) feministische Lehre darauf bedacht war, dass der Lernstoff nicht nur angeeignet, sondern anverwandelt wird. D. h., dass sich die Studierenden den Stoff wirklich zu eigen machen sollten. Hier abschließend will ich feststellen, dass die demokratischeren Strukturen des UOG 1975, die dem Mittelbau und den Studierenden durch die drittelparitätische Zusammensetzung universitärer Gremien tatsächliche Mitbestimmungsrechte eingeräumt haben, für die Entwicklung der Lehre im Bereich Frauenforschung wichtig gewesen sind. Es waren die Studentinnen, die die Frauenbewegung in die JKU getragen haben und Frauenforschung als Lehrangebot und als wissenschaftlich anzuerkennende Forschung gefordert haben. Die relativ frühe Verankerung von feministischer Wissenschaft im Studienplan der Soziologie ist nur auf Druck der angeführten Gruppen möglich geworden. Die Soziologie ist ein Musterbeispiel für die Verankerung von Frauen- und Geschlechterforschung im Studienplan, was die personelle Ausstattung mit in Geschlechterforschung ausgewiesenen Wissenschaftlern und Wissenschafterinnen betrifft, ist sie das gewiss nicht. Erst seit 2007 ist der Zusatz zur Denomination einer Soziologieprofessur »unter besondere Berücksichtigung der Gender-Dimension«.

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Institutionalisierung von Frauenförderung und von Gender Studies in allen Curricula der JKU Ab Ende der 1980er Jahre fanden gesamtösterreichische, vom Wissenschaftsministerium organisierte, Wissenschafterinnentagungen statt.45 Auf diesen mehrtägigen Veranstaltungen wurden schwerpunktmäßig Überlegungen zur Institutionalisierung von Frauenforschung, zur Finanzierung von »frauenspezifischen« Lehrveranstaltungen sowie zu Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft diskutiert und Strategien zur Umsetzung erarbeitet. Verfolgte Ziele waren somit einerseits die Erhöhung des Frauenanteils an Wissenschaftern (insbesondere bei Professuren), andererseits die Verankerung von Gender Studies in der universitären Lehre und Ausbildung. Zu den zentralen Ergebnissen dieser Bemühungen zählen, dass die gesetzlichen Grundlagen zu einem Frauenfördergebot deutlich ausgebaut wurden. Beispielsweise ist seit einer Novelle 1990 des Universitätsgesetzes (UOG 1975) jede Universität zur Einrichtung eines Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKGL) gesetzlich verpflichtend.46 1995 ist ein Frauenförderplan in Kraft getreten.47 Zahlreiche gesetzliche Regelungen folgten. Man könnte von den 1990er Jahren als dem Jahrzehnt der Institutionalisierung und Verrechtlichung der Frauenbewegung sprechen, oder anders formuliert  : die Wissenschafterinnentagungen waren eine Schubkraft für institutionalisierte Gleichstellungspolitik. Ich werde wiederum nur ein paar Beispiele herausgreifen, die bedeutend für die JKU sind. 1993 wurden interuniversitäre Koordinationsstellen für Frauenforschung und Frauenstudien in Wien und Linz eingerichtet.48 Durch das Engagement von feministischen Wissenschafterinnen und Rektor Rudolf Ardelt konnte 2001 ein überfakultäres bzw. gesamtuniversitäres »Institut für Frauen- und Geschlechterforschung«49 eingerichtet werden. Im Vergleich zu anderen Universitäten bedeutet dies eine klarere Verankerung von Frauen- und Geschlechterforschung an der JKU.50 Es ist das österreichweit einzige Institut mit diesem Zuschnitt. Auch die Agenden der Koordinationsstelle wurden dem neuen Institut übertragen. Die Professur wurde 2003 mit Gabriella Hauch besetzt, ihre Nachfolgerin ist seit 2013 Doris Weichselbaumer. In Kooperation mit weiteren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der JKU hat das Institut das Strategiepapier »Gesamtuniversitärer Aufbauschwerpunkt Gender Studies«51 erarbeitet. Dieses umfasst die Lehre und Forschung sowie Forderungen zur notwendigen Personalausstattung.52 Der Aufbauschwerpunkt Gender Studies wurde in den Entwicklungsplan der JKU aufgenommen. Einige Punkte, wie beispielsweise die Forderung, dass in allen Curricula der JKU »gendersensible« Inhalte aufzunehmen sind, werden weitgehend erfüllt. Kurz noch zum Satzungsteil »Frauenförderungsplan« und der Bestimmung § 25 Frauen- und Geschlechterforschung in den Curricula  : An der JKU ist in allen Curricula ein Mindeststandard von 3–4 ECTS338

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Anrechnungspunkten »an geschlechterbewusster Lehre« zu gewährleisten, d. h. in den Studienplänen zu verankern.53 Auch ist lt. §  28 Frauenförderungsplan sicherzustellen, dass u. a. auf geschlechterdiskriminierende Beispiele und Themenstellungen sowie unkritische Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen verzichtet wird.54 Von der Empörung und dem Aufbruch der Studentinnen (»es reicht – wir verändern etwas«) bis zur Verpflichtung, Gender Studies in den Curricula zu verankern, sind 30 Jahre vergangen. Im Studienjahr 2012/13 sind in 52 von 60 Curricula der JKU Gender Studies als Pflichtfach implementiert.55 Die Gender-Lehre bedarf aber einer laufenden fachlichen Weiterentwicklung der inhaltlichen Kriterien, um – wie Eva Flicker schreibt – »zu klären, was im Curriculum ›drin‹ sein soll, wenn ›Gender‹ drauf steht. Zudem braucht es eine kritische Masse von Gender-Forscherinnen und -Forschern im wissenschaftlichen Personal, um im universitären Entscheidungsprozess überhaupt eine Stimme zu bekommen und um der Trägheit des Malestream entgegenwirken zu können.«56

Es bedarf zuverlässiger Ressourcen für Lehre und Forschung in Gender Studies. Wie aber sieht es aus mit den personellen Ressourcen an der JKU, sind die Forderungen der Wissenschafterinnentagungen erfüllt  ? Die Anteile von Frauen haben sich in allen drei »Kurien« – Studierende, Professoren, »Mittelbau« – erhöht. Eine egalitäre Verteilung zwischen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen gibt es längst noch nicht. Die raren Laufbahnstellen werden selbst in Instituten mit einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung deutlich häufiger Männern gewährt.57 Auf noch etwas will ich hinweisen  : »[M]it der Einbeziehung von mehr Frauen in die Wissenschaft, z. B. durch die Erhöhung des Frauenanteils bei den Professuren, wird der implizite Gender Bias in der Wissenschaft noch nicht automatisch aufgehoben.«58 Frauen vertreten nicht notwendig andere Positionen und Sichtweisen, sie verleihen den herrschenden Wissenschaften noch kein »anderes Gesicht«. Unabdingbar ist, »dass sich der Mainstream der Wissenschaft des Gender Bias bewusst wird.«59 Die Forderung der Wissenschafterinnentagung aus dem Jahre 1992 »Einschließende Ausschließung  ? Frauen und Hochschulpolitik«, dass jede Studienrichtung mindestens eine wissenschaftlich für den Bereich Frauenforschung/feministische Forschung qualifizierte Person für die Betreuung von Abschlussarbeiten und Dissertationen mit einer Gender-Perspektive60 haben soll, ist nach 25 Jahren immer noch nicht erfüllt. Somit übersieht die gelegentlich geäußerte Überlegung, gesonderte Lehre sei obsolet geworden (weil Geschlechterforschung und Gender Studies eine Querschnittsmaterie sind), dass Erkenntnisse und theoretische Konzepte der Geschlechterforschung in die Lehre der jeweiligen Disziplinen erst einfließen können, wenn die Lehrenden nicht nur sensibilisiert, sondern wissenschaftlich qualifiziert für »Gender« sind. Längst nicht alle Institute der JKU haben Wissenschaftler 339

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und Wissenschafterinnen, die in Geschlechterforschung bzw. Gender Studies ausgewiesen sind, was aber notwendig ist, damit Gender von der Peripherie näher ins Zentrum rücken kann. Wie der Bericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) aus dem Jahre 2016 zeigt, gibt es in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter in Österreich eine »dramatische Rückwärtsentwicklung.« Österreich ist im Ranking von Platz 19 im Jahre 2013 auf Platz 52 im Jahre 2016 »abgerutscht«.61 Von einer Geschlechtergleichstellung sind wir weit entfernt, es kann demnach keine Rede davon sein, dass Gender Studies nicht mehr nötig sind. Die JKU hat verschiedene weitere Maßnahmen ergriffen, die einer Frauenförderung und der Verankerung von Gender Studies in der Lehre dienen. Um nur ein paar JKU-spezifische zu nennen  : die »JKU goes gender«-Preise (die JKU vergibt damit u. a. jeweils ein Dissertations- und ein Habilitationsstipendium) oder das Programm »FIT  – Frauen in die Technik«, dessen Ziel es ist, mehr Studentinnen für technisch-naturwissenschaftliche Studienrichtungen zu gewinnen. Einzigartig ist bisher die »Aktion« von 2010, durch die zusätzlich 20 Wissenschafterinnen eine sogenannte Laufbahnstelle erhalten haben, die sie zur Habilitation bringen soll. Laut Entwicklungsplan der JKU 2013 bis 201862 orientieren sich alle Tätigkeitsund Leistungsbereiche an den Grundsätzen des Gender Mainstreaming63 und der Förderung von Frauen. Die JKU will den »gesellschaftlichen Auftrag einer Gleichstellungspolitik« umsetzen. Direkt dem Rektorat unterstellt ist die »Stabsabteilung für Gleichstellungspolitik« (Leitung Margit Waid), deren Aufgabe u. a. die Beratung des Rektors in gleichstellungspolitischen Fragen und die Konzeption entsprechender Strategien ist. Seit 2016 lautet die Bezeichnung  : »Abteilung für Gender & Diversity Management«.64 Anmerken will ich, dass Konzepte eines Managing Diversity oder Diversity Mainstreaming insofern »Herausforderungen« für die Gleichstellungspolitik sind, als nicht selten Gender wie andere soziale Kategorien unter dem Dach Diversity integriert werden und die Geschlechterverhältnisse aus dem Blick geraten. Zum Teil gibt es elaborierte Gleichstellungsprogramme, aber an den Strukturen hat sich wenig verändert  : Frauen müssen in den gegebenen Strukturen erfolgreich sein. Feministische Wissenschaft und Gender Studies gehören noch nicht zum gefragten Mainstream. Um Fragen nach Beharrung und Wandel von Geschlechterverhältnissen an der JKU klar beantworten zu können, sind neben detaillierten Gleichstellungsberichten auch Analysen dazu durchzuführen, ob und wie Inhalte der Geschlechterforschung in den verschiedenen Disziplinen Eingang gefunden haben und Gender Studies tatsächlich als dem Mainstream, der oft einen Gender Bias aufweist, gleichwertig erachtet werden. Hervorzuheben ist schließlich, dass das Anliegen der feministischen Wissenschafterinnen der JKU, Theorie und Praxis zu verknüpfen, seit den 1980er Jahren zu her340

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vorragender Kooperation (zwar meist auf ehrenamtlicher Basis) mit außeruniversitären Frauen(-gruppen) geführt hat, ihre Expertise wurde und wird nachgefragt. Als Beispiel will ich hier anführen, dass Wissenschafterinnen (u. a. Gabriella Hauch, Ruperta Lichtenecker, Edeltraud Ranftl, Elisabeth Binder) der JKU wesentlich eingebunden waren in die Konzeption und Initiierung eines »Linzer Frauenbüros«,65 das schließlich im Jahre 1992 vom Magistrat Linz eingerichtet wurde. Im Gemeinderat wurde zudem ein Frauenausschuss beschlossen, was zu dieser Zeit in Österreich einzigartig war. An der Konzeption von Gewaltschutzzentren und deren Weiterentwicklung waren und sind Juristen und Juristinnen der JKU maßgeblich beteiligt.

Zum Schluss Die maskuline Geburt der Wissenschaft ist – angestoßen durch die Proteste der Studentinnen – in Frage gestellt und als androzentrisch entlarvt worden. Die Frauenbewegung ist in die JKU getragen worden, vieles hat sich seither verändert, nicht alle Errungenschaften haben automatisch Bestand, und einige wichtige Impulse der feministischen Kritik und Wissenschaft sind noch nicht in der Mitte der JKU angekommen. Im »Fluss des Wissens« bleiben, das war das Motto der Linzer Klangwolke zum 50-Jahre-Jubiläum, im Fluss werden auch die feministische Forschung und die Gender Studies bleiben. Nach der Devise  : Erinnern und weiter gehen  ! Eine Schwierigkeit dabei wird sein, dem wachsenden »Anti-Genderismus« und der damit verbundenen neuerlichen Diffamierung von feministischer Wissenschaft als »Pseudowissenschaft und Gleichmacherei« aufklärend entgegen zu treten.66 Abschließend will ich eine hypothetische Frage aufwerfen  : Hätte sich feministische Wissenschaft von Anfang an und besser ausgestattet an der JKU etablieren können, wenn Johannes Kepler Gründungsprofessor gewesen wäre  ? Möglicherweise schon, denn auch Kepler war mit Frauendiskriminierung konfrontiert, weil seine Mutter Katharina der Hexerei bezichtigt, und er so in Hexenprozesse involviert wurde.67 Dazu kam es, da die in Keplers 1609 verfasstem Text »Traumreise zum Mond«68 vorkommenden allegorischen Geister verleumderisch gegen seine Mutter verwendet wurden. Katharina wurde »dämonischer Machenschaften« bezichtigt und angeschuldigt, »unter allerlei Riten gesammelte Kräutlein zu kochen« und davon auch noch zu leben.69 Im schwäbischen Leonberg zogen sich die Schlingen der Anklage als Hexe immer enger. Katharina wurde 1615 angeklagt, und »erst 1620 erreichte Kepler, damals schon in Linz, mit viel Mühe die Einstellung des Prozesses.«70 Sechs Monate nach der Entlassung aus dem Kerker starb die Mutter. Diese Erfahrungen mit der Anklage von Frauen als Hexen wird Kepler gewiss für die Geschlechterproblematik sensibilisiert haben. Kepler war zudem – so wie feministische Wissenschaft auch – auf der Suche nach einem »neuen Geist« in der Wissenschaft. 341

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Von der maskulinen Geburt zu feministischer Wissenschaft und Gender Studies

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Anmerkungen   1 Vgl. Maria Wirth, Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung der Johannes Kepler Universität Linz, in  : dies. u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 25–210, hier S. 91.   2 Bacons Schrift »Temporis Partus Masculus« (Die maskuline Geburt der Zeit) verkündet nicht nur eine Zeit im Zeichen des Männlichen, sondern erhöht die männliche Selbstgeburt über die weiblich-natürliche Geburt.   3 Michael John, Protest, Unruhe und ein violetter Mantel  – 1968 und die Folgejahre in Linz, in  : Fritz Mayrhofer u. Walter Schuster (Hg.), Linz im 20. Jahrhundert, Bd. 2, Linz 2010, S. 837–884, hier S. 864.   4 Johannes Kepler Universität Linz/Abteilung Gender & Diversity Management (Hg.), Menschen an der JKU. Gender & Diversity Bericht, Ausgabe 2016, S. 3, S. 70 und S. 86.   5 Vgl. Käthe Kratz u. Nadia L. Trallori (Hg.), Liebe, Macht und Abenteuer. Zur Geschichte der Neuen Frauenbewegung in Wien, Wien 2013.   6 Dramatiker und Politclown, in  : ORF online, 13.10.2016, unter  : orf.at/stories/2362059, aufgerufen am 13.10.2016.   7 Die »Aktion Unabhängiger Frauen« (AUF) wurde 1972 in Wien gegründet.   8 Die Begriffe Haupt- und Nebenwiderspruch kommen aus der marxistischen Theorie. Die ungleiche Stellung von Frauen und Männern wird in dieser Tradition als Nebenwiderspruch erachtet. Ausführlicher dazu  : Edeltraud Ranftl, Vom Nebenwiderspruch zur Institutionalisierung, in  : Gertraud Seiser u. Eva Knollmayer (Hg.), Von den Bemühungen der Frauen in der Wissenschaft Fuß zu fassen, Wien 1994, S. 411–431.   9 Vgl. John, Protest, S. 883–886. 10 Z. B.: Änderungen des Abtreibungsparagraphen und Einführung der Fristenlösung  ; durch die Familienrechtsreform im Jahre 1975 wurde der Pater Familiales rechtlich abgeschafft  ; 1975 wurde die Koedukation gesetzlich verankert.

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Edeltraud Ranftl

11 Im Drama »Nora oder ein Puppenheim« von Henrik Ibsen (1879) entrüstet sich Nora über die Beschränkungen der Frau durch Ehe, Religion, Moral und Gesetzgebung. Nora wurde zu einem Synonym für sich emanzipierende Frauen. 12 Vgl. Linzer Frauenaktionskomitee (Hg.), Das Linzer Frauenaktionskomitee hat ein Haus besetzt (Faltblatt), Linz 1980. 13 Vgl. Ranftl, Nebenwiderspruch, S. 414–418. 14 Zur Rekonstruktion der Bemühungen der Frauen um feministische Lehrinhalte an der JKU wurden im Jahre 1993 von mir Interviews mit frühen studentischen Aktivistinnen geführt, die als Basis für den angeführten Beitrag dienten. Siehe ebd., S. 429. 15 Erste Frauenreferentin war Elisabeth Stiftinger. 16 Vgl. Ranftl, Nebenwiderspruch, S. 429. 17 Die »frauenspezifischen« Vorlesungsverzeichnisse wurden zur Zeit der ersten Frauenreferentin 1985 eingeführt. 1993 von der Koordinationsstelle und 2001 vom Institut für Frauen- und Geschlechterforschung übernommen. 18 Zitiert nach  : Ranftl, Nebenwiderspruch, S. 417 f. (im Original hervorgehoben). 19 Leider habe ich dieses Schreiben später entsorgt. 20 Siehe dazu  : Beate Krais, Die männliche Herrschaft  : ein somatisiertes Herrschaftsverhältnis, in  : Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Jg. 36, H. 4, 2011, S. 33–50. 21 War in den 1970er und 1980er Jahren der Begriff Frauenforschung gebräuchlich, änderte sich dieser hin zu Geschlechterforschung und dann zu Gender Studies. Inhaltlich sind diese nicht ident, sie werden in diesem Beitrag aber eher synonym verwendet. 22 Einzelne Referate/Seminararbeiten hatte es wohl gegeben. Dies lässt sich jedoch nur mehr lückenhaft recherchieren. 23 ÖH-Courier, 23.10.1985, S. 4. 24 Der Vertragsverlängerung wurde doch mit nicht überwältigender Mehrheit zugestimmt. 25 Dieser wurde von weiteren Studienrichtungsvertretungen, dem ÖH-Vorsitzenden, dem Kuriensprecher des Mittelbaues u. a. m. unterstützt. Vgl. Ranftl, Nebenwiderspruch, S. 429. 26 ÖH-Hauptausschuß, Flugblatt, 31.10.1985. 27 Knipp war damals Universitätsassistentin am Institut für Pädagogik und Psychologie. 28 Im Sommersemester 1986 gab es auf Initiative verschiedener Studienrichtungsvertretungen ein interfakultäres Seminar »Auswirkungen der Hochtechnologien«. Ein Referatsblock war der feministischen Betrachtung gewidmet (Betreuerinnen hierfür ebenfalls Knipp/Ranftl). 29 Für das Studienjahr 1988/89 umfasste das Sonderkontingent (im universitären Alltag pejorativ als »Frauentopf« bezeichnet) 147 Wochenstunden für alle österreichischen Universitäten und Hochschulen zusammen. 30 Hertha Firnberg hatte ihr Jus-Studium abgebrochen, weil ein Universitätsprofessor öffentlich seine Absicht äußerte, keine Frauen bei der Prüfung durchkommen zu lassen. Vgl. Barbara Steininger, Firnberg Hertha. Wirtschafts- und Sozialwissenschafterin, Politikerin (SPÖ) und Bundesministerin, in  : biografiA. Biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen, unter  : https://www.univie.ac.at/ biografiA/daten/text/bio/firnberg.htm, aufgerufen am 11.11.2016. Seit geraumer Zeit vergibt der Wissenschaftsfonds (FWF) im Rahmen des »Hertha-Firnberg-Programms« Stipendien für Wissenschafterinnen, die eine Universitätslaufbahn anstreben. 31 In Klammern sind jene Personen angeführt, die die jeweils erste »Frauenlehrveranstaltung« in ihrem Fachbereich angeboten haben. 32 1995, dem Jahr des 100. Geburtstags von Käthe Leichter, wurde Edeltraud Ranftl der »Käthe-LeichterPreis. Österreichischer Staatspreis für die Frauengeschichte der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung« und Ursula Floßmann ebenfalls ein »Käthe-Leichter-Preis« durch den Bundeskanzler und die Frauen-

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ministerin verliehen. Leichter hat bereits in den 1920er und 1930er Jahren Studien zur Frauenarbeit durchgeführt. 33 Die Entwicklung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät wird in diesem Band von Karin Neuwirth behandelt. 34 Vgl. Österreichische Gesellschaft für Soziologie, 5. Österreichischer Soziologentag. Die andere Hälfte der Gesellschaft (Programmfolder), Wien 1985. 35 Ab 1998 war Ranftl Prüfungskommissärin. 36 Dieser Zusatz in der Denomination ist noch auf Rektor Rudolf Ardelt zurückzuführen, um damit Frauen- und Geschlechterforschung sichtbar zu machen und zu verankern. 37 Vgl. Eva Flicker, Respondenz zum Beitrag von Ruth Becker »Wie kommt Gender in die Curricula  ?«, in  : Brigitte Kossek u. Charlotte Zwiauer (Hg.), Universität in Zeiten von Bologna. Zur Theorie und Praxis von Lehr- und Lernkulturen, Göttingen 2012, S. 175–190. 38 In der Arbeitsgruppe repräsentiert durch Florian Auberger. 39 1992 habe ich beispielsweise angeboten  : »Soziologische Theorie  : Die Geschlechterdifferenz begreifen«. 40 Ausführlicher siehe  : Edeltraud Ranftl, Seiltänzerinnen ohne Netz  ? in  : Ursula Floßmann (Hg.), Offene Frauenfragen in Wissenschaft – Recht – Politik, Linz 1991, S. 59–70. 41 Regina Becker-Schmidt u. Gudrun-Axeli Knapp, Geschlechtertrennung – Geschlechterdifferenz. Suchbewegungen sozialen Lernens, Bonn 1987. 42 Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht. Eine neue politische Praxis, Berlin 1988. Im Zentrum dieses differenztheoretischen Ansatzes steht, dass Frauen sich aufeinander beziehen, andere Frauen als Vorbilder wählen und Frauen Autorität zusprechen sollen. Demnach sind die Beziehungen unter den Frauen ein »Schlüssel zur Befreiung von Frauen«. 43 Zahlreiche Studierende (mitunter aus anderen Universitätsstädten) und Wissenschafterinnen der JKU haben daran teilgenommen. 44 Sie hatte ab 2005 die erste Professur für »Geschlechtersoziologie und Gender Studies« am Institut für Soziologie der Karl-Franzens-Universität Graz inne. 45 An diesen haben immer auch in der Frauenforschung engagierte Wissenschaftlerinnen der JKU teilgenommen. 46 An der JKU wurde dieser 1990 installiert  ; vgl. dazu Elisabeth Menschl, 25 Jahre Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen (AKG) – Genese und Praxis der Frauengleichstellung an der JKU, in  : Maria Wirth u. a., 50 Jahre Johannes Kepler Universität Linz. Eine »Hochschule neuen Stils«, Wien 2016, S. 151–152. 47 Vgl. zu den gesetzlichen Maßnahmen auch den Beitrag von Karin Neuwirth in diesem Band. 48 Die Leitung in Linz hatte Ursula Floßmann inne, wissenschaftliche Mitarbeiterin war Elisabeth Binder. 49 Ausführlicher zur Geschichte, zu den Aufgaben und Aktivitäten des Institutes siehe Website der JKU, Frauennetzwerke, unter  : www.frauen.jku.at, aufgerufen am 27.2.2017. 50 Vgl. Birgit Sauer u. Eva Flicker, Modernisierung der Universität Wien  ?  – Sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung an der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis, in  : Karl Anton Fröschl u. a. (Hg.), Reflexive Innensichten aus der Universität. Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, Göttingen 2015, S. 225–238. 51 Vgl. Johannes Kepler Universität Linz (Hg.) u. Gabriella Hauch (Leitung und Koordination), Strategie. Gesamtuniversitärer Aufbauschwerpunkt Gender Studies, unter  : https://www.jku.at/ifg/content/ e147790/e148005/Strategie_ger.pdf, aufgerufen am 10.10.2016. 52 Auf die Umsetzung kann hier nicht weiter eingegangen werden. 53 Vgl. Johannes Kepler Universität Linz, Satzungsteil  : Frauenförderungsplan einschließlich der Zusammensetzung des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen, S. 15. unter  : http://www.jku.at/Rechtsabteilung/ content/e6696/e6617/e6614/50Senat_STFFP_AKG_MTB27_290611_ger.pdf, aufgerufen am 25.11.2016. 54 Vgl. ebd., S. 16.

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Edeltraud Ranftl

55 Richard Hagelauer (Hg.), JKU goes Gender, Frauen und Männer an der Johannes Kepler Universität Linz, Gleichstellungsbericht 2013, S. 26. 56 Flicker, Respondenz, S. 196 (im Original hervorgehoben). 57 Ausführlicher dazu  : JKU/Abteilung Gender & Diversity, Bericht 2016, S. 53 ff. 58 Ruth Becker, Wie kommt Gender in die Curricula  ?, in  : Brigitte Kossek u. Charlotte Zwiauer (Hg.), Universität in Zeiten von Bologna. Zur Theorie und Praxis von Lehr- und Lernkulturen, Göttingen 2012, S. 175–190. 59 Ebd. 60 Tagungsunterlage für die dritte österreichische Wisssenschafterinnentagung 9. bis 11. Juni 1992, Schloß Drosendorf, S. 5. 61 Vgl. Frauengleichstellung erst in 170 Jahren, in  : ORF online, 26.10.2016, unter  : http://orf.at/stories/ 2363924/2363923/, aufgerufen am 12.1.2017  ; World Economic Forum, The Global Gender Gap Report 2016, S. 25, unter  : http://www3.weforum.org/docs/GGGR16/WEF_Global_Gender_Gap_Report_2016. pdf, aufgerufen am 12.1.2017. 62 Siehe Johannes Kepler Universität, Entwicklungsplan der JKU 2013–2018, insbesondere S. 65 f., unter  : http://www.jku.at/Rektorat/content/e6424/e6366/e6295/e226968/JKU-Entwicklungsplan2013-18Stand 04122013_ger.pdf, aufgerufen am 12.1.2017. 63 Gender Mainstreaming wurde in den 1990er Jahren entwickelt und soll im Sinne einer »Doppelstrategie« als Querschnittaufgabe die bisherige Gleichstellungspolitik ergänzen, nicht ersetzen. 64 Website der JKU, Frauennetzwerke, unter  : http://www.jku.at/content/e213/e197, aufgerufen am 12.1. 2017. 65 Siehe  : Dorf TV, 20 Jahre Frauenbüro Linz. Akteurinnen 2012, unter  : https://www.dorftv.at/video/5257, aufgerufen am 10.10.2016. 66 Ausführlicher dazu  : Franziska Schutzbach, Der Heidi-Komplex. Gender, Feminismus und der Ekel vor der »Gleichmacherei«, in  : Prokla, Jg. 46, H. 4, 2016, S. 583–597. 67 Ö1, Radiokolleg, 29.11.2016. 68 Der Text ist erst nach Keplers Tod 1643 erschienen. 69 Vgl. Helmut Mayer, Im Schatten der Erde fliegen die Dämonen, Buchrezension, in  : Frankfurter Allge­ meine Zeitung, 7.8.2011, unter  : http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/ johannes-kepler-der-traum-oder-mond-astronomie-im-schatten-der-erde-fliegen-die-daemonen-­ 11115087.html, aufgerufen am 30.11.2016. 70 Kepler erzählt von diesem Effekt seines wissenschaftlich-literarischen Spiels in einer der über zweihundert Anmerkungen, die er seinem »Traum«-Text nach 1620 anfügte, so Mayer, ebd.

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Lutz J. Heinrich/Gustav Pomberger

Wirtschaftsinformatik an der JKU – Über die Wirkung eines Memorandums

Die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik als akademisches Studium und neues Fachgebiet wird in vier Phasen beschrieben, die zweite bis vierte mit dem Fokus auf die Entwicklung an der JKU. Die erste Phase war schon beendet, als die Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Linz am 8. Oktober 1966 eröffnet wurde. Sie hatte Mitte der 1950er Jahre an verschiedenen Universitäten (z. B. an der Technischen Universität Berlin) begonnen und war dadurch gekennzeichnet, dass betriebswirtschaftliche Lehrveranstaltungen mit Lehrinhalten zur Beschreibung und Erklärung der Computertechnik und ihrer Nutzung in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung ergänzt wurden. Die zweite Phase begann Anfang der 1960er Jahre. Zunächst wurden einzelne »EDV-Lehrveranstaltungen« angeboten, die später zu einem Fach der Betriebswirtschaftslehre als Wahl-, Wahlpflicht- oder Pflichtfach mit verschiedenen Lehrveranstaltungsformen geordnet wurden, meist Vorlesung, Übung und Seminar. Hier konnte Linz Ende der 1960er Jahre eine Führungsrolle übernehmen, weil eine Professur für Betriebswirtschaftslehre mit fachlicher Ausrichtung auf Datenverarbeitung eingerichtet wurde. In der dritten Phase ab Mitte der 1970er Jahre wurde das Lehrangebot durch zwei Studienversuche erweitert und vertieft, einer an der Universität Wien gemeinsam mit der Technischen Hochschule Wien (ab 1974), der andere an der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät gemeinsam mit der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Linzer Hochschule (ab 1975). Eine nachhaltige Auswirkung dieser interuniversitären bzw. interfakultären Konzeption war, dass das sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Lehrangebot mit dem der Informatik über die Grenzen von Institutionen hinweg verbunden werden konnte. Damit wurde ein über Linz hinausgehender Diskurs über den Wissenschaftscharakter des neuen Faches ausgelöst. Dieser wirkte zunächst hemmend, war aber langfristig für die Gestaltung wissenschaftlicher Studiengänge der Wirtschaftsinformatik notwendig. In der vierten Phase, die Mitte der 1980er Jahre mit dem Wissenschaftsanspruch der Wirtschaftsinformatik und 1985 mit einem als Wirtschaftsinformatik bezeichneten Diplomstudium begann, war Linz der Entwicklung im deutschsprachigen Raum voraus. Und das Wachstum ging weiter. Die Akteure der Linzer Wirtschaftsinformatik konzipierten auf einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Forschungs- und Lehrgegenständen der Wirtschaftsinformatik 347

Lutz J. Heinrich/Gustav Pomberger

basierend ein Vier-Säulen-Modell, das die Forschungs- und Lehrschwerpunkte Information Engineering, Software Engineering, Data & Knowledge Engineering sowie Communications Engineering umfasst. Dieses Modell prägte die Linzer Wirtschaftsinformatik und gab ihr ein charakteristisches Profil, das sich sowohl in der Breite der Forschung und Lehre als auch in der hohen Akzeptanz der Absolventen und Absolventinnen auf dem Arbeitsmarkt manifestiert. 2008 wurde das zweistufige Bachelor-/Masterstudium eingerichtet, das 2011 als erste und bisher einzige Studienrichtung der JKU international akkreditiert wurde. Die Wirtschaftsinformatik übernahm damit einmal mehr eine Vorreiterrolle. Der von Lutz J. Heinrich verfasste Teil dieses Beitrags schildert die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik ab 1966 an der heutigen JKU mit Rückblick auf Teile ihrer Vorgeschichte. Er stützt sich auf empirisches Material, das in einer mit Selbstzeugnisforschung durchgeführten Studie erhoben wurde, und ein ergänzendes Quellenstudium, insbesondere von Materialien aus dem Archiv der JKU. Der von Gustav Pomberger verfasste Teil umfasst die Ereignisse ab 1987 bis zum Ende des Studienjahres 2015/16. Er stützt sich ebenfalls auf Unterlagen des Universitätsarchivs sowie auf Archivmaterial der Institute für Wirtschaftsinformatik. Die aus diesen Quellen gewonnenen Erkenntnisse konnten beide Autoren durch Erfahrungen aus der teilnehmenden Beobachtung des Entwicklungsprozesses ergänzen.1

Wie es für Linz begann 1966 trafen sich bei dem von der Arbeitsgemeinschaft für Datenverarbeitung (ADV) in Wien veranstalteten Kongress »Nutzen der Datenverarbeitung für den Einzelnen, den Betrieb und die Allgemeinheit« mit Adolf Adam (1918–2004) und Erwin Grochla (1921–1986) zwei Persönlichkeiten, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Entstehung der heute als Wirtschaftsinformatik bezeichneten wissenschaftlichen Disziplin und des wissenschaftlichen Studiums an vielen Hochschulen und Universitäten im deutschsprachigen Raum hatten. Der Statistiker und Bildungsökonom Adam traf in seiner zukünftigen Rolle als Informatiker den Betriebswirt Grochla in seiner zukünftigen Rolle als Wirtschaftsinformatiker. Es begegneten sich zwei gute Bekannte, denn Adam hatte mehrere Jahre an der Universität zu Köln verbracht, 1963 zunächst als Humboldt-Stipendiat, dann als Gastprofessor für Betriebsstatistik, schließlich als Direktor des Instituts für Statistik. 1966 folgte Adam der Berufung an die 1962 gesetzlich errichtete Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Linz. Grochla war 1960 an die Universität zu Köln berufen worden. Er war Initiator und federführender Mitbegründer des Betriebswirtschaftlichen Instituts für Organisation und Automation (BIFOA) an der Universität zu Köln.2 Hier wurden Fragen gestellt, und es wurde an Antworten zur 348

