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German Pages [344] Year 2006
Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben
Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 168
Vandenhoeck & Ruprecht
Benedikt Strobel
»Dieses« und »So etwas« Zur ontologischen Klassifikation platonischer Formen
Vandenhoeck & Ruprecht
Verantwortliche Herausgeberin: Dorothea Frede
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 10: 3-525-25266-8 ISBN 13: 978-3-525-25266-6 Hypomnemata ISSN 0085-1671
© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Umschlagkonzept: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg Druck und Bindung: c Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort ......................................................................................................... 9 1. Einführung ............................................................................................ 13 1.1 1.2 1.3 1.4
1.5 1.6
Präliminarien .............................................................................. 13 Selbstprädikation: das Problem in der modernen Literatur über Platons Formen .................................................................. 18 Selbstprädikation: kein Problem für Aristoteles ........................ 32 Dieses oder So etwas? Oder Dieses und So etwas? Zur Abgrenzung verschiedener Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen bei Platon .......................................................... 43 Übersicht über die verschiedenen Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen in den Dialogen .................................. 47 Anhang zu Kategorien 1b10-15................................................. 48
2. Formen als Gegenstände des Typs So etwas: Zwei Untersuchungen zu den Aussagen über Formen im Sophistes und dem in ihnen vorausgesetzten Gegenstandsstatus der Formen................................... 57 2.1 Erste Untersuchung: »Bewegung ruht« und andere Aussagen über die Form der Bewegung im Sophistes......................... 58 2.1.1 Einleitung................................................................... 58 2.1.2 Zur Deutung des Satzes »Bewegung ruht«................ 65 2.1.3 Zur Deutung der übrigen Sätze erster Ordnung und der Sätze zweiter Ordnung.................................. 81 2.2 Zweite Untersuchung: Zur Unterscheidung der Klassen des Seienden und der entsprechenden Aussage-Klassen in Sophistes 255c12f........................................................................... 89 2.2.1 Einleitung................................................................... 89 2.2.2 Zu Fragen des sprachlichen Verständnisses der Zeilen Sophistes 255c12f. und d1 .............................. 92 2.2.3 Drei mögliche Rekonstruktionen des Arguments für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen.......................................................... 104
6
Inhalt
2.2.4
2.2.5
In Sätzen welcher Form wird nach Auffassung des Eleatischen Gasts ein Gegenstand als ein Seiendes charakterisiert?............................................... 107 Folgerungen für die Deutung der Einteilung des Seienden in Sophistes 255c12f. ............................... 123
3. Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses: Drei Untersuchungen zu Phaidon 74b6-c6 und zum Argument für die Existenz von Formen aus den Relativa in Peri ideon ................... 133 3.1 Erste Untersuchung: Der Abschnitt Phaidon 74b6-c6 im Kontext von Phaidon 73c1-75c7 ............................................. 137 3.1.1 Einleitung................................................................. 137 3.1.2 Phaidon 73c1-d1: eine notwendige und eine hinreichende Bedingung für Anamnesis....................... 140 3.1.3 Der Gebrauch beider Bedingungen in Phaidon 74a9-75c7................................................................. 163 3.2 Zweite Untersuchung: Die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände ...................... 169 3.2.1 Einleitung................................................................. 169 3.2.2 Phaidon 74b6-c6: Text und Übersetzung ................ 173 3.2.3 Das Gleiche selbst als Gegenstand des Typs So etwas: Zur Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« in Phaidon 74c1 .............................................. 179 3.2.4 Zur Form des Arguments für die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge........................................................................ 190 3.2.5 Der χωρισμός des Gleichen selbst........................... 198 3.2.6 Anhang: Aristoteles über die platonische Trennung (χωρισμός) der Gegenstände des Typs So etwas ........................................................................ 202 3.3
Dritte Untersuchung: Zwei Lücken im Text des Arguments für die Existenz von Formen aus den Relativa ........................ 211 3.3.1 Einleitung................................................................. 211 3.3.2 Drei sprachliche Beobachtungen zu 83.6f. .............. 215 3.3.3 Zur Bedeutung und argumentativen Funktion des Satzes in 83.6f.......................................................... 218 3.3.4 Bemerkungen zu 83.12-14 ....................................... 237
4. Formen als Gegenstände des Typs Dieses: Eine Untersuchung zum Gegenstandsstatus der Form des Lebewesens und der Formen der Elemente im Timaios .......................................................................... 243
Inhalt
4.1 4.2 4.3
4.4 4.5 4.6
7
Einleitung ................................................................................. 243 Was wir im Timaios über die Form des Lebewesens und die Formen der Elemente erfahren................................................. 250 Ein Versuch, die These von der Ähnlichkeit zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen zu erklären, und sein Scheitern ............................................................. 269 Die Naturen der Formen der Elemente und der Form des Lebewesens .............................................................................. 274 Formen, Zahlen und erste Prinzipien ....................................... 307 Anhang: Ein Vorschlag zur syntaktischen Konstruktion von Timaios 49d3-7......................................................................... 311
Schlußwort ................................................................................................ 317 Literatur..................................................................................................... 321 Verzeichnis logischer Symbole und technischer Ausdrücke .................... 331 Stellenverzeichnis ..................................................................................... 333
Vorwort
Zur Absicht der Arbeit Unter den abstrakten Gegenständen, deren Existenz und Identitätskriterien in der Moderne diskutiert werden, weisen Eigenschaften und Begriffe die engste Verwandtschaft mit den Formen bei Platon auf. So verwundert es nicht, daß in bezug auf platonische Formen oft von »Eigenschaften« oder »Begriffen« die Rede ist. Diese Redeweise macht freilich Schwierigkeiten. So umstritten die Kriterien der Identität von Eigenschaften und Begriffen auch sind, so klar ist es, daß wir auf Eigenschaften mit singulären Termen der Form »Die Eigenschaft, F zu sein« und auf Begriffe mit singulären Termen der Form »Der Begriff, F zu sein« Bezug nehmen können. Ersetzen wir nun die Subjekt-Ausdrücke der deutschen Übersetzungen von Sätzen bei Platon, die Aussagen über Formen auszudrücken scheinen, durch singuläre Terme dieser Form, so erhalten wir zuweilen Sätze, über deren Äußerung man, wörtlich verstanden, nur den Kopf schütteln kann, z. B. im Falle der sog. selbstprädikativen Sätze. Es hat in den letzten Jahrzehnten nicht an Versuchen gefehlt, den Anschein der Wunderlichkeit dieser Sätze durch gezielte Umdeutung sei es ihrer Subjekt-Terme, sei es ihrer Prädikat-Terme zu beseitigen. Diese Versuche haben den Widerspruch der Interpreten hervorgerufen, die darauf beharren, daß mit den Subjekt-Ausdrücken der umstrittenen Sätze auf Formen Bezug genommen werde und die PrädikatAusdrücke konventionell gebraucht würden, und die sich die Sätze mit der Annahme verständlich zu machen suchen, daß die Formen nicht (nur) Eigenschaften (oder Begriffe), sondern (auch) ausgezeichnete Eigenschaftsträger (oder Begriffserfüller) seien. Aus Gründen, die ich in der Einführung (1.) darlegen werde, scheinen mir beide Ansätze zur Erklärung des Aussagegehalts der umstrittenen Sätze verfehlt zu sein. Die Sätze scheinen mir vielmehr im Lichte der Auffassung zu sehen zu sein, daß sowohl Prädikat-Terme (wie »ein Mensch« in »Kallias ist ein Mensch«) als auch die entsprechenden Subjekt-Terme von Sätzen, die in normalsprachlicher Verwendung allgemeine Urteile ausdrücken (wie »Der Mensch« in »Der Mensch ist ein Lebewesen«), etwas bezeichnen und die Formen die Designate bzw. Denotate solcher Ausdrücke sind. Laut dieser Auffassung bezeichnet z. B. der Ausdruck »ein Mensch« in »Kallias ist ein Mensch« dasselbe wie »Der Mensch« in »Der Mensch ist ein Lebe-
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Vorwort
wesen«, und es wird in dem Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« als ein Lebewesen dasjenige charakterisiert, als was Kallias in dem Satz »Kallias ist ein Mensch« charakterisiert wird. Zur Erklärung der Gegenständlichkeit, die platonischen Formen als Designaten von Prädikat-Termen wie »ein Mensch« und verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken wie »Der Mensch« zuzuschreiben ist, greife ich auf Aristoteles’ Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas zurück, derzufolge z. B. die Ausdrükke »ein Mensch« und »Der Mensch« kein Dieses einer Art (τόδε τι), sondern so etwas (τοιόνδε) bezeichnen, als was Einzeldinge mit dem Term »ein Mensch« charakterisiert werden. Der Rückgriff auf diese Unterscheidung versieht uns einerseits mit einem besseren Verständnis der umstrittenen Sätze bei Platon: wir können z. B. den Satz »Das Schöne selbst ist schön« als Ausdruck einer Aussage über so etwas, Schönes, verstehen, als das Einzeldinge mit dem Term »schön« charakterisiert werden, und brauchen weder in Abrede zu stellen, daß der Subjekt-Term »Das Schöne selbst« zur Bezugnahme auf etwas verwendet wird, noch zu leugnen, daß der Prädikat-Term »schön« auf konventionelle Weise verwendet wird, noch auch anzunehmen, daß Platon den Bezugsgegenstand des Subjekt-Terms von »Das Schöne selbst ist schön« als ausgezeichneten Träger der Eigenschaft, schön zu sein, betrachtet (jedenfalls brauchen wir dies nicht anzunehmen, um zu erklären, was mit dem Satz gesagt wird). Andererseits konfrontiert uns der Rückgriff auf die aristotelische Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas mit der Frage, ob es sich bei platonischen Formen durchweg, in sämtlichen Dialogen, um Gegenstände des Typs So etwas handelt. Aristoteles bestreitet dies bekanntlich, da er meint, platonische Formen seien Hybride von Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas. In der folgenden Arbeit soll gezeigt werden, daß Formen in den platonischen Dialogen zuweilen als Gegenstände des Typs So etwas, zuweilen als Hybride von Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas und zuweilen als Gegenstände des Typs Dieses zu betrachten sind.
Zur Anlage der Arbeit Im einführenden Kapitel (1.) unterscheide ich entsprechend zwischen drei Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen in den platonischen Dialogen. Die drei weiteren Kapitel der Arbeit sind jeweils einer dieser Konzeptionen A, B und C gewidmet, und zwar so, daß sie Untersuchungen zu einzelnen Dialogstellen und -partien enthalten, an denen die Konzeption
Vorwort
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m. E. besonders deutlich herausgearbeitet werden kann. Dabei habe ich auf zwei Dinge besonderen Wert gelegt: erstens die genaue sprachliche Analyse der Ausdrücke, mit denen auf die Formen Bezug genommen wird und mit denen sie beschrieben werden, und zweitens die Rekonstruktion des argumentativen Zusammenhangs, in dem die jeweils besprochenen Stellen stehen. Keine der Stellen sollte nur dazu gebraucht (oder mißbraucht) werden, die Formkonzeption zu illustrieren, an deren Aufweis mir gelegen war; jede sollte so sorgfältig interpretiert werden, daß sich die Interpretationen auch ohne die Einbindung in den durch die Unterscheidung der drei Formkonzeptionen gestifteten thematischen Zusammenhang behaupten können. Das zweite Kapitel (2.) ist der Konzeption A – Formen als Gegenstände des Typs So etwas – gewidmet und umfaßt zwei Untersuchungen zu den Aussagen über Formen im Sophistes und dem in diesen Aussagen vorausgesetzten Gegenstandsstatus der Formen. Das dritte Kapitel (3.) ist der Konzeption B – Formen als Gegenstände des Typs So etwas und Gegenstände des Typs Dieses – gewidmet und umfaßt Untersuchungen zum Argument für die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände in Phaidon 74b6-c6 und zum Argument für die Existenz von Formen aus den Relativa, das auf die Phaidon-Stelle zurückgeht und dieselbe Konzeption des Gegenstandsstatus der Formen erkennen läßt. Das vierte Kapitel (4.) ist der Konzeption C – Formen als Gegenstände des Typs Dieses – gewidmet und besteht aus einer Studie zum Gegenstandsstatus der Form des Lebewesens und der Formen der Elemente im Timaios.
Zur Verwendung der Ausdrücke »Dieses« (»τόδε τι«) und »So etwas« (»τοιόνδε«) Die Verwendung von Schlagwort-Paaren birgt die Gefahr, daß sie zwar an verschiedene Leser verschiedene Signale aussenden, nur leider nicht die, die der Verfasser mit ihnen auszusenden beabsichtigt. Daher eine Vorbemerkung zu dem Kontrast, der mit der Paarung der Schlagwörter »Dieses« und »So etwas« angezeigt werden soll. Der Ausdruck »So etwas« ist ein Pronomen für gegebenenfalls mit unbestimmtem oder bestimmtem Artikel versehene Begriffswörter wie »Mensch«, »gut«, »groß«. Auch dann, wenn er nicht an der Prädikat-Stelle eines Satzes steht (wie in Sätzen der Form »x ist so etwas«), sondern die Subjekt-Stelle einnimmt (wie in Sätzen der Form »So etwas ist F«), fungiert er als Pronomen für ein – an der Subjekt-Stelle immer mit einem bestimmten oder unbestimmten Artikel versehenes – Begriffswort. Dies kann man z. B. daran sehen, daß man einen Satz der Form »So etwas ist F« sinnwahrend mit einem entsprechenden Satz der Form »Wenn etwas so etwas ist, ist
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Vorwort
es F« wiedergeben kann. »So etwas« dient dagegen nicht als Pronomen für singuläre Terme. Auch der Ausdruck »Dieses« kann als Pronomen für gegebenenfalls mit unbestimmtem oder bestimmtem Artikel versehene Begriffswörter verwendet werden (vgl. z. B. den Satz »Sokrates ist sowohl dieses als auch jenes«: »dieses« kann hier als Pronomen für »ein Mensch«, »jenes« als Pronomen für »ein Lebewesen« fungieren). Häufiger und gebräuchlicher ist aber seine Verwendung als deiktischer singulärer Term (vgl. z. B. den Satz »Dieses (hier) ist rot«). Und genau diese Verwendung als singulärer Term ist es, die für den Kontrast mit »So etwas« als Pronomen für Begriffswörter entscheidend ist. Der Kontrast, der mit dem Schlagwort-Paar »Dieses und So etwas« signalisiert werden soll, ist also der zwischen singulären Termen und Begriffswörtern. Ich habe bereits angedeutet, daß die Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas auf einem Verständnis von Begriffswörtern beruht, demzufolge diese wie die Terme der ersten Art etwas bezeichnen, jedoch Gegenstände eines anderen Typs als jene. Der Kontrast zwischen singulären Termen und Begriffswörtern stellt sich so als Kontrast zwischen Ausdrücken, die Gegenstände des Typs Dieses bezeichnen, und Ausdrücken, die Gegenstände des Typs So etwas bezeichnen, dar.
Danksagung Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die im Wintersemester 2005/6 von der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern angenommen worden ist. Für die Betreuung der Dissertation und die in vielfacher Weise gewährte Hilfe, Förderung und Ermunterung bin ich Herrn Prof. Dr. Andreas Graeser herzlich dankbar. Für die Übernahme des Zweitgutachtens danke ich Herrn PD Dr. Jan Szaif, dessen detaillierte Kritik zur Präzisierung und Korrektur verschiedener Punkte der Arbeit Anlaß gegeben hat. Frau Prof. Dr. Dorothea Frede und Frau Prof. Dr. Gisela Striker haben weitere Hinweise zur Verbesserung der Arbeit gegeben; dafür und für ihre Bereitschaft, die Arbeit zur Aufnahme in die Reihe Hypomnemata vorzuschlagen, gilt ihnen mein Dank. Für die finanzielle Unterstützung meines Magisterstudiums in den Jahren 1998-2003 und des anschließenden Promotionsstudiums in den Jahren 2003-2005 danke ich meinen Eltern und der Studienstiftung des deutschen Volkes.
1. Einführung
Dieses und So etwas: vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung für die Bestimmung des Gegenstandsstatus der Formen in den platonischen Dialogen1 1.1 Präliminarien Seit G. Vlastos in seinem 1954 veröffentlichten Aufsatz »The Third Man Argument in the Parmenides« eine der Prämissen des Dritten Menschen auf den Namen »Self-Predication Assumption« taufte und zu ihrer Erläuterung das Satzschema »F-ness is itself F« anführte,2 hat sich zumindest den philosophisch interessierten unter den Platon-Interpreten die Frage gestellt, ob die Konzeption der Formen in den platonischen Dialogen tatsächlich impliziert, daß jede Instanz dieses Satzschemas – und Vlastos meinte damit natürlich jeden Satz, dessen Subjekt-Stelle von einem Form-Namen und dessen Prädikat-Stelle von einem dem Form-Namen entsprechenden Prädikat-Ausdruck eingenommen wird3 – eine wahre Aussage ausdrückt. Angesichts der zahlreichen selbstprädikativ anmutenden Sätze in den Dialogen kann man sich schlecht des Eindrucks erwehren, daß Platons Formkonzeption genau diese Implikation hat. Andererseits scheint es so, als sei sie zur Absurdität verdammt, wenn sie sie hat. Denn unter den Ausdrükken, die für »F« an der Prädikat-Stelle des Satzes »F-ness is itself F« eingesetzt werden können, sind auch solche, die nur von konkreten Gegenständen erfüllt werden können, aber die durch Einsetzung desselben Ausdrucks gewonnene Instanz von »F-ness« scheint allemal ein abstrakter singulärer Term zu sein, mit dem eben nicht auf einen konkreten, sondern auf einen abstrakten Gegenstand Bezug genommen wird.
1 Der folgende Einführungstext ist aus Teilen meines Aufsatzes »Dieses und So etwas« hervorgegangen; für Bemerkungen dazu danke ich B. Lienemann. 2 Vgl. Vlastos, The Third Man Argument, S. 324. Vlastos scheint mit der Anführung dieses Satzschemas sagen zu wollen, daß die Selbstprädikationsannahme damit äquivalent ist, daß jede Instanz dieses Schemas eine wahre Aussage ausdrückt. 3 Insofern ist z. B. auch der deutsche Satz »Frömmigkeit ist fromm« eine Instanz des Satztyps »F-ness is itself F«.
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Einführung
Zur Lösung dieses Problems sind in der auf Vlastos’ Aufsatz folgenden Literatur zahlreiche Deutungen selbstprädikativer Sätze vorgeschlagen worden,4 doch ist in der ganzen Diskussion kaum ein Umstand zur Kenntnis genommen worden, der einem zu denken geben sollte, wenn man über die vermeintlichen oder realen Selbstprädikationen in den platonischen Dialogen stolpert – ich meine den Umstand, daß einer der frühesten und schärfsten Kritiker der platonischen Ideenlehre, Aristoteles, zwar vieles an den platonischen Formen auszusetzen hat und sich nicht scheut, Argumente von zweifelhaftem Wert gegen sie anzuführen, aber die Selbstprädikationsannahme – die ihm nicht entgangen ist, wie seine bei Alexander von Aphrodisias überlieferte Darstellung des Dritten Menschen in Peri ideon zeigt5 – widerstandslos passieren läßt. Wie ist dies zu erklären? Eine ausführliche Antwort auf diese Frage soll unten (1.3) gegeben werden. Im vorliegenden Abschnitt will ich mich auf einige kurze Bemerkungen beschränken, die zur Leitidee dieser Arbeit hinführen sollen, dem Versuch der Interpretation schwieriger Aussagen über Formen bei Platon im Lichte der aristotelischen Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas. Aristoteles sieht Platons Formen als (verunglückte6) Vorläufer von allgemein ausgesagten Gegenständen (καθόλου λεγόμενα) an, die er selbst als Subjekte wahrer Selbstprädikationen einstuft.7 Auf den ersten Blick scheint er damit von Platon lediglich eine Absurdität geerbt zu haben. Ein genauerer Blick auf seine Universalienkonzeption zeigt jedoch, daß sie zwar mit problematischen Annahmen und Konsequenzen, aber nicht mit einer offensichtlichen Absurdität belastet ist. Aristoteles konzipiert die besagten Gegenstände so, daß sie von einer gewissen Sorte sprachlicher Ausdrücke bezeichnet werden und von einer gewissen Sorte nicht.8 Nicht bezeichnet werden sie von singulären Termen, mit denen wir jeweils auf dieses oder jenes Individuum Bezug nehmen; bezeichnet werden sie von Prädikat-Termen wie »ἄνθρωπος« in »Καλλίας ἄνθρωπός ἐστιν« oder »ὅσιος« in »Καλλίας ὅσιός ἐστιν« und Substantiven wie »ὁ ἄνθρωπος« oder »τὸ ὅσιον«, die aus einem bestimmten Artikel und einem generellen Term zusammengesetzt sind und in Sätzen wie »ὁ 4 Ich werde sie unten (1.2.3) besprechen. 5 Vgl. in Metaph. 84.27-85.1. 6 Vgl. insbesondere Metaph. Μ9, 1086a32-b11. 7 Seine Haltung zur Selbstprädikation dieser Gegenstände ist zwar in den uns erhaltenen Schriften schlecht dokumentiert (vgl. Barnes, S. 83f.); doch werden wir sehen, daß seine Analyse von Sätzen, die hinsichtlich ihrer logischen Struktur eine Verwandtschaft mit selbstprädikativen Sätzen aufweisen, nahelegt, daß er letztere als Ausdrücke wahrer Selbstprädikationen von Universalien versteht. 8 Mit »bezeichnen« gebe ich »σημαίνειν« wieder; vgl. zur Begründung dieser Wiedergabe von »σημαίνειν« die Bemerkungen unten (1.3).
Dieses und So etwas – vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung
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ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« oder »τὸ ὅσιον θεοφιλές ἐστιν« verallgemeinernd verwendet werden (was man daran erkennen kann, daß der erste Satz mit »ὅτι ἂν ἄνθρωπος ᾖ, ζῷόν ἐστιν«, der zweite mit »ὅτι ἂν ὅσιον ᾖ, θεοφιλές ἐστιν« wiedergegeben werden kann;9 ich werde diese Ausdrücke im folgenden als »verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke der Form ›ὁ/ἡ/τὸ Φ‹« und die Sätze, in denen sie verwendet werden, als »implizit generelle Sätze« bezeichnen10). Genauer gesprochen, besagt Aristoteles’ Konzeption, daß ein gegebener Prädikat-Term »Φ« dasselbe bezeichnet wie ein entsprechender verallgemeinernd gebrauchter Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ«. Z. B. setzt er in der Kategorienschrift (1b10-15) voraus, daß der Prädikat-Term »ἄνθρωπος« in »Καλλίας ἄνθρωπός ἐστιν« für dasselbe steht wie der verallgemeinernd gebrauchte Ausdruck »ὁ ἄνθρωπος« in »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν«. Er bemerkt an dieser Stelle: Wenn etwas von etwas anderem als Zugrundeliegendem ausgesagt wird, so gilt, daß all das, was von dem Ausgesagten ausgesagt wird, auch von dem Zugrundeliegenden ausgesagt werden wird. Z. B. wird der Mensch vom einzelnen Menschen ausgesagt und das Lebewesen vom Menschen – folglich wird das Lebewesen auch vom einzelnen Menschen ausgesagt werden: denn der einzelne Mensch ist ein Mensch und ein Lebewesen.11
9 Vgl. Frege, Über Begriff und Gegenstand, S. 170-172. 10 Man beachte, daß abstrakte singuläre Terme im Normalfall (vgl. zu dieser Einschränkung die Bemerkung am Schluß der Fußnote) nicht verallgemeinernd gebraucht werden; z. B. hat der abstrakte singuläre Term »ἡ ὁσιότης« keine alltagssprachliche Verwendung, in der er im Sinne von »ὅτι ἂν ὅσιον ᾖ« gebraucht wird. Die wichtige Unterscheidung zwischen verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken des Typs »ὁ/ἡ/τὸ Φ« und bezugnehmend gebrauchten abstrakten singulären Termen trifft in der Platon-Literatur auch Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 121), der erstere als »generically abstract noun phrases« bzw. »generic abstracts« und letztere als »simple abstract nouns« bezeichnet. Zu beachten ist allerdings, daß die Unterscheidung zwischen beiden Arten von Ausdrücken nicht ausschließt, daß bestimmte Ausdrücke sowohl als verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke als auch als abstrakte singuläre Terme eingestuft werden können. Ich denke an griechische Ausdrücke der Form »τὸ Φ« (auf ihre doppelte Verwendung hat vor allem Mates, Identity and Predication in Plato, aufmerksam gemacht). Der Ausdruck »τὸ ὅσιον« z. B. kann als verallgemeinernd gebrauchter Term eingestuft werden, da er in Sätzen wie »τὸ ὅσιον θεοφιλές ἐστιν« (»Das Fromme ist gottgeliebt«) verallgemeinernd verwendet wird. Er kann andererseits als singulärer Term eingestuft werden, da er in Sätzen wie »τὸ ὅσιον τοῦτό ἐστιν, ᾧ πάντα τὰ ὅσια ὅσιά ἐστιν« (»Das Fromme ist das, wodurch alles Fromme fromm ist«) bezugnehmend verwendet wird. 11 »Ὅταν ἕτερον καθ’ ἑτέρου κατηγορῆται ὡς καθ’ ὑποκειμένου, ὅσα κατὰ τοῦ κατηγορουμένου λέγεται, πάντα καὶ κατὰ τοῦ ὑποκειμένου ῥηθήσεται· οἷον ἄνθρωπος κατὰ τοῦ τινὸς ἀνθρώπου κατηγορεῖται, τὸ δὲ ζῷον κατὰ τοῦ ἀνθρώπου· οὐκοῦν καὶ κατὰ τοῦ τινὸς ἀνθρώπου τὸ ζῷον κατηγορηθήσεται· ὁ γὰρ τὶς ἄνθρωπος καὶ ἄνθρωπός ἐστι καὶ ζῷον.« Eine eingehendere Besprechung der Stelle findet sich im Anhang zu dieser Einführung (1.6). Vgl. ferner Apr. Α25, 43a30-32: »τὰ δὲ (sc. τῶν ὄντων) καὶ αὐτὰ ἄλλων καὶ αὐτῶν ἕτερα (sc. κατηγορεῖται), οἷον ἄνθρωπος Καλλίου καὶ ἀνθρώπου ζῷον«.
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Einführung
Um hervorzuheben, daß Prädikat-Terme und verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« zwar jeweils etwas, aber kein individuelles Etwas (d. h. einen Gegenstand, auf den mit singulären Termen Bezug genommen werden kann) bezeichnen, sagt Aristoteles, daß sie nicht ein Dieses einer Art (τόδε τι), sondern so etwas (ποιόν τι, τοιόνδε) bezeichnen.12 Er macht sich mit dieser Redeweise den Umstand zunutze, daß die Ausdrücke »ποιόν τι« und »τοιόνδε« (»so etwas«) als Pronomina für PrädikatTerme und verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ«, jedoch nicht als Pronomina für singuläre Terme verwendet werden können. Im Anschluß an die aristotelische Redeweise werde ich im folgenden die Gegenstände, von denen Aristoteles annimmt, daß sie von Prädikat-Termen und verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« bezeichnet werden, »Gegenstände des Typs So etwas« nennen,13 die Designate singulärer Terme »Gegenstände des Typs Dieses«. Nun gehören zu den wahren Sätzen, deren Subjekt-Term ein verallgemeinernd gebrauchter Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« ist, auch Sätze, deren Prädikat-Stelle von dem generellen Term eingenommen wird, der in ihrem Subjekt-Ausdruck enthalten ist, z. B. »ὁ ἄνθρωπος ἄνθρωπός ἐστιν« oder »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν«. Diese trivial wahren Sätze sehen selbstprädikativen Sätzen bei Platon zum Verwechseln ähnlich, und man kann sich fragen, wie sie zu analysieren sind, wenn man Aristoteles’ oben zitierte Analyse von »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« auf sie anzuwenden sucht. Klar ist, daß sie unter Anwendung dieser Analyse nicht so zu verstehen sind, wie es die beiden in der modernen Literatur am weitesten verbreiteten Ansätze zur Interpretation selbstprädikativer Sätze wollen (vgl. dazu unten 1.2.3): weder entspricht es der aristotelischen Analyse, die Subjekt-Terme »ὁ ἄνθρωπος« und »τὸ ὅσιον« als abstrakte singuläre Terme zu verstehen und den Prädikat-Ausdrücken »ἄνθρωπος« und »ὅσιον« eine besondere Bedeutung zuzuschreiben, in der sie auch auf abstrakte Individuen zutreffen können, noch entspricht es ihr, die Sätze »ὁ ἄνθρωπος ἄνθρωπός ἐστιν« und »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν« als Ausdrücke quantifizierter Aussagen zu interpretieren, d. h. ihren Subjekt-Termen »ὁ ἄνθρωπος« und »τὸ ὅσιον« gar keine Bezugnahme zuzuschreiben. Vielmehr ist ein dritter Weg einzuschlagen, wenn man Aristoteles’ Analyse des Satzes »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« auf Sätze wie »ὁ ἄνθρωπος ἄνθρωπός ἐστιν« oder »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν« zu übertragen versucht. Dieser Weg besteht darin, den Subjekt-Termen Bezugnahme und den Prädikat-Termen ihre übliche Bedeutung zuzuschreiben, aber die Gegenstände, 12 Vgl. Cat. 3b13-18. 13 Im Englischen kann man bequemer von »suches« sprechen, vgl. Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, passim und Penner, The Ascent from Nominalism, S. 1.
Dieses und So etwas – vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung
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auf die mit den Subjekt-Termen Bezug genommen wird, als Gegenstände ganz besonderer Art zu bestimmen: nicht als (abstrakte) Individuen, sondern als Gegenstände, die ›sich wesentlich prädikativ auch da verhalten, wo etwas von ihnen ausgesagt wird‹,14 d. h. auch da, wo etwas von ihnen ausgesagt wird, durch Ausdrücke bezeichnet werden, die sinnvollerweise durch das Pronomen »τοιόνδε« vertreten werden können. Wie mit den beiden zuvor erwähnten Ansätzen wird mit dieser Deutung die Absurdität vermieden, die entsteht, wenn man die Terme »ὁ ἄνθρωπος« und »τὸ ὅσιον« in den Sätzen »ὁ ἄνθρωπος ἄνθρωπός ἐστιν« und »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν« jeweils auf ein abstraktes Individuum bezieht (z. B. den ersten auf die Eigenschaft des Menschseins und den zweiten auf die Eigenschaft des Frommseins) und den Prädikat-Termen »ἄνθρωπος« und »ὅσιον« zugleich die Bedeutung zuschreibt, in der sie üblicherweise verwendet werden. Im folgenden wird vorschlagen, diesen dritten Weg auch für die Deutung zumindest einiger selbstprädikativer Sätze bei Platon zu beschreiten. Es soll gezeigt werden, daß ihre Subjekt-Terme bezugnehmend und ihre PrädikatTerme in der Bedeutung gebraucht werden, in der sie normalerweise verwendet werden, ihre Subjekt-Terme aber nicht auf abstrakte Individuen, sondern Gegenstände des Typs So etwas zu beziehen sind. Dieser Vorschlag schließt ein, der in der modernen Literatur vorherrschenden Ansicht, platonische Formen seien Eigenschaften oder Begriffe,15 mit Skepsis zu begegnen; denn so unterschiedliche Antworten auf die Fragen, was Eigenschaften und Begriffe sind und wie sie sich voneinander unterscheiden, im Umlauf sind, so klar ist es, daß Eigenschaften und Begriffe abstrakte Individuen sind, d. h. Gegenstände, auf die wir mit abstrakten singulären Termen Bezug nehmen können.16
14 Ich spiele auf eine Formulierung Freges an: »der Begriff verhält sich wesentlich prädikativ auch da, wo etwas von ihm ausgesagt wird« (Über Begriff und Gegenstand, S. 174). 15 Zumindest ist es allgemeiner Gebrauch, von »Eigenschaften« oder »Begriffen« zu sprechen, wenn von Formen die Rede ist. Dabei hat die Rede von »Eigenschaften« ein deutliches Übergewicht; doch ist die Rede von »Begriffen« keineswegs aus der Literatur verschwunden (vgl. z. B. Ebert, Platon: Phaidon, passim). 16 Eine bedeutende Ausnahme stellt allerdings Freges Begriffskonzeption dar, die ausschließt, daß auf Begriffe mit Gegenstandsnamen (singulären Termen) Bezug genommen werden kann.
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Einführung
1.2 Selbstprädikation: das Problem in der modernen Literatur über Platons Formen 1.2.1 Was sind Selbstprädikationen? Die Erklärung dafür, daß in den vergangenen Jahrzehnten zu keiner anderen die platonische Formauffassung betreffenden Frage so viel geschrieben worden ist wie zum Problem der Selbstprädikation,17 ist einfach: Nimmt man an, daß Formen mit Eigenschaften (properties, attributes, characteristics) oder Begriffen (concepts) identisch seien – beide Identitätsannahmen sind in der modernen Platon-Literatur wie gesagt weitverbreitet –, so hat man zu urteilen, daß manche Selbstprädikationen wahr und manche (die meisten) falsch sind18 – nun sieht es aber so aus, als beurteile Platon dies anders: als halte er sämtliche Selbstprädikationen für wahr. Nicht ganz so leicht zu erklären ist hingegen, was mit dem Ausdruck »Selbstprädikation« genau gemeint ist. Wir kennen zwar nur zu gut jene berühmten Selbstprädikationen, die in den platonischen Dialogen explizit oder implizit – d. h. durch Zurückweisung von Aussagen, die die Negation einer Selbstprädikation einschließen – bejaht werden, z. B. die von den folgenden Sätzen ausgedrückten Selbstprädikationen: (1) (2) (3)
Das Schöne ist schön19 Die gleichen Dinge selbst sind gleich20 Bewegung ist bewegt.21
17 Vgl. zur Literatur Hägler, S. 22-45 und Malcolm, Plato on the Self-Predication of Forms, S. 64-124. 18 Wenn Formen Eigenschaften sind, so lassen sich Selbstprädikationen mit Sätzen der Form »Die Eigenschaft, F zu sein, ist F« ausdrücken. Nun liegt eine hinreichende Bedingung für die Wahrheit der von einem Satz der Form »Die Eigenschaft, F zu sein, ist F« ausgedrückten Selbstprädikation darin, daß ein entsprechender Satz der Form »∀x (x ist eine Eigenschaft → x ist F)« eine wahre Aussage ausdrückt. So drückt z. B. »Die Eigenschaft, eine Eigenschaft zu sein, ist eine Eigenschaft« eine wahre Selbstprädikation aus. Eine hinreichende Bedingung für die Falschheit der von einem Satz der Form »Die Eigenschaft, F zu sein, ist F« ausgedrückten Selbstprädikation besteht darin, daß ein entsprechender Satz vom Schema »∀x (x ist F → x ist ein konkreter Gegenstand)« eine wahre Aussage ausdrückt; denn es gilt: »∀x (x ist eine Eigenschaft → ¬x ist ein konkreter Gegenstand)«. Demnach drückt z. B. der Satz »Die Eigenschaft, ein konkreter Gegenstand zu sein, ist ein konkreter Gegenstand« eine falsche Selbstprädikation aus. 19 Vgl. folgende Dialog-Stellen: Euthd. 301b5f.: »οὐ τὸ καλὸν καλόν ἐστιν [...];« Hp.ma. 291d1-5: »ΙΠ. ζητεῖν γάρ μοι δοκεῖς τοιοῦτόν τι τὸ καλὸν ἀποκρίνασθαι, ὃ μηδέποτε αἰσχρὸν μηδαμοῦ μηδενὶ φανεῖται. ΣΩ. Πάνυ μὲν οὖν, ὦ Ἱππία· καὶ καλῶς γε νῦν ὑπολαμβάνεις.« Hp.ma. 292e6f.: »ΣΩ. [...] ἀεὶ γάρ που τό γε καλὸν καλόν.« Phd. 100c4-6: »φαίνεται γάρ μοι, εἴ τί ἐστιν ἄλλο καλὸν πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν, οὐδὲ δι’ ἓν ἄλλο καλὸν εἶναι ἢ διότι μετέχει ἐκείνου τοῦ καλοῦ· καὶ πάντα δὴ οὕτως λέγω.« Smp. 210e4-211a5: »[...] κατόψεταί τι
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Aber als Platon-Leser sind wir auch damit vertraut, daß es eines ist, Dinge, die unter einen bestimmten Term fallen, benennen zu können, und etwas anderes, erklären zu können, was es bedeutet, unter diesen Term zu fallen. Um zu erklären, was Selbstprädikationen sind, kann man von der Frage ausgehen, ob die durch ihre Buchstabierung individuierten Sätze (1) – (3) oder die Propositionen, die sie ausdrücken, als »Selbstprädikationen« zu bezeichnen sind. Da wir mit der Aussage, daß der Satz (1) dieselbe Selbstprädikation wie der griechische Satz »τὸ καλὸν καλόν ἐστιν« ausdrückt, etwas Zutreffendes sagen und es sich bei dem, was beide Sätze ausdrücken, um Propositionen handelt, scheinen nicht die Sätze (1) – (3), sondern die von ihnen ausgedrückten Propositionen als »Selbstprädikationen« zu bezeichnen zu sein. Ohne Zweifel können wir auch Sätze als »Selbstprädikationen« bezeichnen, aber diese Redeweise scheint ähnlich zu verstehen zu sein wie die von »wahren Sätzen«, d. h. so, daß wir vermittels des Bezugs auf Sätze auf das Bezug nehmen, was sie ausdrücken.22 Zur Vermeidung von Mißverständnissen sollen im folgenden Propositionen und Aussagen als »Selbstprädikationen« und Sätze, deren Aussagegehalt eine Selbstprädikation ist, als »selbstprädikative Sätze« bezeichnet werden. Wenn wir nun fragen, welche Art von Aussagen Selbstprädikationen sind, so genügt es nicht, sie dadurch zu definieren, daß man einen bestimmten Satz herausgreift, über den sich alle einig sind, daß er eine Selbstprädikation ausdrückt, aus ihm durch Ersetzung der Buchstabenfolge, die zugleich an der Prädikat-Stelle des Satzes und in seinem Subjekt-Term vorkommt, durch einen Platzhalter ein Satzschema gewinnt und festlegt, daß eine Proposition dann und nur dann eine Selbstprädikation ist, wenn sie sich mit einer Instanz dieses Satzschemas ausdrücken läßt. Es genügt z. B. nicht, aus (1), »Das Schöne ist schön«, durch Ersetzung der Buchstabenfolge »schön« durch den Platzhalter »F« das Satzschema »Das Fe ist F« zu gewinnen und festzulegen, daß eine Proposition genau dann eine Selbstprädikation ist, wenn sie von einem Satz ausgedrückt werden kann, der eine Einsetzungsinstanz dieses Satzschemas ist.23 Denn erstens ist es fraglich, ob z. B. die Proposition, die (2) ausdrückt, von einem Satz dieser Form ausge-
θαυμαστὸν τὴν φύσιν καλόν, [...] οὐ τῇ μὲν καλόν, τῇ δ’ αἰσχρόν, οὐδὲ τοτὲ μέν, τοτὲ δὲ οὔ, οὐδὲ πρὸς μὲν τὸ καλόν, πρὸς δὲ τὸ αἰσχρόν, οὐδ’ ἔνθα μὲν καλόν, ἔνθα δὲ αἰσχρόν, ὡς τισὶ μὲν ὂν καλόν, τισὶ δὲ αἰσχρόν.« Sph. 258b10-c1: »[...] ὥσπερ [...] τὸ καλὸν ἦν καλὸν [...]«. 20 Vgl. Phd. 74c1: »αὐτὰ τὰ ἴσα ἔστιν ὅτε ἄνισά σοι ἐφάνη;«. 21 Vgl. Sph. 252d9-11: »ΞΕ. Ἀλλὰ μὴν τοῦτό γέ που ταῖς μεγίσταις ἀνάγκαις ἀδύνατον, κίνησίν τε ἵστασθαι καὶ στάσιν κινεῖσθαι; ΘΕΑΙ. Πῶς γὰρ οὔ;«. 22 Vgl. Künne, Conceptions of Truth, S. 264f. 23 Vgl. Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 117: »[...] the term ›self-predication‹ is not meant to tell us what a sentence of the surface form ›the F is F‹ means, but only that the sentence has that surface form.«
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drückt werden kann.24 Und zweitens ließen sich dieser Definition gemäß auch Aussagen als »Selbstprädikationen« bezeichnen, die wir wohl lieber nicht so bezeichnen wollen, z. B. die Binsenweisheiten, die mit den in folgendem Kontext geäußerten Sätzen »Das Große ist groß« und »Das Kleine ist klein« ausgesprochen werden: Mit den Gedanken großer Denker verhält es sich so wie mit den Taten großer Menschen, sie übersteigen unser, der kleinen Leute, Fassungsvermögen. So ist das nun einmal – das Große ist groß, das Kleine ist klein.25
Die erste dieser beiden Schwierigkeiten läßt sich dadurch vermeiden, daß man in das Definiens disjunktiv weitere Satzschemata, z. B. »Die Fen Dinge selbst sind F«, aufnimmt und in bezug auf diese festlegt, daß eine Proposition genau dann eine Selbstprädikation ist, wenn es möglich ist, sie durch die Instanz zumindest eines dieser Schemata auszudrücken. Indessen bereitet die Auswahl der Satzschemata eine weitere Schwierigkeit, die sich gut an (2) und dem entsprechenden Satzschema illustrieren läßt. Man mag bestreiten, daß (2) ein selbstprädikativer Satz sei, dessen Schema für die Definition von Selbstprädikation relevant sei, und dies damit rechtfertigen, daß mit dem Subjekt-Ausdruck von (2) nicht auf eine Form – die Form des Gleichen –, sondern Gegenstände anderer Art (z. B. mathematische Gegenstände) Bezug genommen werde. Ungeachtet der Frage, ob diese These zutrifft oder nicht,26 macht sie als plausible Rechtfertigung der Weigerung, (2) als selbstprädikativen Satz anzuerkennen, klar, daß die Entscheidung dafür, (2) als Ausdruck einer Selbstprädikation einzustufen, die Annahme voraussetzt, mit dem Subjekt-Term von (2) werde auf eine Form Bezug genommen, die Form des Gleichen. Denn (2) ist keine Instanz der Satzschemata, die man üblicherweise zur Definition von Selbstprädikation heranzieht, und ob die Proposition, die (2) ausdrückt, durch eine dieser Instanzen ausgedrückt werden kann, ist wie gesagt zumindest fraglich. Wenn es uns gelingen soll, die für die Selbstprädikationsdefinition relevanten von den für die Definition nicht relevanten Sätzen und Satzschemata zu unterscheiden, scheinen wir also die Voraussetzung machen zu müssen, daß die Subjekt-Terme selbstprädikativer Sätze zur Bezugnahme auf Formen verwendet werden. Sind wir aber gezwungen, diese Voraussetzung zu machen, so können wir vom Versuch, Selbstprädikationen durch bestimmte Satzschemata zu definieren, gleich ganz absehen und sie stattdessen darüber 24 Vgl. dazu unten 3.2.3. 25 Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 118) hat keine Bedenken dagegen, den Halbvers »ὁ δ’ ἐσθλὸς ἐσθλός [...]« aus Euripides’ Hekabe (597) als »a case of self-predication« zu bezeichnen. Mir scheint diese Verwendung des Ausdrucks »self-predication« irreführend zu sein. 26 Vgl. dazu unten 3.2.3.
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zu bestimmen versuchen,27 was mit selbstprädikativen Sätzen ausgesagt wird bzw. wie ihre Subjekt- und Prädikat-Ausdrücke verwendet werden.28 Dabei ist natürlich die Bedingung, daß mit dem Subjekt-Term die Bezugnahme auf eine Form intendiert ist, nur notwendig, aber nicht hinreichend dafür, daß es sich bei dem Satz um einen selbstprädikativen Satz handelt. Auch der Prädikat-Term muß eine bestimmte Bedingung erfüllen, und erst wenn wir diese zu der den Subjekt-Term betreffenden Bedingung hinzufügen, erhalten wir mit der Konjunktion beider Bedingungen eine notwendige und hinreichende Bedingung für einen selbstprädikativen Satz. Wie der von Vlastos geprägte Ausdruck »Selbstprädikation«29 signalisiert, muß der Prädikat-Term in einem selbstprädikativen Satz so verwendet werden, daß er laut der Formkonzeption, die Formen als Designate von Prädikat-Termen konzipiert, für die Form steht, auf die mit dem SubjektTerm des Satzes Bezug genommen wird (in welcher Weise der PrädikatTerm eines Satzes laut dieser Formkonzeption für eine Form steht, wird uns im nächsten Abschnitt beschäftigen und kann hier vorerst offenbleiben30). Demzufolge ist z. B. der Satz »Das Schöne selbst ist häßlich« kein selbstprädikativer Satz, da zwar sein Subjekt-Term die Bedingung erfüllt, daß mit ihm auf eine Form, das Schöne selbst, Bezug genommen wird, doch der Prädikat-Term »häßlich« in ihm nicht so verwendet wird, daß er laut jener Formkonzeption für das Schöne selbst steht (ihr zufolge steht er vielmehr für das Häßliche selbst, wenn denn die Existenz einer solchen Form angenommen wird31). Auch der Satz »Das Schöne selbst ist das Schöne selbst« 27 Die folgenden Bemerkungen sollen den Versuch zur Erklärung des Ausdrucks »Selbstprädikation« in Strobel, Dieses und So etwas, 12f. ersetzen. 28 Einen solchen Ansatz scheint auch Vlastos im Sinn gehabt zu haben, als er den Ausdruck »Selbstprädikation« in die Diskussion einführte. Vgl. die erste seiner Paraphrasen der »SelfPredication Assumption«: »Any Form can be predicated of itself.« (The Third Man Argument, S. 324) Diese im Sinne von »Any Form can be truly predicated of itself« zu verstehende Formulierung impliziert, daß eine Selbstprädikation die Aussage einer Form von sich selbst ist, d. h. der Subjekt-Term eines selbstprädikativen Satzes für dieselbe Form steht wie der Prädikat-Term. In einem späteren Aufsatz (Plato’s »Third Man« Argument (Parm. 132A1-B2): Text and Logic, S. 351) bietet Vlastos eine andere Formulierung der Selbstprädikationsannahme: »The Form corresponding to a given character itself has that character«. Diese Formulierung impliziert nicht mehr, daß eine Selbstprädikation eine Aussage einer Form von sich selbst ist; sie impliziert dies nur zusammen mit den Annahmen, daß die Form, die einem gegebenen Charakteristikum (»character«) entspricht, mit diesem identisch ist und darin, daß die Form qua Charakteristikum sich selbst zugeschrieben wird, impliziert ist, daß sie von sich selbst ausgesagt wird. 29 Vgl. die vorhergehende Anmerkung. 30 Eines ist jedoch bereits hier festzustellen: Daß der Prädikat-Term eines gegebenen Satzes für eine bestimmte Form steht, impliziert der Konzeption zufolge nicht, daß der Satz einschließt, daß das Aussagesubjekt an dieser Form teilhat (vgl. hierzu unten 2.1.1). 31 Man könnte daran angesichts Prm. 130c5-d9 Zweifel haben, wo der junge Sokrates seine Schwierigkeiten mit der Annahme der Existenz von Formen wertloser Dinge bekennt; vgl. aber R. V, 476a4.
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ist nicht selbstprädikativ: der Prädikat-Term »ist das Schöne selbst« wird in ihm nicht so verwendet, daß er gemäß der Formkonzeption für das Schöne selbst steht (vielmehr steht er ihr zufolge für einen bestimmten Teil der Form der Identität32). Mit der Konjunktion dieser beiden den Subjekt-Term und den PrädikatTerm betreffenden notwendigen Bedingungen erhalten wir eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, daß ein singulär prädikativer Satz selbstprädikativ ist: mit seinem Subjekt-Term wird auf eine Form Bezug genommen, und sein Prädikat-Term wird so verwendet, daß er laut der Formkonzeption, die Formen als Designate von Prädikat-Termen konzipiert, für die Form steht, auf die mit dem Subjekt-Term des Satzes Bezug genommen wird. Selbstprädikationen können dann als Aussagen definiert werden, die von solchen singulär prädikativen Sätzen ausgedrückt werden. Nun scheint diese Definition von Selbstprädikation die Schwierigkeit zu haben, der Verwendung des Ausdrucks seitens der Interpreten, die ihn auf Aussagen ganz anderen Typs anwenden, welche ihrer Auffassung nach von Sätzen wie (1) – (3) ausgedrückt werden, nicht gerecht zu werden. Soll der Ausdruck im Sinne der Definition auf die von diesen Sätzen ausgedrückten Propositionen anwendbar sein, so setzt die Anwendung bereits eine bestimmte – und reichlich umstrittene – Deutung der Sätze voraus. Doch können wir den Term auf diese Propositionen nicht auch dann anwenden, wenn wir keine bestimmte Interpretation der Sätze haben?33 Dieser Einwand wäre freilich nur dann berechtigt, wenn der Term von den Exegeten, deren Deutung zufolge Sätze wie (1) – (3) keine Selbstprädikationen (sondern z. B. Identitätsaussagen) ausdrücken, tatsächlich auf die Propositionen, die sie Sätzen wie (1) – (3) zuordnen, angewandt werden würde. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Denn die besagten Exegeten sprechen oft gar nicht von »Selbstprädikation«, sondern von »sogenannter Selbstprädikation« oder versehen den Ausdruck »Selbstprädikation« mit Anführungszeichen, um sich von der – in ihren Augen unangemessenen – Charakterisierung der Sätze als selbstprädikativ zu distanzieren. Dort, wo sie mit Bezug auf Sätze wie (1) – (3) einfach von »Selbstprädikationen« sprechen, scheint mithin eine elliptische Redeweise vorzuliegen: was sie meinen, wird vollständig durch den Ausdruck »sogenannte Selbstprädikation« ausgedrückt. Ihre Verwendung des Ausdrucks »Selbstprädikation« spricht mithin eher für als gegen die hier vorgeschlagene Definition von Selbstprädikation. 32 Vgl. die »Zerstückelung« des Verschiedenen in μόρια (Sph. 257c7-258b7). 33 Diese Überlegung scheint es zu sein, die Malcolm (Plato on the Self-Predication of Forms, S. 1) dazu führt, Selbstprädikation lediglich durch bestimmte Satzschemata (nämlich »The F (itself) is F« und »F-ness (itself) is F«) zu definieren.
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Jedenfalls ist diese der oben erwogenen Definition durch Satzschemata vorzuziehen, da die in das Definiens aufzunehmenden Satzschemata nicht ohne Blick auf den vom Sprecher intendierten Bezug der SubjektAusdrücke ausgewählt werden können, d. h. der Versuch einer Definition mittels bestimmter Satzschemata bereits die Definition mittels des Aussagegehalts selbstprädikativer Sätze voraussetzt. Wenn ich im folgenden Sätze wie (1) – (3) als »selbstprädikative Sätze« und die von ihnen ausgedrückten Propositionen als »Selbstprädikationen« bezeichnen werde, so setzt diese Redeweise voraus, daß diese Sätze tatsächlich Selbstprädikationen ausdrücken. Diese Voraussetzung ist, wie bereits gesagt, kontrovers (vgl. 1.2.2) und wird erst unten (1.3 und 1.4) gerechtfertigt werden. Ich bitte den Leser, sich bis dahin zu gedulden und Verständnis für den antizipierenden Sprachgebrauch zu haben.
1.2.2 Was ist an selbstprädikativen Sätzen unter welchen Annahmen problematisch? Warum spielen nun selbstprädikative Sätze in der modernen PlatonExegese eine so große Rolle? Was findet man an ihnen so problematisch? Wie begegnet man dem Problem? Schließlich: Wie plausibel sind die Lösungsvorschläge? Die Frage, was man an den selbstprädikativen Sätzen problematisch findet, scheint mir, wie ich zu Beginn angedeutet habe, folgendermaßen zu beantworten zu sein: Wenn man sich fragt, um welche Art von Gegenständen es sich bei platonischen Formen handelt, so erhält man in der modernen Literatur immer wieder diese beiden Antworten: (i) (ii)
Platonische Formen sind Eigenschaften (properties, attributes, characteristics) Platonische Formen sind Begriffe (concepts).
Nun braucht man nur die Subjekt-Ausdrücke in (1) – (3) durch entsprechende Terme zu ersetzen, die den in (i) und (ii) behaupteten Gegenstandsstatus der Formen explizit machen, um zu sehen, daß den daraus resultierenden Sätzen, versteht man sie wörtlich, keineswegs die Evidenz eignet, die den mit (1) – (3) gemachten Aussagen in den Dialogen zugeschrieben wird: (E1) (E2) (E3)
Die Eigenschaft, schön zu sein, ist schön Die Eigenschaft, gleich zu sein, ist gleich Die Eigenschaft, bewegt zu sein, ist bewegt
24 (B1) (B2) (B3)
Einführung Der Begriff des Schönen ist schön Der Begriff des Gleichen ist gleich Der Begriff des Bewegten ist bewegt.
Versteht man (E1) – (E3) und (B1) – (B3) so, daß man eine konventionelle Verwendung der in den Sätzen enthaltenen Prädikat-Ausdrücke »schön«, »gleich« und »bewegt« annimmt (und damit unter Voraussetzung der Identität von Formen mit Eigenschaften bzw. Begriffen annimmt, daß (E1) – (E3) bzw. (B1) – (B3) Selbstprädikationen ausdrücken34), so wird man urteilen, daß die mit (E1) – (E3) und (B1) – (B3) gemachten Aussagen keineswegs evident wahr seien (auch wenn sie auf andere Weise wahr sein mögen), und man wird sich fragen, warum die Protagonisten der Dialoge den mit (1) – (3) gemachten Aussagen, die mit (E1) – (E3) und (B1) – (B3) expliziert werden sollen, Evidenz zuschreiben.
1.2.3 Vier Ansätze zur Lösung der Schwierigkeit und ihre Ausgestaltungen in der modernen Platon-Exegese Nun können aus der Tatsache, daß den mit (E1) – (E3) und (B1) – (B3) gemachten Aussagen bei einem wörtlichen Verständnis der Prädikat-Terme dieser Sätze keineswegs evidente Wahrheit eignet, obwohl den mit (1) – (3) gemachten Aussagen in den Dialogen genau diese zugeschrieben wird, verschiedene Konsequenzen gezogen und entsprechende Ansätze zur Interpretation von Sätzen wie (1) – (3) entwickelt werden. Der erste Ansatz legt die Annahme zugrunde, daß Sätze wie (1) – (3) Ausdrücke von Selbstprädikationen im oben definierten Sinne seien, und plädiert dafür, (i) und (ii) aufzugeben und die Formen als Gegenstände anderer Art zu betrachten, derart, daß verständlich wird, warum die Selbstprädikationen als evident wahr bewertet werden. Der zweite Ansatz stimmt mit dem ersten in der Annahme überein, daß Sätze wie (1) – (3) selbstprädikativ seien, unterscheidet sich von diesem jedoch durch die Bejahung von (i) oder (ii) und durch die These, daß die Formen Hybridcharakter haben, d. h. nicht nur als Eigenschaften oder Begriffe, sondern auch als Gegenstände anderer Art zu betrachten sind und ihr Status als Gegenstände dieser Art erklärt, daß die Selbstprädikationen als evident wahr bewertet werden. 34 Wenn z. B. der Prädikat-Term von (E1), »schön«, konventionell verwendet wird, so steht er laut der Theorie der Formen für die Form des Schönen. Da auf diese Form unter Voraussetzung der Identität von Formen mit Eigenschaften mit dem Subjekt-Term von (E1), »Die Eigenschaft, schön zu sein«, Bezug genommen wird, handelt es sich bei (E1) gemäß der oben vorgeschlagenen Definition selbstprädikativer Sätze um einen selbstprädikativen Satz und bei seinem Aussagegehalt um eine Selbstprädikation.
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Nach dem dritten und vierten Ansatz brauchen wir weder (i) bzw. (ii) aufzugeben noch die Hybridannahme zu machen. (Keiner der beiden Ansätze schließt jedoch (i) oder (ii) ein.) Vielmehr sei die Annahme, daß Sätze wie (1) – (3) selbstprädikativ seien, falsch. Dem dritten Ansatz zufolge wird zwar mit den Subjekt-Termen von Sätzen wie (1) – (3) auf Formen Bezug genommen, doch so, daß die PrädikatTerme auf nicht-konventionelle Weise verwendet werden und von daher verständlich ist, daß den Aussagen in den Dialogen Evidenz zugeschrieben wird. Die entsprechenden Sätze sind nicht selbstprädikativ, da ihr PrädikatTerm nicht so verwendet wird, daß er laut der Konzeption der Formen, die Formen als Designate von Prädikat-Termen bestimmt, für die Form steht, auf die mit dem Subjekt-Term Bezug genommen wird. Dem vierten Ansatz zufolge werden mit Sätzen wie (1) – (3) evident wahre Allaussagen, somit überhaupt keine Aussagen über bestimmte Formen gemacht. Sie verfehlen somit die Bedingung, daß mit den SubjektTermen selbstprädikativer Sätze auf Formen Bezug genommen wird, und sind daher keine selbstprädikativen Sätze. Wie werden nun die vier Ansätze in der modernen Platon-Exegese ausgestaltet, und wie sind diese Ausgestaltungen zu beurteilen? (Es versteht sich, daß man für verschiedene Dialoge verschiedene Ansätze wählen kann und bei der Beurteilung ihrer Ausgestaltungen zu berücksichtigen ist, auf welche Dialoge sie angewandt werden.) Der erste und der zweite Ansatz finden sich in der modernen PlatonExegese meist so ausgestaltet, daß behauptet wird, der Umstand, daß dem Aussagegehalt von Sätzen wie (1) – (3) evidente Wahrheit zugeschrieben werde, erkläre sich aus der Konzeption einer gegebenen Form als Standard35 oder »paradigm case«, d. h. als Gegenstand, der eine bestimmte Eigenschaft so besitzt, daß im Rekurs auf ihn beurteilt wird, ob andere, konkrete Gegenstände diese Eigenschaft besitzen, und der sie im Gegensatz zu den konkreten Dingen vorbildhaft – d. h. außerhalb eines bestimmten Zuschreibungskontexts und/oder in vollkommener Weise36 – exemplifiziert.37 Platon betrachte z. B. die Form des Schönen sei es ausschließlich (so die entsprechende Ausgestaltung des ersten Ansatzes38), sei es auch (so die 35 »Standard« ist hier so zu verstehen, wie man z. B. vom »Standard-Meter« spricht. Vgl. Geach und zur Diskussion von Geachs Vorschlag Hägler, S. 25-31. 36 Vgl. zur Erklärung des Ausdrucks »außerhalb eines bestimmten Zuschreibungskontexts und/oder in vollkommener Weise« Santas, Plato’s Idea of the Good, S. 362-368. 37 Vgl. zu dieser These insbesondere Heinaman, Self-Predication in Plato’s Middle Dialogues und Malcolm, Plato on the Self-Predication of Forms, S. 106-124 (beide mit Blick auf die mittleren Dialoge) sowie Heinaman, Self-Predication in the Sophist (mit Blick auf den Sophistes). 38 Vgl. Geach, S. 74: »The bed in my bedroom is to the Bed, not as a thing to an attribute or characteristic, but rather as a pound weight or yard measure in a shop to the standard pound or yard. (I owe this insight to discussion with Wittgenstein.)«.
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Einführung
entsprechende Ausgestaltung des zweiten Ansatzes39) als Muster für die übrigen schönen Dinge, das die Eigenschaft, schön zu sein, vorbildhaft exemplifiziere. Das Hauptproblem dieser beiden Deutungen ist unschwer zu sehen: sie weisen den Formen die Aufgabe zu, Eigenschaften vorbildhaft zu exemplifizieren, die nur von konkreten Gegenständen exemplifiziert werden können, und die Formen sind denkbar ungeeignete Kandidaten für diese Aufgabe, da es sich bei ihnen – soviel scheint sicher – nicht um konkrete Gegenstände handelt.40 Die Schwierigkeit läßt sich beispielsweise an dem Ausdruck verdeutlichen, dessen Verwendung mit am stärksten für die Deutung der Formen als Standards zu sprechen scheint:41 Wenn wir »αὐτὰ τὰ ἴσα« im Phaidon (74c1) auf mehrere vorbildhaft gleiche Gegenstände beziehen,42 so fragt sich, in welcher Hinsicht sie vorbildhaft gleich sind: Sind sie vorbildhaft gleich in der Länge oder in der Größe oder in der Schwere? Egal, für welche Hinsicht wir uns entscheiden, klar ist, daß uns die Entscheidung für eine der Hinsichten dazu zwingt, den vorbildhaft gleichen Gegenständen räumliche Ausdehnung zuzuschreiben – und sie damit zu konkreten Gegenständen zu machen. Neben dieser augenfälligen Schwierigkeit der beiden Deutungen, die Formen entweder ausschließlich oder zusätzlich zu vorbildhaften Eigenschaftsträgern erklären, will ich noch zwei weitere, weniger offenkundige Probleme erwähnen: (α) So wie man jemanden, der von etwas Schönem schwärmt, fragen kann »Von was für einer schönen Sache redest du?« (und vielleicht die Antwort erhält »Von einem schönen Auto«), kann man im Fall der vorbildhaft gleichen Dinge fragen: »Von was für vorbildhaft gleichen Dingen ist mit ›αὐτὰ τὰ ἴσα‹ die Rede?« Die beiden Deutungen haben nun die Schwierigkeit, daß sie keine befriedigende Antwort auf diese Frage liefern. αὐτὰ τὰ ἴσα sind offenbar keine gleich großen Steine, keine gleich langen Hölzer43 und überhaupt keine konkreten Gegenstände bestimmter Art. Vielmehr, möchte man meinen, handelt es sich um abstrakte Gegenstände bestimmter Art. Aber welcher Art? Die erste Deutung läßt uns hier mit einer brauchbaren Antwort sofort im Stich (die Formen sind ihr zufolge ja nichts als abstrakte Standards, und der Ausdruck »abstrakter Standard« 39 Sie findet sich z. B. bei den oben in Anm. 37 genannten Interpreten. 40 Vgl. Penner, The Ascent from Nominalism, S. 9: »[...] how exactly is one to suppose that an entirely non-spatial object is a better example of something that is literally large than any sensible large thing?« 41 Vgl. Geach, S. 76. 42 Vgl. Geach, S. 76: »The Imperial Standard Equality, or Imperial Standard Equals, would naturally consist of a pair of absolutely equal things. (Again I owe this comment to Wittgenstein.)« 43 Vgl. Phd. 74a10f.
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umgrenzt keine Gegenstandskategorie). Die zweite Deutung verspricht dagegen auf den ersten Blick Abhilfe, da sie einschließt, daß mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« nicht nur auf vorbildhaft gleiche Gegenstände, sondern auch auf die Eigenschaft bzw. den Begriff des Gleichseins Bezug genommen wird. Näher betrachtet, liefert sie uns jedoch genausowenig eine brauchbare Antwort auf die Frage »Was für vorbildhaft gleiche Dinge?«. Denn wenn wir die Frage mit »Vorbildhaft gleiche Eigenschaften« oder »Vorbildhaft gleiche Begriffe« zu beantworten versuchen, so unterstellen wir, daß mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« auf mehrere Eigenschaften bzw. Begriffe Bezug genommen wird – doch ist es nach der zweiten Deutung eine Eigenschaft bzw. ein Begriff, auf die bzw. auf den mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« Bezug genommen wird. Wenn wir es hingegen mit der Antwort »Eine vorbildhaft gleiche Eigenschaft« bzw. »Ein vorbildhaft gleicher Begriff« versuchen, verfehlen wir die Frage, da ja mit ihr nach mehreren gleichen Dingen gefragt war. (β) Gegen beide Deutungen erhebt sich schließlich auch folgender Einwand. Der Ausdruck »untereinander gleich« läßt sich auf Gegenstände nur dann zutreffend anwenden, wenn diese bestimmte Eigenschaften haben, dank denen sie untereinander gleich sind. Nehmen wir nun an, αὐτὰ τὰ ἴσα sind zwei in der Länge gleiche Gegenstände.44 Als solche sind sie zwar Standards für die Klasse der übrigen gleich langen Gegenstände, aber keine Standards für die Klasse der Gegenstände, die in anderen Hinsichten (sei es in der Größe, sei es im Gewicht usw.) gleich sind. Offenbar ist der Begriff eines Standards für das Gleichsein, das alle (in der Länge, Größe usw.) gleichen Gegenstände besitzen, nicht erfüllbar.45 Angesichts dieser Häufung von Schwierigkeiten der Konzeption der Form als ausgezeichneter Eigenschaftsträger gebietet es das principle of charity, nach anderen Erklärungen der Affirmation des Aussagegehalts von Sätzen wie (1) – (3) in den Dialogen zu suchen. Die modernen Interpreten scheinen nun nur eine Alternative zu sehen, die These, daß die Sätze gar keine Selbstprädikationen ausdrücken. Eben sie liegt den Ausgestaltungen des dritten und vierten Ansatzes zugrunde. Dem dritten Ansatz entsprechend sind zahlreiche Vorschläge gemacht worden, die Prädikat-Terme der selbstprädikativen Sätze so zu paraphrasieren, daß man unter der Annahme der Identität der Formen mit Eigenschaften oder Begriffen den Sätzen zumindest plausible Aussagen abgewinnen 44 Bereits die Willkür dieser Stipulation spricht natürlich gegen die Interpretation. 45 Malcolm (Plato on the Self-Predication of Forms, S. 98) betrachtet einen entsprechenden Einwand hinsichtlich des Standards für die Eigenschaft, ein Dreieck zu sein, und bemerkt dagegen: »But it seems to me that to be a paradigm case of triangularity an entity need only be perfectly triangular.« Wozu brauchen wir dann aber überhaupt noch ein eigenes Muster für die generische Eigenschaft, ein Dreieck zu sein? Die Standards für die einzelnen Arten von Dreiecken reichen dann offenbar bereits aus.
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kann. Hier als Beispiele Paraphrasen von (1), die nach einigen prominenten Paraphrase-Vorschlägen modelliert sind: (1a) (1b) (1c) (1d)
Das Schöne ist identisch mit dem Schönen selbst46 Das Schöne ist das, was es heißt, schön zu sein47 Das Schöne ist eine (sic) Essenz des Schönen selbst48 Das Schöne erklärt, warum die schönen Dinge schön sind.49
Diese Paraphrasen sind nun ohne Zweifel eher befriedigend als die Annahme, Platon habe die Form des Schönen als exemplarisch schönen Gegenstand verstanden. Sie haben jedoch den Nachteil, den tatsächlichen Wortlaut der Sätze drastisch umzudeuten. Jedenfalls sind von den Vertretern der These, Platon betrachte Formen als ausgezeichnete Eigenschaftsträger, überzeugende Argumente dafür ins Feld geführt worden, daß die PrädikatTerme in den selbstprädikativen Sätzen auf konventionelle Weise verwendet werden, z. B. »schön« in (1) dazu, etwas als schön zu charakterisieren, »gleich« in (2) dazu, etwas als gleich zu charakterisieren, und »bewegt« in (3) dazu, etwas als bewegt zu charakterisieren. Diese Argumente brauchen hier nicht wiederholt zu werden;50 ich möchte lediglich auf eine Stelle im Phaidon hinweisen, die sich als Beleg für die konventionelle Verwendung der Prädikat-Terme in den selbstprädikativen Sätzen besonders eignet, nämlich 100c4-6: φαίνεται γάρ μοι, εἴ τί ἐστιν ἄλλο καλὸν πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν, οὐδὲ δι’ ἓν ἄλλο καλὸν εἶναι ἢ διότι μετέχει ἐκείνου τοῦ καλοῦ· καὶ πάντα δὴ οὕτως λέγω.
Platon läßt hier Sokrates sagen, daß, wenn irgendetwas anderes außer dem Schönen selbst schön ist, es aus keinem anderen Grund schön ist als dem, 46 Vgl. Cherniss, The Relation of the Timaeus to Plato’s Later Dialogues, S. 259: »[...] ›the idea of x is x‹ means ›the idea of x and x are identical‹ and therefore the idea of x does not ›have the character x‹« und Allen, Participation and Predication, S. 150: »[...] to say that F-ness is F is to state an identity«. Ähnlich jetzt Gonzalez (S. 53) über Smp. 211a: »[...] the reason why beauty itself is not beautiful in one way and ugly in another, or beautiful at one time and ugly at another, is that, rather than merely having beauty and being something beautiful, it just is beauty.« 47 Vgl. Nehamas, Self-Predication and Plato’s Theory of Forms, S. 95: »The F itself is F = df. The F itself, whatever it turns out to be, is what it is to be F« und White, S. 301: »Plato’s view is that the Form of F is what it is to be F apart from viewpoint and circumstances«. Vgl. auch Meinwald, S. 379f. 48 Vgl. Patterson, Image and Reality, S. 70: »[...] if we analyze a Platonic statement that x is F predicatively, and want to determine its truth value as applied to a particular subject, it is first necessary to determine what non-elliptical predicate is being asserted of what subject. When the subject is the Form F itself and the predicate is »is an essence or nature F itself,« then the statement is true.« 49 Vgl. Fine, On Ideas, S. 62: »[...] the form of F is F and not also not F because it explains why all F things are F and it never explains why anything is not F.« 50 Eine gute Darstellung findet sich in Heinaman, Self-Predication in Plato’s Middle Dialogues.
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daß es an jenem Schönen, d. h. dem Schönen selbst, teilhat. In dieser Bemerkung ist nicht nur impliziert, daß das Schöne selbst schön ist, sondern auch, daß der Ausdruck »schön« bzw. »καλόν« auf das Schöne selbst in derselben Bedeutung zutrifft wie auf jeden anderen Gegenstand, der schön ist. Denn würde der Ausdruck »schön« auf das Schöne selbst in einer anderen Bedeutung Anwendung finden als auf Helena (unter der glaubhaften Annahme, daß auch Helena schön ist), so würde ich mit dem Satz »Außer dem Schönen selbst (πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν) ist auch Helena schön« etwas ähnlich Sinnvolles sagen wie wenn ich, gefragt, ob es außer der bereits geschlossenen Filiale der Dresdner Bank noch eine weitere Bank gebe, auf eine Parkbank zeigen und freundlich nickend sagen würde »Ja, außer der Dresdner Bank gibt es auch diese Bank hier«. Die Schwäche des dritten Ansatzes, eine ungewöhnliche Verwendung der in den selbstprädikativen Sätzen gebrauchten Prädikat-Terme anzunehmen, kann man mit dem vierten Ansatz vermeiden. Die Vertreter dieses – zumeist auf selbstprädikative Sätze in den sokratischen Dialogen51 und im Sophistes52 angewandten – Ansatzes weisen darauf hin, daß Sätze wie »Das Schöne ist schön« eine ganz harmlose alltagssprachliche Verwendung haben (nämlich die Verwendung, die ich oben mit den im zugehörigen Kontext geäußerten Sätzen »Das Große ist groß« und »Das Kleine ist klein« exemplifiziert habe). Diese mache klar, warum den vermeintlich selbstprädikativen Sätzen in den Dialogen Evidenz zugeschrieben werde. Diese Sätze seien recht verstanden gar nicht Ausdrücke von Aussagen über Formen, sondern Ausdrücke von allgemeinen Aussagen, die sich mit explizit generellen Sätzen – Sätzen der Form »∀x (x ist F → x ist F)« – paraphrasieren ließen. So interessant die Beobachtung ist, daß Sätze, die in bestimmten platonischen Kontexten problematische Selbstprädikationen auszudrücken scheinen, in der Alltagssprache Binsenweisheiten ausdrücken können, so wenig überzeugt die These, daß die Sätze auch in den platonischen Dialogen Binsenweisheiten ausdrücken. Denn aus den Kontexten der Sätze in den Dialogen – den sokratischen ebenso wie den mittleren und den späteren – geht klar hervor, daß ihre Subjekt-Ausdrücke in den überwiegenden Fällen zur Bezugnahme auf Formen verwendet werden, d. h. so, daß sich die Aussagen, die mit diesen Sätzen gemacht werden, nicht durch Sätze der Form »∀x (x ist F → x ist F)« ausdrücken lassen. Ein gutes Beispiel dafür bietet 51 Vgl. z. B. zur Selbstprädikation im Protagoras Vlastos, The Unity of the Virtues; zur Selbstprädikation im Euthyphron Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 117-123. Der Interpretationsansatz geht auf eine Idee von S. Peterson zurück, die freilich – dem dritten Ansatz folgend – die Position vertritt, daß selbstprädikative Sätze Aussagen über Formen ausdrücken, deren Prädikate allgemeine Aussagen enthalten (vgl. Peterson, S. 54-56). 52 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist und manche nach ihm.
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wiederum die zuvor in der Besprechung des dritten Ansatzes zitierte Stelle Phd. 100c4-6. Hier ist es klar, daß innerhalb der Protasis »εἴ τί ἐστιν ἄλλο καλὸν πλὴν αὐτὸ τὸ καλόν« mit »αὐτὸ τὸ καλόν« auf die Form des Schönen Bezug genommen wird und die in der Protasis implizierte Aussage, daß das Schöne selbst schön ist, nicht mit der Aussage identisch ist, daß ∀x (x ist schön → x ist schön).53 Daß der Aussagegehalt selbstprädikativer Sätze nicht mit Sätzen der Form »∀x (x ist F → x ist F)« ausgedrückt werden kann, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Sätze wie (1) Seite an Seite mit Sätzen wie (3) stehen und Sätze wie (3) umgangssprachlich nicht gebräuchlich sind. Um das mit »∀x (x ist bewegt → x ist bewegt)« Gesagte normalsprachlich zu sagen, kann man »Das Bewegte ist bewegt« oder »Bewegtes ist bewegt« verwenden, aber nicht »Bewegung ist bewegt« – so nachsichtig ist unsere Nachsicht dann doch nicht. Die Feststellung, daß die Subjekt-Ausdrücke von selbstprädikativen Sätzen wie (1), (2) und (3) zur Bezugnahme auf Formen verwendet werden, schließt im übrigen nicht aus, daß es zwischen den Äußerungen selbstprädikativer Sätze in den Dialogen und den umgangssprachlichen Äußerungen implizit genereller Sätze eine genealogische Beziehung gibt. Im Gegenteil scheint mir die von Mates (S. 222) geäußerte Vermutung plausibel zu sein, daß Platon die umgangssprachlich geäußerten implizit generellen Sätze als Ausdrücke von Aussagen über Formen mißversteht und dies erklärt, warum er bereit ist, die in ihnen verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« durch alltagssprachlich nicht verallgemeinernd gebrauchte abstrakte singuläre Terme zu ersetzen (vgl. dazu »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν« mit »ἡ ὁσιότης ὅσιόν ἐστιν«).54 * Der Durchgang durch die modernen Beiträge zum Selbstprädikationsproblem hat gezeigt, daß sich die Interpreten in zwei Lager einteilen lassen, deren Lösungsvorschläge gleichermaßen unbefriedigend sind, wenn auch aus verschiedenen – einmal sachlichen, einmal sprachlichen – Gründen. Die 53 Vgl. Hägler, S. 34. 54 Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 149) ist sich bewußt, daß selbstprädikative Sätze wie »ἡ ὁσιότης ὅσιόν ἐστιν« (vgl. Prt. 330d8-e1) anders als solche wie »τὸ ὅσιον ὅσιόν ἐστιν« ganz offensichtlich nicht die Deutung als generelle Sätze zulassen, und bringt daher zu ihrer Erklärung die »Transmission Theory of Causality« (ebd., S. 148) ins Spiel: »[...] if it is the presence of piety in an action that makes it count as pious, then piety must itself be pious« (ebd., S. 149). Dancy zieht leider nicht Mates’ plausible Erklärung der Ersetzung verallgemeinernd gebrauchter Ausdrücke wie »Das Fromme« durch nicht verallgemeinernd gebrauchte abstrakte singuläre Terme wie »Frömmigkeit« in Betracht.
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Anhänger des einen Lagers (Vertreter des ersten und zweiten Ansatzes) behaupten, Formen exemplifizierten bestimmte Eigenschaften auf unqualifizierte und/oder vollkommene Weise, und schreiben Platon so eine absurde Konzeption der Formen zu. Die Anhänger des anderen Lagers55 (Vertreter des dritten und vierten Ansatzes) vermeiden den Rekurs auf die Konzeption von Formen als ausgezeichneten Eigenschaftsträgern um den Preis, daß sie die selbstprädikativen Sätze als Ausdrücke von Aussagen deuten, die jene entweder überhaupt nicht oder zumindest nicht im Kontext der platonischen Dialoge ausdrücken. Aus der Feststellung, daß beide Positionen unbefriedigend sind, ergibt sich die Frage, ob es möglich ist, Sätze wie (1) – (3) wörtlich als Ausdrücke von Selbstprädikationen zu verstehen, ohne anzunehmen, daß Platon Formen als ausgezeichnete Eigenschaftsträger versteht. Als Aufgabe formuliert: Unser Ziel ist es, die Tatsache, daß Sätze wie (1) – (3) in den Dialogen als Ausdrücke evident wahrer Aussagen bewertet werden, so zu erklären, daß wir erstens die Subjekt-Terme dieser Sätze als bezugnehmende Ausdrücke verstehen, zweitens eine konventionelle Verwendung der Prädikat-Terme annehmen und drittens die Formen nicht als ausgezeichnete Eigenschaftsträger ansehen. Diese Aufgabe scheint allerdings der Quadratur des Kreises zu gleichen: Denn wenn wir den Subjekt-Termen Bezugnahme zuschreiben und eine konventionelle Verwendung der Prädikat-Terme annehmen, dann landen wir doch, wenn wir erklären wollen, warum die Sätze als Ausdrücke evident wahrer Aussagen angesehen werden, automatisch bei der Konzeption der Formen als ausgezeichneter Eigenschaftsträger? Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, daß wir dort nicht automatisch landen, wenn wir eine aristotelische Perspektive auf Platons Formen einnehmen und von seiner hier einschlägigen Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas Gebrauch machen. Diese Unterscheidung versieht uns mit einer Möglichkeit, den Subjekt-Termen Bezugnahme zuzuschreiben und eine konventionelle Verwendung der Prädikat-Terme anzunehmen, ohne die Formen zu ausgezeichneten Eigenschaftsträgern zu erklären.
55 Auch Parry (Paradigms, Characteristics, and Forms) ist zu diesem Lager zu rechnen, da »maximal characteristics« – mit denen Parry (ebd., S. 18) die Formen der mittleren Dialoge identifiziert – jedenfalls Eigenschaften zu sein scheinen.
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1.3 Selbstprädikation: kein Problem für Aristoteles Wenn das Prinzip, daß jede Form das logische Aussagesubjekt einer wahren Selbstprädikation sei, in der modernen Literatur so großen Anstoß erregt, liegt die Annahme nahe, daß einer der ersten Kritiker der platonischen Ideenlehre, dessen Kritik uns relativ gut faßbar ist – jedenfalls besser als die der übrigen Platon-Zeitgenossen, die die Ideenlehre kritisiert haben –, nämlich Aristoteles, von diesem Punkt als Munition seiner Kritik Gebrauch macht und seinen Finger auf die Absurdität des Prinzips legt. Dieser Gedanke liegt umso näher, als Aristoteles für sein strikt wörtliches Verständnis von Äußerungen in den platonischen Dialogen berühmt-berüchtigt ist (man denke an seine Timaios-Exegese), ihm also schwerlich die exegetischen Manöver zuzutrauen sind, die moderne Interpreten unternehmen, um Platon vom Vorwurf zu befreien, er habe absurderweise angenommen, daß jede Eigenschaft sich selber zuzuschreiben sei. Das Erstaunliche ist jedoch: Aristoteles scheint das Prinzip, daß jede Form das logische Aussagesubjekt einer wahren Selbstprädikation sei, keine Schwierigkeiten zu bereiten.56 Dies kann nicht damit erklärt werden, daß er das Prinzip, aus welchen Gründen auch immer, nicht zur Kenntnis genommen habe. Seine im Metaphysik-Kommentar des Alexander von Aphrodisias überlieferte Darstellung des Regreßarguments des Dritten Menschen belegt, daß er die Funktion des Prinzips für die Erzeugung des Regresses klar gesehen hat.57 Doch anstatt für die Beseitigung der Selbstprädikationsannahme zu plädieren, kritisiert Aristoteles die seines Erachtens fehlerhafte Behandlung der Form als weiteres Einzelding neben den vielen einzelnen Gegenständen,58 von denen sie ausgesagt werde. Gerade an der Stelle, an der eine Kritik des Prinzips der Selbstprädikation zu erwarten wäre, beschränkt er sich darauf, die Behandlung der Form als Einzelding zu kritisieren.
56 Vgl. Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, S. 232. 57 Vgl. Alex. Aphr. in Metaph. 84.27-85.1: »Wenn [...] der Mensch von den einzelnen Menschen und der Idee ausgesagt wird« (»εἰ [...] κατηγορεῖται [...] κατά τε τῶν καθ’ ἕκαστα καὶ κατὰ τῆς ἰδέας ὁ ἄνθρωπος«). 58 Vgl. Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, S. 216-220. Kung zeigt hier, daß bei Alexander die Prämisse, die nach Aristoteles’ Auffassung zum Regreß führt, mit dem Konditionalsatz »Denn wenn der ausgesagte Mensch selbständig existiert [...]« (»εἰ γὰρ ὁ κατηγορούμενος sc. ἄνθρωπος [...] κατ’ ἰδίαν ὑφεστώς [...]«) (84.27f.) ausgedrückt wird. Vgl. auch SE 22, 178b36-179a10.
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Gewiß, Zwei-Ebenen-Paradoxien59 wie die, daß die Form des Menschen qua Lebewesen sterblich, qua Form nicht sterblich sei,60 gehören durchaus zu dem Arsenal von Waffen, die er für die dialektische Auseinandersetzung mit den Vertretern der Ideenlehre empfiehlt.61 Doch ist es auch hier nicht die Selbstprädikation, sondern die Individualisierung der Form, die seiner Auffassung nach für die Paradoxien verantwortlich ist.62 Ein Blick auf die Voraussetzungen dieses Kritikpunkts, der von Beginn an im Zentrum seiner Auseinandersetzung mit Platons Ideenlehre steht, macht klar, warum Aristoteles im Gegensatz zu den modernen Interpreten mit dem Prinzip, daß jede Form das logische Aussagesubjekt einer wahren Selbstprädikation sei, keine Schwierigkeiten hat: Aristoteles teilt nicht die Auffassung der modernen Interpreten, daß die Formen Eigenschaften oder Begriffe seien, sondern versteht die Formen als Gegenstände des Typs So etwas und nimmt an, daß über solche Gegenstände mit selbstprädikativen
59 Der Ausdruck geht auf Owen (Dialectic and Eristic, S. 109) zurück. Eine Zwei-EbenenParadoxie liegt in bezug auf eine für einen gegebenen generellen Term angesetzte Form genau dann vor, wenn sie zwei unverträgliche Prädikate derart erfüllt, daß sie das eine erfüllt, weil sie eine Form ist, das andere, weil sie unter den generellen Term fällt, für den sie angesetzt wird. 60 Eine ähnliche Zwei-Ebenen-Paradoxie wurde oben (1.2.3) gegen die Interpretation von αὐτὰ τὰ ἴσα als vorbildlich gleich lange Gegenstände angeführt: als exemplarisch gleich lange Gegenstände sind αὐτὰ τὰ ἴσα räumlich ausgedehnt, als abstrakte Gegenstände nicht. Von derselben Art ist eine weitere Paradoxie, die immer wieder gegen diese Deutung ins Feld geführt wird: als Gruppe gleich langer Gegenstände kann die Form des Gleichen in mehrere Komponenten zerlegt werden, als Form ist sie unteilbar. 61 Vgl. Top. Ζ10, 148a14-22: »Man muß auch schauen, ob die formulierte Definition auf die Idee paßt. In manchen Fällen tut sie das nämlich nicht, z. B. im Falle von Platons Definitionen, wenn er in den Definitionen der Lebewesen das Sterbliche hinzufügt: denn die Idee darf nicht sterblich sein, wie z. B. der Mensch selbst. Somit wird die Definition nicht auf die Idee passen. Grundsätzlich muß es in allen Fällen, in denen das Tätige oder das Widerfahrnissen Ausgesetzte eingeschlossen ist, einen Mißklang zwischen der Definition und der Idee geben. Die Ideen scheinen nämlich denen, die sagen, es gebe Ideen, keinen Widerfahrnissen ausgesetzt und unbewegt zu sein. Hat man es mit diesen Leuten zu tun, sind auch solche Argumente von Nutzen.« (»Σκοπεῖν δὲ καὶ ἐπὶ τὴν ἰδέαν εἰ ἐφαρμόσει ὁ λεχθεὶς ὅρος. ἐπ’ ἐνίων γὰρ οὐ συμβαίνει, οἷον ὡς Πλάτων ὁρίζεται, τὸ θνητὸν προσάπτων ἐν τοῖς τῶν ζῴων ὁρισμοῖς· ἡ γὰρ ἰδέα οὐκ ἔσται θνητή, οἷον αὐτοάνθρωπος, ὥστ’ οὐκ ἐφαρμόσει ὁ λόγος ἐπὶ τὴν ἰδέαν. ἁπλῶς δ’ ἐν οἷς πρόσκειται τὸ ποιητικὸν ἢ παθητικόν, ἀνάγκη διαφωνεῖν ἐπὶ τῆς ἰδέας τὸν ὅρον· ἀπαθεῖς γὰρ καὶ ἀκίνητοι δοκοῦσιν εἶναι αἱ ἰδέαι τοῖς λέγουσιν ἰδέας εἶναι, πρὸς δὲ τούτους καὶ οἱ τοιοῦτοι λόγοι χρήσιμοι.«) 62 Vgl. Owen, Dialectic and Eristic, S. 117f. (zur in der voraufgehenden Anmerkung zitierten Topik-Stelle). Vlastos (The »Two-Level Paradoxes« in Aristotle, S. 333f.) weist mit Recht darauf hin, daß Aristoteles den tatsächlichen Grund für das Entstehen der Zwei-Ebenen-Paradoxien – die fehlerhafte Analyse von verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« als bezugnehmende Ausdrücke – nicht sieht. Es überrascht insofern nicht, daß Aristoteles’ Lösungsvorschlag – die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gegenstandstypen – seinerseits Paradoxien impliziert (vgl. unten Anm. 78). Ich gehe auf die Paradoxien der Konzeption von Gegenständen des Typs So etwas unten (3.2.5) näher ein.
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Sätzen wahre Aussagen gemacht werden. Diese bereits oben (1.1) formulierte These soll im folgenden eingehender erläutert und begründet werden. Aristoteles vertritt die These, daß Platon mit einer gegebenen Form, beispielsweise dem Menschen selbst (αὐτοάνθρωπος), den Gegenstand zu fassen suche, der mit dem entsprechenden Prädikat-Term, in unserem Fall »ein Mensch« (»ἄνθρωπος«63), über Einzeldinge ausgesagt werde, daß er jedoch seinen Gegenstandsstatus verfehle. Der Fehler liegt für Aristoteles darin, daß Platon, obschon der Prädikat-Ausdruck »ein Mensch« keinen Gegenstand des Typs Dieses (τόδε τι64), sondern einen Gegenstand des Typs So etwas (ποιόν τι, τοιόνδε65) bezeichne (»σημαίνει« Cat. 3b14, 16, 18, 19, 21), dem Menschen selbst auch den Status eines Gegenstands des Typs Dieses vindiziere und so zwei sorgfältig zu unterscheidende Gegenstandstypen in den Formen vermenge.66 Bereits die Annahme, daß Platon mit dem Menschen selbst das zu fassen sucht, was der Prädikat-Term »ein Mensch« bezeichnet, läßt vermuten, daß Aristoteles Platons Formen nicht als Eigenschaften oder Begriffe versteht. Denn es ist zwar richtig zu sagen, daß z. B. in dem Satz »Kallias ist ein Mensch« mit »ein Mensch« Kallias die Eigenschaft des Menschseins zugeschrieben bzw. Kallias unter den Begriff des Menschseins gebracht wird (denn die von »Kallias ist ein Mensch« ausgedrückte Aussage ist mit den Aussagen äquivalent, daß Kallias die Eigenschaft, ein Mensch zu sein, besitzt und daß er unter den Begriff des Menschseins fällt); es ist jedoch irreführend zu sagen, daß der Ausdruck »ein Mensch« die Eigenschaft oder den Begriff des Menschseins bezeichnet. Denn bei Ausdrücken, die die Eigenschaft bzw. den Begriff des Menschseins bezeichnen, handelt es sich 63 Einfachheitshalber werde ich im folgenden häufig deutsche Ausdrücke anführen, um mit ihnen auf die griechischen Ausdrücke Bezug zu nehmen, die mit den angeführten deutschen Ausdrücken übersetzt werden. 64 Vgl. zur Schwierigkeit der Wiedergabe von »τόδε τι« Frede / Patzig, S. 15. 65 Aristoteles gebraucht den Ausdruck »τοιόνδε« auf verschiedene Weisen. Zuweilen verwendet er ihn als Platzhalter für Terme, die Dinge in der Kategorie der ποιότης bezeichnen (etwa in GC Α3, 319a12: »τὰ μὲν γὰρ τόδε τι σημαίνει, τὰ δὲ τοιόνδε, τὰ δὲ ποσόν«); zuweilen verwendet er ihn als Platzhalter für sämtliche Terme, die zwar etwas bezeichnen, aber kein Dieses einer Art (etwa in Metaph. Ζ13, 1039a1f.: »[...] οὐδὲν σημαίνει τῶν κοινῇ κατηγορουμένων τόδε τι, ἀλλὰ τοιόνδε«). Aristoteles selbst ist diese doppelte Verwendungsweise nicht entgangen. In Cat. 3b18-21 macht er auf sie mit der Bemerkung aufmerksam, daß es streng genommen falsch sei zu sagen, daß ein genereller Substanz-Term wie »ἄνθρωπος« oder »ζῷον« ποιόν τι σημαίνει – da diese Redeweise nahelegen könnte, es handele sich bei dem von dem Term bezeichneten Gegenstand um einen Gegenstand in der Kategorie der ποιότης –, und man eher sagen solle, daß er ποιάν τινα οὐσίαν σημαίνει. Es ist die zweite, nicht auf die Kategorie der ποιότης bezogene Verwendung von »τοιόνδε«, an der ich mich im Gebrauch des entsprechenden deutschen Ausdrucks »so etwas« orientiere. 66 Vgl. Metaph. Μ9, 1086a32-34: »Denn sie setzen die Ideen zugleich als allgemein und auch wieder als abgetrennt und zu den Einzeldingen gehörend an« (»ἅμα γὰρ καθόλου τε [ὡς οὐσίας] ποιοῦσι τὰς ἰδέας καὶ πάλιν ὡς χωριστὰς καὶ τῶν καθ’ ἕκαστον«, »ὡς οὐσίας« secl. Jaeger).
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um singuläre Terme wie »die Eigenschaft des Menschseins« oder »der Begriff des Menschseins«, und da der Prädikat-Term »ein Mensch« als Vehikel der Eigenschaftszuschreibung und der Subsumption unter einen Begriff in einer anderen Beziehung zu der Eigenschaft resp. zu dem Begriff des Menschseins steht als die entsprechenden singulären Terme, sollte diese Relation nicht mit der des Bezeichnens identifiziert werden. Wenn nun aber der Grund dafür, daß Eigenschaften und Begriffe nicht von Prädikat-Ausdrücken bezeichnet werden, der ist, daß Prädikat-Terme überhaupt nichts bezeichnen, stellt sich die Frage, ob wir Aristoteles nicht Unrecht tun, wenn wir ihm die Annahme zuschreiben, daß z. B. der Term »ἄνθρωπος« in »Καλλίας ἄνθρωπός ἐστιν« etwas bezeichnet. Man könnte diese Frage mit der Begründung bejahen, daß er den Ausdruck »σημαίνει« an der relevanten Stelle Cat. 3b16 auf »ἄνθρωπος« nicht so anwendet, daß das σημαίνειν, das er diesem Term zuschreibt, die Bezeichnung eines Gegenstands einschließt. Und dies könnte man damit begründen, daß er »σημαίνειν« in Cat. 3b16 im Sinne von »bedeuten«67 oder »ausdrücken« verwende und darin, daß ein Term etwas bedeutet bzw. ausdrückt, nicht enthalten ist, daß er das, was er bedeutet bzw. ausdrückt, bezeichnet. Freilich wird »σημαίνει« unmittelbar zuvor in Cat. 3b10-12 nicht im Sinne von »bedeutet« oder »drückt aus« verwendet. Es heißt hier nämlich: »ἐπὶ μὲν οὖν τῶν πρώτων οὐσιῶν ἀναμφισβήτητον καὶ ἀληθές ἐστιν ὅτι τόδε τι σημαίνει.« Grammatisches Subjekt zu »σημαίνει« ist zwar »πᾶσα οὐσία« aus Cat. 3b10; doch ist es offensichtlich, daß der Term »σημαίνει« nicht von den ersten Substanzen, sondern von ihren Namen ausgesagt wird. Die Frage ist dann, wie der Ausdruck »σημαίνει«, angewandt auf die Namen von ersten Substanzen, z. B. »Sokrates«, verwendet wird. Und die zutreffende Antwort auf diese Frage lautet nicht: »im Sinne von ›bedeuten‹« oder »im Sinne von ›ausdrücken‹«, sondern »im Sinne von ›bezeichnen‹«. Denn der Name einer ersten Substanz bedeutet nicht ein Dieses einer Art oder drückt es aus, sondern bezeichnet es, nimmt darauf Bezug. Nun wird aber »σημαίνει« in 3b16 so verwendet wie in 3b11 (denn mit der Aussage, daß ein Wort wie »ἄνθρωπος« oder »ζῷον« ποιόν τι σημαίνει, wird die These korrigiert, daß nicht nur der Name einer ersten Substanz, sondern auch ein Wort wie »ἄνθρωπος« oder »ζῷον« τόδε τι σημαίνει, und diese Korrektur setzt voraus, daß »σημαίνει« in »ποιόν τι σημαίνει« so gebraucht wird wie in »τόδε τι σημαίνει«). Folglich wird es auch in 3b16 im Sinne von »bezeichnet«, »nimmt Bezug auf« verwendet.68
67 Vgl. zu den Vertretern dieser These Irwin, Aristotle’s Concept, S. 242 Anm. 2. 68 Weitere Argumente gegen die These, daß Aristoteles »σημαίνειν« auf Prädikat-Terme im Sinne von »bedeuten« anwende, finden sich bei Irwin, Aristotle’s Concept, S. 243-248.
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Die Annahme, daß der Prädikat-Ausdruck »ἄνθρωπος« etwas bezeichnet, provoziert die Nachfrage, was das für ein Gegenstand ist, den er bezeichnet. Zur Beanwortung dieser Frage bringt Aristoteles die Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas ins Spiel, und zwar in ihrer Anwendung auf die SubstanzKategorie.69 So insistiert er in den Kategorien hinsichtlich der generellen Substanz-Terme »ἄνθρωπος« und »ζῷον« darauf, daß sie zwar etwas bezeichnen, aber nicht, wie es den Anschein haben mag, ein Dieses einer Art.70 Während er die Annahme, daß diese Terme jeweils etwas bezeichnen, für nicht weiter rechtfertigungsbedürftig zu halten scheint, begründet er die These, daß sie nicht Gegenstände des Typs Dieses bezeichnen, damit, daß sie von mehreren Einzeldingen zutreffend ausgesagt werden.71 Würde nun – so kann man diese elliptische Begründung vervollständigen – der über mehrere Individuen zutreffend ausgesagte Term ein bestimmtes Individuum bezeichnen, so wäre das »ist« dieser Sätze als identifizierendes »ist« zu verstehen, und dies hätte die absurde Konsequenz, daß die Individuen, über die der Term zutreffend ausgesagt wird, miteinander identisch sind. Man kann sich diese Begründung folgendermaßen klarzumachen versuchen. Vorausgesetzt ist, daß ein Term, der in einem Satz einen bestimmten Gegenstand bezeichnet, in diesem Satz durch einen anderen Term, der denselben Gegenstand bezeichnet, so ersetzt werden kann, daß der durch die Substitution entstandene Satz, wenn er aussagekräftig ist, eine Aussage ausdrückt, die denselben Wahrheitswert hat wie die des Ausgangssatzes. Würde nun der von Sokrates und Platon zutreffend ausgesagte Term »ein Mensch« ein bestimmtes Individuum, a, bezeichnen, so ließe sich der Term in dem Satz »Sokrates ist ein Mensch« durch den singulären Term »a« ersetzen, mit dem Ergebnis, daß »Sokrates ist a« eine wahre Aussage ausdrückt. Ebenso ließe sich »ein Mensch« in dem Satz »Platon ist ein Mensch« durch den singulären Term »a« ersetzen, mit dem Ergebnis, daß »Platon ist a« eine wahre Aussage ausdrückt. Nun hat sich in den aus der Ersetzung resultierenden Sätzen gegenüber den Sätzen, in denen die Ersetzung vorgenommen wird, die Funktion des »ist« verändert – wie Frege72 zeigt, ist es nicht möglich, die ursprüngliche Funktion von »ist« als Copula zu bewahren und »ein Mensch« durch einen 69 Diese Einschränkung ist auch deshalb wichtig, da die Abgrenzung der Gegenstände beider Typen voneinander in den anderen Kategorien bekanntlich besondere Probleme aufwirft (vgl. zu den damit zusammenhängenden Fragen Wedin, Nonsubstantial Individuals). 70 Vgl. Cat. 3b13-21. Siehe ferner Metaph. Β6, 1003a8f., Ζ13, 1039a1f., Ζ16, 1040b25-27. 71 Vgl. Cat. 3b16-18: »Denn das Zugrundeliegende ist nicht ein Ding, wie die erste Substanz, sondern der Mensch und das Lebewesen werden von vielen Dingen ausgesagt« (»οὐ γὰρ ἕν ἐστι τὸ ὑποκείμενον ὥσπερ ἡ πρώτη οὐσία, ἀλλὰ κατὰ πολλῶν ὁ ἄνθρωπος λέγεται καὶ τὸ ζῷον«). 72 Über Begriff und Gegenstand, S. 168f.
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singulären Term zu ersetzen –, aber selbst wenn man über diese Änderung der Funktion des »ist« hinwegsieht oder sie (wie Aristoteles) übersieht, hat man zu urteilen, daß mindestens einer der beiden Sätze, die durch die Substitution entstehen, eine falsche Aussage ausdrückt. Denn wenn beide Sätze wahre Aussagen ausdrücken, so ist es auch wahr, daß Sokrates und Platon ein und dasselbe Individuum, a, sind, d. h. mit ein und demselben Individuum, a, identisch sind. Daher kann der Term »ein Mensch« in den Sätzen »Platon ist ein Mensch« und »Sokrates ist ein Mensch« nicht durch den singulären Term »a« so ersetzt werden, daß die Aussagen, die von den durch die Substitution resultierenden Sätzen ausgedrückt werden, denselben (positiven) Wahrheitswert haben wie die Aussagen der Ausgangssätze. Mithin bezeichnet er in diesen Sätzen nicht das Individuum a. Hält man nun – wie Aristoteles in den Kategorien – nichtsdestoweniger daran fest, daß der Ausdruck in beiden Sätzen jeweils etwas bezeichnet, so hat man zwei Möglichkeiten: entweder nimmt man an, daß er in ihnen jeweils verschiedene Individuen, a und b, bezeichnet, oder man nimmt an, daß er in beiden Sätzen zwar ein und denselben Gegenstand bezeichnet, jedoch einen Gegenstand, auf den wir nicht mit singulären Termen wie »a« Bezug nehmen können. Mit der These, daß ein Prädikat-Term wie »ein Mensch« (»ἄνθρωπος«) und »ein Lebewesen« (»ζῷον«) kein Dieses einer Art (τόδε τι), sondern so etwas (ποιόν τι) bezeichne, wird in den Kategorien die zweite Option gewählt. Die Wahl dieser Option läßt sich damit erklären, daß nicht nur das oben wiedergegebene Substitutionsprinzip vorausgesetzt ist – das Prinzip, daß koreferentielle Ausdrücke salva veritate durcheinander ersetzbar sind, sofern sie salva congruitate durcheinander ersetzt werden können –, sondern auch die Annahme gemacht ist, daß z. B. die Ausdrücke »ein Mensch« und »ein Lebewesen« verschiedene Gegenstände bezeichnen. Würde nun »ein Mensch« in dem Satz »Sokrates ist ein Mensch« ein bestimmtes Individuum, a, bezeichnen und »ein Lebewesen« in dem Satz »Sokrates ist ein Lebewesen« ein von a verschiedenes Individuum, b, so wären unter Annahme des Substitutionsprinzips auch die Aussagen, die von den Sätzen »Sokrates ist a« und »Sokrates ist b« ausgedrückt werden, wahr. Wären sie jedoch beide wahr, so wäre Sokrates a und b, d. h. mit zwei verschiedenen Individuen, a und b, identisch. Dieses Argument findet sich in Metaphysik Β6, 1003a8-1273 skizziert: 73 Ich lese an dieser Stelle mit Ross (Aristotle’s Metaphysics, S. 250) Richards’ »ἓν θέσθαι« und folge Jaeger in der Streichung von »ζῷα«: »οὐθὲν γὰρ τῶν κοινῶν τόδε τι σημαίνει ἀλλὰ τοιόνδε, ἡ δ’ οὐσία τόδε τι· εἰ δ’ ἔσται τόδε τι καὶ ἓν θέσθαι (ci. Richards, ἐκθέσθαι codd.,
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Einführung
Denn nichts von den allgemeinen Gegenständen bezeichnet ein Dieses einer Art, sondern so etwas, die Substanz dagegen ein Dieses einer Art. Wenn es möglich ist, das allgemein Ausgesagte als Dieses einer Art und (numerisch) Eines anzusetzen, so wird Sokrates mit vielen Dingen identisch sein, mit sich selbst, dem Menschen und dem Lebewesen, da ja jedes ein Dieses einer Art und (numerisch) Eines bezeichnet.
Um also Prädikat-Termen wie »ein Mensch« oder »ein Lebewesen« Gegenstände zuordnen zu können, die von ihnen bezeichnet werden, behilft sich Aristoteles damit, zwischen verschiedenen Gegenstandstypen zu unterscheiden: er postuliert nicht nur Gegenstände des Typs Dieses wie Sokrates und Platon, sondern auch Gegenstände des Typs So etwas wie einen Menschen oder ein Lebewesen, und die Grenzlinie zwischen den beiden Gegenstandstypen kann in der Kategorie der Substanz parallel zur Grenzlinie zwischen singulären und generellen Termen in der Weise gezogen werden, daß Gegenstände des ersten Typs mit singulären, aber nicht mit generellen Termen, Gegenstände des zweiten Typs dagegen mit generellen, aber nicht mit singulären Termen bezeichnet werden können. Dies hat Konsequenzen für die Klassifizierung der Gegenstände des zweiten Typs. Folgt man der Auffassung des Aristoteles, so ist das, was der Term »ein Mensch« in »Sokrates ist ein Mensch« bezeichnet, weder eine Eigenschaft noch ein Begriff. Denn sowohl Eigenschaften als auch Begriffe können durch singuläre Terme wie »die Eigenschaft, ein Mensch zu sein« oder »der Begriff des Menschseins« bezeichnet werden. Mithin handelt es sich bei dem, wofür der Ausdruck »ein Mensch« steht, nicht um etwas, das Sokrates und Platon dadurch, daß sie Menschen sind, besitzen (nämlich die Eigenschaft, ein Mensch zu sein) oder worunter sie fallen (nämlich den Begriff, ein Mensch zu sein). Vielmehr handelt es sich um so etwas (τοιόνδε), als was sie qua Menschen charakterisiert sind – beide sind jeweils so etwas, ein Mensch.74 Freilich ist bei der Abgrenzung aristotelischer Gegenstände des Typs So etwas von Eigenschaften und Begriffen zu berücksichtigen, daß es Begriffskonzeptionen gibt, denen zufolge Begriffe eine »prädikative Natur«75 haben, d. h. ihnen wesentlich ist, durch Ausdrücke bezeichnet zu werden, die als grammatische Prädikate gebraucht werden können. Da ein singulärer Alc) τὸ κοινῇ κατηγορούμενον, πολλὰ ἔσται [ζῷα] (secl. Jaeger, susp. Christ) ὁ Σωκράτης, αὐτός τε καὶ ὁ ἄνθρωπος καὶ τὸ ζῷον, εἴπερ σημαίνει ἕκαστον τόδε τι καὶ ἕν.« 74 In Alexanders Referat des Arguments für die Existenz von Formen aus den Relativa findet sich die aufschlußreiche Bemerkung, daß die Einzel-Menschen wirklich das sind, was der von ihnen ausgesagte Term »ein Mensch« bezeichnet: »[...] τῷ κυρίως τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον εἶναι ταῦτα ἀληθεύεται κατ’ αὐτῶν, ὡς ὅταν ἄνθρωπον λέγωμεν Σωκράτην καὶ Πλάτωνα« (in Metaph. 82.13-83.2). Vgl. zu den Implikationen dieser Formulierung unten 3.3.3.2.1. 75 Frege, Über Begriff und Gegenstand, S. 171.
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Term »durchaus unfähig (ist), als grammatisches Prädikat gebraucht zu werden«,76 implizieren diese Begriffskonzeptionen, daß Begriffe nicht durch singuläre Terme bezeichnet werden können. In dieser Hinsicht sind solcherart konzipierte Begriffe durchaus mit aristotelischen Gegenständen des Typs So etwas vergleichbar (auch wenn es in anderen Hinsichten wichtige Unterschiede gibt). Der Umstand, daß Aristoteles die Grenze zwischen den Gegenständen des Typs Dieses und den Gegenständen des Typs So etwas in der Kategorie der Substanz so zieht, daß letztere zwar durch generelle, aber nicht durch singuläre Terme bezeichnet werden können,77 wirft die Frage auf, ob über sie überhaupt etwas ausgesagt werden kann (ich sehe von der Paradoxie ab, daß wir auch sie mit singulären Termen, z. B. »das, was der Ausdruck ›ein Mensch‹ bezeichnet« bezeichnen müssen, um sie als Gegenstände des Typs So etwas von den Gegenständen des Typs Dieses abgrenzen zu können78). Mit dieser Frage kommen wir zu dem für das Verständnis der platonischen Selbstprädikationen entscheidenden Punkt seiner Konzeption der Gegenstände des Typs So etwas. Aristoteles konzipiert nämlich die Gegenstände des Typs So etwas nicht nur als Designate von an Prädikat-Stelle gebrauchten generellen Termen wie »ein Mensch«, sondern auch als Designate von verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken wie »Der Mensch«, die als Subjekt-Terme von Sätzen gebraucht werden können. Z. B. charakterisieren wir laut den oben (1.1, 76 Ebd., S. 168. 77 Wenn es sich bei den Gegenständen des Typs So etwas um Gegenstände handeln soll, die nicht von singulären Termen bezeichnet werden, ist es dann überhaupt noch sinnvoll, in bezug auf sie von »Gegenständen« zu sprechen? Sind Gegenstände nicht dadurch definiert, daß sie durch singuläre Terme bezeichnet werden können? (Siehe Tugendhat, S. 37.) Die Rede von »Gegenständen, die zwar durch Prädikat-, nicht aber durch singuläre Terme bezeichnet werden können«, enthält keinen Widerspruch, wenn man einen weiteren Gegenstandsbegriff zugrundelegt als den, wonach Gegenstand all das und nur das ist, worauf man mit singulären Termen Bezug nehmen kann. Ein solcher umfassenderer Gegenstandsbegriff liegt etwa darin, daß man als Gegenstand all das und nur das bestimmt, was durch Terme bezeichnet werden kann, die sich in beliebigen grammatisch wohlgeformten Sätzen durch das Pronomen »etwas« so ersetzen lassen, daß wir erneut einen grammatisch wohlgeformten Satz erhalten. Unter Annahme dieses Gegenstandsbegriffs kann man in bezug auf die Dinge, für die man Prädikat-Terme stehen läßt, von »Gegenständen« sprechen, da sie per definitionem durch Terme bezeichnet werden, die sich unter Wahrung der grammatischen Form durch das Pronomen »etwas« ersetzen lassen (vgl. die Ersetzung von »ein Mensch« in »Sokrates ist ein Mensch« durch »etwas«: »Sokrates ist etwas«). 78 Aristoteles’ Konzeption der Gegenstände des Typs So etwas schließt z. B. folgende Paradoxie ein: »Der Gegenstand des Typs So etwas, den der Ausdruck ›ein Mensch‹ bezeichnet, ist kein Gegenstand des Typs So etwas.« Denn der Ausdruck »Der Gegenstand des Typs So etwas, den der Ausdruck ›ein Mensch‹ bezeichnet« ist ein singulärer Term, bezeichnet also einen Gegenstand des Typs Dieses, keinen Gegenstand des Typs So etwas. Man fühlt sich an Freges Paradoxie »Der Begriff Pferd ist kein Begriff« (Frege, Über Begriff und Gegenstand, S. 170) erinnert, die sich auf entsprechende Weise ausdrücken läßt: »Der Begriff, der von ›... ist ein Pferd‹ bezeichnet wird, ist kein Begriff.«
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Anm. 11) angeführten Stellen Cat. 1b10-1579 und Apr. Α25, 43a30-32 in dem Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen«, in dem der verallgemeinernd gebrauchte Ausdruck »Der Mensch« die Subjekt-Stelle einnimmt, das, als was Individuen wie Kleinias oder Sokrates mit dem Term »ein Mensch« charakterisiert werden, seinerseits als Lebewesen. Die Relevanz der aristotelischen Analyse eines Satzes wie »Der Mensch ist ein Lebewesen« für das Problem der Selbstprädikation ist offensichtlich. Denn wie die oben behandelten selbstprädikativen Sätze (1) – (3) drückt auch der Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« Falsches aus, wenn man annimmt, daß mit seinem Subjekt-Term »Der Mensch« auf ein abstraktes Individuum Bezug genommen und sein Prädikat-Term »ein Lebewesen« in konventioneller Weise verwendet wird. Nun könnte man, anknüpfend an die oben (1.2.3) besprochenen Versionen des dritten Ansatzes zur Lösung des Selbstprädikationsproblems, sagen, Aristoteles meine, daß der Ausdruck »ein Lebewesen« in dem Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« unkonventionell verwendet werde, z. B. im Sinne von »die Bestimmung Lebewesen enthaltend«.80 Doch zeigt seine Bemerkung in Cat. 1b10-15, daß er annimmt, daß in »Sokrates ist ein Lebewesen« mit dem Ausdruck »ein Lebewesen« dasselbe ausgesagt wird wie in »Der Mensch ist ein Lebewesen« (behauptet er hier doch, daß das mit »ein Lebewesen« Ausgesagte eben deshalb, weil es von dem mit »ein Mensch« Ausgesagten ausgesagt werde und dieses seinerseits von Sokrates, auch von Sokrates ausgesagt werde), und somit nicht meint, daß der Term in den beiden Sätzen auf verschiedene Weisen (im ersten auf konventionelle Weise, im zweiten im Sinne von »die Bestimmung Lebewesen enthaltend«) verwendet wird. Man könnte ferner im Sinne des vierten Ansatzes zur Lösung des Selbstprädikationsproblems denken, daß Aristoteles annehme, daß der Subjekt-Term in »Der Mensch ist ein Lebewesen« überhaupt nichts bezeichne. Dies ist S. Petersons These: »According to Aristotle, on reflection ›man‹ turns out to be only apparently a referring expression. Sentences in which it is the subject expression do not attribute anything to an entity named by their subject expression.«81 Doch ist auch dies nicht Aristoteles’ Auffassung. Vielmehr implizieren seine Bemerkungen in Cat. 1b10-15 und Apr. 43a30-32, daß in »Der Mensch ist ein Lebewesen« etwas von etwas ausgesagt wird, d. h. der Ausdruck »Der Mensch« etwas bezeichnet, und zwar das, als was Individuen mit »ein Mensch« charakterisiert werden. Es überrascht nicht sonderlich, daß Aristoteles den Satz so deutet; denn er stuft 79 Ich bespreche die Stelle eingehender im Anhang zur Einführung (1.6). 80 Eine Möglichkeit, auf die mich Herr Szaif hinweist. 81 Peterson, S. 55.
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ja sogar explizit generelle Sätze wie »πᾶς ἄνθρωπος λευκός« (»Jeder Mensch ist weiß«) als Ausdrücke von Aussagen über allgemein ausgesagte Gegenstände ein.82 Daß uns die oben erörterten modernen Versionen der beiden ersten Ansätze zur Lösung des Selbstprädikationsproblems beim Versuch der Klärung von Aristoteles’ Verständnis des Satzes »Der Mensch ist ein Lebewesen« nicht dienlich sind, versteht sich von selbst; denn Aristoteles konzipiert den Bezugsgegenstand von »Der Mensch« gewiß nicht als einen vorbildhaften Einzelmenschen, weder ausschließlich noch zusätzlich. Wir haben also mit keiner der oben besprochenen modernen Ausgestaltungen der vier Ansätze Erfolg, wenn wir erklären wollen, wie Aristoteles den Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« versteht. Vielmehr ist es seine Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas, die uns mit der gesuchten Erklärung versieht. Nach Aristoteles’ Auffassung wird in dem Satz so etwas, ein Mensch, als ein Lebewesen charakterisiert (und zwar im konventionellen Sinn des Ausdrucks »ein Lebewesen«), und bei dem, was in dem Satz als ein Lebewesen charakterisiert wird, handelt es sich um etwas, als was Individuen wie Kleinias und Sokrates mit dem Prädikat-Term »ein Mensch« charakterisiert werden. Es ist nun dieses aristotelische Verständnis von implizit generellen Sätzen wie »Der Mensch ist ein Lebewesen«, das erklären dürfte, warum Aristoteles, ausgehend von der Annahme, platonische Formen seien als Gegenstände des Typs So etwas die Aussagesubjekte solcher Sätze, mit den 82 Im siebten Kapitel von De interpretatione unterscheidet er zwischen (a) Sätzen, die einem Einzelding (τῶν καθ’ ἕκαστον sc. τινί 17b3) etwas zu- oder absprechen, und (b) Sätzen, die einem Allgemeinen (τῶν καθόλου τινί 17b2f.) etwas zu- oder absprechen. Bei den Sätzen der zweiten Art unterscheidet er zwischen Sätzen, die einem Allgemeinen etwas auf allgemeine Weise zu- oder absprechen, und Sätzen, die einem Allgemeinen etwas nicht auf allgemeine Weise zu- oder absprechen. Als Beispiele für erstere führt er die Sätze »πᾶς ἄνθρωπος λευκός« (»Jeder Mensch ist weiß«), »οὐ πᾶς ἄνθρωπος λευκός« (»Nicht jeder Mensch ist weiß«), »οὐδεὶς ἄνθρωπος λευκός« (»Kein Mensch ist weiß«), »ἔστι τις ἄνθρωπος λευκός« (»Irgendein Mensch ist weiß«) (17b18-20, 18a4-6) an, als Beispiele für letztere die Sätze »ἔστι λευκὸς ἄνθρωπος« (»Ein Mensch ist weiß«) und »οὐκ ἔστι λευκὸς ἄνθρωπος« (»Ein Mensch ist nicht weiß«) (17b9f., b31f.; vgl. zur Wiedergabe der Sätze unter Verwendung des unbestimmten Artikels »ein« Ackrill, Aristotle’s Categories and De Interpretatione, S. 129). Wenn er nun behauptet, daß mit diesen Sätzen einem Allgemeinen etwas zu- resp. abgesprochen wird, so deshalb, weil er der Auffassung ist, daß der Ausdruck »ἄνθρωπος« in ihnen etwas Allgemeines bezeichnet (vgl. insbesondere den Genitivus absolutus in 17b10f.: »καθόλου [...] ὄντος τοῦ ἄνθρωπος«, in dem zur Bezugnahme auf das, was der Ausdruck »ἄνθρωπος« bezeichnet, der Ausdruck selber angeführt wird), d. h. etwas, das von mehreren Einzeldingen ausgesagt werden kann (vgl. 17a39f.: »λέγω δὲ καθόλου [...] ὃ ἐπὶ πλειόνων πέφυκε κατηγορεῖσθαι«). Er versteht also den Satz »πᾶς ἄνθρωπος λευκός« nicht im Sinne von »∀x (x ist ein Mensch → x ist weiß)«, sondern im Sinne von »Für alle Fälle, in denen ein Einzelding ein Mensch ist, gilt: Ein Mensch ist weiß«, wobei der Ausdruck »Ein Mensch« in »Ein Mensch ist weiß« für dasselbe stehen soll wie »ein Mensch« in »Kallias ist ein Mensch«.
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selbstprädikativen Sätzen keine Schwierigkeiten hat.83 Der selbstprädikative Satz (1) »Das Schöne ist schön« z. B. wird von ihm als Ausdruck einer wahren Aussage über so etwas: Schönes, aufgefaßt. Wenn wir uns dieser Deutung anschließen, so können wir die Tatsache, daß der selbstprädikative Satz »Das Schöne ist schön« in den platonischen Dialogen als Ausdruck einer trivial wahren Aussage verstanden wird, so erklären, daß wir erstens seinem Subjekt-Term Bezugnahme zuschreiben (nämlich Bezugnahme auf so etwas: Schönes), zweitens eine konventionelle Verwendung des Prädikat-Terms annehmen (»schön« wird in »So etwas: Schönes, ist schön« in derselben Bedeutung verwendet wie in »Helena ist schön«) und drittens die Annahme vermeiden, daß »Das Schöne« für einen einzelnen schönen Gegenstand steht. Da wir dem Subjekt-Term Bezugnahme zuschreiben, entgehen wir dem Einwand, dem der vierte Ansatz zum Opfer gefallen ist; mit der Annahme einer konventionellen Verwendung des Prädikat-Terms entgehen wir dem Einwand, dem der dritte Ansatz erlegen ist; und da wir den Subjekt-Term nicht auf einen einzelnen schönen Gegenstand beziehen, handelt es sich bei unserer Deutung um eine Ausgestaltung des ersten Ansatzes, die von den gegen die modernen Versionen des ersten und zweiten Ansatzes erhobenen Einwänden nicht betroffen ist. Das (Miß-)Verständnis verallgemeinernd gebrauchter Terme der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« als Ausdrücke, die Gegenstände des Typs So etwas bezeichnen, erklärt auch, warum manche selbstprädikative Sätze Subjekt-Terme enthalten, die umgangssprachlich stets zur Bezeichnung von Gegenständen gebraucht werden (vgl. oben 1.2.1 Satz (3)). Solche Terme können an die Stelle der verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücke treten, weil vorausgesetzt ist, daß auch letztere Ausdrücke etwas bezeichnen; umgekehrt macht der Umstand, daß sie in den selbstprädikativen Sätzen anstelle der verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücke verwendet werden, klar, daß sie in ihnen nicht als singuläre Terme – d. h. zur Bezeichnung von Individuen – verwendet werden.84 Daher ist es auch nicht möglich, ihnen eine klassifizierende Apposition voranzustellen und z. B. (3) mit einem Satz der Form 83 Er hat erst dann Schwierigkeiten mit selbstprädikativen Sätzen, wenn der Subjekt-Term einen Bestandteil enthält, der die Bezugnahme auf ein Dieses einer Art nahelegt. 84 Unter Voraussetzung des Prinzips, daß ein Ausdruck genau dann als singulärer Term verwendet wird, wenn mit ihm auf etwas Bezug genommen wird (erfolgreich oder nicht), müßte man sagen, daß Platon und Aristoteles die Subjekt-Terme von Sätzen wie »Der Mensch ist ein Lebewesen« als singuläre Terme verwenden; denn sie nehmen mit ihnen auf etwas Bezug (wenn auch ohne Erfolg). Andererseits legt das Adjektiv »singulär« nahe, daß es sich bei den Gegenständen, auf die mit singulären Termen Bezug genommen wird, um Individuen handelt, d. h. ein Term genau dann als singulärer Term verwendet wird, wenn er zur Bezugnahme auf ein Individuum verwendet wird. Da Aristoteles den Gegenständen, auf die er die Subjekt-Terme implizit genereller Sätze bezieht, Individualität ausdrücklich abspricht, scheint es unpassend zu sagen, er verwende diese Terme als singuläre Terme.
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»Der/die/das F Bewegung ist bewegt« (vgl. »Der Begriff Bewegung ist bewegt«) wiederzugeben.
1.4 Dieses oder So etwas? Oder Dieses und So etwas? Zur Abgrenzung verschiedener Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen bei Platon Die Erprobung des im letzten Abschnitt skizzierten Zugangs zu den Selbstprädikationen und anderen problematischen Aussagen über Formen in den platonischen Dialogen ist der eine der beiden Schwerpunkte der in den folgenden Kapiteln enthaltenen Untersuchungen. Den zweiten Schwerpunkt bildet die Behandlung der sich aus diesem Zugang unmittelbar ergebenden Frage, ob es angemessen ist, die Formen sämtlicher Dialoge ausschließlich als Gegenstände des Typs So etwas zu klassifizieren. Diese Frage kann nur dann bejaht werden, wenn es weder der Fall ist, daß die Formen in manchen Dialogen nicht nur als Gegenstände des Typs So etwas, sondern auch als Gegenstände des Typs Dieses dargestellt werden, noch der Fall ist, daß sie in manchen Dialogen überhaupt nicht als Gegenstände des Typs So etwas dargestellt werden. Wenn Aristoteles recht hat, ist die Frage zu verneinen, und zwar deshalb zu verneinen, weil die Formen in manchen Dialogen nicht nur als Gegenstände des Typs So etwas, sondern auch als Gegenstände des Typs Dieses dargestellt werden. Wie wir oben gesehen haben, beläßt er es nicht bei der Feststellung, daß Platon mit seinen Formen Gegenstände des Typs So etwas zu fassen suche, sondern kritisiert immer wieder, daß Platon die Formen zugleich als Gegenstände des Typs Dieses ansetze. Wie ist diese Kritik zu bewerten? Ist sie zumindest mit Blick auf einige Dialoge gerechtfertigt? Wirft sie ebenso wie die Feststellung, daß Platon mit den Formen Gegenstände des Typs So etwas zu fassen suche, Licht auf einige Aussagen über Formen in den Dialogen? Klar ist, daß den selbstprädikativen Sätzen selbst keine derartige Konfusion von Gegenständen des Typs So etwas mit Gegenständen des Typs Dieses entnommen werden kann. Die Sätze ergeben auch, ja allererst dann einen Sinn, wenn wir die Formen ausschließlich als Gegenstände des Typs So etwas verstehen. Klar ist aber auch, daß den Formen in einigen Dialogen – den mittleren Dialogen und dem Timaios – eine Existenz zugeschrieben wird, deren Bedingungen von den Bedingungen der Existenz von Gegenständen des Typs So etwas fundamental verschieden sind. Betrachten wir zur Erläuterung und Rechtfertigung dieser These zunächst die Existenzbedingungen von Gegenständen des Typs So etwas. Für jemanden, der die Existenz solcher Gegenstände annimmt, liegt es nahe, zu
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glauben, daß sie mit Sätzen wie »Es gibt so etwas (τοιόνδε), einen Menschen« behauptet wird. Er begnügt sich daher nicht mit der heute üblichen Auffassung, daß z. B. der Satz »Es gibt einen Menschen« nicht mehr und nicht weniger besagt als »Einige Einzeldinge sind Menschen«. Freilich kann auch er nicht vernünftigerweise abstreiten, daß die Aussage, daß es einen Menschen gibt, die Aussage, daß einige Einzeldinge Menschen sind, impliziert. Somit muß er annehmen, daß z. B. der Gegenstand des Typs So etwas, auf den er den Term »ein Mensch« bezieht, nur dann existiert, wenn einige Einzeldinge Menschen sind, und daß generell Gegenstände des Typs So etwas nur dann existieren, wenn es Einzeldinge gibt, die unter den entsprechenden generellen Term fallen. Nun scheinen die Formen im Phaidon – um den mittleren Dialog herauszugreifen, an dem unten (3.2) die Konzeption des Gegenstandsstatus der Formen in den mittleren Dialogen exemplarisch herausgearbeitet werden soll – eine von den konkreten Einzeldingen unabhängige Existenz zu genießen,85 und damit scheint ihnen eine Existenzweise zugeschrieben zu werden, die sich von der Existenzweise von Gegenständen des Typs So etwas erheblich unterscheidet. Hinzu kommt, daß im Phaidon betont wird, daß die konkreten gleichen Dinge zwar so gleich zu sein strebten wie das Gleiche selbst, jedoch hinter ihm zurückblieben und nicht auf solche Weise gleich seien.86 Damit wird gerade verneint, daß das Gleiche selbst so etwas sei, als was die konkreten gleichen Dinge charakterisiert sind. Andererseits legen die oben (1.3) skizzierten Überlegungen die Annahme nahe, daß sich die Selbstprädikation über die Form des Gleichen am besten verstehen läßt, wenn wir annehmen, daß die Form des Gleichen als ein Gegenstand des Typs So etwas konzipiert ist, d. h. als Designat des Terms »gleich«, der so etwas: gleiche Gegenstände bezeichnet. Wenn nun die konkreten gleichen Gegenstände nicht wirklich als das charakterisiert sind, was der Term »gleich« bezeichnet, nämlich miteinander gleiche Gegenstände, so sind andere, abstrakte Einzeldinge zu postulieren, die die Aufgabe übernehmen, wirklich als das charakterisiert zu sein, was der Term bezeichnet. Derlei Gegenstände werden jedoch im Phaidon nicht postuliert, und dies legt den Verdacht nahe, daß wir es bei der Form des Gleichen im Phaidon mit einem Gegenstandstorso zu tun haben – um existieren zu können, bedarf sie als Gegenstand des Typs So etwas der Existenz einzelner gleicher Gegenstände, die so etwas, Gleiches, sind, aber es sind in dem Dialog keine Gegenstände auszumachen, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Und aufgrund ihres Fehlens kann man mit Aristoteles konstatie-
85 Vgl. Devereux, Separation and Immanence, S. 66-77. 86 Vgl. Phd. 74d4-8, e6-8, 75a1-3, a11-b2, b7f.
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ren, daß der Form des Gleichen unter der Hand der Status eines Gegenstands des Typs Dieses vindiziert wird. Aristoteles’ Kritik leuchtet also durchaus ein, soweit die Beschreibung der Formen im Phaidon und nahestehende Beschreibungen der Formen in anderen mittleren Dialogen, z. B. im Symposion oder im fünften Buch der Politeia, betroffen sind. Doch scheint sie mir mit Blick auf zwei andere Dialoggruppen einzuschränken zu sein. (1) Die erste Einschränkung bezieht sich auf die Dialoge, in denen nicht in Frage gestellt wird, daß die konkreten Dinge die ihnen zugeschriebenen Prädikate erfüllen. Was diese Dialoge – die sokratischen Dialoge,87 aber auch spätere Dialoge wie die Trilogie Theaitetos, Sophistes und Politikos – angeht, gibt es keinen Grund für die Annahme, daß die Formen mehr sein sollen als Gegenstände des Typs So etwas. In der Tat werden sie in ihnen ja nicht als »over and above« der konkreten Entitäten existierende Gegenstände beschrieben. (Aristoteles scheint dies im übrigen nicht anders zu sehen: vermutlich bezieht er sich auf die Formen der sokratischen Dialoge, wenn er von »sokratischen Universalien« spricht.88) Selbst mit einer so bescheidenen Bestimmung des ontologischen Status der Formen dieser Dialoge setzt man sich jedoch dem Einwand aus, daß sich die Frage nach ihrem ontologischen Status überhaupt nicht stelle. So wird z. B. die Frage nach dem ontologischen Status der Formen in den sokratischen Dialogen zuweilen mit dem Argument beiseitegewischt, daß Sokrates in diesen Dialogen keine Ontologie betreibe.89 Dies ist gewiß wahr, taugt aber nicht als Argument. Wir müssen nicht unterstellen, daß in Kafkas Schloß Ontologie betrieben werde, wenn unsere Frage sinnvoll sein soll, auf Gegenstände welches Typs sich der Sohn des Schloßkastellans bezieht, wenn er zu K. sagt: »Dieses Dorf ist Besitz des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet gewissermaßen im Schloß. Niemand darf das ohne gräfliche Erlaubnis. Sie aber 87 Vgl. zu ihrer Abgrenzung von den mittleren Dialogen Vlastos, Socrates, S. 45-80. 88 Die Spannung zwischen dieser Formkonzeption und der der mittleren Dialoge durchzieht auch die Argumente für die Existenz von Formen, die Aristoteles in seiner (uns nur indirekt, durch die Auszüge im Metaphysik-Kommentar des Alexander von Aphrodisias, zugänglichen) Schrift Peri ideon besprochen hat. Nur eines dieser Argumente, das Argument aus den Relativa, ist ein gültiges Argument für Formen als Gegenstände des Typs Dieses, während die übrigen Argumente lediglich die Existenz von Gegenständen des Typs So etwas rechtfertigen (vgl. Aristoteles’ entsprechende Kritik bei Alex. Aphr. in Metaph. 79.15-19, 81.7-10, 83.17-22). 89 Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 67) z. B. mag der Frage, ob sich der Sokrates der frühen Dialoge auf die Existenz von Normen »›over and above‹ the actions and people to be jugded or doing the judging« festlege, nichts abgewinnen: »[...] we need not go into it yet. Socrates does not go into it yet. He will, in the doctrinal dialogues.« Auch Dancy kommt freilich nicht umhin, den ontologischen Status der Formen in den sokratischen Dialogen näher zu bestimmen; so etwa, wenn er das im Euthyphron zu definierende Fromme zutreffend als »movable standard: repeatable, and not numerically single« (ebd., S. 120) charakterisiert.
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haben eine solche Erlaubnis nicht oder haben sie wenigstens nicht vorgezeigt.« Wir können auf die Frage z. B. richtigerweise antworten, daß es sich bei Dörfern, Schlössern und vorzeigbaren gräflichen Erlaubnissen nicht um abstrakte, sondern konkrete Gegenstände handele und der Sohn des Schloßkastellans demzufolge nicht von abstrakten, sondern konkreten Gegenstände spreche. Wir unterstellen damit keineswegs, daß er über den Begriff eines abstrakten Gegenstands und den komplementären eines konkreten Gegenstands verfügt.90 Ganz entsprechend können wir uns sinnvollerweise fragen, worauf sich Sokrates im Euthyphron bezieht, wenn er von »αὐτὸ τὸ εἶδος ᾧ πάντα τὰ ὅσια ὅσιά ἐστιν« (6d10f.) spricht, und darauf die zutreffende Antwort geben: »Auf einen Gegenstand des Typs So etwas«, ohne die unwahrscheinliche Annahme machen zu müssen, daß bereits der Sokrates des Euthyphron über den Begriff eines Gegenstands des Typs So etwas und den komplementären Begriff eines Gegenstands des Typs Dieses verfügt. (2) Die zweite Einschränkung der These, daß die Formen Gegenstände des Typs So etwas und Gegenstände des Typs Dieses sind, betrifft den Timaios. Die Beschreibung der Formen in diesem Dialog stimmt einerseits in zwei wesentlichen Punkten mit der der mittleren Dialoge überein: (a) Die Formen genießen eine von konkreten Gegenständen unabhängige Existenz. (b) Die einer Form zugeordneten konkreten Dinge sind ihr in bestimmten Hinsichten ähnlich.
Andererseits ist das feste Band zwischen Prädikat-Termen bzw. verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken und Formen im Timaios gelockert, wenn nicht durchschnitten, und die Auflösung dieses Bands läßt sich als Versuch verstehen, eine konsistente Theorie von Formen als selbständig existierenden Gegenständen des Typs Dieses zu entfalten und die primäre Schwierigkeit der Konzeption des Gegenstandsstatus der Formen in den mittleren Dialogen zu beseitigen – die von Aristoteles diagnostizierte Schwierigkeit, daß die Formen einerseits als Gegenstände des Typs So etwas betrachtet werden, ihnen andererseits eine selbständige Existenz zugeschrieben wird, die nur Gegenstände des Typs Dieses genießen. Man kann nicht beides haben, und im Timaios scheint sich eben diese Einsicht Bahn gebrochen zu haben. Auch dies weist ihn – neben seinen stilistischen Eigenschaften91 – 90 Vgl. Vlastos, Socrates, S. 58: »Can one have an ontology without being an ontologist? Why not? The belief in the existence of a physical world independent of our own mind, stocked with material objects retaining substantial identity and qualitative continuity over long or short stretches of time, is a solid piece of ontology, as entrenched in the mind of the average Athenian then as in that of the average New Yorker now. Does this make an ontologist of either of them? Why should it?« 91 Vgl. zur Zuordnung des Timaios zu den durch ihre stilistische Nähe zu den Nomoi definierten Dialogen der letzten Gruppe Brandwood, S. 251.
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als späteren Dialog aus und legt es zugleich nahe, für die Behandlung der Formen in den späteren Dialogen folgendes Prinzip aufzustellen: Wo die Formen als Gegenstände des Typs So etwas beschrieben werden (wie z. B. im Sophistes), bilden sie keine Klasse von Individuen neben den Individuen, die als so etwas (was auch immer) charakterisiert sind, und wo sie eine Klasse selbständig existierender Individuen bilden (wie im Timaios), werden sie nicht als Gegenstände des Typs So etwas beschrieben.92
1.5 Übersicht über die verschiedenen Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen in den Dialogen Im letzten Abschnitt sind unter Voraussetzung der aristotelischen Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas die Konzeptionen des Gegenstandsstatus der Formen in den platonischen Dialogen umrissen worden, denen die drei folgenden Kapitel gewidmet sind. Zum Abschluß der Einführung sollen sie anhand von drei exemplarisch gewählten Formen – dem Menschen selbst, dem Schönen selbst und dem Feuer selbst – kurz charakterisiert werden: Konzeption A (vorausgesetzt u. a. in den sokratischen Dialogen, Theaitetos, Sophistes und Politikos): Formen als Gegenstände des Typs So etwas Der Mensch selbst93 ist das, was von dem Prädikat-Term »ein Mensch« und dem verallgemeinernd gebrauchten Ausdruck »Der Mensch« bezeichnet wird. Die Ausdrücke »ein Mensch« und »Der Mensch« bezeichnen so etwas, einen Menschen, derart, daß jeder Einzelmensch als so etwas, ein Mensch, charakterisiert ist.
Konzeption B (vorausgesetzt u. a. in Phaidon, Symposion, Politeia V): Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses Das Schöne selbst94 ist das, was von dem Prädikat-Term »schön« und dem verallgemeinernd gebrauchten Ausdruck »Das Schöne« bezeichnet wird. Die Ausdrücke »schön« und »Das Schöne« bezeichnen so etwas, (unqualifiziert) Schönes, derart, daß die konkreten schönen Einzeldinge nicht als so etwas, (unqualifiziert) Schönes, charakterisiert sind. Das Schöne selbst ist zugleich ein Einzelding, das so etwas, (unqualifiziert) Schönes, ist.
92 Die Unterscheidung zwischen beiden Gegenstandstypen scheint mir geeignet zu sein, den von Schofield (S. 76f.) zurecht betonten Unterschied zwischen den Formkonzeptionen im Theaitetos, Sophistes und Philebos einerseits, im Timaios andererseits auf den Begriff zu bringen. 93 Vgl. zu dem Beispiel Tht. 195d6f., wo auf den Menschen selbst mit »τὸν ἄνθρωπον ὃν διανοούμεθα μόνον, ὁρῶμεν δ’ οὔ« Bezug genommen wird. 94 Vgl. zu dem Beispiel Smp. 210d-212a; Phd. 78d3, 100c4-e3; R. V, 476c9, 479a1, e1.
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Konzeption C (vorausgesetzt im Timaios): Formen als Gegenstände des Typs Dieses Das Feuer selbst95 ist ein abstraktes Einzelding (eine Zahl) derart, daß ihm die konkreten Feuerteilchen aufgrund ihrer pyramidalen Struktur ähnlich sind.
