Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs: Wirtschaftspolitik, Außenhandel und industrielle Interessen 1815-1859 [1 ed.] 9783428490318, 9783428090310

Die Frage nach der wirtschaftlichen Integration in Europa stellt sich nicht erst heute. In historischer Perspektive sind

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German Pages 331 Year 1996

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Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs: Wirtschaftspolitik, Außenhandel und industrielle Interessen 1815-1859 [1 ed.]
 9783428490318, 9783428090310

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RUPERT PICHLER

Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs

Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient Band 9

Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs Wirtschaftspolitik, Außenhandel und industrielle Interessen

1815-1859

Von Rupert Pichier

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme PichIer, Rupert: Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs : Wirtschaftspolitik, Aussenhandel und industrielle Interessen; 1815 - 1859 I von Rupert PichIer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient ; Bd. 9) ISBN 3-428-09031-4 NE: Istituto Storico Italo-Germanico (Trento): Schriften des Italienisch-Deutschen ...

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0939-0960 ISBN 3-428-09031-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Vorwort "... il nostro mondo non e fatto come e, e come domani sara, da questa 0 quella Astrazione, e fatto da cio che avviene in noi uomini, 0 in qua1cuno di noi". Gutdo Morse/li, Contro-passato prossimo

Die langjährige Beschäftigung mit der Wirtschaftsgeschichte der Habsburgermonarchie und das Interesse für die beinahe vergessene italienische Geschichte Österreichs bildeten die Ausgangspunkte der vorliegenden Arbeit. Grundlage dafür war meine Dissertation, die aus einem Forschungsprojekt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien hervorging und von der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck Anfang 1995 angenommen wurde. Eine wissenschaftliche Arbeit ist naturgemäß nicht das alleinige Werk ihres Autors, sondern im gedanklichen Austausch mit vielen anderen entstanden, die dadurch zum Gelingen beigetragen haben. Prof. Brigitte Mazohl-Wallnig CInnsbruck) ist zu verdanken, mich für die italienisch-österreichische Geschichte überhaupt gewonnen und daher meine Arbeit initiiert sowie in der Folge immer tatkräftig unterstützt und begleitet zu haben. Prof. Franz Mathis CInnsbruck) schärfte meinen Blick für viele allgemeine Zusammenhänge und war immer für erfrischende wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu haben. Ohne die freundliche Aufnahme und Hilfestellung während meiner Zeit in Mailand wäre mir aber wohl vieles entgangen. Prof. Carlo Capra (Mailand), Prof. Marco Meriggi (Verona/Mailand) und Prof. Angelo Moioli (Mailand) verhalfen mir zur notwendigen Vertrautheit mit der Geschichte der Lombardei und standen mir stets hilfreich zur Verfügung. Das gilt auch für Prof. David F. Good (Minneapolis), ohne dessen Interesse und Anleitung während meines Aufenthalts am Center for Austrian Studies der University of Minnesota in Minneapolis wichtige Teile meines Buches nicht in der vorliegenden Form zustandegekommen wären. Dabei verdanke ich auch einiges Prof. Steven Ruggles (Minneapolis), dessen Seminar meinen Interessen ein ideales Diskussionsforum bot, und David Ryden (Minneapolis), der mir mehr als einmal helfend zur Seite stand. Daneben haben auch viele nicht direkt in meine Arbeit involvierte Kollegen mir in Diskussionen und durch ihr Interesse bei der Weiterentwicklung meiner ForschungsanSätze geholfen. Unter ihnen möchte ich Dr. Wolfgang Meixner CInnsbruck) und Dr. Hans Heiss (Brixen/Bozen) nennen, die mehr als nur langjährige wissenschaftliche Wegbegleiter sind. Darüberhinaus bin ich aber auch dem Istituto storico italo-germanico in Trient zu Dank für die Aufnahme meiner Arbeit in seine Schriftenreihe verpflichtet, besonders prof. Andrea Leonardi (Trient), dessen Interesse an meiner Untersuchung immer ein Ansporn war, und

6

Vorwon

Dr. Chiara Zanoni Zorzi (Trient), die die Redaktion des Manuskripts besorgte. An dieser Stelle ist auch dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Wien zu danken, der nicht nur das gesamte Forschungsvorhaben, sondern auch die damit verbundenen Auslandsaufenthalte in Italien und den USA finanzierte. Dabei ermöglichte es mir Prof. Otto Kresten (Wien/Rom), sämtliche bürokratischen Hürden mühelos zu überspringen. Schließlich sind aber auch Persönlichkeiten zu nennen, die unabhängig von der vorliegenden Studie meine Arbeitsweise entscheidend geprägt haben. Prof. Klaus Tenfelde (Bielefeld, damals Innsbruck) hat mir während meiner "Lehrjahre" zu einem fruchtbaren wissenschaftlichen Ansatz verholfen, ebenso wie Prof. Volker Press, der große, feinsinnige Kenner der österreichischen Geschichte, zu dessen Studenten ich in Tübingen zählen durfte. Seinem Andenken ist dieses Buch gewidmet.

Rupert Picbier

I~~erzeic~

Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

13

Italien und Österreich: dualistische Wirtschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

1. Wirtschaft und Nation . • • • . • • • • . . . • • . • • . . . • . . . . • . .. 2. Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens ..••..•••••..•.. . . . . .• 3. Zur Wirtschaftsgeschichte der Habsburgennonarchie . • • • . . . • • •.

21 25 30

Zweites Kapitel: Wirtschaft, Politik und Unternehmer .. . . . . . ..

38

1. Wirtschaft und Politik . . • • . • • • • . • . • • . • . . • • • . . . . . . .. 2. Untemehrner •••••••••••••••.••.•••••••.••.....

38 48

Drittes Kapitel: Grundlagen der Geschichte der Lombardei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

54

1. Zur Geschichte der politischen Verwaltung in der Lombardei. . • . • • • • • . . • • • • • • • • . • . • • • • • . . • • • . . . . . .. 2. Wirtschaftsgeographische Rahmenbedingungen . . . . • . . . . . . . ..

54 65

Erstes Kapitel:

Viertes Kapitel: Wirtschaftspolitik und Formation industrieller Interessen im frühen Vor-

märz • . • . • . . . . • . . . . . . . . . • . . . . • . . . . ..

83

1. Diskussion der Rolle der Lombardei in der österreichi-

schen Wirtschaft - Erste Schritte zu Eingliederung und Anpassung . • . . . . . . . . . • . • . . • . • . • • . . . . • . • . . . . . .. 86 2. Die Entwicklung der Interessen nach der Festlegung der wirtschaftspolitischen Grundlagen • • . • • • . . . . . . . • . . . . . . . . 102 3. Die Rolle der traditionellen Exportinteressen . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Institutionelle Voraussetzungen. . . . . • • . • . . . . . . . . . . . . . . . 127 Fünftes Kapitel: Stagnation und Veränderung der lombardischen Wirtschaft im österreichischen Integrationssystem im späten Vormärz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 1. Die Industrialismusdebatte • • • • • • • • . • • • • . . . • . . • • . . . • . . 133 2. Die Lombardei im System der österreichischen Wirtschaftspolitik in den zwei Jahrzehnten vor 1848 . • . . . • . . . . . . . 140

Inhaltsverzeichnis

8

3. Unternehmer und der Markt der Lombardei als Teil Österreichs. . . . . . . . . . • . • . . . • . • . . . . . . . . 4. Das Kreditsystem zwischen Staatsmacht und traditionellen Regionalstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Eisenbahnbau in der Lombardei im Rahmen des österreichischen Wirtschaftssystems . . . . . . . . . . • . 6. Die Lombardei als Bindeglied zwischen Österreich und den anderen italienischen Staaten. . . . . . . . . . . . . 7. Vorboten der Veränderungen. . . . • . . • . . . . • . . .

. . . . . . . .. 191 . . . . . . . .. 207

Sechstes Kapitel: Neue Grundsätze der Wirtschaftspolitik und Entwicklung unternehmerlscher Interessen im Neoabsolutismus

211

. •. •.

163

. . . . . . . .. 170 . . . • . . . .. 183

1. Institutionelle Veränderungen. • • . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . .. 214

2. 3. 4. 5. 6. 7.

Die neue österreichische Außenhandelspolitik • . . • . . . . • . . • . . Die Lombardei und die neoabsolutistische Zollpolitik . . . . . . . . .. Neue Versuche zur Modernisierung des Kreditwesens . . . . . . . . •. Die Zollunion mit Parma und Modena . . . . • . . . . • . • . . . . . . • Die neoabsolutistische Eisenbahnpolitik . • . • . • • . . • . • . . . . .. Die Wirtschaft der Lombardei am Ende der österreicruschen Herrschaft . • . . • . . • . . . . • • . • • • . . • . . . . . • . .

Siebtes Kapitel:

216 221 227 231 247 264

Der Stellenwert der Lombardei im Rahmen der österreichischen Wirtschaft. Einige Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . .. 266

1. Eine Schätzung des regionalen Pro-Kopf-Einkommens

2. 3. 4. 5.

in Cisleithanien • . . • • • • . . . • . • . • . . • . . . . . . . • . . • . . . . Gewerbliche und industrielle Produktion . . . . . . . . . • . . . . . . . Außenhandel . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zölle und Steuern . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikatoren wirtschaftlicher Integration in der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . •. . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . .

267 278 283 286 290

Schlußfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 295 Quellen und Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 305 Namen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Tabellenverzeichnis Tabelle

Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der Industrieproduktion in der österreichischen Reichshälfte in Prozent •••.••••••••.••••.••••.••

34

Tabelle

2: Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der österreichischen Industrieprouktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Prozent •••••••••••

37

Tabelle

3: Anwesende Bevölkerung der Lombardei •••••••

69

Tabelle

4: Durchschnittliche Bevölkerungsdichte in den österreichischen Provinzen (anwesende Bevölkerung pro km2)

69

Tabelle

5: Anteile der rohen und gesponnenen Seide am Wert der Exporte aus der Lombardei in Prozent • • • • • •

73

Tabelle

6: Seidenexporte aus der und Baumwollimporte in die Lombardei in metrischen Zentnern (quintali) . • • • •

81

Tabelle

7: Sparkasseneinlagen in den österreichischen Provinzen in 1.000 fl CM •••••••••••••••••••••

173

Tabelle

8: Sparkasseneinlagen pro Kopf in den österreichischen Provinzen in fl CM • • • • • • • • • • • • • • • • • •

174

Tabelle

9: Bruttoregionalprodukt pro Kopf in 1980 US-Dollars •

273

Tabelle

10: Index des Bruttoregionalprodukts pro Kopf (Lombardei~100) •••••••••••••••••••••••.

274

Tabelle

11: Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des Bruttoregionalprodukts pro Kopf in Prozent ••••••••

274

Tabelle

12: Bruttoregionalprodukt der österreichischen Provinzen in Mio. 1980 US-Dollars •••.•••••••.••••

277

Tabelle

13 : Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des Brutto-

regionalprodukts in Prozent • • • • • • • • • . • • ••

277

Tabelle

14 : Gewerbliche und industrielle Produktion 1841 in 1.000 fl CM . . • • • • • . . . • • • • • • . . • • • • • • . •

279

Tabelle

15: Industrieproduktion der Lombardei 1841 nach Branchen in Mio. fl CM • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

280

Tabelle

16: Menge und Wert von Roh- und Gußeisenproduktion 1841-1846 in 1.000 Wiener Zentnern bzw. 1.000 fl CM

281

Tabelle

17: Baumwollgarnproduktion 1841-57 pro Kopf in Wiener Pfund • . • • • • • . • • • . • • • • • • • • • . • •••

281

Tabelle

18: Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der Baumwollgarnproduktion pro Kopf in Prozent • • . •

282

Tabellenverzeichnis

10

Tabelle

19 : Wert der Exporte der österreichischen Provinzen absolut in 1.000 fl CM und pro Kopf in fl CM

284

Tabelle

20 : Wert der Importe der österreichischen Provinzen absolut in 1.000 fl CM und pro Kopf in fl CM

285

Tabelle

21 : Ausfuhrzollerträge in den österreichischen Provinzen in 1.000 fl CM

287

Tabelle

22 :

. . . . . . . ·. . . . .

Tabelle

23 :

Tabelle

24 :

. . . . . . . ·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ·. . . . . Einfuhrzollerträge in den österreichischen Provinzen in 1.000 fl CM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · . . ... Staatseinnahmen und -ausgaben pro Kopf nach Provinzen in fl CM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · . . . . . Regionale Streuung von Lebensmittelpreisen in Österreich: Variationskoeffizienten . . . . . . . . . . . . . . · .....

