Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des 16. Jahrhunderts: Novitätsdiskurse bei Francois Rabelais, Johann Fischart, Michael Lindener und im »Finckenritter« 9783839441886

A question of perspective - what is new in German-language texts of the 16(th) Century within the European context.

140 102 2MB

German Pages 224 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Neue in der Literatur
3. Rabelaisʼ »Gargantua« und »Pantagruel«
4. Michael Lindeners »Rastbüchlein« und »Katzipori«
5. Der »Finckenritter«
6. Johann Fischarts Werk
7. Fazit
Literatur
Abbildungen
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Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des 16. Jahrhunderts: Novitätsdiskurse bei Francois Rabelais, Johann Fischart, Michael Lindener und im »Finckenritter«
 9783839441886

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Ronny F. Schulz Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des 16. Jahrhunderts

Lettre

Ronny F. Schulz, geb. 1980, studierte Ältere Deutsche Philologie und Philosophie an der TU Berlin und Romanistik an der HU Berlin. Er lehrt germanistische Mediävistik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Ronny F. Schulz

Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des 16. Jahrhunderts Novitätsdiskurse bei François Rabelais, Johann Fischart, Michael Lindener und im »Finckenritter«

Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., u.d.T. »Die Wahrnehmung des Neuen in der Literatur des 16. Jahrhunderts«

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: »Der Fincken Ritter«, unbezeichnetes Faksimile der Ausgabe Straßburg 1560, ca. 1910, Privatbesitz des Verf. Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-4188-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4188-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einleitung | 7 Danksagung | 17 2. Das Neue in der Literatur | 19

2.1 Eine Definition des Neuen in der Frühen Neuzeit | 19 2.2 Die imaginierte Neue Welt | 26 2.3 Die Idee des Fortschritts und die Autonomie des Dichters | 33 2.4 Ein neues Geschichtsmodell | 39 2.5 Die Ablehnung des Allegorismus | 42 2.6 Der Ich-Erzähler und die Konstitution fiktiver Welten im 16. Jahrhundert | 48 2.7 Zusammenfassung | 59 3. Rabelaisʼ »Gargantua« und »Pantagruel« | 61

3.1 Der Fortschritt und das multiple Erzähler-Ich | 61 3.2 Die Konstruktion fiktiver Welten | 72 3.3 Riesenhafte Auswachsungen zwischen Fremd und Neu | 81 4. Michael Lindeners »Rastbüchlein« und »Katzipori« | 85 4.1 Novitätsdiskurs und schwankhaftes Erzählen | 85 4.2 Lindener und Rabelais | 91 4.3 Der Riese und die Neue Welt | 95 4.4 Rezeption | 98 4.5 Michael Lindeners Poetik | 101 4.6 Die Auswirkung der medialen Neuerungen | 108 5. Der »Finckenritter« | 113

5.1 Die Fiktion vor dem Hintergrund der Quellen | 113 5.2 Fremd, grotesk oder neu | 127 5.3 Wissen und das Hervorbringen neuer Welten | 131 5.4 Die Anatomie des Textes | 134 5.5 Perspektive und Text | 139 6. Johann Fischarts Werk | 145

6.1 Von der Alterität zur Novität: Die »Geschichtklitterung« | 145 6.2 Neue Mythologie und Entallegorisierung | 153

6.3 Literatur und bildende Kunst | 165 6.4 Sprache und Kreativität | 173 6.5 Die Bibliothek als Ort des Neuen | 178 6.6 Fischarts Hieroglyphen | 185 7. Fazit | 191 Literatur | 197 Quellen | 197 Darstellungen | 203 Abbildungen | 219

1. Einleitung

Das Neue in der Literatur wird je nach seinem zeitlichen Kontext anders bewertet. Oft werden politische, religiöse, kulturhistorische oder auch technisch-naturwissenschaftliche Veränderungen wahrgenommen, die einen gewissen Einfluss auf Literatur zeitigen. Dieser Wandel, der auch als Bruch von einzelnen Autorinnen und Autoren aufgefasst werden kann, dient ex post dazu, Epochen zu konjizieren, so auch die Epochenschwelle um 1500. Die Annahme eines solchen fixierten Datums erweist sich jedoch als zu unflexibel, da vorausgegangene Phänomene ebenso wenig berücksichtigt werden wie spätere Entwicklungen, die nicht zwangsläufig einem homogenen Entwicklungsschema folgen. Neben der Diskontinuität, welche den Wandel herbeiführt, ihn sogar selbst darstellt, ist auch immer mit der Kontinuität, der Tradition, zu rechnen, welche als Parallelphänomen in Erscheinung tritt. Deshalb ergibt es Sinn, als ein Hilfskonstrukt die Daten 1500 und 1600 zwecks Eingrenzung zu setzen, nur sollte dabei bewusst sein, dass diese Schwellen durchlässig sind. Bei dem Versuch, dennoch eine Epoche zu konstruieren, um ein eingrenzbares Untersuchungsfeld zu schaffen, stößt man unwillkürlich auf zwei Hauptprobleme: zum einen das Verhältnis der zeitgenössischen Wahrnehmung zur späteren Definition in Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft, zum anderen auf teils divergierende Intentionen in pragmatischen Schriften (wie Chroniken oder Annalen) und fiktionalen Texten (wie Epen, Romane, Gedichte). Beide Komplexe beeinflussen sich zudem, da die Einteilung in ›pragmatisch‹ und ›fiktional‹ ebenfalls wieder variiert, je nachdem, ob die zeitgenössische Wertung oder spätere wissenschaftliche Beurteilungen herangezogen werden. Zeitgenössische ideologische Konzepte spielen hierbei natürlich auch eine Rolle. Dieser Aspekt führt gerade in interdisziplinären Untersuchungen zu Problemen. Besonders deutlich wird dies, wenn wie in dem grundlegenden Sammelband »Epochenschwelle und Epochenbewußtsein« von Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Literaturwissenschaft als auch der Geschichtswissenschaft zu