1.6 Anhang zu Kategorien 1b10-15 In diesem Anhang soll die Stelle aus Aristoteles’ Kategorien eingehender interpretiert werden, auf die ich mich oben (1.1 und 1.3) berufen habe, um zu erklären, warum Aristoteles mit den platonischen Selbstprädikationen keine Schwierigkeiten hat, und die mir zu zeigen scheint, daß die Selbstprädikationen auf ein Mißverständnis implizit genereller Sätze wie »Der Mensch ist ein Lebewesen« zurückzuführen sind. Ich werde in der Behandlung dieser Stelle Sätze bilden und besprechen, deren Prädikat-Terme Ausdrücke wie »wird von einem Zugrundeliegenden ausgesagt« sind und deren Subjekt-Stelle von Termen wie »Der Mensch« eingenommen wird, also Sätze wie »Denn der Mensch wird von einem Zugrundeliegenden, dem bestimmten Menschen, ausgesagt«. Mit der Bildung solcher Sätze folge ich dem aristotelischen Sprachgebrauch in den Kategorien; so ist z. B. der angeführte Satz eine wörtliche Übertragung von »ὁ γὰρ ἄνθρωπος καθ’ ὑποκειμένου [...] τοῦ τινὸς ἀνθρώπου λέγεται« (Cat. 3a10f.). Wer diesem aristotelischen Sprachgebrauch im Deutschen folgt, nimmt mindestens zwei sprachliche Härten in Kauf. Zum einen handelt es sich bei Sätzen, die mit Ausdrücken wie »Der Mensch« beginnen, üblicherweise um Sätze, mit denen allgemeine Aussagen gemacht werden; z. B. wird mit »Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf« gesagt, daß sich Menschen im allgemeinen zu anderen Menschen wie Wölfe verhalten. Der Satz »Der Mensch wird von einem Zugrundeliegenden ausgesagt« drückt hingegen keine allgemeine Aussage aus (er kann nicht mit »Menschen werden im allgemeinen von einem Zugrundeliegenden ausgesagt« wiedergegeben werden); vielmehr wird in ihm mit dem Ausdruck »Der Mensch« auf das Bezug genommen, was nach aristotelischer Auffassung der Bezugsgegenstand von »ein Mensch« ist. Zum anderen liegt eine sprachliche Härte darin, den Term »wird von einem Zugrundeliegenden ausgesagt« auf etwas anzuwenden, das kein Term ist, sondern der (vermeintliche) Bezugsgegenstand eines Terms, in unserem Falle der (vermeintliche) Bezugsgegenstand des
95 Vgl. zu dem Beispiel Ti. 51b8.
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Terms »ein Mensch«.96 Ich nehme diese beiden Härten in Kauf, um das noch größere Übel umständlicher Paraphrase zu vermeiden. Es sei ferner darauf hingewiesen, daß, ebenfalls dem Sprachgebrauch in den Kategorien entsprechend, ein Term der Form »wird von x ausgesagt« (»κατὰ ξ λέγεται«, »κατὰ ξ κατηγορεῖται«) im Sinne des entsprechenden Ausdrucks der Form »wird von x zutreffend ausgesagt« verwendet wird. Nun aber zur Sache selbst, zu Kategorien 1b10-15. Aristoteles bemerkt an dieser Stelle: (i) Wenn etwas von etwas anderem als Zugrundeliegendem ausgesagt wird, so gilt, daß all das, was von dem Ausgesagten ausgesagt wird, auch von dem Zugrundeliegenden ausgesagt werden wird. (ii) Z. B. wird der Mensch vom einzelnen Menschen ausgesagt, das Lebewesen vom Menschen, folglich wird das Lebewesen auch vom einzelnen Menschen ausgesagt werden: denn der einzelne Mensch ist ein Mensch und ein Lebewesen.97
Aristoteles formuliert hier zunächst mit (i) (= 1b10-13) ein allgemeines Prinzip der Transitivität der Prädikation, das sich folgendermaßen wiedergeben läßt: (T)
∀x∀y∀z (x wird von y als Zugrundeliegendem ausgesagt & y wird von z als Zugrundeliegendem ausgesagt → x wird von z als Zugrundeliegendem ausgesagt).
Mit (ii) (= 1b13-15) fügt er diesem Prinzip eine Anwendung des Prinzips hinzu, die sich mit folgender Einsetzungsinstanz des in (T) enthaltenen Satzschemas wiedergeben läßt: (1)
Das Lebewesen wird von dem Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt & der Mensch wird von Sokrates als Zugrundeliegendem ausgesagt → das Lebewesen wird von Sokrates als Zugrundeliegendem ausgesagt.
Aristoteles hält die mit (1) formulierte Aussage für wahr, weil er erstens glaubt, daß sie mit der Aussage äquivalent ist, die von dem Satz (2)
Der Mensch ist ein Lebewesen & Sokrates ist ein Mensch → Sokrates ist ein Lebewesen
96 Bereits die Einteilung der ὄντα in Cat. 1a20-b9 macht klar, daß Aristoteles den Ausdruck »καθ’ ὑποκειμένου λέγεται« nicht auf Terme, sondern auf die Dinge, für die die Terme seiner Meinung nach stehen, anwendet. Sämtliche Belege für »καθ’ ὑποκειμένου λέγεσθαι« (16mal belegt) sowie »καθ’ ὑποκειμένου κατηγορεῖσθαι« (1mal belegt) in den Kategorien können – und die meisten von ihnen müssen – in dem Sinne verstanden werden, daß es sich bei den καθ’ ὑποκειμένου λεγόμενα bzw. κατηγορούμενα nicht um Terme handelt, sondern um die Gegenstände, auf die die Terme bezogen werden. 97 »Ὅταν ἕτερον καθ’ ἑτέρου κατηγορῆται ὡς καθ’ ὑποκειμένου, ὅσα κατὰ τοῦ κατηγορουμένου λέγεται, πάντα καὶ κατὰ τοῦ ὑποκειμένου ῥηθήσεται· οἷον ἄνθρωπος κατὰ τοῦ τινὸς ἀνθρώπου κατηγορεῖται, τὸ δὲ ζῷον κατὰ τοῦ ἀνθρώπου· οὐκοῦν καὶ κατὰ τοῦ τινὸς ἀνθρώπου τὸ ζῷον κατηγορηθήσεται· ὁ γὰρ τὶς ἄνθρωπος καὶ ἄνθρωπός ἐστι καὶ ζῷον.«
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Einführung
ausgedrückt wird, und zweitens eben diese Aussage für wahr hält. Die Aussage, die mit (2) gemacht wird, ist allerdings nur dann wahr, wenn man sie mit (3)
∀x (x ist ein Mensch → x ist ein Lebewesen) & Sokrates ist ein Mensch → Sokrates ist ein Lebewesen
wiedergeben kann.98 Und es ist zu beachten, daß nach dieser Analyse von (2) das erste Konjunkt des Antecedens von (2) (4)
Der Mensch ist ein Lebewesen
eine Allaussage ausdrückt, also dieselbe Aussage wie (5)
∀x (x ist ein Mensch → x ist ein Lebewesen).
Dies kann leicht übersehen werden, da der Satz (4) mit dem Ausdruck »Der Mensch« ein grammatisches Subjekt besitzt und dadurch den Eindruck erweckt, eine Aussage mit einem logischen Subjekt auszudrücken.99 Diesem Eindruck scheint nun Aristoteles erlegen zu sein. Denn laut unserer Stelle drückt (4) eine Aussage aus, die mit der vom ersten Konjunkt des Antecedens von (1) (6)
Das Lebewesen wird von dem Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt
ausgedrückten Aussage äquivalent ist. Aristoteles versteht also (4) nicht im Sinne von (5), sondern als Ausdruck einer Aussage darüber, was u. a. im zweiten Konjunkt des Antecedens von (2) (7)
Sokrates ist ein Mensch
98 Vgl. Künne, Abstrakte Gegenstände, S. 36f. 99 Man hat sich in bezug auf unsere Stelle gefragt, wie genau der Unterschied zwischen dem mit »Der Mensch ist ein Lebewesen« und dem mit »Sokrates ist ein Lebewesen« Gesagten zu beschreiben sei. Patzig (S. 66) beschreibt ihn mit Recht als »den fundamentalen Unterschied zwischen Sätzen der Form ›Fa‹ (bzw. der Element-Mengen-Relation) und Sätzen der Form ›x(Fx→Gx)‹ (der Subordinationsrelation zwischen Klassen)«, meint aber darüber hinaus, die Aussagen unterschieden sich durch den unterschiedlichen Gebrauch des »ist«, das im ersten Satz »als Ausdruck der Subordination einer Klasse unter eine andere Klasse« (ebd., S. 66), im zweiten »als Ausdruck der Element-Mengen-Beziehung« (ebd.) gebraucht werde (eine ähnliche These findet sich bei Barnes, S. 75). Die Annahme eines unterschiedlichen Gebrauchs des »ist« in beiden Sätzen scheint mir problematisch zu sein. Denn der Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« drückt dieselbe Aussage aus wie der Konditionalsatz »Wenn etwas ein Mensch ist, ist es ein Lebewesen« und läßt sich daher so zergliedern, daß »Der Mensch« der Protasis »Wenn etwas ein Mensch ist« und »ist ein Lebewesen« der Apodosis »ist es ein Lebewesen« entspricht. In der Apodosis wird jedoch der Ausdruck »ist ein Lebewesen« genau so gebraucht wie in »Sokrates ist ein Lebewesen«, da das »es« in ihr ein Platzhalter für einen singulären Term wie »Sokrates« ist. – Der Unterschied zwischen »Der Mensch ist ein Lebewesen« und »Sokrates ist ein Lebewesen« scheint mir ausschließlich mit der unterschiedlichen Verwendung der Subjekt-Terme zu erklären zu sein.
Dieses und So etwas – vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung
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mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, und zwar unter Annahme der Äquivalenz zwischen der Aussage von (7) und der Aussage des zweiten Konjunkts des Antecedens von (1) (8)
Der Mensch wird von Sokrates als Zugrundeliegendem ausgesagt.
Dieses Verständnis von (4) führt freilich in Schwierigkeiten. Denn wenn »Der Mensch« in (4) auf das Bezug nähme, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, so wäre die von (4) ausgedrückte Aussage nicht nur mit der von (6) ausgedrückten, sondern auch mit der von (9)
Das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, ist ein Lebewesen
ausgedrückten äquivalent. Nun drückt aber (9) eine falsche und (4) eine wahre Aussage aus, d. h., die von (9) und (4) ausgedrückten Aussagen sind nicht äquivalent. Also nimmt »Der Mensch« in (4) nicht auf das Bezug, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird. Diese Begründung ging dem einen oder anderen vielleicht zu schnell. Ich will sie daher etwas ausführlicher darstellen. Betrachten wir zunächst folgendes Beispiel: In dem Satz »Sokrates ist ein Mensch« nimmt »Sokrates« auf den Sohn des Sophroniskos Bezug und kann daher durch den Ausdruck »der Sohn des Sophroniskos« so ersetzt werden, daß die Sätze »Sokrates ist ein Mensch« und »Der Sohn des Sophroniskos ist ein Mensch« äquivalente Aussagen ausdrücken. Ein zweites Beispiel: In dem Satz »Das Wort ›Anna‹ ist ein Palindrom« nimmt »Das Wort ›Anna‹« auf »Anna« Bezug und kann daher durch den Term »›Anna‹« derart ersetzt werden, daß die Sätze »Das Wort ›Anna‹ ist ein Palindrom« und »›Anna‹ ist ein Palindrom« äquivalente Aussagen ausdrücken. Will man aus diesen Beispielen ein allgemeines Prinzip ableiten, so kann man sagen, daß jede Instanz des Satzschemas (Sub) ∀x (x = der Satz »α ist ein Φ« & x ist aussagekräftig & »α« nimmt in x auf β Bezug → ∃y (y = der Satz »β ist ein Φ« & y ist aussagekräftig & die von y ausgedrückte Aussage ist mit der von x ausgedrückten Aussage äquivalent)),100
die aus Einsetzung von Ausdrücken für »α«, »β« und »Φ« resultiert, eine wahre Aussage ausdrückt. Durch Einsetzung von »Der Mensch« für »α«, von »das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« für »β« und von »Lebewesen« für »Φ« erhalten wir folgende Instanz von (Sub), die laut unserem Prinzip eine wahre Aussage ausdrückt:
100 Zu beachten ist, daß bei der Einsetzung eines Terms für »β« Kasusdifferenzen keine Rolle spielen. Es ist also erlaubt, beim ersten Vorkommen von »β« für »β« »den Sohn des Sophroniskos« einzusetzen, beim zweiten und dritten »der Sohn des Sophroniskos«.
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Einführung
(SubI) ∀x (x = der Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« & x ist aussagekräftig & »Der Mensch« nimmt in x auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, Bezug → ∃y (y = der Satz »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird, ist ein Lebewesen« & y ist aussagekräftig & die von y ausgedrückte Aussage ist mit der von x ausgedrückten Aussage äquivalent)).
In (SubI) ist enthalten: (SubI’) (4) = der Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« & (4) ist aussagekräftig & »Der Mensch« nimmt in (4) auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, Bezug → ∃y (y = der Satz »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird, ist ein Lebewesen« & y ist aussagekräftig & die von y ausgedrückte Aussage ist mit der von (4) ausgedrückten Aussage äquivalent).
Die beiden ersten Konjunkte des Antecedens von (SubI’) drücken wahre Aussagen aus. Würde nun ferner das dritte Konjunkt ebenfalls eine wahre Aussage ausdrücken, so würde laut (SubI’) gelten, daß (4) und der Satz »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird, ist ein Lebewesen« äquivalente Aussagen ausdrücken. Dies tun sie nicht. Folglich drückt das dritte Konjunkt von (SubI’) keine wahre Aussage aus. Aristoteles könnte diesem Einwand einerseits so begegnen, daß er das Prinzip, jede Einsetzungsinstanz von (Sub) drücke eine wahre Aussage aus, mit Bezug auf Aussagenpaare wie (4) und (9) einschränkt. Diese Replik würde aber seinen Gegner unbeeindruckt lassen, der die Sache genau umgekehrt sieht: jede Einsetzungsinstanz von (Sub) drückt eine wahre Aussage aus, und die mit (4) und (9) gemachten Aussagen sind nicht äquivalent. Aristoteles könnte andererseits auf den Einwand erwidern, daß es sich bei dem, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt werde, nicht um etwas handele, worauf mit einem singulären Term wie »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« Bezug genommen werden könne. Bevor wir prüfen, ob uns diese Replik weiter führt als die erste, sollten wir uns fragen, ob sie für Aristoteles eine ernsthafte Option darstellt. Dies tut sie in der Tat. Denn gerade weil Aristoteles sieht, daß es nicht möglich ist, den Term »ein Mensch« in (7) durch einen beliebigen singulären Term unter Erhalt des Wahrheitswerts zu ersetzen, betont er, daß der Ausdruck »ein Mensch« (»ἄνθρωπος«) kein τόδε τι (etwas, das durch einen singulären Term bezeichnet werden kann), sondern τοιόνδε (etwas, das nicht durch singuläre Terme bezeichnet werden kann) bezeichne.101 Nun zur Frage, ob die Replik den Einwand entkräften kann. Mit ihr wird behauptet: 101 Vgl. dazu oben 1.3.
Dieses und So etwas – vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung (10)
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Das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, ist nicht etwas, worauf mit einem singulären Term wie »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« Bezug genommen werden kann.
Die von (10) ausgedrückte Aussage ist offensichtlich selbstwidersprüchlich, da in (10) mit dem singulären Subjekt-Term »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, Bezug genommen wird, obwohl (10) behauptet, daß mit einem singulären Term wie »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« nicht auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, Bezug genommen werden kann. Die Replik kann also den Einwand, daß der in der Explikation von (4) mit (6) vorausgesetzte Bezug von »Der Mensch« in (4) auf das mit »ein Mensch« Ausgesagte die Äquivalenz der von (4) und (9) ausgedrückten Aussagen einschließt, nicht entkräften, da sie einen Widerspruch enthält. Sie führt somit nicht weiter als die erste Replik. Da (6), das erste Konjunkt des Antecedens von (1), (9) einschließt, (9) aber unhaltbar ist, ist auch (6) unhaltbar. Dies hat die Konsequenz, daß die von (1) ausgedrückte Aussage aufgrund des Prinzips, daß aus Falschem alles folgt, also trivialerweise, wahr ist. Denn da die Aussage des Antecedens von (1) aufgrund der Falschheit der Aussage von (6) falsch ist, drückt (1) allemal eine wahre Aussage aus, egal ob die Aussage des Succedens wahr oder falsch ist. Daraus folgt für das allgemeine Prinzip (T), daß es, wenn überhaupt, nur so gültig ist, daß Einsetzungsinstanzen seines Klammerinhalts Aussagen ausdrücken, die aufgrund des Prinzips, daß aus Falschem alles Mögliche folgt, wahr sind. Bleibt die Frage, ob es nicht auch Einsetzungsinstanzen des Klammerinhalts von (T) gibt, die falsche Aussagen ausdrücken, (T) also in Wahrheit ungültig ist. Nun dürfen wir, um den in der Aussage von (10) enthaltenen Selbstwiderspruch zu vermeiden, voraussetzen, daß mit dem singulären Term »Das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, Bezug genommen wird. Wenn wir zudem mit Aristoteles annehmen, daß in (7) mit »ein Mensch« etwas von Sokrates ausgesagt wird, und dies, dem traditionellen Sprachgebrauch folgend, als »Species« bezeichnen,102 so machen wir mit (11) eine wahre Aussage: (11)
Das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, ist eine Species.
102 Vgl. zu den Schwierigkeiten der Wiedergabe von »εἶδος« mit »Species« z. B. Barnes, S. 26f.
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Einführung
Dem am Anfang dieses Anhangs skizzierten aristotelischen Sprachgebrauch folgend, können wir die mit (11) gemachte Aussage auch so ausdrücken: (12)
Der Mensch ist eine Species.
Und wenn nach Aristoteles die von (4) und (6) ausgedrückten Aussagen äquivalent sind, so sollte man annehmen, daß er die Äquivalenz der Aussage von (12) mit der Aussage von (13)
Die Species wird von dem Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt
akzeptiert. Dies gibt uns folgende Instanz des Klammerinhalts von (T): (14)
Die Species wird von dem Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt & der Mensch wird von Sokrates als Zugrundeliegendem ausgesagt → die Species wird von Sokrates als Zugrundeliegendem ausgesagt.
In der Weise, wie die Äquivalenz der Aussagen von (1) und (2) behauptet wird, ist nun auch die Äquivalenz der Aussage von (14) mit der von (15)
Der Mensch ist eine Species & Sokrates ist ein Mensch → Sokrates ist eine Species
ausgedrückten zu behaupten. Mit (15) wird jedoch eine falsche Aussage gemacht, da die Aussage des Antecedens von (15) wahr, die des Succedens aber falsch ist. Somit drückt auch (14) eine Aussage aus, die aufgrund ihrer Äquivalenz mit der Aussage von (15) falsch ist, und dies schließt ein, daß das Prinzip (T) falsch ist, weil es eine Einsetzungsinstanz des Klammerinhalts von (T) gibt, die eine falsche Aussage ausdrückt. In den spätantiken Kategorien-Kommentaren wird Aristoteles gegen diesen berühmten Einwand103 mit der These verteidigt, daß er die Äquivalenz der Aussagen von (12) und (13) nicht akzeptiere. Die Species werde zwar in (12) vom Menschen ausgesagt, doch nicht vom Menschen als Zugrundeliegendem (καθ’ ὑποκειμένου). Denn etwas von etwas als Zugrundeliegendem auszusagen sei identisch damit, daß das Ausgesagte vom Aussagesubjekt ἐν τῷ τί ἐστι ausgesagt wird, d. h. so, daß mit der Aussage eine angemessene Antwort auf die Frage, was das Aussagesubjekt ist, gegeben wird;104 diese Voraussetzung sei jedoch im Falle des in (12) Ausgesagten und des Subjekts der Aussage von (12) nicht erfüllt; denn (12) sei keine angemessene Antwort auf die Frage 103 Vgl. z. B. Porph. in Cat. 80.32-81.2; Dexipp. in Cat. 26.13-16; Ammon. in Cat. 31.2-5; Simp. in Cat. 52.9-11. 104 In Porphyrios’ (in Cat. 80.4f.) Worten: »Καθ’ ὑποκειμένου φησὶν ἐκεῖνο κατηγορεῖσθαί τινος, ὅταν ἐν τῷ τί ἐστι κατηγορῆται ἐκεῖνο ἀποδίδοται«. Vgl. zur Erklärung des Ausdrucks »ἐν τῷ τί ἐστι κατηγορεῖσθαι« Arist. Top. Α5, 102a32-35: »ἐν τῷ τί ἐστι δὲ κατηγορεῖσθαι τὰ τοιαῦτα λεγέσθω ὅσα ἁρμόττει ἀποδοῦναι ἐρωτηθέντα τί ἐστι τὸ προκείμενον· καθάπερ ἐπὶ τοῦ ἀνθρώπου ἁρμόττει, ἐρωθητέντα τί ἐστιν, εἰπεῖν ὅτι ζῷον«.
Dieses und So etwas – vom Nutzen einer aristotelischen Unterscheidung (16)
55
Was ist der Mensch?105
Nehmen wir an, die Vertreter dieser Verteidigung haben Recht mit der These, daß etwas von etwas als Zugrundeliegendem auszusagen heißt, daß die Aussage eine angemessene Antwort auf die Frage liefert, was das Subjekt der Aussage ist; der Erfolg ihrer Verteidigung hängt dann davon ab, wie ihre These, daß (12) keine angemessene Antwort auf die mit (16) gestellte Frage ist, zu beurteilen ist. Nun haben die Kommentatoren zweifellos darin recht, daß die mit (16) formulierte Frage als Antwort eher106 (4)
Der Mensch ist ein Lebewesen
denn (12) provoziert – und auch Aristoteles selbst (Top. Α5, 102a34f.107) mit (4) als Antwort auf (16) einverstanden ist. Leider ist aber auch wahr, daß Aristoteles den Ausdruck »Der Mensch« in dem Sinne versteht, daß er das bezeichnet, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird. Und wir haben auch gesehen, daß wir, wenn wir den Selbstwiderspruch von (10) vermeiden wollen, auf das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, mit dem Term »das, was in (7) mit ›ein Mensch‹ von Sokrates ausgesagt wird« Bezug nehmen können. Somit haben wir – voraussetzend, daß »Der Mensch« das bezeichnet, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird – anzunehmen, daß eine Antwort auf die mit (16) gestellte Frage genau dann angemessen ist, wenn sie eine angemessene Antwort auf folgende Frage ist: (17)
Was ist das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird?
(4) gibt uns auf (17) durchaus eine Antwort, wenn wir mit Aristoteles annehmen, daß »Der Mensch« das bezeichnet, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird; freilich ist die Antwort falsch; denn sie ist unter dieser Annahme äquivalent mit (9)
Das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, ist ein Lebewesen,
und (9) ist absurd. (4) ist mithin keine angemessene Antwort auf (17) und somit auch keine angemessene Antwort auf (16). Eine angemessene Antwort ist vielmehr 105 Vgl. Porph. in Cat. 81.11-14; Dexipp. in Cat. 26.17-20; Ammon. in Cat. 31.5-12; Phlp. in Cat. 38.28-39.15; Elias in Cat. 153.15-26; Simp. in Cat. 52.11-20. 106 Eher: denn es ist schwierig, ein brauchbares Kriterium für eine angemessene Antwort auf eine gegebene »τί ἐστιν;«-Frage zu finden (vgl. Barnes, S. 85-92). Warum nicht »σκιᾶς ὄναρ ἄνθρωπος« (Pi. P. VIII, 95f.) als angemessene Antwort auf (16) einstufen (vgl. Barnes, S. 87 Anm. 103)? 107 Vgl. oben Anm. 104.
56 (18)
Einführung Das, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, ist eine Species.
Da (18) mit (12) äquivalent ist, wenn mit Aristoteles vorausgesetzt ist, daß »Der Mensch« das bezeichnet, was in (7) mit »ein Mensch« von Sokrates ausgesagt wird, kann (12) als angemessene Antwort auf die mit (17) gestellte Frage gelten – und damit auch als angemessene Antwort auf die mit (16) gestellte Frage. Insofern wird die Species in (12) vom Menschen als Zugrundeliegendem (καθ’ ὑποκειμένου) ausgesagt – jedenfalls dann, wenn wir mit den spätantiken Kategorien-Kommentatoren annehmen, daß die Species in (12) genau dann vom Menschen als Zugrundeliegendem ausgesagt wird, wenn mit (12) eine angemessene Antwort auf die mit (16) gestellte Frage gegeben wird. Die Verteidigung von (T) in den spätantiken Kategorien-Kommentaren ist somit gescheitert. Der Blick auf sie ist gleichwohl aufschlußreich. Sie zeigt, daß den Kommentatoren der tatsächliche Unterschied zwischen der Verwendung des Ausdrucks »Der Mensch« in Sätzen wie (12)
Der Mensch ist eine Species
und der Verwendung des Ausdrucks »Der Mensch« in Sätzen wie (4)
Der Mensch ist ein Lebewesen
entgangen ist.108 Denn mit ihrer These, daß das in (12) Ausgesagte von dem Menschen anders ausgesagt werde als das in (4) Ausgesagte – nämlich nicht καθ’ ὑποκειμένου, sondern κατὰ συμβεβηκός109 –, setzen sie voraus, daß die Aussage von (4) dasselbe Subjekt hat wie die von (12). Diese Annahme ist jedoch falsch, da die mit (4) gemachte Aussage gar kein Subjekt hat, sondern eine Allaussage ist, die sich mit (5) ausdrücken läßt. Wenn selbst noch die spätantiken Kategorien-Kommentatoren die tatsächliche Struktur der Aussagen verfehlen, die von Sätzen wie (4) ausgedrückt werden, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß Platon und Aristoteles solche Sätze als Ausdrücke von Aussagen mit (logischen) Subjekten mißverstehen und das Problem der Selbstprädikation auf dieses Mißverständnis zurückgeführt werden kann.
108 Vgl. zur Beschreibung des Unterschieds oben Anm. 99. 109 Vgl. Porph. in Cat. 81.11-17: »τὸ δὲ εἶδος ἐφαρμόζει μὲν κατὰ τοὔνομα· εἶδος γὰρ ἂν ῥηθείη ὁ ἄνθρωπος· οὐ μὴν ἐν τῷ τί ἐστιν ὁ ἄνθρωπος τῷ ἐρωτῶντι περὶ τῆς οὐσίας αὐτοῦ ἥτις ἐστὶν ἀποδοθείη ἂν ὅτι εἶδος, ἀλλ’ ὅτι ζῷον. τὸ δὲ εἶδος λέγεσθαι τὸν ἄνθρωπον ἀντιδιαιρεῖται πρὸς τὸ μὴ τῶν ἀτόμων εἶναι, ἀλλὰ τῶν κατὰ κοινότητα προσαγορευομένων. τὸ δὲ κατὰ κοινότητα τὸν ἄνθρωπον λέγεσθαι συμβεβηκότος ἐστὶ παραστατικὸν μᾶλλον ἢ οὐσίας [...]«.
2. Formen als Gegenstände des Typs So etwas
Zwei Untersuchungen zu den Aussagen über Formen im Sophistes und dem in ihnen vorausgesetzten Gegenstandsstatus der Formen Das Anliegen der beiden Untersuchungen Die beiden in diesem Kapitel enthaltenen Untersuchungen handeln aus je verschiedener Perspektive von der Frage, welche Aussageweisen im Sophistes in den Sätzen angewandt werden, deren Subjekt-Ausdruck ein FormName oder ein Pronomen für einen Form-Namen ist, und was sich aus der Bestimmung dieser Aussageweisen für die ontologische Bestimmung der Formen ergibt. (Die Bezeichnung der zu besprechenden Sätze als »Sätze, deren Subjekt-Ausdruck ein Form-Name oder ein Pronomen für einen Form-Namen ist«, soll nicht präjudizieren, daß der Form-Name oder sein Pronomen in dem Satz auch tatsächlich zur Bezugnahme auf eine Form verwendet wird.) Die erste Untersuchung (2.1) erörtert diese Fragen explizit am Beispiel von Sätzen, deren Subjekt-Term ein Name der Form der Bewegung oder ein entsprechendes Pronomen ist. Darunter ist der Satz, der letztlich die ganze Diskussion um die Frage, ob in Sätzen des Sophistes, deren SubjektAusdruck ein Form-Name oder ein Pronomen für einen Form-Namen ist, verschiedene Aussageweisen angewandt werden, ausgelöst hat, der Satz »Bewegung ruht« (bzw. seine griechischen Vorlagen »κίνησις ἕστηκεν« und »κίνησις ἵσταται«1); diesem Satz gilt denn auch der Hauptteil der Untersuchung (2.1.2). Die zweite Untersuchung (2.2) ist einer Stelle (255c12f.2) gewidmet, die seit dem Erscheinen von M. Fredes Dissertation »Prädikation und Existenz1 Der Leser wird im folgenden häufig auf Formulierungen wie »Der Eleatische Gast bezieht ›ruht‹ auf die Form der Ruhe« stoßen. Es versteht sich, daß in solchen Formulierungen mit der Anführung der deutschen Ausdrücke auf die griechischen, deren Übersetzungen sie sind, Bezug genommen wird, hier z. B. mit der Anführung von »ruht« auf »ἕστηκε« und »ἵσταται«. Vgl. auch oben in der Einführung (1.3) Anm. 63. 2 Für Verweise auf Stellen aus dem Sophistes und Angaben zur handschriftlichen Überlieferung habe ich – unter Berücksichtigung des neuen, von D. B. Robinson verantworteten OCT-Texts des Sophistes – Burnets Ausgabe verwendet. Wenn ich der Interpretation eine von Burnets Text abweichende Lesung zugrundelege, mache ich darauf in einer Fußnote aufmerksam.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas
aussage. Platons Gebrauch von ›... ist ...‹ und ›... ist nicht ...‹ im Sophistes« im Jahre 1967 oft so verstanden wird, als würden in ihr zwei Typen von Aussagen über Formen voneinander unterschieden, und die daher für die Diskussion um verschiedene Aussageweisen in Sätzen des Sophistes, deren Subjekt-Ausdruck ein Form-Name oder ein Pronomen für einen FormNamen ist, zentrale Bedeutung erlangt hat. Die zweite Untersuchung baut insofern auf der ersten auf, als sie die in der ersten Untersuchung gerechtfertigte These, daß die Formen des Sophistes Gegenstände des Typs So etwas sind, die primär durch Prädikat-Terme und verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« bezeichnet werden, voraussetzt. Im übrigen können aber beide Untersuchungen unabhängig voneinander gelesen werden.
2.1 Erste Untersuchung: »Bewegung ruht« und andere Aussagen über die Form der Bewegung im Sophistes 2.1.1 Einleitung Es sind Paare von Sätzen mit dem Ausdruck »(ἡ) κίνησις« oder einem entsprechenden Pronomen als Subjekt-Term, an denen in einem Abschnitt des Sophistes (255e8-256d10) systematisch gezeigt wird, wie man bestimmte scheinbar widersprüchliche Aussagen dadurch als miteinander verträglich erweisen kann, daß man die Prädikat-Ausdrücke der Sätze auf bestimmte Formen bezieht. Dies ist der eine Grund dafür, warum ich am Beispiel von Sätzen mit »(ἡ) κίνησις« oder einem entsprechenden Pronomen als Subjekt-Term die beiden Fragen zu beantworten versuche, denen diese Untersuchung gewidmet ist, erstens die Frage, welche Prädikationsweisen im Sophistes in den Sätzen zur Anwendung kommen, deren SubjektTerm ein Form-Name oder ein entsprechendes Pronomen ist, und zweitens die Frage, als Gegenstände welcher Art die Formen des Sophistes zu bestimmen sind, damit es sinnvoll ist, diese oder jene Prädikationsweise in solchen Sätzen anzuwenden. Der andere Grund dafür ist, daß es Sätze mit »(ἡ) κίνησις« oder einem entsprechenden Pronomen als Subjekt-Term sind, die einen auf die Idee bringen könnten, daß in den Sätzen des Sophistes, deren Subjekt-Term ein Form-Name oder ein Pronomen für einen Form-Namen ist, verschiedene Aussageweisen angewandt werden, und die daher die Frage aufwerfen, wie diese Aussageweisen zu beschreiben und voneinander abzugrenzen sind.
Untersuchungen zum Sophistes
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Es waren die (griechischen Vorlagen der) Sätze »Bewegung ruht« und »Bewegung ist«, die G. Vlastos, den Verfasser der aufgrund der Sorgfalt und Klarheit ihrer Argumentation klassischen Arbeit über verschiedene Prädikationstypen im Sophistes, »An Ambiguity in the Sophist«, zur Behauptung veranlaßten, daß manche Sätze im Sophistes, deren Subjekt-Term ein Form-Name oder ein Pronomen für einen Form-Namen ist, keine gewöhnlichen Prädikationen der Form »F(a)«, sondern Prädikationen anderen Typs – Vlastos bezeichnete sie im Anschluß an S. Peterson3 als »Paulinische Prädikationen«4 – ausdrückten.5 Auch wenn Vlastos’ Analyse dieser Sätze ein geteiltes Echo hervorgerufen hat6 und andere Vorschläge zur Erfassung des Unterschieds der Aussageweisen gemacht worden sind,7 dürfte seine Diagnose, daß in den Sätzen des Sophistes, die Aussagen über Formen auszudrücken scheinen, verschiedene Aussageweisen Anwendung finden, weithin Zustimmung finden.8 Umstritten ist, wie gesagt, welche Aussageweisen es zu unterscheiden gilt. Die Sätze im Sophistes, deren Subjekt-Term »(ἡ) κίνησις« oder ein Pronomen für »(ἡ) κίνησις« ist und bei denen insofern die Annahme naheliegt, daß sie Aussagen über die Form der Bewegung ausdrücken, lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen. Die erste Hauptgruppe bilden die Sätze, die einen Prädikat-Ausdruck enthalten, welcher im Sophistes auf eine der vier weiteren in 250-259 thematischen größten Gattungen bezogen wird, jedoch keinen singulären Term enthält, mit dem auf eben diese Gattung Bezug genommen wird. Um hinsichtlich jeder Gattung jeweils einen Satz als Beispiel anzuführen:
3 Vgl. Peterson, A Reasonable Self-Predication Premise. 4 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 254. 5 Vgl. zu dem Satz »Bewegung ruht« Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 270-294 und ebd., S. 299-302, zu »Bewegung ist« ebd., S. 294-299. Allerdings macht Vlastos in bezug auf den zweiten Satz die Einschränkung, daß er nur an einigen Stellen (z. B. 250a11f., b10, c2) mit Sicherheit Paulinisch zu deuten sei (ebd., S. 295 und S. 307). 6 Ein positives Echo hat sie u. a. in Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 104-110, Kostman, S. 343363, Pelletier, S. 94-148 und Bordt, S. 524 gefunden. Kritik an Vlastos’ Paulinischer Lesart der beiden Sätze üben u. a. Heinaman (Self-Predication in the Sophist, S. 56-60), Malcolm (Vlastos on Pauline Predication, S. 79-91), Reeve (S. 49-54) und van Eck (Plato’s Logical Insights, S. 54-59). 7 Vgl. die einander nahestehenden Vorschläge in Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 29-35, Nehamas, Participation and Predication, S. 355f., Patterson, Image and Reality, S. 66f., van Eck, Plato’s Logical Insights, S. 63-65 und Silverman, The Dialectic of Essence, S. 170-181. All diese Vorschläge scheinen darauf hinauszulaufen, den Unterschied der Aussageweisen als Unterschied zwischen definitorischer und nicht-definitorischer Prädikation zu kennzeichnen. Ein Versuch, diesen Ansatz (in Gestalt von Fredes Unterscheidung zwischen »ist1« und »ist2«) mit Vlastos’ zu verbinden, findet sich bei Kostman. 8 Heinaman (Self-Predication in the Sophist; Communion of Forms) dürfte mit der These, daß sämtliche Aussagen über Formen im Sophistes gewöhnliche Prädikationen seien, eine Ausnahme darstellen.
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Bewegung ruht9 Bewegung ist10 Bewegung ist verschieden von Ruhe11 Bewegung ist dasselbe wie sie selbst.12
»ruht« wird im Sophistes auf Ruhe, »ist« auf das Seiende, »verschieden von Ruhe« auf das Verschiedene (bzw. einen Teil davon) und »dasselbe wie sie selbst« auf Dasselbe (bzw. einen Teil davon) bezogen. Keiner dieser Prädikat-Ausdrücke enthält jedoch einen singulären Term, mit dem auf die Form Bezug genommen wird, auf die er bezogen wird. Bei den Sätzen der zweiten Hauptgruppe handelt es sich um Sätze mit Prädikat-Ausdrücken, die aus einem Verb der Teilhabe (z. B. »μετέχειν«), der Gemeinschaft (z. B. »κοινωνεῖν«) oder des Sichmischens (z. B. »συμμείγνυσθαι«) und – im Genitiv oder Dativ13 – dem Namen einer der vier übrigen Gattungen gebildet sind. Diese Sätze entsprechen den Sätzen der ersten Gruppe, da mit dem im Prädikat-Term enthaltenen Gattungsnamen auf die Form Bezug genommen wird, auf die der Prädikat-Term des entsprechenden Satzes der ersten Gruppe bezogen wird. Den oben zitierten Sätzen lassen sich z. B. folgende Sätze der zweiten Gruppe zuordnen: Bewegung hat an Ruhe teil14 Bewegung hat am Seienden teil15 Bewegung hat am Verschiedenen teil16 Bewegung hat an Demselben teil.17
Da die Sätze der zweiten Gruppe die Funktion haben, anzugeben, für welche Form der Prädikat-Term der korrespondierenden Sätze der ersten Grup9 Vgl. zu »κίνησις ἕστηκεν« und »κίνησις ἵσταται« 250b5, 252d6, 255a10, 256b7. 10 Vgl. zu »κίνησις ἔστιν« und »κίνησίς ἐστιν ὄν« 249b2f., 250a11f., b10, c2, 252a2f., 254d10, 255b11-c1, 256a1, d8f. 11 Vgl. zu »κίνησις ἕτερόν ἐστι στάσεως« 255e11-14, 256c5f. 12 Vgl. zu »κίνησις ταὐτόν ἐστιν αὑτῇ« 256a7f. Ich lese an dieser Stelle mit Madvig und dem neuen OCT-Text »Ἀλλὰ μὴν αὑτῇ γ’ ἦν ταὐτὸν διὰ τὸ μετέχειν αὖ πᾶν ταὐτοῦ« anstelle des überlieferten und von Burnet gedruckten »Ἀλλὰ μὴν αὕτη γ’ ἦν ταὐτὸν διὰ τὸ μετέχειν αὖ πάντ’ αὐτοῦ«. Vgl. zur Rechtfertigung der Textänderung Robinson, S. 156. 13 Die Wahl der Kasus ist natürlich vom verwendeten Verbum regens abhängig. Eine interessante Theorie, wonach der Eleatische Gast zur Bezeichnung eines bestimmten Partizipationstyps nur die Dativkonstruktion verwende und ihn auf diese Weise von zwei anderen Partizipationstypen, für die er nur die Genitivkonstruktion verwende, implizit abgrenze, entwickelt Pelletier (S. 110-137). Pelletiers Unterscheidung der Partizipationstypen setzt jedoch eine modifizierte Fassung von Vlastos’ Theorie Paulinischer Prädikation voraus und ist schon deshalb in hohem Maße anfechtbar. Vgl. auch unten Anm. 90. 14 Vgl. zu »κίνησις μετέχει στάσεως« 255b1, 256b6f. Vgl. auch 252d6-8 und 254d7f. 15 Vgl. zu »κίνησις μετέχει τοῦ ὄντος« 256a1 und d9. Vgl. auch 250b8f., 251d5-8, e9, 252a2f., 254d10. 16 Vgl. zu »κίνησις μετέχει θατέρου« 255b3. Vgl. auch 256b2 und d11f. 17 Vgl. zu »κίνησις μετέχει ταὐτοῦ« 255b3. Vgl. auch 256a7f. und b1.
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pe steht,18 möchte ich sie »Sätze zweiter Ordnung« und die Sätze der ersten Gruppe »Sätze erster Ordnung« nennen19 und festlegen, daß ein Satz genau dann ein Satz erster Ordnung ist, wenn er mit einem entsprechenden Satz zweiter Ordnung analysiert werden kann. Worin genau die analytische Leistung der Sätze zweiter Ordnung besteht, kann man sehen, wenn man daran denkt, daß der im Sophistes zwar nicht ausdrücklich formulierte, doch implizit, durch die Verneinung der Aussage, daß Bewegung ruht, als Ausdruck einer wahren Aussage bewertete Satz Bewegung ist bewegt (κίνησις κινεῖται)
kein Gegenstück zweiter Ordnung hat (und daher auch nicht als Satz erster Ordnung klassifiziert werden kann). Dieser Umstand läßt sich damit erklären, daß das, was mit dem Prädikat-Ausdruck »bewegt« über Bewegung ausgesagt wird, in einem anderen Verhältnis zu ihr steht als das, was mit den Prädikat-Termen der Sätze erster Ordnung über sie ausgesagt wird. In der Tat kann der Satz »Bewegung ist bewegt« zu einem Satz erweitert werden, der anzeigt, warum die Explikation des Satzes mit einem entsprechenden Satz zweiter Ordnung unpassend wäre: Bewegung ist aufgrund ihrer eigenen Natur bewegt.20
Der Zusatz »aufgrund ihrer eigenen Natur« macht deutlich, daß »bewegt« nicht auf etwas von Bewegung Verschiedenes, sondern auf sie selbst zu beziehen ist. Dagegen machen die Sätze zweiter Ordnung darauf aufmerksam, daß die Prädikat-Terme der entsprechenden Sätze erster Ordnung auf etwas von ihr Verschiedenes, an dem sie teilhat bzw. mit dem sie Gemein18 Man könnte insofern versucht sein, zu sagen, daß mit den Sätzen zweiter Ordnung analysiert werde, in welcher Bedeutung die in den Sätzen erster Ordnung verwendeten Prädikat-Terme gebraucht werden. Vgl. Ackrill, Plato and the Copula, S. 211f. zu »διὰ τὸ μετέχειν τοῦ ὄντος« 256a1: »The words introduced by διὰ give an expansion or analysis of ἔστιν as this word is used in κίνησις ἔστιν [...]« (die eingeklammerten Pünktchen am Ende des Zitats vertreten den epexegetischen Zusatz »i. e. as used existentially«, dem ich mich nicht anschließe; vgl. zur Begründung unten die Schlußbemerkung in der zweiten Untersuchung zum Sophistes, 2.2.5.2). Freilich birgt diese Redeweise die Gefahr, das Mißverständnis nahezulegen, es handele sich bei den Formen im Sophistes um Bedeutungen von Prädikat-Termen. 19 Ich folge mit der Bezeichnung der Sätze der ersten Gruppe Ketchum, Participation and Predication, S. 42. 20 Der entsprechende griechische Satz »κίνησις διὰ τὴν ἑαυτῆς φύσιν κινεῖται« findet sich im Sophistes nicht, läßt sich aber im Rückgang auf 255e4-6 bilden, wo es heißt, daß jedes einzelne nicht aufgrund der eigenen Natur (διὰ τὴν αὑτοῦ φύσιν) verschieden sei, sondern aufgrund der Teilhabe an der Form des Verschiedenen (διὰ τὸ μετέχειν τῆς ἰδέας τῆς θατέρου). Aus dieser Bemerkung läßt sich entnehmen, daß z. B. über Bewegung Prädikat-Terme aufgrund ihrer eigenen Natur ausgesagt werden; dabei kann es sich nur um Prädikat-Terme handeln, die nicht für eine von Bewegung verschiedene Form stehen. Von der Natur von Bewegung ist ausdrücklich in 255b1 die Rede.
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schaft hat, zu beziehen sind.21 Die analytische Leistung der Sätze zweiter Ordnung besteht mithin darin, das Verhältnis dessen, was in den Sätzen erster Ordnung von Bewegung ausgesagt wird, zum logischen Aussagesubjekt, Bewegung, zu bestimmen.22 * Wer daran geht, die Sätze erster Ordnung in Verbindung mit ihren Gegenstücken zweiter Ordnung zu analysieren, scheint am besten beraten zu sein, von dem vermeintlichen oder tatsächlichen Rätsel23 auszugehen, das Vlastos in seiner Arbeit »An Ambiguity in the Sophist« zum Ausgangspunkt nahm, nämlich von der räselhaften Tatsache, daß der Satz »Bewegung ruht« vom 21 Die Unterscheidung zwischen Sätzen, deren Prädikat-Term auf dieselbe Form zu beziehen ist wie ihr Subjekt-Ausdruck, und Sätzen, deren Prädikat-Term auf eine andere Form zu beziehen ist als ihr Subjekt-Ausdruck, entspricht Fredes Unterscheidung zwischen Sätzen mit »... ist1 ...« und Sätzen mit »... ist2 ...« (vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 29-37). Mit Frede von verschiedenen Verwendungen von »... ist ...« zu sprechen, scheint mir allerdings ungerechtfertigt. Das Argument, mit dem in 255a10-b2 die These, daß Ruhe und Bewegung vom Verschiedenen und Demselben verschieden seien, begründet wird, impliziert, daß der Satz »Bewegung ruht«, der mit dem Satz zweiter Ordnung »Bewegung hat an Ruhe teil« analysiert wird (255b1), die Negation des Satzes »Bewegung ist aufgrund ihrer eigenen Natur bewegt« einschließt (255a11-b1); es impliziert also, daß Sätze, deren Prädikat-Term für eine andere Form steht als ihr SubjektAusdruck, mit Sätzen, deren Prädikat-Term für dieselbe Form steht wie ihr Subjekt-Ausdruck, inkompatibel sein können und somit in den Sätzen beider Art ein und dieselbe Aussageweise vorliegt. Die in Fredes Interpretation gelegene Annahme, daß die mit »Bewegung ist1 bewegt« und »Bewegung ist2 ruhend« gemachten Aussagen nach Auffassung des Eleatischen Gasts miteinander verträglich seien, scheint mir daher falsch zu sein. Auch scheint es mir nicht richtig zu sein, den Kontrast der in 255e-256d einander gegenübergestellten Sätze mithilfe der Unterscheidung zwischen den Sätzen beider Typen zu beschreiben (vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 30). Der Anschein eines Widerspruchs zwischen den Aussagen »Bewegung ist dasselbe« und »Bewegung ist nicht Dasselbe« wird in 256a10-b5 dadurch aufgelöst, daß mit den entsprechenden Sätzen zweiter Ordnung darauf hingewiesen wird, daß in »Bewegung ist nicht Dasselbe« »Dasselbe« nicht so wie in »Bewegung ist dasselbe« für Dasselbe stehe, sondern in Verbindung mit »nicht« auf das Verschiedene von Demselben zu beziehen sei. Er wird dagegen nicht mit der Behauptung aufgelöst, daß, obgleich »dasselbe« resp. »Dasselbe« in beiden Sätzen für dieselbe Form stehe, das »ist« jeweils ein anderes Verhältnis der Form, für die »dasselbe« resp. »Dasselbe« stehe, zur Form, für die der Subjekt-Ausdruck »Bewegung« stehe, zum Ausdruck bringe. 22 Bedenkt man dies, so wird man den Versuch, in 255e3-6 die Teilhabe des Verschiedenen an sich selbst impliziert zu sehen (vgl. Nehamas, Participation and Predication, S. 352-354 und Kostman, S. 356f.), als zum Scheitern verurteilt bewerten. Dieser Versuch muß schon aus Gründen der Verwendung der Gemeinschafts- und Mischungsmetaphorik für die Teilhabe der Formen aneinander scheitern; denn man kann nicht sinnvollerweise sagen, daß das Verschiedene mit sich selbst Gemeinschaft habe oder sich mit sich selbst mische (dasselbe gilt wohl auch, wenngleich weniger offensichtlich, für die Aussage, daß das Verschiedene an sich selbst teilhabe, vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 339: »μετέχειν, μεταλαμβάνειν are always used as aliorelatives in Greek prose« und ebd., S. 340 Anm. 13 zu 255e3-6). 23 Es handelt sich um das erste der beiden von Reeve (S. 49) zur Lösung aufgegebenen Rätsel der Behandlung von Bewegung und Ruhe im Sophistes.
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Eleatischen Gast und Theaitetos als Ausdruck einer evident falschen Aussage bewertet wird. Daran, daß sie die Aussagen, die mit anderen Sätzen erster Ordnung gemacht werden, als wahr bewerten, scheint es keinen Anstoß zu geben. Es überrascht nicht, daß in einem platonischen Dialog die Behauptung aufgestellt wird, daß eine bestimmte Form, in diesem Falle die Form der Bewegung, zum Seienden gehöre, und die Feststellungen, daß sie von den anderen Formen verschieden und mit sich selbst identisch sei, sind trivial genug, um vom Eleatischen Gast und Theaitetos vernünftigerweise akzeptiert werden zu können. Aber daß sie die vom Satz »Bewegung ruht« ausgedrückte Proposition als evident falsch verwerfen, läßt sich auf diese Weise nur schwer erklären. Denn wenn eine Eigenschaft der Formen in den Dialogen besonders betont wird, dann doch die, daß sie stabile und in diesem Sinne ruhende Erkenntnisgegenstände seien. War es nicht genau dieser Sinn von Ruhe, in dem der Eleatische Gast kurz zuvor (249b8-d5) die Existenz ruhender Gegenstände postuliert hatte? Und liegt es nicht am nächsten, bei diesen ruhenden Erkenntnisgegenständen an Formen zu denken, d. h. auch an die Form der Bewegung?24 Was also sollte an der Aussage, daß Bewegung ruht, falsch sein?25 Zu erklären, welche Bedeutung diesem Satz zuzuschreiben ist, damit wir u. a. verstehen können, warum er vom Eleatischen Gast und Theaitetos als Ausdruck einer evident falschen Aussage betrachtet wird, ist die Aufgabe des anschließenden Teils dieser Untersuchung (2.1.2). Ich werde verschiedene Versuche, ihn so zu paraphrasieren, daß deutlich wird, warum die mit ihm gemachte Aussage von ihnen für evident falsch gehalten wird, erörtern und als unangemessen zurückweisen (2.1.2.1/2). Mein eigener Lösungsvorschlag (2.1.2.3) besteht in der These, daß es naheliegt, die Aussage, daß Bewegung bewegt ist, für evident wahr und die Aussage, daß Bewegung ruht, für evident falsch zu halten, wenn man die Form der Bewegung so wie der Eleatische Gast und Theaitetos als etwas versteht, das von dem Prädikat-Term »bewegt« bezeichnet wird – was sollte der Term bezeichnen, wenn nicht Bewegtes? Ich versuche ferner zu zeigen, daß eine der aristotelischen Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses (τόδε τι) und Gegenständen des Typs So etwas (τοιόνδε) entsprechende Unterscheidung verschiedener Gegenstandstypen erforderlich ist, um plausibel zu machen, daß das, was der Prädikat-Term »bewegt« bezeichnet, zwar Be24 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 277: »The only set of entities in Plato’s universe that would fit the bill are the Forms or Kinds, which are as certainly the objects of ›intelligence‹ in the Sophist as they are in the Philebus«. 25 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 34: »[...] es fällt schwer zu glauben, daß Platon, der immer auf die Unveränderlichkeit der Formen hinweist und der 249b8-c5 aufgrund eben dieser Unveränderlichkeit gezeigt hat, daß es Ruhe gibt, im Fall von Bewegung vergessen haben sollte, daß auch Bewegung, qua Form, in Ruhe sein muß.«
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wegtes, jedoch kein bewegtes Individuum ist (die Annahme, daß das Designat des Ausdrucks ein Individuum sei, scheint mir mit anderen Voraussetzungen, die im Sophistes gemacht werden, unvereinbar zu sein). Die Hauptthese dieses Abschnitts lautet demnach, daß die Form der Bewegung als Gegenstand des Typs So etwas im aristotelischen Sinne zu bestimmen ist, wenn verständlich werden soll, warum die Aussage, daß Bewegung ruht, im Sophistes als evident falsch bewertet wird. Das schließt aber auch ein, daß wir die Form nicht als Eigenschaft bewegter Individuen verstehen sollten, sondern als etwas, was sie, als bewegte Individuen, sind (wobei hier der Ausdruck »sind« als Copula zu verstehen ist). Der Schlußteil der Untersuchung (2.1.3) gilt zum einen der Frage, ob auch die übrigen Sätze erster Ordnung Aussagen über die Form der Bewegung als Gegenstand des Typs So etwas zum Inhalt haben. Man könnte darüber im Zweifel sein, wenn man bedenkt, wie sie gemeinhin verstanden werden. Der Satz »Bewegung ist« wird traditionellerweise als Satz verstanden, in dem der Eigenschaft, die bewegte Dinge exemplifizieren, Sein zugeschrieben wird, »Bewegung ist verschieden von Ruhe« als Satz, in dem eben diese Eigenschaft von der Eigenschaft, die ruhende Dinge exemplifizieren, numerisch unterschieden wird, und »Bewegung ist dasselbe wie sie selbst« als Satz, in dem sie mit sich selbst numerisch identifiziert wird.26 Die Sätze können natürlich nicht so verstanden werden, wenn man die Form der Bewegung nicht als Eigenschaft, die sich von anderen Eigenschaften numerisch abgrenzen läßt, sondern als etwas, das bewegte Dinge sind, bestimmt. Sie sollten auch in der Tat nicht so, sondern auf einer Linie mit »Bewegung ruht« verstanden werden. Dies zu zeigen, ist das eine Anliegen dieses Teils (2.1.3.1/2). Zum anderen will ich in ihm die Sätze zweiter Ordnung besprechen (2.1.3.3). Sie können nicht so wie die Sätze erster Ordnung paraphrasiert werden. Diese Tatsache ist zwar erklärungsbedürftig, stellt jedoch, wie ich zeigen möchte, keinen Einwand gegen meine Deutung der Sätze erster Ordnung dar. Wiederum erweist sich der Blick auf Aristoteles als aufschlußreich. Obwohl Aristoteles behauptet, daß z. B. der Ausdruck »Der Mensch« kein Dieses, sondern so etwas bezeichne,27 bildet er Sätze, in denen der Ausdruck, anders als in Sätzen wie »Der Mensch ist ein Lebewesen«, nicht durch »So etwas: ein Mensch« sinnwahrend ersetzt werden kann, z. B. den Satz »Der Mensch wird vom individuellen Menschen ausgesagt«.28 In diesem Satz wird so gesprochen, als handele es sich bei dem, was der Term »Der Mensch« bezeichnet, um einen Gegenstand des Typs 26 Vgl. z. B. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 305f. 27 Vgl. Cat. 3b13-21. 28 Vgl. Cat. 1b12f., 2a21f.
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Dieses. Freilich kann man so sprechen, wenn man sich bewußt ist, daß es sich dabei um eine uneigentliche Redeweise handelt. Entsprechend sind auch die Sätze zweiter Ordnung unverfänglich, wenn man im Auge behält, daß in ihnen eine uneigentliche Aussageweise vorliegt. In der Tat läßt sich daran, daß sie Metaphern wie »Teilhaben«, »Gemeinschafthaben« und »Sichmischen« enthalten – Metaphern, die zum Teil auch auf Dinge ganz anderer Art (Buchstaben, Töne, Wörter) Anwendung finden – zeigen, daß sich der Eleatische Gast der uneigentlichen Aussageweise bewußt ist.
2.1.2 Zur Deutung des Satzes »Bewegung ruht« 2.1.2.1 Vier sichere Feststellungen über die Verwendung des Satzes im Sophistes Vier Feststellungen über die Verwendung des Satzes »Bewegung ruht«29 im Sophistes können als sicher gelten: (i) Der Satz wird vom Eleatischen Gast und Theaitetos als Ausdruck einer offensichtlich falschen Aussage beurteilt, genauer gesagt: als Ausdruck einer aufgrund bestimmter Regeln der Verwendung der Ausdrücke »Bewegung« und »ruht« falschen Aussage. Anders läßt es sich nicht erklären, daß sie seinen Aussagegehalt mehrmals ohne jede Begründung als absurd zurückweisen30 und daß der Eleatische Gast es als »aufgrund größter Notwen29 Vgl. zur Übersetzung Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 272 Anm. 5: »The reader will constantly bear in mind that κίνησις covers all kinds of variation, of which change in spatial position is only one, and hence that its antonym, στάσις, stands for invariance in its most general sense, applying naturally to entities like Plato’s Forms, which, strictly speaking, could no more be said to ›rest‹ than ›move.‹« 30 Sie tun dies an den folgenden vier Stellen: (a) 250b5f.: »Gast: Bezeichnest du sie (sc. Bewegung und Ruhe) beide als ruhend, wenn du sagst, daß sie sind? Theaitetos: Überhaupt nicht.« (»ΞΕ. Ἀλλ’ ἑστάναι σημαίνεις λέγων αὐτὰ ἀμφότερα (sc. κίνησιν καὶ στάσιν) εἶναι; ΘΕΑΙ. Καὶ πῶς;«) (b) 252d2-11: »Gast: Was aber, wenn wir alle (sc. Gattungen) die Fähigkeit zur Gemeinschaft miteinander haben lassen? Theaitetos: Das kann ja sogar ich auflösen. Gast: Wie denn? Theaitetos: Weil ja dann sogar Bewegung ganz und gar ruhen würde und andererseits sogar Ruhe bewegt wäre, wenn sie zueinander finden könnten. Gast: Aber das ist doch aufgrund größter Notwendigkeit unmöglich, daß Bewegung ruht und Ruhe bewegt ist? Theaitetos: Natürlich.« (»ΞΕ. Τί δ’, ἂν πάντα ἀλλήλοις ἐῶμεν δύναμιν ἔχειν ἐπικοινωνίας; ΘΕΑΙ. Τοῦτο μὲν οἷός τε κἀγὼ διαλύειν. ΞΕ. Πῶς; ΘΕΑΙ. Ὅτι κίνησίς τε αὐτὴ παντάπασιν ἵσταιτ’ ἂν καὶ στάσις αὖ πάλιν αὐτὴ κινοῖτο, εἴπερ ἐπιγιγνοίσθην ἐπ’ ἀλλήλοιν. ΞΕ. Ἀλλὰ μὴν τοῦτό γέ που ταῖς μεγίσταις ἀνάγκαις ἀδύνατον, κίνησίν τε ἵστασθαι καὶ στάσιν κινεῖσθαι; ΘΕΑΙ. Πῶς γὰρ οὔ;«) (c) 255a10-b2 (Feststellung der absurden Konsequenz der Voraussetzung, daß das Verschiedene resp. Dasselbe nicht von Bewegung oder Ruhe verschieden ist): »Gast: Bewegung wird ruhen und Ruhe wird bewegt sein: denn wenn eines von ihnen beide umgibt, so wird es das andere zwingen, sich in das Gegenteil seiner Natur zu verwandeln, weil es am Gegenteil teilhat. Theaite-
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digkeit unmöglich« (»ταῖς μεγίσταις ἀνάγκαις ἀδύνατον«31 252d9f.) bezeichnet, daß Bewegung ruht und Ruhe in Bewegung ist. Die negative Beurteilung der Aussage wird an keiner Stelle des Dialogs zurückgenommen oder durch Unterscheidung verschiedener Bedeutungen von »Bewegung ruht« eingeschränkt, auch nicht, wie zuweilen angenommen wird,32 in 256b6f., wo es heißt, daß es nicht absurd wäre, Bewegung als »ruhend« anzusprechen, wenn selbst Bewegung irgendwie an Ruhe teilhätte. Diese Aussage ist kontrafaktisch und darf nicht so verstanden werden, als werde mit ihr eingeräumt, daß Bewegung irgendwie an Ruhe teilhabe und infolgedessen legitimerweise als »ruhend« angesprochen werden könne.33 (ii) In dem Satz wird nach dem Verständnis der Gesprächsteilnehmer der Ausdruck »Bewegung« so verwendet wie in den anderen Sätzen erster Ordnung. Denn daraus, daß in diesen Sätzen »ist« (bzw. »ein Seiendes«) nicht salva veritate durch »ruht« (bzw. »ruhend«) sowie generelle Terme tos: In der Tat.« (»ΞΕ. Κίνησίς τε στήσεται καὶ στάσις αὖ κινηθήσεται· περὶ γὰρ ἀμφότερα θάτερον ὁποτερονοῦν γιγνόμενον αὐτοῖν, ἀναγκάσει μεταβάλλειν αὖ θάτερον ἐπὶ τοὐναντίον τῆς αὑτοῦ φύσεως, ἅτε μετασχὸν τοῦ ἐναντίου. ΘΕΑΙ. Κομιδῇ γε.«) (d) 256b6-9: »Gast: Es wäre daher kein bißchen abwegig, die Bewegung als ›ruhend‹ anzusprechen, wenn sie in irgendeiner Weise an Ruhe teilhätte? Theaitetos: Vollkommen richtig, wenn wir zugestehen werden, daß die einen Gattungen bereit sind, sich miteinander zu mischen, die anderen nicht.« (»ΞΕ. Οὐκοῦν κἂν εἴ πῃ μετελάμβανεν αὐτὴ κίνησις στάσεως, οὐδὲν ἂν ἄτοπον ἦν στάσιμον αὐτὴν προσαγορεύειν; ΘΕΑΙ. Ὀρθότατά γε, εἴπερ τῶν γενῶν συγχωρησόμεθα τὰ μὲν ἀλλήλοις ἐθέλειν μείγνυσθαι, τὰ δὲ μή.«) 31 Es scheint mir abwegig, hinter dem Gebrauch einer so entschiedenen Formulierung die Strategie erkennen zu wollen, die These, daß Bewegung nicht ruhe und Ruhe nicht bewegt sei, als Gewißheit hinzustellen, um sie später umso wirkungsvoller zu Fall zu bringen (vgl. Silverman, The Dialectic of Essence, S. 344 Anm. 46). Denn sie wird später einfach nicht zu Fall gebracht, und schon gar nicht auf wirkungsvolle Weise. 32 Vgl. z. B. Kostman, S. 347-351. 33 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 284-286 und Heinaman, Self-Predication in the Sophist, S. 65 Anm. 21. Kostman (S. 347-351) führt zwei Argumente dafür ins Feld, daß in 256b6-9 eine bestimmte Art von Teilhabe (mit der Platon gewöhnliche Prädikationen analysiere und die er von einer anderen Art von Teilhabe, mit der er Paulinische Prädikationen analysiere, unterscheide) von Bewegung an Ruhe behauptet werde: (i) der Zusatz des Indefinitpronomens »πῃ« in der Protasis des Konditionalsatzes 256b6f. impliziere, daß es mehr als nur eine Art von Teilhabe gebe; (ii) die Verwendung des Adjektivs »στάσιμος« in der Apodosis des Satzes signalisiere, daß der Satz »Bewegung ruht« anders zu verstehen sei als in 250b5, c6f., 252d6f. und 255a10, wo anstelle des Adjektivs »στάσιμος« Verbalformen von »ἵστασθαι« gebraucht werden. Doch sind sowohl der Zusatz von »πῃ« als auch die Verwendung von »στάσιμος« auf andere Weise zu erklären: »πῃ« ist, wie Vlastos (An Ambiguity in the Sophist, S. 293) hervorhebt, in die Protasis eines irrealen Konditionalsatzes eingebettet und nur ein Zeichen der Verlegenheit, die in ihr ausgedrückte irreale Bedingung plausiblerweise zu spezifizieren. Die Verwendung von »στάσιμος« erklärt sich aus der Verwendung von »προσαγορεύειν«, die ihrerseits mit der Fortführung der Redeweise in 256a11-b4 (»ὅταν εἴπωμεν αὐτὴν ταὐτὸν καὶ μὴ ταὐτόν, [...], ὥστε ὀρθῶς αὖ λέγεται πάλιν οὐ ταὐτόν«) zu erklären ist. Bemerkenswert ist freilich nicht so sehr die Schwäche von Kostmans gesuchten Argumenten für seine Lesart; bemerkenswert ist, daß Kostman gar nicht erst den Versuch macht, Vlastos’ Hauptargument – die kontrafaktische Formulierung in 256b6f. (Kostman spricht abschwächend von »hypothetical construction«, S. 348) – zu entkräften.
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der Form »verschieden von ...« und »dasselbe wie ...« nicht salva veritate durch »ruhend« ersetzt werden können, wird in 250b5f. und 255a7-b2 geschlossen, daß Ruhe vom Seienden, Verschiedenen und Demselben verschieden ist.34 Eine notwendige Bedingung für die Gültigkeit dieser Art von Argumentation ist, daß die Ausdrücke »ruht« und »ruhend« über Bewegung unter Voraussetzung derselben Verwendung von »Bewegung« ausgesagt werden wie die Terme, die durch sie ersetzt werden. Anderenfalls könnte die Veränderung des Wahrheitswerts auch darauf zurückgeführt werden, daß der Subjekt-Term anders gebraucht wird. (iii) Die Ausdrücke »ruht« und »ruhend« werden so gebraucht, daß sie für die Form der Ruhe stehen. Anderenfalls wäre unverständlich, daß die Verschiedenheit von Ruhe vom Seienden, Verschiedenen und Demselben damit begründet wird, daß die Ausdrücke »ist« und »ein Seiendes« sowie generelle Terme der Form »verschieden von ...« und »dasselbe wie ...« nicht in allen Sätzen, in denen sie ausgesagt werden, wahrheitswerterhaltend durch »ruht« oder »ruhend« ersetzt werden können, z. B. nicht in den Sätzen »Bewegung ist«, »Bewegung ist verschieden von Ruhe« und »Bewegung ist dasselbe wie Ruhe«, bei denen aus der Substitution die als Ausdrücke evident falscher Aussagen bewerteten Sätze »Bewegung ruht« und »Bewegung ist ruhend« resultieren. Soll aus diesem Hinweis geschlossen werden können, daß Ruhe vom Seienden, vom Verschiedenen und von Demselben verschieden ist, muß vorausgesetzt sein, daß die Ausdrücke »ruht« und »ruhend« für Ruhe, »ist« für das Seiende, Ausdrücke der Form »verschieden von ...« für das Verschiedene und Ausdrücke der Form »dasselbe wie ...« für Dasselbe stehen. (iv) Der Satz wird mit den Sätzen zweiter Ordnung »Bewegung hat an Ruhe teil« (255b1, 256b6f.) und »Bewegung mischt sich mit Ruhe« (254d7f.) analysiert.
2.1.2.2 Zur Beurteilung verbreiteter Deutungen des Satzes Aus diesen vier durch den Text hinreichend gesicherten Tatsachen lassen sich Folgerungen für die Beurteilung der drei in der modernen Literatur über den Sophistes am weitesten verbreiteten Deutungen des Satzes ableiten, nämlich (a) der Identitätslesart, (b) der Paulinischen Lesart und (c) der Selbstexemplifikationslesart. 34 Vgl. zu der Argumentation in 255a4-b7 Berger (gegen Moravcsik, S. 45f.). Die Argumentation ist in dem Punkt problematisch, daß sich mit ihr nicht begründen läßt, daß Ruhe vom von Bewegung Verschiedenen, Bewegung vom von Ruhe Verschiedenen, Ruhe von Demselben in bezug auf Ruhe und Bewegung von Demselben in bezug auf Bewegung verschieden ist.
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2.1.2.2.1 Die Identitätslesart Die Identitätslesart des Satzes kann zwei verschiedene Gestalten annehmen. Nach der einen wird mit dem Satz ausdrücklich behauptet, daß Bewegung und Ruhe miteinander identisch seien.35 Nach der anderen ist in dem Satz die Identität von Ruhe und Bewegung lediglich impliziert.36 Die erste Version der Identitätslesart ist mit den Feststellungen (iii) und (iv) unverträglich. Dieser Version zufolge steht nämlich der Term »ruht« nicht, wie von (iii) gefordert, für Ruhe, sondern für Dasselbe in bezug auf Ruhe (vgl. 256b1). Infolgedessen ist der Satz nach dieser Lesart nicht, wie von (iv) verlangt, mit »Bewegung hat an Ruhe teil«, sondern mit »Ruhe hat an Demselben in bezug auf Ruhe teil« zu analysieren. Die zweite Version der Identitätslesart ist mit (iv) unverträglich. Denn die Teilhabe von x an y schließt ein, daß x und y voneinander verschieden sind. (Es sei daran erinnert, daß der Satz »Bewegung ist bewegt« eben deshalb nicht mit einem Satz zweiter Ordnung analysiert wird, da der Term »bewegt« auf dieselbe Form bezogen wird wie »Bewegung«.) Aus der Analyse des Satzes erster Ordnung »Bewegung ruht« mit dem Satz zweiter Ordnung »Bewegung hat an Ruhe teil« ist somit zu folgern, daß »Bewegung ruht« nicht die Identität von Bewegung und Ruhe impliziert.37 Die zweite Version der Identitätslesart kann nicht mit dem Argument38 gerettet werden, daß der Eleatische Gast »Bewegung ruht« zwar sozusagen offiziell als Satz verstehe, dessen Prädikat-Term nicht für dieselbe Form wie der Subjekt-Ausdruck stehe, jedoch unter der Hand seinen PrädikatTerm auf dieselbe Form wie seinen Subjekt-Ausdruck beziehe, wenn er den Satz als Ausdruck einer evident falschen Aussage behandle. Man könnte dieses Argument auf 255a10-b2 zu stützen versuchen, wo davon die Rede ist, daß sich Bewegung ins Gegenteil ihrer Natur verwandeln würde, wenn sie an Ruhe teilhätte.39 Diese Bemerkung ist jedoch nicht so zu verstehen, daß im Falle einer Teilhabe von Bewegung an Ruhe die Aussage »Bewe35 Vgl. Reeve, S. 61. 36 Frede scheint anzunehmen, daß der Satz »Bewegung ruht« im Sinne von »Bewegung ruht1«, d. h. mit Implikation der Identität von Ruhe und Bewegung, verworfen wird (vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 34: »Wenn erst einmal klargestellt ist, daß Bewegung nicht in Ruhe ist1, dann bereitet die Annahme, daß Bewegung in Ruhe ist2, gar keine Schwierigkeiten«). 37 Vgl. auch Heinaman, Self-Predication in the Sophist, S. 62 mit Anm. 21. 38 Wenn ich recht sehe, argumentiert so van Eck (Plato’s Logical Insights, S. 62). 39 Es handelt sich um folgende Stelle: »Gast: Bewegung wird ruhen und Ruhe wird bewegt sein: denn wenn eines von ihnen beide umgibt, so wird es das andere zwingen, sich in das Gegenteil seiner Natur zu verwandeln, weil es am Gegenteil teilhat. Theaitetos: In der Tat.« (»ΞΕ. Κίνησίς τε στήσεται καὶ στάσις αὖ κινηθήσεται· περὶ γὰρ ἀμφότερα θάτερον ὁποτερονοῦν γιγνόμενον αὐτοῖν, ἀναγκάσει μεταβάλλειν αὖ θάτερον ἐπὶ τοὐναντίον τῆς αὑτοῦ φύσεως, ἅτε μετασχὸν τοῦ ἐναντίου. ΘΕΑΙ. Κομιδῇ γε.«).
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gung ruht aufgrund ihrer eigenen Natur« wahr wäre, sondern so, daß aus der Wahrheit der Aussage »Bewegung ruht aufgrund der Teilhabe an Ruhe« die Falschheit der Aussage »Bewegung ist aufgrund ihrer eigenen Natur bewegt« gefolgert werden kann und Bewegung insofern, aufgrund der Falschheit dieser Aussage, ins Gegenteil ihrer Natur verwandelt wäre. Die Bemerkung setzt also zwar voraus, daß die Aussage eines Prädikat-Terms über eine Form, der ihr aufgrund der Teilhabe an einer anderen Form zugeschrieben wird, mit der Aussage eines Prädikat-Terms über sie, der ihr aufgrund ihrer eigenen Natur zugeschrieben wird, unverträglich sein kann,40 impliziert aber nicht, daß der Eleatische Gast den Satz »Bewegung ruht« im Sinne von »Bewegung ruht aufgrund ihrer eigenen Natur« deutet und die von ihm ausgedrückte Aussage daher auch nur in diesem Sinne verwirft. Vielmehr bestätigt die Stelle das Bild, das auch aus den übrigen Stellen zu gewinnen ist, nämlich das Bild, daß der Eleatische Gast den Satz »Bewegung ruht« im Sinne von »Bewegung ruht aufgrund der Teilhabe an Ruhe« versteht (die Möglichkeit, daß der Satz im Sinne von »Bewegung ruht aufgrund ihrer eigenen Natur« zu verstehen sein könnte, zieht er gar nicht erst in Erwägung).
2.1.2.2.2 Die Paulinische Lesart Auch die Paulinische Lesart kann verschiedene Gestalten annehmen. Nach der ersten Version hat der Satz »Bewegung ruht« die Bedeutung von (a)
Die Form der Bewegung verhält sich derart zur Form der Ruhe, daß notwendigerweise alles, was an der Form der Bewegung teilhat, an der Form der Ruhe teilhat.
Nach der zweiten bedeutet er soviel wie (b)
Die Form der Bewegung ist so, daß notwendigerweise alles, was an der Form der Bewegung teilhat, ruht.41
Gemäß der dritten Version besagt er dasselbe wie 40 Was van Eck (Plato’s Logical Insights, S. 62) mit den Worten »Participating in rest does not interfere with the physis of any form, notably that of movement« ohne weitere Begründung bestreitet. Vgl. auch oben Anm. 21 zu der in Fredes Interpretation enthaltenen Behauptung, es bestehe für den Eleatischen Gast kein Konflikt zwischen den mit den Sätzen »Bewegung ist in Ruhe« und »Bewegung ist bewegt« gemachten Aussagen, da er den ersten Satz im Sinne von »Bewegung ist2 in Ruhe« und den zweiten im Sinne von »Bewegung ist1 bewegt« verstehe. 41 Die beiden ersten Versionen, (a) und (b), unterscheiden sich von den beiden folgenden, (c) und (d), darin, daß sie die logische Form des Satzes seiner grammatischen entsprechen lassen, d. h. »Bewegung« als singulären Term verstehen und dem Prädikat-Term »ruht« eine ungewöhnliche Bedeutung zuschreiben. Vgl. Peterson, S. 55f.
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(c)
Notwendigerweise gilt: Alles, was bewegt ist, ist in Ruhe,
und laut der vierten Version der Paulinischen Lesart besagt er einfach: (d)
Alles, was bewegt ist, ruht.42
Die ersten beiden Versionen der Paulinischen Lesart, (a) und (b), sind mit (iii) unverträglich, da die Prädikat-Ausdrücke von (a) und (b), »verhält sich derart zur Form der Ruhe, daß notwendigerweise alles, was an der Form der Bewegung teilhat, an der Form der Ruhe teilhat« und »so, daß notwendigerweise alles, was an der Form der Bewegung teilhat, ruht«, nicht auf die Form der Ruhe bezogen werden können. Die dritte und vierte Version der Paulinischen Lesart, (c) und (d), sind mit (ii) unverträglich, da in den Sätzen erster Ordnung, in denen PrädikatTerme der Form »verschieden von ...« und »dasselbe wie ...« verwendet werden, »Bewegung« nicht so verwendet wird wie – laut diesen Versionen der Paulinischen Lesart – in »Bewegung ruht«. Der Satz »Bewegung ist verschieden vom Seienden« z. B. kann weder mit »Notwendigerweise gilt: Alles, was bewegt ist, ist verschieden vom Seienden« noch mit »Alles, was bewegt ist, ist verschieden vom Seienden« salva propositione wiedergegeben werden;43 er besagt vielmehr, daß das, wofür der Ausdruck »bewegt« steht, verschieden ist von dem, wofür der Ausdruck »seiend« steht.44 Die Unverträglichkeit der dritten und der vierten Version der Paulinischen Lesart mit (ii) wird von den Verfechtern dieser Versionen durchaus eingeräumt (wenigstens indirekt so, daß sie einräumen, daß die Sätze über Bewegung, in denen Terme des Typs »verschieden von ...« und »dasselbe wie ...« verwendet werden, nicht Paulinisch verstanden werden können45). 42 In der Definition von Paulinischer Prädikation, die Vlastos in »An Ambiguity in the Sophist« (S. 273) gibt (»B isPP A =Df N{(x) [(x ε B) → (x ε A)]}«), ist die dritte Version der Paulinischen Lesart vorausgesetzt. Doch eine Anmerkung (ebd., S. 274 Anm. 13) deutet darauf hin, daß Vlastos eher zur ersten Version tendiert; denn er sagt hier, daß das Definiens streng genommen mit »B verhält sich zu A so, daß [...]« eingeleitet werden sollte. Auch bei Pelletier ist nicht ganz klar, welche Version der Paulinischen Lesart er vertritt. Seine Definition der UNIO-Partizipation (vgl. Pelletier, S. 102: »Φ UNIO-participates in Ψ iff As a matter of nomic necessity, everything which is an instance of Ref(Φ) is also an instance of Ref(Ψ)«) legt die dritte Version nahe, aber die Bemerkung, daß generelle Sätze »well and truly about the kind« (Pelletier, S. 97) seien, mag so verstanden werden, daß er den Satz »Bewegung ruht« im Sinne der zweiten Version der Paulinischen Lesart mit »Die Form der Bewegung ist so, daß notwendigerweise gilt, daß ihre Instanzen ruhen« paraphrasiert. Bostock (Plato on ›Is not‹, S. 104) vertritt unmißverständlich die vierte Version der Paulinischen Lesart. 43 Vgl. Teloh, S. 197 und Heinaman, Communion of Forms, S. 182. 44 Genau dies, daß wir mit »bewegt« etwas Anderes bezeichnen als mit »seiend«, ist in 250b24 (»ΞΕ. Ἆρα κινεῖσθαι λέγων ἀμφότερα καὶ ἑκάτερον (sc. κίνησιν καὶ στάσιν), ὅταν εἶναι συγχωρῇς; ΘΕΑΙ. Οὐδαμῶς.«) gezeigt worden, und mit der These der Verschiedenheit von Bewegung und dem Seienden in 254d14 wird auf dieses Argument in 250b2f. zurückgegriffen. 45 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 305f., Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 109, Kostman, S. 345 und Pelletier, S. 117f.
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Doch ziehen sie daraus nicht die notwendige Konsequenz, daß der Eleatische Gast auch den Satz »Bewegung ruht« nicht Paulinisch verwendet. Gegen die dritte und vierte Version ist ferner einzuwenden, daß zu bezweifeln ist, daß der Satz »Bewegung ruht« zum Ausdruck einer AllAussage verwendet werden kann. Man gebraucht dazu doch eher einen Satz wie »Das Bewegte ruht« oder »Bewegtes ruht«. Vlastos vergleicht umgangssprachlich gebräuchliche generelle Sätze, in denen z. B. TugendNamen die Stelle des grammatischen Subjekts einnehmen. Bei der Betrachtung dieser Sätze fällt jedoch auf, daß ihre Prädikat-Terme ausschließlich zur Charakterisierung handelnder Personen verwendet werden und ihre Subjekt-Ausdrücke Eigenschaften bezeichnen, die ausschließlich handelnde Personen exemplifizieren.46 Nun ist »Bewegung« kein Ausdruck, der als singulärer Term zur Bezeichnung einer Eigenschaft, die ausschließlich handelnde Personen exemplifizieren, verwendet wird, noch ist »ruht« ein Term, mit dem allein handelnde Personen charakterisiert werden können. Es ist daher fraglich, ob der Satz »Bewegung ruht« überhaupt zum Ausdruck einer All-Aussage verwendet werden kann. Die Zweifel an der Deutung von »Bewegung ruht« als Ausdruck einer Allaussage (mit oder ohne Notwendigkeitsoperator) schließen im übrigen nicht die Zustimmung zu der von Mates (S. 222) aufgestellten These aus, daß der Bildung von Sätzen wie »Bewegung ruht« ein Mißverständnis umgangssprachlich gebräuchlicher genereller Sätze wie »Das Bewegte ruht« zugrundeliege (laut Mates das Mißverständnis, daß z. B. der Ausdruck »Das Bewegte« in »Das Bewegte ruht« so wie in einem Satz der Form »x hat am Bewegten teil« als singulärer Term gebraucht werde). Gemäß dieser These ist der Satz »Bewegung ruht« nicht aus der Alltagssprache übernommen, sondern eine philosophische Neubildung, die eine Aussage ausdrückt, von der der Schöpfer des Satzes (fälschlicherweise) annimmt, sie werde auch von den umgangssprachlich gebräuchlichen Sätzen »Das Bewegte ruht« und »Bewegtes ruht« ausgedrückt.
2.1.2.2.3 Die Selbstexemplifikationslesart Man kann aus den Feststellungen (i) – (iii) folgern, daß der Eleatische Gast und Theaitetos die Form der Bewegung als Gegenstand verstehen, für den es wesentlich ist, so zu sein, daß er nicht ruht. Und diese Folgerung mag 46 Vgl. die Beispiele bei Vlastos, The Unity of the Virtues, S. 253: »Justice is impartial«, »Ignorance is bliss«, »Courage is steadfast, calm, temperate, intelligent, loving« und bei Hägler, S. 31-34: »Tugend belohnt sich selbst«, »Ordnungsliebe kann krankhaft sein«, »Unpünktlichkeit ist tadelnswert«, »Gerechtigkeit ist unparteiisch«.
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einen auf die Idee bringen, daß die Formen im Sophistes Gegenstände sind, die bestimmte Eigenschaften auf uneingeschränkte Weise exemplifizieren, die Form der Bewegung etwa ein Gegenstand, der die Eigenschaft, bewegt zu sein, auf uneingeschränkte Weise exemplifiziert. Damit wären wir bei der dritten in der Sophistes-Literatur vertretenen Deutung des Satzes, der Selbstexemplifikationslesart.47 Diese Lesart scheint mir mit (iv) unverträglich zu sein. Denn es ist zwar ohne Zweifel möglich, für »exemplifiziert die Eigenschaft, zu ruhen« im Griechischen »μετέχει στάσεως« zu sagen, aber genauso sicher ist es nicht möglich, dafür Ausdrücke wie »ἐστι μεικτὸς στάσει« (vgl. 254d7f.), »κοινωνεῖ στάσει« (vgl. 253e1) oder »συμφωνεῖ στάσει« (vgl. 253b11) zu verwenden. Zwei weitere Argumente scheinen mir gegen die Selbstexemplifikationslesart zu sprechen: Erstens gibt es gute Gründe für die Annahme, daß die Konzeption der Formen, auf die sich die Vertreter der Selbstexemplifikationslesart für ihre These von den Formen als Gegenständen, die bestimmte Eigenschaften uneingeschränkt exemplifizieren, berufen – die Konzeption der Formen in den mittleren Dialogen –, die These einschließt, daß die konkreten Gegenstände eben diese Eigenschaften nicht oder nicht uneingeschränkt besitzen.48 Man braucht sich nur die betreffenden Stellen dieser Dialoge anzusehen, um sich zu vergewissern, daß in ihnen ausnahmslos der (für einige Substitute von »F« herausgestellte) Kontrast zwischen dem Fen selbst, das auf ausgezeichnete Weise F ist, und den konkreten Dingen, die, wenn sie F sind, zugleich auch unF sind, eine zentrale Rolle spielt.49 Da dem Sophistes dieser Kontrast fremd ist,50 in dem Dialog vielmehr vorausgesetzt ist, daß die konkreten Gegenstände die Prädikate erfüllen können, die wir ihnen zuschreiben, scheint es mir falsch zu sein, die Tatsache, daß der Eleatische Gast und Theaitetos Bewegung als etwas verstehen, für das es wesentlich
47 Sie wird von Heinaman (Self-Predication in the Sophist; Communion of Forms) und Malcolm (Vlastos on Pauline Predication, S. 85 Anm. 15) vertreten. Heinaman bemerkt in »Communion of Forms« (S. 185): »Just as, for an individual x to participate in the Form F is for x to possess the property F, so for a Form G to participate in a Form F is for G to possess the property F.« 48 Vgl. dazu unten 3.2.4 in der zweiten Untersuchung zu Phaidon 74b6-c6. 49 Beispiele: Smp. 211a-b, Phd. 74a-75c, R. V, 476e-480a. 50 Es ist daher falsch, sich wie Heinaman (Self-Predication in the Sophist, S. 56f.) und Reeve (S. 51 Anm. 9) gegen Vlastos’ Theorie Paulinischer Prädikation auf die aus den mittleren Dialogen vertraute These zu berufen, daß, für einige Substitute von »F«, alle konkreten Dinge, die F sind, auch unF sind. Reeve verlangt tatsächlich ein »argument that the Eleatic Stranger has not inherited his creator’s views« (ebd., S. 51). Doch ist genau umgekehrt eine Begründung für die unwahrscheinliche Annahme zu fordern, daß in einem Dialog, in dem keine bestimmte ontologische Theorie entwickelt wird, sondern die begrifflichen Grundlagen ontologischer Theorien untersucht werden, eine solche Ontologie der Sensibilia vorausgesetzt ist.
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ist, nicht zu ruhen, mit der Konzeption der Formen der mittleren Dialoge zu erklären.51 Diese Erklärung scheint mir noch aus einem weiteren Grund problematisch zu sein. Wie z. B. aus Phaidon 78d1-9 zu ersehen ist, enthält die Konzeption der Formen der mittleren Dialoge die These, daß sich die Formen immer auf dieselbe Weise verhalten.52 Nun ist aber nach 249b12-c1 darin, daß sich ein gegebener Gegenstand immer auf dieselbe Weise verhält, enthalten, daß er ruht. Daher müßte es auch für die Form der Bewegung, wäre sie eine der Formen der mittleren Dialoge, wesentlich sein, zu ruhen. Nun soll sie jedoch wesentlich so sein, daß sie nicht ruht. Folglich scheint sie keine der Formen der mittleren Dialoge zu sein.53 Der Widerspruch kann nicht dadurch beseitigt werden, daß man geltend macht, daß die Form der Bewegung qua Form ruhe und qua bestimmte Form, die sie ist, bewegt sei;54 denn die mit den Zusätzen »qua Form« und »qua bestimmte Form, die sie ist« angezeigte Verschiedenheit der Begründung dafür, daß sie ruht, von der Begründung dafür, daß sie bewegt ist, ändert nichts daran, daß ihr mit den Prädikat-Termen »ruht« und »bewegt« unverträgliche Eigenschaften zugeschrieben werden.55 Dank dem im letzten Abschnitt dargestellten Argument gegen die Selbstexemplifikationslesart glauben sich die Vertreter der Paulinischen Lesart zur Folgerung berechtigt, daß der Ausdruck »Bewegung« in dem Satz »Bewegung ruht« nicht zur Bezeichnung der Form der Bewegung verwendet werde.56 Dieser Schluß ist freilich voreilig und kann mit (ii) leicht widerlegt werden. Da der Eleatische Gast glaubt, in dem Satz »Bewegung ist verschieden vom Seienden« mit dem Ausdruck »Bewegung« auf das Bezug zu nehmen, wofür der Prädikat-Term »bewegt« in Sätzen wie »Alles ist 51 Heinamans Rekurs auf die Exposition der Ideenlehre im ersten Teil des Parmenides (128e5130a2) (vgl. Heinaman, Self-Predication in the Sophist, S. 57-60) ist geeignet, dieses Problem seiner Interpretation zu illustrieren; denn an der Parmenides-Stelle ist die (für einige Substitute von »F« aufgestellte) These vom unqualifizierten Fsein des Fen selbst das Gegenstück zur (für dieselben Substitute von »F« aufgestellten) These, daß die konkreten Dinge, die F sind, zugleich unF sind. 52 Vgl. Phd. 78d2f.: »ὡσαύτως ἀεὶ ἔχει κατὰ ταὐτά«. 53 Versteht man »Form« im Sinne der Theorie der Formen der mittleren Dialoge, ist Ketchum zuzustimmen, wenn er sagt: »In light of this reaffirmation of the changelessness of the objects of knowledge, it is doubtful that Plato would say that it is ›by the greatest necessity impossible for Change to rest,‹ (252D9-10) if ›Change rests‹ means ›The Form, Change, rests.‹ The Form, Change, in some respects at least, is at rest.« (Ketchum, Participation and Predication, S. 43) 54 So versucht Malcolm (Vlastos on Pauline Predication, S. 80f.) den Widerspruch aufzulösen. 55 Vgl. Striker, Peras und Apeiron, S. 39. Sicher kann man mit Gerson (A Distinction in Plato’s Sophist, S. 130) ad hoc »a real distinction« zwischen der Form und ihrer Natur postulieren, mit der sich der Widerspruch auflösen läßt; nur findet sich im Text selbst kein Anhaltspunkt für eine solche Unterscheidung. 56 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 278, Kostman, S. 346 und Pelletier, S. 115.
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bewegt« steht – jedenfalls folgert er die Verschiedenheit von Bewegung und dem Seienden daraus, daß wir mit dem Term »bewegt« anderes bezeichnen als mit dem Term »seiend«57 –, und den Satz »Bewegung ist in Ruhe« aus ersterem Satz mittels Ersetzung von »verschieden vom Seienden« durch »in Ruhe« gewinnt, ist es klar, daß er den Ausdruck »Bewegung« auch in »Bewegung ist in Ruhe« auf etwas, und zwar das, was seiner Auffassung nach durch den Term »bewegt« bezeichnet wird, bezieht. Warum aber sollte dies nicht als »Form« bezeichnet werden?
2.1.2.3 Ein anderer Vorschlag zur Deutung des Satzes Die Tatsache, daß das, worauf mit dem Ausdruck »Bewegung« Bezug genommen wird, nach Auffassung des Eleatischen Gasts und Theaitetos mit dem identisch ist, wofür der Prädikat-Term »bewegt« steht, legt eine andere und, wie mir scheint, plausiblere Erklärung der These, daß es für die Form der Bewegung wesentlich sei, nicht zu ruhen, nahe als die Erklärung mit der Konzeption der Formen der mittleren Dialoge. Diese Auffassung des Eleatischen Gasts impliziert nämlich: (I)
Bewegung ist das, was durch den Prädikat-Term »bewegt« bezeichnet wird.
So befremdlich die Annahme, daß eine Form von einem Prädikat-Term bezeichnet wird, wirken mag,58 so deutlich tritt sie z. B. in der Formulierung des Arguments hervor, mit dem die Verschiedenheit des Seienden und Desselben begründet werden soll: Gast: Sollen wir denn das Seiende und Dasselbe als eine Sache betrachten? Theaitetos: Möglicherweise. Gast: Aber wenn das Seiende und Dasselbe nichts Verschiedenes bezeichnen, dann werden wir Bewegung und Ruhe mit der Aussage, daß sie beide sind, beide als dasselbe – weil eben seiend – ansprechen. Theaitetos: Aber das ist doch unmöglich. Gast: Also ist es unmöglich, daß Dasselbe und das Seiende eine Sache sind. Theaitetos: Das ist es wohl.59
In der Protasis des Konditionalsatzes 255b11-c1 ist es möglich, »τὸ ὂν« und »τὸ ταὐτὸν« auf die Terme »ὄν« und »ταὐτόν« zu beziehen und sie demgemäß so zu übersetzen: »Aber wenn ›seiend‹ und ›dasselbe‹ nichts Ver57 Vgl. oben Anm. 44. 58 Vgl. dazu oben 1.3. 59 »ΞΕ. Ἀλλ’ ἆρα τὸ ὂν καὶ τὸ ταὐτὸν ὡς ἕν τι διανοητέον ἡμῖν; ΘΕΑΙ. Ἴσως. ΞΕ. Ἀλλ’ εἰ τὸ ὂν καὶ τὸ ταὐτὸν μηδὲν διάφορον σημαίνετον, κίνησιν αὖ πάλιν καὶ στάσιν ἀμφότερα εἶναι λέγοντες ἀμφότερα οὕτως αὐτὰ ταὐτὸν ὡς ὄντα προσεροῦμεν. ΘΕΑΙ. Ἀλλὰ μὴν τοῦτό γε ἀδύνατον. ΞΕ. Ἀδύνατον ἄρα ταὐτὸν καὶ τὸ ὂν ἓν εἶναι. ΘΕΑΙ. Σχεδόν.« (255b8-c4)
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schiedenes bezeichnen«.60 Eher wahrscheinlich ist aber, daß der Eleatische Gast »τὸ ὂν« und »τὸ ταὐτὸν« in b11 wie in b8 gebraucht und den Ausdruck »σημαίνετον« nicht sensu stricto auf bestimmte Terme anwendet, sondern auf das, was sie bezeichnen, nämlich das Seiende und Dasselbe. Dann fragt sich aber: Auf welche Terme ist der Ausdruck »σημαίνετον« streng genommen anzuwenden? Welche Terme bezeichnen das Seiende und Dasselbe? Die Antwort darauf geht aus der in 255b11-c1 enthaltenen Begründung des Unterschieds zwischen dem Seienden und Demselben hervor, die sich folgendermaßen paraphrasieren läßt.61 Würde der Ausdruck »ὄντα« dasselbe bezeichnen wie der Ausdruck »ταὐτόν«, so drückten die Sätze »κίνησις καὶ στάσις ὄντα εἰσίν« und »κίνησις καὶ στάσις ταὐτόν εἰσιν« denselben Sachverhalt aus. Da sie aber nicht denselben Sachverhalt ausdrücken – mit dem ersten Satz wird eine wahre, mit dem zweiten eine falsche Aussage gemacht –, bezeichnen ihre Prädikat-Terme »ὄντα« und »ταὐτόν« Verschiedenes. Daraus wird vom Eleatischen Gast geschlossen, daß das Seiende und Dasselbe verschieden sind, und er setzt mit diesem Schluß voraus, daß das Seiende von »ὄντα« und Dasselbe von »ταὐτόν« bezeichnet wird.62 Dies soll zur Rechtfertigung der These genügen, daß nach Auffassung des Eleatischen Gasts Formen durch Prädikat-Ausdrücke wie »seiend« und »dasselbe« bezeichnet werden und somit auch Bewegung durch den Prädikat-Term »bewegt« bezeichnet wird. Nun werden Gegenstände mit dem Prädikat-Ausdruck »bewegt« als bewegt charakterisiert (wie wir, unter Voraussetzung der strikten Unterscheidung zwischen Bezug nehmenden singulären Termen und charakterisierenden Prädikat-Termen, sagen würden), so daß es für jemanden, der wie der Eleatische Gast annimmt, daß der Term einen Gegenstand bezeichne, naheliegt zu sagen, daß er Bewegtes bezeichne: (II)
Der Prädikat-Term »bewegt« bezeichnet Bewegtes.
(II) ist nicht so zu verstehen, als bezeichnete der Prädikat-Term »bewegt« einen bestimmten bewegten Gegenstand. Denn würde er einen bestimmten Gegenstand bezeichnen, so müßte man das »ist ...« in einem beliebigen singulär prädikativen Satz der Form »x ist bewegt« im Sinne von »ist identisch mit ...« verstehen.63 Dies aber wäre absurd, da ja, wie auch im Sophi60 Bekanntlich übernimmt der Artikel »τό« im Griechischen zuweilen die Funktion unserer Anführungszeichen; vgl. etwa Sph. 252c2-4. 61 Vgl. zur Analyse des Arguments van Eck, Plato’s Logical Insights, S. 66-69. 62 Vgl. zur Bezeichnungsfunktion von Prädikat-Ausdrücken auch 257c2f. in bezug auf Prädikat-Terme mit Negationsausdruck wie »μὴ μέγα«: »[...] τῶν πραγμάτων περὶ ἅττ’ ἂν κέηται τὰ ἐπιφθεγγόμενα ὕστερον τῆς ἀποφάσεως ὀνόματα«. 63 Vgl. dazu oben 1.3.
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stes vorausgesetzt ist,64 mehrere Gegenstände zutreffend als bewegt charakterisiert werden können.65 Aristoteles, der in der Kategorienschrift (3b13-21) ebenfalls annimmt, daß z. B. der Prädikat-Term »ein Mensch« etwas bezeichnet, zieht aus dieser Annahme sowie aus den absurden Konsequenzen der weiteren Annahme, es handele sich dabei um einen Einzelmenschen, ausdrücklich die Konsequenz, daß der Term kein Dieses einer Art (τόδε τι), sondern etwas so und so Beschaffenes (ποιόν τι) bzw. eine so und so beschaffene Substanz (ποιά τις οὐσία) bezeichnet, nämlich so etwas, einen Menschen.66 Legt man die darin enthaltene Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas zugrunde, so kann man sagen, daß der Term »bewegt« keinen bestimmten bewegten Gegenstand, sondern so etwas, Bewegtes, bezeichnet. Dies ermöglicht es, den Satz »Bewegung ruht«, in dem »Bewegung« auf das Bezug nimmt, wofür der Term »bewegt« steht, wiederzugeben mit So etwas, Bewegtes, ruht.
Für diese Wiedergabe von »Bewegung ruht« spricht, daß Aristoteles ausdrücklich bejaht, daß das, als was wir Individuen z. B. mit dem PrädikatTerm »ein Mensch« charakterisieren, seinerseits als dieses oder jenes charakterisiert werden kann, z. B. als Lebewesen. Der Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« wird von ihm so verstanden, als werde in ihm von dem, wofür der Ausdruck »ein Mensch« steht, d. h. einem Menschen, ausgesagt, ein Lebewesen zu sein.67 Entsprechend läßt sich der Satz »Bewegung ruht« so verstehen, daß in ihm von dem, wofür der Prädikat-Term »bewegt« steht, d. h. von Bewegtem, ausgesagt wird, es ruhe. Der Satz läßt sich daher mit
64 Vgl. z. B. 249d3. Gemäß der Theorie der Formen der mittleren Dialoge kann dagegen ein Prädikat-Term wie »schön« für einen bestimmten Gegenstand stehen, da sie einschließt, daß die konkreten schönen Dinge aufgrund der Qualifikationen ihres Schönseins nicht wirklich schön sind, und insofern keine Identifikation des Individuums, für das der Term stehen soll, mit den konkreten schönen Dingen droht. (Vermutlich hat Aristoteles diese Individualisierung des Gegenstands, für den der Term steht, im Auge, wenn er kritisiert, daß die Anhänger der Ideenlehre die Formen »abgesondert« hätten. Vgl. zu dieser Interpretation der aristotelischen Platon-Kritik den Anhang zur Phaidon-Untersuchung 3.2.6.) 65 Vgl. zu diesem Argument für die Nicht-Individualität der Prädikat-Gegenstände Arist. Cat. 3b16-18 und das umgekehrte Argument in Metaph. Β6, 1003a9-12: Stünden die Prädikat-Terme »ein Lebewesen« und »ein Mensch« für verschiedene Individuen, so implizierte die wahre Aussage, daß Sokrates ein Lebewesen und ein Mensch ist, die absurde Aussage, daß Sokrates mit verschiedenen Individuen identisch ist. Vgl. zu diesen Argumenten oben 1.3. 66 Vgl. Cat. 3b15f., b18-21. An anderen Stellen spricht er von »τοιόνδε« (vgl. die Übersicht über die entsprechenden Stellen bei Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, S. 208 und generell zur Interpretation der Unterscheidung zwischen den beiden Gegenstandstypen diesen bedeutenden Aufsatz). 67 Vgl. Cat. 1b10-15 und zur Stelle oben 1.3 und 1.6.
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»So etwas, Bewegtes, ruht« oder kürzer mit »Bewegtes ruht« wiedergeben – allerdings unter der Bedingung, daß man beachtet, daß diese Sätze nicht dem modernen Verständnis gemäß mit »∀x (x ist bewegt → x ruht)« paraphrasiert werden dürfen, sondern als Ausdrücke einer Aussage über den Gegenstand, für den der Term »bewegt« steht, zu verstehen sind.68 Dabei handelt es sich nun nicht um eine Eigenschaft – etwas, das Individuen exemplifizieren – oder einen Begriff – etwas, worunter Individuen fallen –, sondern um etwas, als was Individuen charakterisiert sind. Wie irreführend es ist, die Formen des Sophistes als Eigenschaften (properties, attributes, characteristics) zu bezeichnen,69 kann man allein daran erkennen, daß die Paraphrase des Satzes »Bewegung ruht« mit »Die Eigenschaft, bewegt zu sein, ruht« unverständlich macht, warum der Satz vom Eleatischen Gast und Theaitetos als Ausdruck einer evident falschen Aussage beurteilt wird. Denn die Aussage, daß die Eigenschaft, bewegt zu sein, ruht, ist nicht nur nicht evident falsch, sondern in gewisser Hinsicht sogar wahr, in der Hinsicht nämlich, daß die Eigenschaft, bewegt zu sein, eine unveränderliche Natur hat.70 Diese kritische Spitze gegen die Deutung der Formen des Sophistes als Eigenschaften läßt sich so verallgemeinern, daß jede Paraphrase des Satzes, in der vor den Term »Bewegung« eine Apposition wie »Die Eigenschaft« oder »Der Begriff« derart tritt, daß das durch »Bewegung« Bezeichnete individualisiert wird, unverständlich macht, warum der Satz als Ausdruck einer evident falschen Aussage beurteilt wird. Jedoch dürfen wir daraus, wie gesagt, nicht schließen, daß der Ausdruck »Bewegung« in dem Satz »Bewegung ruht«, so wie er im Sophistes verwendet wird, gar keine Bezeichnungsfunktion hat; vielmehr ist zu folgern, daß er in ihm nicht für einen Gegenstand des Typs Dieses steht und daß, allgemein formuliert, keine der Formen des Sophistes zu einem Gegenstand des Typs Dieses verdinglicht werden darf,71 nicht nur nicht das Seiende.72 68 Auch »κίνησις αὐτὴ ἵσταιτ’ ἂν« (252d6) kann mit »Selbst Bewegtes würde ruhen« paraphrasiert werden. Die Paraphrase ist also mit der Hinzufügung von »αὐτὴ« in 252d6 vereinbar. Vgl. zur Funktion des Zusatzes Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 281: »Theaetetus says ›Motion itself‹ to underscore the paradox that would result from supposing that Motion, which is the ›opposite‹ of Rest, participates in Rest [...]«. 69 Vgl. z. B. Silverman, The Dialectic of Essence, S. 156. 70 Wobei es natürlich andere Hinsichten geben mag, in denen er falsch ist. Vgl. zur Diskussion der damit zuammenhängenden Fragen Keyt, Plato’s Paradox, S. 7-14 und Künne, Die ›Gigantomachie‹ in Platons Sophistes, S. 316-320. 71 Es ist mir nicht klar, ob man diese Verdinglichung vermeidet, wenn man die Formen des Sophistes mit Ketchum (Participation and Predication) und Teloh (S. 189-199) als »kinds« (versus »Platonic Forms«) charakterisiert. 72 Insofern scheint mir die These, daß der Eleatische Gast speziell gegen die Verdinglichung der Form des Seienden argumentiere (vgl. Frede, Die Frage nach dem Seienden und Miller, Fast and Loose about Being), verfehlt zu sein.
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Diese Konzeption des von »Bewegung« in »Bewegung ruht« bezeichneten Gegenstands schließt zwar aus, daß über ihn singulär prädikative Aussagen der Form »F(a)« gemacht werden können, schließt aber nicht aus, daß über ihn Wahres ausgesagt werden kann; denn wir sagen mit all den (und nur den) Prädikat-Termen Wahres über ihn aus, mit denen wir so etwas, Bewegtes, zutreffend charakterisieren, z. B. mit »ruht nicht«. Natürlich hat diese Konzeption paradoxe Konsequenzen, da z. B. der Satz »Der von ›Bewegung‹ in ›Bewegung ruht‹ bezeichnete Gegenstand ist nicht Subjekt singulär prädikativer Aussagen« eine singulär prädikative Aussage ausdrückt, deren Subjekt der von »Bewegung« in »Bewegung ruht« bezeichnete Gegenstand ist. Insofern mag man einwenden,73 daß der Eleatische Gast gar nicht vermeiden wollen kann, die Formen als Subjekte singulär prädikativer Aussagen anzusehen, und sich fragen, ob uns die Erklärung der Verwendung des Satzes »Bewegung ruht« im Sophistes wirklich zu der Annahme zwingt, daß die mit dem Satz gemachte Aussage eine Konzeption von Gegenständen impliziert, die offensichtlich mit Paradoxien belastet ist. Zur Beantwortung dieser Frage sei an drei Dinge erinnert, erstens daran, daß der Eleatische Gast den Satz »Bewegung ruht« als Ausdruck einer Aussage über das versteht, was der Term »bewegt« bezeichnet, zweitens daran, daß er den Prädikat-Term des Satzes, »ruht«, auf Ruhe bezieht, d. h. annimmt, er werde dazu verwendet, etwas als ruhend zu charakterisieren, und drittens daran, daß er den Satz als Ausdruck einer evident falschen Aussage deutet. Alle drei Punkte zusammen genommen implizieren m. E. in der Tat, daß, diesem Verständnis des Satzes zufolge, der Subjekt-Term nicht auf einen abstrakten Gegenstand des Typs Dieses bezogen werden kann – der als abstrakter Gegenstand allemal als ruhend charakterisiert ist –, sondern auf so etwas, Bewegtes, zu beziehen ist, so daß man neben Gegenständen des Typs Dieses auch Gegenstände des Typs So etwas postulieren muß. Und damit können wir dem Eleatischen Gast auch nicht die paradoxen Konsequenzen der Konzeption solcher Gegenstände ersparen. Inwieweit er sich über die paradoxbelastete Gegenstandskonzeption, die in dem im Sophistes begegnenden Verständnis des Satzes »Bewegung ruht« impliziert ist, im klaren ist, müssen wir offenlassen. Denn die Frage, was für Gegenstände Formen sind, wird im Sophistes nicht erörtert. Allerdings dürfen wir schon unterstellen, daß es ihm klar ist, daß der Satz »Bewegung ruht« dann eine wahre Aussage ausdrückt, wenn man seinen Subjekt-Term »Bewegung« auf die Form der Bewegung bezieht und diese als einen Gegenstand des Typs Dieses ansetzt, so wie es die Ideenfreunde tun. Und wir dürfen auch unterstellen, daß er den Bezugsgegenstand von »Bewegung« 73 Ich beziehe mich auf einen Einwand von Herrn Szaif.
Untersuchungen zum Sophistes
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nicht zu den beständigen Gegenständen rechnet, deren Existenz er in 249b8-c9 postuliert. Denn wenn er dies täte, so wäre es nicht vernünftig von ihm, den Satz »Bewegung ruht« rundweg als Ausdruck einer falschen Aussage zu verwerfen. Es fragt sich dann allerdings, ob die Stelle 249b8-c9 so gedeutet werden kann, daß sie nicht einschließt, daß der Bezugsgegenstand von »Bewegung« zu den beständigen Gegenständen gehört, die hier vom Eleatischen Gast postuliert werden. Das Postulat ist Teil der dialektischen Auseinandersetzung mit den Ideenfreunden. Die beiden Argumentationsgänge in 248c11-e5 und 248e6b1 haben die Funktion, ihnen das Zugeständnis zu entlocken, daß auch das Bewegte und Bewegung als seiend anzusetzen sind (vgl. 249b2f.74). Dies Zugeständnis bedeutet freilich nicht den Sieg der Opponenten der Ideenfreunde; vielmehr begründet der Eleatische Gast in 249b8-c9 die These, daß auch Beständiges zum Seienden zu rechnen sei, und verneint damit die These der Opponenten der Ideenfreunde (249b8f.), die These, daß alles bewegt ist. Zur Begründung seiner These legt er erstens die Annahme zugrunde, daß es ohne das Ruhen (einer Sache) keine Beständigkeit (derselben Sache) gibt, d. h. das Ruhen einer Sache eine notwendige Bedingung für ihre Beständigkeit ist:75 (P1)
∀x (x ist beständig → x ruht),
und zweitens die Annahme, daß es ohne die Beständigkeit (einer Sache) kein Verständnis (νοῦς) (von der Sache) gibt, d. h. die Beständigkeit einer Sache eine notwendige Bedingung für das Verständnis von ihr ist:76 (P2)
∀x∀y (x hat Verständnis von y → y ist beständig)
Die weitere Annahme, daß es Wissen, Vernunft und Verständnis gebe – eine Annahme, die der Eleatische Gast nicht explizit formuliert, aber mit der Bemerkung begründet, daß man gegen jemanden mit allen möglichen Argumenten vorgehen müsse, der Wissen oder Vernunft oder Verständnis aufzuheben versuche und gleichzeitig in irgendeiner Sache Stellung nehme77 –, schließt ein, daß jemand von etwas Verständnis hat: 74 »Καὶ τὸ κινούμενον δὴ καὶ κίνησιν συγχωρητέον ὡς ὄντα«. 75 Vgl. 249b12-c1: »Τὸ κατὰ ταὐτὰ καὶ ὡσαύτως καὶ περὶ τὸ αὐτὸ δοκεῖ σοι χωρὶς στάσεως γενέσθαι ποτ’ ἄν;«. 76 Vgl. 249c3f.: »Τί δ’; ἄνευ τούτων (sc. τοῦ κατὰ ταὐτὰ καὶ ὡσαύτως καὶ περὶ τὸ αὐτὸ) νοῦν καθορᾷς ὄντα ἢ γενόμενον ἂν καὶ ὁπουοῦν; « 77 Vgl. 249c6-8: »Καὶ μὴν πρός γε τοῦτον παντὶ λόγῳ μαχετέον, ὃς ἂν ἐπιστήμην ἢ φρόνησιν ἢ νοῦν ἀφανίζων ἰσχυρίζηται περί τινος ὁπῃοῦν«. Der Eleatische Gast scheint hier auf den Widerspruch anzuspielen, in den sich jemand verwickelt, der für eine bestimmte These in Anspruch nimmt, daß es vernünftig ist, sie aufzustellen, und gleichzeitig negiert, daß es Vernunft gibt.
80 (P3)
Formen als Gegenstände des Typs So etwas ∃x∃y (x hat Verständnis von y).
Aus (P1), (P2) und (P3) folgt (K)
∃x (x ruht),
was unter der Annahme, daß ∀x (x ruht → ¬x ist bewegt), die Negation der mit »∀x (x ist bewegt)« gemachten Aussage impliziert. Nun scheint aus (P1), (P2) und der Annahme, daß z. B. der Eleatische Gast Verständnis von Bewegung hat (d. h. Verständnis davon, was Bewegung ist), gefolgert werden zu können, daß Bewegung ruht.78 (Zumindest kann dies dann gefolgert werden, wenn auch Formnamen wie »Bewegung« für die Variable »x« in (P1) und die Variable »y« in (P2) eingesetzt werden können.) Der Eleatische Gast sollte allerdings ein Interesse daran haben, diese Folgerung zu vermeiden, da er ja der Auffassung ist, daß der Satz »Bewegung ruht« eine evident falsche Aussage ausdrückt. Es fragt sich daher, welchen Ausweg er nehmen könnte, um die Folgerung zu vermeiden, ohne (P1) oder (P2) oder die Annahme, daß er Verständnis von Bewegung hat, aufzugeben. Ein naheliegender Ausweg scheint der zu sein, zu verneinen, daß der Term »Bewegung« für »y« in (P2) eingesetzt werden kann. Und der Eleatische Gast hat allen Grund, dies zu verneinen, da ja sein Verständnis des Satzes »Bewegung ruht« impliziert, daß »Bewegung« so etwas, Bewegtes, bezeichnet. Denn setzen wir für »x« »Der Eleatische Gast« und für »y« den Ausdruck »Bewegtes« ein, so erhalten wir (P2*) Der Eleatische Gast hat Verständnis von Bewegtem → Bewegtes ist beständig,
und (P2*) drückt eine falsche Aussage aus, da das Antecedens eine wahre, das Succedens eine falsche Aussage ausdrückt. Der Eleatische Gast könnte also geltend machen, daß für »y« in (P2) nur Namen von Gegenständen des Typs Dieses eingesetzt werden dürfen und sein Argument entsprechend ein Argument für die Existenz ruhender Gegenstände des Typs Dieses sei. Das Argument würde ihn, so verstanden, nicht zur Annahme verpflichten, daß die Form der Bewegung zur Menge der ruhenden Dinge, deren Existenz er mit dem Argument zu begründen versucht, zu zählen ist.79 (Ich spreche bewußt im Konjunktiv; denn es ist natürlich nicht auszuschließen, daß ihm bzw. seinem Schöpfer entgangen ist, daß das Argument die unliebsame Folgerung hat, daß Bewegung ruht.)
78 Vgl. zu diesem Problem Reeve, S. 49: »It follows that if Kinds are objects of knowlegde for the Stranger, as they seem to be, then all of them must be resting.« Ähnlich Kostman, S. 350. 79 Pace Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 277f. mit Anm. 27.
Untersuchungen zum Sophistes
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2.1.3 Zur Deutung der übrigen Sätze erster Ordnung und der Sätze zweiter Ordnung Es bleibt zu prüfen, ob die im vorhergehenden Abschnitt als Alternative zur Identitäts-, zur Paulinischen und zur Selbstexemplifikations-Lesart vorgeschlagene Deutung des Satzes »Bewegung ruht« tatsächlich mit den vier Feststellungen über den Satz konsistent ist, die ich oben (2.1.2.1) getroffen habe. Daß sie mit den Feststellungen (i) und (iii) verträglich ist, liegt auf der Hand: Der als Paraphrase vorgeschlagene Satz »Bewegtes ruht« drückt eine aufgrund der Verwendung der Ausdrücke »Bewegtes« und »ruht« evident falsche Aussage aus (vgl. (i)), und sein Prädikat-Term »ruht« wird auf konventionelle Weise verwendet, steht also nach Auffassung des Eleatischen Gasts für die Form der Ruhe (vgl. (iii)). Fraglich ist hingegen, ob die Deutung des Satzes auch mit den Feststellungen (ii) und (iv) vereinbar ist: Läßt sich auch in den Sätzen erster Ordnung, in denen der Ausdruck »ist« und Ausdrücke der Form »verschieden von ...« sowie »dasselbe wie ...« die Prädikat-Stelle einnehmen, der Ausdruck »Bewegung« salva propositione durch »Bewegtes« ersetzen? (Vgl. (ii).) Und kann der Satz zweiter Ordnung »Bewegung hat an Ruhe teil« als Instrument der Analyse des Satzes »Bewegung ruht«, verstanden im Sinne von »Bewegtes ruht«, interpretiert werden? (Vgl. (iv).) Mit diesen Fragen kommen die anderen Sätze erster Ordnung sowie die entsprechenden Sätze zweiter Ordnung ins Spiel. Ich werde die Fragen im folgenden der Reihe nach zu beantworten versuchen. Als Beispiele für die übrigen Sätze erster Ordnung will ich drei Sätze betrachten, deren Prädikat-Terme im Sophistes auf jeweils eine der drei weiteren in dem Dialog thematischen größten Gattungen bezogen werden: (1) (2) (3)
Bewegung ist Bewegung ist verschieden von Ruhe Bewegung ist dasselbe wie Bewegung.
Um festzustellen, ob sich die für »Bewegung ruht« vorgeschlagene Deutung der Verwendung von »Bewegung« auf diese Sätze anwenden läßt, müssen wir prüfen, ob der Subjekt-Ausdruck dieser Sätze ebenfalls auf einen Gegenstand des Typs So etwas, etwas, als das bewegte Individuen mit dem Prädikat-Term »bewegt« charakterisiert werden, bezogen werden kann und die Sätze entsprechend mit folgenden Sätzen paraphrasiert werden können: (1’) (2’) (3’)
Bewegtes ist Bewegtes ist verschieden von Ruhendem Bewegtes ist dasselbe wie Bewegtes.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas
2.1.3.1 »Bewegung ist« Um die Bedeutung des Satzes (1), »Bewegung ist«, wie er in 250a11f. mit Rückbezug auf 249b2f. eingeführt wird, zu erfassen, gilt es zu beachten, daß er und sein Gegenstück »Ruhe ist« analog zu den Sätzen »Das Warme ist« und »Das Kalte ist« zu verstehen sind, die in der Auseinandersetzung mit den Vertretern der These, daß alles warm und kalt sei,80 formuliert worden sind. Zu fragen ist daher, in welcher Bedeutung diese Sätze von den Vertretern des Warm-Kalt-Dualismus geäußert werden. Zunächst aber ein Wort zur Begründung der These, daß die beiden Satzpaare einander entsprechen. Diese Entsprechung wird erstens in 249e7250a281 mit dem Hinweis auf die vorhergehende Auseinandersetzung mit den Warm-Kalt-Dualisten nahegelegt, d. h. mit der Bemerkung, daß sich die beiden in 243d9-e2 aufgeworfenen Fragen »Was sprecht ihr damit in bezug auf beide (sc. das Warme und das Kalte) aus, wenn ihr sagt, daß beide und jedes von ihnen sind? Was sollen wir mit diesem ›sind‹ von euch anfangen?«82 auch an die Adresse derer richten lassen, die das Gesamt der Dinge aus Bewegtem und Ruhendem bestehen lassen (vgl. 249d3f.). Zweitens wird die Entsprechung durch die Parallelität der Formulierung in 243e1f. »λέγοντες ἄμφω καὶ ἑκάτερον εἶναι« und der in 250a11f. »Καὶ μὴν εἶναί γε ὁμοίως φῂς ἀμφότερα αὐτὰ καὶ ἑκάτερον;« angezeigt. Was nun die Bedeutung der Sätze »Das Warme ist« und »Das Kalte ist« betrifft, so ist einerseits klar, daß die Warm-Kalt-Dualisten mit dem ersten Satz nicht die Existenz oder Realität eines Einzeldings mit dem Namen »Das Warme« und mit dem zweiten nicht die eines Einzeldings mit dem Namen »Das Kalte« behaupten wollen. Jedenfalls ist es klar, daß sie das Warme und das Kalte nicht zur Gesamtheit der Einzeldinge (τὰ πάντα, τὸ πᾶν), die sie als warm und kalt charakterisieren, als zwei weitere Einzeldinge hinzuzählen. Würden sie dies nämlich tun, so rechneten sie das Warme und das Kalte zwar zum Inventar der Wirklichkeit, beraubten sie aber eben dadurch ihres Status als Natur sämtlicher Einzeldinge, d. h. das, als was die Einzeldinge wirklich und wesenhaft charakterisiert sind, und machten sie zu zwei Einzeldingen unter anderen Einzeldingen. Es scheint andererseits klar zu sein, daß sie mit den Ausdrücken »Das Warme« und »Das Kalte« nicht bloß auf die warmen und kalten Individuen in ihrer Gesamtheit Bezug nehmen. Denn ein Dualist, der behauptet, daß 80 Vgl. 243d8f.: »ὁπόσοι θερμὸν καὶ ψυχρὸν ἤ τινε δύο τοιούτω τὰ πάντ’ εἶναί φατε« und 250a2f. »τοὺς λέγοντας εἶναι τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν«. 81 »Σκόπει δὴ σαφέστερον εἰ τὰ νῦν συνομολογοῦντες δικαίως ἂν ἐπερωτηθεῖμεν ἅπερ αὐτοὶ τότε ἠρωτῶμεν τοὺς λέγοντας εἶναι τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν.« 82 »τί ποτε ἄρα τοῦτ’ ἐπ’ ἀμφοῖν φθέγγεσθε, λέγοντες ἄμφω καὶ ἑκάτερον εἶναι; τί τὸ εἶναι τοῦτο ὑπολάβωμεν ὑμῶν;«
Untersuchungen zum Sophistes
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alle Einzeldinge warm und kalt sind – worin eingeschlossen ist, daß die Klassen der warmen und kalten Dinge miteinander identisch sind –, könnte unter dieser Voraussetzung gar nicht auf die Idee kommen, die beiden Ausdrücke auf Verschiedenes zu beziehen. Daß die Vertreter des Warm-KaltDualismus jedoch eben dies tun, ist in der Frage impliziert, ob sie meinen, daß der Ausdruck »εἶναι« auf etwas Drittes neben dem Warmen und dem Kalten zu beziehen sei.83 Wenn die Warm-Kalt-Dualisten die Ausdrücke »Das Warme« und »Das Kalte« weder auf bestimmte Einzeldinge noch auch auf die warmen bzw. die kalten Einzeldinge in ihrer Gesamtheit beziehen, liegt die Annahme nahe, daß sie die Ausdrücke – um einmal mehr von Aristoteles’ Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas Gebrauch zu machen – auf das beziehen, als was Individuen mit den Prädikat-Ausdrücken »warm« bzw. »kalt« charakterisiert werden. Wenn aber die Sätze »Bewegung ist« und »Ruhe ist« analog zu den Sätzen »Das Warme ist« und »Das Kalte ist« zu verstehen sind, kann gefolgert werden, daß auch die Ausdrücke »Bewegung« und »Ruhe« in diesen Sätzen etwas bezeichnen, als was Individuen mit Prädikat-Ausdrücken charakterisiert werden, und die Sätze selbst mit (1’) »Bewegtes ist« und »Ruhendes ist« paraphrasiert werden können (wobei wieder zu beachten ist, daß diese Paraphrasen nicht im Sinne von »∀x (x ist bewegt → x ist)« bzw. »∀x (x ruht → x ist)« oder im Sinne von »∃x (x ist bewegt)« bzw. »∃x (x ruht)« zu verstehen sind). Entsprechend dürften Paraphrasen des Satzes »Bewegung ist«, in denen der Ausdruck »Bewegung« durch den Namen eines bestimmten Individuums, z. B. »Die Eigenschaft, bewegt zu sein«,84 ersetzt wird, ebenso verfehlt sein wie die Paraphrase des Satzes mit »The class of moving things is (necessarily) contained in the class of real things«.85 83 Vgl. 243e2-4: »πότερον τρίτον παρὰ τὰ δύο ἐκεῖνα (sc. τὸ εἶναι ὑπολάβωμεν), καὶ τρία τὸ πᾶν ἀλλὰ μὴ δύο ἔτι καθ’ ὑμᾶς τιθῶμεν;«. 84 Vgl. z. B. Silverman, The Dialectic of Essence, S. 156 zu 250a11f.: »The claim is that both and each of the two properties (sc. Motion and Rest) are«. 85 Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 295 (vgl. auch Pelletier, S. 117). Vlastos (An Ambiguity in the Sophist, S. 295-299) rechtfertigt seine Paraphrase mit zwei Argumenten: (i) Was der Eleatische Gast vor 250a11f. begründet habe, sei die These, daß die Wirklichkeit aus bewegten und ruhenden Dingen bestehe (vgl. 249d3f.), nicht die These, daß die Form der Bewegung zur Wirklichkeit gehöre. (ii) Die Metapher »περιέχεσθαι« in 250b8 drücke die Inklusion der Klassen der bewegten und ruhenden Dinge in der Klasse des Seienden aus. Zu (i): (a) Die Aussage, daß die Wirklichkeit aus bewegten und ruhenden Dinge bestehe, ist (pace Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 296) nicht identisch mit der Aussage, daß die Klassen der bewegten und ruhenden Dinge notwendigerweise in der Klasse des Wirklichen enthalten seien. Letztere folgt nicht einmal aus ersterer; aus ihr folgt nur, daß einige bewegte und ruhende Dinge real sind (andere mögen existieren, aber nicht wirklich sein). (b) Vlastos betont zurecht, daß mit »Bewegung« nicht auf einen bestimmten Gegenstand Bezug genommen werde (dessen Sein in der Tat der Rechtfertigung bedürfte); aber er beachtet nicht genug, wie der Eleatische Gast bereits in der Diskussion mit den
84
Formen als Gegenstände des Typs So etwas
2.1.3.2 »Bewegung ist verschieden von Ruhe« und »Bewegung ist dasselbe wie Bewegung« Damit (2’) und (3’) als angemessene Paraphrasen von (2) und (3) eingestuft werden können, muß sichergestellt sein, daß in den (2) und (3) zugrundeliegenden griechischen Sätzen κίνησις ἕτερον στάσεως (vgl. 255e11f.), κίνησις ταὐτὸν ἑαυτῇ (vgl. 256a7)
»ἕτερον« nicht im Sinne von »numerisch verschieden von«, sondern im Sinne von »anders bestimmt als« und »ταὐτόν« nicht im Sinne von »numerisch identisch mit«, sondern im Sinne von »auf dieselbe Weise bestimmt wie« gebraucht werden.86 Denn mit (2’) wird offensichtlich dasselbe behauptet wie mit
Warm-Kalt-Dualisten ganz selbstverständlich die Voraussetzung macht, daß die Ausdrücke »θερμόν«, »ψυχρόν« und »εἶναι« jeweils für etwas stehen, und nur deshalb überhaupt die Frage aufwerfen kann, wie sich die Gegenstände, für die diese Terme stehen, zueinander verhalten. Im Hinblick darauf ist es nicht verwunderlich, daß er in der These »θερμὸν καὶ ψυχρὸν τὰ πάντ’ ἐστί« die Aussage impliziert sieht, daß das, wofür die Terme »θερμόν« und »ψυχρόν« stehen, ist (offenbar nimmt er an, daß das, wofür ein Prädikat-Term steht, genau dann ist, wenn es ein Individuum gibt, das als das charakterisiert ist, wofür der Term steht), und daß er unter Voraussetzung dieser Implikation die Vertreter jener These fragt, ob sie das »ist« in »Das Warme und das Kalte ist« auf etwas Drittes beziehen. Ebenso selbstverständlich setzt er voraus, daß die These »Alles ist bewegt und beständig« die Aussage impliziert, daß das, wofür die Terme »bewegt« und »beständig« stehen, ist, und genau diese Aussage macht er mit »Bewegung und Ruhe sind«. Entsprechend scheint mir 252a8-10, eine weitere Stelle, auf die sich Vlastos (An Ambiguity in the Sophist, S. 296f.) beruft, zu deuten zu sein: daß Bewegung ist, wird von den Vertretern der These, daß alles ὄντως bewegt sei, insofern vorausgesetzt, als der Prädikat-Term »bewegt« für Bewegung steht und das, wofür ein Prädikat-Term steht, genau dann ist, wenn es ein Individuum gibt, über das der Term zutreffend ausgesagt wird bzw. das ὄντως als das charakterisiert ist, wofür der Term steht. – Zu (ii): Vlastos’ Argument zeigt, daß der Satz »Bewegung und Ruhe ist« nicht besagt, daß Bewegung und Ruhe zur Klasse der seienden Individuen gehören; aber das genügt nicht zur Rechtfertigung der Paulinischen Deutung, da es auch andere Interpretationen des Satzes gibt, die nicht die von Vlastos widerlegte Exemplifikationslesart implizieren. Malcolm (Vlastos on Pauline Predication, S. 87) bemerkt zurecht: »Vlastos errs, I believe, in taking (p. 273) class-membership and extensionally formulated class-inclusion as the two exhaustive alternatives for classifying statements attributing predicates to Platonic Forms.« 86 Vgl. zur These, daß »ἕτερον« in Sätzen wie »κίνησις ἕτερον στάσεως« im Sinne von »numerically distinct« gebraucht werde, insbesondere Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 305f. Vlastos formuliert hier eine Annahme, die nahezu alle Interpreten (wenn auch oft nur implizit) zu machen scheinen. Der einzige mir bekannte Exeget, der sie ausdrücklich und mit Angabe von Gründen verwirft, ist Ketchum (Participation and Predication, S. 44-47). Obgleich ich Ketchums These zustimme, daß der Term »ἕτερον« im Sophistes nicht im Sinne von »numerisch verschieden von« auf die Gattungen angewandt werde, scheint mir nur das erste seiner drei Argumente überzeugend zu sein, das auf der Forderung der einheitlichen Paraphrasierbarkeit der Sätze erster Ordnung (vgl. Feststellung (ii) oben 2.1.2.1) beruht (vgl. Ketchum, Participation and Predication, S. 44: Würde »ἕτερον« die Bedeutung von »numerisch verschieden von« haben, so könnte z. B.
Untersuchungen zum Sophistes (2’’)
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Bewegtes ist anders bestimmt als Ruhendes
und mit (3’) dasselbe wie mit (3’’)
Bewegtes ist auf dieselbe Weise bestimmt wie Bewegtes.
Daß der Ausdruck »ἕτερον« von Platon im Sinne von »anders bestimmt als« gebraucht werden kann, zeigt dieser Gesprächsausschnitt aus dem Euthyphron (10a5-12): Sokrates: Nennen wir etwas ›getragen‹ und ›tragend‹ und ›geführt‹ und ›führend‹ und ›gesehen‹ und ›sehend‹, und begreifst du, daß alle derartigen Dinge voneinander verschieden (ἕτερα ἀλλήλων) sind und in welcher Hinsicht sie verschieden sind (ᾗ ἕτερα)? Euthyphron: Ich glaube das zu verstehen. Sokrates: Ist nun nicht etwas geliebt und das Liebende davon verschieden (τούτου ἕτερον)? Euthyphron: Sicher.87
Der Ausdruck »ὅτι ἕτερα ἀλλήλων ἐστὶ« hat an dieser Stelle sicher nicht die Bedeutung von »daß sie voneinander numerisch verschieden sind«, da es sich z. B. bei dem Gesehenen und dem Sehenden (ὁρώμενον καὶ ὁρῶν) durchaus um ein und denselben Gegenstand handeln kann (man denke an die Selbstbetrachtung im Spiegel). Gemeint ist vielmehr, daß die genannten Dinge anders bestimmt sind. Man beachte ferner, daß der Zusatz »ᾗ ἕτερα« nur sinnvoll ist, wenn »ἕτερα« im Sinne von »anders bestimmt«, nicht im Sinne von »numerisch verschieden« zu verstehen ist; denn »ᾗ« verweist auf die Hinsicht, in der die genannten Dinge anders bestimmt sind. Daß der Ausdruck »ταὐτόν« von Platon entsprechend im Sinne von »auf dieselbe Weise bestimmt wie« verwendet werden kann, zeigt eine Stelle aus dem Menon (72c2f.): Worin sie (sc. die Bienen) sich nicht unterscheiden, sondern allesamt dasselbe sind (ταὐτόν εἰσιν ἅπασαι), was meinst du ist das?88
Es ist offensichtlich, daß diese Frage nur dann sinnvoll ist, wenn der Ausdruck »dasselbe sind« nicht im Sinne von »ein und derselbe Gegenstand sind«, sondern im Sinne von »als ein und dasselbe charakterisiert sind« zu verstehen ist. der Satz »Bewegung ist verschieden vom Seienden« nicht auf dieselbe Weise paraphrasiert werden wie »Bewegung ruht«). 87 »ΣΩ. λέγομέν τι φερόμενον καὶ φέρον καὶ ἀγόμενον καὶ ἄγον καὶ ὁρώμενον καὶ ὁρῶν; καὶ πάντα τὰ τοιαῦτα μανθάνεις ὅτι ἕτερα ἀλλήλων ἐστὶ καὶ ᾗ ἕτερα; ΕΥΘ. Ἔγωγέ μοι δοκῶ μανθάνειν. ΣΩ. Οὐκοῦν καὶ φιλούμενόν τί ἐστιν καὶ τούτου ἕτερον τὸ φιλοῦν; ΕΥΘ. Πῶς γὰρ οὔ;« 88 »ᾧ οὐδὲν διαφέρουσιν, ἀλλὰ ταὐτόν εἰσιν ἅπασαι, τί τοῦτο φῂς εἶναι;«.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas
Daran, daß die Ausdrücke »ἕτερον« und »ταὐτόν« von Platon in den für die Paraphrasen (2’) und (3’) erforderlichen Bedeutungen verwendet werden können, ist also nicht zu zweifeln. Aber werden sie auch in den (2) und (3) zugrundeliegenden griechischen Sätzen so verwendet? Ein Beleg für eine positive Antwort auf diese Frage scheint mir in den Zeilen 255e11f. vorzuliegen. In ihnen ist nicht nur der (2) zugrundeliegende griechische Satz κίνησις ἕτερον στάσεως,
sondern auch der Satz κίνησις παντάπασιν ἕτερον στάσεως
enthalten. Nun kann man nicht sinnvollerweise sagen, daß Sokrates von Simmias numerisch völlig (παντάπασιν) verschieden sei. Bei der Prädikation numerischer Verschiedenheit ist der Zusatz »völlig« fehl am Platz, da zwei Dinge voneinander nicht mehr oder weniger numerisch verschieden sind. Dagegen kann man sinnvollerweise sagen, daß Sokrates von Simmias völlig verschieden sei, um damit z. B. zu verstehen zu geben, daß er ganz andere Charakterzüge trägt als Simmias, d. h. hinsichtlich seines Charakters ganz anders bestimmt ist als Simmias. Der Zusatz von »παντάπασιν« spricht also dafür, »ἕτερον« in dem (2) zugrundeliegenden Satz im Sinne von »anders bestimmt als« zu verstehen. Die Art der Begründung der Verschiedenheit der Gattungen voneinander ist mit diesem Verständnis des Terms »ἕτερον« gut vereinbar. So wird z. B. die Verschiedenheit von Bewegung und dem Seienden damit begründet, daß der Prädikat-Term »bewegt« etwas anderes bezeichne als der PrädikatTerm »seiend«,89 und wir können uns anstelle dieser Formulierung genausogut des Ausdrucks bedienen, daß der Prädikat-Term »bewegt« etwas anders Bestimmtes (nämlich Bewegtes) bezeichnet als der Prädikat-Term »seiend« (nämlich Seiendes). Ich komme daher zu dem Ergebnis, daß die Sätze (2’) und (3’) hinsichtlich der Bedeutungen, in denen der Ausdruck »ἕτερον« und entsprechend der Ausdruck »ταὐτόν« in den (2) und (3) zugrundeliegenden griechischen Sätzen verwendet werden, als angemessene Paraphrasen von (2) bzw. (3) betrachtet werden können. Somit spricht auch nichts dagegen, die für den Satz »Bewegung ruht« vorgeschlagene Paraphrase des Subjekt-Terms auf alle Sätze erster Ordnung anzuwenden und so sicherzustellen, daß die ihr zugrundeliegende Deutung des Terms die Bedingung erfüllt, daß sich mit ihr alle Sätze erster
89 Vgl. dazu oben Anm. 44.
Untersuchungen zum Sophistes
87
Ordnung unter Voraussetzung ein und derselben Verwendung von »Bewegung« deuten lassen.90
2.1.3.3 Die Sätze zweiter Ordnung Abschließend will ich die Frage behandeln, ob der Satz »Bewegung ruht«, verstanden im Sinne von »Bewegtes ruht«, mit den Sätzen zweiter Ordnung wie »Bewegung hat an Ruhe teil« oder »Bewegung mischt sich mit Ruhe« analysiert werden kann (vgl. (iv)). Wie ich in der Einleitung (2.1.1) festgestellt habe, dient die Analyse des Satzes erster Ordnung mit den entsprechenden Sätzen zweiter Ordnung dazu, deutlich zu machen, daß die Ausdrücke »Bewegung« und »ruht« für Verschiedenes – d. h. im Lichte der vorangegangenen Deutung von »ἕτερον«: für je anders Bestimmtes – stehen. Nach der vorgeschlagenen Interpretation des Satzes »Bewegung ruht« sind die Ausdrücke »Bewegung« und »ruht« in der Tat auf Verschiedenes zu beziehen, »Bewegung« auf das, was mit »bewegt« bezeichnet wird, d. h. Bewegtes, »ruht« auf das, was mit »ruht« bezeichnet wird, d. h. Ruhendes. Die Deutung des Satzes ist demnach mit (iv) vereinbar. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, daß die Sätze zweiter Ordnung, z. B. »Bewegung hat an Ruhe teil« oder »Bewegung hat mit Ruhe Gemeinschaft«, nicht auf dieselbe Weise paraphrasiert werden können wie die Sätze erster Ordnung (»Bewegung mischt sich mit Ruhe« kann zwar sinnvollerweise mit »Das, wofür der Ausdruck ›bewegt‹ steht, mischt sich mit dem, wofür der Ausdruck ›ruht‹ steht« paraphrasiert werden, nicht aber mit »Bewegtes mischt sich mit Ruhendem«). Denn (iv) fordert nicht, daß in den Sätzen erster Ordnung und den Sätzen zweiter Ordnung »Bewegung« auf dieselbe Weise verwendet werden müsse. Eine solche Forderung kann 90 Freilich ist bei den Sätzen, die so paraphrasiert werden können wie die betrachteten Sätze erster Ordnung, zu beachten, daß sie sich trotz einheitlicher Paraphrasierbarkeit in Beziehung darauf unterscheiden können, ob und in welchem Umfange ihre Prädikat-Terme von Individuen ausgesagt werden, die mit einem dem Subjekt-Ausdruck der Sätze entsprechenden Prädikat-Term charakterisiert werden können. Drei Beispiele mögen dies illustrieren: (a) »Bewegtes ist bewegt« (»bewegt« trifft auf alle bewegten Individuen zu); (b) »Seiendes ist bewegt« (»bewegt« trifft auf einige seiende Individuen zu); (c) »Bewegtes ist anders bestimmt als Seiendes« (»anders bestimmt als Seiendes« trifft auf kein einziges bewegtes Individuum zu). Mir scheint freilich, daß diesen Unterschieden im Sophistes keine Beachtung geschenkt wird. Pelletiers (S. 94-148) Versuch einer systematischen Unterscheidung zwischen UNIO- und ENIO-Partizipation – die der Unterscheidung zwischen Aussagen des Typs (a) und Aussagen des Typs (b) entspricht – scheint mir verfehlt zu sein, da sich die Negationen der Aussagen des Typs (a) und die Negationen der Aussagen des Typs (b) nicht in zwei entsprechende Gruppen einteilen lassen, sondern beide gleichermaßen implizieren, daß der Prädikat-Term auf keines der Individuen zutrifft, auf die ein dem SubjektAusdruck der Sätze entsprechender Prädikat-Term zutrifft.