Wirtschaftsinformatik

Lösung der Probleme gearbeitet, die in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung mit dem Einsatz der Computertechnik entstanden oder zu erwarten waren. Empfehlungen wurden gegeben, und auch Forderungen wurden gestellt, insbesondere an die Politik. Im Mittelpunkt des Denkens und Handelns stand die Erkenntnis, dass Problemlösungen akademisches Fachpersonal erfordern, dass also ein Bildungs- und Ausbildungsbedarf bestand, der ohne umfassende Maßnahmen an Hochschulen und Universitäten nicht befriedigt werden konnte. Adam und Grochla verfolgten ähnliche Ziele, weil ihnen das spezifische Problemfeld bewusst war, das durch den Computereinsatz entstand. Sie hatten aus Erfahrung gewonnene, weitgehend übereinstimmende Ansichten darüber, welche Konsequenzen sich für die akademische Lehre bereits ergeben hatten und folgen würden. Sie waren sich wohl auch der Rolle bewusst, welche die akademische Lehre in dem vom Computereinsatz ausgelösten Prozess spielte. Ihre Überzeugung war, dass die Akademisierung der durch den Technologieeinsatz ausgelösten Veränderungen für den Einzelnen, den Betrieb und die Allgemeinheit mit der Lehre und nicht mit der Forschung beginnen müsse. Dass die Akademisierung der Lehre ihre Verwissenschaftlichung und das Bedürfnis nach Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auslösen und ein Prozess der Wissenschaftswerdung beginnen würde, war wohl schon Gegenstand des Gedankenaustausches während ihrer gemeinsamen Zeit in Köln. Ein Gegenstand des Gedankenaustausches anlässlich des genannten ADV-Kongresses, der Anlass zum Handeln geben konnte, war die kurz bevorstehende Eröffnung der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz. Dass die Neugründung einer Hochschule eine passende Gelegenheit für die Anregung von Veränderungen im Bildungssystem war, lag auf der Hand. Dass sie weitreichende Folgen haben würde, war beiden vielleicht bewusst. Sie formulierten ein an den Bundesminister für Unterricht gerichtetes Memorandum, in dem die Schaffung einer Professur mit expliziter Ausrichtung auf Datenverarbeitung an der Linzer Hochschule angeregt wurde.3 Dass dieser Anregung 1967 mit der Bewilligung der Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre entsprochen wurde, kann nur angenommen werden. Belegt ist, dass mit der Besetzung der Lehrkanzel vom Professorenkollegium »von Anfang an« die Absicht verfolgt wurde, ein auf »Datenverarbeitung« fokussiertes Lehrund Forschungsprogramm zu realisieren.4 Die erste Professur im deutschsprachigen Raum mit expliziter Ausrichtung auf Datenverarbeitung wurde damit geschaffen. Für die Entstehung und Entwicklung der Wirtschaftsinformatik im Allgemeinen und im Besonderen für die Bedingungen, unter denen in Linz ein Beitrag dazu geleistet werden konnte, ist die Tatsache von Bedeutung, dass die explizite Ausrichtung auf Datenverarbeitung für eine Professur der Betriebswirtschaftslehre angeregt wurde. Dies entsprach der von Grochla seit Jahren erhobenen Forderung nach Förderung der anwendungsorientierten akademischen Ausbildung und Forschung und nicht nur oder überwiegend der Förderung der Informatik.5 Dass der Informatiker 349

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Adam dem zustimmte, zeigt sein bemerkenswertes Verständnis für die Rolle der Betriebswirtschaftslehre als jener Disziplin, in der sich das Neue entwickeln konnte, dass sie die Problemwissenschaft für das Neue war und die Mutterwissenschaft für das Neue sein würde, was auch frühe Publikationen von Adam thematisiert haben.6 Dies war eine bemerkenswerte Weitsichtigkeit der beiden Aktionsträger, denn in der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Betriebswirtschaftslehre herrschte kein ungeteiltes Verständnis für das Neue, es gab auch offen und an prominenter Stelle geäußerte Ablehnung.7

Wegbereiter und Begründer Anfang der 1950er Jahre entwickelte sich ein Bildungs- und Ausbildungsbedarf, der von namhaften Persönlichkeiten im Lehr- und Wissenschaftsbereich, vor allem der Betriebswirtschaftslehre, erkannt, von den Institutionen Hochschule und Universität und von der Bildungspolitik aber noch lange nicht anerkannt wurde. Mit dem Computereinsatz in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, so urteilten sie, waren Auswirkungen verbunden, die Veränderungen im Bildungssystem erforderten und die schließlich auch im Wissenschaftssystem ihren Niederschlag finden würden. Sie setzten die Ressourcen ihres Kernfachs zur Bedarfsdeckung ein, übernahmen mit EDV oder ADV bezeichnete Lehrinhalte in bestehende, meist betriebswirtschaftliche Lehrveranstaltungen, boten bald auch spezifische Lehrveranstaltungen an, setzten wissenschaftliches Personal gezielt dafür ein oder sorgten für die Vergabe von Lehraufträgen, insbesondere an Fachleute der Computerindustrie und von Unternehmen, die beim Computereinsatz führend waren. Einige von ihnen gründeten einschlägige Institute, was nur mit finanzieller Unterstützung durch die Wirtschaft möglich war.8 So wurden der Wirtschaftspraxis die ersten Fachleute zur Verfügung gestellt, die zwischen betriebswirtschaftlichen Aufgaben und dem Innovationspotential der Computertechnik Brücken bauen konnten.9 Es gab also »Enabler« im wahrsten Sinne des Wortes. Einige von ihnen hatten Nachfolgende, deren Wirken bis in die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik an der JKU reichte. In Österreich war Leopold L. Illetschko (1902–1979) ein »Enabler«, ein ingenieurwissenschaftlich orientierter Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere für Transportwirtschaft. »An der damaligen Hochschule für Welthandel war er der erste Betriebswirt, der sich mit der Computertechnik beschäftigt hat. An seinem Institut stand 1965 […] eine Bull-Tabelliermaschine. […] Illetschkos Ideen wurden von Herbert Kraus aufgegriffen, der noch in seiner Dozentenzeit bei Illetschko die Thematik ›Betriebliche Datenverarbeitung‹ in den Hörsaal brachte.«10 350

Wirtschaftsinformatik

Ein anderer Schüler von Illetschko war Erich Loitlsberger (1921–2003), der 1971 als Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre an die Universität Wien berufen wurde.11 Dass an dieser Universität 1974 mit dem Studienversuch »Betriebs- und Wirtschaftsinformatik« gemeinsam mit der Technischen Hochschule Wien Neuland betreten wurde, ist besonders ihm zuzuschreiben. Ein reger Gedankenaustausch bestand mit den Personen in Linz, die am gleichen Vorhaben arbeiteten. An der Technischen Universität Berlin gab es mit Bernhard Hartmann (1916– 1989) und Konrad Mellerowicz (1891–1984) zwei »Enabler«. Hartmann lehrte schon Mitte der 1950er Jahre Datenverarbeitung in verschiedenen Lehrveranstaltungen. Als er 1963 auf den durch die Emeritierung von Mellerowicz vakant gewordenen Lehrstuhl wechselte, wurde dort die »Elektronische Datenverarbeitung integriert mit Mathematischer Entscheidungsforschung (Operations Research)« explizit ein Lehr- und Forschungsgegenstand.12 Er publizierte auch intensiv über das Neue und verarbeitete in Lehre und Forschung empirisches Material, das auf Studienreisen in den USA gewonnen worden war. Die Monographie »Betriebswirtschaftliche Grundlagen der automatisierten Datenverarbeitung« kann als erstes wissenschaftliches Werk angesehen werden, mit dem das Bewusstwerden eines spezifischen Problemfeldes dokumentiert wurde und von dem ausgehend die Wirtschaftsinformatik entstanden ist.13 Mellerowicz initiierte 1962 die Einführung des Faches Datenverarbeitung als Pflichtlehrveranstaltung im Studium der Betriebswirtschaftslehre und des Wirtschaftsingenieurwesens.14 In dieser dem Neuen so aufgeschlossenen akademischen Umgebung lernten und lehrten mit Lutz J. Heinrich und Arno Schulz zwei Personen, deren Wege sich 1970 an der Linzer Hochschule kreuzten und die hier voneinander abweichende Positionen über die Rolle des Neuen in der akademischen Lehre und im Wissenschaftssystem vertraten. Ein anderer »Enabler« war Erich Kosiol (1919–1990), der ab 1948 an der Freien Universität Berlin wirkte. Der bereits genannte Erwin Grochla war einer seiner Schüler und bereits ein Nachfolgender dieses Wegbereiters und Begründers. Grochla hatte die Wissenslücke zwischen Betriebswirtschaftslehre und Informatik erkannt und bewegte sich auf die Entwicklung von Anwendungskonzeptionen der von ihm sogenannten »Automatisierten Datenverarbeitung« (ADV) zu. Zudem machte er sich verdient im Diskussionsprozess mit den ersten Informatikern, als es um die Förderung der Informatik ohne ausreichende Berücksichtigung von Anwendungen der Datenverarbeitung in Wirtschaft und Verwaltung ging.15 Für die Gruppe der in den 1930er Jahren Geborenen war Grochla Primus inter Pares, eine Rolle, die durch seinen frühen Tod abrupt beendet wurde. Vieles, das von ihm angeregt wurde, fand durch Norbert Szyperski (1931–2016) eine Erweiterung und Vertiefung. Im Mittelpunkt stand das Bemühen, die bahnbrechende technologische Entwicklung zu verstehen und Antworten darauf zu finden, wie ihre strategische, dispositive und 351

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vor allem operative Integration in Organisationen zu bewerkstelligen sei. »Da müssen doch Brücken gebaut werden. Folglich müssen Brückenbauer tätig werden.«16 Szyperskis Denken und Handeln hatte eine starke Wirkung auf die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik in Linz innerhalb der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät, es half auch beim Brückenbauen zwischen den Disziplinen und Fakultäten.17

Betriebswirtschaftslehre oder Angewandte Informatik Bestrebungen, den neuen Gegenstandsbereich von der Informatik her zu besetzen und als Angewandte Informatik in die akademische Lehre und das Wissenschaftssystem einzuordnen, hat es in Linz seit Anfang der 1970er Jahre gegeben. Protagonisten waren Ernst Rudolf Reichl (1926–1996)18 und Arno Schulz (1924–2008). Schulz wurde von Mellerowicz durch Lehraufträge an der Technischen Universität Berlin gefordert und gefördert und 1969 habilitiert. Seine Habilitationsschrift ist deshalb erwähnenswert, weil sie unter der Mitbetreuung eines renommierten Vertreters der Betriebswirtschaftslehre entstand und eine inhaltliche und methodische Nähe zu dieser Disziplin haben musste. Für den studierten Nachrichtentechniker und gelernten Informatiker Schulz war es ein bemerkenswerter Versuch, »Grundzüge einer Systemtheorie der maschinellen betrieblichen Informationsbearbeitung [sic  !] aufzuzeigen«.19 Die von ihm zwischen 1967 und 1973 herausgegebene Schriftenreihe »Kommerzielle Datenverarbeitung« ist auch ein Hinweis auf das Bestreben, die durch den Computereinsatz in Wirtschaft und Verwaltung ausgelösten Veränderungen am Gegenstandsbereich der Betriebswirtschaftslehre bzw. der Verwaltungsbetriebslehre und das Entstehen neuer Erkenntnisobjekte der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften als Angewandte Informatik einzuordnen. Schulz wurde Anfang 1970 auf eine Lehrkanzel für Informatik des Instituts für Statistik und Informatik an die Linzer Hochschule berufen, des gleichen Instituts, in dem seit 1966 Adolf Adam tätig war. Was »Kommerzielle Datenverarbeitung« bei Schulz hieß, war bei Adam »Betriebliche Datenverarbeitung«. Inhaltlich, den Gegenstandsbereich betreffend, waren sie im Wesentlichen wohl einer Meinung, den wissenschaftlichen Standort und damit die Zuordnung zu Fakultäten betreffend bestand nicht immer Einvernehmen. Für Schulz kennzeichnend war sein Beharren auf dem Primat der Informatik, Adam bevorzugte interfakultäre Konzepte, er war damit einer der Gründungsideen der Linzer Hochschule ganz verbunden.20 Die Wirkung von Kosiol und Grochla erreichte über Adam den Entwicklungsprozess in Linz, die Wirkung von Mellerowicz kam z. B. über Ernest Kulhavy nach Linz. Dieser lernte bereits während seines Studiums durch Illetschko Datenverarbeitung als eine Herausforderung für die Betriebswirtschaftslehre kennen. 1963 an die Technische Uni352

Wirtschaftsinformatik

versität Berlin berufen, waren die »Enabler« Hartmann und Mellerowicz betriebswirtschaftliche Fachkollegen. Es war für die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik an der JKU ein glücklicher Umstand, dass ein Betriebswirt mit dieser Erfahrung auf die Besetzung der Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre entscheidenden Einfluss hatte, nicht nur in der Funktion als Vorsitzender der Berufungskommission. Nur dadurch konnte die von Adam und Grochla angeregte Ausrichtung auf Datenverarbeitung Wirklichkeit werden. Berufen wurde Peter Mertens, der Jahrzehnte später dazu geschrieben hat  : »Ich bin dieser Hochschule rückblickend sehr dankbar, dass sie den ersten Lehrstuhl im deutschsprachigen Raum schuf, der einen Schwerpunkt bei der betrieblichen Datenverarbeitung hatte, sich über viele Usancen hinwegsetzte und einem 30-Jährigen eine ordentliche Professur anvertraute, der zwar habilitiert war, aber aus der Praxis und nicht direkt aus einer der großen betriebswirtschaftlichen Fakultäten in Deutschland kam. So erhielt ich die Chance, etwas mehr ›auf gleicher Augenhöhe‹ mit etablierten Professoren der Informatik und der Betriebswirtschaftslehre dafür zu tun, die Lücke zwischen den beiden Fächern allmählich immer mehr auszufüllen.«21

Einen Hinweis auf weitere Entwicklungsförderer bei der Ausrichtung der Professur für Betriebswirtschaftslehre auf betriebliche Datenverarbeitung gibt folgende Ergänzung  : »Unsere Verbündeten in jener Zeit, als es galt, die Lücke zwischen Informatik und Betriebswirtschaftslehre zu füllen, waren über weite Strecken Personalleiter und andere Praktiker. In den ersten Jahren der Hochschule hatte auch der Linzer Hochschulfonds einen sehr großen Einfluss. Es könnte auch aus jener Richtung eine Anregung gekommen sein.«22

Es gab nun die Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre mit expliziter Ausrichtung auf Datenverarbeitung, »Platz für Datenverarbeitung« musste aber noch geschaffen werden. Neben dem neuen, im Studienplan Betriebswirtschaftslehre als »Elektronische Datenverarbeitung« bezeichneten Fach,23 das in der Lehre zu vertreten war und das der Forschung bedurfte, umfasste die Lehrverpflichtung die Fächer »Fertigungswirtschaft«, »Operations Research« und »Allgemeine Betriebswirtschaftslehre« (Mitwirkung am Pflichtfach).24 Platz für Datenverarbeitung konnte nur durch Auslagern von Lehrverpflichtungen geschaffen werden  ; dies erforderte weitere Professuren für Betriebswirtschaftslehre.25 Nach Meinung (des Wortführers) der Rechtswissenschaften waren drei Professuren für Betriebswirtschaftslehre bereits mehr als genug. Betriebswirtschaftslehre war für ihn ein Fach, Rechtswissenschaft bestand aus einer Anzahl von Teilgebieten, für jedes davon war eine Professur angemessen. Der Ansatz, Platz für Datenverarbeitung über mehr Ausstattung für Betriebswirtschaftslehre und Auslagern zu schaffen, war zweifellos der Richtige, fand aber keine 353

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Meinungsmehrheit in einer Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät Ende der 1960er Jahre.26 Bis zur Fakultätstrennung verging noch fast ein Jahrzehnt, aber fünf Professuren für Betriebswirtschaftslehre, davon vier mit Lehrstuhlausstattung, ergänzten zwischen 1971 und 1979 die drei seit 1968 besetzten Lehrkanzeln zu einer starken Gruppe. Mit der Bewilligung einer Professur für »Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Fertigungswirtschaft«, wurde 1974 nachhaltig Platz für Datenverarbeitung geschaffen. »Operations Research« war bereits in die Lehrfächer verlegt worden, welche die zur Lösung mit OR-Methoden geeigneten Probleme lieferten. Schließlich wurde die Mitwirkung im Lehrbetrieb für »Allgemeine Betriebswirtschaftslehre« im Einvernehmen mit den nun sieben Partnern (1979), statt der zwei Partner (1970) für die ehemalige Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre, beendet. Linz erfüllte nun eine weitere Voraussetzung zur Einrichtung der Wirtschaftsinformatik als wissenschaftliches Studium, es gab neben einer leistungsfähigen Informatik eine starke Betriebswirtschaftslehre, welche die betriebliche Wirklichkeit in großer Breite und Tiefe abdeckte. Eine Verwaltungsinformatik unter Mitwirkung der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften konnte sich aber nicht entwickeln. Heinrich Reinermann hat den Zustand der Verwaltungsinformatik in Deutschland analysiert, seine Schlüsse galten auch für Österreich. Er empfahl, Annäherungen von Wirtschaftsinformatik und Verwaltungsinformatik zu forcieren, die Verwaltungsinformatik könne von der Stärke der Wirtschaftsinformatik profitieren.27 Doch zurück zur JKU und an den Beginn der 1980er Jahre. Die Forderung war nun, »Kapazität für Wirtschaftsinformatik« zu schaffen. In der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät begann ein länger als erwartet andauerndes Ringen um die inzwischen knapper gewordenen Ressourcen, ging es doch nun um Wirtschaftsinformatik, nicht mehr um Betriebswirtschaftslehre. Sie musste zunächst Partner gewinnen, was bis Mitte der 1980er Jahre dauerte. Letztlich setzte sich als Mehrheitsmeinung der Fakultät die Überzeugung durch, dass »das Neue« kein Ende nahm, dass sich Informations- und Kommunikationstechnologien schneller als bisher angenommen veränderten und ausbreiteten und damit Veränderungen in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung bewirkt wurden, die zu Problemen führten, auf die Forschung und Lehre Antworten geben mussten. Die erste explizit für Wirtschaftsinformatik gewidmete Professur stand 1985 zur Verfügung und wurde 1987 besetzt.

Wissenschaftliche Gemeinschaft Wirtschaftsinformatik Unter den wenigen an EDV interessierten Hochschullehrern der Betriebswirtschaftslehre entwickelte sich schon früh ein Gruppenbewusstsein. Hans Robert Hansen schätzt die Größe der Gruppe Ende der 1960er Jahre auf 40 bis 50 Personen 354

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ein. Sie waren, wie Hansen es ausgedrückt hat, an ihren Hochschulen meist »Einzelkämpfer« und mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit oft »Fremdkörper« in Instituten mit ganz anderer wissenschaftlicher Orientierung. Bei den Dissertations- und Habilitationsthemen der ersten Wirtschaftsinformatik-Professoren ist in den meisten Fällen noch keine Rede von Datenverarbeitung oder Informatik. »Ausnahmen sind hier Peter Mertens und Lutz J. Heinrich, beide mit der Universität Linz verbunden, die Ende der 1960er Jahre eine Schrittmacherrolle bei der Einführung der Kerninformatik und der Wirtschaftsinformatik spielten.«28 Das 1963 gegründete BIFOA wurde Mitte der 1960er Jahre zu einem der Sammlungsorte dieser im Entstehen begriffenen wissenschaftlichen Gemeinschaft, bald ergänzt durch die 1968 gegründete Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD).29 Fördernd für die Entwicklung dieser Gruppe »EDV-interessierter Einzelkämpfer« zu einer wissenschaftlichen Gemeinschaft waren die von der IBM Deutschland ab 1972 veranstalteten Wirtschaftsinformatik-Symposien, die ersten wissenschaftlichen Tagungen der Fachdisziplin im deutschsprachigen Raum. Die Betonung liegt auf »wissenschaftlichen«, denn Tagungen, Symposien, Konferenzen oder Kongresse zum Gegenstandsbereich der heutigen Wirtschaftsinformatik gab es schon Anfang der 1960er Jahre. Treibende Kräfte waren nicht die rudimentären Institutionen der entstehenden Disziplin, auch nicht die Institute der »Enabler«, sondern Fachverbände wie die bereits genannte, seit 1959 bestehende ADV. Beim dritten Symposium 1974 wurde die Idee zur Gründung einer wissenschaftlichen Kommission im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) mit der Bezeichnung Betriebsinformatik (WKBI, später WKWI) geboren.30 Sie wurde zum Motor der wissenschaftlichen Entwicklung der Wirtschaftsinformatik. Karl Kurbel bringt es auf den Punkt, wenn er feststellt  : »Der Aufschwung, den die Wirtschaftsinformatik nahm, war im Wesentlichen durch Initiativen der WKWI begründet.«31 Die Linzer Wirtschaftsinformatik hat davon enorm profitiert, konnte zu dieser Entwicklung aber auch beitragen, was unter anderem dadurch bedingt war, dass sie schon 1968 angemessen aufgestellt war. Es gab viel Bedarf zum Nehmen, es konnte aber auch etwas gegeben werden. Auch in anderer Hinsicht kann die Bedeutung der IT-Industrie am Beispiel der IBM gezeigt werden, die eine Vorreiterrolle einnahm und deren Förderungsumfang weit über den hinausging, den andere EDV-Hersteller leisteten  :32 Traineeprogramme für EDV-interessiertes wissenschaftliches Personal, Forschungsaufenthalte in IBM-Forschungsstätten in den USA, Schenkungen von Hardware, Software und Ausbildungsleistungen an Hochschulrechenzentren und -institute, Unterstützung von EDV-Forschungsprojekten, Bereitstellung von Fachzeitschriften, Unterrichtsmaterialien und Produktdokumentationen, die Startfinanzierung von EDVLehrstühlen und wissenschaftlichem Personal, die Übernahme von Lehraufträgen, Praktika für Studierende, Studienreisen zu Schlüsselanwendern in den USA. Diese 355

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Aufzählung ließe sich ergänzen, und auch andere EDV-Hersteller wären zu nennen. Die IT-Industrie hat in der Gründungsphase des Faches Wirtschaftsinformatik viel zur Bewusstseinsbildung an den Hochschulen, zur individuellen Förderung des wissenschaftlichen Personals, zur Kommunikation zwischen Wissenschaft und Praxis und zur Bildung einer international orientierten Scientific Community beigetragen.

Linz wirkt in die Community Mit Rudolf Wohlgenannt (1924–1993) hatte die Linzer Hochschule seit 1969 einen Vertreter der Philosophie und Wissenschaftstheorie in ihren Reihen, mit dem sich ein reger Gedankenaustausch über die Verwissenschaftlichung der akademischen Lehre entwickelte, die in dem 1975 aufgenommenen Studienversuch mit »Betriebs- und Verwaltungsinformatik« bezeichnet wurde. Ein Thema war die Frage, ob es notwendig oder auch nur zweckmäßig sei, von einer neuen Einzelwissenschaft zu sprechen, deren Erkenntnisobjekt computergestützte Informationssysteme in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung sind. Vier Alternativen wurden untersucht  : Betriebs- und Verwaltungsinformatik als a) Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre und Verwaltungsbetriebslehre, b) der Informatik, c) der Informationswissenschaft und als d) eine selbständige Einzelwissenschaft. Das Ergebnis dieser wissenschaftstheoretischen Studie war  : Da betriebliche Informationssysteme unbestritten zum Erkenntnis­objekt der Betriebswirtschaftslehre gehören, muss dies auch für computergestützte betriebliche Informationssysteme gelten, die deshalb weder Erkenntnisobjekt einer neuen Einzelwissenschaft noch anderer Einzelwissenschaften (wie z. B. der Informatik) sein können.33 Einer der Linzer Professoren für Betriebswirtschaftslehre hat sich in diesem Sinne auch öffentlich geäußert34 – ein heute kaum nachvollziehbares Ergebnis, das schon nach wenigen Jahren Geschichte war. Die Weiterentwicklung und Verbreitung der Computertechnik sowie das Ausmaß und die Komplexität der dadurch ausgelösten Veränderungen waren weit unterschätzt worden. Mit der Publikation der genannten wissenschaftstheoretischen Studie gab es die erste vernehmliche Stimme in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die anregte, die Identität der Wirtschaftsinformatik durch Beschreibung wissenschaftstheoretischer Merkmale wie Erkenntnisobjekte, Forschungsziele und -methoden zu klären. Der Diskurs über wissenschaftstheoretische und wissenschaftsprogrammatische Fragen und über Curricula wurde nun intensiver geführt. 1980 beschrieb Hartmut Wedekind im Diskussionsforum der »Zeitschrift für Betriebswirtschaft« die Betriebsinformatik als eine wissenschaftliche Disziplin, deren »Hauptlehrstücke« die »(Re-) Konstruktion von betriebswirtschaftlichen Objekten« und die »Katalogauswahl« sind, Erkenntnisobjekte also, die nicht von anderen Wissenschaften wie der Betriebswirtschaftslehre oder der Informatik abgedeckt werden. Ein Curriculum der 356

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Betriebsinformatik müsse um die Hauptlehrstücke herum aufgebaut werden. Das Hauptproblem sei es nicht, die Lehrgegenstände zu bestimmen, sondern geeignete Lehrpersonen zu finden. Die Vergangenheit habe schon gezeigt, dass dieses Fach nur mit großer Mühe in die bestehenden Curricula für Betriebswirte oder Informatiker eingebracht werden kann. Um einen selbständigen, interdisziplinären Studiengang Betriebsinformatik zuwege zu bringen, bedürfe es in den Universitätsgremien und der Kultusbürokratie eines tieferen Verständnisses für die gestellte Frage, so Wedekind.35 Peter Stahlknecht und August-Wilhelm Scheer haben dazu Stellung genommen. Stahlknecht genügte es, »das Fach durch eine detaillierte Angabe seines Inhalts zu beschreiben«, nach Ansicht von Scheer »sollte man Betriebsinformatik überhaupt nicht studieren«, mit anderen Worten  : »Betriebsinformatik ist ein spezielles Fach innerhalb der Betriebswirtschaftslehre, nicht mehr, aber auch nicht weniger.«36 Eine Antwort der Linzer Wirtschaftsinformatik wurde 1982 publiziert.37 Die Kernaussage war, dass die Beantwortung der Frage, ob Betriebsinformatik eine wissenschaftliche Disziplin oder ein Fach der Betriebswirtschaftslehre sei, voraussetze, neben der Informatik nicht die Betriebswirtschaftslehre allein im Blick zu haben, sondern alle problemrelevanten Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die Wirkung moderner Informations- und Kommunikationstechnik sei nicht nur aus Sicht der Informatik oder betriebswirtschaftlich zu beschreiben, zu erklären und zu gestalten, sondern disziplinübergreifend auch arbeitswissenschaftlich, soziologisch, psychologisch, pädagogisch, gesellschaftlich usw. Gegenstandsbereich der entstehenden, sich weiter entwickelnden Disziplin seien nicht Technik-, sondern Mensch/Aufgaben/Technik-Systeme.38 Es ging also um informations- und kommunikationstechnische Systeme zur Lösung betriebswirtschaftlicher Aufgaben in Organisationen mit »Menschen als Aufgabenträger und Benutzer« (sog. MAT-Paradigma). Müller-Merbach hat dieser Einsicht folgend die Wirtschaftsinformatik als Wissenschaft charakterisiert, die eine Brückenaufgabe zu erfüllen habe und offen zu anderen Wissenschaften sein müsse.39 Es verging noch ein Jahrzehnt, ehe es ein »Profil der Wirtschaftsinformatik« gab, das von der wissenschaftlichen Gemeinschaft mehr oder weniger »einmütig vertreten wurde«.40 Auch Volker Gadenne, seit 1994 Inhaber der Professur für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der JKU, hat sich aus wissenschaftstheoretischer Sicht mit der Wirtschaftsinformatik befasst und auf einer Fachtagung der WKWI in Linz dazu referiert und darüber publiziert.41 Gadennes Verständnis der Konsultation und Integration von Theorien aus Referenzdisziplinen hat für manche Anregung gesorgt.42 Zusammen mit dem Beitrag von Rudolf Wohlgenannt in den 1970er Jahren konnten mit der einführenden und grundlegenden Linzer Lehrbuchliteratur die wissenschaftlichen Grundlagen der Wirtschaftsinformatik nicht nur Studierenden, sondern auch Lehrenden vermittelt werden. Es konnten auch die Phänomene der Wirklichkeit erläutert werden, ohne deren praktische Bedeutung die Wirtschaftsinformatik als Wissenschaft heute nicht existieren würde. 357

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Mertens schreibt von »sehr beachtlichen Erfolgen« seines Nachfolgers bei der Fortführung der Arbeiten im gleichen Sinne, auch im Lehrbetrieb und in der Lehrbuchliteratur.43 Ein langjähriger Partner beim Brückenbauen zwischen akademischer Lehre und Wirtschaftspraxis war Peter Burgholzer in der Funktion als Leiter EDV/Organisation der Nettingsdorfer Papierfabrik AG. Bei der Arbeit an einem zweibändigen Titel entstand ein weiterer Titel, die drei Bände erreichten 23 Auflagen. Mit der dritten Auflage des Studien- und Forschungsführers Wirtschaftsinformatik wurde ein von Joachim Griese bearbeitetes Kapitel »Literatur zur Wirtschaftsinformatik« eingeführt, in dem die beiden Werke genannt werden. »Für den Gestaltungsprozess von Informationssystemen liegen zahlreiche englischsprachige Bücher vor […] Eine vergleichbare deutschsprachige Schrift ist das zweibändige Buch ›Systemplanung‹ von Heinrich und Burgholzer.«

Und weiter heißt es  : »Der heute aktuelle Aspekt der Wirtschaftsinformatik, die Planung und das Management von Informationssystemen [Informationsmanagement] ist in der Buchliteratur bisher erst spärlich behandelt. In der deutschsprachigen Literatur ist das Buch ›Informationsmanagement‹ von Heinrich und Burgholzer zu nennen.«44

Griese beurteilte es als ein Zeichen für das Reifestadium einer Wissenschaftsdisziplin, wenn Lexika und Handbücher erscheinen, und nannte die beiden »in den letzten Jahren« entstandenen Lexika, das eine von einer größeren Zahl von Herausgebern unter Leitung von Mertens45, das andere von den Autoren Heinrich und Roithmayr.46 Letzterer war zu dieser Zeit Leiter des EDV-Zentrums der JKU und – so wie Burgholzer – nicht nur als Autor, sondern auch als Unterstützer tätig, der für die zur Buchproduktion erforderliche Technik sorgte. Mit zusammen 30 Auflagen hatten die drei Titel eine beachtliche Wirkung in der Community und in der Praxis, nicht nur, aber vor allem durch die ehemaligen Studierenden.

Ein Verein zur Interaktion mit Wirtschaft und Verwaltung 1978 wurde zur Interaktion der Linzer Wirtschaftsinformatik mit der oberösterreichischen Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung das Institut für Personal- und Organisationsentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung (IPO) an der Universität Linz gegründet. Seine Mitglieder sind Persönlichkeiten aus Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Wissenschaft sowie Organisationen der öffentlichen Verwaltung und soziale Organisationen, vornehmlich aus dem Raum Oberösterreich. Primäres 358

Wirtschaftsinformatik

Vereinsziel ist die Unterstützung der Mitglieder bei der Planung und Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten. Zunächst stand jedoch der Wissens- und Know-how-Transfer von der Universität in die Praxis in verschiedenen Formen, wie offene Fachtagungen auf dem Campus oder Seminare in den Unternehmen, im Vordergrund. Renommierte Vertreter anderer Universitäten trugen dazu bei, das Profil der Linzer Wirtschaftsinformatik zu schärfen. Mit Bernhard Hartmann Ende der 1970er und August-Wilhelm Scheer Anfang bis Mitte der 1980er Jahre sind zwei der prominentesten unter ihnen zu nennen. Mit der voest Linz und der BMW Motoren GmbH Steyr sind zwei potente Unternehmen als Vereinsmitglieder und Auftraggeber in dieser Zeit zu erwähnen. Probleme sollten am Entstehungsort mit Beteiligten und Betroffenen identifiziert und analysiert und Problemlösungen gemeinsam erarbeitet werden. In den 1980er Jahren hat das IPO sein Angebotsspektrum erweitert und dem vorwiegend regionalen Bedarf entsprechend damit begonnen, Universitätslehrgänge anzubieten  ; zu nennen sind insbesondere die Lehrgänge Sozialmanagement, Trainings- und Bildungsmanagement sowie Vereinsmanagement. Ein besonders großer Erfolg war der Universitätslehrgang für Sozialmanagement, der 22 Mal durchgeführt wurde. Diesem Lehrgang verdankt die Region (und Gebiete über sie hinaus) eine große Zahl akademisch weitergebildeter Führungskräfte in sozialen Organisationen. Der Ausbildungsbedarf wurde im Zuge der Einführung von Fachhochschulen in Österreich von diesen aufgegriffen.47 Ende der 1990er Jahre rückten Entwicklungsprojekte in den Vordergrund, die sich methodisch auf Vorgehensmodelle stützten, die nach der BIFOA-Forschungsstrategie »Forschung durch Entwicklung« am Institut für Wirtschaftsinformatik und am IPO geschaffen wurden.48 Sie wurden durch Fachtagungen, Seminare und Publikationen auch international verbreitet.49 Anfang der 2000er Jahre kamen Technologie-Entwicklungsprojekte dazu. IPO-Experten und Expertinnen begannen zusammen mit wissenschaftlichem Personal der Wirtschaftsinformatik-Institute und mit kooperierenden Firmenpartnern innovative Technologien zu entwickeln, insbesondere in den Bereichen Personen- und Fahrzeugnavigation50 sowie Location- und Context-based Services,51 die auch zu Patentanmeldungen52 geführt haben und mit großem Erfolg in der Praxis pilotiert werden konnten.53 Das IPO wurde so zu einer erfolgreichen Plattform für Wissens-, Know-how- und Technologie-Transfer von der Universität in die Praxis.