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Wort kommen, deren unterschiedliche Zugriffsweisen auf Texte zu Kontroversen führen, welche die interdisziplinäre Diskussion eher behindern als befördern. Je nach Perspektive, zum Beispiel in der historischen Diskussion bei František Graus, der Wertung und Abgrenzung vergangener Epochen durch einen kleinen Kreis Intellektueller im Spätmittelalter als »Merksteine« der Epoche sehen möchte,1 oder im literaturwissenschaftlichen Blickfeld eines Neugermanisten, Wilfried Barner, der in der »Traditionsnegierung« seit 1500 die jeweiligen Epochengrenzen sieht, legitimiert sich ein Epochenkonstrukt anders. Gerade Barners Theorie bietet sich für literaturwissenschaftliche Diskussionen der Frühen Neuzeit an, auch wenn diese einige Defizite, die der Kürze des behandelten Zeitabschnitts um 1500 geschuldet sind, aufweist. Für Barner ist der früheste Vertreter dieser negierenden Äußerungen Conrad Celtis, der bewusst Minne- und Meistersang übergeht und mit Hilfe des translatio-Modells an die Rezeption griechischer Kultur anschließt.2 Schließlich kommt Barner in seiner Diskussion über Johann Wolfgang Goethe, Gottfried August Bürger und Wolfdietrich Schnurre zu dem pauschalisierenden Fazit: »In der Geschichte der Literatur, der Künste allgemein tritt ein Typus epochaler Traditionsnegierung auf […]. Poesie gestattet nach dieser Überzeugung das Überspringen von Traditionen, um die vermeinte Ursprünglichkeit wiederzugewinnen.«3 Diese These erklärt jedoch keinen Epochenwandel, sondern die geglaubte Rückkehr zu einer ›Ursprünglichkeit‹ bezieht sich lediglich auf die Vorstellung der ›Wiederbelebung‹ des Antiken, auf die sich Celtis unter der neuen Prämisse einer imaginierten germanischen Kultur stützt, die in erster Linie auf nur einem Text, der »Germania« des Tacitus, basiert. Jan-Dirk Müller geht den verschiedenen Diskursen um ›alt‹ und ›neu‹ nach, konstatiert dann aber, dass von der »dauernde[n] Erweiterung von Wissen […] nichts qualitativ Neues, sondern nur die Vervollständigung des Alten zu erwarten [ist], und die scheint typisch für die Zeiterfahrung im 16. Jahrhundert zu sein, selbst dort, wo nicht nur ein Auf und Ab, sondern ein gerichtetes Fortschreiten diagnostiziert wird.«4

1

Vgl. F. Graus: Epochenbewußtsein, z.B. S. 161, Zitat: S. 153.

2

Vgl. W. Barner: Negieren, S. 17.

3

Ebd., S. 44.

4

J.-D. Müller: ›Alt‹, S. 131-132.

E INLEITUNG | 9

Mehr noch: »Das emphatische Epochenbewußtsein, das die unterschiedlichsten Lebensgebiete zu Jahrhundertanfang zusammengesehen und überall den Abschied vom Alten aufgespürt hatte, zerbricht um die Jahrhundertmitte. Grund dürfte die Stagnation sein, die religionsgeschichtlich mit der Verfestigung der Orthodoxie, sozialgeschichtlich mit der Erstarrung der Ständegesellschaft in den konsolidierten Territorien, ökonomisch mit dem Niedergang Mitteleuropas zusammenhängt.«5

Diese Skepsis ist jedoch nur eine Sichtweise auf die Thematik von ›alt‹ und ›neu‹. Müller liest hier zu Recht eine Abwehrhaltung der Humanisten gegenüber den Wissenschaftsbereichen heraus, die mit dem Alten, und somit auch mit dem Studium der alten Sprachen, gebrochen haben.6 Dass eine Vorstellung von Neuem weiterhin besteht, und dies auch in humanistischen Kreisen, steht gar nicht in Frage, jedoch der Umgang mit diesem Phänomen setzt die Zeit seit der Mitte des 16. Jahrhunderts von dem Vorangegangenen ab. Wie Peter von Moos hierzu bemerkt: »Wenn Humanisten und Romantiker im 15. Jahrhundert eine Epoche zu Ende gehen sahen, so waren sie aufgrund ihrer damaligen Präferenzen und Intentionen dazu ebenso legitimiert, wie wir es heute sind, die Dinge von uns her anders zu beurteilen.«7 Die humanistische Ablehnung des Neuen ist eine ideologische Setzung, eine Reaktion auf Innovationen, die gerade für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts charakteristisch ist. Das bedingt jedoch nicht, dass fiktionale Literatur sich diesem Diktum anschließen muss. Bevorzugt werden in rezenten Diskussionen um Epochengrenzen naturwissenschaftliche oder geschichtswissenschaftliche Werke herangezogen, wie auch bei Müller. Dass es in nicht-pragmatischen Texten aber auch Diskurse um das Neue gibt, die mit einer zumindest behaupteten Überwindung des Alten einhergehen, zeigt sich ebenfalls in Müllers Aufsatz, der die Vorrede des überarbeiteten »Hug Schappler« (1537) heranzieht. In ihr sieht er eine affirmative Haltung gegenüber den Innovationen, aber auch ein Akzentuieren möglicher Gefahren, die aus den Neuerungen resultieren, weshalb »[d]ie Kategorien der Zeiterfahrung […] diffus und widersprüchlich« seien.8 Im Endeffekt können sich hier aber auch unterschiedliche (widersprüchliche) Diskurse um das Neue präsentieren, dann würde sich das literarisch Neue abgrenzen von dem humanistischen

5

Ebd., S. 143.