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nicht legitimerweise erhoben werden, da die Sätze zweiter Ordnung nicht in die Argumente verwickelt sind, in denen durch Ersetzung von PrädikatTermen der Sätze erster Ordnung andere Sätze gewonnen werden – bei den aus der Ersetzung resultierenden Sätzen handelt es sich selbst ausschließlich um Sätze erster Ordnung. Es scheint mir nicht gegen die vorgeschlagene Paraphrase der Sätze erster Ordnung zu sprechen, daß die Sätze zweiter Ordnung nicht auf entsprechende Weise paraphrasiert werden können. Auch hier ist der Blick auf Aristoteles aufschlußreich. In dem Satz »Der Mensch wird von Sokrates ausgesagt«, mit dem Aristoteles den Satz »Sokrates ist ein Mensch« analysiert,91 kann »Der Mensch« zwar durch »Das, wofür der Ausdruck ›ein Mensch‹ steht«, nicht aber durch »So etwas, ein Mensch« sinnwahrend ersetzt werden, obwohl Aristoteles versichert, daß der Term so etwas, einen Menschen, bezeichne. Offenbar liegt in den zu Analyse-Zwecken gebrauchten Sätzen »Bewegung hat mit Ruhe Gemeinschaft« und »Der Mensch wird von Sokrates ausgesagt« eine uneigentliche Redeweise vor, in der von einem Gegenstand des Typs So etwas so gesprochen wird, als handele es sich um einen Gegenstand des Typs Dieses. Diese Redeweise ist unverfänglich, solange sie sich als uneigentlich zu erkennen gibt, und dies tut sie im Sophistes eben dadurch, daß die Prädikat-Terme, die in den zu AnalyseZwecken eingesetzten Sätzen verwendet werden, metaphorische Ausdrücke der Form »hat teil an ...«, »hat Gemeinschaft mit ...«, »mischt sich mit ...« usw. sind, bei denen unmittelbar klar ist, daß sie auf uneigentliche Weise verwendet werden und die bezeichnenderweise genausogut auf Dinge ganz anderen Typs, z. B. Buchstaben oder Töne, angewandt werden können.92
91 Vgl. Cat. 1b12f., 2a21f. und oben 1.6. 92 Vgl. die Verwendung von »συμμείγνυσθαι« in bezug auf Formen 253c2 mit der Verwendung des gleichbedeutenden »συγκεράννυσθαι« in bezug auf Töne 253b2 oder die Verwendung von »κοινωνεῖν« in bezug auf Buchstaben 253a8 mit der in bezug auf Formen 253e1, 254b8.
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2.2 Zweite Untersuchung: Zur Unterscheidung der Klassen des Seienden und der entsprechenden Aussage-Klassen in Sophistes 255c12f. 2.2.1 Einleitung Das Argument, das im Sophistes (255c8-e2) zur Begründung der These angeführt wird, daß das Seiende (τὸ ὄν) und das Verschiedene (τὸ θάτερον) voneinander verschieden sind, und insbesondere die Zeilen 255c12f. mit ihrer Unterscheidung zweier Klassen des Seienden (τῶν ὄντων) und der ihnen zugeordneten Klassen von Aussagen sind vielfach besprochen worden. Umso verwunderlicher ist es, daß die Frage, in Sätzen welcher Form nach Auffassung des Eleatischen Gasts etwas als seiend charakterisiert wird, welche Sätze also für die Deutung der Unterscheidung der den beiden Klassen des Seienden zugeordneten Aussage-Klassen heranzuziehen sind, meist gar nicht erst gestellt und daher auch nicht mit Gründen beantwortet wird. Vielmehr wird einfach vorausgesetzt, daß alle Sätze der Form »x ist« und »x ist F« (d. h. deren griechische Gegenstücke der Form »ξ ἔστι(ν)« und »ξ ἐστι(ν) Φ«93) dafür herangezogen werden können und unter ihnen einige Sätze sind, die die Aussagen der ersten Klasse ausdrücken, und einige Sätze, die die Aussagen der zweiten Klasse ausdrücken.94 Diese Annahme scheint mir jedoch falsch zu sein, und dies ist in erster Linie mein Beweggrund dafür, die vieltraktierte Stelle nochmals zu traktieren. Die folgende Untersuchung der Stelle gliedert sich in vier Teile. Im Abschnitt 2.2.2 sollen die Fragen erörtert werden, die das sprachliche Verständnis der Zeilen 255c12f. und d1 betreffen. Das hierbei gewonnene Ergebnis, daß die in diesen Zeilen enthaltene Aussage auf drei verschiedene Weisen paraphrasiert werden kann, hat zur Folge, daß drei verschiedene Möglichkeiten, das Argument für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen zu rekonstruieren, in Betracht gezogen werden müssen. Die entsprechenden Rekonstruktionen sollen unter 2.2.3 dargestellt werden. Um unter ihnen die richtige auszumachen, behandle ich unter 2.2.4 die Frage, in
93 Vgl. oben (2.1.1) Anm. 1. 94 So gibt Dancy (The Categories of Being, S. 65) folgende Maxime aus, um den ersten Aussagetyp an bestimmten Sätzen zu identifizieren: »[...] we are to look at occurences of ›is‹ in sentences and ask what has to obtain for those sentences to be true. The hope is that, for some sentences that instantiate ›x is –‹ (where ›–‹ may or may not be left blank), we need nothing further to explain their truth than what is explicitly mentioned in them.«
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Sätzen welcher Form nach Ansicht des Eleatischen Gasts etwas als seiend charakterisiert wird, und beantworte sie – entgegen der These, »that Plato draws no distinction between einai with and without an additional predicate«95 – dahingehend, daß für ihn in Sätzen des Typs »x ist« (»ξ ἔστι(ν)«) und »x ist ein Seiendes« (»ξ ἐστιν ὄν«) und nur in solchen Sätzen etwas als seiend charakterisiert wird. Diese Antwort hat natürlich Konsequenzen für die Interpretation der in 255c12f. getroffenen Unterscheidung zwischen den beiden Klassen des Seienden und den korrespondierenden Aussage-Klassen und somit auch für die Unterscheidung des Seienden und des Verschiedenen. Diese Folgerungen zu ziehen, ist die Aufgabe des abschließenden Abschnitts (2.2.5), in dem zum einen gezeigt werden soll, daß die Substitute der Variablen in »x ist« und »x ist ein Seiendes« Formbezeichnungen sind und somit in 255c12f. die Klasse der Formen in zwei Unterklassen eingeteilt wird, zum anderen verschiedene Möglichkeiten, die Einteilung der Formen zu interpretieren, erörtert werden sollen. Mit der Hauptthese der Untersuchung, daß die Sätze, in denen ein Gegenstand als ein Seiendes charakterisiert wird, nach Auffassung des Eleatischen Gasts Sätze der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« sind, soll nichts über den tatsächlichen Gebrauch von »ist« im Sophistes behauptet werden. (Mithin bleiben die neueren Untersuchungen hierzu96 von der These unberührt.) Es soll lediglich etwas zur Frage behauptet werden, wie Sätze mit »ist« im Sophistes analysiert werden, d. h. ob Ausdrücke der Form »ist« (vollständig) und »ist ...« (unvollständig) vom Eleatischen Gast auf die Form des Seienden bezogen werden. Und die These dazu lautet, daß er nur die Ausdrücke »ist« (vollständig) und »ein Seiendes« auf die Form des Seienden bezieht, nicht aber Ausdrücke, die aus der Copula »ist« und einem darauf folgenden Prädikat-Term zusammengesetzt sind (wie z. B. der Ausdruck »ist ein Pferd«, der selbst als ganzer auf keine Form, dessen Bestandteil »ein Pferd« aber auf die Form des Pferds bezogen wird). Mit dieser These wende ich mich insbesondere gegen die Deutungen, nach denen die Einteilung des Seienden in 255c12f. auf der Unterscheidung zwischen verschiedenen Gebrauchsweisen des Worts »ist« beruhe,97 sei es einer vollständigen Verwendung in Sätzen wie »Sokrates ist« und einer unvollständigen Verwendung in Sätzen wie »Sokrates ist ein Mensch«,98 sei es einer Verwendung in Identitätsaussagen wie »Sokrates ist Sokrates« und 95 Kahn, A Return to the Theory of the Verb be, S. 385. 96 Vgl. zuletzt Brown. 97 Vgl. zur folgenden Klassifizierung dieser Deutungen Movia, S. 336-342 und Brown, S. 474f. 98 Vgl. Moravcsik, S. 52-55, Seligman, S. 67f., Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 92-94, Pelletier, S. 58 und Brown, S. 474-477. Einwände gegen diese Deutung finden sich bei Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 15f., Movia, S. 336-338 und Dancy, The Categories of Being, S. 66.
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einer Verwendung in prädikativen Sätzen wie »Sokrates ist ein Mensch«,99 sei es einer Verwendung in definitorischen Sätzen wie »Der Mensch ist ein zweifüßiges [...] Lebewesen« und einer Verwendung in nichtdefinitorischen Sätzen wie »Sokrates ist ein Mensch«.100 Alle diese Deutungen scheinen mir damit unverträglich zu sein, daß die Sätze, die der Eleatische Gast bei seiner Unterscheidung der beiden Klassen des Seienden und der korrespondierenden Aussage-Klassen vor Augen hat, Sätze der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« sind. Ferner scheinen sie mir damit unverträglich zu sein, daß den in 255c12f. unterschiedenen Aussage-Klassen elementfremde Klassen des Seienden entsprechen. Hinsichtlich der ersten beiden Deutungen gilt nämlich, daß der Ausdruck »ist« in seiner vollständigen ebenso wie in seiner unvollständigen Verwendung und in seiner identifizierenden ebenso wie in seiner nicht-identifizierenden Verwendung auf jeden Gegenstand angewandt werden kann. Und hinsichtlich der dritten Deutung gilt, daß das definitorisch gebrauchte »ist« zwar nur auf die Elemente einer bestimmten Teilklasse des Seienden angewandt werden kann, auf die Elemente dieser Klasse jedoch auch das nichtdefinitorisch gebrauchte »ist« Anwendung findet, das mithin keiner Klasse des Seienden so zugeordnet werden kann, daß sich diese zu der dem definitorisch gebrauchten »ist« zugeordneten Klasse elementfremd verhielte. Ebenso wende ich mich mit der These, daß sich die der Einteilung des Seienden zugrundeliegende Einteilung von Aussagen auf Sätze der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« beziehe, gegen die Auffassung, daß der Einteilung des Seienden in 255c12f. eine Einteilung von Aussagen, in denen nicht-bezügliche Prädikate ausgesagt werden, und Aussagen, in denen bezügliche Prädikate ausgesagt werden (vgl. »Sokrates ist ein Mensch« und »Sokrates ist kleiner als Simmias«), zugrundeliege.101 Ich halte zwar die Auffassung, daß der in 255c12f. vorgenommenen Einteilung des Seienden 99 Vgl. Owen, Plato on Not-Being, S. 255-258, Reeve, S. 54f. und Bordt, S. 525f. Einwände gegen diese Deutung finden sich bei Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 70, Rosen, S. 238240 und S. 272f., Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 92-94, de Vries, S. 388f., Movia, S. 340-342 und Dancy, The Categories of Being, S. 65f. Zu ihrer Abgrenzung von der auf Frede zurückgehenden Interpretation (siehe folgende Anmerkung) vgl. Meinwald, S. 395f. Anm. 29. 100 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 12-37, Kostman, S. 352f., Frede, Plato’s Sophist on False Statements, S. 400-402, Meinwald, S. 381f., Frede, Die Frage nach dem Seienden, S. 197 und Silverman, The Dialectic of Essence, S. 164-181. Einwände gegen diese Deutung finden sich bei Heinaman, Being in the Sophist, S. 17, Rosen, S. 233-240 und S. 273f., Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 93 und Movia, S. 338-340. 101 Diese Auffassung war vor dem Erscheinen der Arbeiten Fredes und Owens weitverbreitet, vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 22 mit Angaben zur älteren Literatur. In der Literatur jüngeren Datums wird sie z. B. von Heinaman (Being in the Sophist, S. 14-17; Communion of Forms, S. 186), de Rijk (S. 152), de Vries (S. 389-392) und Movia (S. 334-336) vertreten. Vgl. zu ihrer Kritik Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 22f. und Silverman, The Dialectic of Essence, S. 168f.
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eine Einteilung von Prädikaten entspricht, für plausibel, glaube jedoch, daß sie auf die Einteilung von Sätzen des Schemas »x ist« und »x ist ein Seiendes« gegründet wird, derart, daß die Substitute für »x« Formbezeichnungen sind.
2.2.2 Zu Fragen des sprachlichen Verständnisses der Zeilen Sophistes 255c12f. und d1 Die wichtigste und zugleich umstrittenste Aussage des Arguments für die These, daß das Seiende und das Verschiedene verschiedene Gattungen seien, findet sich zu Beginn des Arguments in 255c12f. und wird in 255d1, mit c12f. durch »δέ γε« verbunden,102 fortgeführt: ΞΕ. Ἀλλ’ οἶμαί σε συγχωρεῖν τῶν ὄντων τὰ μὲν αὐτὰ καθ’ αὑτά, τὰ δὲ πρὸς ἄλλα103 ἀεὶ λέγεσθαι. ΘΕΑΙ: Τί δ’ οὔ; ΞΕ. τὸ δέ γ’ 104 ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον· ἦ γάρ; ΘΕΑΙ. Οὕτως.
In diesem Teil der Untersuchung will ich versuchen, zu einer angemessenen Paraphrase der in 255c12f. und d1 enthaltenen Aussage des Eleatischen Gasts zu gelangen. So selbstverständlich und fast im Vorübergehen geäußert sie im Dialogzusammenhang daherkommen mag – Theaitetos’ Reaktionen »Τί δ’ οὔ;« und »Οὕτως.« zeigen, daß man auch ohne Vorkenntnisse platonischer Ontologie, über die ja Theaitetos durchaus nicht verfügt, die Aussage unmittelbar verstehen kann105 –, ist der Versuch, die Zeilen c12f. korrekt wiederzugeben, selbst dann kein ganz einfaches Unterfangen, wenn Fredes Urteil über die Zeilen c12f. leicht übertrieben sein sollte: »Nach den zahlreichen Übersetzungsmöglichkeiten und den vielen verschiedenen Übersetzungen zu urteilen, muß 255c12f. wohl der vieldeutigste Satz im ganzen Dialog sein. Völlig eindeutig ist wirklich zunächst auch nur das Unwichtigste, die Übersetzung von ›ἀλλ’ οἶμαί σε συγχωρεῖν‹.«106 Denn 102 Vgl. Denniston, S. 154: »In Aristophanic and Platonic dialogue δέ γε often picks up the thread after a remark interpellated by another speaker. It thus connects, whether adversatively or continuatively, the speaker’s words with his own previous words, not with those of the other person: ›Yes, and ... ‹: ›Yes, but... ‹.« 103 ἄλλα TW: ἄλληλα B 104 δέ γ’] δέ γε W: δ’ BT 105 Ich erlaube mir dies als Seitenhieb auf die Interpreten, die in 255c12f. einen Grundgedanken der entwickelten platonischen Ontologie ausgesprochen finden, also Frede, Meinwald, Silverman u. a. (siehe oben Anm. 100). 106 Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 19. Daß nicht einmal die Übersetzung von »Ἀλλ’ οἶμαί σε συγχωρεῖν« unumstritten ist, zeigt Owens kurze Zeit später publizierte Bemerkung: »... the ES (sc. Eleatic Stranger) at 255C10 introduces his distinction between uses of ›to be‹
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mit Vieldeutigkeiten gespickt ist der von »συγχωρεῖν« abhängige Satz c12f. in der Tat. Um möglichst wenige von ihnen zu übersehen, ist es sinnvoll, den Satz in kleinere Teile zu zerlegen und deren semantische und syntaktische Vieldeutigkeiten gesondert aufzuzeigen. Ich zergliedere ihn daher in folgende Untereinheiten: (1) (2) (3) (4)
τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι, ἀεὶ, πρὸς ἄλλα,107 αὐτὰ καθ’ αὑτά
und werde diese in der angegebenen Reihenfolge nacheinander analysieren. Dabei werde ich auch die entsprechenden Teile des Satzes 255d1 erörtern, der, von »δέ γε« abgesehen, parallel zu 255c12f. aufgebaut ist108 (»τὸ ἕτερον ἀεὶ« entspricht »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...]«, »πρὸς ἕτερον« »πρὸς ἄλλα«, und »λέγεσθαι« ist aus c13 zu ergänzen). 2.2.2.1 »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι« Die Schwierigkeit der Wiedergabe des Ausdrucks »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι« liegt darin, daß der Ausdruck »λέγεσθαι« in dem Sinne, in dem er in c12f. gebraucht zu sein scheint, d. h. im Sinne von »ausgesagt werden«109 – es scheint ja in c12f. um die Abgrenzung zweier Gebrauchsweisen von Termen, die für das vom Verschiedenen zu unterscheidende Seiende stehen, zu gehen –, streng genommen zwar auf die Ausdrücke, die über einen Gegenstand derart ausgesagt werden, daß er mit der Aussage als ein Seiendes charakterisiert wird, aber nicht auf die Dinge, über die die Terme derart ausgesagt werden, d. h. τὰ ὄντα, Anwendung finden kann. Zwei Möglichkeiten, diese Schwierigkeit zu lösen, sind in Erwägung zu ziehen:
with the words ›I think you agree‹ (and not, as translators on the received interpretation generally feel impelled to turn it, ›I think you will agree‹).« (Owen, Plato on Not-Being, S. 257) 107 Ich folge zunächst der heute üblichen Lesart »πρὸς ἄλλα«, werde aber unten (2.2.5.2) die Variante »πρὸς ἄλληλα« (vgl. oben Anm. 103) in die Betrachtung einbeziehen. 108 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 28. 109 Vgl. zur Verwendung von »λέγειν« für die Aussage von Prädikat-Termen z. B. 237d1-5: »ΞΕ. καὶ τοῦτο ἡμῖν που φανερόν, ὡς καὶ τὸ τὶ τοῦτο ῥῆμα ἐπ’ ὄντι λέγομεν ἑκάστοτε· μόνον γὰρ αὐτὸ λέγειν, ὥσπερ γυμνὸν καὶ ἀπηρημωμένον ἀπὸ τῶν ὄντων ἁπάντων ἀδύνατον· ἦ γάρ; ΘΕΑΙ. Ἀδύνατον.« (Ich weiche hier mit dem neuen OCT-Text von Burnet ab, der das in T bezeugte »ῥῆμα« nach dem Vorgang von Schanz einklammert. Selbst wenn die Athetese richtig ist, ist es klar, daß mit »τὸ τὶ τοῦτο« auf den unmittelbar zuvor in 237c10 verwendeten sprachlichen Ausdruck »τὶ« Bezug genommen wird.)
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(i) »λέγεσθαι« wird entgegen dem ersten Anschein gar nicht im Sinne von »ausgesagt werden«, sondern im Sinne von »genannt werden« verwendet,110 und zu »λέγεσθαι« muß ein Wort wie »›ὄντα‹« oder »οὕτως« gedanklich ergänzt werden (»›seiend‹ genannt werden«, »so genannt werden«).111 (ii) »λέγεσθαι« wird zwar im Sinne von »ausgesagt werden« verwendet, jedoch in prägnanter Formulierung statt auf die Terme, die über Dinge derart ausgesagt werden, daß sie mit der Aussage zutreffend als seiend charakterisiert werden, auf die Dinge selber appliziert. Zwar ergeben sich aus (i) und (ii) keine unterschiedlichen Auffassungen der These, die in c12f. aufgestellt wird – nach (i) wie nach (ii) ist die These die, daß die Terme, mit denen etwas zutreffend als ein Seiendes charakterisiert wird, auf Seiendes der ersten Klasse so, auf Seiendes der zweiten Klasse anders Anwendung finden –, doch scheint mir die Frage von eigenem Interesse zu sein, welche der beiden Lesarten zutreffend ist. Anhand des aristotelischen Gebrauchs von »λέγεσθαι« in Verbindung mit adverbialen Ausdrücken in Wendungen wie »πολλαχῶς λέγεσθαι« will ich zeigen, daß die Lesart (ii) der Lesart (i) vorzuziehen ist. Um dies zu zeigen, gehe ich von der Frage aus, wie »τὸ ἕτερον [...] λέγεσθαι« d1 wiederzugeben ist. Die exakte Entsprechung zwischen der Formulierung des ersten Teils der Aussage in 255c12f. und der Formulierung des zweiten Teils der Aussage in 255d1 hat offensichtlich die Funktion, den Kontrast zwischen dem Sei110 Vgl. zu dieser Lesart Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 28. Man mag auch erwägen, »λέγεσθαι« mit »genannt werden« zu übersetzen und »αὐτὰ καθ’ αὑτά« und »πρὸς ἄλλα« nicht als adverbiale Bestimmungen, sondern als Ausdrücke für das, als was τὰ ὄντα bezeichnet werden, zu verstehen. Diese Deutung scheint Moravcsik vorauszusetzen, wenn er schreibt: »In 255c12-13 I take Plato to be saying that ›of beings we always say that some are relational, and some non-relational‹« (S. 54). Jedoch sind nach diesem Verständnis streng genommen nicht τὰ ὄντα relational oder nicht-relational, sondern »the instances of ›is‹« (ebd.); da nämlich die Klassen der ὄντα und ἕτερα miteinander identisch sind, wären τὰ ἕτερα genauso als relational und nichtrelational zu bezeichnen wie τὰ ὄντα, es sei denn, man verstünde »τὰ ὄντα« im Sinne von »τὰ ὄντα ᾗ ὄντα« und »τὸ ἕτερον« im Sinne von »τὸ ἕτερον ᾗ ἕτερον« (eine ähnliche Schwierigkeit bereitet die von Pelletier, S. 123f. gemachte Annahme, daß die in d4f. implizierte Aussage, daß das Seiende an beiden Arten (εἴδη) des λέγεσθαι teilhabe, besage, daß einiges Seiende als αὐτὸ καθ’ αὑτό, anderes als πρὸς ἄλλο charakterisiert sei; auch hier muß man jeweils »als Seiendes« oder »hinsichtlich der Teilhabe am Seienden« ergänzen, wenn die Aussage plausibel sein soll). Auch scheint mir die adverbiale Verwendung von »πρὸς ἕτερον« in d5f. dafür zu sprechen, daß derselbe Ausdruck in d1 und entsprechend »πρὸς ἄλλα« sowie »αὐτὰ καθ’ αὑτά« in c12f. adverbial gebraucht werden. 111 Auch die Wiedergabe von »λέγεσθαι« mit »die Rede sein von« oder »gesprochen werden von« schließt die Annahme einer solchen Ellipse ein. Denn der Ausdruck »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεται« ist dieser Wiedergabe von »λέγεσθαι« zufolge mit »von den einen Seienden ist [...] die Rede, von den anderen Seienden ist [...] die Rede« oder »von den einen Seienden wird [...] gesprochen, von den anderen Seienden wird [...] gesprochen« zu übersetzen, und es fragt sich dann, mit welchen Ausdrücken von den einen Seienden so, von den anderen Seienden anders die Rede ist bzw. gesprochen wird.
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enden und dem Verschiedenen in Bezug auf die Bestimmungen des αὐτὸ καθ’ αὑτὸ λέγεσθαι und des πρὸς ἄλλο λέγεσθαι hervortreten zu lassen: Das Verschiedene fällt ausschließlich unter die zweite und in keinem Falle unter die erste Bestimmung, während manches Seiende auch unter die erste Bestimmung fällt. Soll der Kontrast deutlich sein, so müssen wir annehmen, daß »τὸ ἕτερον« in der Weise, wie »τῶν ὄντων« auf die unter den Begriff des Seienden fallenden Dinge zu beziehen ist, auf die unter den Begriff des Verschiedenen fallenden Dinge zu beziehen ist und das »ἀεὶ« d1 im Kontrast zu »τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...]« c12f. anzeigt, daß jedes Element der Klasse der verschiedenen Dinge unter die zweite Bestimmung und damit keines von ihnen unter die erste fällt (da nichts unter beide Bestimmungen zusammen fallen kann).112 Daher muß in einer angemessenen Übersetzung oder Paraphrase von d1 der Ausdruck, mit dem »τὸ ἕτερον« wiedergegeben wird, salva propositione durch »die verschiedenen Dinge« ersetzt werden können. Die beiden ersten der von Frede113 verzeichneten Möglichkeiten, den Satz »τὸ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον λέγεται« zu übersetzen: (a)
›verschieden‹ wird immer in bezug auf ein anderes ausgesagt,
(b)
das Verschiedene wird immer in bezug auf ein anderes ausgesagt
scheiden schon deshalb aus. Denn der ersten Übersetzung zufolge ist »τὸ ἕτερον« nicht auf die Dinge, die unter den Begriff des Verschiedenen fallen, zu beziehen, sondern auf den Ausdruck »verschieden«. Der in der Übersetzung für »τὸ ἕτερον« eintretende Ausdruck »›verschieden‹« kann daher nicht salva propositione durch »die verschiedenen Dinge« ersetzt werden. In der zweiten Übersetzung wird der für »τὸ ἕτερον« eintretende Ausdruck »das Verschiedene« als Eigenname der Form des Verschiedenen gebraucht.114 Auch er kann daher nicht salva propositione durch »die verschiedenen Dinge« ersetzt werden. Der dritte, von Frede favorisierte Übersetzungsvorschlag (c)
das Verschiedene wird immer in bezug auf ein anderes so (d. h. ›verschieden‹) genannt
ist keinem entsprechenden Einwand ausgesetzt. Denn wir können diesen Satz so verstehen, daß sich in ihm der für »τὸ ἕτερον« eintretende Ausdruck »das Verschiedene« salva propositione durch »die verschiedenen Dinge« ersetzen läßt:
112 Vgl. zu »ἀεὶ« d1 Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 28 und S. 36. 113 Prädikation und Existenzaussage, S. 12. 114 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 12.
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(c’)
die verschiedenen Dinge werden immer in bezug auf ein anderes so (d. h. ›verschieden‹) genannt.
Aber auch dieser Übersetzungsvorschlag ist nicht ohne Schwierigkeiten. Denn in d1 findet sich kein Wort, das dem zwar kurzen, doch für die Verständlichkeit des Satzes unverzichtbaren Wort »so« entspräche. Offenbar liegt dem Übersetzungsvorschlag die Unterstellung zugrunde, daß »λέγεσθαι« im Sinne von »genannt werden« ergänzungsbedürftig gebraucht sei, d. h. so, daß in c13 »ὄντα« (»›seiend‹ genannt werden«) und in d1 »ἕτερον« (»›verschieden‹ genannt werden«) gedanklich zu ergänzen sei. Wie wenig selbstverständlich diese Unterstellung ist, wird deutlich, wenn wir den so verstandenen Satz »τὸ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον λέγεται« mit seinem deutschen Entsprechungsstück Das Verschiedene wird immer in bezug auf ein Verschiedenes genannt
vergleichen. Dieser Satz läßt sich beim besten Willen nicht als elliptischer Ausdruck für Das Verschiedene wird immer in bezug auf ein Verschiedenes ›verschieden‹ genannt
interpretieren, sondern ist unverständlich. Auch wenn dieser Vergleich natürlich nicht beweist, daß der griechische Satz nicht als elliptische Formulierung verwendet werden kann, macht er deutlich, daß man nach anderen, weniger zweifelhaften Mitteln suchen sollte, die eigentümliche Verwendung von »λέγεσθαι« in c12f. und d1 zu erklären. Frede115 rechtfertigt seine Erklärung mit dem Verweis auf ein von Simplikios überliefertes Fragment aus Aristoteles’ »Περὶ ἐναντίων« (fr. 2 Ross), in dem, wie Frede glaubt, der Ausdruck »καθ’ αὑτὰ τὰ ἐναντία ῥηθήσεται« (Simp. in Cat. 389.8f.) als elliptische Formulierung anstelle von »καθ’ αὑτὰ τὰ ἐναντία ›ἐναντία‹ ῥηθήσεται« zu deuten sei. Zur Rechtfertigung der These, daß »λέγεσθαι« in c13 mit »›seiend‹ genannt werden« und in d1 mit »so genannt werden« wiederzugeben sei, eignet sich der Verweis auf den Ausdruck in »Περὶ ἐναντίων« allerdings schwerlich, da in seinem Falle die Annahme eines ergänzungsbedürftigen Gebrauchs von »λέγεσθαι« im Sinne von »›ἐναντία‹ λέγεσθαι« nicht minder fragwürdig ist. Ja, der Vergleich der aristotelischen Verwendung von »λέγεσθαι« mit einem Adverb wie »καθ’ αὑτά« oder »πολλαχῶς« scheint eher gegen die These zu sprechen, daß an unserer Stelle »λέγεσθαι« mit »so genannt werden« zu übersetzen sei. Dies macht erstens der Blick auf den Satz »ἔστι δὲ ἡ ποιότης τῶν πλεοναχῶς λεγομένων« (Cat. 8b25f.) deutlich, in dem »πλεοναχῶς 115 Prädikation und Existenzaussage, S. 27f.
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λέγεσθαι« so verwendet wird wie in dem gleichbedeutenden Satz »ἡ δὲ ποιότης λέγεται πλεοναχῶς«. Wenn nun, die Identität des Gebrauchs von »πλεοναχῶς λέγεσθαι« in beiden Sätzen vorausgesetzt, der Satz »ἡ δὲ ποιότης λέγεται πλεοναχῶς« mit »Die Beschaffenheit wird auf mehrfache Weise so genannt« zu übersetzen wäre, so wäre auch der Satz »ἔστι δὲ ἡ ποιότης τῶν πλεοναχῶς λεγομένων« mit »Die Beschaffenheit gehört zu den auf mehrfache Weise so (sc. »Beschaffenheit«) genannten Dingen« zu übersetzen. Diese Übersetzung ist jedoch nicht sinnvoll.116 Folglich scheint auch jener Satz anders zu übersetzen zu sein. Zweitens wird »λέγεσθαι πολλαχῶς« zuweilen auf sprachliche Ausdrücke angewandt (vgl. GC Α6, 322b30f.: »ὥσπερ καὶ τῶν ἄλλων ὀνομάτων ἕκαστον λέγεται πολλαχῶς [...]«), und hier ist die Übersetzung mit »wird so genannt« offensichtlich unpassend. Aristoteles’ Gebrauch von »λέγεσθαι« in Verbindungen wie »πλεοναχῶς λέγεσθαι« rechtfertigt also nicht die These, daß »λέγεσθαι« in 255c13 mit »so genannt werden« zu übersetzen sei. Nichtsdestoweniger ist er in anderer Hinsicht für die Erklärung des an dieser Stelle vorliegenden Gebrauchs des Ausdrucks von Nutzen. Aristoteles verwendet nämlich Ausdrücke dieser Art als Prädikat-Terme von Sätzen häufig so, daß der Subjekt-Ausdruck der Sätze nicht auf einen sprachlichen Term bezogen werden kann.117 Die von Frede aus »Περὶ ἐναντίων« zitierte Stelle ist dafür ebenso ein Beleg wie z. B. folgender Satz aus der Nikomachischen Ethik (Α6, 1096b13f.): [...] διττῶς λέγοιτ’ ἂν τἀγαθά, καὶ τὰ μὲν καθ’ αὑτά, θάτερα δὲ διὰ ταῦτα.
In diesem Satz wird mit »τἀγαθά« nicht auf einen sprachlichen Ausdruck, sondern auf die Dinge, die unter den Begriff des Guten fallen, Bezug genommen. Nun kann man freilich von guten Dingen zumindest nicht stricto sensu sagen, daß sie ausgesagt werden – vielmehr werden über sie die Terme »ἀγαθόν« und »ἀγαθά« ausgesagt –, was den Gedanken nahelegen mag, daß »λέγοιτ’ ἂν« gar nicht im Sinne von »dürfte ausgesagt werden«, sondern elliptisch im Sinne von »dürfte genannt werden« zu verstehen sei. Die Annahme eines solchen elliptischen Gebrauchs von »λέγεσθαι« hat sich indessen gerade eben als problematisch erwiesen. Es gibt einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit, nämlich die Annahme, daß »λέγεσθαι« in Verbindung mit einem Adverb zuweilen in sparsamerer Formulierung auf die Dinge, auf die ein bestimmter Term zutrifft, anstatt auf den Term selbst Anwendung finden kann. Diese Annahme kann mit 116 Pace Barnes, S. 125 (»›quality is among things so called in many ways‹«). 117 Was etwa in Metaph. Η2, 1042b25f. möglich ist: »ὥστε δῆλον ὅτι καὶ τὸ ἔστι τοσαυταχῶς λέγεται.«
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einem Hinweis auf Aristoteles’ Verwendung des Ausdrucks »σημαίνειν« gerechtfertigt werden, der dem Ausdruck »λέγεσθαι« (verstanden im Sinne von »ausgesagt werden«) darin verwandt ist, daß er stricto sensu nicht auf die Dinge angewandt werden kann, auf die ein Term zutrifft, sondern nur auf den Term selbst. Nichtsdestoweniger wendet ihn Aristoteles häufig auf die Dinge an, die unter einen bestimmten Term fallen, auf den »σημαίνειν« streng genommen anzuwenden wäre. Ein Beispiel dafür findet sich zu Beginn von Metaphysik Ζ1:118 τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς, καθάπερ διειλόμεθα πρότερον ἐν τοῖς περὶ τοῦ ποσαχῶς· σημαίνει γὰρ τὸ μὲν τί ἐστι καὶ τόδε τι, τὸ δὲ ποιὸν ἢ ποσὸν ἢ τῶν ἄλλων ἕκαστον τῶν οὕτω κατηγορουμένων. (1028a10-13)
Es liegt auf der Hand, daß die Ausdrücke »τὸ μὲν« und »τὸ δὲ« nicht auf verschiedene Ausdrücke bezogen werden können, da es ja in allen genannten Fällen um die Verwendung ein und desselben Ausdrucks »ὄν« geht. Vielmehr wendet Aristoteles den Ausdruck »σημαίνειν« auf die Dinge, die unter den Term »ὄν« fallen, an, derart, daß er sie nach den verschiedenen Verwendungsweisen von »ὄν« in Klassen einteilt und von den Entitäten der Klasse, auf die der Term so zutrifft, daß er x σημαίνει, »σημαίνει x« aussagt, von den Entitäten der Klasse, auf die der Term so zutrifft, daß er y σημαίνει, »σημαίνει y« aussagt, usw. Dieser Gebrauch von »σημαίνειν« legt die Annahme nahe, daß auch der Ausdruck »λέγεσθαι« statt auf den Term, der über bestimmte Dinge zutreffend ausgesagt wird, auf die Dinge selbst Anwendung finden kann und im vorhergehenden Satz »τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς« genau so gebraucht wird.119 Der aristotelische Gebrauch von »σημαίνειν« einerseits, Ausdrücken wie »πολλαχῶς λέγεσθαι« oder »καθ’ αὑτὰ λέγεσθαι« andererseits gibt uns nun für die Deutung des Gebrauchs von »λέγεσθαι« in Sophistes 255c12f. und d1 einen wichtigen Fingerzeig, da auch der Eleatische Gast den Ausdruck »σημαίνειν« auf Gegenstände anwendet, die durch einen sprachlichen Ausdruck bezeichnet werden, anstatt ihn der strikten Verwendung gemäß auf den Ausdruck selbst anzuwenden. Ein Beispiel findet sich in 258a11-b3, wo es heißt:
118 Vgl. auch Metaph. Ν2, 1089a7-9, de An. Α5, 410a13-15, EE Α8, 1217b25-29. 119 Der Satz »τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς« braucht daher nicht mit Frede / Patzig (S. 10) als elliptischer Ausdruck für »τὸ ὂν λέγεται πολλαχῶς« verstanden zu werden. Die Autoren verweisen für ihren Vorschlag auf die Formulierung in 1028a18 »τὰ δ’ ἄλλα λέγεται ὄντα [...]« (»die übrigen [sc. Seienden] werden als seiend bezeichnet [...]«) (vgl. z. B. auch Metaph. Γ1, 1003b5-10), in der jedoch eine adverbiale Ergänzung wie »πολλαχῶς« fehlt und die daher nicht zur Erklärung der Verwendung von »λέγεσθαι« mit Adverb in Ausdrücken wie »λέγεσθαι πολλαχῶς« herangezogen werden kann.
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ΞΕ. Οὐκοῦν, ὡς ἔοικεν, ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις οὐδὲν ἧττον, εἰ θέμις εἰπεῖν, αὐτοῦ τοῦ ὄντος οὐσία ἐστίν, οὐκ ἐναντίον ἐκείνῳ σημαίνουσα, ἀλλὰ τοσοῦτον μόνον, ἕτερον ἐκείνου.120
Es scheint insofern unproblematisch zu sein, zu unterstellen, daß der Eleatische Gast auch den Ausdruck »λέγεσθαι« im Sinne von »ausgesagt werden« auf die Entitäten, die unter den ausgesagten Term fallen, statt auf den Term selber anwendet. Im speziellen Fall von 255c12f. und d1 kann dies damit erklärt werden, daß mit der, wenn man so will, nachlässigen Verwendung von »λέγεσθαι« eine größere sprachliche Prägnanz als mit der strikten verbunden ist. Würde er sich der strikten Verwendung bedienen, so müßte er sich umständlicher ausdrücken, etwa so: (I’)
[...] daß »seiend« jeweils so über die seienden Dinge ausgesagt wird, daß für sie gilt: die einen sind ohne Bezug auf Anderes seiend, die anderen sind mit Bezug auf Anderes seiend121
(II’)
[...] daß dagegen »verschieden« jedesmal so über das Verschiedene ausgesagt wird, daß für es gilt: es ist in bezug auf Verschiedenes verschieden.
Es geht jedoch auch beträchtlich kürzer: (I)
[...] daß von den seienden Dingen die einen ohne Bezug auf Anderes, die anderen mit Bezug auf Anderes jeweils ausgesagt werden
(II)
[...] daß dagegen das Verschiedene jedesmal in bezug auf Verschiedenes ausgesagt wird.
Die Sätze (I) und (II) können als wörtliche Übersetzungen, die Sätze (I’) und (II’) als Paraphrasen der von »συγχωρεῖν« abhängigen Sätze in c12f. und d1 festgehalten werden (wobei natürlich die Wahl der Ausdrücke, mit 120 Vgl. auch 255b11f.: »Ἀλλ’ εἰ τὸ ὂν καὶ τὸ ταὐτὸν μηδὲν διάφορον σημαίνετον [...]« und dazu die Besprechung des Ausdrucks »σημαίνετον« in der ersten Untersuchung zum Sophistes (2.1.2.3). Genauso verfährt der Eleatische Gast mit dem Ausdruck »μανθάνειν« im Sinne von »verstehen«, wie sein Dialog mit Theaitetos in 233d9-e4 zeigt: »ΞΕ. Εἴ τις φαίη μὴ λέγειν μηδ’ ἀντιλέγειν, ἀλλὰ ποιεῖν καὶ δρᾶν μιᾷ τέχνῃ συνάπαντα ἐπίστασθαι πράγματα – ΘΕΑΙ. Πῶς »πάντα« εἶπες; ΞΕ. Τὴν ἀρχὴν τοῦ ῥηθέντος σύ γ’ ἡμῖν εὐθὺς ἀγνοεῖς· τὰ γὰρ σύμπαντα, ὡς ἔοικας, οὐ μανθάνεις. ΘΕΑΙ. Οὐ γὰρ οὖν.« Was Theaitetos nicht versteht (μανθάνει), ist das Wort »συνάπαντα« in 233d10. Daher müßte der Eleatische Gast streng genommen in 233e3 den Ausdruck »τὸ σύμπαντα« verwenden, in dem der Artikel »τὸ« die Funktion von Anführungszeichen hätte. Stattdessen gebraucht er aber den Ausdruck »τὰ σύμπαντα«, womit nicht auf den Ausdruck »σύμπαντα«, sondern auf das, wofür dieser Ausdruck steht, Bezug genommen wird. 121 An der Paraphrase mag bedenklich scheinen, daß in ihr die adverbialen Ausdrücke »ohne Bezug auf Anderes« (»αὐτὰ καθ’ αὑτά«) und »mit Bezug auf Anderes« (»πρὸς ἄλλα«) aus der Verbindung mit »ausgesagt wird« (»λέγεσθαι«) gelöst und mit dem ausgesagten Term »seiend« verknüpft werden. Eben so verfährt jedoch auch der Eleatische Gast mit dem adverbialen Ausdruck »πρὸς ἕτερον«, den er zunächst in d1 mit »λέγεσθαι« verbindet und dann in d5f. mit dem ausgesagten Term »ἕτερον« verknüpft.
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denen die bisher noch nicht analysierten Bestandteile von c12f. wiedergegeben sind, noch zu rechtfertigen ist). Die Paraphrasen haben gegenüber den wörtlichen Übersetzungen den Vorteil, daß in ihnen der Ausdruck »ausgesagt werden« stricto sensu gebraucht ist und seine Verwendung nicht zu Mißverständnissen Anlaß geben kann.122 Ich werde aus diesem Grund (I’) und (II’), nicht (I) und (II), bei der Reformulierung des Arguments für den Unterschied des Seienden und des Verschiedenen zugrundelegen, genauer gesagt die in (I’) und (II’) dem Ausdruck »[...] daß ›seiend‹ jeweils so über die Seienden ausgesagt wird, daß von ihnen gilt:« folgenden Sätze. Ich nehme also an, daß die in c12f. und d1 enthaltenen Aussagen nach dem Muster von d5-7 auch so ausgedrückt werden können: Ἀλλ’ οἶμαί σε συγχωρεῖν τῶν ὄντων τὰ μὲν αὐτὰ καθ’ αὑτά, τὰ δὲ πρὸς ἄλλα ταῦτα ἅπερ ἐστὶν (sc. ὄντα) εἶναι τὸ δέ γ’ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον τοῦτο ὅπερ ἐστὶν (sc. ἕτερον) εἶναι.
Diese Erklärung des Ausdrucks »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι« ist von einer anderen Erklärung abzugrenzen, derzufolge »λέγεσθαι« zwar im Sinne von »ausgesagt werden« zu verstehen ist, jedoch nicht so, daß der Eleatische Gast den Ausdruck auf die Entitäten, über die der Term »seiend« ausgesagt wird, anwendet, statt ihn sensu stricto auf den Term »seiend« selbst anzuwenden, sondern so, daß er ihn auf sämtliche von Prädikat-Termen ausgedrückte Prädikate anwendet, statt ihn sensu stricto auf die Prädikat-Terme selbst anzuwenden. Demnach werde in c12f. das Gesamt der Prädikate in zwei Klassen eingeteilt. Diese Deutung kann jedoch nicht richtig sein. Denn die Feststellung, daß die den einen Prädikaten entsprechenden Terme so ausgesagt werden und die den anderen Prädikaten entsprechenden Terme anders, ist für die Abgrenzung des Seienden vom Verschiedenen ganz unerheblich; relevant ist allein, wie die Terme, die im Sophistes auf das Seiende und das Verschie-
122 Sie – und nicht die wörtlichen Übersetzungen – sind auch zur Erklärung der in d4f. behaupteten Teilhabe des Seienden an beiden Arten, dem αὐτὸ καθ’ αὑτὸ λέγεσθαι und dem πρὸς ἄλλο λέγεσθαι, heranzuziehen. Beide Teilhaberelationen sind den Paraphrasen zufolge darauf zurückzuführen, daß sich die Form des Seienden in einigen Fällen so verhält, daß der ihr entsprechende Term so ausgesagt wird, daß das, worüber er ausgesagt wird, dasjenige, als was es mit ihm charakterisiert wird, αὐτὸ καθ’ αὑτό ist, während sie sich in anderen Fällen so verhält, daß der ihr entsprechende Term so ausgesagt wird, daß das, worüber er ausgesagt wird, dasjenige, als was es mit ihm charakterisiert wird, πρὸς ἄλλο ist. Woran sie also jeweils teilhat, sind die Formen, die man durch Nominalisierung der Ausdrücke »so verhält, daß der ihr entsprechende Term so ausgesagt wird, daß das, worüber er ausgesagt wird, dasjenige, als was es mit ihm charakterisiert wird, αὐτὸ καθ’ αὑτό ist« und »so verhält, daß der ihr entsprechende Term so ausgesagt wird, daß das, worüber er ausgesagt wird, dasjenige, als was es mit ihm charakterisiert wird, πρὸς ἄλλο ist« bezeichnen kann.
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dene bezogen werden, ausgesagt werden. Frede wendet daher mit Recht gegen die Deutung ein: [...] es ist zwar richtig, daß die Dinge, die von etwas ausgesagt werden, für Platon seiend sein müssen; in diesem Zusammenhang aber ist nach dieser Interpretation das ›τῶν ὄντων‹ in 255c12 völlig überflüssig, denn es könnte genauso gut heißen: ›... συγχωρεῖν τὰ μὲν αὐτὰ καθ’ αὑτά, τὰ δὲ πρὸς ἄλλα ἀεὶ λέγεσθαι‹. Doch nichts liegt näher als die Annahme, daß hier, wo der Unterschied zwischen dem Seienden und dem Verschiedenen gezeigt werden soll, das ›τῶν ὄντων‹ nicht ohne Bedeutung sein kann, zumal es dem ›τὸ ἕτερον‹ in 255d1 zu entsprechen scheint.123
2.2.2.2 »ἀεὶ« »ἀεὶ« wird auf verschiedene Weisen gebraucht, im Sinne von »permanent«,124 im Sinne von »jedesmal«125 (wie »ἑκάστοτε«) und im Sinne von »jeweils«.126 »permanent« kommt für die Wiedergabe von »ἀεὶ« c13 nicht in Betracht, da man nicht sinnvollerweise sagen kann, daß Dinge permanent als »seiend« angesprochen werden. Im Sinne von »jedes Mal« (»ἑκάστοτε«) wird »ἀεὶ« in d1 gebraucht (»τὸ δέ γ’ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον«), wo gesagt wird, daß »verschieden« über die verschiedenen Dinge jedes Mal – d. h. in jedem Fall der Verwendung von »verschieden« – in bezug auf Verschiedenes ausgesagt wird. Dies legt den Gedanken nahe, daß auch das »ἀεὶ« in c13 im Sinne von »jedes Mal« gebraucht wird, um klarzumachen, daß »seiend« über ein Seiendes der ersten Klasse jedes Mal auf die erste Weise ausgesagt wird, über ein Seiendes der zweiten Klasse jedes Mal auf die zweite Weise. Die Stellung des »ἀεὶ« vor »λέγεσθαι« könnte man damit erklären, daß es, um eine doppelte Setzung von »ἀεὶ« vor »αὐτὰ καθ’ αὑτά« und vor »πρὸς ἄλλα« zu vermeiden, erst hinter beiden Adverbien gesetzt worden ist. Auch »jeweils« ist als Übersetzung von »ἀεὶ« in c13 in Erwägung zu ziehen.127 Die Funktion des »ἀεὶ« wäre dann die, auf eine Implikation der 123 Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 23. Vgl. auch Silverman, The Dialectic of Essence, S. 168. 124 Vgl. z. B. Phd. 62e3f. (»ὁ δὲ νοῦν ἔχων ἐπιθυμοῖ που ἂν ἀεὶ εἶναι παρὰ τῷ αὑτοῦ βελτίονι«) oder Smp. 206a11f. (»ἔστιν ἄρα [...] ὁ ἔρως τοῦ τὸ ἀγαθὸν αὑτῷ εἶναι ἀεί;«). 125 Vgl. z. B. Sph. 218c4f. (»δεῖ δὲ ἀεὶ παντὸς πέρι τὸ πρᾶγμα αὐτὸ μᾶλλον διὰ λόγων ἢ τοὔνομα μόνον συνωμολογῆσθαι χωρὶς λόγου«) oder Smp. 173d4 (»Ἀεὶ ὅμοιος εἶ, ὦ Ἀπολλόδωρε«). 126 Vgl. z. B. Ap. 25c8 (»τοὺς ἀεὶ ἐγγυτάτω αὑτῶν ὄντας«), R. 354b2 (»τοῦ ἀεὶ παραφερομένου«), Tht. 146a2 (»ὃς ἂν ἀεὶ ἁμαρτάνῃ«), Phlb. 16c9 (»τῶν ἀεὶ λεγομένων εἶναι«). 127 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 36.
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Verwendung der Pluralausdrücke »τὰ μὲν« und »τὰ δὲ« aufmerksam zu machen, nämlich die, daß es je nach Aussagesubjekt verschiedene Fälle sind, in denen »seiend« auf die eine oder die andere Weise ausgesagt wird. 2.2.2.3 »πρὸς ἄλλα« Der Ausdruck »πρὸς ἄλλα« wirft die Frage auf, ob darin, daß ein Gegenstand, x, πρὸς ἄλλο, y, als seiend charakterisiert wird, enthalten ist, daß x und y voneinander verschieden sind. Interpreten, die die Frage verneinen,128 verweisen z. B. auf Aristoteles’ Definition der Relativa (τὰ πρός τι) in der Kategorienschrift: Πρός τι δὲ τὰ τοιαῦτα λέγεται, ὅσα αὐτὰ ἅπερ ἐστὶν ἑτέρων εἶναι λέγεται ἢ ὁπωσοῦν ἄλλως πρὸς ἕτερον (6a36f.)
sowie die Tatsache, daß Aristoteles auch Prädikat-Terme, die reflexive Relationen ausdrücken, z. B. Terme der Form »identisch mit ...«, als πρός τι-Terme klassifiziert.129 Frede, der die Tatsache, daß »πρὸς ἕτερον« ohne Einschluß der Verschiedenheit des Relats im Sinne von »πρός τι« verwendet werden kann, anerkennt,130 votiert nichtsdestoweniger für eine positive Antwort auf die Frage, ob »πρὸς ἄλλα« so zu verstehen ist, daß darin, daß ein Gegenstand, x, πρὸς ἄλλο, y, als seiend charakterisiert wird, enthalten ist, daß x und y voneinander verschieden sind; er bleibt jedoch eine Begründung dafür schuldig.131 Ich will an dieser Stelle die Antwort auf die Frage offenlassen und sie von der Deutung der Arten, einen Gegenstand als seiend zu charakterisieren, abhängig machen. 2.2.2.4 »αὐτὰ καθ’ αὑτά« »αὐτὰ καθ’ αὑτά« scheint prima facie gleichbedeutend mit »οὐ πρὸς ἄλλα« (»ohne Bezug auf Anderes«) gebraucht zu sein. Denn der Eleatische Gast sagt, daß das Verschiedene, wenn es so wie das Seiende auch am αὐτὸ καθ’ αὑτὸ λέγεσθαι teilhätte, in manchen Fällen οὐ πρὸς ἕτερον verschieden wäre (255d5f.). Freilich könnte er dies auch als eine Konsequenz daraus folgern, daß es, wenn es auch an der ersten Art teilhätte, zuweilen in bezug auf sich selbst verschieden wäre. »αὐτὰ καθ’ αὑτά« wäre dann nicht synonym mit »οὐ πρὸς ἄλλα«, sondern bedeutete soviel wie »in bezug auf 128 Vgl. Heinaman, Being in the Sophist, S. 15. 129 Vgl. Metaph. Δ15, 1021a9f. 130 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 17. 131 Vgl. Heinaman, Being in the Sophist, S. 15 mit Anm. 36.
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sich selbst«, worin »ohne Bezug auf Verschiedenes« lediglich enthalten wäre. Kann aber »αὐτὰ καθ’ αὑτά« »in bezug auf sich selbst« bedeuten? Frede bejaht die Frage mit dem Hinweis auf das bereits oben erwähnte Fragment aus Aristoteles’ »Περὶ ἐναντίων«, in dem »καθ’ αὑτά« auf diese Weise verwendet sei.132 Diese Stelle scheint freilich nicht zu zeigen, was sie zeigen soll. Denn »καθ’ αὑτά« kontrastiert hier mit »τῷ μετέχειν ἐναντίων«,133 bedeutet also soviel wie »nicht durch Teilhabe an Anderem« bzw. »nicht in bezug auf Anderes«. Auch die von Owen134 zitierte Stelle 252c2-4135 spricht eher dafür, »καθ’ αὑτά« mit »χωρὶς τῶν ἄλλων«, d. h. »οὐ πρὸς ἄλλα« zu explizieren. Bostock führt ein gewichtiges Argument dagegen an, »αὐτὰ καθ’ αὑτά« im Sinne von »in bezug auf sich selbst« zu interpretieren: Owen, who thinks that two incomplete uses of the verb are here (sc. in 255c12f., BS) distinguished, takes the contrast to be between being in relation to something else and being in relation to oneself. But in that case the appropriate Greek expressions are obviously ›πρὸς ἄλλα‹ and ›αὐτὰ πρὸς αὑτά‹, and there could be no conceivable motive for writing ›κατὰ‹ in place of ›πρὸς‹ in just one of the contrasting pairs.136
Erneut will ich die Antwort auf die Frage aufschieben und nach der Klärung der Unterscheidung zwischen den beiden Arten, etwas als seiend zu charakterisieren, wiederaufnehmen. Betont sei hier nur, daß sich die Möglichkeit, »αὐτὰ καθ’ αὑτά« im Sinne von »in bezug auf sich selbst« zu verstehen, nicht unwesentlich auf die Rekonstruktion des Arguments für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen auswirkt. Der Satz »a ist ein Seiendes αὐτὸ καθ’ αὑτό« kann dann nämlich nicht nur mit »Es gibt kein von a verschiedenes x derart, daß a in bezug auf x ein Seiendes ist« (gemäß der strikten Lesart von »ἄλλα«) oder »Es gibt kein x derart, daß a in bezug auf x ein Seiendes ist« (gemäß der nicht strikten Lesart von »ἄλλα«), sondern auch mit »Es gibt ein mit a identisches x derart, daß a in bezug auf x ein Seiendes ist« wiedergegeben werden. Das Argument für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen ist entsprechend jeweils anders zu rekonstruieren, und es ergeben sich die im folgenden Abschnitt (2.2.3) dargestellten Rekonstruktionsmöglichkeiten.
132 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 27f. 133 Simp. in Cat. 389.9f. 134 Vgl. Owen, Plato on Not-Being, S. 257. 135 »Τῷ τε εἶναί που περὶ πάντα ἀναγκάζονται χρῆσθαι καὶ τῷ χωρὶς καὶ τῷ τῶν ἄλλων καὶ τῷ καθ’ αὑτὸ καὶ μυρίοις ἑτέροις [...]«. Die Stelle spielt auf den Selbstwiderspruch an, den jemand begeht, der die Gemeinschaft von Formen in Abrede stellt und dabei Sätze bildet, deren Prädikat-Ausdruck für eine andere Form steht als der Subjekt-Ausdruck und die damit die Gemeinschaft beider Formen implizieren. 136 Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 93.
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2.2.3 Drei mögliche Rekonstruktionen des Arguments für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen 2.2.3.1 Rekonstruktion A Unter der Annahme, daß »αὐτὰ καθ’ αὑτά« im Sinne von »οὐ πρὸς ἄλλα« und »πρὸς ἄλλα« strikt im Sinne von »in bezug auf Verschiedenes« zu verstehen ist, erhalten wir folgendes Argument für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen. Laut 255d1137 und d6f.138 gilt, daß jeder Gegenstand, der verschieden ist, in bezug auf etwas von ihm Verschiedenes verschieden ist (denn »πρὸς ἕτερον« d1 und »ἑτέρου« d6f. sind bei einem strikten Verständnis von »πρὸς ἄλλα« ebenfalls strikt zu verstehen): (A1)
∀x (x ist verschieden → ∃y (x ist in bezug auf y verschieden & x ≠ y)).
Laut 255c12f. gilt erstens, daß einige Gegenstände seiend sind, aber nicht in bezug auf etwas von ihnen Verschiedenes; zweitens daß einige Gegenstände seiend sind, und zwar in bezug auf etwas von ihnen Verschiedenes; und drittens daß alles, was seiend ist, entweder auf die erste oder auf die zweite Weise seiend ist (in den folgenden Formalisierungen wird anstelle des gewöhnlichen Disjunktors der Operator »◊« im Sinne des ausschließenden »entweder ... oder ...« verwendet; seine Bindungsstärke entspreche der des Disjunktors): (A2)
∃x (x ist ein Seiendes & ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x ≠ y)) & ∃x (x ist ein Seiendes & ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x ≠ y)) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x ≠ y) ◊ ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x ≠ y)).
Wäre nun das Verschiedene dasselbe wie das Seiende, so müßte der Term »ein Seiendes« in allen seinen Vorkommnissen in (A2) salva veritate durch »verschieden« ersetzt werden können, und es würde gemäß dem ersten Konjunkt von (A2) gelten, daß es etwas gibt, das verschieden ist, aber nicht in bezug auf etwas von ihm Verschiedenes (vgl. 255d4-6139): (A0)
∃x (x ist verschieden & ¬∃y (x ist in bezug auf y verschieden & x ≠ y)).
137 »τὸ δέ γ’ ἕτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον (sc. λέγεσθαι οἶμαί σε συγχωρεῖν)«. 138 »νῦν δὲ ἀτεχνῶς ἡμῖν ὅτιπερ ἂν ἕτερον ᾖ, συμβέβηκεν ἐξ ἀνάγκης ἑτέρου τοῦτο ὅπερ ἐστὶν εἶναι«. 139 »[...] εἴπερ θάτερον ἀμφοῖν μετεῖχε τοῖν εἰδοῖν ὥσπερ τὸ ὄν, ἦν ἄν ποτέ τι καὶ τῶν ἑτέρων ἕτερον οὐ πρὸς ἕτερον«.
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(A0) ist jedoch unverträglich mit (A1). Folglich ist das Verschiedene nicht dasselbe wie das Seiende (vgl. 255d3f.140).
2.2.3.2 Rekonstruktion B Unter der Voraussetzung, daß »αὐτὰ καθ’ αὑτά« im Sinne von »οὐ πρὸς ἄλλα« und »πρὸς ἄλλα« im Sinne von »πρός τινα«, d. h. nicht strikt zu verstehen ist, erhalten wir folgendes Argument für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen. Laut 255d1 und d6f. gilt, daß jeder Gegenstand, der verschieden ist, in bezug auf etwas verschieden ist (»πρὸς ἕτερον« d1 und »ἑτέρου« d6f. sind bei einem nicht strikten Verständnis von »πρὸς ἄλλα« ebenfalls nicht strikt, sondern im Sinne von »πρός τι« resp. »τινὸς« zu verstehen): (B1)
∀x (x ist verschieden → ∃y (x ist in bezug auf y verschieden)).
Laut 255c12f. gilt erstens, daß einige Gegenstände seiend sind, aber nicht in bezug auf etwas; zweitens daß einige Gegenstände seiend sind, und zwar in bezug auf etwas; und drittens daß alles, was seiend ist, entweder auf die erste oder auf die zweite Weise seiend ist: (B2)
∃x (x ist ein Seiendes & ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)) & ∃x (x ist ein Seiendes & ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes) ◊ ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)).
Wäre nun das Verschiedene dasselbe wie das Seiende, so müßte der Term »ein Seiendes« in allen seinen Vorkommnissen in (B2) salva veritate durch »verschieden« ersetzt werden können, und es würde gemäß dem ersten Konjunkt von (B2) gelten, daß es etwas gibt, das verschieden ist, aber nicht in bezug auf etwas (vgl. 255d4-6): (B0)
∃x (x ist verschieden & ¬∃y (x ist in bezug auf y verschieden)).
(B0) ist jedoch unverträglich mit (B1). Folglich ist das Verschiedene nicht dasselbe wie das Seiende (vgl. 255d3f.).
2.2.3.3 Rekonstruktion C Da die Bestimmungen des αὐτὸ καθ’ αὑτὸ λέγεσθαι und des πρὸς ἄλλο λέγεσθαι einander ausschließen sollen, ist in der Annahme, daß »αὐτὰ 140 »οὐκ ἄν (sc. τὸ ἔτερον ἀεὶ πρὸς ἕτερον ἐλέγετο), εἴ γε τὸ ὂν καὶ τὸ θάτερον μὴ πάμπολυ διεφερέτην.«
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καθ’ αὑτά« im Sinne von »in bezug auf sich selbst« zu verstehen ist, impliziert, daß »πρὸς ἄλλα« im Sinne von »in bezug auf Verschiedenes« strikt zu verstehen ist (handelte es sich beim πρὸς ἄλλο λέγεσθαι um ein πρός τι λέγεσθαι, so wäre auch das αὐτὸ καθ’ αὑτὸ λέγεσθαι eine Art von πρὸς ἄλλο λέγεσθαι). Unter der Annahme, daß »αὐτὰ καθ’ αὑτά« im Sinne von »in bezug auf sich selbst« und »πρὸς ἄλλα« strikt im Sinne von »in bezug auf Verschiedenes« zu verstehen ist, erhalten wir folgendes Argument für die Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen. Laut 255d1 und d6f. gilt, daß jeder Gegenstand, der in bezug auf etwas verschieden ist, davon verschieden ist (denn »πρὸς ἕτερον« d1 und »ἑτέρου« d6f. sind bei einem strikten Verständnis von »πρὸς ἄλλα« ebenfalls strikt zu verstehen): (C1)
∀x∀y (x ist in bezug auf y verschieden → x ≠ y).
Laut 255c12f. gilt erstens, daß einige Dinge in bezug auf sich selbst seiend sind; zweitens, daß einige Dinge in bezug auf von ihnen Verschiedenes seiend sind; und drittens, daß alles, was seiend ist, entweder in bezug auf sich selbst oder in bezug auf Verschiedenes seiend ist: (C2)
∃x∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x = y) & ∃x∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x ≠ y) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & (x = y ◊ x ≠ y))).
Wäre nun das Verschiedene dasselbe wie das Seiende, so müßte der Term »ein Seiendes« in allen seinen Vorkommnissen in (C2) salva veritate durch »verschieden« ersetzt werden können, und es würde gemäß dem ersten Konjunkt von (C2) gelten, daß einige Dinge in bezug auf sich selbst verschieden sind (vgl. 255d4-6): (C0)
∃x∃y (x ist in bezug auf y verschieden & x = y).
(C0) ist jedoch unverträglich mit (C1). Folglich ist das Verschiedene nicht dasselbe wie das Seiende (vgl. 255d3f.). Die Entscheidung für eine dieser Möglichkeiten, das Argument zu rekonstruieren, und gegebenenfalls notwendige Modifikationen der gewählten Rekonstruktion141 sind von der Antwort darauf abhängig zu machen, in welchen Sätzen nach Auffassung des Eleatischen Gasts ein Gegenstand als ein Seiendes charakterisiert wird. Denn von ihr hängt ab, in welchen Sätzen seiner Meinung nach ein Gegenstand αὐτὸ καθ’ αὑτό und in welchen Sätzen ein Gegenstand πρὸς ἄλλο als ein Seiendes charakterisiert wird.
141 Vgl. dazu unten 2.2.5.2.
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2.2.4 In Sätzen welcher Form wird nach Auffassung des Eleatischen Gasts ein Gegenstand als ein Seiendes charakterisiert? Die erste Seite von Heideggers Sein und Zeit schmückt bekanntlich ein Zitat aus dem Sophistes, das der Autor so übersetzt: Denn offenbar seid ihr doch schon lange mit dem vertraut, was ihr eigentlich meint, wenn ihr den Ausdruck ›seiend‹ gebraucht, wir jedoch glaubten es einst zwar zu verstehen, jetzt aber sind wir in Verlegenheit gekommen.142
Es ist Heidegger nicht zu verdenken, daß er mit seinem eher systematischen denn historischen Erkenntnisinteresse nicht über die Form der Sätze in Verlegenheit ist, an die der Eleatische Gast denkt, wenn er die Frage stellt, die Heidegger »erneut zu stellen« gedenkt, nämlich »die Frage nach dem Sinn von Sein«. Im § 1 von Sein und Zeit bemerkt Heidegger zur Notwendigkeit, diese Frage erneut zu stellen: Das ›Sein‹ ist der selbstverständliche Begriff. In allem Erkennen, Aussagen, in jedem Verhalten zu Seiendem, in jedem Sich-zu-sich-selbst-verhalten wird von ›Sein‹ Gebrauch gemacht, und der Ausdruck ist dabei ›ohne weiteres‹ verständlich. Jeder versteht: ›Der Himmel ist blau‹; ›ich bin froh‹ und dgl. Allein diese durchschnittliche Verständlichkeit demonstriert nur die Unverständlichkeit. Sie macht offenbar, daß in jedem Verhalten und Sein zu Seiendem als Seiendem a priori ein Rätsel liegt. Daß wir je schon in einem Seinsverständnis leben und der Sinn von Sein zugleich in Dunkel gehüllt ist, beweist die grundsätzliche Notwendigkeit, die Frage nach dem Sinn von ›Sein‹ zu wiederholen.143
Doch sind es wirklich Sätze wie »Der Himmel ist blau« oder »Ich bin froh« (bzw. deren griechische Gegenstücke), an die der Eleatische Gast denkt, wenn er im fingierten Gespräch mit den Dualisten über den Sinn von »seiend« (»ὄν«) in Verlegenheit zu sein vorgibt? Zweifel daran weckt seine erste Formulierung der Frage in 243d9-e2,144 enthält sie doch keinen Term, mit dem der Ausdruck »εἶναι« so verbunden wäre wie »ist« mit »blau« und »bin« mit »froh«. Entsprechende Fragen stellen sich nun auch in bezug auf die Unterscheidung der beiden Aussageweisen von »εἶναι« in 255c12f. An Sätze welcher Form denkt der Eleatische Gast bei dieser Einteilung? In Sätzen welcher Form wird seiner Auffassung nach etwas als seiend charakterisiert? Handelt 142 Heidegger zitiert 244a6-8 (der 244a5f. entnommene Klammerinhalt ist Heideggers Hinzufügung zur Erklärung von »ταῦτα«): »[...] δῆλον γὰρ ὡς ὑμεῖς μὲν ταῦτα (τί ποτε βούλεσθε σημαίνειν ὁπόταν ὂν φθέγγησθε) πάλαι γιγνώσκετε, ἡμεῖς δὲ πρὸ τοῦ μὲν ᾠόμεθα, νῦν δ’ ἠπορήκαμεν [...]«. 143 Heidegger, S. 6. 144 Sie lautet: »τί ποτε ἄρα τοῦτ’ ἐπ’ ἀμφοῖν φθέγγεσθε, λέγοντες ἄμφω καὶ ἑκάτερον εἶναι; τί τὸ εἶναι τοῦτο ὑπολάβωμεν ὑμῶν;«.
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es sich um Sätze wie »Der Himmel ist blau« und »Ich bin froh«, oder geht es um Sätze anderer Form, z. B. – wie die Formulierung der Frage in 243d9-e2 nahelegt – um Sätze wie »Das Warme ist« und »Das Kalte ist«? Oder sind solche Grenzziehungen völlig überflüssig? Braucht ein verständlicher Satz einfach nur den Ausdruck »ist« zu enthalten, um als Satz gelten zu können, in dem etwas als seiend charakterisiert wird? Diesen und den damit zusammenhängenden Fragen sind die folgenden Abschnitte gewidmet. Ich werde zunächst (2.2.4.1) ein Kriterium zu formulieren versuchen, von dem wir annehmen können, daß ihm der Eleatische Gast bei der Entscheidung, ob etwas in einem Satz als seiend charakterisiert wird oder nicht, folgt, und dann (2.2.4.2-4) verschiedene Sätze mit Verbformen von »εἶναι« darauf hin untersuchen, ob sie so, wie der Eleatische Gast sie versteht, das Kriterium erfüllen. Dabei werde ich die Sätze, in denen etwas als seiend charakterisiert wird, kurz als S-Sätze bezeichnen.
2.2.4.1 Ein Kriterium für S-Sätze Zur Beantwortung der Frage, welche Form die Sätze haben, die der Eleatische Gast als S-Sätze einstuft, benötigen wir ein von der Satzform abstrahierendes Kriterium, dem er folgt, wenn er Sätze als S-Sätze einstuft (das Kriterium sollte von der Satzform abstrahieren, da wir in seiner Formulierung nicht bereits präjudizieren wollen, welche Form die Sätze haben, die der Eleatische Gast als S-Sätze einstuft). Als Kandidat für das gesuchte Kriterium bietet sich an: (Kriterium S-Satz) ∀x (x ist ein S-Satz ↔ x ist ein Satz & ∃y∃z (y ist ein Term & z wird in x mit y charakterisiert & y bezeichnet das Seiende)).
So trivial dieses Kriterium wirken mag, ist es doch in zwei Punkten erläuterungsbedürftig: (i) Inwiefern kann etwas, in unserem Fall das Seiende, durch einen charakterisierenden Term bezeichnet werden? (ii) Warum bezeichnet dieser Term in S-Sätzen das Seiende? Zu (i): Zur Rechtfertigung der These, daß der Eleatische Gast Formen als Designata von Prädikat-, also charakterisierenden Termen ansieht, verweise ich auf die erste Untersuchung zum Sophistes und die dort (2.1.2.3) gemachten Bemerkungen zu 255b8-c5. Die Redeweise, daß ein charakterisierender Term etwas bezeichnet (σημαίνει), mag in modernen Ohren befremdlich klingen, verliert aber einiges von ihrer Befremdlichkeit, wenn man bedenkt, daß es sich bei den von den charakterisierenden Termen be-
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zeichneten Gegenständen nicht um Gegenstände des Typs Dieses, sondern um Gegenstände des Typs So etwas handeln soll. Z. B. wird mit dem Satz »Der Term ›seiend‹ bezeichnet das Seiende« ausgesagt, daß der Term »seiend« so etwas, Seiendes, bezeichnet. Zu (ii): Die Bedingung, daß der in S-Sätzen ausgesagte Term das Seiende bezeichnet, läßt sich damit begründen, daß die in 255c12f. intendierte Unterscheidung der beiden Arten, etwas als ein Seiendes zu charakterisieren, die Abgrenzung des Seienden vom Verschiedenen rechtfertigen soll. Würde der Term, mit dem etwas auf eine der beiden Weisen als seiend charakterisiert wird, nicht für das Seiende stehen, so wäre die Unterscheidung beider Arten, etwas als seiend zu charakterisieren, für die Abgrenzung des Seienden vom Verschiedenen irrelevant.145 Soviel zur Erläuterung der Formulierung des Kriteriums für S-Sätze. Zumindest im Vorübergehen will ich ein weiteres, dem ersten entsprechendes Kriterium für S-Sätze, mit denen etwas zutreffend als seiend charakterisiert wird, formulieren, ein Kriterium, das von der Analyse des Satzes »Bewegung ist« in 256a1: »Ἔστι δέ γε (sc. κίνησις) διὰ τὸ μετέχειν τοῦ ὄντος« (vgl. auch 256d9 und e3) und überhaupt von der Art Analyse nahegelegt wird, mit der der Eleatische Gast in 255e-256d Sätze, in denen Bewegung zutreffend als dieses und jenes charakterisiert wird, durch Hinzufügung von »διὰ τὸ μετέχειν [...]« (256a7f.), »διὰ τὴν μέθεξιν [...]« (256b1), »διὰ τὴν κοινωνίαν [...]« (256b2), »ἐπείπερ [...] μετέχει« (256d9) oder »ὅτι μετέχει [...]« (256d9) erläutert, um klarzumachen, welche Form der vorhergehende ausgesagte Term bezeichnet und als was genau Bewegung mit ihm charakterisiert wird. Dieses Kriterium läßt sich mit einer Allaussage, in der über die Instanzen eines bestimmten Satzschemas quantifiziert wird, wiedergeben: (Kriterium zutreffender S-Satz) Jede Einsetzungsinstanz des folgenden Satzschemas (mit »a« als Platzhalter für Subjekt-Ausdrücke von Sätzen, z. B. »das Verschiedene«, und »F« als Platzhalter für einen gegebenenfalls durch die Kopula ergänzten Prädikat-Term) drückt eine wahre Aussage aus: »In dem Satz ›a (ist) F‹ wird a zutreffend als ein Seiendes charakterisiert ↔ der Satz ›a (ist) F‹ läßt sich zu dem Satz ›a (ist) F aufgrund der Teilhabe am Seienden‹ derart erweitern, daß letzterer eine wahre Aussage ausdrückt.«
Man beachte freilich, daß dieses Kriterium nur dann gültig ist, wenn zu den Substituten des Platzhalters »a« keine Ausdrücke für das Seiende selbst 145 Vgl. hierzu das oben (2.2.2.1) angeführte Argument gegen die These, daß mit »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι« das Ausgesagtwerden sämtlicher Form-bezeichnender PrädikatAusdrücke gemeint sei.
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gehören; denn das Seiende selbst ist als ein Seiendes charakterisiert, hat aber nicht an sich selber teil.146
2.2.4.2 Sätze, die der Eleatische Gast als S-Sätze einstuft Als S-Sätze stuft der Eleatische Gast zunächst offensichtlich all die Sätze ein, in denen der Ausdruck »ist« ohne Hinzufügung eines Prädikat-Terms, also vollständig verwendet wird (der entsprechende griechische Ausdruck wird daher immer als Paroxytonon akzentuiert: »ἔστιν«), z. B. »Bewegung ist« und »Ruhe ist«. So begründet er die Verschiedenheit des Seienden und der Ruhe damit, daß das »ist« in dem Satz »Bewegung ist« nicht salva veritate durch »ruht« ersetzt werden kann (vgl. 250b5), und rechtfertigt die Verschiedenheit des Seienden und der Bewegung umgekehrt damit, daß das »ist« in dem Satz »Ruhe ist« nicht salva veritate durch »bewegt sich« ersetzt werden kann (vgl. 250b2f.). Beide Begründungen blieben unverständlich, wenn er nicht in beiden Sätzen den Term »ist«, mit dem in ihnen Bewegung und Ruhe charakterisiert werden, auf das Seiende bezöge. Die Sätze erfüllen in seiner Deutung überdies das Kriterium eines S-Satzes, in dem etwas zutreffend als seiend charakterisiert wird, da er die Aussagen »Bewegung ist aufgrund der Teilhabe am Seienden« und »Ruhe ist aufgrund der Teilhabe am Seienden« als wahr beurteilt (vgl. 256a1). Neben den Sätzen, in denen der Ausdruck »ist« vollständig verwendet wird, gibt es eine weitere Gruppe von Sätzen, die der Eleatische Gast offensichtlich als S-Sätze einstuft, nämlich Sätze, in denen die Prädikat-Terme »seiend« resp. »(ein) Seiendes« (»ὄν«) ausgesagt werden. Dies geht z. B. daraus hervor, daß er in dem Argument zur Unterscheidung des Seienden und Desselben den Term »Seiendes« (»ὄντα«), mit dem Bewegung und Ruhe in dem Satz »Bewegung und Ruhe sind Seiendes« (255c1) charakterisiert werden, auf das Seiende bezieht147 (vgl. das erste Kriterium) und an späterer Stelle (256e3) entsprechend bemerkt, daß alle (vom Seienden selbst verschiedenen) Gattungen seiend (ὄντα) seien, weil sie am Seienden teilhätten (vgl. das zweite Kriterium). Wir können also (kaum zur Überraschung des Lesers) konstatieren, daß der Eleatische Gast Sätze der Form »x ist ein Seiendes« (»ξ ἐστιν ὄν«) und »x ist« (»ξ ἔστι(ν)«) als S-Sätze einstuft.
146 Vgl. dazu oben (2.1.1) die Einleitung zur ersten Untersuchung zum Sophistes. 147 Vgl. zu dem Substitutionsargument van Eck, Plato’s Logical Insights, S. 66-69.
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2.2.4.3 Sätze, die der Eleatische Gast nicht als S-Sätze einstuft Mit den Sätzen dieser Form dürften sich freilich nicht alle SophistesInterpreten begnügen (z. B. nicht der Verfasser von Sein und Zeit). Sind nicht auch Sätze der Form »a ist F«, in denen das Aussagesubjekt mit einem Prädikat-Term »F« (nicht als ein Seiendes simpliciter, sondern) als ein Seiendes bestimmter Art charakterisiert wird, S-Sätze? Wird z. B. nicht in dem Satz »Bewegung ist bewegt« Bewegung als Bewegt-Seiendes und damit als ein Seiendes charakterisiert? Sollten wir daher nicht annehmen, daß der Eleatische Gast auch solche Sätze als S-Sätze einstuft? Tatsächlich legt ja der Umstand, daß er das »ist« in Sätzen wie »Bewegung ist« auf das Seiende bezieht, die Annahme nahe, daß er denselben Ausdruck auch in Sätzen wie »Bewegung ist bewegt« auf dieselbe Form bezieht. Und seine Bemerkung in 252a8f., daß die Vertreter der Thesen »Alles ist bewegt« (»τὰ πάντα κινεῖται«) und »Alles ist in Ruhe« (»τὰ πάντα ἑστηκότα ἐστίν«) das Sein zu Bewegung bzw. Ruhe hinzufügen,148 scheint ein ausdrücklicher Beleg dafür zu sein, daß er das »ist« in Sätzen wie »Alles ist bewegt« oder »Alles ist in Ruhe« auf die Form des Seienden bezieht, diese Sätze mithin als S-Sätze einstuft. Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich, daß die Vertreter dieser Thesen nicht dadurch das Sein zu Bewegung bzw. Ruhe hinzufügen, daß sie Sätze äußern, die die Copula »ἐστι(ν)« enthalten, sondern dadurch, daß sie Sätze mit dem Adverb »ὄντως« äußern.149 Zudem scheint der Eleatische Gast nicht sagen zu wollen, daß das Sein in den Aussagen »τὰ πάντα ὄντως κινεῖται« und »τὰ πάντα ὄντως ἑστηκότα ἐστίν« hinzugefügt wird, sondern daß diese Thesen Aussagen implizieren, in denen das Sein zu Bewegung bzw. Ruhe hinzugefügt wird, nämlich die Aussagen »κίνησις ἔστιν« und »στάσις ἔστιν«. Dies legt zumindest der Vergleich der Stelle mit 243d8-e2 nahe, wo es in Auseinandersetzung mit den Vertretern einer dualistischen Ontologie heißt: Φέρε, ὁπόσοι θερμὸν καὶ ψυχρὸν ἤ τινε δύο τοιούτω τὰ πάντ’ εἶναί φατε, τί ποτε ἄρα τοῦτ’ ἐπ’ ἀμφοῖν φθέγγεσθε, λέγοντες ἄμφω καὶ ἑκάτερον εἶναι; τί τὸ εἶναι τοῦτο ὑπολάβωμεν ὑμῶν; 148 Vgl. 252a8-10: »πάντες γὰρ οὗτοι τό γε εἶναι προσάπτουσιν, οἱ μὲν ὄντως κινεῖσθαι λέγοντες, οἱ δὲ ὄντως ἑστηκότ’ εἶναι.« Als Subjekt-Term zu »κινεῖσθαι« und »ἑστηκότ’ εἶναι« scheint »τὰ πάντα« (vgl. 252b1) gedanklich zu ergänzen zu sein. Vgl. 252a6f.: »τῶν τὸ πᾶν κινούντων καὶ τῶν ὡς ἓν ἱστάντων«. 149 Vgl. 252a9f.: »οἱ μὲν ὄντως κινεῖσθαι λέγοντες, οἱ δὲ ὄντως ἑστηκότ’ εἶναι«. »ὄντως« ist normalerweise mit »wirklich« oder »tatsächlich« zu übersetzen, muß hier jedoch so wiedergegeben werden, daß es als Partizip-Form von »εἶναι« kenntlich ist, d. h. mit »auf seiende Weise«, so unschön diese Übersetzung ist. Diese Eigenschaft teilt sie indessen mit der verbreiteten und auch hier praktizierten Wiedergabe von »ὄν« mit »seiend« oder »ein Seiendes«.
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Die These, die die hier befragten Denker vertreten, lautet: »τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν ἐστιν« (vgl. 250a2). Doch bezieht sich der Eleatische Gast mit der Frage »τί ποτε ἄρα τοῦτ’ ἐπ’ ἀμφοῖν φθέγγεσθε, λέγοντες ἄμφω καὶ ἑκάτερον εἶναι;« nicht auf die These »τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν ἐστιν« – mit der ja etwas vom Ganzen (τὸ πᾶν) ausgesagt wird und nicht vom Warmen und dem Kalten –, sondern auf eine Aussage, von der er glaubt, daß sie in der These impliziert ist, nämlich »τὸ θερμὸν καὶ τὸ ψυχρὸν ἔστιν«. Seine Annahme dieses Implikationsverhältnisses läßt sich damit erklären, daß er erstens annimmt, daß in dem Satz »τὸ θερμὸν καὶ τὸ ψυχρὸν ἔστιν« der Ausdruck »τὸ θερμόν« so etwas, Warmes, und der Ausdruck »τὸ ψυχρόν« so etwas, Kaltes, bezeichnet, und zweitens annimmt, daß so etwas, Warmes, genau dann ist (ἔστιν), wenn, wie in der These »τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν ἐστιν« impliziert ist, einige Einzeldinge als so etwas, Warmes, charakterisiert sind, und daß so etwas, Kaltes, genau dann ist (ἔστιν), wenn, wie die These »τὸ πᾶν θερμὸν καὶ ψυχρόν ἐστιν« ebenfalls impliziert, einige Einzeldinge als so etwas, Kaltes, charakterisiert sind.150 Dementsprechend ist seine Bemerkung in 252a8-10, daß mit der Äußerung von »τὰ πάντα ὄντως κινεῖται« und »τὰ πάντα ὄντως ἑστηκότα ἐστίν« das Sein Bewegung bzw. Ruhe hinzugefügt wird, in dem Sinne zu verstehen, daß in der ersten These eine Aussage impliziert ist, in der Sein Bewegung hinzugefügt wird (»κίνησις ἔστιν«), und in der zweiten eine Aussage, in der Sein Ruhe hinzugefügt wird (»στάσις ἔστιν«). »κίνησις ἔστιν«151 ist nach Auffassung des Eleatischen Gasts deshalb in »τὰ πάντα ὄντως κινεῖται« enthalten, weil er annimmt, daß »κίνησις« so etwas, Bewegtes, bezeichnet und so etwas, Bewegtes, genau dann ist (ἔστιν), wenn, wie in »τὰ πάντα ὄντως κινεῖται« impliziert ist, einige Einzeldinge als so etwas, Bewegtes, charakterisiert sind; und »στάσις ἔστιν« ist seiner Meinung nach in »τὰ πάντα ὄντως ἑστηκότα ἐστίν« enthalten, weil er annimmt, daß »στάσις« so etwas, Ruhendes, bezeichnet und so etwas, Ruhendes, genau dann ist (ἔστιν), wenn, wie in »τὰ πάντα ὄντως ἑστηκότα ἐστίν« enthalten ist, einige Einzeldinge als so etwas, Ruhendes, charakterisiert sind. Soviel zu dem Argument, es sei in 252a8-10 vorausgesetzt, daß das copulativ gebrauchte »ist« auf das Seiende zu beziehen ist. Auch das Argument, daß der Eleatische Gast das copulativ gebrauchte »ist« auf das Seiende beziehe, weil er denselben Ausdruck in Sätzen wie »Bewegung ist« auf die Form des Seienden beziehe, ist schwach. Denn in dem Satz »Bewegung ist bewegt« z. B. wird Bewegung eben nicht mit »ist«, sondern mit »bewegt« bzw. »ist bewegt« charakterisiert (je nachdem, ob man die Copula 150 Vgl. auch oben Anm. 85. 151 Vgl. zur Deutung des Satzes oben 2.1.2.3.
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zum charakterisierenden Term rechnet oder nicht). Für die Einstufung des Satzes als S-Satz aufgrund des S-Satz-Kriteriums ist also entscheidend, ob diese Terme das Seiende bezeichnen. Entsprechend kann der Satz »Bewegung ist bewegt« nur dann mit dem Zusatz »aufgrund der Teilhabe am Seienden« (»διὰ τὸ μετέχειν τοῦ ὄντος«) zum Ausdruck einer wahren Aussage erweitert werden (vgl. das Kriterium für einen zutreffenden SSatz), wenn das Seiende vom Term »bewegt« bzw. »ist bewegt« bezeichnet wird.152 Somit sind zur Klärung der Frage, ob der Eleatische Gast den Beispielsatz »Bewegung ist bewegt« als S-Satz einstuft, zwei Fragen zu klären, erstens die Frage, mit welchem Term seiner Auffassung nach Bewegung in dem Satz charakterisiert wird: »bewegt« oder »ist bewegt«, und zweitens die Frage, ob er den charakterisierenden Term, handele es sich nun um »bewegt« oder um »ist bewegt«, auf die Form des Seienden bezieht. Stellen wir die erste Frage vorerst zurück und fragen uns stattdessen, ob der Eleatische Gast den Term »bewegt« oder den Term »ist bewegt« in irgendeiner Weise auf die Form des Seienden bezieht, um am Beispiel dieser Terme darüber Klarheit zu gewinnen, ob er einen beliebigen Term, mit dem wir etwas als ein Seiendes bestimmter Art charakterisieren, auf die Form des Seienden bezieht. Die Frage, ob er den Term »ist bewegt« auf das Seiende bezieht, scheint auf den ersten Blick zu verneinen zu sein. Denn wenn er den Term auf die Form des Seienden bezöge, so müßte er den Satz »Ruhe ist bewegt« als Ausdruck desselben Sachverhalts verstehen wie den Satz »Ruhe ist« (dessen Prädikat-Term »ist« er ohne Zweifel auf die Form des Seienden bezieht). Doch versteht er sie als Ausdrücke verschiedener Sachverhalte; denn er bewertet die erste Aussage als falsch, die zweite als wahr. Mithin scheint der Term »ist bewegt« seiner Auffassung nach nicht die Form des Seienden zu bezeichnen. Auch die Frage, ob er den Term »bewegt« auf das Seiende bezieht, scheint prima facie negativ zu beantworten zu sein. Denn wenn er den Term 152 Dieses syntaktische Argument scheint mir hinreichend zu sein, Moravcsiks These (S. 5255), daß die Copula vom Eleatischen Gast auf die Form des relational Seienden (»Relational Being«) bezogen werde, zu widerlegen. Moravcsik begründet seine These nicht mit den oben im Text konstruierten Argumenten, sondern mit der Behauptung, daß in 255c12f. zwischen einem vollständigen Gebrauch von »ist« im Sinne von »existiert« in Sätzen wie »Sokrates ist« und einem unvollständigen Gebrauch von »ist« in Sätzen wie »Sokrates ist ein Mensch« unterschieden werde (vgl. S. 54f.). Diese Begründung ist methodisch unhaltbar: statt, wie methodisch geboten, die vielumstrittene Stelle 255c12f. im Lichte des Gebrauchs von »ist« zu deuten, der in den Sätzen vorliegt, die vom Eleatischen Gast als S-Sätze eingestuft werden, legt Moravscik einfach eine bestimmte Deutung der Stelle zugrunde, die es ihm erlaubt, zu schließen, daß der Eleatische Gast auch Sätze wie »Bewegung ist bewegt« als S-Sätze einstufe. Vgl. im übrigen zu Moravcsiks These die Kritik von Pelletier, S. 58f.
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auf die Form des Seienden bezöge, so müßte er den Satz »Ruhe ist bewegt« als Ausdruck desselben Sachverhalts verstehen wie den Satz »Ruhe ist ein Seiendes« (dessen Prädikat-Term »ein Seiendes« er zweifelsfrei auf die Form des Seienden bezieht). Doch versteht er sie als Ausdrücke verschiedener Sachverhalte, da er den ersten Satz als Ausdruck einer falschen, den zweiten als Ausdruck einer wahren Aussage ansieht. Folglich scheint der Term »bewegt« in seiner Sicht nicht für die Form des Seienden zu stehen. Wie auch immer man also den Term abgrenzt, mit dem Bewegung in dem Satz »Bewegung ist bewegt« charakterisiert wird – der Eleatische Gast scheint ihn in keinem Fall auf die Form des Seienden zu beziehen und somit den Satz »Bewegung ist bewegt« nicht als S-Satz einzustufen. Dieses Resultat läßt sich dahingehend verallgemeinern, daß er keinen Satz der Form »a ist F«, in dem das Aussagesubjekt als ein Seiendes bestimmter Art charakterisiert wird, als S-Satz einstuft. Man könnte gleichwohl geneigt sein, die Frage, ob er den Ausdruck »ist bewegt« auf die Form des Seienden beziehe, mit einem Argument aus der Analogie zwischen dem Seienden und dem Verschiedenen positiv zu beantworten. Im ersten Schritt dieses Arguments könnte man ein dem Kriterium für S-Sätze entsprechendes Kriterium für Sätze, in denen etwas als verschieden charakterisiert wird (V-Sätze), aufstellen: (Kriterium V-Satz) ∀x (x ist ein V-Satz ↔ x ist ein Satz & ∃y∃z (y ist ein Term & z wird in x mit y charakterisiert & y bezeichnet das Verschiedene)).
Nun stellt sich auch hinsichtlich der Sätze, in denen der Ausdruck »verschieden« vorkommt, die Frage, ob der Eleatische Gast nur Sätze der Form »x ist verschieden« oder auch Sätze der Form »x ist verschieden von y« als V-Sätze einstuft. Die Antwort darauf ist klar: Er stuft auch Sätze der zweiten Form als VSätze ein, weil er ihren Prädikat-Term auf die Form des Verschiedenen bezieht, nämlich einen bestimmten Teil (μόριον) des Verschiedenen (vgl. 257d4 ff.), z. B. den Prädikat-Term des Satzes »Bewegung ist vom Schönen verschieden« auf das vom Schönen Verschiedene (vgl. 257d7-11). Da er den Prädikat-Term des Satzes »Bewegung ist von Demselben verschieden« auf einen Teil des Verschiedenen, nämlich das von Demselben Verschiedene, bezieht, kann er sagen, daß Bewegung nicht Dasselbe ist, weil sie am Verschiedenen teilhabe (256b2-4). Da kein Term für das Verschiedene simpliciter stehen kann, steht der in Sätzen der Form »x ist verschieden« ausgesagte Term nur dann für das Verschiedene, wenn sich der Satz sinnwahrend zu einem Satz der Form »x ist verschieden von y« erweitern läßt. Sätze der Form »x ist verschieden«
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sind daher elliptisch. Um ihren elliptischen Charakter deutlich zu machen, kann man sie mit Pünktchen versehen (»x ist verschieden ...«). Ausgehend von der Analogie zwischen dem Seienden und dem Verschiedenen könnte man nun argumentieren, daß der Eleatische Gast glaube, daß in dem Satz »Bewegung ist bewegt« Bewegung mit dem Ausdruck »ist bewegt« charakterisiert werde und dieser Ausdruck das Seiende, nämlich den Teil des Seienden, der als das Bewegt-Seiende definiert ist, bezeichne, und daß er den Satz infolgedessen als S-Satz einstufe.153 Man könnte ferner argumentieren, daß er annehme, daß kein Ausdruck das Seiende simpliciter bezeichne und die Ausdrücke »ist« und »ein Seiendes« überhaupt nur dann das Seiende bezeichneten, wenn sie als elliptische Ausdrücke zu verstehen seien, d. h. Sätze der Form »x ist« sinnwahrend zu Sätzen der Form »x ist F« (wobei für »F« nicht »ein Seiendes« eintreten darf) und Sätze der Form »x ist ein Seiendes« sinnwahrend zu Sätzen der Form »x ist ein F-Seiendes« (wobei für »F« nicht »seiend« eintreten darf) erweitert werden können. Und man könnte schließlich dafür plädieren, Sätze der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« zur Verdeutlichung ihres elliptischen Charakters mit »x ist ...« und »x ist ein ...-Seiendes« auszuschreiben. Diese Argumentation aus der Analogie zwischen dem Seienden und dem Verschiedenen ist jedoch verfehlt. Denn der Eleatische Gast versteht die Relation zwischen der Form der Bewegung und der Form des Seienden nicht als Relation zwischen Teil und Ganzem – nirgends ist von μόρια der Form des Seienden die Rede154 –, sondern als Relation der Teilhabe, Gemeinschaft oder Mischung,155 und eben diese Relation schließt aus, daß das 153 Vgl. zu diesem Analogie-Argument Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 48. Frede schreibt hier: »Einzeldinge haben also insofern und, wenn wir an 255c12-13 denken, nur insofern an der Form des Seienden teil, als sie an einem bestimmten Teil des Seienden teilhaben«. In »Die Frage nach dem Seienden« (S. 197) unterscheidet Frede zwischen zwei Weisen, an der Form des Seienden teilzuhaben, die den Verwendungsweisen von »ist«, die seines Erachtens in 255c12f. unterschieden werden, entsprechen sollen: »Man kann also am Seienden auf zwei Weisen teilhaben, entweder dadurch, daß man an einer bestimmten Form teilhat, oder dadurch, daß man eine bestimmte Form ist.« Vermutlich versteht Frede unter der zweiten Art von Teilhabe die Relation, die im Sophistes als Relation des Teilseins von ... charakterisiert wird – jedenfalls scheint dies die einzige Möglichkeit zu sein, an der These festzuhalten, daß in einem Satz wie »Bewegung ist bewegt« zwar auf die Form des Seienden, jedoch nicht auf eine von der Form der Bewegung verschiedene Form Bezug genommen wird. Die Relation des Teilseins von ... ist freilich von der Relation des Teilhabens an ... sorgfältig zu unterscheiden; vgl. die oben im Text folgenden Bemerkungen. 154 Vgl. Lee, Plato on Negation and Not-Being, S. 283f.: »[...] while many interpreters appear to assume that any single Form may be referred to easily enough as a ›Part of Being‹ – say, as one chess man is a part of a set, or one man a part of a crowd – that simply is not justified by Plato’s carefully controlled use of the term ›Part‹ in this passage (sc. 257c-258c)«. Lee wendet sich mit diesem Argument zurecht gegen die Ergänzung von »μορίου« in 258b1 (siehe unten). Vgl. zur Kritik der These von Teilen des Seienden im Sophistes auch O’Brien, S. 113f. 155 Vgl. 250b9, 254d10, 256a1, 256d9.
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partizipierende Relat als Teil zum partizipierten Relat gehört (auch umgekehrt beschreibt der Eleatische Gast das Verhältnis zwischen den Teilen des Verschiedenen und dem Verschiedenen nicht als Relation der Teilhabe, Gemeinschaft oder Mischung156). Der Blick auf das Verschiedene und seine Teile scheint mir im Gegenteil zu zeigen, daß das Seiende keine Teile hat. Bevor ich meine Gründe für diese These darlegen werde, will ich zunächst die wichtigste Prämisse, die ich dabei verwenden werde, rechtfertigen, nämlich die Annahme, daß der Eleatische Gast und Theaitetos das Nicht-Seiende mit einem bestimmten Teil des Verschiedenen identifizieren.157 Da sich diese Annahme im wesentlichen auf die Stellen 258a11-b7 und 258d5-e3 gründet, will ich diese beiden Stellen im folgenden ausführlicher besprechen. An der ersten Stelle, 258a11-b7, wird das Nicht-Seiende erstmals im Dialog definiert, und zwar als ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις. Die Stelle ist in den Handschriften folgendermaßen überliefert: ΞΕ. Οὐκοῦν, ὡς ἔοικεν, ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις οὐδὲν ἧττον, εἰ θέμις εἰπεῖν, αὐτοῦ τοῦ ὄντος οὐσία ἐστίν, οὐκ ἐναντίον ἐκείνῳ σημαίνουσα, ἀλλὰ τοσοῦτον μόνον, ἕτερον ἐκείνου. ΘΕΑΙ. Σαφέστατά γε. ΞΕ. Τίν’ οὖν αὐτὴν προσείπωμεν; ΘΕΑΙ. Δῆλον ὅτι τὸ μὴ ὄν, ὃ διὰ τὸν σοφιστὴν ἐζητοῦμεν, αὐτό ἐστι τοῦτο.
Das Verständnis dieser Zeilen ist in mehreren Punkten schwierig. Zunächst ist unklar, warum das Nicht-Seiende als ein Gegenüberstehen (ἀντίθεσις), und zwar, wie es prima facie scheint, als das Gegenüberstehen eines Teils der Natur158 des Verschiedenen und der Natur des Seienden definiert wird. Man würde eher erwarten, daß es als der der Natur des Seienden gegenüberstehende Teil der Natur des Verschiedenen definiert wird. Eine ähnlich merkwürdige Redeweise begegnet bereits in 257e6f., wo das Nicht-Schöne (τὸ μὴ καλόν) mit einem Ausdruck, der den in 258a11b3 gebrauchten anklingen läßt, als »ὄντος [...] πρὸς ὂν ἀντίθεσις« bezeichnet wird, d. h. als Gegenüberstehen eines Seienden (nämlich eines 156 Vgl. zur Abgrenzung der beiden Relationen Ketchum, Participation and Predication, S. 48. 157 Die These richtet sich gegen die verbreitete Identifikation des Nicht-Seienden mit dem Verschiedenen in toto. Vgl. zu den Vertretern der Identifikation O’Brien, S. 43 Anm. 1 und S. 115 Anm. 1. 158 Der Ausdruck »τῆς θατέρου μορίου φύσεως« kann entweder mit »eines Teils der Natur des Verschiedenen« oder mit »der Natur eines Teils des Verschiedenen« übersetzt werden (beide Übersetzungen sind in der Literatur verbreitet, vgl. Lee, Plato on Negation and Not-Being, S. 282f.). Ich habe mich aufgrund der Parallelstelle 258e2, wo »αὐτῆς« Pronomen für »τῆς θατέρου φύσεως« ist, für die erste Übersetzung entschieden.
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Teils des Verschiedenen) und eines anderen Seienden (nämlich des Schönen). Daß diese Redeweise cum grano salis zu verstehen ist, zeigt die Bezugnahme auf das Nicht-Schöne mit »τῷ καλῷ τι θατέρου μόριον ἀντιτιθέμενον« in 257d7, die in 257d10f. mit den Worten gerechtfertigt wird: »ὃ γὰρ μὴ καλὸν ἑκάστοτε φθεγγόμεθα, τοῦτο οὐκ ἄλλου τινὸς ἕτερόν ἐστιν ἢ τῆς τοῦ καλοῦ φύσεως«.159 Der Blick auf diese Stellen legt die Annahme nahe, daß auch der Ausdruck »ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις« cum grano salis zu verstehen ist und mit ihm in etwas unglücklicher Weise auf τῇ τοῦ ὄντος φύσει τι θατέρου μόριον ἀντιτιθέμενον160 Bezug genommen wird. Problematisch ist zudem der Ausdruck »τῆς τοῦ ὄντος sc. φύσεως«. Zahlreiche Exegeten glauben, »τῆς τοῦ ὄντος « verstehen zu müssen,161 und ergänzen entweder »μορίου« gedanklich (was ja dank dem in a11 vorhergehenden »μορίου« leicht möglich ist) oder postulieren den überlieferungsbedingten Ausfall des Worts. Versteht man den Text hingegen so, wie er dasteht, ist nicht von einem Gegenüberstehen eines Teils der Natur des Verschiedenen und eines Teils der Natur des Seienden, sondern von einem Gegenüberstehen eines Teils der Natur des Verschiedenen und der Natur des Seienden die Rede.162 Für letzteres Verständnis scheint mir erstens der argumentative Zusammenhang der Stelle zu sprechen: Da das Nicht-Schöne in 257e2-11 als der dem Schönen gegenüberstehende Teil des Verschiedenen, das Nicht-Große in 258a1-3 als der dem Großen gegenüberstehende Teil des Verschiedenen und das Nicht-Gerechte in 258a4-6 als der dem Gerechten gegenüberstehende Teil des Verschiedenen bestimmt worden sind, ist zu erwarten, daß das Nicht-Seiende in 258a11-b7 als der dem Seienden gegenüberstehende Teil des Verschiedenen bestimmt und aus der in 258a7-10 formulierten Aussage, daß die Teile des Verschiedenen nicht minder seiend sind als das
159 Der Eleatische Gast denkt hier nicht an Fälle, in denen etwas als nicht schön charakterisiert wird (vgl. zur Kritik dieser Interpretation van Eck, Falsity without Negative Predication, S. 29-33), sondern an Fälle, in denen etwas als nicht das Schöne, d. h. als vom Schönen verschieden, charakterisiert wird (vgl. dazu die Analyse des Ausdrucks »μὴ ταὐτόν« im Sinne von »ἕτερον ταὐτοῦ« 256b2-4). 160 Ich habe diesen Ausdruck nach dem Muster von »τῷ καλῷ τι θατέρου μόριον ἀντιτιθέμενον« (257d7) gebildet. 161 Vgl. zu den zahlreichen Vertretern dieser Interpretation in der älteren Literatur Lee, Plato on Negation and Not-Being, S. 283 (Lee nennt Taylor, Apelt, Cornford, Diès, Campbell, Robin und Frede; letzterer begründet seine Deutung ausführlich in »Prädikation und Existenzaussage«, S. 91f.). In der jüngeren Literatur wird sie z. B. von Robinson (S. 157f.) vertreten. 162 Vgl. van Eck, Not-Being and Difference, S. 77: »Taking the text of 258 A 11 – B 1 as it stands, ἡ τῆς θατέρου μορίου φύσεως καὶ τῆς τοῦ ὄντος πρὸς ἄλληλα ἀντικειμένων ἀντίθεσις, we have it that the antithesis is between (1) a part of the different on the one hand, and (2) being on the other.«
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Verschiedene selbst, gefolgert wird (vgl. »οὐκοῦν«), daß das Nicht-Seiende nicht weniger seiend ist als sein Widerpart, das Seiende selbst.163 Daß sich die Bestimmung des Nicht-Seienden in der Tat auf diese Weise an die vorhergehenden Bestimmungen des Nicht-Schönen, Nicht-Großen und Nicht-Gerechten anschließt, macht das Resumee in 258b8-c3 klar; sein vergleichendes »ὥσπερ [...] οὕτω [...]« (258b10/c2) zeigt, daß die Bestimmung des Nicht-Seienden aus der Analogie zu den Bestimmungen des Nicht-Schönen, Nicht-Großen usw. gewonnen worden ist. Nicht nur der Argumentationskontext von 258a11-b3 spricht dafür, das Gegenüberstehen, von dem an dieser Stelle die Rede ist, als Gegenüberstehen eines bestimmten Teils des Verschiedenen und des Seienden selbst – d. h. nicht eines Teils des Seienden –, zu verstehen, sondern auch das folgende, von van Eck formulierte Argument: »[...] it is wrong anyway to want to have it implied that not-being is the contrast between a part of the different and a part of being. For, as a result, difference from being itself, which was mentioned as not-being in the first place (256 D 5-12), would be excluded from the definition of not-being here: being is no part of itself.«164 Wenn ich nicht anschließend von der Identifikation des Nicht-Seienden mit einem bestimmten Teil des Verschiedenen als Argument gegen die Annahme Gebrauch machen wollte, daß das Seiende Teile habe, so würde ich den beiden vorhergehenden Argumenten gegen die (gedankliche oder konjekturale) Ergänzung von »μορίου« in 258b1 das weitere Argument hinzufügen, daß im Kontext der Stelle schlicht und einfach nicht von »μόρια τοῦ ὄντος« die Rede ist.165 Bei der zweiten, ebenfalls umstrittenen Stelle, an der der Eleatische Gast das Nicht-Seiende mit einem bestimmten Teil des Verschiedenen identifiziert, handelt es sich um 258d5-e3, wo er mit Rückbezug auf 258a11-c5 sagt: Ἡμεῖς δέ γε οὐ μόνον τὰ μὴ ὄντα ὡς ἔστιν ἀπεδείξαμεν, ἀλλὰ καὶ τὸ εἶδος ὃ τυγχάνει ὂν τοῦ μὴ ὄντος ἀπεφηνάμεθα· τὴν γὰρ θατέρου φύσιν ἀποδείξαντες οὖσάν τε καὶ κατακεκερματισμένην ἐπὶ πάντα τὰ ὄντα πρὸς ἄλληλα, τὸ πρὸς τὸ ὂν ἑκάστου166 μόριον αὐτῆς ἀντιτιθέμενον ἐτολμήσαμεν εἰπεῖν ὡς αὐτὸ τοῦτό ἐστιν ὄντως τὸ μὴ ὄν.
Ich lese in 258e2 von Burnets und Robinsons Text abweichend mit den Handschriften »ἑκάστου« und ergänze gedanklich »τῶν ὄντων« aus »τὰ 163 Nota bene: αὐτοῦ τοῦ ὄντος, nicht μορίου τοῦ ὄντος. 164 van Eck, Not-Being and Difference, S. 78. 165 Vgl. das oben Anm. 154 zitierte Argument gegen die Ergänzung bei Lee, Plato on Negation and Not-Being, S. 283f. 166 »ἑκάστου« steht in den uns erhaltenen Sophistes-Handschriften. Was Simplikios gelesen hat, ist unklar; in Ph. 135.26 haben die Hss. »ἑκάστου«, in Ph. 238.26 »ἕκαστον«.
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ὄντα« in der Zeile darüber (e1). Beachtet man, daß es unmittelbar zuvor heißt, daß die Natur des Verschiedenen zerstückelt ist auf alle Seienden hin in bezug aufeinander (κατακεκερματισμένην ἐπὶ πάντα τὰ ὄντα πρὸς ἄλληλα e1), d. h. derart in Teile eingeteilt werden kann,167 daß alle Seienden vermöge ihrer Teilhabe an diesen Teilen voneinander verschieden sind, so wird der Genitiv »ἑκάστου (τῶν ὄντων)« verständlich: bei dem als τὸ μὴ ὄν bezeichneten Teil der Natur des Verschiedenen handelt es sich um einen Teil, der so vom Ganzen auf die Seienden hin abgeteilt ist, daß er sich im Bereich von jedem Seienden findet, d. h. von jedem Seienden partizipiert wird (abgesehen natürlich vom Seienden selbst, das nicht von sich selbst verschieden ist168). Ich mache demnach »ἑκάστου« von »μόριον αὐτῆς« abhängig und übersetze den Ausdruck »τὸ πρὸς τὸ ὂν ἑκάστου μόριον αὐτῆς ἀντιτιθέμενον« mit »der bei jeglichem dem Seienden gegenüberstehende Teil von ihr«. Gewiß, die Einfügung von »«169 vor »ἑκάστου« würde den Gedanken noch deutlicher machen, doch scheint mir auch der bloße Genitivus pertinentiae zu genügen. Das von Burnet und Robinson gelesene »ἕκαστον« kann weder mit »τὸ ὂν« noch mit »μόριον« noch ἀπὸ κοινοῦ mit beiden Ausdrücken derart verbunden werden, daß sich ein befriedigender Sinn ergibt. Denn verbinden wir »ἕκαστον« mit »τὸ ὂν«, so müssen wir auch zu »μόριον« wenigstens gedanklich ein »ἕκαστον« ergänzen,170 um τὸ ὂν ἕκαστον dem jeweils entsprechenden Teil des Verschiedenen zuzuordnen. Mit »genau dies« (»αὐτὸ τοῦτο« e3, vgl. 258b7) wird aber doch offensichtlich auf einen bestimmten Teil des Verschiedenen Bezug genommen, der nicht mit jedem Teil des Verschiedenen identisch sein kann. (Vgl. dazu die schwerlich sinnvolle Aussage, daß genau dies (αὐτὸ τοῦτο) Goethes schönstes Gedicht sei – jedes Gedicht aus seiner Spätzeit.) Aus demselben Grund scheint mir auch die Verbindung des überlieferten »ἕκαστον« mit »μόριον« und a fortiori die Verbindung mit »τὸ ὂν« und »μόριον« ausgeschlossen zu sein (gegen die Verbindung mit »μόριον« spricht überdies die Wortstellung171). Owen172 und van Eck173 lesen mit den Handschriften »τὸ ὂν ἑκάστου«, machen jedoch »ἑκάστου« nicht von »μόριον αὐτῆς«, sondern von »τὸ ὂν«
167 Vgl. zu der Metapher »κατακεκερματισμένην« (»zerstückelt«) 257c7f.: »ΞΕ. Ἡ θατέρου μοι φύσις φαίνεται κατακεκερματίσθαι καθάπερ ἐπιστήμη«. 168 Vgl. zuvor den Kontrast von τὰ μὴ ὄντα und τὸ εἶδος ὃ τυγχάνει ὂν τοῦ μὴ ὄντος (258d6) und die Verwendung von »πάντα τὰ γένη« in 256d12 mit implizitem Ausschluß des Seienden selbst. 169 Vgl. »ἐπὶ κινήσεως« (256d11). 170 Vgl. Robinson, S. 158. 171 Vgl. Owen, Plato on Not-Being, S. 239 Anm. 33. 172 Vgl. ebd., S. 239f. Anm. 33. 173 Vgl. van Eck, Not-Being and Difference, S. 81f.
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abhängig174 und verstehen »τὸ ὂν ἑκάστου« im Sinne von »τὴν οὐσίαν ἑκάστου«.175 Dagegen sprechen jedoch zwei Argumente: (i) Die οὐσία einer Form ist selbst keine Form, wohingegen es Formen sind, denen die Teile des Verschiedenen gegenüberstehen. (ii) Wenn man, um dem Einwand (i) zu entgehen, die οὐσία einer Form mit dieser identifiziert, dann stehen z. B. der οὐσία des Schönen und der οὐσία des Großen je verschiedene Teile des Verschiedenen gegenüber (nämlich das Nicht-Schöne und das Nicht-Große), und es ist nicht möglich, daß ein einziger Teil des Verschiedenen der οὐσία ἑκάστου gegenübersteht. Nun nimmt aber »αὐτὸ τοῦτο« auf einen einzigen Teil des Verschiedenen Bezug. Dieser kann folglich nicht der οὐσία ἑκάστου gegenüberstehen. Ich kehre nach diesem Exkurs zu den beiden Stellen, an denen das NichtSeiende mit einem bestimmten Teil des Verschiedenen identifiziert wird, zur Frage zurück, ob das Seiende Teile hat oder nicht. Mir scheint nun diese Identifikation mit der Annahme, daß das Seiende Teile hat, aus folgendem Grund unverträglich zu sein. Hätte das Seiende nämlich Teile, so hätte auch das Nicht-Seiende gemäß seiner Bestimmung als das vom Seienden Verschiedene176 den Teilen des Seienden entsprechende Teile, und zwar genau die Teile, die vom Eleatischen Gast als Teile des Verschiedenen bestimmt werden und zu denen er das Nicht-Seiende als einen bestimmten Teil des Verschiedenen rechnet. Wären z. B. das Schöne und das Große Teile des Seienden derart, daß das eine als das Schön-Seiende, das andere als das Groß-Seiende zu bezeichnen ist, so wäre das Nicht-Schöne als das vom Schönen Verschiedene das vom Schön-Seienden Verschiedene und das Nicht-Große als das vom Großen Verschiedene das vom Groß-Seienden Verschiedene; beide wären folglich bestimmte Teile des vom Seienden Verschiedenen, mithin Teile des Nicht-Seienden. Das Nicht-Seiende wäre also nicht nur ein Teil des Verschiedenen, sondern dasselbe wie die Natur des Verschiedenen insgesamt. Der Blick auf das Verhältnis zwischen der Natur des Verschiedenen und dem Nicht-Seienden zeigt ferner, daß die in 256e5f. gezogene Folgerung Περὶ ἕκαστον ἄρα τῶν εἰδῶν πολὺ μέν ἐστι τὸ ὄν, ἄπειρον δὲ πλήθει τὸ μὴ ὄν
174 So auch O’Brien, der jedoch, anders als Owen und van Eck, eine eher eigenartige Verwendung des Ausdrucks im Sinne von »tout objet qui participe de l’être« (S. 70) annimmt. 175 Robinson (S. 158) bezweifelt, daß »τὸ ὂν ἑκάστου« diese Bedeutung haben kann; van Eck (Not-Being and Difference, S. 75) verweist jedoch mit Recht auf Ep. VII, 343a1, wo »τὸ ὂν ἑκάστου« genau so gebraucht wird. 176 Vgl. 256d12-e1: »κατὰ πάντα γὰρ ἡ θατέρου φύσις ἕτερον ἀπεργαζομένη τοῦ ὄντος ἕκαστον οὐκ ὂν ποιεῖ [...]« und 259a8-b1: »[...] ἕτερον δὲ τοῦ ὄντος ὂν ἔστι σαφέστατα ἐξ ἀνάγκης εἶναι μὴ ὄν«.
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nicht impliziert, daß von jeder Form viele Teile des Seienden ausgesagt werden.177 Denn es müßte entsprechend angenommen werden, daß von ihr unendlich viele Teile des Nicht-Seienden ausgesagt werden, und dies ist eben nicht der Fall, wenn das Nicht-Seiende lediglich ein Teil des Verschiedenen und nicht dasselbe wie das Verschiedene insgesamt ist. Mithin sind die Terme »τὸ ὄν« und »τὸ μὴ ὄν« in 256e5f. nicht als Bezeichnungen der entsprechenden Formen zu verstehen. Dieser Befund wird von der Formulierung bestätigt, mit der der Eleatische Gast in 263b11f. auf 256e5f. zurückverweist: πολλὰ μὲν γὰρ ἔφαμεν ὄντα περὶ ἕκαστον εἶναί που, πολλὰ δὲ οὐκ ὄντα.
Diese Reformulierung zeigt nämlich, daß der Ausdruck »τὸ ὄν« in 256e5 nicht die Form des Seienden bezeichnet, sondern im Sinne von »τὰ ὄντα« für all das steht, was jegliche Form ist, und daß der Ausdruck »τὸ μὴ ὄν« in 256e6 entsprechend nicht die Form des Nicht-Seienden bezeichnet (wie
177 Diesen Gedanken könnte die Annahme nahelegen, daß die mit »ἄρα« eingeführte Konklusion aus der unmittelbar vorhergehenden Aussage, daß alle Formen aufgrund ihrer Teilhabe am Seienden als »seiend« und aufgrund ihrer Teilhabe am Nicht-Seienden als »nicht-seiend« anzusprechen seien (»[...] καὶ σύμπαντα δὴ κατὰ ταὐτὰ οὕτως οὐκ ὄντα ὀρθῶς ἐροῦμεν, καὶ πάλιν, ὅτι μετέχει τοῦ ὄντος, εἶναί τε καὶ ὄντα« 256e2f.), gefolgert werde und diese Folgerung nur dann gültig sei, wenn die Teilhabe am Seienden als Teilhabe an bestimmten Teilen des Seienden und die Teilhabe am Nicht-Seienden als Teilhabe an bestimmten Teilen des Nicht-Seienden zu verstehen seien. Doch wird mit dem Satz in 256e5f. in Wahrheit keine Folgerung aus der unmittelbar vorhergehenden Aussage gezogen; vielmehr bezieht sich die Folgerung auf den gesamten Abschnitt 255e11-256e4, in dem zunächst (255e11-256d10) am Beispiel von Bewegung in bezug auf verschiedene Substitute von »F« gezeigt wird, daß Bewegung zwar F ist, jedoch nicht das Fe ist (d. h. vieles ist und vieles nicht ist), und dieses Resultat dann (256d11-e3) in bezug auf den Ausdruck »seiend« als Substitut von »F« für alle von der Form des Seienden verschiedenen Formen verallgemeinert wird. Vgl. zu dieser Interpretation der Konklusion Lewis, Plato on ›Not‹, S. 21f. und Heinaman, Being in the Sophist, S. 8f. van Eck (Not-Being and Difference, S. 65-68) bestreitet, daß mit dem auf »ἐπί τε κινήσεως« folgenden Ausdruck »καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη« (256d12) das für Bewegung gewonnene Ergebnis, daß sie nicht das Seiende ist (256d8f.), auf alle übrigen vom Seienden selbst verschiedene Gattungen übertragen werde. Seine Argumente sind jedoch ungenügend: (i) Die vermeintliche Parallelität der Ausdrücke »κατὰ πάντα τὰ γένη« und »ὅσαπέρ ἐστι τὰ ἄλλα, κατὰ τοσαῦτα« (257a4f.) ist nicht so offensichtlich, wie van Eck (Not-Being and Difference, S. 66) unterstellt. (ii) »κατὰ πάντα« zu Beginn des Satzes 256d12-e1wird durch das weit genug entfernt stehende »ἕκαστον« e1 nicht überflüssig gemacht. (iii) Die in 256e5f. gezogene Folgerung ist unter Annahme der von van Eck kritisierten Deutung des Ausdrucks »καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη« auch dann gültig, wenn man die Folgerung nicht auf die unmittelbar vorhergehende Aussage, sondern, wie oben vorgeschlagen, auf den gesamten Abschnitt 255e1-256e4 bezieht (van Eck geht auf diesen Vorschlag nicht ein). Im übrigen würde man für die Botschaft, die van Eck (Not-Being and Difference, S. 69-72) dem Ausdruck »ἐπί τε κινήσεως [...] καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη« entnimmt – die Botschaft, daß Bewegung in bezug auf alle Gattungen nicht-seiend sei –, eine andere Formulierung, »ἐπὶ κινήσεως κατὰ πάντα τὰ γένη«, erwarten.
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zuvor in 256d11), sondern im Sinne von »τὰ οὐκ ὄντα« für all das steht, was jede Form nicht ist, d. h. wovon sie verschieden ist.178 Da das Argument aus der Analogie zwischen dem Seienden und dem Verschiedenen gescheitert ist und es keinen Grund für die Annahme gibt, daß der Eleatische Gast die von der Form des Seienden verschiedenen Formen als deren Teile (μόρια) betrachtet, da im Gegenteil alles dafür spricht, daß er die Relation zwischen ihr und den übrigen Formen so bestimmt, daß letztere nicht Teile ersterer sein können, ist die These, daß er die Terme »ist bewegt« und »bewegt« auf einen bestimmten Teil der Form des Seienden beziehe, zurückzuweisen. Dem oben formulierten Kriterium für S-Sätze folgend können wir damit auch die These zurückweisen, daß der Eleatische Gast Sätze wie »Bewegung ist bewegt« als S-Sätze einstufe; denn daß die beiden Terme für das Seiende insgesamt stehen, ist offenkundig nicht die Meinung des Eleatischen Gasts.179 Der Grund dafür, daß er die von der Form des Seienden verschiedenen Formen nicht als deren Teile ansieht, ist im übrigen unschwer erkennbar – er schreibt dem kopulativ gebrauchten »ist« ganz einfach keine charakterisierende Funktion zu. Wäre z. B. Ruhe ein Teil des Seienden, so müßte es möglich sein, den Term »ruht« derart durch den Term »ist« und einen weiteren, »ist« fortbestimmenden Term zu ersetzen, daß »ist« für das Ganze steht und der fortbestimmende Term klarmacht, für welchen Teil des Ganzen »ruht« steht.180 Doch welchen Term auch immer man an das »ist« anhängt, das Ergebnis ist nicht, daß der Term »ist« fortbestimmt wird, sondern daß er seine charakterisierende Kraft, die er allein stehend besitzt, an den angehängten Term abgibt, zur verzichtbaren Copula degradiert wird. Die oben zurückgestellte Frage, ob der Eleatische Gast »ist bewegt« oder »bewegt« als den Term ansieht, mit dem Bewegung in dem Satz »Bewegung ist bewegt« charakterisiert wird, läßt sich demnach so beantworten, daß er den charakterisierenden Term mit »bewegt« identifiziert und dem »ist« keine (mit-)charakterisierende Funktion zuschreibt. Dafür spricht ja auch, daß er hinsichtlich der Äußerung des Satzes »Bewegung ist dasselbe« nicht sagt, daß wir Bewegung als »dasselbe seiend« ansprechen, sondern daß wir Bewegung als »dasselbe« ansprechen (256a10-12).
178 Frede paraphrasiert die Stelle 256e5f. zutreffend folgendermaßen: »In Bezug auf jede Form x gibt es viele y, derart, daß ›x ist y‹ gilt, und unzählige z, derart, daß ›x ist nicht z‹ gilt« (Prädikation und Existenzaussage, S. 53). 179 Vgl. dazu das oben besprochene Substitutionsargument, daß es nicht möglich ist, »ist« in allen Fällen salva veritate durch »bewegt sich« und »seiend« in allen Fällen salva veritate durch »bewegt« zu ersetzen. 180 Vgl. die Ersetzung von »ein Mensch« durch »ein vernunftbegabtes Lebewesen«: der Term »ein Lebewesen« steht für das Ganze, und »vernunftbegabtes« bestimmt ihn derart fort, daß klar wird, für welchen Teil des Ganzen »ein Mensch« steht.
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2.2.4.4 Abschließende Beantwortung der Titelfrage von 2.2.4 Versuchen wir am Ende dieses Teils der Untersuchung die Frage zu beantworten, welche Form die Sätze haben, die der Eleatische Gast als S-Sätze einstuft. Erinnern wir uns dafür an das oben (2.2.4.1) formulierte, von der Satzform abstrahierende Kriterium, dem der Eleatische Gast bei der Einstufung von Sätzen als S-Sätzen folgt: (Kriterium S-Satz) ∀x (x ist ein S-Satz ↔ x ist ein Satz & ∃y∃z (y ist ein Term & z wird in x mit y charakterisiert & y bezeichnet das Seiende)).
In den folgenden Abschnitten (2.2.4.2 und 2.2.4.3) haben wir gesehen, daß die entscheidende Bedingung »y bezeichnet das Seiende« nach Auffassung des Eleatischen Gasts zwar von »ein Seiendes« (»ὄν«/»ὄντα«) und dem vollständigen »ist« (»ἔστιν«) erfüllt wird, nicht aber von Ausdrücken der Form »ist F«, in denen das »ist« als Kopula fungiert, noch auch von dem kopulativen »ist« selber. Mithin sind es Sätze der Form »x ist ein Seiendes« und »x ist«, die der Eleatische Gast als S-Sätze einstuft, nicht aber Sätze der Form »x ist F«, in denen das Aussagesubjekt mit einem bestimmten Prädikat-Term »F« als ein Seiendes dieser oder jener Art charakterisiert wird.
2.2.5 Folgerungen für die Deutung der Einteilung des Seienden in Sophistes 255c12f. 2.2.5.1 Negative Konsequenzen Die erste Folgerung, die wir aus dem Ergebnis des letzten Paragraphen ziehen können, ist, daß Sätze der Form »x ist F«, in denen das Aussagesubjekt mit dem Prädikat-Term als ein Seiendes bestimmter Art charakterisiert wird, für die in 255c12f. getroffene Distinktion von Aussage-Klassen irrelevant sind. Mithin sind die Deutungen, die sich auf Sätze solcher Form stützen, falsch. Ich denke vor allem an die These, daß der Eleatische Gast in 255c12f. zwischen einer unvollständigen und einer vollständigen Verwendung von »ist« unterscheide,181 sowie die These, daß er in 255c12f. zwischen verschiedenen unvollständigen Verwendungen von »ist«, z. B. identi-
181 Vgl. zu dieser These Moravcsik, S. 52-55, Seligman, S. 67f., Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 92-94, Pelletier, S. 58 und Brown, S. 474-477.
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fizierenden versus nicht-identifizierenden182 oder definitorischen versus nicht-definitorischen,183 unterscheide. All diese Deutungen haben ja eine weitere, bereits in der Einleitung berührte Schwierigkeit – ihre Unverträglichkeit mit der durch »τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...]« vorgenommenen Einteilung der ὄντα in zwei elementfremde Klassen. Frede bemerkt zu »τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...]« zu Recht: »›τὰ μὲν ... τὰ δὲ ...‹ setzt irgendeine Klasse A voraus, die zwei elementfremde Unterklassen A1 und A2 hat, derart, daß jedes Element von A zwar Element von A1 oder A2 sein muß, aber nicht zugleich Element von A1 und A2 sein kann.«184 Ginge es nun in c12f. um die Abgrenzung einer vollständigen von einer unvollständigen Verwendung von »ist«, so wären die Klassen A1 und A2 nicht nur nicht elementfremd, sondern sogar miteinander identisch; denn »ist« kann auf jede Entität vollständig wie unvollständig angewendet werden. Dasselbe würde gelten, wenn es um die Abgrenzung einer identifizierenden von einer nicht-identifizierenden Verwendung von »ist« ginge; denn »ist« kann auf jeden Gegenstand sowohl in seiner identifizierenden als auch in seiner nicht-identifizierenden Verwendung angewendet werden. Bostock, der in 255c12f. eine Distinktion zwischen vollständigem und unvollständigem Gebrauch von »ist« auszumachen glaubt, stellt konsequenterweise in Frage, daß an dieser Stelle zugleich eine Einteilung des Seienden in zwei Klassen angestrebt sei: »Despite its surface grammar, this sentence presumably does not really mean to distinguish the items which are in one of these ways from the items which are in the other way, for exactly the same items are in both ways (namely, all items). Its point must indeed be to distinguish two ways of using the verb ›to be‹, only one of which imports a reference ›to something else‹.«185 Die Leichtigkeit, mit der Bostock über die »surface grammar« von »τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...]« hinweggeht, steht in eigenartigem Kontrast zu der Insistenz, mit der er wenige Zeilen später zurecht auf den gewöhnlichen Gebrauch von »αὐτὰ καθ’ αὑτά« pocht. Frede verwendet mehr Mühe darauf, dem Wortlaut gerecht zu werden,186 verbiegt ihn aber seinerseits so, daß er, entspräche er seiner Deutung, lauten müßte: »[...] τῶν ὄντων τὰ μὲν τοτὲ μὲν αὐτὰ καθ’ αὑτά, τοτὲ δὲ πρὸς ἄλλα, τὰ δὲ ἀεὶ πρὸς ἄλλα λέγεσθαι«. Denn zu der durch die nicht-definierende Verwendung von »ist« definierten Klasse A2 gehören auch die Elemente,
182 Vgl. Owen, Plato on Not-Being, S. 255-258, Reeve, S. 54f. und Bordt, S. 525f. 183 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 12-37, Kostman, S. 352f., Frede, Plato’s Sophist on False Statements, S. 400-402, Meinwald, S. 381f., Frede, Die Frage nach dem Seienden, S. 197 und Silverman, The Dialectic of Essence, S. 164-181. 184 Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 19. 185 Bostock, Plato on ›Is not‹, S. 93. 186 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 35f.
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die die durch die definierende Verwendung von »ist« definierte Klasse A1 ausmachen; A1 und A2 sind also nicht elementfremd.
2.2.5.2 Mögliche positive Konsequenzen Wenn es die Satzschemata »x ist« und »x ist ein Seiendes« sind, die der Einteilung in 255c12f. so zugrundegelegt werden, daß für diejenigen ihrer Einsetzungsinstanzen, die wahre Aussagen ausdrücken, behauptet wird, daß der für »x« eingesetzte Ausdruck entweder etwas bezeichnet, das αὐτὸ καθ’ αὑτό zutreffend als seiend charakterisiert ist, oder etwas, das πρὸς ἄλλο zutreffend als seiend charakterisiert ist, so erhebt sich die Frage, welche Terme nach Auffassung des Eleatischen Gasts für den Platzhalter »x« in »x ist« und »x ist ein Seiendes« eingesetzt werden können, derart, daß in dem durch die Einsetzung entstandenen Satz das, was mit dem Term bezeichnet wird, zutreffend αὐτὸ καθ’ αὑτό als seiend charakterisiert wird, und welche Terme für »x« eingesetzt werden können, derart, daß in dem durch die Einsetzung entstandenen Satz das von dem Term Bezeichnete zutreffend πρὸς ἄλλο als seiend charakterisiert wird. Anders gefragt, nicht mit Bezug auf die für »x« einzusetzenden Terme, sondern mit Bezug auf die Gegenstände, die die für »x« einzusetzenden Terme bezeichnen: Erstreckt sich die Einteilung der ὄντα auf (a) Gegenstände des Typs Dieses (Sokrates, der Morgenstern, usw.) oder (b) Gegenstände des Typs So etwas, also Formen (das Schöne, das Seiende, usw.) oder (c) Gegenstände beider Typen? Für (b) spricht die Verwendung von »τὰ ὄντα« im unmittelbaren Zusammenhang der Stelle. In 258d7-e1 z. B. bezeichnet »πάντα τὰ ὄντα« das Insgesamt der Gattungen, von denen zuvor187 gezeigt worden ist, daß jede als von jeder anderen verschieden charakterisiert werden kann: τὴν γὰρ θατέρου φύσιν ἀποδείξαντες οὖσάν τε καὶ κατακεκερματισμένην ἐπὶ πάντα τὰ ὄντα πρὸς ἄλληλα [...].188
Es ist daher wahrscheinlich, daß auch die in 255c12 durch »τῶν ὄντων« definierte Klasse mit der Klasse der Gattungen bzw. Formen, d. h. weder mit der Klasse der Einzeldinge noch mit der Klasse sämtlicher Gegenstände identisch ist. Nehmen wir (b) an, so handelt es sich bei den Termen, die in den Satzschemata »x ist« und »x ist ein Seiendes« für »x« einzusetzen sind, um die 187 Vgl. 256d11-e1: »Ἔστιν ἄρα ἐξ ἀνάγκης τὸ μὴ ὂν ἐπί τε κινήσεως εἶναι καὶ κατὰ πάντα τὰ γένη· κατὰ πάντα γὰρ ἡ θατέρου φύσις ἕτερον ἀπεργαζομένη τοῦ ὄντος ἕκαστον οὐκ ὂν ποιεῖ [...]«. 188 Vgl. auch 258c3 über das Nicht-Seiende: »ἐνάριθμον τῶν πολλῶν ὄντων εἶδος ἕν«.
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S-Sätze zu erhalten, die in 255c12f. der Einteilung der ὄντα zugrundegelegt werden, allgemein um Terme, von denen der Eleatische Gast annimmt, daß sie Formen bezeichnen, insbesondere aber, denken wir an den in der ersten Untersuchung (2.1) herausgearbeiteten Status der Formen als Gegenstände des Typs So etwas, um als Formbezeichnungen (miß)verstandene verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke wie »Das Verschiedene« und »Der Sophist«. Wie lassen sich nun diese Ausdrücke so einteilen, daß ihre Einteilung der Einteilung der ὄντα in αὐτὰ καθ’ αὑτὰ ὄντα und πρὸς ἄλλα ὄντα zugrundegelegt werden kann? Ehe wir diese Frage mit Blick auf die in den Rekonstruktionen A, B und C enthaltenen Paraphrasen der Einteilung der ὄντα in 255c12f. zu beantworten suchen, ist es notwendig, die Rekonstruktionen an die These anzupassen, bei den Substituten der Variablen handele es sich um als Formbezeichnungen (miß)verstandene Ausdrücke wie »Der Mensch« oder »Das Verschiedene«. Man könnte sich mit Blick auf die Rekonstruktionen zunächst fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, für solche Ausdrücke Variablen wie »x« und »y« zu verwenden, also Variablen, deren Substitute bezugnehmende Terme wie »Sokrates« oder »Der Morgenstern« sind. Man beachte jedoch, daß nach Auffassung des Eleatischen Gasts eben auch Ausdrücke wie »Der Mensch« oder »Das Verschiedene« Bezug nehmen – zwar nicht auf Gegenstände des Typs Dieses, doch auf Gegenstände des Typs So etwas. Es scheint mir daher nicht notwendig zu sein, die Variablen auszutauschen. Dafür gibt es an anderer Stelle Austauschbedarf. Wir haben gesehen, daß die Terme »ἄλλο« und »ἕτερον« auf die Formen, Gegenstände des Typs So etwas, nicht in der Bedeutung von »numerisch verschieden von«, sondern in der Bedeutung von »anders bestimmt als« Anwendung finden.189 Daraus ergibt sich für die Rekonstruktionen die Konsequenz, daß zum einen der Term »verschieden« in allen seinen Vorkommnissen im Sinne von »anders bestimmt« zu deuten ist, zum anderen die Satzfunktionen »x = y« und »x ≠ y«, die nur von numerisch distinkten Gegenständen, also Gegenständen des Typs Dieses, erfüllt werden können, in allen ihren Vorkommnissen durch »x und y sind auf dieselbe Weise bestimmt« bzw. »x und y sind anders bestimmt« zu ersetzen sind. Entsprechend seien die Rekonstruktionen A, B und C modifiziert und die modifizierten Versionen als »Rekonstruktion A’«, »Rekonstruktion B’« und »Rekonstruktion C’« bezeichnet. Hier die Sätze der modifizierten Rekonstruktionen im Überblick (es sei daran erinnert, daß der Operator »◊« im Sinne des ausschließenden »entweder ... oder ...« verwendet wird):
189 Vgl. dazu oben die erste Untersuchung zum Sophistes (2.1.3.2).
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Rekonstruktion A’: (A’1) ∀x (x ist anders bestimmt → ∃y (x ist in bezug auf y anders bestimmt & x und y sind anders bestimmt)) (A’2) ∃x (x ist ein Seiendes & ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)) & ∃x (x ist ein Seiendes & ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt) ◊ ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)) (A’0) ∃x (x ist anders bestimmt & ¬∃y (x ist in bezug auf y anders bestimmt & x und y sind anders bestimmt)).
Rekonstruktion B’: (B’1) ∀x (x ist anders bestimmt → ∃y (x ist in bezug auf y anders bestimmt)) (B’2) ∃x (x ist ein Seiendes & ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)) & ∃x (x ist ein Seiendes & ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes) ◊ ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes)) (B’0) ∃x (x ist anders bestimmt & ¬∃y (x ist in bezug auf y anders bestimmt)).
Rekonstruktion C’: (C’1) ∀x∀y (x ist in bezug auf y anders bestimmt → x und y sind anders bestimmt) (C’2) ∃x∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind auf dieselbe Weise bestimmt) & ∃x∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & (x und y sind auf dieselbe Weise bestimmt ◊ x und y sind anders bestimmt))) (C’0) ∃x∃y (x ist in bezug auf y anders bestimmt & x und y sind auf dieselbe Weise bestimmt).
Kommen wir nun zu der Frage, wie sich die als Formbezeichnungen (miß)verstandenen verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« derart einteilen lassen, daß die Einteilung der Einteilung der ὄντα in αὐτὰ καθ’ αὑτὰ ὄντα und πρὸς ἄλλα ὄντα zugrundegelegt werden kann. Die traditionellerweise zur Erklärung der Stelle herangezogene190 190 Vgl. z. B. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 290 Anm. 44: »[...] we have ample textual evidence in the dialogues [Tht. 152D2-6, 156E7-157A4, and 160B8-C2; Phlb. 51C6-7] and in
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Einteilung von Prädikaten in nicht-bezügliche und bezügliche ist für die Beantwortung dieser Frage relevant. Wir können uns ihre Relevanz an den Prädikaten »ein Mensch« (als Beispiel für nicht-bezügliche Prädikate) und »ein Diener« (als Beispiel für bezügliche Prädikate191) klarmachen, indem wir für »x« in dem Satzschema »x ist ein Seiendes« die diesen Prädikaten entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücke »Der Mensch« und »Der Diener« einsetzen, mit dem Eleatischen Gast voraussetzend, es handele sich um Formbezeichnungen. In dem Satz »Der Mensch ist ein Seiendes« wird nach Auffassung des Eleatischen Gasts so etwas, ein Mensch, als ein Seiendes charakterisiert. Vorausgesetzt, wir charakterisieren so etwas mit Blick darauf, was es ist, als ein Seiendes (ich werde auf diese Voraussetzung am Ende des vorliegenden Abschnitts näher eingehen), so kann man sagen, daß wir einen Menschen nicht in bezug auf anders Bestimmtes als ein Seiendes charakterisieren: denn ein Mensch ist das, was er ist – ein Mensch –, überhaupt nicht in bezug auf etwas (πρός τι). Insofern ist der Mensch ein αὐτὸ καθ’ αὑτὸ ὄν. Auch mit dem Satz »Der Diener ist ein Seiendes« charakterisieren wir in Sicht des Eleatischen Gasts so etwas, einen Diener, als ein Seiendes. Nun ist aber ein Diener das, was er ist, in bezug auf anders Bestimmtes, nämlich den Herrn, dessen Diener er ist. Vorausgesetzt, wir charakterisieren den Diener als ein Seiendes mit Blick darauf, was er ist, so können wir sagen, daß er in bezug auf etwas anders Bestimmtes, nämlich einen Herrn, als ein Seiendes charakterisiert wird, also ein πρὸς ἄλλο ὄν ist. Auf problematische Grenzfälle stoßen wir, wenn wir symmetrischrelationale Prädikate in die Betrachtung einbeziehen und uns z. B. fragen, ob auch das Ähnliche in bezug auf anders Bestimmtes als seiend charakterisiert wird. Das Ähnliche ist das, was es ist, in bezug auf das, dem es ähnlich ist, und dieses ist eben dadurch selbst als Ähnliches bestimmt. Mithin ist das Ähnliche das, was es ist, zwar in bezug auf etwas,192 aber nicht auf anders Bestimmtes, sondern seinerseits Ähnliches. Fälle wie dieser stellen uns vor die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Wir können entweder Rekonstruktion A’ folgend »πρὸς ἄλλα« strikt verstehen und zu den πρὸς ἄλλα ὄντα ausschließlich jeweils anders bestimmte (einander entgegengesetzte193) Relativa wie das Größere und das Kleinere, ancient secondary sources [Aristotle reported ap. Diog. Laert. 3, 108-109; Hermodorus quoted ap. Simpl. Phys. 248, 2-3] for taking the difference between καθ’ αὑτό and πρὸς ἄλλο λεγόμενον to be that between what is called nowadays a ›one-place‹ and a ›two-place‹ predicate.« 191 Vgl. zu dem Beispiel Prm. 133d7-134a1 und Arist. Cat. 6b29f. 192 Daher subsumiert es Aristoteles in den Kategorien unter die Relativa; vgl. Cat. 6b9f. und b22f. 193 Vgl. Arist. Cat. 11b24-33.