288 289 292

Abkürzungen und Maßeinheiten Abkürzungen Quellen

Archivio della Camera di Commercio di Milano Admininistrative Registratur Archivio di Stato di Milano Archivio di Stato di Parma Archivio di Stato di Torino Raccolta degli atti dei governo Atti Allgemeines VeIWaltungsarchiv AVA Bundesministerium für Finanzen BMF Cancellerie Austriache CA Commercio. parte moderna Comm PM Finanzarchiv FA Foreign Office FO Haus-. Hof- und Staatsarchiv HHStA Hofkammerarchiv HKA Konunerz Komm Lettere ministri LM Materie politiche MP Präsidium Pr Public Record Office PRO Reichsgesetzblatt RGBl Segreteria intima di gabinetto SIG Staatenabteilung StAbt StK Prov LV Staatskanzlei. Provinzen: Lombardo-Venetien

ACCM Admin Reg ASM ASPR AST

Tabellen

Bö CM Da fl GB

KK KL

Lo MS





St TV Ve

Böhmen Conventionsmünze Dalmatien Gulden GalizieniBukowina Kärnten/Krain Küstenland Lombardei Mähren/Schlesien Niederösterreich Oberösterreich (mit Salzburg) Steiermark TirolNorariberg Venetien

Abkürzungen und Maßeinheiten

12

Allgemeines

AHK AM

AOK

BIP BRP cCIÄ

FM GG Gub HK HM IM

KHK LVCIEG

MI PD StH VE

ZOHK

Allgemeine Hofkammer Außenministerium Armeeoberkommando Bruttoinlandsprodukt Bruttoregionalprodukt Commissione di commercio, industria ed agricoltura Finanzministerium Generalgouvernement Gubernium Handelskammer Handelsministerium Innenministerium Kommerzhofkommission Lombardisch-venetianische und Centralitalienische Eisenbahngesellschaft Mailand Provinzialdelegation Statthalterei Venedig Zentralorganisierungshofkommission

Maßeinheiten 1 Wiener Pfund

1 1 1 1

~ 100 Wiener Zentner - 56 kg = 100 Iibbre = 100 kg quintale metrico Gulden Konventionsmünze (fl CM) ~ 60 Kreuzer = 3 lire austriache fl CM ~ 0,88 lire austriache lira milanese

Quelle: E. Saurer, Straße, Schmuggel, Lottospiel, S. 490.

Einleitung Die beiden Nachbarländer Italien und Österreich verbindet eine mehr als zweihundertjährige gemeinsame Geschichte, während der für beide konstitutive Elemente ihrer politischen, soiialen, wirtschaftlichen und kulturellen Identität geschaffen wurden. Trotzdem ist dieser Umstand heute im allgemeinen historischen Bewußtsein nicht besonders verankert. Maßgeblich ist dafür zunächst die Wirkungsmächtigkeit des Risorgimento in der italienischen Historiographie und das dadurch produzierte Bewußtsein, womit das nationale Thema mit dem Gegensatz von Beherrschten und Herrschenden zum Leitmotiv wurde l . Dem italienischen Trauma, Kompensationsobjekt der europäischen Politik zu sein, mit Österreich als .Exekutor"2, das .wie selbstverständlich ... Mittelitalien als privilegiertes Einflußgebiet betrachtete"3, folgte das österreichische des ersten Weltkriegs und das Südtirol-Syndrom. Dies führte jedenfalls zu einem bis in die jüngste Vergangenheit reichenden Antagonismus, der zwar an Bösartigkeit hinter anderen derartigen Konstellationen zurückgeblieben ist, aber auf dem Weg der gegenseitigen Nicht-Wahrnehmung zu einem Verlust gemeinsamen historischen Bewußtseins führte. Dadurch wird das heutige Verhältnis eher von der europäischen Tradition theoretisch einheitlicher Nationalstaaten geprägt, sodaß es nun den Anschein hat, daß gemeinsame Anknüpfungspunkte mehr oder minder mühsam neu hergestellt werden müssen, anstatt daß solche aus der gemeinsamen Geschichte heraus selbstverständlich erscheinen würden. Erst in letzter Zeit haben sich durch mehrere Entwicklungen neue Möglichkeiten zur Gestaltung und zum historischen Verständnis des italienisch-österreichischen Verhältnisses ergeben. Zum einen wurde durch den Abschluß des Südtirol-Pakets 1992 und die Ablegung der Streitbeilegungserklärung vor den Vereinten Nationen von beiden Seiten der politische Wille zum Ausdruck gebracht, jahrzehntelang wirksame (und schließlich in keinem Verhältnis zum eigentlichen Problem mehr stehende) Komplikationen in den gegenseitigen Beziehungen zu beseitigen'. Zum anderen stehen diese Beziehungen seit einiF. Valseccbi, Italien und Österreich 1815-1866 in der italienischen Geschichtsschreibung, in: A. Wandruszka / L. jedlicka (Hrsg.), Innsbruck-Venedig. Österreichischitalienische Historikertreffen 1971 und 1972, Wien 1975, S. 1; A. Wandruszka, Die neuere Geschichte Italiens in der österreichischen Historiographie, ebd., S. 15. P.-H. Kucber, Herrschaft und Protest. literarisch-publizistische Öffentlichkeit und politische Herrschaft in Oberitalien zwischen Romantik und Restauration 1800-1847, Wien I Köln I Graz 1989, S. 13. Ebd., S. 20. Zu diesem .Neuanfang" vgl. z.B. M. Morass / G. Pallaver (Hrsg.), ÖsterreichItalien. Was Nachbarn voneinander wissen sollten, Wien 1992.

14

Einleitung

gen Jahren in einem völlig neuen Kontext europäischer Entwicklungen: die "Einigung" Europas beginnt, unter Entfaltung einer gewissen Eigendynamik, immer mehr die traditionelle europäische Einheit des Nationalstaats zu relativieren. Dieser Integrationsprozeß ist aber offenbar nicht stark genug, die in verschiedenen Ländern nunmehr freigelegten, unterhalb der Ebene des Nationalstaats befindlichen Konflikte zu lösen. Außerdem ist Europa seit dem Aufgehen des Eisernen Vorhangs 1989 mit einer Vielzahl von "neuen" Nationalitätenkonflikten im früheren sogenannten Ostblock konfrontiert. Deren historische Wurzeln, aber auch die der jeweiligen Interpretationen und Argumentationen sind offenkundig, betreffen sie nun die von den früheren kommunistischen Regimes unterdrückten Nationalitätenkonflikte, oder die westeuropäischen Regionalkonflikte, beispielsweise in Italien, Spanien, Belgien oder Großbritanniens. Die rund um Österreich befindlichen Konfliktherde reichen in ihrer Geschichte alle in jene der Habsburgermonarchie zurück, und meist sind auch dort einige der Ursachen zu suchen. Deswegen ist in Österreich auch durchaus ein Bewußtsein der historischen Verantwortung für die Nachbarländer vorhanden, insofern diese Teile der Habsburgermonarchie waren. Besonders nachdem die Schwächeerscheinungen im damaligen Ostblock immer offenbarer geworden waren, die Funktion Österreichs als Bindeglied zwischen Blöcken nach wie vor notwendig, damals aber endlich aktiv einsetz bar schien, kam es zu einer Renaissance des "Mitteleuropa"-Begriffs6• Allzudeutlich war dabei aber dessen Schwammigkeit, der Charakter als "imaginäre Größe ... , die sich vor allem dadurch auszeichnet, daß Menschen ihre historischen Gemeinsamkeiten und ihre gemeinsamen Chancen in Kontakten und im Austausch bestimmter Lebensbedingungen und Lebensgefühle formulieren"7. Daher ist es berechtigt, zu fragen, ob es sich dabei nicht nur um "eine Projektion der Nachgeborenen in die Vergangenheit" handelt: "Lassen sich Mythen wie die vom ,Völkergefängnis' nun einfach durch andere ersetzen, etwa den von der kosmopolitischen Völkergemeinschaft?"s Eine Definition "Mitte1europas" ist also schwierig zu erstellen, wurde vielleicht aber als "der Raum mit den wandernden Grenzen, der Verflechtung der diversen Kulturen, Sprachen und Bekenntnisse, der Nichtübereinstimmung von über die italienisch-österreichischen Beziehungen im Zusammenhang der europäischen Integration siehe G. Pa/laver, L'erba dei vicino. Italien-Österreich. Nachbarn in Europa, in: M. Gebier / R. Steininger(Hrsg.), Österreich und die europäische Integration 1945-1993. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung, Wien / Köln / Weimar 1993, s. 226-266. Abgesehen davon ist es ja interessant, daß derartige Konflikte auch nach Kanada exportiert werden konnten, wie der Fall der Autonomiebestrebungen in Quebec zeigt. 6 Symptomatisch z.B. E. Busek / E. Brix, Projekt Mitteleuropa, Wien 1986; auch E. Busek / G. Stourzb (Hrsg.), Nationale Vielfalt und gemeinsames Erbe in Mitteleuropa, Wien / München 1990. E. Busek / E. Brix, Mineleuropa, S. 23. S K. Scblögel, Die Mitte liegt ostwärts. Die Deutschen, der verlorene Osten und Mineleuropa, Berlin 1986, S. 13.

Einleitung

15

Staat und Nation"9 noch am besten getroffen. Dabei wird aber auch evident, wie sehr in diesem Begriff die Überschneidungsräume italienischer und österreichischer Geschichte ihren Platz haben müßten: seit 1708 gehörte das Herzogtum Mantua, seit 1714 das Herzogtum Mailand, seit 1735 (bis 1748) das Herzogtum Parma und seit 1737 das Großherzogturn Toskana zum österreichisch-habsburgischen Imperium. Durch die Restauration nach der französischen Revolution und deren Folgen war zudem die willkommene Gelegenheit gegeben, den österreichischen Einflußbereich in Italien zu festigen. Durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses wurden das Trentino, Triest, Görz-Gradisca und Istrien wieder der Habsburgermonarchie einverleibt. Die Lombardei (das um einige Gebiete vergrößerte Herzogtum Mailand) bildete zusammen mit der ehemaligen Republik Venedig das Königreich Lombardo-Venetien, wobei die Form von dessen Integration in den habsburgischen Machtbereich den Gegenstand besonderer Erörterungen bildetelO • Weiterhin in den habsburgischen Einflußbereich fielen Parma und Piacenza (1815-47), Modena (Haus Österreich-Este seit 1803, in Modena seit 1814) und die Toskana (mit Lucca). Trotz dieser österreichischen Infiltration weiter Teile Italiens erstrecken sich die .Mitteleuropa"-Vorstellungen darauf nicht. Zwar sei .für die italienische Kultur ... [der] Doppeladler ein fester Bezugspunkt, der nationalistische Affekte abbaut und eine wichtige Etappe in der Geschichte der italienischen Halbinsel wieder für die eigene Identität zugänglich macht"lI, wobei aber nur .Menschen in Prag, Krakau, Budapest, Laibach, Triest und Wien sich einander wieder zuzuwenden" beginnen12 , nicht aber solche z. B. in Venedig, Mailand oder Florenz. Dabei war ja Italien auch im Konzept des .Mitteleuropa"-Schöpfers Friedrich Naumann als System deutscher Vorherrschaft ein nicht unbedeutender Stellenwert zugedacht, denn •Volksstimmung und Wirtschaftsinteressen sind gerade in Italien nicht harmonisch. Italien sollte wirtschaftlich zu Mitteleuropa gehören"13. Heute ist kein derartiger Reflex mehr auszumachen, aber ebenso entzog sich auch der Umstand, daß ein Teil der gedanklichen Vorarbeit zur Wiederaufnahme des .Mitteleuropa"-Gedankens in Italien geleistet wurde l 4, in Österreich der Aufmerksamkeit. Dies ist grundgelegt in der trotz der zeitweisen Nützlichkeit von Zentraleuropakonzepten im Kontakt mit dem früheren Ostblock feststehenden Westorientierung der österreichischen Politik, die auch dem Selbstverständnis der Österreicher entspricht, wie die unerwartet hohe Zustimmung zum Beitritt des Landes zur Europäischen Union zeigte.

9 Ebd., S. 13. Zu den Definitionsschwierigkeiten und der Ost-Ausgerichtetheit ,Mitteleuropas" vgl. auch]. Le Rider, Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes, Wien 1994. 10 Dazu siehe Kapitel 3. 11 E. Busek / E. Brix, Mitteleuropa, S. 82. 12 Ebd., S. 10. 13 F. Naumann, Mitteleuropa, Berlin 1915, S. 2. 14 A. Agnelli, La genesi dell'idea di Mitteleuropa, Milano 1971.