6

Vgl. ebd., S. 144.

7

P. von Moos: Gefahren, S. 56.

8

Vgl. J.-D. Müller: ›Alt‹, S. 124-125, Zitat: S. 125.

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Diskurs um naturwissenschaftlich-technische Neuerungen. Mithin zeigt sich anhand dieser These schon eines der wichtigsten Merkmale von fiktionaler Literatur in diesem Zeitraum zwischen 1500 und 1600: Was bei einer oberflächlichen Betrachtung chaotisch wirkt, stellt in Wirklichkeit jedoch ein Lavieren zwischen den verschiedenen Haltungen zu dem, was neu ist, dar. Die Diskussionen um das, was das Neue ausmacht, wie es zu bewerten ist, lässt sich allerdings schon für die Antike belegen. Die Phänomene, welche zum Neuen führen, werden zu jeder Zeit in der Literatur greifbar. Mit dem Aufkommen neuer Gattungen, Themen und Motive findet zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem Neuen als poetologische Kategorie statt. Da Literatur nie getrennt von der Gesellschaft betrachtet werden kann, ist selbst hier davon auszugehen, dass dichtungstheoretische Erwägungen sich ebenfalls in der Abhängigkeit von dem kulturologischen Diskurs der Zeit um das Neue befinden. In der römischen Antike sind es die Neoteriker, die schon dem Namen nach für das Neue in der Dichtung stehen. Neotericus ist hier noch ein wohl von Cicero eingeführter negativer Begriff für die Dichter, die sich vom klassischen, politisch relevanten Dichten abwandten und neue (griechische) Formen in der Metrik sowie neue (private) Themen einführten. Dichtung ist für diese Gruppe eine Form der Reaktion auf die politische Ohnmacht am Ende der Römischen Republik. Nicht jeder Umbruch in der Literatur ist so vehement, oft sind es eher langsame Entwicklungen, die von einer literarischen Strömung in die nächste überleiten. Insofern kann man die Ablösungsprozesse in der Literatur analog zu Kuhns Paradigmenwechsel betrachten. Dieses Modell wird deshalb spannend, da es auch einen bedeutenden Akzent auf Krisen setzt: »Alle Krisen beginnen mit der Aufweichung eines Paradigmas und der sich daraus ergebenden Lockerung der Regeln für die normale Forschung.«9 Diese Aufweichung betrifft auch Literatur, sodass Freiräume für kreative Verhandlungen von Gattungskonventionen und Erzählschemata entstehen.10 Das konventionelle Epochenmodell, in dem davon ausgegangen wird, dass zuerst Werke mit einer bestimmten neuen Intention entstehen, welche untereinander ähnliche Merkmale aufweisen und die sich dann auf künftige literarische Werke auswirken, sodass eine Höhenkammliteratur entsteht, ist zwar für das Neue in der Literatur relevant, doch bei näherer Betrachtung defizitär. Gerade vehemente Brüche in der Literatur bestehen mitunter nur für kurze Zeit, sie sind nicht ›epochebildend‹, auch wenn sie auf die zukünftige Literaturproduktion einen wichtigen Einfluss ausüben. Die Neoteriker wurden durch die politischen Veränderungen,

9

T.S. Kuhn: Struktur, S. 97.

10 Vgl. hierzu das Kapitel 5 zum »Finckenritter« in der vorliegenden Arbeit.

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den augusteischen Frieden, ›überwunden‹, dennoch werden sie, vor allem Catull, bis in die Gegenwart rezipiert. Neues in der Literatur kann gerade im Mittelalter abgelehnt werden, wenn es die Alleinstellung des Schöpfers infrage stellt oder das konventionelle Wertesystem bedroht. Dass die Dame im Minnesang ebenfalls dem Wandel unterliegt, also nicht zeitlos das Ideal der Lyrik verkörpert, führt so zum Beispiel bei Walther von der Vogelweide zu einer Rückbesinnung auf die alten Werte. Der Tod der Lyrik, das Optionieren für eine kritische, polemische Dichtung, die versucht, die alten Moralvorstellungen zu dekonstruieren, mündet in die Gegenreaktion des »ich bin niht niuwe«11. Die Ablehnung der inhaltlichen Innovation impliziert aber nicht die der formalen Neuerung, die im 12. Jahrhundert in der Liebeslyrik des Südens Frankreichs aber auch im deutschsprachigen Bereich eine besonders wichtige Rolle spielt.12 Das Neue oszilliert permanent zwischen seiner Produktion und der Wahrnehmung in der Gesellschaft. Neue literarische Stoffe können nur wiederum vor dem Hintergrund der alten literarischen Produktion wahrgenommen werden. Durch Traditionsbildung wird das Neue früher oder später zum Alten. Mit Aufkommen der neuen Antikenrezeption durch die Humanisten spielt auch dieses Verhältnis zwischen Neu und Alt eine besondere Rolle. Nicht die Rezeption ist neu, Antikenrezeption gibt es bekanntlich schon im Mittelalter, sondern die Form. Johan Huizinga sieht gerade in der Schlichtheit des Stils das Neue in der aufkommenden französischen und flämischen Renaissance: »Die Verheißung für die Zukunft lag nicht im Klassizismus, sondern in der Unbefangenheit. Das latinisierende und klassizistische Bemühen hat eher hemmend als förderlich gewirkt. Modern dürfen allein die Dichter heißen, die einfach sind in Geist und Form, auch wenn sie noch dem mittelalterlichen Schema folgen.«13