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das Doppelte und das Halbe, Herr und Diener, Erkennendes und Erkanntes usw. zählen. Demnach wäre das Ähnliche zu den αὐτὰ καθ’ αὑτὰ ὄντα zu rechnen, da das, in bezug worauf das Ähnliche ein Seiendes ist, nicht anders bestimmt ist als das Ähnliche, es mithin keine wahre Einsetzungsinstanz des Satzschemas »Das Ähnliche ist in bezug auf y ein Seiendes & Das Ähnliche und y sind anders bestimmt« gibt und die Aussage »¬∃y (Das Ähnliche ist in bezug auf y ein Seiendes & Das Ähnliche und y sind anders bestimmt)« wahr ist. Die andere Möglichkeit ist, Rekonstruktion B’ folgend »πρὸς ἄλλα« nicht strikt zu verstehen und das Ähnliche zu den πρὸς ἄλλα ὄντα zu rechnen, da wir in »Das Ähnliche ist in bezug auf y ein Seiendes« für »y« »das Ähnliche« derart einsetzen können, daß wir den Ausdruck einer wahren Aussage erhalten und die Aussage »∃y (Das Ähnliche ist in bezug auf y ein Seiendes)« wahr ist. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor liegt darin, daß wir uns nicht sicher sein können, daß Platon »πρὸς ἄλλα« geschrieben hat. Denn im Clarkianus (B), dem ältesten der uns erhaltenen Textzeugen, lesen wir nicht »πρὸς ἄλλα«, sondern »πρὸς ἄλληλα«. Mit dieser in neuerer Zeit zu Unrecht vernachlässigten Lesart194 legt sich eine der ersten Interpretation entsprechende Deutung der Einteilung nahe, welche die Verschiedenheit der in bezug aufeinander als seiend charakterisierten Relativa impliziert (so daß ausschließlich jeweils anders bestimmte Relativa wie das Größere und das Kleinere, das Doppelte und das Halbe, Herr und Diener, Erkennendes und Erkanntes usw. in die Klasse der πρὸς ἄλληλα ὄντα aufzunehmen sind). Die einzige Änderung, die man an der Rekonstruktion A’ vornehmen müßte, wäre die, in (A’2) den Ausdruck »∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)« durch »∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & y ist in bezug auf x ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)« zu ersetzen, um der mit »ἄλληλα« ausgedrückten Reziprozität der einander gegenüberstehenden Relativa Rechnung zu tragen.195 Ist die Einteilung der ὄντα dieser Deutung zufolge vollständig? Erfaßt sie sämtliche Formen? Sie ist genau dann vollständig, wenn es für jedes 194 Sie einfach zu ignorieren, verbietet sich schon deshalb, weil im Parmenides (133c8) ὅσαι τῶν ἰδεῶν πρὸς ἀλλήλας εἰσὶν αἵ εἰσιν von den übrigen Formen abgegrenzt werden. Frede (Prädikation und Existenzaussage, S. 22) nennt als Anhänger der Lesart in der älteren Literatur Campbell, Wohlrab, Apelt und Peck. In der neueren Literatur scheint sie geradezu in Vergessenheit geraten zu sein. 195 Man erhält dann folgendes Ergebnis: (A’2*) ∃x (x ist ein Seiendes & ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & y ist in bezug auf x ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)) & ∃x (x ist ein Seiendes & ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)) & ∀x (x ist ein Seiendes → ∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & y ist in bezug auf x ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt) ◊ ¬∃y (x ist in bezug auf y ein Seiendes & x und y sind anders bestimmt)).
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Element der von der Klasse der αὐτὰ καθ’ αὑτὰ ὄντα abgegrenzten Klasse der jeweils anders bestimmten Relativa ein zugehöriges Element aus der Klasse derart gibt, daß sie in bezug aufeinander als seiend charakterisiert werden. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn wahr ist, daß πάντα τὰ πρός τι πρὸς ἀντιστρέφοντα λέγεται (Arist. Cat. 6b28); denn die von der Klasse der αὐτὰ καθ’ αὑτὰ ὄντα abgegrenzte Klasse der jeweils anders bestimmten Relativa ist nach dieser Deutung eine Unterklasse der Klasse der Relativa. Unter dem Gesichtspunkt der Plausibilität des in 255c12f. ausgedrückten Gedankens und seiner Funktion für die Begründung der Verschiedenheit des Seienden und des Verschiedenen scheint also die Variante »πρὸς ἄλληλα« nicht schlechter abzuschneiden als die heute allgemein akzeptierte »πρὸς ἄλλα«, wenngleich der Gedanke, den man mit »πρὸς ἄλληλα« erhält, voraussetzungsvoller ist als der, den man mit »πρὸς ἄλλα« erhält. Gerade dies könnte aber in Verbindung mit dem wiederholten Gebrauch von »πρὸς ἕτερον« in den folgenden Zeilen (255d1, 5f.) für die These sprechen, daß die Variante »πρὸς ἄλλα« die lectio facilior, das Werk eines vereinfachenden Schreibers ist. Ist diese Annahme nicht jedenfalls plausibler als der Vorschlag,196 die Variante »πρὸς ἄλληλα« auf einen unter dem Eindruck des Gebrauchs von »πρὸς ἄλληλα« im Parmenides (133c8) erfolgten Eingriff in den Text zurückzuführen? Wichtiger als die Beantwortung der Frage, welche der beiden Lesarten und welche ihr entsprechende Interpretation der Einteilung der ὄντα den Vorzug verdient, scheint mir zu sein, die vorgeschlagene Interpretation der Einteilung der ὄντα als Einteilung von Formen von einer anderen Deutung abzugrenzen, die ebenfalls besagt, daß der Eleatische Gast in 255c12f. eine Einteilung von Formen vornimmt. Laut dieser Deutung wird diese Einteilung so vorgenommen, daß der Ausdruck »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] ἀεὶ λέγεσθαι« im Sinne von »[...] daß die einen (Formen) [...], die anderen [...] jeweils ausgesagt werden« zu verstehen ist197 und daß es sich – als Konsequenz daraus – bei den Sätzen, deren Einteilung der Einteilung der Formen in 255c12f. zugrundeliegt, um Sätze wie »Sokrates ist ein Mensch« einerseits und Sätze wie »Sokrates ist ein Diener« andererseits handelt. Mir scheint diese Deutung daran zu scheitern, daß der in 255c12f. vorgenommenen Unterscheidung der beiden Weisen, Terme auszusagen, die das Seiende bezeichnen, Sätze zugrundegelegt werden müssen, deren Prädikat-Terme nach Auffassung des Eleatischen Gasts das Seiende 196 Vgl. Frede, Prädikation und Existenzaussage, S. 22. 197 Vgl. Heinaman, Communion of Forms, S. 186: »Being is said to participate in the Forms Relative and Non-relative [...], apparently because some beings, i. e. predicates (meine Hervorhebung, BS), are relative and some non-relative.« Zur Kritik dieser Deutung des Ausdrucks siehe oben (2.2.2.1) zu »τῶν ὄντων τὰ μὲν [...], τὰ δὲ [...] λέγεσθαι«.
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bezeichnen und die Prädikat-Terme von Sätzen wie »Sokrates ist ein Mensch« oder »Sokrates ist ein Diener« seiner Auffassung nach nicht das Seiende bezeichnen (sondern im einen Fall so etwas, einen Menschen, und im anderen Fall so etwas, einen Diener). Vielmehr liegt der Einteilung der Formen in 255c12f. eine Einteilung von Sätzen wie »Der Mensch ist ein Seiendes« resp. »Der Mensch ist«198 einerseits und Sätzen wie »Der Diener ist ein Seiendes« resp. »Der Diener ist« andererseits zugrunde, also von Sätzen, in denen nach Auffassung des Eleatischen Gasts auf Formen nicht mit dem Prädikat-Term, sondern mit dem Subjekt-Term Bezug genommen wird. Die Tatsache, daß die Prädikat-Terme der der Einteilung der Formen in 255c12f. zugrundegelegten Sätze vom Eleatischen Gast auf das Seiende bezogen werden, hat ferner zur Folge, daß er der Einteilung nicht Sätze wie »Der Mensch ist das, was er ist (sc. ein Mensch)«199 einerseits und Sätze wie »Der Diener ist das, was er ist (sc. ein Diener)« andererseits zugrundelegt. Denn der in Sätzen wie »Der Mensch ist das, was er ist (sc. ein Mensch)« und »Der Diener ist das, was er ist (sc. ein Diener)« ausgesagte Term »das, was er ist« wird vom Eleatischen Gast nicht auf das Seiende, sondern im ersten Satz auf so etwas, einen Menschen, und im zweiten Satz auf so etwas, einen Diener, bezogen. Freilich ist es auch klar, daß die Aussage, daß ein Diener in bezug auf anderes ein Seiendes ist, in der Aussage gründet, daß ein Diener in bezug auf anderes das ist, was er ist, nämlich ein Diener. Nun ist ein solches Fundierungsverhältnis nur dann gegeben, wenn ein Seiendes zu sein, bedeutet, ein Seiendes mit einer bestimmten Natur zu sein.200 Die Charakterisierung von etwas als ein Seiendes ist also identisch mit der Charakterisierung als ein Seiendes mit einer bestimmten Natur.201 Der Satz »Der Diener ist ein Seiendes« kann demnach nicht sinnwahrend durch den Satz »Es gibt Diener« ersetzt werden. Denn diesen Satz zu äußern, heißt nicht, etwas als ein Seiendes mit einer bestimmten Natur zu charakterisieren. Daher ist Ackrills bekannte These, daß Sätze der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« im Sophistes sinnwahrend durch Sätze der Form »x existiert« ersetzt werden
198 Vgl. dazu die Ausdrucksweise in dem bei Simplikios (in Ph. 248.2-5) bezeugten Bericht des Hermodoros über Platon: »τῶν ὄντων τὰ μὲν καθ’ αὑτὰ εἶναι λέγει ὡς ἄνθρωπον καὶ ἵππον, τὰ δὲ πρὸς ἕτερα, καὶ τούτων τὰ μὲν ὡς πρὸς ἐναντία ὡς ἀγαθὸν κακῷ, τὰ δὲ ὡς πρός τι, καὶ τούτων τὰ μὲν ὡς ὡρισμένα, τὰ δὲ ὡς ἀόριστα [...]«. 199 Vgl. dazu z. B. Arist. Cat. 6a36f.: »Πρός τι δὲ τὰ τοιαῦτα λέγεται, ὅσα αὐτὰ ἅπερ ἐστὶν ἑτέρων εἶναι λέγεται ἢ ὁπωσοῦν ἄλλως πρὸς ἕτερον.« 200 Vgl. 258b9f.: »[...] ὅτι τὸ μὴ ὂν βεβαίως ἐστὶ τὴν αὑτοῦ φύσιν ἔχον [...]«. Mit »τὴν αὑτοῦ φύσιν ἔχον« wird expliziert, was bereits im Begriff des »ἐστὶ« liegt. 201 Vgl. Lee, Plato on Negation and Not-Being, S. 276.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas
können,202 nicht akzeptabel, auch wenn Ackrill mit Recht darauf hinweist, daß für den Eleatischen Gast ausschließlich in Sätzen der Form »x ist« und »x ist ein Seiendes« ausgesagt wird, daß das jeweilige Aussagesubjekt an der Form des Seienden teilhat (was Ackrills Kritiker zu Unrecht in Abrede gestellt haben203).
202 Vgl. Ackrill, Plato and the Copula, S. 212: »μετέχει τοῦ ὄντος is the philosopher’s equivalent of the existential ἔστιν; but [...] it is not his analysis of ἔστιν in its other uses.« Vgl. zur Verteidigung der existentiellen Lesart einiger Vorkommnisse von Formen von »εἶναι« im Sophistes Heinaman, Being in the Sophist – zusammen mit Malcolms Replik (Remarks on an Incomplete Rendering of Being in the Sophist) und Heinamans Duplik (Once More: Being in the Sophist) – und O’Brien, S. 63f. Weniger hilfreich sind die verworrenen Ausführungen von Rosen (S. 230240), der mit seiner Kritik an Frede und Owen in dasselbe Horn wie Heinaman bläst. 203 Kritik an Ackrills These übten Malcolm (Plato’s Analysis of τὸ ὄν and τὸ μὴ ὄν in the Sophist), Owen (Plato on Not-Being) und Frede (Prädikation und Existenzaussage). Am entschiedensten formuliert die These, daß nach platonischer Auffassung in sämtlichen Sätzen, in denen »ist« als Copula gebraucht wird, auf die Form des Seienden Bezug genommen wird, Frede (Prädikation und Existenzaussage, S. 48): »Daß aber nach Platons Meinung ›a ist b‹ nicht nur die Teilhabe von a an der Form des Seienden impliziert, sondern auch behauptet, ergibt sich z. B. aus der oben zitierten Sophistesstelle 238e8-239a1.« Tatsächlich wird das »ist« in dem Satz, auf den sich der Eleatische Gast an dieser Stelle mit der Bemerkung, dem Nicht-Seienden das Sein hinzuzufügen versucht zu haben (»τό γε εἶναι προσάπτειν πειρώμενος« 238e8), bezieht, als Copula gebraucht (vgl. 238e5f.: »ἄφθεγκτόν τε αὐτὸ (sc. τὸ μὴ ὂν) καὶ ἄρρητον καὶ ἄλογον ἔφην εἶναι«). Seine Bemerkung zeigt freilich nur, daß ihm auch fragwürdige Mittel recht sind, die letzte und größte Aporie des Nicht-Seienden zu inszenieren. Die Stelle kann jedenfalls nicht mit den Stellen auf eine Stufe gestellt werden, an denen Sätze mit dem Zusatz von »aufgrund der Teilhabe am Seienden« analysiert werden.
3. Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
Das Gleiche selbst und die konkreten gleichen Gegenstände: Drei Untersuchungen zu Phaidon 74b6-c6 und zum Argument für die Existenz von Formen aus den Relativa in Peri ideon Das Anliegen der Untersuchungen Nur wenige Platon-Leser dürften sich des Eindrucks erwehren können, daß das Formverständnis, das ihnen in den sog. mittleren Dialogen – z. B. im Phaidon, im Symposion oder im fünften Buch der Politeia – entgegentritt, ein grundlegend anderes ist als das, das sich in den sog. sokratischen Dialogen, aber auch in einigen der späteren Dialoge – z. B. in der Trilogie Theaitetos, Sophistes und Politikos – manifestiert. Allerdings ist es schwierig zu sagen, worin sich die beiden Formauffassungen genau unterscheiden. Wenn Aristoteles recht hat, besteht ihr Unterschied darin, daß die Formkonzeption der mittleren Dialoge die These einschließt, daß wir z. B. mit einem definitorischen Satz des Schemas »Das Fromme istdef ...« nicht angeben, was die Natur konkreter frommer Handlungen und Personen ist, sondern uns auf etwas von den konkreten frommen Handlungen und Personen Verschiedenes, das Fromme selbst, beziehen,1 während die ›sokratische‹ Formkonzeption der frühen Dialoge die Gegenthese einschließt, daß wir mit einem Satz dieses Schemas angeben, welche Natur die konkreten frommen Handlungen und Personen haben und uns auf das Fromme selbst nicht als etwas von den konkreten frommen Handlungen und Personen Verschiedenes beziehen.2 1 Vgl. Metaph. Α6, 987b5-7: »[...] ὑπέλαβεν (sc. ὁ Πλάτων) ὡς περὶ ἑτέρων τοῦτο (sc. τὸ ζητεῖν τὸ καθόλου) γιγνόμενον καὶ οὐ τῶν αἰσθητῶν· ἀδύνατον γὰρ εἶναι τὸν κοινὸν ὅρον τῶν αἰσθητῶν τινός, ἀεί γε μεταβαλλόντων«. 2 Zwar schreibt Aristoteles Sokrates die These, daß wir uns mit den Subjekt-Termen definitorischer Sätze nicht auf von konkreten Dingen Verschiedenes beziehen, nicht ausdrücklich zu, doch implizit mit der Bemerkung, daß Sokrates die allgemein ausgesagten Gegenstände noch nicht abgesondert habe (vgl. Metaph. Μ4, 1078b30f. und Μ9, 1086b3-5). Da Aristoteles die Absonderung der allgemein ausgesagten Gegenstände auf die Annahme zurückführt, daß die konkreten Gegenstände Definitionen nicht erfüllen, mithin in definitorischen Sätzen mit dem Subjekt-Term
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
Aristoteles’ Beschreibung des Unterschieds ist freilich ihrerseits schwer verständlich. Denn es ist unklar, warum Aristoteles glaubt, daß z. B. das Fromme selbst in den frühen Dialogen nicht als von den konkreten frommen Handlungen und Personen verschieden angesetzt werde. Es scheint ja auch in diesen Dialogen als Eigenschaft der konkreten frommen Handlungen und Personen angesetzt zu werden, die mit keinem ihrer Träger identisch ist. Aristoteles’ Beschreibung scheint uns insofern beim Versuch, den Unterschied zwischen beiden Formauffassungen zu verstehen, nicht weiterzubringen. Möglicherweise ist aber die Unterstellung, beim Frommen selbst handele es sich um eine Eigenschaft und bei den konkreten frommen Handlungen und Personen um ihre Träger, voreilig und hindert uns daran, vom hermeneutischen Schlüssel, den uns Aristoteles mit seiner Beschreibung des Unterschieds anbietet, angemessen Gebrauch zu machen. Dies scheint mir in der Tat der Fall zu sein, und ich denke, daß die Aufschlußkraft der aristotelischen Beschreibung an keinem Text des platonischen Corpus deutlicher zu Tage tritt als an dem berühmten Abschnitt Phaidon 74b6-c6. In ihm ist nämlich, wie im folgenden gezeigt werden soll, von der Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände in einem Sinn die Rede, der verständlich macht, warum Aristoteles denkt, daß es die Annahme der Verschiedenheit einer gegebenen Form und der entsprechenden konkreten Gegenstände sei, in der sich das ›platonische‹ Formverständnis vom ›sokratischen‹ unterscheide. Auch unabhängig von dieser – erst noch zu rechtfertigenden – These dürfte es unbestritten sein, daß der Abschnitt Phaidon 74b6-c6 »of the utmost importance for understanding the Theory of Forms«3 ist. Denn er konfrontiert uns so unmittelbar wie kein anderer platonischer Text4 mit den drei großen Fragen, die von der in den mittleren Dialogen vorausgesetzten Konzeption der Formen in bezug auf jede Form, die in ihnen thematisch ist, aufgeworfen werden. Die Fragen lassen sich als Fragen folgenden Schemas auf etwas von den konkreten Gegenständen Verschiedenes Bezug genommen werde (vgl. Metaph. Α6, 987b5-7), ist es klar, daß seiner Auffassung nach Sokrates die allgemein ausgesagten Gegenstände von den konkreten Entitäten eben deshalb noch nicht abgesondert hat, weil er noch nicht diese Annahme gemacht hat. 3 Gallop, S. 121. 4 Neben Phd. 74b6-c6 ist auch der Schluß von Politeia V (475d1-480a13) für die in diesem Kapitel beschriebene Formkonzeption relevant. Freilich wird in diesem Abschnitt die Verschiedenheit einer gegebenen Form, des Fen selbst, von den konkreten Fen Gegenständen lediglich vorausgesetzt (z. B. in 476c2-d4 mit der Bemerkung, daß derjenige, der das Schöne mit den konkreten schönen Dingen verwechsle, in einem Traum lebe, während derjenige, der das Schöne von den konkreten schönen Dingen unterscheide, sein Leben im Wachzustand verbringe), jedoch nicht gerechtfertigt. Daher habe ich mich für die Behandlung von Phd. 74b6-c6 entschlossen; einige für die Deutung dieses Texts aufschlußreichen Aspekte des Schlusses von R. V berühre ich unten (3.2.4) in der zweiten Untersuchung zu Phd. 74b6-c6.
Untersuchungen zum Phaidon und zu Peri Ideon
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formulieren (für einige – nicht alle – generelle Terme als Substitute für »F«5): (i) Was hat es mit dem mangelhaften Fsein der konkreten Gegenstände, die F sind, auf sich? (ii) Was hat es mit dem nicht mangelhaften Fsein der entsprechenden Form, des Fen selbst, auf sich? (iii) Was folgt aus dem mangelhaften Fsein der konkreten Gegenstände, die F sind, und dem nicht mangelhaften Fsein des Fen selbst für das Verhältnis zwischen den konkreten Fen Gegenständen und dem Fen selbst?
Freilich ist nach all dem, was über den Abschnitt zumal in den letzten 30 Jahren geschrieben worden ist, eine neuerliche Behandlung trotz seiner offenkundigen Bedeutung nur dann gerechtfertigt, wenn sie bisher vernachlässigte oder nicht angemessen verstandene Aspekte des in ihm enthaltenen Gedankengangs zur Sprache bringt. Dazu gehören m. E. die beiden Aspekte, denen die ersten beiden Untersuchungen gewidmet sind: erstens der bereits angesprochene Sinn von Verschiedenheit, in dem von der Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände die Rede ist, und zweitens die Funktion des Gedankengangs für die in 73c1 einsetzende Argumentation, in die er eingebettet ist. Von dieser Funktion handelt die erste Untersuchung, deren Hauptaufgabe es ist, die hinreichende Bedingung für Anamnesis, die in 73c4-d1 formuliert wird, zu explizieren und zu klären, auf welche Weise von welchem Teil der Bedingung in 74b6-c6 gezeigt wird, daß er bei unserer ersten innerweltlichen Kenntnisnahme vom Gleichen selbst erfüllt ist. Die Hauptthese dieser Untersuchung lautet, daß es in 74b6-c6 nicht – wie in nahezu allen Rekonstruktionen des Arguments angenommen wird – um die Rechtfertigung der Annahme der Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge geht, sondern um den Aufweis, daß wir vom Gleichen selbst so Kenntnis nehmen, daß wir es von den konkreten gleichen Gegenständen unterscheiden. Genau dieser Aufweis wird nämlich im Kontext der in 73c1 beginnenden Argumentation benötigt, die auf den Nachweis abzielt, daß unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst als Erinnerung an das Gleiche selbst einzustufen sei. Wie ist die These zu verstehen, der Simmias am Ende des Abschnitts 74b6-c6 zustimmt: »Also sind diese gleichen Gegenstände und das Gleiche selbst nicht dasselbe«? Diese Frage soll in der zweiten Untersuchung beantwortet werden. Nach der Standardinterpretation besagt die These, daß 5 Bei den Substituten für »F« handelt es sich um Adjektive wie »gleich«, »schön«, »gut«, »gerecht«, »fromm«, »doppelt so groß«, »halb so groß«, »groß«, »klein«, »leicht«, »schwer«. Die angeführten Beispiele sind Phd. 75c10-d1 und R. V, 479a5-b8 entnommen.
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das Gleiche selbst nicht zur Klasse der konkreten gleichen Gegenstände gehört. Demgegenüber soll gezeigt werden, daß die These in dem Sinne zu verstehen ist, daß die konkreten gleichen Gegenstände insofern vom Gleichen selbst verschieden sind, als das Gleiche selbst das ist, was der generelle Term »gleich« bezeichnet, und der Term etwas bezeichnet, als was die konkreten gleichen Gegenstände aufgrund der Qualifikationen ihres Gleichseins nicht charakterisiert sind, dem sie vielmehr nur ähnlich sind. Mit dem Gleichen selbst wird also nicht ein Individuum von anderen Individuen abgegrenzt, sondern so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, von Individuen in dem Sinne unterschieden, daß sie nicht als so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, charakterisiert und insofern von so etwas, (unqualifiziert) Gleichem, verschieden sind. Freilich gibt es so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, nicht ohne bestimmte Dinge, die so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, sind, und wenn die konkreten gleichen Gegenstände nicht so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, sind, dann fragt sich, welche Einzeldinge diese Aufgabe übernehmen. Da im Phaidon keine derartigen Einzeldinge postuliert werden, drängt sich der Verdacht auf, daß das Gleiche selbst, obwohl es als Gegenstand des Typs So etwas eingeführt und als solcher von den konkreten gleichen Gegenständen unterschieden wird, unter der Hand den Charakter eines Gegenstands des Typs Dieses erhält. Eben dies ist Aristoteles’ bekannter χωρισμός-Vorwurf, den ich im Anhang zur Untersuchung (3.2.6) besprechen möchte. Die dritte Untersuchung des Kapitels gilt einem Dokument früher produktiver Rezeption des Abschnitts 74b6-c6 in der Alten Akademie, dem von Aristoteles in Peri ideon dargestellten und kritisierten Argument für die Existenz von Formen aus den Relativa. Der Grund, das Argument hier einzubeziehen, ist ein doppelter: zum einen tritt in dem Argument der im Phaidon-Abschnitt lediglich implizierte χωρισμός des Gleichen selbst dadurch ausdrücklich hervor, daß als Konsequenz der These, daß der Term »ἴσον« so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, bezeichnet und die konkreten gleichen Dinge nicht als so etwas, (unqualifiziert) Gleiches, charakterisiert sind, das Designat von »ἴσον«, das Gleiche selbst, zu einem Gegenstand des Typs Dieses erklärt wird, der anstelle der konkreten gleichen Gegenstände wirklich so etwas ist, was der Term »ἴσον« bezeichnet; zum anderen scheint mir der bei Alexander überlieferte Wortlaut des Arguments an zwei für die Argumentation entscheidenden Stellen Textprobleme aufzuwerfen, die bisher nicht hinreichend diagnostiziert und entsprechend auch nicht gelöst worden sind. Sie stehen denn auch im Mittelpunkt der Rekonstruktion des Arguments.
Untersuchungen zum Phaidon und zu Peri Ideon
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3.1 Erste Untersuchung: Der Abschnitt Phaidon 74b6-c6 im Kontext von Phaidon 73c1-75c7 3.1.1 Einleitung Die argumentative Funktion des Abschnitts 74b6-c6 wird üblicherweise darin gesehen, die These zu rechtfertigen, daß die konkreten gleichen6 Gegenstände (ταῦτα τὰ ἴσα) und das Gleiche selbst (αὐτὸ τὸ ἴσον) voneinander verschieden sind.7 Tatsächlich lautet die Folgerung, die Sokrates in 74c4f. zieht: »Also sind [...] diese gleichen Dinge und das Gleiche selbst nicht dasselbe« (»Οὐ ταὐτὸν ἄρα ἐστὶν [...] ταῦτά τε τὰ ἴσα καὶ αὐτὸ τὸ ἴσον«). Was jedoch aus der vorhergehenden Argumentation allenfalls gefolgert werden könnte, ist, Simmias’ Vermeidung einer offensichtlichen Inkonsistenz vorausgesetzt: »Also scheinen dir diese gleichen Dinge und das Gleiche selbst nicht dasselbe zu sein« (»Οὐ ταὐτὸν ἄρα σοι φαίνεται ταῦτά τε τὰ ἴσα καὶ αὐτὸ τὸ ἴσον«). Denn daraus, daß die konkreten gleichen Dinge Simmias zuweilen erst als gleich und dann als ungleich erscheinen (74b7-98), das Gleiche selbst ihm dagegen niemals als ungleich erscheint (74c1f.), Simmias also urteilt: »Die konkreten gleichen Dinge sind zuweilen erst gleich und dann ungleich; das Gleiche selbst dagegen ist niemals ungleich«, folgt nur, daß Simmias das Gleiche selbst vernünftigerweise von den konkreten gleichen Gegenständen unterscheidet; es folgt nicht, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen tatsächlich verschieden ist. Und die das Argu6 Wir sagen üblicherweise nicht, daß Dinge gleich seien, sondern daß sie z. B. gleich lang oder gleich groß seien. Da jedoch das griechische »ἴσα« keine den Qualifikationen »lang«, »groß« usw. entsprechende Qualifikation enthält und da wir z. B. sagen können, daß zwei Hölzer in ihrer Länge gleich seien, habe ich mich dafür entschieden, »ἴσα« nur mit »gleich« wiederzugeben. Dabei denke ich an die Verwendung von »gleich« in Sätzen wie »Diese beiden Hölzer sind in ihrer Länge gleich«. 7 Vgl. stellvertretend für viele Gallop, S. 121: »The non-identity of the Form Equal with its sensible instances is inferred from the fact that the latter do, but the former does not, possess a certain property.« Man findet in der Literatur darüber hinaus auch die These, daß in 74b6-c6 die Verschiedenheit unseres Konzepts der Gleichheit und unserer Erfahrung konkreter gleicher Dinge begründet werden soll. Vgl. die Paraphrase der Konklusion 74c4f. bei Dorter, S. 204: »Therefore equality itself is different from our experience of equal things, sufficiently so, that the former cannot have been derived from the latter.« 8 Ich lese an dieser Stelle im Anschluß an Ebert (Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2) »ἆρ’ οὐ λίθοι μὲν ἴσοι καὶ ξύλα ἐνίοτε ταὐτὰ ὄντα τοτὲ μὲν ἴσα φαίνεται, τοτὲ δ’ οὔ;«. Die Gründe für die Aufnahme von Eberts Vorschlag lege ich in der zweiten Untersuchung zu Phd. 74b6-c6 unter 3.2.2 dar.
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ment einleitende Frage des Sokrates: »Oder scheint es (sc. das Gleiche selbst) dir nicht verschieden zu sein (sc. von den konkreten gleichen Dingen)?« (»ἢ οὐχ ἕτερόν σοι φαίνεται;« 74b6f.) legt überdies die Annahme nahe, daß die Formulierung »Also sind diese gleichen Dinge und das Gleiche selbst nicht dasselbe« eine verkürzte Ausdrucksweise für »Also sind diese gleichen Dinge und das Gleiche selbst nicht dasselbe« ist. In der Tat versetzt Simmias darauf: »Sie scheinen mir dies keineswegs zu sein, Sokrates« (»Οὐδαμῶς μοι φαίνεται, ὦ Σώκρατες« 74c6). Dennoch wird das in 74b6-c6 enthaltene Argument meist so verstanden, daß unter Voraussetzung des Leibnizischen principium identitatis indiscernibilium daraus, daß die konkreten gleichen Dinge eine Eigenschaft haben, die das Gleiche selbst nicht hat, nämlich die Eigenschaft, Simmias (oder einer anderen Person) als ungleich zu erscheinen, die Verschiedenheit der konkreten gleichen Dinge und des Gleichen selbst gefolgert wird. Diese kann daraus jedoch ebensowenig gefolgert werden wie die Verschiedenheit von Morgenstern und Abendstern daraus gefolgert werden kann, daß der Morgenstern im Gegensatz zum Abendstern manchen Leuten nicht als Abendstern erscheint.9 Manche Interpreten nehmen daher an, daß die Eigenschaft, die die konkreten gleichen Dinge vom Gleichen selbst unterscheide, nicht die Eigenschaft sei, Simmias als ungleich zu erscheinen, sondern die Eigenschaft, ungleich zu sein. G. Fine rechtfertigt diese Annahme so: »›Appears‹, in Greek, can function veridically, to mean ›manifestly is‹, and, I take it, functions here. Hence the differentiating property is that of being both equal and unequal.«10 Der Ausdruck »ist offensichtlich gleich« enthält jedoch keinen Bezug auf bestimmte Personen, denen die Gegenstände, über die er ausgesagt wird, gleich zu sein scheinen, und verhält sich insofern anders als der Ausdruck »ἴσον σοι φαίνεται«. Zudem erfordert der Gebrauch von »φαίνεσθαι«, auf den sich Fine beruft, die Konstruktion mit dem Partizip.11 In 74d5f. wird jedoch »φαίνεται ἡμῖν« mit dem Infinitiv (»ἴσα εἶναι«) konstruiert, was nahelegt, daß auch in 74b7, b8, c1, c6 jeweils der Infinitiv »εἶναι« und nicht das Partizip »ὄν« bzw. »ὄντα« gedanklich zu ergänzen ist.12 Daß im Kontext der Argumentation 73c1-75c5 tatsächlich die Folgerung benötigt wird, daß Simmias – stellvertretend für diejenigen, die vom Gleichen selbst Kenntnis haben13 – das Gleiche selbst von den wahrgenomme9 Vgl. Penner, The Ascent from Nominalism, S. 33f. 10 Fine, Separation, S. 282. 11 Vgl. Kühner / Gerth, Ausführliche Grammatik. Satzlehre. Zweiter Teil, S. 71. 12 Pace Bostock, Plato’s Phaedo, S. 77. 13 Daß dazu nicht jeder gerechnet wird, der den Term »ἴσον« zu verwenden versteht, zeigt Scott, S. 53-73.
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nen gleichen Dingen unterscheidet, und nicht die Folgerung, daß das Gleiche selbst von den wahrgenommenen gleichen Dingen verschieden ist, soll in dieser Untersuchung zu Phaidon 74b6-c6 gezeigt werden. Dabei ist mein Ausgangspunkt die Annahme, daß der Abschnitt 74b6-c6 einen Beitrag zu der in 73c1 einsetzenden Argumentation für die außerweltliche Präexistenz der Seele leisten soll. Dies dürfte auch von niemandem bestritten werden. Dagegen bedarf die weitere Annahme, daß die Argumentation in 75c6 zu einem vorläufigen Abschluß gebracht wird, der Rechtfertigung. Diese liegt darin, daß aus der in 75c4f. von Sokrates vorgelegten und in 75c6 von Simmias akzeptierten Folgerung, daß wir die Kenntnis vom Gleichen vor unserer Entstehung im Hier und Jetzt erworben haben müßten,14 unmittelbar geschlossen werden könnte, daß wir existiert haben, bevor wir im Hier und Jetzt entstanden sind, und auf genau diese Schlußfolgerung die gesamte Argumentation ab 73c1 zusteuert. Der in 75c4-6 erreichte Abschluß ist freilich nur vorläufig, da die naheliegende Folgerung an dieser Stelle gerade nicht gezogen wird, sondern nach einer induktiven Übertragung des in 75c4f. gewonnenen Ergebnisses auf alle anderen Formen (75c7-d6) ein weiterer Argumentationsgang erfolgt (75d7-76c13), an dessen Ende erst die Folgerung, die bereits im Anschluß an 75c6 gezogen werden könnte, tatsächlich gezogen wird (76c11-13).15 Da in diesem Argumentationsgang jedoch kein Gebrauch von der Konklusion des Arguments 74b6-c6 gemacht wird – es sei denn indirekt durch Voraussetzung der in 74c4f. gewonnenen Folgerung –, brauchen wir ihn bei der Bestimmung der Funktion des Arguments 74b6-c6 für den Beweis der außerweltlichen Präexistenz der Seele nicht zu berücksichtigen, sondern können uns auf die Analyse von 73c1-75c6 beschränken. Die Gesamtstrategie, die in diesem längeren Abschnitt verfolgt wird, ist zumindest ungefähr deutlich. Im ersten Teil der Argumentation – 73c174a8 – wird eine bestimmte Art von Erinnerung (ἀνάμνησίς τις 73e1) durch allgemeine Angaben und erläuternde Beispiele eingeführt, die im zweiten Teil – 74a9-75c6 – derart auf unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst appliziert wird, daß aus dieser Applikation folgen soll, daß wir unsere Kenntnis vom Gleichen selbst bereits außerweltlich erworben haben müssen.16 Soll diese Strategie17 Erfolg haben, so muß 14 Vgl. »Πρὶν γενέσθαι ἄρα, ὡς ἔοικεν, ἀνάγκη ἡμῖν αὐτὴν εἰληφέναι«. 15 Vgl. zum Problem der Funktion des weiteren Argumentationsgangs Ebert, Platon: Phaidon, S. 231f. 16 Vgl. Ackrill, Anamnesis, S. 23. 17 Es gibt Interpreten, die in Abrede stellen, daß die Anamnesis-Analyse des ersten Teils für die Argumentation des zweiten Teils von Bedeutung sei, z. B. Bostock, Plato’s Phaedo, S. 66: »[...] what Plato tells us about reminding in general is actually no help with the main argument at all«. Dieses Urteil gründet in dem Verdikt, daß die in 73c6-8 als hinreichende Bedingung für
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im ersten Teil zum einen in allgemeiner Form eine hinreichende Bedingung für Anamnesis formuliert werden, von der dann, zu einer hinreichenden Bedingung für Anamnesis des Gleichen selbst spezifiziert, im zweiten Teil zu zeigen ist, daß sie eine notwendige Bedingung für unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst darstellt. Zum anderen muß im ersten Teil in allgemeiner Form festgelegt werden, daß darin, daß sich x zum Zeitpunkt t an y erinnert, impliziert ist, daß x zu einem früheren Zeitpunkt t’ von y Kenntnis genommen hat, so daß im zweiten Teil gezeigt werden kann, daß unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst qua Erinnerung impliziert, daß wir vom Gleichen selbst bereits außerweltlich Kenntnis genommen haben. Die beiden Aufgaben des ersten Teils werden in den Zeilen 73c1-d1 geleistet, die ich zunächst (3.1.2) besprechen möchte, um dann (3.1.3) zu rekonstruieren, welcher Gebrauch im zweiten Teil von den in diesen Zeilen formulierten allgemeinen Prinzipien zur Rechtfertigung der These gemacht wird, daß wir unsere Kenntnis des Gleichen selbst außerweltlich erworben haben, und welche Rolle dabei der Abschnitt 74b6-c6 spielt.
3.1.2 Phaidon 73c1-d1: eine notwendige und eine hinreichende Bedingung für Anamnesis 3.1.2.1 Phaidon 73c1-d1: Text und Übersetzung Ὁμολογοῦμεν γὰρ δήπου, εἴ τίς τι ἀναμνησθήσεται, δεῖν αὐτὸν τοῦτο πρότερόν ποτε ἐπίστασθαι. Πάνυ γ’, ἔφη. Ἆρ’ οὖν καὶ τόδε ὁμολογοῦμεν, ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ, ἀνάμνησιν εἶναι; λέγω δέ τινα τρόπον τόνδε· ἐάν τίς τι ἕτερον ἢ ἰδὼν ἢ ἀκούσας ἤ τινα ἄλλην αἴσθησιν λαβὼν μὴ μόνον ἐκεῖνο γνῷ, ἀλλὰ καὶ ἕτερον ἐννοήσῃ, οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη, ἆρα οὐχὶ τοῦτο δικαίως λέγομεν ὅτι ἀνεμνήσθη, οὗ τὴν ἔννοιαν ἔλαβεν;18
Anamnesis formulierte Bedingung in Wahrheit nicht hinreichend sei (vgl. ebd., S. 63f.). Das auf Ackrill (Anamnesis, S. 22) zurückgehende Verdikt ist jedoch, wie ich unten zeigen werde, ungerechtfertigt. Zudem muß Bostock (Plato’s Phaedo, S. 64) einräumen, daß in 74c13-d2 von dieser hinreichenden Bedingung de facto Gebrauch gemacht wird (freilich ist die Stelle ihrerseits verdächtigt worden; vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 214). 18 Dies ist – mit einer Abweichung in 73c5f. – der von Burnet im alten OCT-Text und von Strachan im neuen OCT-Text gedruckte Wortlaut. In 73c5f. lese ich mit Verdenius (S. 209) und Rowe (Plato: Phaedo, S. 165) »λέγω δέ τινα τρόπον τόνδε·« anstelle von »λέγω δὲ τίνα τρόπον; τόνδε.«.
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Wir stimmen ja wohl darin überein, daß jemand, wenn er sich an etwas erinnern soll, dies irgendwann vorher kennen19 muß. Sicher, sagte er. Stimmen wir auch darin überein, daß eine Kenntnis immer dann, wenn sie sich auf solche Weise einstellt,20 eine Erinnerung ist?21 Ich meine ungefähr diese Weise: Wenn jemand beim Sehen oder beim Hören oder bei irgendeiner anderen Wahrnehmung von etwas nicht nur jenes zur Kenntnis nimmt, sondern auch an etwas anderes denkt, auf das sich nicht dieselbe Kenntnis, sondern eine andere bezieht, sagen wir dann nicht mit Recht, daß er sich an dieses erinnert hat, woran er gedacht hat?
3.1.2.2 Phaidon 73c1f.: eine notwendige Bedingung für Anamnesis Das Argument für die Unsterblichkeit der Seele aus der Anamnesis setzt in 73c1f. mit der Angabe einer notwendigen Bedingung22 dafür ein, daß sich jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt an etwas erinnert (vgl. 73c1f.: »εἴ τίς τι ἀναμνησθήσεται«). Die Bedingung lautet, daß die Person dieses zu einem früheren Zeitpunkt ἐπίσταται (»αὐτὸν τοῦτο πρότερόν ποτε ἐπίστασθαι«). Es wird also folgendes behauptet: (A1’) ∀t∀x∀y (x ἀναμιμνῄσκεται y um t → ∃t’ (t’ ist ein Zeitpunkt vor t & x ἐπίσταται y um t’)).
In dieser Wiedergabe der Konditionalaussage ist noch bewußt offengelassen, ob die Substitute der Variablen »y« Satznominalisierungen der Form »daß p« sind und die griechischen Ausdrücke »ἀναμιμνῄσκεται« und »ἐπίσταται« entsprechend mit »erinnert sich daran« bzw. »weiß« wiederzugeben sind oder die Substitute der Variablen Namen von Gegenständen sind, die nicht mit Sätzen ausgedrückt werden können (z. B. »Simmias«), und die griechischen Ausdrücke »ἀναμιμνῄσκεται« und »ἐπίσταται« 19 Zur Wiedergabe von »ἐπίστασθαι« c2 mit »kennen« und »ἐπιστήμη« c4 und c8 mit »Kenntnis« vgl. unten Abschnitt 3.1.2.2. 20 Es ist reizvoll, zur Erklärung des Ausdrucks »ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ« auf das Taubenschlag-Gleichnis im Theaitetos zu rekurrieren (vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 212). Denn offenbar ist mit dem παραγίγνεσθαι der ἐπιστήμη, das sich beim SichErinnern ereignet, ein Vorgang der Art gemeint, wie er im Theaitetos (197b7-d3) als ἐπιστήμην σχεῖν bzw. ἐπιστήμην λαβεῖν vom erstmaligen Erwerb der ἐπιστήμη abgegrenzt wird. Eine etwas freiere Übersetzung von »ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ« könnte daher lauten: »Wenn jemand auf solche Weise Kenntnis von etwas nimmt«. 21 Man könnte auch erwägen, nicht »ἐπιστήμην«, sondern »ἀνάμνησιν« als Subjekt des AcI »ἀνάμνησιν εἶναι« zu verstehen und auf den Akt des Sich-Erinnerns zu beziehen: »[...] daß immer dann, wenn sich eine Kenntnis auf solche Weise einstellt, ein Sich-Erinnern vorliege«. 22 Daß in der Apodosis des von »ὁμολογοῦμεν« abhängigen Konditionalsatzes eine notwendige Bedingung für Anamnesis spezifiziert werden soll, macht das »δεῖν« klar. Darin scheinen sich auch alle Kommentatoren einig zu sein, vgl. z. B. Gallop, S. 116; Bostock, Plato’s Phaedo, S. 63; Ebert, Platon: Phaidon, S. 203.
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entsprechend mit »erinnert sich an« bzw. »kennt«/»weiß von« wiederzugeben sind. Für die erste Annahme spricht die vorhergehende Verwendung von »ἐπιστήμη« in 73a9, wo der Ausdruck ein Wissen, daß ... bezeichnet.23 Für die zweite Annahme sprechen die folgenden Beispielfälle, bei denen es sich durchweg um Erinnerungen an Personen, d. h. nicht mit Sätzen ausdrückbare Gegenstände, handelt.24 Der Hinweis auf die folgenden Beispielfälle wiegt schwerer, da die in 73c1 einsetzende Argumentation, an deren Anfang die Formulierung des mit (A1’) wiedergegebenen Prinzips steht, mit der zuvor skizzierten, aus dem Menon bekannten Begründung der These, daß das Lernen eine Art von Wiedererinnerung sei, nichts mehr zu tun, die folgenden Beispiele dagegen zu eben dieser Argumentation gehören. Wir können somit (A1’) folgendermaßen präzisieren: (A1)
∀t∀x∀y (x erinnert sich um t an y → ∃t’ (t’ ist ein Zeitpunkt vor t & x kennt y um t’)).
3.1.2.3 Phaidon 73c4-d1: eine hinreichende Bedingung für Anamnesis Zu Beginn der Interpretation der Zeilen 73c4-d1 stellt sich die Frage, ob die von den Protaseis der Konditionalsätze in c4f. und c6-d1 ausgedrückte Bedingung – ich bezeichne diese Bedingung im folgenden als ›P‹ – eine notwendige oder eine hinreichende oder eine notwendige und hinreichende Bedingung für Anamnesis darstellen soll. Machen wir zur Beantwortung dieser Frage einen ersten Versuch, P zu paraphrasieren: x nimmt von y und von z um t derart Kenntnis,25 daß gilt: (i) x nimmt um t z als z wahr26 & 23 Vgl. »λέγουσιν πάντα ᾗ ἔχει« (73a8f.) und »ὀρθὸς λόγος« (73a10). 24 Es handelt sich um folgende Beispiele: Die Erinnerung an den Geliebten beim Anblick seiner Lyra (73d5-8); die Erinnerung an Kebes beim Anblick von Simmias (73d9); die Erinnerung an einen Menschen bei der Wahrnehmung einer Pferd- oder Lyra-Darstellung (73e5f.); die Erinnerung an Kebes beim Anblick einer Simmias-Darstellung (73e6f.); schließlich die Erinnerung an Simmias bei der Betrachtung einer Simmias-Darstellung (73e9-74a1). 25 Mit »[...] nimmt von y [...] derart Kenntnis« gebe ich »ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ« (c4f.) wieder (vgl. oben Anm. 20), mit »[...] nimmt von z [...] derart Kenntnis« die in dem Relativsatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« (c8) implizierte Annahme, daß x bei der Wahrnehmung von z Kenntnis von z hat, d. h. sich darüber im klaren ist, z wahrzunehmen. Vgl. zu dieser Annahme auch »μὴ μόνον ἐκεῖνο γνῷ« (c7) und »ἔγνωσαν τὴν λύραν« (d7) und dazu Ackrill, Anamnesis, S. 18 sowie Ebert, Sokrates als Pythagoreer, S. 34 und ders., Platon: Phaidon, S. 204. Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 258f.) zeigt an den Beispielen 73d9, 73e5f., 73e6f. und 73e9-74a1, daß der wahrgenommene Gegenstand z nicht als z wahrgenommen werden müsse, um x an y erinnern zu können. So zutreffend diese Feststellung ist (wenngleich sie nur für
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(ii) x denkt um t an y27 & (iii) das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt28 & (iv) das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt.29
Wie gesagt, diese Paraphrase ist bloß ein Ausgangspunkt zur Analyse von P und mag in wichtigen Punkten zu korrigieren sein. (Tatsächlich werden wir sie unten in den Punkten (iii) und (iv) korrigieren müssen.) Bevor ich versuchen werde, sie in einem Konditional oder einem Bikonditional unterzubringen, mit dem das von Sokrates in 73c4-d1 aufgestellte Prinzip paraphrasiert werden soll, ein Wort zum besonderen Gebrauch der Variablen »y« und »z« in der Paraphrase von P. Während die Variablen »x« und »t« in ihr wie üblich Platzhalter für singuläre und nur für singuläre Terme sind, fungieren die Variablen »y« und »z« zwar auch, aber nicht nur als Platzhalter für singuläre Terme. Man kann dies an exemplarischen Einsetzungsinstanzen der Satzschemata (i) und (ii) erläutern. Das Satzschema (i) »x nimmt um t z als z wahr« hat nicht nur Einsetzungsinstanzen wie »Anna nimmt um 13 Uhr am 4.6.2006 Philipp als Philipp wahr«, in denen an die Stelle von »z« ein singulärer Term (»Philipp«) tritt, sondern auch Einsetzungsinstanzen wie »Anna nimmt um 13 Uhr am 4.6.2006 ein gezeichnetes Pferd als gezeichnetes Pferd wahr«,30 in denen an die Stelle von »z« kein singulärer Term tritt (»ein gezeichnetes Pferd«). Das Satzschema (ii) »x denkt um t an y« hat entsprechend nicht nur Einsetzungsinstanzen wie »Anna denkt um 13 Uhr am 4.6.2006 an das Gleiche selbst«, in denen an die Stelle von »y« ein singulärer Term (»das Gleiche selbst«) tritt, sondern auch Einsetzungsinstanzen wie »Anna denkt
die Formulierung einer notwendigen Bedingung für Anamnesis relevant zu sein scheint, in 73c4d1 jedoch, wie Dancy [Plato’s Introduction of Forms, S. 256] selbst bemerkt, eine hinreichende Bedingung für Anamnesis formuliert wird), so klar geht aus den Formulierungen in 73c7 und 73d7 hervor, daß in 73d9 das Σιμμίαν γνῶναι, in 73e6 das λύραν γεγραμμένην γνῶναι und in 73e6f. sowie 73e9f. das Σιμμίαν γεγραμμένον γνῶναι eingeschlossen ist. Und ebenso klar ist es, daß man von einer Person nur dann sagen kann, sie erkenne (γιγνώσκει) Simmias bei der Wahrnehmung von Simmias, wenn sie sich darüber im klaren ist, daß sie Simmias wahrnimmt. Um ein berühmtes Beispiel anzuführen: Auch wenn die Person, die Oidipus am Dreiweg vor sich sieht, mit seinem Vater identisch ist, kann man nicht sagen, Oidipus erkenne seinen Vater; denn er ist sich nicht im klaren darüber, daß der Mann, den zu erschlagen er sich anschickt, sein Vater ist. Dafür, daß Oidipus das Prädikat »γιγνώσκει τὸν πατέρα« erfüllt, genügt es also – pace Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 259) – nicht, daß es ein beliebiges Prädikat »F« derart gibt, daß Oidipus Laios als F wahrnimmt (er nimmt ihn ja z. B. als streitlustigen alten Mann wahr). 26 Vgl. c6f.: »ἢ ἰδὼν ἢ ἀκούσας ἤ τινα ἄλλην αἴσθησιν λαβὼν«. Zum Zusatz »als z« vgl. die vorhergehende Anmerkung. 27 Vgl. c8: »ἐννοήσῃ«. 28 Vgl. c6/8: »ἕτερον [...] ἕτερον«. 29 Vgl. c8: »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη«. 30 Vgl. 73e5: »ἵππον γεγραμμένον ἰδόντα«.
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um 13 Uhr am 4.6.2006 an einen abstrakten Gegenstand«, in denen an die Stelle von »y« kein singulärer Term (»einen abstrakten Gegenstand«) tritt. Dieser Gebrauch der Variablen »y« und »z« in der Paraphrase von P hat Konsequenzen für die Lesart der in den folgenden Formalisierungen enthaltenen Quantorenphrasen. Sie sollten nicht gegenständlich gelesen werden (da in diesem Fall die Substitut-Bereiche der Variablen »y« und »z« auf Terme, die für bestimmte Gegenstände stehen, also singuläre Terme, beschränkt sein müßten), sondern sind substitutionell zu verstehen, also so, daß die Wahrheit der Quantifikation davon abhängt, ob – im Falle des Partikularisators »∃x« – einige oder – im Falle des Generalisators »∀x« – alle Sätze, die man erhält, wenn man die Quantorenphrase entfernt und für die Variable Ausdrücke einsetzt, die an dieser Stelle eingesetzt werden dürfen, wahre Aussagen ausdrücken. Beim Gebrauch der substitutionellen Quantifikation ist es unerläßlich, festzulegen, welche Klassen von einsetzbaren Ausdrücken (SubstitutKlassen) den einzelnen Variablen zugeordnet sind. Dafür sind wir auf die im Phaidon zur Exemplifikation des in 73c4-d1 formulierten Prinzips angeführten, oben in Anm. 24 aufgelisteten Beispiele angewiesen, die jedoch lediglich eine annähernde Festlegung der den Variablen zugeordneten Substitut-Klassen erlauben. Was die Substitut-Klassen von »y« und »z« angeht, haben wir aufgrund der Beispiele bereits festgestellt, daß zu ihnen nicht nur singuläre Terme, sondern auch Ausdrücke wie »ein gezeichnetes Pferd«31 gehören. Die Beispiele legen überdies nahe, daß nicht jeder singuläre Term zu den Substitut-Klassen von »y« und »z« gehört, z. B. nicht singuläre Terme, mit denen auf Propositionen Bezug genommen wird.32 Andererseits dürfen wir nicht so weit gehen, zu sagen, daß zu ihnen nur Ausdrücke gehören, mit denen wir auf konkrete Gegenstände Bezug nehmen (»Simmias«) oder diese beschreiben (»ein gezeichnetes Pferd«); schließlich soll für »y«, wie wir sehen werden, »das Gleiche selbst« einsetzbar sein, der Name eines abstrakten Gegenstands. Was die Substitut-Klassen von »x« und »t« angeht, so ist es klar, daß die Elemente ersterer Namen von Personen und die Elemente letzterer Namen von Zeitpunkten sind. Unter der Annahme, daß mit P eine notwendige Bedingung für Anamnesis angegeben werden soll, kann man das in 73c4-d1 formulierte Prinzip so paraphrasieren, daß man P in das Succedens folgender Subjunktion packt:
31 Dabei ist zu beachten, daß bei der Einsetzung solcher Ausdrücke für die Variablen »y« und »z« Kasusdifferenzen unerheblich sind. Es kann etwa für »y« in dem oben im Text folgenden Satz (A2*) sowohl »einem gezeichneten Pferd« als auch »ein gezeichnetes Pferd« eingesetzt werden, je nachdem, welcher Fall erfordert ist, um einen wohlgeformten Satz zu erhalten. 32 Keiner der Gegenstände der Erinnerung, die in Anm. 24 aufgeführt werden, kann wie eine Proposition durch Sätze ausgedrückt werden.
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(A2*) ∀t∀x∀y (x erinnert sich um t an y → ∃z (x nimmt um t von z Kenntnis & x nimmt um t von y Kenntnis & x nimmt z um t als z wahr & x denkt um t an y & das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt & das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt)).
(A2*) besagt nach der substitutionellen Lesart der in (A2*) enthaltenen Quantorenphrasen, daß es zu jeder Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2*) enthaltenen Satzschemas, die unter Beachtung der Festlegung der Substitut-Klassen der Variablen gewonnen worden ist und eine wahre Aussage ausdrückt, eine Instanz des im Succedens von (A2*) enthaltenen Satzschemas gibt, die aus der Einsetzung derselben Ausdrücke für dieselben Variablen sowie der Einsetzung eines zur Substitut-Klasse von »z« gehörenden Ausdrucks für »z« gewonnen worden ist und eine wahre Aussage ausdrückt. Man könnte gegen diese Paraphrase zunächst einwenden, daß in 73c4-d1 sicher nichts über deutsche Sätze und die Wahrheitswerte der von deutschen Sätzen ausgedrückten Aussagen ausgesagt werde und (A2*) schon deshalb als Paraphrase des in 73c4-d1 formulierten Prinzips untauglich sei. Da sich dieser Einwand auch gegen alle folgenden Paraphrase-Vorschläge, in denen substitutionelle Quantifikation benützt wird, erheben läßt, sei an dieser Stelle ein für alle Mal betont, in welchem Sinne von »Paraphrase« das in 73c4-d1 formulierte Prinzip mit den Paraphrase-Vorschlägen paraphrasiert werden soll. Damit wird für die Vorschläge nicht der Anspruch erhoben, daß sie das in 73c4-d1 formulierte Prinzip ausdrücken; der Anspruch ist bescheidener: sie sollen ein Prinzip ausdrücken, das mit dem in 73c4-d1 formulierten äquivalent ist. Leider ist das Prinzip, das der Satz (A2*) ausdrückt, falsch. Damit sind wir beim nächsten Einwand gegen (A2*). Nehmen wir an, Sokrates erinnert sich in der letzten Minute seines Lebens, t0, mit geschlossenen Augen33 und ohne sonstige Wahrnehmung an Theaitetos, so erhalten wir unter Beachtung der Festlegung der Substitut-Klassen der Variablen mit dem Satz Sokrates erinnert sich um t0 an Theaitetos
eine Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2*) enthaltenen Satzschemas, die eine wahre Aussage ausdrückt; doch gibt es keine Instanz des im Succedens von (A2*) enthaltenen Satzschemas, die durch Einsetzung von »Sokrates« für »x«, »t0« für »t«, »Theaitetos« für »y« und eines weiteren Ausdrucks für »z« gewonnen worden ist und eine wahre Aussage ausdrückt (es ist ja vorausgesetzt, daß Sokrates in der letzten Minute seines Lebens keine Wahrnehmung mehr macht). 33 Vgl. Tht. 163d10-12: »μέμνηται [...] μύσας«.
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Um die Annahme, daß mit P eine notwendige Bedingung formuliert werde, gegen diesen Einwand zu verteidigen, könnte man geltend machen, daß es in 73c4-d1 nicht darum gehe, eine notwendige Bedingung für sichan-etwas-Erinnern anzugeben, sondern darum, eine notwendige Bedingung für durch-etwas-an-etwas-Erinnertwerden anzugeben.34 Diese Replik wäre nicht bloß ad hoc: man könnte sich für sie auf die oben (Anm. 24) angeführten Beispiele, allesamt Fälle des durch-etwas-an-etwas-Erinnertwerdens, sowie auf den Ausdruck »ἀνάμνησίς τις« (»eine bestimmte Art von Erinnerung«) in 73e1 berufen und bereits »ἀνάμνησιν« in 73c5 im Sinne von »ἀνάμνησίν τινα« verstehen. Man erhielte dann anstelle von (A2*) den Satz (A2**) ∀t∀x∀y∀z (x wird um t durch z an y erinnert → x nimmt um t von z Kenntnis & x nimmt um t von y Kenntnis & x nimmt z um t als z wahr & x denkt um t an y & das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt & das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt).
Aber wir müssen das Beispiel des im Sterben liegenden Sokrates, der sich wahrnehmungslos an Theaitetos erinnert, nur geringfügig mit Information anreichern, um zu sehen, daß auch das von (A2**) ausgedrückte Prinzip unhaltbar ist. Wir brauchen lediglich anzunehmen, daß Sokrates in seiner letzten Minute, in intensive Kontemplation versunken, durch eine Person, die selbst bereits in diesem Moment ein Gegenstand seiner Erinnerung ist (z. B. Theodoros), an Theaitetos erinnert wird. Allgemein gesagt: Der Gegenstand, durch den ich an einen anderen erinnert werde, braucht von mir nicht wahrgenommen zu werden, sondern kann selbst schon ein Gegenstand des Erinnerns sein. Da mit dem Scheitern des Versuchs, P als notwendige Bedingung (sei es für sich-an-etwas-Erinnern, sei es für durch-etwas-an-etwasErinnertwerden) zu verstehen, auch das Scheitern des Versuchs besiegelt ist, P als hinreichende und notwendige Bedingung (sei es für sich-an-etwasErinnern, sei es für durch-etwas-an-etwas-Erinnertwerden) zu explizieren, müssen wir versuchen, P als hinreichende Bedingung zu verstehen, und zwar entweder als hinreichende Bedingung für sich-an-etwas-Erinnern oder als hinreichende Bedingung für durch-etwas-an-etwas-Erinnertwerden. Dafür, P als hinreichende Bedingung zu verstehen, spricht ja bereits Sokrates’ einleitende Bemerkung »Ἆρ’ οὖν καὶ τόδε ὁμολογοῦμεν, ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ, ἀνάμνησιν εἶναι;«, die nicht besagt, daß eine Kenntnis nur dann, wenn sie sich auf solche Weise einstel-
34 Vgl. Ebert, Sokrates als Pythagoreer, S. 33 und ders., Platon: Phaidon, S. 203.
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le, eine Erinnerung sei, sondern daß sie immer dann, wenn sie sich auf solche Weise einstelle, eine Erinnerung sei.35 Die nächste Frage ist dann, ob P als hinreichende Bedingung für sich-anetwas-Erinnern oder als hinreichende Bedingung für durch-etwas-an-etwasErinnertwerden intendiert ist. Diese Frage läßt sich im Rekurs auf den Wortlaut in c8-d1 »ἆρα οὐχὶ τοῦτο δικαίως λέγομεν ὅτι ἀνεμνήσθη, οὗ τὴν ἔννοιαν ἔλαβεν« leicht entscheiden; denn hier ist nicht davon die Rede, daß die wahrnehmende Person durch den wahrgenommenen Gegenstand an den Gegenstand, an den sie denkt, erinnert wird, sondern davon, daß sie sich an den Gegenstand, an den sie denkt, erinnert. Ich würde daher für die erste Lesart plädieren, derzufolge mit P eine hinreichende Bedingung für sich-an-etwas-Erinnern angegeben wird. (Auch in den folgenden Beispielen, mit denen das in c4-d1 formulierte Prinzip illustriert wird, ist davon die Rede, daß die wahrnehmende Person sich an etwas erinnert, nicht davon, daß sie durch etwas an etwas erinnert wird; vgl. 73d9, e6, e7, e10.) Unter Aufnahme dieser Lesart ist eine weitere wichtige Unterscheidung zu treffen. Es gibt Fälle des sich-an-etwas-Erinnerns, die vom Bewußtsein begleitet sind, daß man sich an etwas erinnert, und Fälle des sich-an-etwasErinnerns, die nicht von einem solchen Bewußtsein begleitet sind. Wenn Sokrates zu Beginn des Sophistes Theaitetos, mit dem er sich am Tag zuvor unterhalten hat, auf Anhieb wiedererkennt, so setzt diese Anagnorisis voraus, daß sich Sokrates an Theaitetos erinnert.36 Freilich ist die Erinnerung bei Sokrates nicht vom Bewußtsein begleitet, daß er sich an Theaitetos erinnert.37 Wenn ihm hingegen beim Anblick von Kebes Simmias ins Gedächtnis kommt und er an eine bestimmte Situation denkt, in der er mit Simmias zu tun gehabt hat, so ist er sich dessen bewußt, daß er sich an Simmias erinnert. Angesichts dieser Unterscheidung stellt sich die Frage, für welche Art von Erinnerung in 73c4-d1 eine hinreichende Bedingung angegeben werden soll. Die Antwort darauf läßt sich den folgenden Beispielen entnehmen, die dazu dienen, das in 73c4-d1 formulierte Prinzip zu exemplifizieren. Bei all diesen Beispielen handelt es sich um Fälle von bewußtem sich-an-etwasErinnern. Mithin ist anzunehmen, daß in 73c4-d1 eine hinreichende Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern formuliert werden soll. Wir können es dann mit folgender Paraphrase des in 73c4-d1 formulierten Prin35 Vgl. Gallop, S. 116. 36 Es versteht sich von daher, daß im Theaitetos (191d3-5) die Wachstafel als »Geschenk der Mnemosyne« und die Abdrücke darin als »μνημεῖα« bezeichnet werden (192a2, b6, 196a3, 209c6). 37 Insofern ist nicht klar, warum Ebert (Sokrates als Pythagoreer, S. 33 Anm. 35; wiederholt in ders., Platon: Phaidon, S. 203 Anm. 5) mit Allgemeingültigkeitsanspruch sagt, »daß zum Wiedererinnern das reflexive Bewußtsein gehört, daß wir uns wiedererinnern«.
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zips versuchen, in der P nicht im Succedens, sondern im Antecedens erscheint: (A2’) ∀t∀x∀y∀z (x nimmt um t von z Kenntnis & x nimmt um t von y Kenntnis & x nimmt z um t als z wahr & x denkt um t an y & das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt & das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt → x erinnert sich um t bewußt an y).
(A2’) besagt unter Voraussetzung der substitutionellen Lesart der Quantorenphrasen, daß jede Einsetzungsinstanz des Klammerinhalts von (A2’), die unter Beachtung der Festlegung der Substitut-Klassen der Variablen »t«, »x«, »y« und »z« gewonnen worden ist, eine wahre Aussage ausdrückt. Freilich scheint auch das mit (A2’) formulierte Prinzip falsch zu sein, und dies gleich aus mehreren Gründen, die ich im folgenden der Reihe nach erörtern möchte. Der am häufigsten wiederholte Einwand gegen das Prinzip bzw. mit ihm äquivalente Prinzipien lautet, daß das Antecedens von (A2’) keine hinreichende Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern ausdrücke, da in ihm die Bedingung fehle, daß der Gegenstand, an den sich die Person erinnern soll, ihr bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem sie bei der Wahrnehmung von etwas Anderem an ihn denkt, bekannt ist. In der Tat fragt sich, was im Antecedens von (A2’) sicherstellt, daß die Person zu dem Zeitpunkt, zu dem sie an den Gegenstand denkt, nicht zum ersten Mal von ihm Kenntnis nimmt. Die Schwierigkeit, an die ich denke, hat weder etwas mit Phantasiegebilden zu tun, die bei der Wahrnehmung eines Gegenstands frisch erfunden werden,38 noch mit bestimmten Gedanken, die jemand bei der Wahrnehmung eines Gegenstands erstmals faßt; denn wer Phantasiegebilde frisch erfindet, aktiviert damit keine Kenntnis (ἐπιστήμη39) eines bereits irgendwie vorhandenen Gegenstands40 (der allerdings nicht real zu sein braucht: ich kann auch von Odysseus, der literarischen Figur, Kenntnis haben), und was die erstmals gefaßten Gedanken betrifft, so machen die zur Exemplifi38 Vgl. Ackrill, Anamnesis, S. 22 und Bostock, Plato’s Phaedo, S. 63f. 39 Ebert (Platon: Phaidon, S. 205) betont zurecht, daß nicht nur die Wahrnehmung von z, sondern auch das Denken an y die Aktivierung einer Kenntnis (ἐπιστήμη) ist. Es ist mir allerdings unklar, warum sich Ebert dafür auf den Ausdruck »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« beruft und bemerkt: »Das kann man zwar auch so verstehen, daß hier von Unterschieden des Wissens ganz unabhängig von ›Wissensbesitzern‹ die Rede ist, aber nichts zwingt dazu. Der Text läßt sich zwanglos auch so verstehen, daß hier von einem anderen Wissen derselben Person die Rede ist«. Denn mit dem einleitenden »ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ, ἀνάμνησιν εἶναι;« wird doch ganz ausdrücklich gesagt, daß die Erinnerung an y die Aktivierung einer Kenntnis von y einschließt (vgl. auch Ebert, Platon: Phaidon, S. 212). 40 Der von Bostock (Plato’s Phaedo, S. 63f.) bemühte James Watt, der im Geiste eine Dampfmaschine konstruiert, erfüllt zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Bedingung, daß er irgendeine Dampfmaschine kennt. Es gibt zu diesem Zeitpunkt noch keine Dampfmaschinen.
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kation des in 73c4-d1 aufgestellten Prinzips angeführten Beispiele (vgl. oben Anm. 24) klar, daß zum Substitut-Bereich der Variablen »y« in (A2’) keine singulären Terme gehören, die auf Propositionen Bezug nehmen.41 Ich denke vielmehr an folgenden Fall. Nehmen wir an, die Person K. läuft zu einem bestimmten Zeitpunkt t1 an einem Strand entlang und erkennt im Sand bestimmte Fußspuren einer Person, die hier kurze Zeit vorher gegangen ist, ohne daß K. das mitbekommen hätte. K. hat nun von der Person, die die Spuren hinterlassen hat, so Kenntnis, daß sie beim Anblick der Spuren an etwas von diesen Spuren Verschiedenes, nämlich die Person, die sie hinterlassen hat, denkt. Sie hat aber keine Ahnung, wer die Spuren hinterlassen hat, bringt also die Spuren nicht mit einer bestimmten Person in Verbindung und erinnert sich daher auch nicht an eine bestimmte Person. Ferner scheint die Kenntnis der Spuren von der Kenntnis der Person verschieden zu sein – jedenfalls werden hier verschiedene Dinge zur Kenntnis genommen, und dies scheint zu genügen, die beiden Kenntnisse voneinander zu unterscheiden. Ist damit nicht erfüllt, daß folgende Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas: K. nimmt um t1 von Fußspuren Kenntnis & K. nimmt um t1 von der Person, die die Fußspuren hinterlassen hat, Kenntnis & K. nimmt Fußspuren um t1 als Fußspuren wahr & K. denkt um t1 an die Person, die die Fußspuren hinterlassen hat & das, was K. um t1 wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran K um t1 denkt & das, was K. um t1 wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran K. um t1 denkt
eine wahre Aussage ausdrückt? Nach (A2’) müßte nun auch die entsprechende Einsetzungsinstanz des im Succedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas, d. h. K. erinnert sich um t1 bewußt an die Person, die die Fußspuren hinterlassen hat
eine wahre Aussage ausdrücken.42 Dies ist jedoch nicht der Fall, da K. gar nicht weiß, um welche Person es sich handelt, die die Spuren hinterlassen hat, sich daher auch nicht an diese Person erinnert. Folglich wird mit (A2’) eine falsche Aussage gemacht. 41 Dancys Beispiel von Newton, der beim Anblick eines fallenden Apfels erstmals das Gravitationsgesetz erfaßt (vgl. Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 263), scheint mir insofern verfehlt zu sein. 42 Denn nur dann drückt die Einsetzungsinstanz von (A2’) »K. nimmt um t1 von Fußspuren Kenntnis & K. nimmt um t1 von der Person, die die Fußspuren hinterlassen hat, Kenntnis & K. nimmt Fußspuren um t1 als Fußspuren wahr & K. denkt um t1 an die Person, die die Fußspuren hinterlassen hat & das, was K. um t1 wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran K um t1 denkt & das, was K. um t1 wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran K. um t1 denkt → K. erinnert sich um t1 bewußt an die Person, die die Fußspuren hinterlassen hat« eine wahre Aussage aus.
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Man mag auf diesen Einwand erwidern, daß er auf einem Mißverständnis der Bedingung beruhe, die ich oben in der Paraphrase von P mit »das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt« paraphrasiert habe. Damit werde nämlich zur Bedingung erhoben, daß es möglich sein muß, von dem Gegenstand der Wahrnehmung Kenntnis zu nehmen, ohne dabei von dem Gegenstand der Erinnerung Kenntnis zu nehmen.43 Da man nun nicht von Spuren einer Person Kenntnis haben könne, ohne von der Person Kenntnis zu nehmen, die sie hinterlassen habe, drücke der Satz »das, was K. um t1 wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran K. um t1 denkt« keine wahre Aussage aus. Mithin drücke auch die oben angeführte Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas keine wahre Aussage aus. Es ist jedoch zweifelhaft, daß die mit »das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt« paraphrasierte Bedingung so zu verstehen ist, wie sie in dieser Erwiderung auf den Einwand erklärt wird. Ich werde mich unten mit dieser (von Ackrill eingeführten und seither häufig wiederholten) Erklärung genauer befassen; hier möchte ich nur so viel zu ihr anmerken: wäre die Erklärung richtig, so wäre P in dem Fall, daß jemand bei der Betrachtung einer Simmias-Darstellung an Simmias denkt, nicht erfüllt: man kann nicht von einem Porträt des Simmias Kenntnis nehmen, ohne dabei von Simmias Kenntnis zu nehmen. Genau dieser Fall wird jedoch als ein Beispiel für Anamnesis – und zwar für die Art von Anamnesis, die in c6-8 mit der hinreichenden Bedingung erläutert wird – in 73e9f. angeführt.44 Der Schlüssel zur Lösung des durch abduktive Schlüsse der oben beschriebenen Art aufgeworfenen Problems scheint mir eher in der Interpretation des an unserer Stelle vorausgesetzten ἐπιστήμη-Begriffs zu liegen (vgl. c4: »ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ«). Sicher, K., die die Spuren im Sand erblickt, weiß von der Existenz der Person, die die Spuren hinterlassen hat, und hat insofern eine unbestimmte ἔννοια von dieser Person. Aber kennt sie auch die Person, hat sie ἐπιστήμη von ihr? Das könnten wir doch nur dann behaupten, wenn sie wüßte, um welche Person es sich handelt. Das heißt: Wenn wir annehmen, daß eine notwendige Bedingung für die Kenntnis von einem Gegenstand darin liegt, zu wissen, worum es sich bei dem Gegenstand handelt, so müssen wir nicht annehmen, daß Fälle wie der eben betrachtete gemäß (A2’) als Fälle bewußten sich-an-etwas43 Vgl. Ackrill, Anamnesis, S. 21. 44 Ackrill (Anamnesis, S. 21) und Ebert (Sokrates als Pythagoreer, S. 35; Platon: Phaidon, S. 206) sind sich dieses Einwands gegen ihre Deutung von »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« durchaus bewußt (vgl. auch Gallop, S. 117f.). Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 259) scheint ihn mit der These umgehen zu wollen, daß der im Bild dargestellte Simmias nicht als solcher wahrgenommen werde. Diese These ist jedoch falsch; siehe oben Anm. 25.
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Erinnerns einzustufen sind.45 Unter dieser Annahme drückt der Satz »K. nimmt um t1 von der Person, die die Fußspuren hinterlassen hat, Kenntnis« keine wahre Aussage aus, und dasselbe gilt für die oben angeführte Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas. Die Annahme hilft uns freilich bei einer anderen Gruppe problematischer Fälle nicht weiter. K. liest zum Zeitpunkt t2 ein von einem für seine Zuverlässigkeit berühmten Historiker geschriebenes Buch über die Geschichte der Päpste und lernt dabei einen Papst nach dem anderen kennen. K. erfüllt die Bedingung, von etwas durch Wahrnehmung Kenntnis zu haben – Schriftzeichen – und dabei über etwas anderes in Kenntnis gesetzt zu werden, nämlich Päpste (wie gesagt, K. kann sich auf die Angaben des Historikers verlassen und bekommt eine genaue Kenntnis davon vermittelt, um wen es sich bei diesem oder jenem Papst handelt). Aber K. erinnert sich dabei durchaus nicht an alle in dem Buch beschriebenen Päpste, da sie zuvor von einigen – leider den meisten – nichts gehört hat, z. B. nichts von Papst Nikolaus V. In diesem Fall scheint folgende Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas eine wahre Aussage auszudrücken: K. nimmt um t2 von Schriftzeichen Kenntnis & K. nimmt um t2 von Papst Nikolaus V. Kenntnis & K. nimmt Schriftzeichen um t2 als Schriftzeichen wahr & K. denkt um t2 an Papst Nikolaus V. & das, was K. um t2 wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran K um t2 denkt & das, was K. um t2 wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran K. um t2 denkt.
Doch drückt leider die entsprechende Einsetzungsinstanz des im Succedens von (A2’) enthaltenen Satzschemas keine wahre Aussage aus: K. erinnert sich um t2 bewußt an Papst Nikolaus V.
Offenbar benötigen wir einen noch anspruchsvolleren ἐπιστήμη-Begriff, um durch (A2’) nicht gezwungen zu werden, auch solche Fälle als Fälle bewußten sich-an-etwas-Erinnerns einzustufen. Und es ist auch nicht schwer zu sehen, wie man zu einem solchen Begriff kommen kann. Gewiß, nach der Lektüre des Papst-Buchs kann sich K. glücklich preisen, jetzt die Päpste zu kennen (zumindest die, die sie nicht prompt wieder vergessen hat); andererseits ist die Behauptung, K. kenne den Papst Nikolaus V., abwegig, wenn wir sie in dem Sinne verstehen, daß K. mit ihm persönlich bekannt sei. Daß wir die Behauptung so verstehen können, zeigt die Verwendung von »kennen« in einer Frage wie »Kennst du denn K., von der du 45 Mit der Frage, ob er den mittleren der sich nähernden Jugendlichen – gemeint ist Theaitetos – erkenne (»ἀλλὰ σκόπει εἰ γιγνώσκεις αὐτόν« Tht. 144c3f.), erkundigt sich Theodoros danach, ob Sokrates den Jugendlichen identifizieren kann. Sokrates’ positive Antwort lautet entsprechend: »Γιγνώσκω· ὁ τοῦ Σουνιῶς Εὐφρονίου ἐστίν [...]« (Tht. 144c5).
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eben erzählt hast?«, mit der wir uns nach der persönlichen Bekanntschaft der befragten Person mit K. erkundigen. Diese zweite Verwendung von »kennen« im Sinne von »persönlich kennen« stößt uns auf die Bedingung, daß eine Person eine Sache aus eigener Anschauung kennen muß, um Kenntnis von ihr beanspruchen zu können. Könnten wir diese Bedingung machen, so wären wir aller Probleme ledig, was den Ausschluß der Erstmaligkeit der Kenntnisnahme von dem Gegenstand, an den sich die Person erinnern soll, angeht. Denn sie müßte die Anschauungskenntnis dieses Gegenstands vor dem Zeitpunkt erworben haben, zu dem sie sich an ihn erinnern soll, da ja vorausgesetzt ist, daß sie zu diesem Zeitpunkt einen anderen Gegenstand wahrnimmt. Doch ist die Annahme plausibel, daß eine so anspruchsvolle Bedingung wie die persönliche Bekanntschaft mit dem Gegenstand der Kenntnis in dem von Sokrates in 73c4-d1 vorausgesetzten Kenntnis-Begriff enthalten ist? Jedenfalls spricht keines der Beispiele, mit denen Sokrates das in 73c4d1 formulierte Prinzip im folgenden exemplifiziert (vgl. oben Anm. 24), gegen die Annahme. Vielmehr ist in allen diesen Beispielen impliziert, daß die sich erinnernde Person über eine in eigener Anschauung gründende Kenntnis des Gegenstands, an den sie sich erinnert, verfügt. Auch die Bemerkung, daß sich bei einer Erinnerung, die durch die Ähnlichkeit zwischen dem wahrgenommenen Gegenstand und dem Gegenstand der Erinnerung ausgelöst wird, ein Gedanke bezüglich des Grads der Ähnlichkeit einstelle (74a5-8), deutet auf die Voraussetzung hin, daß die sich erinnernde Person über eine in eigener Wahrnehmung gründende Kenntnis vom Gegenstand der Erinnerung verfügt. Vor allem spricht eine berühmte Menon-Stelle (97a9-b3) für die Annahme, daß in 73c4-d1 ein so anspruchsvoller Kenntnis-Begriff vorausgesetzt ist. Die Bemerkung an dieser Stelle scheint nämlich zu implizieren, daß man von einem Weg nur dann Kenntnis (ἐπιστήμη) hat, wenn man ihn bereits einmal gegangen ist, d. h. aus eigener Anschauung kennt (vgl. 97b2). Verallgemeinert man diese Bemerkung, so gelangt man zu dem Prinzip, daß eine Person nur dann Kenntnis von einer Sache hat, wenn sie sie aus eigener Anschauung kennt.46 Dieses Prinzip ist im übrigen keine platonische Idiosynkrasie, sondern so etwas wie ein Gemeinplatz im zeitgenössischen Denken.47 Wir begegnen ihm z. B. in Sophokles’ Oidipus Tyrannos (vv. 1110-1118) in dem Gespräch zwischen Oidipus und dem Chor46 Wohlgemerkt wird damit eine notwendige Bedingung für nicht-propositionale Kenntnis von etwas, keine notwendige Bedingung für das Wissen von Sachverhalten angegeben. Vgl. zu dieser Einschränkung Fine, Knowledge and True Belief, S. 45f. Fine (ebd., S. 45) bemerkt mit Blick auf die Menon-Stelle sicher zurecht: »[...] it does not follow that he (sc. Plato) takes all knowledge to require, let alone consist in, acquaintance.« 47 Vgl. Hintikka, S. 6f.
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führer, mit dem der Hirte des Laios eingeführt wird und in dem Oidipus seine mangelnde ἐπιστήμη des Hirten mangels eigener Anschauung einbekennt.48 Beachtet man also, daß in P die Kenntnis (ἐπιστήμη) des Gegenstands, an den bei der Wahrnehmung eines anderen Gegenstands gedacht wird, aufgenommen ist (mit »ὅταν ἐπιστήμη παραγίγνηται τρόπῳ τοιούτῳ« in c4f.), und beachtet man, was es nach dem in 73c4-d1 vorausgesetzten Kenntnis-Begriff bedeutet, von einer Sache Kenntnis zu haben, so wird klar, daß die Bedingung P eine der Erinnerung vorhergehende Anschauungskenntnis des Gegenstands, an den bei der Wahrnehmung eines anderen Gegenstands gedacht wird, impliziert und insofern nicht dem Einwand ausgesetzt ist, schon allein aufgrund des Fehlens der vorhergehenden Bekanntschaft mit dem Gegenstand keine hinreichende Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern zu sein. Freilich bereitet die Voraussetzung, daß der Gegenstand, an den bei der Wahrnehmung eines anderen Gegenstands gedacht wird, der wahrnehmenden Person aus eigener Anschauung bekannt ist, in der Anwendung von P auf die erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst Schwierigkeiten. Denn nur sinnlich wahrnehmbare Gegenstände scheinen einer Person aus eigener Anschauung bekannt sein zu können. Beim Gleichen selbst handelt es sich jedoch nicht um einen sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand. Das von (A2’) ausgedrückte Prinzip mag also gültig sein, doch scheint es uns nicht weiterzuhelfen, von bestimmten Personen zu zeigen, daß sie Erinnerung an das Gleiche selbst haben, da aufgrund des KenntnisBegriffs, der die eigene Anschauung vom Gegenstand der Kenntnis einschließt, keiner der Sätze Wahres ausdrückt, die aus der Einsetzung von »das Gleiche selbst« für »y« und anderer Terme für die übrigen Variablen in dem im Antecedens von (A2’) enthaltenen Satzschema resultieren. Man könnte sich zur Lösung dieser Schwierigkeit damit helfen, eine nicht-sinnliche Anschauung des Gleichen selbst zu postulieren.49 Dann ist es wichtig, daß die vorhergehende Bekanntschaft mit dem Gegenstand, an 48 Es handelt sich um folgende Passage (der relevante Satz findet sich in den Versen 1115f.): »ΟΙ. εἰ χρή τι κἀμὲ μὴ συναλλάξαντά πω, πρέσβεις, σταθμᾶσθαι, τὸν βοτῆρ’ ὁρᾶν δοκῶ, ὅνπερ πάλαι ζητοῦμεν. ἔν τε γὰρ μακρῷ γήρᾳ ξυνᾴδει τῶιδε τἀνδρὶ σύμμετρος, ἄλλως τε τοὺς ἄγοντας ὥσπερ οἰκέτας ἔγνωκ’ ἐμαυτοῦ· τῇ δ’ ἐπιστήμῃ σύ μου προὔχοις τάχ’ ἄν που, τὸν βοτῆρ’ ἰδὼν πάρος. ΧΟ. ἔγνωκα γάρ, σάφ’ ἴσθι· Λαίου γὰρ ἦν εἴπερ τις ἄλλος πιστὸς ὡς νομεὺς ἀνήρ.« 49 Und befände sich damit in guter Gesellschaft; vgl. zu den Vertretern einer nicht-sinnlichen Anschauung abstrakter Gegenstände Künne, Abstrakte Gegenstände, 4. Kapitel.
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den bei der Wahrnehmung eines anderen Gegenstands gedacht wird, in P lediglich impliziert ist. Anderenfalls wäre nicht zu erklären, warum die in 73c1-d1 formulierten Bedingungen für Anamnesis später so gebraucht werden, daß im ersten Schritt die erste innerweltliche Kenntnisnahme des Gleichen selbst bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Dinge aufgrund der mit P spezifizierten hinreichenden Bedingung als Erinnerung an das Gleiche selbst eingestuft und daraus im zweiten Schritt aufgrund eines der in 73c1f. formulierten notwendigen Bedingung entsprechenden Prinzips gefolgert wird, daß in der ersten innerweltlichen Kenntnisnahme vom Gleichen selbst bereits eine frühere Kenntnisnahme vom Gleichen selbst impliziert ist – diese Argumentation wäre absurd, wenn die vorhergehende Bekanntschaft mit dem Gleichen selbst expliziter Bestandteil der hinreichenden Bedingung für die Erinnerung an das Gleiche selbst wäre.50 * Ich habe mich bisher fast ausschließlich mit den Schwierigkeiten des Teils von P beschäftigt, den ich mit »x nimmt von y und von z um t derart Kenntnis, daß gilt: (i) x nimmt z um t als z wahr & (ii) x denkt um t an y« wiedergegeben habe. Nun möchte ich mich den beiden weiteren Bestandteilen von P, »ἕτερον [...] ἕτερον« und »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« zuwenden, die ich mit »(iii) das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt« und »(iv) das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt« paraphrasiert habe. Dabei will ich zunächst darauf aufmerksam machen, daß der Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« in der Reformulierung von P in 74c13d2 fehlt – ein Umstand, der manche Exegeten auf die Idee gebracht hat, diese Formulierung als Interpolation auszuscheiden.51 Doch selbst wenn 74c13-d2 ein unechter Zusatz sein sollte, bleibt die Schwierigkeit bestehen, daß zwar in dem Abschnitt 74b6-c6 ausführlich gezeigt zu werden scheint, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen verschieden ist – so zumindest die gängige Auffassung der Funktion des Abschnitts –, d. h. Teil (iii) von P im Falle unserer ersten innerweltlichen Kenntnisnahme vom Gleichen selbst erfüllt ist, jedoch ein entsprechender Nachweis dafür, daß die Kenntnis des Gleichen selbst von der der konkreten gleichen Dinge verschieden ist, also Teil (iv) von P erfüllt ist, zu fehlen scheint.52 50 Vgl. Ackrill, Anamnesis, S. 23 und Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 263f. 51 Vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 214. 52 Vgl. Gallop, S. 118. Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 272) sagt: »The difference (ARE) (sc. das Argument in 74a9-c6, BS) makes between the equal itself and any ordinary equal thing is so great that the two must be objects of different knowledges. And that is the instance of
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Da es unwahrscheinlich ist, daß an der späteren Stelle ein Bestandteil der früheren Formulierung von P einfach vergessen worden ist, liegt die Annahme nahe, daß der Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« gar keine weitere Bedingung ausdrückt, die zu den mit dem Konditionalsatz »ἐάν τίς τι ἕτερον ἢ ἰδὼν ἢ ἀκούσας ἤ τινα ἄλλην αἴσθησιν λαβὼν [...] ἕτερον ἐννοήσῃ« ausgedrückten Bedingungen hinzukommt, sondern der Explikation dieses Ausdrucks dient. Die oben vorgeschlagene Aufspaltung dieses Teils der Bedingung in (iii) und (iv) scheint daher irreführend zu sein.53 Welche Erklärung kann nun aber von dem Zusatz gegeben werden, die einschließt, daß er lediglich der Explikation des unmittelbar vorhergehenden Konditionalsatzes dient? Die von J. Ackrill54 aufgestellte, weithin mit Zustimmung55 aufgenommene These, daß er sicherstellen soll, daß in der Kenntnisnahme vom wahrgenommenen Gegenstand keine Kenntnisnahme vom Gegenstand, an den bei der Wahrnehmung des ersteren gedacht wird, enthalten ist, scheint mir dafür aus mehreren Gründen ungeeignet zu sein. (1) Der Zusatz drückt dieser These zufolge eine Bedingung aus, die nicht bereits in dem vom vorhergehenden Konditionalsatz ausgedrückten Gedanken impliziert ist.56 (2) Daraus, daß in der Kenntnisnahme vom wahrgenommenen Gegenstand keine Kenntnisnahme vom Gegenstand, an den bei dessen Wahrnehmung gedacht wird, enthalten ist, kann nicht gefolgert werden, daß in der Kenntnisnahme vom Gegenstand, an den bei der Wahrnehmung des wahrgenommenen Gegenstands gedacht wird, nicht die Kenntnisnahme von diesem impliziert ist. Doch kann daraus, daß die Kenntnis des wahrgenommenen Gegenstands von der Kenntnis des Gegenstands, an den bei der the Different Knowledge Clause we need«. Nüchtern betrachtet ist jedoch die Aussage, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen verschieden ist – die Konklusion in Dancys Rekonstruktion von (ARE) –, bestens verträglich mit der Aussage, daß die Wahrnehmung konkreter gleicher Dinge den Gedanken an das Gleiche mit sich führt (eben dies soll die »Different Knowledge Clause« laut Dancy [Plato’s Introduction of Forms, S. 261] ausschließen). 53 Vgl. die entsprechende Aufspaltung bei Ebert, Sokrates als Pythagoreer, S. 33 und ders., Platon: Phaidon, S. 204. 54 Vgl. Ackrill, Anamnesis, S. 21. 55 Vgl. z. B. Rowe, Plato: Phaedo, S. 165f.; Ebert, Sokrates als Pythagoreer, S. 34; ders., Platon: Phaidon, S. 204; Scott, S. 57. 56 Dieser Einwand erhebt sich auch gegen die von Burnet (S. 54) und Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 261) vertretene Auffassung, daß der Zusatz ausschließen solle, den gedanklichen Übergang zwischen Begriffen, die miteinander auf bestimmte Weise logisch verknüpft sind, als Wiedererinnerung einzustufen (vgl. Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 261: »If one’s awareness of goodness causes one to think of badness, Socrates would not necessarily count this as a case of one’s being reminded of badness by goodness, for the knowledge of the one carries with it the knowledge of the other«). Diese These ist auch aus dem Grund abzulehnen, daß wir von Begriffen keine Wahrnehmung (αἴσθησις) haben, mithin der Erinnerungsauslöser, von dem in 73c6f. die Rede ist, kein Begriff sein kann.
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Wahrnehmung des ersteren gedacht wird, verschieden ist, geschlossen werden, daß die Kenntnis des Gegenstands, an den bei der Wahrnehmung des wahrgenommenen Gegenstands gedacht wird, von der Kenntnis des wahrgenommenen Gegenstands verschieden ist. Ackrills Explanans verfehlt die Symmetrie der Verschiedenheitsrelation.57 (3) Ackrills Deutung des Zusatzes setzt einen zu schwachen Begriff von ἐπιστήμη voraus. Ihr zufolge hat eine Person bereits dann ἐπιστήμη von einer Sache, wenn sie etwas nicht wahrnehmen kann, ohne dabei an die Sache zu denken. Ich besitze z. B. bereits dann ἐπιστήμη von Platon, wenn ich das vor mir liegende Buch als Exemplar von Platons Politeia registriere. Aber sicher habe ich keine ἐπιστήμη von Platon in dem Sinn, in dem Sokrates und Simmias den Ausdruck verstehen: dazu fehlt mir die Bekanntschaft mit Platon.58 (4) Selbst wenn wir den von Ackrill zugrundegelegten ἐπιστήμη-Begriff akzeptieren, sollten wir nicht die These akzeptieren, daß uns ein wahrgenommener Gegenstand nicht an einen anderen Gegenstand erinnern könne, wenn es nicht möglich sei, den einen Gegenstand wahrzunehmen, ohne die Kenntnis des anderen zu aktivieren. Das unmittelbar als solches wahrgenommene Porträt des Simmias kann mich sehr wohl an Simmias erinnern, z. B. derart, daß es mir eine bestimmte Situation ins Gedächtnis ruft, in der sich Simmias auf für ihn charakteristische Weise verhalten hat.59 (5) Damit hängt die Schwierigkeit zusammen, daß das fünfte AnamnesisBeispiel in 73e9f. Ackrills Bedingung verletzt: das Porträt des Simmias wird als solches wahrgenommen, und darin ist der Gedanke an Simmias involviert.60 Die genannten Schwächen von Ackrills Deutung sind Grund genug, nach einer alternativen Interpretation des Zusatzes Ausschau zu halten. Für diesen Zweck scheint mir die Frage ein geeigneter Ausgangspunkt zu sein, in welchem Sinne die Bedingung der Verschiedenheit des Gegenstands der Wahrnehmung vom Gegenstand der Erinnerung zu verstehen ist (also die Bedingung »das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt«). Sie kann nämlich auf zwei Weisen verstanden werden: entweder de re in dem Sinne, daß das, was x um t wahrnimmt, von dem, woran x um t denkt, verschieden ist unabhängig davon, ob x die Gegenstände miteinander identifiziert oder sie voneinander unterscheidet, oder de dicto 57 Ackrill (Anamnesis, S. 21) weist auf die Asymmetrie der zur Erklärung vorgeschlagenen Relation selbst hin, setzt sich aber nicht mit dem entsprechenden Einwand auseinander, die Symmetrie der Verschiedenheitsrelation zu verfehlen. 58 Vgl. zu dieser Implikation des von Sokrates und Simmias vorausgesetzten ἐπιστήμηBegriffs die Bemerkungen oben im vorliegenden Abschnitt. 59 Vgl. dazu auch die Überlegung von Ebert, Platon: Phaidon, S. 206. 60 Vgl. oben Anm. 44.
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in dem Sinne, daß das, was x um t wahrnimmt, und das, woran x um t denkt, von x um t als unterschiedliche Gegenstände zur Kenntnis genommen werden. Betrachten wir zur Verdeutlichung des Unterschieds beider Explikationen folgendes Beispiel. Sokrates erkennt aus der Ferne einen Mann auf dem Marktplatz, der Simmias in manchen Hinsichten ähnlich ist, und erinnert sich bei dessen Anblick an Simmias. Er hält den Mann auf dem Marktplatz und Simmias für verschiedene Personen. Später stellt sich in einem Gespräch zwischen beiden heraus, daß Simmias mit der Person, die Sokrates damals auf dem Marktplatz sah, identisch gewesen sein muß. Sokrates war im Irrtum, als er annahm, daß der Mann auf dem Marktplatz eine andere Person als Simmias sei, an den er sich erinnerte.61 Nun zeigt dieses Beispiel, daß die faktische Verschiedenheit des wahrgenommenen Gegenstands und des Gegenstands, an den bei dessen Wahrnehmung gedacht wird, keine notwendige Bedingung dafür ist, daß sich die wahrnehmende Person an letzteren erinnert. In 73c4-d1 soll indessen eine hinreichende Bedingung dafür formuliert werden, daß sich die Person bei der Wahrnehmung von etwas an etwas erinnert. Wir müssen uns daher fragen (aus den oben angeführten Gründen voraussetzend, daß mit dem Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« keine zusätzliche Bedingung zu den von dem vorhergehenden Konditionalsatz ausgedrückten Bedingungen ausgesprochen wird): Ist es möglich, in (A2’) den Bestandteil »das, was x um t wahrnimmt, ist Gegenstand einer anderen Kenntnis als das, woran x um t denkt« wegzulassen und den Bestandteil »das, was x um t wahrnimmt, ist verschieden von dem, woran x um t denkt« de re im Sinne von »das, was x um t wahrnimmt, ist von dem, woran x um t denkt, verschieden unabhängig davon, ob x ersteres von letzterem unterscheidet oder nicht« zu verstehen, also (A2’) zu ersetzen durch (A2’’) ∀t∀x∀y∀z (x nimmt um t von z Kenntnis & x nimmt um t von y Kenntnis & x nimmt z um t als z wahr & x denkt um t an y & das, was x um t wahrnimmt, ist von dem, woran x um t denkt, verschieden unabhängig davon, ob x ersteres von letzterem unterscheidet oder nicht → x erinnert sich um t bewußt an y)?
61 Eberts Bemerkung »wenn ich Simmias sehe oder höre, kann ich nicht durch Simmias selbst an Simmias erinnert werden« (Sokrates als Pythagoreer, S. 34; wiederholt in ders., Platon: Phaidon, S. 204) ist übrigens nicht einmal dann zutreffend, wenn die Aussage der Protasis einschließt, daß ich mir bewußt bin, daß es Simmias ist, den ich sehe oder höre (leider scheint sie dies für Ebert nicht einzuschließen, wie seine folgende Bemerkung zeigt: »Wenn ich x sehe, aber nicht als solches erkenne [...]« [Sokrates als Pythagoreer, S. 34 und Platon: Phaidon, S. 204]). Denn ich kann z. B. durch den greisen Simmias an den jungen Simmias erinnert werden. Auch Eberts Behauptung, Simmias könne nicht durch ein Porträt seiner selbst an sich selbst erinnert werden (vgl. Sokrates als Pythagoreer, S. 35 und Platon: Phaidon, S. 206), ist entsprechend zu korrigieren: ein Porträt des jungen Simmias mag den greisen Simmias an den jungen Simmias erinnern.
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Daß mit (A2’’) etwas Falsches gesagt wird, kann man sich an folgendem Beispiel klarmachen. Simmias kommt zum Zeitpunkt t3 in Athen auf den Marktplatz und meint plötzlich, in der Ferne Sokrates zu erblicken. Was er nämlich erblickt, ist ein alter Mann, der sich mit ein paar Jugendlichen männlichen Geschlechts unterhält. Simmias täuscht sich freilich – der alte Mann ist nicht Sokrates, sondern ein Sokrates-Nachahmer. In diesem Fall drückt folgende Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2’’) enthaltenen Satzschemas eine wahre Aussage aus: Simmias nimmt um t3 von einem alten Mann Kenntnis & Simmias nimmt um t3 von Sokrates Kenntnis & Simmias nimmt einen alten Mann um t3 als einen alten Mann wahr & Simmias denkt um t3 an Sokrates & das, was Simmias um t3 wahrnimmt, ist von dem, woran Simmias um t3 denkt, verschieden, unabhängig davon, ob Simmias ersteres von letzterem unterscheidet oder nicht.
Die Frage ist nun, ob auch die entsprechende Einsetzungsinstanz des im Succedens von (A2’’) enthaltenen Satzschemas eine wahre Aussage ausdrückt: Simmias erinnert sich um t3 bewußt an Sokrates.
Dies ist nicht der Fall. Zwar muß sich Simmias an Sokrates erinnern, um den alten Mann auf Anhieb mit Sokrates identifizieren zu können, doch handelt es sich dabei nicht um ein bewußtes sich-an-Sokrates-Erinnern. Wandeln wir das Beispiel ein wenig ab. Simmias kommt auf den Marktplatz, erblickt einen alten Mann, der sich mit männlichen Jugendlichen unterhält, und fragt sich, ob dieser alte Mann Sokrates sei. In diesem Fall können wir sagen, daß sich Simmias, während er sich die Frage stellt, bewußt an Sokrates erinnert. Entscheidend scheint also nicht zu sein, daß der Gegenstand der Erinnerung vom Gegenstand der Wahrnehmung verschieden ist unabhängig davon, ob die Person, die von dem einen Gegenstand an den anderen erinnert wird, sie unterscheidet oder miteinander identifiziert; entscheidend scheint vielmehr zu sein, daß sie den Gegenstand, an den sie sich bewußt erinnert, nicht mit dem wahrgenommenen identifiziert. Es liegt daher unter dem Gesichtspunkt der Plausibilität der mit P angegebenen hinreichenden Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern nahe, »ἕτερον [...] ἕτερον« nicht de re in dem Sinne zu verstehen, daß der Gegenstand der Wahrnehmung und der Gegenstand der Erinnerung voneinander verschieden sind, unabhängig davon, ob die Person, die sich beim Anblick des einen Gegenstands bewußt an den anderen erinnert, sie unterscheidet oder miteinander identifiziert, sondern de dicto in dem Sinne, daß die Person den wahrgenommenen Gegenstand von dem Gegenstand, an den sie zum selben Zeitpunkt denkt, unterscheidet. Darin ist nämlich enthalten, daß sie sie nicht miteinander identifiziert. Wir erhalten dann folgende Para-
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phrase der in 73c4-d1 formulierten hinreichenden Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern: (A2)
∀t∀x∀y∀z (x nimmt um t von z Kenntnis & x nimmt um t von y Kenntnis & x nimmt z um t als z wahr & x denkt um t an y & das, was x um t wahrnimmt, scheint x um t von dem verschieden zu sein, woran x um t denkt → x erinnert sich um t bewußt an y).
(A2) besagt unter Voraussetzung der substitutionellen Deutung der Quantorenphrasen, daß jede Einsetzungsinstanz des Klammerinhalts von (A2), die unter Beachtung der Festlegung der Substitut-Klassen der Variablen gewonnen worden ist, eine wahre Aussage ausdrückt. Wandeln wir unser Beispiel entsprechend nochmals ab: Simmias kommt zum Zeitpunkt t4 auf den Marktplatz, erblickt einen alten Mann, der sich mit einer Gruppe von männlichen Jugendlichen unterhält, ruft sich in Erinnerung, wie sich der echte Sokrates verhält, und kommt zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Mann mit seinem affektierten Auftreten nicht um den echten Sokrates, sondern nur um einen der zahlreichen Sokrates-Nachahmer handeln könne. Wie im ersten Fall hat Simmias Pech, nur aus einem anderen Grund: es handelt es sich diesmal um den echten Sokrates, der seine Nachahmer nachahmt. In diesem Fall drückt folgende Einsetzungsinstanz des im Antecedens von (A2) enthaltenen Satzschemas eine wahre Aussage aus: Simmias nimmt um t4 von einem alten Mann Kenntnis & Simmias nimmt um t4 von Sokrates Kenntnis & Simmias nimmt einen alten Mann um t4 als einen alten Mann wahr & Simmias denkt um t4 an Sokrates & das, was Simmias um t4 wahrnimmt, scheint Simmias um t4 von dem verschieden zu sein, woran Simmias um t4 denkt.
Und die entsprechende Einsetzungsinstanz des im Succedens von (A2) enthaltenen Satzschemas Simmias erinnert sich um t4 bewußt an Sokrates
drückt ebenfalls eine wahre Aussage aus, da sich Simmias beim Anblick des alten Mannes in Erinnerung ruft, wie sich der echte Sokrates verhält. Obgleich die von Simmias um t4 wahrgenommene Person mit der identisch ist, an die er um t4 denkt, erinnert er sich an diese, weil er sie von der wahrgenommenen Person unterscheidet. Mithin drückt auch die Einsetzungsinstanz des Klammerinhalts von (A2) eine wahre Aussage aus. Der oben mit (iv) wiedergegebene Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« scheint nun genau die Funktion zu haben, die mit »ἕτερον [...] ἕτερον« ausgedrückte Verschiedenheit des wahrgenommenen Gegenstands und des Gegenstands der Erinnerung in dem Sinne zu explizieren, daß sie als verschiedene Gegenstände zur Kenntnis genommen werden. Entspre-
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chend dürfte die Bemerkung, daß die Kenntnis62 eines Menschen von der Kenntnis einer Lyra verschieden sei (73d3f.), in dem Sinne zu verstehen sein, daß ein Mensch und eine Lyra immer so zur Kenntnis genommen werden, daß sie nicht miteinander identifiziert werden. Vom Simmias des ersten Beispiels, der den wahrgenommenen alten Mann auf Anhieb mit Sokrates identifiziert, kann man nicht sagen, daß er mit der Wahrnehmung des alten Mannes die Kenntnis eines Gegenstands und mit dem Gedanken an Sokrates die Kenntnis eines weiteren Gegenstands, folglich eine weitere Kenntnis, aktiviert. Vielmehr aktiviert er die Kenntnis eines einzigen Gegenstands, den er simultan als alten Mann und Sokrates wahrnimmt. Der Simmias der beiden anderen Beispiele dagegen, der den alten Mann nicht unmittelbar mit Sokrates identifiziert, aktiviert mit der Wahrnehmung des alten Mannes und dem Gedanken an Sokrates verschiedene Kenntnisse, da ihm das, wovon er mit dem Gedanken an Sokrates Kenntnis nimmt, etwas anderes zu sein scheint als das, wovon er mit der Wahrnehmung des alten Mannes Kenntnis nimmt. Gäbe für die Verschiedenheit der Kenntnisse nicht die Tatsache den Ausschlag, daß die entsprechenden Gegenstände als verschiedene Gegenstände zur Kenntnis genommen werden, sondern die tatsächliche Verschiedenheit der Gegenstände, so wäre es unerklärlich, warum der erklärende Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« überhaupt gemacht wird und es in 73d3 anstelle von »ἄλλη που ἐπιστήμη ἀνθρώπου καὶ λύρας« nicht einfach heißt »ἄλλο που ἄνθρωπος καὶ λύρα«.63 Eine spätere Stelle im Phaidon scheint freilich gegen die These zu sprechen, daß die Nicht-Identifikation der zur Kenntnis genommenen Gegenstände für die Nicht-Identität der entsprechenden Kenntnisse hinreichend ist.64 Hier bemerkt Sokrates im Vorübergehen, daß sich dasselbe Wissen auf das Beste (τὸ ἄριστον καὶ τὸ βέλτιστον) und das Schlechtere (τὸ χεῖρον) beziehe.65 Behauptet er damit nicht, daß jemand vom Besseren und vom 62 Bei der Abgrenzung der ἐπιστῆμαι handelt es sich wohl nicht, wie Frede (Platons ›Phaidon‹, S. 49) vorschlägt, um die Abgrenzung von Akten der Kenntnisnahme. Denn man erwartet für den Akt einen anderen Ausdruck als »ἐπιστήμη«, z. B. »γνῶσις«. 63 Vgl. Gallop, S. 117: »If the knowledge of Cebes is different from that of Simmias, what makes it so? Not the mere fact that they are numerically distinct, for it would then be otiose to add the condition at all. It would be met automatically in any case where the thing thought of was numerically distinct from the thing perceived.« Gallop (ebd.) zieht darüber hinaus zur Erklärung des Satzes »ἄλλη που ἐπιστήμη ἀνθρώπου καὶ λύρας« in Erwägung, daß die ἐπιστήμη eines Menschen von der ἐπιστήμη einer Lyra verschieden sei, weil der Begriff des Menschen vom Begriff der Lyra verschieden sei, verwirft diese Deutung aber zurecht mit dem Argument, daß Simmias und Kebes unter ein und denselben Begriff – den Begriff des Menschen – subsumiert würden und die Kenntnisse von ihnen gleichwohl verschieden seien. 64 Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 261) beruft sich für seine Deutung (siehe oben Anm. 56) auf diese Stelle. 65 »τὴν αὐτὴν γὰρ εἶναι ἐπιστήμην περὶ αὐτῶν« (97d5).
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Schlechteren ein und dieselbe ἐπιστήμη haben kann, obwohl er das eine vom anderen unterscheidet? Er scheint dies in der Tat zu behaupten. Doch ist zu beachten, daß er sich mit dieser Aussage nicht auf ein und dieselbe Kenntnis von (de dicto) verschiedenen nicht-propositionalen Gegenständen, sondern auf ein und dasselbe Wissen von ein und demselben Sachverhalt bezieht. Denn was er sagen will, ist offenbar dies, daß das Wissen, daß a besser als b ist, identisch ist mit dem Wissen, daß b schlechter als a ist, da es – so kann man zur Begründung hinzufügen – ein und derselbe Gedanke ist, der von den Sätzen »a ist besser als b« und »b ist schlechter als a« ausgedrückt wird. Die Stelle impliziert somit eine hinreichende Bedingung für die Identität von propositionalem Wissen – das Wissen, daß p, ist mit dem Wissen, daß q, identisch, wenn mit »p« und mit »q« derselbe Gedanke ausgedrückt wird –, spricht aber nicht gegen die These, daß die Nicht-Identifikation der zur Kenntnis genommenen Dinge die Verschiedenheit der entsprechenden Kenntnisse verbürge. Für diese These scheint mir vielmehr auch zu sprechen, daß sie erklärt, warum der Zusatz »οὗ μὴ ἡ αὐτὴ ἐπιστήμη, ἀλλ’ ἄλλη« in der weiteren Argumentation keine Rolle mehr spielt. Er drückt nämlich, dieser These nach zu urteilen, tatsächlich nichts aus, was nicht bereits in der mit dem unmittelbar vorhergehenden Konditionalsatz ausgedrückten Aussage enthalten ist (davon abgesehen, daß wir nur dem Zusatz entnehmen können, daß auch in der Wahrnehmung von z eine ἐπιστήμη von z aktiviert wird; vgl. jedoch bereits »ἐκεῖνο γνῷ«). Vielmehr können wir der These zufolge im Antecedens von (A2) auf den Bestandteil (iv) verzichten, da er lediglich klarmacht, daß (iii) im Sinne von »das, was x um t wahrnimmt, wird von x um t von dem unterschieden, woran x um t denkt« zu verstehen ist (und in dieser Formulierung haben wir die von (iii) ausgedrückte Bedingung bereits im Antecedens von (A2) untergebracht). Fragt sich am Ende unserer Suche nach einer geeigneten Paraphrase des Prinzips, das Sokrates in 73c4-d1 aufstellt: Was hat die Suche für das Verständnis der Argumentation in 74b6-c6 erbracht? Nun, wir können mit der Paraphrase (A2) erklären, warum der Abschnitt 74b6-c6 nicht etwa zu der Folgerung führt, daß das Gleiche selbst von den wahrgenommenen gleichen Gegenständen verschieden ist, sondern zu der Folgerung, daß das Gleiche selbst Simmias von den wahrgenommenen gleichen Dingen verschieden zu sein scheint.66 Denn die faktische Verschiedenheit des Gleichen selbst und der wahrgenommenen gleichen Dinge ist für die Erfüllung der vom Antecedens von (A2) ausgedrückten hinreichenden Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern irrelevant. Entscheidend ist, daß es ›uns‹ – denen, 66 Vgl. oben die Einleitung zu dieser Untersuchung (3.1.1).
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die Kenntnis vom Gleichen selbst haben – so scheint, daß das Gleiche selbst von den wahrgenommenen gleichen Dingen verschieden ist.67 Zwar handelt es sich bei der Feststellung der Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände prima facie nur um ein von Simmias zur Zeit des Gesprächs gefälltes Urteil. Doch der Gedanke, aufgrund dessen er so urteilt (vgl. 74b7-10 und 74c1-3), ist eben der, den wir nach 75a1-3 haben, wenn wir bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände erstmals an das Gleiche selbst denken, d. h. der Gedanke, daß die konkreten gleichen Dinge auf gegenüber dem Gleichen selbst mangelhafte Weise gleich sind. Mit dem Verschiedenheitsurteil, das Simmias zur Zeit des Gesprächs fällt, wird also bloß die Verschiedenheitsannahme expliziert, die wir machen, wenn wir erstmals bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände auf den Gedanken an das Gleiche selbst kommen. Es scheint mir unter anderem auch deshalb irreführend zu sein, den bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände gefaßten Gedanken an das Gleiche selbst als Anwendung des Begriffs des Gleichen auf die konkreten gleichen Gegenstände zu charakterisieren.68 Erst der Vergleich zwischen dem unqualifizierten Gleichsein des Gleichen selbst und dem qualifizierten Gleichsein der konkreten gleichen Gegenstände bringt uns auf den Gedanken an das Gleiche selbst, und ein solcher Vergleich ist natürlich in 67 Vgl. auch die Einbettung des Ausdrucks »ἄλλο τι τῶν ὄντων« (74d10) in die Äußerung der wahrnehmenden Person (vgl. »ὃ νῦν ἐγὼ ὁρῶ« 74d10). 68 So jetzt wieder Ebert, Platon: Phaidon, S. 220 und Franklin. Franklin (S. 295) schreibt: »In the argument for recollection in the Phaedo, having a Form in mind describes the way properties are present to our thinking when we predicate them in ordinary speech and thought«. Der naheliegende Einwand, daß wir bei der Zuschreibung von Eigenschaften normalerweise nicht auf die zugeschriebenen Eigenschaften Bezug nehmen und die Rede von »having a Form in mind« in bezug auf unsere alltägliche Prädikationspraxis insofern selbst dann fragwürdig ist, wenn man (m. E. zu Unrecht) Formen mit Eigenschaften identifiziert, wird von Franklin mit der These beantwortet, daß wir laut Platon eine Form geistig präsent haben können, ohne von ihr zu wissen (vgl. S. 298: »[...] Plato thinks that we can have a Form in mind without knowing it«). Es ist jedoch offensichtlich, daß die in 73c4-d1 formulierte hinreichende Bedingung für bewußtes sichan-etwas-Erinnern das Bewußtsein vom Gegenstand der Erinnerung einschließt. Denn die Formulierung »μὴ μόνον ἐκεῖνο γνῷ« in 73c7 impliziert, daß die sich erinnernde Person nicht nur den wahrgenommenen Gegenstand, sondern auch den Gegenstand der Erinnerung γιγνώσκει, was nur dann der Fall ist, wenn sie von ihm Bewußtsein hat. Auch die von Sokrates angeführten Beispiele für Anamnesis (vgl. oben Anm. 24) bestätigen, daß die sich erinnernde Person des Gegenstands ihres Erinnerns bewußt ist. Franklin versucht zwar, den in 73e9f. erwähnten Beispielfall, daß sich jemand bei der Betrachtung eines Porträts von Simmias an Simmias erinnere, in Entsprechung zur Anwendung von Prädikaten zu deuten: »We have a sense impression of the picture, it triggers the memory of Simmias, and as a result we’re able to say of the picture, ›That’s Simmias.‹« (S. 296). Dagegen erhebt sich jedoch der Einwand, daß sich die übrigen Beispiele, in denen die Wahrnehmung von etwas die Erinnerung an etwas auslöst, gegen eine solche Deutung sperren und es weit eher wahrscheinlich ist, daß das vorliegende Beispiel analog zu den übrigen Beispielen zu verstehen ist: Ich identifiziere zunächst die im Bild dargestellte Person als Simmias und werde dadurch dazu bewogen, mir den realen Simmias zu vergegenwärtigen.
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der Anwendung des Begriffs des Gleichen auf die wahrgenommenen gleichen Gegenstände nicht impliziert – ich kann Steine als gleich groß charakterisieren, d. h. den Begriff des Gleichen auf sie anwenden, ohne dabei zu denken: »Die Steine sind auf eingeschränkte Weise gleich groß und unterscheiden sich dadurch vom Gleichen selbst«. Die Kenntnisnahme vom Gleichen selbst erfordert mehr als die Anwendung des Begriffs des Gleichen auf konkrete gleiche Gegenstände.69
3.1.3 Der Gebrauch beider Bedingungen in Phaidon 74a9-75c7 Wenden wir uns nun der Frage zu, welcher Gebrauch von den in 73c1f. und c4-d1 formulierten, mit (A1) und (A2) paraphrasierten Prinzipien zum Nachweis der außerweltlichen Präexistenz unserer Seelen gemacht wird. Zu erwarten ist, daß im ersten Schritt P unter Einsetzung von »das Gleiche selbst« für »y« als notwendige Bedingung dafür deklariert wird, daß wir zum ersten Mal als mit Körper ausgestattete Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nehmen, im zweiten Schritt aufgrund des mit (A2) paraphrasierten Prinzips gefolgert wird, daß unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst eine Erinnerung daran ist, und im dritten Schritt aufgrund des mit (A1) paraphrasierten Prinzips geschlossen wird, daß unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst die vorweltliche Kenntnis des Gleichen selbst voraussetzt. Der erste dieser drei Schritte bestünde in der Aufstellung einer These, die folgendermaßen paraphrasiert werden kann (wobei die Quantorenphrasen hier und in allen restlichen Formalisierungen dieser Untersuchung wieder substitutionell zu lesen sind): (A3)
∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → ∃y (x nimmt von y um t Kenntnis & x nimmt vom Gleichen selbst um t Kenntnis & x nimmt y um t als y wahr & x denkt um t an das Gleiche selbst & das, was x um t wahrnimmt, scheint x um t von dem verschieden zu sein, woran x um t denkt)).
(A3) ist eine Paraphrase der These, daß eine Person zum ersten Mal als eingekörpertes, über Wahrnehmung verfügendes Wesen vom Gleichen selbst in der Weise Kenntnis nimmt, daß sie von etwas, was sie vom Gleichen selbst unterscheidet, durch Wahrnehmung Kenntnis nimmt und dabei an das Gleiche selbst denkt. Obwohl diese These im Phaidon nicht explizit 69 Vgl. zur Kritik der These, daß im Phaidon der Versuch unternommen werde, den Gebrauch des Prädikats »ἴσον« mit der Erinnerung an das Gleiche selbst zu erklären, die überzeugenden Ausführungen von Scott (S. 53-73).
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aufgestellt wird, ist es klar, daß die Argumentation in 74b4-c10 die Aufgabe hat, sie zu rechtfertigen: (i) Daß für die erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst die Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände unabdingbar sei, wird in 74b4-670 behauptet und in 74c7-9 bekräftigt (dabei ist es klar, daß mit »ἐκεῖνο ἐνενοήσαμεν« b6 und »αὐτοῦ τὴν ἐπιστήμην ἐννενόηκάς τε καὶ εἴληφας« c8f. nicht unser schlechthin erstmaliger Gedanke an das Gleiche selbst gemeint ist, sondern der Gedanke an das Gleiche selbst, den wir erstmals als eingekörperte, wahrnehmungsfähige Wesen haben). (ii) Daß wir das Gleiche selbst dabei so zur Kenntnis nehmen, daß wir es von den wahrgenommenen gleichen Dingen unterscheiden, wird in 74b6-c6 am Beispiel von Simmias deutlich gemacht. Denn der Blick auf 74d4-7,71 75a1-372 und a11-b373 zeigt, daß der in 74b7-10 und c1-3 Simmias zugeschriebene Gedanke, aufgrund dessen er das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen unterscheidet, der ist, den jemand hat, der zum ersten Mal bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Dinge an das Gleiche selbst denkt: der Gedanke, daß die konkreten gleichen Dinge auf mangelhafte Weise gleich sind und das Gleiche selbst nicht auf mangelhafte Weise gleich ist. Insofern hat der Abschnitt 74b6-c6 die Funktion, die Verschiedenheitsannahme offenzulegen, die wir bei unserer ersten innerweltlichen Kenntnisnahme vom Gleichen selbst machen. Der zweite Schritt besteht in der Folgerung aus (A2) und (A3), die wie folgt paraphrasiert werden kann: (A4)
∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → x erinnert sich um t bewußt an das Gleiche selbst).
70 »Πόθεν λαβόντες αὐτοῦ τὴν ἐπιστήμην; ἆρ’ οὐκ ἐξ ὧν νυνδὴ ἐλέγομεν, ἢ ξύλα ἢ λίθους ἢ ἄλλα ἄττα ἰδόντες ἴσα, ἐκ τούτων ἐκεῖνο ἐνενοήσαμεν [...];« Ebert (Platon: Phaidon, S. 212) meint, daß an dieser Stelle »ἐπιστήμη« anders verwendet werde als in 73c4, nämlich zur Bezeichnung von dispositionalem Wissen, und mit »λαβόντες αὐτοῦ τὴν ἐπιστήμην« vom Erwerb solches Wissens die Rede sei. Doch würde die Stelle, so verstanden, in eklatanter Weise der These widersprechen, daß wir die Kenntnis des Gleichen selbst vor dem Gebrauch von Wahrnehmung erworben haben (75b4-6), so daß es geboten ist, den Ausdruck »Πόθεν λαβόντες αὐτοῦ τὴν ἐπιστήμην;« nicht auf den Erwerb der Kenntnis, sondern auf die erstmalige Kenntnisnahme vom Gleichen selbst im Hier und Jetzt zu beziehen. 71 »Τί δέ, ἦ δ’ ὅς· ἦ πάσχομέν τι τοιοῦτον περὶ τὰ ἐν τοῖς ξύλοις τε καὶ οἷς νυνδὴ ἐλέγομεν τοῖς ἴσοις; ἆρα φαίνεται ἡμῖν οὕτως ἴσα εἶναι ὥσπερ αὐτὸ τὸ ὅ ἐστιν, ἢ ἐνδεῖ τι ἐκείνου τῷ τοιοῦτον εἶναι οἷον τὸ ἴσον, ἢ οὐδέν;« 72 »[...] ὅτε τὸ πρῶτον ἰδόντες τὰ ἴσα ἐνενοήσαμεν ὅτι ὀρέγεται μὲν πάντα ταῦτα εἶναι οἷον τὸ ἴσον, ἔχει δὲ ἐνδεεστέρως.« 73 »Ἀλλὰ μὲν δὴ ἔκ γε τῶν αἰσθήσεων δεῖ ἐννοῆσαι ὅτι πάντα τὰ ἐν ταῖς αἰσθήσεσιν ἐκείνου τε ὀρέγεται τοῦ ὅ ἐστιν ἴσον, καὶ αὐτοῦ ἐνδεέστερά ἐστιν· ἢ πῶς λέγομεν; Οὕτως.«
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(A4) ist eine Paraphrase der These, daß eine Person zum ersten Mal als über Wahrnehmung verfügendes Wesen vom Gleichen selbst so Kenntnis nimmt, daß sie sich an es bewußt erinnert. Diese Folgerung wird zwar nicht explizit gezogen, doch in 74c13-d2 zu ziehen nahegelegt; denn die in diesen Zeilen enthaltene Reformulierung des mit (A2) paraphrasierten Prinzips hat offensichtlich die Funktion, darauf aufmerksam zu machen, daß, da bei der ersten innerweltlichen Kenntnisnahme vom Gleichen selbst die in dem Prinzip spezifizierte hinreichende Bedingung für bewußtes sich-an-etwasErinnern erfüllt ist (wie zuvor in 74b4-c10 gezeigt worden ist), in bezug auf jene Kenntnisnahme von bewußter Erinnerung an das Gleiche selbst die Rede sein kann.74 Nun ist es ein Leichtes, den dritten Schritt zu vollziehen und aus (A4) und dem (A1) entsprechenden Prinzip (A5)
∀t∀x∀y (x erinnert sich um t bewußt an y → ∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x nimmt um t’ Kenntnis von y))
zu schließen (A6)
∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → ∃t’’ (t’’ ist eine Zeit vor t & x nimmt um t’’ Kenntnis vom Gleichen selbst)).
(A6) ist eine Paraphrase der These, daß eine Person, die zu einem gegebenen Zeitpunkt erstmals als wahrnehmungsfähiges Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nimmt, bereits vor diesem Zeitpunkt vom Gleichen selbst Kenntnis genommen haben muß. Da der Zeitpunkt als der festgelegt ist, zu dem sie erstmals als wahrnehmungsfähiges Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nimmt, muß der vorhergehende Zeitpunkt vor ihrer Zeit als wahrnehmungsfähiges Wesen liegen. Und da wir gleich mit der Geburt über Wahrnehmung verfügen (vgl. 75b10f.), muß er vor der Geburt der Person liegen. Doch nimmt die folgende Argumentation wider Erwarten einen etwas verschlungeneren Weg zu der mit (A6) paraphrasierten These. Zunächst wird 74d4-8 mit implizitem Rekurs auf 74b7-c3 festgestellt, daß uns die 74 Insofern scheint mir 74c13-d2 eine wichtige Funktion für die Klärung des Zwecks der vorhergehenden Argumentation 74b4-c10 zu haben. Man wende gegen die Zeilen nicht ein, daß »hier bereits die Anamnesis für den Begriff des Gleichen selbst in Anspruch genommen wird, während dies doch erst nach längeren Argumenten an der Stelle 75e-76b vorgenommen wird« (Ebert, Platon: Phaidon, S. 214). Denn man könnte mit einem analogen Argument für die Athetese der in 75c4f. erreichten Konklusion plädieren, da diese doch recht eigentlich erst in 76c6-10 gezogen werde. Ferner ist es klar, daß die Anamnesis, von der in 75e-76b die Rede ist, eine Anamnesis propositionaler Lerninhalte ist (vgl. insbes. 76c4) und eine solche Anamnesis in (A4) offenbar nicht gemeint ist.
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konkreten gleichen Dinge nicht auf solche Weise gleich zu sein scheinen wie das Gleiche selbst (d. h. nicht so, daß sie niemals als ungleich erscheinen, vgl. 74c1-3), sondern auf im Vergleich dazu mangelhafte Weise (d. h. so, daß sie uns zuweilen als ungleich erscheinen, vgl. 74b7-9). Anschließend wird 74d9-e5 ein Prinzip ins Spiel gebracht, das folgendermaßen paraphrasiert werden kann: (A7)
∀t∀x∀y∀z (x nimmt z um t als z wahr & x erfaßt um t, daß z so sein will wie y, sich jedoch schlechter als y verhält → ∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x kennt um t’ y)).75
(A7) ist eine Paraphrase der These, daß eine Person, die zu einem gegebenen Zeitpunkt einen Gegenstand wahrnimmt und dabei denkt, daß er so sein will wie ein anderer Gegenstand, sich jedoch schlechter als dieser verhält, letzteren bereits vorher kennen muß. Diese These entspricht dem mit (A1) paraphrasierten Prinzip; nur ist im Antecedens an die Stelle des Gedankens an den Gegenstand der Erinnerung der Gedanke getreten, daß sich ein Gegenstand schlechter als ein anderer (wahrgenommener) verhält. Daß wir bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Dinge erfassen, daß sie so sein wollen wie das Gleiche selbst, sich jedoch schlechter als dieses verhalten, wird 74e6-8 mit Aufnahme von 74d4-7 festgestellt; daß darin aufgrund des mit (A7) paraphrasierten Prinzips eine vorhergehende Kenntnis des Gleichen selbst impliziert ist, wird in 74e9-75a4 gefolgert. Mit dieser Folgerung ist freilich noch nichts gewonnen. Denn noch ist nicht sichergestellt, daß sich unsere erste innerweltliche Kenntnisnahme vom Gleichen selbst so vollzieht, daß wir dabei den Gedanken haben, daß die konkreten gleichen Dinge so sein wollen wie das Gleiche selbst, sich jedoch schlechter als dieses verhalten. Mithin ist auch noch nicht sichergestellt, daß die Kenntnis vom Gleichen selbst, über die wir verfügen, bevor wir jenen Gedanken haben, nicht innerweltlich zustandegekommen ist. Dieses Resultat wird erst dank der Hinzunahme einer weiteren, in 75a5b2 formulierten Prämisse erreicht, derzufolge der erste innerweltliche Gedanke an das Gleiche selbst auf Wahrnehmungen beruht (75a5-876), die den 75 »Οὐκοῦν ὁμολογοῦμεν, ὅταν τίς τι ἰδὼν ἐννοήσῃ ὅτι βούλεται μὲν τοῦτο ὃ νῦν ἐγὼ ὁρῶ εἶναι οἷον ἄλλο τι τῶν ὄντων, ἐνδεῖ δὲ καὶ οὐ δύναται τοιοῦτον εἶναι [ἴσον] οἷον ἐκεῖνο, ἀλλ’ ἔστιν φαυλότερον, ἀναγκαῖόν που τὸν τοῦτο ἐννοοῦντα τυχεῖν προειδότα ἐκεῖνο, ᾧ φησιν αὐτὸ προσεοικέναι μέν, ἐνδεεστέρως δὲ ἔχειν;«. 76 »Ἀλλὰ μὴν καὶ τόδε ὁμολογοῦμεν, μὴ ἄλλοθεν αὐτὸ ἐννενοηκέναι μηδὲ δυνατὸν εἶναι ἐννοῆσαι ἀλλ’ ἢ ἐκ τοῦ ἰδεῖν ἢ ἅψασθαι ἢ ἔκ τινος ἄλλης τῶν αἰσθήσεων· ταὐτὸν δὲ πάντα ταῦτα λέγω.« Auch an dieser Stelle ist, wie bereits in 74b6, der relative Zeitpunkt des ἐννοῆσαι mit »τὸ πρῶτον« zu spezifizieren (vgl. unmittelbar zuvor 75a1: »τὸ πρῶτον [...] ἐνενοήσαμεν« und Ketchum, Knowledge and Recollection, S. 249), und es gilt dabei erneut zu beachten, daß keine notwendige Bedingung für unsere schlechthin erste Kenntnisnahme vom Gleichen spezifiziert wird (diese soll ja, wie wenige Zeilen später [75b4-8] behauptet werden wird, unabhängig
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Gedanken hervorrufen, daß die konkreten gleichen Dinge so sein wollen wie das Gleiche selbst, jedoch hinter ihm zurückbleiben (75a11-b377). Diese Prämisse – die in ihrer Funktion für die Argumentation offensichtlich der mit (A3) paraphrasierten Aussage entspricht – kann wie folgt paraphrasiert werden: (A8)
∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → ∃y (x nimmt y um t als y wahr & x erfaßt um t, daß y so sein will wie das Gleiche selbst, sich jedoch schlechter als das Gleiche selbst verhält)),
und es läßt sich nun aus den mit (A7) und (A8) paraphrasierten Aussagen eine Zwischenkonklusion ableiten, die folgende Paraphrase zuläßt: (A9)
∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → ∃t’’ (t’’ ist eine Zeit vor t & x kennt um t’’ das Gleiche selbst)).
Die mit (A9) paraphrasierte Zwischenfolgerung wird jedoch nicht ausdrücklich formuliert, sondern es wird unter Voraussetzung eines mit (A10) ∀t∀x∀y (x kennt um t y → ∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t oder eine Zeit = t & x nimmt um t’ von y Kenntnis))
paraphrasierbaren Prinzips unmittelbar auf die Aussage geschlossen, die ich oben mit
von der Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände stattgefunden haben), sondern eine notwendige Bedingung dafür, daß wir zum ersten Mal als wahrnehmungsfähige Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nehmen. Zu »μηδὲ δυνατὸν εἶναι ἐννοῆσαι« ist also etwa »ἡμῖν ἀρξαμένοις ὁρᾶν καὶ ἀκούειν καὶ τἆλλα αἰσθάνεσθαι« (vgl. 75b4f.) gedanklich zu ergänzen. 77 »Ἀλλὰ μὲν δὴ ἔκ γε τῶν αἰσθήσεων δεῖ ἐννοῆσαι ὅτι πάντα τὰ ἐν ταῖς αἰσθήσεσιν ἐκείνου τε ὀρέγεται τοῦ ὅ ἐστιν ἴσον, καὶ αὐτοῦ ἐνδεέστερά ἐστιν· ἢ πῶς λέγομεν; Οὕτως.« Ich folge in der Interpretation des Satzes Ketchum (Knowledge and Recollection, S. 250), der betont, daß mit ihm nicht absurderweise behauptet wird, daß jeder aufgrund von Wahrnehmung gefaßte Gedanke mit dem Gedanken, auf den mit dem ὅτι-Satz Bezug genommen wird, identisch ist, sondern daß wir aufgrund der Wahrnehmung, die uns dazu bringt, an das Gleiche selbst zu denken, notwendigerweise so an das Gleiche selbst denken, daß wir den von dem ὅτι-Satz bezeichneten Gedanken fassen. Entscheidend ist, daß die Stelle keine notwendige Bedingung dafür ausspricht, daß wir den vom ὅτι-Satz bezeichneten Gedanken erstmals fassen (so Scott, S. 61 in seiner Wiedergabe der Stelle: »But of course it’s from one’s sense perceptions that one must think that all the things in the sense perceptions are striving for that which is equal, yet are inferior to it [...]«), sondern eine hinreichende Bedingung dafür: »Aufgrund der Wahrnehmungen (dank denen wir innerweltlich erstmals zur Kenntnis des Gleichen selbst gelangen) freilich muß man denken, daß [...]«. Dies erklärt die von Scott als problematisch empfundene Tatsache, daß »Plato does not allow for the possibility that, first, one perception merely jogs us to think of the form (2), and then, later, another perception prompts us to compare it with the particulars (3)« (Scott, S. 63).
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses ∀t∀x (x verfügt um t über Wahrnehmung & x nimmt um t Kenntnis vom Gleichen selbst & ¬∃t’ (t’ ist eine Zeit vor t & x verfügt um t’ über Wahrnehmung & x nimmt um t’ Kenntnis vom Gleichen selbst) → ∃t’’ (t’’ ist eine Zeit vor t & x nimmt um t’’ Kenntnis vom Gleichen selbst))
paraphrasiert habe. Wie bereits dort gesagt, ist (A6) eine Paraphrase der These, daß eine Person, die zu einem gegebenen Zeitpunkt erstmals als wahrnehmungsfähiges Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nimmt, bereits vor diesem Zeitpunkt vom Gleichen selbst Kenntnis genommen haben muß – und damit bereits vor ihrer Zeit als wahrnehmungsfähiges Wesen, da vorausgesetzt ist, daß sie zu dem fraglichen Zeitpunkt zum ersten Mal als wahrnehmungsfähiges Wesen vom Gleichen selbst Kenntnis nimmt. Sie muß somit auch vor ihrer Zeit im Hier und Jetzt vom Gleichen selbst Kenntnis genommen haben, da sie im Hier und Jetzt von Anfang an über Wahrnehmung verfügt (75b10-c6). Machen wir uns die Argumentation78 an einem Beispiel abschließend klar und nehmen an, daß Simmias zum ersten Mal post natum um t5 vom Gleichen selbst Kenntnis genommen hat: (A8) versichert uns, daß diese Kenntnisnahme bei der Wahrnehmung konkreter Gegenstände stattgefunden haben muß, und sagt uns zugleich, welchen Gedanken Simmias dabei gehabt haben muß, und (A7) können wir entnehmen, daß Simmias das Gleiche selbst bereits vorher kennen muß, um den in (A8) spezifizierten Gedanken um t5 fassen zu können. (A10) liefert uns das Prinzip für den Schluß darauf, daß Simmias vorher vom Gleichen selbst Kenntnis genommen haben muß. Da aber die Annahme gemacht ist, daß Simmias um t5 zum ersten Mal post natum vom Gleichen selbst Kenntnis genommen hat, muß er bereits vor seiner Geburt vom Gleichen selbst Kenntnis genommen haben.
78 Sie scheint mir – mit Rowe (Plato: Phaedo, S. 173) und Scott (S. 62f.) und gegen Gallop (S. 129), Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 277) und Ebert (Platon: Phaidon, S. 220) – gültig zu sein.
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3.2 Zweite Untersuchung: Die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände 3.2.1 Einleitung Trotz der Vielzahl unterschiedlicher, teils weit auseinandergehender Interpretationen des Abschnitts Phaidon 74b6-c6 scheinen sich die Exegeten zumindest darin einig zu sein, daß er die These rechtfertigen soll, daß das Gleiche selbst (αὐτὸ τὸ ἴσον) nicht zur Klasse der konkreten Gegenstände gehört, welche – sei es in ihrer Länge, sei es in ihrer Größe, sei es in einer anderen quantitativ bestimmten Hinsicht – miteinander gleich sind (ταῦτα τὰ ἴσα 74c4), und daß es daher mit keinem der Elemente dieser Klasse identifiziert werden darf. K. W. Mills dürfte für die Mehrheit der Interpreten sprechen, wenn er zu Beginn seiner eingehenden Untersuchung des Abschnitts 74b6-c6 dem in ihm enthaltenen Argument folgende Form zuschreibt: All As possess the attribute S But B does not possess the attribute S: Therefore B is not to be identified with any A.79
Mithin soll das Argument ein Argument dieser Form sein: (P1)
∀x (Fx → Gx)
(P2)
¬Ga
(K)
∀x (Fx → x ≠ a).