16

Einleitung

Es ist aber auch festzustellen, daß sich die italienische Konfrontation mit der "Neuordnung" Europas auf einer anderen Ebene bewegt. Die Vorstellung grenzüberschreitender, von einem Nationalstaat unabhängiger Zusammenhänge scheint der italienischen Öffentlichkeit fremd zu sein. Die feste Einbindung in die Europäische Union als notwendige Stabilitätssicherung stellt aber auch Italien einem Aufweichen seines besonders starken nationalstaatlichen Prinzips gegenüber, was sich mit den inneritalienischen Zentrifugaltendenzen trifft. Während aber neue Konzepte wie die "Euregio", z.B. als vor allem von österreichiseher Seite propagierte "Europa-Region Tirol" (einschließlich des Trentino), kaum auf Interesse stoßen, gewinnt der Aspekt einer inneren Regionalisierung Italiens immer mehr an Bedeutung, wie es die politischen Entwicklungen zu zeigen scheinen. Hervorstechend ist dabei, daß auch diese Auseinandersetzungen entlang historischer Bruchlinien verlaufen und erneut das Bewußtsein für die historische Heterogenität Italiens schärfen. Dabei darf freilich nicht der Fehler begangen werden, heute vorhandene regionale Einheiten als direkt historisch begründbar darzustellen. Gerade nach der "tradizione apologetica del Risorgimento,,15 ist es wichtig, bei der Frage nach den Wirkungen politischdynastisch zustandegekommener Grenzen die traditionelle territoriale Rolle der italienischen Stadt nicht zu vergessen. Diese Funktion der Stadt verhält sich nicht unbedingt synchron zu derjenigen anderer politisch-territorialer Gebilde. Daher kann die Interpretation heutiger Gegensätze in Italien nicht nur auf die vor der Einheit bestehenden Fremdherrschaften abgewälzt werden: "non ci sono Länder nella storia moderna della penisola; esistono, esaurita la fase medievale deI ricco policentrismo cittadino, stati in forma di regione; creature dei principi, non regioni dei ceti"16. Deswegen ist es bei einer Untersuchung wie der vorliegenden besonders wichtig, den Ausgangspunkt für die Definition der gewählten (territorialen) Einheit zu klären. Im vorliegenden Fall sind die politischen Grenzen, das Vorhandensein einer Region eben dadurch, entscheidend, sodaß der Ausgangspunkt des Interesses die Auswirkung der formalen Zugehörigkeit eines Gebietes (der LombardeO zu einer bestimmten Einheit (Habsburgermonarchie) ist. Dies darf daher nicht vermengt werden mit Untersuchungen, die die Beschäftigung mit der Entwicklung einer Region an sich zum Ziel haben, wobei eine Region dann selbstverständlich auch jeweils unterschiedlich definiert werden kann l7 •

15 M. Meriggi, Nazione, regione, citta. Immagini dell'Italia nella storiografia, in: Storia e regione, 1 (1992), 2, s. 9. 16 Ebd., S. 12. 17 Wie z.B. bei R. Romano, La modernizzazione periferica. L'Alto Milanese e la formazione di una societi industriale 1750-1914, Milano 1990, ein Teil der Lombardei als "Wirtschaftsregion" . Prinzipiell siehe F. Baltzarek, Zu den regionalen Ansätzen der frühen Industrialisierung in Europa, in: H. Knittler(Hrsg.), Wirtschafts- und sozialhistorische Beiträge. Festschrift für Alfred Hoffmann zum 75. Geburtstag, Wien 1979, S. 334-355, wie so oft auf die Unzulänglichkeit der Erforschung der Wirtschaft im bloßen Rahmen staatlicher Einheiten hinweisend.

Einleitung

17

Bei allen heute virulenten Regional- und Nationalitätenkonflikten spielt das ökonomische Argument eine herausragende Rolle, weil dadurch Ansprüche quasi objektiv begründet werden können. Wenn der Umstand, daß sich besonders im historischen Umfeld Österreichs eine große Anzahl von derartigen Problemzonen befindet, schon erwähnt wurde, so ist nun die Frage nach den historischen Ursachen und Wurzeln heutiger (tatsächlicher oder vorgestellter) ökonomischer Diskrepanzen zwischen Regionen bzw. Nationen zu stellen. Diese Wurzeln in der Geschichte der Habsburgermonarchie zu orten, ist naheliegend, weil viele in der Industrialisierung geschaffene Strukturen bis heute wirksam bleiben und vor allem die im 19. Jahrhundert herausgebildeten Industriestandorte und die damit verbundenen Optionen die Wirtschaften der betroffenen Regionen/Länder prägen. Auch die autonomistische Bewegung in Norditalien argumentiert stark von der ökonomischen Seite her, indem es um die Norditalien aus den Umverteilungsmechanismen des Zentralstaats erwachsenden, etwaigen Nachteile geht. Damit wird aber nicht nur auf den die italienische Wirtschaftsgeschichte prägenden Nord-Süd-Gegensatz Bezug genommen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt revisionistischer Gegenpositionen auf mit den vor 1861 regierenden Regimes verbundene Klischees, wie z.B. der .geordneten österreichischen Verwaltung". Dies zeigt daher auch die gegenwärtige Relevanz der an sich schon aus der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung der Habsburgermonarchie heraus interessanten Frage nach der wirtschaftlichen Rolle eines sehr bedeutenden Teils Norditaliens als Teil Österreichs. In der Wirtschaftsgeschichte der Monarchie sind die Lombardei und Venetien bisher aber praktisch ignoriert worden, was insofern merkwürdig ist, als besonders der .Reichtum" der Lombardei schon ein zeitgenössisches Stereotyp war. Vor allem dazu beigetragen haben mag, daß die italienischen Gebiete schon verloren waren, als entscheidende Schritte der Industrialisierung noch bevorstanden, sowie der bereits durch die zeitgenössischen Unsicherheiten beim Umgang mit Lombardo-Venetien erzeugte Eindruck einer fundamentalen Andersartigkeit und irgendwie nicht .organischen" Zugehörigkeit Lornbardo-Venetiens zur Monarchie. Dabei war ja zum Zeitpunkt des Wiener Kongresses die Lombardei bereits fast ein Jahrhundert lang mit Österreich verbunden gewesen, sodaß die Vorstellung, es handle sich dabei nicht um ein traditionell habsburgisches Gebiet, eigentlich falsch ist. Anders verhält es sich mit Venedig, das tatsächlich einen völligen Fremdkörper innerhalb Österreichs darstellen mußte. Das Faktum der Nicht-Behandlung Lombardo-Venetiens in der Literatur zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte ist aber umso erstaunlicher, als insbesondere die letzten innovativen Arbeiten dazu auf den Beginn des modemen Wirtschaftswachstums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insistieren l8 , womit auch die Rolle Lombardo-Venetiens zu diskutieren gewesen wäre. 18 D.F. Good, Der wirtschaftliche Aufstieg des Habsburgerreiches 1750-1914, Graz I Wien I Köln 1986; j. Komios, Die Habsburgermonarchie als Zollunion. Die Wirtschaftsentwicklung Österreich-Ungarns im 19. Jahrhundert, Wien 1986.

2 PichIer

18

Einleitung

Das Hauptinteresse der vorliegenden Untersuchung besteht daher, allgemein ausgedrückt, in einer Klärung der wirtschaftlichen Rolle der Lombardei innerhalb der Habsburgermonarchie als einem Schlüssel zum Verständnis späterer Entfremdungl9 . Dabei geht es keineswegs darum, innerhalb der .die Gesellschaft konstituierenden Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Herrschaft und Kultur,,20 den Bereich der ökonomischen Entwicklung als konstitutives Element des historischen Prozesses hervorzuheben. Vielmehr wird dabei die Wirtschaft, nämlich .das Feld derjenigen Tätigkeiten ... , die Menschen im ,Stoffwechsel mit der Natur' zur Gewinnung ihres materiellen Lebensunterhalts betreiben"21, als zwischen dem oft kurzfristigen Wechselfällen unterworfenen Bereich politischer Herrschaft und jenem schwer faßbaren der Kultur stehendes Element untersucht. Deswegen ist neben der Frage nach der .tatsächlichen" wirtschaftlichen Rolle der Lombardei in der Habsburgermonarchie von besonderem Interesse, was die Wahrnehmungen und Vorstellungen von dieser Rolle waren. In diesem Zusammenhang spielen abseits jeder .realen" Entwicklung eine Fülle nicht direkt ökonomischer Faktoren bzw. deren Rezeption und Interpretation hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung eine entscheidende Rolle. Auf diese Weise können sich daher in der Geschichte wirtschaftspolitischer und unternehmerischer Entscheidungen umfassendere politische, soziale und kulturelle Prozesse ausdrücken, wobei aber stets der Aspekt der .Gewinnung des materiellen Lebensunterhalts" als beharrendes Element vorhanden bleibt. Dabei sind freilich diesem Erkenntnisinteresse entsprechende Einschränkungen durchzuführen. Der geographische Rahmen der Untersuchung wird sich in der Regel auf die Lombardei beschränken, weil sie der wirtschaftlich zentrale Bestandteil der italienischen Teile Österreichs war und Venetien eine in manchen Teilen zwar nicht vollkommen unterschiedliche, aber doch getrennt verlaufende Entwicklung aufwies, die zudem stark von Venedig selbst geprägt wurde. Venetien wird daher nur dort berücksichtigt, wo es untrennbare Zusammenhänge mit Entwicklungen in der Lombardei gibt. Die Anwendung eines umfassenden Wirtschaftsbegriffs wird ebenso nicht praktikabel sein, da es zweckmäßig ist, um zum Ziel der Erklärung der Gegenwart zu gelangen, das Augenmerk auf jene Bereiche zu legen, die in historischer Perspektive die Protagonisten der Industrialisierung waren und das moderne Wirtschaftswachstum einleiteten. Darunter werden der Sektor gewerblicher und industrieller Produktion (sekundärer Sektor) und der Dienstleistungssektor (tertiärer Sektor) verstanden, 19 Zu den Ausgangspositionen dieses Projekts siehe auch R. Picbier, überlegungen zur Wirtschaftsgeschichte Lombardo-Venetiens als Teil der Habsburgennonarchie, in: Tiroler Heimat, 57 (1993), S. 143-156; als Zwischenergebnis vgl. ders., Grundzüge der österreichischen Wirtschaftspolitik in der Lombardei: 1815-1859, in: Annali dell'Istituto storico italo-germanico in Trento, 19 (1993), S. 149-180. 20 H.-U. Webler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Refonnära 1700-1815, München 1987, S. 6. Zur Positionierung siehe E. Haniscb, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 9-13. 21 H.-U. Webler, Gesellschaftsgeschichte, S. 10.

Einleitung

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nicht unmittelbar einbezogen wird aber der Produktion und Beschäftigtenstand nach wichtigste Sektor der Landwirtschaft. Dessen Rolle mag zwar in verschiedenen Entwicklungsmodellen von Bedeutung sein22 , mußte aber gegenüber dem hier vordringlichen Interesse an den Entwicklungschancen der später die Industriegesellschaft formenden Sektoren letztlich zurücktreten.

22 Eine skeptische Zusammenfassung dessen ist zu finden bei C. Trebi/cock, The Industrialization of the Continental Powers 1780-1914, London / New York 1981, s. 385391: "Chickens, eggs and rational peasants".

2*

Erstes Kapitel

Italien und Österreich: dualistische Wirtschaften Der Geschichte der Wirtschaften Italiens und Österreichs ist nicht nur die von Gerschenkron so bezeichnete wirtschaftliche Rückständigkeit zu eigen, auch umfaßten beide zu Beginn des 20. Jahrhunderts Gebiete, die an der Industrialisierung in vollem Umfang teilgenommen hatten, und periphere, unterentwikkelte Gebiete. Während aber die unterschiedlich entwickelten Teile der Habsburgermonarchie als Nationalstaaten oder Bestandteile neuer Vielvölkerstaaten auseinanderfielen, war aus dem Konglomerat der italienischen Staaten eine politische Einheit geworden, die von ihrer Grundkonzeption gleichsam die Antithese zur Habsburgermonarchie darstellte. 1. Wirtschaft und Nation Die Interpretation der wirtschaftlichen Entwicklung im Zusammenhang mit den Prozessen der Nationsbildung ist daher das historiographische Grundproblem und häufige Hauptmotiv der Wirtschaftsgeschichten Italiens und Österreichs. Dabei geht es darum, die Entstehung von Nationalstaaten auch ökonomisch erklären zu können bzw. den Zerfall eines Vielvölkerstaats nach den wirtschaftlichen Ursachen zu untersuchen und danach zu fragen, inwieweit wirtschaftliche und nationale Entwicklung einander bedingenI. Relativ allgemein lassen sich diese Zusammenhänge in einem europäischen Zentrum-Peripherie-Modell erörtern. Demnach sind die westeuropäischen Länder die .Kernländer": .That is, nation-states came into existence here through a relatively slow process and in the absence of any clear antecedents: they were the first ones. The process of formation began here in early modern times, weil before industrialization was underway"2. Demgegenüber stehen die multinationalen Gebilde der Habsburger und Osmanen: .In these places the process worked in the direction of political fragmentation rather than political consolidation. Neither the Habsburg nor the Ottoman empire survived this process .. 3, womit also wirtschaftliche und nationale Entwicklung als einander bedingend gesehen werden. Für Italien und Spanien bedeutete dies demnach aber, daß ein politischer KonsoDaher verwundert es nicht, daß schon sehr früh ein Begriff wie "economic nationalism" , allerdings für die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert, auf die Habsburgermonarchie Anwendung fand: vgl. F. Hertz, The Economic Problem of the Danubian States. A Study in Economic Nationalism, London 1947. 2 J. W. Cole, Culture and Economy in Peripheral Europe, in: Ethnologia Europea, 15 (1985), S. 10. Ebd.