Verglichen mit den Neoterikern, die auch vor obskuren Andeutungen nicht zurückschreckten und einen hoch artifiziellen Stil anstrebten, gelten Huizinga Autoren wie Villon, Coquillart und Charles dʼOrléans als Vertreter der Moderne, da sie sich durch einen klaren und einfachen Stil auszeichnen würden. Ohne diese These auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen, gerade bei einem Autor wie Villon sollten berechtigte Zweifel aufkommen, wird doch deutlich, dass das Neue in der Literatur in erster Linie auf einem Wahrnehmungsphänomen beruht. Cicero sah die

11 Walther von der Vogelweide: Leich, S. 123 (L 59,17). 12 Vgl. U. Mölk: Trobadorlyrik, S. 59; T. Cramer: âne sinne, S. 19. 13 J. Huizinga: Herbst, S. 354.

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Neoteriker aufgrund ihrer Ablehnung ›klassischer‹ Motive und sprachlicher Ausgestaltung als Neuerer im negativen Sinne an, Huizinga sieht gerade in der Einfachheit der Formen und des Gehalts das positive Neue im 15. Jahrhundert. Die Bewertung von dem, was neu ist, erfolgt immer auch vor der Folie des Bekannten. Mithin ist die Perspektive auf die Literatur ausschlaggebend. In besonderem Maße trifft dies auf den Streit zwischen antichi und moderni, ausgelöst durch die Wiederentdeckung antiker Schriften, zu. Helius Eobanus Hessus stellt sich angesichts der Neuedition von Tacitusʼ »Germania« die Frage, wie etwas neu sein kann, das doch vor Jahrhunderten geschrieben wurde.14 Die Erklärung liegt in den neuen humanistischen Studien, die es ermöglichen, einen fast 1500 Jahre alten Text im ›Glanz‹ der neuen Forschung zu kommentieren. Das Alte kann also aus neuer Perspektive wiederum zum Neuen werden. Gerade der Entdeckungsvorgang der »Germania« vollzieht sich in mehreren Schritten. Am Anfang steht die Entdeckung durch italienische Gelehrte des Textes, für den es in antiken Quellen so gut wie keine Anhaltspunkte gab. Die nächste Entdeckung erfolgt dann im deutschsprachigen Bereich, wo der Text eine ideologische Bedeutung erhält. Schließlich erscheint die von Hessus gelobte Neuedition, die das Werk wieder in einem neuen Licht erscheinen lässt. Es geht bei dieser Rezeption immer nur um ›den‹ einen Text, der lediglich in einer Handschrift auf die Gegenwart gekommen ist, der Perspektivenwechsel sorgt aber für eine mehrfache Neuentdeckung von eigentlich schon Bekanntem. Das Neue ist hier die philologische Methode, wie sie der Humanismus ausprägte. Der Begriff der remeatio wird in Umschreibungen gefeiert, neue Methoden ermöglichen hier den Fortschritt. Innovation ist ein Ablösungsprozess, der auf dem Alten basiert, das immer wieder neu bearbeitet werden kann und so auch neue Erkenntnisse, die Innovationen, bringt. Anhand der drei Beispiele zeigt sich, dass der Diskurs um das Neue in der Literatur nicht nur ein Phänomen der Moderne ist und dass Neues häufig auch mit Fragen der moralischen beziehungsweise ästhetischen Bewertung verbunden sein kann. In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf der Literatur des 16. Jahrhunderts, die ihren ganz eigenen Zugang zu der Diskussion um das Neue hat. Das Neue, das nicht mehr nur das Andere oder das Fremde ist und sich folglich nicht mehr konkret definieren lässt, stellt eine »Unbestimmtheitsstelle« dar.15 Möchte man sich diesem unkonkreten Abstraktum annähern, ist vor allem in der Literatur die Wahrnehmung des Neuen und die Reaktion, welche sie auslöst, ein adäquater Ausgangspunkt. 14 »Cur noua, mille retro Tacitus quae scripsit ab annis? / Quod splendore nouo scripta uetusta intent.« K. Düwel: Gedichte, S. 96. 15 Vgl. auch A. Klawitter: Kategorie, S. 154, Zitat: ebd.