Studienversuch Betriebs- und Verwaltungsinformatik Die Einrichtung dieses Studienversuchs war ein Schlüsselereignis in der Entwicklung der Wirtschaftsinformatik in Lehre und Forschung an der JKU, vor allem deshalb, 359

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weil damit die in einem Jahrzehnt gewonnene Erfahrung kooperativen Arbeitens über Fakultätsgrenzen hinweg 1985 den nahtlosen Übergang zum Diplomstudium Wirtschaftsinformatik möglich machte. Der Studienversuch war aber auch ein Schlüsselereignis auf dem Weg der Verwirklichung einer der Gründungsideen der Linzer Hochschule, nämlich jener, durch interfakultäre Konzepte für Lehre und Forschung »etwas Besonderes entstehen zu lassen«.54 Deshalb wird etwas ausführlicher über den Studienversuch berichtet, auch um auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die zu überwinden waren, unter anderem solche formalrechtlicher Art. Nicht alle an dem Projekt Mitwirkenden konnten sie als selbstverständliche Gegebenheiten akzeptieren.55 Vermutlich war es Adolf Adam, der den Vorschlag machte, eine »Interfakultäre Informatikkommission« einzurichten. Sie wurde am 7.  Dezember 1972 vom »Professorenkollegium der Sozial-, wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Fakultät aufgrund eines Vorschlages der Technisch-naturwissenschaftlichen Fakultät […] mit Mitgliedern der Fakultäten beschickt  ; Assistenten und Studenten wurden ebenfalls eingeladen.«56 In ihrer konstituierenden Sitzung wurde beschlossen, die Grundlagen eines nachhaltigen gemeinsamen Wirkens der Betriebswirtschaftslehre zusammen mit anderen sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen und der Informatik mit einem Studienversuch in Angriff zu nehmen.57 Dies war rechtlich möglich, wenn die Voraussetzungen des §  13 Abs.  3 des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes bei wenigstens zehn ordentlichen Hörern vorlagen.58 Diese konnten für das hier zu lösende Problem nicht zutreffender sein  : (1) Die beabsichtigte Verbindung der Fachgebiete muss wissenschaftlich sinnvoll erscheinen, (2) es muss ein Bedarf für diese Art der Berufsvorbildung vorhanden sein und (3) die in den Studienordnungen festgelegten Wahlfächer genügen nicht für die Erreichung des angestrebten Lehrziels.59 Adolf Adam veranlasste umgehend in seinen Lehrveranstaltungen eine »Studentenumfrage«, um zu belegen, dass die Anforderung »wenigstens zehn ordentliche Hörer« erfüllt ist. In einem Schreiben vom 12. Dezember 1972 an das Rektorat und die Dekanate berichtete er  : »Für einen Studienversuch ›Betriebs- und Verwaltungsinformatik‹ haben sich […] 187 ordentliche Hörer mit Unterschrift ausgesprochen. […] Diese Willenskundgebung zeigt, dass das Fach Betriebs- und Verwaltungsinformatik ein Schwerpunkt der Johannes-Kepler-Hochschule werden könnte und ich bitte die einschlägige interfakultäre Studienkommission [sic  !],60 dieses Ergebnis als Grundlage zur Einleitung der nötigen Schritte heranzuziehen.«61

Am 13. April 1973 beschloss die interfakultäre Informatikkommission den Entwurf einer Verordnung über den Studienversuch »Betriebs- und Verwaltungsinformatik«.62 360

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Im Protokoll der 35. Sitzung des Professorenkollegiums der Sozial-, Wirtschaftsund Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Hochschule Linz am 24.  Mai 1973, Top. 5) »Bericht des Vorsitzenden der interfakultären Informatikkommission«, Antrag des Vorsitzenden, heißt es  : »Die Fakultät beantragt beim Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF) den Erlass einer Studienordnung für einen interfakultären Studienversuch ›Betriebs- und Verwaltungsinformatik‹ auf der Grundlage des beigefügten Entwurfes.«63

Es gab zwei Änderungsanträge, beide wurden angenommen, einen Beschluss über den zitierten Antrag des Kommissionsvorsitzenden hat es zweifellos gegeben, protokolliert wurde er nicht.64 Dass mehr als ein Jahr bis zum Erlass der Verordnung des Wissenschaftsministeriums vom 11. Juni 1974 verstrich, könnte eine Folge dieses Formalfehlers gewesen sein. Das Schreiben des Ministeriums an das Dekanat der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät, mit dem darüber informiert und grünes Licht für die Weiterarbeit gegeben wurde, ist mit 3. Oktober 1974 datiert. Darin heißt es  : »Die Erlassung der Studienordnung ermöglicht nun die Ausarbeitung des Studienplans sowie dessen Erlassung gemäß § 17 des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes durch die an der do. Fakultät einzurichtende Studienkommission.«65 In ihrer konstituierenden Sitzung am 7.  November 1974 beschloss die Studienkommission »in Anwesenheit von Vertretern der Professoren, Assistenten und Studenten der TNF  : Die Anwesenden bekräftigen ihren Willen, diesen Studienversuch als eine von beiden Fakultäten getragene Einrichtung im Sinne eines interfakultären Studienversuchs anzusehen. Aus formalrechtlichen Gründen halten sie es für zweckmäßig, als akademische Behörde dieser Studienkommission die Fakultät für Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften anzusehen. Zur Sicherung der gemeinsamen Durchführung des Studienversuchs wird einstimmig beschlossen, eine gleiche Anzahl von Professoren, Assistenten- und Studentenvertretern aus beiden Fakultäten in diese Kommission zu entsenden.«66

Die erste Zulassung zum Studienversuch war ab dem 1. Oktober 1975 möglich, die letzten Neuzulassungen fanden im Sommersemester 1985 statt. Meldungen über die Fortsetzung des Studiums waren noch bis 30.  September 2000 möglich. Im Zeitraum vom 1. Oktober 1975 bis 30. September 2000 schlossen 141 Studierende dieses Studium ab.67 Es ist anzunehmen, dass es zahlreiche Studierende gab, die ab dem Studienjahr 1985/86 in das Diplomstudium Wirtschaftsinformatik wechselten  ; die Übergangsbestimmungen förderten den Wechsel. 361

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Diplomstudium Wirtschaftsinformatik 1982 beschloss der Nationalrat eine Novelle zum Bundesgesetz über die sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Studienrichtungen. Gem. § 3 Abs. (1) g) war die Studienrichtung Wirtschaftsinformatik mit den Studienzweigen »Betriebsinformatik« und »Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik« einzurichten.68 Auf die Studienordnung musste noch bis zum 17. April 1984 gewartet werden. Am 20. Juni 1985 beschloss die Studienkommission den ersten Studienplan Wirtschaftsinformatik an der JKU. § 1 »Einrichtung« beschrieb, was sich in einem zehnjährigen Versuch bewährt hat, die interfakultäre Konzeption  : »An der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz wird gemeinsam mit der TechnischNaturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz die Studienrichtung Wirtschaftsinformatik eingerichtet.«69

Bachelor- und Masterstudium Wirtschaftsinformatik Mit dem Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien, kurz Universitätsgesetz 2002, wurden weite Bereiche des Universitätsrechts neu geordnet.70 Sowohl an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät als auch an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät kam es zu heftigen Diskussionen über die Sinnhaftigkeit der Ablöse des Diplomstudiums und den Wechsel zum Bachelor-/Masterstudium. Es wurde von vielen, auch von einem Teil der für die Wirtschaftsinformatik Verantwortlichen angezweifelt, ob damit die Qualität der Ausbildung verbessert werden könne oder ob es nicht trotz Verlängerung der Minimalstudienzeit um ein Semester durch die Teilung eines gewachsenen Ganzen in zwei Studiengänge zu einer Niveausenkung kommen werde. Es war jedoch klar, dass sich die Einführung des Bachelor-/Masterstudiums nicht verhindern, sondern nur verzögern lassen würde. Das Curriculum für das Diplomstudium Wirtschaftsinformatik musste überarbeitet und neu strukturiert werden. Am 1.  Oktober 2008 trat das Curriculum für das Bachelor- und das Masterstudium Wirtschaftsinformatik an der JKU in Kraft. In der Erstfassung des Curriculums71 wurde die zentrale Aufgabe der Wirtschaftsinformatik im Kontext der durch die technologischen Entwicklungen ausgelösten Veränderungsprozesse sinngemäß wie folgt erklärt  : Wirtschaft und Technik sowie Gesellschaft und Kultur unterliegen einem umfassenden und tiefgreifenden Veränderungsprozess. Dieser Prozess mit seinen vielfältigen und weitreichenden Auswirkungen auf das gesellschaftlich-öffentliche wie private Leben ist für alle Wissenschaftsdisziplinen eine große Herausforderung. Zentrale Aufgabe der Wirtschaftsinformatik ist es, diesen Veränderungsprozess mitzugestalten, voranzu362

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treiben und verantwortungsbewusst zu steuern. Der spezifische Beitrag der Wirtschaftsinformatik besteht darin, Informations- und Kommunikationstechnologien in Wirtschaft und Verwaltung so einzusetzen und zu nutzen, dass zwar primär betriebswirtschaftliche Ziele verfolgt und erreicht, soziale und gesellschaftliche Ziele jedoch ausreichend berücksichtigt werden. Wirtschaftsinformatik arbeitet theoriegeleitet, praxisorientiert und interdisziplinär und ist als wissenschaftliche Disziplin im Schnittbereich von Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (insbesondere Betriebswirtschaftslehre), Technikwissenschaften (insbesondere Informatik) und Rechtswissenschaften eingebettet.72 Als Besonderheiten des Bachelor-/Masterstudiums Wirtschaftsinformatik an der JKU wurden die folgenden Merkmale hervorgehoben  : Im Sinn einer interdisziplinären Ausbildung wird Qualifikation für Tätigkeiten im Management- und im Ingenieurbereich erworben. Ausgehend von Basiskompetenzen werden im Bachelorstudium die erforderlichen Kernkompetenzen vermittelt, die darauf aufbauenden Spezialkompetenzen werden im Masterstudium erworben. Für die Vorbereitung des Erwerbs von Spezialkompetenzen werden bereits im Bachelorstudium Wahlfächer angeboten, die von den Studierenden, ihren Berufszielen und Neigungen entsprechend, weitgehend frei gewählt werden können. Die Wahl der angestrebten Spezialkompetenzen und die damit verbundene Berufsorientierung ist den Studierenden durch freie Wahl aus einem breiten Angebot von Studienschwerpunkten selbst überlassen  ; die Orientierung auf bestimmte Berufsbilder kann also aufgrund der Absichten und Neigungen der Studierenden erfolgen.73 Beim Wechsel vom Diplomstudium zum Bachelor-/Masterstudium kam es an vielen Universitäten zu einer großen Anzahl von Studiengängen mit oft nur schwer nachvollziehbaren Spezialisierungen. So hat beispielsweise die Linzer Informatik 2007 vier Masterstudiengänge eingeführt. Die Vorstände der vier WirtschaftsinformatikInstitute und die Mitglieder der Studienkommission waren sich darin einig, sich diesem Trend nicht anzuschließen, sondern nur einen Masterstudiengang einzuführen und eine durch entsprechende Breite gekennzeichnete Studienkonzeption mit großem Freiraum für die Studierenden zur individuellen Schwerpunktsetzung beizubehalten. Die Entwicklungen an der JKU gaben letztendlich diesen Überlegungen recht. Die Informatik hat nach einigen Jahren ihre wohl zu speziellen Masterstudiengänge aufgegeben und sich 2013 auf einen Masterstudiengang (Computer Science) mit entsprechender Breite und individuellen Möglichkeiten zur Schwerpunktsetzung beschränkt. Ein weiterer Trend, Englisch als Vortragssprache im universitären Lehrbetrieb einzuführen, führte zu Diskussionen, die bis heute andauern. Während das Masterstudium Computer Science zur Gänze in Englisch angeboten wird, wird das Bachelorstudium und das Masterstudium Wirtschaftsinformatik nach wie vor zum überwiegenden Teil in deutscher Sprache abgehalten  ; die Anzahl der nur in Englisch absolvierten Lehrveranstaltungen ist im Steigen. 363

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Mit der Globalisierung und den damit einhergehenden Internationalisierungsbestrebungen wurde auch die Frage, ob eine internationale Akkreditierung der JKU und/oder ihrer Studienangebote angestrebt werden soll, immer wichtiger. Über den Wert einer solchen Akkreditierung gingen und gehen die Meinungen naturgemäß weit auseinander. Die vier Wirtschaftsinformatik-Institute waren sich schnell einig und nutzten die Gunst der Stunde, um die eigenen Studienprogramme als Versuchsobjekt zur Verfügung zu stellen und eine internationale Akkreditierung sowohl des Bachelor- als auch des Masterstudiums anzustreben. Im September 2010 wurde der Antrag zur Akkreditierung bei der deutschen Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen (AQAS) eingereicht. Nach einer Vorortinspektion durch die Akkreditierungskommission wurde beiden Studiengängen am 16. Mai 2011 eine Akkreditierung ohne jede Auflage für fünf Jahre erteilt, also bis zum 30. September 2016.74 Diese Akkreditierung hat, weil sie eine der ersten in Österreich und die erste an der JKU war, großes Medieninteresse hervorgerufen. Die Linzer Wirtschaftsinformatik stand eine Zeitlang im medialen Rampenlicht. Die öffentliche Würdigung der Qualität der beiden Linzer Wirtschaftsinformatik-Studiengänge hat allerdings zur Verbreitung der Meinung geführt, dass diese Studiengänge besonders hohe Anforderungen an die Studierenden stellen. Als paradoxe und negative Konsequenz brach im darauffolgenden Wintersemester die Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen ein. Sie hat sich nach der Akkreditierung um ein Drittel verringert, und es dauerte einige Semester, bis dies wieder ausgeglichen werden konnte. Das war eine herbe Enttäuschung, aber der Nutzen für die Studierenden durch die Absolvierung von Auslandssemestern, bei der Aufnahme in internationale Doktoratsprogramme und für die Steigerung des Arbeitsmarktwertes ist unbestritten. Deshalb hält die Wirtschaftsinformatik, unterstützt durch das Rektorat, an ihrer Akkreditierungspolitik fest und stellt sich alle fünf Jahre einem Reakkreditierungsverfahren.

Institute und ihre Bezeichnung Zweck einer Institutsbezeichnung aus Sicht der in Forschung und Lehre Tätigen ist es, das Lehr- und Forschungsprogramm treffend und verständlich zum Ausdruck zu bringen. In den 1980er Jahren erreichte die ministerielle Bevormundung der Universitäten ein so hohes Ausmaß, dass sogar die Institutsbezeichnungen vorgegeben wurden. Mertens hatte 1968 die Bezeichnung »Institut für Fertigungswirtschaft und Betriebliche Systemforschung« gewählt und dies wie folgt begründet  : Der Grund für die Verwendung von »Systemforschung« war nicht allein der, dass »ich die BWL-Teilfächer EDV, OR, Fertigungswirtschaft/Industrie zu vertreten + mich an der ABWL zu beteiligen [hatte]. Das alles in der Bezeichnung aufzuführen, ging 364

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nicht.«75 Bedeutsamer ist jedoch eine weitere Bemerkung dazu  : »Ich kam vom MIT nach Linz. Dort hatte man damals die ›quantitativen‹ Fächer unter ›Systems Analysis‹ oder ›Systems Research‹ gebündelt.«76 Unter den Wegbereitern und Begründern der Wirtschaftsinformatik wie ihren Nachfolgern war es in den frühen 1960er Jahren weit verbreitet, sich mit Systemforschung zu beschäftigen  ; man war auf der Suche nach wissenschaftlichen Ansätzen für das Neue. Einer der Nachfolger berichtet dazu  : »Die Beschäftigung mit der Systemforschung hatte mich gelehrt, dass wir allein mit strikt disziplinären wissenschaftlichen Ansätzen dann nicht weiterkommen, wenn wir uns die Gestaltung realer Systeme zur Aufgabe machen. Sind doch diese im Blickpunkt unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachrichtungen. Ließe man deren Ergebnisse jedoch nur im multidisziplinären Sinne neben einander wirken, fehlte ein gestalterisch gemeinsamer Ansatz.«77

»Betriebliche Systemforschung« war also »am Anfang« eine passende Bezeichnung für das Neue auf der Suche nach Antworten auf die vielen Fragen, die gestellt wurden. Mitte der 1970er Jahre war es die herrschende Meinung, dass »Betriebsinformatik« die angemessene Bezeichnung sei, obwohl »Wirtschaftsinformatik« schon in den 1960er Jahren verwendet wurde, allerdings ohne Definition und Abgrenzung, auch nebeneinander und ohne jede Erklärung.78 Einer der Pioniere der Wirtschaftsinformatik erinnert sich an eine umfassende Erhebung über die Lehrstuhlbezeichnungen. Ihr Ergebnis sei gewesen, dass außer in Mannheim »alle anderen Lehrstühle zur Zeit ›Betriebsinformatik‹ heißen.«79 In Linz hieß es seit 1975 »Institut für Fertigungswirtschaft und Betriebsinformatik«.80 Die Auslagerung der Fertigungswirtschaft in ein »Institut für Industrie und Fertigungswirtschaft« 1978 war das Ergebnis von Entscheidungen der Ministerialbürokratie. Diese sorgte gleichzeitig mit der Bezeichnung »Institut für Betriebsinformatik und Organisationsforschung« für einen anderen Partner. Nun musste mit der Ministerialbürokratie über die Verwendung von »Wirtschaftsinformatik« statt »Betriebsinformatik« debattiert werden. Das Mitwirken eines Kollegen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Rudolf Strasser (1923–2010), war zur Lösung dieses Problems sehr hilfreich. So entstand 1982 das »Institut für Wirtschaftsinformatik und Organisationsforschung«,81 das ab nun den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Ausrichtung auf Datenverarbeitung82 und den Lehrstuhl für Organisationsforschung83 beheimatete. Fast 20 Jahre dauerte es von der 1967 eingerichteten Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre mit einer fachlichen Ausrichtung auf Datenverarbeitung bis zur Genehmigung der ersten Professur für Wirtschaftsinformatik 1985. Fast 20 Jahre lang war ein wenige Personen umfassendes Team zunächst damit beschäftigt, den 365

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»Gemischtwarenladen« der Lehrverpflichtungen gemeinsam mit wenigen externen Lehrbeauftragten zu führen, ihn dann mit kollegialer Unterstützung durch ein zielstrebiges Auslagern aufzuräumen, um sich in Lehre und Forschung mit dem Neuen und sich ständig Verändernden angemessen befassen zu können. 1987 wurde die Professur für Wirtschaftsinformatik besetzt. Das »Institut für Wirtschaftsinformatik und Organisationsforschung« wurde auf drei Lehrstühle erweitert. In den 1990er Jahren ging der Einfluss der Ministerialbürokratie zurück. 1994 konnte sich die »Organisationsforschung« verselbständigen,84 es gab nun ein »Institut für Wirtschaftsinformatik« mit zwei Forschungs- und Lehrschwerpunkten  : Information Engineering und Software Engineering. Den beiden Hauptakteuren der Linzer Wirtschaftsinformatik zu dieser Zeit, Lutz J. Heinrich und Gustav Pomberger, war bewusst, dass eine umfassende Auseinandersetzung mit den Forschungs- und Lehrgegenständen der Wirtschaftsinformatik weitere Professuren mit ergänzenden Forschungs- und Lehrschwerpunkten erforderte. Sie sahen die erfolgsbestimmenden Potentiale für Forschung, Lehre und Praxis vor allem in vier Gegenstandsbereichen und ihrem Engineering. Neben Information Engineering und Software Engineering waren dies Data & Knowledge Engineering sowie Communications Engineering. Als unverzichtbar wurde die Auseinandersetzung mit strategischer IT-Planung als Gegenstand einer sich dynamisch entwickelnden Teildisziplin der Wirtschaftsinformatik, dem Informationsmanagement, angesehen. Mit dem Schwerpunkt Information Engineering85 war dieser zentrale Aspekt der Wirtschaftsinformatik im Linzer Modell verankert. Da Software zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor und zentralen Bestandteil komplexer Systeme geworden war, die technische und/oder betriebswirtschaftliche Prozesse steuern oder unterstützen, war es naheliegend, einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt Software Engineering einzurichten, der sich vor allem mit organisatorischen und managementbezogenen, aber auch mit architekturund qualitätsbetreffenden Aspekten der Softwaretechnik in Forschung und Lehre befasst.86 Die beiden Akteure waren überzeugt davon, dass über die bestehenden Schwerpunkte hinaus insbesondere Folgendes zum Forschungs- und Lehrspektrum der Wirtschaftsinformatik Linzer Prägung gehören soll  : die Auseinandersetzung mit der Erfassung, Analyse, Auswertung und Verwaltung großer Datenmengen sowie das IT-gestützte Wissensmanagement mit der inner- und überbetrieblichen Kommunikation und Vernetzung von IT-Systemen und mit der Benutzermitwirkung bei der Systemgestaltung. Im Sinne dieser Überlegungen wurden die Schwerpunkte Information Engineering und Software Engineering durch die Schwerpunkte Data & Knowledge Engineering87 sowie Communications Engineering88 ergänzt. Dieses Vier-Säulen-Modell prägt seither die Linzer Wirtschaftsinformatik und gibt ihr ein spezielles Profil, das sowohl in der Breite der Forschung und Lehre als auch in der Akzeptanz der Absolventen und Absolventinnen auf dem Arbeitsmarkt sichtbar wird. 366

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Das Institut für Wirtschaftsinformatik, in dem die vier Lehrstühle zusammengefasst wurden, betrieb seit seiner Gründung im Jahre 1994 sowohl anwendungsorientierte Forschung als auch Grundlagenforschung, wobei die anwendungsorientierte Forschung dominierte. Forschungsmethodisch wurde ein ingenieurwissenschaftlicher Ansatz verfolgt, eine Entwicklung vom Exemplarischen, Konstruktionszentrierten und Beschreibenden hin zum Grundsätzlichen, Abstrakten, Erklärenden, kurz gesagt von der Praxis zur Theorie. Der überwiegende Teil der Forschungsprojekte hatte ganz im Sinne der Forschungskonzeption eine interdisziplinäre Ausrichtung. Im Zuge der Universitätsreform 2002 und damit möglicher strukturorganisatorischer Veränderungen wurde das inzwischen auch personell stark gewachsene Institut für Wirtschaftsinformatik in vier den Forschungs- und Lehrschwerpunkten entsprechende Institute gegliedert. Das die Linzer Wirtschaftsinformatik in Forschung und Lehre prägende Vier-Säulen-Modell konnte damit sowohl nach außen als auch nach innen noch wirksamer zum Ausdruck gebracht werden.

Ein Forschungslaboratorium für Software Engineering Im Jahr 1988 wurde auf Betreiben namhafter Wissenschaftler89 in Österreich eine neue Forschungsförderungsgesellschaft konzipiert. Sie wurde unter dem Namen Christian Doppler Gesellschaft (CDG) als Konzerninstrument der Österreichischen Industrieholding AG (ÖIAG) eingerichtet. Ihr Ziel war die Schaffung von Forschungseinheiten, die auf hohem Niveau Grundlagenforschung betreiben sollten. Die gewählten Themengebiete sollten für die Unternehmen des Konzerns mittelbis langfristig von Nutzen sein.90 Die 1993 durchgeführte Umgestaltung der ÖIAG vom Industriekonzern zu einer Beteiligungs- und Privatisierungsagentur bedingte auch eine Reform der CDG. Die neu einzurichtenden Forschungseinheiten sollten allen österreichischen Unternehmen offen stehen und konkrete Fragestellungen der Wirtschaft auf hohem Niveau bearbeiten. Im Jahr 1995 wurde eine neue Finanzierungsgrundlage geschaffen und der Verein strukturell neu organisiert. Gleichzeitig erfolgte die Übernahme in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten. Seither ist die CDG ein Modell, das die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft im Bereich der anwendungsorientierten Grundlagenforschung unterstützt und von Unternehmen und der öffentlichen Hand gemeinsam finanziert wird. 1991 stellte die Linzer Wirtschaftsinformatik den Antrag auf Errichtung eines »Christian Doppler Forschungslaboratoriums für Software Engineering« am Institut für Wirtschaftsinformatik und erhielt insbesondere wegen ihrer interdisziplinären Ausrichtung und der umfassenden, nicht nur technischen, sondern auch managementbezogenen Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand 1992 – nach 367

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einem harten internationalen Begutachtungsprozess  – den Zuschlag. Im Oktober 1992 wurde das »Christian Doppler Forschungslaboratorium für Software Engineering«91 an der JKU eröffnet. Die Wirtschaftsinformatik verfügte damit über beträchtliche finanzielle Mittel zur anwendungsorientierten Grundlagenforschung und konnte den Forschungsoutput, die internationale Sichtbarkeit und die Forschungskooperation mit namhaften und global agierenden Unternehmen beträchtlich steigern. Zu nennen sind hier vor allem die Voest-Alpine Industrieanlagenbau Linz und die Siemens Corporate Technology München. Durch die Erfolge dieses Forschungslabors wurde auch der Grundstein dafür gelegt, dass der Fachbereich Wirtschaftsinformatik der größte Drittmittelbringer der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der JKU ist. Literatur Adam, Adolf, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, Würzburg 1959. Gadenne, Volker, Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Wirtschaftsinformatik, in   : Grün, Oskar u. Heinrich, Lutz J. (Hg.), Wirtschaftsinformatik  – Ergebnisse empirischer Forschung, Wien 1997, S. 7–20. Griese, Joachim, Literatur zur Wirtschaftsinformatik, in  : Heinrich, Lutz J. u. Kurbel, Karl (Hg.), Studien- und Forschungsführer Wirtschaftsinformatik, Berlin 1988, S. 44–49. Hansen, Hans Robert, Entwicklung der Wirtschaftsinformatik an Hochschulen, insbesondere Förderung durch die IT-Hersteller, in  : Heinrich, Lutz J., Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 71–78. Hartmann, Bernhard, Betriebswirtschaftliche Grundlagen der Automatisierten Datenverarbeitung, Freiburg 1961. Heinrich, Lutz J., Zum wissenschaftlichen Standort einer Betriebs- und Verwaltungsinformatik, in  : Angewandte Informatik, H. 7, 1975, S. 265–268. Heinrich, Lutz J., Was ist und wozu studiert man Verwaltungsinformatik  ?, in  : Sozialwissenschaftliche Annalen, Bd. 1, 1977, S. 113–126. Heinrich, Lutz J., Was ist Betriebsinformatik  ? in  : Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Jg.  52, H. 7, 1982, S. 667–670. Heinrich, Lutz J., Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011. Heinrich, Lutz J. u. Kurbel, Karl (Hg.), Studien- und Forschungsführer Wirtschaftsinformatik, Berlin 1988. Heinrich, Lutz J. u. Pomberger, Gustav, Diagnose der Informationsverarbeitung, in  : Schweiggert, Franz u. Stickel, Eberhard (Hg.), Informationstechnik und Organisation, Stuttgart 1995, S. 23–38. Heinrich, Lutz J. u. Roithmayr, Friedrich, Wirtschaftsinformatik-Lexikon, München 1988. Heinzl, Armin, Theorie und Technologie der Wirtschaftsinformatik, in  : Heinrich, Lutz J. u. a., Wirtschaftsinformatik. Einführung und Grundlegung, Heidelberg 2011, S. 83–96. Kurbel, Karl, Eine subjektive Sicht auf die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik, in  : Heinrich, Lutz J., Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 115–123. 368

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Anmerkungen 1 Dank gilt dem Leiter des Universitätsarchivs, Wolfgang Reder, für die konstruktive Mitwirkung bei der Quellensuche und die Einschätzung der Quellenfunde zur Bedeutung der Datenverarbeitung als Lehrund Forschungsgebiet der Betriebswirtschaftslehre, des »Vorläufers« der Wirtschaftsinformatik, für die damalige Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Linz.

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  2 Betriebswirtschaftliches Institut für Organisation und Automation, unter  : https://de.wikipedia.org/wiki/ Betriebswirtschaftliches_Institut_für_Organisation_und_Automation, aufgerufen am 30.12.2016.   3 Von Lutz J. Heinrich 1970 aufgezeichnete Notiz eines Gesprächs mit Adolf Adam, seit 1988 mehrfach publiziert, vgl. Lutz J. Heinrich u. Karl Kurbel (Hg.), Studien- und Forschungsführer Wirtschaftsinformatik, Berlin 1988, S. 50.   4 Beispielsweise beschrieb Ernest Kulhavy in einem Fragebogen der Linzer Tageszeitung »Tagblatt« die Ausrichtung der Linzer Betriebswirtschaftslehre auch mit der Notwendigkeit, sich mit dem Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen auseinanderzusetzen. AJKU, D03 Institut für Handel, Absatz und Marketing, 22, hs.  5 Was im zweiten BIFOA-Memorandum zum Ausdruck gebracht wurde, BIFOA (Hg.), Betriebsinformatik und Wirtschaftsinformatik zur Verbesserung der akademischen Ausbildung auf dem Gebiet der automatisierten Datenverarbeitung in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1969.   6 Adolf Adam, Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, Würzburg 1959. Im Vorwort (S. IV) heißt es  : »Im Bereiche der Großindustrie und auch staatlicher Dienststellen dürfte sich – dem dringenden Bedarf entsprechend  – eine neue Stabsfunktion herausbilden, mit der Aufgabe, aus einer gezielten Auswahl der inner- und außerbetrieblichen Informationen brauchbare Regelungsnachrichten für die oberste Betriebsführung zu produzieren.«   7 Einem Ondit zufolge äußerte sich anlässlich der Jahrestagung 1953 des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft ein namhafter Vertreter der Organisationslehre in einem Vortrag, er glaube nicht, dass Computer jemals eine betriebswirtschaftliche Bedeutung erlangen werden. Heinrich u. Kurbel, Studien- und Forschungsführer Wirtschaftsinformatik, S. 50.   8 Beispielsweise 1958 das Institut für Automation und Unternehmensforschung (IAUF) an der Universität Fribourg auf Initiative von Ernst P. Billeter mit Unterstützung der Nestle AG und anderen Unternehmen. Der Diplomlehrgang »Automation administrative« wurde eingeführt.   9 Die Brücke ist auch für andere Phänomene, die bei der Entwicklung der Wirtschaftsinformatik zu beobachten waren und sind, eine geeignete Metapher, wie noch zu zeigen sein wird. 10 Mitteilung von Reinbert Schauer, E-Mail an Lutz J. Heinrich vom 16.2.2011. 11 Erich Loitlsberger, unter  : https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Loitlsberger, aufgerufen am 4.4.2016. 12 Bernhard Hartmann, unter  : http://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Hartmann_(Wirtschaftswissenschaftler), aufgerufen am 3.5.2016. Eine Beobachtung von Bernd Aschfalk, Hartmanns »EDV-Vorlesungen« betreffend, ist aufschlussreich  : »Dabei wurde er teilweise von Kollegen bespöttelt, die in diesem Zusammenhang von einer ›gehobenen Klempnerwirtschaft‹ sprachen.« Vgl.: Bernd Aschfalk, Vorwort, in  : Eberhard Schult u. Theodor Siegel, Betriebswirtschaftslehre und Unternehmenspraxis, Berlin 1986, S. 6. 13 Bernhard Hartmann, Betriebswirtschaftliche Grundlagen der Automatisierten Datenverarbeitung, Freiburg 1961. 14 Auch wegen seiner Verdienste um die Entstehung der Wirtschaftsinformatik in dieser »Enabler«-Rolle promovierte die JKU 1983 Konrad Mellerowicz zum Dr. rer. pol. h. c. 15 Anmerkung von Peter Mertens, E-Mail an Lutz J. Heinrich vom 13.4.2016. Vgl. das später so genannte erste BIFOA-Memorandum  : BIFOA (Hg.), Anwendungssysteme für die automatisierte Datenverarbeitung – Die Lücke in Forschung und Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1968. 16 Norbert Szyperski, Meine Geschichte mit der Wirtschaftsinformatik, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 201–208, hier S. 202. 17 Wegen seiner Verdienste um die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik promovierte die Universität Linz 1994 Norbert Szyperski zum Dr. rer. pol. h. c. 18 Ein Chemiker, Informatiker und Entomologe, Rektor der JKU 1981–1983. Vgl.: Ernst Reichl, unter  : https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Reichl, aufgerufen am 25.9.2016.