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lidierungsprozeß unter der Führung von zum "Kern" gehörigen Teilen in Gang gesetzt werden konnte: "the Northern Italian core promoted nationalism and unified the peninsula politically"4. Dabei wäre es auch sinnvoll, unterhalb dieser europäischen Ebene zu untersuchen, welche Zentren auf welche Peripherien Macht ausüben, um Unterschiede in Größe und Struktur politischer Gebilde erklären zu könnens. Von den unvermeidlichen, aber auch letztendlich unlösbaren, damit verbundenen Definitionsproblemen (,Nation", "Volk") abgesehen, ist an diesem Modell wohl die zu einseitige Ausrichtung auf das Konzept des ethnisch homogenen Nationalstaats zu kritisieren. Dies geht im wesentlichen auf die Konzeption von Kar! W. Deutsch zurück, der einen direkten Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum und "nation-building" herstellte, wonach ersteres im Verband mit politischen Organisationsformen die Assimilation der Bevölkerung bewirke6• Dadurch wird die ökonomische Entwicklung grundsätzlich als integrativ beurteilt, wobei sich dieser Effekt durch die Industrialisierung verstärkt habe7 • Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus diesem Modell folgendes Problem: bezogen auf Italien muß es demnach eine auf das Gebiet des Nationalstaats bezogene Wirtschaftsentwicklung gegeben haben, oder die Theorie findet keine Entsprechung; bezogen auf Österreich kann es kein den Gesamtstaat oder große Teile davon umfassendes Wachstum gegeben haben, oder die Theorie findet ebensowenig eine Entsprechung8 • Dem Problem einer zu sehr auf nur eine Entwicklungsmöglichkeit ausgerichteten Interpretation versucht der Ansatz Ernest Gellners mittels eines funktionalistischen Modells eine offenere Alternative entgegenzustellen. Dieser läuft darauf hinaus, den Nationalismus als Ausdruck gewissermaßen objektiver, homogenisierender Faktoren aufzufassen. Dabei sind aber Nationen und Nationalismus nur eine Option, denn "der Tatbestand, eine Nation(alität) zu besitzen, ist kein inhärentes Attribut der Menschlichkeit, aber er hat diesen Anschein erworben. Tatsächlich sind Nationen wie Staaten historische Phänomene und keine universelle Notwendigkeit"9. Daraus folgt, "daß der Nationalismus ... nicht Ebd., S. 12. Zu diesem eher funktionalistischen Ansatz vgl. S. Rokkan, Cities, States and Nations: A Dimensional Model for the Study of Contrasts in Development, in: SN. Eisenstadt I S. Rokktm (Hrsg.), Building States and Nations. Models and Data Resources, London I Beverly Hills 1973, S. 73 f. 6 K. W Deutsch, Entwickiungsprozeß der Nationen. Einige wiederkehrende Muster politischer und sozialer Integration, in: ders., Nationenbildung-Nationalstaat-Integration, Düsseldorf 1972, S. 28 f. K. W Deutsch, Entwickiungsprozeß, S. 34 f. 8 Deswegen beschränken sich Untersuchungen über das Zusammenwirken von Wirtschaft und Nationalismus in Italien auf die Zeit nach 1861: vgl. I. De Rosa, Economia e nazionalismo in Italia (1861-1914), in: R. Ii/l / F. Va/secchi (Hrsg.), Il nazionalismo in Italia e in Germania fino alla Prima guerra mondiale, Bologna 1983, S. 269-305. 9 E. Gellner, Nationalismus und Moderne, Berlin 1991, S. 16. Auch S. Rokkan, Cities, states and nations, S. 74, sieht in einem eher funktionalistischen Modell, das auf S

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das Erwachen und die (Selbst-)Behauptung dieser mythischen, angeblich natürlichen und vorgegebenen Einheiten [ist]. Er bedeutet im Gegenteil die Kristallisierung neuer Einheiten, die für die nun vorherrschenden Verhältnisse geeignet sind"lO, denn .es stimmt nämlich nicht ... , daß es der Nationalismus ist, der diese Homogenität erzwingt; vielmehr ist es umgekehrt so, daß eine von objektiven, unausweichlichen Imperativen erzwungene Homogenität unter Umständen auf der Oberfläche die Form des Nationalismus annimmt"l1. Diese .Imperative" müssen nicht notwendigerweise ökonomischer Natur sein, aber es ist einsichtig, daß dies innerhalb eines solchen Modells von großem Gewicht ist, besonders rur die Industriegesellschaft, die als .einzige Gesellschaft der Geschichte ... auf ständiges und bewußt angestrebtes Wachstum angewiesen ist,,12. Problematisch bei diesem Ansatz ist, daß der wirtschaftlichen Entwicklung eine mehr oder minder passive Rolle zugeordnet wird, deren Beeinflußbarkeit durch nicht-ökonomische Faktoren nämlich dann nicht angenommen werden dürfte, wenn sie es ist, die durch ihre homogenisierende Wirkung erst die durch den Nationalismus begründete Nation generiert. Gerade bei der hier auch interessierenden Frage nicht nur nach den Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung in der Lombardei auf die nationale Bewegung, sondern auch nach den Auswirkungen vorhandener kultureller (nationaler) Unterschiede auf den Wirtschaftsprozeß greift ein derartiges Modell zu kurz. Eine etwaige Homogenisierung auf verschiedenen Ebenen allein wird daher nicht als genügend betrachtet werden können, sondern ist mit der Vorstellung von der Besonderheit eines bestimmten Wertes oder einer (politischen) Aufgabe innerhalb der homogenisierten bzw. zu homogenisierenden Gesellschaft zu verbinden 13• Ein solcher Mittelweg wird zweckmäßig sein, da man die Sache auch anders herum sehen kann, indem (unter anderem) die wirtschaftlichen Kräfte als integratives Element, nachdem eine nationale Einheit politisch zustandegekommen ist, interpretiert werden14 • Dies könnte besonders auch rur den italienischen Fall zutreffend sein, wo ökonomische Zwänge zur Bildung eines Nationalstaats kaum gegeben schienen l5 .

die Transaktionen zwischen Entscheidungszentren und die von ihnen beeinflußten Peripherien abzielt, einen Erklärungsansatz. 10 E. Gellner, Nationalismus, S. 77. 11 Ebd., S. 63. 12 Ebd., S. 39. 13 Vgl. T. Schieder, Probleme der Nationalismus-Forschung, in: ders. (Hrsg.), Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen, München I Wien 1971, S. 12. 14 Vgl. ein derartiges Modell bei O. Dann, Der moderne Nationalismus als Problem historischer Entwicklungsforschung, in: ders. (Hrsg.), Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 12. 15 O. Dann, Funktionen des Nationalismus in modernen Gesellschaften, in: ders. (Hrsg.), Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 217, im Zusammanhang mit diesen Ansätzen.

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1. Kap.: Italien und Österreich

Dem funktionalistischen Konzept Gellners stellte Benedict Anderson seines von der "imagined community", der Nation als einer"vorgestellte[nl politische[nl Gemeinschaft" gegenüber. In dieser .formalen Universalität von Nationalität als soziokulturellem Begriff - in der modernen Welt kann, sollte und wird jeder eine Nationalität ,haben', so wie man ein Geschlecht ,hat"'16 - besteht eine wesentlich unterschiedliche Annahme darin, daß die Nationsbildung nicht als bloß erzwungenes Konstrukt, sondern als im Bewußtsein tatsächlich vorhanden gesehen wird. Dies ist sicherlich geeigneter, Wechselwirkungen zwischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen miteinzubeziehen. Anderson bewertet aber für die Entwicklung einer Vorstellung von einer Gemeinschaft wirtschaftliche Faktoren skeptisch: "Doch erzeugen Wirtschaftszusammenschlüsse, seien sie ,natürlich'-geographisch oder politisch-administrativ, aus sich heraus keine Zugehörigkeitsgefühle. Wer würde gerne für den Comecon oder die EG sterben?"17. Damit ist das Kernproblem angesprochen, wie später noch ausgeführt wird: für die Habsburgermonarchie konnte aus der e.x post-Betrachtung heraus der Umstand des Wirtschaftszusammenschlusses und des wirtschaftlichen Wachstums keine "Zugehörigkeitsgefühle" verursacht haben, ebensowenig schienen aber diese Faktoren zur Bildung des italienischen Nationalstaats und -bewußtseins beigetragen zu haben, d.h. "ökonomische Interessen ... konnten für sich allein ... den Rahmen für ein neues Bewußtsein" nicht liefern l8 • In diesem Zusammenhang erscheint der viel stärker historisch orientierte Ansatz Eric J. Hobsbawms zweckmäßig, der auf dem Modell der "erfundenen Tradition" und, wie Anderson, auf der relativen Modernität der Nation als historischer Größe aufbaut. Das Zusammentreffen der Entstehung moderner Nationalstaaten mit der Industrialisierung legt die Frage nahe, ob "der Nationalstaat als solcher eine bestimmte Funktion im Prozeß der kapitalistischen Entwicklung [übernahml,,19. Dabei wird sofort die Bedeutung staatlicher Grenzen sichtbar, innerhalb welcher "die Regierungen Volkswirtschaften als etwas betrachteten, das in seiner Gesamtheit durch staatliche Bemühungen und Eingriffe gefördert werden mußte". Die liberalen Ökonomen des 19. Jahrhunderts konnten aber "die wirtschaftliche Bedeutung von Nationen nur in der Praxis anerkennen ... , nicht aber in der Theorie"zo. Letztlich kam daher niemand um die Tatsache der Existenz von "Volkswirtschaften" herum, aber besonders von der deutschen Nationalökonomie ausgehend wurde die Anschauung bedeutend, daß für eine Nation "eine ausreichende Größe ... eine Grundbedingung ihrer materiellen Entwicklung" war, welcher Ansicht auch Cavour und Mazzini anhingen. Aus diesem "Schwellenprinzip" ergab sich, "daß der Aufbau von Nationen zwangs16 B. Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts, Frankfurt a.M. / New York 1988, S. 14 f. 17 Ebd., S. 60. 18 Ebd., S. 71. 19 EJ. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt a.M. / New York 1991, S. 37. 20 Ebd., S. 38.

1. Kap.: Italien und Österreich

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läufig als Expansionsprozeß betrachtet wurde"21, also sozusagen auch eine ökonomische Tradition erfunden werden mußte. Dieser Gedanke wird vielleicht am meisten zum Verständnis der lombardischen Wirtschaft zwischen multinationalem Österreich und beginnender italienischer Nationsentwicklung beitragen. Es ist klar, daß zu Beginn eines Nationalisierungs- und damit Homogenisierungsprozesses die davon betroffene Gesellschaft vorher heterogener ist. Gellner versteht daher die Industriegesellschaft als "Zeitalter der universellen Hochkultur", denn "die Hochkulturen kommen in einem ganz neuen Sinn zur Herrschaft. Die mit ihnen verknüpften alten Doktrinen verlieren größtenteils ihre Autorität, aber die Idiome und Stile der Kommunikation, die sie bargen, gewinnen jetzt viel wirksamer an Autorität und werden zur gültigen Norm"22. Ob erzwungene Homogenisierung, vorgestellte Gemeinschaft oder erfundene Tradition - immer muß es auch jene geben, die den entsprechend dazu führenden Prozessen nicht nur ausgeliefert sind, sondern sie auch aktiv gestalten. Im vorliegenden Fall interessiert daher vor allem die Rolle der ökonomischen Entscheidungsträger, insofern sie in Verbindung mit "einer alteingesessenen kulturellen Elite, die sich im Besitz einer geschriebenen nationalen Literatur- und Amtssprache befand"23, den Anspruch auf eine eigene Nation erheben konnten. Dieses Potential ist aber wegen der vielen Möglichkeiten völliger Divergenzen wirtschaftlicher Interessen sehr differenziert zu beurteilen24 , wenn auch in diesem Sinn die italienische Entwicklung interpretiert werden konnte: die Nationalstaatsbildung als Produkt einer nach der Bildung eines nationalen Marktes strebenden Bourgeoisie2s .

2. Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens Die Frage der wirtschaftlichen Einheit Italiens ist das zentrale Element der Historiographie zur italienischen Wirtschaftsgeschichte. Zwar betrifft dies zum größeren Teil die Auseinandersetzung um die Entwicklung nach 1861, was auch einen unmittelbar politischen Zug hatte, als es um die Beurteilung der den nördlichen und südlichen Landesteilen im vereinten Italien jeweils zugestandenen Entwicklungschancen ging. Andererseits ist heute unzweifelhaft, daß die inneritalienischen Gegensätze, nicht nur jene ökonomischer Natur, ihren Ur21 Ebd., S. 44. 22 23

E. Gellner, Nationalismus, S. 79. EJ. Hobsbawm, Nationen, S. 50.

24 vgl. die Typisierung in liberale "modernization elites" und protektionistische "development elites· bei J. W. Gole, Culture and Economy, S. 15. 2S Zusammenfassend H. eRlrieb, Bürgertum und nationale Bewegung im Italien des Risorgimento, in: O. Dann (Hrsg.), Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 129; von R. Romeo, Problemi storico-sociali dei movimento nazionale in Italia, in: T. Sebieder (Hrsg.), Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen, München / Wien 1971, S. 39, als unzulässige Interpretation betrachtet.