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Die hier zu behandelnden vier Autoren des 16. Jahrhunderts gehen besonders innovativ mit literarischen Ausdrucksformen um. Sie verbindet, trotz der Heterogenität ihrer Intentionen und Techniken, doch partiell eine motivische und thematische Gemeinsamkeit. Dies erklärt sich auch durch die Rezeption: François Rabelaisʼ »Gargantua« findet seine Bearbeitung in Fischarts »Geschichtklitterung«, in Michael Lindeners »Katzipori« lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit eine Bekanntheit des Rabelais’schen Werks nachweisen. Im anonymen »Finckenritter« sind diese Motive zu schwach, um sie auf eine direkte Kenntnis des »Gargantua« zurückzuführen, dafür wird der »Finckenritter« bei Fischart rezipiert und dadurch schließlich auch mit ersterem in Zusammenhang gesetzt. Es gilt also, den experimentellen Umgang mit Formen und Sprache in diesen in der Forschungsgeschichte des Öfteren als Lügen- oder Unsinnsdichtung stigmatisierten Texten zu analysieren und mögliche Erklärungsmodelle zu liefern. Dabei sind die sozialhistorischen Umbrüche um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, die in dem ausgewählten Korpus an Texten thematisiert und literarisch transformiert werden, ein wichtiger Aspekt. Neben den neuen Erfindungen und der Kirchenspaltung, die gerade für einen protestantisch orientierten Autor wie Fischart von großer Relevanz ist, nehmen die geographischen Entdeckungen, besonders die der Neuen Welt, eine große Bedeutung in den vorliegenden Texten ein. Gerade die Möglichkeiten, welche die Entdeckung eines zuvor nicht denkbaren Kontinents bieten, zeitigen ihren Einfluss auf das literarische Schaffen. Amerika wird hierbei zu einer Projektionsfläche verschiedener Wünsche und Vorstellungen. Auf der einen Seite wird schon in den ersten Entdeckerberichten die Neue Welt mit Motiven des Paradieses und des Schlaraffenlandes verbunden. Auf der anderen Seite stehen die Gefahren und die Problematik, die Neue Welt in das alte Weltbild zu kommensurabilisieren. Die Neuvermessung der Welt findet ihren Niederschlag auch in der Neubewertung der literarischen Landschaft. Am Anfang scheint es, als ob die neue Welt zu einem Spielraum für unendliche Möglichkeiten wird und in den literarischen und philosophischen Diskursen artikuliert sich dies, wie zum Beispiel bei Michel de Montaigne, dass die Neue Welt nicht eine neu entdeckte Welt ist, sondern eine imaginierte neu geschaffene Welt. Dieses Potential erlaubt es den hier behandelten Autoren auch, selbstbewusst mit der Neuschöpfung ihrer literarischen Räume umzugehen, die weder durch ein christliches Denken noch durch den Neoplatonismus beschränkt sind. Die Räume, die sie schaffen, lassen sich am besten mit den von Michel Foucault postulierten Heterotopien beschreiben. Diese Gegenräume, die, obwohl beschreibbar, dennoch nicht greifbar sind, ermöglichen es, immaterielle Räume zu schaffen, die unabhängig zu existieren scheinen. Dies gelingt durch die

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Multiperspektivität des Erzählers, der in der Lage ist, verschiedene Masken anzunehmen und der, wie sich dies bei dem spanischen Autor Francisco Delicado als auch bei Rabelais zeigt, in Interaktion mit den Figuren tritt. Die vermeintliche Autonomie der geschaffenen Welt(en) geht sogar so weit, dass die Erzählerfigur, welche in den beiden genannten Fällen als Autor betitelt wird, von den Figuren düpiert und belehrt wird, so, als wären es unabhängige Geschöpfe. Dieses literarische Spiel um fiktives Sein und Schein verweist letztendlich auf die Kreativität der (realen) Autoren. Mit dem Aufbrechen konventioneller Erzählmuster, wie sie für das 16. Jahrhundert zum Beispiel der Prosaroman liefert, geht nicht nur die Kritik an Sprache einher, sondern auch die Ablehnung von Metazeichensystemen wie die Allegorie. Bei Rabelais wird eine affirmative Haltung zum Fortschritt deutlich. Er schaltet sich mit seiner Riesen-Pentalogie in die Debatte um Scholastik und Humanismus ein. Dabei ist es weniger eine Bachtin’sche Volkskultur, die ihm als Ausgangspunkt dient, als vielmehr die Gelehrtenkultur, die für ihn die Basis darstellt. Ausdrücklich benennt der Erzähler die Werke als seine Erfindung. Das Einnehmen mehrerer Positionen, durch ein multiples Erzähler-Ich, die ad absurdum geführte Ausdrucksform der Allegorie und das Spiel um die Distanzen und Größenverhältnisse, die sich schon in dem Riesenmotiv artikulieren, sind Ausdruck eines gewandelten Verhältnisses von Erzählen. Was eigentlich neu ist, bleibt für Rabelais eine Frage der Perspektive. Deutlich wird dies in der »Welt im Mund von Pantagruel«. Der Ich-Erzähler gelangt durch Zufall in den Mund Pantagruels um dort eine Welt im Überfluss zu entdecken, die reich an Anspielungen auf Reiseliteratur und das Neue-Welt-Thema ist. Ein taubenfangender Junge in dieser neuen Welt erklärt dem Ich-Erzähler, dass die Vögel aus der anderen Welt außerhalb des Mundes stammen. Welche Welt nun die andere oder sogar neue, wie es sich im »Pantagruel« findet, ist, stellt sich je nach Position anders dar. Und – wie bemerkt wird – so weiß die eine Hälfte der Welt nicht, was die andere macht. Als Konsequenz für die Wissenschaft bedeutet diese Multiperspektivität, dass die scholastische Autoritätsgläubigkeit zugunsten humanistischer Empirie abgelegt werden muss. Für das Erzählen wird postuliert, dass Fiktionalität reflektiert werden sollte, so wie es sich auch bei Rabelais zeigt. Mit Michael Lindeners beiden um 1558 erschienenen Schwanksammlungen »Rastbüchlein« und »Katzipori« zeigt sich nun eine andere Positionierung zum Neuen. Zum einen ist es die Perhorreszierung der Neuheitssucht seiner Zeit, zum anderen aber die Postulierung eines neuen Erzählens. In vielen schwankhaften Erzählungen wird für die Lesenden die Handlung transparent erzählt. Oft handelt es sich um Figuren des städtischen Lebens, die wiederum andere mit vermeintlichen Neuigkeiten betrügen. Dieser Betrug wird für die Rezipienten offengelegt, sodass