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19 Arno Schulz, Strukturanalyse der maschinellen betrieblichen Informationsbearbeitung, Berlin 1970. Vgl.: Arno Schulz, unter  : http://de.wikipedia.org/wiki/Arno_Schulz, aufgerufen am 25.9.2016. Die Venia Legendi wurde von der Fakultät für Maschinenwesen der TU Berlin für das Lehrgebiet »Integrierte Datenverarbeitung« verliehen. 20 Die Ernest Kulhavy in einem Memorandum mit Bezugnahme auf die von der Lehrkanzel III für Betriebswirtschaftslehre vertretenen Lehr- und Forschungsgebiete nennt, wie »die spezifisch betriebswirtschaftlichen Probleme der elektronischen Datenverarbeitung«. AJKU, A 00 Rektorat, Jacket 175, Memorandum Prof. Kulhavy (an Dekan Prof. Bodzenta) vom 10.7.1969, S. 3. 21 Peter Mertens, Wirtschaftsinformatik – Start und 45 Jahre Wachstum, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 125. Dienstantritt am 1.10.1968. 22 E-Mail an Lutz J. Heinrich vom 14.4.2016. 23 Es wurden verschiedene Bezeichnungen verwendet, im Verzeichnis der Lehrveranstaltungen vom Wintersemester 1970/71 heißt das Fach »Betriebswirtschaftliche Datenverarbeitung«. 24 Und das mit einer unzureichenden personellen Ausstattung bei längerer Zeit nicht erfüllten, ohnehin bescheidenen Berufungszusagen. 25 Ein weiteres Argument für diese Forderung war, dass die Linzer Betriebswirtschaftslehre bei gegebener Ausstattung gegenüber der Hochschule für Welthandel nicht wettbewerbsfähig sei. 26 Ab 1975 gab es eine Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät und eine Rechtswissenschaftliche Fakultät. 27 Heinrich Reinermann, Verwaltungsinformatik – auch eine Wirtschaftsinformatik  !, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 131–145. 28 Hans Robert Hansen, Entwicklung der Wirtschaftsinformatik an Hochschulen, insbesondere Förderung durch die IT-Hersteller, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 71–78, hier S. 73. Hansen war 1978 bis 2009 Inhaber einer Professur für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien, daher auch profunder Kenner der Entwicklung der Wirtschaftsinformatik in Österreich. 29 Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH (GMD), unter  : http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/gesellschaft-fuer-mathematik-und-datenverarbeitung-mbh-gmd.html, aufgerufen am 30.12.2016. 30 Die Mitgliederversammlung 1975 des VHB beschloss die Gründung der Wissenschaftlichen Kommission Betriebsinformatik, 1987 in Wirtschaftsinformatik (WKWI) umbenannt. 31 Karl Kurbel, Eine subjektive Sicht auf die Entwicklung der Wirtschaftsinformatik, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 115–123, hier S. 116. 32 Siehe Hans Robert Hansen, Entwicklung der Wirtschaftsinformatik mit Ergänzungen. 33 Siehe Lutz J. Heinrich, Zum wissenschaftlichen Standort einer Betriebs- und Verwaltungsinformatik, in  : Angewandte Informatik, H. 7, 1975, S. 265–268. 34 Karl Vodrazka, Bemerkungen zum Beitrag von Heinrich, L. J.: »Zum wissenschaftlichen Standort einer Betriebs- und Verwaltungsinformatik«, in  : Angewandte Informatik, H. 9, 1975, S. 354. 35 Hartmut Wedekind, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Betriebsinformatik  ?, in  : Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Jg.  50, H.  11–12, 1980, S.  1268–1273. Was die Verwaltungsinformatik betrifft, wurde diese Frage schon 1977 gestellt  : Lutz J. Heinrich, Was ist und wozu studiert man Verwaltungsinformatik, in  : Sozialwissenschaftliche Annalen, Bd. 1, 1977, S. 113–126. 36 Peter Stahlknecht, Betriebsinformatik  – Wissenschaft oder Streit um Begriffe, in  : Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Jg.  50, H.  11–12, 1980. S.  1274–1278  ; August-Wilhelm Scheer, Die Stellung der Betriebsinformatik in Forschung und Lehre, in  : ebd., S. 1279–1282. 37 Lutz J. Heinrich, Was ist Betriebsinformatik  ?, in  : Zeitschrift für Betriebswirtschaft, Jg. 52, H. 7, 1982,

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S. 667–670. Die Vielfalt der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Umgebung mit einer starken Betriebswirtschaftslehre unterstützte das Erkennen und Verwenden des MAT-Paradigmas. 38 Details siehe  : Informationssystem, unter  : https://de.wikipedia.org/wiki/Informationssystem, aufgerufen am 30.12.2016. 39 Heiner Müller-Merbach, Die Brückenaufgabe der Wirtschaftsinformatik, in  : Wirtschaftsinformatik, Jg. 44, H. 3, 2002, S. 300–301. 40 Beschluss der WKWI vom 6.10.1993. Um als »Profil der Wirtschaftsinformatik« gelten zu können, musste es mit »nicht als Empfehlung« bezeichnet werden. Der nur mehrheitliche Beschluss mit dem Zusatz »wie es von der wissenschaftlichen Gemeinschaft […] einmütig vertreten wird«, zeigt anhaltende Abneigung zum Diskurs über wissenschaftstheoretische Fragen, siehe Archiv des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Göttingen. 41 Volker Gadenne, Wissenschaftstheoretische Grundlagen der Wirtschaftsinformatik, in  : Oskar Grün u. Lutz J. Heinrich (Hg.), Wirtschaftsinformatik – Ergebnisse empirischer Forschung, Wien 1997, S. 7–20. 42 Siehe z. B. Armin Heinzl, Theorie und Technologie der Wirtschaftsinformatik, in  : Lutz J. Heinrich u. a., Wirtschaftsinformatik. Einführung und Grundlegung, Heidelberg 2011, S. 83–96. 43 Nämlich »die Lücke zwischen den beiden Fächern Betriebswirtschaftslehre und Informatik allmählich immer mehr auszufüllen«. Vgl.: Mertens, Wirtschaftsinformatik, S. 125. 44 Joachim Griese, Literatur zur Wirtschaftsinformatik, in  : Heinrich u. Kurbel, Studien- und Forschungsführer Wirtschaftsinformatik, Berlin 1988, S. 44–49, hier S. 46. 45 Peter Mertens u. a. (Hg.), Lexikon der Wirtschaftsinformatik, Berlin 1987. 46 Lutz J. Heinrich u. Friedrich Roithmayr, Wirtschaftsinformatik-Lexikon, München 1988. 47 Das Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) trat am 1. Oktober 1993 in Kraft. 48 Mit »Forschung durch Entwicklung« sollte die Sequenz »Erst Forschung und dann Entwicklung« konterkariert werden. Szyperski, Meine Geschichte mit der Wirtschaftsinformatik, S. 204. 49 Siehe z. B. Lutz J. Heinrich u. Gustav Pomberger, Diagnose der Informationsverarbeitung, in  : Franz Schweiggert u. Eberhard Stickel (Hg.), Informationstechnik und Organisation, Stuttgart 1995, S. 23–38. 50 Siehe z. B. Wolfgang Narzt et al., A New Visualization Concept for Navigation Systems, in  : Christian Stary and Constantine Stephanidis (eds.), User-Centered Interaction Paradigms for Universal Access in the Information Society (= Lecture Notes in Computer Science, vol. 3196), 2004, pp. 440–451. 51 Siehe z. B. Gustav Pomberger, Digital Graffiti – a Framework for Implementing Location-Based Systems, in  : International Journal of Software and Informatics (IJSI), vol. 5, issue 1–2, 2011, Part II, pp. 355–377. 52 Method and Device for Displaying Driving Instructions, especially in Car Navigation Systems, United State Patent, Patent No.: US 7,039,521 B2, Date of Patent  : May 2, 2006 and European Patent Office, Patent No.: EP 1 515 128 B1, Date of Patent  : 24.5.2006, Patentblatt 2006/21. 53 Siehe z. B. Wolfgang Narzt et al., From Research to Industry  : Interactive Mobile Services for Accelerating Logistics Processes, in  : Proceedings of the 2015 ACM International Joint Conference on Pervasive and Ubiquitous Computing (UbiComp), Osaka, Japan, September 7–11, 2015, ACM New York, NY, USA, pp. 611–615. 54 Im bereits zitierten Memorandum von Ernest Kulhavy heißt es dazu  : »Die Linzer Hochschule ist mit großem Enthusiasmus gegründet worden. Es war von einem Linzer Modell die Rede und davon, daß etwas Besonderes entstehen sollte.« AJKU, A 00 Rektorat, Jacket 175, Memorandum Prof. Kulhavy (an Dekan Prof. Bodzenta) vom 10.7.1969, S. 3. 55 Beispielsweise was den Primat der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät bezüglich der Einberufung der Studienkommission, ihre Rolle als akademische Behörde und das Zusammenwirken der Fakultäten betrifft. 56 Zitiert nach AJKU, C 01 Dekanat SOWIRE, 5, Protokoll der 35. Sitzung der Sozial-, Wirtschafts- und

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Rechtswissenschaftlichen Fakultät vom 24.5.1973. Dass es sich um eine Kommission dieser Fakultät handelte, lässt allerdings auch andere Schlüsse bezüglich ihres Initiators zu. 57 Zum Kommissionsvorsitzenden wurde Lutz J. Heinrich gewählt. Adolf Adam hatte bereits in einem Schreiben vom 25.10.1972 an den Akademischen Senat in seiner Eigenschaft »als Senatsbeauftragter für interfakultäre Studien und Bildungsökonom […] im Einvernehmen mit der Studienkommission Informatik« den Vorschlag gemacht, einen Studienversuch Betriebs- und Verwaltungsinformatik einzurichten. Siehe AJKU, C 01 Dekanat SOWIRE, 42, Schreiben Adolf Adam an Akademischen Senat vom 25.10.1972. 58 § 19 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1971 über geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Studienrichtungen, BGBl. Nr. 326/1971. 59 Bundesgesetz vom 15. Juli 1966 über die Studien an den wissenschaftlichen Hochschulen (Allgemeines Hochschul-Studiengesetz), BGBl. Nr. 177/1966. 60 Gemeint ist die Interfakultäre Informatikkommission. 61 Kopie in Besitz der Verfasser, Faksimile abgedruckt in  : Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, S. 350 ff. 62 AJKU, C 01, Dekanat SOWIRE, 42, Mappe Interfakultäre Informatikkommission, Entwurf einer Verordnung über den Studienversuch »Betriebs- und Verwaltungsinformatik«, einstimmig verabschiedet von der interfakultären Informatik-Kommission der Hochschule Linz am 13.4.1973. 63 AJKU, C 01 Dekanat SOWIRE, 5, Protokoll der 35. Sitzung der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät vom 24.5.1973. 64 Ebd. 65 Vgl. hierzu AJKU, C01 Dekanat SOWIRE, 31, Schreiben des Dekans der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät an Adolf Adam vom 13.11.1974. 66 Siehe AJKU, Bestand Studien- und Prüfungsabteilung, Mappe 6-40-24, SOWIRE Protokolle und Studienkommissionen, Protokoll über die 1. Sitzung der Studienkommission für den Studienversuch Betriebs- und Verwaltungsinformatik vom 7.11.1974. 67 Zum Vergleich  : Im gleichen Zeitraum von 25 Jahren (1.10.1985 bis 30.9.2010) schlossen 1.223 Studierende das Studium der Wirtschaftsinformatik ab. 68 Bundesgesetz vom 20.  Jänner 1983 über sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Studienrichtungen, BGBl. Nr. 57/1983. In der Bezeichnung eines Studienzweiges wurde die Bezeichnung der Studienrichtung verwendet. Eine Erklärung dafür wurde nicht gegeben. 69 AJKU, S 21 Druckschriftensammlung, Studienpläne SOWIRE-Fakultät/SOWI- und RE-Fakultät, Studienplan Wirtschaftsinformatik (Beschluss Studienkommission vom 20. Juni 1985), S. 2. 70 Kundgemacht im Bundesgesetzblatt I 120/2002. Die Mehrzahl der Bestimmungen trat mit 1. Oktober 2002 in Kraft, der studienrechtliche Teil mit 1. Jänner 2004. 71 Curriculum Bachelor- und Masterstudium Wirtschaftsinformatik, Version II.3, idF vom 4. Dezember 2008, Mitteilungsblatt der JKU vom 3.12.2008, Pkt. 461. 72 Ebd. 73 Ebd. 74 Vgl. AJKU, S 01 Sachsammlung, Mappe Wirtschaftsinformatik, Ausdruck Manfred Rathmoser, Internationale Akkreditierung für Wirtschaftsinformatik vom 6.7.2011 sowie ebd., Ausdrucke Urkunden der Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen (AQAS) für die Wirtschaftsinformatik-Studiengänge Bachelor bzw. Master of Science jeweils vom 16.5.2011. 75 E-Mail von Peter Mertens an Lutz J. Heinrich vom 23.4.2016. 76 Ebd. 77 Szyperski, Meine Geschichte mit der Wirtschaftsinformatik, S. 203.

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78 »Betriebsinformatik und Wirtschaftsinformatik als notwendige anwendungsbezogene Ergänzung einer Allgemeinen Informatik« war das zweite BIFOA-Memorandum 1969 benannt worden. 79 Dort hatte Steffens gegen viel Widerspruch »Wirtschaftsinformatik« durchgesetzt. Franz Steffens, Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim, in  : Lutz J. Heinrich, Geschichte der Wirtschaftsinformatik, Berlin 2011, S. 179–193, hier S. 179. 80 Siehe AJKU, C 01 Dekanat SOWIRE, 7, Protokoll über die 49. Sitzung des Professorenkollegiums der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät vom 12.12.1974 und AJKU, A 01, Akademischer Senat, 44, Protokoll der 42. Sitzung des Akademischen Senats vom 10.12.1974. 81 Vgl. AJKU, A 01 Akademischer Senat, 102, Protokoll der 96. Sitzung des Akademischen Senats vom 27.4.1982, TOP 6.1. Zuteilung von Räumen für das Institut Wirtschaftsinformatik und Organisationsforschung. 82 Inhaber des Lehrstuhls war Lutz J. Heinrich. 83 Inhaber des Lehrstuhls war Gerhard Reber. 84 Am 23. Februar 1994 wurde durch den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung festgelegt (GZ 92 108/4-I/A/194), dass »gemäß § 46 Abs. 2 UOG das Institut für Wirtschaftsinformatik und Organisationsforschung in Institut für Wirtschaftsinformatik umbenannt« und die Zuordnung der Organisationsforschung zum Institut für Wirtschaftsinformatik und Organisationsforschung aufgehoben wird. AJKU, D 01 Dekanat SOWI, 586, Schreiben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung vom 23.2.1994. 85 Die Professur wurde nach der Emeritierung von Lutz J. Heinrich am 1.10.2004 mit Friedrich Roithmayr und nach dessen Emeritierung am 1.10.2016 mit Stefan Koch besetzt, Einzelheiten zur aktuellen Ausrichtung der Professur in Forschung und Lehre siehe unter http://www.jku.at/winie, aufgerufen am 16.2.2017. 86 Die Professur wurde am 1.9.1987 mit Gustav Pomberger besetzt, Einzelheiten zur aktuellen Ausrichtung der Professur in Forschung und Lehre siehe unter https://www.se.jku.at, aufgerufen am 16.2.2017. 87 Die Professur wurde am 1.2.1992 mit Michael Schrefl besetzt, Einzelheiten zur aktuellen Ausrichtung der Professur in Forschung und Lehre siehe unter http://www.dke.jku.at, aufgerufen am 16.2.2917. 88 Die Professur wurde am 1.9.1995 mit Christian Stary besetzt, Einzelheiten zur aktuellen Ausrichtung der Professur in Forschung und Lehre siehe unter http://www.jku.at/ce, aufgerufen am 16.2.1017. 89 Federführend dabei war der an der TU Wien lehrende Physiker Arnold Schmidt, er war auch der erste Präsident der Christian Doppler Gesellschaft (1988–1994). 90 Siehe dazu Website der Christian Doppler Forschungsgesellschaft  : Zahlen, Daten, Fakten zum CD-Modell, unter  : www.cdg.ac.at/ueber-uns/zahlen-daten-fakten, aufgerufen am 30.12.2016. 91 Die Christian Doppler Forschungsgrants werden ad personam vergeben  ; den Grant erhielt Gustav Pomberger. Er leitete dieses Forschungslabor über die volle, maximal mögliche Laufzeit von sieben Jahren.

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Bruno Buchberger

RISC: Innovation – global und regional

Mit der Gründung des RISC (Research Institute for Symbolic Computation) 1987 an der JKU habe ich ein globales und ein regionales Ziel verfolgt. Das globale Ziel war die Etablierung des Gebiets »Symbolic Computation« als Schlüssel zur Innovation der gesamten Mathematik im heutigen Computer-Zeitalter und die Installierung unserer JKU-Arbeitsgruppe als ein führendes Zentrum für dieses Gebiet in der internationalen akademischen Landschaft. Das regionale Ziel war die Etablierung des Gebiets »Symbolic Computation« als eine Triebkraft der Innovation in der (ober)österreichischen Industrie durch die Schaffung einer flexiblen und unbürokratischen Andockstelle für neue Software-Projekte im Bereich Automatisierung (heute würde man sagen »Industrie 4.0«).

Das RISC als regionaler Innovator In Oberösterreich wurden und werden natürlich fast ausschließlich die regionalen Aktivitäten des RISC bemerkt und auch mehr und mehr geschätzt  : In kurzer Zeit ist aus dem RISC, das zur Zeit seiner Gründung nur ca. 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hatte (heute ca. 100), nach der Übersiedlung ins renovierte Schloss Hagenberg der Softwarepark Hagenberg entstanden, dessen Konzept »Forschung – Lehre  – Wirtschaft in Software unter einem Dach« ich auf Ersuchen von Landeshauptmann Josef Ratzenböck 1987 entworfen habe. Ratzenböck hat auch die Mittel zur Renovierung des Schlosses Hagenberg für das RISC zur Verfügung gestellt. Das Konzept habe ich dann Schritt für Schritt mit konkreten Inhalten gefüllt  : Ein wichtiger Punkt war die Gründung und Ansiedlung von Firmen rund um das RISC, insbesondere auch die Gründung der eigenen RISC-Software-Abteilung, jetzt RISC Software GmbH. Heute gibt es im Softwarepark ca. 50 Firmen, manche davon sind mittlerweile etabliert und bekannt. Ich nenne stellvertretend dafür die Firma Bluesource, in die vor Kurzem ein bedeutender Investor eingestiegen ist. Ein anderer wichtiger Punkt war es, andere JKU-Institute dazu zu motivieren, im Softwarepark Aktivitäten zu entfalten  : das Forschungsinstitut für Anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) von Kollege Roland Wagner, das Fuzzy Logic Lab Linz (FLLL) von Kollege Erich Peter Klement und die Abteilung Software Engineering von Kollege Gustav Pomberger. Gemeinsam mit diesen JKU-Instituten und später 375

Bruno Buchberger

mit der Fachhochschule (FH) ist es auch zur Gründung neuer Forschungsinstitutionen in Interaktion mit Firmen wie dem Software Competence Center Hagenberg (SCCH) gekommen. Schließlich wurde die FH in Hagenberg als eine der ersten Fachhochschulen in Österreich gegründet. In der Tat haben die ersten FH-Studenten und -Studentinnen bereits in Hagenberg studiert, als die Beschlussfassung über das entsprechende Gesetz noch nicht abgeschlossen war. (Wir haben dazu eine Möglichkeit eingebaut, dass die Absolventen und Absolventinnen einen HTL-Kollegabschluss erhalten hätten, wenn das FH-Gesetz nicht durchgegangen wäre.) Heute sind 1600 Studierende an der FH-Fakultät für Informatik in Hagenberg (als Teil der FH Oberösterreich, deren Gründungsgedanke damals ebenfalls von mir in die Diskussion eingebracht wurde) inskribiert. Im gesamten Softwarepark Hagenberg studieren und arbeiten heute ca. 2.600 Personen. Die Gebäude des Softwareparks bieten ca. 30.000 m2 Fläche für Büros, Hörsäle etc. Ca. 140 Millionen Euro wurden von öffentlichen und privaten Finanzgebern investiert. Eine volkswirtschaftliche Studie von Kollege Friedrich Schneider hat gezeigt, dass solche Investitionen in Technologieparks mittelfristig durch ihre Sekundär- und Tertiäreffekte ca. den sechsfachen Betrag an regionaler Wertschöpfung generieren. Damit ist der Softwarepark in Oberösterreich eines der augenfälligsten Symbole für die regionale Innovationskraft der Universität und insbesondere der universitären Forschung an der Schnittstelle zwischen Mathematik und Informatik. Der wesentliche regionale Impuls des RISC war und ist aber, dass es die Offenheit universitärer Forschung für die Kooperation mit Firmen zur Entwicklung innovativer Produkte – in unserem Fall Software für herausfordernde Probleme im Bereich technischer Systeme, Robotik, Logistik, Medizin u. a. – und deren Bedeutung betont. Das hier erforderliche Know-how und die notwendige Kooperationskultur können nicht aus Büchern studiert werden, sondern müssen in der Praxis erarbeitet werden. Diese Kultur war zum Zeitpunkt der Gründung des RISC außer bei diesem nur bei wenigen Gruppen an der JKU vorhanden, z. B. in der Numerik-Gruppe von Kollege Hansjörg Wacker und in den Gruppen der Kollegen Roland Wagner, Erich Peter Klement und Gustav Pomberger. In Nachfolge von Hansjörg Wacker hat dann Kollege Heinz Engl im selben Geist die Industriemathematik als wichtigen Ansprechpartner für die oberösterreichische Wirtschaft entwickelt (ebenfalls verbunden mit der Gründung einer eigenen Firma, der »Mathconsult«). Die Kooperation zwischen dem RISC und der Industriemathematik hat in Folge dann beachtliche weitere Impulse erzeugt, auf welche ich weiter unten noch genauer eingehen werde. Der Innovationseffekt für Oberösterreich (und Österreich), der hier allein durch das RISC in den letzten 30 Jahren entstanden ist, kann nur schwer abgeschätzt werden. Ich denke aber, dass mindestens 2.000 RISC-Personenjahre in Forschung und Entwicklung mit Firmen in (Ober-)Österreich investiert wurden. 376

RISC: Innovation – global und regional

Abbildung 1: Während andere in der verfallenen Ruine Hagenberg nur wenig Zukunftspotential sahen, kommentierte Professor Buchberger diese 1987 mit »Schön!« Bildnachweis: Bruno Buchberger.

Abbildung 2: Der Softwarepark 2012, vorne: Das RISC im renovierten Schloss Hagenberg. Bildnachweis: Gerhard Haag.

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Bruno Buchberger

Das RISC als globaler Innovator Naturgemäß wurden und werden die Effekte des RISC für die globale Innovation innerhalb des Fachs Mathematik und seiner essentiellen Anwendungen in der modernen Software – und damit in allen Bereichen der Wissenschaft und Technologie – in Oberösterreich nicht deutlich wahrgenommen. Sie sind aber die Grundlage dafür, warum die verschiedenen regionalen Effekte, insbesondere der Aufbau des Softwareparks Hagenberg und seiner Facetten wie der FH in Hagenberg, so überraschend schnell und in dieser Dimension vonstattengehen konnten. Ich erkläre deshalb hier die besondere Rolle von »Symbolic Computation« für die Weiterentwicklung der Mathematik und Software Science im heutigen Computer-Zeitalter. Mathematik ist seit Beginn der rationalen Befassung mit der Natur die »Kultur des Denkens«. In der Verfeinerung über die Jahrhunderte ist Mathematik zur Kultur des Erschließens von neuem Wissen aus bekanntem Wissen geworden. Sie tut dies durch gedankliche Argumentationsketten und die Komposition von neuen Verfahren zum Lösen von Problemen aus bekannten Verfahren in einer nach oben offenen Hierarchie von Gedankengebäuden. Im Zeitraffer  : Um 1930 ist (durch den Österreicher Kurt Gödel in Wien) im Gedankengebäude der Mathematik (!) der abstrakte Entwurf des »universellen Computers« entstanden – lange bevor in den 1940er Jahren die ersten technischen Realisierungen dieser »Denkmaschine« gelangen. Obwohl sich die technischen Realisierungen entsprechend den rasanten Fortschritten in der Physik inzwischen oftmals geändert haben, ist das mathematisch-logische Funktionsprinzip des »universellen Computers« als eine Art Denkkonstante gleich geblieben. Der revolutionäre Effekt der Erfindung des Computers auf alle Bereiche der Wissenschaft, der Technik, der Wirtschaft und der Gesellschaft als Ganzes ist inzwischen augenscheinlich und für viele unerklärlich, zumindest überraschend, für manche beängstigend. Mehr und mehr Bereiche können durch die Entwicklung entsprechender mathematischer Verfahren und ihre Realisierung in Software für Computer automatisiert werden, und die Automatisierung wird immer schneller und spektakulärer. Um diesen Effekt wirklich zu verstehen und auch zu begreifen, dass wir in der Entwicklung des Computerzeitalters erst am Anfang stehen  – und immer am Anfang stehen werden –, ist folgende fundamentale, aber nicht sofort augenfällige Einsicht wichtig  : Die Ergebnisse jeder Automatisierungsstufe werden nicht nur in den verschiedenen wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Bereichen »nach außen« angewandt, sondern »biegen sich auf sich selbst zurück« in dem Sinne, dass jede neue Automatisierungsstufe auch die Methoden mehr und mehr automatisiert, mit denen wir automatisieren  ! Insbesondere befindet sich die Mathematik seit jeher  – aber heute in immer schnelleren Zyklen und deshalb im Laufe eines Mathematikerlebens augenfällig 378

RISC: Innovation – global und regional

wahrnehmbar – in einem Prozess der »Selbstbeobachtung« (Selbstanwendung, Reflexion, Rückbezüglichkeit). In diesem Prozess werden die mathematischen Denkmethoden nicht nur »nach außen« in Wissenschaft, Technik, Wirtschaft angewandt, sondern zur Automatisierung der mathematischen Denkmethoden »auf sich selbst« angewendet.1 Diesen Aspekt der Entwicklung der Mathematik nennt man heute »Symbolic Computation«, weil das Entwickeln neuer mathematischer Resultate und Methoden in der »symbolischen« Sprache der Mathematik mehr und mehr selbst zum Gegenstand systematischer mathematischer Methoden, also mehr und mehr zum »Rechnen«, zur Computation, zu automatisiertem Abarbeiten wird. Symbolic Computation ist also im »Auge des Hurrikans« der heutigen wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Innovationsspirale. Man könnte auch sagen, »Symbolic Computation« ist nicht nur 4.0, 5.0, sondern wird immer »n.0« sein. Auf welcher Stufe »n.0« der Automatisierung (der Mathematik) wir auch sein werden, wir werden sofort den bei »n.0« noch notwendigen Beitrag des Menschen in einer nächsten Stufe zu automatisieren versuchen, d. h., zu »n+1.0« überzugehen. Meine eigene Befassung mit »Symbolic Computation« begann eigentlich – selbstverständlich damals unbewusst und durch einen glücklichen Zufall  – während meiner Dissertation (1965) an der Universität Innsbruck.2 Hier hatte ich das große Glück, dass mir mein Betreuer Wolfgang Gröbner als Dissertationsthema ein Problem stellte, in dem es nicht um das »Rechnen mit Zahlen« ging, wie es damals üblich war (und wie es immer noch einen Großteil der angewandten Mathematik ausmacht). Vielmehr beschäftigte ich mich mit dem Rechnen mit »algebraischen Ausdrücken«, in denen Symbole wie »x«, »y«, »z« und nicht Zahlen die entscheidende Rolle spielen. Als ich dann 1974 Professor an der JKU wurde, habe ich dieses »Rechnen mit Symbolen« – in Interaktion mit einigen wenigen Arbeitsgruppen rund um den Globus – in den Fokus beim Aufbau meiner eigenen Arbeitsgruppe gestellt. Gleichzeitig habe ich den Fokus darauf gelegt, die Logik als Denktechnik der Mathematik explizit und mit großem Nachdruck in das Zentrum der Ausbildung meiner Studenten und Studentinnen sowohl in der Mathematik als auch in der Informatik zu stellen. In meiner Forschung war es mir wichtig, das »logische Denken« als Essenz der mathematischen Vorgangsweise als ein »Rechnen mit Symbolen« mit immer feineren Methoden zu automatisieren. Innerhalb der damals noch relativ kleinen Community, die sich weltweit mit diesem Aspekt der Mathematik befasste, waren verschiedenste Wörter für diese neue Disziplin im Gebrauch, z. B. »computation in closed form«, »computer algebra«, »analytic computation«, und eben auch »symbolic computation«. Ich hatte damals weltweit viele Interaktionen mit Kollegen und Kolleginnen bei Tagungen (insbesondere auch bei der von mir an der JKU veranstalteten Eurocal Conference 1985, zu der bereits 400 Teilnehmer und Teilnehmerinnen kamen) und habe dann auf 379

Bruno Buchberger

Einladung des Verlags »Academic Press« in London (später von »Elsevier« gekauft) 1985 das erste internationale Journal für dieses Gebiet gegründet. Dabei habe ich mich entschlossen, den Namen »Symbolic Computation« für das Gebiet, für mein »Journal of Symbolic Computation« und 1987 dann eben auch für mein neues Forschungsinstitut zu wählen. Ungefähr zur selben Zeit (eigentlich schon früher, 1982) habe ich für das RISC ein PhD Program (Doktoratsprogramm) entwickelt. Dieses hat ein zur Gänze in Englisch gehaltenes Curriculum mit insgesamt 24 Special Courses umfasst, die das Gebiet des Symbolic Computation in seinen logischen und mathematischen Grundlagen, in seiner Algorithmik (Computerverfahren), in seinem Software-Aspekt und in seinen Anwendungen abbildete. Das PhD Program und sein Curriculum waren – in genauer Abstimmung mit der inhaltlichen Definition des Gebiets in meinem Editorial für das »Journal of Symbolic Computation« – weltweit das erste ihrer Art und ein wichtiger Schritt in der internationalen Etablierung des Gebiets innerhalb der mathematischen Community. Schon 1992 schrieb ein Fact Finding Committee der US National Science Foundation nach einer Welttour zur Bestimmung des Stands der Forschung und Lehre auf dem Gebiet des Symbolic Computation in seinem Abschlussbericht  : »There is no comparable institute like RISC in the US«.3 Einige Fakten über den globalen Effekt des RISC auf die Innovation in der heutigen Mathematik sind  : • Das »Journal of Symbolic Computation« ist nach wie vor das führende Journal auf dem Gebiet des Symbolic Computation, und die am RISC durch die Professoren Bruno Buchberger, Tudor Jebelean, Temur Kutsia, Peter Paule, Heinrich Rolletschek, Josef Schicho, Carsten Schneider, Wolfgang Schreiner, Wolfgang Windsteiger und Franz Winkler verfolgten Forschungsschwerpunkte (»non-linear algebraic systems«, »symbolic analysis«, »symbolic combinatorics« »computability theory«, »symbolic software technology«) machen dort einen signifikanten Teil der Publikationen aus. Der jetzige Editor-in-Chief des »Journal of Symbolic Computation«, Professor Hoon Hong (North Carolina State University), war lange Zeit Postdoc am RISC, womit der Gründungsgedanke des Journals nahtlos weiter geführt wird. • Die RISC-Professoren und -Professorinnen werden weltweit bei zahlreichen Konferenzen für Keynotes eingeladen (allein in den letzten zehn Jahren zu über 100 Konferenzen)  ; das RISC war auch über viele Jahre durch die Organisation des »RISC Summers« mit jährlich bis zu zehn Konferenzen im schönen RISCSchloss-Ambiente Drehscheibe für den internationalen wissenschaftlichen Austausch. Bei allen internationalen Konferenzen in Symbolic Computation sind Mitglieder der RISC Faculty (assistant, associate, full professors) als Vorsitzende oder Mitglieder der Programm-Komitees tätig. Bei einer großen Anzahl von 380

RISC: Innovation – global und regional

internationalen (insbesondere EU-)Forschungsprojekten und Netzwerken (wie »Calculemus«, »Symbolic Computation and Software Science«, »Symbolic Computation and Model Checking«, »Parallel Symbolic Computation«, »Mathematical Knowledge Management« etc.) war und ist das RISC Initiator, Mit-Organisator oder ein aktives Mitglied. Damit ist das RISC wohl auch weltweit das aktivste Forschungsinstitut im Forschungsmanagement der Symbolic Computation. • Das »International RISC PhD Program in Symbolic Computation« hat inzwischen über 100 Graduates hervorgebracht. Viele von ihnen sind inzwischen Professoren und Professorinnen an verschiedenen Universitäten in der Welt (USA, Kanada, West- und Osteuropa, China, Australien etc.) und prägen damit das Gebiet weiter. • Als Ergänzung zum »Internationalen RISC PhD Program« habe ich 2007 am RISC das »JKU International Master Program Informatics« (»ISI«) initiiert. Als Universitätslehrgang organisiert, können hier moderne Konzepte ausprobiert werden, um internationale Masterstudenten und -studentinnen an die JKU zu bringen  : Das Programm erhält sich finanziell selbst aus Firmenbeiträgen. Unterrichtssprache ist Englisch. Jeder Student/jede Studentin verfasst seine/ihre Masterarbeit in Kooperation mit einer oberösterreichischen Firma (insbesondere der RISC Software GmbH) oder einem JKU-Forschungsinstitut (insbesondere RISC, FAW, SCCH, FH Heureka). Am Anfang des Programms (in der Ferienzeit vor Semesterbeginn) steht ein intensives Schulungsprogramm »Working Techniques for Computer Scientists«, das ich selbst bestreite und in dem Denktechnik, Teamarbeit, Präsentationstechnik, Entrepreneurship und der Umgang mit modernen mathematischen Software-Systemen trainiert werden. Bisher sind 150 internationale Studenten und Studentinnen aus 25 verschiedenen Ländern in Kooperation mit ca. 50 oberösterreichischen Firmen durch dieses Programm gegangen mit einer Dropout-Rate von unter zehn Prozent. Viele von ihnen kommen auf Empfehlung der Professoren und Professorinnen, die im »International RISC PhD Program« waren. Viele von ihnen bleiben in Österreich und beleben hier unsere IT-Wirtschaft. Es gibt auch schon die ersten Firmengründungen durch ISIStudenten und -Studentinnen.4 Einige gehen in ihre Heimatländer zurück und tragen dort den innovativen Geist, den sie am RISC gelernt haben, in die Zukunft ihres Landes. • Die Forschungsresultate aus den verschiedenen Arbeitsgruppen am RISC sind heute ein wichtiger Bestandteil aller modernen mathematischen Softwaresysteme wie »Mathematica« und »Maple«. Manche Softwaresysteme wie »CoCoA« (Universität Genua) und »Singular« (Universität Kaiserslautern) basieren auf RISCMethoden (insbesondere die Methode der sogenannten »Gröbner-Basen«, die ich im Wesentlichen in meiner Dissertation 1965 grundgelegt habe  ; diese Methode erlaubt die Behandlung beliebiger nicht-linearer Gleichungssysteme, die in zahl381

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reichen naturwissenschaftlichen und technischen Anwendungen vorkommen). Spektakulär und auch in der Tagespresse viel beachtet ist die Anwendung der Methoden der »Symbolic Combinatorics« in der Physik der Elementarteilchen. Diese mathematische Technologie wurde am RISC unter der Führung von Professor Peter Paule, dem jetzigen Institutsvorstand des RISC, in seiner Forschungsgruppe entwickelt. Die Technologie kam insbesondere bei der Planung und Auswertung der Experimente am »Large Hadron Collider« (LHC) am CERN in Genf u. a. bei der Entdeckung des Higgs-Boson (»Gottesteilchen«) zum Einsatz. Die Existenz dieser Elementarteilchen wurde theoretisch schon 1960 vorhergesagt, ihr experimenteller Nachweis ist dann 2012 gelungen und war eines der spektakulärsten Ergebnisse der Forschungen mit dem LHC-Beschleuniger. • Die Methoden des Symbolic Computation, wie sie nun in den mathematischen Softwaresystemen implementiert sind, haben auch zu einer Revolution in der Didaktik der Mathematik an Schulen und Universitäten geführt  : Unsere Methoden erlauben es Lehrern und Lehrerinnen, Schülern und Schülerinnen sowie Studenten und Studentinnen beim Studium der Mathematik interaktiv mit den modernen mathematischen Softwaresystemen zu kommunizieren, ja zum Teil von diesen Systemen individuell beim Aneignen mathematischer Kenntnisse interaktiv geführt und trainiert zu werden. Hervorzuheben ist hier das Softwaresystem »GeoGebra«, das vom JKU-Professor Markus Hohenwarter von der JKU entwickelt wurde. Es hat eine besonders attraktive Oberfläche für den didaktischen Einsatz und wird als Open-Source-Software heute weltweit von tausenden Lehrern und Lehrerinnen nicht nur genutzt, sondern ständig mit neuen Inhalten angereichert. • In meiner eigenen Forschungsgruppe am RISC habe ich mich in den letzten Jahren besonders auf die Automatisierung des mathematischen Beweisprozesses (»Automated Reasoning«) konzentriert. Das Softwaresystem »Theorema«, das wir hier seit 1995 entwickeln, ist eines von ca. zehn derartigen Systemen weltweit. Was zunächst als reine Grundlagenforschung begonnen hat, erregt nun in zweifacher Weise die Aufmerksamkeit der gesamten mathematischen Forschungsgemeinschaft und der Wirtschaft  : Einerseits wurde 2014 von der »International Mathematical Union« beim Weltkongress der Mathematik in Seoul das Ziel definiert, das gesamte Wissen der Mathematik über ein »Global Math Portal« zugänglich zu machen. Hier werden Methoden des Automated Reasoning eine fundamentale Rolle spielen. Ich wurde deshalb in die Arbeitsgruppe berufen, die die Erreichung dieses Ziel international koordinieren und vorantreiben soll. Andererseits verlangen fortgeschrittene Firmen im Rahmen von »Big Data« oder »Industry 4.0« etc. nach Methoden, wie man aus natürlichsprachlichen Informationsströmen (z. B. in den Social Media) »hidden knowledge« erschließen kann. Ein anderes »Industry 4.0«-Thema ist die automatische Generierung von Algorithmen, die die Funk382

RISC: Innovation – global und regional

tionalität von web-verfügbaren Applikationen zur Beantwortung komplizierter Requests automatisch kombinieren. In beiden Bereichen schafft das »Automated Reasoning« völlig neue Möglichkeiten. Das ist nun ein Hauptgegenstand meiner Forschung in Richtung Anwendung in Kooperation mit internationalen und oberösterreichischen Firmen.