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1. Kap.: Italien und Österreich

sprung in der Zeit vor der Vereinigung und nicht ausschließlich in Entwicklungen nach 1861 haben. Daher gewinnt aber auch die Wirtschaftsgeschichte der italienischen Staaten vor 1861 einen in dieser Hinsicht ambivalenteren Charakter, weil sie dadurch nicht mehr teleologisch als auf die Schaffung eines einheitlichen nationalen Marktes ausgerichtet interpretiert werden kann. Somit kann sich auch die Beurteilung des Nord-Süd-Gegensatzes nicht mehr nur auf den Gesichtspunkt einer etwaigen Ausbeutung des Südens durch den Norden beschränken. Denn in diesem Fall müßte es sich ja von vornherein um ein komplementäres System gehandelt haben, für das die Einigung Italiens eine ökonomische Notwendigkeit dargestellt hätte. Die inneren Gegensätze sind überhaupt das Hauptelement italienischen historischen Problembewußtseins, und die Frage nach den Einheit stiftenden Momenten bezieht sich keineswegs nur auf ökonomische Faktoren26 • Eine gewisse .terminus a quo"-Mentalität führte in der italienischen Geschichtsschreibung27 dazu, das Vorhandensein großer Unterschiede vor der Einigung zwar anzuerkennen, aber nicht die Frage nach anderen, sich aus den vor 1861 bestehenden Bedingungen ergebenden ökonomischen Optionen als der des Nationalstaats zu fragen. Für die Geschichte der italienischen Industrialisierung gilt daher, daß .that process is often taken to be a purely national phenomenon, open at most to comparative illustration,,28. Dementsprechend besteht eine Haupttradition in der italienischen Wirtschaftsgeschichte im Streit um die Beurteilung des Risorgimento, das den Nationalstaat zunächst einmal als politisches Faktum kreiert hatte, und seiner Möglichkeit zur Schaffung eines sozial und wirtschaftlich geeinten Staates29 • Antonio Grarnsci hatte das Risorgimento als .rivoluzione agraria mancata" charakterisiert, wodurch keine .objektive" revolutionäre Situation entstanden und die Chance auf eine bürgerliche Revolution durch die Aktionspartei vertan worden sei30 • Die von Rosario Romeo dem nicht ohne heftige antimarxistische Polemik31 entgegengehaltene These von der .ursprünglichen Kapitalakkumulation" versuchte auf 26 Siehe die Einleitung der Herausgeberin in: E. Maek-Gerard (HrsgJ, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Studien zur Geschichte Italiens, Frankfurt a.M. 1980, S. 7-21. Dieses Buch enthält einige Beiträge des Bandes H. Romano / C. Vivanti (Hrsg.), I caratteri originali (Storia d'ltalia, 1), Torino 1972 in deutscher Übersetzung. 27 G. MOri, The Genesis of ltalian Industrialization, in: Journal of European Economic History, 4 (1975), S. 79; ebenso ders., Il capitalismo industriale in ltalia. Processo d'industrializzazione e storia d'ltalia, Roma 1977, S. 65. 28 G. Mori, ltalian Industrialization, S. 79; besonders auch die industrielle Geschichte Italiens wird gerne so behandelt, als hätte sie erst nach 1861 begonnen: L. De Rosa, La rivoluzione industriale in ltalia, Roma / Bari 1980, S. XIII-XVI. 29 Dazu R. Romeo, Das Risorgimento in der neueren historiographischen Diskussion, in: Quellen und Forschungen. Aus italienischen Archiven und Bibliotheken, 64 (1984),

S. 345-364. 30 A. Gramsci, Il Risorgimento, Torino 1949. 31 Besonders auch gegen E. Sereni, Il capitalismo nelle campagne (1860-1900), Torino 1947, gerichtet.

1. Kap.: Italien und Österreich

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einer empirischen Basis das Risorgimento zu rechtfertigen. Er konstatierte eine für die Produktionssteigerung entscheidende Kapitalakkumulation etwa in den ersten zwanzig Jahren nach der Einheit, also vor allem unter der Regierung der Destra32 . Demnach hätte eine Steigerung der landwirtschaftlichen Profite in einem .processo di accumulazione fiscale" den Aufbau von Infrastrukturen, eines tertiären Sektors (Banken), und, in den Jahren der Agrarkrise der 1880er Jahre, die direkte Investition in die Industrie ermöglicht33 . Dabei wird zwar einkalkuliert, daß die kapitalistische (Land)wirtschaft des Nordens durch ein .potenziamento della citta a spese delI.. campagna, incremento deI Nord a spese deI Sud"34, zunächst einen inneren Gegensatz bewirkt habe, was aber im Hinblick auf die durch die Kapitalakkumulation geschaffene Voraussetzung zum Entstehen eines nationalen Marktes nicht negativ zu bewerten sei. Romeo versuchte seine These mit damals gerade neuen ISTAT (Istituto Centrale di Statistica)Daten zu untermauern, jedoch scheint heute seine Theorie nicht mehr haltbar, sodaß festgestellt wird, sie sei .priva di contenuto empirico,,35. Es erstaunt nicht, ist aber besonders wegen der gemeinsamen italienischösterreichischen Geschichte interessant, daß die erste Kritik daran von Alexander Gerschenkron gekonunen war: •The model proposed by Romeo has the advantage of being extremely weIl ordered ... In this view economic development appears as a very logically and methodically arranged sequence of phenomena,,36. Abgesehen davon, daß Gerschenkron Romeos Daten bezweifelte37, besteht die Stärke seines backwardness-Modells38 eben in einer relativ wenig mechanisti32

R. Romeo, Risorgimento e capitalismo, Bari 1959.

33 Zusammengefaßt bei L. Cajagna, I modelli interpretativi della storiografia, in:

ders., Dualismo e sviluppo nella storia d'Italia, Venezia 1989, s. 392 f., und G. Toniolo, Storia economica dell'Italia liberale (1850-1918), Bologna 1988, S. 219-221. 34 R. Romeo, Risorgimento, S. 46. 35 V. Zamagni, Dalla periferia al centro. La seconda rinascita economica dell'Italia 1861-1981, Bologna 1990, S. 82; auch G. Toniolo, Storia economica, S. 220 f.; übersehen werden darf dabei auch nicht der Zweck, nämlich .dimostrare la razionalicl delle svolgimento unitario e, per conseguenza, l'attuale validicl dei suoi effetti": R. Zangberi, Agricoltura e contadini nella storia d'Italia. Discussioni e ricerche, Torino 1977, S. 146. Zu den Fragen des revolutionären Charakters des Risorgimento siehe L. Cajagna, Questione agraria e sviluppo economico nel Risorgimento, in: ders., Dualismo e sviluppo nella storia d'Italia, Venezia 1989, S. 135-156, und ders., Se il Risorgimento italiano sia stato una .rivoluzione borghese", ebd., S. 157-179. 36 A. Gersebenkron, Rosario Romeo and the Original Accumulation of Capital, in: ders., Economic Backwardness in Historical Perspective. A Book of Essays, New York / Washington / London 1962, S. 112; ferner ders., Notes on the Rate of Industrial Growth in Italy, 1881-1913, ebd., S. 72-89. Zur Bedeutung Gerschenkrons für die italienische Wirtschaftsgeschichte G. Federico / G. Toniolo, Italy, in: R. Sylla / G. Toniolo (Hrsg.), Patterns of European Industrialization. The Nineteenth Century, London / New York 1991, S. 197 f. 37 A. Gersebenkron, Rosario Romeo, S. 108-112. 38 A. Gersebenkron, Economic Backwardness in Historical Perspective, in: ders., Economic Backwardness in Historical Perspective. A Book of Essays, New York / Washington / London 1962, S. 5-30.

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sehen Interpretation wirtschaftlicher Entwicklung und einer großen Variierbarkeit. Andererseits entkommt auch Gerschenkron dem terminus a quo 1861 nicht, weil die Basis seiner Auseinandersetzung mit Romeo der Staat Italien ist und es dieser war, auf den er sein Konzept der Rückständigkeit anwendete. Die "typical situation in a backward country prior to the initiation of considerable industrialization processes ... characterized by the tension between the actual state of economic activities in the country and the existing obstacles to industrial development, on the one hand, and the great promise inherent in such a development, on the other"39 wäre demnach in von vornherein klaren (geographischen oder politischen) Einheiten anzutreffen gewesen. Für Italien bedeutet dies, daß die politische Zersplitterung allenfalls als hinderlicher Faktor im obigen Sinn für die Entwicklung einer hinterher logisch erscheinenden politischen Einheit betrachtet werden konnte (was insofern bedauerlich ist, als die starke Einbeziehung der Rolle des Staates eine Stärke des Gerschenkronschen Modells ist), womit wiederum wirtschaftliche Entwicklung als ein nationales Phänomen behandelt wird40 . Neue Ansätze brachte demgegenüber die neue ,Storia d'Italia' (EinaudO, weil dieses Monumentalwerk klar die Diskontinuitäten und Brüche in der italienischen Geschichte hervorhebt4!. In seinem fundamentalen einführenden Aufsatz geht Ruggiero Romano zwar prinzipiell noch vom Konzept der agrarischen Kapitalakkumulation aus: "Wenn überhaupt, so besteht bei den Historikern Einmütigkeit darüber, daß die Finanzierung der italienischen Industrie dank der Überschüsse der Landwirtschaft möglich wurde. Und dies ist leicht einzusehen: in einer Wirtschaft auf Agrarbasis kann der Übergang zur industriellen Phase nur von der Landwirtschaft finanziert werden,,42. Aber es wird auch deutlich, wo derartige Voraussetzungen zuerst entstanden waren, nämlich in der Lombardei 43 . Dies ist ein Grundmerkmal der italienischen Wirtschaftsgeschichte. Ein weiteres besteht in "der überragenden Rolle des Handelskapitals bei der Erzeugung nicht-agrarischer Güter", wobei der "Profit nicht während der Produktionsphase, sondern in der Verteilungsphase" gemacht wurde44 . Wenn auf den gestaltenden Einfluß der Tradition der Handelswirtschaft noch zurückzukommen sein wird, ist hier zunächst Romanos Folgerung, "daß der Großteil der Bevölkerung wirtschaftlich ,neutral' war, d.h., daß er ohne irgendeine ... Teilnahme an jenem großen Handellebte,,45, bedeutsam, weil dadurch die Offenheit der historischen 39

A. Gersebenkron, Economic Backwardness, S. 8.

40 Dies gilt aber ebenso für die Auseinandersetzung mit Rostows take-off: vgl. V.

Castronovo, The Italian Take-off: A Critical Re-examination of the Problem, in: The Journal of Italian History, 1 (1978), S. 492-510. 4! E. Maek-Gerard, Einleitung. 42 R. Romano, Versuch einer ökonomischen Typologie, in: E. Maek-Gerard (Hrsg.), Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Studien zur Geschichte Italiens, Frankfurt a. M. 1980, S. 68; siehe auch Fußnote 26. 43 Ebd., S. 43. 44 Ebd., S. 47. 45 Ebd., S. 55.

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Situation, d.h. inbesondere das Nicht-Vorhandensein eines italienischen .Inlandsmarktes" impliziert wird. Dieser Ansatz kommt dann in den späteren Beiträgen der ,Storia d'Italia' noch viel stärker zum Tragen. Alberto Caracciolo stellt seiner Darstellung als Ausgangsannahme überhaupt die Nicht-Existenz der wirtschaftlichen Einheit Italiens voran, auch durch Elemente moderner Entwicklung vor der Vereinigung .nulla poteva dirsi predeterminato,,46. Als eines dieser Elemente erscheint dabei die Lombardei, wo eine .kommerzielle Revolution" stattgefunden habe, die demnach zusammen mit einer entwickelten (kapitalistischen) Landwirtschaft zu den .condizioni di fondo" gehörte und auf welche sich die industrielle Entwicklung stützte47 . Die Ursachen der schweren inneren Differenzen Italiens werden nicht in politischen Faktoren, sondern in der durch die Heterogenität der Strukturen mangelhaften Kommunikation zwischen den Sektoren gesehen. Am weitesten gehen in diese Richtung Franco Bonelli und Luciano Cafagna. Der entscheidende Interpretationsansatz ist dabei die Rolle der italienischen Wirtschaft innerhalb der europäischen Wirtschaft. Daraus ergeben sich klare Trennlinien innerhalb Italiens: die Entwicklung einer kapitalistischen Landwirtschaft im Norden erfolgte demnach induziert durch die auswärtige Konjunktur, indem die norditalienische Wirtschaft die industrialisierenden Teile Europas mit Primärprodukten versorgen konnte. Daher habe die Auslandsnachfrage eine entscheidende Rolle zur Ausbildung einer kapitalistischen Entwicklung in Teilen Italiens gespielt48. Daraus folgt, daß .10 sviluppo deI Nord non e in alcun modo condizionato dall'esistenza di un meridione arretrato, forse, anzi, ne soffre,,49. In diesem Sinn betont Cafagna besonders die Eigenständigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung Norditaliens (v.a. der Lombardei und Piemonts) gegenüber den anderen Teilen Italiens.