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lediglich die Reaktion der betroffenen Figuren von Interesse ist. Einmal ist es auch der Ich-Erzähler, welcher das Gerücht einer Hinrichtung an einem See in der Stadt Leipzig streut. Schließlich begeben sich 900 Bürgerinnen und Bürger zu dem See und müssen sich eingestehen, dass das Neue letztendlich ›nichts‹ ist. Ebenso entlarvt der Erzähler die aus seiner Sicht obsoleten Allegorien, welchen entweder nur noch eine scherzhafte Intention zugestanden wird oder die vollkommen beliebig neu motiviert werden können. Am Ende, wo bei einem Pauli oder einem Wickram eine moralische Ausdeutung zu erwarten wäre, überlässt der Erzähler seinem Publikum die Wertung. In dieser Umwertung des konventionellen schwankhaften Erzählstils, der sich auf der Oberfläche durch Neologismen sowie das Spiel mit Textsorten und das Ablösen von der Schwanktradition bemerkbar macht, liegt das Neue. Die für Rabelais und Michael Lindener festgestellten Themen, wie die Entallegorisierung, das Spiel um Distanzen und Größenverhältnisse als auch die vielen Perspektiven, die auf die fiktionale Welt projiziert werden können, finden sich im »Finckenritter« wieder. Hier wird sogar der Ich-Erzähler zu einer janusköpfigen Gestalt im wahrsten Sinne des Wortes, da er seinen Kopf verliert, ihn wieder aufsetzt und so nach vorn und hinten schauen kann. Dennoch lässt sich eine kohärente Handlung in dem kurzen Text nicht mehr ausmachen. Literarische Gattungen wie die Reiseberichte, der städtische Roman, der Ritterroman und die Schwankliteratur werden zitiert und ihre Motive neu kombiniert, sodass ein heterogenes Gebilde entsteht, bei dem herkömmliche Ordnungskriterien nicht mehr greifen. Die erzählte Welt ist entfesselt, der Ich-Erzähler, der beständig nach Orientierungspunkten sucht, findet diese nicht mehr. Dies mag in erster Linie auch dem Paradoxon geschuldet sein, dass der Ich-Erzähler seine Abenteuer 250 Jahre vor seiner Geburt erlebt. Parodierte das um 1300 entstandene Wachtelmäre, einer der Texte, auf welche sich der anonyme »Finckenritter«-Autor bezieht, noch die Heldenepik, so zeigt sich im »Finckenritter« keine Parodierung mehr der einbezogenen Gattungen. Hier liegt vielmehr eine Art Anti-Erzählen vor. Die Generierung fiktionaler Welten besteht nicht mehr, wie in der Parodie, aus einem bloßen mundus perversus, sondern durch die Kombination disparater Motive entsteht ein in sich paradoxes Ganzes, das nicht mehr durch bloße Umkehrung aufgelöst werden kann. Die Aporie des konventionellen Erzählens wird augenscheinlich. Der Text scheint somit auch auf subtile Weise auf die neuen Diskussionen um die (Zentral-)Perspektive, wie sie zeitgenössisch in der Kunst thematisiert werden, zu reagieren. Die eben skizzierten Positionierungen kulminieren in Fischarts Werk, hier natürlich in erster Linie in seiner »Geschichtklitterung«. Sein ursprünglicher Ausgangspunkt, Rabelais’ Werk, liefert die Reflexion über das Fremde, das auf »den