Innovationsstrategien In meinem Leben voll Spannung zwischen extrem abstrakter Grundlagenforschung, den Herausforderungen der heutigen Softwareindustrie, des Technologie-Managements und der Technologie-Politik habe ich einige Strategien verfolgt bzw. entwickelt, die meines Erachtens auf viele Bereiche übertragbar sind. Einige dieser Strategien sind  : Gehirnmassage durch Grundlagen und Anwendungen

Die Spannweite eines Faches (wie z. B. der Computer-Mathematik) reicht von den Tiefen der Grundlagenforschung bis zu den Kundenwünschen, den Produkten und Services, den Arbeitsplätzen und dem Firmengewinn. Ich habe mich seit meiner Zeit als Student dieser Spannung zwischen Grundlagen und Realproblemen immer gestellt – zunächst notgedrungen, dann bewusst. Notgedrungen zunächst, weil ich als Werkstudent mein Studium selbst verdienen musste und das große Glück hatte, am Beginn meines Doktoratsstudiums als einer der ersten Programmierer in Tirol am ersten »Elektronengehirn« (= Computer) der Universität Innsbruck angestellt zu werden. Natürlich war das zeitlich und psychisch eine große Belastung, aber ich habe sofort gemerkt, dass ich mich hier in zwei spannenden Welten zugleich befinde  : In der Welt der extremen mathematischen Grundlagenforschung bei der Arbeit an meinem Dissertationsthema und in der Welt der vielfältigen Anwendungen bei meiner Arbeit als Programmierer. Ich habe bald verstanden, dass die zwei Welten in bestimmter Weise orthogonal sind  : Die Grundlagenforschung ist wissens- und methodenorientiert, die Welt der Anwendung ist auf Probleme ausgerichtet. In der Grundlagenforschung identifiziert man die wichtigen, noch weißen Flecken (etwa ein bestimmtes Problem in der Theorie der nicht-linearen polynomialen Systeme) im Gesamtgebäude eines Gebiets und versucht, diese Flecken durch neues Wissen und/oder neue Methoden (in meinem Fall z. B. durch die Theorie der »Gröbner-Basen«) systematisch zu schließen. Das kann oft Jahre dauern. Ein kleiner Fortschritt dabei kann nachher oft zu großen, vielfältigen und oft nicht vorhergesehenen Anwendungen führen. Die Belohnung für den Erfolg in der Grundlagenforschung ist akademische Anerkennung in der wissenschaftlichen Community, die im günstigsten Fall mit einer akademischen Karri383

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ere verbunden ist. Wenn man neues Wissen und/oder neue Methoden gefunden hat, streckt man dann auch die Fühler aus, um zu sehen, wo man die neue Entdeckung überall einsetzen könnte. Im Fall der Gröbner-Basen ist es auch heute noch so, dass ich fast jeden Monat ein Paper mit einer neuen Anwendung zugesandt erhalte. In der Welt der Anwendung geht man umgekehrt von einem Problem in der Realität aus (meist von einem »Kundenbedarf«), das dadurch entsteht, dass existierende Produkte und Services noch nicht optimal funktionieren oder durch deren Einsatz »Appetit« auf Erweiterungen und Verbesserungen entsteht. Derjenige, der das Problem stellt, fragt nicht, mit welcher Methode es gelöst wird oder welches Wissen zur Lösung am besten geeignet ist. Das Gütekriterium von angewandter Forschung und Entwicklung ist die Akzeptanz am Markt, die Verbesserungen gegenüber bestehenden Lösungen, die Möglichkeit zu Einsparungen, die Gewinnsteigerung etc. Es bedarf einer ständigen Umstellung in der Blickrichtung, wenn man in beiden Welten – der Welt der Grundlagenforschung und der Welt der Anwendung – zugleich leben will. Das mag anstrengend erscheinen und auch sein, aber ich kann jedem Wissenschaftler und jeder Wissenschaftlerin nur empfehlen, sich dieser ständigen »Hirnmassage« zwischen Grundlagen und Anwendung auszusetzen. Die Erfahrung zeigt, dass man gerade auch als Grundlagenforscher bzw. als Grundlagenforscherin sogar für die Grundlagenforschung selbst einen ganz anderen Blick (und auch viele Ideen) erhält, wenn man sich auch ernsthaft in der Welt der Anwendung, des Business, des Konkurrenzdenkens, der Arbeitsplätze, der Gründerfirmen, des Vertriebs, des Marketings, der Technologiefolgen usw. bewegt. Umgekehrt ist eine wirkliche Innovation in der Welt der Industrie und Wirtschaft nur möglich, wenn man im eigenen Anwendungsgebiet nicht nur die Grundlagen versteht, sondern auch weiß, was Grundlagenforschung bedeutet und wie man in der Grundlagenforschung vorgehen muss. Ich halte es auch für wissenschaftstheoretisch unhaltbar, Wissenschaften in einen »theoretischen« und einen »angewandten« Teil zerfallen zu lassen. Leider ist das heute in allen Disziplinen selbstverständlich und akzeptiert bis hinein in die Lehre. Auch wenn es nicht möglich ist, eine Wissenschaft (wie die Mathematik) in all ihrer Breite zu erfassen, ist es sehr wohl möglich, die »vertikalen Schichten« im eigenen Fach (z. B. in der Mathematik von der Logik über die strukturelle Mathematik, die algorithmische Mathematik, die Software-Implementierung bis zu den Anwendungen) nicht nur zu erfassen, sondern auch auszuleben. Ich erwarte das im Idealfall zumindest von den Professoren und Professorinnen an den Universitäten. Die Universität ist der Ort, wo die »universitas« gelebt und gelehrt werden soll. Das ist auch der Kern der Universitätspädagogik  : Die Einheit von Forschung und Lehre und Einheit in allen Schichten des jeweiligen Fachs.

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Durchbrechen fachlicher Grenzen

In meinem eigenen Fach geht es hier eher um die Wiederherstellung der Ganzheit der Mathematik, aus deren algorithmischem (computer-orientierten) Teil sich die Informatik abgespaltet hat. Und zwar nicht (nur) aus der Schuld jener, die geglaubt haben, für die Befassung mit dem Computer brauche es die Mathematik nicht, und die Abspaltung aktiv betrieben haben, sondern vor allem auch aus Schuld derjenigen Mathematiker und Mathematikerinnen, die geglaubt haben, die Auseinandersetzung mit dem Computer sei ein »trivialer« Aspekt, der eines Mathematikers/ einer Mathematikerin nicht würdig sei. Die Konsequenzen der Trennung zwischen Mathematik und Informatik sind sowohl für die heutige Informatik als auch für die heutige Mathematik fatal. Ich habe mich immer bemüht, das Fach der »Denktechnologie« (Mathematik, Logik, Informatik) als ein einziges Fach zu sehen und zu leben. Das war auch ein wesentlicher Grund für den Erfolg des Softwareparks. Viele haben sich ja gewundert, dass ein Softwarepark und eine Fachhochschule für Software aus einem Mathematik-Institut entstehen können. Für mich war das durch meine Sicht auf das, was Mathematik ist, selbstverständlich. Und ich hatte in den zahlreichen Projekten, die wir von Seiten des RISC (insbesondere durch unsere eigene RISC Software GmbH) mit Firmen durchgeführt haben, nie Scheu davor, auch in die Praxis ganz anderer Disziplinen, die heute alle Software benötigen, einzudringen und unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu dieser Öffnung für die anderen Disziplinen zu motivieren. Als eine Konsequenz habe ich das PhD-Programm des RISC so entworfen, dass es sowohl Studenten und Studentinnen mit einem Master in Mathematik als auch solche mit einem Master in Informatik aufnimmt und danach trachtet, dass aus dem RISC-PhD-Programm Absolventen und Absolventinnen hervorgehen, die sich in den Mathematik- und Informatikaspekten von »Symbolic Computation« gleichermaßen auskennen. Einige unserer besten Absolventen und Absolventinnen sind aus der Informatik gekommen und sind jetzt weltweit bekannt für ihre Beiträge zur algorithmischen Mathematik. Und umgekehrt sind unsere Absolventen und Absolventinnen, die aus der Mathematik kommen, inzwischen zum Großteil hervorragende Software-Experten und -Expertinnen. Was die Zukunft anbelangt, bin ich überzeugt davon, dass sich langfristig diejenigen Curricula in Mathematik und Informatik durchsetzen werden, die das Fach wieder so zusammen sehen, wie es von Anfang an und in gewisser Weise lange, bevor es die technische Realisierung des universellen Computers gab, von Natur aus war. Aus dieser umfassenden Expertise werden auch die nächsten essentiellen Innovationen in der IT kommen (Stichwort »Artificial Intelligence«, die eigentlich »Algorithmic Intelligence« heißen müsste). Im engeren Bereich der Computer-Mathematik haben wir an der JKU in einem Schulterschluss zwischen den Forschungsgruppen am RISC und den Forschungs385

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gruppen im Bereich der »numerischen« Mathematik, insbesondere dem Institut für Industriemathematik, eine Überschreitung der Grenzen zwischen zwei Fächern geschafft. Wir haben 1998 gemeinsam einen Spezialforschungsbereich »Scientific Computing« beim Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) erfolgreich eingereicht und durch zehn Jahre gemeinsam die Interaktion von »Symbolic Computation« und »Numeric Computation« gepflegt. Diese zwei Zugänge zur Computer-Mathematik sind weltweit kaum irgendwo gemeinsam etabliert. Ihre Integration wäre im Prinzip naheliegend und ist in modernen mathematischen Software-Systemen wie »Mathematica« durch das Zur-Verfügung-Stellen von numerischen und symbolischen Algorithmen gelöst. Aber die Denkweisen der »Numeriker« und der »Symboliker« sind in der akademischen Realität so verschieden, dass es bis zu unserem Spezialforschungsbereich nur wenige gemeinsame Forschungsaktivitäten gab. Unsere diesbezüglichen Anstrengungen wurden weltweit beachtet und gelobt. So hieß es in der Endevaluierung unseres Spezialforschungsbereichs durch die internationalen Gutachter  : »Linz is the flag place and other people will imitiate it.«5 Auf der Basis unseres so erfolgreichen Spezialforschungsbereichs, aus dem auch etliche Absolventen und Absolventinnen hervorgegangen sind, die heute einschlägige Professuren an verschiedenen Universitäten bekleiden, haben wir dann vom FWF auch ein sogenanntes »Doktoratskolleg« genehmigt erhalten, das eine große Anzahl an integral (numerisch und symbolisch) ausgebildeten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen hervorgebracht hat. Diese gemeinsamen Erfolge waren dann auch für die erfolgreiche Beantragung des Johann Radon Institutes for Computational and Applied Mathematics (RICAM) bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaft durch Kollegen Heinz Engl 2002 wichtig. Die Einrichtung des RICAM am Campus der JKU war und ist wohl einer der größten Innovationsschübe für die Linzer Mathematik und ein Leuchtturm für die JKU als Ganzes. Die Überschreitung fachlicher Grenzen braucht manchmal eine echte Willensentscheidung. So erinnere ich mich heute noch gerne an die Aktion, die Kollege Heinz Engl und ich um 2000 gesetzt haben  : Wir entschlossen uns spontan, ein gemeinsames Seminar mit unseren Arbeitsgruppen durchzuführen, in dem wir uns – ausgehend von der Situation, dass wir wirklich vom jeweils anderen Gebiet faktisch nichts wussten – gegenseitig genau erklärt haben, was wir machen. Es durfte jede Frage ohne den sonst üblichen Zeitdruck gestellt werde. Das war nicht nur ein großes intellektuelles Erlebnis, sondern auch außerordentlich erfolgreich – zu unserer eigenen Überraschung. Denn schon nach wenigen Sitzungen hatten wir ein Thema entdeckt, in welchem wir durch den Zusammenschluss der unterschiedlichen Expertisen ein ganzes Gebiet neu entwickeln konnten, nämlich – erstmals – eine vollständige allgemeine Methode für die symbolische Lösung sogenannter Randwertaufgaben, die sowohl in der Physik als auch in der Technik eine große praktische Bedeutung haben. 386

RISC: Innovation – global und regional

Das Prinzip »das Höchste zuerst«

Eine Universität sollte in der Forschung den Fokus auf die Grundlagenforschung und in der Lehre auf das Doktoratsstudium legen. Wenn die beiden Bereiche nicht nur funktionieren, sondern nach internationalen Maßstäben top sind, dann lassen sich alle anderen Ziele leicht erreichen. Ich habe deshalb schon vor der Gründung des RISC alle Anstrengung darauf gelegt, ausgehend vom Standing des »Symbolic Computation« (bzw. seinen verschiedenen Ausprägungen mit unterschiedlichen Namen) in der Grundlagenforschung so rasch wie möglich das RISC International PhD Program in Symbolic Computation zu formulieren und auf die Schiene zu bringen, obwohl dazu kaum die Mittel vorhanden waren. Durch die klare Definition dieses Ziels und seiner Inhalte entstand ein großer Sog, Drittmittel so aufzutreiben, dass vor allem das skizzierte PhDProgramm (in Englisch) in all seinen Facetten realisierbar wurde. Das erzeugte eine positive Spirale  : Da das Programm gut strukturiert und durch unseren Ruf in der Grundlagenforschung international attraktiv war, zog es bald etliche sehr gute internationale PhD-Studenten und -Studentinnen an. Das ging dann Hand in Hand mit der Attraktivität für ausländische Postdocs und Gastprofessoren und -professorinnen, die auf begrenzte Zeit für das PhD-Programm tätig waren. Alle diese bemühten sich auch, durch Anträge bei Forschungsprogrammen und bei Firmen Geld zu beschaffen, um mehr PhD-Studenten und -Studentinnen finanzieren zu können. 1989 bei der Gründung des Softwareparks gab es dann schon fast zehn FacultyMitglieder (nach US-Gebrauch  : assistant, associate, full professors), die die Grundlagenforschung und das internationale PhD-Programm am RISC trugen, und 15 PhD-Studenten und -Studentinnen aus der ganzen Welt, natürlich auch einige aus Österreich. Den Fokus auf internationale Studierende sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu legen, bedeutet ja nicht, eine Benachteiligung der inländischen Studierenden sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sondern erzeugt umgekehrt eine besondere Attraktivität auch für jungen Leute aus dem Inland. Ausgehend von dieser Basis war es in den folgenden Jahren relativ leicht, Konzepte wie den Softwarepark oder später die FH und in Folge jedes Jahr neue Erweiterungen des Softwareparks (wie z. B. das SCCH oder den borg-Zweig für Kommunikation) zu entwerfen und auch zu realisieren. Z. B. waren – sobald ich den ersten Studiengang für die FH konzipiert und vom FH-Rat genehmigt erhalten hatte – sofort auch die nötigen FH-Professoren und -Professorinnen vorhanden, nämlich zum Großteil Absolventen und Absolventinnen unseres Doktoratsprogramms. Das Entwickeln innovativer Konzepte, die dann auch realistisch und tragfähig sind, ist meines Erachtens durchaus eine »Anwendung« aus den Erkenntnissen der Grundlagenforschung und eine Aufgabe für die Universität. Ein anderes Beispiel an der JKU für die Kraft von Konzepten, die aus den tiefen Einsichten in Gesamtzusammenhänge entstehen, ist das Mechatronik-Studium. Dieses wurde vom Mathematik-Professor Peter Weiß 387

Bruno Buchberger

faktisch im Alleingang konzipiert und dann auch in schwieriger Überzeugungsarbeit bei vielen Organisationen und Schlüsselpersonen, die als Partner ihren Beitrag leisten müssen, zur überraschend schnellen Realisierung geführt. Die Mechatronik ist sicher einer der Schwerpunkte, für welche man die JKU heute kennt. Die Verantwortung der Professoren und Professorinnen

Natürlich sind sehr viele Partner notwendig, um eine Universität ins Leben zu rufen und dann zu entwickeln. Wenn es nicht funktioniert, ist man auch leicht versucht, die Schuld bei den verschiedenen Partnern zu suchen, sei es bei der Bundespolitik, der Landespolitik, den Schulen (die ja »studierfähige« Maturanten und Maturantinnen ausbilden sollen), der Verwaltung, der Wirtschaft (die sich möglichst an den Kosten der Universität beteiligen sollten) usw. Weil ich selbst Professor bin und grundsätzlich Verantwortung immer lieber beim eigenen Stand als bei anderen suche, denke ich, dass die Professoren und Professorinnen die wesentliche Verantwortung für die Qualität, die Dynamik, die Innovationskraft, den Spirit und das Image einer Universität haben. Das entspricht auch dem europäischen Bild der Universität als der wesentlichen Institution in der Gesellschaft, wo neues Wissen aus sich selbst im Prozess freien Denkens, Sprechens und insbesondere straffreier Kritik entsteht. Jeder einzelne Professor bzw. jede einzelne Professorin hat die große Verantwortung, zur schrittweisen Innovation und Evolution des Wissens beizutragen und die Qualität dieses »Gedankenflusses« zu schützen. Diese Verantwortung sollten sich die Professoren und Professorinnen weder nehmen lassen, noch sollten sich die Professoren und Professorinnen auf andere ausreden, wenn es Probleme gibt oder die Dinge sich nicht so gut und dynamisch entwickeln, wie sie es tun sollten. Vor allem haben die Professoren und Professorinnen eine hohe Verantwortung für den ständigen Strom von innovativen Konzepten (und deren Umsetzung) für neue Schwerpunkte, neue Zielsetzungen, neue Studienrichtungen und neue Studienmodelle im gesellschaftlichen Wandel. Sie haben die Verantwortung für neue Allianzen mit der Wirtschaft und Firmen, neue Technologie-Transfereinrichtungen und Bildungsstrukturen (auch außerhalb der Universität im regionalen Umfeld), die Erschließung neuer Bildungsmärkte, neue Interaktionsformen mit der Gesellschaft und Politik, eine neue Medienarbeit, neue Formen des Lebensstils der universitären Gemeinschaft sowie die Erschließung neuer Finanzierungsquellen für Forschung und Lehre usw. Ich denke, dass Professoren und Professorinnen eigeninitiativ sein und nicht warten sollten, bis »die Verwaltung«, »die Politik«, »die Organe der Universität« oder »das Ministerium« etwas Neues planen, vorschreiben, erlauben oder eine Spielwiese bereitstellen, innerhalb derer sich Initiativen bewegen sollen und dürfen. Im eigenen Umfeld kann ich zurückblickend sagen, dass weder das RISC, noch die RISC GmbH, noch der Softwarepark, noch die FH Hagenberg, noch das SCCH, noch das Hagenborg, noch viele andere Ein388

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richtungen des Softwareparks in irgendeinem »Plan« oder »Programm« vorhanden waren. Sie sind jeweils aus der Einsicht in die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der regionalen, nationalen oder internationalen Situation durch die Initiative der beteiligten JKU-Professoren und -Professorinnen – manchmal auch gegen den Widerstand oder in Distanzhaltung der jeweils »Offiziellen«– entstanden. Ich kritisiere das nicht. Widerstand und Distanz sind menschlich und bis zu einem gewissen Grad nützlich. Universitätsprofessoren und -professorinnen sollten aber weder den Widerstand scheuen, noch sich durch Distanz entmutigen lassen. Hier könnte ich versucht sein, auch diejenigen Dinge zu nennen, die trotz kolossalem Einsatz in meinem Umfeld nicht realisiert werden konnten, weil der Widerstand oder die Gleichgültigkeit zu groß (und meist im Hintergrund versteckt) war. Ich nenne nur ein Beispiel, das mich besonders viel Zeit und Energie gekostet hat und dessen Verhinderung bis heute sehr negative Konsequenzen für Oberösterreich hat  : Die »Gödel School«, für die ich 1992 ein Konzept entworfen habe, das im Wesentlichen Vorläufer und Vorbild für das heutige Institute for Science and Technology Austria in Gugging war. Der Unterschied war nur, dass ich den Schwerpunkt eher in Mathematik, Informatik, Informationstechnologie, Software Science, Logik, Algorithmic Intelligence, Software Business etc. gelegt habe und dass das Ganze an einem schönen Platz in Oberösterreich (konkret Gmunden) hätte realisiert werden sollen. Ich hatte dafür auch schon ca. 100 Millionen Euro bei Bund, Land und Wirtschaft lukriert, und es wurde bei einer Pressekonferenz 1992 in Linz sogar schon der offizielle Startschuss seitens des damaligen Wissenschaftsministers Erhard Busek gegeben. Das Projekt wurde aber dann durch Parteienstreit, eine Bürgerinitiative in Gmunden und leider auch durch Bremsmanöver seitens einiger Kollegen (alles im Hintergrund) verunmöglicht. Das Trauern um vereitelte Projekte hat wenig Sinn. Man sollte aber alles gut analysieren, damit man daraus lernt. (In der Tat hat mich Anton Zeilinger, Erfinder und Proponent des sehr erfolgreichen Institute of Science and Technology Austria, IST, in Gugging, bevor er sich auf den schwierigen Weg der Vorbereitung und Realisierung machte, in Hagenberg besucht, um sich von mir beraten zu lassen, auf welche Fallen im Hintergrund man bei solchen Projekten gefasst sein muss.) Es ist besser, die Energie für Neues einzusetzen, und auch zu lernen, positiv gegenüber den Initiativen anderer zu sein. Denn der Geist des »Encouragements« ist eine der wichtigsten Kräfte für die positive Entwicklung eines Landes. Hier können wir sehr viel von anderen Ländern, insbesondere den USA, lernen. Das Faculty-Prinzip

Einer der größten Unterschiede zwischen amerikanischen und österreichischen (sowie anderen europäischen) Universitäten ist das sogenannte Faculty-Prinzip. Während es an österreichischen Universitäten drei »Kurien« (Professoren, »Mittel389

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bau« und Studierende) gibt, kennen amerikanische Universitäten nur Studierende und Professoren bzw. Professorinnen. Zu den Studierenden gehören die Bachelor-, Master-, PhD-, und Postdoc-Studenten/-Studentinnen, zu den Professoren und Professorinnen gehören die Assistant Professors, die Associate Professors und die Full Professors (die man zusammen die »Faculty« nennt). Die Studierenden beurteilen die Qualität der Universität, die sie gewählt haben, nach der Qualität der Forschung und Lehre, für die grundsätzlich die Professoren und Professorinnen verantwortlich sind. Die Assistant, Associate und Full Professors haben im Wesentlichen die gleichen Rechte und Pflichten  : nämlich gute Forschung zu betreiben, ihren jeweiligen Teil zur Lehre beizutragen und auch beim Lukrieren von Forschungsmitteln aktiv zu sein. Natürlich bestehen Unterschiede zwischen den drei Arten von Professoren/ Professorinnen in Bezug auf das Ansehen, das Gehalt und die Länge der Verträge. Aber es ist nicht so, dass z. B. ein Assistant Professor einem Full Professor als »Assistent« zugeordnet ist. Jeder Professor/jede Professorin ist selbständig für seine/ihre Forschung, Lehre und Drittmittelbeschaffung zuständig. Das Faculty-Prinzip, welches ich das erste Mal 1982 als Gastprofessor in den USA kennen gelernt habe, ist meines Erachtens nach einer der wesentlichen Gründe für die Kreativität an amerikanischen Universitäten. Denn es gibt vor allem den jungen Professoren und Professorinnen große Freiheiten in einem Lebensabschnitt, in dem man nach dem Doktorat in einem aktuellen Forschungsthema hoffentlich ganz vorne ist, am Ball bleibt und zeigen kann, ob man die Kreativität und Energie hat, noch mehr zu entwickeln. Umgekehrt haben ältere Professoren und Professorinnen nicht automatisch aufgrund ihres Alters eine große Forschungsgruppe oder großen Einfluss, sondern nur aufgrund ihrer immer wieder zu beweisenden Forschungsleistung. In Österreich wurde die »Drei-Kurien-Universität« mit dem »UOG 1975« eingeführt, und zwar als Reaktion auf die berechtigte Kritik an der »OrdinarienHerrschaft« der ordentlichen Professoren (damals noch überwiegend Männer) an den Universitäten. Die Studierenden und Assistenten bzw. Assistentinnen (von der studentischen »wissenschaftlichen Hilfskraft« bis zum altgedienten Dozenten, der manchmal immer noch für »den Professor« Hilfsdienste machte) waren oft nur Befehlsempfänger bzw. Befehlsempfängerinnen und auf keinen Fall Gestalter. Aber anstatt den jungen Leuten an der Uni in ihrer kreativsten Phase eine klare Option zu geben – entweder sich voll auf das Studium konzentrieren zu können oder eben nach dem Studium Professor bzw. Professorin zu werden – hat das UOG 1975 die problematische Stellung des »Mittelbaus« zwischen Studierenden und Professoren bzw. Professorinnen als eigene Kurie eingeführt und damit meines Erachtens das Problem zementiert, statt es zu lösen. Auch spätere Novellierungen des UOG 1975 haben an diesem wichtigen strukturellen Problem nichts geändert. Wir erleben es deshalb heute oft an österreichischen Universitäten, dass der »Mittelbau« entweder 390

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frustriert ist (weil nicht selbständig) oder bremsend wirkt (weil er in Entscheidungen eingebunden ist, für die manche Mitglieder dieser Kurie nicht die Verantwortung tragen können). Der negative Einfluss des Drei-Kurien-Systems und der Vorteil des FacultyPrinzips war für mich nach meiner ersten Gastprofessur in den USA so eklatant, dass ich das Faculty-Prinzip faktisch sofort in meiner Arbeitsgruppe und vor allem dann bei der Gründung des RISC eingeführt habe. Dies habe ich getan, auch wenn es dafür keine gesetzliche Grundlage gab und die Durchführung des Prinzips am RISC natürlich auf Freiwilligkeiten von allen Seiten, insbesondere der ordentlichen Professoren (damals auf meiner Seite) beruhte und noch immer beruht. Konkret bedeutet das, dass am RISC einerseits alle Studenten und Studentinnen bis zur Vollendung des PhD (und allenfalls ein, zwei Jahre als Postdoc) als Studierende betrachtet werden und für sie das Studium (mit der Möglichkeit, sich in geringem Maß in Lehre und Management zu betätigen, um Erfahrungen zu sammeln) im Mittelpunkt steht. Andererseits heißt es aber auch, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nach dem Postdoc am RISC als gleich wichtige und gleich berechtigte Faculty (also als Professor/Professorin in einem umfassenden Sinne) betrachtet werden. Jedes Faculty-Mitglied entscheidet selbst über seine/ihre Forschung, hält seine/ihre Lehrveranstaltungen (im Rahmen des Gesamtplans der Lehre des RISC), betreut seine Master- und PhD-Studierende und fühlt sich auch motiviert und verpflichtet, selbst Mittel für den Forschungsbetrieb und den Aufbau einer Gruppe aufzutreiben. Das hat ganz wesentlich zum Erfolg von RISC beigetragen. Vor allem, weil dadurch ein Spirit entsteht, der die Kreativität der Faculty in jeder Karrierephase anspornt und fördert. Aber auch auf der rein materiellen Ebene ist es durch die Faculty am RISC gelungen, dass wir mit nur 13 aus dem normalen Uni-Budget bezahlten Stellen insgesamt fast 100 (!) Leute in Forschung, Lehre und kooperativen Projekten mit der Wirtschaft beschäftigen. Denn alle Faculty-Mitglieder, unabhängig von ihrer Stellung und Stelle, sind gleichermaßen auch für die Beschaffung von Drittmitteln zuständig. Es gibt auch immer wieder Faculty, die selbst auf einer Drittmittelstelle angestellt sind und erfolgreich weitere Drittmittel für Postdocs und PhD-Studenten bzw. -Studentinnen auftreiben. Internationalität

Ungern wiederhole ich hier, was ich schon seit Jahrzehnten predige  : Die Qualität, Zukunftsstärke und Zukunftsrelevanz einer Universität wird daran gemessen werden, inwieweit es gelingt, sehr gute Studierende (und Faculty-Mitglieder) aus dem Ausland anzuziehen. Unsere Universitäten, leider auch die JKU, verstehen sich oft vor allem als Bildungsinstitutionen »für unsere Talente in Österreich«. Das ist zwar richtig und wichtig, aber viel zu kurz gegriffen. Universitäten sind Nervenzellen der Innovation, nicht nur in der heutigen globalen Welt. Sie waren immer (insbeson391

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dere in Europa) internationale Knotenpunkte der geistigen Elite und standen im Wettbewerb um die internationale Jugend. An den Topuniversitäten in den USA, UK, etc. macht der Anteil an ausländischen Studierenden (die auch gerne noch exorbitante Studiengebühren zahlen, damit sie dort studieren dürfen) 70 Prozent aus. Da können wir nicht damit zufrieden sein, dass seit Kurzem im Rahmen von EUProgrammen wie »Sokrates«, »Erasmus« usw. jedes Semester eine nette Schar von Studierenden aus anderen EU-Staaten zu uns (JKU, FH etc.) kommt, um hier ein paar Wochen oder Monate zu verbringen. Nein, eine internationale Universität (insbesondere mit internationalen Studienrichtungen) zu sein, bedeutet Folgendes  : alle Lehrveranstaltungen in Englisch abzuhalten  ; dass die Abschlüsse (Bachelor, Master, PhD) bei uns gemacht werden  ; ein weltweites Marketing für diese Studiengänge  ; die Bedachtnahme auf die Ausbildung eines international attraktiven »Lifestyles« an unseren Universitäten  ; die Interaktion mit unserem Gesellschaftsleben (Möglichkeit zum Deutschlernen, wenn gewünscht)  ; die Schaffung von Szenen um die Universitäten, in denen die Studierenden mit verschiedenen akademischen Einrichtungen, mit bestehenden Betrieben, mit der Gründerszene, mit anderen Disziplinen, mit Investoren etc. in regen Austausch treten können  ; Anstrengungen zu unternehmen, um die internationalen Absolventen und Absolventinnen zum Verbleib in Österreich zu motivieren  ; eine Bewusstseinsänderung in der (ober-)österreichischen Gesellschaft für die Wichtigkeit der internationalen Jugend für unsere Zukunft zu erwirken. Ich habe am RISC seit der Gründung, ja schon etliche Jahre davor, die Forschung und Lehre konsequent nach diesen Vorstellungen ausgerichtet (zunächst in Bezug auf das PhD-Studium, seit 2008 auch durch Einrichtung eines englischsprachigen Masters, und seit Kurzem durch die Einrichtung des »International Graduate Centers« im Offenen Kulturhaus, OK, mitten in Linz), obwohl es dafür weder spezielle Mittel noch den organisatorischen Rahmen gab. Ständig sind dadurch ca. 25 internationale PhD- und 20 Master-Studenten und -Studentinnen am RISC. Die Erfahrungen waren nur positiv, und die konsequente Realisierung als internationales Institut in Forschung und Lehre war ebenfalls ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor für RISC.