Die Entwicklung der norditalienischen Regionen sei ein im wesentlichen autonomer Prozeß gewesen, dessen Wurzeln in der Zeit vor der Vereinigung Italiens liegen. Cafagna ist heute .convinto che, con un esercizio ,controfattuale', ... non sarebbe difficile dimostrare che 10 sviluppo economico del Nord Italia si sarebbe svolto ... egualmente bene, e forse meglio, anche senza la unificazione politica ... : non e da escludere che anche il Mezzogiorno, restando autonomo, avrebbe potuto trovare una sua piu vantaggiosa via di svilUppO"50. 46 A. Caracciolo, La storia economica, in: R. Romano / C. Vivanti (Hrsg.), Dal primo Settecento all'Unitä (Storia d'Italia, 3), Torino 1973, S. 511 f. 47 Ebd., S. 567-571, 684 f. 48 F. Bonellt, Il capitalismo italiano. Unee generali d'interpretazione, in: R. Romano / C. Vtvantt (Hrsg.), Dal feudalismo al capitalismo (Storia d'Italia. Annali 1), Torino 1978, S. 1196-120l. 49 L. Cajagna, Modelli interpretativi, S. 399. 50 L. Cajagna, Introduzione, in: ders., Dualismo e sviluppo nella storia d'Italia, Venezia 1989, S. XXVII; ebenso L. Cajagna, Die Industrielle Revolution in Italien 18301914, in: CM. Cipolla / K. Borcbardt (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, 4: Die Entwicklung der industriellen Gesellschaften, Stuttgart / New York 1977, S. 337: .In

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1. Kap.: Italien und Österreich

Nach der der politischen Vereinigung folgenden Polemik darüber, ob Piemont den Süden im Kolonialstil ausgebeutet habe 51 , besteht heute wohl Übereinstimmung darüber, daß .squilibri economici regionali all'interno dei singoli paesi hanno cause analoghe a quelle che determinano gli squilibri tra paesi"52 und die Frage besteht eher darin, ob nach 1861 diese Unterschiede vertieft oder ausgeglichen wurden. Das .Hauptübe1" (aus der Sicht der Einheitsapologeten) der Zeit vor der Vereinigung lag somit darin, daß die Wirtschaften Nord- und Süditaliens in kaum einer Weise komplementär, sei es zum Nutzen auch nur eines Teils, waren und daher gar keine Möglichkeit und Notwendigkeit bestand, miteinander in Kommunikation zu treten 53 . Dies gilt für die Ressourcen, wo Nord und Süd Kohle gleichermaßen importieren mußten, allenfalls bei der Wasserkraft war der Norden im Vorteil; für das Rohmaterial der Textilindustrie, das entweder gleichermaßen importiert wurde (Baumwolle, die theoretisch in Süditalien in größerem Umfang hätte gedeihen können) oder ähnliche Bedingungen vorfand (Hanf, Flachs, Wolle, Seide); für die Arbeitskräfte, die für die norditalienische Entwicklung dort aus eigenem vorhanden waren und nicht aus dem Süden zuwanderten. Einzig bei den mineralischen Rohstoffen war der Norden etwas bevorzugt. Dazu kommt aber noch, daß in Norditalien auch der durch die einsetzende industrielle Entwicklung erhöhte Nahrungsbedarf durch die eigene Landwirtschaft gedeckt wurde und diesbezüglich der Süden sich nicht zu einem .retroterra" entwickelte, obwohl vom Potential her diese Möglichkeit bestanden hätte 54 . Aus dieser Sicht ist es verständlich, daß die wirtschaftliche Entwicklung der Lombardei als Teil eines anderen Gesamtsystems interessant wird, weil, wie bisher gezeigt wurde, von einer auf einen etwaigen italienischen Markt ausgerichteten Funktion nicht die Rede sein kann, obwohl die Lombardei später zu einem der wirtschaftlich bedeutendsten Teile des .neuen" Italien wurde. Wurde in der italienischen Literatur vor allem nach einer solchen Funktion in der zunächst politischen Einheit Italien gefragt, ist es legitim, dies bezogen auf jene Einheit zu tun, in der sich die Lombardei vorher befand, nämlich die Habsburgermonarchie.

3. Zur Wirtschaftsgeschichte der Habsburgermonarchie Das Kontinuum der neueren Literatur zur Wirtschaftsgeschichte der Habsburgermonarchie ist einerseits die Frage nach der Charakterisierung des gewissem Sinne verlief der Industrialisierungsprozeß in den drei nordwestlichen Regionen Italiens so, als handelte es sich um ein kleines autonomes Land". Ein ähnlicher Interpretationsansatz auch bei F. Farina, Modelli interpretativi e caratteri dei capitalismo italiano, in: Quaderni storici, 11 (1976) 32, S. 487-514. 51 Zusammenfassend G. Toniolo, Storia economica, S. 233 f. 52 Ebd., S. 232. 53 L. Cajagna, La questione delle origini dei dualismo economico italiano, in: ders., Dualismo e sviluppo nella storia d'Italia, Venezia 1989, S. 193. 54 Ebd., S. 194-206; zusammenfassend auch, den heutigen Stand wiedergebend, V. Zamagni, Dalla periferia, S. 96-99.

1. Kap.: Italien und Österreich

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wirtschaftlichen Wachstums und ~ndererseits, nicht unähnlich Italien, nach den Auswirkungen dieses Wachstums auf die wirtschaftliche Einheit der Monarchie. Damit ursächlich verbunden ist das Problem des Einflusses politischer Ereignisse und Maßnahmen auf die wirtschaftliche Entwicklung. In der Tradition der für das heutige Interesse an der österreichisehen Wirtschaftsgeschichte55 bestimmenden Literatur steht am Beginn eine pessimistische Einschätzung der wirtschaftlichen Einheit Österreich-Ungarns. "Scharfsinnige Versuche, das Reich als eine rund um das Donaubecken errichtete ,logische' Wirtschaftseinheit hinzustellen, waren ganz interessante Übungen historischer ex post Erklärung, mußten aber grundlegende geographische Tatsachen unbeachtet lassen"56, stellte Nachum T. Gross fest, um hinzuzufügen, daß ,es ganz klar [ist), daß Norditalien ... in keiner Bedeutung des Wortes ein organischer Teil der Monarchie war"57. Abgesehen davon, daß Gross damit selbst einem ex post-Schluß aufsitzt, ist damit auch die Frage des jeweiligen Zusammenwirkens wirtschaftlicher und nationaler Entwicklung angesprochen 58• Dabei wurde versucht, wie hier von Gross, dem Dilemma dadurch zu entkommen, daß eine wenigstens wirtschaftliche Zusammengehörigkeit aufgrund "objektiver" geographischer Faktoren von vornherein als unmöglich hingestellt wurde. Somit konnte die Frage nach dem Kulturellen, und damit Nationalen in der Wirtschaft gar nicht aufkommen, und obwohl die zentrifugalen Interessen der italienischen WirtschaftS9 schon deutlich wurden, hatte eben die Lombardei in diesem Schema nach Italien zu gravitieren60 • Seit den frühen 1970er Jahren beschäftigte sich die wirtschaftsgeschichtliche Forschung zur Habsburgerrnonarchie vor allem mit der Untersuchung von Wachstumsphasen der österreichisehen Wirtschaft, was auch unter dem Einfluß der Rostowschen Stufentheorie mit dem ,take-off" bzw. des Gerschenkronschen Rückständigkeitsmodells mit dem "great spurt" stand.' Das bedingte eine nun55 H. Rebel, Österreich und die Entwicklung der Weltwirtschaft. lohn KomIos' neoklassisches Modell, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 4 (1993), S. 44, spricht sogar von einer "Reinterpretation der historischen Entwicklung Österreichs ... , die den Eintritt Österreichs in die EG ideologisch vorbereiten soll". Als Replik vgl. J. Komios, Vierundzwanzig Lektionen in geschichtswissenschaftlicher Rezension, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 5 (1994), S. 80-99. 56 N.T. Gross, Die Industrielle Revolution im Habsburgerreich 1750-1914, in: CM. Cipolla / K. Borebardt (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, 4: Die Entwicklung der industriellen Gesellschaften, Stuttgart / New York 1977, S. 208. 57 Ebd., S. 208 f. 58 Dies scheint hinsichtlich multinationaler Staaten erst in jüngster Zeit wieder an Interesse zu gewinnen: vgl. R.L. Rudolpb / D.F. Good (Hrsg.), Nationalism and Empire. The Habsburg Monarchy and the Soviet Union, New York 1992. Als Beispiel einer früheren Arbeit dazu vgl. KM. Fink, Die österreichisch-ungarische Monarchie als Wirtschaftsgemeinschaft. Ein historischer Beitrag zu aktuellen Integrationsproblemen, München 1968. 59 H. VIlrieb, Nationale Bewegung, S. 134. 60 F. Baltzarek, Zu den regionalen Ansätzen, S. 351.

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1. Kap.: Italien und Österreich

mehr stärkere Auseinandersetzung mit wirtschaftswissenschaftlichen Methoden, mit der von der amerikanischen Schule so bezeichneten Kliometrie. Damit ergab sich jedoch auch ein Problem, das besonders für das vorliegende Interesse hinderlich ist: aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten, aber auch wegen offensichtlicher Aufschwungphasen wie der "Gründerzeit", konzentrierte sich die Argumentation sehr stark auf die zweite Hälfte des 19. und den Beginn des 20. Jahrhunderts. Daraus entwickelte sich letztendlich eine langandauemde Kontroverse um die Bedeutung politischer Ereignisse für die wirtschaftliche Entwicklung, wobei die Frage des Nationalitätenkonfliktes noch nicht im Vordergrund stand, oder nur insofern, als dieser in seinen Ergebnissen als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Für praktisch sämtliche Literatur gilt aber, daß, außer wie oben bei Gross zitiert, die italienischen Teile der Monarchie weder in dieser Hinsicht noch bezüglich ihres Anteils am österreichischen wirtschaftlichen Wachstum vorkamen. Für Eduard März war die Entwicklung sehr stark durch eine Zäsur in der Jahrhundertmitte geprägt, wobei die entscheidenden Elemente der Rückständigkeit schon im Vormärz ausgeprägt gewesen seien. Diese hätten in der Vorherrschaft des Großgrundbesitzes, der dominierenden Stellung des städtischen Handwerks, dem lokalen Charakter des Handels, mangelnder Urbanisierung, Zurückbleiben des Eisenbahnbaus, geringer Entwicklung der Arbeitsteilung und dem Fehlen eines modernen Kreditapparates bestanden61 . Obwohl März die Ursachen für die von ihm angenommene Rückständigkeit nicht ausschließlich mit "natürlichen" Strukturschwächen erklärt wissen will, sondern mit der unrealistischen Großmachtpolitik und Konzessionen an großagrarische Schichten, ortet er einen "take-off" am ehesten in den Jahren 1905-13, wogegen die Aufschwungphasen in den 1850er und -70er Jahren "Fehlstarts" gewesen seien62 . Diese Interpretation hatte daraufhin noch einige Jahre Bestand. Herbert Matis nannte beginnend mit 1848 drei Trendperioden (Aufschwung 1848-73, Stagnation 187496, Aufschwung 1897-1913)63, wobei weiterhin auf der franzisko-josephinischen Epoche als entscheidender Phase und 1848 als auch ökonomischer Zäsur beharrt wurde64 . Dennoch wurden die Ansätze zur Industrialisierung in der Zeit davor geortet, gleichzeitig aber ungünstige Rahmenbedingungen betont65 . Nachum T. Gross änderte nichts wesentliches an dieser Periodisierung, ordnete sie jedoch in die "allgemeinen ,langen Wellen' und Konjunkturzyklen" 61 E. März, Österreichische Industrie- und Bankpolitik in der Zeit Franz ]osephs I. am Beispiel der k. k. priv. Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, Wien / Frankfurt a.M. / Zürich 1%8, S. 363. 62 Ebd., S. 375. 63 H. Matis, Österreichs Wirtschaft 1848-1913. Konjunkturelle Dynamik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter Franz ]osephs 1., Berlin 1972, S. 413 f. 64 H. Matis / K. Bacbinger, Österreichs industrielle Entwicklung, in: A. Brnsatti (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, 1: Die wirtschaftliche Entwicklung, Wien 1973, S. 105, 116. 65 Ebd., S. 114, 118.

1. Kap.: Italien und Österreich

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ein66 • Der erste große Anstoß zur .Modernisierung und Mechanisierung der gewerblichen Produktion,,67 erfolgte demnach schon in den 1830er Jahren. Die Dauer dieser ersten Aufschwungphase sei bis 1846/47 anzusetzen, in welcher allerdings auch Faktoren der Rückständigkeit wirksam wurden, besonders im Fall der Eisenindustrie, die unter zu kleinen Einheiten, mangelnder Qualität zur Verfügung stehender Kohle und zu großen Entfernungen zwischen Kohle- und Erzlagerstätten litt. Danach folgte .die Zeit von 1850 bis 1873 als eine - nach österreichischem Maßstab - rascher industrieller Entwicklung" mit Phasen der Hochkonjunktur 1851-57 und 1867-7368 . Gross lehnte aber die Exemplifizierung von Modellen diskontinuierlichen Wachstums anhand der Habsburgermonarchie ab69, .demgegenüber wäre nach meiner Meinung die Bedeutung und die relativ häufige Erscheinung des Prozesses einer langsamen und langandauernden Industrialisierung zu betonen, die weder Stagnation noch plötzliches Wachstum war ... Die Ähnlichkeit mit Frankreich und eventuell auch mit Rußland und Italien wird vielleicht bei weiterer vergleichender Forschung noch deutlicher werden"70. Dieser Aspekt einer relativ kontinuierlichen, aber langsamen Entwicklung wurde schließlich zur ziemlich allgemein anerkannten Interpretation des österreichischen Wachstums. Aufgrund der Analyse von Daten über die gewerbliche und industrielle Produktion (allerdings wieder nur für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts), kommt Richard 1. Rudolph zum Schluß, .daß der sehr lange und ziemlich gleichmäßige Industrialisierungsprozeß der Wirtschaft betont werden muß,,71. Deutlicher als bisher wird nunmehr aber auf die auch hinsichtlich des Wachstumsmusters gravierenden Unterschiede innerhalb der Monarchie, besonders auch Cisleithaniens hingewiesen72 • Der Rudolphschen Ansicht ähnlich argumentierte dann David F. Good, indem er die Auffassung vertrat, daß entscheidende Änderungen in der Wirtschaft eines Landes auch auf einen größeren Zeitraum ausgedehnt werden könnten (.telescoped in time"), wodurch es nicht notwendigerweise zu einem ruckartigen Aufschwung kommen müsse73 • Untermauert wurde diese Ansicht, als Schät66

N.T. Gross, Industrielle Revolution, S. 224.

67 Ebd., S. 224. 68

Ebd., S. 228 f.