Dabei ist freilich umstritten, welche Ausdrücke wir für die Platzhalter »G« und »a« einzusetzen haben, um eine zutreffende Paraphrase des Arguments zu erhalten. Die Einsetzung für »G« ist vor allem aus zwei Gründen kontrovers. Zum einen ist die Überlieferung an der für die Einsetzung für »G« in (P1) relevanten Stelle 74b8f. nicht eindeutig (ein Teil der Handschriften hat »τῷ μὲν ἴσα φαίνεται, τῷ δ’ οὔ«, ein anderer »τότε μὲν ἴσα φαίνεται, τότε δ’ οὔ«); zum anderen liefert uns 74c1f. für die Einsetzung für »G« in (P2) zwei Terme, nämlich »ἄνισά σοι ἐφάνη« und »ἀνισότης (σοι ἐφάνη)«, mit denen nicht nur nicht ein und dasselbe Prädikat zugeschrieben 79 Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, S. 128.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
zu werden scheint, sondern auch ein jeweils anderes Prädikat als mit den beiden Kandidaten für die Einsetzung für »G« in (P1), also »τῷ δ’ οὐ(κ ἴσα φαίνεται)« und »τότε δ’ οὐ(κ ἴσα φαίνεται)«. Die Einsetzung für den Platzhalter »a« ist umstritten, da uns der Text drei Terme gibt, die für »a« eingesetzt werden zu können scheinen, an der für die Einsetzung für »a« in (K) relevanten Stelle »αὐτὸ τὸ ἴσον« (74c4f.) und an der für die Einsetzung für »a« in (P2) relevanten Stelle »αὐτὰ τὰ ἴσα« (74c1) sowie »ἡ ἰσότης« (74c1). In der Diskussion um die Frage, wie sich diese Terme zueinander verhalten, ist insbesondere kontrovers, ob der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« dieselbe Referenz besitzt wie die Ausdrücke »αὐτὸ τὸ ἴσον« und »ἡ ἰσότης« (deren Koreferenz nicht bezweifelt wird), also der erste Satzteil von 74c1f. (»αὐτὰ τὰ ἴσα ἔστιν ὅτε ἄνισά σοι ἐφάνη«) überhaupt bei der Ausfüllung von (P2) zu berücksichtigen ist. Beantwortet man die Frage positiv, so hat man u. a. zu erklären, warum der merkwürdige Pluralausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« zur Bezeichnung der Form des Gleichen verwendet wird. Ein Großteil der Literatur zu 74b6-c6 ist denn auch der Frage nach der Bedeutung dieses Ausdrucks gewidmet.80 Blickt man auf die in der modernen Literatur zur Stelle ausgetragenen Kontroversen, so kann man mit gutem Recht sagen, daß sie nicht die Zuschreibung, sondern die Ausfüllung der oben dargestellten Argumentform betreffen. In dieser Untersuchung soll der Blick des Lesers dagegen auf das Problem der Zuschreibung der Argumentform gelenkt werden. Denn es scheint mir in zwei Hinsichten alles andere als offenkundig zu sein, daß die in 74b6-c6 enthaltene Argumentation diese Form hat. Das erste Bedenken (i) ergibt sich unmittelbar aus den Resultaten der ersten Untersuchung zu 74b6-c6 (3.1) und soll lediglich hier in der Einleitung kurz zur Sprache kommen. Das zweite Bedenken (ii) ist von diesen Resultaten unabhängig und soll in den anschließenden Abschnitten ausführlich entwickelt werden. (i) Unter der Annahme, daß das Argument diese Form hat, wäre angesichts der Vielzahl von Prädikaten, die den Formen im Phaidon beigelegt werden, um sie von den konkreten Dingen abzugrenzen, zu erwarten, daß von einem dieser Prädikate zur Begründung der Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge Gebrauch gemacht wird. Aus diesem Vorgehen würde ein Argument wie dieses resultieren: (P1*) ∀x (x ist ein konkreter gleicher Gegenstand → x ist sinnlich wahrnehmbar) (P2*) ¬das Gleiche selbst ist sinnlich wahrnehmbar (K*)
∀x (x ist ein konkreter gleicher Gegenstand → x ≠ das Gleiche selbst).
80 Ein sehr nützlicher Überblick über die betreffende Literatur findet sich in Löhr, S. 42-59.
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Da Sokrates und Simmias bereits in 65d9-e5 darin übereingekommen sind, daß keine der Formen sinnlich wahrgenommen werden kann, läge es durchaus nahe, die von (P2*) ausgedrückte Prämisse in Verbindung mit der evident wahren Prämisse, die (P1*) ausdrückt, zu verwenden. Doch wird in 74b6-c6 von keinem der Prädikate, mit denen die Formen generell von konkreten Gegenständen abgegrenzt werden, Gebrauch gemacht. Dies läßt sich leicht erklären, wenn wir an die in der ersten Untersuchung (3.1.2.3) getroffene Feststellung denken, daß in 74b6-c6 keineswegs, wie üblicherweise vorausgesetzt wird, begründet werden soll, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen verschieden ist, sondern deutlich gemacht werden soll, daß z. B. Simmias zu dem Zeitpunkt, zu dem er urteilt: »Die konkreten gleichen Gegenstände sind zuweilen erst gleich und dann ungleich; das Gleiche selbst dagegen ist niemals ungleich«, vernünftigerweise glaubt, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen verschieden ist. Da wir nämlich als eingekörperte Wesen zum ersten Mal an das Gleiche selbst derart denken, daß wir beim Anblick gleicher Dinge feststellen, daß sie so sein wollen wie das Gleiche selbst, jedoch hinter ihm zurückbleiben (vgl. 75a1-3, a11-b2), und der Abschnitt 74b6-c6 die Aufgabe hat, die in dieser Feststellung implizierte Unterscheidung des Gleichen selbst von den konkreten gleichen Gegenständen zu explizieren – um zu zeigen, daß ein Teil der in 73c4-d1 spezifizierten hinreichenden Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern erfüllt ist –, ist es klar, daß in der Explikation das Prädikat verwendet werden muß, hinsichtlich dessen geurteilt wird, daß die konkreten gleichen Dinge so sein wollen wie das Gleiche selbst, jedoch hinter ihm zurückbleiben (und nicht ein beliebiges anderes Prädikat, das dem Gleichen selbst qua Form zukommt). Daraus läßt sich auch ersehen, daß die verbreitete Annahme, es sei der Zweck der Argumentation in 74b6-c6, (K*) zu begründen, zumindest dahingehend modifiziert werden muß, es sei ihr Zweck, zu begründen, daß Simmias stellvertretend für jeden, der konstatiert: »Die konkreten gleichen Gegenstände sind zuweilen erst gleich und dann ungleich; das Gleiche selbst dagegen ist niemals ungleich«, vernünftigerweise (K*) annimmt. Aber auch diese Bestimmung des Zwecks der Argumentation scheint mir unbefriedigend zu sein, und zwar deshalb – womit ich zum zweiten Bedenken (ii) komme –, weil ich glaube, daß (K*) keine angemessene Wiedergabe der Verschiedenheitsthese ist, die Simmias vernünftigerweise bejaht, wenn er urteilt: »Die konkreten gleichen Gegenstände sind zuweilen erst gleich und dann ungleich; das Gleiche selbst dagegen ist niemals ungleich«. Mir scheint nämlich die Gegenthese zur Verschiedenheitsthese – aus Gründen, die sogleich deutlich werden, scheue ich mich, sie Identitätsthese zu nennen – nicht die zu sein, daß das Gleiche selbst mit einem bestimmten konkreten Gegenstand identisch ist (also nicht: »∃x (x ist ein konkreter
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
gleicher Gegenstand & x = das Gleiche selbst)«), sondern die, daß das Gleiche selbst das ist, was der generelle Term »gleich« bezeichnet, und dieser Term etwas bezeichnet, als das die konkreten gleichen Gegenstände mit dem Term »gleich« zutreffend charakterisiert werden können. Die mit der Verschiedenheitsthese bestrittene These scheint mir in der Überlegung zu gründen, daß wir, wenn wir eine wahre Aussage wie »Diese beiden Steine sind (in ihrer Länge) gleich« machen, mit dem Term »gleich« nicht auf weitere Gegenstände neben (παρά 74a11) den beiden Steinen Bezug nehmen, sondern so etwas (τοιόνδε) bezeichnen, als was die beiden Steine charakterisiert sind, und insofern auf die beiden Steine als gleiche Gegenstände Bezug nehmen. Wenn diese Interpretation, die ich im folgenden u. a. mit einer neuen Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« rechtfertigen möchte, zutreffend ist, so kann (K*) keine angemessene Paraphrase der Verschiedenheitsthese sein, da (K*) impliziert, daß es sich bei dem Gleichen selbst um ein Individuum handelt, und so seinen tatsächlichen Charakter als Gegenstand des Typs So etwas – etwas, das mehrere Individuen prädikativ sein können – verfehlt. Entsprechend wird in 74b6-c6 m. E. darauf hingewiesen, daß Simmias das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen insofern unterscheidet, als er annimmt, daß die konkreten gleichen Dinge nicht wirklich als so etwas charakterisiert sind, was der Term »gleich« bezeichnet. Diese Annahme ist ihrerseits auf die Annahme zurückzuführen, daß wir mit »gleich« Gleiches simpliciter, uneingeschränkt Gleiches bezeichnen, während die konkreten gleichen Dinge stets mit Einschränkungen gleich sind. Insofern nehmen wir, wenn wir mit dem generellen Term »gleich« unqualifiziert Gleiches bezeichnen, auf etwas von den konkreten gleichen Gegenständen Verschiedenes Bezug. Nun impliziert diese These eigentlich nur, daß es von den konkreten gleichen Gegenständen verschiedene Individuen gibt, die wirklich als so etwas charakterisiert sind, was mit dem Term »gleich« bezeichnet wird. Bei diesen Individuen könnte es sich z. B. um abstrakte mathematische Entitäten handeln. Doch werden im Phaidon keine abstrakten Individuen dieses Typs postuliert. Insofern liegt es nahe, mit Aristoteles zu folgern, daß das Gleiche selbst im Phaidon zwar als Gegenstand des Typs So etwas (τοιόνδε) eingeführt, jedoch infolge der Annahme, daß die konkreten gleichen Dinge nicht wirklich gleich sind, zugleich als Gegenstand des Typs Dieses (τόδε τι) angesetzt wird, der wirklich als so etwas, gleich, charakterisiert ist.81 Die folgenden Bemerkungen zu dem Argument sind viergeteilt. Im Abschnitt 3.2.2 lege ich dar, welchen Text samt Übersetzung ich der Interpretation von 74b6-c6 zugrundelege, und verteidige seine strittigen Lesarten 81 Vgl. zu Aristoteles’ These den Anhang zu dieser Untersuchung (3.2.6).
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gegen alternative Lesarten. Unter 3.2.3 versuche ich, den Gebrauch von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 zu erklären. Im Abschnitt 3.2.4 rekonstruiere ich, von dieser Erklärung ausgehend, das Argument für die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge. Unter 3.2.5 weise ich auf das Problem der Verwandlung des Gleichen selbst in einen Gegenstand des Typs Dieses hin. Ein Anhang zu Aristoteles’ Diagnose dieses Problems schließt die Untersuchung ab (3.2.6).
3.2.2 Phaidon 74b6-c6: Text und Übersetzung ἢ οὐχ ἕτερόν σοι φαίνεται (sc. αὐτὸ τὸ ἴσον ξύλων ἢ λίθων ἢ ἄλλων τινῶν ἴσων); σκόπει δὲ καὶ τῇδε. ἆρ’ οὐ λίθοι μὲν ἴσοι καὶ ξύλα ἐνίοτε ταὐτὰ ὄντα τοτὲ μὲν ἴσα 82 φαίνεται, τοτὲ δ’ οὔ; Πάνυ μὲν οὖν. Τί δέ; αὐτὰ τὰ ἴσα ἔστιν ὅτε ἄνισά σοι ἐφάνη, ἢ ἡ ἰσότης ἀνισότης; Οὐδεπώποτέ γε, ὦ Σώκρατες. Οὐ ταὐτὸν ἄρα ἐστίν, ἦ δ’ ὅς, ταῦτά τε τὰ ἴσα καὶ αὐτὸ τὸ ἴσον. Οὐδαμῶς μοι φαίνεται, ὦ Σώκρατες. Oder scheint es (sc. das Gleiche selbst) dir nicht verschieden zu sein (sc. von gleichen Hölzern oder gleichen Steinen oder sonstigen gleichen Dingen)? Betrachte die Sache auch auf folgende Weise. Scheinen dir nicht dieselben gleichen Steine und Hölzer zuweilen erst gleich und dann ungleich zu sein? Ganz bestimmt. Wie aber? Sind dir die Gleichen selbst jemals als ungleich erschienen, oder die Gleichheit als Ungleichheit? Noch nie, Sokrates. Diese gleichen Dinge und das Gleiche selbst sind also nicht dasselbe. Sie scheinen mir dies auf keinen Fall zu sein, Sokrates.
Vom Satz 74b7-9 sind zwei Versionen überliefert, die ihren Ursprung in verschiedenen antiken Rezensionen des Platon-Texts zu haben scheinen. Die Handschriften der ersten Familie (β) – deren prominentestes Mitglied der Clarkianus (B) ist, der von 895 datiert und damit der älteste der uns erhaltenen Codices mit dem Text des Phaidon ist – bieten folgenden Wortlaut: ἆρ’ οὐ λίθοι μὲν ἴσοι καὶ ξύλα ἐνίοτε ταὐτὰ ὄντα τῷ μὲν ἴσα φαίνεται, τῷ δ’ οὔ;
82 Konjektur Ebert (Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2). Ich begründe die Entscheidung für die Aufnahme der Konjektur am Ende dieses Abschnitts.
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Dagegen ist im Marcianus (T), dem einzigen Zeugen der zweiten Familie, sowie, mit einer Ausnahme, den Handschriften der dritten Familie (δ) dieser Wortlaut bezeugt: ἆρ’ οὐ λίθοι μὲν ἴσοι καὶ ξύλα ἐνίοτε ταὐτὰ ὄντα τοτὲ μὲν ἴσα φαίνεται, τοτὲ δ’ οὔ;
Mit »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ«, verstanden im Sinne von »dem einen Betrachter [...], dem anderen nicht«,83 und »τότε μὲν [...], τότε δ’ οὔ« (d. h. »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δ’ οὔ«), verstanden im Sinne von »erst [...], dann nicht«, werden zur Einschränkung des Gleichseins bzw. des als gleich Erscheinens der konkreten gleichen Gegenstände zwei verschiedene Arten von Qualifikationen eingeführt, die in der Sokrates-Diotima-Rede des Symposion (211a2-5) als Arten von Qualifikationen des Schönseins konkreter schöner Dinge zugleich, nebst anderen Arten von Qualifikationen, zur Sprache gebracht werden, indem das Schönsein des Schönen selbst als von diesen Qualifikationen frei gepriesen wird.84 Die Lesart der β-Familie genießt in der modernen Platon-Exegese einen Vorzug vor der Lesart des Marcianus und der δ-Familie (ohne freilich von denen, die sie letzterer vorziehen, jeweils auf dieselbe Weise erklärt zu werden).85 Dies ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, daß die zweite Lesart ebenso gut bezeugt ist wie die erste und zweifellos, wäre die erste nicht überliefert, von den meisten Interpreten als authentisch anerkannt werden würde; und es ist sogar nur schwer begreiflich, wenn man sich die Schwierigkeiten vor Augen führt, in die man mit der Aufnahme der ersten Lesart gerät. Klar zu sein scheint nämlich dies, daß ein Kontrast zwischen den Aussagen in 74b7-9 und c1f. angestrebt ist. Unklar ist jedoch, wie sich mit »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« ein solcher Kontrast erreichen läßt. Denn die in eine Frage gekleidete Aussage in c1f., daß αὐτὰ τὰ ἴσα Simmias noch niemals (οὐδεπώποτέ γε c3) als ungleich erschienen seien, sollte eigentlich in der Aussage ihren Widerpart finden, daß die konkreten gleichen Gegenstände Simmias zuweilen als nicht gleich (οὐκ ἴσα), d. h. ungleich86 erscheinen. 83 Nach einer anderen Deutung von »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« ist der Ausdruck von »ἴσα« abhängig zu machen (»gleich mit dem einen, [...] mit dem anderen nicht«). Ferner wird in der Literatur die These vertreten, daß »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« im Sinne von »τῇ μὲν [...], τῇ δ’ οὔ«, d. h. »in der einen Hinsicht, [...] in der anderen Hinsicht nicht« zu verstehen sei. Ich glaube nicht, daß es eine solche Verwendung von »τῷ μὲν [...], τῷ δὲ« gibt. Vgl. auch unten Anm. 86. 84 Vgl. 211a3 »οὐδὲ τοτὲ μέν, τοτὲ δὲ οὔ« und a4f. »ὡς τισὶ μὲν ὂν καλόν, τισὶ δὲ αἰσχρόν«. 85 Zu den Fürsprechern der zweiten Lesart gehören Tarrant (S. 125), Verdenius (S. 209f.), Dorter (S. 203), Dancy (Plato’s Introduction of Forms, S. 267 Anm. 22) und Ebert (Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2). 86 Der Term »οὐκ ἴσα« kann auf Dinge natürlich auch deshalb Anwendung finden, weil sie nicht die für das negierte Gleichsein relevante quantitative Bestimmtheit besitzen und insofern
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Stattdessen wird mit der Variante »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« in b7-9 entweder (nach der Deutung des Genus des Artikels als Maskulinum) gesagt, daß die konkreten gleichen Gegenstände zuweilen (ἐνίοτε) dem einen (τῷ μὲν) als gleich, dem anderen (τῷ δὲ) als ungleich erscheinen,87 oder (nach der Deutung des Genus des Artikels als Neutrum), daß sie zuweilen mit dem einen Gegenstand gleich und mit dem anderen Gegenstand ungleich zu sein scheinen. Weder aus der einen noch aus der anderen Interpretation der Lesart ergibt sich der erwünschte Kontrast zwischen b7-9 und c1f. Sehen wir zunächst, wie die Vertreter der ersten Interpretation diesem Einwand begegnen und den auf den ersten Blick nicht vorhandenen Kontrast herauszuarbeiten versuchen. Sie heben dazu hervor, daß das Pronomen »σοι« in c1 im Sinne von »dir oder sonst jemandem« zu verstehen sei:88 Die konkreten gleichen Gegenstände erscheinen zuweilen dem einen als gleich, dem anderen als ungleich; doch die gleichen Gegenstände selbst erscheinen Simmias oder sonst jemandem niemals als ungleich. Nun wird mit diesem Verständnis des Pronomens »σοι« in der Tat ein Kontrast zwischen den beiden Aussagen erreicht. Doch geschieht dies mit fragwürdigen Mitteln. Denn es ist kaum wahrscheinlich, daß das »σοι« in c1 etwas anderes bedeutet als das, was es sonst bedeutet, nämlich »dir«. Die Deutung von »σοι« im Sinne von »dir oder sonst irgend jemandem« wird nicht durch die durchaus zutreffende Feststellung legitimiert, daß das argumentum ad hominem, mit dem Sokrates Simmias deutlich zu machen sucht, daß er das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen unterscheidet,89 ein Argument ist, das sich genausogut an die Adresse eines jeden anderen richten läßt, der mit Simmias die beiden in b7-9 und c1f. formulierten Annahmen teilt und zum Kreis derer gehört, die sich mit dem »wir« in 74a9-b2 angesprochen fühlen auch nicht ungleich sind. Im Fall der konkreten gleichen Gegenstände impliziert das Nichtgleichsein jedoch das Ungleichsein, da sie in einer bestimmten Hinsicht (z. B. der Länge oder der Größe) als nicht gleich und somit ungleich erscheinen. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man »τῷ μὲν [...], τῷ δὲ« im Sinne von »τῇ μὲν [...], τῇ δὲ« versteht, d. h. die Hinsicht des Nichtgleichseins von der des Gleichseins verschieden sein läßt. Die Interpretation ist jedoch sprachlich nicht möglich (vgl. Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, S. 133f.). 87 Man könnte das Adverb »ἐνίοτε« auch so verstehen, daß es nicht das mit »erscheinen dem einen als gleich, dem anderen als nicht gleich« ausgedrückte Prädikat qualifiziere, sondern jedes der mit »erscheinen dem einen als gleich« und »erscheinen dem anderen als nicht gleich« ausgedrückten Prädikate. Wedin (αὐτὰ τὰ ἴσα, S. 197) rechtfertigt die zweite Interpretation damit, daß sie im Gegensatz zur ersten mit dem Bezug der Pronomina »τῷ μὲν« und »τῷ δὲ« auf ein und dieselbe Person verträglich sei und eben dies für den Kontrast mit 74c1, wo nur von einer einzigen Person (Simmias) die Rede sei, benötigt werde. Es ist jedoch offensichtlich, daß die Wahl der Ausdrücke »τῷ μὲν« und »τῷ δὲ« nur so sinnvoll erklärbar ist, daß mit ihnen der Bezug auf jeweils verschiedene Betrachter beabsichtigt ist. (Der Bezug auf verschiedene Betrachter verschwindet übrigens auch dann nicht, wenn wir den Zirkumflex weglassen und anstelle des Artikels das Indefinitpronomen lesen.) 88 Vgl. Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, S. 129f. und Plato’s Phaedo, 74b7-c6, part 2, S. 50. 89 Vgl. b6f.: »ἢ οὐχ ἕτερόν σοι φαίνεται; σκόπει δὲ καὶ τῇδε«.
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dürfen. Im Gegenteil scheint der Charakter des Arguments als an die Adresse von Simmias gerichtetes argumentum ad hominem zerstört zu werden, wenn in b7-9 nicht davon die Rede ist, wie die konkreten gleichen Dinge Simmias erscheinen, sondern davon, wie sie gewissen unbestimmten Personen (τῷ μὲν [...], τῷ δὲ) erscheinen. Und auch dann, wenn wir konzedieren, daß das Argument nicht zeigen soll, daß Simmias das Gleiche selbst von den wahrgenommenen gleichen Dingen unterscheidet, sondern daß jedermann, der vom Gleichen selbst Kenntnis hat, dieses von den wahrgenommenen gleichen Dingen unterscheidet, haben wir mit der Lesart »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« ein Problem. Denn die Aussage, daß die konkreten gleichen Gegenstände zuweilen dem einen als gleich und dem anderen als ungleich erscheinen, verträgt sich mit der Aussage, daß es jemanden gibt, dem die konkreten Gegenstände immer als gleich erscheinen. Wenn nun mit dem Argument gezeigt werden soll, daß jeder, der vom Gleichen selbst Kenntnis hat, dieses von den wahrgenommenen gleichen Dingen vernünftigerweise unterscheidet, wird dieses Ziel verfehlt; denn wenn in b6f. nicht ausgeschlossen wird, daß es jemanden gibt, dem die konkreten Gegenstände immer als gleich erscheinen, so schließt es auch nicht aus, daß es jemanden gibt, der das Gleiche selbst von den wahrgenommenen gleichen Dingen vernünftigerweise nicht unterscheidet. In den vorhergehenden Einwänden gegen die Lesart »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« habe ich vorausgesetzt, daß das Argument 74b6-c6 die Funktion hat, zu zeigen, daß das Gleiche selbst von den konkreten Gegenständen unterschieden wird, sei’s von Simmias, sei’s von jedermann, der vom Gleichen selbst Kenntnis hat. Meine Begründung dafür lautet, daß die in 73c4-d1 formulierte hinreichende Bedingung für bewußtes sich-an-etwas-Erinnern nicht die tatsächliche Verschiedenheit des die Erinnerung auslösenden Gegenstands und des Gegenstands der Erinnerung, sondern die Unterscheidung beider seitens der sich erinnernden Person einschließt. Nun mag man jedoch, aus welchen Gründen auch immer, die Voraussetzung bestreiten und stattdessen annehmen, daß das Argument zeigen soll, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Gegenständen verschieden ist. Unter dieser Annahme steht es freilich um das Argument, das man mit der Lesart »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« erhält, nicht besser. Denn daraus, daß die konkreten gleichen Gegenstände zuweilen dem einen als gleich erscheinen und dem anderen als ungleich, während die gleichen Gegenstände selbst niemals jemandem als gleich erscheinen, folgt nicht, daß die konkreten gleichen Gegenstände und das Gleiche selbst voneinander verschieden sind.
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Für die Unterscheidung von Gegenständen ist es unerheblich, wofür sie von bestimmten Personen gehalten werden.90 Wie ich bereits bemerkt habe, gibt es eine weitere Interpretation der Lesart »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ«, derzufolge das Genus des Artikels nicht als Maskulinum, sondern als Neutrum aufzufassen ist: »Scheinen nicht gleiche Steine und Hölzer zuweilen, obwohl sie dieselben sind, mit dem einen gleich und dem anderen ungleich zu sein?«91 Dieses Verständnis der Lesart unterscheidet sich vom ersten zudem dadurch, daß es nicht erlaubt, »λίθοι [...] ἴσοι« im Sinne von »λίθοι ἀλλήλοις ἴσοι« und entsprechend »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« zu verstehen (wie es die Wahl der Pluralausdrücke nahelegt92), und daß es fordert, vor »φαίνεται« gedanklich ein »σοι« zu ergänzen. Sehen wir von der Häufung sprachlicher Härten ab, die uns diese Interpretation zumutet (es scheint ebenso natürlich, »λίθοι [...] ἴσοι« im Sinne von »λίθοι ἀλλήλοις ἴσοι« und »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« zu verstehen, wie es natürlich scheint, »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« nicht mit »ἴσα«, sondern mit »φαίνεται« zu verbinden, zumal bei der Verbindung mit dem Pluralausdruck »ἴσα« eher »τοῖς μὲν [...], τοῖς δ’ οὔ« zu erwarten wäre), so gewahren wir auch bei ihr die Schwierigkeit des fehlenden Kontrasts zwischen den Aussagen in b7-9 und c1f. Denn mit der Aussage, daß die konkreten gleichen Dinge zuweilen mit dem einen (τῷ μὲν) gleich, mit dem anderen (τῷ δὲ) nicht gleich zu sein scheinen, sollte die Aussage kontrastieren, daß die ἴσα selbst niemals mit etwas ungleich zu sein scheinen. In c1f. wäre also die Frage: »αὐτὰ τὰ ἴσα ἔστιν ὅτε ἄνισά τῴ σοι ἐφάνη [...];« am Platz.93 Zudem ist unklar, was der Kontrast von »ἐνίοτε« und
90 Vgl. zu dieser Schwierigkeit die Einleitung zur ersten Untersuchung (3.1.1). Interpreten, die das »φαίνεται« zur Rettung des Arguments an ein »ἐστίν« zu assimilieren wünschen, tendieren verständlicherweise zur zweiten Deutung von »τῷ μὲν [...], τῷ δὲ«, die die Ausdrücke als Neutra von »ἴσα« abhängig macht. Vgl. z. B. Rowe, Plato: Phaedo, S. 169, der zusätzlich auf 74d6f. verweist, wo die Defizienz der konkreten gleichen Gegenstände gegenüber dem Gleichen selbst als Tatsache hingestellt werde (was jedoch keine korrekte Wiedergabe der Stelle ist: Sokrates fragt Simmias, ob sie defizient seien, und dieser stimmt zu). 91 Die Interpretation scheint erstmals von Heindorf erwogen worden zu sein (vgl. Verdenius, S. 210) und wurde später erneut von Murphy (S. 111 Anm. 1) vorgeschlagen. Sie erfreut sich in der jüngeren Literatur überraschenderweise großer Beliebtheit (vgl. z. B. Ketchum, Knowledge and Recollection, S. 244; Bostock, Plato’s Phaedo, S. 73-78; Rowe, Plato: Phaedo, S. 169; Silverman, The Dialectic of Essence, S. 321 Anm. 8; Gerson, Knowing Persons, S. 70f.). 92 Vgl. Verdenius, S. 210. 93 Man muß wohl froh sein, daß sie nicht überliefert ist; denn es ist zweifelhaft, ob ihr irgendein Sinn abzugewinnen wäre. Bostock, ein Vertreter dieser Deutung, räumt ein, daß sie sachlich prekär ist: »[...] the implied contrast with the form equality must now be that it is equal but not equal to anything, and surely this is a very peculiar idea. Since equality is a relation, we must surely say that nothing can be equal without being equal to something« (Plato’s Phaedo, S. 75), hält aber an ihr fest, da andere Stellen im Platonischen Corpus, vor allem R. V, 479b2-6, ebenfalls
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»Οὐδεπώποτέ γε« für eine Funktion haben soll; denn es scheint ja nicht nur zuweilen, sondern immer so zu sein, daß ein gleicher Gegenstand mit etwas gleich und mit etwas anderem ungleich ist.94 Ich hoffe, es ist deutlich geworden, daß wir uns mit der Lesart »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« eine Reihe von Schwierigkeiten einhandeln. Wir sollten daher fragen, ob wir uns mit der Variante »τότε μὲν [...], τότε δ’ οὔ«, d. h. »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δ’ οὔ« nicht leichter tun. Jedenfalls würde sie von den meisten Exegeten ohne Zweifel akzeptiert werden, wenn sie gleichsam außer Konkurrenz liefe. Denn der Kontrast zwischen dem ὡσαύτως ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἔχειν der Formen und dem ἄλλοτ’ ἄλλως καὶ μηδέποτε κατὰ ταὐτὰ ἔχειν der konkreten Dinge spielt im Phaidon bekanntlich auch sonst eine große Rolle (vgl. bes. 78d1-e5), und es wäre nicht verwunderlich, wenn er zum Zweck der Kontrastierung des Gleichen selbst mit den konkreten gleichen Gegenständen ins Spiel gebracht werden würde.95 Wenn sich denn ein Einwand gegen die Lesart erheben läßt, dann der, daß »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« nach »ἐνίοτε« überflüssig sei.96 Dieser Einwand ist jedoch nicht stichhaltig. Denn »ἐνίοτε« schränkt die Aussage des gesamten Satzes ein,97 und diese Einschränkung ist in der Tat notwendig, wenn wir bedenken, daß uns zwei Hölzer keineswegs immer erst gleich und dann ungleich zu sein scheinen. Wenn der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Inspektion kurz genug ist, können sie uns bei der zweiten Inspektion als genauso lang oder groß erscheinen wie bei der ersten Inspektion. Nur dann, wenn sich die Hölzer zwischenzeitlich, z. B. durch Bearbeitung, in der Länge oder Größe verändert haben, erscheinen sie uns bei der zweiten Inspektion als ungleich (vorausgesetzt, wir messen beide Male mit demselben Maß und auf akkurate Weise). Dies allein rechtfertigt den Zusatz des einschränkenden »ἐνίοτε« zur Genüge.98 Freilich liefert uns auch die Lesart »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« allein noch nicht den erwünschten Kontrast zwischen den Aussagen in b7-9 und c1f. Ihn erhalten wir erst dann, wenn wir im Anschluß an Ebert99 vor »φαίνεdas Mißverständnis relationaler Prädikate als ›eigentlich‹ nicht-relationale Prädikate erkennen ließen (vgl. ebd., S. 75-77). Vgl. auch Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, part 2, S. 54f. 94 Vgl. Verdenius, S. 210 und Gallop, S. 122. 95 Wie Verdenius (S. 209) zurecht hervorhebt. 96 Vgl. z. B. Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, S. 134. 97 Vgl. Verdenius, S. 209: »[...] it qualifies the whole sentence«. 98 Bostocks Argument gegen die Variante »τοτὲ μὲν [...] τοτὲ δὲ« (vgl. Bostock, Plato’s Phaedo, S. 74: »[...] if Plato had meant to make the point that perceptible things change whereas forms do not, he surely would not have chosen sticks and stones as his examples. No doubt stones do actually change over time, but very very slowly, and they certainly do not strike one as a natural example to illustrate the point that particular things may change in size«) scheint mir in Wirklichkeit nicht gegen sie zu sprechen, sondern gerade umgekehrt zu erklären, warum Platon den Zusatz von »ἐνίοτε« für notwendig gehalten hat. 99 Vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2.
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ται« ein »σοι« einfügen: »Die konkreten gleichen Dinge erscheinen Simmias zuweilen erst als gleich und dann als ungleich. Dagegen erscheinen die gleichen Gegenstände selbst Simmias niemals als ungleich.« Dabei gilt es zu beachten, daß nicht etwa »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ«, sondern »ἐνίοτε« mit »ἔστιν ὅτε« und »Οὐδεπώποτέ γε« kontrastiert100 und der Satz »Dagegen erscheinen die gleichen Gegenstände selbst Simmias niemals als ungleich« eine elliptische Formulierung für »Dagegen erscheinen die gleichen Gegenstände selbst Simmias niemals als ungleich« ist. Die Einfügung von »σοι« liefert uns zusammen mit der Aufnahme der Lesart »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« nicht nur den erwünschten Kontrast zwischen den Aussagen in b7-9 und c1f., sondern auch die Erklärung dafür, wie die Variante »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ« entstanden ist. Nach dem durch das vorhergehende »-σα« (in »ἴσα«) bedingten Ausfall von »σοι« vermißte man eine Angabe der Person, denen die konkreten gleichen Dinge als gleich bzw. als ungleich erscheinen, und konjizierte daher »τῷ μὲν [...], τῷ δ’ οὔ«.101 Dabei mag die irrtümliche Meinung, daß »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« nach »ἐνίοτε« überflüssig sei, ein Übriges getan haben.102 3.2.3 Das Gleiche selbst als Gegenstand des Typs So etwas: Zur Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« in Phaidon 74c1 Kaum ein im Phaidon verwendeter Ausdruck scheint in der neueren exegetischen Literatur so häufig und zugleich so unterschiedlich behandelt worden zu sein wie der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1. Diesen Eindruck kann man zumindest bei der Lektüre der Forschungsberichte von Dale (S. 386-388) und Löhr (S. 42-65) gewinnen, in denen das weite Spektrum der Deutungen des Ausdrucks sichtbar wird. Dale bringt zum Abschluß ihres Überblicks über die frühere Literatur die Schwierigkeit des Ausdrucks auf den Punkt und unterscheidet zwischen zwei grundlegenden Ansätzen zur Lösung der Schwierigkeit: »It is clear, then, that the problem posed by αὐτὰ τὰ ἴσα is its plural form. And the solutions are basically two: 1) Take the phrase as perforce equivalent to a singular on contextual grounds and attempt an apologia for the plural form; 2) Take the phrase as a decided plural and propose some plural referent for it.«103 100 Es scheint mir daher falsch zu sein, zugunsten von »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« auf das »ἔστιν ὅτε« 74c1 zu verweisen, wie es Tarrant (S. 125), Verdenius (S. 209) und Ebert (Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2) tun. 101 Vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 34 Anm. 2. 102 Verdenius (S. 209) hat sicher recht, wenn er die Variante »τοτὲ μὲν [...], τοτὲ δὲ« angesichts des vorhergehenden »ἐνίοτε« als »lectio difficilior« bezeichnet. 103 Dale, S. 388.
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Man könnte statt wie Dale von zwei auch von drei Lösungsansätzen sprechen und diese danach unterscheiden, ob sie erstens annehmen, daß αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα im Phaidon miteinander identifiziert werden, und, wenn ja, ob sie zweitens annehmen, daß der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« denselben Sinn104 hat wie »αὐτὸ τὸ ἴσον« und entsprechend mit der Formulierung »αὐτὰ τὰ ἴσα ἔστιν ὅτε ἄνισά σοι ἐφάνη;« dieselbe Frage gestellt wird wie mit der – eigentlich zu erwartenden – Formulierung »αὐτὸ τὸ ἴσον ἔστιν ὅτε ἄνισόν σοι ἐφάνη;«. Danach ergibt sich eine Dreiteilung der Lösungsansätze in (a) Deutungen, denen zufolge αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα im Phaidon nicht miteinander identifiziert werden, (b) Deutungen, denen zufolge αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα im Phaidon zwar miteinander identifiziert werden, jedoch der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« einen anderen Sinn hat als »αὐτὸ τὸ ἴσον« und nicht nur eine stilistische Variante von »αὐτὸ τὸ ἴσον« ist, und (c) Deutungen, denen zufolge αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα im Phaidon miteinander identifiziert werden und die Ausdrücke »αὐτὰ τὰ ἴσα« und »αὐτὸ τὸ ἴσον« denselben Sinn haben, also lediglich stilistische Varianten sind.105 Die Versuche der ersten Gruppe (a), den Gebrauch des Pluralausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« mit dem Postulat eines von der als »αὐτὸ τὸ ἴσον« bezeichneten Form des Gleichen verschiedenen Bezugsgegenstands von »αὐτὰ τὰ ἴσα« zu erklären, sind reich an Zahl und Phantasie. So hat man αὐτὰ τὰ ἴσα u. a. mit mentalen oder psychischen Repräsentationen der Form des Gleichen,106 mit idealen mathematischen Gegenständen,107 mit den partikularen Erscheinungsformen der Form des Gleichen108 (z. B. Sokrates’ Gleichheit im Unterschied zu Simmias’ Gleichheit), mit immanenten gleichen Eigenschaften109 (gleiche Größen, gleiche Längen) sowie mit Species der 104 Ich gebrauche hier »Sinn« so, wie Frege den Ausdruck in »Über Sinn und Bedeutung« einführt. 105 Mit dieser Trichotomie gehen einem zugegebenermaßen die Deutungen durchs Netz, denen zufolge der Gebrauch des Pluralausdrucks die Funktion hat, die Möglichkeit offenzuhalten, daß mehrere Dinge als »αὐτὸ τὸ ἴσον« bezeichnet werden können (vgl. Penner, The Ascent from Nominalism, S. 76f.). Dieser Verlust ist jedoch leicht zu verschmerzen, da vor wie nach 74c1 durchgehend von einem einzigen Gegenstand mit dem Namen »αὐτὸ τὸ ἴσον« die Rede ist und in diesem Zusammenhang die vorübergehende, unerklärt bleibende Einräumung der Möglichkeit, es gebe mehrere Gegenstände, die so bezeichnet werden können, ein obskurer Irrläufer wäre. 106 Vgl. zu dieser Deutung den anonym überlieferten, vormals Olympiodoros, von Westerink Damaskios zugeschriebenen Phaidon-Kommentar (§ 302): »Ὅτι ποτὲ μὲν ›ἴσον‹, ποτὲ δὲ ›αὐτὰ ἴσα‹ λέγει, ἢ εἰς τοὺς πολλοὺς ἀποβλέπων νόας, ὧν ἐν ἑκάστῳ τὸ αὐτοίσον, ἢ τὸ μὲν ἓν τῷ νῷ ἀποδοτέον, τὸ δὲ πεπληθυσμένον τῇ ψυχῇ· ἐν ταύτῃ γὰρ καὶ τὸ ἓν πολλὰ διὰ τὴν ἐν αὐτῇ πρὸς αὐτὴν ὑπόβασιν.« 107 Vgl. Burnet, S. 56; Ross, Plato’s Theory of Ideas, S. 23-25; Bluck, Plato’s Phaedo, S. 67 Anm. 3; Hackforth, S. 69 Anm. 2. 108 Vgl. Bluck, Plato’s Form of Equal, S. 5-11 sowie (zurückhaltend) Rowe, Plato: Phaedo, S. 170. 109 Vgl. Wedin, αὐτὰ τὰ ἴσα, S. 198f.
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Gleichheit110 (im Gegensatz zu αὐτὸ τὸ ἴσον als Gattung der Gleichheit) identifiziert. Auch wenn sich unter diesen Versuchen Schaustücke imponierender exegetischer Akrobatik finden,111 haben sie alle einen prinzipiellen Defekt: Warum sollten an einer Stelle, an der es um die Verschiedenheit von ταῦτα τὰ ἴσα und αὐτὸ τὸ ἴσον geht, neben ταῦτα τὰ ἴσα und αὐτὸ τὸ ἴσον weitere Gegenstände ins Spiel gebracht werden, ohne daß diese zu jenen in eine Relation gesetzt werden (und ταῦτα τὰ ἴσα und αὐτὸ τὸ ἴσον aufgrund der Verschiedenheit ihrer Relationen zu diesen weiteren Gegenständen voneinander unterschieden werden), ja ohne daß sie auch nur als weitere Gegenstände neben ταῦτα τὰ ἴσα und αὐτὸ τὸ ἴσον namhaft gemacht werden? Was sollte dieses Verfahren anderes stiften als Verwirrung? Auch das andere, an den Deutungen der dritten Gruppe (c) zu beobachtende Extrem, den Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« als stilistische Variante von »αὐτὸ τὸ ἴσον« zu explizieren, scheint mir unhaltbar zu sein. Dieses Extrem nimmt in der Literatur die Gestalt folgender Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« an.112 Aus der Beobachtung, daß man im Griechischen Phrasen wie »μανθάνειν τὸ ὅσιον« und »μανθάνειν τὰ ὅσια« (vgl. Euthphr. 15e6) sinnidentisch verwenden kann, wird geschlossen, daß Ausdrücke der Form »τὰ Φ« sinnidentisch mit entsprechenden Ausdrücken der Form »τὸ Φ« zur Bezeichnung von Formen verwendet werden können, z. B. »τὰ ὅσια« zur Bezeichnung derselben Form wie »τὸ ὅσιον«. Tatsächlich ist es ja die Frage nach der Form des Frommen,113 mit der Sokrates Euthyphron auffordert, ihn über τὰ ὅσια aufzuklären.114 Da nun »τὰ ἴσα« als mit »τὸ ἴσον« sinnidentischer Ausdruck zur Bezeichnung der Form des Gleichen gebraucht werden könne, liege die Annahme nahe, daß »τὰ ἴσα« zur Verdeutlichung des Bezugs auf die Form mit »αὐτὰ« versehen werde, so wie »τὸ ἴσον« zur Verdeutlichung des Bezugs auf die Form mit »αὐτὸ« versehen werde. Nach dieser Erklärung der Bildung von »αὐτὰ τὰ ἴσα« ist der Ausdruck nicht mehr und nicht weniger als eine stilistische Variante von »αὐτὸ τὸ ἴσον«. Mir scheint die Erklärung deshalb zu scheitern, weil, um beim Beispiel »μανθάνειν τὰ ὅσια« zu bleiben, der Ausdruck »τὰ ὅσια« hier zweifellos nicht für etwas von den konkreten frommen Handlungen oder Personen Verschiedenes steht. Wenn Sokrates von Euthyphron wissen will, welche Dinge τὰ ὅσια sind, will er wissen, welche konkreten Handlungen oder Personen τὰ ὅσια sind. Nun ist in einem Zusammenhang, in dem αὐτὸ τὸ 110 Vgl. Löhr, S. 60-64. 111 Ich denke vor allem an die subtile Untersuchung von Wedin, αὐτὰ τὰ ἴσα. 112 Vgl. Vlastos, Postscript to the Third Man, S. 91f.; Dale, S. 395; Smith, S. 98. 113 Vgl. Euthphr. 6e3f.: »ταύτην τοίνυν με αὐτὴν δίδαξον τὴν ἰδέαν τίς ποτέ ἐστιν [...]«. 114 Vgl. Euthphr. 12e3f.: »[...] ὡς ἱκανῶς ἤδη παρὰ σοῦ μεμαθηκότας τά τε εὐσεβῆ καὶ ὅσια καὶ τὰ μή«; 15e6f.: »[...] ὡς παρὰ σοῦ μαθὼν τά τε ὅσια καὶ μὴ [...]«.
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ἴσον gerade als etwas von den konkreten gleichen Gegenständen Verschiedenes bezeichnet werden soll, schwerlich zu erwarten, daß mit »τὰ ἴσα« ein Ausdruck zur Bezeichnung der Form des Gleichen verwendet wird, der üblicherweise gerade nicht zur Bezugnahme auf etwas von den konkreten gleichen Gegenständen Verschiedenes verwendet wird. Insofern kann die Verwendung von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 nicht im Rekurs auf Phrasen wie »μανθάνειν τὰ ὅσια« erklärt werden.115 Die Position, die ich im folgenden vertreten und rechtfertigen möchte, besagt, daß αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα im Phaidon miteinander identifiziert werden, aber die Ausdrücke »αὐτὸ τὸ ἴσον« und »αὐτὰ τὰ ἴσα« in unterschiedlichem Sinn gebraucht werden. Sie gehört somit zu den Deutungen der zweiten Gruppe (b), ist aber, soweit ich sehe, mit keiner der bisher vertretenen Deutungen dieser Gruppe identisch. Dabei denke ich an die folgenden beiden Erklärungen des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα«. Nach der einen Erklärung116 bedeutet er soviel wie »αὐτὸ τὸ ὑπὸ τοῦ ›ἴσα‹ σημαινόμενον« – mit »›ἴσα‹« werde auf das in 74b8 gebrauchte »ἴσα« Bezug genommen –, der zu dem Ausdruck »αὐτὸ τὸ ἴσα« verkürzt werde, aus dem seinerseits, unter Angleichung des Numerus des Reflexivpronomens und des Artikels an den Numerus von »ἴσα«, »αὐτὰ τὰ ἴσα« hervorgehe. Da nun die Vertreter dieser Erklärung von »αὐτὰ τὰ ἴσα« betonen, daß αὐτὸ τὸ ὑπὸ τοῦ »ἴσα« σημαινόμενον mit αὐτὸ τὸ ἴσον identifiziert werde, andererseits die Bezugnahme auf den generellen Term »ἴσα« in dem Ausdruck »αὐτὸ τὸ ὑπὸ τοῦ ›ἴσα‹ σημαινόμενον« dafür sorgt, daß dieser einen anderen Sinn hat als »αὐτὸ τὸ ἴσον« – mit »αὐτὸ τὸ ὑπὸ τοῦ ›ἴσα‹ σημαινόμενον« wird die Form des Gleichen als Designat des Ausdrucks »ἴσα« vorgestellt, mit »αὐτὸ τὸ ἴσον« nicht –, scheint es mir gerechtfertigt zu sein, diese Erklärung von »αὐτὰ τὰ ἴσα« zu den Deutungen der Gruppe (b) zu rechnen. Nach der anderen Erklärung117 liegt dem Gebrauch von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 eine spezifische Auffassung von Formen zugrunde, nämlich die Auffassung, Formen hätten die Funktion von Standards.118 Wie z. B. das Standardmeter so als Standard für einen Meter lange Gegenstände fungiere, daß alle Gegenstände genau dann einen Meter lang seien, wenn sie dieselbe Länge wie das Standardmeter hätten, fungiere die Form von miteinander gleichen Dingen so als Standard für miteinander gleiche Gegenstände, daß alle Gegenstände genau dann miteinander gleich seien, wenn sie die Eigen115 Vgl. zu weiteren Einwänden gegen diese Erklärung auch Wedin, αὐτὰ τὰ ἴσα, S. 195. 116 Vgl. Bostock, Plato’s Phaedo, S. 81-83 und Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 271 im Anschluß an Owen, Dialectic and Eristic, S. 114f. und Gallop, S. 124. 117 Vgl. Geach, S. 76; Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, part 2, S. 40-51; Malcolm, Plato on the Self-Predication of Forms, S. 120. 118 Eine sorgfältige Diskussion dieser Auffassung enthält Hägler, S. 25-31.
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schaft besäßen, die die Form von miteinander gleichen Dingen als einzige Form kontextfrei und/oder auf vollkommene Weise exemplifiziere. Die Form sei infolgedessen eine Gruppe von miteinander gleichen Gegenständen und werde mit dem Term »αὐτὰ τὰ ἴσα« als solche bezeichnet. Dieser Erklärung zufolge wird αὐτὸ τὸ ἴσον im Phaidon mit einer Gruppe gleicher Gegenstände (αὐτὰ τὰ ἴσα) identifiziert, doch der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« in einem anderen Sinn verwendet als »αὐτὸ τὸ ἴσον«, nämlich so, daß er die Form des Gleichen als eine Gruppe gleicher Gegenstände vorstellt, was der Ausdruck »αὐτὸ τὸ ἴσον« nicht tut. Keine der beiden Erklärungen der Gruppe (b) scheint mir so einfach zu widerlegen zu sein wie die zuvor besprochenen Deutungen der Gruppen (a) und (c), und sie haben beide ihr unbestreitbares Verdienst – die erste, auf die Verwendung von »ἴσα« in b8 hinzuweisen, die sicher die Wahl des Pluralausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« in c1 beeinflußt hat, die zweite, den Plural auch sachlich ernstzunehmen, ohne den vom Argument erforderten Bezug auf die Form des Gleichen zum Verschwinden zu bringen. Gleichwohl halte ich beide Erklärungen für problematisch; die erste deshalb, da sie im ersten Schritt der Bildung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« eine Konfusion des generellen Terms »ἴσα« mit dem, wofür er steht (αὐτὸ τὸ ἴσον), postulieren muß, die sich aufgrund des zweiten Schritts fatal auswirkt, da sie suggeriert, es handele sich bei dem, wofür der Term steht, um mehrere Entitäten – während er doch für eine einzige Entität, eben αὐτὸ τὸ ἴσον, stehen soll –, die zweite aus den oben in der Einführung (1.2.3) genannten Gründen, mit denen die Interpretation von Formen als Standards verworfen worden ist. Meine eigene, ebenfalls der Gruppe (b) zugehörige Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« vermeidet m. E. die Schwächen der beiden anderen Deutungen und bewahrt ihre Stärken. Ich werde sie im folgenden in vier Schritten darlegen. Ich mache zunächst (i) darauf aufmerksam, daß die Formen im Phaidon als die Gegenstände bestimmt sind, die in definitorischen Sätzen wie »τοῦτό ἐστι τὸ ὅσιον, τὸ τοῖς θεοῖς φίλον«119 von Ausdrücken des Schemas »τὸ Φ« bezeichnet werden, und daß unter diesen Sätzen solche sind, in denen solche Ausdrücke verallgemeinernd verwendet werden (wie in dem als Beispiel genannten Satz, der mit »τοῦτό ἐστιν ὃ ἂν ὅσιον ᾖ, ὃ ἂν τοῖς θεοῖς φίλον ᾖ«, »dies ist das, was fromm ist – das, was den Göttern lieb ist« paraphrasiert werden kann). Ich versuche dann (ii) zu erklären, warum letztere Sätze so verstanden werden, als nähmen in ihnen die Terme vom Schema »τὸ Φ« auf Formen Bezug, und führe dies auf die Auffassung zurück, daß Formen Gegenstände des Typs So etwas sind und ein Ausdruck vom Schema »τὸ Φ« so etwas (τοιόνδε) bezeichnet, als was Individuen mit dem entsprechenden Prädikat-Term »Φ« charakterisiert 119 Vgl. Euthphr. 15b4f.
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werden. Ferner (iii) hebe ich hervor, daß ein definitorischer Satz, in dem angegeben werden soll, als was Individuen mit dem im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« verwendeten generellen Term »ἴσα« b9 charakterisiert werden, den verallgemeinernd gebrauchten Plural-Ausdruck »τὰ ἴσα« enthalten muß und eben dies erklärt, warum die Form, auf die dieser Ausdruck bezogen wird, als »αὐτὰ τὰ ἴσα« bezeichnet wird. Schließlich (iv) beantworte ich die Frage, warum der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« gebrauchte Term »ἴσα«, obwohl er im Gegensatz zu dem mit einem Dativ zu ergänzenden Term »ἴσον ...« in verständlichen Sätzen von mehreren Gegenständen ausgesagt und somit anders als »ἴσον ...« verwendet wird, im Phaidon auf dieselbe Form wie »ἴσον ...« bezogen wird, d. h. αὐτὸ τὸ ἴσον und αὐτὰ τὰ ἴσα miteinander identifiziert werden (was wohlgemerkt nichts daran ändert, daß »αὐτὸ τὸ ἴσον« in einem anderen Sinn gebraucht wird als »αὐτὰ τὰ ἴσα«, da der eine Ausdruck die Form des Gleichen als Bezugsgegenstand des mit einem Dativ zu ergänzenden Terms »ἴσον ...«, der andere als Bezugsgegenstand des im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« gebrauchten Terms »ἴσα« vorstellt). (i) Sokrates definiert im Phaidon die Formen als Gegenstände, »denen wir das Siegel ›es selbst, was es ist‹ aufprägen, sei es in den Fragen, wenn wir fragen, sei es in den Antworten, wenn wir antworten«.120 Bei den Fragen (ἐρωτήσεις), von denen hier die Rede ist, dürfte es sich um Fragen der Form »τί ἐστι τὸ Φ;« handeln, z. B. »τί ἐστι τὸ ὅσιον;« (vgl. 75d1), und bei den Antworten (ἀποκρίσεις) um die Vorschläge, die zur Beantwortung dieser Fragen unterbreitet werden, z. B. »τοῦτό ἐστι τὸ ὅσιον, τὸ τοῖς θεοῖς φίλον« (vgl. Euthphr. 15b4f.). Demnach ist die Form des Gleichen im Phaidon als der Gegenstand bestimmt, auf den wir in der Frage »τί ἐστι τὸ ἴσον;« und in den Antworten auf sie, definitorischen Sätzen vom Schema »τὸ ἴσον ἐστὶ τὸ Φ«, mit »τὸ ἴσον« Bezug nehmen. Ob wir auch mit dem zweiten, als Definiens gewählten Ausdruck vom Schema »τὸ Φ« auf das Gleiche Bezug nehmen, hängt davon ab, ob die Definition wahr oder falsch ist. Ist sie wahr, so nehmen wir mit ihm in der Tat auf das Gleiche selbst Bezug; ist sie falsch, so nehmen wir auf eine andere Form Bezug. Auf jeden Fall wird aber nach dieser Lesart von definitorischen Sätzen vom Schema »τὸ ἴσον ἐστὶ τὸ Φ« mit beiden Ausdrücken, »τὸ ἴσον« und dem als Definiens gewählten Ausdruck, auf Formen Bezug genommen. Nun genügt ein Blick auf die Definitionspraxis in früheren Dialogen wie dem Euthyphron oder dem Hippias maior, um zu sehen, daß in definitorischen Sätzen Ausdrücke vom Schema »τὸ Φ« häufig verallgemeinernd 120 75d2f.: »[...] οἷς ἐπισφραγιζόμεθα τὸ αὐτὸ ὅ ἐστι καὶ ἐν ταῖς ἐρωτήσεσιν ἐρωτῶντες καὶ ἐν ταῖς ἀποκρίσεσιν ἀποκρινόμενοι« (mit Burnets Konjektur »τὸ αὐτὸ« für das überlieferte »τοῦτο«, vgl. R. VII, 532b1). Vgl. auch 78d1f.
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verwendet werden, d. h. so, daß man sie sinnwahrend durch Ausdrücke der Form »ὃ ἂν Φ ᾖ« ersetzen kann.121 Wenn z. B. Euthyphron auf die Frage, was das Fromme sei, entgegnet: »ἔστι τοίνυν τὸ μὲν τοῖς θεοῖς προσφιλὲς ὅσιον, τὸ δὲ μὴ προσφιλὲς ἀνόσιον« (6e10-7a1), so meint er damit, daß das, was den Göttern lieb ist, das ist, was fromm ist, und daß das, was ihnen nicht lieb ist, das ist, was unfromm ist.122 Obgleich es klar ist, daß die Ausdrücke »τὸ τοῖς θεοῖς προσφιλές« und »(τὸ) ὅσιον«,123 wenn sie im Sinne von »ὃ ἂν τοῖς θεοῖς προσφιλὲς ᾖ« und »ὃ ἂν ὅσιον ᾖ« verallgemeinernd gebraucht werden, nicht zur Bezeichnung von etwas verwendet werden, ist es genauso klar, daß der Satz »ἔστι τοίνυν τὸ [...] τοῖς θεοῖς προσφιλὲς ὅσιον« im Euthyphron so verstanden wird, als würde in ihm mit den Ausdrücken »τὸ [...] τοῖς θεοῖς προσφιλές« und »(τὸ) ὅσιον«124 auf Formen Bezug genommen (auf ein und dieselbe, wenn er eine wahre Aussage ausdrückt; auf verschiedene, wenn er eine falsche ausdrückt). Denn mit dem Satz soll ja gesagt werden, um welche Form es sich bei der Form handelt, dank der die frommen Dinge fromm sind (vgl. 6e3-6). Wir können daher annehmen, daß auch im Phaidon definitorische Sätze, in denen Ausdrücke vom Schema »τὸ Φ« verallgemeinernd im Sinne von Ausdrücken der Form »ὃ ἂν Φ ᾖ« gebraucht werden, so verstanden werden, als würde in ihnen mit solchen Ausdrücken auf Formen Bezug genommen. (ii) Wenn wir uns fragen, warum diese Sätze so verstanden werden, ist es hilfreich, an die aristotelische Analyse des Satzes »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« in den Kategorien (1b10-15) zu erinnern, in dem der Ausdruck »ὁ ἄνθρωπος« im Sinne von »ὃ ἂν ἄνθρωπος ᾖ« verwendet wird.125 Aristoteles analysiert hier diesen Satz so,126 als bezeichne in ihm der Ausdruck »ὁ ἄνθρωπος« dasselbe wie der Term »ἄνθρωπος« in dem Satz »ὁ Σωκράτης ἄνθρωπός ἐστιν«, nämlich etwas, als das die einzelnen Menschen qua Menschen charakterisiert sind. Da nun ein Individuum mit dem PrädikatTerm »ἄνθρωπος« als eine solche Art von Substanz (ποιά τις οὐσία Cat. 121 Vgl. z. B. Hp.ma. 295c2f.: »τοῦτο γὰρ δὴ ἔστω ἡμῖν καλόν, ὃ ἂν χρήσιμον ᾖ« als Formulierung der Definition, die auch mit »[...] τὸ δυνατόν τε καὶ τὸ χρήσιμον [...] ἐστὶ τὸ καλόν« formuliert wird (296d2f.). 122 Vgl. die ausdrücklich generalisierenden Formulierungen der modifizierten Fassung der Definition in 9d2-4 und e1-3: »[...] ὃ μὲν ἂν πάντες οἱ θεοὶ μισῶσιν, ἀνόσιόν ἐστιν, ὃ δ’ ἂν φιλῶσιν, ὅσιον· ὃ δ’ ἂν οἱ μὲν φιλῶσιν οἱ δὲ μισῶσιν, οὐδέτερα ἢ ἀμφότερα – ἆρ’ οὕτω βούλει ἡμῖν ὡρίσθαι νῦν περὶ τοῦ ὁσίου καὶ τοῦ ἀνοσίου;« und »τοῦτο εἶναι τὸ ὅσιον ὃ ἂν πάντες οἱ θεοὶ φιλῶσιν, καὶ τὸ ἐναντίον, ὃ ἂν πάντες θεοὶ μισῶσιν, ἀνόσιον«. 123 In 6e10 ist der Artikel vor »ὅσιον« mitzudenken; vgl. 15b4f.: »τοῦτο ἄρ’ ἐστὶν αὖ, ὡς ἔοικε, τὸ ὅσιον, τὸ τοῖς θεοῖς φίλον«. 124 Vgl. die voraufgehende Anmerkung. 125 Das mit »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« Gesagte kann auch mit »ὃ ἂν ἄνθρωπος ᾖ, ζῷόν ἐστιν« gesagt werden. 126 Vgl. oben in der Einführung 1.3 und 1.6.
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3b20f.), nämlich ein Mensch, charakterisiert wird, kann man sagen, daß der Term eine solche Art von Substanz, nämlich einen Menschen, bezeichnet (σημαίνει127 Cat. 3b16, 18, 21), nur muß man, wie Aristoteles (3b13-21) einschärft, beachten, daß es sich bei dem von dem Term bezeichneten Menschen nicht um ein Dies einer Art (τόδε τι), einen Einzelmenschen, handelt und entsprechend in dem Satz »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« kein bestimmter Mensch, sondern so etwas, ein Mensch, als ein Lebewesen charakterisiert wird. Eine entsprechende Auffassung der Form des Frommen als Designat des generellen Terms »ὅσιον«, der so etwas (ποιόν τι, τοιόνδε) bezeichnet, als was Dinge mit ihm charakterisiert werden, scheint mir zu erklären, warum z. B. der Satz »τοῦτό ἐστι τὸ ὅσιον, τὸ τοῖς θεοῖς φίλον«, in dem die Terme »τὸ τοῖς θεοῖς φίλον« und »τὸ ὅσιον« verallgemeinernd im Sinne von »ὃ ἂν τοῖς θεοῖς φίλον ᾖ« und »ὃ ἂν ὅσιον ᾖ« gebraucht werden, im Euthyphron so verstanden wird, als bezeichnete der Ausdruck »τὸ ὅσιον« die Form des Frommen. Dieser Auffassung nach wird mit dem verallgemeinernd gebrauchten Subjekt-Ausdruck »τὸ ὅσιον« so etwas bezeichnet, als was Dinge mit dem Prädikat-Term »ὅσιον« charakterisiert werden, und da es sich bei der Form des Frommen um das Designat des Terms »ὅσιον« handelt, der so etwas bezeichnet, als was Dinge mit ihm charakterisiert werden, kann man annehmen, daß in solchen Sätzen mit »τὸ ὅσιον« die Form des Frommen bezeichnet wird. Daß mit der Definition des Frommen in der Tat so etwas spezifiziert werden soll, als was die einzelnen frommen Personen und Handlungen mit dem Prädikat-Term »ὅσιον« charakterisiert werden, und eben damit die Form des Frommen spezifiziert werden soll, zeigt besonders deutlich die Formulierung, mit der Sokrates im Euthyphron seinen Gesprächspartner Euthyphron auffordert, zu sagen, was das Fromme ist: ΣΩ. Ταύτην τοίνυν με αὐτὴν δίδαξον τὴν ἰδέαν τίς ποτέ ἐστιν, ἵνα εἰς ἐκείνην ἀποβλέπων καὶ χρώμενος αὐτῇ παραδείγματι, ὃ μὲν ἂν τοιοῦτον ᾖ ὧν ἂν ἢ σὺ ἢ ἄλλος τις πράττῃ φῶ ὅσιον εἶναι, ὃ δ’ ἂν μὴ τοιοῦτον, μὴ φῶ. (6e3-6)
Sokrates setzt hier voraus, daß eine fromme Handlung so etwas (τοιοῦτον) sei wie das zu definierende Fromme, und diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn es sich bei dem zu definierenden Frommen entweder selbst um ein frommes Individuum handelt oder um so etwas, als was fromme Individuen mit dem Prädikat-Term »ὅσιον« charakterisiert werden. Nun ist das zu definierende Fromme offensichtlich kein frommes Individuum, selbst wenn Sokrates an dieser Stelle von einem Muster (παράδειγμα)
127 Vgl. zu »σημαίνειν« oben 1.3.
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spricht.128 Somit bleibt nur die zweite Annahme: Euthyphron soll mit seiner Definition so etwas angeben, als was fromme Individuen mit »ὅσιον« charakterisiert werden. (iii) Die in der Definitionspraxis der frühen Dialoge vorausgesetzte Auffassung, daß (a) in definitorischen Sätzen verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke vom Schema »τὸ Φ« etwas bezeichnen, als was Individuen mit dem entsprechenden Prädikat-Term vom Schema »Φ« charakterisiert werden, und daß (b) das, was sie und die Prädikat-Terme bezeichnen, Formen sind, kann nun in folgender Weise den Gebrauch von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 erklären. Wenn wir versuchen, in bezug auf das, was der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« gebrauchte Prädikat-Term »ἴσα« bezeichnet, d. h. in bezug auf die durch ihn bezeichnete Form, einen definitorischen Satz zu bilden, in dem die Ausdrücke für das Definiendum und das Definiens verallgemeinernd verwendet werden, so müssen wir auf die Pluralausdrücke zurückgreifen und einen Satz vom Schema »τὰ Γ ἐστι τὰ ἴσα« bilden. Der Grund dafür ist einfach der, daß »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« immer von mehreren Dingen ausgesagt wird. Würden wir einen Satz vom Schema »τὸ Γ ἐστι τὸ ἴσον« bilden, so würden wir mit ihm angeben, was das ist, wofür der mit einem Dativ zu ergänzende Prädikat-Term »ἴσον ...« in einem Satz vom Schema »τὸ α ἐστιν ἴσον τῷ β« (»a ist gleich mit b«) steht, nicht aber, was das ist, wofür der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« vollständig gebrauchte Term »ἴσα« in einem Satz vom Schema »τὸ α τε καὶ τὸ β ἐστιν ἴσα« (»a und b sind miteinander gleich«) steht. Um also in einem definitorischen Satz, in dem die Ausdrücke für das Definiendum und das Definiens verallgemeinernd verwendet werden, die Form des Gleichen als das zu bezeichnen, wofür der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« vollständig gebrauchte Prädikat-Term »ἴσα« steht, ist es unvermeidlich, die Pluralform »τὰ ἴσα« bzw. – um die Form mit dem Reflexivpronomen von den konkreten ἴσα abzugrenzen – »αὐτὰ τὰ ἴσα« zu verwenden. Nun wird in 74b8, wie wir gesehen haben, »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« verwendet, so daß es nicht wundernimmt, daß die Form des Gleichen unmittelbar darauf in c1 als das bezeichnet wird, wofür der vollständig gebrauchte Prädikat-Ausdruck »ἴσα« steht, d. h. als »αὐτὰ τὰ ἴσα«. Entsprechend müßte man in bezug auf die Form streng genommen von »der Form der (miteinander) gleichen Gegenstände« sprechen.129 Der Gebrauch von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 läßt sich also verständlich machen, wenn wir im Rekurs auf die aristotelische Unterscheidung von Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas an128 Vgl. Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 119f. 129 Also von »ἡ τῶν ἴσων ἰδέα«, vgl. 104d5f. »ἡ τῶν τριῶν ἰδέα«.
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nehmen, daß mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« auf das Bezug genommen wird, als was Individuen mit dem im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« gebrauchten Term »ἴσα« charakterisiert werden – (miteinander) gleiche Gegenstände. Damit können wir vermeiden, Platon die absurde Annahme zuzuschreiben, daß sich die Eigenschaft des Gleichseins selbst exemplifiziert. Der mögliche Einwand, daß der in der mit »ἢ« (»oder«) angehängten Frage »ἡ ἰσότης (ἔστιν ὅτε) ἀνισότης (ἐφάνη);« gebrauchte Term »ἡ ἰσότης« auf die Eigenschaft des Gleichseins Bezug nehme, kann mit dem Hinweis auf den Gebrauch des Terms »ἡ κίνησις« zur Bezeichnung der Form der Bewegung im Sophistes beantwortet werden. Auch bei diesem Term liegt ja die Annahme nahe, daß er auf eine Eigenschaft, die Eigenschaft des Bewegtseins, Bezug nehme. Nun wird jedoch in dem Dialog die Aussage, daß Bewegung ruht (κίνησις ἕστηκεν), kategorisch zurückgewiesen, und dies wäre unerklärlich, wenn sie mit der Aussage identisch wäre, daß die Eigenschaft des Bewegtseins ruht; denn die Eigenschaft ruht ja in gewissen Hinsichten zweifellos. Dagegen ist es durchaus angebracht, die Aussage kategorisch zurückzuweisen, wenn sie eine Aussage über so etwas, Bewegtes, ist, d. h. die Aussage, daß Bewegtes ruht.130 Entsprechend kann man auch die Frage »[...] ἢ ἡ ἰσότης (ἔστιν ὅτε) ἀνισότης (ἐφάνη);« mit »[...] oder ist dir Gleiches jemals als Ungleiches erschienen?« wiedergeben, wenn man sich darüber im klaren ist, daß mit den Ausdrücken »Gleiches« und »Ungleiches« jeweils der Bezug auf etwas intendiert ist, als das bestimmte Dinge mit den Termen »gleich« und »ungleich« charakterisiert werden (zur Funktion der zusätzlichen Frage siehe unten die Bemerkung unter (iv)). Für die vorgeschlagene Erklärung der Verwendung von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 scheint mir nicht zum wenigsten zu sprechen, daß sie der Tatsache entscheidende Bedeutung beimißt, daß der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« verwendete Ausdruck »ἴσα« immer von mehreren Dingen ausgesagt wird – zumindest wenn die Aussage verständlich sein soll – und mithin von ihm auch nicht so wie von dem unvollständig gebrauchten Term »ἴσον ...« der verallgemeinernde Singular-Ausdruck »τὸ ἴσον« abgeleitet werden kann.131 (Es sei betont, daß für die Wahl des verallgemeinernden Plural-Ausdrucks 130 Vgl. oben (2.1.2) zur Deutung des Satzes. 131 Die Tatsache, daß der Term »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« immer von mehreren Dingen ausgesagt wird, hat in der Literatur über »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 durchaus Beachtung gefunden (vgl. etwa Verdenius, S. 210: »The plural has been correctly explained by Heindorf: ›multitudinis numerus adhiberi in his potuit, quoniam aequalitatis vel similitudinis notio non unum continet, sed ad duo certe refert‹.«). Daß diese Tatsache freilich nur dann für die Erklärung des Ausdrucks relevant ist, wenn erstens gezeigt wird, daß die verallgemeinernd gebrauchten SubjektAusdrücke definitorischer Sätze so verstanden werden, als bezeichneten sie Formen, und wenn zweitens ein solches Verständnis dieser Sätze auf die Auffassung der Formen als Gegenstände des Typs So etwas zurückgeführt wird, scheint bisher unbeachtet geblieben zu sein.
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»τὰ ἴσα« anstelle des verallgemeinernden Singular-Ausdrucks nicht entscheidend ist, daß der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« verwendete PrädikatTerm »ἴσα« in 74b8 zufälligerweise im Plural steht, sondern daß er in verständlichen Sätzen immer von mehreren Dingen ausgesagt wird.) Denn an der weiteren Stelle im Platonischen Corpus, an der zur Bezeichnung einer Form ein »αὐτὰ τὰ ἴσα« entsprechender Plural-Ausdruck, nämlich »αὐτὰ τὰ ὅμοια«, verwendet wird (Prm. 129b1f.),132 handelt es sich bei dem Prädikat-Term, von dem die Nominalisierung »αὐτὰ τὰ ὅμοια« abgeleitet ist, ebenfalls um einen Term, der in verständlichen Sätzen immer von mehreren Dingen ausgesagt wird, nämlich den im Sinne von »ἀλλήλοις ὅμοια« gebrauchten Term »ὅμοια«.133 (iv) Es ist freilich klar, daß in 74b6-c6 vorausgesetzt wird, daß die Ausdrücke »ἴσον ...« und »ἴσα« (gebraucht im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα«) für dieselbe Form stehen, auch wenn diese mit »αὐτὸ τὸ ἴσον« als Designat des Prädikat-Terms »ἴσον ...«, mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« hingegen als Designat des Prädikat-Terms »ἴσα« bezeichnet wird, d. h. die Ausdrücke »αὐτὸ τὸ ἴσον« und »αὐτὰ τὰ ἴσα« einen unterschiedlichen Sinn haben. Wie ist es nun zu erklären, daß die Prädikat-Terme »ἴσον ...« und »ἴσα« auf dieselbe Form bezogen werden? Der Grund dafür scheint mir zu sein, daß vorausgesetzt ist, daß zwei Prädikat-Terme »F« und »G« genau dann für dieselbe Form stehen, wenn einem Gegenstand mit »F« und »G« dieselbe Eigenschaft zugeschrieben wird (was nicht impliziert, daß die Formen Eigenschaften sind). Denn es ist plausibel anzunehmen, daß in einem Satz der Form »a und b sind in der Länge gleich« den Aussagesubjekten dieselbe Eigenschaft zugeschrieben wird wie in dem entsprechenden Satz der Form »a ist in der Länge gleich mit b«. Für die Wahrung des Bezugs auf ein und dieselbe Form im Übergang vom Gebrauch von »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 zum Gebrauch von »αὐτὸ τὸ 132 Löhr (S. 42) bemerkt zurecht: »[...] eine Interpretation der einen Stelle würde aufgrund der Parallelität auch für die andere gelten« (erweitere freilich »gelten« zu »gelten müssen«). 133 Rists Bemerkung, daß »τὰ τρία« in 104c1 und e3 zur Bezeichnung der Form der Drei verwendet werde und insofern eine Parallele zu »αὐτὰ τὰ ἴσα« darstelle (vgl. Rist, S. 29f.), ist anfechtbar, da umstritten ist, ob der Ausdruck an den beiden Stellen tatsächlich auf die Form zu beziehen ist (Rists Hinweis auf »ἡ τῶν τριῶν ἰδέα« 104d5f. ist kein zwingendes Argument für seine These, da die Stelle so ausgelegt werden kann, daß sie mit der Gegenposition verträglich ist, daß in 104c1 und e3 »τὰ τρία« nicht auf die Form der Drei zu beziehen sei, vgl. Gallop, S. 205). Wenn aber »τὰ τρία« in 104c1 und e3 auf denselben Gegenstand wie »ἡ τῶν τριῶν ἰδέα« (104d5f.) zu beziehen ist – was mir in der Tat, mit Rist und gegen Gallop, der Fall zu sein scheint –, so bestätigt der Gebrauch des Ausdrucks die oben vorgeschlagene Deutung von »αὐτὰ τὰ ἴσα«, da der Ausdruck »τρία« genauso wie der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« gebrauchte Term »ἴσα« notwendigerweise von mehreren Gegenständen ausgesagt wird. Es scheint mir verfehlt, wenn Löhr (S. 42) die Vergleichbarkeit von »αὐτὰ τὰ ἴσα« mit »τὰ τρία« mit der Bemerkung abstreitet: »’Τὰ τρία’ kann nicht im Singular ausgedrückt werden«, da wir auch von miteinander gleichen Dingen nur im Plural sprechen können.
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ἴσον« in c4f. kommt der Verwendung von »ἡ ἰσότης« in c1 eine entscheidende Scharnierfunktion zu (und eben diese Scharnierfunktion scheint mir auch den Zusatz der Frage »[...] ἢ ἡ ἰσότης (ἔστιν ὅτε) ἀνισότης (ἐφάνη);« zu erklären). »ἡ ἰσότης« nimmt nämlich in neutraler Weise sowohl auf das Bezug, wofür der im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« vollständig gebrauchte Prädikat-Term »ἴσα« steht, als auch auf das, wofür der unvollständig gebrauchte Prädikat-Term »ἴσον ...« steht, und erleichtert so den Übergang vom Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« zum Ausdruck »αὐτὸ τὸ ἴσον«. 3.2.4 Zur Form des Arguments für die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge Dem Argument 74b6-c6 wird, wie ich in der Einleitung zu dieser Untersuchung (3.2.1) bemerkt habe, üblicherweise folgende Form zugeschrieben: (P1)
∀x (Fx → Gx)
(P2)
¬Ga
(K)
∀x (Fx → x ≠ a).
Wenn dies die Form des Arguments ist, so liegt es nahe, seine in 74c4f. formulierte Konklusion (»Οὐ ταὐτὸν ἄρα ἐστίν [...] ταῦτά τε τὰ ἴσα καὶ αὐτὸ τὸ ἴσον«) auf der Grundlage von (K) folgendermaßen zu paraphrasieren: (K*)
∀x (x ist ein konkreter gleicher Gegenstand → x ≠ das Gleiche selbst).
(K*) scheint in der Tat ziemlich genau das verbreitete Verständnis der Konklusion des Arguments 74b6-c6 wiederzugeben.134 Entsprechend ist man von der communis opinio auch nicht allzu weit entfernt, wenn man behauptet, daß das Argument die Funktion habe, folgende These zu widerlegen: (NK*) ∃x (x ist ein konkreter gleicher Gegenstand & x = das Gleiche selbst).
Eine solche Bestimmung der Funktion des Arguments ist nun zwar mit der in der ersten Untersuchung (3.1.1 und 3.1.2.3) getroffenen Feststellung 134 Will man der Verwendung von »ἴσα« im Sinne von »ἀλλήλοις ἴσα« Rechnung tragen, kann man (K*) durch (K**) ersetzen: (K**)
∀x∀y (x und y sind miteinander gleiche konkrete Gegenstände → ¬x und y sind mit den gleichen Gegenständen selbst identisch).
Vgl. in diesem Sinne z. B. Mills, Plato’s Phaedo, 74b7-c6, part 2, S. 50: »Therefore the set of Equals that constitute the Form of the Equal is not identical with any set of equal sticks or stones«.
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unverträglich, daß es in dem Argument nicht um die tatsächliche, sondern um die von Simmias angenommene Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Gegenstände geht. Man kann sie jedoch mit dieser Feststellung so in Einklang bringen, daß man behauptet, der Zweck des Arguments liege darin zu zeigen, daß Simmias zu dem Zeitpunkt, zu dem er urteilt: »Die konkreten gleichen Gegenstände sind zuweilen erst gleich und dann ungleich; das Gleiche selbst dagegen ist niemals ungleich«, vernünftigerweise glaubt, daß K*. Mir scheint jedoch auch diese modifizierte Bestimmung des Zwecks des Arguments verfehlt zu sein, und ich will im folgenden zunächst erklären, warum mir die These, von der in 74b6-c6 gezeigt wird, daß sie Simmias mit den in 74b7-10 und c1-3 genannten Annahmen implizit negiert – ich nenne die These kurz »(T)« –, nicht mit (NK*) paraphrasierbar zu sein scheint, und im Anschluß daran, ausgehend von der im letzten Abschnitt vorgeschlagenen Erklärung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα«, eine alternative Deutung von (T) zur Diskussion stellen. Folgende Überlegung spricht m. E. gegen die Annahme, daß (NK*) eine geeignete Paraphrase von (T) ist. Die Bemerkung, mit der Sokrates die Argumentation in 74b6-c6 Simmias gegenüber einleitet, enthält eine Frage und eine Aufforderung: »ἢ οὐχ ἕτερόν σοι φαίνεται; σκόπει δὲ καὶ τῇδε«. Mit der Frage stellt Sokrates die Möglichkeit in den Raum, daß Simmias das Gleiche selbst und die konkreten gleichen Gegenstände nicht für verschieden hält, und mit dem Imperativ fordert er ihn dazu auf, näher zu betrachten, wie er sich in dieser Frage entscheiden möchte. Offenkundig nimmt er an, daß Simmias über die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge sinnvollerweise im Zweifel sein könnte. Nun ist sich aber Simmias völlig im klaren darüber, daß wir wissen, was das Gleiche selbst ist (74b2f.). Er ist sich also auch im klaren darüber, daß das Gleiche selbst der Gegenstand ist, auf den wir Bezug nehmen, wenn wir fragen, was das Gleiche sei, und diese Frage mit einem definitorischen Satz der Form »Das F ist das Gleiche« beantworten. Und es ist auch klar, daß die Annahme absurd ist, daß wir uns in der Frage, was das Gleiche sei, und der entsprechenden Antwort auf einen bestimmten konkreten gleichen Gegenstand beziehen. Denn wenn wir die Frage stellen, was das Gleiche sei, wollen wir wissen, was die Natur gleicher Gegenstände im allgemeinen ist; wir wollen nicht wissen, was ein bestimmter konkreter gleicher Gegenstand ist. Soll also Simmias über die Verschiedenheit des Gleichen selbst und der konkreten gleichen Dinge sinnvollerweise im Zweifel sein, so muß mit der These ihrer Verschiedenheit etwas anderes gemeint sein als die Behauptung, daß das Gleiche selbst nicht zur Klasse der konkreten gleichen Gegenstände gehört, und (NK*) kann infolgedessen keine angemessene Paraphrase von (T) sein.
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Die Feststellung, daß wir mit der Frage, was das Gleiche ist, wissen wollen, was gleiche Gegenstände im allgemeinen sind, weist bereits darauf hin, wie man vernünftigerweise auf die Idee kommen kann, daß das Gleiche selbst von den konkreten gleichen Dingen nicht verschieden ist. Es scheint so, als fragten wir mit der Frage »Was ist das Gleiche?« danach, was die konkreten gleichen Gegenstände (als solche) sind, und es scheint ferner so, als wollten wir mit der Antwort »Das F ist das Gleiche« aussagen, daß die konkreten gleichen Gegenstände (als solche) F sind. Es scheint mithin so, als könnten wir den Ausdruck »das Gleiche« in der Definitionsfrage und den Antworten auf sie sinnwahrend durch den Ausdruck »die konkreten gleichen Gegenstände« ersetzen (bei gleichzeitiger Ersetzung von »Das F« durch »die konkreten F« und »ist« durch »sind«), d. h. als nähmen wir mit dem Ausdruck »das Gleiche« nicht auf etwas von den konkreten gleichen Dingen Verschiedenes Bezug. Man denke in diesem Zusammenhang z. B. daran, daß Sokrates im Euthyphron mit der Frage, was das Fromme sei, von Euthyphron über die (konkreten) frommen Dinge aufgeklärt zu werden wünscht (12e3f., 15e6f., vgl. auch Hp.ma. 286c8-d2). Eine weitere, ergänzende Überlegung könnte die Annahme nahelegen, daß wir mit dem Ausdruck »das Gleiche« nicht auf etwas von den konkreten gleichen Dingen Verschiedenes Bezug nehmen. Wir haben im letzten Abschnitt gesehen, daß die Verwendung des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« in 74c1 die Annahme voraussetzt, es handle sich bei der Form der (miteinander) gleichen Gegenstände um so etwas (τοιόνδε), als was bestimmte Individuen mit dem Prädikat-Term »ἴσα« charakterisiert werden, d. h. miteinander gleiche Gegenstände. Von dieser Annahme ausgehend mag man folgendermaßen argumentieren: Wenn mit dem Satz ›ταῦτα τὰ ξύλα ἴσα ἐστίν‹ – ›ταῦτα τὰ ξύλα‹ nehme auf zwei in der Länge gleiche Hölzer Bezug – eine wahre Aussage gemacht wird, so steht der Term ›ἴσα‹ für etwas, als was die Hölzer tatsächlich charakterisiert sind. Somit steht er nicht für etwas von ihnen Verschiedenes. Denn wenn ›ἴσα‹ auf die Hölzer zutrifft, nehmen wir nicht mit ›ταῦτα τὰ ξύλα‹ zunächst auf die beiden Hölzer und dann mit ›ἴσα‹ auf irgendwelche weiteren (in der Länge) gleichen Gegenstände Bezug; vielmehr nehmen wir mit ›ἴσα‹ auf die Hölzer als (in der Länge) gleiche Gegenstände Bezug, da sie ja in der Tat als derartige Gegenstände charakterisiert sind.
Diese Erklärung der Begründung von (T) impliziert wohlgemerkt nicht die Identifikation von (T) mit der nominalistischen These,135 daß sich alle Sätze, die Aussagen über die Form des Gleichen auszudrücken scheinen, so paraphrasieren lassen, daß der Bezug auf die Form verschwindet. Die Existenz der Form ist vielmehr vorausgesetzt (74a9f.), und mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« neh135 Vgl. zu dieser Identifikation Penner, The Ascent from Nominalism und die Kritik von Bostock, Plato and Nominalism.
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men wir auch (T) zufolge durchaus auf etwas Bezug, nämlich das, wofür der Prädikat-Term »(miteinander) gleiche Dinge« steht. Der entscheidende Punkt von (T) ist vielmehr, daß es sich bei dem, worauf wir mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« Bezug nehmen, um etwas handeln, das die konkreten gleichen Dinge prädikativ sind und wovon sie insofern nicht verschieden sind. Wenn nun mit (T) behauptet wird, daß das Gleiche selbst, das Designat des Prädikat-Terms »ἴσα«, von den konkreten gleichen Gegenständen nicht verschieden ist, weil der Term etwas bezeichnet, das die konkreten gleichen Gegenstände (prädikativ) sind, so ist klar, daß die von Simmias vertretene Gegenthese zu (T) besagt, daß das Gleiche selbst, das Designat des Prädikat-Terms »ἴσα«, von den konkreten gleichen Gegenständen verschieden ist, weil der Term »ἴσα« etwas bezeichnet, das die konkreten gleichen Dinge nicht sind und wovon sie insofern verschieden sind. Um zu sehen, daß Simmias in 74c6 genau dieser These zustimmt, müssen wir uns näher mit der in 74b7-9 enthaltenen Aussage über das Gleichsein der konkreten gleichen Gegenstände befassen (ich setze dabei voraus, daß in b8f. »τοτὲ μὲν ἴσα φαίνεται, τοτὲ δ’ οὔ« zu lesen ist, und verweise auf die Erörterung des Textproblems oben 3.2.2). Die Aussage, daß zwei Hölzer Simmias um t1 (in der Länge) gleich und um t2 (in der Länge) nicht gleich zu sein scheinen, kann auf zwei Weisen interpretiert werden, je nachdem, ob man glaubt, daß es dieselbe Proposition ist, die Simmias um t1 als wahr und um t2 als falsch bewertet, oder ob man glaubt, daß die Proposition, die Simmias um t1 als wahr bewertet, von ihm auch um t2 als wahr bewertet wird und infolgedessen von der Proposition, die er um t2 als falsch bewertet, verschieden ist, da sie eine andere Zeitbestimmung inkorporiert als die um t2 als falsch bewertete. Wie die Gesprächspartner des Phaidon über diese Frage denken, ist unklar. Doch könnte eine verwandte Stelle im fünften Buch der Politeia als Beleg dafür genommen werden, daß sie die zeitlichen Bestimmungen nicht als Teil der um t1 als wahr und um t2 als falsch bewerteten Proposition ansehen, d. h. den Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« so verstehen, als habe er zu beiden Zeitpunkten dieselbe Proposition zum Inhalt.136 Auf die Frage des Sokrates, ob jedes der vielen konkreten Dinge, die mit einem Adjektiv wie »schön«, »gerecht«, »fromm« usw. charakterisiert werden, das, als was man es gewöhnlich charakterisiere, eher sei als nicht sei,137 antwortet Glaukon, daß es den Rätselmachern ähnlich sei, die bei 136 Auch die von Hintikka in »Time, Truth, and Knowledge in Ancient Greek Philosophy« angestellten Überlegungen zu Platons und Aristoteles’ Bevorzugung zeitlich indefiniter Sätze als Informationsträger sprechen für diese Deutung. Vgl. zum temporalistischen Wahrheitsverständnis bei Platon und Aristoteles unten (4.4.1). 137 Vgl. R. V, 479b9f.: »Πότερον οὖν ἐστι μᾶλλον ἢ οὐκ ἔστιν ἕκαστον τῶν πολλῶν τοῦτο ὃ ἄν τις φῇ αὐτὸ εἶναι;«.
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Symposien doppeldeutig redeten.138 Man könne nämlich nicht sicher ausmachen (παγίως νοῆσαι 479c4), ob es das, als was es charakterisiert wird, ist oder nicht ist oder ist und nicht ist oder weder ist noch nicht ist.139 Dabei scheint Glaukon anzunehmen, daß jemand, der Helena zum Zeitpunkt t3 als schön und zum Zeitpunkt t4 als häßlich bezeichnet, Grund hat, darüber im Zweifel zu sein, welcher Wahrheitswert der von dem Satz »Helena ist schön« ausgedrückten Aussage zuzuschreiben sei.140 Er scheint also vorauszusetzen, daß der Satz »Helena ist schön« bei seiner Äußerung um t3 dieselbe Proposition ausdrückt wie bei seiner Äußerung um t4. Und dies legt die Annahme nahe, daß auch im Phaidon die Proposition, die Simmias um t1 als wahr bewertet, wenn ihm die beiden Hölzer als gleich erscheinen, mit der Proposition identifiziert wird, die er um t2 als falsch bewertet, wenn ihm die beiden Hölzer nicht mehr als gleich erscheinen. Die Auffassung, daß Zeitbestimmungen nicht zum Aussagegehalt von Sätzen wie »Helena ist schön« oder »Diese beiden Hölzer sind gleich« gehören, impliziert wohlgemerkt nicht »ein Urteilsmodell [...], in dem die Möglichkeit, Hinsichten zu spezifizieren, unter den Tisch fällt«.141 Sie kann vielmehr mit der These verbunden werden, daß die Zeitbestimmungen (nicht unter den Tisch fallen, sondern) in den Prädikaten inkorporiert sind, mit denen wir die von solchen Sätzen ausgedrückten Aussagen als wahr 138 Vgl. R. V, 479b11: »τοῖς ἐν ταῖς ἑστιάσεσιν [...] ἐπαμφοτερίζουσιν ἔοικεν«. 139 Vgl. R. V, 479c3-5: »[...] οὔτ’ εἶναι οὔτε μὴ εἶναι οὐδὲν αὐτῶν δυνατὸν παγίως νοῆσαι οὔτε ἀμφότερα οὔτε οὐδέτερον.« 140 Stemmer (Kinderrätsel, S. 90-94) hat eine alternative Deutung von Glaukons Bemerkung in R. V, 479b11-c5 vorgeschlagen, die nicht auf die (z. B. zeitlichen) Kontexte abstellt, in denen wir konkrete Dinge als so-und-so-beschaffen charakterisieren. Der Ausgangspunkt dieser Deutung ist der Vergleich mit dem Eunuchen und der Fledermaus (Stemmer [ebd., S. 92] ist sich bewußt, daß dessen »Auslegung [...] von vornherein mit dem Ruch des bloß Konjekturalen behaftet (ist), da bei Vergleichen nur selten sicher zu wissen ist, welche Vergleichspunkte intendiert und welche nicht intendiert sind«). Stemmer vermutet das tertium comparationis darin, daß wir alltäglich Prädikate verwenden, die, wie im Rätsel die Prädikate »ein Mann« und »ein Vogel«, nicht so klar bestimmt sind, daß jeweils entschieden werden kann, ob sie einem Gegenstand zukommen oder nicht. Doch scheint mir die vorhergehende Auswahl von Bestimmungen, die den wahrgenommenen Gegenständen stets in einem Kontext a so zukommen, daß ihnen in einem Kontext b die jeweils entgegengesetzten Bestimmungen zukommen (»schön«/»häßlich«, »doppelt so groß«/»halb so groß«, »groß«/»klein«, »leicht«/»schwer«), und die in R. VII explizit von kontextfrei zuschreibbaren Bestimmungen abgegrenzt werden, für die traditionelle Auffassung zu sprechen, daß die Unsicherheit der Zuschreibung der Prädikate darin gründet, daß sie in einem Kontext dem wahrgenommenen Gegenstand zuzukommen scheinen und in einem anderen nicht. Das tertium comparationis im Vergleich der unter bestimmte Prädikate subsumierten konkreten Dinge mit dem Eunuchen und der Fledermaus braucht lediglich dies zu sein, daß die Aussagen »Der Eunuch ist ein Mann« und »Die Fledermaus ist ein Vogel« ebensowenig unqualifiziert wahr sind wie die Aussagen, in denen jene Dinge unter jene Prädikate subsumiert werden. 141 Szaif, S. 195f. Szaif wendet sich in seiner Besprechung von R. V, 476e – 480a mit guten Gründen (insbesondere dem Verweis auf R. IV, 436b-437a) dagegen, Platon ein solches Urteilmodell zuzuschreiben (vgl. Szaif, S. 192-204).
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oder falsch142 bewerten. Nach dieser These drückt z. B. der Satz »Helena ist schön« eine Aussage aus, die, wenn Helena um t3 schön ist, um-t3-wahr ist, und, wenn Helena um t4 häßlich ist, um-t4-falsch ist. In Politeia V wird allerdings die Auffassung, daß Zeitbestimmungen nicht zum Aussagegehalt des Satzes »Helena ist schön« gehören, nicht mit der These verbunden, daß die Zeitbestimmungen Teil der Prädikate sind, mit denen die von »Helena ist schön« ausgedrückte Aussage als wahr oder falsch bewertet wird. Vielmehr wird eine zeitliche Relativierung des Wahrheitsbegriffs vermieden und eine Entscheidung zwischen der Bewertung der Proposition als wahr (simpliciter) und ihrer Bewertung als falsch (simpliciter) getroffen. Die Entscheidung fällt zugunsten der Bewertung als falsch (simpliciter) aus. Dies zeigt die Bemerkung in 476a4-7: καὶ περὶ δὴ δικαίου καὶ ἀδίκου καὶ ἀγαθοῦ καὶ κακοῦ καὶ πάντων τῶν εἰδῶν πέρι ὁ αὐτὸς λόγος, αὐτὸ μὲν ἓν εἶναι ἕκαστον, τῇ δὲ τῶν πράξεων καὶ σωμάτων καὶ †ἀλλήλων† κοινωνίᾳ πανταχοῦ φανταζόμενα πολλὰ φαίνεσθαι ἕκαστον.
Die Stelle ist schwierig nicht nur des überlieferten »ἀλλήλων« wegen (das ich, abweichend von Burnet und Slings, mit cruces versehen habe,143 überzeugt, daß hier nicht auf die Gemeinschaft der Gattungen, von der im Sophistes die Rede ist, angespielt wird,144 und nicht restlos überzeugt von der alternativen Deutung: »As large is mixed with small (Rep. 524c), so just and unjust, good and bad, in having commerce with bodies and actions have commerce with each other (Rep. 476a4-7)«145). Schwierig ist auch die Erklärung der Ausdrücke »αὐτὸ μὲν ἓν εἶναι ἕκαστον« und »πολλὰ φαίνεσθαι ἕκαστον«. Einen Ansatzpunkt zur Erklärung liefert die drei Stephanus-Seiten weiter folgende Rede von »jenem, der sich an Sinneseindrücken delektiert (ὁ φιλοθεάμων) und es absolut unerträglich findet (καὶ οὐδαμῇ ἀνεχόμενος), wenn man sagt, daß das Schöne eines sei (ἓν τὸ καλὸν ... εἶναι), das Gerechte und so auch das übrige«.146 Da so jemand die 142 Ich sehe hier einfachheitshalber davon ab, daß es Aussagen geben mag, die in eine Wahrheitswertlücke fallen, z. B. Aussagen, die von Sätzen mit leeren singulären Subjekt-Termen ausgedrückt werden. 143 Slings versieht zwar »ἀλλήλων« nicht mit cruces, hat aber Zweifel an der Lesart, wie seine Bemerkung »fortasse ἄλλου ἄλλων« im kritischen Apparat zeigt (leider äußert er sich in den »Critical Notes on Plato’s Politeia« nicht zur Stelle). Vgl. zu weiteren Konjekturen Adam, S. 363f. 144 So z. B. Adam, S. 362f. Vgl. zur Kritik Owen, A Proof, S. 108 Anm. 31: »[...] any attempt to read back the κοινωνία τῶν γενῶν of the Sophist into this text (sc. R. V, 476a4-7) simply fits the argument too loosely«. 145 Owen, A Proof, S. 108. Die Deutung wurde bereits vor Owen vertreten, wie der Blick in Adams Appendix zur Stelle zeigt: »It is thought by Stumpf (Verhältniss d. Pl. Gottes zur Idee des Guten p. 49) that Plato means the παρουσία of two εἴδη in one object, as when a man is both beautiful and just« (Adam, S. 362). 146 R. V, 479a3-5: »ἐκεῖνος ὁ φιλοθεάμων καὶ οὐδαμῇ ἀνεχόμενος ἄν τις ἓν τὸ καλὸν φῇ εἶναι καὶ δίκαιον καὶ τἆλλα οὕτω«.
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Existenz des Schönen selbst abstreitet und nur an die Existenz konkreter schöner Dinge glaubt,147 dürfte seine These, daß das Schöne nicht eines, sondern vieles sei, in dem Sinne zu verstehen sein, daß so etwas, Schönes, vielfach vorkommt, nämlich in Gestalt der konkreten schönen Dinge. Die in R. V, 476a5-8 implizierte Gegenthese »Das Schöne ist eines« dürfte entsprechend in dem Sinne zu verstehen sein, daß so etwas, Schönes, nur einmal vorkommt, nämlich in Gestalt des Schönen selbst,148 und die konkreten schönen Dinge nicht wirklich schön, sondern Schönem nur ähnlich sind.149 Darin ist impliziert, daß die Proposition, die der Satz »Helena ist schön« ausdrückt, falsch (simpliciter) ist; wahr (simpliciter) ist, daß das Schöne selbst schön ist und in einem bestimmten Raum-Zeit-Kontext so erscheint, daß erklärlich ist, warum wir in bezug auf diesen Raum-Zeit-Kontext die mit »Helena ist schön« gemachte Aussage als wahr beurteilen. Wenn eine entsprechende Entscheidung auch im Phaidon vorausgesetzt wird, so ist die Proposition, die der Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« ausdrückt und die Simmias um t1 als wahr, um t2 als falsch bewertet, falsch (simpliciter); wahr ist, daß die gleichen Gegenstände selbst (αὐτὰ τὰ ἴσα) gleich sind und um t1 derart an einer bestimmten Raumstelle erscheinen, daß erklärlich ist, warum Simmias zu dieser Zeit glaubt, daß der Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« eine wahre Aussage ausdrückt. Wenn aber der Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« eine (simpliciter) falsche Aussage ausdrückt, so sind die Hölzer, von denen die Rede ist, nicht wirklich das, wofür der Term »gleich« steht, nämlich gleiche Gegenstände. Zu diesem Resultat gelangen wir, wenn wir voraussetzen, daß einige Thesen des fünften Buchs der Politeia im Phaidon als gültig unterstellt werden. Ich möchte nun zeigen, daß wir zu demselben Resultat auch dann gelangen, wenn wir voraussetzen, daß diese Thesen im Phaidon nicht als gültig unterstellt werden. Der Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« drükke also zum Zeitpunkt t1, zu dem Simmias die von ihm ausgedrückte Aussage als wahr bewertet, eine andere Aussage aus als zum Zeitpunkt t2, zu dem er die von ihm ausgedrückte Aussage als falsch bewertet. Die Hölzer seien also mit der einen (wahren) Aussage als um t1 gleich und mit der anderen (falschen) Aussage als um t2 gleich charakterisiert. Nun steht der 147 Vgl. R. V, 479a1-3: »ὁ χρηστὸς ὃς αὐτὸ μὲν καλὸν καὶ ἰδέαν τινὰ αὐτοῦ κάλλους μηδεμίαν ἡγεῖται ἀεὶ μὲν κατὰ ταὐτὰ ὡσαύτως ἔχουσαν, πολλὰ δὲ τὰ καλὰ νομίζει«. 148 Vgl. zu dem in dieser These implizierten, von Aristoteles monierten χωρισμός des Schönen selbst unten 3.2.5. 149 Vgl. R. V, 476c2-7, wo es heißt, daß der Vertreter der These, daß es zwar schöne (konkrete) Dinge, aber nicht die Schönheit selbst gebe, in einem Traumzustand lebe, der darin bestehe, das, was einer Sache ähnlich ist, nicht für der Sache ähnlich, sondern für sie selbst zu nehmen (vgl. c5-7: »τὸ ὀνειρώττειν ἆρα οὐ τόδε ἐστίν, ἐάντε ἐν ὕπνῳ τις ἐάντ’ ἐγρηγορὼς τὸ ὅμοιόν τῳ μὴ ὅμοιον, ἀλλ’ αὐτὸ ἡγῆται εἶναι ᾧ ἔοικεν;«).
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Term »gleich« 74c1f. zufolge nicht für Gegenstände, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gleich und zu einem anderen Zeitpunkt ungleich sind, sondern für Gegenstände, die ohne zeitliche Qualifikation gleich sind. Denn wir charakterisieren mit dem Term Gegenstände nicht als zu der und der Zeit gleich, sondern als gleich.150 Auch insofern sind also die Hölzer nicht das, wofür der Term »gleich« steht, sondern allenfalls das, wofür der Term »zu einem bestimmten Zeitpunkt gleich« steht. Wie auch immer also im Phaidon die Frage nach der Identität bzw. Verschiedenheit der Propositionen, die vom Satz »Diese beiden Hölzer sind gleich« um t1 und um t2 ausgedrückt werden, beantwortet wird – man kommt sowohl unter der Annahme ihrer Identität als auch unter der Annahme ihrer Verschiedenheit zu dem Ergebnis, daß die konkreten gleichen Gegenstände nicht als so etwas charakterisiert sind, was der Term »gleich« bezeichnet. Und dieses Resultat berechtigt zur Folgerung, daß er so etwas bezeichnet, was von den konkreten gleichen Dingen verschieden ist. Wie wenig selbstverständlich diese Folgerung ist, wie sehr sie von der in den frühen sokratischen Dialogen vorausgesetzten Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Form und den ihr entsprechenden konkreten Dingen absticht, erhellt aus dem Vergleich mit folgender, bereits oben zitierter Stelle aus dem Euthyphron:151 ΣΩ. Ταύτην τοίνυν με αὐτὴν δίδαξον τὴν ἰδέαν τίς ποτέ ἐστιν, ἵνα εἰς ἐκείνην ἀποβλέπων καὶ χρώμενος αὐτῇ παραδείγματι, ὃ μὲν ἂν τοιοῦτον ᾖ ὧν ἂν ἢ σὺ ἢ ἄλλος τις πράττῃ φῶ ὅσιον εἶναι, ὃ δ’ ἂν μὴ τοιοῦτον, μὴ φῶ. (6e3-6)
Das Fromme selbst, über das Sokrates von Euthyphron belehrt zu werden wünscht (»ταύτην τοίνυν με αὐτὴν δίδαξον τὴν ἰδέαν τίς ποτέ ἐστιν«), wird an dieser Stelle als Gegenstand des Typs So etwas bestimmt, in bezug auf den Individuen danach beurteilt werden können, ob sie so etwas (τοιοῦτον) sind oder nicht sind (vgl. oben 3.2.3) – in dieser Hinsicht unterscheidet sich die Formauffassung nicht von der des Phaidon. Doch ist im Gegensatz zum Phaidon vorausgesetzt, daß es möglich ist, konkrete Handlungen (vgl. »ὧν ἂν ἢ σὺ ἢ ἄλλος τις πράττῃ«) als so etwas, fromm, zu beurteilen.152 Und da die konkreten frommen Handlungen wirklich als so 150 Zum Verständnis dieses Punkts sind die Ausführungen von White besonders lesenswert. Vgl. die Zusammenfassung S. 289: »The upshot is that the notions represented by predicates in general do not incorporate elements of time or tense. A person could understand these notions of being triangular and being equal even if he had no conception of temporality. That is Plato’s picture.« 151 Ich verdanke den Vergleich Ketchum, Knowledge and Recollection, S. 244 Anm. 5. 152 Vgl. zum Kontrast Phd. 74d6f.: »[...] ἢ ἐνδεῖ τι ἐκείνου τῷ τοιοῦτον εἶναι οἷον τὸ ἴσον, ἢ οὐδέν; – Καὶ πολύ γε, ἔφη, ἐνδεῖ«, 75a2f.: »[...] ὀρέγεται μὲν πάντα ταῦτα εἶναι οἷον τὸ ἴσον, ἔχει δὲ ἐνδεεστέρως« und 75b7f.: »[...] προθυμεῖται μὲν πάντα τοιαῦτ’ εἶναι οἷον ἐκεῖνο, ἔστιν δὲ αὐτοῦ φαυλότερα.«
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etwas charakterisiert sind, wofür der Term »fromm« steht, ist das Fromme selbst, das Designat des Terms, nicht von ihnen verschieden. Um die Beobachtungen dieses Abschnitts zusammenzufassen: Sowohl (T) als auch die Negation von (T) implizieren die Auffassung, daß mit »αὐτὰ τὰ ἴσα« auf so etwas (τοιόνδε) Bezug genommen wird, als was bestimmte gleiche Dinge mit dem Prädikat-Term »ἴσα« zutreffend charakterisiert werden. Laut (T) handelt es sich dabei um etwas, als was die konkreten gleichen Gegenstände charakterisiert sind und wovon sie insofern nicht verschieden sind, laut der Negation von (T) um etwas, als was die konkreten gleichen Gegenstände nicht charakterisiert sind und wovon sie insofern verschieden sind. Die mit der Negation von (T) formulierte These der Verschiedenheit von αὐτὰ τὰ ἴσα und den konkreten ἴσα gründet somit nicht in der Annahme, daß αὐτὰ τὰ ἴσα Individuen sind, die aufgrund ihres zeitlich unqualifizierten Gleichseins nicht zur Klasse der konkreten gleichen Individuen gehören, sondern in der Annahme, daß sie so etwas sind, als was die konkreten gleichen Gegenstände aufgrund ihres zeitlich qualifizierten Gleichseins nicht charakterisiert werden können. 3.2.5 Der χωρισμός des Gleichen selbst Die Negation von (T) wirft freilich folgende Frage auf: Wenn nicht die konkreten gleichen Gegenstände die Individuen sind, die als so etwas charakterisiert sind, wofür der von ihnen ausgesagte Term »ἴσα« steht, d. h. zeitlich unqualifiziert gleiche Gegenstände, welche Individuen dann? Diese Frage stellt sich deshalb, weil wir offenbar nur dann sagen können, daß es so etwas gibt, was der Prädikat-Term »ἴσα« bezeichnet, wenn es Individuen gibt, die als so etwas, zeitlich unqualifiziert gleiche Gegenstände, charakterisiert sind. Man könnte diese Frage z. B. mit dem Postulat idealer mathematischer Individuen – der sog. Mathematika (vgl. Arist. Metaph. Α6, 987b14-18) – beantworten, die qua unqualifiziert gleiche Gegenstände wirklich als so etwas charakterisiert sind, was der Ausdruck »ἴσα« bezeichnet, und hinsichtlich derer man sagen könnte, daß es so etwas, unqualifiziert gleiche Gegenstände, gebe. Dies freilich scheint nicht die Antwort zu sein, mit der die Frage im Phaidon beantwortet wird. Von abstrakten Individuen als Gegenständen der Mathematik ist in dem Dialog keine Rede (auch wenn ironischerweise der Ausdruck »αὐτὰ τὰ ἴσα« manche Exegeten zu eben dieser Vermutung veranlaßt hat). Es scheint daher viel für Aristoteles’ Verdikt153 zu sprechen, daß die Vertreter der Ideenlehre aus Ermangelung 153 Vgl. Metaph. Ζ16, 1040b30-34; Μ9, 1086b7-11.
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von Individuen, die als so etwas charakterisiert sind, was der jeweils gegebene Prädikat-Ausdruck bezeichnet, gezwungen sind, das Designat des Prädikat-Ausdrucks zu einem selbständig existierenden Gegenstand des Typs Dieses zu erklären. Sind wir damit nicht letztlich doch bei der Deutung angekommen, wonach es sich bei αὐτὰ τὰ ἴσα um Individuen handelt, die die Eigenschaft des Gleichseins kontextfrei und/oder auf vollkommene Weise exemplifizieren? Und hatten wir diese Deutung oben (3.2.3) nicht mit Berufung auf die in der Einführung (1.2.3) gegen die Interpretation der Formen als Standards angeführten Argumente verworfen? Diese Fragen sind sicher berechtigt, doch gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen der Annahme einerseits, daß die als Gegenstände des Typs So etwas eingeführten Formen unter der Hand den Status von Gegenständen des Typs Dieses erhalten, weil es keine Individuen gibt, die als so etwas: unqualifiziert ..., charakterisiert sind, und der Annahme andererseits, daß sie bereits als Gegenstände des Typs Dieses eingeführt werden, weil sie gewisse Eigenschaften kontextfrei und/oder auf vollkommene Weise exemplifizieren sollen. Der ersten Annahme zufolge werden einer gegebenen Form einige der Prädikate, die ihr zutreffend zugeschrieben werden, qua so etwas zugeschrieben, während ihr einige andere als Gegenstand des Typs Dieses zugeschrieben werden. So kommen z. B. der Form des Frommen qua so etwas, Frommes, all die Prädikate zu, von denen gilt, daß alles, was fromm ist, notwendigerweise unter sie fällt (die von Owen so genannten B2-Prädikate der Form154). Dagegen kommen ihr als Gegenstand des Typs Dieses unter anderem all die Prädikate zu, von denen gilt, daß (notwendigerweise) alles, was eine Form ist, unter sie fällt (die von Owen so genannten A-Prädikate der Form155).
154 Vgl. Owen, Dialectic and Eristic, S. 108. Owen faßt die Klasse dieser Prädikate in Wirklichkeit etwas enger: er spricht von ihnen als »serving to define the particular concept in question« (ebd., S. 108), und nicht jedes Prädikat, unter das alles, was unter ein gegebenes Prädikat fällt, notwendigerweise fällt, dient dazu, das gegebene Prädikat zu definieren. Was die Weite meiner Definition der B2-Prädikate betrifft, kommt sie Keyts Definition der von ihm so genannten proper attributes der Formen näher: »A proper attribute of a given Form is one whose absence from a thing entails that the thing is not an instance of the given Form« (Keyt, Plato’s Paradox, S. 13). Ich ziehe aber die Rede von »Prädikaten« der Rede von »Attributen« vor, da diese den Eindruck erwecken mag, die Form sei ein Einzelding mit Eigenschaften (Keyts Definition hat in der Tat die Implikation, daß einer Form, x, die Eigenschaft, eine Instanz der Form x zu sein, als proper attribute zukommt; denn darin, daß ein Gegenstand die Eigenschaft, eine Instanz der Form x zu sein, nicht besitzt, ist eingeschlossen, daß er keine Instanz der Form x ist). 155 Vgl. Owen, Dialectic and Eristic, S. 108 und Keyts entsprechende Definition der von ihm so genannten ideal attributes: »An ideal attribute is one whose absence from a thing entails that the thing is not a Platonic idea« (Keyt, Plato’s Paradox, S. 12).
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Der zweiten Annahme zufolge werden der Form des Frommen alle Prädikate unter der Voraussetzung zugeschrieben, daß es sich bei der Form des Frommen um ein Individuum handelt, das die Eigenschaft, fromm zu sein, uneingeschränkt exemplifiziert. Dieser Unterschied ist deshalb so gravierend, weil viele, ja die meisten der Eigenschaften, die dem zweiten Ansatz zufolge von den einzelnen Formen uneingeschränkt und/oder in vollkommener Weise exemplifiziert werden sollen, offensichtlich von abstrakten Gegenständen, wie es die Formen sind, gar nicht exemplifiziert werden können. Die Erklärung der Zuschreibung der entsprechenden B2-Prädikate mit dem vermeintlichen Status der Formen als Exempla erscheint daher als völlig unplausibel. Welchen Sinn hat das Postulat von abstrakten Exempla für Eigenschaften, bei denen es auf der Hand liegt, daß sie nur von konkreten Gegenständen exemplifiziert werden können? Der erste Ansatz kann dagegen die Zuschreibung der B2-Prädikate auf plausible Weise damit erklären, daß die Formen auch und sogar primär den Status von Gegenständen des Typs So etwas haben, und den in einer Reihe von Fällen auftretenden Anschein eines Konflikts zwischen den A- und den B2-Prädikaten der Formen mit der Unterscheidung verschiedenener Ebenen von Gegenstandstypen, auf denen die vermeintlich unverträglichen Prädikate zur Anwendung kommen, auflösen. Gewiß, er vermag dies nur um den Preis der Annahme einer Konfusion verschiedener Gegenstandstypen in der Bestimmung des Gegenstandsstatus der Formen. Mit dieser Annahme scheint mir jedoch dem hermeneutischen principle of charity eher Genüge getan zu sein als mit der Unterstellung der offenkundig absurden Konzeption von abstrakten Exempla für Eigenschaften, die von abstrakten Gegenständen überhaupt nicht exemplifiziert werden können. Dies scheint mir umso mehr der Fall zu sein, als auch der Versuch, die Formen strikt als Gegenstände des Typs So etwas zu bestimmen, ZweiEbenen-Paradoxien hervorruft, diese also in der Konzeption solcher Gegenstände selber wurzeln, unabhängig davon, ob man sie »absondert« oder nicht. Denn all die Prädikate, unter die ein Gegenstand des Typs So etwas fällt, weil er als Gegenstand dieses Typs charakterisiert ist, werden ihm auf derselben Ebene (d. h. unter Anwendung derselben Aussageweise) zugeschrieben, auf der den Formen die A-Prädikate zugeschrieben werden, und konfligieren daher bei einigen Gegenständen des Typs So etwas genau so mit deren B2-Prädikaten, wie bei einigen Formen die A-Prädikate mit deren B2-Prädikaten konfligieren. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Der Prädikat-Ausdruck »ein Gegenstand des Typs Dieses« soll wie alle PrädikatAusdrücke für einen Gegenstand des Typs So etwas derart stehen, daß dieser das Subjekt von B2-Prädikationen ist, z. B. der B2-Prädikation, daß ein Gegenstand des Typs Dieses kein Gegenstand des Typs So etwas ist. Diese
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Aussage konfligiert nun mit der auf der Ebene von A-Prädikaten operierenden Aussage, daß das, wofür der Ausdruck »ein Gegenstand des Typs Dieses« steht, ein Gegenstand des Typs So etwas ist, und der Konflikt zeigt, daß man die Zwei-Ebenen-Paradoxien nicht loswird, wenn man sich nicht dazu durchringt, die Annahme aufzugeben, daß die Subjekt-Terme der Sätze, die B2-Prädikationen ausdrücken, zur Bezugnahme auf etwas verwendet werden. Nicht nur Platon, auch Aristoteles muß sich den Vorwurf gefallen lassen, sich von der grammatischen Form der Prädikationen zu falschen Annahmen über ihre logische Form verleiten zu lassen.156 Was bleibt von den Gegenständen des Typs So etwas übrig, wenn man sie aus ihrer unglücklichen Rolle als Subjekte von B2-Prädikationen entläßt? Wie wir gesehen haben, ist ihnen eine weitere Rolle zugedacht – die Rolle als Gegenstände, die von Prädikat-Termen bezeichnet werden. Diese Rolle scheint nun nicht weniger unglücklich zu sein als die erste. Denn Prädikat-Terme haben eine andere Funktion als die, etwas zu bezeichnen, und die These, sie bezeichneten etwas, wird nicht richtiger dadurch, daß man hinzufügt: »kein Dieses einer Art (τόδε τι), sondern so etwas (τοιόνδε)« – im Gegenteil: diese Hinzufügung verwickelt einen in neuerliche Paradoxien. Denn wenn wir das, was ein Prädikat-Term vermeintlich bezeichnet, ontologisch klassifizieren wollen, so müssen wir darauf mit singulären Termen Bezug nehmen und machen es so ganz unvermeidlich zu einem Dies einer Art. Den Gegenständen des Typs So etwas ist somit zwar das eher niederschmetternde Zeugnis auszustellen, Subjekte von Aussagen zu sein, die keine Subjekte haben, und Designate von Ausdrücken, die nichts bezeichnen. Doch läßt es sich leicht verständlich machen, wie man unter den auf den ersten Blick naheliegenden Annahmen, daß jede Aussage eine Aussage über etwas ist und jeder Ausdruck etwas bezeichnet, zu der Konzeption solcher Gegenstände kommt. Insofern verletzen wir keineswegs das principle of charity, wenn wir sie Platon und Aristoteles zuschreiben.
156 Vgl. Vlastos, The »Two Level-Paradoxes«, S. 333f.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
3.2.6 Anhang: Aristoteles über die platonische Trennung (χωρισμός) der Gegenstände des Typs So etwas Was bedeutet es laut Aristoteles für die platonischen Formen, getrennt157 (χωριστά) zu sein? In der Literatur finden sich verschiedene Antworten auf diese Frage, unter ihnen etwa folgende: Individuen zu sein und unabhängig von Partizipanten zu existieren;158 unabhängig von Partizipanten existieren zu können,159 von anderen Substanzen getrennt zu sein;160 für die Existenz nicht auf ein Zugrundeliegendes angewiesen zu sein.161 Ein Ausgangspunkt zur Bestimmung des Getrenntseins, das Aristoteles Platons Formen zuschreibt, ist Devereux’ Beobachtung,162 daß Aristoteles »χωριστόν« zum einen als unvollständigen, mit einem Genitiv zu ergänzenden Ausdruck, zum anderen in bezug auf Substanzen als vollständigen Ausdruck verwendet (diese zweite Verwendung, derzufolge ein Satz der Form »α ἐστι χωριστόν« soviel bedeutet wie ein entsprechender der Form »¬∃x (x liegt α zugrunde)«,163 scheint vor Deveraux übersehen worden zu sein,164 und so auch dann, wenn es um das Getrenntsein der platonischen Formen ging). Aus der doppelten Verwendung von »χωριστόν« ergeben sich zwei Möglichkeiten, das Getrenntsein einer Form zu erklären. Nach der einen Erklärung besteht ihr Getrenntsein darin, daß ihr keines der Dinge, von denen sie partizipiert wird, zugrundeliegt: (i)
∀x∀y (x ist eine Form & x wird von y partizipiert → ¬y liegt x zugrunde).
Nach der anderen Erklärung besteht es darin, daß ihr nichts zugrundeliegt:
157 Oder sollte man »trennbar« sagen? Die Frage stellt sich deshalb, weil das Verbaladjektiv »χωριστόν« sowohl im Sinne von »getrennt« als auch im Sinne von »trennbar« verwendet werden kann. Die Tatsache, daß Aristoteles in bezug auf platonische Formen statt »χωριστόν« auch »κεχωρισμένον« (Metaph. Ζ14, 1039a30f.) und »χωρίς« (vgl. Α9, 991b1-3) verwendet, spricht für die Wiedergabe mit »getrennt«. Vgl. zur Frage auch Morrison, Χωριστός in Aristotle, S. 95. 158 Vgl. Allen, Plato’s ›Euthyphro‹, S. 132. 159 Vgl. Fine, Separation, S. 263 und Vlastos, Socrates, S. 265. 160 Vgl. Morrison, Separation, S. 149. 161 Vgl. Devereux, Separation and Immanence, S. 81. 162 Vgl. ebd., S. 80. 163 Vgl. Ph. Α2, 185a31f. 164 Morrison z. B. setzt in seiner sonst so wertvollen Untersuchung »Separation in Aristotle’s Metaphysics« als selbstverständlich voraus, daß »χωριστόν« stets ein zweistelliges Prädikat ausdrücke.
Untersuchungen zum Phaidon und zu Peri Ideon (ii)
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∀x (x ist eine Form → ¬∃y (y liegt x zugrunde)).
Für die Lesart (i) scheint zu sprechen, daß Aristoteles in Μ9 denselben Sachverhalt, den er in Μ4 mit »τὰ καθόλου οὐ χωριστὰ ἐποίει οὐδὲ τοὺς ὁρισμούς« (1078b30f.) ausdrückt, mit »οὐ μὴν ἐχώρισέ γε τῶν καθ’ ἕκαστον« (1086b3f.) auszudrücken scheint, d. h. mit einer Formulierung, in der von der Trennung der Universalien von Einzeldingen die Rede ist. Formen als getrennt anzusetzen (χωριστὰ ποιεῖν) scheint damit identisch zu sein, sie von Einzeldingen zu trennen (χωρίζειν τῶν καθ’ ἕκαστον). Andererseits ist nicht auszuschließen, daß mit den beiden Formulierungen verschiedene Sachverhalte ausgedrückt werden. Und tatsächlich legt der Zusammenhang, in dem »χωριστόν« in Μ9 auf platonische Formen angewandt wird, eher die Lesart (ii) nahe. Denn Aristoteles verwendet in diesem Abschnitt zur Charakterisierung der platonischen Formen den Ausdruck »χωριστόν ἐστι« (»ist getrennt«) austauschbar mit »ἐστι τῶν καθ’ ἕκαστα« (»gehört zu den Einzeldingen«) (vgl. Μ9, 1086a33f.).165 Die platonischen Formen sollen also in der Weise getrennt sein wie die Einzeldinge (vgl. auch Μ10, 1086b18). Diese sind nun nicht so getrennt, daß sie Partizipanten haben, von denen sie getrennt sind, sondern so, daß ihnen nichts zugrundeliegt. Der für die Formen erhobene Anspruch, getrennt zu sein, bedeutet somit nach (ii), daß es kein Zugrundeliegendes gibt, an dem sie vorliegen. Nun ist ihr Getrenntsein zwar nicht damit identisch, daß sie nicht an ihren Partizipanten vorliegen (vgl. (i)), schließt letzteres aber ein: wenn es für eine Form kein Zugrundeliegendes gibt, an dem sie vorliegt, ist auch kein Partizipant der Form ein derartiges Zugrundeliegendes; folglich ist die Form von ihren Partizipanten getrennt. Somit ist im Trennen (χωριστὰ ποιεῖν) der Formen, von dem in Μ4 die Rede ist, das Trennen von den Einzeldingen (χωρίσαι τῶν καθ’ ἕκαστον), von dem in Μ9 die Rede ist, enthalten. Nun scheint für Aristoteles das Getrenntsein der Formen in ihrem Substanz-Sein enthalten zu sein (vgl. Ζ16, 1040b27-29; Μ9, 1086b7-9). Er scheint also folgendes Prinzip anzunehmen: ∀x (x ist eine Substanz → ¬∃y (y liegt x zugrunde)).
Man mag dieses Prinzip zwar mit Verweis auf Aristoteles’ eigene Formen in Frage stellen und geltend machen, daß er einer Form (so wie er sie versteht) den Titel »οὐσία« verleihe, obwohl er der Auffassung sei, daß sie an einem Zugrundeliegenden vorliege (vgl. z. B. Ζ13, 1038b6). Jedoch dürfte eine aristotelische Form in einer anderen Verwendung von »οὐσία« (derzu165 An anderen Stellen werden »χωριστόν« und »κεχωρισμένον« in enger Verbindung mit »τόδε τι« gebraucht, vgl. Ζ14, 1039a30f. und Κ2, 1060b1f.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
folge sie nicht eine Substanz, sondern als Grund des Seins (αἴτιον τοῦ εἶναι) einer Substanz das Wesen166 einer Substanz ist, vgl. Metaph. Δ8, 1017b15) den Titel tragen als die Substanzen, für die das oben formulierte Prinzip aufgestellt worden ist und die gerade deshalb, weil sie nicht von einem Zugrundeliegenden ausgesagt werden, als Substanzen eingestuft werden (Metaph. Δ8, 1017b13f.; vgl. Ph. Α2, 185a31f.), so daß sich das Prinzip umkehren läßt: ∀x (¬∃y (y liegt x zugrunde) → x ist eine Substanz).
Aus welchen Gründen hat Platon laut Aristoteles die Formen abgetrennt? Aristoteles gibt in Metaphysik Μ4 folgende Erklärung dafür, daß Platon zur Annahme von selbständig existierenden Formen gekommen sei: συνέβη δ’ ἡ περὶ τῶν εἰδῶν δόξα τοῖς εἰποῦσι διὰ τὸ πεισθῆναι περὶ τῆς ἀληθείας τοῖς Ἡρακλειτείοις λόγοις, ὡς πάντων τῶν αἰσθητῶν ἀεὶ ῥεόντων, ὥστ’ εἴπερ ἐπιστήμη τινὸς ἔσται καὶ φρόνησις, ἑτέρας δεῖν τινὰς φύσεις εἶναι παρὰ τὰς αἰσθητὰς μενούσας· οὐ γὰρ εἶναι τῶν ῥεόντων ἐπιστήμη. (1078b12-17)
Diese Erklärung scheint freilich, gemessen an Aristoteles’ eigener Auffassung platonischer Formen, in doppelter Hinsicht unvollständig zu sein. Denn erstens vertritt er die These, daß es zum Begriff platonischer Formen gehört, daß sie Substanzen sind,167 und zwar wie die Einzeldinge in der Weise, daß sie getrennt sind.168 Was stellt aber sicher, daß es sich bei den von den wahrnehmbaren Naturen verschiedenen stabilen Naturen (ἕτεραι [...] φύσεις παρὰ τὰς αἰσθητὰς μένουσαι) um solche Substanzen handelt? Und zweitens besteht auch dann, wenn die Terme »φύσεις« in 1078b16 und »οὐσίαι« koextensive Prädikate ausdrücken, die Möglichkeit, daß die von den wahrnehmbaren Naturen verschiedenen stabilen Naturen Gegenstände ganz anderer Art als platonische Formen sind, z. B. die sog. μαθηματικά, von denen gilt, daß sie zwar wie die Formen ewig und prozeßfrei existieren (ἀΐδια καὶ ἀκίνητα), doch im Unterschied zu ihnen als viele ähnliche Dinge einer Art (πόλλ’ ἄττα ὅμοια) jeweils mehrfach vorkommen (Α6, 987b16f.). Nun ist sich Aristoteles, was den zweiten Punkt betrifft, der Unvollständigkeit der in Μ4, 1078b12-17 gegebenen Erklärung durchaus bewußt; denn in Μ9 bemerkt er, daß die Vertreter der Formen die von den wahr166 Das griechische Wort »οὐσία« kann sowohl mit Artikel »ἡ« als Bestandteil singulärer Terme im Sinne von »das Wesen von ...« als auch ohne Artikel als genereller Term im Sinne von »eine Substanz« verwendet werden. 167 Vgl. Μ9, 1086b8f., Ζ16, 1040b27-29. 168 Vgl. Μ9, 1086a33f., vgl. Μ10, 1086b17f.
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nehmbaren Naturen verschiedenen stabilen Naturen aus Ermangelung anderer Gegenstände mit den von Sokrates geerbten allgemein ausgesagten Entitäten (καθόλου λεγόμεναι) identifiziert hätten.169 Was den ersten Punkt betrifft, scheint der Term »φύσις« in 1078b16 tatsächlich ein mit dem von »οὐσία« ausgedrückten Prädikat koextensives, wenn nicht identisches Prädikat auszudrücken.170 Denn die in Μ4, 1078b15f. mit »ὥστ’ [...] ἑτέρας δεῖν τινὰς εἶναι φύσεις παρὰ τὰς αἰσθητὰς μενούσας« (»so daß [...] es von den wahrnehmbaren Naturen verschiedene beständige Naturen geben müsse«) ausgedrückte Konklusion wird in M9, 1086b8 in der Protasis eines Konditionalsatzes mit »εἴπερ ἔσονταί τινες οὐσίαι παρὰ τὰς αἰσθητὰς καὶ ῥεούσας« (»wenn es Substanzen neben den wahrnehmbaren und unbeständigen geben wird«) so ausgedrückt, daß der Ausdruck »τινες οὐσίαι« an die Stelle des Ausdrucks »τινὰς φύσεις« tritt.171 Aristoteles’ Erklärung der platonischen Formenannahme ist also, den beiden für ihn zentralen Charakteristiken der Formen entsprechend, zweigeteilt: Der Substanz-Charakter der Formen soll eine Konsequenz des in Μ4, 1078b12-17 wiedergegebenen, herakliteisch beeinflußten Arguments sein, ihr Universalienstatus hingegen sokratisches Erbe (dieses Erbe wird im Anschluß an die Stelle in Μ4 thematisiert). Wir wollen uns zunächst mit dem ersten Teil seiner Erklärung, d. h. mit seiner Wiedergabe des Arguments für die Existenz der von den wahrnehmbaren Naturen verschiedenen stabilen Naturen in Μ4, 1078b12-17 beschäftigen, das sich, vorläufig und in enger Anlehnung an den aristotelischen Wortlaut, so aufschlüsseln läßt:
169 Vgl. Μ9, 1086b9f.: »ἄλλας [...] οὐκ εἶχον« und Ζ16, 1040b30f. »οὐκ ἔχουσιν ἀποδοῦναι τίνες αἱ τοιαῦται οὐσίαι αἱ ἄφθαρτοι παρὰ τὰς καθ’ ἕκαστα καὶ αἰσθητάς«. 170 Vgl. den Gebrauch beider Terme in Ζ6, 1031a30, b1. 171 Fine (Separation, S. 268) gibt »ὥστ’ [...] ἑτέρας δεῖν τινὰς φύσεις εἶναι παρὰ τὰς αἰσθητὰς μενούσας« mit »There are nonsensible natures, universales, besides (para) sensibles« wieder und wendet sich ausdrücklich gegen das Verständnis von »φύσεις« im Sinne von »οὐσίας«. Es scheint mir freilich klar zu sein, daß in M9, 1086b8f. mit »εἴπερ ἔσονταί τινες οὐσίαι παρὰ τὰς αἰσθητὰς καὶ ῥεούσας« keine neue (und im Kontext nicht gerechtfertigte) Prämisse eingeführt wird (so die Annahme von Fine [Separation, S. 270]), sondern die Konklusion des in Μ4, 1078b12-17 referierten Arguments für die Existenz beständiger φύσεις aus der Existenz von Wissen wiederaufgenommen wird. Dafür spricht auch folgende Überlegung. Aristoteles will mit der Wiedergabe des von den Herakliteern beeinflußten Arguments erklären, warum Platon in seinem Formverständnis von Sokrates abgewichen ist. Nun liegt der Punkt der Abweichung für Aristoteles darin, die allgemein ausgesagten Gegenstände zu selbständig existierenden οὐσίαι zu erklären. Würde nun das Argument zu der Konklusion führen, die Fine ihm zuschreibt, so wäre seine Wiedergabe denkbar ungeeignet, Platons Abweichung von Sokrates zu erklären; denn auch Sokrates nimmt laut Aristoteles die Existenz von »nonsensible natures, universales, besides (para) sensibles« an.
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Formen als Gegenstände des Typs So etwas und des Typs Dieses
(1)
Es gibt Wissen172
(2)
Wissen ist Wissen von etwas173
(3)
Es gibt Gegenstände des Wissens [aus (1) und (2)]
(4)
Unbeständiges kann nicht Gegenstand des Wissens sein174
(5)
Alle Sensibilia sind unbeständig175
(6)
Kein Sensibile kann Gegenstand des Wissens sein [aus (4) und (5)]
(7)
Es gibt nicht-sensible Substanzen176 [Schlußkonklusion aus (3) und (6)]
In diesem Argument klafft eine Lücke. Denn was aus (3), (4) und (6) allenfalls gefolgert werden kann, ist dies, daß es nicht-sensible, beständige Gegenstände des Wissens gibt, nicht aber, daß es nicht-sensible, beständige Substanzen gibt. Nur wenn wir bereits das τι, von dem in (2) die Rede ist (vgl. »ἐπιστήμη τινός« 1078b15), als eine Substanz verstehen, erhalten wir die in (7) formulierte Schlußkonklusion. Bereits die Tatsache, daß das Argument in äußerst komprimierter Form wiedergegeben wird, mag eine solche Präzisierung legitimieren. Doch sollten wir uns nicht der Frage enthoben fühlen, ob die Präzisierung auch sachlich plausibel oder zum Zwecke eines schlüssigen Arguments bloß stipuliert ist. Zu fragen ist also, welcher Art das Wissen ist, dessen Existenz mit (1) behauptet wird, und ob es solcher Art ist, daß man seine Gegenstände oder 172 Impliziert in »εἴπερ ἐπιστήμη [...] ἔσται καὶ φρόνησις« (1078b15). 173 Vgl. »ἐπιστήμη τινός« (1078b15). 174 Vgl. »οὐ γὰρ εἶναι τῶν ῥεόντων ἐπιστήμην« (1078b16f.). 175 Vgl. »ὡς πάντων τῶν αἰσθητῶν ἀεὶ ῥεόντων« (1078b14f.). Ich nehme an, daß diese Formulierung sowie die Formulierung »τῶν αἰσθητῶν [...] ἀεί γε μεταβαλλόντων« (Α6, 987b7) wörtlich zu nehmen sind, d. h. in dem Sinne, daß die Sensibilia permanenter Veränderung in der Zeit unterliegen. Vermutlich denkt Aristoteles an die Beschreibung des Kreislaufs der Elemente im Timaios (Ti. 49b7-c7). Der Timaios drängt sich als Quelle vor allem auf, wenn man bedenkt, daß Timaios tatsächlich die Existenz der Formen damit rechtfertigt, daß es ohne sie keine φρόνησις gäbe (vgl. zur Rekonstruktion seines Arguments unten 4.4.1). Irwin, der sich gegen diese Deutung der oben zitierten Formulierungen ausspricht, gibt zwar zu erwägen: »If particulars undergo some s-change (gemeint ist: Veränderung in der Zeit, BS) and eventually go out of existence, Plato might deny that there can be knowledge of them; perhaps he believes that knowledge must be of what is always true, and therefore about objects which do not change, not about objects which change and so falsify previous truths about them«, jedoch nur, um die Deutung sogleich zu verwerfen: »No such assumption about knowledge is mentioned in any arguments for the separation of Forms.« (Plato’s Heracleiteanism, S. 107) Letzteres ist zutreffend; aber Timaios’ mehrmalige Identifikation der Klassen des von zeitlicher Veränderung Ausgenommenen und der Gegenstände vernünftiger Einsicht (vgl. etwa 28a1f., 29a6f., 48e6) macht es mehr als wahrscheinlich, daß jene Annahme über Wissen in dem Argument für die Formen qua Gegenstände vernünftiger Einsicht in Ti. 51de implizit vorausgesetzt ist. Zumindest spricht nichts dagegen, daß Aristoteles das Argument so versteht. 176 Vgl. »ὥστ’ [...] ἑτέρας δεῖν τινὰς φύσεις εἶναι παρὰ τὰς αἰσθητὰς μενούσας« (1078b15f.); vgl. Μ9, 1086b8: »ἔσονταί τινες οὐσίαι παρὰ τὰς αἰσθητὰς καὶ ῥεούσας«.
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zumindest manche seiner Gegenstände sinnvollerweise als Substanzen einstufen kann. Allerdings müssen wir, bevor wir diese Frage zu beantworten suchen, zunächst rechtfertigen, daß der Ausdruck »οὐσίαι«, der in Μ9, 1086b8 in der Reformulierung der in Μ4, 1078b15f. formulierten Konklusion vorliegt, in (7) zurecht mit »Substanzen« wiedergegeben wird. Denn der Ausdruck »οὐσία« wird von Aristoteles bekanntlich auf zwei Weisen verwendet: zum einen als genereller Term, um Substanzen von Gegenständen anderer Kategorien abzugrenzen; zum anderen als Teil eines singulären Terms, um etwas als das Wesen von etwas zu charakterisieren (vgl. oben Anm. 166). Hinzu kommt, daß nach aristotelischer Auffassung auf eine Form laut Platons Formkonzeption der Term »οὐσία« in beiden Gebrauchsweisen Anwendung finden soll: sie soll einerseits die οὐσία, das Wesen ihrer Partizipanten sein (Α9, 991b2); andererseits soll sie in der Weise, wie die Einzeldinge (τὰ καθ’ ἕκαστα) οὐσίαι sind, eine οὐσία sein, d. h. so, daß sie getrennt (χωριστή) ist (Μ9, 1086a33f.). Es ist nun offensichtlich die zweite Verwendung von »οὐσία«, die in Μ9, 1086b8 in der Reformulierung der mit (7) wiedergegebenen Konklusion vorliegt. Denn das οὐσία-Sein der Form, von dem in Μ9, 1086b8 die Rede ist, schließt ein, daß die Form getrennt ist (vgl. Μ9, 1086b8f.; Ζ16, 1040b28f.) – und schließt somit aus, daß sie das Wesen ihrer Partizipanten ist (da ja letzteres impliziert, daß die Form von diesen nicht getrennt ist, wie Aristoteles in Α9, 991b2 hervorhebt). Nun ist darin, auf dieselbe Weise wie ein konkretes Einzelding eine οὐσία zu sein, nicht nur enthalten, so wie es getrennt zu sein, sondern auch umgekehrt ist darin, auf dieselbe Weise wie ein konkretes Einzelding getrennt zu sein, enthalten, so wie es eine οὐσία zu sein. Denn ein Einzelding ist eben deshalb eine οὐσία, weil es nicht an einem Zugrundeliegenden vorliegt (vgl. Metaph. Δ8, 1017b13f.) und in diesem Sinne getrennt ist. Wir können demnach die zu Beginn des letzten Abschnitts gestellte Frage, ob das Wissen, dessen Existenz in (1) behauptet wird, solcher Art ist, daß man seine Gegenstände oder zumindest einige von ihnen plausiblerweise als οὐσίαι einstufen kann, als Frage danach präzisieren, ob es solcher Art ist, daß man seine Gegenstände oder zumindest einige von ihnen plausiblerweise als getrennt, d. h. nicht an einem Zugrundeliegenden vorliegend einstufen kann. Unter der Annahme, daß das Wissen, von dem in (1) die Rede ist, definitorisches Wissen ist, scheint die Frage auf den ersten Blick zu verneinen zu sein. Die Annahme selbst läßt sich damit rechtfertigen, daß die aus (4) und (5) gewonnene, in Μ4 nicht explizit formulierte Zwischenkonklusion (6) in Α6, 987b6f. mit den Worten »ἀδύνατον γὰρ εἶναι τὸν κοινὸν ὅρον τῶν αἰσθητῶν τινός, ἀεί γε μεταβαλλόντων« wiedergegeben wird, die klar
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machen, daß das Wissen (ἐπιστήμη) eine Menge wahrer definitorischer Aussagen (κοινοὶ ὅροι) ist. Aus der Annahme folgt nun, daß die Gegenstände, von denen in (3) gesprochen wird, Definitionsgegenstände sind, und daraus scheint seinerseits zu folgen, daß Aristoteles sie als allgemein ausgesagte Gegenstände und somit nicht als Substanzen (vgl. Ζ13, 1038b8f.) einstufen würde. Freilich scheint er (7) für eine schlüssige Folgerung aus den Prämissen zu halten; jedenfalls läßt er nichts verlauten, was das Gegenteil vermuten ließe. Sollen wir also schließen, daß er übersehen habe, daß (7) aus den Prämissen nicht folgt, wenn, wie er selbst anzunehmen scheint, das Wissen als definitorisches Wissen und die Definitionsgegenstände als allgemein ausgesagte, an einem Zugrundeliegenden vorliegende Entitäten zu bestimmen sind? Ehe man diese Frage möglicherweise voreilig mit »Ja« beantwortet, sollte man sich bewußt machen, daß der Ausdruck »Definitionsgegenstand« doppeldeutig ist. Zum einen kann man als Gegenstand der Definition »Der Mensch ist ein [...] Lebewesen« das verstehen, was über die vielen EinzelMenschen ausgesagt wird. So verstanden, ist der Gegenstand der Definition in der Tat etwas allgemein Ausgesagtes und nach aristotelischem Verständnis keine Substanz. Andererseits kann auch jeder einzelne Mensch als Gegenstand der Definition aufgefaßt werden, insofern jeder einzelne Mensch die Definition erfüllt. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Sinne die Rede von einem Definitionsgegenstand in bezug auf (2) und (3) zu verstehen ist. Wie oben bemerkt, wird die Zwischenkonklusion (6) in Α6, 987b6f. mit »ἀδύνατον γὰρ εἶναι τὸν κοινὸν ὅρον τῶν αἰσθητῶν τινός, ἀεί γε μεταβαλλόντων« wiedergegeben. Damit wird behauptet, daß keines der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, die unter einen bestimmten Prädikat-Term fallen, Gegenstand der Definition des Terms sein kann, da sich jedes von ihnen permanent verändert. Nun dürfte niemand ernsthaft behaupten, daß irgendeines der sinnlich wahrnehmbaren Dinge mit dem identisch ist, was mit dem Prädikat-Term über sie ausgesagt wird. Die These in Α6, 987b6f. dürfte sich daher gegen die Auffassung richten, daß irgendeiner der sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände, über die ein bestimmter Prädikat-Term ausgesagt wird, ein Definitionsgegenstand in dem Sinne sein kann, daß er die Definition des Terms erfüllt.177 Demnach ist auch in der Prämisse (2) das τι als Definitionsgegenstand im Sinne eines Einzelgegenstands, der eine bestimmte Definition erfüllt, zu verstehen. Die Prämisse besagt demzufolge, daß mit einem definitorischen Satz nur dann eine wahre Aussage gemacht wird, wenn es mindestens ein Einzelding gibt, das die von ihm ausgedrückte Definition erfüllt. 177 Vgl. Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 15-17.