Eine zentrale Herausforderung – die JKU als konsequent internationale Universität Persönlich wünsche ich der JKU daher – wenn es um ihre Zukunft geht – vor allem, dass sie ehest die Möglichkeit aufgreift, eine konsequent internationale Universität in Forschung und vor allem in der Lehre zu werden. Es braucht dazu keine großen zusätzlichen Mittel, sondern nur eine konsequente Verlagerung des Fokus unter dem kreativem Einsatz der bestehenden Mittel. In der Tat spricht nichts dagegen 392

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und alles dafür, dass die JKU die erste konsequent internationale Universität in Österreich wird. Ich bin sicher, dass das einen fulminanten Impuls für unsere JKU, aber in Konsequenz auch für die gesamte Region bringen wird. Das wird die JKU auch für die österreichischen Studenten und Studentinnen attraktiver machen, denn nichts ist so interessant für ein universitäres Leben wie eine internationale Atmosphäre. Ich habe dazu die Aktion »Linz 20.000« (20.000 internationale Studierende an die Linzer akademischen Einrichtungen  !) gegründet und wünsche mir von Herzen, dass die JKU Speerspitze dieser Aktion wird.

Literatur Boyle, Ann and Caviness, B. F. (eds.), Future Directions for Research in Symbolic Computation. Report of a Workshop on Symbolic and Algebraic Computation, April 29–30, 1988, Washington Society for Industrial and Applied Mathematics, Philadelphia 1990. Buchberger, Bruno, Ein Algorithmus zum Auffinden der Basiselemente des Restklassenringes nach einem nulldimensionalen Polynomideal, Dissertation, Innsbruck 1965. (Englische Übersetzung in  : Journal of Symbolic Computation, Special Issue on Logic, Mathematics, and Computer Science  : Interactions, vol. 41, issue 3–4, 2006, pp. 475–511.) Buchberger, Bruno, Mathematik – Management – Meditation, Wien 2016.

Anmerkungen 1 Ich beschreibe diesen für das Verständnis der heutigen Zeit so wesentlichen Gedanken der »Rückbezüglichkeit«, »Reflexion« oder »Selbstanwendung« der Wissenschaft (insbesondere der Mathematik) auf die Wissenschaft ausführlich in meinem Buch »Mathematik  – Management  – Meditation«. Vgl.: Bruno Buchberger, Mathematik – Management – Meditation, Wien 2016, insbesondere S. 13–20 und S. 119–124. 2 Bruno Buchberger, Ein Algorithmus zum Auffinden der Basiselemente des Restklassenringes nach einem nulldimensionalen Polynomideal, Dissertation, Innsbruck 1965. Eine englische Übersetzung ist erschienen in  : Journal of Computation, Special Issue on Logic, Mathematics, and Computer Science  : Interactions, vol. 41, issue 3–4, 2006, pp. 475–511. 3 Ann Boyle and B. F. Caviness (eds.), Future Directions for Research in Symbolic Computation. Report of a Workshop on Symbolic and Algebraic Computation, April 29–30, 1988, Washington Society for Industrial and Applied Mathematics, Philadelphia 1990, p. 17. 4 Ein Beispiel einer Gründerfirma ist etwa die Firma Rise2Reality im Softwarepark Hagenberg. 5 Statement der internationalen Reviewer in der FWF Endevaluierung 2008 des SFB Numerical and Symbolic Computation (festgehalten im Sitzungsprotokoll).

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Fachgesellschaft und Disziplinentwicklung – Die Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

Ziel und Vorgangsweise Der Ursprung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) ist auf vielfache Weise mit der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) verbunden. Um einige Meilensteine und Merkmale in der Entwicklung dieser wissenschaftlichen Fachgesellschaft darzustellen, wurden vier qualitative Interviews mit Personen, die zu verschiedenen Zeitpunkten eine bedeutsame Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft hatten, geführt, transkribiert und analysiert.1 Darüber hinaus wurden Materialien, die mit der Arbeit dieser Gesellschaft verbunden sind, aus dem Sekretariat der ÖFEB sowie aus den Archiven der Autoren und Interviewpartner gesichtet. Da die beiden Autoren auf vielfache Weise in die Entstehung und Entwicklung der Gesellschaft involviert waren, werden persönliche Erfahrungen und darin begründete Einschätzungen und Wertungen aus der Darstellung nicht auszuschließen sein. Dennoch hoffen wir, mit diesem Aufsatz einen ersten Beitrag zur Sicherung von Wissen über dieses Kapitel österreichischer Wissenschaftsgeschichte leisten zu können.

Kontext und Vorgeschichte Wissenschaftliche (Fach-)Gesellschaften sind Zusammenschlüsse von Personen und Institutionen, die in einer wissenschaftlichen Disziplin tätig sind. Solche Gesellschaften wurden und werden mit dem Ziel gegründet, die weitere Entwicklung der jeweiligen Disziplin durch die Veranstaltung von Tagungen, die Herausgabe von Publikationen und fachliche Diskussion im Allgemeinen zu fördern, aber auch durch Stellungnahmen, Enqueten und andere öffentliche Aktivitäten Einfluss auf gesellschaftliche, hochschul- und forschungspolitische Entscheidungen zu nehmen, die für die weitere Entwicklung des Faches bedeutsam sind. Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin wurde in Österreich zuerst 1806 an der Universität Wien durch eine Professur verankert, die mit dem Schulreformer und 395

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nachmaligen Fürsterzbischof von Wien, Vinzenz Eduard Milde (1777–1853), besetzt wurde.2 In der Zwischenzeit gibt es eine oder mehrere Professuren für Pädagogik und ihre Teildisziplinen an den Universitäten Wien, Graz, Klagenfurt, Innsbruck, Salzburg, Linz, an der Akademie der Bildenden Künste Wien sowie an den zwölf Pädagogischen Hochschulen des Landes. Wissenschaftliche Gesellschaften der Pädagogik oder Erziehungswissenschaft  – wir verwenden die Begriffe hier synonym – wurden offenbar im deutschsprachigen Raum später gegründet als jene von Nachbardisziplinen3 bzw. in anderen Ländern  : Während die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) ihre Wurzeln auf die 1904 in Gießen gegründete »Gesellschaft für experimentelle Psychologie« zurückführt und die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) 1909 gegründet wurde, gibt es die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (derzeit ca. 3.300 Mitglieder) erst seit 1964. Die American Educational Research Association (AERA  ; mehr als 25.000 Mitglieder) wurde schon 1916 ins Leben gerufen  ; die British Educational Research Association (BERA) begann 1974 ihre Tätigkeit und die European Educational Research Association (EERA), der Europäische Dachverband der Bildungsforschungsgesellschaften, im Jahre 1994. Österreichische wissenschaftliche Fachgesellschaften wurden in den Sozial- und Humanwissenschaften deutlich später als in Deutschland gegründet, so die Österreichische Gesellschaft für Soziologie (ÖGS) im Jahre 1950 und die Österreichische Gesellschaft für Psychologie (ÖGP) im Jahr 1993. Ein Grund für die späteren Gründungen in Österreich mag gewesen sein, dass österreichische Forscher und Forscherinnen der  – damals stark sprach- und kulturbezogenen  – sozial- und humanwissenschaftlichen Disziplinen die größeren Tagungen der deutschen Fachgesellschaften besuchten und teilweise auch in diesen organisiert waren.4 In der Zeit hochschul- und berufspolitischer Reformen der 1980er und 1990er Jahre wurde jedoch offenbar eine eigene, auf die nationalen Entwicklungen bezogene Stimme der jeweiligen Disziplin notwendig, wie in einer Darstellung der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie deutlich wird.5 Einem unserer Interviewpartner, Josef Thonhauser, ist es wichtig, den institutionellen Kontext der Bildungsforschung vor der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) verständlich zu machen  : »Es gab ja vor der ÖFEB schon einmal eine Pädagogische Gesellschaft, die ÖPG, die Österreichische Pädagogische Gesellschaft. […] In der waren alle Pädagogen, die an einer Universität beschäftigt waren, gratis und ohne gefragt zu werden, Mitglied.«6

Die treibende Kraft bei der Gründung der ÖPG im Jahr 1968 war Otto Timp, ein Ministerialrat des Unterrichtsministeriums, der finanzielle Unterstützung für die Tätig396

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

keit einer solchen Gesellschaft vom Ministerium beschafft hatte und auch als Honorarprofessor für Pädagogik an der Universität Wien tätig war. Als erste Aktivität der ÖPG sollte eine Festschrift zum 70.  Geburtstag des emeritierten Professors Ulrich Schöndorfer herausgegeben werden. Die Vorbereitungsarbeiten umfassten eine Besprechung »in einem nobleren Beisl in der Innenstadt [mit] Abendessen für alle, die da irgendwie in Frage kamen«.7 Die Mitarbeit war für viele Forscher und Forscherinnen attraktiv, »weil es war nicht so einfach, als junger, unbekannter Mensch eine Publikationsmöglichkeit zu haben. Und so Festschriften, das war ein willkommener Anlass.«8 Der Vorsitz der Gesellschaft wurde in der Folge von zwei einflussreichen Wiener Ordinarien wahrgenommen und wechselte »im Zweijahres-Rhythmus […]. Einer war Generalsekretär, der andere war Präsident.«9 Weitere Aktivitäten der Gesellschaft sind Josef Thonhauser »nicht mehr erinnerlich, sondern eigentlich, es war nichts mehr, es waren keine Tagungen.«10 Im Gegensatz zu den Kollegen und Kolleginnen der Psychologie hatten die Erziehungswissenschaftler und Erziehungswissenschaftlerinnen kein Forum für wissenschaftlichen Austausch  : »[…] die [Psychologen] haben jährlich Tagungen [des Berufsverbands Österreichischer Psychologen] gehabt, da in der Liebiggasse drüben. Und jeder, der Psychologe war, der gehörte zu dieser Gesellschaft und hat sich irgendwie identifiziert. Also, das war so ein Sammelpunkt, nicht. Und ein bisschen habe ich die Psychologen beneidet, weil wir haben keine Möglichkeit gehabt, uns irgendwo sozusagen als Club zu identifizieren, sondern wir haben uns immer selber gesucht.«11

Andere Versuche, erziehungswissenschaftliche Gesellschaften in Österreich zu gründen, sind Thonhauser nicht bekannt. Die bekanntesten österreichischen Pädagogikprofessoren dieser Zeit, Marian Heitger an der Universität Wien,12 aber auch Peter Posch13 und Richard Olechowski14 (die vielleicht von ihrer wissenschaftlichen Orientierung mehr Affinität zu den Anliegen der Gesellschaft hätten haben können) haben für die Entwicklung der ÖFEB keine Rolle gespielt. »[…] [D]a musste dann schon eine neue Generation heranwachsen, die da aktiv geworden ist«15 – eine »neue Generation« von um und nach 1950 geborenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die sich in dieser Zeit an den Universitäten zu etablieren begannen. Diese Generation charakterisieren zwei der Gesprächspartner, Josef Thonhauser und Werner Specht, auch durch eine andere  – »nüchternere«  – Herangehensweise an Forschung und Forschungspolitik, die alte Grenzen, wie jene zwischen Pädagogischen Akademien und Universitäten oder zwischen verschiedenen forschungsmethodischen Ansätzen, weniger wichtig nehmen wollte. »Es hat natürlich auch innerhalb der Pädagogik sozusagen eine Art Paradigmenwechsel gegeben, nicht. Und zwar, vielleicht nicht in Richtung eines eindeutig benennbaren Para397

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digmas, sondern eher einer allgemein vernünftigeren Haltung als früher. Also ein bisschen weg von Ideologie oder auch sogenannter Wissenschaftstheorie, was ja auch sehr unfruchtbar war […]. Also, da war schon irgendwie ein neuer Ansatz von Nöten.«16 »[…] alle beteiligten ForscherInnen und PraktikerInnen, alle die irgendwie forschend tätig waren, haben irgendwie vermisst, dass es einen institutionellen Rahmen gibt, wo die verschiedenen Dinge vernetzt werden, wo es eine Interaktionsplattform gibt usw., usw. Und das war ja eine ganze Zeit vor der Linzer Tagung damals schon ein Thema, wo wichtige Leute im Feld sich überlegt haben, wie könnte man die bildungswissenschaftlichen Ansätze und Anstrengungen ein Stück systematisieren, den Austausch vergrößern, ein Stück Professionalisierung auch auf den Weg bringen, und insbesondere eben aus einem Desiderat heraus, wo man das Gefühl hatte, in Österreich gibt’s eigentlich so was gar nicht, […] keine Kommunikationsplattform außer ›Erziehung und Unterricht‹,17 wo alles und jedes drin steht, Bildungspolitik und Erziehungspraktik, ein anderes Publikationsorgan hat es ja gar nicht gegeben damals, und da war man sich mehr oder weniger einig, das stand im Weg, dass sich das professionelle Feld ein bisschen systematischer entwickeln kann. Und das war, glaube ich, die Vorstellung, dass man durch die Gründung einer solchen Gesellschaft einfach den Austausch, die Kommunikation, die Entwicklung der Forschung systematisiert und strukturiert. Also so habe ich das in Erinnerung, und dann kam noch dazu, dass es bis dahin – und jetzt sehe ich das nicht mehr – eine sehr starke Antinomie von empirischwissenschaftlicher Bildungs- und Schulforschung und den handlungsorientierten, eher qualitativ orientierten Forschungssträngen […] gab. […] [U]nd dass Personen, die empirisch geforscht haben, die mit quantitativen Methoden gearbeitet haben, irgendwie auch das Gefühl hatten, diese Ansätze brauchen stärker eine Community, wo sie sich aneinander orientieren, wo sie sich austauschen, wo methodische Fortbildung geschieht usw.«18

Gründung Dieser neue Blick auf das Feld der Bildungsforschung wurde während der Tagung »Bildungsforschung für die Schulentwicklung«, die vom Institut für Pädagogik und Psychologie der JKU vom 16. bis 18.  September 1999 in Linz veranstaltet wurde, spürbar. Das Tagungskonzept zielte darauf ab, Theorie und Praxis zu verbinden, alle Forschungseinrichtungen einzubeziehen und alle vorfindlichen Zugänge zur Bildungsforschung zu Wort kommen zu lassen. Josef Thonhauser erinnert sich an »irgendwie eine gute Stimmung«,19 die er mit der gemischten Teilnehmerschaft von fast allen österreichischen Universitäten und Pädagogischen Akademien in Zusammenhang bringt. Am Ende dieser Veranstaltung bildete sich ein Proponentenkomitee, das die Gründung einer Bildungsforschungsgesellschaft anstrebte und drei Personen  – Herbert Altrichter (JKU), Ferdinand Eder (JKU) und Johannes Mayr 398

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

Abbildung 1: Proponentengruppe für die Gründung der ÖFEB am 18. September 1999, von rechts nach links: Ferdinand Eder (JKU), Josef Thonhauser (verdeckt; Universität Salzburg), Jean-Luc Patry (Universität Salzburg), Ulrike Prexl-Krauss (JKU), Ilsedore Wieser (Universität Innsbruck), Alfred Kowarsch (Pädagogische Akademie der Erzdiözese Wien), Herbert Altrichter (JKU), Konrad Krainer (Universität Klagenfurt), Christian Bergmann (JKU), Johannes Mayr (Pädagogische Akademie der Diözese Linz), Andrea Seel (Pädagogische Akademie der Diözese Graz), Helmut Bachmann (Bundesministerium für Unterricht und Kunst), Ewald Feyerer (Pädagogische Akademie Oberösterreich) und Franz Rauch (Universität Klagenfurt). Bildnachweis: Johannes Mayr.

(Pädagogische Akademie der Diözese Linz) – beauftragte, die dafür nötigen Schritte zu unternehmen. Die formelle Konstituierung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB) fand ein halbes Jahr später am 31. März 2000 im Rahmen der Tagung »Forschung und Qualitätssicherung an Pädagogischen Hochschulen« (die von einem Mitglied des Proponentenkomitees schon längerfristig geplant worden war20) an der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien statt. Die Zusammensetzung des ersten Vorstandes spiegelt den Willen zur Kooperation zwischen Universitäten und Pädagogischen Akademien wider  : Herbert Altrichter (JKU Linz) wurde zum Gründungsvorsitzenden gewählt, Andrea Seel (Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Eggenberg) zu seiner Stellvertreterin. Weiters waren im ersten Vorstand vertreten  : Alfred Kowarsch (Pädagogische Akademie der Erzdiözese Wien) als Kassier, Josef Thonhauser (Universität Salzburg) als sein Stellvertreter, Michael Schratz (Universität Innsbruck) als Schriftführer, Marianne Wilhelm (Pädagogische Akademie des Bundes Wien) als seine Stellvertreterin sowie 399

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

Gerhard Hager (Pädagogische Akademie der Erzdiözese Wien) und Franz Rauch (Universität Klagenfurt) als weitere Mitglieder. Aus dem Protokoll der Gründungssitzung lassen sich die wichtigsten Zielsetzungen der Gesellschaft entnehmen  : »die Förderung der Professionalisierung der Arbeit im Bildungswesen über bestehende Grenzen hinweg durch Förderung der Kommunikation untereinander und Einrichtung stützender Netzwerke, insbesondere auch durch die Einrichtung von Sektionen im Rahmen der Gesellschaft.«21

Die Arbeit des ersten Vorstandes erfolgte – aufgrund der »Streuung über ganz Österreich«  – vorwiegend »virtuell« über Email und Telefon.22 Die ersten Aufgaben bestanden in der Regelung der Aufnahme von Mitgliedern, der Entwicklung von Statuten, dem Aufbau einer Kommunikationsstruktur sowie der Vorbereitung der ersten Jahrestagung, deren Organisation von der Universität Salzburg übernommen wurde. In der darauffolgenden Arbeitsperiode erfolgte die Etablierung von Sektionen, die im Wesentlichen noch heute bestehen  : Sektionen für empirische pädagogische Forschung, LehrerInnenbildung und -bildungsforschung, Schulforschung und Schulentwicklung, Erwachsenenbildung, Medienpädagogik und Sozialpädagogik. Während sich die ursprünglich eingeführte Sektion »Erwachsenenbildung« nicht etablieren konnte, wurde 2009 eine neue Sektion für Berufs- und Erwachsenenbildung eingerichtet, nachdem ein schon zuvor bestehendes und aktives Netzwerk von Forschern und Forscherinnen in diesem Feld den Beitritt zur ÖFEB beantragte hatte, das dann in einem geregelten Verfahren aufgenommen wurde. 2012 wurde eine Sektion für Elementarpädagogik ins Leben gerufen. Wie es zu dem speziellen Namen der ÖFEB kam, wird durch die von uns geführten Interviews und die analysierten Dokumente nicht klar. Man kann aber annehmen, dass damit ein breiteres Verständnis von Bildungsforschung signalisiert werden sollte als durch eine disziplinbezogene Benennung (wie »Pädagogische Gesellschaft« oder »Gesellschaft für Erziehungswissenschaft«). Damit sollten sich auch Bildungsforscher und -forscherinnen angesprochen fühlen, die ihren disziplinären Hintergrund im Bereich der Soziologie, Psychologie, Ökonomie, Geschichte usw. sahen. Nicht zuletzt sollte die Verbindung von »Forschung und Entwicklung« – in Anlehnung an »research and development« – Brücken zur Handlungs- und Anwendungsforschung und zu forschungsgeleiteter Entwicklung eröffnen. Die »Übergabe von Generation zu Generation« – von Vorstand zu Vorstand – hat nach Wahrnehmung von Josef Thonhauser »gut funktioniert«.23 Bei der ersten Jahrestagung in Salzburg wurde 2001 Alfred Kowarsch, damals Direktor der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien, zum Vorsitzenden gewählt. Der Wechsel im Vorsitz sollte ein Ausdruck der Kooperation zwischen Universitäten und Lehrerbildungseinrichtungen sein.24 Auch später gab es abwechselnd, wenn auch für längere 400

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

Zeiträume, Vorsitzende aus den Universitäten (Ferdinand Eder 2003–2009  ; Florian Müller seit 2015) und den Pädagogischen Hochschulen (Andrea Seel 2009–2015).

Weitere Entwicklung Die personelle Entwicklung der ÖFEB ist geprägt durch eine rasante Entwicklung der Mitgliederzahlen (vgl. Tabelle 1). Mit derzeit mehr als 500 Mitgliedern kann man davon ausgehen, dass ein ganz erheblicher Teil der einschlägigen wissenschaftlichen Community in der ÖFEB organisiert ist und sie damit einen wichtigen wissenschaftspolitischen und gesellschaftlichen Einflussfaktor bildet. An der erst 2012 erfolgten Gründung der Sektion Elementarpädagogik wird das inzwischen aufgebaute Potential der ÖFEB deutlich sichtbar. Der Interviewpartner (und Leiter der Sektion) Andreas Paschon führt dazu aus  : »Die eigentliche Überlegung und [der] Ausgangspunkt [für die Gründung der Sektion] war damals bei der Generalversammlung in Graz, wo wir gemerkt haben, […] dass eine Verbindung sinnvoll sein könnte  : weil es ja die neue Professur [für Elementarpädagogik] in Graz […] gab, wir in Salzburg ja schon einen Schwerpunkt gehabt haben in der Elementarpädagogik, die Linzer Pädagogische Hochschule z. B. auch einen Lehrgang angeboten hat, und wir gemerkt haben, irgendwie wäre es günstig, wenn wir uns vernetzen können. Dadurch, dass ich selber eine Weile Vorsitzender einer Sektion [der ÖFEB] war, der Methodensektion, hab ich natürlich auch schon so weit Erfahrung mitgebracht, dass ich sehen konnte, welchen Nutzen eine Sektion hat, dass, auch wenn sich die quantitativen und die qualitativen [ForscherInnen] meilenweit voneinander entfernt haben, sich die Betreffenden trotzdem auch mit sinnvollen Überlegungen wieder zusammensetzen und Symposien planen oder Workshops einrichten. Und so was Ähnliches hat uns auch zunächst einmal vorgeschwebt, dass wir die verschiedenen Hochschulstandorte, die ja sehr disparat sich bewegen, verknüpfen können, natürlich unter dem Dachverband, der, glaub ich, so weit auch angesehen ist und sich bis zu diesem Zeitpunkt auch sehr gut entwickelt hat […].«25

Die damit verbundenen Erwartungen sind durchaus erfüllt worden  : »[…] inzwischen haben wir als Sektion ja über 100 Mitglieder, wo wir auch merken, es sind wirklich die Pädagogischen Hochschulen, die Universitäten vertreten, das CharlotteBühler-Institut und auch andere Personengruppen, die sich wirklich mit der EP [Elementarpädagogik] beschäftigen.«26 »[Das hat] auch Folgewirkungen für das Ministerium, dass wir […] zum Beispiel in Graz an der PH eine Tagung gehabt haben zum Thema Transition, Übergang, neue Schuleingangs401

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

phase, und dass da etliche Personen aus dem Ministerium, inklusive [dem Sektionschef], den ganzen Tag dageblieben ist, und wir gemeinsam überlegt haben, wie eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der ÖFEB-Sektion Elementarpädagogik und den entsprechenden zuständigen Leuten im Ministerium aussehen könnte, zumal ja die Kompetenz für die Elementarpädagogik weit gestreut ist, […] und es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es ist, dass es einen Träger gibt wie die ÖFEB.«27 Tabelle 1: Wichtige Ereignisse und Jahrestagungen der ÖFEB

402

Jahr

Aktivitäten

1999

Beschluss zur Gründung der ÖFEB anlässlich der Tagung »Bildungsforschung für die Schulentwicklung« vom 16. bis 18. September 1999 an der JKU in Linz

Mitgliederzahl

2000

Konstituierung der ÖFEB am 31. März 2000 im Rahmen der Tagung »Forschung und Qualitätssicherung an Pädagogischen Hochschulen« vom 30. bis 31. März 2000 an der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien

60 (27.9.2000)

2001

1. Jahrestagung vom 24. bis 26. September 2001 in Salzburg zum Thema »Erziehung und Bildung zwischen Selbstverantwortung und Rechenschaftspflicht«; Herausgabe des ÖFEB Newsletters (bis 2005)

124 (18.9.2001)

2002

2. Jahrestagung vom 19. bis 21. September 2002 in Klagenfurt zum Thema »Grenzen überschreiten in Bildung und Schule«

2003

3. Jahrestagung vom 6. bis 11. November 2003 in Wien zum Thema »Professionalisierung in pädagogischen Berufen«

2004

4. Jahrestagung (in Kooperation mit den Partnervereinigungen aus Deutschland und der Schweiz, der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft/DGfE und der Schweizerischen Gesellschaft für Bildungsforschung/SGBF) vom 21. bis 24. März 2004 in Zürich zum Thema »Bildung über die Lebenszeit«

2005

5. Jahrestagung vom 29. September bis 1. Oktober 2005 in Linz an der JKU in Kooperation mit der Pädagogischen Akademie des Bundes Oberösterreich und der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz zum Thema »Schauen, was rauskommt«

151 (30.9.2005)

2007

6. Jahrestagung vom 20. bis 22. September 2007 in Salzburg zum Thema »Gerechtigkeit und Effizienz im Bildungswesen«; die ÖFEB tritt der European Educational Research Association (EERA) bei

198 (7.9.2007)

2009

Ausrichtung der European Conference on Educational Research (ECER) gemeinsam mit der EERA und der Universität Wien vom 28. bis 30. September 2009 in Wien zum Thema »Theory and Evidence in European Educational Research« – 7. Jahrestagung der ÖFEB im Zuge der ECER-Tagung; Gründung der Sektion »Berufs- und Erwachsenenbildung«

258 (3.9.2009)

143 (28.10.2003)

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

Jahr

Aktivitäten

Mitgliederzahl

2011

8. Jahrestagung vom 28. bis 30. September 2011 in Graz zum Thema »Forschung on Demand? Bildungswissenschaft zwischen Autonomie und Auftrag«; Herausgabe der »Zeitschrift für Bildungsforschung« im Verlag für Sozialwissenschaft, später Springer VS

304 (27.7.2011)

2012

Gründung der Sektion »Elementarpädagogik« am 27. April 2012 in Salzburg; ein ÖFEB-Vertreter wird in den Vorstand der EERA gewählt; 1. Emerging Researcher Conference am 8. November 2012 in Linz an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich/PHOÖ (als Pre-Conference zur Tagung »Lernen in der Praxis durch Forschung – Lernen für die Praxis durch Forschung« der Sektion Lehrerbildung und Lehrerbildungsforschung)

2013

9. Jahrestagung vom 29. bis 31. Oktober 2013 in Innsbruck zum Thema »Bildung im Zeitalter der Individualisierung«; 2. Emerging Researcher Conference am 29. Oktober 2013 im Rahmen der Jahrestagung in Innsbruck

388 (30.9.2013)

2015

10. Jahrestagung vom 30. August bis 1. September 2015 in Klagenfurt zum Thema »Lernräume gestalten«; 3. Emerging Researcher Conference am 30. und 31. August 2015 im Rahmen der Jahrestagung in Klagenfurt

456 (23.7.2015)

2016

EERA Summer School 2016: »Methods and Methodology in Educational Research” vom 11. bis 15. Juli 2016 in Linz, veranstaltet gemeinsam von EERA, JKU, Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation & Entwicklung des österreichischen Schulwesens (BIFIE) und ÖFEB

502 (10.12.2016)

2017

EERA Summer School 2017 zum Thema »Methods and Methodology in Educational Research” vom 10. bis 14. Juli 2017 in Linz, veranstaltet von EERA, JKU, BIFIE und ÖFEB; 11. Jahrestagung vom 19. bis 22. September 2017 an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg in Feldkirch zum Thema »Bildung: leistungsstark . chancengerecht . inklusiv?«

Die »Instrumente« der ÖFEB Nach ihrer Konstituierung wurde die ÖFEB zunächst über ihre Tagungen sichtbar. Nach anfänglichen Überlegungen, ob für ein kleines Land wie Österreich Tagungen jährlich oder alle zwei Jahre organisiert werden sollten, fiel die Entscheidung für einen jährlichen Durchführungsrhythmus. Dies war wohl ein Ausdruck des neuen Enthusiasmus28 und der Bereitschaft der Salzburger Kollegen Josef Thonhauser und Jean-Luc Patry, schon im Folgejahr die erste ÖFEB-Konferenz zum Thema »Erziehung und Bildung zwischen Selbstverantwortung und Rechenschaftspflicht« in Salzburg zu organisieren.29 Bis 2005 fanden jährliche Tagungen statt, und zwar in Klagenfurt, Wien und Linz  ; danach wurde auf einen zweijährigen Veranstaltungsrhythmus umgestellt, der die Tagung bis 2017 in alle Bundesländer mit Ausnahme 403

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

des Burgenlands und Niederösterreichs geführt haben wird. Besonders bemerkenswert ist die 4.  Jahrestagung, die vom 21. bis 24.  März 2004 in Kooperation mit den deutschen und Schweizer Partnergesellschaften DGfE und SGBF an der Universität Zürich zum Thema »Bildung über die Lebenszeit« gestaltet wurde, bei der »die ÖFEB als österreichische Vertretung der Erziehungswissenschaft in Erscheinung getreten, auch wahrgenommen worden [ist].«30 Die Reihe der Jahrestagungen, die zunehmend auch international beachtet und besucht werden, wird komplettiert durch eine intensive Veranstaltungskultur, die von den einzelnen Sektionen ausgeht. In wechselnden Rhythmen, und häufig in Kooperation mehrerer Sektionen, werden Veranstaltungen organisiert, in denen aktuelle inhaltliche Fragen thematisiert oder gezielte methodische Weiterentwicklungsmöglichkeiten angeboten werden. Abbildung 2: Titelbild des ÖFEB Newsletters, Schon seit 2001 wurde zweimal jährlich der Jg. 4, H. 1, 2004. »ÖFEB Newsletter« herausgegeben, der an alle Mitglieder als Hardcopy verschickt wurde und zunächst von einer Redaktionsgruppe, dann im Wesentlichen von Josef Thonhauser (Universität Salzburg) gestaltet wurde. Neben Nachrichten aus dem Verein, wie z. B. Tagungs- oder Publikationsankündigungen, enthielt der Newsletter immer einen inhaltlichen Artikel (z. B. von Jürgen Baumert, Johannes Mayr) sowie Rezensionen. Nach Aussagen von Thonhauser wurde diese einfache Publikation »schon geschätzt«, weil es zu diesem Zeitpunkt in Österreich – außer »Erziehung und Unterricht« – »kein eingeführtes Organ« für Ergebnisse der Bildungsforschung gab.31 Nach der Einstellung des Newsletters im Jahr 2005 bemühte sich der Vorstand der ÖFEB um die Entwicklung einer eigenen wissenschaftlichen Zeitschrift. Nach an einer »längeren Inkubationszeit«32 erscheint sie seit 2011 dreimal jährlich unter dem Titel »Zeitschrift für Bildungsforschung« als durchgehend double-blind peerreviewed Publikation  – bei »einem renommierten professionellen Verlag«,33 was Josef Thonhauser als wichtige strategische Entscheidung hervorhebt. Das erste Heft wurde von einem Beitrag von Helmut Fend34 und damit von einem der hervorragendsten aus Österreich gebürtigen Bildungsforscher eingeleitet. In den bisher fünf Jahrgängen der Zeitschrift stammen etwas mehr als ein Drittel der eingereichten Beiträge von österreichischen Autoren und Autorinnen  ; die österreichischen Ein404

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

reichungen liegen nur geringfügig über der allgemeinen Ablehnungsquote von ca. 50 Prozent, was als Hinweis gesehen werden kann, dass sich innerhalb weniger Jahre eine anspruchsvolle Publikationskultur entwickelt hat. Auch die Buchreihe »Österreichische Beiträge zur Bildungsforschung« wurde entwickelt, allerdings nach Wahrnehmung von Josef Thonhauser weniger »professionell« und »zu wenig selbstbewusst«,35 was sich nicht zuletzt darin ausgedrückt hat, dass in der Zwischenzeit schon der dritte Verlag mit der Herausgabe der Reihe beauftragt ist. Ein besonderes Anliegen der ÖFEB ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Umsetzung dieser in den Statuten verankerten Zielsetzung erfolgte durch die Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe »Emerging Researchers«, deren Leitung in den Vorstand der ÖFEB kooptiert ist.