69 Ebd., S. 229 f. 70 N.T. Gross, Die Stellung der Habsburgermonarchie in der Weltwirtschaft, in: A. Brusatti (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, 1: Die wirtschaftliche Entwick-

lung, Wien 1973, S. 28. 71 R.L. Rudolpb, Quantitative Aspekte der Industrialisierung in Cisleithanien, ebd., S.243. 72 Ebd., S. 245. 73 D.F. Good, Stagnation and .Take-off" in Austria, 1873-1913, in: Economic History Review, 27 (1974), S. 83 f.; in diesem Sinn auch R.L. Rudolpb, Austrian Industrialization. A Case Study in Leisurely Economic Growth, in: Sozialismus, Geschichte und Wirtschaft. Festschrift für Eduard März, Wien 1973, S. 249-262. 3 PichIer

1. Kap.: Italien und Österreich

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zungen der Industrieproduktion seit den 1830er Jahren von Rudolph und Komlos vorgelegt wurden. Diese scheinen einerseits die relative Gleichmäßigkeit des Wachstums zu bestätigen, das andererseits demnach bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts andauerte. In einer neuen Periodisierung Rudolphs kam daher als Kriterium eher ein strukturelles Element zum Tragen, d.h. die Zeit vor 1850 wurde nun als Protoindustrialisierung, jene bis in die 1890er Jahre als eine des betrieblichen Wachstums und Verbreiterung der industriellen Basis und die Periode vor dem Ersten Weltkrieg als der Anschluß an die europäische Entwicklung auf der Basis neuer Branchen gekennzeichner74• Dagegen ortet Komlos die protoindustrielle Phase, gefolgt von einer in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts reichenden Übergangsphase, noch im 18. Jahrhundert75 • Einen Vergleich der Schätzungen des durchschnittlichen Wachstums der Industrieproduktion der beiden Autoren zeigt Tabelle 1: Tabelle 1

Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der Industrieproduktion in der österreichischen Reichshälfte in Prozent Zeitraum 1830-1855 1855-1890 1890-1913 1830-1913

Gesamt· CRudolph) 2,4 2.1 3,1 2,5

Gesamt CKomlos) 2,5 2,3 2,7 2,5

Textil CRudolph) 2,0 1,9 2,4 1,9

Textil CKomlos) 2,8 2,0 1,5 2,1

• einschließlich Bergbau. Quelle: S. Eddie, Economic Policy, S. 866, Tabelle 114.

Dieser Trend der Annahme eines relativ beträchtlichen und früh einsetzenden, kontinuierlichen Wachstums hat leider nicht dazu geführt, sich deswegen nach der Rolle der Lombardei in diesem Prozeß zu fragen, wohl aber zu einer erheblichen Relativierung der Einschätzung der Reformen um die Jahrhundertmitte (Grundentlastung, Aufhebung der Zwischenzollinie, Gewerbefreiheit) und damit des Nutzens des gemeinsamen Marktes mit Ungarn. Komlos sieht vor allem im Bestehen der Zwischenzollinie insbesondere für die österreichische Reichshälfte kein Problem76 , und im Fall eines Ausbleibens der Reformen hätte sich der Kapitalismus demnach als wendig genug erwiesen, Hindernisse zu umgehen77 . Dies ist deswegen bemerkenswert, weil durch eine derartige Interpretation letztlich die wirtschaftliche von der politischen Entwicklung völlig abgekoppelt gesehen wird. Zwar wird nicht mehr behauptet, die Vorstellung von der wirtschaftlichen Einheit Österreich-Ungarns sei von vornherein abzulehnen, um 74 R.L. Rudolph, The Pattern of Austrian Industrial Growth from the Eighteenth to the Early Twentieth Century, in: Austrian History Yearbook, 11 (975), S. 11. 75 j. Kom/os, Zollunion, S. 65. 76 Ebd., S. 16.

77

Ebd., S. 25; zu den Reformen der Jahrhundertmitte insgesamt S. 25-39.

1. Kap.: Italien und Österreich

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im Gegenzug nationale Volkswirtschaften als logische Einheiten anzunehmen, jedoch ein Zusammenhang zwischen politischer, nationaler und ökonomischer Entwicklung geleugnet. Daß dies zur Erklärung der nationalstaatlichen Entwicklung in Europa in ihren wirtschaftlichen Komponenten nicht besonders viel weiterhilft, ist nicht zu übersehen. Das führte dazu, in der wirtschaftlichen Entwicklung der Habsburgermonarchie gewissermaßen einen Wert an sich zu sehen, der gegen die oben skizzierten Auffassungen von der .Natürlichkeit" des wirtschaftlichen Zerfalls eines multinationalen Gebildes zu verteidigen war. David F. Good hat aber den Aspekt des von ihm optimistisch beurteilten ökonomischen Fortschritts Österreich-Ungarns besonders mit der Frage der wirtschaftlichen Verflechtung der Teile der Monarchie untereinander verbunden, um dadurch .die herrschende Lehre vom wirtschaftlichen Versagen der Habsburgermonarchie"78 in Frage zu stellen. Die .herrschende Lehre" besagt das Unvermögen, anhaltendes Wirtschaftswachstum zu erzielen; den Rückgang der wirtschaftlichen Kommunikation der habsburgischen Länder untereinander; das Zurückbleiben hinter anderen Volkswirtschaften, besonders jener Deutschlands; schließlich, als Folge davon, die Zerstörung der politischen Grundlagen der Monarchie 79 . Good stellt dem drei Behauptungen entgegen: erstens die grundlegende Bedeutung der strukturellen Reformen des 18. Jahrhunderts als Basis des modernen Wirtschaftswachstums80 als irreversibler Prozeß im 19. Jahrhundert8!; zweitens die sogenannte VerzögerungshYP0these, die den relativen Rückstand der Habsburgermonarchie als Ausdruck westöstlichen Entwicklungsgefälles interpretiert, entlang welchen sich das Wachstum mit .der normalen zeitlichen Verzögerung" ausbreite. Dadurch sei es erst nach 1870 gelungen, die Wirtschaft der Monarchie insgesamt zu einem raschen Wachstum zu bringen, das durch den Ersten Weltkrieg abgebrochen wurde. Diese These brachte erstmals die regionalen Unterschiede in einen vernünftigen Zusammenhang mit dem Gebilde der Habsburgermonarchie82 . Die Grundlage dafür war demzufolge schließlich, drittens, anhaltendes Wachstum, das in den westlichen Provinzen C.Alpenländer", Böhmen, Mähren) im Vormärz begonnen und von da an relativ kontinuierlich angedauert habe83 . 78 D.F. Good, Aufstieg, so der Titel des ersten Teils der Einleitung. 79 Ebd., S. 14; S. 12-18 Forschungsüberblick. 80 Der Begriff des modernen Wirtschaftswachstums, nach S. Kuznets, Modern Economic Growth. Rate, Structure and Spread, New Haven / London 1966, S. 491-493, "distinguished by the fact that the rate of rise in per capita product was due primarily to improvements in quality, not in quantity of inputs" und "characterized by rapid shifts in the industrial structure of product", ist besonders für Good von zentraler Bedeutung: D.F. Good, Modern Economic Growth in the Habsburg Monarchy, in: East Central Europe, 7 (1980), S. 249-251. 8! D.F. Good, Aufstieg, Kapitel 1. 82 Ebd., S. 211 f.; vgl. auch D.F. Good, Economic Union and Uneven Development in the Habsburg Monarchy, in: J. Komlos (HrsgJ, Economic Development in the Habsburg Monarchy in the Nineteenth Century. Essays, Boulder, New York 1983, S. 65-80. 83 D.F. Good, Aufstieg, Kapitel 2, sich auf die Forschungen von R.L. Rudolph, T. Huertas und J. Komlos stützend.



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1. Kap.: Italien und Österreich

Der hier interessierende Hauptaspekt ist Goods explizite Auseinandersetzung mit dem Argument der Integration durch wirtschaftliches Wachstum, auch wenn die Lombardei, da für dieses Schema zu früh aus dem Habsburgerreich ausgeschieden, darin fehlt. Zwar stellt Good keinen direkten Zusammenhang zur politisch-nationalen Entwicklung her, impliziert jedoch, daß der Zerfall des Vielvölkerstaats andere Ursachen hatte als wirtschaftliche84 • Interessant dabei ist, daß nach Good die ökonomischen Faktoren der Integrationsförderung genau in jener Zeit wirksam wurden, als auf politisch-öffentlicher Ebene die Nationalitätenfrage relevant wurde. Diese Faktoren sind nach Good der Eisenbahnbau, der Märkte miteinander verband, und ein Kapitalfluß von West nach Ost als Ausdruck einer Integration der Märkte85 . Mitte des 19. Jahrhunderts waren die hauptsächlichen Voraussetzungen dafür geschaffen (Beginn der Errichtung der wesentlichen Eisenbahnstrecken und Einrichtung von Aktienbanken), wobei .das Wesen des wirtschaftlichen Integrationsprozesses ... interregionaler Verkehr von Gütern und Produktionsfaktoren [istl,,86. Anhand der Konvergenz von Nahrungsmittelpreisen und Zinssätzen in der Monarchie seit den 1860er Jahren wird versucht, eine Verflechtung der Märkte zu beweisen, wobei festgestellt wird, daß diese Tendenz schon seit den 1840er Jahren zu beobachten sei. Dasselbe gilt für die regionale Streuung von Zinssätzen und im späten 19. Jahrhundert für die Verringerung regionaler Lohnunterschiede87 . Durch diese Faktoren wurde dementsprechend eine Übertragung des anhaltenden Wachstums auf die weniger entwickelten Teile der Monarchie ermöglicht, was sich nunmehr eher auf die Frage der ungarischen Entwicklung konzentrierte88 • Allenfalls ist historiographisch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem italienischen Nord-Süd-Problem zu erkennen, mit dem entscheidenden Unterschied jedoch, daß man im österreichisch-ungarischen Fall viel eher von einem komplementären Verhältnis sprechen konnte und Ungarn sich wirtschaftspolitisch eine weitgehende Autonomie hatte sichern können, wenngleich deren Auswirkung auf das wirtschaftliche Wachstum in Ungarn vorderhand nicht feststellbar is~. Zusammenfassend betrachtet ist aber an der Goodschen Synthese für das vorliegende Interesse weniger die Behauptung, daß die westlichen Länder der Monarchie auch 1913 noch nicht wesentlich hinter Frankreich oder Deutschland zurückgeSiehe dazu V.a. D.F. Good, Aufstieg, S. 90-143. Ebd., S. 92. 86 Ebd., S. 100. 87 Ebd., S. 102-112. 88 Ebd., S. 113-132; zusammenfassend zur ungarischen Entwicklung siehe 1.T. Berend I G. Ranki, Ungarns wirtschaftliche Entwicklung, in: A. Brusattt (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, 1: Die wirtschaftliche Entwicklung, Wien 1973, S. 462527; besonders auch]. Kom/os, Zollunion, S. 25-35, 137 f. Ferner zur Ungarn-Diskussion P. Hanak, Hungary in the Austro-Hungarian Monarchy: Preponderance of Dependency, in: Austrian History Yearbook, 3 09(7), 1, S. 260-302, und (für die Zeit nach 1867) A. Paulinyi, Die sogenannte gemeinsame Wirtschaftspolitik in Österreich-Ungarn, in: A. Brusatti (Hrsg.), Die Habsburgermonarchie 1848-1918, 1: Die wirtschaftliche Entwicklung, Wien 1973, S. 567-604. 89 D.F. Good, Aufstieg, S. 143. 84

85

1. Kap.: Italien und Österreich

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blieben gewesen seien9O , von Bedeutung, sondern vor allem, daß deren modernes Wirtschaftswachstum schon im Vormärz begonnen habe. Dadurch sei es prinzipiell möglich gewesen, ungeachtet der anderen Konflikte, wirtschaftliche Integration zu bewirken. Besonders in der Einschätzung des vormärzlichen Wachstums trifft sich Good mit jener von Komios, der die in Tabelle 2 dargestellte Schätzung des Industriewachstums (Baumwoll- und Eisenwaren) aufstellte: Tabelle 2

Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten der öste1Teichischen Industrieproduktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Prozent Zeitraum 1780-1791 1791-1803 1803-1820 1820-1830

%

o 5,3 o 4,1

Arunerkung: 1820-1830 einschließlich Schafwollwaren. Quelle:]. Kom/os, Zollunion, S. 71, Tabelle 3.3.

Demnach scheint sich ab den 1820er Jahren das Wachstum stabilisiert zu haben, allerdings wird der Einwand erlaubt sein, daß diese Indikatoren für eine sonst vom gesamten Wirtschaftswachstum her argumentierende Anschauung unzureichend sein dürften91 . Sind diese Interpretationen zu weitgehend? Fest steht, daß es schwer ist, sich im Wissen um die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts den inneren

Widersprüchen der Habsburgermonarchie, aber auch Italiens zu entziehen und daher die Entwicklung .in these ... cases as to create entirely separate economic systems within the political frontiers,,92 zu sehen.