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teutschen Meridian visirt«16 wird. Ausgehend davon führt der Weg hin zum Neuen. Das Neue ist aber nicht mehr Trugschluss oder ein paradoxes Gebilde, das Neue ist das Eigene, welches seine Orientierungspunkte verloren hat. Da es nicht mehr Ziel sein kann, die Lesenden zu steuern, scheitern konventionelle Erzählmuster. Auf mehreren Ebenen wird dieses Neue verhandelt, immer sind es jedoch Zeichensysteme, welche kritisch hinterfragt oder neu motiviert werden. In der »Geschichtklitterung« wird wie bei Rabelais die Allegorie abgelehnt. Er geht allerdings wesentlich weiter als sein Ausgangspunkt. Allegorie wird zur leeren Hülle, hinter obskuren Worten verbirgt sich lediglich eine Banalität. Ein weiteres Metazeichensystem, das eine neue Motivierung erfährt, ist der Mythos. Mytheme werden abgewandelt oder durch neue ersetzt. Im »Eulenspiegel Reimensweiß« wird Tyll zum Schildjungen der Minerva, in der »Geschichtklitterung« sind es primär der aitiologische Mythos und der Schöpfungsmythos, die souverän für das Erzählen genutzt werden. Der Erzähler erklärt so auch ausgehend vom Urei die Geschichte des Menschengeschlechts und die Entstehung des Krieges. Hier präsentiert sich ein omnipotenter Erzähler, der autonome Welten von einem vermeintlichen Ursprung her schafft. Die Rezipierenden stehen nicht mehr im Zentrum des Schreibens, sie können sich ihr eigenes Urteil bilden und nur noch das literarische Kunstwerk bewundern. Wie bewusst dieses Konzept durchgeführt wurde, zeigt sich nicht zuletzt im kreativen Umgang mit Sprache. Die langen Assoziationsketten mit neuen Komposita stellen eine erste Stufe dar. Gedichte und Onomatopoetika, die lediglich den Klang in den Vordergrund rücken, bilden eine weitere Stufe, um dann nur noch einzelne Buchstaben in einem letzten Schritt aneinander zu reihen. Mit der vorliegenden Arbeit werden neue Wege der Interpretation beschritten, zumal die hier behandelten Texte das erste Mal zusammen betrachtet werden. Die Wertung dieser Texte im 19. und noch im 20. Jahrhundert als Lügendichtung hat bedauerlicherweise zu einer sehr eingeschränkten Sicht auf die einzelnen Texte geführt. Auch der Ansatz, zum Beispiel Fischarts »Geschichtklitterung« als ein manieristisches Werk zu erklären, führt in eine Einbahnstraße, da eine bloße Analyse von Sprachspielerein, letztendlich vor dem Hintergrund eines anachronistischen l’art pour l’art, nicht zufriedenstellend die Bedeutung und Rezeption dieser Texte klären kann. Das Konzept von Manierismus, das vor dem gewandelten Paradigma in der Wissenschaft dazu geführt hat, dass Texte nicht oder nur noch peripher erforscht werden, muss grundlegend in einem größeren Kontext hinterfragt werden. Ebenso sind vor dem Hintergrund dieser Thematik Werke der bildendenden Kunst in die Überlegungen mit einzubeziehen. Da schon die Analyse der Texte gezeigt hat, dass andere Zeichensysteme in ähnlicher Weise transformiert 16 So auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe von Fischarts »Geschichtklitterung« (1575).

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werden, ist dies auch für die Zeichensysteme der Malerei und Druckgraphik anzunehmen, zumal, wenn sie im Kontext der Texte erscheinen und in diese, zum Beispiel durch Bildbeschreibungen oder ekphrastisches Erzählen, integriert werden. Deutlich soll die vorliegende Untersuchung machen, warum und unter welchen kulturellen und geistesgeschichtlichen Vorzeichen die hier behandelten Phänomene um die Mitte des 16. Jahrhunderts in der deutschsprachigen Literatur erscheinen. Bezog sich der Diskurs um das Neue in der ersten Hälfte des Jahrhunderts primär auf die Entdeckung der Neuen Welt, um nur ein Beispiel zu nennen, so erfährt dieser Diskurs schließlich eine Transformation auf der Ebene der Narrativik. Das Neue ist nicht mehr ein plakatives Werbemittel für eine neubegierige Welt, sondern wandelt sich zu einem Denkraum, der mit noch auszuhandelnden Möglichkeiten aufwartet.

D ANKSAGUNG Besonders herzlich danke ich Thomas Cramer, der die vorliegende Arbeit im Fachbereich Ältere Deutsche Philologie (Fakultät I) der Technischen Universität Berlin jahrelang betreut hat, aus gesundheitlichen Gründen das Projekt aber nicht mehr abschließen konnte. Für den erfolgreichen Abschluss der Promotion möchte ich Timo Felber, Thomas Gil und Friedrich Steinle danken. Für Ihre vielfältige Unterstützung während der Zeit meiner Promotion dankbar bin ich Rudolf Bentzinger, Judith Klinger, Ute von Bloh und meiner Familie. Für Ihre Korrekturen und anregenden Gespräche zu meiner Dissertation danke ich Sandra Hofert, Nina Krampitz, Renke Kruse, Svenja Fahr und Angila Vetter. Nicht zuletzt danke ich Carolin Bierschenk und dem transcript Verlag für die unkomplizierte und sehr gute Betreuung bei der Drucklegung des Manuskripts. Das vorliegende Buch widme ich meiner Tochter Laura Giuliana. Berlin im September 2017 Ronny F. Schulz

2. Das Neue in der Literatur

2.1 E INE D EFINITION DES N EUEN IN DER F RÜHEN N EUZEIT Seit der Antike wird das Neue in ein temporales und ein qualitatives Neues unterschieden, eine Trennung, die auch terminologisch in dem altgriechischen Begriffspaar νέος (das zeitlich Neue) und καινός (das qualitativ Neue) evident wird.1 In der gegenwärtigen Forschung zum Neuen sollte man, wie Michael Sukale, eine andere Differenzierung vornehmen, in das »Noch-Nicht-Dagewesene« und das »Unbekannte«. Sukale führt seine Unterscheidung in einer Tabelle aus: Tabelle 1: Definition des Neuen (nach Sukale) 2

Schon da gewesen Noch nicht da gewesen

Unbekannt

Bekannt

Unentdecktes

Altes

Neues

Erwartetes

Sukale blendet allerdings die Begriffe des temporalen (t) und qualitativen (q) Neuen aus, man müsste hier erweitern und modifizieren:

1

Vgl. J. Moltmann: Neu, S. 726.

2

Vgl. M. Sukale: Neues, S. 12 (ebd. Tabelle und vorangegangene Zitate).