Kritische Merkmale In den Interviews werden einige für die weitere Entwicklung der Gesellschaft bedeutsame Merkmale deutlich. Verhältnis von Universitäten und Pädagogischen Hochschulen/Akademien

Nach Wahrnehmung von Alfred Kowarsch war schon bei der Impulstagung 1999, aber auch bei der folgenden Entwicklung der ÖFEB die Kooperation mit den Pädagogischen Akademien ein entscheidender Erfolgsfaktor. So gab der spätere Vorsitzende (2001–2003) der ÖFEB, Alfred Kowarsch, die Motivation für seine Teilnahme an dieser Tagung mit der an Pädagogischen Akademien notwendigen Personalentwicklung für Forschung an  : »[D]a ich damals schon junger Direktor der Pädagogischen Akademie in Wien war, war mir die Personalentwicklung der Bildungsforscher ein großes Anliegen, und da bin ich […] gekommen zu dieser Tagung ›Bildungsforschung und Schulentwicklung‹ im Dezember 99.«36

Auch Josef Thonhauser als Universitätsforscher ist der Aspekt der Begegnung zwischen Universitäten und Pädagogischen Akademien in Erinnerung  : »[M]an hat gesehen, nein, da [an den Pädagogischen Akademien] sind irgendwie auch gescheite Leute dabei, und mit denen kann man gut kooperieren, das kann uns nur helfen. Also, insofern war der Zeitpunkt Gründung der Gesellschaft und zugleich Zusammen­ schluss mit den Pädagogen von den Akademien günstig. […] Ja, und da waren die Berührungsängste, die, wenn sie vorhanden waren, die sind sehr stark abgebaut worden aufgrund dieser Erfahrung.«37 405

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

Der Einbezug der Pädagogischen Akademien/Hochschulen war »schon eine neue Qualität«,38 er war aber auch strategisch »sinnvoll«39 für den Aufbau einer Bildungsforschungsgesellschaft. »Weil die Berufsgruppe Pädagogen oder Erziehungswissenschaftler war ja nicht sehr groß und da Leute dann aus äußeren Gründen irgendwie auszuklammern, das wäre nicht vernünftig gewesen, sondern im Gegenteil zu schauen, also kriegen die entsprechende Möglichkeiten, wenn sie wollen und können aufgrund ihrer Voraussetzungen, dass sie dann auch erziehungswissenschaftlich arbeiten können. Dass die ÖFEB auch diesbezüglich eine Funktion hat, das war sehr sinnvoll.«40

Wahrscheinlich gab es zu diesem Zeitpunkt ein neues Bewusstsein über Entwicklungsnotwendigkeiten, aber auch -möglichkeiten der Pädagogischen Akademien. So beschreibt Alfred Kowarsch sein Engagement für Forschung  : »Rückblickend kann ich sagen, die Universitäten hatten natürlich viel mehr internationale Kontakte und Austausch über Forschungsarbeit, an den Pädagogischen Akademien waren das mehr Insellösungen […]. Mitunter hat man sich Referenten aus Universitäten eingeladen, aber es war nicht sonderlich professionell. Und da [i.e. durch die Tagungen der ÖFEB] habe ich gesehen, dass es sehr viel Interesse gibt […].«41

Die ÖFEB hat wohl auch einen gewissen Beitrag dazu geleistet, Arbeit und Karrieremöglichkeiten in der Forschung für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Akademien/Hochschulen fassbarer zu machen und als mögliche Perspektive erscheinen zu lassen.42 »Also ich denke mir schon, was gelungen ist, dass den Lehrenden der PAs oder dann später der PHs bewusst geworden ist, dass sie in ihrem Selbstverständnis sich verändern müssen, dass da ein großer Fortbildungsbedarf und Nachqualifizierungsbedarf gegeben ist, und was ich auch an meiner Institution stark forciert habe und im Nachhinein betrachtet mir nicht unbedingt Freunde damit gemacht habe, weil es immer besser ist, den eigenen Leuten zu sagen, ›ihr seid alle super‹, statt zu sagen  : ›Herrschaften, ihr müsst noch was dazu lernen, ihr müsst euch weiter qualifizieren  ! Wo sind eure Publikationen  ? etc.‹ Also, da hat die ÖFEB sicherlich einen großen Anstoß gegeben, nämlich nicht mehr im Sinne von Kritik, sondern von Fortbildungsangeboten, die natürlich von den interessierten und ja, einem gewissen Kreis angenommen worden sind, andere haben sich verweigert […].«43 Unabhängigkeit von Verwaltung und Bildungspolitik

Wohl auch als Abgrenzung zur Österreichischen Pädagogischen Gesellschaft wollten die Initiatoren und Initiatorinnen eine Plattform zur Selbstorganisation der Bil406

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

dungsforschung schaffen, die auch unabhängig von einer Förderung (und befürchteten Vereinnahmung) durch die Bildungsverwaltung bzw. -politik, die von vielen Forschern und Forscherinnen als in einer heillosen Blockade befindlich wahrgenommen wurde, Bestand hat. So wurden in den Anfangsjahren keine Subventionen durch das zuständige Bildungsministerium gesucht und die Tagungen wesentlich durch Teilnehmergebühren finanziert. Später  – wahrscheinlich auch durch eine neue Generation von stärker forschungsinteressierten Beamten und Beamtinnen – hat sich das Verhältnis zur Bildungsverwaltung deutlich entspannt  ; die Jahrestagungen werden immer wieder auch durch Vertreter und Vertreterinnen der Ministerien und der Schulaufsicht besucht.44 Verhältnis von Zentrum und Provinz

Eine (etwas dramatisierte) Lesart der Entwicklung der ÖFEB im sehr zentralistischen Österreich, in dem alle Entscheidungen über das Schulwesen am Wiener Minoritenplatz fallen, ist wohl die eines »Aufstandes der Provinz gegen das Zentrum«. Die Entscheidung zur Gründung der ÖFEB fiel in Linz, ihre erste Jahrestagung fand in Salzburg statt, ihre Konstituierung in Wien, allerdings nicht an der Universität im Zentrum der Stadt, sondern nahe der Stadtgrenze an der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese in Wien-Strebersdorf. Die Entwicklung der Gesellschaft ist wohl auch mit einer von den Provinzuniversitäten ausgehenden »Modernisierung« der Bildungsforschung verbunden, die stärker auf empirische (qualitative und quantitative) Argumentationen setzte. »Ja, also da kommen mehrere Dinge zusammen. Erstens einmal, die Wiener Universität hat sich nie so offen gezeigt [für Zusammenarbeit], nein, sondern die sind immer auf ihren ›Pfründen‹ sozusagen sitzengeblieben. Und dann war es ja wohl auch so, ich meine der [ein Professor der Universität Wien] war in der Pädagogik in Österreich der Platzhirsch, weil er immer in den Medien aufgetreten ist, in den Printmedien und auch im Fernsehen und im Rundfunk und so. [Gleichzeitig hatten] rein von der Entwicklung der Wissenschaft her die Wiener zunehmend an Bedeutung verloren […]. Also, selbst im Ministerium gab’s den Spruch […]  : ›Also, wenn man etwas braucht, was auch praktisch verwertbar ist, dann muss man sich an [einen Professor der Universität Klagenfurt] wenden, nicht an den [Professor der Universität Wien], […] der redet immer nur so dahin, also hat schöne Worte […].‹«45

Die damals eminenten Wiener Professoren »haben die ÖFEB nicht so ganz ernst genommen. Die haben gedacht, durch Ignorieren können wir die eigentlich wieder in die Versenkung verschwinden lassen.«46 Ein Vertreter einer Wiener Pädagogischen Akademie, der 2003 die dritte Jahrestagung der ÖFEB gemeinsam mit der Universität Wien organisierte, hat ein »Spannungsfeld« mit deren Wiener Pädagogikinstitut »ganz ausgeprägt«47 wahrgenommen  : »Die damalige [Kontaktperson], die war sehr 407

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

distanziert […]. Von den Lehrenden her, na ja, da hat’s auch eine gewisse Reserviertheit gegeben.«48 Versuche, eine Vertreterin der mittleren Generation der Wiener Universitätspädagogen 2005 zur Mitarbeit im Vorstand zu gewinnen, führten nicht zu einer intensivierten Kooperation. Auch die gemeinsame Veranstaltung der »European Conference on Educational Research« im Jahr 2009, in die das Wiener Institut für Pädagogik unter der Leitung von Stefan Hopmann großes Engagement und Ressourcen eingebracht hatte, führte nicht zu einer Annäherung an die ÖFEB. Obwohl diese Bruchlinie in der Zwischenzeit nicht mehr so deutlich sichtbar ist und einige der neu berufenen Pädagogikprofessoren und -professorinnen der Wiener Universität in den Sektionen und deren Leitungen mitarbeiten, bleibt doch ein Bild bestehen, in dem Wien bis dato in den Vorständen der ÖFEB immer wieder durch Vertreter und Vertreterinnen der Pädagogischen Hochschulen (wie z. B. Alfred Kowarsch, Helene Miklas) oder von außeruniversitären Bildungsforschungsinstituten (wie Peter Schlögl) repräsentiert war. Offenheit für unterschiedliche Forschungsstrategien

Die neue Generation von Bildungsforschern und -forscherinnen, die durch die Gründung der ÖFEB eine Austauschplattform suchte, verstand sich wohl zum Großteil als »erfahrungswissenschaftlich« orientiert  : Wissenschaft sollte in Auseinandersetzung mit den pädagogischen Prozessen in der Praxis und ihren Bedingungen erfolgen und zu deren weiterer Entwicklung beitragen. Innerhalb der erfahrungswissenschaftlichen Strömungen hat es die ÖFEB versucht, qualitative, quantitative, aber auch die in Österreich eine gewisse Tradition aufweisenden aktionsforscherischen Ansätze gleichermaßen ohne »methodologische Ausgrenzung« in einem »offenere[m] Klima«49 zu ihrem Recht kommen zu lassen. »[I]nnerhalb der ÖFEB ist einfach ein Klima entstanden, auch durch die verschiedenen Personen, die dort aktiv geworden sind, dass man miteinander ins Gespräch gekommen ist. [Der Gesprächspartner zitiert ein Beispiel aus der Vor-ÖFEB-Zeit, in der die Habilitation eines methodologisch anders eingestellten Kollegen verhindert wurde.] Ich meine, es ist unglaublich, wie das [früher] zugegangen ist. […] [E]ntweder empirisch oder nicht empirisch, und ich bin dafür oder ich bin nicht dafür.«50

Diese integrative Leistung wird auch von einem zweiten Interviewpartner gesehen  : »Nichtsdestotrotz habe ich doch das Gefühl gehabt, dass sich doch Vieles getan und entwickelt hat, durch die Gesellschaft, und dass hier eine Plattform entstanden ist und gebildet worden ist, die wirklich auch ein bisschen die unterschiedlichen Anstrengungen und unterschiedlichen Ansätze und unterschiedlichen Institutionen in Österreich, die sich mit Bildungsforschung, Bildungspolitik und Bildungswissenschaft befassen, bündelt und zu408

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

sammenfasst. Es ist letzten Endes doch ein ganzes Stück weit doch gelungen, wenngleich es wichtige Bereiche gibt oder gab, die bildungswissenschaftlich arbeiten und mit der ÖFEB nichts zu tun haben […].«51

Leistungen und Versäumnisse Nach einer retrospektiven Einschätzung der Leistungen der ÖFEB gefragt, nennt Alfred Kowarsch an erster Stelle die Vernetzung und den Austausch zwischen österreichischen Bildungsforschern und -forscherinnen  : »Also, was [die ÖFEB] geschafft hat, das war auf jeden Fall eine gute Vernetzung von Personen und ein Austausch. Ich kann mich erinnern, wie ich die Einladung zu der Tagung 2000 an die Uni Innsbruck geschickt habe, hat mir Schratz geantwortet  : ›Lieber Kollege, ich merke, wir sind im selben Arbeitsbereich tätig‹, sozusagen einerseits Konkurrenz, Österreich ist klein, auf der anderen Seite, ich weiß nichts davon. Und also diese Vernetzung hat es auf jeden Fall gegeben …«52

Wie schon weiter oben erwähnt, hat die ÖFEB wahrscheinlich eine wichtige Funktion für die Förderung einer Forschungsorientierung an den Pädagogischen Akademien/Hochschulen erfüllt. Dieses Anliegen betraf in einem weiteren Sinn auch die Universitäten und hat sich in der Organisation von Workshops über Forschungsstrategien und -methoden53 niedergeschlagen. Die Initiativen der Nachwuchsförderung führten schließlich am 8.  November 2012 zur Durchführung der ersten Tagung für Nachwuchsforscher und -forscherinnen in Linz und in deren Rahmen zur Gründung der Gruppe der »Emerging Researchers« in der ÖFEB. Diese führen eigene Veranstaltungen (als Vorkonferenzen der Jahrestagungen 2013 und 2015) durch  ; in den Vorstand der ÖFEB ist eine Vertretung der »Emerging Researchers« kooptiert.54 »Aber die ÖFEB hat hier sicherlich viel Nachwuchsförderung gemacht. Ich glaube auch für die Unis […].«55

Auch Werner Specht sieht hier nachhaltige Entwicklungen und Veränderungen  : »Was nachhaltig war, das habe ich wahrgenommen, anlässlich des ersten Bildungsberichts56 […] und anlässlich der Präsentation der NMS-Evaluations-Studie,57 da ist mir aufgefallen, dass es doch einen deutlichen Schub an Professionalisierung von jungen Wissenschaftlern im Hinblick auf elaborierte empirische Methoden gibt. […] Das ist mir aufgefallen, dass hier eine junge Wissenschaftler-Generation heranwächst, die diesbezüglich viel können, 409

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

denen allerdings das fehlt, was wir seinerzeit gehabt haben, nämlich ein großes und breites Verständnis von dem, was Bildung ist, was Bildungssystem ist, was Bildungspolitik ist, was in der Schule vorgeht usw. usw., sondern eine relativ starke Fixierung und Spezialisierung auf Methoden, auch das war eigentlich die Vorstellung in Zusammenhang mit der Gesellschaft, dass man sich nicht auf Methoden verengt, sondern dass wir über Bildung, Bildungswesen, Bildungsforschung in einem weiten Sinne sprechen […]«.58

Ein wesentlicher Aspekt der Entwicklung der österreichischen Bildungsforschung der letzten beiden Jahrzehnte ist sicher  – ausgehend von einer starken Fokussierung auf den deutschsprachigen Raum  – ihre zunehmende Internationalisierung. Die ÖFEB hat sicher dabei auch einen Beitrag geleistet, österreichische Bildungsforschern und -forscherinnen dazu zu animieren, ihren Blick auf internationale Entwicklungen zu richten. »Dann kann ich mich erinnern, dass Werner Specht zu vielen Sektionstagungen eingeladen hat, da kann ich mich erinnern an [einen Vortrag von] Andreas Helmke usw., die aus ihrem Bereich berichtet haben. Ich glaube, dass das für die Akademien und dann in Folge die [Pädagogischen] Hochschulen noch viel wichtiger war, den Blick über die eigenen Grenzen und auch über die Grenzen in andere Länder hinaus zu öffnen.«59

Umgekehrt war es aber auch ein Anliegen, die internationale Forschercommunity für Österreich zu interessieren. Wesentliche Meilensteine dabei waren wohl der 2007 erfolgte Beitritt zum Dachverband der europäischen Bildungsforschungsgesellschaften, zur EERA, sowie die Ausrichtung der European Conference on Educational Research gemeinsam mit der EERA und der Universität Wien im Jahre 2009, die 2070 Bildungsforscher und -forscherinnen aus 71 Ländern nach Wien brachte. An dieser Tagung nahmen auch 122 Personen aus Österreich teil. Man kann annehmen, dass die Veranstaltung dieser Konferenz für österreichische Bildungsforscher und -forscherinnen eine Motivation zu verstärktem internationalen Engagement bedeutete  : Vor der Wiener ECER zeigen die Teilnehmerlisten jeweils unter 25 Personen aus Österreich  ; nach 2009 stiegen die Zahlen der österreichischen Delegierten kontinuierlich an und liegen nun zwischen 64 (2016) und 70 (2015). Den österreichischen Vertreter und Vertreterinnen im Council der EERA – Herbert Altrichter (2007–2012) und Angelika Paseka (2012–2016) – gelang es, durch kontinuierliche Mitarbeit in den Gremien und Projekten der EERA einen über die Größe des Landes hinausgehenden Einfluss zu gewinnen, der sich schließlich 2012 in der Wahl (2016 Wiederwahl) von Herbert Altrichter in den geschäftsführenden Vorstand (executive committee) als »treasurer« dieser Gesellschaft niederschlug. Auch die Vergabe der EERA Summer School on Educational Research für 2016 und 2017 an die Johannes Kepler Universität Linz (die dort in Kooperation von EERA, 410

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

BIFIE und ÖFEB durchgeführt wurde) drückt einen verstärkten internationalen Stellenwert der österreichischen Bildungsforschung aus. Was hat die ÖFEB in den knapp 20 Jahren seit ihrer Gründung versäumt, zu tun  ? Was hätte mehr oder besser getan werden sollen  ? Der Blick auf die bisherige Entwicklung legt die Annahme nahe, dass sich die ÖFEB als wissenschaftliche Gesellschaft strukturell und programmatisch gut entwickelt hat und zur dominierenden Plattform der österreichischen Bildungsforschung geworden ist. Werner Specht spricht allerdings mit einer gewissen Enttäuschung den breiten Zugang zur ÖFEB an, der zu einer gewissen »Verwässerung« geführt habe  : »Mein Eindruck war von Anbeginn an, ja eigentlich ist das nicht wirklich das, was wir wollten, mit den Sektionen ›Lehrerbildung‹ usw. Wir wollten eigentlich ursprünglich, oder ich habe mir das so vorgestellt, wirklich eine Forschungsgemeinschaft, und diese Vorstellung, die außer mir schon auch einige andere hatten, ist dann nachher schon sehr stark durch eine spezifisch österreichische Tradition  – basisnah, praxisnah, alle sind Forscher, die Lehrer sind auch Forscher – verwässert worden, indem sozusagen alles und jedes, was irgendwie auch im weitesten Sinn mit Bildung und Bildungswissenschaft zu tun hatte, im weitesten Sinn in diese Gesellschaft integriert worden ist.«60

Weniger erfolgreich erscheint die ÖFEB im Hinblick auf die Entwicklung der insti­ tutionellen Forschungsförderung. Während etwa in Deutschland vom zuständigen Bildungsministerium umfangreiche finanzielle Mittel zunächst zur generellen Förderung der Bildungsforschung, dann zur Erforschung inhaltlicher Fragestellung bereitgestellt wurden, stützt sich die österreichische Bildungsforschung nach wie vor überwiegend auf budgetäre Eigenleistungen der Forschungseinrichtungen und die allgemeine Wissenschaftsförderung durch den Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF), der jedoch für die Pädagogischen Hochschulen nicht zugänglich ist. Dieses Schattendasein hängt auch damit zusammen, dass es bis jetzt nicht gelungen ist, den gesellschaftlichen Beitrag der Bildungsforschung entsprechend sichtbar zu machen und ihre Ergebnisse in die aktuelle Weiterentwicklung der Bildungssysteme einzubringen. Alfred Kowarsch hat zu wenig öffentliche und in den Medien rezipierte Stellungnahmen im Zuge der Ausformung der »PädagogInnenbildung Neu« in Erinnerung. »Also wie da die Stellungnahmen der ÖFEB waren, weiß ich persönlich nicht mehr, weil ich halt da …  ?  ? [Interviewer  : Das klingt jetzt durch, dass du sagst, da hast du zu wenig Aktivität und öffentliche Stellungnahme von Seiten der ÖFEB gehört  ?] Also über die Medien auf jeden Fall, […] ich weiß auch nicht, was da die Stellungnahme war, aber ich kann vermuten, dass es da nicht leicht zu einer gemeinsamen Stellungnahme gekommen ist aufgrund der verschiedenen Player.«61 411

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

Implizit wird hier angesprochen, dass durch die breite Einbeziehung von Praktikern und Praktikerinnen die Findung einer gemeinsamen Position erschwert wurde, insofern etwa im Bereich der Lehrer- und Lehrerinnenbildung evidenzbasierte wissenschaftliche Positionen und standespolitische Interessen nicht immer leicht vereinbar sind.

Die Entwicklung der ÖFEB und die Johannes Kepler Universität Was hat nun die Entwicklung einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Bildungsforschung mit der JKU zu tun  ? Zwar wurde schon 1970 mit Karl Heinz Seifert ein erster Professor für Psychologie und Pädagogik berufen, der diese Stelle bis zu seinem Tod im Jahre 1993 innehatte. 1974 wurde Reinhard Czycholl auf eine weitere Professur für Pädagogik, insbesondere Wirtschaftspädagogik, an die damalige Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz geholt, der bis 1985 dort tätig war und dann einem Ruf an die Universität Oldenburg folgte.62 Pädagogik war nie ein Hauptfachstudiengang an der JKU. Die Promotion ist seit einiger Zeit im Rahmen eines Doktoratsstudiengangs für Geistes- und Kulturwissenschaften möglich. Die Hauptaufgaben der Lehrenden liegen in der Betreuung der Studienrichtung Wirtschaftspädagogik und der Lehramtsstudienrichtungen der TechnischNaturwissenschaftlichen Fakultät. Dennoch scheint Linz häufig in dieser kurzen Darstellung der Entwicklung einer Fachgesellschaft für Bildungsforschung auf  : Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Instituts für Pädagogik und Psychologie entwickelten aus unterschiedlichen Perspektiven erste Vorstellungen für eine solche Gesellschaft und veranstalteten nicht zuletzt mit der Zielsetzung, die Akzeptanz einer solchen Gesellschaft einzuschätzen und ihre Gründung voranzutreiben, eine Tagung, an deren Ende die Einrichtung einer Proponentengruppe für die neue Fachgesellschaft stand. Der Gründungsvorsitzende war ein Ordinarius an der JKU  ; der dritte Vorsitzende der ÖFEB war zum Zeitpunkt der Konstituierung der Gesellschaft Mitglied der Linzer Universität und wurde später an die Universität Salzburg berufen. Das Sekretariat der ÖFEB befand und befindet sich an der JKU. Die erste ÖFEB-Tagung für Nachwuchsforscher und -forscherinnen fand in Linz statt. Das mag zum einen daran liegen, dass die JKU relativ günstige Möglichkeiten für die Entwicklung der »neuen Generation«63 von Bildungsforschern und -forscherinnen bot. Herbert Altrichter erhielt 1996 seine erste ordentliche Professur am Institut für Pädagogik und Psychologie der JKU. Am Institut waren je ein Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie sowie für Wirtschaftspädagogik, jedoch keine weiteren Ordinarien für Pädagogik, wohl aber zwei erfahrene habilitierte außerordentliche Professoren, von denen einer, Ferdinand Eder, in der Folge eine wichtige 412

Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft spielen sollte. In dieser Situation und auch angesichts der sehr breit gefächerten Lehraufgaben der Pädagogik erschien es nicht sinnvoll, eine spezielle fachliche oder forschungsmethodische Orientierung zu privilegieren  : Die Idee war, eine Pluralität erfahrungswissenschaftlicher Zugänge aus pädagogischen, psychologischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven der Bildungswissenschaft zu fördern. Diese Konstellation erforderte auch wenig Rücksichtnahme auf tradierte Interessen und fachliche Positionen, sondern ermöglichte die Entwicklung unterschiedlicher Forschungsprofile am Institut. Auch für die Etablierung einer produktiven Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen der damaligen Pädagogischen Akademien war Linz wahrscheinlich ein besonders geeigneter Ort. Am Institut für Pädagogik und Psychologie der JKU gab es bereits vor der Gründung der ÖFEB mit beiden Akademien personelle Kooperationen und gemeinsame Forschungsprojekte  ; beide waren im Österreichvergleich »relativ forschungsnah« und standen auch in Verbindung mit anderen Universitäten  :64 Ein Absolvent der Universität Salzburg, Hans Schachl, war Direktor der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz  ; umgekehrt war ein Lehrender dieser Akademie, Hans-Jörg Herber, nach seiner Habilitation als Professor an der Universität Salzburg tätig. Die Forschungsbeauftragten der beiden Linzer Pädagogischen Akademien, Ulrike Greiner und Johannes Mayr, hatten keine Vorbehalte gegen eine Kooperation mit den Universitätsangehörigen und sollten sich später habilitieren. Gemeinsame Forschungsprojekte und Publikationen65 zwischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Pädagogischen Akademien und der JKU hatten die Grundlage für eine Kooperation bei forschungsorientierten Tagungen gelegt. Natürlich ist die ÖFEB damit nicht eine alleinige Gründung der JKU – vor allem die unterstützende Rolle des Zentrums für Schulentwicklung in Graz und der Universität Salzburg sollen hier besonders hervorgehoben werden –, aber sie wäre wohl ohne die Initiative der JKU nicht erfolgt.

Literatur Altrichter, Herbert u. Mayr, Johannes, Forschung in der Lehrerbildung, in  : Blömeke, Sigrid u. a. (Hg.), Handbuch Lehrerbildung, Bad Heilbrunn 2004, S. 164–184. Brezinka, Wolfgang, Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Fachs an den Universitäten vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Bd. 3  : Pädagogik in den Universitäten Czernowitz, Salzburg und Linz, Wien 2008. Eder, Ferdinand u. a. (Hg.), Evaluation der Neuen Mittelschule (NMS). Befunde aus den Anfangskohorten, Graz 2015. Fend, Helmut, Die Wirksamkeit der Neuen Steuerung – theoretische und methodische Probleme ihrer Evaluation, in  : Zeitschrift für Bildungsforschung, Jg. 1, H. 1, 2011, S. 5–24. 413

Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

Heinrich, Martin u. Greiner, Ulrike (Hg.), Schauen, was ’rauskommt. Kompetenzförderung, Evaluation und Systemsteuerung im Bildungswesen, Wien 2006. Loidl, Franz, Art. Milde Vinzenz Eduard, in  : Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 6, Wien 1975, S. 293–294. Seel, Andrea u. a., Innovation durch ein neues Lehrerdienstrecht  ? Eine Evaluationsstudie zur Implementierung des LDG 2001, in  : Heinrich, Martin u. Greiner, Ulrike (Hg.), Schauen, was ’rauskommt, Wien 2006, S. 95–111. Specht, Werner (Hg.), Nationaler Bildungsbericht. Österreich 2009, Graz 2009.

Interviews Interview 1 mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser. Interview 2 mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser. Interview 3 mit Werner Specht am 15.10.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser. Interview 4 mit Andreas Paschon am 12.7.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser.

Anmerkungen 1 Interview 1 mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser, seit 1979 außerordentlicher Universitätsprofessor, seit 1997 Universitätsprofessor für Pädagogik an der Universität Salzburg, seit 2004 in Ruhestand, Mitglied der ersten beiden Vorstände der ÖFEB und koordinierender Herausgeber des »ÖFEB-Newsletters«. Interview 2 mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser, Professor für Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Akademie der Erzdiözese Wien, seit 1995 deren Direktor, danach an der Pädagogischen Hochschule Wien, Vorsitzender der ÖFEB 2001–2003, Mitglied in den ÖFEB-Vorständen 1999, 2001 und 2003. Interview 3 mit Werner Specht am 15.10.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser, Bildungsforscher am Zentrum für Schulversuche und -entwicklung (später BIFIE) in Graz, seit 2001 Honorarprofessor an der Universität Salzburg, Mitglied in den ÖFEB-Vorständen 2005, 2007 und 2009. Interview 4 mit Andreas Paschon am 12.7.2016, Aufzeichnung im Besitz der Verfasser, seit 1999 Universitätsassistent an Universität Salzburg, Vorsitzender der Sektion »Elementarpädagogik«, die am 27.4.2012 als jüngste Sektion der ÖFEB gegründet wurde. 2 Franz Loidl, Art. Milde Vinzenz Eduard, in  : Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, in  : Österreichische Akademie der Wissenschaften (Hg.), Bd. 6, Wien 1975, S. 293–294. 3 Die folgenden Informationen sind den Webseiten der jeweiligen wissenschaftlichen Gesellschaften entnommen. 4 Die Teilnahme an diesen Tagungen war in vielen Fällen fast die einzige Möglichkeit für österreichische Forscher und Forscherinnen, einander zu treffen und sich über ihre Arbeit auszutauschen. 5 Vgl. dazu die Darstellung der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie  : Vereinsgeschichte, unter  : http://www.oegp.net/de/gesellschaft/vereinsgeschichte, aufgerufen am 14.12.2016. 6 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd.

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Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB)

10 Ebd. Der Vollständigkeit halber ist zu ergänzen, dass die ÖPG eine Zeitlang versuchte, Tochtergesellschaften in den Bundesländern einzurichten, eine Initiative, die allerdings nach kurzer Zeit wieder eingestellt wurde. 11 Ebd., S. 2. 12 Marian Heitger (1927–2012), Professor für Theoretische und Systematische Pädagogik an der Universität Wien (1966–1995) 13 Peter Posch (geb. 1937), Professor für Lehrplanforschung an der Universität Klagenfurt. 14 Richard Olechowski (geb. 1936), Professor der Erziehungswissenschaft an den Universitäten Salzburg (1972–1977) und Wien (1977–2004). 15 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 16 Ebd., S. 2 f. 17 Österreichische Pädagogische Zeitschrift, deren 1. Jahrgang 1851 erschienen ist. 18 Interview mit Werner Specht am 15.10.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 19 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 20 Vgl. Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 21 Protokoll über die Gründungsversammlung der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungsbereich (ÖFEB), 31.3.2000, S. 1. Dokument im Besitz der Verfasser. 22 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 23 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 9. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 24 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 25 Interview mit Andreas Paschon 12.7.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 26 Ebd., S. 1. 27 Ebd., S. 2. 28 Ebd., S. 3. 29 Ebd. 30 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 6. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 31 Ebd., S. 5. 32 Ebd. 33 Ebd., S. 7. 34 Helmut Fend, Die Wirksamkeit der Neuen Steuerung – theoretische und methodische Probleme ihrer Evaluation, in  : Zeitschrift für Bildungsforschung, Jg. 1, H. 1, 2011, S. 5–24. 35 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 9. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 36 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 37 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 4. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Ebd. 41 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 1. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 42 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 6. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 43 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 44 Ebd., S.  3 f.; Interview mit Andreas Paschon am 12.7.2016, Transkript, S.  2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 45 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 5 f. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 46 Ebd., S. 6. 47 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 4. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 48 Ebd. 49 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 7. Aufnahme im Besitz der Verfasser.

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Herbert Altrichter/Ferdinand Eder

50 Ebd. 51 Interview mit Werner Specht am 15.10.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 52 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 53 Ebd. 54 Die erste Vertretung der »Emerging Researchers« im Vorstand der ÖFEB erfolgte durch Susanne Schwab (damals Universität Graz, nun Professorin an der Universität Wuppertal) und David Kemethofer (damals Universität Linz, nun Researcher am BIFIE). 55 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 56 Werner Specht (Hg.), Nationaler Bildungsbericht. Österreich 2009, Graz 2009. 57 Ferdinand Eder u. a. (Hg.), Evaluation der Neuen Mittelschule (NMS). Befunde aus den Anfangskohorten, Graz 2015. 58 Interview mit Werner Specht am 15.10.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 59 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 60 Interview mit Werner Specht am 15.10.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 61 Interview mit Alfred Kowarsch am 19.12.2016, Transkript, S. 3. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 62 Wolfgang Brezinka, Pädagogik in Österreich. Die Geschichte des Fachs an den Universitäten vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Bd. 3  : Pädagogik in den Universitäten Czernowitz, Salzburg und Linz, Wien 2008, S. 508 ff. 63 Interview mit Josef Thonhauser am 14.12.2016, Transkript, S. 2. Aufnahme im Besitz der Verfasser. 64 Ebd. 65 Z. B. Andrea Seel u. a., Innovation durch ein neues Lehrerdienstrecht  ? Eine Evaluationsstudie zur Implementierung des LDG 2001, in  : Martin Heinrich u. Ulrike Greiner (Hg.), Schauen, was ’rauskommt, Wien 2006, S. 95–111  ; Herbert Altrichter u. Johannes Mayr, Forschung in der Lehrerbildung, in  : Sigrid Blömeke u. a. (Hg.), Handbuch Lehrerbildung, Bad Heilbrunn 2004, S. 164–184  ; Martin Heinrich u. Ulrike Greiner (Hg.), Schauen, was ’rauskommt. Kompetenzförderung, Evaluation und Systemsteuerung im Bildungswesen, Wien 2006.

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Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Herbert Altrichter ist seit 1996 Universitätsprofessor für Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der JKU und leitet seit 2016 die Linz School of Education. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Untersuchung von Prozessen der Schulgestaltung und -reformen auf den Ebenen der Einzelschule und der Systemgovernance. Von 2000 bis 2001 war er Gründungsvorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB). Brigitte Aulenbacher ist seit 2008 Universitätsprofessorin für Soziologische Theorie und Sozialanalyse (unter Berücksichtigung der Gender-Dimension) und Leiterin der Abteilung für Theoretische Soziologie und Sozialanalysen am Institut für Soziologie der JKU. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Gesellschaftstheorie, Arbeits-, Care- und Geschlechterforschung. Roland Atzmüller arbeitet seit 2011 am Institut für Soziologie in der Abteilung für Theoretische Soziologie und Sozialanalysen der JKU. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Kapitalismustheorie, Sozialpolitik sowie Arbeitsforschung. Johann Bacher ist seit 2004 Universitätsprofessor für Soziologie und Empirische Sozialforschung an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Methoden der empirischen Sozialforschung, in der Ungleichheits- und Bildungsforschung sowie in der Soziologie des abweichenden Verhaltens. Peter Bauer ist JKU-Absolvent, unterrichtet Informatik an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Leonding, ist Lektor an der Fachhochschule Oberösterreich (Campus Wels) für Programmieren und arbeitet als Software Consultant. Von 1991 bis 2001 war er am Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg und anschließend in der Softwareindustrie beschäftigt. Siegfried Bauer ist seit 1997 Universitätsprofessor für Experimentalphysik und seit 2002 Leiter der Abteilung Physik weicher Materie an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in hochflexibler und sogar dehnbarer Elektronik, aber auch bei künstlichen Muskeln und regenerativer Energienutzung.