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Diese Prämisse kann auf die Annahme zurückgeführt werden, daß es sich bei den definitorischen Sätzen um Sätze wie »Der Mensch ist ein [...] Lebewesen« handelt und z. B. dieser Satz eine Aussage über so etwas, einen Menschen, ausdrückt,178 die nur dann wahr ist, wenn es so etwas, einen Menschen, gibt, und es so etwas, einen Menschen, nur dann gibt, wenn es mindestens ein Einzelding gibt, das so etwas, ein Mensch, ist. Ob es sich bei Definitionsgegenständen, d. h. den Einzeldingen, die bestimmte Definitionen erfüllen, um Substanzen handelt, hängt davon ab, ob der Term, der mit der Definition erklärt wird, ein Substanz-Term ist. Da es jedoch gewiß für Substanz-Terme epistemisch wahre Definitionen gibt, kann man annehmen, daß zu den Einzeldingen, die bestimmte Definitionen erfüllen, auch Substanzen gehören (von denen das Argument dann zeigt, daß sie nicht zur Klasse der sinnlich wahrnehmbaren Substanzen gehören). Die Frage, ob das Wissen (ἐπιστήμη) solcher Art ist, daß es plausibel ist, zumindest einige seiner Gegenstände als Substanzen im Sinne von Entitäten, die nicht an einem Zugrundeliegenden vorliegen, einzustufen, läßt sich daher bejahen. Soviel zur Erklärung der Schritte (1) – (3) des Arguments. Für die Erklärung der übrigen Schritte (4) – (7) ist die Deutung der Prämisse (4) entscheidend: Inwiefern kann die Definition eines Prädikat-Ausdrucks von Dingen, die zwar unter den Term fallen, jedoch unbeständig sind, nicht erfüllt werden? Wie kann z. B. die Tatsache, daß jemand zu einem gegebenen Zeitpunkt aufhört, ein Junggeselle zu sein, etwas daran ändern, daß er vor diesem Zeitpunkt ein Junggeselle war und zu dieser Zeit die Definition eines Junggesellen erfüllt hat?179 Der Prämisse (4) rechtfertigende Gedanke scheint mir der zu sein, daß es bei unbeständigen Dingen nur zeitbedingt wahr ist, daß die Definition des Prädikat-Terms, der über sie ausgesagt wird, von ihnen erfüllt wird, epistemische Aussagen jedoch ohne Zeitbezug als wahr zu bewerten sind.180 Wenn nun das Wahrsein einer epistemischen Definition davon abhängt, daß es wahr ist, daß die Definition von bestimmten Einzeldingen erfüllt wird, so muß die Definition von bestimmten Einzeldingen ohne Zeitbezug erfüllt werden. Daß also eine Definition für unbeständige Einzeldinge zu bestimmten Zeitpunkten Gültigkeit haben mag, genügt nicht zur Erklärung der zeitlosen Wahrheit der Aussage. Das Argument kann demnach insgesamt folgendermaßen rekonstruiert werden: 178 Vgl. dazu die Einführung (1.3). 179 Vgl. zu diesem Problem Dancy, Plato’s Introduction of Forms, S. 17-18. Dancy optiert im Anschluß an Irwin (Plato’s Heracleiteanism) für eine nicht-temporale Deutung der Unbeständigkeit der Sensibilia. Vgl. dazu jedoch oben Anm. 175. 180 Vgl. zum darin vorausgesetzen temporalistischen Wahrheitsverständnis unten (4.4.1).
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(1)
∃x (x ist eine epistemisch wahre Definition & ∀y (y erfüllt x → y ist eine Substanz))
(2)
∀x (x ist eine epistemisch wahre Definition → ∃y (y erfüllt x zeitlos))
(3)
∃x∃y (x ist eine epistemisch wahre Definition & y erfüllt x zeitlos & y ist eine Substanz) [Zwischenkonklusion aus (1) und (2)]
(4)
∀x (x ist unbeständig → ¬∃y (y ist eine epistemisch wahre Definition & x erfüllt y zeitlos))
(5)
∀x (x ist sinnlich wahrnehmbar → x ist unbeständig)
(6)
∀x (x ist sinnlich wahrnehmbar → ¬∃y (y ist eine epistemisch wahre Definition & x erfüllt y zeitlos)) [Zwischenkonklusion aus (4) und (5)]
(7)
∃x∃y (x ist eine epistemisch wahre Definition & y erfüllt x zeitlos & y ist eine Substanz & ¬y ist sinnlich wahrnehmbar) [Schlußkonklusion aus (3) und (6)]
Nun ist, wie ich bereits oben bemerkt habe, das Postulat von nicht sinnlich wahrnehmbaren Substanzen, die bestimmte Definitionen zeitlos erfüllen, noch nicht hinreichend für den χωρισμός der Formen. Erst die weitere These, daß der allgemein ausgesagte Gegenstand, auf den der mit einer epistemisch wahren Definition definierte Substanz-Term bezogen wird, mit der nicht sinnlich wahrnehmbaren Substanz, die die Definition zeitlos erfüllen soll, identisch sei, führt zum χωρισμός des Gegenstands, und zwar deshalb, weil für jede Substanz gilt, daß sie im oben spezifizierten Sinne χωριστόν ist.
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3.3 Dritte Untersuchung: Zwei Lücken im Text des Arguments für die Existenz von Formen aus den Relativa 3.3.1 Einleitung Alexander referiert in seinem Metaphysik-Kommentar (82.11-83.17) aus Aristoteles’ Schrift »Περὶ ἰδεῶν« ein »Argument, das Formen aus den Relativa zu begründen sucht« (»ὁ [...] ἐκ τῶν πρός τι κατασκευάζων ἰδέας λόγος« 82.11181). Nach D. Harlfingers Edition des in den Handschriften OAC bezeugten Texts der recensio vulgata hat es folgenden Wortlaut (die Gliederung stammt von Owen182): I
ἐφ’ ὧν ταὐτόν τι πλειόνων κατηγορεῖται μὴ ὁμωνύμως, ἀλλ’ ὡς μίαν τινὰ δηλοῦν φύσιν, (a) ἤτοι τῷ κυρίως τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον εἶναι ταῦτα ἀληθεύεται κατ’ αὐτῶν, ὡς ὅταν ἄνθρωπον λέγωμεν Σωκράτην καὶ Πλάτωνα, (b) ἢ τῷ εἰκόνας αὐτὰ εἶναι τῶν ἀληθινῶν, ὡς ἐπὶ τῶν γεγραμμένων ὅταν τὸν ἄνθρωπον κατηγορῶμεν (δηλοῦμεν γὰρ ἐπ’ ἐκείνων τὰς τῶν ἀνθρώπων εἰκόνας τὴν αὐτήν τινα φύσιν ἐπὶ πάντων σημαίνοντες), (c) ἢ ὡς τὸ μὲν αὐτῶν ὂν τὸ παράδειγμα, τὰ δὲ εἰκόνας, ὡς εἰ ἀνθρώπους Σωκράτη τε καὶ τὰς εἰκόνας αὐτοῦ λέγοιμεν. II κατηγοροῦμεν δὲ κατηγορούμενον·
τῶν
ἐνταῦθα
τὸ
ἴσον
αὐτὸ
ὁμωνύμως
αὐτῶν
(a) οὔτε γὰρ ὁ αὐτὸς πᾶσιν αὐτοῖς ἐφαρμόζει λόγος, (b) οὔτε τὰ ἀληθῶς ἴσα σημαίνομεν· κινεῖται γὰρ τὸ ποσὸν ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καὶ μεταβάλλει συνεχῶς καὶ οὐκ ἔστιν ἀφωρισμένον. (c) ἀλλ’ οὐδὲ ἀκριβῶς τὸν τοῦ ἴσου λόγον ἀναδεχόμενον τῶν ἐνταῦθά ἐστί τι.
181 Ich zitiere nach dem von Fine (On Ideas, S. 6) gedruckten, auf Harlfingers Edition (in Leszl, S. 26-28) basierenden Text mit Angabe von Seiten- und Zeilenzahl der Ausgabe von Hayduck. Vgl. zur Bezeichnung des Arguments in 82.11 Fine, On Ideas, S. 316f. Anm. 1. 182 Owen, A Proof, S. 103.
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III ἀλλὰ μὴν ἀλλ’ οὐδὲ ὡς τὸ μὲν παράδειγμα αὐτῶν τὸ δὲ εἰκόνα· οὐδὲν γὰρ μᾶλλον θάτερον θατέρου παράδειγμα ἢ εἰκών. IV εἰ δὲ καὶ δέξαιτό τις μὴ ὁμώνυμον εἶναι τὴν εἰκόνα τῷ παραδείγματι, ἀεὶ ἕπεται ταῦτα τὰ ἴσα ὡς εἰκόνας εἶναι ἴσα τοῦ κυρίως καὶ ἀληθῶς ἴσου. V εἰ δὲ τοῦτο, ἔστι τι αὐτοΐσον καὶ κυρίως, πρὸς ὃ τὰ ἐνθάδε ὡς εἰκόνες γίνεταί τε καὶ λέγεται ἴσα, τοῦτο δέ ἐστιν ἰδέα, παράδειγμα †καὶ εἰκὼν† τοῖς πρὸς αὐτὸ γινομένοις.
Das Argument gliedert sich in drei Hauptteile. Im ersten Hauptteil (82.1183.6 = I) wird eine Einteilung der Möglichkeiten, generelle Terme von einer Mehrzahl von Dingen auf nicht-homonyme Weise zutreffend auszusagen,183 vorgenommen. Im zweiten Hauptteil (83.6-14 = II-IV) wird ohne Begründung vorausgesetzt, daß der Term »gleich« (bzw. sein griechisches Gegenstück »ἴσον«184) von den konkreten gleichen Dingen185 auf nichthomonyme Weise ausgesagt wird, und gezeigt, daß er von ihnen weder gemäß der ersten (IIa-c) noch gemäß der dritten (III), folglich gemäß der zweiten (IV) der in I unterschiedenen Arten nicht-homonymer Prädikation ausgesagt wird (dieses Verständnis ist zumindest die communis opinio über die argumentative Strategie dieses Teils186 und wird bereits vom Verfasser der terminologisch modifizierten Version des Arguments in LF zugrundegelegt). Im dritten Hauptteil (83.14-17 = V) wird aus diesem Resultat gefolgert, daß es eine von den konkreten Dingen verschiedene Form des Gleichen gebe. Das Kernstück des Arguments ist der zweite Hauptteil, in dem sich die beiden Sätze finden, deren Bedeutung am meisten umstritten ist und die auch im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen, die Sätze in 83.6f. und 83.12-14.187 Der Wortlaut des ersten, den zweiten Hauptteil eröffnenden Satzes ist in den Handschriften einhellig folgendermaßen überliefert: 183 Vgl. 83.1: »ταῦτα ἀληθεύεται κατ’ αὐτῶν«. Der Leser möge keinen Anstoß daran nehmen, daß ich im folgenden statt von »zutreffender nicht-homonymer Prädikation« häufig nur von »nicht-homonymer Prädikation« sprechen werde. Unzutreffende nicht-homonyme Prädikation spielt in dem Argument keine Rolle. 184 Vgl. oben in der Einführung (1.3) Anm. 63. 185 Ich spreche hier und im folgenden von »konkreten gleichen Dingen« mit Blick auf »τὰ ἐνταῦθα« (83.6, 83.10) bzw. »τὰ ἐνθάδε« (83.15). 186 Davon abweichende Auffassungen der Argumentationsstrategie vertreten Leszl (S. 193195) und Barford. 187 Rowe widmet den Großteil seines Aufsatzes der Interpretation dieser beiden Sätze, vgl. Rowe, The Proof from Relatives, S. 272-275 (zu 83.6f.) und ebd., S. 275-277 (zu 83.12-14).
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κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον.
Die Funktion dieses Satzes für die Argumentation wird von der Mehrheit der Exegeten darin gesehen, auszuschließen, daß der generelle Term »gleich« von den konkreten Dingen gemäß dem in 82.13-83.2 (= Ia) beschriebenen Prädikationstyp ausgesagt wird. Selbst diese Annahme wird jedoch keineswegs von allen Interpreten geteilt,188 und die Übereinstimmung derer, die sie teilen, endet bei der Bestimmung des Aussagegehalts des Satzes, insbesondere dem Verständnis seiner Syntax und der Ausdrücke »τὸ ἴσον αὐτὸ« und »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι«. Von der Diversität der in der Literatur vertretenen Interpretationen des Satzes zeugen bereits seine sehr stark divergierenden Übersetzungen. Hier eine Auswahl von ihnen: Now when we predicate ›absolutely equal‹ (τὸ ἴσον αὐτό) of things in this world, we use the predicate homonymously.189 Ora delle cose di quaggiù predichiamo l’uguale stesso, come predicato di esse, in modo omonimo.190 We predicate ›equal‹ in the strict sense (τὸ ἴσον αὐτό) of things in this world, being predicated of them homonymously (ὁμωνύμως).191 We predicate ›equal‹ by itself (τὸ ἴσον αὐτό) of things in the ordinary world (τὰ ἐνταῦθα), when it is predicated of them homonymously.192 And when we predicate the equal itself of the things here, we predicate it of them homonymously.193 Freilich sagen wir das selbst Gleiche, wenn es von den Dingen hier ausgesagt wird, in äquivoker Weise aus.194
Hinsichtlich des syntaktischen Verständnisses zeigen die Zitate, daß die einen Übersetzer (Owen, Fine, Graeser) das participium coniunctum »ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« mit einem Hauptsatz und den übergeordneten Satz »κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτὸ« mit einem konditionalen Nebensatz, die anderen (Leszl, Barford, Rowe) hingegen diesen Satzteil mit einem Hauptsatz und das participium coniunctum mit einem konditionalen Nebensatz oder mit einem Partizip wiedergeben. Hinsichtlich des Verständnisses von »τὸ ἴσον αὐτό« zeigen die Zitate, daß ein 188 Z. B. nicht von Cherniss (Aristotle’s Criticism, S. 230-232 Anm. 137), Leszl (S. 194) oder Barford (S. 200). 189 Owen, A Proof, S. 103. 190 Leszl, S. 46. 191 Barford, S. 199. 192 Rowe, The Proof from Relatives, S. 270. 193 Fine, On Ideas, S. 17. 194 Graeser, Aristoteles. ΠΕΡΙ ΙΔΕΩΝ, S. 133.
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Teil der Interpreten (Owen) den Ausdruck ingesamt auf einen mit Anführungszeichen als solchen gekennzeichneten sprachlichen Term bezieht, ein anderer (Rowe, Barford) dagegen nur »τὸ ἴσον«, während ihn die übrigen Exegeten (Leszl, Fine, Graeser) auf einen nicht-sprachlichen Gegenstand zu beziehen scheinen (zwar ist die Grenze zwischen dem Gebrauch sprachlicher Terme und der Bezugnahme auf sie bekanntlich oft nur gewaltsam zu ziehen, scheint aber für das Verständnis des vorliegenden Arguments nicht außer acht gelassen werden zu können, da in 82.13 das Ausgesagte (κατηγορούμενον) von dem, was es bezeichnet, mit dem Ausdruck »τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον« ausdrücklich abgegrenzt wird). Die große Diversität der in der Literatur vertretenen Verständnisweisen des Ausdrucks »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« lassen die zitierten Übersetzungen bedauerlicherweise nicht erkennen. Im folgenden will ich den Versuchen, dem Satz in der Form, wie er überliefert ist, einen Sinn abzugewinnen, keinen neuen hinzufügen, sondern zeigen, daß er in lückenhafter Gestalt auf uns gekommen ist. Zur Begründung dieser These will ich im anschließenden Teil der Untersuchung (3.3.2) auf drei sprachliche Verdachtsmomente hinweisen und im darauf folgenden Teil (3.3.3) mit einer Betrachtung möglicher Interpretationen des überlieferten Satzes deutlich machen, daß er, wie man ihn auch dreht und wendet, keinen befriedigenden Sinn ergibt. Zur Lösung der sprachlichen und sachlichen Probleme werde ich eine Lacuna zwischen »τὸ ἴσον« und »αὐτὸ« postulieren und eine Ergänzung für sie vorschlagen, mit der die Schwierigkeiten m. E. beseitigt werden können. Der zweite Satz in 83.12-14 (= IV) ist in den uns erhaltenen Handschriften ebenfalls einhellig überliefert: εἰ δὲ καὶ δέξαιτό τις μὴ ὁμώνυμον εἶναι τὴν εἰκόνα τῷ παραδείγματι, ἀεὶ ἕπεται ταῦτα τὰ ἴσα ὡς εἰκόνας εἶναι ἴσα τοῦ κυρίως καὶ ἀληθῶς ἴσου.
Dieser Satz ist im Gegensatz zum ersten in sprachlicher Hinsicht relativ klar; die Funktion seiner Protasis für die Argumentation des zweiten Hauptteils ist jedoch gleichfalls umstritten. Auch in seinem Fall scheinen mir die Verständnisschwierigkeiten mit der mangelhaften Überlieferung des Satzes, nämlich dem Ausfall einer Negation, zu erklären zu sein, wie ich unter 3.3.4 darlegen will.
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3.3.2 Drei sprachliche Beobachtungen zu 83.6f. 3.3.2.1 Die syntaktische Bestimmung des participium coniunctum Das erste sprachliche Problem, das der Satz in 83.6f. aufwirft, ist syntaktischer Natur und besteht in der Abgrenzung des participium coniunctum vom Rest des Satzes. Je nach dem, ob man »ὁμωνύμως« mit »κατηγοροῦμεν« oder mit »κατηγορούμενον« verbindet, kann das participium coniunctum mit »αὐτῶν κατηγορούμενον« oder mit »ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« identifiziert werden. Im ersten Fall scheint es nur als konditionales Partizip aufgefaßt werden zu können: »Wir sagen τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten Gegenständen auf homonyme Weise aus, wenn es von ihnen ausgesagt wird«. Doch ist schwer zu sehen, welche Funktion die Hinzufügung der Bedingung »wenn es von ihnen ausgesagt wird« haben soll. Denn bereits ohne diesen Zusatz drückt der Satz »Wir sagen τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten Gegenständen auf homonyme Weise aus« aus, daß wir, wenn wir τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten Gegenständen aussagen, es auf homonyme Weise aussagen. Im zweiten Fall könnte das participium coniunctum entweder als konditionales oder als modales Partizip interpretiert werden. Unter der ersten Annahme würde in 83.6f. behauptet, daß wir τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten Dingen aussagen, wenn es von ihnen auf homonyme Weise ausgesagt wird. Dies ist ein Verständnis des Satzes, das bisher kein Interpret vertreten zu haben scheint – auch wenn die oben zitierte Übersetzung Rowes die gegenteilige Annahme nahelegen mag195 – und das erfordert, »αὐτό« als Qualifikation der Art und Weise, wie τὸ ἴσον von den konkreten Dingen ausgesagt wird, zu verstehen (anderenfalls wäre die Aussage des Satzes trivial, da es trivialerweise der Fall ist, daß wir τὸ ἴσον αὐτό von konkreten Dingen aussagen, wenn wir es von ihnen auf homonyme Weise aussagen). Aber auch wenn man bereit ist, »αὐτό« so zu verstehen, spricht der argumentative Kontext des Satzes gegen ein solches Verständnis des gesamten Satzes. Denn die Argumentation des zweiten Hauptteils, an dessen Anfang der Satz steht, zielt auf eine Beantwortung der Frage, auf welche der drei Weisen nicht-homonymer Prädikation τὸ ἴσον (oder τὸ ἴσον αὐτό) von den konkreten Dingen ausgesagt wird (oder nach Barfords Rekonstruktion der Argumentation: ob τὸ ἴσον auf homonyme oder nicht-homonyme Weise von den konkreten Dingen ausgesagt wird); er zielt nicht auf eine Beant195 Rowe übersetzt den Satz zwar mit »We predicate ›equal‹ by itself (τὸ ἴσον αὐτό) of things in the ordinary world (τὰ ἐνταῦθα), when it is predicated of them homonymously« (Rowe, The Proof from Relatives, S. 270), behandelt aber in seiner Interpretation das Antecedens der Übersetzung als Succedens und das Succedens als Antecedens: »This is what 83.6-7 tell us: we regularly call τὰ ἐνταῦθα simply ›equal‹ [...]; but when we do, then we do so ὁμωνύμως.« (ebd., S. 273)
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wortung der Frage, wie wir τὸ ἴσον von den konkreten Dingen aussagen, wenn wir τὸ ἴσον von ihnen auf homonyme Weise aussagen. Somit bleibt nur die andere Möglichkeit, »ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« als modales Partizip zu interpretieren und den gesamten Satz so zu übersetzen: »Wir sagen von den konkreten Dingen τὸ ἴσον αὐτό aus, und zwar so, daß es von ihnen ὁμωνύμως ausgesagt wird«. Aber auch dieses Verständnis befriedigt nicht, und zwar aus zwei Gründen nicht. Erstens würde die Formulierung »κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτὸ ὁμωνύμως« genügen, um den Sachverhalt, daß wir τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten Dingen auf homonyme Weise aussagen, auszudrücken – »αὐτῶν κατηγορούμενον« wäre auch in diesem Fall redundant. Zweitens verbannt eine solche Deutung die Hauptaussage des Satzes, die Feststellung der Homonymie der Prädikation von τὸ ἴσον αὐτό – sie zu begründen, ist der Zweck der Argumente in 83.7-11 (= II) –, in das vom Objekt des finiten Verbs abhängige participium coniunctum und erzeugt so eine Mißverhältnis zwischen dem sachlichen und dem syntaktischen Gewicht der Aussage. Schließlich könnte man noch versuchen, das participium coniunctum mit »αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« zu identifizieren und als modales Partizip zu verstehen: »Wir sagen von den Dingen hier τὸ ἴσον aus, und zwar so, daß es selbst (αὐτό) von ihnen auf homonyme Weise ausgesagt wird«. Die Funktion des »αὐτό« könnte dann entweder darin gesehen werden, den Ausdruck »τὸ ἴσον«, der sowohl auf den Prädikat-Term als auch auf das Designat des Terms Bezug nehmen kann, von seiner Doppeldeutigkeit zu befreien und den Bezug auf das Designat selbst klarzustellen, oder darin, die Eigenschaft des Gleichseins unabhängig von den Qualifikationen und Spezifizierungen, mit denen sie den konkreten Dingen zugesprochen wird, in den Blick zu rücken. Mit der einen wie der anderen Lesart würde man nun zwar dem Redundanzeinwand entgehen; doch die Schwierigkeit, daß sich die eigentliche Aussage des Satzes, deren Begründung Zweck der folgenden Argumente ist, nicht im Satzteil mit verbum finitum, sondern im participium coniunctum fände, bliebe erhalten. Ferner würde sich die syntaktische Zäsur zwischen »τὸ ἴσον« und »αὐτό« mit der üblichen Verknüpfung beider Ausdrücke zu einem Ausdruck – »τὸ ἴσον αὐτό« – schlecht vertragen.
3.3.2.2 Das Fehlen eines Negationsausdrucks Die zweite Anomalie, die der Satz in sprachlicher Hinsicht aufweist, besteht darin, daß er nicht so formuliert ist, daß er die ihm von der Mehrheit der Interpreten zugeschriebene Funktion, zu verneinen, daß wir »gleich« von den konkreten Dingen so aussagen wie »ein Mensch« vom historischen
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Sokrates (also gemäß dem ersten Typ nicht-homonymer Prädikation), erfüllt. Denn er enthält keinen Negationsausdruck, mit dem er diese Funktion erfüllen könnte. Das Fehlen eines Negationsausdrucks fällt umsomehr ins Auge, als die Partikel »οὐδὲ« in dem elliptischen Satz in 83.11, dessen Prädikat samt Genitiv- und Akkusativobjekt mit »κατηγοροῦμεν τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτό« aus 83.6f. zu ergänzen ist (»Wir sagen τὸ ἴσον αὐτό auch nicht (οὐδέ) so von ihnen aus, als sei das eine von ihnen das Modell, das andere dessen Abbild«) und mit dem negiert wird, daß der Term »gleich« von den konkreten Dingen so ausgesagt wird wie der Term »ein Mensch« vom historischen Sokrates und seinen Darstellungen (also gemäß dem dritten Typ nicht-homonymer Prädikation), an einen Negationsausdruck in 83.6f. anzuknüpfen scheint.196 Dem überlieferten Text nach drückt der Satz in 83.6f. jedoch nicht die erwartete verneinte Aussage aus, sondern enthält sie allenfalls als Konsequenz.
3.3.2.3 Das Fehlen eines sprachlichen Indikators für den Bezug auf den ersten Prädikationstyp Selbst wenn man sich damit zufriedengibt, daß die verneinte Aussage in dem Satz nur als Konsequenz enthalten ist und nicht explizit gemacht wird (wenngleich wir sehen werden, daß eine solche Interpretation zum Scheitern verurteilt ist, da die Argumente in 83.7-11 keine Argumente für eine These sind, in der die Negation enthalten ist, sondern unmittelbar Argumente für die Negation selbst), ist drittens unklar, inwiefern sich der überlieferte Satz überhaupt auf die Ia-Prädikation bezieht. Den Interpretationen von Owen197 und Rowe198 folgend mag man auf den Zusatz von »αὐτό« zu »τὸ ἴσον« großes Gewicht legen und ihn als Indikator für die Thematisierung der unqualifizierten Zuschreibung genereller Terme im Sinne von Ia deuten. Diese Deutung scheint aber nicht richtig zu sein: da in der elliptischen Formulierung in 83.11 das (grammatische) Prädikat samt Akkusativ- und Genitivobjekt aus 83.6f. mit »κατηγοροῦμεν τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτό« gedanklich wiederaufgenommen wird, andererseits in 83.11 von der Verwendung von Prädikat-Termen gemäß Ic (vgl. 83.4-6) die Rede ist, kann »αὐτό« kein Indikator für einen Bezug auf die Verwendung von Prädikat-
196 Vgl. die in LF überlieferte Version des Arguments: »συνωνύμως μὲν καὶ κυρίως αὐτοΐσα οὐκ ἂν ῥηθεῖεν [...] ἀλλ’ οὐδὲ ὁμωνύμως αὐτοΐσα λεχθεῖεν.« (Mit der Prädikation συνωνύμως καὶ κυρίως nimmt der Autor dieser Version auf den Prädikationstyp Ia, mit der Prädikation ὁμωνύμως auf Typ Ic Bezug.) 197 A Proof, S. 105. 198 The Proof from Relatives, S. 273f.
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Termen gemäß Ia sein. Und es kommt auch kein anderer Ausdruck in 83.6f. als solcher Indikator in Frage.
3.3.2.4. Folgerungen Die drei genannten Anomalien legen die Vermutung nahe, daß sowohl der Negationsausdruck als auch der Indikator für den Bezug auf den ersten Prädikationstyp in 83.6f. überlieferungsbedingt ausgefallen sind und dieser Ausfall das Problem der syntaktischen Einbindung des participium coniunctum erklärt. Ich postuliere daher eine Lacuna und schlage exempli gratia vor, sie so auszufüllen: κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα τὸ ‘ἴσον’ αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον. Wir sagen von den Dingen hier ›gleich‹ nicht so aus, daß sie das Bezeichnete auf eigentliche Weise sind, sondern so, daß das Gleiche selbst von ihnen auf homonyme Weise ausgesagt wird.
Um diese Ergänzung zu rechtfertigen, will ich im folgenden zeigen, daß der Satz in der überlieferten Form keinen befriedigenden Sinn hat, sondern diesen erst mit einer Ergänzung wie der exempli gratia vorgeschlagenen erhält.
3.3.3 Zur Bedeutung und argumentativen Funktion des Satzes in 83.6f. Das Verständnis der Gesamtaussage des Satzes 83.6f. und ihrer Stellung im argumentativen Zusammenhang des zweiten Hauptteils hängt in erster Linie vom Verständnis des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« ab. Drei Möglichkeiten, ihn zu explizieren, sind ins Auge zu fassen:199 (i) Der gesamte Ausdruck »τὸ ἴσον αὐτό« in 83.7 bezieht sich auf einen sprachlichen Term, »τὸ ἴσον αὐτό« bzw. »ἴσον αὐτό«.200 (ii) Ein Teil des Ausdrucks bezieht sich auf einen sprachlichen Term, i. e. den Prädikat-Ausdruck »ἴσον«, und »αὐτό« qualifiziert die Weise, wie er ausgesagt wird.201 (iii) »τὸ ἴσον αὐτό« bezieht 199 Es sei betont, daß es daneben durchaus weitere Explikationsmöglichkeiten gibt (z. B. sieht Leszl [S. 195 Anm. 15] die Funktion von »αὐτὸ« darin, darauf aufmerksam zu machen, daß nun von τὸ ἴσον und nicht mehr von ὁ ἄνθρωπος die Rede sei, wozu Rowe [The Proof from Relatives, S. 279 Anm. 11] mit Recht bemerkt: »This hardly seems a natural reading of the Greek«), mir allerdings nur die drei genannten einigermaßen plausibel zu sein scheinen. 200 Vgl. Owen, A Proof, S. 105; Devereux, The Primacy, S. 227 Anm. 32 und S. 229 Anm. 36. 201 Vgl. Barford, S. 213 Anm. 18; Rowe, The Proof from Relatives, S. 273.
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sich auf einen nicht-sprachlichen Gegenstand.202 Ich werde diese drei Explikationen im folgenden zuerst (3.3.3.1) ohne und anschließend (3.3.3.2) mit Blick auf ihre Konsequenzen für das Verständnis der Gesamtaussage des Satzes prüfen. 3.3.3.1 »τὸ ἴσον αὐτό« Teil I Zu Beginn der Erklärung von »τὸ ἴσον αὐτό« steht man vor der Alternative, ob man das, was »wir aussagen« (»κατηγοροῦμεν«), mit einem generellen203 Term oder mit dem, worauf der generelle Term bezogen wird (τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον 82.13), identifizieren soll. Um sich in dieser Frage richtig zu entscheiden, muß man klären, wie das Ausgesagte (κατηγορούμενον) im ersten Hauptteil eingeführt wird. In 82.12f. ist es klar, daß das Prädizierte ein Ausdruck, keine nicht-sprachliche Entität ist – denn nur sprachliche Terme können ein und dieselbe Natur anzeigen.204 Auch der anschließende Ausdruck »τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον« (82.13) setzt voraus, daß das Prädizierte ein sprachlicher Term ist. In 83.3 ist von »ὁ ἄνθρωπος« als beispielhaftem Ausgesagten die Rede, womit sowohl der Prädikat-Term »ἄνθρωπος« als auch sein Designat gemeint sein kann;205 da in 83.3 von einer der Weisen die Rede ist, ταὐτόν τι πλειόνων ... μὴ ὁμωνύμως, ἀλλ’ ὡς μίαν τινὰ δηλοῦν φύσιν zu prädizieren, sollte man sich für die erste Möglichkeit entscheiden. Das auf nichthomonyme Weise Ausgesagte ist also an allen drei Stellen als genereller Term bestimmt. Da nun klar zu sein scheint, daß es im zweiten Hauptteil (II-IV) um die Frage geht, auf welche der drei im ersten Hauptteil unterschiedenen Weisen nicht-homonymer Prädikation genereller Terme τὸ ἴσον αὐτό von den konkreten gleichen Dingen ausgesagt wird, und diese Frage voraussetzt, daß es sich bei der Prädikation von τὸ ἴσον αὐτό um die nichthomonyme Prädikation eines generellen Terms handelt, dürfte klar sein, daß in 83.7 mit »τὸ ἴσον« bzw. »τὸ ἴσον αὐτό« auf einen generellen Term Bezug genommen wird. Damit stehen wir freilich vor der nächsten Entscheidung: ist das, was »wir aussagen«, der Ausdruck »ἴσον« oder der Ausdruck »(τὸ) ἴσον 202 Vgl. Fine, On Ideas, S. 150. 203 Vgl. 82.12: »πλειόνων κατηγορεῖται«. 204 Vgl. 82.12f.: »ὡς μίαν τινὰ δηλοῦν φύσιν«. 205 Vgl. zur ersten Möglichkeit Kühner / Gerth, Ausführliche Grammatik. Satzlehre. Erster Teil, S. 31 Anm. 1: »Substantive behalten bisweilen auch dann, wenn es sich bloss um das Wort als Wortgebilde handelt, den ihnen zukommenden Artikel. Τὸ τοῦ ἔρωτος ὄνομα, ὅθεν γεγόνασιν οἱ ἥρωες. Pl. Crat. 398, d, von dem die Heroen herkommen, d. h. woher das Wort ἥρωες abgeleitet ist.«
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αὐτό«? Zwei Überlegungen sprechen gegen die zweite Option. Erstens sind Terme vom Typ »(τὸ) Φ αὐτό« singuläre Terme und können nicht von mehreren Gegenständen (zutreffend206) ausgesagt werden. In Sätzen der Form »ξ ἐστι τὸ Φ αὐτό« fungiert das »ἐστι« nicht als Copula, sondern als Ausdruck der Identität: ein Satz der Form »ξ ἐστι τὸ Φ αὐτό« bedeutet dasselbe wie ein entsprechender Satz der Form »ξ ἐστι ταὐτὸν τῷ Φ αὐτῷ«.207 Zweitens scheint sich »κατηγοροῦμεν« auf eine alltägliche Prädikationspraxis zu beziehen, und der Ausdruck »(τὸ) ἴσον αὐτό« wird nicht im Alltag verwendet.208 Da keine Erwägungen dieser Art gegen die erste Option sprechen, ist sie der zweiten vorzuziehen und »κατηγοροῦμεν τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτό« mit »Wir sagen von den Dingen hier (den generellen Term) ›gleich‹ selbst aus« wiederzugeben. Dies schließt freilich ein, daß »αὐτό« nicht die übliche Funktion hat, den Bezug des vorhergehenden Ausdrucks »τὸ ἴσον« auf die Form des Gleichen oder einen Gegenstand, der auf primäre Weise gleich ist, deutlich zu machen. Welche Funktion hat »αὐτό« dann? Barford schlägt folgende Interpretation vor: »The αὐτό in the expression τὸ ἴσον αὐτό in B is not intended to indicate another predicate (other than τὸ ἴσον), but it is intended simply to rule out any qualification in the application of the predicate ›equal.‹«209 Rowe schließt sich Barford in diesem Punkt an (»a natural reading of the expression«210) und übersetzt »αὐτό« mit »by itself«.211 In der Tat kann »αὐτό« wie das lateinische »solum« verwendet werden.212 Die Übersetzung von »κατηγοροῦμεν τῶν ἐνταῦθα τὸ ἴσον αὐτό« müßte hiernach lauten: »Wir sagen von den Dingen hier ›gleich‹ ohne andere Bestimmungen aus«. Als Allgemeingeltung beanspruchende Beschreibung der alltäglichen Verwendung des Terms »gleich« ist freilich auch dies unangemessen; denn der Term wird oft genug im Verbund mit weiteren Bestimmungen ausgesagt, z. B. solchen der Hinsicht, in der die Dinge gleich sind (der Länge, Breite, 206 Vgl. oben Anm. 183. 207 Es ist mir unklar, auf welche Belege sich Owen stützt, wenn er »ἴσον αὐτό« als generellen Term versteht und ihn mit »absolutely equal« (Owen, A Proof, S. 103; Logic and Metaphysics, S. 185) expliziert (»αὐτὰ τὰ ἴσα« Phd. 74c1 ist auch in seiner Sicht kein Beleg dafür). Das merkwürdige Verständnis von »ἴσον αὐτό« als genereller Term begegnet bereits in der Version des Arguments in LF: »τὸ γοῦν αὐτοΐσον κατηγορεῖται κατὰ τῶν αἰσθητῶν ἴσων, καὶ λέγονται ταῦτα αὐτοΐσα.« 208 Vgl. Rowe, The Proof from Relatives, S. 273: »But if [...] the sentence 83.6-7 is actually an appeal to ordinary linguistic usage, to what people generally do as a matter of linguistic habit, this interpretation (sc. Owens, BS) looks dubious; for surely only Platonists are likely to be interested in the strange predicate ›strictly equal‹.« 209 Barford, S. 213 Anm. 18. 210 The Proof from Relatives, S. 273. 211 Ebd., S. 270. 212 Vgl. Kühner / Gerth, Ausführliche Grammatik. Satzlehre. Erster Teil, S. 652f. Anm. 2a) und die dort genannten Belege.
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Größe usw.). Ja, die Beschreibung ist nicht nur nicht allgemeingültig, sondern trifft, wenn wir bei einer Äußerung nicht auf den Wortlaut, sondern das mit ihm Gesagte blicken, auf keinen einzigen Fall zu, in dem der Term verständlich verwendet wird. Denn auch wenn in der Äußerung selbst eine Angabe der Hinsicht fehlt, ist sie doch stets mitgemeint und kann auf Nachfrage hin expliziert werden. Daher läßt sich unter der Voraussetzung, daß »κατηγοροῦμεν« auf eine alltägliche Prädikationspraxis Bezug nimmt, Barfords und Rowes Deutung von »αὐτό« ebensowenig halten wie Owens. Doch vielleicht ist genau diese Annahme falsch und 83.6f. als kontrafaktische Aussage im Sinne von »Wenn wir den generellen Term ›gleich‹ ohne andere Bestimmungen von den Dingen hier aussagen würden, würden wir ihn auf homonyme Weise von ihnen aussagen« zu verstehen?213 Barford wendet gegen ein solches Verständnis mit Recht ein: »But the Greek language has excellent resources to express the contrary-to-fact conditional and they are simply not present in B [sc. 83.6f.]«.214 Wichtiger scheint mir das Argument zu sein, daß es eine seltsame Strategie wäre, im Ausgang von einer nicht geläufigen und reichlich dubiosen Verwendung von »gleich« für die Existenz der Form des Gleichen zu argumentieren. Dies gilt umsomehr, wenn man mit der Mehrheit der Interpreten annimmt, daß die Argumentation in II-IV unter der nicht-kontrafaktischen Voraussetzung steht, daß der Term »gleich« so wie der Term »ein Mensch« von den konkreten Dingen auf nicht-homonyme Weise zutreffend ausgesagt wird, und diese Voraussetzung nur dann plausibel ist, wenn man sie als Aussage über die im Alltag für wahr gehaltenen Prädikationen von »gleich« versteht. Insofern ist zu erwarten, daß in 83.6f. eben auf diese alltäglichen Prädikationen Bezug genommen wird. Ich komme aufgrund der vorhergehenden Überlegungen zu dem Ergebnis, daß keine der drei betrachtenswerten Explikationen des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« akzeptabel ist – (i) nicht, weil sie ihn auf einen nicht alltäglich gebrauchten Ausdruck bezieht, der zudem kein genereller Term ist, (ii) nicht, weil »αὐτό« als Indikator einer alltagsfremden Verwendung von »ἴσον« aufgefaßt wird, (iii) nicht, weil das Prädizierte nicht als sprachlicher Term interpretiert wird (und wenn es mit dem entsprechenden Term identifiziert werden würde, dieser kein genereller Term ist und nicht alltäglich verwendet wird). Dieses Ergebnis scheint mir darauf hinzudeuten, daß der Ausdruck »τὸ ἴσον αὐτό«, so wie er überliefert ist, nicht Teil des ursprünglichen Wortlauts des Arguments gewesen ist. Diese Vermutung wird durch 213 Für ein kontrafaktisches Verständnis des Satzes plädiert Fine (On Ideas, S. 323 Anm. 38): »So although the surface grammar of the sentence is not counter-factual, its sense is, in so far as its sense is that equality would be homonymous if it were sensible (as it is erroneously taken to be by non-Platonists).« 214 Barford, S. 210f.
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die folgende Erörterung der Frage erhärtet, ob mit ihm ein sinnvolles Verständnis der Gesamtaussage des Satzes und ihrer Funktion für die argumentative Strategie des zweiten Hauptteils gewonnen werden kann. 3.3.3.2 »τὸ ἴσον αὐτό« Teil II Wenn man von »τὸ ἴσον αὐτό« aus die Gesamtaussage des Satzes zu bestimmen sucht, ist zu fragen, auf welche Art von Prädikationen sich der Satz mit »κατηγοροῦμεν [...] τὸ ἴσον αὐτό« bezieht.215 Die im letzten Abschnitt besprochenen Explikationen des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« legen drei Verständnismöglichkeiten nahe. Wenn man (i) zugrundelegt und »ἴσον αὐτό« mit Owen als generellen Term im Sinne von »absolutely equal« versteht216 oder wenn man (ii) zugrundelegt, ist ein Verständnis möglich, demzufolge sich der Satz mit »κατηγοροῦμεν [...] τὸ ἴσον αὐτό« auf unqualifizierte Prädikationen von »gleich« bezieht (wobei nach (i) der Term »gleich ohne Einschränkungen« prädiziert wird, während nach (ii) der Term »gleich« ohne Einschränkungen prädiziert wird – ich werde freilich diesen Unterschied im folgenden unbeachtet lassen217); ich nenne diese Auffassung »These A«. Wenn man (iii) zugrundelegt, sind zwei Verständnisweisen möglich: Nach der einen bedeutet »κατηγοροῦμεν [...] τὸ ἴσον αὐτό«, daß wir Eigenschaften die Eigenschaft zuschreiben, die Eigenschaft des Gleichen zu sein; die entsprechenden Prädikationen sind Sätze der Form »x ist mit der Eigenschaft des Gleichen identisch« (These B). Nach der anderen bedeutet »κατηγοροῦμεν [...] τὸ ἴσον αὐτό«, daß wir die Natur (φύσις 82.10), für die der Prädikat-Ausdruck »ἴσον« steht, aussagen;218 die entsprechenden Prädikationen sind gewöhnliche Sätze, mit denen wir einen Gegenstand als gleich (lang, groß usw.) charakterisieren (These C). These A vertreten Owen, Barford, Rowe und Devereux (mit z. T. erheblichen Differenzen im Verständnis anderer Aspekte des Satzes); These B vertritt 215 Auch dann, wenn man mit Explikation (iii) des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« annimmt, daß mit ihm nicht auf einen sprachlichen Ausdruck Bezug genommen wird, ist diese Frage sinnvoll, da sich auch das κατηγορεῖν der nicht-sprachlichen Entität τὸ ἴσον αὐτό in Form von Sätzen vollzieht. 216 Vgl. oben Anm. 207. 217 Vgl. Owen, A Proof, S. 105 Anm. 10: »Instead of asking in set terms whether ›equal‹ can, without ambiguity, be predicated strictly of such things, II seems to introduce the compound predicate ›strictly equal‹ and ask whether this can, without ambiguity, be predicated of such things. This comes to the same thing (in fact the distinction is too hard-edged for the Greek) [...]«. 218 Die naheliegende Formulierung »daß wir den Aussagesubjekten die Eigenschaft des Gleichseins zuschreiben« ist bewußt vermieden; die Gründe dafür werden in der Diskussion der These C (vgl. unten 3.3.3.2.3) deutlich werden (nach These C wird mit dem participium coniunctum »ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« eben verneint, daß die von den konkreten Dingen ausgesagte Natur, für die »gleich« steht, ihnen als Eigenschaft zukomme).
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Fine; These C konnte ich in der Literatur nicht ausmachen. Ich werde im folgenden die Thesen hinsichtlich ihrer Konsequenzen für das Verständnis der in 83.6f. aufgestellten These prüfen und im Anschluß an die These C meinen eigenen Lösungsvorschlag rechtfertigen.
3.3.3.2.1 Kritik der These A Daß an die These A verschiedene Deutungen der in 83.6f. aufgestellten These anschließbar sind, gründet darin, (a) daß es verschiedene Antworten auf die Frage nach der Verwendung von »ὁμωνύμως« in 83.7 gibt, d. h. auf die Frage, ob »ὁμωνύμως« in 83.7 unter Anwendung des in 82.12f. statuierten Kriteriums für nicht-homonyme Prädikation gebraucht wird oder nicht, und (b) daß unklar ist, ob mit dem Verweis auf die Homonymie der unqualifizierten Prädikationen von »gleich« nur der erste Typ von Prädikation (Ia) oder alle drei Typen (Ia-c) ausgeschlossen werden sollen. Interpreten, die die erste Frage bejahen, jedoch in der zweiten Frage uneins sind, sind Owen und Rowe einerseits, Barford andererseits: nach Owen und Rowe behauptet der Satz, daß der Ausdruck »gleich« dann, wenn er von den konkreten Dingen so ausgesagt wird wie »ein Mensch« von den wirklich existierenden Menschen, auf homonyme Weise ausgesagt wird und folglich auf die konkreten Dinge nicht gemäß der nicht-homonymen Ia-Prädikation zutrifft; nach Barford behauptet er, daß »gleich« auf die konkreten Dinge überhaupt nicht nicht-homonym zutreffe, d. h. auf keine der Weisen nichthomonymer Prädikation. Ein Interpret, der die erste Frage zu verneinen scheint und in der zweiten Owens und Rowes Position einnimmt, ist Devereux: ihm zufolge besagt der Satz, daß der Term »ἴσον αὐτό« von den konkreten Dingen uneigentlich (ὁμωνύμως) und daher nicht gemäß der IaPrädikation ausgesagt wird, womit Devereux implizit voraussetzt, daß »ὁμωνύμως« in 83.7 auf andere Weise verwendet wird als in 82.12. Ich beginne mit einer Diskussion der trotz unterschiedlicher Auffassungen des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« eng verwandten Interpretationen von 83.6f. bei Owen und Rowe. Nach Owen und Rowe läßt sich die in 83.6f. aufgestellte These folgendermaßen paraphrasieren: »Wenn ›gleich‹ auf die konkreten Dinge ohne Qualifikationen zutrifft, dann trifft es auf sie ὁμωνύμως zu.« (Diese Paraphrase gibt auch Owens Interpretation angemessen wieder, da der Term »gleich« auf die konkreten Dinge genau dann ohne Einschränkungen zutrifft, wenn der Term »uneingeschränkt gleich« auf sie zutrifft.219) Nun trifft ein beliebiger Prädikat-Term auf einen Gegenstand nur dann κυρίως zu, wenn er auf ihn ohne Qualifikationen zutrifft. 219 Vgl. oben Anm. 217.
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Also trifft der Term »gleich«, wenn er auf die konkreten Dinge κυρίως zutrifft, ὁμωνύμως auf sie zu. Folglich erfüllt er in der Anwendung auf die konkreten Dinge nicht das Kriterium für die Ia-Prädikation, κυρίως und μὴ ὁμωνύμως auf sie zuzutreffen. Der in 83.6f. formulierte Satz enthält also als Konsequenz die Negation der Annahme, daß »gleich« von den konkreten Dingen gemäß der Ia-Prädikation ausgesagt wird. – Mein Einwand gegen ein solches Verständnis von 83.6f. ist, daß die folgenden, mit »γάρ« (83.7) eingeführten Argumente in 83.7-11 (IIa-c) keineswegs der Begründung einer derartigen These dienen. Diesen Einwand möchte ich in den nächsten Abschnitten rechtfertigen. Das erste dieser Argumente lautet so: »οὔτε γὰρ ὁ αὐτὸς πᾶσιν αὐτοῖς ἐφαρμόζει λόγος« (83.7f. = IIa). Wenn man diese Bemerkung in dem Sinne versteht, daß es keine einheitliche Erklärung (λόγος) des unqualifizierten Gleichseins konkreter gleicher Dinge gibt, ist zu fragen, ob man daraus schließen kann, daß auf sie der Term »gleich« ohne Qualifikationen auf nur homonyme Weise zutreffe. Die Antwort darauf ist »Nein«. In 83.4-6 (= Ic) wird als dritter Fall von nicht-homonymer Prädikation der genannt, daß »ein Mensch« auf den historischen und den bloß bildlich dargestellen Sokrates zutreffe. Nun bedeutet ein Mensch zu sein für den historischen Sokrates etwas anderes als für den bildlich dargestellten Sokrates – für ersteren, ein wirklicher Mensch zu sein, für letzteren, ein bildlich dargestellter Mensch zu sein. Die Erklärung ihres Menschseins ist je verschieden, und doch wird »ein Mensch« von ihnen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt. IIa ist daher kein gültiges Argument dafür, daß »gleich« von den konkreten Dingen ohne Qualifikationen auf homonyme Weise ausgesagt wird. Rowe220 ist sich dieses Einwands gegen seine Deutung bewußt und begegnet ihm mit der These, daß in 83.4-6 vorausgesetzt sei, daß die Erklärung des Menschseins des bildlich dargestellten Sokrates mit der des Menschseins des historischen Sokrates identisch sei – allerdings nur dann, wenn »ein Mensch« vom bildlich dargestellten Sokrates mit der Qualifikation »Abbild von ...« ausgesagt werde: »ein Mensch« habe zwar nicht in den Sätzen (i) »Der historische Sokrates ist ein Mensch« und (ii) »Der bildlich dargestellte Sokrates ist ein Mensch« dieselbe Definition, wohl aber in den Sätzen (i) »Der historische Sokrates ist ein Mensch« und (iii) »Der bildlich dargestellte Sokrates ist das Abbild eines Menschen«, und (i) und (iii) seien das Satzpaar, hinsichtlich dessen in 83.5f. von nichthomonymer Verwendung des Terms »ein Mensch« in bezug auf den historischen und den bildlich dargestellten Sokrates die Rede sei. Mit diesem Verständnis von 83.5f. kann Rowe daran festhalten, daß die Identität der Erklärung des Menschseins der Menschen eine notwendige Bedingung 220 The Proof from Relatives, S. 275.
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dafür sei, daß »ein Mensch« von ihnen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt werde, und entsprechend annehmen, daß die Feststellung der Verschiedenheit der Erklärungen des unqualifizierten Gleichseins der konkreten gleichen Dinge ein Argument dafür sei, daß »gleich« von ihnen ohne Qualifikationen nicht auf nicht-homonyme Weise, folglich auf homonyme Weise ausgesagt werde. Allein, das Satzpaar, das in 83.5f. (ὡς εἰ ἀνθρώπους Σωκράτη τε καὶ τὰς εἰκόνας αὐτοῦ λέγοιμεν) zur Exemplifikation der dritten nicht-homonymen Prädikation eines generellen Terms herangezogen wird, ist nicht (i) und (iii), sondern (i) und (ii). Daher hält der im letzten Abschnitt formulierte Einwand Rowes Erwiderung stand. Bevor ich zu den weiteren Argumenten in 83.8-10 (= IIb) und 83.10f. (= IIc) komme, möchte ich einige Bemerkungen zu der, wie es scheint, ungewöhnlichen Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« in 82.12 machen, die es offenbar zuläßt, daß der Term »ein Mensch« vom historischen und vom bildlich dargestellten Sokrates auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird. Wie ist dies zu verstehen, wenn doch die Erklärungen ihres Menschseins verschieden sind?221 Die Erklärung dafür kann aus dem Kriterium für nicht-homonyme Prädikation genereller Terme in 82.12f. erschlossen werden. Das Kriterium läßt sich folgendermaßen paraphrasieren: (Kriterium für die nicht-homonyme Prädikation genereller Terme nach 82.12f.) Ein gegebener genereller Term wird von mehreren Dingen genau dann auf nichthomonyme Weise ausgesagt, wenn er auf sie derart angewandt wird, daß die von ihm bezeichnete Natur (φύσις) in allen Anwendungsfällen dieselbe Erklärung (λόγος) hat.
Das in dieser Wiedergabe des Kriteriums vorausgesetzte Verständnis der Identität der μία τις φύσις als Identität der Erklärung und nicht als numerische Identität bedarf einer Rechtfertigung. Fragt man sich nämlich, um was für eine Art von Gegenstand es sich bei der von einem generellen Term bezeichneten μία τις φύσις handelt, so denkt man zunächst an die auch mit numerischer Identität ausgestattete Eigenschaft, die mit ihm zugeschrieben wird. Doch schließt der Ausdruck »κυρίως τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον εἶναι« (82.13-83.1) die Interpretation der μία τις φύσις als mit dem ausgesagten Term zugeschriebene Eigenschaft aus: Denn es ergibt z. B. keinen Sinn zu sagen, daß Sokrates und Kleinias, die in eigentlicher Weise (κυρίως) Menschen sind, in eigentlicher Weise die Eigenschaft des 221 Bereits der Verfasser der alternativen Version des Arguments in LF scheint einen Begriff nicht-homonymer Prädikation, der zuläßt, daß z. B. »ein Mensch« von wirklichen und unwirklichen Menschen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird, und damit einschließt, daß die Identität der Erklärungen des Menschseins der Menschen keine notwendige Bedingung dafür ist, daß es sich bei den Menschen um nicht-homonyme Menschen handelt, so unverständlich zu finden, daß er ihn kurzerhand durch den vertrauten ersetzt und im Falle des dritten Prädikationstyps von homonymer Prädikation spricht.
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Menschseins sind – man kann nur sinnvoll sagen, daß sie die Eigenschaft besitzen. Das vom generellen Term »ein Mensch« Bezeichnete (τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον) ist nicht etwas, das die vielen Menschen besitzen (eine Eigenschaft), noch etwas, worunter sie fallen (ein Begriff), sondern etwas, als was sie charakterisiert wird. Wir können es als Gegenstand des Typs So etwas (τοιόνδε) im aristotelischen Sinne beschreiben: der Prädikat-Ausdruck »ein Mensch« steht für so etwas, als was Menschen qua Menschen charakterisiert sind.222 Nun ist es aber für Gegenstände des Typs So etwas wesentlich, daß sie keine numerische, sondern bloß definitorische Identität besitzen. Sokrates und Kleinias z. B. sind genau dann qua Menschen dasselbe, wenn ihr Menschsein mit demselben λόγος erklärt werden kann; aber sie sind natürlich nicht dasselbe im Sinne von »numerisch dasselbe«. Soviel zur Rechtfertigung der Explikation der Identität der μία τις φύσις als Identität der Definition. Nun läßt sich das oben angegebene Kriterium für die nicht-homonyme Prädikation eines generellen Terms auch als Kriterium für die Nicht-Homonymie der unter den Term fallenden Dinge formulieren: (Kriterium für die Nicht-Homonymie von Dingen in bezug auf einen generellen Term nach 82.12f.) Mehrere Dinge, die unter einen gegebenen generellen Term fallen, sind in bezug auf diesen Term genau dann nicht-homonym, wenn er auf sie derart zutrifft, daß die von ihm bezeichnete Natur (φύσις) in allen Anwendungsfällen dieselbe Erklärung (λόγος) hat.
Und es ist aufschlußreich, dieses Kriterium für Nicht-Homonymie mit dem in der Kategorienschrift (1a6-12223) formulierten Kriterium für Synonymie zu vergleichen, das sich folgendermaßen paraphrasieren läßt: (Kriterium für die Synonymie von Dingen in bezug auf einen generellen Term nach den Kategorien) Mehrere Dinge, die unter einen gegebenen generellen Term fallen, sind in bezug auf diesen Term genau dann synonym, wenn er auf sie derart zutrifft, daß sie mit ihm als etwas charakterisiert werden, was dieselbe Erklärung (λόγος) hat.
Beide Kriterien scheinen prima facie auf dasselbe hinauszulaufen. Dem ist freilich nicht so. Denn es ist der Fall denkbar, daß z. B. in zwei Sätzen der 222 Vgl. zur genaueren Charakterisierung der Gegenstände des Typs So etwas oben die Einführung (1.3). 223 »συνώνυμα δὲ λέγεται ὧν τό τε ὄνομα κοινὸν καὶ ὁ κατὰ τοὔνομα λόγος τῆς οὐσίας ὁ αὐτός, οἷον ζῷον ὅ τε ἄνθρωπος καὶ ὁ βοῦς· τούτων γὰρ ἑκάτερον κοινῷ ὀνόματι προσαγορεύεται ζῷον, καὶ ὁ λόγος δὲ τῆς οὐσίας ὁ αὐτός· ἐὰν γὰρ ἀποδιδῷ τις τὸν ἑκατέρου λόγον τί ἐστιν αὐτῶν ἑκατέρῳ τὸ ζῴῳ εἶναι, τὸν αὐτὸν λόγον ἀποδώσει.«
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Form »x ist ein Mensch«, die jeweils wahre Aussagen ausdrücken, zwar der generelle Term »ein Mensch« so verwendet wird, daß die Natur, für die »ein Mensch« in dem einen Satz steht, dieselbe Erklärung (λόγος) hat wie die Natur, für die »ein Mensch« in dem anderen Satz steht (also das Kriterium für Nicht-Homonymie von Dingen in bezug auf einen generellen Term in 82.12f. erfüllt ist), daß aber die Natur selber vom Subjekt der Aussage des ersten Satzes auf andere Weise ausgesagt wird als vom Subjekt der Aussage des zweiten Satzes und folglich das erste Aussagesubjekt mit »ein Mensch« als etwas charakterisiert wird, das eine andere Erklärung hat als das, als was das zweite Aussagesubjekt mit »ein Mensch« charakterisiert wird (also das Kriterium für Synonymie von Dingen in bezug auf einen generellen Term in den Kategorien nicht erfüllt ist). Genau dieser Fall scheint mir zu erklären, warum der historische Sokrates und der bildlich dargestellte Sokrates, die in bezug auf den Term »ein Mensch« das Synonymie-Kriterium der Kategorien verfehlen – der historische Sokrates wird mit »ein Mensch« als etwas anderes charakterisiert als der bildlich dargestellte Sokrates mit demselben Term –, in 83.4-6 als hinsichtlich des Terms »ein Mensch« nicht-homonym eingestuft werden. Denn man kann die Sätze (i) »Der historische Sokrates ist ein Mensch« und (ii) »Der abgebildete Sokrates ist ein Mensch« so verstehen, daß man den generellen Term »ein Mensch« auf ein und dieselbe Natur bezieht, die von den Aussagesubjekten in (i) und (ii) auf verschiedene Weise ausgesagt wird, vom historischen Sokrates so, daß er wirklich (κυρίως) das ist, was der Term »ein Mensch« bezeichnet, d. h. wirklich ein Mensch ist, vom bildlich dargestellten Sokrates so, daß er im Darstellungskontext des Bildes das ist, was der Term bezeichnet, d. h. im Darstellungskontext des Bildes ein Mensch ist.224 Auch wenn also der historische Sokrates und der bildlich dargestellte Sokrates mit dem Ausdruck »ein Mensch« in (i) und (ii) als je Verschiedenes charakterisiert werden – der eine wird mit ihm als wirklicher Mensch, der andere als Mensch im Darstellungskontext des Bildes charakterisiert –, steht diesem Verständnis zufolge der Ausdruck in beiden Sätzen für ein und dieselbe Natur. Demnach schließt auch die Verschiedenheit der Erklärungen des Gleichseins der konkreten gleichen Dinge (vgl. 83.7f. = IIa) nicht aus, daß der generelle Term »gleich« in der Anwendung auf sie eine μία τις φύσις, eine 224 Der Unterschied zwischen dem Menschsein des historischen Sokrates und dem Menschsein des bildlich dargestellten Sokrates scheint mir daher in unserem Argument als Unterschied zwischen den Relationen, in denen die von »ein Mensch« bezeichnete Natur zum jeweiligen Aussagesubjekt steht, analysiert zu werden; es scheint mir keine »distinction between different types of subject to which the same predicate can be applied« getroffen zu werden (wie Devereux, The Primacy, S. 231 mit berechtigter Abgrenzung vom Verständnis der Unterscheidung als »distinction between different significations of the same predicate« meint).
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auf dieselbe Weise zu erklärende Natur bezeichnet und von ihnen daher auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird (wobei jedoch, wie wir unten sehen werden, das von »gleich« Bezeichnete, i. e. das Gleiche selbst, ausschließlich von sich selbst derart ausgesagt wird, daß es wirklich so etwas, gleich, ist, während es von den konkreten gleichen Dingen so ausgesagt wird, daß sie bloß mit Qualifikationen so etwas, gleich, sind – so wie die Aussage des Terms »ein Mensch« über den bildlich dargestellten Sokrates nur mit der Qualifikation »im Darstellungskontext des Bildes« wahr ist, während sie in bezug auf den historischen Sokrates ohne derartige Qualifikation, also κυρίως, wahr ist). Ich kehre nach dieser Zwischenbetrachtung zur Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« in 82.12 zu den beiden weiteren Argumenten IIb und IIc zurück. IIb (83.8-10) lautet: »οὔτε τὰ ἀληθῶς ἴσα σημαίνομεν· κινεῖται γὰρ τὸ ποσὸν ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καὶ μεταβάλλει συνεχῶς καὶ οὐκ ἔστιν ἀφωρισμένον.« Dies ist offensichtlich kein Argument für die konditionale Aussage, daß der Term »gleich« dann, wenn er von den konkreten Dingen so ausgesagt wird, daß sie das von ihm Bezeichnete wirklich sind (τῷ κυρίως τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον εἶναι 82.1383.1), von ihnen auf homonyme Weise ausgesagt wird. Vielmehr wird mit der Bemerkung »οὔτε τὰ ἀληθῶς ἴσα σημαίνομεν« verneint, daß die von der Protasis des vorhergehenden Satzes ausgedrückte Bedingung erfüllt ist, d. h. daß »gleich« von den konkreten Dingen so ausgesagt wird, daß sie das von ihm Bezeichnete κυρίως sind: Die Aussage, daß wir mit der Prädikation von »gleich« im Falle der konkreten Dinge nicht die wirklich gleichen Dinge (τὰ ἀληθῶς ἴσα) anzeigen, schließt aufgrund der Synonymie der Ausdrücke »κυρίως« und »ἀληθῶς« (vgl. 83.14) ein, daß »gleich« auf sie nicht κυρίως zutrifft. Ebensowenig wird mit dem dritten Argument IIc (83.10f.: »ἀλλ’ οὐδὲ ἀκριβῶς τὸν τοῦ ἴσου λόγον ἀναδεχόμενον τῶν ἐνταῦθά ἐστί τι«) die nach Owens und Rowes Auffassung in 83.6f. aufgestellte These begründet. Denn zum einen schließt dieses Argument ein, daß es eine einzige Erklärung des Gleichen (ὁ τοῦ ἴσου λόγος – man beachte den bestimmten Artikel) gibt: Wenn nun der Term »gleich« auf die Dinge so zutrifft, daß sie das von ihm Bezeichnete wirklich (κυρίως) sind, d. h. den τοῦ ἴσου λόγος erfüllen, ist ihr Gleichsein mit ein und derselben Erklärung (i. e. dem τοῦ ἴσου λόγος) zu erklären, und es ist a fortiori nicht möglich, daß »gleich« auf sie κυρίως, aber ὁμωνύμως zutrifft (ich sage »a fortiori«, weil die Identität der Erklärung des Gleichseins keine notwendige, doch hinreichende Bedingung für die nicht-homonyme Prädikation des generellen Terms »gleich« ist). Zum anderen soll das Argument wie das vorhergehende begründen, daß die konkreten Dinge nicht wirklich (κυρίως, ἀληθῶς) gleich sind, da sie nicht exakt (ἀκριβῶς) gleich sind; es soll hingegen nicht be-
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gründen, daß der Term »gleich« dann, wenn er auf die konkreten Dinge κυρίως zutrifft, ὁμωνύμως verwendet wird. Damit dürfte hinreichend dargetan sein, daß Owens und Rowes Interpretation von 83.6f. unhaltbar ist. Barford teilt mit Owen und Rowe die Paraphrase des Satzes in 83.6f. (»Wenn der Term ›gleich‹ auf die konkreten Dinge ohne Qualifikationen zutrifft, dann trifft er auf sie ὁμωνύμως zu«), schreibt ihr aber eine ganz andere Bedeutung zu. Nach Barfords Auffassung basiert die Argumentation des zweiten Hauptteils nicht auf der Annahme, daß »gleich« von den konkreten Dingen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt werde, sondern soll gerade die gegenteilige These begründen, daß »gleich« von den konkreten Dingen auf homonyme Weise ausgesagt werde, und eben diese These werde in 83.6f. aufgestellt: »According to my analysis B (sc. 83.6f.) enunciates the basic Platonist position: equality is predicated of things in this world homonymously (ὁμωνύμως) [...]«.225 (Das Zitat zeigt, daß Barford, obwohl er »αὐτό« als Indikator für den Bezug auf eine unqualifizierte Prädikation von »gleich« versteht, dem Umstand, daß in 83.6f. von unqualifizierter Prädikation die Rede ist, keine Bedeutung beimißt; das »αὐτό« könnte seiner Interpretation nach auch fehlen.226) Die in 83.7-14 folgende Begründung der These habe die Form einer reductio ad absurdum, die von der als falsch zu erweisenden Annahme ausgehe, daß der Term »gleich« von den konkreten Dingen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt werde, und die unter der weiteren Annahme, daß ein beliebiger Term von verschiedenen Dingen gemäß einer der in I unterschiedenen Prädikationsarten auf nicht-homonyme Weise ausgesagt werde, zeige, daß die erste Annahme falsch sei, da keine dieser drei Prädikationsarten vorliege.227 Die Argumente in 83.7-11 (IIa-c) sollten zeigen, daß der Term »gleich« von ihnen nicht gemäß der ersten Art ausgesagt werde, das Argument in 83.11f. (III) solle zeigen, daß er auf sie auch nicht gemäß der dritten Art und a fortiori nicht gemäß der zweiten Art zutreffe.228 Daher treffe er auf sie überhaupt nicht auf nicht-homonyme Weise zu, und die in 83.6f. aufgestellte These sei gerechtfertigt. Der dritte Hauptteil (V) expliziere mit der Existenz der Form des Gleichen eine notwendige Bedingung dafür, daß »gleich« konkreten Dingen auf zutreffende, doch homonyme Weise zugeschrieben werde.229 So originell Barfords Rekonstruktion des Arguments ist, so wenig überzeugt ihre Kernthese, daß der zweite Hauptteil des Arguments rechtfertigen solle, daß der Term »gleich« den konkreten Dingen auf homonyme Weise 225 Barford, S. 200. 226 Vgl. die kritische Bemerkung bei Rowe, The Proof from Relatives, S. 273. 227 Vgl. Barford, S. 200. 228 Vgl. Barford, S. 201f. 229 Vgl. Barford, S. 202f.
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zugeschrieben werde. Denn nicht nur bleibt völlig unklar, aufgrund welcher Prämissen aus dieser These die Existenz der Form des Gleichen folgen soll (worauf schon Rowe hingewiesen hat230); auch sind die in II-IV entwickelten Argumente ungenügend, die These zu begründen. Es ist richtig, daß die Argumente in II und III zeigen, daß »gleich« auf die Sensibilia weder gemäß der Ia- noch der Ic-Prädikation zutreffen kann (da die zugehörigen Klassen von Aussagesubjekten mindestens einen Gegenstand enthalten, der das von dem Term Bezeichnete wirklich ist). Aber die Ib-Prädikation wird von den Argumenten in II-IV nicht ausgeschlossen; denn die Bestimmung dieses Prädikationstyps in 83.12-14 schreibt nicht vor, daß die – nicht zur entsprechenden Klasse der Aussagesubjekte gehörenden – Paradigmen der Abbilder konkrete Gegenstände sein müßten. Es bleibt die Möglichkeit, daß »gleich« von den konkreten Gegenständen qua Abbildern eines abstrakten gleichen Gegenstands auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird. Es kommt eine weitere, sprachliche Schwierigkeit von Barfords Verständnis des Satzes in 83.6f. hinzu. Wie wir oben (3.3.2.3) gesehen haben, setzt die elliptische Formulierung in 83.11 die gedankliche Wiederaufnahme des Prädikats plus Akkusativ- und Genitivobjekt aus 83.6f. voraus. Diese Wiederaufnahme wird jedoch von Barfords Lesart des Satzes unmöglich gemacht. Er übersetzt 83.11 denn auch anders: »[...] not even [do we call them equal non-homonymously] on the grounds that one of them is the paradigm and the other an image [...]«.231 Doch woher nimmt Barford die gedankliche Ergänzung »[do we call them equal non-homonymously]«? Auch mit Blick auf diese freie Hinzufügung scheint mir das Urteil, das Rowe über Barfords Interpretation generell gefällt hat, gerechtfertigt zu sein: »[...] it seems to require us to import too much into the text as provided by Alexander«.232 Die von der These A ausgehenden Interpretationen, von denen bisher die Rede gewesen ist, setzen es als geradezu selbstverständlich voraus, daß »ὁμωνύμως« in 83.7 so verwendet werde wie in 82.12, d. h. gemäß dem in 82.12f. formulierten Kriterium für nicht-homonyme Prädikation. Ein Vertreter der These A, der diese Annahme nicht zu teilen scheint, ist Devereux.233 Er spricht zwar allgemein von »the use of ὁμωνύμως in this argument«,234 bezieht sich aber ausschließlich auf 83.7, wenn er im Anschluß an T. Irwin zur Erklärung von »ὁμωνύμως« auf »spurious homonyms« bei 230 Vgl. Rowe, The Proof from Relatives, S. 271f. 231 Barford, S. 199. 232 Rowe, The Proof from Relatives, S. 271. 233 Devereux gibt sich als Anhänger der Explikation (i) von »τὸ ἴσον αὐτό« sowie der These A zu erkennen, wenn er sagt, daß das κατηγορούμενον der Term »equal itself« sei (Devereux, The Primacy, S. 227 Anm. 32). 234 Devereux, The Primacy, S. 229 Anm. 36.
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Aristoteles hinweist, d. h. »homonymous Fs that are not genuine Fs, but spurious Fs, called Fs simply because they resemble genuine Fs«,235 und bemerkt: »[...] when it is said in this argument that ›equal itself‹ (ἴσον αὐτό) is applied ὁμωνύμως to things in this world, what is meant is that things in this world are not properly described as ›equal itself.‹«236 Devereux scheint also »ὁμωνύμως« in 83.7 im Sinne von »οὐ κυρίως« zu verstehen. Daß diese Verwendung von »ὁμωνύμως« in 82.12 nicht vorliegt, erhellt bereits daraus, daß zu den Fällen nicht-homonymer Prädikation eines Terms auch die gezählt werden, in denen der Term οὐ κυρίως ausgesagt wird (83.2-6). Devereux nimmt also de facto verschiedene Verwendungen von »ὁμωνύμως« in 82.12 und 83.7 an. Es lohnt sich, genauer zu klären, worin sich diese beiden Verwendungen unterscheiden. Wie wir gesehen haben, ist das Kriterium für nichthomonyme Prädikation in 82.12f. ein Kriterium für die nicht-homonyme Prädikation genereller Terme, die von mehreren Gegenständen (πλειόνων 82.12) ausgesagt werden. Das Kriterium habe ich so wiedergegeben: (Kriterium für die nicht-homonyme Prädikation genereller Terme nach 82.12f.) Ein gegebener genereller Term wird von mehreren Dingen genau dann auf nichthomonyme Weise ausgesagt, wenn er auf sie derart angewandt wird, daß die von ihm bezeichnete Natur (φύσις) in allen Anwendungsfällen dieselbe Erklärung (λόγος) hat.
Das entsprechende Kriterium für homonyme Prädikation lautet: (Kriterium für die homonyme Prädikation genereller Terme nach 82.12f.) Ein gegebener genereller Term wird von mehreren Dingen genau dann auf homonyme Weise ausgesagt, wenn er auf sie derart angewandt wird, daß die von ihm bezeichnete Natur (φύσις) in einigen Anwendungsfällen verschiedene Erklärungen (λόγοι) hat.
Dieses Kriterium kann man nun auch als Kriterium für die Homonymie von Entitäten, auf die derselbe Term zutrifft, formulieren: (Kriterium für die Homonymie von Dingen in bezug auf einen generellen Term nach 82.12f.) Mehrere Dinge, die unter einen gegebenen generellen Term fallen, sind in bezug auf diesen Term genau dann homonym, wenn er auf sie derart zutrifft, daß die von ihm bezeichnete Natur (φύσις) in einigen Anwendungsfällen verschiedene Erklärungen (λόγοι) hat.
Die Art von homonymer Prädikation, von der nach Devereux in 83.7 die Rede ist, kann dagegen die Anwendung eines Terms auf eine einzige Entität 235 Irwin, Homonymy in Aristotle, S. 529. 236 Devereux, The Primacy, S. 229 Anm. 36.
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charakterisieren. Der Grund dafür ist, daß es sich bei der hier involvierten Homonymie nicht um die Homonymie mehrerer Aussagesubjekte hinsichtlich des von ihnen ausgesagten Terms handelt, das in den einzelnen Aussagen für unterschiedlich definierte Naturen steht, sondern um die Homonymie zwischen einem dieser Aussagesubjekte und der durch den Term, der von ihm ausgesagt wird, bezeichneten Natur selbst, wobei die Homonymie zwischen Aussagesubjekt und ausgesagter Natur nach dem Standardkriterium für Homonymie (vgl. Cat. 1a1-6) so definiert ist, daß das Aussagesubjekt, von dem der Term ausgesagt wird, und die Natur, für die der Term steht, nur das ὄνομα teilen, jedoch nicht den λόγος hinsichtlich des ὄνομα, d. h. das, wofür der Term steht, mit ihm als etwas anders Definiertes charakterisiert wird als das, wovon der Term ausgesagt wird. Daß Devereux’ Lesart von »ὁμωνύμως« in 83.7 im Sinne von »μὴ κυρίως« (»not properly«) zu der in 83.7-11 folgenden Begründung sehr gut paßt, steht außer Frage; denn diese Begründung soll ja zeigen, daß »gleich« auf kein konkretes Ding κυρίως und in diesem Sinne auf jedes nur ὁμωνύμως zutrifft. Andererseits hat Devereux’ Lesart die Schwierigkeit, daß der Schwenk in der Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« zu abrupt, ohne irgendeine Vorwarnung kommt – und so zu dem Mißverständnis geradezu einlädt, dem die Mehrheit der Interpreten, die in 83.7 dieselbe Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« wie in 82.12 ausmacht, tatsächlich erlegen ist. Überdies fehlte dem Satz (zumindest in seiner überlieferten Form237) unter der Annahme eines solchen Übergangs in der Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« ein Anknüpfungspunkt an die vorhergehende Einteilung der drei Weisen des μὴ ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι. Denn wo läge der Anknüpfungspunkt sonst, wenn nicht in dem Ausdruck »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι«? 237 Die Einwände gegen Devereux’ Lesart von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« stehen unter der Voraussetzung, daß sie Teil einer Interpretation des Satzes ist, so wie er uns überliefert ist. Ich mache diese Einschränkung deshalb, weil ich wie Devereux der Auffassung bin, daß der Ausdruck »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« in »ὁμωνύμως [...] κατηγορούμενον« (83.7) anders verwendet wird als in 82.12, andererseits glaube, daß man die oben herausgestellten Schwierigkeiten dieser Annahme (kein Hinweis auf den Übergang zu einer anderen Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι«, Fehlen eines Anknüpfungspunkts an die vorhergehende Einteilung der drei Arten des μὴ ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι) beseitigen kann, indem man annimmt, daß vor »ὁμωνύμως [...] κατηγορούμενον« ein Teil des Satzes ausgefallen ist, der klarmacht, daß in »ὁμωνύμως [...] κατηγορούμενον« eine andere Verwendung von »ὁμωνύμως κατηγορεῖσθαι« vorliegt als in 82.12 und mit »κατηγοροῦμεν τὸ ἴσον [...]« auf die erste Art nicht-homonymer Prädikation Bezug genommen wird, der also einen Anknüpfungspunkt an die vorhergehende Unterscheidung der Prädikationsarten enthält. Vgl. zur Begründung dieser Annahme unten 3.3.3.2.3.
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Kurz: Es ist kaum wahrscheinlich, daß der ursprüngliche Text des Arguments eine so irreführende Formulierung enthalten hat.238
3.3.3.2.2 Kritik der These B Fine geht in ihrer Interpretation des Satzes, einer kuriosen Häufung unplausibler Annahmen, von der Annahme aus, daß ein Ausdruck der Form »τὸ Φ αὐτό« üblicherweise auf eine Eigenschaft Bezug nehme, und bezieht daher »τὸ ἴσον αὐτό« gemäß Explikation (iii) auf die Eigenschaft des Gleichseins (bereits dies spricht gegen ihre Interpretation, da der erforderliche Zusammenhang mit der vorhergehenden Einteilung der drei Prädikationsarten genereller Terme nur dann gewahrt ist, wenn das Ausgesagte als genereller Term bestimmt ist; vgl. 3.3.3.1). Anstatt nun, wie es nahezuliegen scheint, τὰ ἐνταῦθα mit den konkreten Dingen zu identifizieren und die Aussage, daß wir die Eigenschaft des Gleichseins von ihnen prädizieren, in dem Sinne zu verstehen, daß wir sie als gleich beschreiben (s. These C), identifiziert Fine τὰ ἐνταῦθα mit den Längen, Größen, usw. konkreter Dinge und versteht die Aussage in dem Sinne, daß wir die Eigenschaft, die Eigenschaft des Gleichen zu sein, von den Längen, Größen, usw. der konkreten gleichen Dinge prädizierten: »Part II ff., that is, are not asking what things have the property of being equal; they are asking what has the property of being the equal itself, i.e. what has the property of being the property of equality«.239 Diese Interpretation ist jedoch nicht nur schwerlich mit dem Wortlaut in 83.6f. zu vereinbaren (τὸ ἴσον αὐτό zu prädizieren, bedeutet nicht, die Identität mit τὸ ἴσον αὐτό zu prädizieren240), sondern auch sachlich dubios. Denn da das »ist« in dem Ausdruck »ist die Eigenschaft des Gleichen« eine Identität ausdrückt, können die Aussagen »Die Länge von drei Metern ist 238 Man könnte allerdings zur Hypothese Zuflucht nehmen, daß die Verwendung von »ὁμωνύμως« in 82.12 den Sprachgebrauch des Urhebers des Arguments widerspiegele, während es sich bei dem Satz in 83.6f. um eine Zusammenfassung Alexanders handle, in der er den Ausdruck aristotelisch verwende. Die Annahme, daß Teile des Referats mit Ausdrücken, die Alexanders Sprachgebrauch erkennen ließen, kontaminiert seien, vertritt bereits Cherniss, der ebenfalls einen abrupten, nicht signalisierten Wechsel in der Verwendung von »ὁμωνύμως« postuliert und ihn damit erklärt, daß die Verwendung von »ὁμωνύμως« in 82.12 Alexander zuzuschreiben sei, während die in 83.7 auf platonischen Sprachgebrauch zurückzuführen sei (Cherniss meint, daß 83.6f. eine positive Aussage darüber sei, wie »gleich« von den konkreten Gegenständen ausgesagt werde: die konkreten gleichen Dinge seien ὁμωνύμως gleich »in the Platonic sense (i. e. as having the common name and nature derivatively [...])«, Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 231 Anm. 137). Vgl. zur Kritik der Kontaminationsannahme Owen, A Proof, S. 106. 239 Fine, On Ideas, S. 150. 240 Fine (On Ideas, S. 323 Anm. 42) hebt selbst hervor, daß in 83.6f. von der Zuschreibung der Eigenschaft, mit der Eigenschaft des Gleichen identisch zu sein, die Rede ist, also nicht von der Zuschreibung der Eigenschaft des Gleichen.
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die Eigenschaft des Gleichen« und »Die Länge von vier Metern ist die Eigenschaft des Gleichen« unter der Annahme, daß die Länge von drei Metern mit der Länge von vier Metern nicht identisch ist, nicht zusammen wahr sein. Wenn sie aber nicht zusammen wahr sein können, kann man auch nicht sagen, daß in ihnen der Term »ist die Eigenschaft des Gleichen« auf homonyme Weise ausgesagt – und das heißt in unserem Zusammenhang: zutreffend ausgesagt241 – werde.
3.3.3.2.3 Kritik der These C und Rechtfertigung der vorgeschlagenen Ergänzung These C setzt die Explikation (iii) des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό« voraus und bezieht ihn auf die auf dieselbe Weise definierte Natur (μία τις φύσις), für die der generelle Term »gleich« steht. Die These ist daher dem Einwand ausgesetzt, daß das, was »wir aussagen« (»κατηγοροῦμεν«), aufgrund der Anknüpfung an 82.12f. nicht als nicht-sprachlicher Gegenstand, sondern genereller Term zu bestimmen ist (siehe 3.3.3.1). Denn der Zusammenhang mit der vorhergehenden Einteilung der drei Arten nicht-homonymer Prädikation genereller Terme ginge verloren, wenn das Prädizierte nicht als genereller Term, sondern als dessen Designat eingeführt werden würde. Überdies hat die Annahme, daß »τὸ ἴσον αὐτό« auf das Designat des Prädikat-Terms »gleich« Bezug nehme, zur Folge, daß das in 82.12f. formulierte Kriterium für nicht-homonyme Prädikation genereller Terme nicht zur Erklärung von »ὁμωνύμως [...] κατηγορούμενον« in 83.7 herangezogen werden kann, da sich der Geltungsbereich des Kriteriums auf generelle Terme, nicht auf deren Designata erstreckt. These C beruht also nicht nur auf einer unzutreffenden Explikation des Ausdrucks »τὸ ἴσον αὐτό«, sondern muß auch einen abrupten, nicht signalisierten Wechsel in der Verwendung von »ὁμωνύμως« annehmen. In diesem Punkt unterliegt sie derselben Kritik wie Devereux’ Interpretation. Trotz diesen Schwächen hat sie gegenüber den Thesen A und B einen nicht zu übersehenden Vorteil. Sie macht in 83.7 eine Verwendung von »ὁμωνύμως« aus, die angesichts der in 83.7-11 folgenden Argumente an dieser Stelle wirklich vorzuliegen scheint. Denn auf die Frage, was es für die von Einzeldingen mit einem bestimmten generellen Term ausgesagte μία τις φύσις bedeutet, von diesen ὁμωνύμως ausgesagt zu werden, ist, Hinweisen in der Kategorienschrift folgend,242 zu antworten, daß die Ein241 Vgl. 83.1: »ταῦτα ἀληθεύεται κατ’ αὐτῶν«. 242 Vgl. Cat. 2a29-34: Bei manchen Dingen, die an einem Zugrundeliegenden (ἐν ὑποκειμένῳ) vorliegen, z. B. τὸ λευκόν, wird zwar das ὄνομα vom ὑποκείμενον ausgesagt,
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zeldinge mit der μία τις φύσις, für die der von ihnen ausgesagte Term steht, zwar das ὄνομα, nicht aber den κατὰ τοὔνομα λόγος teilen – sie werden mit dem Prädikat-Term als etwas anders Definiertes charakterisiert als die μία τις φύσις, für die der Prädikat-Term steht –, und eben dies ist laut den folgenden Argumenten (IIa-c) bei den konkreten gleichen Dingen und der von ihnen ausgesagten Natur, dem Gleichen (selbst), tatsächlich der Fall: die konkreten gleichen Dinge werden mit »gleich« als etwas anders Definiertes charakterisiert als das Gleiche selbst. Denn ihr Gleichsein hat weder eine einzige Erklärung (83.7f. = IIa243) – die sie haben müßten, wenn die Erklärung ihres Gleichseins mit der eo ipso einzigen Erklärung des Gleichen (λόγος τοῦ ἴσου 83.10) identisch wäre – noch auch trifft die Erklärung des Gleichen auf sie wirklich (ἀληθῶς) und exakt (ἀκριβῶς) zu (83.8-11 = IIb244 und IIc245). Die drei Argumente sollen offenbar begründen, jedoch nicht der λόγος. Synonyme Prädikation – Prädikation des ὄνομα und des λόγος – liegt hingegen bei den Gegenständen vor, die von einem Zugrundeliegenden (καθ’ ὑποκειμένου) ausgesagt werden (vgl. Cat. 2a19-27, 3a33-b9). Eine interessante Diskussion dieser Stellen findet sich bei Lewis, Substance and Predication in Aristotle, S. 21-31 (vgl. bes. S. 30 Anm. 29). 243 »οὔτε γὰρ ὁ αὐτὸς πᾶσιν αὐτοῖς ἐφαρμόζει λόγος.« Damit ist auf die Unvollständigkeit der Verwendung von »gleich« angespielt (die freilich nicht als Merkmal der Verwendung von »gleich« begriffen, sondern als Folge der Anwendung des Terms auf die konkreten Dinge mißverstanden wird): Gleiche Dinge sind nicht simpliciter gleich, sondern gleich lang, gleich schwer usw. Die λόγοι des Gleichseins gleich langer und gleich schwerer Dinge sind verschieden, weil das Gleichsein im einen Fall mit dem Besitz derselben Länge und im anderen Fall mit dem Besitz derselben Schwere zu erklären ist, d. h. in der Erklärung ihres Gleichseins auf verschiedene Eigenschaften Bezug genommen wird. Bei dieser Erklärung handelt es sich also nicht um eine Erklärung der Bedeutung des Terms »gleich« – die in allen Fällen dieselbe ist –, sondern um die Identifikation der mit »gleich« jeweils zugesprochenen Eigenschaft. Baltzlys (S. 202-206) Skepsis gegen die Echtheit des Satzes gründet darin, daß er nicht zu seiner These paßt, daß dem Argument zufolge zwar ein und derselbe λόγος des Gleichseins auf die gleichen Dinge zutrifft, aber durch sie nicht bewahrheitet wird. Das Problem scheint freilich nicht der überlieferte Satz, sondern Baltzlys These zu sein. Denn die ihr zugrundeliegende Unterscheidung zwischen »being true of« und »being made true of« (vgl. Baltzly, S. 202) hat keine Textgrundlage. 244 »οὔτε τὰ ἀληθῶς ἴσα σημαίνομεν· κινεῖται γὰρ τὸ ποσὸν ἐν τοῖς αἰσθητοῖς καὶ μεταβάλλει συνεχῶς καὶ οὐκ ἔστιν ἀφωρισμένον.« Devereux (The Primacy, S. 230 Anm. 39) betont mit Recht, daß es an dieser Stelle um den konstanten Wandel der Sensibilia geht (genauer: um den konstanten Wandel ihrer Körpermaße). Fine wünscht, dieser vom Wortlaut nahegelegten Deutung mit einem metaphorischen Verständnis von »κινεῖται« und »μεταβάλλει« (hierin die oben [Anm. 175] kritisierte These von Irwin, Plato’s Heracleiteanism auf den vorliegenden Text anwendend) zu entgehen, wonach sich z. B. die Länge eines Gegenstands, verglichen mit der Länge eines gleichlangen Gegenstands, als gleich darstellt und, verglichen mit der Länge eines nicht gleichlangen Gegenstands, als ungleich, sich also nicht hinsichtlich verschiedener Zeitpunkte, sondern hinsichtlich verschiedener Vergleichskontexte je verschieden darstellt (vgl. Fine, On Ideas, S. 152). Fines Interpretation schließt freilich die Annahme einer höchst befremdlichen Verwendung von »κινεῖται« und »μεταβάλλει συνεχῶς« ein (»συνεχῶς« deutet klar auf zeitliche Kontinuität hin), zumal sich die für ihre Interpretation entscheidende Qualifikation »in bezug auf ihr Gleichsein« nicht im Text findet. 245 »ἀλλ’ οὐδὲ ἀκριβῶς τὸν τοῦ ἴσου λόγον ἀναδεχόμενον τῶν ἐνταῦθά ἐστί τι.« Vgl. zu »ἀκριβῶς« Devereux, The Primacy, S. 229f. Es geht hier offenbar um die Approximationsthese,
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daß zwar das ὄνομα, nicht aber der λόγος der μία τις φύσις, auf die der Prädikat-Term »gleich« bezogen wird, von den konkreten gleichen Dingen ausgesagt wird. Es ist zu beachten, daß für diese These vorausgesetzt ist, daß der Term »gleich« auch auf die μία τις φύσις, für die er steht, so Anwendung findet, daß man ihr Gleichsein mit einem λόγος erklären kann; und für diese Annahme ist das Gleichsein des Gleichen (selbst) vorausgesetzt, d. h. die Wahrheit der von dem Satz »Das Gleiche (selbst) ist gleich« ausgedrückten Selbstprädikation. Mithin setzt die These, daß zwar das ὄνομα, nicht aber der λόγος der μία τις φύσις, für die der Ausdruck »gleich« steht, von den konkreten gleichen Dingen ausgesagt wird, die Selbstprädikationsannahme voraus. Das Satzfragment »τὸ ἴσον αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« (»Das Gleiche selbst – d. h. das vom Term »gleich« Bezeichnete – wird von ihnen auf homonyme Weise ausgesagt«) ergibt also im Lichte der anschließenden Begründung einen ausgezeichneten Sinn;246 nur kann »τὸ ἴσον αὐτὸ« nicht das ursprüngliche Akkusativobjekt zu »κατηγοροῦμεν« sein, wenn mit »κατηγοροῦμεν« ein κατηγορεῖν zugeschrieben wird, das daraufhin untersucht werden soll, auf welche der drei in I unterschiedenen Weisen es das Kriterium nicht-homonymer Prädikation genereller Terme erfüllt, und es sich infolgedessen beim grammatischen Objekt zu »κατηγοροῦμεν« um einen Ausdruck handeln muß, der auf den generellen Term »ἴσον« Bezug nimmt. Wenn wir uns zudem an die im ersten Teil der Arbeit dargestellten sprachlichen Anomalien des Satzes erinnern, scheint es unausweichlich, zwischen »κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα« und »τὸ ἴσον αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον« eine Lacuna zu postulieren und wonach die Behauptung, daß zwei Sensibilia z. B. gleichlang sind, stets durch die Verwendung feinerer (genauerer) Meßinstrumente widerlegt werden kann und insofern kein Sensibile mit einem anderen exakt gleichlang ist. Vgl. zur Verteidigung der traditionellen Deutung von Phd. 74a-75d im Sinne der Approximationsthese Malcolm, Plato on the Selfpredication of Forms, S. 111-117. 246 Da die Relation zwischen den konkreten gleichen Gegenständen und dem Gleichen selbst im folgenden (83.12-14) als Relation zwischen Abbildern (εἰκόνες) und Vorbild (παράδειγμα) beschrieben wird, könnte man versucht sein, die Homonymie bestimmter zu fassen und das Gleichsein der konkreten gleichen Gegenstände derart in eine πρὸς ἕν-Relation zum Gleichsein des Gleichen selbst zu setzen, daß in der Erklärung des Gleichseins der konkreten gleichen Gegenstände auf das Gleichsein des Gleichen selbst Bezug genommen wird, aber nicht umgekehrt in der Erklärung des Gleichseins des Gleichen selbst auf das Gleichsein der konkreten gleichen Gegenstände (ob dies bereits genügt, eine πρὸς ἕν-Relation zwischen beiden herzustellen, mag bezweifelt werden [vgl. Shields, S. 108-110]; die von Shields [S. 124f.] vorgeschlagene Definition der πρὸς ἕν-Relation ist allerdings erfüllt, da das Gleichsein des Gleichen selbst qua Paradigma ein formaler Erklärungsgrund für das Gleichsein der konkreten gleichen Gegenstände qua Abbilder ist). Man beachte jedoch, daß in das Argument für die Einstufung der konkreten gleichen Gegenstände als Abbilder des Gleichen selbst bereits bestimmte Erklärungen des Gleichseins der konkreten gleichen Gegenstände involviert sind, die keinen Bezug auf das Gleiche selbst enthalten dürfen, wenn das Argument nicht zirkulär sein soll.
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sie exempli gratia mit dem oben (3.3.2.4) vorgeschlagenen Wortlaut auszufüllen, also in 83.6f. zu lesen: κατηγοροῦμεν δὲ τῶν ἐνταῦθα τὸ ‘ἴσον’ αὐτὸ ὁμωνύμως αὐτῶν κατηγορούμενον.
Aus diesem Text geht unmißverständlich hervor, daß das, was von den konkreten gleichen Dingen ὁμωνύμως ausgesagt wird, nicht der generelle Term »gleich« ist, sondern das vom Term Bezeichnete (τὸ ἴσον αὐτό), und infolgedessen das Kriterium für nicht-homonyme Prädikation, das in 82.12f. für den Geltungsbereich genereller Terme aufgestellt worden ist, keine Anwendung findet. Die Unterscheidung zwischen dem auf nichthomonyme Weise ausgesagten generellen Term und dem, was er bezeichnet (τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον), wird in 82.13 gerade mit Bezug auf den Prädikationstyp, von dem auch in 83.6f. die Rede ist, ausdrücklich vorgenommen, ist also nicht von außen an den Text herangetragen. Für die vorgeschlagene Ergänzung spricht überdies, daß durch den Hinweis auf das vom generellen Term »gleich« Bezeichnete (τὸ σημαινόμενον) mit der Singularform indirekt signalisiert wird, daß der Ausdruck in der Anwendung auf die konkreten gleichen Dinge das in 82.12f. aufgestellte Kriterium für nicht-homonyme Prädikation tatsächlich erfüllt und somit eine der drei Arten nicht-homonymer Prädikation vorliegen muß. Noch zwei Bemerkungen zur vorgeschlagenen Wiederherstellung des ursprünglichen Texts. »οὐδὲ ὡς τὸ μὲν παράδειγμα αὐτῶν, τὸ δὲ εἰκόνα« in 83.11 nimmt »ὡς τὸ μὲν αὐτῶν ὂν τὸ παράδειγμα, τὰ δὲ εἰκόνας« in 83.5 auf, und entsprechend ist »οὐχ ὡς κυρίως τὸ σημαινόμενον ὄντων« nach »κυρίως τὸ ὑπὸ τοῦ κατηγορουμένου σημαινόμενον εἶναι« in 82.13-83.1 modelliert. »ἀλλ’ ὡς τὸ ἴσον« schließt sich daran stringent an und erklärt vor allem durch das Homoioteleuton, warum es zum Ausfall des Texts gekommen ist.247
3.3.4 Bemerkungen zu 83.12-14 Auch der Satz in 83.12-14, den ich in diesem abschließenden Teil betrachten will, enthält das Adjektiv »ὁμώνυμος«, jedoch nicht als Adverb in Verbindung mit »κατηγορεῖσθαι«. Die Handschriften geben ihn mit folgendem Wortlaut wieder:
247 Vgl. z. B. in 82.4f. den Ausfall von »φάντασμα γάρ τι καὶ τῶν μηκέτι ὄντων« in AC aufgrund des Homoioteleuton von »ὄντων« in 82.4 und »ὄντων« in 82.5.
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εἰ δὲ καὶ δέξαιτό τις μὴ ὁμώνυμον εἶναι τὴν εἰκόνα τῷ παραδείγματι, ἀεὶ ἕπεται ταῦτα τὰ ἴσα ὡς εἰκόνας εἶναι ἴσα τοῦ κυρίως καὶ ἀληθῶς ἴσου.
Mit »ἀεὶ ἕπεται« wird von der im folgenden AcI gezogenen Folgerung gesagt, daß sie unter der mit der Protasis des Konditionalsatzes ausgedrückten Bedingung ebenso folge wie dann, wenn die Bedingung nicht erfüllt ist, d. h. in dem einen wie dem anderen Fall (ἀεί). Doch um welche Bedingung handelt es sich dabei? Der überlieferte Text gibt hier einmal mehr Rätsel auf. Denn die Nicht-Homonymie zwischen Abbild und Paradigma ist im vorhergehenden Satz akzeptiert worden: die Begründung dafür, daß keines der konkreten gleichen Dinge das Paradigma eines anderen konkreten gleichen Gegenstands sein könne, lautete ja nicht etwa so, daß die konkreten gleichen Dinge hinsichtlich des generellen Terms »gleich« nicht-homonym seien und ein paradigmatischer gleicher Gegenstand mit seinen Abbildern hinsichtlich des generellen Terms »gleich« homonym sei, sondern so, daß keines der konkreten gleichen Dinge in höherem Maße als Paradigma denn als Abbild anzusehen sei.248 Somit wird der in 83.5f. erwähnte dritte Fall, daß die Gruppe der nicht-homonymen Aussagesubjekte eine aus einem Modell und seinen Abbildern bestehende Mischgruppe ist, in 83.12 als Möglichkeit vorausgesetzt (wenn auch seine Anwendung auf die konkreten gleichen Dinge ausgeschlossen) und damit die Nicht-Homonymie zwischen dem Modell und seinen Abbildern in Anspruch genommen. Es überrascht daher, daß in der Protasis des folgenden Konditionalsatzes die Akzeptanz dieser Möglichkeit als gegenteilige Bedingung eingeführt wird, unter der das mit dem AcI formulierte Resultat ebenso folge (scil. wie dann, wenn man die Nicht-Homonymie von Paradigma und Abbild nicht akzeptiert). Es müßte doch gerade umgekehrt die Nicht-Akzeptanz dieser Möglichkeit als zu der in 83.12 vorausgesetzten Akzeptanz der Möglichkeit gegenteilige Bedingung eingeführt werden! Diese Beobachtung legt die Folgerung nahe, daß vor »δέξαιτό τις« die Negation ausgefallen und in 83.12f. zu lesen ist:249 εἰ δὲ καὶ δέξαιτό τις μὴ ὁμώνυμον εἶναι τὴν εἰκόνα τῷ παραδείγματι, ἀεὶ ἕπεται ταῦτα τὰ ἴσα ὡς εἰκόνας εἶναι ἴσα τοῦ κυρίως καὶ ἀληθῶς ἴσου. Und auch wenn einer nicht akzeptieren sollte, daß das Abbild mit dem Modell nichthomonym ist (und somit negieren sollte, daß es den dritten Typ nicht-homonymer Prädikation gibt, dessen Anwendung auf die konkreten gleichen Dinge zuvor zurückgewiesen worden ist – meine Hinzufügung, BS), folgt so oder so, daß diese gleichen Dinge qua Abbilder des eigentlich und wirklich Gleichen gleich sind.
248 Vgl. 83.12: »οὐδὲν γὰρ μᾶλλον θάτερον θατέρου παράδειγμα ἢ εἰκών«. 249 Der Ausfall der Negation dürfte sich aus der Häufung der Negationen in der Protasis erklären.
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Dies folgt so oder so, weil im ersten Fall die Applikation des dritten Prädikationstyps auf die Prädikation des generellen Terms »gleich« von den konkreten Dingen ausgeschlossen worden ist und somit (nach Ausschluß des ersten Prädikationstyps in 83.6-11) nur der zweite übrigbleibt und weil im zweiten Fall der dritte Prädikationstyp gar nicht erst in Betracht gezogen wird (da es sich bei ihm nicht um einen Typ nicht-homonymer Prädikation handelt) und somit ebenfalls (nach Ausschluß des ersten Prädikationstyps in 83.6-11) nur der zweite übrigbleibt. Man kann in der Tat Zweifel daran haben, daß reale gleiche Gegenstände und nicht-reale gleiche Gegenstände im Sinne des in 82.12f. aufgestellten Kriteriums für nicht-homonyme Prädikation nicht-homonym gleich sind, daß also der generelle Term »gleich« auf sie derart zutrifft, daß er in beiden Anwendungen für ein und dieselbe Natur steht. Denn die Analyse, die es ermöglicht, dem generellen Term »gleich« dann, wenn er von den nichtrealen gleichen Gegenständen ausgesagt wird, dieselbe Natur wie dann, wenn er von den realen gleichen Gegenständen ausgesagt wird, zuzuordnen, obwohl ihr Gleichsein auf je verschiedene Weise zu erklären ist – d. h. die oben (3.3.3.2.1) erläuterte Analyse, derzufolge in den Sätzen »Der historische Sokrates ist ein Mensch« und »Der bildlich dargestellte Sokrates ist ein Mensch« der Term »ein Mensch« trotz den verschiedenen Erklärungen ihres Menschseins dieselbe Natur bezeichne –, ist nicht alternativlos. Es steht ihr die Analyse gegenüber, daß der Grund für die Verschiedenheit der Erklärungen des Gleichseins der realen gleichen Dinge und der nicht-realen gleichen Dinge in der Verschiedenheit der von dem Term jeweils bezeichneten Naturen liege. Daher ist es verständlich, daß der Urheber des Arguments seine Conclusio nicht von einer so heiklen Prämisse wie der, daß »gleich« in bezug auf die nicht-realen gleichen Dinge für dieselbe Natur steht wie in bezug auf die wirklichen gleichen Gegenstände, abhängig machen will, sondern betont, daß die Conclusio auch dann eintritt, wenn man die Prämisse nicht akzeptiert. Was die Bedeutung von »ὁμώνυμος« in 83.13 betrifft, so ist es klar, daß sie mit dem Kriterium für nicht-homonyme Prädikation in 82.12f. zu erklären ist. Denn mit der Nicht-Homonymie von Paradigma und Abbild wird offensichtlich auf den dritten Typ nicht-homonymer Prädikation (Ic) Bezug genommen, für den sie auf dieselbe Weise definiert ist wie für die beiden anderen Prädikationstypen, d. h. so, daß mehrere Dinge, die unter einen gegebenen generellen Term fallen, genau dann in bezug auf diesen Term nicht-homonym sind, wenn er auf sie derart zutrifft, daß die von ihm bezeichnete Natur in allen Anwendungsfällen dieselbe Erklärung (λόγος) hat (82.12f.). Der Rückbezug auf den Prädikationstyp Ic und das Kriterium für nicht-homonyme Prädikation in 82.12f. ist so unverkennbar, daß es keines Hinweises bedarf, daß es in 83.13 um die mögliche Homonymie zwischen
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einem realen und einem nicht-realen Gegenstand als Aussagesubjekten eines bestimmten Terms geht, nicht wie in 83.7 um die Homonymie zwischen einem Aussagesubjekt und der von ihm mit einem Term ausgesagten Natur. Für eine Widerlegung der Auffassungen des überlieferten Satzes bei Owen, Barford und Leszl verweise ich auf die überzeugenden Argumente von Rowe250 und möchte ihnen lediglich ein Argument gegen Rowes eigene Deutung des Satzes hinzufügen. Rowe gibt ihn mit den Worten wieder: »[...] ›even if one were to bring type (c) predication into play, it still follows that sensible equals are equal qua likenesses of τὸ κυρίως ἴσον‹«251 und erklärt diese Übersetzung folgendermaßen: »The point is that type (c) has apparently just been ruled out as a way of accounting for the nonhomonymy of sensible equals, in so far as it cannot be employed with respect to sensible equals alone; thus apparently leaving the field to type (b). But in fact type (c) can be re-introduced: if sensible equals are all equal qua likenesses, then there must be a model for them to be likenesses of; but if this is so, then sensible equals can after all be considered as members of a group including both likenesses and model – in which case their nonhomonymy can now be accounted for under type (c). Even so, the argument says, it still follows that they are equal qua likenesses of τὸ κυρίως ἴσον.«252 Zwei Argumente gegen diese Deutung: (i) In der Protasis des Konditionalsatzes in 83.12f. ist nicht, wie Rowe suggeriert, davon die Rede, daß jemand den dritten Prädikationstyp (Ic) zur Erklärung der Prädikation des Terms »gleich« von den konkreten Dingen heranziehen könnte, sondern davon, daß jemand die Nicht-Homonymie zwischen einem Modell und seinen Abbildern akzeptieren könnte, d. h. Sätze wie »Der historische Sokrates ist ein Mensch« und »Der bildlich dargestellte Sokrates ist ein Mensch« als nicht-homonyme Prädikationen akzeptieren könnte. D. h., nicht die Anwendung des Typs Ic auf die Prädikation des Terms »gleich« von den konkreten Dingen wird zugegeben, sondern die generelle Charakterisierung von Prädikationen wie den in Ic genannten als nicht-homonym. (Dieses Argument trifft übrigens nicht nur
250 Vgl. Rowe, The Proof from Relatives, S. 275f. Das Argument gegen Owen: Der eingeräumte Einwand, daß zwar nicht »τὸ ἴσον αὐτό«, jedoch »ἴσον« von der Form des Gleichen und den konkreten Dingen auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird, ist etwas, das aus II und III tatsächlich folgt. Das Argument gegen Leszl: Die Protasis in 83.12f. (= III) bezieht sich auf den Prädikationstyp Ic, nicht auf den Prädikationstyp Ib, und Leszls entscheidende Einschränkung »cose di quaggiù soltanto« findet sich nicht im Text. Das Argument gegen Barford: Sein Verständnis des Satzes hängt von der verfehlten Annahme ab, es gehe in II-IV um den Nachweis per reductio, daß »gleich« von den konkreten Dingen auf homonyme Weise ausgesagt wird. 251 Rowe, The Proof from Relatives, S. 276. 252 Rowe, The Proof from Relatives, S. 276f.
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Rowes Interpretation des Satzes, sondern auch Owens, Barfords und, mutatis mutandis, Leszls.253) (ii) Rowes Interpretation impliziert, daß die Gruppe der Aussagesubjekte, von denen »gleich« auf nicht-homonyme Weise ausgesagt wird, stillschweigend auf die Form des Gleichen ausgedehnt wird, obwohl deren Existenz noch gar nicht gefolgert worden ist.
253 Auch ihren Interpretationen zufolge geht es in der Protasis des Konditionalsatzes um eine Anwendung des Prädikationstyps Ic (bzw. bei Leszl: des Typs Ib) auf die Prädikation des Terms »gleich« von den konkreten Gegenständen, nicht um die generelle Charakterisierung der Prädikationen, auf die sich Ic bezieht, als nicht-homonyme Prädikationen.
4. Formen als Gegenstände des Typs Dieses
Eine Untersuchung zum Gegenstandsstatus der Form des Lebewesens und der Formen der Elemente im Timaios 4.1 Einleitung Vergleicht man die Charakterisierung der Formen im Timaios mit der im Phaidon einerseits, im Sophistes andererseits – um die Formen eben der Dialoge als Vergleichsbeispiele heranzuziehen, die uns in den beiden vorangegangenen Kapiteln der Arbeit beschäftigt haben –, so stellt man fest, daß sie in zwei Hinsichten der Beschreibung im Phaidon nahe und der im Sophistes fern steht.1 (i) Sowohl im Phaidon als auch im Timaios werden die Formen als unveränderliche, nicht sinnlich wahrnehmbare Gegenstände und die konkreten Dinge als veränderliche, sinnlich wahrnehmbare Gegenstände einander so gegenübergestellt, daß sie als zwei Klassen von Dingen angesetzt werden.2 Im Phaidon werden sich Sokrates und Kebes über die Ansetzung der beiden Klassen folgendermaßen einig: Θῶμεν οὖν βούλει, ἔφη, δύο εἴδη τῶν ὄντων, τὸ μὲν ὁρατόν, τὸ δὲ ἀιδές; Θῶμεν, ἔφη. Καὶ τὸ μὲν ἀιδὲς ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἔχον, τὸ δὲ ὁρατὸν μηδέποτε κατὰ ταὐτά; Καὶ τοῦτο, ἔφη, θῶμεν. (79a6-11)
Und im Timaios steht die später3 korrigierte und erweiterte Einteilung der Dinge in die beiden Klassen am Anfang des προοίμιον (29d5) von Timaios’ Ausführungen über das All, da sich – so die von Timaios wenige Zeilen später gegebene Begründung für die anfängliche Einteilung – bei der Untersuchung jedes Gegenstands zu Beginn die Frage stelle, ob er zur ersten oder zur zweiten Klasse gehöre:4 1 Vgl. zur ersten Hinsicht Owen, The Place of the Timaeus, S. 85f., zur zweiten ebd., S. 82-84. 2 Vgl. Phd. 79a6: »δύο εἴδη τῶν ὄντων«, Ti. 48e3: »δύο εἴδη«. 3 Vgl. 48e2-49a6, 52a1-b5, 52d2-4. 4 Vgl. 28b4-7: »σκεπτέον δ’ οὖν περὶ αὐτοῦ (sc. τοῦ οὐρανοῦ) πρῶτον, ὅπερ ὑπόκειται περὶ παντὸς ἐν ἀρχῇ δεῖν σκοπεῖν, πότερον ἦν ἀεί, γενέσεως ἀρχὴν ἔχων οὐδεμίαν, ἢ γέγονεν, ἀπ’ ἀρχῆς τινος ἀρξάμενος.« Der Gebrauch der Imperfektform »ἦν« in »πότερον ἦν ἀεί« mag verwundern, wenn man daran denkt, daß später (37e5-38a1) die Anwendung von »ἦν« auf die
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Formen als Gegenstände des Typs Dieses
Ἔστιν οὖν δὴ κατ’ ἐμὴν δόξαν πρῶτον διαιρετέον τάδε, τί τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον, καὶ τί τὸ γιγνόμενον μέν,5 ὂν δὲ οὐδέποτε· τὸ μὲν δὴ νοήσει μετὰ λόγου περιληπτὸν6 ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν, τὸ δ’ αὖ δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστὸν γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν. (27d5-28a4)
Die Ansetzung der beiden Klassen spielt im Sophistes hingegen nur insoweit eine Rolle, als sie die Kernthese der Ideenfreunde ist,7 die vom Eleatischen Gast nicht übernommen, sondern aus kritischer Distanz beurteilt wird.8 Zwar spricht auch der Eleatische Gast von Formen als Objekten dialektischer Untersuchung,9 über die wir mit Sätzen wie »Bewegung ist« oder »Bewegung ist verschieden von Ruhe« wahre Aussagen machen; doch bilden diese Formen keine Klasse von Individuen, die sich der Klasse der konkreten Individuen gegenüberstellen läßt.10 Vielmehr werden die Formen als Designate von Prädikat-Termen und verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« in der Weise konzipiert, daß ein PrädikatTerm und der entsprechende verallgemeinernd gebrauchte Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« etwas bezeichnet, als was die konkreten Individuen, auf die der Prädikat-Term zutreffend Anwendung findet, charakterisiert sind und wovon sie insofern nicht verschieden sind. (ii) Darüber hinaus – und komplementär dazu – sticht folgender Unterschied zwischen der Beschreibung der Formen im Phaidon und Timaios einerseits, der im Sophistes andererseits ins Auge. Während das Verhältnis Entitäten der ersten Klasse zurückgewiesen wird. Doch scheint sich Timaios mit dem Imperfekt eben auf die anfängliche Einteilung zurückzubeziehen. Proklos (in Ti. 1.279.2-7) vergleicht passenderweise die Verwendung des Imperfekts in den Ausdrücken »ἀγαθὸς ἦν« (29e1, mit implizitem Rückbezug auf 29a6) und »ἡ μὲν οὖν τοῦ ζῴου φύσις ἐτύγχανεν οὖσα αἰώνιος« (37d3, mit implizitem Rückbezug auf 29a5). Vgl. zu dieser Verwendung des Imperfekts anstelle des Präsens Kühner / Gerth, Ausführliche Grammatik. Satzlehre. Erster Teil, S. 145f. 5 Vgl. zur Begründung der Auslassung des bei Burnet gedruckten »ἀεί« Whittaker, Timaeus 27D 5ff und ders., Textual Comments on Timaeus 27 C-D sowie die ergänzenden Stellenhinweise bei Dillon, Tampering with the Timaeus, S. 60-63. 6 Burnet druckt nach »περιληπτόν« und »δοξαστόν« ein Komma, versteht also »τὸ μὲν« und »τὸ δ’ αὖ« als Subjekt-Ausdrücke, »νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν« und »δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστόν« als Prädikat-Ausdrücke und »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« und »γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν« als participia coniuncta. Mit der Entfernung der Kommata folge ich Proklos (in Ti. 1.241.28-31) und Cornford (S. 22 Anm. 1) und verstehe »τὸ μὲν δὴ νοήσει μετὰ λόγου περιληπτὸν« und »τὸ δ’ αὖ δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστὸν« als Subjekt-Terme und »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« und »γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν« als Prädikat-Terme. Cornford (ebd.) begründet dieses Verständnis zurecht mit dem Hinweis auf die Wiedergabe des zweiten Teils der Antwort in 28b8-c2: »τὰ δ’ αἰσθητά, δόξῃ περιληπτὰ μετ’ αἰσθήσεως, γιγνόμενα καὶ γεννητὰ ἐφάνη«. 7 Vgl. Sph. 246b6-c2, 248a7-b1. 8 Gewiß betont auch der Eleatische Gast, daß es beständige Dinge geben müsse (Sph. 249b8d5). Diese können freilich nicht mit den Gattungen identifiziert werden, von denen im Sophistes die Rede ist (vgl. dazu oben 2.1.2.3). 9 Vgl. z. B. Sph. 253d1-e2. 10 Vgl. zur Begründung dieser These oben 2.1.2.3.
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zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Gegenständen11 bereits im Phaidon und erst recht im Timaios als Verhältnis von Vorbild und Abbild bestimmt und eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen ihnen hergestellt wird,12 ist dies ein dem Sophistes fremder Gedanke. Wird im Sophistes die Relation zwischen der Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen überhaupt näher beschrieben, dann im Stile der frühen sokratischen Dialoge13 dahingehend, daß die Form das sei, was sich an allen (ἐπὶ πᾶσιν) diesen Dingen finde und durch sie alle (διὰ πάντων τούτων) hindurchgehe.14 Die Behandlung der Formen im Timaios scheint einzig und allein darin der im Sophistes näher zu stehen als der im Phaidon, daß sie ein weit gefaßtes Prinzip des Einen über den Vielen (ἓν ἐπὶ πολλῶν15) zu implizieren scheint, das die Ansetzung von Formen für Prädikate erlaubt, die ein Gegenstand, der sie erfüllt, wesentlich erfüllt, z. B. für die von »ein Lebewesen« oder »Feuer« ausgedrückten Prädikate. Freilich ist es nicht sicher, daß im Phaidon nur für solche Prädikate Formen angesetzt werden, die von (konkreten) Gegenständen nicht wesentlich erfüllt werden; es spricht vielmehr einiges dafür, daß der Dialog ebenfalls ein weit gefaßtes Prinzip des Einen über den Vielen voraussetzt.16 Zudem ist es klar, daß die (auf Aristoteles zurückgehende) Unterscheidung zwischen Prädikaten, die von konkreten Gegenständen wesentlich erfüllt werden, und Prädikaten, die von ihnen nicht wesentlich erfüllt werden, im Timaios nicht anerkannt wird: mit der Anwendung von »Feuer« z. B. sagen wir nicht, was ein bestimmter konkreter Gegenstand wesentlich ist, sondern wie die ὑποδοχή vorübergehend qualifiziert ist (49b7-50b5).17 Es ist somit fraglich, ob wir es bei der Ansetzung von Formen für Prädikate wie die von »ein Lebewesen« oder »Feuer« ausgedrückten im Timaios wirklich mit einem Punkt zu tun haben, der den Dialog in größere Nähe zum Sophistes als zum Phaidon rückt. Und auch wenn dies der Fall wäre, kann schwerlich bestritten werden, daß die zuvor genannten Punkte, die das 11 Ich spreche bewußt vage von »der Form zugeordneten konkreten Gegenständen« anstelle von »Partizipanten der Form«; denn im Timaios ist von »Teilhabe« konkreter Gegenstände an Formen auffälligerweise nicht die Rede (vgl. unten 4.2.1.7). 12 Vgl. Phd. 74d9-e8 und Ti. 48e5-49a1. 13 Vgl. z. B. Men. 74a9 und 75a4-8. 14 Vgl. Sph. 240a4-6. 15 Vgl. Arist. Metaph. Α9, 990b13 = Μ4, 1079a9 und Alex. Aphr. in Metaph. 80.8-15. 16 Vgl. zur These, daß im Phaidon nur für unvollständige Prädikate Formen angesetzt werden, Nehamas, Predication and Forms of Opposites in the Phaedo. Gegen sie scheint mir insbesondere zu sprechen, daß die Formen im Phaidon als Definitionsgegenstände charakterisiert werden (vgl. 75c10-d3 und 78d1-3) und daher wenigstens für jedes definierbare Prädikat eine Form angesetzt zu werden scheint. 17 Vgl. dazu Hunt, The ›Problem of Fire‹.
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umgekehrte Verhältnis nahelegen, für die Annahme sprechen, daß im Phaidon und Timaios einerseits, im Sophistes andererseits grundverschiedene Ontologien der Formen vorausgesetzt sind. Versucht man, den Unterschied zwischen den Ontologien auf den Begriff zu bringen, so kann man im Rekurs auf die in den vorhergehenden Untersuchungen zum Phaidon und zum Sophistes gebrauchte aristotelische Unterscheidung zwischen Gegenständen des Typs Dieses und Gegenständen des Typs So etwas sagen, daß eine Form im Sophistes ausschließlich ein Gegenstand des Typs So etwas ist, im Phaidon und Timaios dagegen in den Rang eines Gegenstands des Typs Dieses erhoben wird (im Phaidon freilich so, daß sie ursprünglich als Gegenstand des Typs So etwas eingeführt wird). Während die Formen des Sophistes nicht zum Gesamt der Individuen, die es gibt, gerechnet werden können, ist genau dies bei den Formen des Phaidon und des Timaios möglich. Die Übereinstimmung des Phaidon und des Timaios in einer ontologisch so fundamentalen Frage wie der, ob die Formen zum Gesamt der Individuen, die es gibt, zu rechnen sind oder nicht, und die Divergenz des Sophistes und des Timaios in derselben Frage stellen das Unternehmen, sich über Platons Haltung zu dieser Frage klar zu werden, vor ernsthafte Schwierigkeiten, zumal dann, wenn man annimmt, daß (i) die Dialoge mehr oder weniger die Meinungen, die der Autor zur Zeit ihrer Niederschrift vertreten habe, widerspiegelten, (ii) die Argumente des ersten Teils des Parmenides die Distanzierung des Autors von der im Phaidon und Timaios vorausgesetzten Ontologie der Formen erkennen lasse und (iii) der Timaios späteren Datums sei als der Parmenides (wie die stilometrischen Untersuchungen18 übereinstimmend gezeigt haben).19 Allerdings zwingt nichts zur Annahme, daß die Dialoge getreue Dokumentationen der Meinungen ihres Autors seien. Vielmehr ist es für Platons Gebrauch der Dialogform charakteristisch, daß häufig unklar bleibt, wie er die in den Dialogen entwickelten Argumente hinsichtlich der Plausibilität ihrer Prämissen und der Gültigkeit ihrer Folgerungen bewertet.20 Weder muß er die Argumente, die er Parmenides im gleichnamigen Dialog vortragen läßt, für gültig gehalten haben, noch muß er die Theorien, die er Timaios im gleichnamigen Dialog entwickeln läßt, selbst vertreten haben. Was den Timaios betrifft, so gab es und gibt es Exegeten, die annehmen, daß Platon Timaios keineswegs zum Sprachrohr eigener Thesen mache, sondern mit ihm einen typischen (oder idealtypischen) Pythagoreer darstelle.21 Und 18 Vgl. Brandwood, S. 251. 19 Es ist verständlich, warum Owen (The Place of the Timaeus, S. 84) aufgrund der Voraussetzung von (i) und (ii) glaubte, (iii) verneinen zu müssen. 20 Vgl. dazu Frede, Plato’s Arguments and the Dialogue Form. 21 Vgl. Taylor, S. 10f. und Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 54.
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was den Parmenides betrifft, gibt es triftige Gründe für die These, daß Platon den von Parmenides im ersten (aber auch im zweiten) Teil explizit oder implizit gemachten Voraussetzungen skeptisch gegenübersteht.22 Bei aller Skepsis gegen entwicklungsgeschichtliche Hypothesen ist freilich die Annahme vernünftig, daß die Positionen, die Platon die Protagonisten eines bestimmten Dialogs zu Fragen einnehmen läßt, zu denen bereits die Protagonisten früherer Dialoge Stellung bezogen haben, reflektierter sind und ein größeres Problembewußtsein erkennen lassen als die Positionen der Protagonisten der früheren Dialoge. Zwar mögen prosopopoietische Interessen das Interesse, die in einem früheren Dialog aufgeworfenen Fragen im späteren Dialog auf einem höheren Reflexionsniveau aufzugreifen, durchkreuzen. In diesem Fall dürfte aber dem zweiten Interesse ein Vorrang vor dem ersten gebühren. Denn was hätte ein philosophisch interessierter Schriftsteller wie Platon z. B. davon, mit Timaios einen dialektischen Hinterwäldler zu karikieren, der sich hinsichtlich der Schwierigkeiten der Ideenlehre im Stande vollkommener Unschuld befindet und von den betreffenden Diskussionen keine Kenntnis genommen hat?23 Wir dürfen also annehmen, daß, den stilometrisch wohlbegründeten Einschluß des Timaios unter die späteren Dialoge vorausgesetzt,24 die Beschreibung der Formen im Timaios, so nahe sie der des Phaidon stehen mag, ein größeres Problembewußtsein erkennen läßt als diese und manche ihrer Probleme zu vermeiden sucht. Nun hat die im Phaidon vorausgesetzte Auffassung der Formen die fundamentale Schwierigkeit, daß die Formen zugleich als Gegenstände des Typs So etwas und Gegenstände des Typs Dieses angesetzt werden. Es ist genau diese Schwierigkeit, die Aristoteles von Beginn an als das Grundproblem der platonischen Ideenlehre mit einer Selbstverständlichkeit zur Sprache bringt,25 die die Vermutung nahelegt, daß die Schwierigkeit bereits vor ihm in der akademischen Diskussion um die Formen eine bedeutende Rolle gespielt haben und von Platon als Problem erkannt worden sein muß. Dafür spricht ja auch die Tatsache, daß die Schwierigkeit im Sophistes dadurch vermieden wird, daß die Formen konsequent als Gegenstände des Typs So etwas behandelt werden. Zu erwarten ist also, daß auch im Timaios der Versuch unternommen wird, dieses Problem zu vermeiden. Freilich kann die Strategie zur Vermeidung des Problems in diesem Dialog nicht darin gesehen werden, die Formen ausschließlich als Gegenstände 22 Vgl. Graeser, Wie über Ideen sprechen? und ders., Platons Parmenides. 23 Die Annahme einer solchen Karikatur legt uns Ebert (Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 54) nahe. 24 Vgl. Brandwood, S. 249f. 25 Vgl. Kung, Aristotle on Thises, Suches and the Third Man Argument, S. 234: »Both early and late he (sc. Aristotle) insists that the difficulty is treating suches as thises.«
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des Typs So etwas anzusetzen. Denn es ist wie gesagt klar, daß sie im Timaios zum Gesamt der Individuen, die es gibt, gerechnet werden. Die Strategie müßte vielmehr darin gesehen werden, daß sie ausschließlich als Gegenstände des Typs Dieses angesetzt werden. Es ist nun in der Tat dieser Weg, der im Timaios beschritten wird, wie die vorliegende Untersuchung zu den im Timaios speziell behandelten Formen, der Form des Lebewesens und den Formen der Elemente,26 zeigen soll. Ist diese These zutreffend, so werden die beiden im Phaidon unzulässigerweise miteinander verquickten Gegenstandstypen in den späteren Dialogen sorgfältig auseinandergehalten und divergierenden Formauffassungen zugrundegelegt. Die weiteren Ausführungen zur Beschreibung der genannten Formen im Timaios gliedern sich in vier Teile: Um die Interpretation auf eine sichere Textgrundlage zu stellen, sollen zunächst (4.2) die Informationen, die wir über die Formen im Timaios erhalten, gesammelt und in ihren argumentativen Zusammenhang gestellt werden. Es soll insbesondere daran erinnert werden, welch starken Akzent Timaios darauf legt, daß die Welt darin – aber nicht nur darin –, daß sie ein Lebewesen ist, der Form des Lebewesens ähnlich ist und ebenso die Elemente darin, daß sie Elemente sind, den entsprechenden Formen ähnlich sind. Die Ähnlichkeit zwischen einer gegebenen Form und den ihr zugeordneten konkreten Gegenständen scheint mir das vordringlichste Explanandum seiner Formauffassung zu sein, zumal es oft weniger erklärt als wegerklärt wird, da die Ähnlichkeitsrelation nicht zum vertrauten Bild der Formen als Eigenschaften oder Begriffe passen will. Sodann (4.3) soll eine Deutung skizziert und zurückgewiesen werden, die die Ähnlichkeit zwischen der Form und den ihr zugeordneten konkreten Gegenständen darauf zurückführt, daß die Form als Gegenstand des Typs So etwas, d. h. als Designat eines Prädikat-Terms und des entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrucks der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ«, eingeführt und mit einem Argument des Typs, wie es uns im Phaidon (74b6-c6) begegnet ist, von den konkreten Dingen, auf die der Prädikat-Term Anwen26 Von letzteren wird nur die Form des Feuers ausdrücklich erwähnt (51b8). Es sei auch darauf hingewiesen, daß sich im Timaios keine den Ausdrücken »Form des Lebewesens« und »Form des Feuers« entsprechenden Ausdrücke wie »τὸ τοῦ ζῴου εἶδος« und »τὸ τοῦ πυρὸς εἶδος« finden. Wohl aber wird das Modell der Welt, das vollkommene Lebewesen (παντελὲς ζῷον 31b1), als »τὸ ὅ ἐστιν ζῷον« bezeichnet (39e8), und die Hinzufügung von »ὅ ἐστιν« leistet dasselbe wie die Hinzufügung von »αὐτὸ« – sie macht darauf aufmerksam, daß von der Form des Lebewesens im Kontrast zu den konkreten Lebewesen die Rede ist (vgl. zu diesem Gebrauch von »ὅ ἐστιν« Phd. 74d6, 75b1f., d2, 78d4f., 92d9, Smp. 211c8-d1, Cra. 389b5, d7, R. VI, 490b3, 507b7, R. VII, 532a7-b1, 533b2, R. X, 597a2/4, c3/9, Prm. 129a2, b7, 133d8-e1, 134a3f., Phdr. 247e2 und Arist. Metaph. Μ4, 1079b6, Μ10, 1086b27). Die Form des Feuers wird als »πῦρ αὐτὸ ἐφ’ ἑαυτοῦ« (51b8) bezeichnet, und es ist in bezug auf sie, wie auch in bezug auf alle übrigen Formen, von einem »εἶδος [...] νοητόν« (51c4f.) die Rede.
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dung findet, unterschieden werde. Die Konklusion dieses Arguments, d. h. die These, daß die konkreten Dinge nicht wirklich als so etwas charakterisiert sind, was der Prädikat-Term bezeichnet, habe zur Konsequenz, daß sie dem Designat des Terms nur ähnlich sind. Ich halte diese Interpretation der Formen im Timaios für verfehlt, da die Formen im Timaios nicht so wie in den übrigen platonischen Dialogen als Designate von Prädikat-Termen und verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« verstanden werden. Daß die Deutung verfehlt ist, zeigt sich z. B. daran, daß der von den konkreten Feuerkörpern ausgesagte Term »πῦρ« in Timaios’ Darstellung nicht für Feuer-ohne-zeitlicheQualifikationen, sondern für Feuer-Gewordenes, d. h. für Feuer-in-einemzeitlichen-Kontext steht und darin impliziert ist, daß er nichts von den konkreten Feuerkörpern Verschiedenes bezeichnet, sondern etwas, als was diese tatsächlich charakterisiert sind. Nun wird aber im Timaios die Form des Feuers offensichtlich als etwas von ihnen Verschiedenes angesetzt. Folglich scheint die Form im Timaios nicht das zu sein, was der von den konkreten Feuerkörpern ausgesagte Term »πῦρ« bezeichnet. Was ist sie aber dann, und wozu wird sie überhaupt eingeführt? Diesen Fragen gehe ich im Abschnitt 4.4 nach. Ich möchte zunächst zeigen, daß die Formen des Timaios bereits als Individuen eingeführt werden – d. h. nicht (wie im Phaidon) erst nachträglich zu solchen gemacht werden –, und zwar mit der Funktion, als die zeitlos existierenden Gegenstände der Einsicht (νοῦς) zu dienen. Ihre nicht in Raum und Zeit lokalisierbare Existenz verlangt freilich, daß sie nicht beliebige Gegenstandsstrukturen exemplifizieren können. Es wäre z. B. unsinnig, die Form des Lebewesens als Lebewesen mit Körper und Seele zu charakterisieren; denn ein Lebewesen mit Körper und Seele zu sein, schließt ein, ein Gegenstand in Raum und Zeit zu sein. Wie aber findet der Term »ein Lebewesen« dann auf die Form derart Anwendung, daß darin eingeschlossen ist, daß die Welt als Lebewesen der Form ähnlich ist, und wie findet z. B. der Term »Feuer« auf die Form derart Anwendung, daß darin eingeschlossen ist, daß die Feuerkörper der Form ähnlich sind? In beiden Fällen scheint mir die Lösung der Schwierigkeit darin zu liegen, daß das Lebewesensein der Welt und das Feuersein der Feuercorpuscula auf quantitative Bestimmtheiten zurückgeführt werden, dank denen die Welt und die Feuercorpuscula jeweils einem zeitlos existierenden Gegenstand des Typs Dieses, nämlich einer Formzahl, ähnlich sind. Mir scheinen also die Formen der Elemente und die Form des Lebewesens mit bestimmten Formzahlen zu identifizieren zu sein. Indem Timaios z. B. den Feuercorpuscula die Figur des Tetraeders zuschreibt, kann er sie als Abbilder der das Tetraeder definierenden Formzahl fassen.
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Im Abschnitt 4.5 versuche ich, die Konzeption der Formen als Zahlen, die Platon Timaios in den Mund legt, auf Platons Bestreben zurückzuführen, die Formen als zeitlos existierende Individuen zu bestimmen, und weise auf die aristotelischen Zeugnisse über Platons pythagoreisierende Identifikation der Formen mit Zahlen hin, die mir ein zusätzlicher Beleg dafür zu sein scheinen, daß Platon den Pythagoreer Timaios die Formen mit Zahlen identifizieren läßt. Ein Anhang zur Syntax von 49d3-7 schließt die Untersuchung ab (4.6). Die Stelle ist nicht nur berühmt für ihre syntaktische Mehrdeutigkeit, sondern auch relevant für die zuvor in 4.3 behandelte Frage, ob Timaios der Auffassung ist, daß Ausdrücke wie »πῦρ« oder »ὕδωρ« auf die Sensibilia nicht (oder nicht uneingeschränkt) zutreffen und daher auf andere Entitäten angewandt werden sollten.
4.2 Was wir im Timaios über die Form des Lebewesens und die Formen der Elemente erfahren Vor der Prüfung verschiedener prima facie erwägenswerter Antworten auf die Frage, um welche Art von Entitäten es sich bei der Form des Lebewesens und den Formen der Elemente handelt, ist es sinnvoll, sich genau zu vergewissern, was wir über sie von Timaios selbst erfahren und unter welchen Beschreibungen sie von ihm eingeführt werden. Die sorgfältige Auswertung dieser Informationen kann uns davor bewahren, Beschreibungen der Formen, die uns aus anderen Dialogen vertraut sind, unbesehen auf den Timaios zu übertragen, obgleich sie bei näherer Betrachtung mit den Beschreibungen des Dialogs selber unverträglich sind. Z. B. werden wir sehen, daß die in der modernen Literatur gängige Deutung der Form des Lebewesens als Gattungsbegriff – eine aufgrund der großen Bedeutung, die der Einteilung von Gattungen in Arten in anderen Dialogen zukommt, durchaus naheliegende Identifikation – mit dem, was Timaios über die Form tatsächlich sagt, unvereinbar ist. Dem Aufbau von Timaios’ Darstellung folgend, in der zunächst die auf Einsicht (νοῦς) und anschließend die auf Notwendigkeit (ἀνάγκη) beruhenden Anteile der Weltkonstitution zur Sprache kommen, werde ich zunächst die Form des Lebewesens, von der innerhalb der Darstellung der Anteile der Einsicht die Rede ist, und anschließend die Formen der Elemente, von denen innerhalb der Darstellung der Anteile der Notwendigkeit die Rede ist, besprechen.
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4.2.1 Was wir über die Form des Lebewesens erfahren Die der Einführung der Form des Lebewesens zugrundeliegenden Prinzipien werden zum einen im ersten Teil des Vorspiels (προοίμιον 29d5) von Timaios’ Ausführungen über das All (27d5-29b2), zum anderen in dem dem προοίμιον folgenden Abschnitt über den Zweck, den der Demiurg mit der Einrichtung der Welt verfolgt habe (29d7-30c1), formuliert. Daß die Welt nach einem intelligiblen Vorbild gestaltet sei, wird in 27d5-29b2 zu begründen versucht, woran sich in 29d7-30c1 die Begründung dafür anschließt, daß sie nach diesem Vorbild zu einem Lebewesen gestaltet und das Vorbild insofern selbst ein Lebewesen sei (eine Folgerung, die nicht ausdrücklich gezogen, jedoch in der 30c3 gestellten Frage, welchem der Lebewesen der Demiurg die Welt bei ihrer Konstitution ähnlich zu machen suchte, implizit vorausgesetzt ist). Es sind also zwei Eigenschaften, mit denen die Form des Lebewesens in 27d5-30c1 eingeführt wird: erstens die Eigenschaft, das intelligible Vorbild des Kosmos zu sein, und zweitens die Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein (so daß ihm die Welt als Lebewesen ähnlich ist). – Es lohnt sich, die Argumentationen beider Abschnitte im einzelnen zu betrachten.
4.2.1.1 Timaios 27d5-29b2 Timaios nimmt zu Beginn dieses Abschnitts eine grundlegende Einteilung27 von zwei (elementfremden) Gegenstandsklassen vor: der Klasse dessen, was immer ist und keine Entstehung hat (τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον 27d6), und der Klasse dessen, was entsteht und niemals ist (τὸ γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε 27d6-28a1). Zum Zweck dieser Einteilung fragt er, was das ist, was immer ist und keine Entstehung hat, und was das ist, was entsteht und niemals ist. Es liegt auf der Hand, daß er dabei die Ausdrücke »τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον« und »τὸ γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε« verallgemeinernd verwendet, also so, daß er die Fragen auch in folgender Weise formulieren könnte: »τίνα τὰ ὄντα ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχοντα, καὶ τίνα τὰ γιγνόμενα μέν, ὄντα δὲ οὐδέποτε;« (»Um welche Dinge handelt es sich bei den Dingen, die immer sind und keine Entstehung haben, und um welche Dinge handelt es sich bei denen, die entstehen und niemals sind?«).
27 Vgl. »διαιρετέον τάδε« (27d5).
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Die Antwort, die wir von Timaios erhalten,28 läßt sich entsprechend so wiedergeben: »Diejenigen Dinge, die durch einsichtiges Denken mit Erklärung29 erfaßt werden können, sind die, die immer auf dieselbe Weise sind, und diejenigen, die durch Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung gemeint werden können, sind die, die entstehen und vergehen und niemals wirklich sind.«30 Da sich Timaios auf die beiden zu definierenden Klassen in der Frage und in der Antwort mit verschiedenen Ausdrücken bezieht – in der Frage mit »τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον« und »τὸ γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε«, in der Antwort mit »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« und »γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν«31 –, ergeben sich je zwei Wiedergaben der Definitionen beider Klassen, und zwar als Paraphrasen der Definition der ersten Klasse (1) und (1*): (1)
∀x (x ist immer und hat keine Entstehung ↔ x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung)
(1*)
∀x (x ist immer auf dieselbe Weise ↔ x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung),
als Paraphrasen der Definition der zweiten Klasse (2) und (2*): (2)
∀x (x entsteht und ist nie ↔ x ist Gegenstand von Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung)
(2*)
∀x (x entsteht und vergeht und ist nie wirklich ↔ x ist Gegenstand von Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung).