Ebd., S. 212. R. Til/y, Entwicklung an der Donau. Neuere Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der Habsburger Monarchie, in: Geschichte und Gesellschaft, 15 (989), S. 410. 92 C. Trebi1cock, Continental Powers, S. 312. 90

91

Zweites Kapitel

Wirtschaft, Politik und Unternehmer •Von einem rein geographischen Standpunkt mag die Wirtschaftsgemeinschaft der Donaumonarchie vielleicht nicht sehr sinnvoll gewesen sein. Und vielleicht machten die Kräfte, die der Nationalitätenkonflikt freisetzte, diese Wirtschaftsgemeinschaft zu einem Anachronismus. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die Wirtschaftsgemeinschaft jedenfalls intakt", stellt Good festl, und, weiter: .Die Zerschlagung des Reiches mag nicht unvermeidlich gewesen sein, aber offensichtlich hatten seine politischen Institutionen größte Schwierigkeiten, sich den Zwängen, die das moderne Wirtschaftswachstum ausübte, zu fügen. Warum das so war, bleibt ein Rätsel, das zukünftige Forschung lösen muß,,2. Das ist aber der springende Punkt, weshalb auch durch die neueren Forschungen so viel am Auseinanderfallen der Monarchie unklar geblieben ist. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen lassen sich aber nicht voneinander trennen und getrennt analysieren, im Gegenteil, Geschichte läßt sich nur dann befriedigend untersuchen, wenn man das Zusammenwirken dieser untrennbar miteinander verflochtenen Faktoren untersucht, um das .Rätsel", wie Good es ausdrückt, zu lösen.

1. Wirtschaft und Politik Abgesehen davon, daß bisher niemand eine wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung über den Anteil der Lombardei an österreichischem Volkseinkommen oder Industrieproduktion anzustellen versucht hätte, haben wir es im Fall der Lombardei bzw. der italienischen Landesteile allgemein offenkundig mit einem Wahrnehmungsproblem zu tun: einerseits schied die Lombardei aus dem Bild der Habsburgermonarchie aus, weil sie kein, wie Gross sagt, .organischer" Bestandteil davon zu sein schien; andererseits war sie ein tatsächlicher Bestandteil der Monarchie, ob man das zur Kenntnis nehmen will oder nicht. Dabei ist der Fall ja gar nichts besonderes, nur hat die kürzere dynastische Tradition verglichen mit beispielsweise den tschechischen Ländern es gleichsam selbstverständlich erscheinen lassen, sich nach der wirtschaftlichen Funktion der Lombardei innerhalb der Habsburgermonarchie gar nicht erst zu fragen. Tut man dies doch, könnte man sich dem Problem natürlich auf der Basis ökonomischer Parameter nähern. Dagegen spricht, daß damit offenkundig, wie zu sehen war, das .Rätsel" nationalen Zerfalls bei gleichzeitig optimistisch zu beD.F. Good, Aufstieg, S. 112. Ebd., S. 222.

2. Kap.: WIrtSchaft, Politik und Unternehmer

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urteilender Wirtschaftsentwicklung nicht zu lösen ist. Dies trifft vor allem zu, wenn das Interesse der Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher und nationaler bzw. auch regionaler Entwicklung gilt. Die Untersuchungseinheit ist aber nicht durch eine hinterher sich als solche präsentierende .Logik" (z.B. geographisch oder kulturell) definiert, sondern durch das relativ simple Faktum politisch gezogener Grenzen. Deswegen mag es nützlicher sein, zunächst die Wahrnehmungen und Vorstellungen von der wirtschaftlichen Rolle der Lombardei unter diesen Gegebenheiten zu untersuchen. Dies erscheint umso berechtigter, als die Defizite der neue ren Forschungen zur österreichischen Wirtschaftsgeschichte klar auf der Hand liegen. Denn .die hervorragende Bedeutung der ... neuen Schätzungen liegt jedoch nicht so sehr in der von ihnen nahegelegten Chronologie der Entwicklung selbst, sondern in der mit dieser verbundenen veränderten Interpretation über Kausalitäten"3, was .direkt auf die grundlegende Frage nach dem Kausalzusammenhang zwischen politischem Wandel und wirtschaftlicher Entwicklung,,4 verweist; die unmittelbare Folge davon war, daß .a systematic analysis of the role of the government in the economic development of the Habsburg Empire is missing,,5, wodurch die .,funktionellen' Beziehungen zwischen ökonomischem und politischem Wandel insgesamt recht vage bleiben,,6. Diese mangelnde Berücksichtigung institutioneller Momente und die Überschätzung der Dynamik des Marktes führte dazu, daß .die diometrische Schule ... diese von heftigen Dissonanzen geprägte Entwicklung [verkleistert)", um durch die Erzielung von .ästhetisch sehr befriedigenden Ergebnissen" als eine .weitgehend sterilisierte Disziplin ... jedes konkreten sozio-ökonomischen Gehalts" entleert zu werden7 • Auch wenn Good dem seinerseits entgegenhält, .turning points" dürften nicht überschätzt werden8 , ist eine Frage wie .How weil did the Habsburg economy perform?"9 in ihrer Selbstzweckhaftigkeit vielleicht von einem rein wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt aus befriedigend, birgt aber für den Historiker vor allem die Gefahr, einen Positivismus durch die Hintertür einzuführen. Welchen Erkenntniswert hat schlußendlich z.B. die Feststellung, daß .one must separate the economic and the political significance of the removal of the Zwischenzollinie. The former was negligible, the

R. TilIy, Entwicklung an der Donau, S. 41l.

Ebd., S. 413Mokyr, And Thou, Happy Austria? A Review Essay, in: Journal of Economic History, 44 (1984), S. 1098. 6 R. Til/y, Entwicklung an der Donau, S. 415. E. Milrz, Die wirtschaftliche Entwicklung der Donaumonarchie im 19. Jahrhundert. Gedanken zu einem neuen Buch von David F. Good, in: Wirtschaft und Gesellschaft, 11 (1985), S. 387 f. 8 D.F. Good, Austria-Hungary, in: R. Sylla / G. Toni% (Hrsg.), Patterns of European Industrialization. The Nineteenth Century, London I New York 1991, S. 232. 9 Ebd., S. 225. 5

].

40

2. Kap.: Wirt5chaft, Politik und Unternehmer

latter substantial"l~ Kein Wunder, daß dann das Nichtbefolgen von ökonomischen "Zwängen" durch die Politik zum "Rätsel" wird 11 . Wenn dagegen das Interesse nicht nur auf die Entwicklung einiger ökonomischer Parameter beschränkt bleibt, ist anzunehmen, daß zu einer wirtschaftlichen und besonders industriellen Entwicklung Personen gehören, die Entscheidungen treffen. Diesen Entscheidungsträgern steht als Wissen ein bestimmter Rahmen politischer, legistischer, geographischer und kultureller Grundbedingungen zur Verfügung, aber weder Informationen darüber, ob das Ergebnis ihres Handeins von späteren Historikern als "ökonomisch signifikant" bezeichnet werden wird, noch welche die Kriterien dafür sein werden. Zwar hat als erkenntnistheoretische Grundvoraussetzung zu gelten, daß es prinzipiell nicht möglich ist, Geschichte "mit den Augen der Zeit" zu sehen. Dies hindert es aber nicht, bei der Erforschung des Zusammenwirkens wirtschaftlicher Faktoren mit politischen, die dann den Wechsel der Lombardei von einem Vielvölkersystem zu einem nationalen Einheitsstaat besorgten, die Untersuchung der Handlungsebenen zwischen Politik und Wirtschaft als eine geeignete Methode anzuwenden. Vorstellungen davon, welche wirtschaftliche und insbesondere industrielle Rolle der Lombardei als Teil Österreichs zukam und warum dies jeweils so gesehen und was daraus resultierend gefordert wurde, werden erkennen lassen, ob zwischen wirtschaftlicher Entwicklung, soweit diese subjektiv beeinflußbar schien und objektiv beeinflußbar war, und politisch-nationaler Entwicklung zumindest ein (damals) gedachter Zusammenhang bestand. Auf zwei Ebenen kommen solche Vorstellungen zum Ausdruck: auf jener der Wirtschaftspolitik werden die Vorstellungen der politischen Entscheidungsträger ausgedrückt; eine Untersuchung kann hinsichtlich des Regierungszentrums des Vielvölkerstaats (Wien) und des peripheren Verwaltungszentrums (Mailand) erfolgen und wird unterschiedliche Standpunkte, und wie diese einander beeinflußten, zeigen. Die Ebene unternehmerischen Verhaltens ist damit unmittelbar verbunden und drückt die Vorstellungen der Entscheidungsträger im Wirtschaftsprozeß über Maßnahmen der politischen Verwaltung und bezüglich der für die verschiedenen Unternehmen jeweils günstigsten Marktverhältnisse und -beziehungen aus. Auch dies ist unter verschiedenen Perpektiven zu erforschen, d.h. von Interesse ist, wie und unter welchen Annahmen vom anderen einerseits von "Alt"-Österreich, andererseits von der Lombardei aus unternehmerische Wünsche formuliert und Entscheidungen getroffen wurden, unter der Voraussetzung, in einem gemeinsamen Staat zu leben. Daß alle diese "Diskurse" auf das wirtschaftliche Wachstum letztlich ohne signifikante Auswirkung blieben, mag wohl sein; andererseits beeinflußten sie unweigerlich bis zu einem gewissen Grad jene Entscheidungen, die die Gestalt eines nicht unwesentlichen Teils Europas letztlich 10 TF. Huertas, Economic Growth and Economic Policy in a Multinational Setting: The Habsburg Monarchy 1841-1866, New York 1977, S. 25 f.; selbiges wird bezüglich der Regelung des Verhältnisses zum Zollverein und den potentiellen Auswirkungen eines möglichen Beitritts gesagt: S. 30-35. 11 D.F. Good, Aufstieg, S. 222.

2. Kap.: Wirtschaft, Politik und Unternehmer

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prägten. Daher sind sie für das hier im Vordergrund stehende Interesse, einen Teil dieses Formationsprozesses zu erklären, von großer Wichtigkeit l2 • Keineswegs geht es dabei um die Anwendung eines einseitigen Erklärungsmusters für gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Vorgänge, es ist beispielsweise nicht daran gedacht, mit einem staatsinterventionistischen Modell vorzugehen, .as if it were some standard black box guaranteed to provoke growth, whatever the climate or context"13, d.h. in dem Sinn, eine historische Entwicklung auf der Basis einer Konstante zu erklären l4 • Dasselbe gilt für den unternehmergeschichtlichen Ansatzpunkt und dessen Stellenwert in historischen Wachstumsmodellen l5 . Einige allgemeine Bemerkungen seien dennoch gestattet. Der Vorwurf gegenüber der Kliometrie, .nicht-ökonomische" Faktoren nicht einzubeziehen und daher eine sterile Wissenschaft zu sein, ist so alt wie diese Methode selbst. Im darin enthaltenen Vorhalt, die Wirtschaft vom Menschen abgekoppelt zu haben, besteht der Unterschied zur Diskussion anderer mehr oder minder monokausaler Modelle, die z.B. bei der Landwirtschaft, dem Außenhandel, der Faktorausstattung, der Bevölkerung oder dem Kapital ansetzen. Besonders auch in der italienischen Wirtschaftsgeschichte ist dies, wenn auch für die Zeit nach 1861, von erheblicher Bedeutung. Die Existenz des italienischen Nationalstaats war zunächst ein praktisch ausschließlich politisches Faktum, die historische Interpretation ging aber vom heutigen Vorhandensein einer italienischen Volkswirtschaft aus. Nachdem die Romeo-These von der Schaffung eines nationalen Wachstums l6 nicht mehr haltbar war, rückte die auf die Entstehung einer wirtschaftlichen Einheit gerichtete Wirtschaftspolitik der italienischen Regierungen nach 1861 in den Vordergrund l7 , womit gleich eine grundsätzliche methodische Kritik vor allem an neoklassischen Anschauungen verbunden werden konnte: .Un liberalismo ,puro', in realtä, e esistito solo nella mente di alcuni economisti teorici innamorati della perfezione astratta di certi modelli"18. Abgesehen davon, daß derartige Kritik auch schon viel früher geäußert worden war l9, ist interes12 Vgl. B. Suppte, Der Staat und die Industrielle Revolution 1700-1914, in: CM. Cipolla / K. Borcbardt (Hrsg.), Europäische Wirtschaftsgeschichte, 3: Die Industrielle Revolution, Stuttgart 1976, S. 195-201, betonend, daß Grenzen mehr als nur linien auf der Landkarte sind. 13 C. Trebilcock, Continental Powers, S. 409. 14 Deswegen sind auch die nur auf dem Aspekt staatlicher Eingriffe aufbauenden Modelle nicht sehr zufriedenstellend: ebd., S. 409-416. 15 Vgl. ebd., S. 416-421. 16 R. Romeo, Problemi storico-sociali deI movimento nazionale in Italia, in: T. Scbieder (Hrsg.), Sozialstruktur und Organisation europäischer Nationalbewegungen, München / Wien 1971, S. 39, lehnte dann ja selber die These von der Vereinigung als ökonomischer Notwendigkeit ab. 17 Vgl. den entsprechenden Überblick bei v. Zamagni, Dalla periferia, S. 203-234. 18 Ebd., S. 204. 19 G. Mori, Italian Industrialization, S. 79 f.; G. Mori, Capitalismo industriale, S. 65.

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sant, daß auch mehr oder minder explizite Marxisten feststellen, daß "die größte Versuchung gerade darin Uiegtl, sich nur auf das Ökonomische zu beschränken und deswegen das zu entwickelnde Modell in seinem Erklärungswert zu reduzieren ... , weil ein ökonomisches Modell in Wirklichkeit nicht nur aus ökonomischen Variablen besteht,,20. Deswegen, wie zusammenfassend betont wird, "i problemi dello sviluppo ... non possono piu ridursi entro il feticismo de1 GNP. Assai piu complessa e decisiva appare la relazione, sotto il profilo ... dell'input, fra antropologia, cultura, sociologia, politica ed economia,