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Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Martina Beham-Rabanser ist seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie/Abteilung für Empirische Sozialforschung der JKU. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Kindheits- und Familienforschung. Andreas Binder promovierte 1991 und ist seit 1996 Geschäftsführer der MathConsult GmbH, die mathematische Lösungen für die Industrie und für das Risikomanagement von Finanzinstrumenten entwickelt. Er ist Autor von drei Fachbüchern zu Themen der Finanzmathematik und vertritt aktuell Österreich im Research and Innovation Committee des European Consortium for Mathematics in Industry (ECMI). Kristina Binner ist seit 2009 Universitätsassistentin am Institut für Soziologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Allgemeinen Frauen- und Geschlechterforschung, der Kritischen Gesellschaftsanalyse, der Wissenschafts- und Hochschulforschung sowie in den Bereichen Transnationalisierung und Migration. Ulrich Bodenhofer ist JKU-Absolvent und forscht und lehrt seit 2006 als assoziierter Professor am Institut für Bioinformatik der JKU. Sein Hauptforschungsgebiet sind maschinelle Lernverfahren in der Bioinformatik. Zuvor war er am Software Competence Center Hagenberg (zuletzt als dessen wissenschaftlicher Leiter) tätig. Von 1994 bis 2000 hat er am Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg im Bereich industrielle Qualitätskontrolle gearbeitet. Johann K. Brunner ist seit 1995 Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre und Leiter der Abteilung für Finanzwissenschaft an der JKU. Von 2003 bis 2007 war er Dekan der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in der Ökonomie des öffentlichen Sektors, vor allem in der Steuertheorie und in der Sozialpolitik. Bruno Buchberger ist pensionierter Universitätsprofessor für Computer-Mathematik und Senior Fellow am Research Institute for Symbolic Computation (RISC) der JKU. Er hat u. a. das »Journal of Symbolic Computation«, das Institut RISC, die RISC GmbH, das International RISC PhD Program, den Softwarepark Hagenberg und die FH-Fakultät für Informatik in Hagenberg gegründet. Irene Dyk-Ploss war 1966 »Studentin der ersten Stunde« in Linz und wurde 1981 als erste Frau an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der JKU habilitiert. Bis 2009 war sie Universitätsprofessorin am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik und befasste sich (u. a. auch als Politikerin) besonders mit sozialen Rand- und Problemgruppen. 418

Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Ferdinand Eder, jetzt im Ruhestand, war Universitätsprofessor für Pädagogik und Leiter des Fachbereichs Erziehungswissenschaft an der Universität Salzburg. Bis 2003 war er an der JKU tätig und von 2003 bis 2009 Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen (ÖFEB). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Schul- und Bildungsforschung sowie in der Erforschung allgemeiner Interessen. Heinz W. Engl war Gründungsprofessor (1988) und Vorstand des Instituts für Industriemathematik an der JKU. Er leitete das Christian-Doppler-Labor für Mathematische Modellierung und Numerische Simulation, das Kompetenzzentrum Industriemathematik und hat das Radon Institute for Computational and Applied Mathematics (RICAM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufgebaut und geleitet. Seit 2011 ist er Rektor der Universität Wien. Hanns Peter Euler war von 1982 bis 2009 Universitätsprofessor für Wirtschaftssoziologie. Zu seinen Tätigkeiten zählen quantitative und qualitative Forschungsarbeiten aus den Bereichen der Industrie- und Betriebssoziologie sowie der Arbeitsund Organisationssoziologie (überwiegend in Kooperation mit industriellen und gewerblichen Anwendungspartnern). Herbert Exner ist JKU-Absolvent und war von 1993 bis 2014 Eigentümer und Geschäftsführer der Uni Software Plus GmbH, deren Geschäftszweck die Transformation ausgewählter Forschungsergebnisse auf den Gebieten Computational Mathematics und Machine Learning in industrielle Innovation ist. 2014 gründete er die Exner GmbH mit dem Geschäftszweck Innovationsberatung. Karin Fischer ist seit 2009 Mitarbeiterin der Abteilung Politik und Entwicklungsforschung des Instituts für Soziologie der JKU und seit 2013 ihre interimistische Leiterin. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Nord-Süd-Beziehungen, globale Warenketten und Entwicklungstheorien. Friedrich Fürstenberg ist seit 1995 Emeritus für Soziologie der Rheinischen Fried­ rich-Wilhelms-Universität Bonn. Zuvor war er von 1963 bis 1966 Professor für Kulturwissenschaften und Soziologie an der TU Clausthal, von 1966 bis 1981 Universitätsprofessor für Soziologie an der JKU und von 1981 bis 1986 an der Ruhr-­Universität Bochum. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Wirtschaftssoziologie (insbesondere Arbeits-, Organisations- und Industriesoziologie) sowie Sozialstrukturforschung.

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Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Joachim Gerich ist assoziierter Professor am Institut für Soziologie/Abteilung für empirische Sozialforschung der JKU. Seine Arbeitsschwerpunkte konzentrieren sich auf die sozialwissenschaftliche Gesundheits- und Methodenforschung. Marcus Gräser ist seit 2011 Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der JKU. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der nordamerikanischen und zentraleuropäischen Geschichte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, auch in vergleichender Perspektive. Lutz Jürgen Heinrich war von 1970 bis 2004 Universitätsprofessor an der JKU. Bis 1985 lehrte er Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Fertigungswirtschaft und Betriebliche Datenverarbeitung bzw. Betriebs- und Verwaltungsinformatik, dann ausschließlich Wirtschaftsinformatik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Methoden und Techniken zur Planung, Analyse und Entwicklung von Informationssystemen, Informationsmanagement, Fachsprache, Forschungsmethoden und Theorie der Wirtschaftsinformatik. Christian Holzner ist seit 2009 Universitätsprofessor und Leiter der Abteilung für Allgemeine Zivilrechtsdogmatik des Instituts für Zivilrecht der JKU sowie seit 2014 auch Vorstand des Instituts für Zivilrecht. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sachen-, Familien-, Erb- und Bereicherungsrecht sowie angrenzende Bereiche des Zwangsvollstreckungsrechts. Hans Irschik ist seit 1991 Universitätsprofessor für Technische Mechanik an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den mechanischen Grundlagen der Mechatronik. Er beschäftigt sich u. a. mit der Entwicklung computergestützter Methoden und mit der effizienten Lösung von Mehrfeldproblemen. Michael John ist Historiker und Kulturwissenschaftler. Er lehrt und forscht seit 1986 am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der JKU (seit 2001 als außerordentlicher Universitätsprofessor). Seine Forschungsschwerpunkte sind städtische Sozialgeschichte, Populärkultur, Migration und Vertreibung sowie der Nationalsozialismus (insbesondere »Arisierung«, Restitution und Zwangsarbeit). Brigitte Kepplinger begann ihre Tätigkeit an der JKU 1980 am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte und ist gegenwärtig am Institut für Gesellschaftsund Sozialpolitik tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Politische Systeme, nationalsozialistische Gesellschaftspolitik und Geschichte der Sozialpolitik. Sie ist Obfrau des Vereins Schloss Hartheim, der Trägerinstitution des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim. 420

Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Ferdinand Kerschner war Universitätsprofessor und Vorstand der Institute für Zivilrecht und Umweltrecht der JKU. Seit 2016 ist er Visiting Professor an der KarlsUniversität Prag. Seine Arbeitsschwerpunkte bilden neben dem Umweltrecht u. a. das Familienrecht, das Bereicherungs- und Schadenersatzrecht sowie die Methodenlehre. Erich Peter Klement arbeitete von 1970 bis 2014 an der JKU, zuletzt als Vorstand des Instituts für Wissensbasierte Mathematische Systeme (zeitweise auch als Vorsitzender des Senats und als Dekan der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät), und 2014/15 als Leiter des Softwareparks Hagenberg. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Fuzzy Logic mit Anwendungen innerhalb der Mathematik und in der Industrie. Helmut Konrad war von 1972 bis 1984 Assistent am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der JKU, 1982/83 Vertretungsprofessor in Innsbruck und von 1984 bis 2016 Universitätsprofessor für Allgemeine Zeitgeschichte an der Universität Graz sowie von 1993 bis 1997 auch deren Rektor (zuvor mehrfach Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät). Sein Werk umfasst u. a. 50 Bücher und Editionen sowie 260 größere wissenschaftliche Beiträge. Torben Krings arbeitet seit 2010 als Universitätsassistent mit Doktorat, Assistenzprofessor und mittlerweile als assoziierter Professor an der Abteilung für Wirtschaftsund Organisationssoziologie der JKU. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich von Arbeit und Beschäftigung, Migration und Mobilität, Sozialpolitik und Europa. Barbara Leitl-Staudinger ist seit 2005 Universitätsprofessorin für Öffentliches Recht an der JKU und seit 2007 Vorständin des Instituts für Multimediales Öffentliches Recht. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Öffentlichen Wirtschaftsrecht sowie im Allgemeinen Verwaltungsrecht. Seit 2011 ist sie Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes. Michael Mayrhofer ist seit 2011 stellvertretender Vorstand des Instituts für Multimediales Öffentliches Recht, Leiter der Abteilung für Technikrecht am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre und seit 2014 Universitätsprofessor für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Europäischen Öffentlichen Recht, im Technikrecht sowie im Medizinrecht. Markus Mittendorfer-Holzer ist JKU-Absolvent und arbeitete von 1997 bis 2000 am Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg an verschiedenen Projekten zur Anwendung von Bildverarbeitung und Fuzzy Logic mit. Ab 2000 war er am Software Com421

Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

petence Center Hagenberg angestellt. Seit 2004 ist er als Softwareentwickler in der Privatwirtschaft beschäftigt. Werner G. Müller ist seit 2006 Universitätsprofessor für Angewandte Statistik an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Versuchsplanung und räumlichen Statistik. Er ist derzeit Präsident der Österreichischen Statistischen Gesellschaft (ÖSG) und Herausgeber der »Statistical Papers«. Karin Neuwirth ist seit 1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Legal Gender Studies (bis 2010 Institut für Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte), seit 2003 stellvertretende Institutsvorständin, aktuell auch Vorsitzende der Schiedskommission der JKU. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschlechtergeschichte sowie des Familien- und Antidiskriminierungsrechts. Susanne Pernicka ist seit 2010 Abteilungsleiterin und Universitätsprofessorin für Wirtschafts- und Organisationssoziologie an der JKU. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in der Arbeitssoziologie, den Arbeitsbeziehungen im internationalen Vergleich sowie der Europäisierung nationaler Gesellschaften. Robert Pollak ist JKU-Absolvent und war von 1998 bis 2008 in der Privatwirtschaft im Bereich mathematischer Softwareentwicklung tätig. Seither setzt er am Fuzzy ­Logic Laboratorium Linz-Hagenberg in einer Reihe von Industrieprojekten seine Erfahrungen in den Bereichen Bildverarbeitung und Machine Learning in praxis­ taugliche Softwaresysteme um. Nach den letzten großen Erweiterungen von PapaGeno ist er auch für dessen weitere Betreuung verantwortlich. Gustav Pomberger lehrt seit 1987 Algorithmen und Datenstrukturen, Grundlagen und ausgewählte Gebiete des Software Engineering und Requirements Engineering an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte sind Methoden und Techniken zur Analyse, Bewertung und Konstruktion von Softwaresystemen, zur Rationalisierung der Entwicklung und zur Qualitätssteigerung von Softwareprodukten, Augmented und Virtual Reality, Location und Context Based Services. Ursula Rami ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungs- und Lehrbetrieb am Institut für Soziologie der JKU. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Fehlermanagement, Vertrauen in Organisation und Industrielle Beziehungen. Edeltraud Ranftl ist Vertragsassistentin am Institut für Soziologie der JKU/Abteilung für Wirtschaftssoziologie und Organisationsforschung. Ihre Lehr- und Forschungs422

Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

schwerpunkte sind Arbeits- und Industriesoziologie, Organisationssoziologie, soziologische Geschlechterforschung sowie Gleichstellungspolitik in theoretischer und praktischer Perspektive. Robert Rebhahn war von 1976 bis 1984 am Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der JKU als Universitätsassistent tätig, hat dort 1984 habilitiert und ist seit 2003 Universitätsprofessor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Sein Arbeitsgebiet umfasst neben dem Arbeits- und Sozialrecht (einschließlich der Rechtsvergleichung zum Arbeitsrecht) auch Themen des Zivilrechts, des Unionsrechts und des Wirtschaftsrechts. Andreas Reichl studierte Wirtschaftswissenschaften (Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre) und Sozialwirtschaft an der JKU. Seit 2015 ist er im Rahmen von »JKU 50« am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte angestellt, vorher war er Projektmitarbeiter am Forschungsinstitut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft. Roland Richter ist JKU-Absolvent und arbeitete von 1998 bis 2015 an der JKU, zunächst als wissenschaftlicher Assistent am Fuzzy Logic Laboratorium Linz-Hagenberg, ab 2006 auch als stellvertretender Leiter des Instituts für Wissensbasierte Mathematische Systeme. Seit 2015 unterrichtet er Mathematik und Informatik am Khevenhüller Gymnasium Linz. Andreas Riedler ist Universitätsprofessor für Zivilrecht, Vorstand des Instituts für Multimediale Linzer Rechtsstudien, Leiter der Abteilung für Multimediales Zivilrecht, stellvertretender Vorstand des Instituts für Zivilrecht, Leiter der Abteilung für Europäisches Privatrecht und Versicherungsrecht sowie Vorstandsmitglied des Instituts für Versicherungswirtschaft. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Zivil-, Versicherungs- und Europarecht. Niyazi Serdar Sariciftci studierte Physik an der Uni Wien. Nach Aufenthalten in Stuttgart und Santa Barbara übernahm er 1996 die Professur für Physikalische Chemie an der JKU und gründete hier das Linzer Institut für organische Solarzellen (LIOS). 2012 erhielt er den Wittgenstein-Preis für seine Forschungen im Bereich der organischen Halbleiter. Desgleichen ist er Gründungsmitglied des Linzer Kreises. Rudolf Scheidl ist seit 1990 Universitätsprofessor für Maschinenbau an der JKU. Er leitet das Institut für Maschinenlehre und hydraulische Antriebstechnik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die hydrostatische Antriebstechnik, Konzepte, Komponenten und spezielle Strömungsphänomene der Digitalhydraulik. 423

Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen

Helmut Waldl ist seit 1989 am Institut für Angewandte Statistik der JKU tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der räumlichen Statistik und Signalverarbeitung. Maria Wirth studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Wien und ist seit 1998 als Historikerin tätig, derzeit im Rahmen von »JKU 50« am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der JKU. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Umgang mit der NS-Vergangenheit, Demokratie-, Rechts- und Wissenschaftsgeschichte sowie Biographieforschung. Gerhard A. Wührer ist seit 1994 Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für Handel, Absatz und Marketing an der JKU. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in internationalem Marketing, Marketingtheorie und Wissenschaftsgeschichte, Marketingmethoden und Marketingforschung.

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Personenregister Achenwall, Gottfried 107 Achrol, Ravi S. 92 Adam, Adolf 108–111, 113, 348–350, 352 f., 360 Adler, Friedrich 125 Adler, Max 23 Adler, Viktor 23 Aicher, Josef 141 Alderson, Wroe 90 f. Althans, Jürgen 87 Altmann, Maria 143 Altrichter, Herbert 398 f., 410, 412 Amrhein, Wolfgang 251, 256 Anderle, Reinhard 318 Andruchowitz, Ingo 333 Apathy, Peter 139 f., 142, 144, 146 f. Apel, Linde 314 Ardelt, Rudolf 123–126, 129, 203, 338 Aristoteles 284 Artmann, Eveline 157 Aulenbacher, Brigitte 335 Bach, Hans 21 f., 25–27, 309, 317 Bachmann, Helmut 399 Bacon, Francis 327 Baer, Susanne 185 Bagozzi, Richard 91 Bahlo, Siegfried 66 Bauer, Günther 92 Bauer, Ingrid 123 Bauer, Otto 23 Bauer, Siegfried 14, 285, 287 Bauerreiss, Wolfgang 305–307, 309 Baumert, Jürgen 404 Baumgartner, Werner 258 f. Bayer, Berghold 256 Becker-Schmidt, Regina 336 Belyaev, Alexander 251 Beran, Helmut 111 Bergmann, Christian 399 Bergthaler, Wilhelm 202 Berndt, Richard 307, 315 Bidlingmaier, Johannes 85, 87 Bielesch, Peter 94 Binder, Bruno 200, 309, 313, 316, 318

Binder, Elisabeth 341 Black, Fischer 233 f. Blackwell, Roger D. 91 Blaschke, Sabine 336 Bodzenta, Erich 24, 311 Bormann, Günther 66 Bornemann, Ernst 318 Borodajkewycz, Taras 301 Botz, Gerhard27, 118, 121–125, 129, 304, 308, 311, 317 Bourdieu, Pierre 331, 335 Bremer, Hartmut 256, 258 Broda, Christian 26 Bruckmann, Gerhart 108–110 Brunner, Johann K. 51 Buchberger, Bruno 221, 229, 268, 275, 377, 380 Buckwar, Evelyn 112 Bunzl, John 123, 128 Burghardt, Anton 23 f. Burgholzer, Peter 358 Burgstaller, Ernst 122 Bydlinski, Franz 138, 142, 144 Bydlinski, Michael 147 Cerny, Josef 157 Cherington, Paul 90 Columbus, Christoph 295 Connell, Raewyn 335 Cormack, Allan 228 Cyba, Eva 336 Czycholl, Reinhard 412 Dalla Costa, Marierosa 328 Danneberg, Robert 23 De Beauvoir, Simone 318 De Fermats, Pierre 107 Deixler-Hübner, Astrid 333 Del Re, Luigi 256 f. Derflinger, Gerhard 110 f., 305 f. Dichter, Ernest 91 Dichtl, Erwin 87 Dixon, Donald F. 90 Dobusch, Franz 201, 312 Dohnal, Johanna 183, 329

425

Personenregister

Dollfuß, Engelbert 23 Donnenberg, Othmar 67 Duller, Christine 112 Dullinger, Silvia 143 f., 146 f. Dyk-Ploss, Irene 26–30, 34–37, 304, 314 Eder, Ferdinand 398 f., 401, 412 Eder, Manfred 304–307 Eder, Wolfgang 95 Edlinger, Herbert 124 Eichbauer, Peter 313 Eichmann, Adolf 307 f. Einstein, Albert 289 Eisenbach-Stangl, Irmgard 336 Ely, Richard T. 89 Engel, James F. 91 Engl, Heinz W. 225, 229, 255, 376, 386 Eudoxus 221 Euler, Hanns Peter 63, 335 Falk, Gottfried 284 Fend, Helmut 404 Feyerer, Ewald 399 Firnberg, Hertha 110, 118, 305, 333 Fischer, Heinz 183 Fisk, George 90 Flanner, Karl 128 Fleck, Christian 308, 317 Fleisch, Elgar 285 Flicker, Eva 339 Floretta, Hans 153, 155–157 Floßmann, Ursula 179, 183, 186, 189, 332 Fo, Dario 328 Frangi, Abdallah 313 Friedl, Edith 304, 310, 317 f. Friedl, Othmar 306 f. Fröhler, Ludwig 21, 166, 300 f. Frühwirth-Schnatter, Sylvia 111 Funder, Maria 336 Funk, Bernd-Christian 201 Fürstenberg, Friedrich 63, 70, 316 Futschik, Andreas 111 Gadenne, Volker 357 Geist, Reinhard 154, 157 Gelbard, Arye 128 Gencoglu, Gülin 93 Gerhard, Reimund 286 f.

426

Geroldinger, Andreas 146 Giddens, Anthony 64 Gittler, Philipp 256 Gödel, Kurt 378 Gottsbacher, Alfred 92 Gräser, Marcus 192 Greiner, Ulrike 413 Griese, Joachim 358 Grillberger, Konrad 138, 145, 153 f., 156 Gröbner, Wolfgang 379 Grochla, Erwin 348 f., 351–353 Gronau, Heinz 66 Gronau, Renate 66 Gutenberg, Erich 86 Haas, Kuno 313 Hacker, Hanna 336 Hackl, Peter 111 f. Hadamard, Jacques 228 Hafner, Robert 111 f. Hager, Gerhard 400 Hanisch, Ernst 128, 313 Hanke, Walter 34 Hansen, Hans Robert 354 f. Hanusch, Ferdinand 23 Hartmann, Bernhard 351, 353, 359 Hartmann, Eduard 26 Hauch, Gabriella 124–126, 333, 338, 341 Hauer, Andreas 202 Hautmann, Hans 118, 121–125, 308 Heeger, Alan J. 293 Heinrich, Helmut 317 Heinrich, Lutz J. 348, 351, 355, 358, 366 Heinrich, Walter 26 Heitger, Marian 397 Helmke, Andreas 410 Hengstschläger, Johannes 309, 312 Herber, Hans-Jörg 413 Hergüvenc, Selcuk 313, 316 Herrmann, Friedrich 284 Hobsbawm, Eric 121 Hochfilzer, Hermann 275 Hofbauer, Johanna 336 Hoffelner, Johann 260 Hoffmann, Alfred 124 Hohenwarter, Markus 382 Holzer, Willibald 128 Holzhammer, Richard 309

Personenregister

Holzner, Christian 143, 146 Hopmann, Stefan 408 Horner, Monika 122 Hörschgen, Hans 87 Hounsfield, Godfrey 228 Howard, John A. 91 Huemer, Mario 258 Innreiter-Moser, Cäcilia 333 Irschik, Hans 250 f., 253, 256, 258 Jabornegg, Peter 137 f., 140, 145 f., 151, 153 f., 156–161 Jakoby, Bernhard 256, 259 Janko, Andreas 202, 211 Janko, Siegbert 301 Janota, Renate 303, 307 Janssen-Jurreit, Marielouise 318 Jarosch, Monika 336 Jebelean, Tudor 380 John, Michael 124–127 Jonas, Franz 300 Jones, Edward David 89 Kain, Franz 299 Kalb, Herbert 203 Kaltenbrunner, Ernst 307 Kannonier, Reinhard 123–126 Karollus, Martin 146 Kaser, Max 139 Kepler, Johannes 331, 341 Kepler, Katharina 341 Kepplinger, Brigitte 29 f., 34–36 Kern, Horst 67 Kerschner, Ferdinand 140, 142 f., 145–147 Klecatsky, Hans 142 Kleinaltenkamp, Michael 94 Klement, Erich Peter 256 f., 375 f. Kleps, Karlheinz 55 Klose, Alfred 24 Knapp, Hans 110, 249, 309, 317 Knipp, Margit 307, 314, 332 Knoll, August Maria 23 Köck, Heribert 201 Köck, Peter 68 Kodré, Petra 337 Konrad, Helmut 122–126, 129, 308, 311, 316 Korinek, Karl 141, 168

Kosiol, Erich 351 f. Kotler, Philip 90–92 Kowarsch, Alfred 399 f., 405 f., 408 f., 411 Koziol, Helmut 351 f. Krainer, Konrad 399 Kraus, Herbert 350 Kreisky, Bruno 117, 127, 307, 310 f., 313 Kreisky, Eva 334 Kreisler, Felix 121 Kreller, Hans 137 Kriechbaum, Dietmar 201 Krippner, Gunther 245 Kropf, Rudolf 118, 121–125, 127 Kropfberger, Dietrich 93 Krösslhuber, Renate 122 Kukacka, Helmut 306 Kulhavy, Ernest 87, 249, 316, 352 Kurbel, Karl 355 Kuthan, Hedwig 315 Kuthan, Peter 307 f., 310, 315 Kutsia, Temur 380 Kutzenberger, Ewald 111 Landesmann, Michael 50 Langthaler, Ernst 129 Łaski, Kazimierz 50 f., 55, 119, 307 f. Lehner, Oskar 183 Leibetseder, Bettina 30 Leichter, Käthe 23 Leihs, Helmut 93 Leitl, Christoph 314 Leitl-Staudinger, Barbara 214 Lerch, Reinhard 251, 258 Lichtblau, Albert 124 Lichtenecker, Ruperta 341 Liebig, Brigitte 336 Loidl, Friedrich 94 Loitlsberger, Erich 351 Löw, Raimund 123, 126, 128 Luhmann, Niklas 168 f. Lukas, Meinhard 140, 142, 144, 146, 203 Lütgendorf, Karl 306 f. Maderthaner, Wolfgang 128 Maimann, Helene 123, 126 Malinsky, Adolf H. 27, 29 Mätzke, Margitta 30, 37 Mayer, Heinz 169

427

Personenregister

Mayer, Klaus 67 Mayr, Johannes 398 f., 404, 413 McCarthy, Jerome 90 Meffert, Heribert 85, 87 Meinhart, Marianne 139 f., 327 Meissner, Hans Günther 87 Mellerowicz, Konrad 351–353 Merchav, Peretz 128 Mertens, Peter 353, 355, 358, 364 Merton, Robert C. 233 Messner, Johannes 23 Meulenbelt, Anja Henriëtte 318 Miklas, Helene 408 Milde, Vinzenz Eduard 396 Milly, Anneliese 112 Miniard, Paul W. 91 Mitterauer, Michael 124 Miu, Denis K. 246 Mori, Tetsuro 246 Moringer, Wolfgang 307, 315, 318 Moser, Josef 124 Mühlbacher, Hans 93 Müller, Andreas 258 f. Müller, Florian 401 Müller, Werner 111 Müller-Merbach, Heiner 40 Munschi, Indra 336 Naderhirn, Johanna 154, 157 Neugebauer, Wolfgang 118, 129 Nieschlag, Robert 87 Nigsch, Otto 335 Nixon, Richard 309 f. Nowotny, Ewald 56, 119, 122, 311 Nowotny, Ingrid 311 Oberndorfer, Peter 166, 168–172, 174, 312 Olechowski, Richard 397 Oosterlee, Cornelius W. 236 Otruba, Gustav 118, 122–124, 126 f. Palandt, Otto 141 Pammer, Michael 125 Pascal, Blaise 107 Paseka, Angelika 410 Patry, Jean-Luc 399, 403 Paule, Peter 380, 382 Pearson, Karl 108

428

Pelinka, Anton 128 Pelinka, Peter 126, 128 Perner, Stefan 144, 147 Pernthaler, Peter 169 Pfeisinger, Gerhard 124 Pirker, Stefan 258 f. Pittermann, Bruno 308 Pluta, Renate 309 Pollak, Michael 307 Pomberger, Gustav 348, 366, 375 f. Posch, Peter 397 Postl, Günther 92 Potuschak, Heinrich 112 Praschak, Gerhard 308 Preumont, André 246 Prexl-Krauss, Ulrike 399 Pruckner, Gerald 57 Pühringer, Josef 139, 201 Putschögl, Gerhard 332 Quatember, Andreas 112 Radon, Johann 228 Rami, Ursula 73 Ramlau, Ronny 236 Ranftl, Edeltraud 73, 331, 341 Raschauer, Bernhard 169, 199, 201 f. Ratzenböck, Josef 33, 375 Rauch, Franz 399 f. Rebhahn, Robert 138, 145, 153, 156 Rehor, Grete 300 Reichl, Ernst Rudolf 352 Reinermann, Heinrich 354 Reinthaller, Anton 26 Reischauer, Rudolf 137, 138 f., 141 f., 145, 147, 156, 201 Reitsamer, Rosa 336 Resch, Reinhard 153 f., 156 f., 160 Riedler, Andreas 143, 146, 147, 208 Riese, Hajo 55 Roiss, Gerhard 95 Roithmayr, Friedrich 93, 358 Rolletschek, Heinrich 380 Roth, Marianne 333 Rothschild, Kurt 14, 50 f., 55 f., 119, 301, 305–309, 311 Rotter, Manfred 309 Rummel, Peter 138–147, 309

Personenregister

Ruppel, Wolfgang 284 f. Sailer, Hansjörg 143 f. Salcher, Herbert 313 Sandgruber, Roman 124–126 Sariciftci, Niyazi Serdar 14, 289, 293 f. Schableger, Karl 112 Schachl, Hans 413 Schagerl, Martin 256, 258 Schambeck, Herbert 309 Scharf, Erwin 308 Scharinger, Ludwig 315 f. Scharmann, Theodor 21 Schatz, Gerald 257 Schauer, Gabriele 337 Schauer, Herbert 94 Schauer, Johann 122 Scheer, August-Wilhelm 357, 359 Scheidl, Rudolf 250 f., 256–258 Schelling, Hans-Jörg 94 Schicho, Josef 380 Schindler, Hansgeorg 259 Schlacher, Kurt 251, 256–258 Schlögl, Peter 408 Schmidlechner, Karin 128 Schneider, Carsten 380 Schneider, Friedrich 51, 57, 376 Schneiderbauer, Simon 258 Scholes, Myron S. 233 Schöndorfer, Ulrich 397 Schratz, Michael 399, 409 Schreiner, Wolfgang 380 Schulev-Steindl, Eva 202 Schulz, Arno 351 f. Schumann, Michael 67 Schuster, Evelyn 29 Schuster, Helmut 55 Seckauer, Hansjörg 30 Seel, Andrea 399, 401 Seifert, Karl Heinz 412 Sepehr, Philipp 87 Seyyed-Hashemi, Seyfollah 316 f. Sheth, Jagdish 91, 94 Simon, Hermann 94 Sixtl, Friedrich 110–112 Skau, Greta 307, 315 Spann, Othmar 23, 26 Specht, Werner 397, 409–411

Spielbüchler, Karl 136–141, 143, 145–147, 153–156, 158–160 Springer, Andreas 256, 258 f. Stabentheiner, Johannes 144 Stadler, Karl R. 14, 21 f., 24–28, 118–127, 308, 311, 316, 332 Stadler, Regina 118 Stahlknecht, Peter 357 Stangl, Franz 308 Staudinger, Ilse 93 Steinbrugger, Helmut 67 Steindl, Renate 122 Steiner, Herbert 117 f. Steiner, Peter 94 Stelzer, Andreas 258 f. Stelzer-Orthofer, Christine 29 f., 333 Stiegler, Harald 92 Stockinger, Josef 313 Stöger, Harald 30 Strasser, Rudolf 139–139, 141 f., 145–147, 151–160, 300–302, 305, 312, 365 Stürmer, Gerhard 93 Sucharipa, Ernst 309 Takacs, Roland 249 Tasler, Eckhard 318 Taylor, Frederick W. 89 f. Thales von Milet 221 Thim, Hartwig 251, 256 Thonhauser, Josef 396–400, 403–405 Thurner, Erika 124 Tichy, Gunther 51 Timp, Otto 396 Treibel, Annette 336 Troch, Harald 128 Trojan, Nikolaus 307 Trost, Barbara 154, 157 Trost, Volker 66 f. Twain, Mark 286 Uhl, Heidemarie 128 Ulrich, Silvia 185 Utz, Peter 315 van Eck, Nees Jan 96 Vaskocics, Laszlo 311 Vespucci, Amerigo 295 Volst, Angelika 330

429

Personenregister

von Nell-Breuning, Oswald 23 Vorbach, Herbert 307 Voslensky, Michael S. 123 Wacker, Hansjörg 222 f., 376 Wagner, Adolf 123 Wagner, Erika 146 f., 199, 201 Wagner, Helga 112 Wagner, Roland 375 f. Wagner, Sigurd 286 Waid, Margit 340 Waldl, Helmut 112 Walser, Harald 128 Waltman, Ludo 96 Wandruszka, Adam 129 Weber, Max 69 Wedekind, Hartmut 356 f. Wegscheider, Angela 30 Wegscheider, Herbert 201 Weichselbaumer, Doris 338 Weidenholzer, Josef 24, 27–29, 32 f., 35, 37, 119, 122 f., 126, 129, 301, 307–309, 316, 321 Weigel, Robert 256 Weinhold-Stünzi, Heinz 85 Weinzierl, Erika 123, 125 Weiss, Alexandra 336 Weiß, Peter 111 f., 247–252, 258, 387 Weiß, Rainer 201 Weixlbaumer, Günther 34

430

Welser, Rudolf 141 Westkämper, Engelbert 255 Wetterer, Angelika 336 Weyl, Hermann 272 Widder, Helmut 309 Wieser, Ilsedore 399 Wiesinger, Udo 118 Wietheger, Stephan 94 Wilhelm, Marianne 399 Windsteiger, Wolfgang 380 Winkelgrund, Reinhard 87 Winkler, Franz 380 Winkler, Roland 92 Winkler, Wilhelm 107 f. Winter-Ebmer, Rudolf 51, 57 Wögerer, Hermann 93 Wohlgenannt, Rudolf 308 f., 312, 356 f. Wojda, Franz 68 Wolfram, Herwig 124 Wössner, Jakobus 21 Zadeh, Lotfi A. 268 Zagar, Bernhard 256 f. Zapotoczky, Klaus 309, 311 Zeilinger, Anton 389 Zeman, Klaus 256, 259 Zendron, Silvia 333 Zimmermann, Susan 124 Zweig, Stefan 317

MARIA WIRTH, ANDREAS REICHL, MARCUS GRÄSER

50 JAHRE JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ EINE »HOCHSCHULE NEUEN STILS«

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