Nun ist es möglich, die Syntax der Antwort 28a1-4 anders zu konstruieren und die Subjekt-Terme nicht mit »τὸ μὲν δὴ νοήσει μετὰ λόγου περιληπτὸν« und »τὸ δ’ αὖ δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστὸν«, sondern mit »τὸ μὲν« (als Pronomen für »τὸ ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον«) und »τὸ δ’« (als Pronomen für »τὸ γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε«) zu identifizieren und »νοήσει μετὰ λόγου περιληπτὸν« sowie »δόξῃ μετ’ 28 Vgl. 28a1-3: »τὸ μὲν δὴ νοήσει μετὰ λόγου περιληπτὸν ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν, τὸ δ’ αὖ δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστὸν γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον, ὄντως δὲ οὐδέποτε ὄν«. 29 Mit »Einsichtiges Denken mit Erklärung« gebe ich »νοήσει μετὰ λόγου« wieder. »νόησις« bloß mit »Denken« wiederzugeben (so z. B. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 46 und Zekl, S. 29), scheint mir ungenügend; denn der Zusammenhang von »νόησις« mit »νοῦς« (»Einsicht«) sollte in der Übersetzung erkennbar sein. »λόγος« scheint hier wie in R. VII, 534b4f. gebraucht zu sein, wo die Fähigkeit, einen λόγος, d. h. eine definitorische Erklärung der οὐσία einer Sache zu erfassen (vgl. Stemmer, Platons Dialektik, S. 198f. Anm. 30), als notwendige Bedingung dafür, Einsicht über die Sache zu haben (νοῦν περὶ τούτου ἔχειν 534b5f.), eingestuft wird. 30 Vgl. zur syntaktischen Konstruktion des Satzes oben Anm. 6. 31 Der Zusatz von »ἀπολλύμενον« ist insofern aufschlußreich, als »ἀπόλλυσθαι« stets vollständig gebraucht wird und infolgedessen auch »γίγνεσθαι« und »εἶναι« in 27d6-28a4 vollständig gebraucht zu sein scheinen (pace D. Miller, S. 42-45).
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αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστὸν« als Prädikat-Ausdrücke der Teilsätze zu verstehen.32 Und unter Voraussetzung dieser syntaktischen Konstruktion ist es möglich33 – jedoch nicht zwingend –, die Teilsätze der Antwort zusammen mit den ihnen entsprechenden Teilsätzen der Frage in 27d6-28a1 nicht als bikonditionale, sondern lediglich als konditionale Aussagen zu verstehen und sie folgendermaßen zu paraphrasieren: (1)
∀x (x ist immer und hat keine Entstehung → x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung)
(2)
∀x (x entsteht und ist nie → x ist Gegenstand von Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung).
Der Zusammenhang der Stelle scheint mir jedoch aus zwei Gründen gegen diese Paraphrasen zu sprechen: (i) Der Ausdruck »διαιρετέον τάδε« (27d5) zeigt, daß es Timaios in 27d6-28a4 darum geht, die Klasse der immer seienden Dinge von der Klasse der entstehenden Dinge abzusondern,34 und daß es nicht sein Anliegen ist, auf bestimmte Eigenschaften hinzuweisen, die von allen immer seienden Dingen einerseits, allen entstehenden Dingen andererseits geteilt werden. Es ist daher anzunehmen, daß er in 27d6-28a4 die Klassen so voneinander absondert, daß er die erste Klasse mit der Klasse der durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbaren Dinge und die zweite Klasse mit der Klasse der durch Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung meinbaren Dinge identifiziert. Eine solche Identifikation wird jedoch nur mit (1) / (1*) und (2) / (2*), nicht mit (1) und (2) geleistet. (ii) Timaios macht in 28b7-c2 von (2) / (2*) und nicht von (2) Gebrauch, wenn er mit ausdrücklichem Rückbezug auf die in 28a2-4 gegebene Antwort daraus, daß die Welt wahrnehmbar und meinbar sei, schließt, daß sie entstanden sei.35 Fraglich ist allerdings, ob die Prinzipien, die mit (1) und (1*) einerseits, mit (2) und (2*) andererseits aufgestellt werden, damit verträglich sind, wie im Timaios die einzelnen Entitäten, von denen in dem Dialog die Rede ist, charakterisiert werden.
32 Diese syntaktische Konstruktion des Satzes ist die übliche und wird in den mir bekannten neueren Übersetzungen der Stelle (z. B. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 46; Zekl, S. 29; Zeyl, Plato: Timaeus, S. 13; Paulsen/Rehn, S. 35) zugrundegelegt. Vgl. zur Rechtfertigung der alternativen Konstruktion Cornford, S. 22 Anm. 1 und oben Anm. 6. 33 Ebert (Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 46) weist auf diese Möglichkeit hin. 34 Proklos (in Ti. 1.225.25-27) spricht von einer »διάκρισις ἀφοριστικὴ τοῦ τε ἀεὶ ὄντος καὶ τοῦ γιγνομένου, τί ποτέ ἐστιν ἑκάτερον αὐτῶν«. Bereits Plotinos (VI 2.1.25f.) bemerkt: »τὸ γὰρ διελέσθαι ἐνταῦθά ἐστι τὸ ἀφορίσαι καὶ χωρὶς θεῖναι [...]«. 35 Vgl. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 47.
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Ich möchte auf drei damit zusammenhängende Schwierigkeiten hinweisen und jeweils einen plausiblen Lösungsansatz skizzieren.36 Da ist erstens die Schwierigkeit, daß die Welt zwar entstanden sein und somit als γιγνόμενον gelten mag, jedoch nicht mit ihrer Auflösung zu rechnen ist.37 Inwiefern kann sie dann, sichtbar wie sie ist, aufgrund von (2*) unter den Begriff des Entstehenden und Vergehenden (γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον) fallen?38 Wenn wir das Partizip »ἀπολλύμενον« nicht mit »was zugrundegehen kann« – schwerlich sinngemäß – wiedergeben wollen, führt uns die Konsistenzunterstellung zur Annahme, daß die Erzählung von der Entstehung der Welt, auch wenn sie die Erzählung eines einmaligen Vorgangs zu sein scheint – wie wörtlich diese Erzählung zu verstehen ist, gehört bis heute zu den umstrittensten Fragen der Timaios-Exegese39 –, in Wirklichkeit die Darstellung ihres kontinuierlichen Entstehens ist und ihr kontinuierliches Entstehen ihr kontinuierliches Vergehen impliziert. Was rechtfertigt für Timaios die Annahme, daß die Welt in kontinuierlichem Entstehen und Vergehen begriffen ist? Eigentlich verständlich scheint sie mir erst im Lichte seiner später dargelegten Auffassung zu werden, daß die Ausdrücke, die wir alltäglich über konkrete Dinge aussagen, korrekterweise über so und so qualifizierte Teile des Aufnehmenden (der ὑποδοχή) auszusagen sind (51b4-6) – demnach auch der Term »Welt« –, das Aufnehmende jedoch das, was wir mit diesen Termen über sie aussagen, nicht ist, sondern jeweils als vorübergehenden Charakter prozessual aufnimmt.40 36 Die Frage, wie plausibel die Prinzipien sind – unabhängig von der Frage ihrer Verträglichkeit mit der Beschreibung bestimmter Entitäten im Timaios – und von welchen Annahmen über die Zeitlichkeit des Wahrseins von Aussagen über zeitliche Entitäten sie abhängen, soll unten (4.4.1) im Zusammenhang mit der Rekonstruktion des Arguments für die Existenz von Formen als νοήσει μετὰ λόγου περιληπτά erörtert werden. Dort gehe ich auch näher auf die in (1) / (1*) und (2) / (2*) gebrauchten Ausdrücke ein, insbesondere auf »ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον« und »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν«. 37 Vgl. 38c2f.: »ὁ δ’ αὖ (sc. ὁ οὐρανὸς) διὰ τέλους τὸν ἅπαντα χρόνον (sc. ἐστὶ) γεγονώς τε καὶ ὢν καὶ ἐσόμενος.« In 38b7 ist zwar von der Möglichkeit einer Auflösung (λύσις) der Welt die Rede; doch könnte sie nur der Demiurg bewerkstelligen (vgl. 32c3f.), dessen Güte (vgl. 29e1) sie jedoch nicht zuläßt (vgl. 41a8-b6). 38 Auf eine entsprechende Schwierigkeit weist Ebert (Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 46f.) hinsichtlich der Gestirne hin. 39 Die Frage, ob Timaios die Weltentstehung als ein einmaliges Ereignis verstanden wissen will, hat bereits die antike Timaios-Exegese mehr als jede andere Frage beschäftigt (vgl. Baltes, Die Weltentstehung des Platonischen Timaios nach den antiken Interpreten) und wird in der modernen Literatur weiter diskutiert (vgl. Zeyl, Plato: Timaeus, S. xxi mit Literaturangaben). Eine imponierende Fülle von Argumenten gegen das wörtliche Verständnis der Weltentstehung als einmaliges Ereignis hat, nach dem Vorgang von Tarán (The Creation Myth), Baltes (Γέγονεν) vorgelegt. Das beste dieser Argumente scheint mir die Unveränderlichkeit des Demiurgen als ὢν ἀεὶ θεός (34a8) und τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων ὁ ἄριστος (37a1) zu sein, die impliziert, daß es keine Zeitpunkte t und t’ derart gibt, daß der Demiurg um t noch untätig war und erst um t’ tätig wurde (vgl. Baltes, Γέγονεν, S. 316 und zur Deutung des Demiurgen unten, 4.4.3.1). 40 Vgl. 50a5-51b6 und insbes. 50b8: »δέχεταί τε γὰρ ἀεὶ τὰ πάντα«.
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Insofern ist es nicht das, was wir mit dem Term »Welt« über es aussagen, sondern wird kontinuierlich so qualifiziert, und man kann daher von der Welt selbst sagen, daß sie kontinuierlich werde und niemals sei. Die Prozessualität des Seins der Welt erklärt sich mithin aus der Prozessualität der Aufnahme des entsprechenden Charakters seitens der ὑποδοχή.41 Eine zweite Schwierigkeit scheint sich für die Aufstellung der mit (2) und (2*) formulierten Prinzipien daraus zu ergeben, daß die Weltseele als »unsichtbar« (»ἀόρατος«) bezeichnet wird (36e6, 46d6).42 Da sie auch nicht auf andere Weise wahrnehmbar ist, scheint sie nicht unter den Begriff des durch Meinung mit erklärungsloser Wahrnehmung Meinbaren (δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως ἀλόγου δοξαστόν) zu fallen. Nach (2*) ist sie demnach kein γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε. Als solches scheint sie aber eben dadurch charakterisiert zu werden, daß sie als Produkt des Demiurgen dargestellt wird (in 37a2 heißt es von ihr, sie sei ἀρίστη γενομένη τῶν γεννηθέντων).43 Diese Schwierigkeit kann mit der Annahme aufgelöst werden, daß »μετ’ αἰσθήσεως« nicht die Wahrnehmbarkeit des δοξαστόν einschließt, sondern bloß impliziert, daß die Meinungen, die wir über das δοξαστόν haben, von Wahrnehmungen abhängig sind, sei es Wahrnehmungen des δοξαστόν selbst, sei es Wahrnehmungen anderer Gegenstände. Und da das Postulat der Existenz einer Weltseele in allen Meinungen über sie vorausgesetzt ist und seinerseits von der Wahrnehmung der Welt abhängig ist – es sind die Gestirnsbewegungen, die mit dem Postulat erklärt werden sollen –, sind alle 41 Ein anderes Verständnis des kontinuierlichen Entstehens der Welt schlägt Patterson vor, indem er auf sie den Begriff kontinuierlichen Entstehens als »a mutable F’s continuing to be F over time« (On the Eternality of Platonic Forms, S. 38) anwendet. Sachlich ist diese Interpretation sicher möglich; aber der Text scheint mir keine Anhaltspunkte für sie zu bieten. 42 In den Nomoi heißt es, die Seele sei ἀναίσθητον πάσαις ταῖς τοῦ σώματος αἰσθήσεσιν, jedoch νοητόν (Lg. X, 898e1f.). Ähnlich äußert sich der Verfasser der Epinomis (981c2-4): »τῷ δὲ (sc. τῷ θειοτάτῳ ὄντως ψυχῆς γένει προσήκει) [...] ἀοράτῳ τε εἶναι καὶ γιγνώσκοντι νοητῷ τε, μνήμης μεταλαβόντι λογισμοῦ τε ἐν περιτταῖς τε καὶ ἀρτίαις ἄμα μεταβολαῖς.« 43 Proklos vertritt im Anschluß an Porphyrios (vgl. in Ti. 1.257.3) die These, daß die Weltseele nicht unter den Begriff des Entstehenden, niemals Seienden (γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε) falle, da sie »in bestimmer Hinsicht immer sei« (»πῂ ἀεὶ ὄν«) (in Ti. 1.233.14; vgl. in Ti. 1.235.26-32). Nun ist zwar die ἀμέριστος καὶ ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἔχουσα οὐσία in der Tat ein Bestandteil der Weltseelenmixtur (35a1f.), doch so, daß aus ihrer Verbindung mit den übrigen Bestandteilen eine von den ὄντα ἀεί verschiedene Art von Entität hervorgeht, die ausdrücklich den γεννηθέντα zugerechnet wird (vgl. 37a2). Zudem ergibt die in 48e2-49a4 durch die Einführung der dritten Gattung des Aufnehmenden vorgenommene Korrektur der anfänglichen Dihairesis der δύο εἴδη (48e3) nur dann einen Sinn, wenn mit dieser eine vollständige Einteilung der Entitäten beabsichtigt ist, also auch die Weltseele zu einer der beiden Klassen zu zählen ist, und zwar, da sie sicher nicht den Begriff eines unveränderlich Seienden erfüllt, zur Klasse der entstehenden Dinge. Die bereits in der antiken Timaios-Exegese heftig diskutierte Frage (vgl. in Ti. 1.227.8f.: »[...] τῶν ἐξηγητῶν ἀντιλογίαι πρὸς ἀλλήλους οὐκ ὀλίγαι περὶ τούτου γεγόνασιν«), ob Timaios mit der Dihairesis in 27d6-28a4 das Gesamt der Entitäten einzuteilen wünsche, scheint mir demzufolge positiv zu beantworten zu sein (wenngleich man im Auge behalten muß, daß er den Anspruch auf Vollständigkeit der Einteilung später revidiert).
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Meinungen über die Weltseele von der Wahrnehmung der Welt abhängig und somit mit Wahrnehmung (μετ’ αἰσθήσεως) gewonnen.44 Drittens scheint die Beschreibung des Aufnehmenden (ὑποδοχή) den mit (1) und (1*) aufgestellten Prinzipien zu widersprechen. Vorausgesetzt, die Prädikate »ist immer und hat keine Entstehung« und »entsteht und ist nie« sind einander kontradiktorisch entgegengesetzt, so kann aus der These, daß das Aufnehmende nicht unter das zweite Prädikat fällt – die darin impliziert ist, daß es das Worin (ἐν ᾧ) für sämtliche entstehende Dinge ist (50d1) und als allgemeines Prinzip gilt, daß ∀x∀y (x ist in y → x ist von y verschieden) –, geschlossen werden, daß es immer ist und keine Entstehung hat. Doch ist das Aufnehmende auch durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbar? Dies scheint zumindest fraglich, wenn wir bedenken, daß in der zusammenfassenden Dreiteilung der Entitäten 52a1-b5 der Titel »das, was der Einsicht zu betrachten beschieden ist«45 den Formen vorbehalten bleibt. Bei der Erörterung dieser Schwierigkeit gilt es zu beachten, daß Timaios zwar die Annahme eines kontradiktorischen Gegensatzes zwischen den Bestimmungen »ist immer und hat keine Entstehung« und »entsteht und ist nie« benötigt, wenn er daraus, daß das Paradigma der Welt nicht unter das zweite Prädikat fällt, folgert, daß es immer sei,46 aber die Einführung der dritten Gattung des Aufnehmenden ausdrücklich als Korrektur der anfänglichen Einteilung der Dinge in zwei Klassen verstanden wissen will (48e249a4), d. h. den Gegensatz zwischen beiden Bestimmungen nicht länger als kontradiktorisch zu betrachten scheint. Damit räumt er an der späteren Stelle die Schwierigkeit aus, ohne die Geltung der mit (1) und (1*) formulierten Prinzipien in Frage zu stellen. Auch wenn deutlich geworden ist, daß die in 27d6-28a4 vorgenommene Identifikation der Klassen des immer Seienden und des Entstehenden gewisse Schwierigkeiten bereitet, scheinen mir diese nicht so gravierend zu sein, daß wir die vorgeschlagenen Paraphrasen der Aussagen, mit denen Timaios die Identifikation vornimmt, revidieren müßten. Ich möchte daher an ihnen festhalten und abschließend eine Bemerkung zu ihrer Funktion für die weitere Argumentation machen. Die primäre Funktion der mit (2) und (2*) aufgestellten Prinzipien liegt offenkundig darin, die Zuordnung der Welt zur Klasse der entstehenden Dinge zu ermöglichen (28b7-c2), die ihrerseits, fügt man das in 28a4-6 formulierte Prinzip hinzu, die Einführung eines Grunds (αἴτιον) der Welt ermöglicht. Zudem liefert die Aussage zusammen mit der Zuordnung der 44 Ein ähnliches Argument kann auch für die unsichtbaren Element-Teilchen entwickelt werden. Vgl. zu ihrer Unsichtbarkeit 56b7-c2: »πάντα οὖν δὴ ταῦτα δεῖ διανοεῖσθαι σμικρὰ οὕτως, ὡς καθ’ ἓν ἕκαστον μὲν τοῦ γένους ἑκάστου διὰ σμικρότητα οὐδὲν ὁρώμενον ὑφ’ ἡμῶν [...]«. 45 »τοῦτο ὃ δὴ νόησις εἴληχεν ἐπισκοπεῖν« (52a4). 46 Vgl. zu dieser Folgerung unten in diesem Abschnitt.
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Welt zur Klasse der entstehenden Dinge die Rechtfertigung für die im zweiten Teil des Prooimion gemachte Einschränkung des Wahrheitsanspruchs der weiteren Ausführungen über die Welt. Die mit (1) und (1*) gleichzeitig vorgenommene Identifikation der Klasse der immer seienden Dinge wird nicht unmittelbar benötigt, wohl aber ihre Kontrastierung mit der Klasse der werdenden Dinge, wenn die anschließenden Fragen, ob die Welt und ihr Modell zur Klasse der immer seienden oder zu der der werdenden gehörten (28b6f., 29a1f.), verständlich sein sollen. Wenden wir uns nun dem in 28a4-6 formulierten Prinzip zu, das, zusammen mit (2) bzw. (2*) und der in 28b7-c2 getroffenen Feststellung, daß die Welt durch Meinung mit Wahrnehmung meinbar sei, die Einführung eines Grunds der Welt erlaubt. Das Prinzip kann folgendermaßen paraphrasiert werden: (3)
∀x (x entsteht → ∃y (y ist der Grund von x)).
Man beachte, daß das Prinzip nicht etwa lautet: (3)
∀x (x entsteht → ∃y (y ist der Urheber von x))
und infolgedessen die in 28c3-5 stillschweigend vorgenommene Identifikation des Grunds der Welt mit einem Demiurgen, und zwar dem Hersteller und Vater des Alls, ganz unbegründet ist.47 Die Annahme, daß Timaios nur ungenau formuliert und eigentlich eine Prinzip wie (3) meint, öffnet uns keinen Ausweg aus der Schwierigkeit; er sollte nämlich (3) vernünftigerweise verneinen, wenn er, wie er später erkennen läßt, der Meinung ist, daß es auch Dinge gibt, die aufgrund von Notwendigkeit entstehen (δι’ ἀνάγκης γιγνόμενα 47e4f.), deren Entstehung also nicht auf die Initiative eines Zwecke verfolgenden Wesens zurückgeht.48 Wir müssen daher hinnehmen, daß die in 28c3-5 stillschweigend vorgenommene Identifikation des Grunds der Welt mit einem zweckorientierten Urheber unbegründet ist.49 Die Begründungslücke ist durchaus verwunderlich, da Timaios im 47 Vgl. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 51f. 48 Vgl. die explizite Unterscheidung zwischen zweckorientierten und nicht-zweckorientierten Gründen in 46e3-6: »λεκτέα μὲν ἀμφότερα τὰ τῶν αἰτιῶν γένη, χωρὶς δὲ ὅσαι μετὰ νοῦ καλῶν καὶ ἀγαθῶν δημιουργοὶ καὶ ὅσαι μονωθεῖσαι φρονήσεως τὸ τυχὸν ἄτακτον ἑκάστοτε ἐξεργάζονται.« Vgl. auch 47e3-48a7 und 68e6-69a5. 49 Aber daraus zu schließen, daß Platon mit Timaios einen argumentativ unbedarften Pythagoreer darstelle (vgl. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 53f.), ist nicht gerechtfertigt. Denn Timaios mag gute Gründe dafür haben, daß er die Begründung schuldig bleibt – etwa die erzählökonomische Absicht, die Phänomene der Welt, die in seiner Sicht das Postulat eines vernünftigen Gestaltungsprinzips der Welt rechtfertigen, erst innerhalb der Darstellung der Leistungen des Demiurgen zur Sprache zu bringen, um sich so das umständliche Verfahren zu ersparen, zunächst zur Rechtfertigung des Postulats des Demiurgen all die Ordnungsstrukturen in der Welt aufzulisten, die zu seinem Postulat Anlaß geben, und daran anschließend zu erzählen, wie sie von ihm eingerichtet worden sind.
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unmittelbaren Anschluß von der Prämisse Gebrauch macht, daß die Welt schön, ja das schönste unter dem Gewordenen sei (29a5f.), und diese Prämisse dazu verwendet werden könnte, ihren Grund als zweckorientiertes Wesen zu charakterisieren (vgl. den sog. kosmologischen Gottesbeweis). Die spätere Identifikation des Grunds der Welt mit einem Demiurgen erklärt, warum in 28a6-b2, im Anschluß an die Formulierung von (3), ganz unvermittelt vom Demiurgen die Rede ist. Damit ist noch nicht der Hersteller und Vater des Alls gemeint, von dem in 28c3f. die Rede ist; vielmehr wird der Ausdruck »ὁ δημιουργός« zur Formulierung folgender allgemeiner Prinzipien verallgemeinernd gebraucht:50 (4)
∀x∀y∀z (x stellt y mit Blick auf z her & z verhält sich immer auf dieselbe Weise → y gerät schön)
(5)
∀x∀y∀z (x stellt y mit Blick auf z her & z entsteht → ¬y gerät schön).
Wenn man nun zugesteht, daß (i) etwas existiert, worauf der Demiurg bei der Herstellung der Welt blickt (was Timaios stillschweigend voraussetzt, obgleich die Annahme keineswegs selbstverständlich ist51), (ii) die Welt schön geraten ist (29a5f.) und (iii) die Prädikate »verhält sich immer auf dieselbe Weise« und »entsteht« in kontradiktorischem Gegensatz zueinander stehen (was Timaios ebenfalls stillschweigend voraussetzt), so kann man unter Annahme von (5) und Anwendung des Prinzips der Kontraposition schließen, daß sich das, worauf der Demiurg bei der Herstellung der Welt blickt, immer auf dieselbe Weise verhält (κατὰ ταὐτὰ ἔχον ἀεί) bzw. ewig (ἀίδιον) ist (29a3, a5).52 Nun mag es sich bei diesem Vorbild um alles mögliche handeln, und es ist bisher noch nicht klar, daß es sich um die Form des Lebewesens handelt. Ja, es ist bisher noch nicht einmal klar, daß dem Demiurgen bei der Gestaltung der Welt eine Form als Vorbild dient. Festgestellt ist nur, daß es etwas gibt, das (a) dem Demiurgen bei der Gestaltung der Welt als Vorbild dient, (b) immer ist und keine Entstehung hat bzw. immer auf dieselbe Weise ist und (c) durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbar ist. Näheres erfahren wir über das Vorbild in 27d5-29b2 noch nicht. Erst der in 29d730c1 folgenden Beantwortung der Frage, was der Demiurg bei der Gestaltung der Welt herzustellen beabsichtigt habe, lassen sich gewisse Indizien für die Identifizierung des Vorbilds als Form des Lebewesens entnehmen, 50 Vgl. Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 48. 51 Vgl. z. B. die Herstellung der Skulptur eines Fabelwesens. 52 Vgl. zu dieser Rekonstruktion des Arguments Ebert, Von der Weltursache zum Weltbaumeister, S. 50f. (Ebert vertritt freilich eine weniger optimistische Haltung zur Frage, ob Timaios tatsächlich so argumentiert. Sie positiv zu beantworten, hieße ja, Timaios eine gültige Argumentation zuzuschreiben, woran Ebert aufgrund seiner in Anm. 49 wiedergegebenen These kein Interesse hat.)
Eine Untersuchung zum Timaios
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wenngleich das Vorbild auch hier nicht expressis verbis so angesprochen wird.
4.2.1.2 Timaios 29d7-30c1 In diesem Abschnitt versucht Timaios die Frage zu beantworten, mit welcher Motivation der Demiurg die Welt gestaltet habe.53 Wir erfahren auf diese Weise, wozu er das ihm zur Gestaltung vorliegende Material machen wollte. Es sollte nach seinem Willen (i) so gut wie möglich sein (29e3, 30a2f.), (ii) sich ordnungsgemäß verhalten (30a5f.), (iii) Vernunft besitzen (30b1-4), (iv) eine Seele besitzen (30b3).
Timaios sieht offenbar im ersten dieser normativen Urteile die unmittelbare oder mittelbare Legitimationsbasis für die drei weiteren Urteile: (ii) soll durch (i) und die Annahme, daß Dinge, die sich ordnungsgemäß verhalten, besser sind als solche, die sich nicht ordnungsgemäß verhalten (30a5f.), gerechtfertigt sein, (iii) durch (i) und die Annahme, daß unter den sichtbaren Dingen nichts Unvernünftiges schöner (κάλλιον54) ist als etwas mit Vernunft (30b1-3), und (iv) durch (iii) und die Annahme, daß der Besitz einer Seele eine notwendige Bedingung für den Besitz von Vernunft ist (30b3). Insofern werden mit (i) (sowie Zusatzprämissen) unmittelbar (ii) und (iii) und mittelbar (iv) gerechtfertigt. Welche Konsequenzen haben die mit (i) – (iv) zur Sprache gebrachten Zielvorstellungen des Demiurgen für die Wahl des Vorbilds, an dem er sich bei der Gestaltung der Welt orientiert? Die den folgenden Abschnitt (30c231a1) einleitende Frage, welches der Lebewesen der Demiurg ausgesucht habe, um die Welt ihm ähnlich zu machen,55 impliziert, daß es sich bei dem Vorbild um eines der intelligiblen Lebewesen handele, das Vorbild also ein Lebewesen sei. Bedeutet dies, daß es die Eigenschaft besitzt, die das vom Gott gestaltete Material zu einem Lebewesen macht, also die Eigenschaft des Beseeltseins, die dem Material laut (iv) zukommen soll? 53 Vgl. 29d7f.: »Λέγωμεν δὴ δι’ ἥντινα αἰτίαν γένεσιν καὶ τὸ πᾶν τόδε ὁ συνιστὰς συνέστησεν«. 54 Auch wenn die Aussage in 87c4f., daß alles Gute schön sei (»πᾶν δὴ τὸ ἀγαθὸν καλόν«), nur dann informativ ist, wenn wir annehmen, daß Timaios einen Bedeutungsunterschied zwischen »καλόν« und »ἀγαθόν« macht, scheint es klar, daß er die von den beiden Termen ausgedrückten Prädikate als koextensiv betrachtet. 55 »[...] τίνι τῶν ζῴων αὐτὸν (sc. τὸν κόσμον) εἰς ὁμοιότητα ὁ συνιστὰς συνέστησεν.«
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Es liegt auf der Hand, daß nur ein konkreter Gegenstand eine Seele besitzen kann und es insofern absurd wäre, dem Vorbild der Welt, einem abstrakten Gegenstand, die Eigenschaft zuzuschreiben, eine Seele zu besitzen. Und wenn der Besitz von Vernunft den Besitz einer Seele voraussetzt,56 so ist es klar, daß dem Vorbild auch nicht der Besitz von Vernunft zugeschrieben werden kann (vgl. (iv)). Es stellt sich dann freilich die Frage, was die Anwendung des Terms »ein Lebewesen« auf das Vorbild der Welt rechtfertigt; denn wir verstehen unter einem Lebewesen üblicherweise ein beseeltes Wesen. Möglicherweise – wir werden später diese Vermutung zu erhärten versuchen – liegt der Anwendung des Terms auf das Vorbild eine bestimmte Erklärung des Lebewesenseins der Welt zugrunde, die es erlaubt, eine Ähnlichkeit zwischen der Welt qua Lebewesen und dem Vorbild hinsichtlich einer Eigenschaft festzustellen, die einem abstrakten Gegenstand zugeschrieben werden kann, ohne ihn damit zu einem konkreten Gegenstand zu machen. Während es nicht möglich ist, die Eigenschaften, die der Demiurg den mit (iii) und (iv) ausgedrückten Soll-Aussagen entsprechend dem ihm vorliegenden Material zuteil werden lassen will, dem intelligiblen Vorbild zuzuschreiben, gibt es keinen Grund dafür, ihm die Eigenschaften, mit denen der Demiurg sein Material den mit (i) und (ii) formulierten SollAussagen entsprechend ausstatten möchte, abzusprechen. Vielmehr betont Timaios, daß es sich bei dem Vorbild um einen besonders schönen Gegenstand handelt (vgl. 30d2), worin auch impliziert sein dürfte, daß er sich ordnungsgemäß verhält.
4.2.1.3 Eine Zwischenbemerkung zur Deutung der Ähnlichkeitsrelation Ich habe im vorhergehenden Abschnitt ohne weitere Rechtfertigung vorausgesetzt, daß die Ähnlichkeit (ὁμοιότης) zwischen der Welt und ihrem Vorbild, von der in 30c3 die Rede ist, in einer gemeinsamen Eigenschaft, nämlich der Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein, gründe. Dagegen könnten sich Einwände erheben, z. B. aufgrund der Annahme, daß die Rede von der Ähnlichkeit eine Metapher für die Erfüllung eines Begriffs oder die Exemplifikation einer Eigenschaft sei. Diese Einwände scheinen mir jedoch mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die dem Term »ὅμοιον« im zweiten Teil des Parmenides an mehreren Stellen zugeschrieben wird, leicht ausgeräumt werden zu können: er wird hier nämlich im Sinne von »irgendwie dasselbe 56 Vgl. 46d5f.: »τῶν γὰρ ὄντων ᾧ νοῦν μόνῳ κτᾶσθαι προσήκει, λεκτέον ψυχήν [...]«. Vgl. auch 37c3-5: »τούτω (sc. νοῦς ἐπιστήμη τε) δὲ ἐν ᾧ τῶν ὄντων ἐγγίγνεσθον, ἄν ποτέ τις αὐτὸ ἄλλο πλὴν ψυχὴν εἴπῃ, πᾶν μᾶλλον ἢ τἀληθὲς ἐρεῖ.«
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erleidend« (»ταὐτόν που πεπονθός« 139e857), d. h. »irgendwie durch dieselbe Eigenschaft charakterisiert«, analysiert. Man könnte dagegen wiederum einwenden, daß Timaios das im Parmenides entwickelte Verständnis von Ähnlichkeit als Besitz eines gemeinsamen πάθος, d. h. einer gemeinsamen Eigenschaft, nicht teile. In der Tat wird der Ausdruck »ὅμοιον« im Timaios nicht ausdrücklich so analysiert. Freilich setzt Timaios das Verständnis implizit voraus, wenn er in weiteren Hinsichten – nicht nur der, daß die Welt ein Lebewesen ist – zwischen der Welt und ihrem Paradigma eine Ähnlichkeitsbeziehung herstellt. So sagt er nur wenige Zeilen später, daß die Welt dem Vorbild hinsichtlich der Einzigkeit ähnlich (vgl. »κατὰ τὴν μόνωσιν ὅμοιον« 31b1) sein sollte. Das einzige Lebewesen zu sein, das alle anderen Lebewesen des eigenen Bereichs umfaßt, ist offensichtlich eine Eigenschaft, die die Welt mit dem Vorbild teilt. Wenn der Demiurg daran geht, die Welt dem Vorbild noch ähnlicher (vgl. »μᾶλλον ὅμοιον« 37c8) zu machen, blickt er erneut auf eine bestimmte Eigenschaft des Vorbilds, seine Ewigkeit,58 die er jedoch der Welt nicht völlig zukommen lassen kann.59 Darum beschließt er, ein bewegtes Abbild der Ewigkeit (αἰών) zu schaffen,60 die Zeit (vgl. »χρόνος« 37d7). Darin, daß die Welt die ganze Zeit entstanden ist und ist und sein wird,61 ist sie dem Vorbild, das zeitlos seiend ist,62 so ähnlich wie möglich (vgl. »ὡς ὁμοιότατος αὐτῷ κατὰ δύναμιν« 38b8-c1). Die Ähnlichkeitsrelation gründet folglich erneut im Besitz eines gemeinsamen πάθος, nämlich der Ewigkeit, die sich beim Vorbild als zeitlos-ewiges Sein, beim Abbild als ewiges Entstehen darstellt. Schließlich gründet auch die letzte der Ähnlichkeitsbeziehungen, die Timaios zwischen der Welt und ihrem Vorbild herstellt, in einer gemeinsamen Eigenschaft, nämlich der, alle Arten von Lebewesen zu enthalten (vgl. 39e3-40a2). Angesichts dieser Stellen ist die Annahme gerechtfertigt, daß auch die Ähnlichkeit der Welt qua Lebewesen mit dem Vorbild in einer gemeinsamen Eigenschaft gründet. Dabei kann es sich jedoch, wie wir gesehen haben, nicht um die Eigenschaft handeln, beseelt zu sein. Wir werden daher nach einer anderen Eigenschaft suchen müssen, hinsichtlich derer die Welt qua Lebewesen dem Vorbild ähnlich ist. 57 Vgl. auch 148a3, 158e3-5, 165c8 und zu diesen Stellen Schofield, S. 68-72. 58 Vgl. 37d3: »ἡ μὲν οὖν τοῦ ζῴου φύσις ἐτύγχανεν οὖσα αἰώνιος«. 59 Vgl. 37d3f.: »καὶ τοῦτο μὲν δὴ τῷ γεννητῷ παντελῶς προσάπτειν οὐκ ἦν δυνατόν«. 60 Vgl. 37d5: »εἰκὼ [...] κινητόν τινα αἰῶνος ποιῆσαι«. 61 Vgl. 38c2f.: »τὸν ἅπαντα χρόνον γεγονώς τε καὶ ὢν καὶ ἐσόμενος«. 62 Vgl. 38c1f.: »πάντα αἰῶνά ἐστιν ὄν« und zur Wiedergabe von »πάντα αἰῶνα« mit »zeitlos« unten 4.4.1.
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Mit den vorhergehenden Bemerkungen zu den verschiedenen Ähnlichkeitsrelationen habe ich bereits auf die weiteren Stellen, an denen vom Vorbild der Welt und damit von der Form des Lebewesens die Rede ist, vorgegriffen. Denn an all diesen Stellen geht es darum, daß der Demiurg die Welt ihrem Vorbild noch in weiteren Hinsichten neben der, daß sie ein Lebewesen sein soll, ähnlich zu machen sucht. Die Frage, welchem Lebewesen der Demiurg das zu gestaltende Material bei der Konstitution der Welt ähnlich gemacht habe, wird in dem Abschnitt 30c4-31a1 dahingehend beantwortet, daß er es dem Lebewesen ähnlich gemacht habe, das alle anderen Lebewesen seines Bereichs, d. h. alle anderen intelligiblen Lebewesen, umfasse. Damit ist neben der Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein, die erste weitere Eigenschaft benannt, hinsichtlich derer der Demiurg sein Material dem Vorbild ähnlich macht. Darüber hinaus werden im folgenden noch zwei weitere Eigenschaften eingeführt, die eine Ähnlichkeit zwischen der Welt und ihrem Vorbild begründen: die Eigenschaft, das jeweils einzige Lebewesen zu sein, das alle anderen Lebewesen seines Bereichs umfaßt (31a2-b3), und die Eigenschaft, genau dieselben Arten von Lebewesen zu enthalten (39e3-40a2). Dagegen ist die in 37c638c3 thematisierte Eigenschaft des Vorbilds, ewig zu sein, dem Leser bereits vertraut (sie ist in 29a3 eingeführt worden). Im folgenden werde ich die vier Abschnitte eingehender besprechen, und zwar so, daß ich die Abschnitte 30c4-31a1 und 39e3-40a2, deren Angaben einander ergänzen, zusammen behandle.
4.2.1.4 Timaios 30c2-31a1 und 39e3-40a2 Die Annahme, daß es mehrere intelligible Lebewesen gebe, wird in der den Abschnitt 30c2-31a1 einleitenden Frage, welchem Lebewesen der Demiurg das ihm vorliegende Material bei der Konstitution der Welt ähnlich gemacht habe, ohne Begründung vorausgesetzt. Auch die Annahme, daß es ein intelligibles Lebewesen gebe, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfasse, wird nicht weiter gerechtfertigt. Wir erhalten keine Informationen darüber, was mit der Relation des Umfassens gemeint ist. Aus der modernen Literatur mag man zwar den Eindruck gewinnen, es sei selbstverständlich, daß das intelligible Gesamt-Lebewesen als Gattung sämtlicher konkreter Lebewesen die intelligiblen Teil-Lebewesen als Arten konkreter Lebewesen umfasse. Diese Deutung der Relation des Umfassens ist jedoch nicht selbstverständlich. Zwar kann man sich für sie auf 39e740a2 berufen, wo es heißt, daß der Demiurg gedacht habe, genau solche und genau soviele Arten (ἰδέαι) von Lebewesen, wie sie sich im Vorbild der Welt fänden, müsse auch die Welt besitzen, und diese Arten im folgenden
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aufgelistet werden: Götter, Vögel, Fische und Landtiere. Freilich ist es nicht klar, wie die Lebewesen-Arten, von denen in 39e8 die Rede ist, in der Form des Lebewesens enthalten sind und wie sie sich zu den νοητὰ ζῷα, von denen in 30c6f. und 31a5 die Rede ist, verhalten.63 Sie mit diesen zu identifizieren, setzt bereits die Annahme voraus, daß es sich bei dem intelligiblen Gesamt-Lebewesen um die Gattung der Lebewesen handele. Mithin ist die Stelle 39e7-40a2 kein Beleg für die Annahme.
4.2.1.5 Timaios 31a2-b3 In diesem Abschnitt liefert Timaios eine Begründung dafür, daß es nur ein einziges intelligibles Lebewesen gebe, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfasse, und daß es infolgedessen, soll die Welt diesem Lebewesen hinsichtlich der Eigenschaft, das einzige Lebewesen zu sein, das alle anderen Lebewesen seines Bereichs umfasse, ähnlich sein, auch nur eine Welt gebe. Die Begründung dafür, daß es nur ein einziges intelligibles Lebewesen gebe, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfasse, wird in 31a4-8 eher angedeutet als ausgeführt. Man erwartet folgende Begründung. Sei a ein intelligibles Lebewesen, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt. Wenn a ein intelligibles Lebewesen ist, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt, so kann keines von diesen a umfassen, da die Relation des Umfassens asymmetrisch ist – sie wird ja als Relation zwischen einem Ganzen und seinen Teilen bestimmt,64 und es gilt allgemein, daß ∀x∀y (x ist Teil von y → ¬y ist Teil von x) –; infolgedessen gibt es neben a kein weiteres intelligibles Lebewesen, das alle anderen intelligiblen Lebewesen (darunter a) umfaßt. Die von Timaios tatsächlich angeführte Begründung – es handelt sich wie gesagt eher um den Torso einer Begründung – ähnelt diesem Argument, hat aber die Form einer reductio ad absurdum,65 ausgehend von der Annahme von zwei intelligiblen Lebewesen a und b, die alle anderen intelligiblen Lebewesen umfassen. Die entscheidende Prämisse der reductio wird von Timaios gar nicht expliziert: a und b müssen auch einander umfassen, wenn sie intelligible Lebewesen sind, die alle anderen intelligiblen Lebewesen umfassen. Nun ist es nicht möglich, daß a und b einander umfassen, da sich das Umfassende zum Umfaßten wie das Ganze zu einem seiner Teile verhält, d. h. die Relation des Umfassens asymmetrisch ist. 63 Vgl. dazu unten 4.4.3.3. 64 Vgl. 30c5f. 65 Vgl. dazu Patterson, The Unique Worlds, S. 108 und Parry, The Intelligible World-Animal, S. 16.
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Folglich gibt es, die Existenz eines intelligiblen Lebewesens, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt, vorausgesetzt, ein von a und b verschiedenes intelligibles Lebewesen, c, das alle anderen intelligiblen Lebewesen, darunter a und b, umfaßt und dem die Welt ähnlich ist (31a6-8). Letzteres ist ein Fehlschluß: denn »es ist nicht der Fall, daß a und b intelligible Lebewesen sind, die alle anderen intelligiblen Lebewesen umfassen« bedeutet dasselbe wie »¬(a ist ein intelligibles Lebewesen, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt & b ist ein intelligibles Lebewesen, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt)«, und dies ist sowohl damit kompatibel, daß a (aber nicht b) ein intelligibles Lebewesen ist, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt, als auch damit, daß b (aber nicht a) ein intelligibles Lebewesen ist, das alle anderen intelligiblen Lebewesen umfaßt.
4.2.1.6 Timaios 37c6-38c3 In diesem für seine Unklarheiten berühmten Abschnitt wird die Ewigkeit des Vorbilds der Welt mit der Ewigkeit der Welt kontrastiert. Seine Kernthese ist, daß es unangemessen sei, auf das Paradigma die Vergangenheitsform »war« und die Futurform »wird sein« anzuwenden; nur der Gebrauch des präsentischen »ist« sei ihm angemessen (37e5-38a1). Dagegen könne man in bezug auf die Welt auch das Präteritum und das Futur verwenden (38a2f.). Einige klärungsbedürftige Punkte der Kernthese des Abschnitts, insbesondere die Frage, ob sie die Behauptung einschließt, daß das Präsens des auf das Vorbild anwendbaren »ist« ein »wenn der Ausdruck erlaubt ist, [...] Tempus der Unzeitlichkeit«66 ist, das Vorbild also zeitlose Existenz (und nicht nur fortwährende Existenz in der Zeit) genießt,67 werde ich unten im Abschnitt 4.4.1 besprechen. Eine Schwierigkeit allerdings, die unmittelbar die in den vorhergehenden Abschnitten zur Sprache gekommenen Ähnlichkeitsrelationen zwischen der Welt und der Form des Lebewesens betrifft, möchte ich bereits hier nicht unerwähnt lassen. Die Aussage, daß für alle Zeitpunkte t und t’ gelten soll, daß das Vorbild der Welt weder als um t älter als um t’ noch als um t’ jünger als um t charakterisiert werden kann (38a3f.), scheint zu implizieren, daß sich an ihm aufgrund seiner Unveränderlichkeit kein gegenwärtiger Zustand von einem 66 Frege, Logische Untersuchungen. Erster Teil: Der Gedanke, S. 361. 67 Vgl. zur Diskussion um diese Frage die Beiträge von Owen (Plato and Parmenides on the Timeless Present), Patterson (On the Eternality of Platonic Forms), Tarán (Perpetual Duration and Atemporal Eternity) und Whittaker (The »Eternity« of the Platonic Forms).
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früheren oder von einem späteren Zustand abgrenzen läßt, d. h. daß ihm überhaupt keine Geschichte zuzuschreiben ist. Dies aber scheint wiederum zu implizieren, daß ihm keines der Prädikate, die ihm wahrheitsgemäß zugeschrieben werden, mit zeitlichen Qualifikationen zukommt. Wir dürfen folglich auch nicht sagen, daß das Paradigma der Welt der Welt zu bestimmten Zeitpunkten ähnlich sei – ist aber eben diese Aussage nicht eine Konsequenz der Aussage, daß die Welt ihrem Vorbild zu bestimmten Zeitpunkten ähnlich sei?
4.2.1.7 Zwei Merkwürdigkeiten zum Schluß Zum Abschluß der Sammlung der Angaben über die Form des Lebewesens, die wir von Timaios erhalten, sei auf zwei merkwürdige Charakteristika der Beschreibung der Form in dem Dialog aufmerksam gemacht. Wir erfahren von allerlei Eigenschaften, hinsichtlich derer sie in der Weise als Vorbild der Welt fungiert, daß die Welt ihr ähnlich ist; aber wir erfahren so gut wie nichts von ihrer Eigenschaft, die Form des Lebewesens zu sein. Wir haben gerade mal einen einzigen Anhaltspunkt dafür, daß das Paradigma der Welt mit der Form des Lebewesens identisch ist, nämlich seine beiläufige Bezeichnung als »τὸ ὅ ἐστιν ζῷον« in 39e8. Es ist auffällig, wie wenig Platon Timaios tun läßt, um den Leser über den Charakter des Vorbilds der Welt als Form des Lebewesens in Kenntnis zu setzen.68 Zu dieser Merkwürdigkeit gesellt sich eine zweite, komplementäre. Wenn wir uns mit Blick auf einen mittleren Dialog wie den Phaidon fragen, welche Eigenschaften der konkreten schönen Dinge mit welcher Relation zum Schönen selbst erklärt werden sollen, liegt die Antwort auf der Hand: es ist das Schönsein der konkreten schönen Dinge, das mit ihrer Teilhabe am Schönen selbst erklärt werden soll (vgl. Phd. 100c3-101d2, besonders prägnant 100d7f. »τῷ καλῷ πάντα τὰ καλὰ καλά«). Entsprechend könnte man denken, es sei das Lebewesensein der Welt, das mit der Teilhabe an dem Paradigma der Welt erklärt werden soll. Nun ist aber von der Teilhabe der Welt an ihrem Paradigma im Timaios keine Rede. Stattdessen hören wir viel von der Ähnlichkeit zwischen der Welt und dem Paradigma,69 und es ist 68 Wir werden unten (4.4.3.2) einen möglichen Grund dafür kennenlernen: Das Vorbild kann zwar als »Form des Lebewesens« bezeichnet werden, insofern es das Vorbild der konkreten Lebewesen ist; aber seine Natur, die es ganz unabhängig von seiner Vorbild-Funktion für die konkreten Lebewesen hat, wird mit dieser Bezeichnung nicht erfaßt. 69 Vgl. 30c3/7, 31a8, b1, 37c8, 38b8f., 39e1, 39e3-6. Diese Stellen lassen Pattersons Versuch, die Vorbild/Abbild-Relation gegen die Ähnlichkeitsrelation auszuspielen, als wenig aussichtsreich erscheinen. Patterson (On the Eternality of Platonic Forms, S. 31) versichert: »The painting of a bed is not another bed, only imperfect or temporary, nor is it in one respect a bed while in another
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klar, daß diese Ähnlichkeit nicht stellvertretend für die altbekannte Teilhabe-Relation steht – soll die Ähnlichkeit zwischen der Welt und dem Paradigma doch nicht nur hinsichtlich des Lebewesenseins bestehen, sondern hinsichtlich weiterer Eigenschaften, deren Besitz keineswegs darin eingeschlossen ist, ein Lebewesen zu sein. Stünde die Ähnlichkeit zwischen der Welt und der Form des Lebewesens stellvertretend für die Teilhaberelation, so würde mit dieser weit mehr erklärt werden als das, was mit ihr erklärt werden soll (i. e., daß die Welt ein Lebewesen ist), und zwar der Besitz von Eigenschaften, der mit der Teilhabe an ganz anderen Formen zu erklären wäre. Die Beschreibung der Relation zwischen der Welt und der Form des Lebewesens als Ähnlichkeit hinsichtlich gewisser Eigenschaften ist nicht nur mit der naheliegenden Beschreibung der Relation als Teilhabe unverträglich, sondern zeigt auch, daß es nicht richtig ist, die Form als Eigenschaft oder als Begriff zu bestimmen. Denn es ist offensichtlich (und müßte nicht weiter betont werden, wenn die Gleichsetzung der Formen des Timaios mit Eigenschaften oder Begriffen nicht so verbreitet wäre70), daß die Exemplifikation einer Eigenschaft nicht damit gleichgesetzt werden kann, der Eigenschaft ähnlich zu sein (selbst wenn sie, wie in einigen seltenen Fällen, die not. The image may duplicate the shape and color of a real bed, and this duplication may help make it a bed image (or an imitation bed, or a phantasmic bed) rather than an (imitation or image) shuttle. But what the painter produces is not another real bed (i.e. something performing the particular work of beds). This fact can help one appreciate that the image analogy illustrates an association, and a priority in being and naming, between image F and model F where image and model do not resemble one another (meine Hervorhebung, BS), but where there is a relationship (being an image of) that connects the two and justifies calling the one after the other.« Sicher ist das Bild eines Betts kein zweites Bett, aber wenn wir vor dem Bild eines Betts stehen und darauf deutend sagen »Dies hier ist ein Bett« (vielleicht ist schwer zu sehen, was genau an der Stelle, auf die wir deuten, dargestellt ist), so nehmen wir nicht, wie Patterson suggeriert, mit »Dies hier« auf das Bild Bezug und beschreiben es mit »ein Bett« als Bild eines Betts, sondern nehmen mit »Dies« auf das im Bild dargestellte Bett Bezug und beschreiben es mit »ein Bett« als ein Bett. Wir verwenden hier also »ein Bett« nicht anders als in Anwendung auf ein reales Bett. Dennoch geben wir dem Gegenüber nicht zu verstehen, daß er sich in das Bild hineinlegen könnte; denn der Satz »Dies hier ist ein Bett« bedeutet, vor einem Bild geäußert, soviel wie »In diesem Bild ist dies hier ein Bett« (im Anschluß an Künne, Abstrakte Gegenstände, S. 313 kann man den Ausdruck »in diesem Bild« in dem Satz »In diesem Bild ist dies hier ein Bett« als »fiktionalen Operator« bezeichnen). Wir können dementsprechend auch sagen, daß das im Bild dargestellte Bett einem bestimmten realen Bett ähnlich ist, z. B. hinsichtlich der Eigenschaft, ein Bett zu sein (die freilich dem im Bild dargestellten Bett nur im Kontext des Darstellungsgehalts des Bilds zugeschrieben wird, während sie dem realen Bett ohne eine solche Einschränkung zugeschrieben wird). Redensarten wie »Irgendwelche Ähnlichkeiten zwischen den Personen des Romans und Personen der Zeitgeschichte sind rein zufällig« lassen besonders deutlich unsere Bereitschaft erkennen, von einer Ähnlichkeit zwischen abgebildeten oder dargestellten Dingen und ihren realen Vorbildern zu sprechen. 70 Vgl. z. B. Frede, The Philosophical Economy, S. 51: »The Form Animal itself stands for what it means to be an animal«.
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Ähnlichkeit mit ihr einschließt), und daß ebensowenig die Erfüllung eines Begriffs damit identifiziert werden kann, dem Begriff ähnlich zu sein.
4.2.2 Was wir über die Formen der Elemente erfahren Die Leitbegriffe der Beschreibung der Formen der Elemente sind bereits von der Beschreibung der Form des Lebewesens her bekannt. Unmittelbar zu Beginn des langen Abschnitts über die Produkte der Notwendigkeit, in dem von den Formen der Elemente die Rede ist und der mit einer Erweiterung der ursprünglichen Zweiteilung der Dinge zu einer die ὑποδοχή einschließenden Dreiteilung eröffnet wird (48e2-52d4), werden die Formen mit drei Prädikaten charakterisiert: Sie sind (i) die Vorbilder71 der konkreten Elemente, welche ihrerseits als Nachahmungen72 und Abbilder73 der Formen und ihnen ähnlich Werdendes74 charakterisiert werden; die Formen sind (ii) intelligibel75 und (iii) immer auf dieselbe Weise seiend.76 Neben die Betonung ihrer Unveränderlichkeit und Zeitenthobenheit tritt die Betonung ihrer Raumenthobenheit.77 Viel mehr ist es nicht, was wir über die Formen und insbesondere die Formen der Elemente in 48e2-52d4 erfahren. Zwei Punkte unterscheiden jedoch die Behandlung der Formen der Elemente in diesem Abschnitt von der der Form des Lebewesens. (1) Während die Form des Lebewesens dem Demiurgen als Vorbild bei der Konstitution der Welt dient und insofern ganz wörtlich als »Vorbild der Welt« bezeichnet werden kann, ist an der Entstehung der Elemente kein Schöpfer beteiligt, der auf ein Vorbild blickt, und es stellt sich die Frage, wie die Rede von »Abbildern« in bezug auf die Elemente der Gefahr entgeht, leere Metaphorik zu sein, wenn es niemanden gibt, der sie mit Blick auf ein Vorbild herstellt.78 Eine mögliche Antwort auf diese Frage mag in der Unterstellung eines Kausalmechanismus liegen, der die Formen so mit ihren Abbildern verknüpft wie einen konkreten Gegenstand mit seinen Spiegelbildern.79 Ein 71 Vgl. 48e5f.: »ὡς παραδείγματος εἶδος ὑποτεθέν«. 72 Vgl. 48e6: »μίμημα« , 50c5, 51b6: »μιμήματα«. 73 Vgl. 52c2: »εἰκόνι«. 74 Vgl. 50d1: »ἀφομοιούμενον«, 51a2: »ἀφομοιώματα«, 52a5: »ὁμώνυμον ὅμοιόν τε ἐκείνῳ«. 75 Vgl. 48e6, 51a1 (mit der Konjektur des Anonymus in Burnets Apparat: »νοητῶν (πάντων codd.) ἀεί τε ὄντων«, vgl. 37a1), b1, c5, d5, 52a4. 76 Vgl. 48e6, 50c5, 51a1, 52a1. 77 Vgl. 52a2f., b4f. 78 Vgl. dazu Arist. Metaph. Α9, 991a22-27 = Μ5, 1079b26-30. 79 Vgl. Lee, On the Metaphysics of the Image.
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anderer möglicher und, wie mir scheint, eher angemessener80 Umgang mit der Rede von »Vorbild« und »Abbild« besteht darin, sie nicht mit allen ihren Implikationen auf die Relation zwischen den Formen der Elemente und den Elementen zu übertragen, sondern nur in der Hinsicht, die zum Vergleich taugt, d. h. in der Hinsicht, daß die Elemente aufgrund ihrer Lokalisierung im Raum-Zeit-Zusammenhang weniger real sind als die Formen, jedoch darin, daß sie Elemente sind, den Formen ähnlich sind.81 Für diese Deutung spricht, daß in der abschließenden Zusammenfassung der Einteilung der Dinge in drei Klassen 52a1-b5 vom Abbildcharakter der konkreten Elemente keine Rede ist, sondern zum einen ihre raum-zeitliche Lokalisierung und ihre sich daraus ergebende ontologisch-epistemologische Defizienz, zum anderen ihre Ähnlichkeit mit den Formen betont wird.82 Mithin scheinen es diese beiden Aspekte zu sein, in denen die Rechtfertigung für ihre Charakterisierung als Abbilder der Formen liegt.83 (2) Die Darstellung des Verhältnisses der Elemente zu ihren Formen weicht noch in einem weiteren Punkt von der Darstellung des Verhältnisses der Welt zur Form des Lebewesens ab. Während die Welt nicht nur darin, daß sie ein Lebewesen ist, der Form ähnlich sein soll, sondern auch darin, daß sie (i) das einzige Lebewesen ist, das alle anderen Lebewesen ihres Bereichs umfaßt (30c2-31b3), (ii) immerwährend existiert (37c6-38c3) und (iii) dieselben Arten von Teillebewesen enthält wie die Form (39e3-40a2), scheint sich die Ähnlichkeit zwischen den Elementen und ihren Formen darauf zu beschränken, daß die Elemente eben die Elemente sind, die sie 80 Vgl. zur Kritik des Spiegel-Vergleichs Kung, Why the Receptacle is not a Mirror. Der Vergleich scheint mir vor allem die Schwäche zu haben, mit der von Timaios mehrfach betonten Ähnlichkeit zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Gegenständen unverträglich zu sein. Denn wenn ein realer Gegenstand gespiegelt wird, so sagen wir nicht, wir sähen im Spiegel einen Gegenstand, der dem realen Gegenstand ähnlich sei; wir sagen vielmehr, wir sähen eben diesen Gegenstand im Spiegel. 81 Wenn wir fiktionalen Entitäten zutreffend Eigenschaften zuschreiben, dann eingerahmt von »narrativen Operatoren« (Künne, Abstrakte Gegenstände, S. 313) der Form »Es ist in der Geschichte x (im Bild y, usw.) der Fall, daß ...«. Es scheint nun genau diese Einrahmung von Aussagen über fiktionale Entitäten mit narrativen Operatoren zu sein, im Hinblick auf die Timaios die raum-zeitlichen Entitäten als (im Vergleich mit den Formen) irreal charakterisiert. Denn wenn wir etwas über raum-zeitliche Entitäten aussagen, dann im Rahmen »temporaler Operatoren« der Form »Es ist zum Zeitpunkt t der Fall, daß ...«. Vgl. zu den zeitlichen Einschränkungen des Wahrseins von Aussagen über raum-zeitliche Gegenstände unten den Abschnitt 4.4.1 über die Rechtfertigung des Postulats von Formen. 82 Vgl. 52a4-7: »τὸ δὲ ὁμώνυμον ὅμοιόν τε ἐκείνῳ δεύτερον, αἰσθητόν, γεννητόν, πεφορημένον ἀεί, γιγνόμενόν τε ἔν τινι τόπῳ καὶ πάλιν ἐκεῖθεν ἀπολλύμενον, δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως περιληπτόν [...]«. 83 Vgl. auch die Definition des εἴδωλον im Sophistes als τὸ πρὸς τἀληθινὸν ἀφωμοιωμένον ἕτερον τοιοῦτον (240a8). Hier werden die beiden Aspekte Ähnlichkeit (vgl. »ἀφωμοιωμένον«) und fehlende Realität (impliziert in »πρὸς τἀληθινὸν«, vgl. 240b2) zur Definition des Bildes herangezogen.
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sind. Jedenfalls werden die Hinsichten, in denen sie ihren Formen ähnlich seien, nicht expliziert, so daß neben der Hinsicht, die darin impliziert ist, daß auf sie als die und die Elemente Bezug genommen wird, wohl an keine weiteren Hinsichten der Ähnlichkeit zu denken ist. Die Ausschließlichkeit, mit der die Relation zwischen den Elementen und ihren Formen als Ähnlichkeitsrelation beschrieben wird, spricht nicht nur dagegen, letztere als Eigenschaften oder Begriffe zu verstehen, sondern deutet auch auf den Punkt hin, der mir an der Auffassung der Formen im Timaios in besonderem Maße erklärungsbedürftig zu sein scheint: Wie kommt es, daß zwischen den Formen und den ihnen zugeordneten konkreten Dingen eine Ähnlichkeitsbeziehung hergestellt wird? Wie müssen wir die Naturen der Formen bestimmen, damit es sinnvoll ist, eine solche Ähnlichkeitsbeziehung herzustellen? Worin liegt überhaupt noch die explanatorische Leistung der Formen, wenn sich ihre Rolle darauf zu reduzieren scheint, intelligible Entitäten zu sein, denen die konkreten Dinge in gewissen Hinsichten ähnlich sind? Diese Fragen sind es, die ich in den folgenden Teilen der Untersuchung beantworten möchte.
4.3 Ein Versuch, die These von der Ähnlichkeit zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen zu erklären, und sein Scheitern Wir wollen erklären, worin Timaios die Natur der Form des Lebewesens sieht, wenn er behauptet, die Welt sei darin, daß sie ein Lebewesen ist, der Form ähnlich, und worin er die Naturen der Formen der Elemente sieht, wenn er behauptet, die Elemente seien darin, daß sie eine bestimmte Art von Elementen sind, einer dieser Formen ähnlich. Nun ist der Timaios nicht der einzige Dialog, in dem von der Ähnlichkeit zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen die Rede ist. Sehen wir von dem zweiten Regreßargument des Parmenides (132c12133a7) ab,84 in dem die Ähnlichkeitsrelation zur Erklärung der Teilhabe an Formen gebraucht wird (132d3f., 133a5), so spielt der Gedanke, daß konkrete Gegenstände darin, daß sie unter einen generellen Term fallen, der Form, für die der generelle Term steht, ähnlich sind, insbesondere im Anamnesis-Argument des Phaidon eine Rolle (daneben auch in R. V, 476c2d4). An einer wichtigen Stelle dieses Arguments fragt Sokrates Simmias (74e6f.), ob wir mit den konkreten gleichen Gegenständen und dem Gleichen selbst die Erfahrung gemacht hätten, daß wir uns beim Anblick jener sagten, daß sie dem Gleichen selbst zwar ähnlich seien,85 sich jedoch 84 Vgl. dazu Schofield, Likeness and Likenesses. 85 Vgl. »προσεοικέναι« (74e3).
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schlechter verhielten,86 und Simmias bejaht die Frage (74e8). Offenbar wird damit der in 74a5-7 angesprochene Fall des Erinnerns, das von der Wahrnehmung eines dem Gegenstand der Erinnerung ähnlichen, jedoch die Eigenschaften, hinsichtlich derer die Ähnlichkeit besteht, mangelhaft exemplifizierenden Gegenstands ausgelöst wird, auf unsere Kenntnisnahme vom Gleichen selbst bei der Wahrnehmung konkreter gleicher Gegenstände angewandt.87 Nun sahen wir bei der Analyse des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« (74c1), daß das Gleiche selbst im Phaidon als Designat der Prädikat-Ausdrücke »ἴσον« und »ἴσα« verstanden wird, und zwar so, daß diese Terme so etwas (τοιόνδε) bezeichnen, als was zwar bestimmte Individuen charakterisiert sind, als was jedoch die konkreten gleichen Gegenstände gerade nicht charakterisiert sind.88 Letzteres ist entscheidend, wenn die Rede von der Ähnlichkeit zwischen den konkreten gleichen Gegenständen, Gegenständen des Typs Dieses, und dem Gleichen selbst, einem Gegenstand des Typs So etwas, überhaupt sinnvoll sein soll: Wären nämlich die konkreten gleichen Dinge als so etwas charakterisiert, was die Terme »ἴσον« und »ἴσα« bezeichnen, so könnte man nicht sagen, daß sie so etwas ähnlich seien – denn sie wären eben so etwas (und wären insofern von der Form gar nicht verschieden). Daraus ergeben sich für die Interpretation des Timaios folgende Fragen. Können wir aus der Beschreibung der Relation zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen als Ähnlichkeit folgern, daß Platon im Timaios »with great nostalgia«89 zur Formkonzeption der mittleren Dialoge zurückkehrt? Versteht auch Timaios eine Form als Designat eines Prädikat-Ausdrucks in der Weise, daß der Term so etwas bezeichnet, als was bestimmte Individuen charakterisiert sind, als was jedoch die konkreten Dinge, auf die der Term alltäglich angewandt wird, aufgrund der Qualifikationen, mit denen er auf sie angewandt wird, gerade nicht charakterisiert sind, dem sie vielmehr nur ähnlich sind? Versteht er z. B. die Form des Feuers als so etwas, wofür der Prädikat-Term »Feuer« steht und als was die konkreten Feuerkörper – z. B. aufgrund zeitlicher Qualifikationen – nicht charakterisiert sind, welchem sie vielmehr nur ähnlich sind? Mir scheint die Antwort auf diese Frage aus folgenden Gründen negativ zu sein. (i) In den Untersuchungen zu den Aussagen über die Form der Bewegung im Sophistes und zum Gebrauch des Ausdrucks »αὐτὰ τὰ ἴσα« im 86 Vgl. »ἐνδεεστέρως δὲ ἔχειν« (74e3f.). 87 Vgl. Ebert, Platon: Phaidon, S. 216. 88 Vgl. oben 3.2.3/4 in der zweiten Untersuchung zu Phd. 74b6-c6. 89 Teloh, S. 211.
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Phaidon haben wir gesehen, daß eine gegebene Form nicht nur als das, was ein bestimmter Prädikat-Ausdruck bezeichnet, sondern auch als das, was der dem Prädikat-Term entsprechende verallgemeinernd gebrauchte Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« bezeichnet, bestimmt wird. Würde nun Timaios z. B. die Form von Erde als das auffassen, wofür der Prädikat-Term »Erde« (»γῆ«) steht, so wäre anzunehmen, daß er auch den verallgemeinernd gebrauchten Ausdruck »Die Erde« in Sätzen wie »Die Erde ist am unbeweglichsten unter den vier Gattungen (der Elemente) und am bildbarsten unter den Körpern« (55e1f.) als Bezeichnung der Form der Erde versteht. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die gesamte Passage über die Elemente, ihre Mischformen und ihre wahrnehmbaren Eigenschaften ist voll von Sätzen, in denen die Subjekt-Ausdrücke verallgemeinernd verwendet werden (wie z. B. in dem eben zitierten Satz), doch macht Timaios mehrfach klar, daß er die Sätze als Bestandteile eines εἰκὼς λόγος ansieht (vgl. 53d5f., 56a1, b4, c8-d1, 57d6), womit er impliziert, daß sie keine Aussagen über Formen ausdrücken (denn solche Sätze haben seiner Auffassung nach einen höheren Anspruch als den, lediglich Bestandteile eines εἰκὼς λόγος zu sein90). An einer methodisch bemerkenswerten Stelle (59c7-d2) unterbricht er seine Ausführungen über die Elemente und ihre Arten mit der Bemerkung, daß die vorliegende Betrachtung der γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι eine willkommene Erholung von den περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι sei, und könnte so kaum klarer machen, daß er die vorhergehenden und die folgenden Aussagen über die Elemente trotz der verallgemeinernden Verwendung der Subjekt-Ausdrücke nicht als Aussagen über die Formen der Elemente versteht.91 Nur am Rande sei bemerkt, daß Timaios so auch deutlich macht, daß er die Formen der Elemente nicht als diesen zukommende Eigenschaften versteht. Denn würde er z. B. die Form des Feuers mit der Eigenschaft identifizieren, die die konkreten Feuerteilchen als solche besitzen, so käme er nicht umhin, seine Erklärung der Natur dieser Teilchen als Bestimmung der Eigenschaft und damit die γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι als περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι verstehen zu müssen. Die strikte Abgrenzung der γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι und der περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι ist damit jedoch unverträglich. Die Tatsache, daß Timaios nicht glaubt, mit den allgemeinen Sätzen über die konkreten Elementarkörper Aussagen über deren Formen zu machen, ist allerdings einigermaßen erstaunlich. Denn wenn wir nicht mit Sätzen, in 90 Vgl. 29b5-c1. 91 Es ist auch im gesamten Kontext der Stelle nicht von den Formen der Elemente die Rede, geschweige denn von einer Unterteilung der Formen der Elemente gemäß den besprochenen Arten der Elemente (wie M. Miller, S. 39 insinuiert: »[...] each of the forms of the four [sc. elements] has an infinite plurality of subkinds [...]«).
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denen der Ausdruck »Die Erde« verallgemeinernd verwendet wird, Aussagen über die Form der Erde machen, mit welchen Sätzen dann? Timaios versichert uns, es gebe περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι (59c7f.), aber es ist völlig unklar, um welche Aussagen es sich z. B. bei den λόγοι über die Form der Erde handeln könnte, wenn all die Sätze, die am ehesten dafür in Frage kommen, solche Aussagen auszudrücken, d. h. all die Sätze, in denen der Term »Die Erde« verallgemeinernd verwendet wird, als Ausdrücke von γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι eingestuft werden. Gewiß, man könnte sich mit Aussagen wie »Die Form der Erde ist ein immer seiender Gegenstand« oder »Die Form der Erde ist das Paradigma der konkreten Erdteilchen« zufrieden geben, mit Aussagen also, in denen den Formen Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie qua Formen haben.92 Mir scheint dieser Ausweg jedoch unbefriedigend zu sein, da uns Timaios mit seiner Bemerkung, daß die Beschäftigung mit den γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι eine willkommene Erholung von der Beschäftigung mit den περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι sei, zu verstehen gibt, daß letztere sehr mühsam ist, und wir folglich annehmen sollten, daß sie sich nicht in so trivialen Aussagen wie »Die Form der Erde ist ein immer seiender Gegenstand« erschöpft. Mithin stehen wir nicht nur vor der Aufgabe, zu klären, worin Timaios die Natur der Form der Erde sieht, wenn er behauptet, daß die ErdCorpuscula ihr ähnlich seien, sondern auch vor der Aufgabe, zu klären, an welche Aussagen er bei den Aussagen über die Form der Erde denkt. Und bei der Klärung des zweiten Punkts versagt die zur Klärung des ersten Punkts ins Spiel gebrachte These, daß er sie als Gegenstand des Typs So etwas bestimme, für den der verallgemeinernd gebrauchte Term »Die Erde« stehe. Denn die Sätze, in denen der Term als Subjekt-Ausdruck verallgemeinernd gebraucht wird, werden von ihm nicht als Ausdrücke von Aussagen über die Form der Erde verstanden. (ii) Es gibt ein weiteres Argument dafür, daß eine gegebene Form im Timaios nicht so als Designat eines Prädikat-Terms bestimmt wird, daß der Term so etwas bezeichnet, als was die konkreten Dinge, auf die er alltäglich angewandt wird, aufgrund der Qualifikationen, mit denen er auf sie angewandt wird, nicht charakterisiert sind, welchem sie vielmehr nur ähnlich sind. Eine solche Bestimmung wäre nämlich nur unter der Annahme plausibel, daß die Designate von Prädikat-Ausdrücken keine zeitlichen Qualifikationen einschließen. Diese Annahme scheint Timaios jedoch gerade nicht zu machen, sondern anzunehmen, daß z. B. die Designate der Terme »Feuer«, »Wasser«, »Luft« und »Erde« zeitliche Qualifikationen enthalten. In 48b3-6 erklärt er, man müsse die Natur (φύσις) und die Eigenschaften 92 Vgl. zur Definition dieser Eigenschaften der Formen (ihrer »ideal attributes«) Keyt, Plato’s Paradox, S. 12.
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(πάθη) von Feuer, Wasser, Luft und Erde, die sie bereits vor der Entstehung des Himmels (πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως) hätten, betrachten, und fügt erläuternd (vgl. »γὰρ«) hinzu, daß bisher noch niemand ihre Entstehung (γένεσις) dargestellt habe, ganz so, als wisse man, was Feuer und was jegliches der Elemente sei (πῦρ ὅτι ποτέ ἐστιν καὶ ἕκαστον αὐτῶν). Demzufolge besteht seiner Auffassung nach die Erklärung der Natur und der Eigenschaften der Elemente, d. h. die Antworten auf die Fragen: »Was ist Feuer?«, »Was ist Erde?« usw. in der bisher nicht geleisteten Darstellung ihrer Genese. Diese Auffassung läßt er auch in 53e6-8 erkennen, wo er sagt, man müsse darauf aus sein, die vier Elementarkörper zusammenzufügen (συναρμόσασθαι), um sagen zu können, man habe ihre Natur (φύσις) hinreichend erfaßt.93 Timaios betrachtet also das, wofür die Ausdrücke »Feuer«, »Wasser« usw. jeweils stehen, d. h. die φύσις der einzelnen Elemente, nicht als etwas, was wir unabhängig vom Konzept zeitlich determinierter Entstehung (γένεσις) verstehen können.94 Er scheint vielmehr der Ansicht zu sein, daß z. B. der Term »Feuer« für Feuer-Gewordenes, d. h. in der Zeit lokalisiertes Feuer steht. Mithin gibt es keinen Anlaß dazu, ihm die Annahme zuzuschreiben, der Term stehe für so etwas, als was konkrete Feuerkörper aufgrund der zeitlichen Qualifikationen, mit denen über sie der Term »Feuer« ausgesagt wird, nicht wirklich charakterisiert sind, dem sie nur ähnlich sind. Ferner ist zu beachten, daß keine der beiden Positionen, die man in dem Disput um die syntaktische Deutung von 49d3-7 einnehmen kann,95 einschließt, daß die Terme »Feuer«, »Wasser« usw. nicht zutreffend über konkrete Entitäten ausgesagt werden können. Nach der traditionellen Lesart der Stelle geht es in ihr überhaupt nicht um die korrekte Anwendung dieser Terme, sondern um die korrekte Anwendung der Terme »τοῦτο« und »τὸ τοιοῦτον ἀεί«. Dieser Lesart zufolge will Timaios das, was wir alltäglich mit den Termen »Feuer«, »Wasser« usw. charakterisieren, nicht als τοῦτο, sondern τὸ τοιοῦτον ἀεί verstanden wissen. Worauf er abzielt, ist also eine neue Klassifizierung der Entitäten, die wir mit den Termen »Feuer«, »Wasser« usw. charakterisieren, nicht die Aufforderung, diese Terme auf andere Entitäten als die, die wir mit ihnen normalerweise charakterisieren, anzu93 Bereits zuvor identifiziert er eben dieses Ziel mit dem Besitz der ἀλήθεια γενέσεως πέρι γῆς τε καὶ πυρὸς τῶν τε ἀνὰ λόγον ἐν μέσῳ (53e3f.). 94 Für den Timaios gilt also nicht, was White (S. 289) für Platon generell (auch den Timaios) behauptet: »The upshot is that the notions represented by predicates in general do not incorporate elements of time or tense. A person could understand these notions of being triangular and being equal even if he had no conception of temporality. That is Plato’s picture.« (Whites Diktum scheint mir jedoch auf den Phaidon zuzutreffen, vgl. oben 3.2.4 in der zweiten Untersuchung zu Phd. 74b6-c6.) 95 Vgl. Zeyl, Plato: Timaeus, S. lvi-lxi und unten den Anhang zur Stelle (4.6).
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wenden. Nach der von Cherniss96 eingeführten alternativen Lesart der Stelle empfiehlt Timaios zwar, die Terme »Feuer«, »Wasser« usw. auf andere Entitäten als die anzuwenden, auf die wir sie üblicherweise anwenden, doch muß es sich bei jenen Entitäten offenkundig ebenfalls um konkrete Entitäten handeln. Die zweite Lesart schließt also ebenfalls nicht aus, daß die Terme erfolgreich auf konkrete Entitäten angewandt werden können. Die für die Terme »Feuer«, »Wasser« usw. getroffene Feststellung, daß sie in Timaios’ Sicht für zeitlich Lokalisiertes stehen, läßt sich auch für den Term »ein Lebewesen« treffen. Denn Timaios’ teleologische Erklärung des Lebewesenseins der Welt und der übrigen raum-zeitlichen Lebewesen scheint zu implizieren, daß es als Verwirklichung eines bestimmten Gutseins der körperlichen Entitäten zu verstehen ist. Da diese Verwirklichung nicht unabhängig von einem zeitlichen Kontext verstanden werden kann, ist anzunehmen, daß das, wofür der Term »ein Lebewesen« in Anwendung auf die Welt und die konkreten Lebewesen steht, zeitlich determiniert ist. Halten wir also fest: Der Versuch, die Ähnlichkeitsthese im Timaios mit dem im Phaidon formulierten Gedanken zu erklären, daß eine gegebene Form das ist, was von einem bestimmten Prädikat-Term und dem entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« bezeichnet wird, und die beiden Terme für so etwas stehen, als was die konkreten Dinge, auf die der Prädikat-Term alltäglich angewandt wird, nicht wirklich charakterisiert sind, dem sie vielmehr nur ähnlich sind, ist gescheitert. Wir müssen nach einer anderen Erklärung suchen, derzufolge Formen eine andere Funktion haben als die, Designate von PrädikatTermen und den entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« zu sein. 4.4 Die Naturen der Formen der Elemente und der Form des Lebewesens Die Formen des Timaios haben sich uns bisher als eher schwer faßbare Gebilde dargestellt: weder war es möglich, sie als Eigenschaften oder Begriffe im modernen Sinne zu charakterisieren – dies schloß die These der Ähnlichkeit zwischen einer Form und den ihr zugeordneten konkreten Dingen aus –, noch konnten wir sie, dem Verständnis der Formen in anderen platonischen Dialogen folgend, als Gegenstände des Typs So etwas dahingehend bestimmen, daß Formen von Prädikat-Termen und den entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken bezeichnet werden. Daran hat uns vor allem irritiert, daß wir nicht sehen konnten, was sich z. B. über die Form des Feuers darüber hinaus, daß sie als Form diese und 96 Vgl. Cherniss, A Much Misread Passage, S. 116.
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jene Eigenschaften hat, sagen läßt, wenn wir keinen der Sätze, mit denen wir allgemeine Wahrheiten über Feuer aussprechen, als Ausdruck einer Aussage über die Form des Feuers zulassen. Timaios verbannt all diese Aussagen ins Reich der δόξα; was bleibt ihm dann noch als Gehalt der auf die Form gerichteten νόησις übrig? Wir stehen mithin vor der Frage, wie die Natur des Feuers selbst zu bestimmen ist, wenn einerseits die konkreten Feuerteilchen ihm darin, daß sie Feuerteilchen sind, ähnlich sind, andererseits keine der allgemeinen Wahrheiten über die Natur der konkreten Feuerteilchen als Aussagen über das Feuer selbst zu verstehen sind. Einer Antwort auf diese Frage kommen wir vielleicht dadurch näher, daß wir uns zunächst fragen, mit welcher Funktion die Formen im Timaios eingeführt werden, und dann herauszufinden suchen, wie die im Timaios näher beschriebenen Formen, die Form des Lebewesens und die Formen der Elemente, diese Aufgabe erfüllen sollen. So will ich im folgenden verfahren.
4.4.1 Die Rechtfertigung des Postulats der Existenz von Formen Zunächst also zur Rechtfertigung des Postulats der Existenz von Formen im Timaios. Die Feststellung, daß die Formen in dem Dialog weder Eigenschaften oder Begriffe im modernen Sinne noch Gegenstände des Typs So etwas im aristotelischen Sinne sind, deutet darauf hin, daß das Postulat ihrer Existenz nicht damit gerechtfertigt wird, daß sie erklären sollen, daß konkrete Dinge durch dieselbe Eigenschaft, denselben Begriff oder als dasselbe charakterisiert sind. Einige der Formen scheinen für die Erklärung des Seins der konkreten Dinge überhaupt nur in der Beziehung relevant zu sein, daß sie abstrakte Gegenstände sind, denen konkrete Dinge bestimmter Art in gewissen Hinsichten ähnlich sind. Existierten z. B. die Formen der Elementarkörper nicht, so hätte dies für deren Sein lediglich die Konsequenz, daß wir sie nicht als den Formen ähnlich beschreiben könnten. Es änderte freilich nichts daran, daß wir sie als Elementarkörper bestimmter Art beschreiben könnten, und hätte insofern keine Auswirkungen auf die Erklärung ihrer Eigenschaft, Elementarkörper bestimmter Art zu sein. (Anders verhält es sich mit der Form des Lebewesens, die als causa finalis durch die Vermittlung des Demiurgen, dem sie als Paradigma dient, in die Erklärung bestimmter Ordnungsstrukturen der Welt involviert ist.) Wem diese Diagnose als unzulässige Minimierung der Erklärungsleistung der Formen für das Sein der konkreten Entitäten erscheint, möge näher betrachten, wie Timaios das Postulat der Formen in dem Abschnitt
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rechtfertigt, in dem er sein Votum darüber abgibt, ob Formen existieren (51d3-e6).97 Timaios verliert an dieser Stelle kein Wort über die Erklärungsleistung der Formen für das Sein der konkreten Gegenstände.98 Vielmehr führt er die Formen unter der Prämisse, daß Einsicht (νοῦς) und wahre Meinung (δόξα ἀληθής) voneinander verschieden seien, als Gegenstände der Einsicht ein.99 Das Argument hat die Form des modus ponendo ponens:100 (p1)
Wenn Einsicht und wahre Meinung verschiedene Gattungen sind, dann gibt es selbständig existierende, für uns nicht wahrnehmbare, nur denkbare Formen.101
(p2)
Einsicht und wahre Meinung sind verschiedene Gattungen.102
(k)
Es gibt selbständig existierende, für uns nicht wahrnehmbare, nur denkbare Formen.103
Die Annahme (p2), daß Einsicht und wahre Meinung verschiedene Gattungen seien, wird von Timaios unter Voraussetzung des allgemeinen Prinzips, daß x und y nur dann dieselben Gattungen sind, wenn ihnen dieselben Eigenschaften zuzuschreiben sind, in Form des modus tollendo po97 Obwohl der Abschnitt als einzige Stelle im Platonischen Corpus eine ausdrückliche Rechtfertigung des Postulats von Formen enthält, hat er in der Literatur wenig Aufmerksamkeit gefunden. Vgl. jedoch die Beiträge von Jordan (S. 54-56), Ferber (S. 425-430) und Ferber/Hiltbrunner. 98 Es überrascht daher, daß Kung (Mathematics and Virtue, S. 320) zu den Formen des Timaios bemerkt: »If one wants to compare the sort of approach he (sc. Plato) is taking to abstract entities with modern views, one will be close to the mark if one compares his postulation of abstract entities to that of so-called theoretical entities in modern science. That is, Plato’s move to akin to the postulation of properties or sets or gravitational fields in modern theories. (This is decidedly not to deny that there are vast differences in other respects.) This postulation is made on the basis of the explanatory value of such entities (meine Hervorhebung, BS).« 99 Vgl. 52a4: »τοῦτο ὃ δὴ νόησις εἴληχεν ἐπισκοπεῖν«. 100 Vgl. Ferber/Hiltbrunner, S. 463. 101 Vgl. 51d3-5: »εἰ μὲν νοῦς καὶ δόξα ἀληθής ἐστον δύο γένη, παντάπασιν εἶναι καθ’ αὑτὰ ταῦτα, ἀναίσθητα ὑφ’ ἡμῶν εἴδη, νοούμενα μόνον«. Im Kontrast mit wahrer Meinung (δόξα ἀληθής) nimmt die Einsicht (νοῦς) die Stelle ein, die in früheren Dialogen das Wissen (ἐπιστήμη) im Kontrast mit wahrer Meinung einnimmt (bereits in R. VII, 534a1f. werden νόησις und δόξα einander gegenübergestellt). Bedenkt man dies zusammen mit der Tatsache, daß die Klasse der Gegenstände der Einsicht mehrfach mit der Klasse der Formen identifiziert wird (besonders klar in 52a4: »τοῦτο ὃ δὴ νόησις εἴληχεν ἐπισκοπεῖν«), liest man mit Verwunderung, was Kung (Mathematics and Virtue, S. 320f.) im Anschluß an die oben (Anm. 98) zitierte Bemerkung schreibt: »On such a view both observable and unobservable items can figure in the same sciene«. Andererseits versteht man besser, warum Timaios das Postulat der Formen nicht mit ihrer Bedeutung für die wissenschaftliche Erklärung des So-und-so-Seins der konkreten Dinge rechtfertigt; denn dies würde seiner These widersprechen, daß es Wissenschaft und a fortiori wissenschaftliche Erklärung nur vom So-und-so-Sein abstrakter Gegenstände gibt. 102 Vgl. 51e1: »δύο (sc. γένη) δὴ λεκτέον ἐκείνω«. 103 Die nicht ausdrücklich formulierte Konklusion ist der Apodosis des Konditionalsatzes in 51d3-5 zu entnehmen. Vgl. auch 52a1: »ὁμολογητέον ἓν μὲν εἶναι τὸ κατὰ ταὐτὰ εἶδος ἔχον«.
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nens104 damit gerechtfertigt, daß sich Einsicht und wahre Meinung hinsichtlich bestimmter Eigenschaften unterscheiden: zum einen darin, daß sie auf unterschiedliche Weise erworben werden – Einsicht wird durch Belehrung (διὰ διδαχῆς) und mit zutreffender Erklärung (μετ’ ἀληθοῦς λόγου), wahre Meinung hingegen durch Überredung (ὑπὸ πειθοῦς) und ohne Erklärung (ἄλογον) erworben105 –, zum anderen darin, daß sie in unterschiedlichem Maße beständig sind: Wer eingesehen hat, daß p, läßt sich anders als der, der die wahre Meinung hat, daß p, nicht durch Überredung umstimmen, daß nicht p.106 Es ist nun die Beständigkeit der Einsicht, die das Postulat beständiger Gegenstände der Einsicht rechtfertigen soll und damit die Prämisse (p1) verständlich macht: eben weil die Einsicht aufgrund ihrer Beständigkeit von wahrer Meinung verschieden ist, müssen ihr Objekte korrespondieren, die selbst derart beständig sind, daß die Beständigkeit der Einsicht möglich ist, und solche Objekte der Einsicht können nicht konkrete Gegenstände in Raum und Zeit, sondern nur abstrakte Formen sein. Timaios stellt diesen – im folgenden noch eingehender zu erläuternden – Begründungszusammenhang in 51d3-e6 zwar nicht ausdrücklich her, aber wohl nur deshalb nicht, weil er auf ihn schon mehrfach hingewiesen hat.107 Bereits mit der anfänglichen Abgrenzung der beiden Klassen des ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον und des γιγνόμενον μέν, ὂν δὲ οὐδέποτε (27d6-28a1) macht er deutlich, daß ein 104 Die Rechtfertigung von (p2) lautet nämlich so: (i) Wenn Einsicht und wahre Meinung ein und dieselbe Gattung sind, so haben sie dieselben Eigenschaften. (ii) Einsicht und wahre Meinung haben nicht dieselben Eigenschaften. Folglich: (iii) Einsicht und wahre Meinung sind nicht ein und dieselbe Gattung, d. h., (p2) Einsicht und wahre Meinung sind verschiedene Gattungen. 105 Vgl. 51e2-4: »τὸ μὲν γὰρ αὐτῶν διὰ διδαχῆς, τὸ δ’ ὑπὸ πειθοῦς ἡμῖν ἐγγίγνεται· καὶ τὸ μὲν ἀεὶ μετ’ ἀληθοῦς λόγου, τὸ δὲ ἄλογον«. Vgl. zur Interpretation von »ὑπὸ πειθοῦς« unten Anm. 117. »λόγος« könnte auch mit »Rechtfertigung« und »ἄλογον« entsprechend mit »ohne Rechtfertigung« wiedergegeben werden. Vgl. zur Entscheidung für die Übersetzungen »Erklärung« und »ohne Erklärung« oben Anm. 29. 106 Vgl. 51e4: »[...] τὸ μὲν ἀκίνητον πειθοῖ, τὸ δὲ μεταπειστόν«. 107 Die Vermutung von Ferber/Hiltbrunner (S. 465), daß der Bezug der Einsicht auf das Was einer Sache (im Gegensatz zu ihrem Wie) die Existenz von Formen rechtfertigen soll, ist in dem Sinne, wie die Autoren das Was einer Sache verstehen, nämlich als »die Aspekte der wahrnehmbaren Dinge, die eine Antwort auf die Frage liefern, was denn dieses Ding sei« (ebd., S. 464f.), nicht haltbar. Denn indem Timaios den wahrnehmbaren Dingen den Charakter von Entitäten, auf die wir mit Demonstrativpronomina wie »τοῦτο« oder »τόδε« Bezug nehmen können, abspricht und sie vielmehr als Qualifikationen des Aufnehmenden interpretiert (vgl. dazu unten 4.6), scheint er ihnen zugleich den Besitz eines Was abzusprechen. Man könnte jedoch auch einen anderen Begriff des Was einer Sache zugrundelegen, wonach die Formen (neben dem Aufnehmenden) die einzigen Dinge sind, die ein Was besitzen und insofern als Gegenstände der auf das Was einer Sache gerichteten Einsicht unverzichtbar sind. Da aber Timaios die Klasse der νοήσει μετὰ λόγου περιληπτά immer wieder mit der Klasse der ὄντα ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχοντα, nicht aber mit der Klasse von Dingen, die ein Was haben, identifiziert, dürfte es eher der Charakter der Formen als ὄντα ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχοντα sein, der erklärt, warum sie in seinen Augen unverzichtbar sind, wenn Einsicht (d. h. nicht auf wahre Meinung reduzierte Einsicht) möglich sein soll.
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Formen als Gegenstände des Typs Dieses
Gegenstand dann und nur dann νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν ist, wenn er ein ὂν ἀεί, γένεσιν δὲ οὐκ ἔχον bzw. ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν ist. Erinnern wir uns, daß er an dieser Stelle folgende bikonditionale Aussagen macht (vgl. oben 4.2.1.1): (1)
∀x (x ist immer und hat keine Entstehung ↔ x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung)
(1*)
∀x (x ist immer auf dieselbe Weise ↔ x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung).
Der Zusammenhang zwischen der Beständigkeit der Einsicht und der Beständigkeit der Gegenstände der Einsicht leuchtet nicht unmittelbar ein, doch kann ihn ein anderer Zusammenhang erklären helfen. An zwei Stellen108 ordnet Timaios den Formen auch eine bestimmte Art von Ausführungen (λόγοι, vgl. 29b4109) zu, die er zum einen als ἐξηγηταί (29b5) der Formen, d. h. Darlegungen, mit denen wir ihre Eigenschaften erschließen und sie positiv beschreiben, zum anderen als mit den Formen darin verwandt (συγγενεῖς, vgl. 29b5) charakterisiert, daß sie wie diese beständig (μόνιμοι, vgl. 29b7) und stabil (ἀμετάπτωτοι, vgl. 29b7) seien. Umgekehrt seien die Ausführungen über die Abbilder der Formen ihrem Gegenstand entsprechend nur wahrscheinlich (εἰκότες, vgl. 29c2) und, wie Timaios durch den Kontrast mit den beständigen und stabilen Ausführungen über die Formen nahelegt, unbeständig und instabil. Mit der Unterscheidung beider Arten von Ausführungen teilt Timaios das Gesamt von Behauptungssätzen, mit denen wir bestimmte Entitäten – Formen wie konkrete Gegenstände – zutreffend charakterisieren (und zwar positiv charakterisieren, vgl. »ἐξηγηταί« 29b5), in zwei Klassen ein: eine Klasse von Behauptungssätzen, die die (potentiellen110) propositionalen Gehalte – ich spreche im folgenden austauschbar von »Gedanken«, »Aussagen« und »Propositionen« – der Einsicht (νοῦς) bzw. des einsichtigen 108 Vgl. 29b3-c3: »ὧδε οὖν περί τε εἰκόνος καὶ περὶ τοῦ παραδείγματος αὐτῆς διοριστέον, ὡς ἄρα τοὺς λόγους, ὧνπέρ εἰσιν ἐξηγηταί, τούτων αὐτῶν καὶ συγγενεῖς ὄντας· τοῦ μὲν οὖν μονίμου καὶ βεβαίου καὶ μετὰ νοῦ καταφανοῦς μονίμους καὶ ἀμεταπτώτους – καθ’ ὅσον οἷόν τε καὶ ἀνελέγκτοις προσήκει λόγοις εἶναι καὶ ἀκινήτοις, τούτου δεῖ μηδὲν ἐλλείπειν – τοὺς δὲ τοῦ πρὸς μὲν ἐκεῖνο ἀπεικασθέντος, ὄντος δὲ εἰκόνος εἰκότας ἀνὰ λόγον τε ἐκείνων ὄντας· ὅτιπερ πρὸς γένεσιν οὐσία, τοῦτο πρὸς πίστιν ἀλήθεια« und 59c7f.: »[...] τοὺς περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ [...] λόγους, τοὺς γενέσεως πέρι [...] εἰκότας«. 109 Die Bedeutung von »τοὺς λόγους« in 29b4 und »λόγους« in 29c6 ist nicht völlig klar. Cornford (S. 23) und Zeyl (Plato: Timaeus, S. 15) übersetzen mit »account(s)«, Zekl (S. 31) mit »Erklärungen«, Paulsen/Rehn (S. 39) mit »Darstellungen«. Da Timaios anhand der Unterscheidung der beiden Arten von λόγοι seine folgenden Ausführungen über das All (»περὶ τοῦ παντὸς λόγοι« 27c4) zu charakterisieren sucht, dürfte die Wiedergabe mit »Ausführungen« oder »Darlegungen« am angemessensten sein. 110 Nicht jeder Gedanke, der Inhalt einsichtigen Denkens werden kann, wird auch tatsächlich Inhalt einsichtigen Denkens.
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Denkens (νόησις) ausdrücken, und eine Klasse von Behauptungssätzen, die die (potentiellen) Gedanken wahren Meinens (ἀληθὴς δόξα) ausdrücken. Er unterscheidet demnach Einsicht und wahre Meinung auch nach bestimmten Eigenschaften ihrer gedanklichen Inhalte so, daß er Einsicht und wahrer Meinung elementfremde Klassen von Gedanken zuordnet.111 Weniger klar ist dagegen, was es mit der Beständigkeit der Ausführungen der ersten Klasse auf sich hat. Zwei Erklärungen bieten sich an. Nach der einen Erklärung handelt es sich um die Beständigkeit des Wahrseins der Aussagen (es ist wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, daß Timaios nicht die durch ihre Buchstabierung individuierten Sätze, sondern die von ihnen ausgedrückten Aussagen bzw. Gedanken als Wahrheitswertträger betrachtet112). Nach der anderen Erklärung handelt es sich um die Beständigkeit, mit der die beständigen Aussagen für wahr gehalten werden. Die zweite Deutung ist bei Taylor erkennbar, wenn er – wohl im Bemühen, dem Leser seiner Zeit Timaios’ These plausibel zu machen – bemerkt: Physical ›laws‹ are always being revised and ›corrected‹ in the light of newlydiscovered ›facts‹ or of more accurate measurements of ›facts‹ which were already familiar. But no proposition of the multiplication table is exposed to any possibility of ›correction‹ and ›revision‹. There is nothing inherently absurd in the suggestion that Newton’s gravitation-formula is not absolutely exact but only a ›first approximation‹, but it would be absurd to suggest that 4 may yet turn out to be only a ›close approximation‹ to the product of 2 x 2.113
Taylor scheint sich freilich auch darüber im klaren zu sein, daß er mit dieser Erklärung der Beständigkeit der Aussagen über die Formen als Beständigkeit unseres Fürwahrhaltens der Aussagen und mit der entsprechenden Erklärung der Unbeständigkeit der Aussagen über die konkreten Gegenstände als Unbeständigkeit unseres Fürwahrhaltens der Aussagen die von Timaios hergestellte Verknüpfung mit der Beständigkeit der Formen und der Unbeständigkeit der konkreten Gegenstände nicht verständlich machen kann. Denn daß z. B. die Formulierungen bestimmter Naturgesetze revisi111 Mithin wird die im Menon (vgl. 97b5f.: »[...] ἕως γ’ ἄν που ὀρθὴν δόξαν ἔχῃ περὶ ὧν ὁ ἕτερος ἐπιστήμην [...]«) und Theaitetos (vgl. 201b7-c1: »[...] ὅταν δικαίως πεισθῶσιν δικασταὶ περὶ ὧν ἰδόντι μόνον ἔστιν εἰδέναι [...] ἀληθῆ δόξαν λαβόντες [...]«) eingeräumte Möglichkeit, daß ein wahrer Gedanke zugleich Gehalt von ἐπιστήμη und ἀληθὴς δόξα sein kann, durch die scharfe Abgrenzung der περὶ τῶν ὄντων ἀεὶ λόγοι von den γενέσεως πέρι εἰκότες λόγοι (59c7-9) ausgeschlossen. Bereits in Politeia V sollen ἐπιστήμη und ἀληθὴς δόξα elementfremden Propositionenklassen entsprechen, wenn anders sie – der m. E. zutreffenden traditionellen Auffassung zufolge – elementfremden Gegenstandsklassen zugeordnet werden. Die traditionelle Auffassung ist freilich umstritten; vgl. zur Diskussion Graeser, Platons Auffassung von Wissen und Meinung und Szaif, S. 183-222. 112 Auch die Weltseele erfaßt wahre Gedanken (37b4), jedoch wohl ohne Vermittlung durch sprachliche Zeichen (vgl. »ἄνευ φθόγγου καὶ ἠχῆς« 37b5f. mit Taylors Kommentar zur Stelle). 113 Taylor, S. 60.
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onsbedürftig sind, liegt nicht darin begründet, daß sich die Dinge, die sich nach diesen Gesetzen verhalten, plötzlich anders verhalten und insofern eine Revision der Formulierungen erzwingen, sondern darin, daß diese die Gesetze nicht angemessen erfassen. Um nun jene Verknüpfung verständlich zu machen, bemerkt Taylor: In pure mathematics you get absolute finality and exactitude, just because there is no change or movement or life in the objects you are studying, integers, triangles, ellipses, and the like. They are once for all just what they are, or rather, time has not to be taken into account at all in studying them. Consequently they never ›turn out,‹ as things which change or move or grow are always doing, to be more or less than we had supposed them to be, and so we do not need to be perpetually revising and improving on the results we have once reached about them, as Plato rightly held we have to do in all the ›natural‹ sciences, even the most abstract of them.114
Mit dieser Bemerkung scheint sich Taylor auf der Linie der ersten Erklärung zu bewegen, da sie zu implizieren scheint, daß aufgrund der Veränderlichkeit der konkreten Dinge auch die Wahrheitswerte der Aussagen über sie veränderlich sind und umgekehrt der Beständigkeit des Seins der Formen die Beständigkeit des Wahrseins der Aussagen über sie entspricht. Für welche der beiden Erklärungen sollen wir uns nun entscheiden? Für die zweite Erklärung spricht der unmittelbare Zusammenhang der Stelle. Timaios zielt mit seiner Unterscheidung der beiden Arten von Ausführungen darauf ab, mögliche Inkonsistenzen seiner folgenden Darstellung mit der höheren Irrtumsanfälligkeit der Ausführungen über konkrete Entitäten zu entschuldigen (vgl. 29c4-d3). Diese Irrtumsanfälligkeit hat nun mit dem Wahr- oder Falschsein der Propositionen erst einmal gar nichts zu tun (wie die erste Deutung unterstellt), sondern betrifft die Zugänglichkeit ihres Wahr- oder Falschseins. Daß unser Vermögen, über das Wahr- und Falschsein von Gedanken beständige Urteile zu fällen, aufgrund unserer menschlichen Natur beschränkt ist (29d1), impliziert gewiß nicht, daß das Wahrund Falschsein selber der Unbeständigkeit unterworfen ist. Für die zweite Erklärung spricht auch, daß Timaios mit der Unbeständigkeit wahren Meinens die Unbeständigkeit des Fürwahrhaltens dessen, der die wahren Meinungen besitzt, und mit der Beständigkeit der Einsicht die Beständigkeit des Fürwahrhaltens dessen, der die Einsicht besitzt, meint.115 Wenn nun die beständigen Aussagen über die Formen die (potentiellen) propositionalen Gehalte der Einsicht und die unbeständigen Aussa114 Taylor, S. 59f. 115 Vgl. 51e4: »καὶ τὸ μὲν ἀκίνητον πειθοῖ, τὸ δὲ μεταπειστόν«. Bereits in R. V, 477e6f. werden ἐπιστήμη und δόξα danach unterschieden, daß die eine fehlerlos (ἀναμάρτητον) sei, d. h. ihre Urteile nicht korrigieren muß, die andere dagegen nicht fehlerlos (μὴ ἀναμάρτητον) sei, d. h. ihre Urteile korrigieren muß.
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gen über die konkreten Gegenstände die (potentiellen) propositionalen Gehalte wahrer Meinung sind, so liegt es nahe, die Beständigkeit ersterer darin zu sehen, daß sie von dem, der sie für wahr hält, beständig für wahr gehalten werden, und die Unbeständigkeit letzterer darin zu sehen, daß sie von dem, der sie für wahr hält, nicht beständig für wahr gehalten werden. Es gibt also starke Argumente für die zweite Erklärung. Freilich sollten wir die erste Erklärung nicht einfach fallen lassen, sondern das, was an ihr wertvoll ist, festhalten. Dies ist m. E. der Begriff des unbeständigen Wahrheitswerts von Propositionen. Die Erklärung macht uns nämlich darauf aufmerksam, daß – wie Taylor ausweislich des zweiten Zitats gesehen hat116 – die Unbeständigkeit des Fürwahrgehaltenwerdens der propositionalen Gehalte des wahren Meinens unter anderem in der Unbeständigkeit ihres Wahrheitswerts gründen muß, wenn die von Timaios hergestellte Verknüpfung zwischen der Unbeständigkeit wahren Meinens und der Unbeständigkeit der konkreten Gegenstände plausibel sein soll: die Änderung unserer Meinungen über die Gegenstände muß auch darauf zurückgeführt werden können, daß diese selber sich verändern und daher die vordem wahren Aussagen über sie ihre Wahrheit einbüßen.117 Die Verknüpfung impliziert demnach ein temporalistisches Wahrheitsverständnis, demzufolge Propositionen ihren Wahrheitswert verändern können.118 Auch wenn also die zweite Erklärung der ersten vorzuziehen ist und mit der Unbeständigkeit der Aussagen über die konkreten Dinge die Unbeständigkeit des Fürwahrgehaltenwerdens der Aussagen gemeint sein dürfte, ist die erste Deutung insofern nicht völlig verfehlt, als Timaios die Unbeständigkeit der richtigen Wahr-Falsch-Bewertungen von Aussagen über die konkreten Dinge auf die Unbeständigkeit des Wahrheitswerts der Aussagen 116 Freilich hat erst J. Hintikka in seiner klassischen Studie »Time, Truth, and Knowledge in Ancient Greek Philosophy« den für Platon und Aristoteles zentral wichtigen Konnex zwischen Wissen und unveränderlichen Gegenständen einerseits und wahrer Meinung und veränderlichen Gegenständen andererseits explizit auf das temporalistische Wahrheitsverständnis beider Denker zurückgeführt (vgl. Santas, Hintikka on Knowledge, S. 48) und dieses seinerseits mit ihrer Orientierung an Sätzen mit indexikalischem Zeitbezug (die Hintikka, S. 2 als »temporally indefinite sentences« bezeichnet) zu erklären versucht. Zu gewissen Vorbehalten gegen diese Erklärung vgl. die in diesem Abschnitt folgenden Bemerkungen. 117 Mit der πειθώ, die das μεταπεισθῆναι des Meinenden bewirkt (vgl. 51e4), scheint mithin primär die Überredung durch Wahrnehmungen gemeint zu sein, z. B. optische Wahrnehmungen, die jemanden, der zu einem Zeitpunkt urteilt, daß es regnet, zu einem späteren Zeitpunkt veranlassen, dieses Urteil zu revidieren. Auch die Aussage, daß wahre Meinung ὑπὸ πειθοῦς entstehe (51e2f.), scheint mir nur unter der Annahme verständlich zu sein, daß Timaios den Wahrnehmungen πειθώ zuschreibt; denn eine Unzahl von wahren Meinungen erwerben wir durch Wahrnehmung (vgl. auch die Wendung »δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως« 28a2 und 52a7). (Wenn wir bei der πειθώ an »psychologische Beeinflussung« und »Propaganda« [so Ferber, S. 428] denken, haben wir große Mühe, den Universalitätsanspruch der Aussage zu verstehen.) Daß Timaios πειθώ nicht nur Personen und ihren Reden zuschreibt, zeigt die Rede von der πειθώ des νοῦς 48a2-5. 118 Vgl. zur Diskussion dieser These Künne, Conceptions of Truth, S. 295-313.
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zurückführt und letztere als hinreichende Bedingung für erstere (wohlgemerkt: die Unbeständigkeit richtiger Wahr-Falsch-Bewertungen) ansieht. Umgekehrt scheint er die Beständigkeit des Wahrheitswerts von Aussagen als notwendige (natürlich nicht als hinreichende) Bedingung für die Beständigkeit von richtigen Wahr-Falsch-Bewertungen der Aussagen anzusehen. Timaios’ Option für ein temporalistisches Wahrheitsverständnis ist weniger überraschend, wenn man sich das reiche Textmaterial vor Augen hält, mit dem Hintikka die Tendenz zum temporalistischen Wahrheitsverständnis bei Platon, Aristoteles und späteren antiken Denkern dokumentiert hat.119 Die exegetische Schwierigkeit liegt denn auch nicht so sehr darin, die Tendenz zu diagnostizieren, als darin, sie zu erklären: Wie kommt es bei den genannten Denkern zur zeitlichen Relativierung des Wahrseins von Aussagen über zeitlich existierende Entitäten? Was erklärt ihre Neigung, einen Satz wie »Theaitetos sitzt«120 in verschiedenen Äußerungskontexten als Ausdruck ein und derselben Aussage zu verstehen, die je nach dem, was Theaitetos gerade tut, ihren Wahrheitswert verändert? Was erklärt die Vernachlässigung der verschiedenen Zeitbezüge, die von dem Satz in verschiedenen Äußerungskontexten ausgedrückt werden?121 Hintikkas Bemerkungen zur Erklärung des temporalistischen Wahrheitsverständnisses bei Platon und Aristoteles122 scheinen mir weniger befriedigend zu sein als seine Diagnose. Das Fehlen eines einheitlichen Kalenders und die Vorherrschaft des gesprochenen Wortes mögen die Vorliebe für die Äußerung zeitlich indefiniter Sätze erklären – aber erklären sie auch, warum bei der Wahr-Falsch-Bewertung der von diesen Sätzen ausgedrückten Aussagen ihr je nach Äußerungskontext verschiedener Zeitbezug unterdrückt wird? Sollten wir uns zur Erklärung dieser Tatsache nicht eher fragen, wie Platon und Aristoteles dazu kommen, die Zeitbestimmung nicht als Teil der von dem Satz ausgedrückten Proposition, sondern als Teil des Prädikats zu betrachten, mit dem wir sie als wahr oder falsch bewerten? 119 Vgl. Hintikka, Time, Truth, and Knowledge in Ancient Greek Philosophy. 120 Vgl. zu dem Beispiel Cat. 4a23-28 und 4a34-b2. 121 Wie sie von ihm ausgedrückt werden, ist eine umstrittene Frage (vgl. zur Kritik der Position, daß sich indexikalische Ausdrücke von Zeitbezügen salva propositione durch definite Zeitbestimmungen ersetzen lassen, Künne, Conceptions of Truth, S. 272-281); daß sie von ihm ausgedrückt werden, scheint mir jedoch klar zu sein: Mit »Theaitetos sitzt« wird soviel gesagt wie »Theaitetos sitzt jetzt«, und mit »jetzt« wird in unterschiedlichen Äußerungskontexten auf unterschiedliche Zeitpunkte Bezug genommen. Vgl. Frege, Logische Untersuchungen. Erster Teil: Der Gedanke, S. 361: »Der Gedanke z. B., daß der Baum dort grün belaubt ist, ist doch wohl nach einem halben Jahre falsch? Nein; denn es ist gar nicht derselbe Gedanke. Der Wortlaut ›dieser Baum ist grün‹ allein genügt ja nicht zum Ausdrucke, denn die Zeit des Sprechens gehört dazu. Ohne die Zeitbestimmung, die dadurch gegeben ist, haben wir keinen vollständigen Gedanken, d. h. überhaupt keinen Gedanken. Erst der durch die Zeitbestimmung ergänzte und in jeder Hinsicht vollständige Satz drückt einen Gedanken aus.« 122 Vgl. Hintikka, S. 11-14.
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Nur ein Jahr vor der Veröffentlichung von Hintikkas Aufsatz hatte Ch. Kahn in seinem Aufsatz »The Greek Verb ›to be‹ and the Concept of Being« die zuvor kaum gewürdigte Verwendung von »εἶναι« im Sinne von »der Fall sein« (vgl. das bei Platon mehr als 60x belegte »ἔστι ταῦτα«: »Das ist der Fall«) und »οὕτως εἶναι« im Sinne von »so sein« bzw. »sich so verhalten« (vgl. »ἔστιν οὕτως«:123 »So ist es«) zur Prominenz gebracht und ihre fundamentale Bedeutung für Platons und Aristoteles’ Wahrheitsbegriff hervorgehoben.124 Es ist nun dieser von Kahn nicht ganz glücklich als »veritativ« (»veridical«125) bezeichnete Gebrauch von »εἶναι« und »οὕτως εἶναι«, der mir besonders geeignet zu sein scheint, zu erklären, warum Platon und Aristoteles die Zeitbestimmung nicht als Teil der als wahr oder falsch zu bewertenden Aussage betrachten, sondern als Teil des Prädikats, mit dem die Aussage als wahr oder falsch zu bewerten ist. Dabei gilt es zunächst zu sehen, daß der veritative Gebrauch von »εἶναι« und »οὕτως εἶναι« einen Zeitbezug einschließt. Ein Beispiel126 für den Zeitbezug des veritativen »οὕτως εἶναι« findet sich bei Thukydides: 123 Bei Platon als Antwort im Dialog in Tht. 147b9, Sph. 230a4, Plt. 258d7 und Lg. II, 667c8. 124 »For the Greek concept of truth is precisely this: ta onta legein hōs esti, ta mē onta hōs mē esti, to say of the things that are (the case) that they are, and of the things that are not that they are not« (Kahn, The Greek Verb ›to be‹, S. 253). Kahn verweist in einer Fußnote zu dieser Bemerkung auf Cra. 385b7, Sph. 263b und Arist. Metaph. Γ7, 1011b26f., ferner auf Protagoras’ homo mensura-Satz und Parmenides. Zweifel an der Wiedergabe der Formel »τὰ ὄντα λέγειν ὡς ἔστι, τὰ μὴ ὄντα ὡς οὐκ ἔστι« mit »von dem, was der Fall ist, zu sagen, daß es der Fall ist, von dem, was nicht der Fall ist, zu sagen, daß es nicht der Fall ist« äußert Künne (Conceptions of Truth, S. 96) in bezug auf Arist. Metaph. Γ7, 1011b26f.: »[...] under this reading, [A.1] (sc. Metaph. Γ7, 1011b26f.) would claim that every true affirmative statement says of a fact that it is a fact; but our statements very seldom have the structure of ›That Socrates drank the hemlock is the case (is a fact)‹.« Dies scheint mir ein überzeugendes Argument gegen die Wiedergabe zu sein (wenn auch kein durchschlagendes: unter der Annahme, daß ∀p (die Aussage, daß p = die Aussage, daß es der Fall ist, daß p) und daher ∀p (zu sagen, daß p = zu sagen, daß es der Fall ist, daß p), gilt, daß z. B. mit dem Satz »Theaitetos sitzt« geäußert wird, daß es der Fall ist, daß Theaitetos sitzt). Daß das veritative »εἶναι« gerade in der ›offiziellen‹ Wahrheitsdefinition nicht zur Anwendung kommt, ist nun zwar bedauerlich, spricht jedoch nicht gegen die Annahme, daß seine Verwendung das griechische Wahrheitsverständnis entscheidend beeinflußt hat (Künne [Conceptions of Truth, S. 333] weist auf den in Formulierungen wie »ἔστι [...] ταῦτα [...] οὕτως ὡς σὺ λέγεις« [Hp.ma. 282a4] implizierten Wahrheitsbegriff hin, den er in die Formel »x ist wahr ↔ (Ep) ([x = die Aussage, daß p] & p)« [Abstrakte Gegenstände, S. 126 und Conceptions of Truth, S. 337] gießt). 125 Kahn, The Greek Verb ›to be‹, S. 252. Die Bezeichnung »verdicial« ist nicht ganz glücklich, da der Ausdruck »ist der Fall« anders verwendet wird als der Term »ist wahr«: Wir sagen von Aussagen oder Propositionen, sie seien wahr, dagegen von Sachverhalten, sie seien der Fall (vgl. Kahn, The Greek Verb ›to be‹, S. 252 und Künne, Conceptions of Truth, S. 252f.). Wieder anders werden die Ausdrücke »ist so« und »verhält sich so« gebraucht: mit »Das ist so« oder »Das verhält sich so« wird die Zustimmung zu einer vorhergehenden Aussage nicht dadurch ausgedrückt, daß auf diese oder den von ihr konstatierten Sachverhalt Bezug genommen und die Aussage mit »ist wahr« oder der Sachverhalt mit »ist der Fall« affirmativ bewertet wird, sondern dadurch, daß man den konstatierten Sachverhalt mit einem ›Fürsatz‹ (Brentano) nochmals konstatiert. 126 Es ist Kahn, The Verb ›be‹ in Ancient Greek, S. 347 entnommen.
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ἐπυνθάνοντο δὲ καὶ ἐς τοὺς Εἵλωτας πράσσειν τι αὐτόν, καὶ ἦν δὲ οὕτως· ἐλευθέρωσίν τε γὰρ ὑπισχνεῖτο αὐτοῖς καὶ πολιτείαν, ἢν ξυνεπαναστῶσι καὶ τὸ πᾶν ξυγκατεργάσωνται. (1.132.4.1-5.1) Sie (sc. die Spartaner) erfuhren, daß er (sc. Pausanias) auch mit den Heloten verhandele, und so war es: er versprach ihnen nämlich für den Fall, daß sie mit ihm revoltieren und alles mitmachen würden, die Freiheit und das Bürgerrecht.
Ein schönes Beispiel für den Zeitbezug des veritativen »εἶναι« liefert die berühmte Aussage über den Seher Kalchas in der Ilias (1,70, vgl. auch Hes. Th. 32, 38), er wisse τά τ’ ἐόντα τά τ’ ἐσσόμενα πρό τ’ ἐόντα, was (der Fall) ist, was (der Fall) sein wird und was früher (der Fall) war.127 Beispiele bei Platon sind die Antworten »ἦν ταῦτα« und »ἔσται ταῦτα«.128 Man kann nun, den Zeitbezug des veritativen »εἶναι« zugrundelegend, das Gesamt der Sachverhalte, die sich in bezug auf zeitlich existierende Entitäten zutreffend konstatieren lassen, so einteilen, daß jeder von ihnen zu mindestens einer dieser drei Klassen gehört: der Klasse der Sachverhalte, die (der Fall) waren (τὰ πρότερον ὄντα), der Klasse der Sachverhalte, die (der Fall) sind (τὰ ὄντα), und der Klasse der Sachverhalte, die (der Fall) sein werden (τὰ ἐσόμενα). (Es ist aufschlußreich, diese Einteilung mit der These zu vergleichen, daß alle zutreffend zu konstatierenden Sachverhalte zeitlose Tatsachen sind; vgl. »Es ist eine Tatsache: Sokrates starb im Jahre 399« mit »Es war im Jahre 399 der Fall: Sokrates stirbt«.) Von der zeitlichen Relativierung des der-Fall-seins der die zeitlich existierenden Entitäten betreffenden Sachverhalte ist es nur noch ein kleiner Schritt zur zeitlichen Relativierung des Wahrseins der Aussagen über diese Entitäten. Er wird durch das folgende Prinzip ermöglicht: ∀p∀t (Der Sachverhalt, daß p, ist um t der Fall ↔ Die Aussage, daß p, ist um t wahr).
Unter Annahme dieses Prinzips lassen sich den Sachverhalten der drei Klassen in der Weise wahre Aussagen zuordnen, daß jede einen Sachverhalt der ersten Klasse konstatierende Aussage wahr war, jede einen Sachverhalt der zweiten Klasse konstatierende Aussage wahr ist und jede einen Sachverhalt der dritten Klasse konstatierende Aussage wahr sein wird. Z. B. kann dem Sachverhalt, daß Sokrates stirbt, die Aussage zugeordnet werden, daß Sokrates stirbt, und da der Sachverhalt der Fall war, aber nicht mehr der Fall ist und nicht mehr der Fall sein wird, gilt von der ihn konstatierenden 127 Es ist allerdings der Vorbehalt zu machen, daß die Formel auch im Sinne von »was sich ereignet, was sich ereignen wird und was sich vordem ereignet hat« verstanden werden kann; demnach würde das »εἶναι« in ihr nicht auf Sachverhalte, sondern auf Ereignisse angewandt (vgl. zur Abwägung beider Deutungen und zur Rechtfertigung der Präferenz für die veritative Interpretation Kahn, The Verb ›be‹ in Ancient Greek, S. 350f.). 128 Vgl. zu »ἦν ταῦτα« Tht. 182e9, Sph. 260d4, 264c9, Phlb. 60c10, 66e6; zu »ἔσται ταῦτα« Tht. 144d7, Lg. III, 700a3.
Eine Untersuchung zum Timaios
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Aussage, daß sie wahr war, aber nicht mehr wahr ist und nicht mehr wahr sein wird.129 Fügt man noch die nicht zutreffend zu konstatierenden Sachverhalte, die zeitlich existierende Entitäten betreffen, derart hinzu, daß jeder von ihnen zu mindestens einer dieser drei Klassen gehört: der Klasse der Sachverhalte, die nicht der Fall waren, die Klasse der Sachverhalte, die nicht der Fall sind, und die Klasse der Sachverhalte, die nicht der Fall sein werden, und ordnet man ihnen auf entsprechende Weise die sie konstatierenden falsch gewesenen, jetzt falschen und zukünftig falschen Aussagen zu, so erhält man eine vollständige Einteilung der Aussagen über zeitlich existierende Entitäten derart, daß jede von ihnen einen zeitrelativen Wahrheitswert hat. Nun gibt es eine Reihe von Aussagen über zeitlich existierende Entitäten, mit denen Sachverhalte konstatiert werden, welche, das temporalistische Verständnis des der-Fall-Seins der Sachverhalte vorausgesetzt, permanent der Fall sind, und die entsprechend selber permanent wahr sind. Mit der Aussage z. B., daß die Gestirne in Bewegung sind, wird nach Auffassung des Timaios ein Sachverhalt konstatiert, der permanent der Fall ist (jedenfalls beschreibt er die für die Gestirnsbewegungen verantwortlichen Bewegungen der Weltseele in 36e4f. als »ἄπαυστος καὶ ἔμφρων βίος πρὸς τὸν σύμπαντα χρόνον«). Wenn nun Timaios annimmt, daß keine der Aussagen über zeitlich existierende Entitäten ein (potentieller) Gehalt einsichtigen Denkens ist, so ist angesichts der permanent wahren Aussagen über einige zeitlich existierende Entitäten zu vermuten, daß er von den (potentiellen) Gehalten einsichtigen Denkens mehr verlangt als permanentes Wahrsein. Tatsächlich scheint er von ihnen nicht permanentes, sondern zeitloses Wahrsein zu verlangen.130 Dies geht daraus hervor, daß er den Gegenständen, die das Worüber dieser Gedanken sind, zeitlose Existenz zuschreibt, womit er offenbar auszuschließen sucht, daß die Gegenstände eine Geschichte haben und die Gedanken über sie mit Blick auf bestimmte Zeitphasen dieser Geschichte als wahr oder falsch zu bewerten sind. 129 Auch die Aussage, daß Sokrates starb, ist dem Sachverhalt, daß Sokrates stirbt, zugeordnet, doch nicht so, daß sie den Sachverhalt konstatiert, sondern so, daß sie konstatiert, daß er der Fall war. Mithin ist sie keine Aussage über Sokrates, sondern eine Aussage über einen Sachverhalt der Vergangenheit, in den Sokrates involviert ist. Dies erklärt, daß historische und futurische Aussagen in der Einteilung der Aussagen über die konkreten Entitäten keine Berücksichtigung finden. 130 Bei den Sätzen, die solche Gedanken ausdrücken, handelt es sich demnach nicht um zeitlich indefinite Sätze. Die Gleichsetzung mit solchen Sätzen legt Hintikka (S. 7) nahe, wenn er Platon und Aristoteles folgende These zuschreibt: »Hence opinions which correspond to temporally indefinite sentences can constitute knowledge only if they are always true, i. e., only if they pertain to facts which never change. And if opinions of this kind are thought of as typical, then one may be inclined to say generally that we can have knowledge only of what is indestructible and unchangeable.« Vgl. zur Abgrenzung des ständigen Wahrseins vom zeitlosen Wahrsein Künne, Conceptions of Truth, S. 285-295.
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Allerdings ist die These, daß er den Gegenständen der Einsicht zeitlose Existenz zuschreibt, umstritten und muß ausführlicher gerechtfertigt werden. Im Anschluß an die traditionelle, von Exegeten so verschiedener Richtung wie Proklos131 und Cherniss132 vertretene Deutung des Abschnitts 37e538a1 nehme ich an, daß Timaios in diesem Abschnitt die Anwendung von Vergangenheits- und Futurformen wie »ἦν« und »ἔσται« auf die Formen ausschließt, da er ihnen zeitlose Existenz zuschreibt. Dafür scheint mir vor allem folgende Erwägung zu sprechen: Wenn wir annehmen, daß Timaios den Formen zwar zeitliche Existenz zuschreibt, zugleich aber die Anwendung von Vergangenheits- und Futurformen auf die Formen ausschließt, dann scheint dafür als einzige Erklärung in Betracht zu kommen, daß er fürchtet, die Anwendung könnte mit der These der unveränderlichen Existenz der Formen konfligieren, da z. B. die Äußerung der Sätze »τὸ παράδειγμα ἦν« und »τὸ παράδειγμα ἔσται« den Eindruck erwecken könnte, daß die Aussage »τὸ παράδειγμα ἔστιν« zum Zeitpunkt der Äußerung beider Sätze falsch sei.133 Freilich kann man eine solche irreführende Redeweise leicht dadurch vermeiden, daß man etwas mehr Luft holt und – um bei diesen Beispielsätzen zu bleiben – das präsentische »ἔστιν« hinzufügt: »τὸ παράδειγμα ἦν τε καὶ ἔστιν καὶ ἔσται« oder – wenn man die Periphrase mit Partizipformen vorzieht – das Präsenspartizip »ὄν«: »τὸ παράδειγμα γεγονός τε καὶ ὂν καὶ ἐσόμενον« (vgl. 38c3). Nun schließt allerdings Timaios in 38c1-3 sogar diese – in der relevanten Hinsicht nicht irreführende – Anwendung der Vergangenheits- und Futurformen in Verbindung mit der Präsensform auf das Vorbild der Welt aus. Folglich scheitert diese Erklärung des Ausschlusses, und es ist nicht zu erkennen, was Timaios mit ihm sonst bezwecken wollte, wenn nicht dies, die zeitliche Existenz der Formen zu verneinen. Auch scheint mir das in (1)
∀x (x ist immer und hat keine Entstehung ↔ x ist Gegenstand einsichtigen Denkens mit Erklärung)
enthaltene Von-Links-nach-Rechts-Konditional erst plausibel zu werden, wenn wir den Ausdruck »ὂν ἀεί« (»immer seiend«) nicht im Sinne von »zu jeder Zeit seiend«,134 sondern im Sinne von »zu keiner Zeit nicht seiend (da 131 Vgl. in Ti. 1.238.31-239.6. 132 Vgl. Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 212. 133 So die Erklärung von Whittaker (The »Eternity« of the Platonic Forms, S. 141): »Thus, we cannot correctly speak of the Forms in the past tense, as though what we say no longer applies, nor can we speak of them in the future tense, as though what we say has no application to present or past«. 134 Whittaker (The »Eternity« of the Platonic Forms, S. 132-136) favorisiert diese Lesart mit Hinweis auf Stellen in anderen platonischen Dialogen (insbesondere im Phaidon). Künne (Abstrakte Gegenstände, S. 57) favorisiert sie ebenfalls, stellt aber einen Konflikt mit der Zuschrei-
Eine Untersuchung zum Timaios
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zeitlos seiend)« verstehen.135 Würden wir es nämlich im Sinne von »zu jeder Zeit seiend« verstehen, so wäre nicht zu sehen, warum sich ein allezeit seiender Gegenstand nicht hinsichtlich bestimmter (nicht-essentieller) Eigenschaften verändern, in diesen mithin nicht durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbar sein sollte.136 Nun scheint jedoch »νοήσει μετὰ λόγου περιληπτόν« soviel zu bedeuten wie »(hinsichtlich aller Eigenschaften) durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbar« und somit zu implizieren »(hinsichtlich aller Eigenschaften) unveränderlich«.137 Ein zeitlos seiender Gegenstand muß nun in der Tat hinsichtlich aller seiner Eigenschaften unveränderlich sein – würde er sich nämlich auch nur in einer Hinsicht verändern, so wäre ihm bereits eine Geschichte und damit zeitliche Existenz zuzuschreiben. Allerdings mag man sich fragen, ob das in (1) enthaltene Von-Rechtsnach-Links-Konditional plausibel ist: muß eine Entität, die in allen Hinsichten durch einsichtiges Denken mit Erklärung erfaßbar und infolgedessen in allen Hinsichten unveränderlich ist, zeitlos existieren? Nun, zumindest gibt es unter der Voraussetzung, daß sie in allen Hinsichten unveränderlich ist, keinen Anlaß dazu, ihr eine Geschichte in der Zeit zuzuschreiben. Insofern scheint auch das Von-Rechts-nach-LinksKonditional plausibel. Das Postulat von Formen als zeitlos existierenden Gegenständen hat freilich einen Haken, nämlich die bereits oben (4.2.1.6) berührte Schwierigkeit, daß es schwerlich mit den Relationen verträglich ist, in denen die Formen bung zeitloser Existenz in 37e5-38a1 fest: »Im Platonischen ›Timaios‹ heißt es: Zeitliche Bestimmungen sind auf das nicht anwendbar, was sich immer (!) auf dieselbe Weise verhält.« 135 Das »immer« schließt demnach aus, daß es eine Zeit gibt, zu der die Aussage, daß die Formen sind, falsch ist, ohne einzuschließen, daß sie zu allen Zeitpunkten wahr ist. Ähnlich verhält sich auch das »ἀεί« in »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« (»immer auf dieselbe Weise seiend«): es schließt in Verbindung mit »κατὰ ταὐτὰ ὄν« aus, daß es einen beliebigen Zeitpunkt gibt, zu dem sich die Formen anders verhalten als zu einem früheren Zeitpunkt, ohne einzuschließen, daß die Formen von einem Zeitpunkt zum nächsten dieselben Verhaltensweisen an den Tag legen. Wie Proklos (in Ti. 1.238.31-239.6, vgl. Inst. 55.16-21) mit Recht hervorhebt, gibt es zwei Arten von Unveränderlichkeit (ἀμεταβλησία), eine ohne Zeitbezug und eine mit Zeitbezug, und es ist erstere, die den Formen mit dem Prädikat »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« zugeschrieben wird. 136 Es sei denn, wir nehmen an, daß der Ausdruck »ὄν« unvollständig gebraucht wird und »ὂν ἀεί« soviel wie »fortwährend (all das, was es ist) seiend« bedeutet. Gegen diese Annahme spricht aber, daß »ὂν ἀεί« mit »γιγνόμενον καὶ ἀπολλύμενον« kontrastiert und zumindest »ἀπολλύμενον« vollständig gebraucht wird, der Kontrast mithin eine vollständige Verwendung von »ὄν« fordert (ohne die Wiedergabe mit »existierend« zu fordern; ganz im Gegenteil ist eine solche Wiedergabe zu vermeiden, da τὸ γιγνόμενον auch irgendwie existiert, jedoch als ὂν οὐδέποτε bezeichnet wird). 137 Dementsprechend werden die beiden Bestimmungen, mit denen den Formen Unveränderlichkeit zugeschrieben wird, d. h. »ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὄν« (»immer auf dieselbe Weise seiend«, 28a2) und »(ἀεὶ) κατὰ ταὐτὰ ἔχον« (»sich immer auf dieselbe Weise verhaltend«, 29a7, 38a3, 52a1), nirgends hinsichtlich bestimmter Eigenschaften eingeschränkt.
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Formen als Gegenstände des Typs Dieses
zu raum-zeitlichen Gegenständen stehen. Zwingt uns nicht die Feststellung dieser Relationen, den Formen eine Geschichte, d. h. zeitliche Existenz zuzuschreiben?138 So schließt z. B. die These, daß die konkreten Lebewesen dem Lebewesen selbst ähnlich seien, ein, daß das Lebewesen selbst den konkreten Lebewesen ähnlich sei (vgl. Prm. 132d5-8), und diese Ähnlichkeitsrelation wird unausweichlich hinsichtlich bestimmter Zeitpunkte festgestellt. Trotz dieser Schwierigkeit scheint es klar zu sein, daß Timaios das Postulat der Formen mit ihrer Funktion rechtfertigt, gewisse Prädikate so zu erfüllen, daß daraus zeitlos wahre Gedanken resultieren, die die (potentiellen) Gehalte des einsichtigen Denkens sind. Näherhin sind es folgende Annahmen, unter denen er die Formen einführt: erstens die Annahme, daß es einsichtiges Denken gibt; zweitens, daß es wahre Gedanken zum Inhalt hat; drittens, daß seine Inhalte zeitlos wahr sind (und nicht zeitrelativ wahr wie die Gedanken, die Inhalt wahren Meinens sind); viertens, daß es etwas gibt, worüber wahre Gedanken Gedanken sind; und schließlich fünftens, daß Gedanken über Gegenstände in Raum und Zeit nicht zeitlos wahr sind. Aus diesen Annahmen folgt, daß es von den Gegenständen in Raum und Zeit verschiedene Gegenstände als Subjekte von zeitlos wahren Gedanken gibt. Timaios’ Argumentation läßt sich demnach wie folgt rekonstruieren: (P1)
∃x (x ist ein Akt einsichtigen Denkens)
(P2)
∀x (x ist ein Akt einsichtigen Denkens → ∃y (y ist ein wahrer Gedanke & y = der Inhalt von x))
(P3)
∀x∀y (x ist ein Akt einsichtigen Denkens & y = der Inhalt von x → ¬∃t (y ist um t wahr))
(P4)
∀x (x ist ein wahrer Gedanke → ∃y (x ist ein wahrer Gedanke über y))
(K1)
∃x∃y (x ist ein wahrer Gedanke über y & ¬∃t (x ist um t wahr)) [Aus (P1) – (P4).]
(P5)
∀x∀y (x ist ein wahrer Gedanke über y & y ist ein raum-zeitlicher Gegenstand → ∃t (x ist um t wahr))
138 Vgl. zu der Schwierigkeit Keyt, Plato’s Paradox, S. 7-11. Keyt scheint mir mit der These, daß die Schwierigkeit verschwinde, wenn man sehe, daß die Formen qua Gegenstände des Wissens nur in einigen, nicht in allen Hinsichten unveränderlich sein müßten (so auch Künne, Die ›Gigantomachie‹ in Platons Sophistes), der Schwierigkeit nicht ganz gerecht zu werden. Denn wenn die gedanklichen Gehalte des Wissens durch zeitloses Wahrsein ausgezeichnet sein sollen, so dürfen sie nicht im Hinblick auf bestimmte Phasen der Existenz der Wissensgegenstände als wahr bewertet werden; den Formen darf somit qua Wissensgegenständen keine zeitliche Existenz zugeschrieben werden. Folglich muß ihnen Unveränderlichkeit in allen Hinsichten zugeschrieben werden.
Eine Untersuchung zum Timaios (K2)
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∃x∃y (x ist ein wahrer Gedanke über y & ¬y ist ein raum-zeitlicher Gegenstand) [Aus (K1) und (P5).]
Zwei Bemerkungen zu diesem Argument, erstens dazu, was mit ihm tatsächlich gezeigt wird, und zweitens zu seiner Stellung im platonischen Werk: (i) Das Argument ist ein Argument für die Existenz zeitlos existierender Gegenstände. Daß es sich bei diesen zeitlos existierenden Gegenständen um Formen handelt, läßt sich mit (K2) nicht rechtfertigen.139 Dazu bedürften wir einer näheren Eingrenzung der Gehalte des einsichtigen Denkens dahingehend, daß es sich um Aussagen über Formen handelt. Eine solche Eingrenzung liefert uns Timaios, soweit ich sehe, nirgends. Man könnte meinen, daß er annimmt, daß die zeitlos wahren Aussagen von implizit generellen Sätzen wie »Der Mensch ist ein Lebewesen« ausgedrückt werden und solche Sätze Aussagen über Formen ausdrücken.140 Freilich haben wir oben (4.3) gesehen, daß Timaios die implizit generellen Sätze, mit denen allgemeine Aussagen über die Elemente gemacht werden, nicht als Ausdrücke von Aussagen über die Formen der Elemente versteht; z. B. faßt er den implizit generellen Satz »Die Erde ist am unbeweglichsten unter den vier Gattungen (der Elemente) und am bildbarsten unter den Körpern« nicht als Ausdruck einer Aussage über die Form der Erde auf. Insofern glaube ich nicht, daß die zeitlos wahren Aussagen, die Timaios als Aussagen über Formen einstuft, seiner Meinung nach von implizit generellen Sätzen ausgedrückt werden. (ii) Die These, daß die Formen die Gegenstände des einsichtigen Denkens sind und als solche keinen Veränderungen unterliegen, wird nicht erst im Timaios vertreten, sondern ist bereits im Phaidon und im fünften Buch der Politeia vorausgesetzt.141 Neu ist im Timaios, daß ihre Existenz eben damit begründet wird, daß sie die Gegenstände des einsichtigen Denkens sind, und die Beschreibung als solche Gegenstände nicht mehr eine beliebige unter anderen ist (wie z. B. noch in Phd. 80b3), sondern wesentlich für die Rechtfertigung des Postulats von Formen. Dieser Neuansatz läßt sich damit erklären, daß die Formen im Timaios nicht mehr als Gegenstände des 139 Vgl. Jordan, S. 48: »[...] the argument purports to prove that there are Forms, but all it does show is that there are ›non-sensible realities‹ in Ross’ terms, or objects of knowledge not in the physical world, and not in flux.« Es könnte sich dabei z. B. auch um die sog. μαθηματικά handeln. 140 Hinweis von Herrn Szaif, der die Aussagen, die mit solchen Sätzen gemacht werden, als »inhaltliche Charakterisierungen« einer Form von »gegenstandsbezogenen Charakterisierungen« unterscheidet. 141 Vgl. Phd. 80b1-3 (im Rahmen des Arguments für die Unsterblichkeit der Seele aus ihrer Ähnlichkeit mit den Formen): »τῷ [...] νοητῷ [...] καὶ ἀεὶ ὡσαύτως κατὰ ταὐτὰ ἔχοντι ἑαυτῷ« und R. V, 479e7-10: »Τί δὲ αὖ τοὺς αὐτὰ ἕκαστα θεωμένους καὶ ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ὡσαύτως ὄντα; ἆρ’ οὐ γιγνώσκειν ἀλλ’ οὐ δοξάζειν (sc. φήσομεν); – Ἀνάγκη καὶ ταῦτα«.
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Typs So etwas eingeführt werden, d. h. ihre Funktion, die Designate von Prädikat-Termen und den entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« zu sein, verloren haben (vgl. oben 4.3) und an die Stelle dieser Funktion eine neue Funktion treten muß. Allerdings wirft die Tatsache, daß die Formen im Timaios nicht mehr als Designate von Prädikat-Termen und den entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« konzipiert werden, die Frage auf, wie Timaios die einzelnen Formen zu identifizieren gedenkt. Denn der Weg, sie mit Ausdrücken der Form »Das, was der Prädikat-Term ›Φ‹ bezeichnet« oder »Das, was der verallgemeinernd gebrauchte Term ›ὁ/ἡ/τὸ Φ‹ bezeichnet« zu identifizieren, ist ihm nun versperrt. Auch die zur Identifikation konkreter Dinge gebrauchten sortalen Terme scheinen für die Identifikation der von Timaios postulierten zeitlos existierenden Gegenstände ungeeignet zu sein, da diese Terme nicht – oder jedenfalls nicht so, wie wir sie normalerweise verwenden – auf zeitlos existierende Gegenstände angewandt werden können, ohne daß darin die Negation ihrer zeitlosen Existenz impliziert ist. Ein zeitlos existierender Gegenstand kann z. B. nicht als Lebewesen in dem Sinne klassifiziert werden, in dem die Welt als mit Seele und Körper ausgestattetes Lebewesen klassifiziert wird; denn mit Körper und Seele können nur räumlich ausgedehnte und in der Zeit existierende Gegenstände ausgestattet sein. Genausowenig kann ein abstrakter Gegenstand als Feuerteilchen in dem Sinne klassifiziert werden, in dem die konkreten Feuercorpuscula als räumlich ausgedehnte Feuerteilchen klassifiziert werden; denn als abstrakter Gegenstand ist er wesentlich nicht räumlich ausgedehnt. Nun wendet aber Timaios eben diese Terme, »ein Lebewesen« und »Feuer«, auf die Formen an, und es fragt sich daher, was in seiner Sicht die Anwendung des Terms »Feuer« auf einen zeitlos existierenden Gegenstand, die Form des Feuers, und die Anwendung des Terms »ein Lebewesen« auf einen anderen zeitlos existierenden Gegenstand, die Form des Lebewesens, rechtfertigen könnte. Offensichtlich kommt dafür nur die Relation in Frage, in der der zeitlos existierende Gegenstand zu den konkreten Gegenständen, die mit den entsprechenden Termen üblicherweise charakterisiert werden, steht. Nun handelt es sich dabei nach Timaios in beiden Fällen um eine Relation von Vorbild und Abbild derart, daß das Abbild dem Vorbild ähnlich ist. Zu fragen ist also, (i) welche Natur der Form des Feuers zuzuschreiben ist, die erklärt, daß die Form, obgleich sie ein zeitlos existierender Gegenstand ist, das Vorbild der konkreten Feuerteilchen derart ist, daß diese ihr ähnlich sind, und (ii) welche Natur der Form des Lebewesens zuzuschreiben ist, die erklärt, daß die Form, obgleich sie ein zeitlos existierender Gegenstand ist, das Vorbild der Welt derart ist, daß diese ihr ähnlich ist.
Eine Untersuchung zum Timaios
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4.4.2 Zur Natur des Feuers selbst Die Zuordnung der Elementarteilchen zu den geometrischen regelmäßigen Körpern (55d6-56b6) hat nicht nur den Zweck, eine Erklärung der Transformation zumindest von drei Elementen (Feuer, Luft, Wasser) ineinander zu ermöglichen (54b5-d3, 56c8-57c6), sondern scheint auch gewährleisten zu sollen, daß die Elementarkörper eben aufgrund ihrer geometrischen Gestalt einem abstrakten Individuum ähnlich sind, nämlich der Formzahl, die die geometrische Gestalt definiert. Demzufolge handelt es sich bei der Form des Feuers um eine Formzahl, der die Feuercorpuscula dadurch ähnlich sind, daß sie die von der Zahl definierte Tetraeder-Gestalt besitzen.142 Nun kann von einer Ähnlichkeit zwischen der Formzahl und der geometrischen Figur nur dann die Rede sein, wenn die Formzahl selbst eine zählbare Menge von Einheiten ist, und da Platon den aristotelischen Zeugnissen zufolge143 die Formzahlen genau so konzipiert zu haben scheint, nämlich als Kongregationen von Einheiten (μονάδες), können wir annehmen, daß es sich bei der Form des Feuers um eine zählbare Menge abstrakter Einheiten handelt. Für diese Identifikation spricht nicht nur, daß sie der einzige gangbare Weg zu sein scheint, die Abstraktheit der Form mit ihrer Ähnlichkeit mit den konkreten Feuerteilchen zusammenzudenken, sondern auch der Umstand, daß Platon mit Timaios einen pythagoreisch beeinflußten Denker darstellt und die These der Ähnlichkeit zwischen konkreten Dingen und Zahlen als genuin pythagoreische These gelten kann.144 Die Behauptung, daß die Feuerteilchen aufgrund ihrer Tetraeder-Gestalt der Form des Feuers ähnlich seien, schließt die These ein, daß sie diese Gestalt bereits vor dem Eingriff des Demiurgen in das präkosmische Chaos besitzen. Timaios betont nämlich, daß es bereits vor der Konstitution des Himmels durch den Demiurgen (καὶ πρὶν οὐρανὸν γενέσθαι, vgl. 52d4145) diese drei Arten von Entitäten gebe: ὄν, χώρα und γένεσις (52d3f.) und die Entitäten der dritten Art den gleichnamigen der ersten Art bereits zu diesem Zeitpunkt ähnlich seien (52a5). Allerdings steht die These, daß die Elementarteilchen ihre geometrische Gestalt bereits vor dem Eingriff des Demiurgen in das präkosmische Chaos 142 Morrows These »The mathematical tetrahedron is the model of which fire particles are imitations« (Morrow, S. 28) scheint mir also in dem Sinne zu modifizieren zu sein, daß eine bestimmte Formzahl das Paradigma für die Tetraeder-Gestalt der Feuerteilchen ist. 143 Vgl. zur Würdigung dieser Zeugnisse Annas, Aristotle’s Metaphysics Books M and N, S. 13-19 und Burnyeat, S. 234-236. 144 Vgl. Arist. Metaph. Α5, 985b26-986a3; Α6, 987b11f. 145 Diese Phase wird auch als Zeit der Abwesenheit des Gottes beschrieben: »[...] ὥσπερ εἰκὸς ἔχειν ἅπαν ὅταν ἀπῇ τινος θεός [...]« (53b3f.).
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besitzen, im Konflikt mit der in einer bestimmten Deutung der Zeilen 53b4f. gründenden communis opinio, daß erst der Demiurg den Elementarteilchen ihre geometrische Gestalt verleihe.146 Ich muß also, wenn meine Erklärung der Ähnlichkeit zwischen den Elementarteilchen und ihren Formen haltbar sein soll, nachweisen, daß die communis opinio falsch ist. Diesen Nachweis will ich im folgenden erbringen. In 47e3f. stellt Timaios fest, daß seine bisherigen Ausführungen außer kurzen Stücken die mit Vernunft gestalteten Dinge aufgewiesen hätten; man müsse jedoch auch die mit Notwendigkeit entstehenden Dinge in die Darstellung einbeziehen.147 Worum handelt es sich bei den mit Notwendigkeit entstehenden Dingen? Dies sagt Timaios in 48b3-5, wo er den Gegenstand der folgenden Betrachtung spezifiziert: es gelte, die Natur von Feuer, Wasser, Luft und Erde vor der Entstehung des Himmels und ihre vorherigen Eigenschaften zu betrachten.148 Bisher habe nämlich, so fügt er in b5-c2 erklärend hinzu, noch niemand ihre Konstitution dargetan, sondern ganz so, als wisse man, was Feuer und jedes der Elemente ist, nenne man sie »Prinzipien« und setze sie als Elemente des Alls an, obgleich sie es verdienten, von einem auch nur ein wenig vernünftigen Menschen nicht einmal mit Silben verglichen zu werden (Timaios spielt hier mit der Doppelbedeutung des Ausdrucks »στοιχεῖον«, »Element« und »Buchstabe«).149 Aus dieser Ankündigung des weiteren Procedere geht unmißverständlich hervor, daß Timaios im folgenden die Natur von Feuer, Wasser, Luft und Erde und ihre Eigenschaften vor der Entstehung des Himmels (πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως) betrachten möchte, und zwar so, daß er ihre Konstitution (γένεσις αὐτῶν) aus einfacheren Bestandteilen darstellt. Die Ankündigung wirft allerdings zwei Fragen auf. Erstens: Auf welchen Abschnitt der von seiner kosmologischen Erzählung umspannten Zeit bezieht sich Timaios mit dem Ausdruck »πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως«? Zweitens: Was ist mit der Konstitution der Elemente gemeint, in deren Darstellung die Betrachtung ihrer Natur πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως bestehen soll? 146 Allein Robin (S. 243f., S. 271f.) und Gadamer (S. 257-266) scheinen diese Auffassung in Frage gestellt zu haben (vgl. Karfik, S. 158f. Anm. 13). Eine Annäherung an Robins und Gadamers These unter Beibehaltung der communis opinio ist bei Gill zu erkennen: sie spricht zwar, der geläufigen Deutung folgend, von »the deity’s construction of physical bodies« (Gill, S. 48), schreibt aber Timaios die These zu, daß bereits im präkosmischen Zustand zufälligerweise Präfigurationen der von der Gottheit geometrisch gestalteten Körper aufträten (vgl. Gill, S. 52). 147 »Τὰ μὲν οὖν παρεληλυθότα τῶν εἰρημένων πλὴν βραχέων ἐπιδέδεικται τὰ διὰ νοῦ δεδημιουργημένα· δεῖ δὲ καὶ τὰ δι’ ἀνάγκης γιγνόμενα τῷ λόγῳ παραθέσθαι.« 148 »τὴν δὴ πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως πυρὸς ὕδατός τε καὶ ἀέρος καὶ γῆς φύσιν θεατέον αὐτὴν καὶ τὰ πρὸ τούτου πάθη.« 149 »νῦν γὰρ οὐδείς πω γένεσιν αὐτῶν μεμήνυκεν, ἀλλ’ ὡς εἰδόσιν πῦρ ὅτι ποτέ ἐστιν καὶ ἕκαστον αὐτῶν λέγομεν ἀρχὰς αὐτὰ τιθέμενοι στοιχεῖα τοῦ παντός, προσῆκον αὐτοῖς οὐδ’ ἂν ὡς ἐν συλλαβῆς εἴδεσιν μόνον εἰκότως ὑπὸ τοῦ καὶ βραχὺ φρονοῦντος ἀπεικασθῆναι.«
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Zur ersten Frage: Die Phase πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως ist offenbar identisch mit der Zeit vor der Intervention des Demiurgen. Timaios gebraucht ja den Ausdruck »οὐρανός« im Sinne von »κόσμος« (vgl. 28b2-4), und es ist der κόσμος, der mit dem Eingriff des Demiurgen in das anfängliche Chaos zu entstehen beginnt. Versteht man die Erzählung von der Intervention des Demiurgen nicht wörtlich,150 sondern als erzähltechnisch motiviertes Mittel, die in Einsicht (νοῦς) und die in Notwendigkeit (ἀνάγκη) gründenden Anteile der Weltkonstitution getrennt voneinander zur Darstellung zu bringen, so kann man sagen, daß es sich bei der von Timaios angekündigten Betrachtung der Natur der Elemente πρὸ τῆς οὐρανοῦ γενέσεως um eine Erklärung ihrer Natur derart handelt, daß dabei nur das Wirken der Notwendigkeit, kein zweckmäßiges Handeln eines mit Einsicht ausgestatteten Wesens, vorausgesetzt ist. Nun soll diese Erklärung gemäß der Erläuterung in 48b5-c2 (vgl. »γάρ«) eine Darstellung der Konstitution der Elemente aus einfacheren Bestandteilen sein. Dies führt uns zur zweiten Frage: Was ist mit der Darstellung der Konstitution aus einfacheren Bestandteilen gemeint? Es liegt auf der Hand, daß sich Timaios damit auf die in 53b7-c3 nochmals angekündigte, in 53c4 einsetzende geometrische Erklärung der γένεσις (53b8, e3) der Elemente bezieht, d. h. auf (i) die Zuordnung der Elemente zu den vier regelmäßigen Körpern, deren Gestalt die Elementarteilchen haben (55d6-56b6),151 (ii) die Zusammensetzung der Elementarteilchen aus gleichen Flächen, (iii) die Zusammensetzung dieser Flächen aus den Elementardreiecken152 (beides, (ii) und (iii), erfolgt zusammen in 54d3-55c4) und (iv) die bloß angedeutete Zurückführung der Elementardreiecke auf noch höhere Prinzipien (53d6f.). Sieht man von letzterer ab, so kann man den Buchstaben-Vergleich, auf den Timaios in 48b8-c2 anspielt, mit Taylor (S. 308) derart interpretieren, daß die Elementardreiecke Buchstaben, die Flächen Silben, die Elementarteilchen Wörtern und die sichtbaren Elemente Satzeinheiten entsprechen. Wenn nun laut 48b5-c2 die in 48b3-5 geforderte Betrachtung der Natur (φύσις) der Elemente, die sie bereits vor der Entstehung des Himmels haben, in der Erklärung der Konstitution (γένεσις) der Elemente besteht und diese mit der in 53c4 einsetzenden geometrischen Erklärung ihrer Konstitution identisch ist, so ist es klar, daß mit der Natur der Elemente, von der in 48b4 (wie dann wieder in 53e8) die Rede ist, die geometrische Gestalt der Elementarteilchen gemeint ist (aus der sich ja auch die in 48b5 angesprochenen πάθη erklären lassen, die mit den ab 61c4 thematischen παθήματα 150 Vgl. zu den Schwierigkeiten eines wörtlichen Verständnisses Baltes, Γέγονεν, S. 314-319. 151 So ist in 56b4f. von der Pyramide als »πυρὸς στοιχεῖον καὶ σπέρμα« die Rede. 152 Vgl. zur Bezeichnung der Elementardreiecke als »στοιχεῖα« und »ἀρχαί« 53d4, 54d6, 55a8, b4, e3f.
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identisch sind). Wenn sie aber als Natur der Elemente vor der Entstehung des Himmels bezeichnet wird, so ist es auch klar, daß die Corpuscula ihre geometrische Gestalt bereits vor der Intervention des Demiurgen besitzen und das Zusammentreten der Elementardreiecke zu den nach regelmäßigen Körpern gestalteten Corpuscula auf das Wirken der Notwendigkeit zurückzuführen ist. Die Corpuscula sind also bereits in der präkosmischen Phase dank ihrer geometrischen Gestalt einer bestimmten Formzahl ähnlich. So verwundert es nicht, daß vom Demiurgen weder bei der Zuordnung der Elemente zu den regelmäßigen Körpern noch bei der Zusammensetzung der regelmäßigen Körper und ihrer Flächen aus den Elementardreiecken die Rede ist.153 Was die Zusammensetzung der regelmäßigen Körper betrifft, so wird den Bausteinen selbst, den Elementardreiecken und den Flächen, die konstituierende Leistung zugeschrieben (vgl. 55a1, a6, b4f., c1, 57d1). Was die Zuteilung der Elemente zu den regelmäßigen Körpern betrifft, so kann man sich sicher sein, daß Timaios den Demiurgen die Zuteilung vornehmen lassen würde, wenn er glaubte, daß die geometrische Gestalt der Teilchen zu den mit Vernunft gestalteten Dingen gehört: »Der Erde gab er die Würfelform«, »Dem Wasser gab er die unbeweglichste der übrigen Formen« usw. (vgl. die Ausstattung des Weltkörpers mit der Kugelform in 33b1f.154). So stellt Timaios die Dinge aber in der betreffenden Passage 55d6-56b6 nicht dar; stattdessen betont er die Notwendigkeit (ἀνάγκη), mit der die Zuordnung erfolge (55e2, e7, 56a7). Erst im Anschluß an die Zuteilung der regelmäßigen Körper ist kurz vom Gott die Rede (56c3-7), und zwar zur Erklärung der (nicht näher beschriebenen) proportionalen Einrichtung der Mengen (πλήθη), Bewegungen (κινήσεις) und übrigen Vermögen (δυνάμεις) der Elementarteilchen, d. h. der Gestaltung ihrer sichtbaren ὄγκοι (56c2), und es ist eben diese Ordnungsleistung, die im Rekurs auf 48a2-5 als Überredung der Notwendigkeit durch den Gott beschrieben wird (56c5f.).155 Es verwundert schließlich auch nicht, daß Timaios erst nach Abschluß der Betrachtung der Natur und der Eigenschaften der Elemente in 68e1-6 auf den Demiurgen zurückkommt, und zwar mit der zu den Werken der Vernunft zurückleitenden Bemerkung, daß der Demiurg all diese Dinge, die auf solche – zuvor dargestellte – Weise mit Notwendigkeit (δι’ ἀνάγκης) entstanden seien, übernommen habe (παρελάμβανεν 68e3), als er daran ging, die Welt zu erzeugen. Timaios könnte kaum deutlicher machen, daß 153 Gadamer (S. 257) sagt zurecht: »[...] der Gott ist nicht bei der geometrischen Konstitution der Elemente beteiligt« (im Original kursiv). 154 »σχῆμα δὲ ἔδωκεν αὐτῷ τὸ πρέπον καὶ τὸ συγγενές.« 155 »καὶ δὴ καὶ τὸ τῶν ἀναλογιῶν περί τε τὰ πλήθη καὶ τὰς κινήσεις καὶ τὰς ἄλλας δυνάμεις πανταχῇ τὸν θεόν, ὅπῃπερ ἡ τῆς ἀνάγκης ἑκοῦσα πεισθεῖσά τε φύσις ὑπεῖκεν, ταύτῃ πάντῃ δι’ ἀκριβείας ἀποτελεσθεισῶν ὑπ’ αὐτοῦ συνηρμόσθαι ταῦτα ἀνὰ λόγον.«
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in der vorhergehenden Erklärung der Natur und der Eigenschaften der Elemente, einschließlich ihrer geometrischen Konstitution, der Demiurg keine Rolle gespielt hat.156 Gewiß, Timaios sagt auch, daß vor dem Eingriff des Demiurgen bloß Spuren (ἴχνη) von Feuer, Wasser, Erde und Luft vorhanden gewesen seien (53b1-5157), ja daß Feuer, Wasser usw. noch gar nicht diese Bezeichnungen verdient gehabt hätten (69b6-8158). Es ist freilich klar, daß er sich mit dem Ausdruck »τῶν νῦν ὀνομαζομένων« (69b7) auf die vom Demiurgen geordneten ὄγκοι der Elementarteilchen bezieht, die nur deshalb, weil sie – anders als die Elementarteilchen selbst (56b7-c3) – sichtbar sind, als »Feuer«, »Wasser« usw. bezeichnet werden können. Die mangelnde Ordnung dieser ὄγκοι ist also dafür verantwortlich zu machen, daß im präkosmischen Zustand nur Spuren davon festzustellen sind, was nun als »Feuer«, »Wasser« usw. bezeichnet wird. Mit den präkosmischen Spuren von Feuer, Wasser usw. sind somit nicht noch nicht geometrisch gestaltete Elementarteilchen, sondern noch ungeordnete Massen geometrisch strukturierter Elementarteilchen gemeint. Daher ist auch die Bemerkung in 53b4f., auf die sich die These von der geometrischen Gestaltung der Elementarteilchen durch den Gott vornehmlich stützt, die Aussage, daß er die Spuren »mit Formen und Zahlen gestaltet«159 habe, so zu verstehen, daß der Gott die Ballungen der Elementarteilchen mit Formen und Zahlen derart gestaltet habe, daß sie nun als Feuer, Wasser usw. wahrgenommen und bezeichnet werden können.160 156 Vgl. Gadamer, S. 266: »Die die Darstellung der Ananke abschließende Reflexion ist [...] von aller wünschenswerten Klarheit: der Demiurg übernimmt die Produkte der Ananke für seine Erstellung des Weltalls (παρελάμβανεν 68 e3), bedient sich ihrer, aber das ›gut‹ kommt in allem Geschehen von ihm (τὰ γιγνόμενα heißt es jetzt wieder (wie 29) 68 e2, e5). Offenkundig muß man die ganze vorangegangene Darstellung des meterologischen Prozesses, der sich selbst in beständigem Gang hält, zu den Wirkungen der Ananke zählen (vgl. etwa 58 c).« 157 »ὅτε δ’ ἐπεχειρεῖτο κοσμεῖσθαι τὸ πᾶν, πῦρ πρῶτον καὶ ὕδωρ καὶ γῆν καὶ ἀέρα, ἴχνη μὲν ἔχοντα αὑτῶν ἄττα, παντάπασί γε μὴν διακείμενα ὥσπερ εἰκὸς ἔχειν ἅπαν ὅταν ἀπῇ τινος θεός, οὕτω δὴ τότε πεφυκότα ταῦτα πρῶτον διεσχηματίσατο εἴδεσί τε καὶ ἀριθμοῖς«. 158 »οὔτε τὸ παράπαν ὀνομάσαι τῶν νῦν ὀνομαζομένων ἀξιόλογον ἦν οὐδέν, οἷον πῦρ καὶ ὕδωρ καὶ εἴ τι τῶν ἄλλων«. 159 »[...] διεσχηματίσατο εἴδεσί τε καὶ ἀριθμοῖς«. Karfik (S. 159 Anm. 13) erklärt zur Stelle, sie sei ein »hinreichendes Argument gegen die von Robin und Gadamer vorgebrachte These«. Ein solches Argument ließe sich aus ihr jedoch nur dann gewinnen, wenn mit den ἴχνη Spuren der geometrisch strukturierten Elementarteilchen und nicht Spuren der vom Gott gestalteten ὄγκοι der Elementarteilchen gemeint wären, und diese Voraussetzung ist gerade nicht erfüllt. 160 Sayre (S. 64) wendet sich gegen das Verständnis der ἴχνη als Andeutungen zukünftiger, erst vom Demiurgen herzustellender Ordnungsstrukturen mit dem merkwürdigen Argument: »[...] a trace (like a footprint) is something that follows«. Merkwürdig ist das Argument deshalb, da es keinen Grund für die Annahme gibt, daß der Ausdruck »ἴχνη« nicht so verwendet werden kann wie der Ausdruck »Spuren« in dem Satz »Es waren zunächst nur Spuren von Feuer, Wasser usw. erkennbar«, in dem »Spuren« soviel bedeutet wie »Andeutungen«.
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Die Ungereimtheiten der Annahme, daß erst der Demiurg die Elementarteilchen mit ihrer geometrischen Gestalt versehe, sind im übrigen beträchtlich. Eine Reihe von ihnen hat K. Sayre zur Sprache gebracht,161 freilich nicht um zu zeigen, daß wir gut daran tun, Timaios die Annahme nicht zuzuschreiben, sondern um zu zeigen, daß Timaios’ Konzeption der dritten Gattung des Raums in verschiedenen Punkten inkohärent sei. Sayres Hinweise auf diese Ungereimtheiten sind wertvoll, wiewohl sie ihren Zweck verfehlen, da die Schwierigkeiten eben nicht auf Timaios’ Rechnung gehen, sondern auf die Rechnung der These, daß Timaios der Ansicht sei, daß der Demiurg den Elementarteilchen ihre geometrische Gestalt verleihe.162 Die größte Schwierigkeit scheint mir folgende zu sein.163 Nehmen wir an, daß z. B. die Feuercorpuscula im präkosmischen Zustand noch nicht über ihre Tetraeder-Gestalt verfügen, jedoch eben diese Gestalt ihre Natur ausmacht, die erklärt, warum sie sich so und so verhalten. Da nun die konkreten Feuercorpuscula nur dann dem Feuer selbst darin, daß sie Feuercorpuscula sind, ähnlich sind, sofern sie über die Eigenschaften verfügen, die die Natur von Feuercorpuscula ausmachen, so ist es nicht möglich, eine präkosmische Ähnlichkeit zwischen den Feuercorpuscula und dem Feuer selbst festzustellen.164 Doch wird genau diese Ähnlichkeit von Timaios behauptet. Mithin ist es klar, daß die Corpuscula entweder bereits in der präkosmischen Phase über die für ihre Natur konstitutive Tetraeder-Gestalt verfügen oder ihre Natur nicht in ihrer Tetraeder-Gestalt besteht. Da mit der geometrischen Analyse der Elementarkörper ihre Natur erklärt werden soll (vgl. 53e6-8), ist zu folgern, daß sie bereits in der präkosmischen Phase ihre geometrische Gestalt besitzen.
4.4.3 Zur Natur des Lebewesens selbst Wie bei den Formen der Elemente erhebt sich auch beim Lebewesen selbst (τὸ ὅ ἐστιν ζῷον, vgl. 39e8) die Frage, welche Natur ihm zuzuschreiben ist, derart, daß es einerseits ein zeitlos existierender Gegenstand, andererseits das Vorbild für die Welt ist, dem diese qua Lebewesen ähnlich ist. Soll die zeitlose Existenz der Form nicht gefährdet werden, so kann der Grund für die Ähnlichkeit nicht darin liegen, daß die Form ein Lebewesen in dem Sinne ist, wie wir den Term »ein Lebewesen« normalerweise verwenden, 161 Vgl. Sayre, S. 66-69. 162 Sayre (S. 64) setzt sie aufgrund des in Anm. 159 kritisierten traditionellen Mißverständnisses von 53b4f. voraus. 163 Vgl. Sayre, S. 67f. 164 In Sayres Worten: »The upshot is that the Form of Fire itself is unable to provide the distinctive features that characterize its instances in a rationally ordered universe.« (Sayre, S. 68)
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d. h. ein beseeltes Wesen.165 Denn beseelte Wesen existieren in Raum und Zeit. Worin gründet aber dann die Ähnlichkeit zwischen der Welt qua Lebewesen und ihrem intelligiblen Vorbild?
4.4.3.1 Das Lebewesen selbst: ein zeitlos existierendes lebendiges Wesen? Einen ersten Ansatzpunkt zur Beantwortung dieser Frage mag man in der Annahme sehen, daß die Ähnlichkeit in beider Lebendigkeit gründe und daß es Arten der Lebendigkeit gebe, die nicht daran gebunden seien, ein beseeltes Wesen zu sein, sondern auch von zeitlos existierenden Entitäten exemplifiziert werden könnten. Insbesondere mag man an den aristotelischen Unbewegten Beweger – zwar kein zeitlos, aber doch fortwährend existierendes Wesen – denken, den Aristoteles als »ζῷον ἀίδιον ἄριστον« bezeichnet (Metaph. Λ7, 1072b29), jedoch nicht als beseelt charakterisiert und dem er die Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein, aufgrund seiner Denktätigkeit, die eine Art Lebendigkeit sei,166 zuschreibt.167 Gibt es im Timaios Indizien für das Postulat eines vergleichbaren zeitlos existierenden denktätigen und insofern lebendigen Wesens? Nun, die Beschreibung scheint ganz genau auf den göttlichen Baumeister der Welt168 zu passen, der einerseits als »ὢν ἀεὶ θεός« (34a8), ja sogar – nach der plausibelsten Konstruktion der syntaktisch vieldeutigen Stelle169 – »τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων ὁ ἄριστος« (37a1) gerühmt, andererseits als denktätig charakterisiert wird.170 Freilich gilt es zu beachten, daß ihm nicht nur Denktätigkeiten, sondern auch Emotionen wie Bewunderung und Freude,171 Willensakte172 und sogar Sprechakte173 zugeschrieben werden. Da ein 165 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 303. 166 Vgl. Metaph. Λ7, 1072b26f.: »ἡ γὰρ νοῦ ἐνέργεια ζωή«. 167 Zu Aristoteles’ Gründen für die Charakterisierung der Tätigkeit des Unbewegten Bewegers als Denktätigkeit vgl. deFilippo, S. 404-409. 168 Zu den verschiedenen Möglichkeiten, den Demiurgen zu deuten, vgl. Karfik, S. 130-133. 169 Vgl. Karfik, S. 120-123. Der Bezug der Genitive »τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων« ist unklar: Man kann sie nicht nur – wie oben vorausgesetzt – als partitive Genitive auf das folgende »τοῦ ἀρίστου« beziehen, sondern auch zu dem voraufgehenden Ausdruck »λογισμοῦ δὲ μετέχουσα καὶ ἁρμονίας ψυχή« ziehen, sei es als objektive Genitive zu »λογισμοῦ«, sei es als subjektive Genitive oder Appositionen zu »λογισμοῦ [...] καὶ ἁρμονίας«. Der mit der Lesart als partitive Genitive hergestellte Kontrast zwischen »τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων [...] τοῦ ἀρίστου« und »ἀρίστη [...] γεννηθέντων« scheint mir entschieden für diese Lesart zu sprechen. 170 Vgl. z. B. 30b1, b4, c1, 32c8, 33a3, a6, b7, d1, d4, 34a8f., 36d8, 37c6, c8, d5, 38c3f., 39e9. Offenbar weil der Demiurg sowohl als immer seiend als auch als denktätig beschrieben wird, bemerkt Baltes (Γέγονεν, S. 309): »Wenn der Demiurg, was nicht bezweifelt werden kann (meine Hervorhebung, BS), ein νοητὸν ζῷον ist [...]«. 171 Vgl. 37c7: »ἠγάσθη«, »εὐφρανθείς«. 172 Vgl. 29e3: »ἐβουλήθη«. 173 Vgl. 41a5: »λέγει«, 41d4: »εἶπε«.
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zeitlos existierendes Wesen schwerlich diese Tätigkeiten ausführen kann, dürften die entsprechenden Aussagen nicht wörtlich zu verstehen, sondern mit der mythischen Darstellungsform zu erklären sein. Dann erhebt sich aber die Frage, ob auch die Zuschreibungen der Denkakte auf die mythische Darstellung zurückzuführen sind. Für eine positive Antwort auf diese Frage spricht folgende Überlegung. Statt vom Demiurgen ist mehrfach vom »νοῦς« die Rede (39e7, 47e4, 48a1f.). Nun heißt es in 46d5f., daß es allein der Seele zukomme, νοῦς zu erwerben: »τῶν γὰρ ὄντων ᾧ νοῦν μόνῳ κτᾶσθαι προσήκει, λεκτέον ψυχήν [...]«.174 Timaios verwendet hier – wie an zahlreichen weiteren Stellen175 – den Ausdruck »νοῦς« im Sinne von »φρόνησις« zur Bezeichnung der Einsicht, die eine Seele als Tugend erwerben kann.176 (Man beachte, daß er ihn nicht im Sinne von »mens«177 oder »Geist«178 verwendet, wie zuweilen übersetzt wird.) Dies legt die Annahme nahe, daß der Demiurg das literarische Symbol für die Gedanken ist, die die Inhalte der einsichtsvollen Denkakte einer höchst vernünftigen Seele – nämlich der Weltseele179 – sind und von denen sie sich in ihrem Handeln derart bestimmen läßt, daß man den Gedanken selbst eine durch die Tätigkeit der Weltseele vermittelte180 demiurgische Wirksamkeit zuschreiben kann.181 Diese Gedanken dürfen allerdings nicht mit den in 37c1-3 beschriebenen kognitiven Akten der Weltseele verwechselt werden; vielmehr handelt es 174 Vgl. auch 30b3 und 37c3-5. 175 Z. B. 30b2-4, 34a2, 37c2, 46e4, 51e5f., 92c2. 176 Vgl. Menn, S. 15f. mit zahlreichen Belegen aus den Dialogen (vor allem Lg. X, 897b1-4). 177 Vgl. z. B. Calcidius’ Übersetzung von »νοῦς« 39e7 mit »mens« (32.18). 178 Vgl. z. B. Halfwassen, S. 49: »Nun ist der Demiurg für Platon ganz zweifellos Geist (Tim. 36 d 8) [...]«. (In 36d8 bedeutet »κατὰ νοῦν« »pro uoluntate« [Calcidius 29.1].) 179 Deren Umläufe geradezu als »αἱ ἐν οὐρανῷ τοῦ νοῦ περίοδοι« (47b7) bezeichnet werden. 180 Die Gestaltung der Körper, die der Demiurg und die ihm untergeordneten Götter im Timaios leisten, wird im zehnten Buch der Nomoi und in der Epinomis auf seelische Tätigkeit zurückgeführt (vgl. Lg. X, 896e8-897b1, Epin. 981b7f., 984b6-d2). – Es mag eingewandt werden, daß das Gesamt der Produkte des Demiurgen mehr umfasse als das, was sinnvollerweise auf Tätigkeiten der Weltseele zurückgeführt werden kann – insbesondere die Weltseele selbst. Inwiefern kann sie als ein διὰ νοῦ δεδημιουργημένον (vgl. 47e4) charakterisiert werden, wenn mit den διὰ νοῦ δεδημιουργημένα Produkte einer mit Vernunft agierenden Seele gemeint sind? In der Tat lassen sich die Mischung und die harmonische Einteilung des ›Seelenstoffs‹ nicht wörtlich als ihr eigenes Werk verstehen; bedenken wir aber, daß der ›Seelenstoff‹ in die Bewegungskreise des Selben und des Verschiedenen eingeteilt wird, d. h. mit den Bewegungen der Weltseele identisch ist, so können wir verstehen, daß Timaios die Essenz der Weltseele – ihre Bewegung – indirekt als ihr eigenes, vernunftgeleitetes Werk charakterisiert (vgl. die Definition der Seele als sich selbst bewegende Bewegung Lg. X, 896a1-5 und zum Konflikt zwischen der These der Selbstbewegung der Weltseele und der Erzählung ihrer Herstellung durch den Demiurgen Tarán, The Creation Myth, S. 309-314). 181 Vgl. die aufschlußreiche Formulierung in 34a8-b3: »Οὗτος δὴ πᾶς ὄντος ἀεὶ λογισμὸς θεοῦ περὶ τὸν ποτὲ ἐσόμενον θεὸν λογισθεὶς λεῖον καὶ ὁμαλὸν πανταχῇ τε ἐκ μέσου ἴσον καὶ ὅλον καὶ τέλεον ἐκ τελέων σωμάτων σῶμα ἐποίησεν«.
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sich um ihre Gehalte, die von ihnen u. a. darin unterschieden sind, daß sie nicht in Raum und Zeit lokalisiert werden können. Dies erklärt auch, warum der Demiurg in 34a8 als »ὢν ἀεὶ θεός« bezeichnet, d. h. der Klasse der zeitlos existierenden Gegenstände zugerechnet wird. So gesehen ist es legitim, von der Transzendenz des Demiurgen gegenüber der Weltseele zu sprechen,182 und zwar in der Hinsicht, daß die Gehalte der vernunftgemäßen Kognitionen der Weltseele gegenüber den Kognitionen selbst transzendent sind.183 Setzen wir ferner voraus, daß die Grenze zwischen Gedanken und ihren Gegenständen im Timaios nicht so klar gezogen wird, wie dies in späterer Zeit der Fall ist, so können wir annehmen, daß Timaios die Gehalte der vernunftbestimmten Kognitionen der Weltseele mit den Formen, auf die sie sich in ebendiesen Kognitionen bezieht, gleichsetzt. Dies macht verständlich, warum der Demiurg – das literarische Symbol für die Gehalte der vernunftgemäßen Kognitionen der Weltseele, die ihr Handeln bestimmen – in der Bezeichnung als »τῶν νοητῶν ἀεί τε ὄντων ὁ ἄριστος« beiläufig mit dem Paradigma der Welt, dem Lebewesen selbst, identifiziert wird.184 Die Pointe der Doppelbeschreibung des Lebewesens selbst als Paradigma und als Demiurg liegt darin, daß es mit der ersten Beschreibung als das dargestellt wird, als was es die vernünftige Weltseele, die sich von ihm in ihrem Handeln bestimmen läßt, erfaßt, mit der zweiten Beschreibung dagegen so, wie es vermittels des Handelns der Weltseele wirksam ist. Wenn diese Deutung des Demiurgen und seines Verhältnisses zum Paradigma einerseits, zur Weltseele andererseits zutreffend ist, so dürfen wir seine Charakterisierung als denktätiges Wesen ebensowenig wie die als empfindendes, wollendes und sprechendes Wesen wörtlich verstehen, sondern müssen sie auf die Wahl der mythischen Darstellungsform zurückführen. Wir haben damit auch keinen Anlaß zur Vermutung, daß Timaios ein zeitlos existierendes denktätiges Wesen postuliere, das er mit Blick auf seine Denktätigkeit als Lebewesen einstufe. Und da außer der Denktätigkeit keine andere Tätigkeit auszumachen ist, in der die Lebendigkeit einer zeitlos existierenden Entität gründen könnte, scheint die Ähnlichkeit zwischen 182 Pace Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 606-610. 183 Zurückzuweisen sind aber Deutungen, die die Vernunft (νοῦς) der Weltseele zu einer ihr gegenüber selbständigen Entität, an der sie teilhabe, hypostasieren und sie im zweiten Schritt mit dem Demiurgen identifizieren (Deutungen dieser Art finden sich in der neueren Literatur bei Menn, S. 19-24 und Karfik, S. 199-201; letzterer läßt die Tendenz seiner Deutung bereits durch die Wahl des Mottos, Proklos in Ti. 1.403.23-28, erkennen). Es genügt, gegen die Hypostasierung des νοῦς der Weltseele auf 37c2f. hinzuweisen, wo von der Hervorbringung des νοῦς der Weltseele die Rede ist (»νοῦς ἐπιστήμη τε ἐξ ἀνάγκης ἀποτελεῖται«). Die Bezeichnung des Demiurgen als »νοῦς« erklärt sich daraus, daß er das literarische Symbol für die Gedanken ist, in denen sich die Einsicht der Weltseele ausspricht. 184 Darauf macht Baltes (Γέγονεν, S. 309) aufmerksam.
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dem Lebewesen selbst und der Welt qua Lebewesen nicht damit erklärt werden zu können, daß auch ersteres ein lebendiges Wesen ist.
4.4.3.2 Das Lebewesen selbst: die Dekade Die Erklärung, die ich im folgenden vorschlagen möchte, nimmt ihren Ausgangspunkt von der Art und Weise, wie Timaios die Ähnlichkeit zwischen den Elementen und ihren Formen mit der zeitlosen Existenz der Formen zusammendenkt, d. h. von der pythagoreisch beeinflußten Zurückführung des Elementseins auf eine quantitative Bestimmtheit, die die Ähnlichkeit der konkreten Elementarteilchen mit einer bestimmten Formzahl begründet. Unterstellen wir bei der Bestimmung der Natur des Lebewesens selbst eine entsprechende Strategie, so ist zu fragen, ob auch das Lebewesen selbst mit einer bestimmten Formzahl identifiziert werden kann. Es liegt auf der Hand, daß diese Identifikation nicht so einfach vonstatten gehen kann wie die Identifikation der Formen der Elemente mit bestimmten Formzahlen. Denn bereits ein gewöhnliches Lebewesen – von dem Lebewesen, das die Welt ist, ganz zu schweigen – ist ungleich komplexer aufgebaut als ein Elementarkörper. Die Eigenschaft, ein Feuercorpusculum zu sein, mag plausiblerweise mit der Eigenschaft identifiziert werden, ein Körper von pyramidaler Gestalt zu sein, und so die Ähnlichkeit mit der Formzahl begründen, die das Tetraeder definiert. Aber die Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein, kann gewiß nicht mit dem Besitz einer bestimmten geometrischen Figur identifiziert werden und auf diese Weise die Ähnlichkeit mit einer bestimmten Formzahl begründen. Vielmehr ist es ein komplexes System diverser Zahlproportionen (ἀναλογίαι 31c3, 32c2, 56c3, συμμετρίαι 69b4), die bei der Einrichtung des Körpers und der Seele des Weltlebewesens zur Anwendung kommen. Diese Feststellung gilt bereits für die anfängliche Gestaltung der unstrukturierten Massen von Elementarteilchen mit Formen und Zahlen (εἴδεσί τε καὶ ἀριθμοῖς 53b5). Wenn also Timaios das Vorbild der Welt mit einer bestimmten Formzahl identifiziert – eine Annahme, die wie gesagt durch die Art und Weise, wie er zwischen den Elementen und ihren Formen eine Ähnlichkeitsbeziehung herstellt, nahegelegt wird –, dann muß es sich dabei um eine Zahl handeln, von der er sinnvollerweise behaupten kann, daß sie den Reichtum der in der Einrichtung des Weltkörpers und der Weltseele zur Anwendung kommenden Zahlverhältnisse in sich enthalte. Welche Zahl könnte darauf legitimerweise Anspruch erheben? Wir müssen zur Beantwortung dieser Frage keine weitreichenden Spekulationen anstellen. Bedenken wir, daß der Grundgedanke, dessen sich Timaios bei der Herstellung von Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Formen
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und konkreten Dingen bedient, pythagoreischer Herkunft ist, so dürfen wir uns am ehesten von der pythagoreischen Tradition eine Antwort auf die Frage erhoffen. Und hier werden wir in der Tat fündig. Bei Aristoteles lesen wir, daß die Pythagoreer die Zehn (ἡ δεκάς) für die vollkommene Zahl (τέλειον) gehalten hätten, welche die gesamte Natur der Zahlen umfasse (πᾶσαν περιειληφέναι τὴν τῶν ἀριθμῶν φύσιν, vgl. Metaph. Α5, 986a9). Nun gebraucht Timaios auffälligerweise genau die Ausdrücke, die in dem Testimonium zur Beschreibung der Dekade gebraucht werden – das Adjektiv »τέλειον« und das Verb »περιλαμβάνειν« –, zur Beschreibung des Vorbilds der Welt (und der Welt selbst) (30c8, d2, 39e1), nur daß er nicht von der »vollkommenen Zahl«, sondern vom »vollkommenen intelligiblen Lebewesen« und nicht vom »Umfassen der Natur aller Zahlen«, sondern vom »Umfassen aller intelligiblen Lebewesen« spricht. Sollte der Anklang an die pythagoreische Beschreibung der Dekade bloßer Zufall sein? Dies scheint mir umso weniger glaubhaft zu sein, als wir aus den oben genannten Gründen annehmen dürfen, daß Timaios das Vorbild der Welt mit einer bestimmten Zahl, der die Welt qua Lebewesen ähnlich ist, identifiziert. J. Dillon bemerkt daher zurecht: »The way lies open, then, it seems to me, for the Paradigm to be equated to the Decad.«185 Wenn wir das intelligible Gesamtlebewesen mit der Dekade identifizieren, so haben wir seine Teile entsprechend mit den von ihr umfaßten Zahlen zu identifizieren und ihre Bezeichnung als »Lebewesen« damit zu erklären, daß sie Zahlen sind, die für die Gestaltung des Weltlebewesens sowie aller anderen Lebewesen eine Vorbildfunktion haben. Keines von ihnen kann jedoch Anspruch darauf erheben, τὸ ὅ ἐστιν ζῷον, das Paradigma der konkreten Lebewesen, zu sein, da keines »die gesamte Natur der Zahlen« umfaßt, mit der das Lebewesensein der konkreten Lebewesen zu erklären ist. Eine notwendige Bedingung für die Bezeichnung einer Formzahl als »das Lebewesen selbst« besteht somit darin, daß sich mit ihr die quantitative Bestimmtheit, auf die das Lebewesensein der konkreten Lebewesen zurückgeführt wird, hinreichend erklären läßt. Vorausgesetzt, Timaios versteht unter dem vollkommenen intelligiblen Lebewesen die Dekade und unter den übrigen intelligiblen Lebewesen die von der Dekade umfaßten Zahlen, so ist freilich erklärungsbedürftig, warum er nicht unverhüllt von der »Dekade« und den »von der Dekade umfaßten Zahlen«, sondern vom »intelligiblen Gesamtlebewesen« und den »vom intelligiblen Gesamtlebewesen umfaßten intelligiblen Lebewesen« spricht. Dies läßt sich nun aus dem Zusammenhang damit erklären, daß die Dekade samt den von ihr umfaßten Zahlen als Vorbild für die Modellierung eines Lebewesens im Blick steht. Ganz entsprechend wird auf die Formzahl, die 185 Dillon, The Timaeus in the Old Academy, S. 82.
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das Paradigma der Feuercorpuscula ist, mit »das Feuer selbst« Bezug genommen. Das Verfahren, auf Formzahlen Terme anzuwenden, mit denen die Dinge charakterisiert werden, deren Paradigmen sie sind, begegnet auch in anderem Zusammenhang: so sagt Aristoteles einmal, daß einige Anhänger der Ideenlehre – Aristoteles denkt wohl auch an Platon – die Formzahl Zwei als »Linie selbst« bezeichneten.186 Bemerkenswerterweise scheint bereits Speusippos im zweiten Teil seiner Schrift über die pythagoreischen Zahlen das Vorbild der Welt des Timaios mit der Dekade identifiziert und sie als »παράδειγμα παντελέστατον τῷ τοῦ παντὸς ποιητῇ θεῷ προεκκειμένην« bezeichnet zu haben (fr. 28.13f. Tarán). Freilich ist unklar, ob Speusippos’ Identifikation des Vorbilds der Welt mit der Dekade als affirmative Timaios-Exegese oder als kritische Stellungnahme zur Bestimmung des Vorbilds im Timaios zu verstehen ist. Für die zweite Deutung spricht sich Tarán aus: παντελέστατον is probably implicitly directed against the παντελὲς ζῷον of the Timaeus, which is not the most complete of entities, but only the general idea of living being [...]. Speusippus’ point, however, is that the model of the universe must be the most complete and perfect entity.187
Taráns Deutung von Speusippos’ Bemerkung setzt voraus, daß die – nicht nur von ihm selbst, sondern von zahlreichen weiteren modernen TimaiosExegeten vertretene188 – Interpretation der Form des Lebewesens als »general idea of living being« bereits Speusippos’ gewesen sei. Diese Voraussetzung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn die Interpretation so zwingend wäre, daß wir annehmen könnten, daß sich auch Speusippos ihr nicht hat entziehen können. So zwingend ist sie jedoch keineswegs – in der TimaiosLiteratur werden bis heute ganz andere Interpretationen der Form des Lebewesens vertreten.189 Stellt man die oben genannten Gründe für die Inter186 Vgl. Metaph. Ζ11, 1036b14. 187 Tarán, Speusippus of Athens, S. 272. 188 Selbst eine unvollständige Liste der Vertreter der Interpretation ist noch lang genug: Shorey, The Timaeus of Plato, S. 50; Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 576f.; Cornford, S. 40f.; Ross, Plato’s Theory of Ideas, S. 212; Keyt, The Mad Craftsman of the Timaeus, S. 232; Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 303; Patterson, The Unique Worlds, S. 116; Teloh, S. 213; Malcolm, Vlastos on Pauline Predication, S. 87; Frede, The Philosophical Economy, S. 51; Brisson, S. 277280. Trotz gewisser Einschränkungen können auch Mohr, S. 27-36 und Parry, The Intelligible World-Animal, S. 29 der Liste hinzugefügt werden. 189 Die abweichende These, daß das intelligible Gesamtlebewesen nicht nur die Formen der Lebewesenarten umfasse, wird in der neueren Literatur z. B. von Ostenfeld (S. 170f.), Perl (S. 86) und Halfwassen (S. 56) vertreten. Eine von der modernen communis opinio abweichende Interpretation entwickelt auch Parry in »The Unique World« und bestreitet jene mit guten Gründen (vgl. S. 7 und S. 9f.). Sein wichtigstes und, wie mir scheint (vgl. unten 4.4.3.3, Punkt (iii)), überzeugendes Argument gegen sie lautet: »Even the ›richer in content‹ genus does not find itself instantiated as another animal embracing the instances of its species. But Plato’s Model Form is instantiated as another animal embracing all other perceptible living creatures« (ebd., S. 7).
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pretation der Form des Lebewesens als Dekade in Rechnung – sachliche wie terminologische Gründe –, so wird man der Annahme, daß sich Speusippos mit seiner Identifikation auf den Timaios affirmativ bezieht, größere Plausibilität als Taráns Annahme einer kritischen Distanzierung zuschreiben.190
4.4.3.3 Zur Kritik der Deutung des Lebewesens selbst als Gattungsform Angesichts der Bedeutung, die die Einteilung von Gattungen in Arten in anderen platonischen Dialogen hat, ist es nicht erstaunlich, daß die Mehrheit der modernen Interpreten zur Deutung der Form des Lebewesens als Gattungsform bzw. Gattungsbegriff neigt. Auch ist nicht zu bestreiten, daß die Terminologie von »μόριον« und »μέρος« in anderen platonischen Dialogen – frühen wie späten – zur Bezeichnung von Arten einer Gattung gebraucht wird.191 Versucht man jedoch, unvoreingenommen an die Frage nach der Natur des Lebewesens selbst heranzutreten und sie aus dem Zusammenhang des Timaios selber zu beantworten, so stellt man rasch fest, daß (a) im Timaios, bei Lichte besehen, keine Belege für die Interpretation der Form des Lebewesens als Gattungsform zu finden sind und (b) unter Voraussetzung dieser Deutung einiges von dem, was Timaios über die Form und ihr Verhältnis zur Welt sagt, unverständlich, ja abstrus ist. Beide Thesen sollen im folgenden gerechtfertigt werden. Zur Begründung der These (a) möchte ich zeigen, daß die beiden Timaios-Stellen, die zur Rechtfertigung der Interpretation der Form des Lebewesens als Gattungsform herangezogen werden, die Deutung nicht rechtfertigen. Bei der einen Stelle handelt es sich um 39e7-40a2, wo Timaios bemerkt, daß die Vernunft meinte, die Welt solle eben solche und soviele Arten (ἰδέαι) von Lebewesen erhalten, wie sie sie im Lebewesen selbst enthalten sah.192 Diese Arten werden im folgenden als Götter, Vögel, Fische und Landlebewesen spezifiziert. Nun erläutert Timaios leider nicht, in welcher Weise die vier Arten von Lebewesen, die die Welt erhalten soll, im Lebe190 Ein weiteres Zeugnis für die Gleichsetzung des παντελὲς ζῷον des Timaios mit der Dekade ist das Pseudo-Philolaos-Fragment 11 Diels-Kranz (vgl. zur Frage seiner Echtheit Burkert, S. 252-255 und Huffman, S. 349f.), wo die in der Dekade enthaltene Kraft der Zahl als »μεγάλα [...] καὶ παντελὴς καὶ παντοεργὸς καὶ θείω καὶ οὐρανίω βίω καὶ ἀνθρωπίνω ἀρχὰ καὶ ἁγεμὼν κοινωνοῦσα« bezeichnet wird. 191 Vgl. z. B. Sph. 257c-258b. 192 »ᾗπερ οὖν νοῦς ἐνούσας ἰδέας τῷ ὅ ἐστιν ζῷον, οἷαί τε ἔνεισιν καὶ ὅσαι, καθορᾷ, τοιαύτας καὶ τοσαύτας διενοήθη δεῖν καὶ τόδε σχεῖν. εἰσὶν δὴ τέτταρες, μία μὲν οὐράνιον θεῶν γένος, ἄλλη δὲ πτηνὸν καὶ ἀεροπόρον, τρίτη δὲ ἔνυδρον εἶδος, πεζὸν δὲ καὶ χερσαῖον τέταρτον.«
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wesen selbst auf paradigmatische Weise enthalten sind. Dies mag z. B. derart der Fall sein, daß im Lebewesen selbst die verschiedenen Zahlverhältnisse enthalten sind, die in der Konstitution der Körper und Seelen der einzelnen Lebewesenarten zur Anwendung kommen.193 Wir müssen jedenfalls nicht annehmen, daß im Lebewesen selbst die Formen der vier genannten Arten enthalten seien, wie z. B. Taylors (S. 221) Paraphrase nahelegt: »The Creator now proceeds to supply the uranos with as many kinds as there are types or patterns (ἰδέαι) in its archetype.« Die von Taylor insinuierte Unterscheidung zwischen »kinds« einerseits und »types or patterns« andererseits hat im griechischen Text keine Entsprechung; es heißt vielmehr, daß die Welt die ἰδέαι, also die Arten von Lebewesen, erhält, die im intelligiblen Paradigma enthalten sind. Bei der anderen Stelle handelt es sich um 30c5f., wo die Form des Lebewesens als das intelligible Lebewesen bezeichnet wird, »dessen Teile die anderen Lebewesen individuell und gruppenweise sind« (»οὗ δ’ ἔστιν τἆλλα ζῷα καθ’ ἓν καὶ κατὰ γένη μόρια«). Meine Wiedergabe des Ausdrucks »καθ’ ἓν καὶ κατὰ γένη« lehnt sich an Taylors (S. 82) treffende Erklärung des Ausdrucks an: »The meaning seems to be simply ›individually and collectively‹, i. e. each νοητὸν ζῷον and each group or ›family‹ of νοητὰ ζῷα is a member of the αὐτοζῷον.« Die Vertreter der Erklärung der Form des Lebewesens als Gattungsform bescheiden sich jedoch nicht bei dieser ›einfachen Bedeutung‹, sondern deuten »κατὰ γένη« als Hinweis auf die Unterteilung der Gattung konkreter Lebewesen nach Arten (κατὰ γένη) konkreter Lebewesen. Vlastos hat für »κατὰ γένη« vergleichbare Ausdrücke (neben »κατὰ γένη« auch »κατ’ εἴδη«) im Zusammenhang der Unterteilung von Gattungen nach Arten angeführt.194 Für das vorstehende »καθ’ ἓν« ist ihm freilich kein vergleichbarer Ausdruck aus einem solchen Zusammenhang beizubringen gelungen; er verweist stattdessen auf Cornford195 (der übrigens in dem Mittelplatoniker Attikos einen Vorläufer hat196) und bezieht »καθ’ ἓν« auf die infimae species. Dieser Vorschlag ist jedoch unhaltbar, da selbstverständlich auch die infimae species als »γένη« bezeichnet werden können und »καθ’ ἓν« im Kontrast mit »κατὰ γένη« offenkundig »individually« bedeutet. Wenn wir nicht annehmen wollen, daß im παντελὲς ζῷον auch die Formen individueller konkreter Lebewesen enthalten sind, sollten wir 193 Es ist allerdings abwegig, die ἰδέαι 39e8 mit den vier ersten Formzahlen zu identifizieren, wie es Frank (S. 113) und Halfwassen (S. 60f.) tun. Vgl. zu der Identifikation das Urteil von Shorey (Recent Interpretations of the Timaeus, S. 354): »Whatever nonsense may or may not have been talked in the Academy there is no trace of this sort of thing in Plato himself.« 194 Vgl. Vlastos, An Ambiguity in the Sophist, S. 303 Anm. 80. 195 Vgl. Cornford, S. 40 Anm. 2 196 Vgl. Proklos in Ti. 1.425.11-16.
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folgern, daß der Ausdruck »κατὰ γένη« anders zu verstehen ist als in den Zusammenhängen, in denen von der Unterteilung einer Gattung nach Arten die Rede ist. Folgen wir der Interpretation der Form des Lebewesens als Dekade, so können wir den Ausdruck »καθ’ ἓν καὶ κατὰ γένη« ohne weiteres so verstehen, daß sowohl jede einzelne Zahl (»καθ’ ἓν«) als auch alle Arten von Zahlen (»κατὰ γένη«), z. B. gerade und ungerade Zahlen, in der Dekade enthalten sind. Zur Begründung der These (b) möchte ich drei Argumente anführen: (i) Bei näherer Betrachtung der platonischen Verwendung der Ausdrücke »μόρια« und »μέρη« zur Bezeichnung von Arten einer Gattung stellt man fest, daß die Relation des Ganzen zu seinen Teilen so gedacht wird, daß wir mit der Bezeichnung eines Teils zugleich auf das Ganze Bezug nehmen – mit dem Ausdruck »μουσική« z. B. nehmen wir auf das mit dem Ausdruck »ἐπιστήμη« bezeichnete Ganze derart Bezug, daß wir einen bestimmten Teil des Ganzen ausgrenzen (vgl. Sph. 257c7-d3197) –, das Ganze von seinen Teilen mithin nicht verschieden ist. Ganz anders wird die Relation von Teil und Ganzem im Timaios in bezug auf die beiden Gesamtlebewesen und die von ihnen umfaßten Teile bestimmt: beide umfassen die in ihnen enthaltenen Lebewesen derart, daß sie von ihnen verschiedene Entitäten sind. Die Welt ist offensichtlich eine von den Lebewesen, die in ihr enthalten sind, verschiedene Entität, und das intelligible Gesamtlebewesen wird als ein intelligibles Lebewesen unter anderen intelligiblen Lebewesen charakterisiert (wenn auch als das umfassendste und schönste unter ihnen). (ii) Timaios preist das Lebewesen selbst als das schönste der intelligiblen Lebewesen und in allen Hinsichten vollkommene,198 mit dem verglichen seine Teile unvollkommen (vgl. »ἀτελεῖ« 30c5) seien. Es ist völlig unklar, welchen Sinn dieses emphatische Werturteil haben sollte, wenn das Lebewesen selbst als Gattungsform und die restlichen intelligiblen Lebewesen als entsprechende Artformen zu verstehen wären. Gewiß, der Gattungsbegriff Lebewesen definiert eine Instanzenklasse, die die von den Artbegriffen definierten Instanzenklassen einschließt; aber rechtfertigt dies, ihn als das schönste und in allen Hinsichten vollkommene intelligible Lebewesen zu rühmen? Dies scheint mir ganz abwegig zu sein, zumal im Blick darauf, daß es Timaios’ Erzählung so will, daß zur Zeit der Wahl des Vorbilds für die Gestaltung der Welt die Instanzenklassen der fraglichen Begriffe noch leer sind. In intensionaler Betrachtung aber hat der Gattungsbegriff weniger 197 »ΞΕ. Ἡ θατέρου μοι φύσις φαίνεται κατακεκερματίσθαι καθάπερ ἐπιστήμη. ΘΕΑΙ. Πῶς; ΞΕ. Μία μέν ἐστί που καὶ ἐκείνη (sc. ἐπιστήμη), τὸ δ’ ἐπί τῳ γιγνόμενον μέρος αὐτῆς ἕκαστον ἀφορισθὲν ἐπωνυμίαν ἴσχει τινὰ ἑαυτῆς ἰδίαν· διὸ πολλαὶ τέχναι τ’ εἰσὶ λεγόμεναι καὶ ἐπιστῆμαι. ΘΕΑΙ. Πάνυ μὲν οὖν.« 198 Vgl. 30d1f.: »τὸ τῶν νοουμένων (sc. ζῴων) κάλλιστον καὶ κατὰ πάντα τέλεον«.
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Gehalt als die Artbegriffe und ist insofern weniger umfassend und weniger vollkommen (er ist in der Definition letzterer enthalten, aber nicht umgekehrt199). Mir ist auch keine andere Stelle im platonischen Corpus bekannt, an der eine Gattungsform als schöner und vollkommener als die Formen der Arten beurteilt wird. (iii) Ähnlichkeit (ὁμοιότης) ist nicht die Art von Relation, in der ein Individuum zu einem Gattungs- oder Artbegriff steht. Man kann sinnvollerweise sagen, daß die Welt darin, daß sie ein Lebewesen ist, den Gattungsbegriff Lebewesen erfüllt. Man kann aber nicht sinnvollerweise sagen, daß sie dem Gattungsbegriff darin ähnlich ist. Zur Vermeidung dieser Schwierigkeit mag man annehmen, daß Timaios von Ähnlichkeit rede, aber die Erfüllung eines Begriffs meine. Diese Annahme bringt jedoch nur neue Schwierigkeiten mit sich. Wenn die Welt keinem bestimmten der vom Lebewesen selbst umfaßten intelligiblen Lebewesen ähnlich ist, diese aber mit den Begriffen der einzelnen Lebewesenarten identisch sind, so impliziert das Verständnis der ὁμοιότης-Relation als Erfüllung eines Begriffs, daß die Welt keine bestimmte Art von Lebewesen ist, da sie keinen der Begriffe der einzelnen Lebewesenarten erfüllt. Wie aber kann etwas ein Lebewesen sein, ohne eine bestimmte Art von Lebewesen zu sein?200 Darüber hinaus steht nach Timaios’ These die Welt nicht nur darin, daß sie ein Lebewesen ist, sondern auch darin, daß sie das einzige konkrete Lebewesen ist, das alle anderen konkreten Lebewesen umfaßt, sowie darin, daß sie permanent existiert, in einer Ähnlichkeitsbeziehung zu ihrem Vorbild. Aber gewiß erfüllt etwas weder darin, daß es das einzige konkrete Lebewesen ist, das alle anderen konkreten Lebewesen umfaßt, noch darin, daß es permanent existiert, den Gattungsbegriff Lebewesen.201
199 Vgl. Cohen, S. 190f. 200 Vgl. zu diesem Problem Parry, The Unique World, S. 7; ders., The Intelligible WorldAnimal, S. 26f.; M. Miller, S. 41. 201 Ausgehend von der Deutung der Form des Lebewesens als Gattungsform hat Keyt (The Mad Craftsman, S. 232-234) erstaunt festgestellt, daß der Demiurg der Welt nicht nur das ›proper attribute‹ der Form zuteil werden lasse, das sie durch Partizipation an ihr besitze – ihr Sein als Lebewesen –, sondern auch Eigenschaften wie Einzigkeit (31a3f.), Ewigkeit (37d1f.) und Vollständigkeit (39e3-6), die der Kosmos nicht durch Teilhabe an der Form besitze. Diese Feststellung hätte Keyt dazu veranlassen können, die Deutung des Vorbild/Abbild-Verhältnisses zwischen dem Lebewesen selbst und der Welt als Teilhabe-Relation zu überdenken; denn Platon scheint sich sehr wohl dessen bewußt zu sein, daß mit der Teilhabe konkreter Lebewesen an der Form des Lebewesen nicht mehr und nicht weniger als das Lebewesensein der konkreten Lebewesen erklärt werden würde (vgl. dazu die definitive Stellungnahme Phd. 100c4-6 am Beispiel der Form des Schönen). Stattdessen diagnostiziert Keyt »bad mistakes« (The Mad Craftsman, S. 230) auf Seiten Platons und erklärt den Demiurgen für »mad« (ebd., S. 230). Auch Vlastos (Plato’s Universe, S. 29 Anm. 8) spricht von einem »curious error in Plato’s reasoning«.
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4.5 Formen, Zahlen und erste Prinzipien Zum Abschluß der Untersuchung zum Timaios sei der Punkt hervorgehoben, der dem Dialog hinsichtlich seiner Formkonzeption m. E. eine Ausnahmestellung unter den Platonischen Dialogen sichert. Die Formen werden im Timaios nicht als die Designate von Prädikat-Termen, mit denen wir alltäglich konkrete Entitäten als dieses oder jenes charakterisieren, und den ihnen entsprechenden verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« eingeführt; vielmehr werden sie als zeitlos existierende Gegenstände der νόησις mit der Aufgabe eingeführt, genau die Gegenstandsstrukturen zu exemplifizieren, die zeitlos existierende Gegenstände exemplifizieren können und die im Timaios mit Zahlstrukturen identifiziert werden. Man kann diese Neubestimmung der Funktion der Formen auf die Einsicht zurückführen, daß die Gegenstände, die von Prädikat-Termen bezeichnet werden, keine Gegenstände des Typs Dieses (τόδε τι), sondern Gegenstände des Typs So etwas (τοιόνδε) sind und daher nicht als Teilklasse des Gesamts der Individuen, die es gibt, angesehen werden können. Sollen die Formen eine Klasse zeitlos existierender Individuen bilden – und dies sollen sie im Timaios tatsächlich –, so muß die Rechtfertigung ihres Postulats an anderer Stelle liegen als im Hinweis darauf, daß PrädikatTerme etwas bezeichnen. Mit der veränderten Bestimmung der Funktion der Formen geht eine radikale Entvölkerung des Reichs der Formen einher. Es wird nun nicht mehr für jeden Prädikat-Term, mit dem wir alltäglich konkrete Entitäten als dieses oder jenes charakterisieren, eine Form eingeführt; vielmehr wird nur noch für jede Zahl eine Form eingeführt. Freilich schließt diese Beschränkung der Klasse der Formen auf Formzahlen nicht aus, daß wir auf einzelne Formen mit Termen wie »das Lebewesen selbst« oder »das Feuer selbst« Bezug nehmen können; denn eine Formzahl kann mit einem singulären Term der Form »das F selbst« bezeichnet werden, wenn sie sich als Paradigma der konkreten Dinge verstehen läßt, die unter den entsprechenden Prädikat-Term fallen. Man beachte, daß sich im Timaios keine Bemerkung findet, die es nahelegt, für jeden Prädikat-Term, mit dem wir konkrete Dinge zutreffend charakterisieren, eine Form anzusetzen. Die einzige Stelle, die mit Rekurs auf R. X, 596a6f.202 in diesem Sinne verstanden werden könnte, ist 51c4f., wo Timaios fragt, ob »wir jedesmal grundlos von einer Form von jeglichem sagen, daß sie etwas sei« (»[...] μάτην ἑκάστοτε εἶναί τι φαμεν εἶδος ἑκάστου νοητόν [...]«). Doch bedeutet »ἑκάστοτε« »jedesmal (wenn wir 202 »εἶδος γάρ πού τι ἓν ἕκαστον εἰώθαμεν τίθεσθαι περὶ ἕκαστα τὰ πολλά, οἷς ταὐτὸν ὄνομα ἐπιφέρομεν«. Vgl. auch R. VI, 507b2-8.
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von einer Form sprechen)«203 und »ἑκάστου« »von jeglichem (in bezug worauf wir von einer Form sprechen)«. Mithin besagt die Stelle nicht, daß für jeden Prädikat-Ausdruck, mit dem wir konkrete Dinge charakterisieren, eine Form anzusetzen sei.204 Die pythagoreisch inspirierte Beschränkung der Klasse der Formen auf Formzahlen mag uns weniger überraschen, wenn wir zum Abschluß der Untersuchung einen Blick auf die aristotelischen Platon-Testimonien werfen, die darauf hindeuten, daß sich Platons spätere Formkonzeption von der ursprünglichen in genau dieser Beschränkung unterschieden hat. In Metaphysik Μ4 sagt Aristoteles, daß er die Theorie der Formen zunächst so behandeln werde, wie sie ihre ersten Anhänger anfänglich vertreten hätten,205 nämlich ohne sie mit der Natur der Zahlen zu verknüpfen.206 Was folgt, ist eine Erklärung ihres Postulats einschließlich der Abgrenzung platonischer Formen von sokratischen Universalien (1078b12-1079a4), die Kritik einiger Argumente für die Existenz platonischer Formen (1079a4-19) und weitere Einwände gegen die Theorie der Formen (1079a19-1080a11). In all diesen Bemerkungen spielt der Charakter der Formen als Zahlen, der in Metaph. Α6, Α9, Ζ11, Λ8 und an anderen Stellen in Μ und Ν zur Sprache kommt,207 in der Tat keine Rolle. Allerdings verweist Aristoteles in Μ4, 1079a14-19 (= Α9, 990b17-22) auf – in dem Metaphysik-Kommentar des Alexander von Aphrodisias überlieferte – Argumente gegen die ursprüngliche Theorie der Formen, die auf der bereits modifizierten Theorie mit dem Einen und der unbestimmten Zwei als Prinzipien der Formzahlen basieren und vor allem gegen das Prinzip vom Einen über den Vielen als Grundsatz der ursprünglichen Theorie gerichtet sind.208 Daß in 1078b11f. mit »οἱ πρῶτοι« nicht etwa gewisse Pythagoreer vor Platon gemeint sind, sondern Platon selbst, ist angesichts der folgenden Erklärung des Postulats der Formen, die sich in ähnlicher Form in Metaph. Α6, 987a32-b7 mit namentlichem Bezug auf Platon findet, klar.209 Unklar ist hingegen die Bedeutung von »ἐξ ἀρχῆς«: »It is uncertain [...], whether this 203 »ἑκάστοτε« qualifiziert nicht »φαμεν« – wie Ferber (S. 432) voraussetzt, wenn er die Stelle folgendermaßen wiedergibt: »Da es jedesmal (ἑκάστοτε) ein denkbares Eidos gibt (vgl. Ti. 51c4, auch Ti. 51b7-c1, Ep. VII. 342d3-8) [...]« –, sondern »μάτην [...] φαμεν«. Auch das »ἀεὶ« in »πάντα περὶ ὧν ἀεὶ λέγομεν οὕτως« (51b8) qualifiziert die Rede von Formen, nicht die Rede von konkreten Gegenständen. 204 Archer-Hind (S. 180) betont daher mit Recht, daß im Timaios nur von der Form des Lebewesens und den Formen der Elemente die Rede sei. 205 Vgl. 1078b11f.: »[...] ὡς ὑπέλαβον ἐξ ἀρχῆς οἱ πρῶτοι τὰς ἰδέας φήσαντες εἶναι«. 206 Vgl. 1078b10f.: »[...] μηθὲν συνάπτοντας πρὸς τὴν τῶν ἀριθμῶν φύσιν [...]«. 207 Vgl. den Überblick über die Stellen bei Annas, Aristotle’s Metaphysics Books M and N, S. 64 Anm. 78. 208 Vgl. zur Analyse der Argumente Annas, Forms and First Principles. 209 Vgl. Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 186 Anm. 108.
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means that οἱ πρῶτοι never connected the theory with the nature of number (i. e. ›as they understood it from the beginning‹) or only that they did not do so at first.«210 Da Aristoteles in Metaph. Α6, 987b22 Platon sogar namentlich die These zuschreibt, daß die Formen Zahlen seien,211 ist anzunehmen, daß er in 1078b11f. »ἐξ ἀρχῆς« in der zweiten Bedeutung, d. h. im Sinne von »anfangs«,212 gebraucht und damit unterstellt, daß Platon die Formen nicht als Zahlen eingeführt, sondern ihnen erst später diesen Charakter beigelegt habe. (Die Motive für die spätere Verknüpfung der Formen mit Zahlen macht Aristoteles im übrigen nicht deutlich.) Freilich hindert seine eigene Feststellung, daß Platons pythagoreisierende Theorie der Formen von der anfänglichen verschieden sei, Aristoteles nicht daran, beide gegeneinander auszuspielen. Ausgehend von den Prämissen, daß (i) für jeden auf bestimmte Gegenstände zutreffend angewandten generellen Term eine Form anzusetzen sei und (ii) die mit dem Term ausgesagte Form das Prinzip (ἀρχή) der Dinge sei, von denen sie ausgesagt werde, begründet er die These, daß die Zahl (ὁ ἀριθμός) der Unbestimmten Zwei vorgeordnet sei,213 laut Alexanders Kommentar214 mit dem Argument, daß, da auf die Unbestimmte Zwei der Term »Zwei« (»δυάς«) zutreffend Anwendung finde, eine Form der Zwei anzusetzen sei, die nicht nur somit Prinzip der Unbestimmten Zwei, von der sie ausgesagt werde, sei, sondern auch ihrerseits eine Form als Prinzip voraussetze, nämlich die von ihr zutreffend ausgesagte Form der Zahl. Aufgrund der Transitivität des Ausgesagtwerdens kann er schließen, daß die Zahl Prinzip der Unbestimmten Zwei sei und nicht umgekehrt (wie die Vertreter der Theorie der Prinzipien behaupten). Ganz ähnlich argumentiert er, wenn er, wieder von den Prämissen (i) und (ii) ausgehend, einwendet, daß die Formen, die mit den generellen Termen »ein Prinzip« (»ἀρχή«) und »ein Element« (»στοιχεῖον«) von den Prinzipien und Elementen ausgesagt werden, als Prinzipien diesen vorgeordnet seien.215 Die beiden Argumente sind vor allem darin fragwürdig, daß sie mit Prämisse (i) eine Version des Prinzips des Einen über den Vielen zugrundelegen, welches zwar in der Tat ein Element der von Aristoteles als anfänglich bezeichneten Formkonzeption ist, jedoch in der pythagoreisierenden Form210 Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 197. 211 Vgl. zur Verteidigung des überlieferten »τοὺς ἀριθμοὺς« Cherniss, Aristotle’s Criticism, S. 180f. Anm. 104. 212 Vgl. zu diesem Gebrauch von »ἐξ ἀρχῆς« z. B. EN Γ5, 1114a20. 213 Vgl. Metaph. Α9, 990b19f. = Μ4, 1079a15f.: »συμβαίνει γὰρ μὴ εἶναι τὴν δυάδα πρώτην ἀλλὰ τὸν ἀριθμόν«. 214 Vgl. Alex. Aphr. in Metaph. 85.21-86.3. 215 Vgl. Alex. Aphr. in Metaph. 87.4-8.
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konzeption, auf der die Theorie des Einen und der Unbestimmten Zwei als Zahlprinzipien aufbaut, außer Geltung gesetzt ist. Dieselbe Konfusion der beiden Formkonzeptionen begegnet bei Aristoteles auch an anderen Stellen, z. B., wenn er gegen die Beschränkung der Reihe der Formzahlen auf die Dekade einwendet, sie mache es unmöglich, die Formen mit Formzahlen zu identifizieren, da bereits die Anzahl der Formen der einzelnen Lebewesenarten die Zehn bei weitem überschreite.216 Auch dieser Einwand setzt eine Version des Prinzips des Einen über den Vielen voraus. Die historische Glaubwürdigkeit von Aristoteles’ Unterscheidung zwischen den beiden Formkonzeptionen ist freilich in Zweifel gezogen worden. Insbesondere Cherniss hat bestritten, daß Platon jemals die ihm von Aristoteles zugeschriebene These vertreten habe, daß die Formen Zahlen seien. Die Tatsache, daß sich Aristoteles in Metaphysik M7, 1081a12-17 genötigt sehe, ein Argument dafür anzuführen, daß die Formen in der Sicht der Platoniker Zahlen seien, zeige, daß er sich dafür nicht einfach auf ihre eigenen Aussagen berufen könne.217 In der Tat sucht Aristoteles an der von Cherniss erwähnten Stelle zu zeigen, daß es unter bestimmten platonischen Annahmen vernünftig ist, die Identität von Formen und Zahlen zu behaupten. Aber warum sollte dieser Versuch nur dann sinnvoll sein, wenn Platon oder bestimmte Denker aus der Akademie diese Identität tatsächlich nicht behauptet haben? Es steht nichts im Wege, zu 1081a12 »Wenn aber die Formen keine Zahlen sind« gedanklich »was sie de facto nicht behaupten, aber sachlich zu erwägen ist« hinzuzufügen. Im übrigen berichtet Aristoteles in Metaphysik Ζ11 (1036b13-17) mit großer Bestimmtheit, daß die Vertreter der Ideenlehre (οἱ τὰς ἰδέας λέγοντες, vgl. 1036b13f.), also wohl Platon sowie Platoniker innerhalb der Akademie, die Form der Linie mit der Formzahl Zwei identifizierten (wobei diese von den einen als »αὐτογραμμή«, von den anderen als »τὸ εἶδος τῆς γραμμῆς« bezeichnet werde). Sofern man diese Identifikation nicht ebenfalls als aristotelische Konstruktion abtut – was aufgrund der Konkretheit des Beispiels und der genauen terminologischen Differenzierung nicht ernsthaft in Betracht kommt –, sondern sie als Anwendungsfall des Prinzips, daß die Formen Zahlen sind, einschätzt, wird man akzeptieren müssen, daß sich Aristoteles für die Zuschreibung dieser These auf tatsächliche Äußerungen Platons berufen kann. Wir besitzen also einen vom Timaios unabhängigen Beleg für die These, daß Platon ein pythagoreisierendes Verständnis der Formen als Zahlen 216 Vgl. Metaph. Μ8, 1084a12-17. 217 Vgl. Cherniss, The Riddle of the Early Academy, S. 59 und Annas, Aristotle’s Metaphysics Books M and N, S. 68.
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entwickelt hat. Genau diese Identifikation ist uns nun auch im Timaios begegnet. Beide Zeugnisse, das aus Platons Feder selbst und das des Aristoteles, ergänzen einander. Damit ist es auch möglich, die Theorie erster Prinzipien der Formen (des Einen und der Unbestimmten Zwei), die mit der These, daß die Formen Zahlen seien, aufs engste verknüpft ist, schärfer zu lokalisieren und sie mit einem bestimmten Dialog, dem Timaios, in Verbindung zu bringen. Gibt es weitere Dialoge, in denen diese Theorie eine Rolle spielt? Die Beantwortung dieser Frage steht und fällt mit der Beantwortung der Frage, ob es weitere Dialoge gibt, in denen die pythagoreisierende Konzeption der Formen als Zahlen eine Rolle spielt. In »Attribute der Formen und die Form des Guten« habe ich zu zeigen versucht, daß wir einige Aussagen über die Form des Guten am besten verstehen können, wenn wir voraussetzen, daß (a) die Form des Guten mit dem Einen als Prinzip der Zahlen und (b) die übrigen Formen, deren Sein und Erkennbarkeit mit ihrer Relation zur Form des Guten erklärt werden sollen, mit Zahlformen zu identifizieren sind. Diese Argumente scheinen mir noch immer stark zu sein. Andererseits wird im fünften Buch der Politeia ein Verständnis der Formen vorausgesetzt, das mit dem des Phaidon sehr verwandt, wenn nicht identisch ist und insofern von dem im Timaios vorausgesetzten beträchlich divergiert.218 Und da zu Beginn des Sonnengleichnisses in R. VI, 507a7-b11 auf die Einführung der Formen im fünften Buch zurückverwiesen wird, liegt die Annahme nahe, daß dasselbe Formverständnis auch in den Büchern VI und VII der Politeia vorausgesetzt ist. Wenn aber die Theorie der Formprinzipien des Einen und der Unbestimmten Zwei die pythagoreisierende Konzeption der Formen als Zahlen impliziert und diese in Politeia VI und VII nicht vorliegt, so können wir auch die Theorie des Guten in der Politeia nicht mit jener Theorie identifizieren.
4.6 Anhang: Ein Vorschlag zur syntaktischen Konstruktion von Timaios 49d3-7 Der überlieferte Text nach Burnet: [...] ἀλλ’ ἀσφαλέστατα μακρῷ περὶ τούτων τιθεμένους ὧδε λέγειν· ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον, ὡς πῦρ, μὴ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε προσαγορεύειν πῦρ, μηδὲ ὕδωρ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἀεί, μηδὲ ἄλλο ποτὲ μηδὲν ὥς τινα ἔχον βεβαιότητα [...].
218 Siehe zur Abgrenzung der Konzeption der Formen im Timaios von der im Phaidon oben (4.3).
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Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung219 um die Frage, ob Timaios an dieser Stelle empfiehlt, die Terme »Feuer«, »Wasser« usw. nicht auf die konkreten Dinge, die wir üblicherweise mit diesen Termen charakterisieren, sondern auf Entitäten anderer Art anzuwenden, oder seine Empfehlung vielmehr dahin geht, auf die üblicherweise mit »Feuer«, »Wasser« usw. charakterisierten konkreten Dinge nicht mit »dieses« (»τοῦτο«), sondern mit »das jedesmal Derartige« (»τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε«, »τὸ τοιοῦτον ἀεί«) Bezug zu nehmen, steht die Frage der syntaktischen Konstruktion des Ausdrucks »[...] μὴ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε προσαγορεύειν πῦρ [...]« (49d5f.): Sollen wir das zweimalige »τοῦτο« und »τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε« als primäre Akkusativobjekte zu »προσαγορεύειν« verstehen und entsprechend den gesamten Ausdruck mit »[...] nicht dieses (sc. was wir jeweils zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wahrnehmen, wie z. B. Feuer), sondern das jedesmal Derartige als ›Feuer‹ anzusprechen« übersetzen (Übersetzung A220), oder sollen wir »πῦρ« als primäres Objekt verstehen und entsprechend den gesamten Ausdruck mit »[...] nicht als ›dieses‹, sondern als ›das jedesmal Derartige‹ Feuer anzusprechen [...]« wiedergeben (Übersetzung B221)? Die Entscheidung für eine der beiden Übersetzungsmöglichkeiten hat natürlich auch Auswirkungen auf die Wiedergabe des anschließenden Ausdrucks »μηδὲ ὕδωρ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἀεί, μηδὲ ἄλλο ποτὲ μηδὲν ὥς τινα ἔχον βεβαιότητα«: Unter Voraussetzung von Übersetzung A ist er mit »und auch als ›Wasser‹ nicht dieses (sc. was wir jeweils zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wahrnehmen), sondern das jedesmal Derartige (anzusprechen), und auch als nichts anderes (das, was wir jeweils zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wahrnehmen, anzusprechen), als habe es irgendeine Beständigkeit«, unter Voraussetzung von Übersetzung B mit »und auch nicht Wasser als ›dieses‹, sondern ›das jedesmal Derartige‹ (anzusprechen), und auch sonst nichts (als ›dieses‹ anzusprechen), als habe es irgendeine Beständigkeit«. Ungeachtet der gleich noch zu erörternden Frage, welche der beiden Übersetzungen besser zu den ontologischen Annahmen des gesamten Abschnitts 48e-52d paßt, scheint mir der unmittelbare Zusammenhang, in dem der syntaktisch doppeldeutige Ausdruck steht, in zweifacher Hinsicht für die Übersetzung B zu sprechen: (i) Der erläuternde Zusatz in 49d7-e4, demzufolge wir uns bei unserer Bezugnahme auf die stofflichen Elemente der Demonstrativpronomina 219 Sie findet sich ausführlich bei Zeyl, Plato: Timaeus, S. lvi-lxi dokumentiert. 220 Vgl. u. a. Cherniss, A Much Misread Passage, S. 116; Lee, On Plato’s Timaeus, 49D4-E7, S. 5; Mills, Some Aspects, S. 154; Silverman, Timaean Particulars, S. 88-95. 221 Vgl. u. a. Gulley, S. 53; Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre, S. 77; Zeyl, Plato and Talk of a World in Flux, S. 131-136; Gill, S. 34; D. Miller, S. 79.
Eine Untersuchung zum Timaios
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»τόδε« und »τοῦτο« bedienen und uns damit vormachen, wir nähmen auf beständige Entitäten Bezug,222 läßt vermuten, daß in 49d5f. von genau diesem Gebrauch von »τόδε« und »τοῦτο« bei der Bezugnahme auf die Elemente abgeraten wird, d. h. bei dem von Timaios verworfenen Ansprechen (προσαγορεύειν) diese Demonstrativpronomina zur Anwendung kommen. Da dies nur gemäß Übersetzung B, nicht gemäß Übersetzung A der Fall ist, scheint mir erstere letzterer vorzuziehen zu sein.223 (ii) Es scheint mir nicht möglich zu sein, das zweite »τοῦτο« (vgl. 49d6: »μηδὲ ὕδωρ τοῦτο ἀλλὰ τὸ τοιοῦτον ἀεί«) derart als Wiederaufnahme von »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον« zu verstehen, wie laut der Übersetzung A das erste »τοῦτο« in d5 als Wiederaufnahme dieses Ausdrucks zu verstehen ist; denn dafür steht der Relativsatz einfach zu weit weg. Wie aber ist das zweite »τοῦτο« dann zu verstehen? Darüber hinaus ist die Übersetzung A mit der in 48e-52d vorgenommenen Einteilung sämtlicher Entitäten in die drei Klassen des Seienden, des Werdenden und des Raums (vgl. 52d3: ὄν, γένεσις und χώρα) unverträglich, da die mit dieser Übersetzung eingeführten Entitäten keiner dieser Klassen zugeordnet werden können. In dem Resumee 52a1-b5 werden die drei Arten von Entitäten folgendermaßen charakterisiert: ὄν: ἓν μὲν εἶναι τὸ κατὰ ταὐτὰ εἶδος ἔχον, ἀγέννητον καὶ ἀνώλεθρον, οὔτε εἰς ἑαυτὸ εἰσδεχόμενον ἄλλο ἄλλοθεν οὔτε αὐτὸ εἰς ἄλλο ποι ἰόν, ἀόρατον δὲ καὶ ἄλλως ἀναίσθητον, τοῦτο ὃ δὴ νόησις εἴληχεν ἐπισκοπεῖν (52a1-4) γένεσις: τὸ δὲ ὁμώνυμον ὅμοιόν τε ἐκείνῳ δεύτερον, αἰσθητόν, γεννητόν, πεφορημένον ἀεί, γιγνόμενόν τε ἔν τινι τόπῳ καὶ πάλιν ἐκεῖθεν ἀπολλύμενον, δόξῃ μετ’ αἰσθήσεως περιληπτόν (52a4-7) χώρα: τρίτον δὲ αὖ γένος ὂν τὸ τῆς χώρας ἀεί, φθορὰν οὐ προσδεχόμενον, ἕδραν δὲ παρέχον ὅσα ἔχει γένεσιν πᾶσιν, αὐτὸ δὲ μετ’ ἀναισθησίας ἁπτὸν λογισμῷ τινι νόθῳ, μόγις πιστόν, πρὸς ὃ δὴ καὶ ὀνειροπολοῦμεν βλέποντες καί φαμεν ἀναγκαῖον εἶναί που τὸ ὂν ἅπαν ἔν τινι τόπῳ καὶ κατέχον χώραν τινά, τὸ δὲ μήτ’ ἐν γῇ μήτε που κατ’ οὐρανὸν οὐδὲν εἶναι (52a8-b5).
Fragt man sich nun, zu welcher dieser drei Klassen die Entitäten gehören, die Timaios laut Übersetzung A mit »Feuer«, »Wasser« usw. zu charakterisieren empfiehlt, so lautet die Antwort – zu keiner von ihnen.224 τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε kann nicht zur ersten Klasse der Formen gehören; denn es wird als περιφερόμενον ὅμοιον (49e5) charakterisiert, die Form dagegen als οὔτε αὐτὸ εἰς ἄλλο ποι ἰόν (52a3). Es kann auch nicht zur zweiten Klasse 222 Vgl. e1 »τῷ ῥήματι τῷ ‘τόδε’ καὶ ‘τοῦτο’ προσχρώμενοι« und e2-4 »τὴν τοῦ ‘τόδε’ καὶ ‘τοῦτο’ †καὶ τὴν τῷδε† καὶ πᾶσαν ὅση μόνιμα ὡς ὄντα αὐτὰ ἐνδείκνυται φάσις«. 223 Vgl. zu diesem Argument Gulley, S. 58 und Zeyl, Plato and Talk of a World in Flux, S. 133f. 224 Vgl. Gulley, S. 63f.; Zeyl, Plato and Talk of a World in Flux, S. 134-136; Gill, S. 41-43.
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der Sensibilia gerechnet werden, da die Übersetzung impliziert, daß es von ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον (49d4f.) verschieden ist und daher nicht als »αἰσθητόν, γεννητόν, πεφορημένον ἀεί, γιγνόμενόν τε ἔν τινι τόπῳ καὶ πάλιν ἐκεῖθεν ἀπολλύμενον« (52a5-7) beschrieben werden kann. Schließlich ist auch die Zuordnung zur dritten Klasse des Raums unmöglich, da die χώρα nicht mit »Feuer«, »Wasser« usw. charakterisiert werden kann.225 Folgen wir Übersetzung B, so haben wir keine Schwierigkeiten, τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε der zweiten Klasse zuzurechnen; denn die Übersetzung impliziert – so scheint es – keine Unterscheidung von τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε und ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον. Die einschränkende Parenthese »so scheint es« ist nötig, da wir noch nicht genau sehen, wie wir mit Übersetzung B »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον« syntaktisch unterbringen können. Hier liegt eine ernsthafte – m. E. die einzige ernsthafte – sprachliche Schwierigkeit der Übersetzung B.226 Denn wir haben mit »πῦρ« d6 bereits ein primäres Akkusativobjekt zu »προσαγορεύειν« und somit mit »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον ὡς πῦρ« ein primäres Objekt zuviel. Jedenfalls können wir nicht sowohl »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον ὡς πῦρ« als auch »πῦρ« als primäres Objekt von »προσαγορεύειν« abhängig machen. Es ist daher begreiflich, daß Cornford227 unter Annahme von Übersetzung B 225 Vgl. 51a4-6 »[...] τὴν τοῦ γεγονότος ὁρατοῦ καὶ πάντως αἰσθητοῦ μητέρα καὶ ὑποδοχὴν μήτε γῆν μήτε ἀέρα μήτε πῦρ μήτε ὕδωρ λέγωμεν«. 226 Vgl. Cherniss, A Much Misread Passage, S. 116. Cherniss führt darüber hinaus drei weitere sprachliche Argumente gegen die Übersetzung B ins Feld. (i) Wäre »πῦρ« primäres Objekt zu »προσαγορεύειν«, so wäre »τοιοῦτον« anstelle von »τὸ τοιοῦτον« zu erwarten. (ii) »τοῦτο« 49d5/6 nehme »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον« 49d4f. so auf wie »ἐκεῖνο« 50a1 »ἐν ᾧ [...] ἀπόλλυται« 49e7-50a1. (iii) »τοῦτο« 49d5/6 korrespondiere mit »τοῦτο« 49d2, und das »τοῦτο« hier sei Subjekt zu »ὄν«. Zum ersten Argument vgl. Kühner / Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Satzlehre. Erster Teil, S. 592: »Wenn das P r ä d ik a t nicht als etwas Unbestimmtes und Allgemeines, sondern als etwas Be s timmte s [...] dargestellt werden soll, so muß es den Artikel zu sich nehmen. [...] Besonders häufig nimmt bei den Verben des N e n n e n s das prädikative Substantiv in den genannten Fällen den Artikel zu sich.« Man beachte, daß »τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε« nicht als genereller, sondern als singulärer Term fungiert und insofern tatsächlich für etwas Bestimmtes (wenn auch keinen Gegenstand eigenen Rechts, kein τοῦτο) steht. Das zweite Argument wird von Zeyl (Plato and Talk of a World in Flux, S. 132) zurecht als »weak, if not question-begging« beurteilt. Das dritte Argument basiert auf Cherniss’ Konstruktion von »ποῖον αὐτῶν ὡς ὂν ὁτιοῦν τοῦτο καὶ οὐκ ἄλλο παγίως διισχυριζόμενος οὐκ αἰσχυνεῖταί τις ἑαυτόν;« (49d1-3). Die syntaktische Schwierigkeit dieses Ausdrucks liegt darin, daß mit »ὁτιοῦν« und »τοῦτο καὶ οὐκ ἄλλο« zwei Prädikatergänzungen zum copulativen »ὂν« vorzuliegen scheinen (»ποῖον« ist offenkundig Subjekt zu »ὂν«). Cherniss erklärt »τοῦτο« zum Subjekt zu »ὂν« und »ὁτιοῦν [...] καὶ οὐκ ἄλλο« zum Prädikat, dies aber, wie Zeyl (Plato and Talk of a World in Flux, S. 130) zutreffend bemerkt, auf Kosten der syntaktischen Einbindung von »ποῖον«. Zeyl (ebd., S. 129) versteht »ὁτιοῦν τοῦτο« richtig als einen Ausdruck und übersetzt ihn mit »some definite this«. 227 Vgl. Cornford, S. 179 Anm. 1.
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»πῦρ« zu tilgen wünschte.228 Freilich brauchen wir nicht zum Mittel der Athetese zu greifen, wenn wir, wie ich vorschlagen möchte, den Hochpunkt nicht hinter »ὧδε λέγειν«, sondern hinter »ὡς πῦρ« setzen, also »ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον ὡς πῦρ« von »ὧδε λέγειν« abhängig machen und »ὧδε λέγειν« im Sinne von »ὧδε καλεῖν« verstehen:229 [...] ἀλλ’ ἀσφαλέστατα μακρῷ περὶ τούτων τιθεμένους ὧδε λέγειν ἀεὶ ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον ὡς πῦρ· μὴ ‘τοῦτο’ ἀλλὰ ‘τὸ τοιοῦτον ἑκάστοτε’ προσαγορεύειν πῦρ, μηδὲ ὕδωρ ‘τοῦτο’ ἀλλὰ ‘τὸ τοιοῦτον ἀεί’, μηδὲ ἄλλο ποτὲ μηδὲν ὥς τινα ἔχον βεβαιότητα [...] [...] vielmehr ist es am weitaus sichersten, wenn man über diese Dinge urteilt (περὶ τούτων τιθεμένους), jeweils das, was wir zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten entstehen sehen (ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον), wie z. B. Feuer (ὡς πῦρ), so zu nennen (ὧδε λέγειν): (nämlich) Feuer nicht als ›dieses‹, sondern als ›das jedesmal Derartige‹ zu bezeichnen, und auch nicht Wasser als ›dieses‹, sondern ›als das jedesmal Derartige‹, und auch nichts anderes (als ›dieses‹ zu bezeichnen), als habe es irgendeine Beständigkeit [...] (49d3-7).
Die überlieferte Interpunktion dürfte ihren Grund darin haben, daß Platon »ὧδε λέγειν« üblicherweise nicht als ergänzungsbedürftigen Ausdruck verwendet.230 Es gibt allerdings eine Ausnahme, R. I, 335a8-10, wo zwar von »ὧδε λέγειν« kein Akkusativobjekt abhängt – denn »λέγειν« wird hier nicht im Sinne von »nennen« gebraucht –, doch entweder – nach der von Burnet im alten OCT-Text gedruckten Lesart in AD – ein mit »ὅτι« (»daß«) eingeleiteter Nebensatz oder – nach der von Slings im neuen OCT-Text gedruckten Lesart in F – ein Akkusativ mit Infinitiv.231 228 Zeyl (Plato and Talk of a World in Flux, S. 132) bemerkt zur Verteidigung von »πῦρ« d6 (unter Annahme der Übersetzung B), daß »ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον« aufgrund der Distanz zu »προσαγορεύειν« nicht primäres Objekt dazu sein könne, und räumt ein, daß »ὃ καθορῶμεν ἄλλοτε ἄλλῃ γιγνόμενον« aus der Konstruktion des Satzes herausfalle: »It is true that a slight anacolouthon thus results, but this is a small enough price to pay for the clarity gained« (ebd., S. 132f.). Mir scheint, daß man nicht einmal diesen Preis zahlen muß, wenn man die im folgenden vorgeschlagene Verschiebung des Hochpunkts akzeptiert. 229 Vgl. die Verwendung von »οὕτω λέγειν« in Sph. 256a11-b1: »οὐ γὰρ ὅταν εἴπωμεν αὐτὴν (sc. τὴν κίνησιν) ταὐτὸν καὶ μὴ ταὐτόν, ὁμοίως εἰρήκαμεν, ἀλλ’ ὁπόταν μὲν ταὐτόν (sc. εἴπωμεν τὴν κίνησιν), διὰ τὴν μέθεξιν ταὐτοῦ πρὸς ἑαυτὴν οὕτω λέγομεν (sc. τὴν κίνησιν)«. 230 Vgl. Phd. 100b1, Tht. 176b8, 192a1, La. 192a1, Men. 87b5, R. IV, 434c7. 231 Im Anschluß an »ὧδε λέγειν« haben AD »ὅτι ἔστιν δίκαιον τὸν μὲν φίλον ἀγαθὸν ὄντα εὖ ποιεῖν, τὸν δ’ ἐχθρὸν κακὸν ὄντα βλάπτειν«, während der Text in F gleich mit »τὸν μὲν φίλον ἀγαθὸν ὄντα εὖ ποιεῖν, τὸν δ’ ἐχθρὸν κακὸν ὄντα βλάπτειν« fortfährt. Dem Sinn nach kann auf »ὅτι ἔστιν δίκαιον« tatsächlich verzichtet werden, da an seiner Stelle »δίκαιον εἶναι« leicht aus dem vorhergehenden »λέγοντες δίκαιον εἶναι« gedanklich ergänzt werden kann. Slings (S. 6) meint, daß »ὅτι ἔστιν δίκαιον« interpoliert sei, »in order to ease the construction«. Dies ist möglich; zu beachten ist freilich auch der Ausfall eines ähnlich langen Ausdrucks in F an einer späteren Stelle (»μακαρίους ποιεῖν« 420e6), an der sich Slings (S. 58) zurecht gegen Interpolation in AD ausspricht.
Schlußwort
Wozu Formen? Wer darum bemüht ist, das Postulat bestimmter abstrakter Entitäten zu rechtfertigen, dürfte mit den folgenden beiden Strategien die besten Aussichten auf Erfolg haben: Er kann zum einen auf sprachliche Data rekurrieren und Sätze vorweisen, die Aussagen über die von ihm postulierten Entitäten auszudrücken scheinen und denen jedermann ohne weiteres zustimmt. Wer uns z. B. von der Existenz von Eigenschaften zu überzeugen versucht, kann den Satz »Die Weisheit ist eine Tugend« vorweisen und geltend machen, daß der Ausdruck »Die Weisheit« auf eine Eigenschaft Bezug nehme und der Satz nur dann eine wahre Aussage ausdrücke, wenn es diese Eigenschaft gebe. Es ist dann am Nominalisten, im Gegenzug zu zeigen, daß der Satz so paraphrasiert werden kann, daß der (in seinen Augen bloß vermeintliche) Bezug auf die Eigenschaft verschwindet. Oder wer uns von der Existenz von Propositionen zu überzeugen versucht, kann den Satz »Daß 2 x 2 = 4, ist wahr« vorweisen und geltend machen, daß der Ausdruck »Daß 2 x 2 = 4« auf eine Proposition Bezug nehme und der Satz nur dann eine wahre Aussage ausdrücke, wenn diese Proposition existiere. Es ist dann wiederum am Nominalisten, den Nachweis zu führen, daß der Ausdruck »Daß 2 x 2 = 4« nicht auf eine Proposition Bezug nimmt, sondern mit ihm über Satzvorkommnisse des Typs »Daß 2 x 2 = 4« quantifiziert wird. Die andere erfolgversprechende Strategie, das Postulat abstrakter Entitäten zu rechtfertigen, besteht darin, darauf hinzuweisen, daß es ohne ihr Postulat nicht möglich ist, bestimmte allgemein anerkannte Tatsachen befriedigend zu erklären. So rechtfertigt z. B. Aristoteles das Postulat des Unbewegten Bewegers bzw. der Unbewegten Beweger mit der These, daß sich bestimmte allgemein anerkannte Tatsachen hinsichtlich der Bewegungen der Fixsterne und der Planeten ohne eben dieses Postulat nicht befriedigend erklären lassen. Es ist dann nicht die sprachliche Evidenz, die das Postulat der Existenz der abstrakten Entitäten rechtfertigen soll, sondern ihr explanatorischer Wert. Welche der beiden Strategien ist nun zu wählen, wenn man das Postulat der Entitäten rechtfertigen möchte, von denen in dieser Arbeit die Rede gewesen ist?
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Schlußwort
Betrachten wir zunächst die Formen als Gegenstände des Typs So etwas (Konzeption A). Sie werden als die Gegenstände eingeführt, die sowohl mit Prädikat-Termen als auch mit verallgemeinernd gebrauchten Ausdrücken der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« bezeichnet werden und über die wir mit Sätzen wie »ὁ ἄνθρωπος ζῷόν ἐστιν« trivial wahre Aussagen machen. Die Rechtfertigung des Postulats ihrer Existenz liegt also im Rekurs auf sprachliche Data, nicht im Hinweis auf den explanatorischen Wert der Formen. Nicht anders verhält es sich mit den Formen als Gegenständen des Typs So etwas und des Typs Dieses (Konzeption B). Da sie als Gegenstände des Typs So etwas eingeführt und erst im zweiten Schritt – aufgrund der These, daß die konkreten Gegenstände nicht wirklich so etwas sind, als was sie mit dem Prädikat-Term, als dessen Designat eine gegebene Form angesetzt wird, charakterisiert werden – zu Gegenständen des Typs Dieses erklärt werden, unterscheidet sich die Rechtfertigung ihres Postulats nicht von der des Postulats der Formen der Konzeption A. Das Postulat der Formen des dritten Typs (Konzeption C) wird dagegen mit ihrem Erklärungspotential gerechtfertigt: ohne das Postulat dieser Formen bliebe unverständlich, wie wir Aussagen zeitloses Wahrsein zuschreiben können. Zu wahren Aussagen, so die Begründung, gibt es Gegenstände, über die diese Aussagen gemacht werden, und zeitlos wahre Aussagen sind Aussagen über zeitlos existierende Gegenstände. Entsprechend werden die Formen im Timaios als zeitlos existierende Gegenstände, über die zeitlos wahre Aussagen gemacht werden, eingeführt. Weder die eine noch die andere Rechtfertigung scheint mir haltbar zu sein. Die Begründung, mit der die Formen der Konzeptionen A und B eingeführt werden, setzt die Annahme voraus, daß mit den Subjekt-Termen von in der Alltagssprache gebräuchlichen implizit generellen Sätzen wie »Der Mensch ist ein Lebewesen« auf etwas Bezug genommen werde und die Bezugnahme erfolgreich sein müsse, wenn die Sätze, wie ebenfalls vorausgesetzt ist, wahre Aussagen ausdrücken. Diese Annahme ist falsch, da mit den Subjekt-Termen solcher Sätze nicht auf etwas Bezug genommen, sondern über die Gegenstände quantifiziert wird, die unter den dem Subjekt-Term entsprechenden Prädikat-Term fallen. Wohlgemerkt: es geht hier nicht um Sätze, deren Subjekt-Ausdrücke abstrakte singuläre Terme (wie »ἡ σοφία«) und deren Prädikat-Ausdrücke abstrakte generelle Terme (wie »ἀρετή«) sind, sondern um Sätze, deren Subjekt-Ausdrücke verallgemeinernd gebrauchte Ausdrücke der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« (wie »ὁ ἄνθρωπος«) und deren Prädikat-Terme konkrete generelle Terme (wie »ζῷον«) sind.1 Ob, wie nominalistische Positionen behaupten, der Aussagegehalt der Sätze der ersten Art mit generellen Sätzen ausgedrückt werden kann, ist zweifel1 Vgl. oben in der Einführung (1.1) Anm. 10.
Schlußwort
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haft;2 dagegen ist nicht zu bezweifeln, daß die Sätze der zweiten Art in der Normalsprache zum Ausdruck allgemeiner Urteile verwendet werden,3 mit ihren Subjekt-Termen also nicht (und a fortiori nicht erfolgreich) Bezug genommen wird. Die Begründung, mit der die Formen der Konzeption C eingeführt werden, ist aus zwei Gründen unhaltbar: Erstens setzt sie falsche Annahmen voraus – die Annahme, daß es zu jeder wahren Aussage, die ein Gehalt einsichtigen Denkens ist, einen Gegenstand gibt, über den die betreffende Aussage gemacht wird, sowie die Annahme, daß einer Aussage nur dann zeitloses Wahrsein zugeschrieben werden kann, wenn der Gegenstand, über den die Aussage gemacht wird, zeitlos existiert. Die erste Annahme ist falsch, da zu den wahren Aussagen, die Gehalte einsichtigen Denkens sind, auch Aussagen gehören, die von Sätzen ausgedrückt werden, in denen keine Terme vorkommen, mit denen auf einen Gegenstand Bezug genommen wird; die zweite ist falsch, da auch über in der Zeit existierende Gegenstände zeitlos wahre Aussagen gemacht werden können, sofern die Zeitbestimmungen in den Aussagen eingeschlossen sind. Zweitens genügt die Begründung nicht zu zeigen, was mit ihr gezeigt werden soll; denn was sie zeigt, ist die Existenz von zeitlos existierenden Gegenständen – daß es sich bei diesen Gegenständen speziell um Formen handelt, wird mit ihr nicht gezeigt. Soviel oder, besser gesagt, so wenig zur Kritik der beiden Begründungen, mit denen die Formen in den Dialogen eingeführt werden. Ohne Zweifel warten andere Arbeiten zur Konzeption der Formen in den platonischen Dialogen mit einem attraktiveren Platon auf, z. B. einem Platon, der den ersten Beitrag zur bis heute andauernden Debatte über die Existenz und die Identitätskriterien von Eigenschaften geliefert hat und dessen Beitrag an moderne Konzeptionen von Eigenschaften anschließbar ist.4 Mein Trost ist, daß es in dieser Arbeit nicht darum ging, dem Leser einen möglichst attraktiven Platon anzubieten, sondern zu sehen, wie an einigen wichtigen Dialogstellen tatsächlich über Formen geredet wird.
2 Vgl. Künne, Abstrakte Gegenstände, 3. Kapitel § 6 (»Irreduzibel abstrakte Aussagen«). 3 Vgl. Künne, Abstrakte Gegenstände, S. 36f. 4 Vgl. Fine, On Ideas und dies., Plato on Knowledge and Forms.
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Verzeichnis logischer Symbole und technischer Ausdrücke
Logische Symbole p→q p↔q ¬p p&q pvq ∀x ∃x
Subjunktor (»wenn p, dann q«) Bisubjunktor (»p genau dann, wenn q«) Negator (»es ist nicht der Fall, daß p«) Konjunktor (»p und q«) Disjunktor (»p oder q«) Allquantor (»für jeden Gegenstand x gilt: ...«) Existenzquantor (»es gibt einen Gegenstand x derart, daß gilt: ...«)
Termini technici Abstrakter Gegenstand: Gegenstand, der entweder keine Geschichte hat oder, wenn er eine Geschichte hat, zu keinem Zeitpunkt seiner Geschichte räumlich lokalisiert werden kann. Bekannte Arten von abstrakten Gegenständen: Begriffe, Eigenschaften, Klassen, natürliche Arten, Propositionen, Typen, Zahlen. Abstrakter singulärer Term: Singulärer Term, mit dem auf einen abstrakten Gegenstand Bezug genommen wird. Aussage, Gedanke, Proposition: Das, was von einem Behauptungssatz wie »Theaitetos sitzt« oder »Wenn Theaitetos sitzt, ist es nicht der Fall, daß er fliegt« ausgedrückt wird. Genereller Satz: Satz, der dieselbe Aussage ausdrückt wie ein Satz, in dem der Allquantor vorkommt. Beispiele für generelle Sätze: »Der Mensch ist ein Lebewesen« (drückt dieselbe Aussage aus wie »∀x (x ist ein Mensch → x ist ein Lebewesen)«); »Pferde sind vierbeinig« (drückt dieselbe Aussage aus wie »∀x (x ist ein wohlausgebildetes Pferd → x ist vierbeinig)«); »Gott ist der Grund aller Dinge« (drückt dieselbe Aussage aus wie »∀x (Gott ist der Grund von x)«). Genereller Term: Ausdruck, der eine Verwendungsweise besitzt, in der er als Prädikat-Ausdruck eines (Teil-)Satzes gebraucht wird (siehe unter »Prädikat-Ausdruck«). Generelle Terme sind z. B. »fliegt«, »schön«, »schon seit Jahren unbemerkt Alkoholiker«, »ein durch und durch verkommener Charakter«, »gute Romane«. Implizit genereller Satz: Im Deutschen ein genereller Satz, in dem ein verallgemeinernd gebrauchter Ausdruck der Form »Der/die/das F(e)« vorkommt. Im Griechischen ein genereller Satz, in dem ein verallgemeinernd gebrauchter Ausdruck der Form »ὁ/ἡ/τὸ Φ« vorkommt. Konkreter Gegenstand: Gegenstand, der eine Geschichte hat und zu jedem Zeitpunkt seiner Geschichte räumlich lokalisiert werden kann.
332
Logische Symbole und Termini technici
Prädikat-Ausdruck, -Term: Ausdruck, der das grammatische Prädikat eines (Teil-)Satzes ist. Die Ausdrücke »Prädikat-Term« und »Prädikat-Ausdruck« werden in dieser Arbeit als Synonyme so verwendet, daß bei (Teil-)Sätzen mit Kopula diese als »bloßes Formwort der Aussage«1 nicht zum Prädikat-Ausdruck bzw. -Term des (Teil-)Satzes zu rechnen ist. Einige (Teil-)Sätze, deren Prädikat-Term(e) kursiv gesetzt ist (sind): »Theaitetos sitzt«, »Sokrates ist tapfer«, »Kallias ist ein Mensch«, »Wenn Theaitetos jetzt flöge, dann wäre der Satz ›Theaitetos fliegt‹ jetzt wahr«, »Franz Kafka ist einer der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts«, »Wäre diese Person da doch Kallias, damit ich wüßte, wie sie heißt« (das »wäre« gehört zum Prädikat-Term des ersten Teilsatzes, da es nicht als »bloßes Formwort der Aussage«, sondern, wie Frege sagt,2 als »Gleichheitszeichen« gebraucht wird). Selbstprädikation: Aussage, die von einem Satz ausgedrückt wird, mit dessen Subjekt-Term auf eine (platonische) Form Bezug genommen wird und dessen Prädikat-Term laut der Formkonzeption, die Formen als Designate von Prädikat-Termen konzipiert, für dieselbe Form steht. Selbstprädikativer Satz: Satz, der eine Selbstprädikation ausdrückt. Singulärer Term: Ausdruck, der eine Verwendungsweise besitzt, in der mit ihm in einem Satz eines der Individuen spezifiziert wird, von denen in dem Satz die Rede ist. Singuläre Terme sind z. B. »Der da«, »Sokrates«, »der Erfinder der Ideenlehre«, »Franz Kafkas letzter Tagebucheintrag«, »die Eigenschaft, groß zu sein«. Subjekt-Ausdruck, -Term: Ausdruck, der das grammatische Subjekt eines (Teil-)Satzes ist. Für die Einstufung eines Ausdrucks als Subjekt-Term eines (Teil-)Satzes ist es irrelevant, ob ihm ein logisches Subjekt der von dem Satz ausgedrückten Aussage entspricht, d. h., der SubjektAusdruck eines Satzes braucht nicht ein singulärer Term zu sein. Z. B. hat die von dem Satz »Der Mensch ist ein Lebewesen« ausgedrückte Aussage kein logisches Subjekt, doch ändert dies nichts daran, daß »Der Mensch« grammatisches Subjekt und damit Subjekt-Ausdruck des Satzes ist. Verallgemeinernd gebrauchter Ausdruck der Form »Der/die/das F(e)« (bzw. im Griechischen »ὁ/ἡ/τὸ Φ«): Ein Ausdruck dieser Form, der im Sinne von »Das, was (ein/eine) F ist« (»ὃ ἂν Φ ᾖ«) bzw. »Wenn etwas (ein/eine) F ist« (»εἴ τι Φ ἐστιν«) verwendet wird, z. B. »Der Mensch« in »Der Mensch ist ein Lebewesen« oder »Der Liebende« in »Der Liebende ist duldsam«.
1 Über Begriff und Gegenstand, S. 168. 2 Vgl. ebd.
Stellenverzeichnis
Alexander von Aphrodisias in Metaph. siehe unter »Aristoteles, Peri ideon« Ammonios in Cat. 31.2-5 54 A. 103 31.5-12 55 A. 105 Aristoteles Apr. Α25, 43a30-32 15 A. 11, 40 Cat. 1a1-6 232 1a6-12 226 mit A. 223 1a20-b9 49 A. 96 1b10-15 15, 40, 48-56, 76 A. 67, 185f. 1b12f. 64 A. 28, 88 A. 91 2a19-27 235 A. 242 2a21f. 64 A. 28, 88 A. 91 2a29-34 234 A. 242 3a10f. 48 3a33-b9 235 A. 242 3b10-12 35 3b13-18 16 A. 12, 3b13-21 34, 36 A. 70, 64 A. 27, 76, 186 3b15f. 76 A. 66 3b16 35, 186 3b16-18 36 A. 71, 76 A. 65 3b18-21 34 A. 65, 76 A. 66 3b20f. 185f. 4a23-28 282 A. 120 4a34-b2 282 A. 120 6a36f. 102, 131 A. 199 6b9f. 128 A. 192 6b22f. 128 A. 192 6b28 130 6b29f. 128 A. 191 8b25f. 96f. 11b24-33 128 A. 193 de An. Α5, 410a13-15 98 A. 118 EE Α8, 1217b25-29 98 A. 118 EN
Α6, 1096b13f. 97 Γ5, 1114a20 309 A. 212 GC Α3, 319a12 34 A. 65 Α6, 322b30 97 Int. 7, 17a39f.-18a6 41 A. 82 Metaph. Α5, 985b26-986a3 291 A. 144 Α5, 986a9 301 Α6, 987a32-b7 308 Α6, 987b5-7 133 A. 1, 134 A. 2 Α6, 987b6f. 207f. Α6, 987b7 206 A. 175 Α6, 987b11f. 291 A. 144 Α6, 987b14-18 198 Α6, 987b16f. 204 Α6, 987b22 309 Α9, 990b13 245 A. 15 Α9, 990b19f. 309 A. 213 Α9, 991a22-27 267 A. 78 Α9, 991b1-3 202 A. 157 Α9, 991b2 207 Β6, 1003a8f. 36 A. 70 Β6, 1003a8-12 37f., 76 A. 65 Γ1, 1003b5-10 98 A. 119 Γ7, 1011b26f. 283 A. 124 Δ8, 1017b13f. 204, 207 Δ8, 1017b15 204 Δ15, 1021a9f. 102 A. 129 Ζ1, 1028a10-13 98 Ζ1, 1028a18 98 A. 119 Ζ6, 1031a30 205 A. 170 Ζ6, 1031b1 205 A. 170 Ζ11, 1036b13-17 302 A. 186, 310 Ζ13, 1038b6 203 Z13, 1038b8f. 208 Ζ13, 1039a1f. 34 A. 65, 36 A. 70 Ζ14, 1039a30f. 202 A. 157, 203 A. 165 Ζ16, 1040b25-27 36 A. 70 Ζ16, 1040b27-29 203, 204 A. 167, 207 Z16, 1040b30f. 205 A. 169 Ζ16, 1040b30-34 198 A. 153 Η2, 1042b25 97 A. 117 Κ2, 1060b1 203 A. 165
334
Stellenverzeichnis
Λ7, 1072b26f. 297 A. 166 Λ7, 1072b29 297 Μ4, 1078b10-12 308f. mit A. 206 Μ4, 1078b12-17 204-210 Μ4, 1078b12-1079a4 308 Μ4, 1078b14f. 206 mit A. 177 Μ4, 1078b15f. 205f. mit A. 172, A. 175, A. 176 Μ4, 1078b16f. 204f., 206 A. 174 Μ4, 1078b30f. 133 A. 2, 203 Μ4, 1079a4-1080a11 308 Μ4, 1079b6 248 A. 26 Μ7, 1081a12-17 310 Μ8, 1084a12-17 310 A. 216 Μ9, 1086a32-34 34 A. 66, 203 Μ9, 1086a32-b11 14 A. 6 Μ9, 1086a33f. 204 A. 168, 207 Μ9, 1086b3-5 133 A. 2, 203 Μ9, 1086b7-9 203 Μ9, 1086b7-11 198 A. 153 Μ9, 1086b8-10 204 A. 167, 205f. mit A. 169, A. 171, A. 176, 207 Μ10, 1086b17f. 204 A. 168 Μ10, 1086b18 203 Μ10, 1086b27 248 A. 26 Ν2, 1089a7-9 98 A. 118 Peri enantion ap. Simp. in Cat. 389.8f. 96 389.9f. 103 A. 133 Peri ideon ap. Alex. Aphr. in Metaph. 79.15-19 45 A. 88 80.8-15 245 A. 15 81.7-10 45 A. 88 82.4f. 237 A. 247 82.10 222 82.11 211 mit A. 181 82.11-83.6 212 82.11-83.17 211-241 82.12f. 219, 223, 225-228, 230-234, 237, 239 82.13f. 38 A. 74, 214, 219, 228, 237 83.1 212 A. 183, 234 A. 241 83.2-6 231 83.3 219 83.4-6 217, 224 83.5 237 83.5f. 224f. 83.6f. 212f. mit A. 187, 215-237 83.6-11 239 83.6-14 212 83.7 232 A. 237, 233 A. 238, 240 83.7f. 224f., 227, 235 mit A. 243 83.7-11 216f., 224, 229, 232
83.7-14 229 83.8-10 228, 235 mit A. 244 83.10 212 A. 185, 235 83.10f. 228, 235 mit A. 244 83.11 217, 230, 237 83.11f. 229 83.12 238 A. 248 83.12-14 212 A. 187, 214, 230, 236 A. 246, 237-241 83.14-17 212 83.15 212 A. 185 83.17-22 45 A. 88 84.27f. 32 A. 58 84.27-85.1 14 A. 5, 32 A. 57 85.21-86.3 309 A. 214 87.4-8 309 A. 215 Ph. Α2, 185a31f. 202 A. 163, 204 SE 22, 178b36-179a10 32 A. 58 Top. Α5, 102a32-35 54 A. 104 Α5, 102a34f. 55 Ζ10, 148a14-22 33 A. 61 Calcidius Ti. 29.1 298 A. 178 32.18 298 A. 177 Damaskios in Phd. § 302 180 A. 106 Dexippos in Cat. 26.13-16 54 A. 103 26.17-20 55 A. 105 Elias in Cat. 153.15-26 55 A. 105 Euripides Hec. 597 20 A. 25 Hermodoros ap. Simp. in Ph. 248.2f. 128 A. 190, 131 A. 198 Hesiodos Th.
Stellenverzeichnis 32 284 38 284 Homeros Il. 1,70 284 Philoponos in Cat. 38.28-39.15 55 A. 105 Pindaros P. VIII, 95f. 55 A. 106 Platon Ap. 25c8 101 A. 126 Cra. 385b7 283 A. 124 389b5 248 A. 26 389d7 248 A. 26 398d 219 A. 205 [Epin.] 981b7f. 298 A. 180 981c2-4 255 A. 42 984b6-d2 298 A. 180 [Ep. VII] 343a1 120 A. 175 Euthd. 301b5f. 18 A. 19 Euthphr. 6d10f. 46 6e3f. 181 A. 113 6e3-6 186, 197 6e10 185 A. 123 6e10-7a1 185 9d2-4 185 A. 122 9e1-3 185 A. 122 10a5-12 85 12e3f. 181 A. 114, 192 15b4f. 183 A. 119, 184, 185 A. 123 15e6f. 181 A. 114, 192 Hp.ma. 282a4 283 A. 124 286c8-d2 192 291d1-5 18 A. 19 292e6f. 18 A. 19 295c2f. 185 A. 121 296d2f. 185 A. 121 La. 192a1 315 A. 230 Lg.
335
II, 667c8 283 A. 123 III, 700a3 284 A. 128 X, 896a1-5 298 A. 180 X, 896e8-897b1 298 A. 180 X, 897b1-4 298 A. 176 X, 898e1 255 A. 42 Men. 72c2f. 85 74a9 245 A. 13 75a4-8 245 A. 13 87b5 315 A. 230 97a9-b3 152 97b5f. 279 A. 111 Phd. 62e3f. 101 A. 124 65d9-e5 171 73a8f. 142 A. 23 73a9 142 73a10 142 A. 23 73c1f. 141f., 154 73c1-d1 140-163 73c1-74a8 139 73c1-75c5 138 73c4f. 148 A. 39, 150, 153, 164 A. 70 73c4-d1 142-163, 171, 176 73c5 146 73c5f. 140 A. 18 73c6-8 143 A. 26, A. 28, 154-161 73c7 142f. A. 25, 162 A. 68 73c8 142 A. 25, 143 A. 27, A. 29, 148 A. 39, 150 A. 44, 154-161 73c8-d1 147 73d3f. 160 73d5-8 142 A. 24 73d7 142 A. 25 73d9 142 A. 24, A. 25, 147 73e1 146 73e5 143 A. 30 73e5-7 142 A. 24, A. 25, 147 73e9-74a1 142 A. 24, A. 25, 147, 150, 156, 162 A. 68 74a-75d 236 A. 245 74a5-8 152, 270 74a9f. 192 74a9-b2 175 74a9-75c6 139, 163-168 74a10f. 26 A. 43 74a11 172 74b2f. 191 74b4-6 164 A. 70 74b4-c10 164f. 74b6 166 A. 76 74b6f. 138, 175 A. 89, 191
336
Stellenverzeichnis
74b6-c7 164, 169-201 74b7-9 173-179, 193 74b7-10 137, 162, 164, 166, 191 74b7-c3 165 74b8 138, 183, 187, 189 74b8f. 169 74c1 19 A. 20, 26, 138, 170, 179-190, 220 A. 207, 270 74c1-3 137, 162, 164, 166, 169f., 173179, 191, 196 74c4f. 137, 170, 190 74c6 138, 193 74c7-9 164 74c13-d2 154, 165 mit A. 74 74d4-8 44 A. 86, 164-166 74d5f. 138 74d6 248 A. 26 74d6f. 177 A. 90, 197 A. 152 74d9-e5 166 74d9-e8 245 A. 12 74d10 162 A. 67 74e3 269 A. 85 74e3f. 270 A. 86 74e6-8 44 A. 86, 166, 269f. 74e9-75a4 166 75a1 166 A. 76 75a1-3 44 A. 86, 162, 164, 171 75a2f. 197 A. 152 75a5-b2 166 mit A. 76 75a11-b3 44 A. 86, 164, 167, 171 75b1f. 248 A. 26 75b4-6 164 A. 70, 167 A. 76 75b4-8 166 A. 76 75b7f. 44 A. 86, 197 A. 152 75b10f. 165 75b10-c6 168 75c4-6 139, 165 A. 74 75c7-d6 139 75c10-d1 135 A. 5 75c10-d3 245 A. 16 75d1 184 75d2 248 A. 26 75d2f. 184 A. 120 75d7-76c13 139 76c4 165 A. 74 76c6-10 165 A. 74 76c11-13 139 78d1f. 184 A. 120, 245 A. 16 78d1-9 73 78d1-e5 178 78d3 47 A. 94 78d4f. 248 A. 26 79a6 243 A. 2
79a6-11 243 80b1-3 289 A. 141 92d9 248 A. 26 97d5 160 A. 65 100b1 315 A. 230 100c3-101d2 265 100c4-6 18 A. 19, 28, 306 A. 201 100c4-e3 47 A. 94 100d7f. 265 104c1 189 A. 133 104d5f. 187 A. 129, 189 A. 133 104e3 189 A. 133 Phdr. 247e2 248 A. 26 Phlb. 16c9 101 A. 126 51c6-7 127 A. 190 60c10 284 A. 128 66e6 284 A. 128 Plt. 258d7 283 A. 123 Prm. 128e5-130a2 72 A. 51 129a2 248 A. 26 129b1f. 189 129b7 248 A. 26 130c5-d9 21 A. 31 132c12-133a7 269 132d3f. 269 132d5-8 288 133a5 269 133c8 129 A. 194, 130 133d7-134a1 128 A. 191 133d8-e1 248 A. 26 134a3f. 248 A. 26 139e8 261 A. 57 148a3 261 A. 57 158e3-5 261 A. 57 165c8 261 A. 57 Prt. 330d8-e1 30 A. 54 R. I, 335a8-10 315 I, 354b2 101 A. 126 IV, 420e6 315 A. 231 IV, 434c7 315 A. 230 IV, 436b-437a 194 A. 141 V, 475d1-480a13 134 A. 4 V, 476a4 21 A. 31 V, 476a4-7 195f. V, 476c2-7 196 A. 149 V, 476c2-d4 134 A. 4, 269 V, 476c9 47 A. 94
Stellenverzeichnis V, 477e6f. 280 A. 115 V, 479a1 47 A. 94 V, 479a1-3 196 A. 147 V, 479a3-5 195 A. 146 V, 479a5-b8 135 A. 5 V, 479b2-6 177 A. 93 V, 479b9f. 193 A. 137 V, 479b11 194 A. 138 V, 479b11-c5 194 A. 140 V, 479c3-5 194 A. 139 V, 479c4 194 V, 479e1 47 A. 94 V, 479e7-10 289 A. 141 VI, 490b3 248 A. 26 VI, 507a7-b11 311 VI, 507b2-8 307 A. 202 VI, 507b7 248 A. 26 VII, 524c 195 VII, 532a7-b1 248 A. 26 VII, 532b1 184 A. 120 VII, 533b2 248 A. 26 VII, 534a1f. 276 A. 101 VII, 534b4-6 252 A. 29 X, 596a6f. 307 X, 597a2/4 248 A. 26 X, 597c3/9 248 A. 26 Smp. 173d4 101 A. 125 206a11f. 101 A. 124 210d-212a 47 A. 94 210e4-211a5 18 A. 19 211a2-5 174 mit A. 84 211c8-d1 248 A. 26 Sph. 218c4f. 101 A. 125 230a4 283 A. 123 233d9-e4 99 A. 120 237c10 93 A. 109 237d1-5 93 A. 109 238e8-239a1 132 A. 203 240a4-6 245 A. 14 240a8 268 A. 83 240b2 268 A. 83 243d8f. 82 A. 80 243d9-e2 82, 107f., 111 244a6-8 107 A. 142 246b6-c2 244 A. 7 248a7-b1 244 A. 7 248c11-e5 79 248e6-b1 79 249b2f. 60 A. 10, 79, 82 249b8-c9 79f. 249b8-d5 63, 244 A. 8
337
249b12-c1 73, 79 A. 75 249c3f. 79 A. 76 249c6-8 79 A. 77 249d3 76 A. 64, 82, 83 A. 85 249e7-250a2 82 250a2f. 82 A. 80, 112 250a11f. 59 A. 5, 60 A. 10, 82 250b2-4 70 A. 44, 110 250b5 60 A. 9, 66 A. 33, 110 250b5f. 65 A. 30, 67 250b8f. 60 A. 15, 83 A. 85 250b10 59 A. 5, 60 A. 10 250c2 59 A. 5, 60 A. 10 250c6f. 66 A. 33 251d5-8 60 A. 15 251e9 60 A. 15 252a2f. 60 A. 10, 60 A. 15 252a8-10 84 A. 85, 111 A. 148, 112 252a9f. 111 A. 149 252c2-4 75 A. 60, 103 252d2-11 65 A. 30 252d6 60 A. 9, 77 A. 68 252d6-8 60 A. 14, 66 A. 33 252d9-11 19 A. 21, 66 253a8 88 A. 92 253b2 88 A. 92 253b11 72 253c2 88 A. 92 253d1-e2 244 A. 9 253e1 72, 88 A. 92 254b8 88 A. 92 254d7f. 60 A. 14, 67, 72 254d10 60 A. 10, 60 A. 15 254d14 70 A. 44 255a4-b7 67 A. 34 255a7-b2 67 255a10 60 A. 9, 66 A. 33 255a10-b2 62 A. 21, 65 A. 30, 68 255b1 60 A. 14, 61 A. 20, 62 A. 21, 67 255b3 60 A. 16, 60 A. 17 255b8-c5 74 A. 59, 108 255b11f. 99 A. 120 255b11-c1 60 A. 10, 74f. 255c1 110 255c8-e1 89, 104-106, 126f. 255c12f. 89-132 255d1 94-101, 104-106, 130 255d3f. 105f. 255d4f. 100 A. 122, 104-106 225d5f. 130 255d5-7 100 255d6f. 104-106 255e3-6 62 A. 22
338
Stellenverzeichnis
255e4-6 61 A. 20 255e8-256d10 58 255e11f. 84, 86 255e11-14 60 A. 11 255e11-256e4 121 A. 177 256a1 60 A. 10, 60 A. 15, 109f. 256a7f. 60 A. 12, 60 A. 17, 84, 109 256a10-12 122 256a10-b5 62 A. 21 256a11-b1 315 A. 229 256a11-b4 66 A. 33 256b1 60 A. 17, 68, 109 256b2 60 A. 16, 109 256b2-4 114, 117 A. 159 256b6f. 60 A. 14, 66 A. 30, A. 33, 67 256b7 60 A. 9 256c5f. 60 A. 11 256d8f. 60 A. 10, 121 A. 177 256d9 60 A. 15, 109 256d11 119 A. 169, 122 256d11f. 60 A. 16 256d11-e1 125 A. 187 256d12 119 A. 168, 121 A. 177 256d12-e1 120 A. 176 256e2f. 121 A. 177 256e3 109f. 256e5f. 120, 121 A. 177, 122 A. 178 257a4f. 121 A. 177 257c-258a 303 A. 191 257c2f. 75 A. 62 257c7f. 119 A. 167 257c7-d3 305 257c7-258b7 22 A. 32 257d4ff. 114 257d7 117 257d7-11 114 257d10f. 117 257e2-11 117 257e6f. 116 258a1-10 117 258a11-b3 98f. 258a11-b7 116-118 258b1 115 A. 154 258b7 119 258b8-c3 118 258b9f. 131 A. 200 258b10-c1 19 A. 19 258c3 125 A. 188 258d5-e3 118-120 258d6 119 A. 168 258d7-e1 125 258e2 116 A. 158 259a8-b1 120 A. 176
260d4 284 A. 128 263b 283 A. 124 263b11f. 121 264c9 284 A. 128 Tht. 144c3-5 151 A. 45 144d7 284 A. 128 146a2 101 A. 126 147b9 283 A. 123 152d2-6 127 A. 190 156e7-157a4 127 A. 190 160b8-c2 127 A. 190 163d10-12 145 A. 33 176b8 315 A. 230 182e9 284 A. 128 191d3-5 147 A. 36 192a1 315 A. 230 192a2 147 A. 36 192b6 147 A. 36 195d6f. 47 A. 93 196a3 147 A. 36 197b7-d3 141 A. 20 201b7-c1 279 A. 111 209c6 147 A. 36 Ti. 27c4 278 A. 109 27d5 251 A. 27, 253 27d5-28a4 244 27d5-29b2 251-259 27d6-28a4 251-256, 277, 286f. 28a1f. 206 A. 175 28a1-4 252f. 28a2 281 A. 117, 287 A. 135 28a4-6 257 28a6-b2 258 28b2-4 293 28b4-7 243 A. 4 28b6f. 257 28b7-c2 253, 256f. 28b8-c2 244 A. 6 28c3-5 257f. 29a1f. 257 29a3 258 29a5 244 A. 4 29a5f. 258 29a6f. 206 A. 175, 244 A. 4 29a7 287 A. 137 29b3-c3 278 A. 108 29b4 278 A. 109 29b5-c1 271 A. 90 29c4-d3 280 29c6 278 A. 109 29d7f. 259 A. 53
Stellenverzeichnis 29d7-30c1 259f. 29e1 244 A. 4, 254 A. 37 29e3 259, 297 A. 172 30a2f. 259 30a5f. 259 30b1 297 A. 170 30b1-3 259 30b2-4 298 A. 175 30b3 259, 298 A. 174 30b4 297 A. 170 30c1 297 A. 170 30c2-31a1 262f. 30c2-31b3 268 30c3 259 A. 55, 260, 262, 265 A. 69 30c5 305 30c5f. 263 A. 64, 304f. 30c6f. 263 30c7 265 A. 69 30c8 301 30d2 260, 301, 305 31a2-b3 263f. 31a3f. 306 A. 201 31a4-8 263 31a6-8 264 31a8 265 A. 69 31b1 248 A. 26, 261, 265 A. 64 31c3 300 32c2 300 32c3f. 254 A. 37 32c8 297 A. 170 33a3 297 A. 170 33a6 297 A. 170 33b1f. 294 33b7 297 A. 170 33d1 297 A. 170 34a2 298 A. 175 34a8 254 A. 39, 297, 299 34a8f. 297 A. 170 34a8-b3 298 A. 181 35a1f. 255 A. 43 36d8 297 A. 170, 298 A. 178 36e4f. 285 36e6 255 37a1 254 A. 39, 297 mit A. 169, 299 37a2 255 mit A. 43 37b4-6 279 A. 112 37c1-3 298 37c2 298 A. 175 37c2f. 299 A. 183 37c3-5 260 A. 56, 298 A. 174 37c6 297 A. 170 37c6-38c3 264, 268 37c7 297 A. 171
37c8 261, 265 A. 69, 297 A. 170 37d1f. 306 A. 201 37d3 244 A. 4, 261 A. 58 37d3f. 261 A. 59 37d5 261 A. 60, 297 A. 170 37d7 261 37e5-38a1 243 A. 4, 264, 286 38a2-4 264 38a3 287 A. 137 38b7 254 A. 37 38b8f. 265 A. 69 38b8-c1 261 38c1f. 261 A. 62 38c1-3 286 38c2f. 254 A. 37, 261 A. 61 38c3f. 297 A. 170 39e1 265 A. 69, 301 39e3-40a2 262f., 268 39e3-6 265 A. 69, 306 A. 201 39e7 298 39e7-40a2 262f., 303f. 39e8 248 A. 26, 265, 296, 301 39e9 297 A. 170 41a5 297 A. 173 41a8-b6 254 A. 37 41d4 297 A. 173 46d5f. 260 A. 56, 298 46d6 255 46e3-6 257 A. 48 46e4 298 A. 175 47b7 298 A. 179 47e3f. 292 47e3-48a7 257 A. 48 47e4 298 mit A. 180 47e4f. 257 48a1f. 298 48a2-5 281 A. 117, 294 48b3-6 272, 292f. 48b5-c2 292f. 48e2-49a6 243 A. 3, 255 A. 43 48e3 243 A. 2, 255 A. 43 48e5f. 267 A. 71 48e5-49a1 245 A. 12 48e6 206 A. 175, 267 A. 71, A. 75 49b7-c7 206 A. 175 49b7-50b5 245 49d1-3 314 A. 226 49d3-7 273, 277 A. 107, 311-315 49d7-e4 312 49e6 315 A. 229 49e7-50a1 314 A. 226 50a5-51b6 254 A. 40 50b8 254 A. 40
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340
Stellenverzeichnis
50c5 267 A. 72, A. 76 50d1 267 A. 74 51a1 267 A. 75, A. 76 51a2 267 A. 74 51a4-6 314 A. 225 51b1 267 A. 75 51b4-6 254 51b6 267 A. 72 51b8 48 A. 95, 248 A. 26, 308 A. 203 51c4f. 248 A. 26, 307 51c5 267 A. 75 51d3-5 276 A. 101, A. 103 51d3-e6 206 A. 175, 276-290 51d5 267 A. 75 51e1 276 A. 102 51e2-4 277 A. 105, 281 A. 117 51e4 277 A. 106, 280 A. 115, 281 A. 117 51e5f. 298 A. 175 52a1 267 A. 76, 276 A. 103, 287 A. 137 52a1-4 313 52a1-b5 243 A. 3, 268 52a2f. 267 A. 77 52a4 256 A. 45, 267 A. 75, 276 A. 99, A. 101 52a4-7 268 A. 82, 313f. 52a5 267 A. 74, 291 52a7 281 A. 117 52a8-b5 313 52b4f. 267 A. 77 52c2 267 A. 73 52d2-4 243 A. 3 52d3f. 291 53b1-5 295 53b3f. 291 A. 145 53b4f. 292, 295, 300 53b7-c3 293 53d4 293 A. 152 53d5f. 271 53d6f. 293 53e3f. 273 A. 93 53e6-8 273 53e8 293 54b5-d3 291 54d3-55c4 293 54d6 293 A. 152 55a1 294 55a6 294 55a8 293 A. 152 55b4 293 A. 152 55b4f. 294 55c1 294
55d6-56b6 291, 293f. 55e1f. 271, 289 55e3f. 293 A. 152 56a1 271 56b4 271 56b4f. 293 A. 151 56b7-c2 256 A. 44, 295 56c2-7 294 56c3 300 56c8-d1 271 56c8-57c6 291 57d1 294 57d6 271 59c7f. 272, 278 A. 108, 279 A. 111 59c7-d2 271 68e1-6 294 68e6-69a5 257 A. 48 69b4 300 69b6-8 295 92c2 298 A. 175 Plotinos Enn. VI.2 1.25f. 253 A. 34 Porphyrios in Cat. 80.4f. 54 A. 104 80.32-81.2 54 A. 103 81.11-14 55 A. 105 81.11-17 56 A. 109 Proklos Inst. 55.16-21 287 A. 135 in Ti. 1.225.25-27 253 A. 34 1.227.8f. 255 A. 43 1.233.14 255 A. 43 1.235.26-32 255 A. 43 1.238.31-239.6 286 A. 131, 287 A. 135 1.241.28-31 244 A. 6 1.257.3 255 A. 43 1.279.2-7 244 A. 4 1.403.23-28 299 A. 183 1.425.11-16 304 A. 196 Ps.-Philolaos fr. 11 DK 303 A. 190 Simplikios in Cat. 52.9-11 54 A. 103
Stellenverzeichnis 52.11-20 55 A. 105 389.8f. 96 389.9f. 103 A. 133 in Ph. 135.26 118 A. 166 238.26 118 A. 166 Sophokles
OT 1100-1118 153 A. 48 Speusippos fr. 28.13f. (Tarán) 302 Thukydides 1.132.4.1-5.1 284
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Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben 166: Nina Johannsen Dichter über ihre Gedichte
161: Tanja Itgenshorst Tota illa pompa
Die Prosavorreden in den »Epigrammaton libri« Martials und in den »Silvae« des Statius
Der Triumph in der römischen Republik
2006. 404 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25265-9
165: Jochen Walter Pagane Texte und Wertvorstellungen bei Lactanz 2006. 382 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25264-2
164: Michael Jung Marathon und Plataiai Zwei Perserschlachten als »lieux de mémoire« im antiken Griechenland 2006. 427 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25263-5
163: Jonas Grethlein Das Geschichtsbild der Ilias Eine Untersuchung aus phänomenologischer und narratologischer Perspektive 2006. 381 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25262-8
162: Rene Pfeilschifter Titus Quinctius Flamininus Untersuchungen zur römischen Griechenlandpolitik 2005. 442 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25261-1
2005. 301 Seiten mit einer CD-ROM: Katalog der Triumphe von 340 bis 10 vor Christus, gebunden ISBN 978-3-525-25260-4
160: Rosario La Sala Die Züge des Skeptikers Der dialektische Charakter von Sextus Empiricus’ Werk 2005. 204 Seiten mit zahlr. Tab., gebunden ISBN 978-3-525-25259-8
159: Lothar Spahlinger Tulliana simplicitas Zu Form und Funktion des Zitats in den philosophischen Dialogen Ciceros 2005. 360 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25258-1
158: Christopher B. Krebs Negotiatio Germaniae Tacitus’ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel 2005. 284 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25257-4
Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben 157: Demetrios C. Beroutsos A Commentary on the “Aspis” of Menander
153: Anja Bettenworth Gastmahlszenen in der antiken Epik von Homer bis Claudian
Part One: Lines 1-298
Diachrone Untersuchungen zur Szenentypik
2005. 112 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25256-7
2004. 543 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25252-9
156: Katharina Luchner Philiatroi Studien zum Thema der Krankheit in der griechischen Literatur der Kaiserzeit 2004. 462 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25255-0
155: Martin Holtermann Der deutsche Aristophanes Die Rezeption eines politischen Dichters im 19. Jahrhundert 2004. 352 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25254-3
154: Jens Leberl Domitian und die Dichter Poesie als Medium der Herrschaftsdarstellung 2004. 394 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25253-6
152: Francesca Schironi I frammenti di Aristarco di Samotracia negli etimologici bizantini Etymologicum Genuinum, Magnum, Symeonis, Megalae Grammatikae, Zonarae Lexicon. Introduzione, edizione critica e commento 2004. 615 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25251-2
151: Immanuel Musäus Der Pandoramythos bei Hesiod und seine Rezeption bis Erasmus von Rotterdam 2004. 234 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25250-5
150: Adam Nicholas Bartley Stories from the Mountains, Stories from the Sea The Digressions and Similes of Oppian’s Halieutica and the Cynegetica 2003. XII, 342 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-25249-9