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Tabelle 2: Definition des Neuen (basierend auf Sukale, Modifikation d. Verf.) Unbekannt

Bekannt

Unentdecktes

Altes

Neuartiges

Altes

Noch nicht da gewesen t

Absolut Neues

Erwartetes

Noch nicht erfunden q

Absolut Neues

-

Schon da gewesen t Schon erfunden q

Das Unbekannte, ist es schon da gewesen, kann nur entdeckt werden. Das schon Erfundene, wenn es in einer Gesellschaft neu erfunden wird, ist lediglich neuartig, hat also nur den Schein eines absolut Neuen. Handelt es sich um einen unbekannten Zusammenhang oder einen Gegenstand, ob zeitlich oder qualitativ, so können diese entdeckt oder erfunden werden. Hier stellt sich jedoch ein Problem, denn eine Distinktion in ›erfinden‹ und ›entdecken‹ ist sprachlich bis in die Neuzeit nicht vorgenommen worden, wie in dem folgenden Kapitel noch ausgeführt wird. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb eine Unterteilung in ›Erfinden‹ als Hervorbringen von qualitativ Neuem und von ›Entdecken‹ als zeitlichen Begriff des Findens von schon Vorhandenem vorgenommen. Darüber hinaus impliziert der Begriff des Erfindens im modernen Sprachgebrauch immer eine kalkulierte, geplante Aktion, während das Entdecken dem zeitlich vielleicht eintreffenden Zufall überlassen bleibt. Folgendes Beispiel kann dies verdeutlichen: Vermutlich hat Berthold Schwarz um die Mitte des 14. Jahrhunderts das nach ihm benannte Pulver (zufällig) entdeckt. Gingen wir davon aus, dass er bewusst verschiedene chemische Stoffe zusammengeführt hätte, um eine explosive Mischung zu erhalten, könnte der Vorgang auch als Erfinden bezeichnet werden. Ob der Mensch nun aber lediglich Entdeckungen machen, das heißt die göttliche Schöpfung aufdecken kann, oder sogar selbst zum Erfinder von Neuem werden kann, wird je nach Diskurs seit dem Mittelalter anders entschieden. Die dominante theologische Sichtweise, welche auf der alttestamentarischen Stelle »Ecclesiastes« 1,10 fußt, spielt dabei eine, wenn auch häufig überschätzte, Rolle. Die Behauptung, dass es nichts Neues unter der Sonne gäbe, bedurfte schon seit dem frühen Mittelalter der Exegese. Dieter Kartschoke ordnet die scholastischen Interpretationen des »nihil sub sole novum« in vier Gruppen:

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Es kann nichts Neues im »natürlichen Kreislauf in der Schöpfung« geben. Da die göttliche Schöpfung abgeschlossen ist, kann es kein Neues geben. Die Stelle wird widerlegt, da der Schöpfergott neue Wunder hervorbringen kann. »Ecclesiates« 1,10 gilt für die der Welt verschriebenen Menschen, die der ›ewigen‹ Wiederkehr der säkularen Zeit unterworfen sind.3

Kartschoke kommt dann zu dem vorläufigen Ergebnis: »Novus ist also ›eher ein Wert- als ein Zeitbegriff‹, kennzeichnet die Abweichung von einer Norm im positiven wie im negativen Sinn. In der Schöpfung kann es solche Abweichungen nicht geben, weil sie abgeschlossen und vollkommen ist. So sagt Hugo von St. Victor in seinen Homilien zum ›Prediger‹: Sic in ipsis elementis mundi, sic in iis, quae ex ipsis procreata sunt vel procreantur, omnibus natura primam dispositionem custodit, ut nihil a primo alterum, id est diversum, aut dissimile inveniri possit sub sole (PL 175,145). Das Gleiche meint später Bonaventura: De hac notandum, quod ipse vocat novum, cuius simile non praecessit; et sic non est aliquid novum secundum propagationem, quia semper ibi simile ex simili (l.c.). Nur Gott selbst kann die natürliche Ordnung durchbrechen und durchbricht sie in der Durchsetzung seines Heilsplanes von der jungfräulichen Geburt bis zu den Wundern Christi und seiner Heiligen. Nur in Gott kann der Mensch neu werden. Aber in der Welt ›ein Neuerer genannt zu werden gilt als Schimpfwort‹. Das ganze Mittelalter hindurch gilt deshalb der altkirchliche Grundsatz: Nihil innovetur, nisi quod traditum.«4

Das Neue als Wertbegriff aufgefasst impliziert aber auch einen Schöpfer, der etwas qualitativ Neues schafft, weshalb es Neues dem Anschein nach auch auf der Erde ohne weiteres geben kann. Das Schöpfen von substantiellem Neuem bleibt aber in der Scholastik dem christlichen Schöpfergott vorbehalten, wie es am einflussreichsten Thomas von Aquin in seiner »Summa theologiae« formuliert.5 Die deutschsprachigen Autoren der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, welche in dieser Arbeit behandelt werden, gehen aber von ganz anderen Prämissen aus. Hierfür ist auch die Stellung von Lindener, Fischart und dem Autor des »Finckenritters« zur Religion von Bedeutung. Durch die Reformation kommt es schließlich auch zur Ablehnung thomistischer Vorstellungen, ganz vehement und vulgär zum Beispiel bei Heinrich von Kettenbach, der ihn durch ein Altmütterlein zu »thomas 3

Vgl. D. Kartschoke: Nihil sub sole, S. 178-180, Zitat: S. 178.

4

Ebd., S. 180-181. Hervorhebungen im Original.

5

Den Schöpfungsbegriff behandelt Thomas besonders im ersten Buch der »Summa theologiae«, »quaestiones« 44-47 und 103-105, vgl. Thomas von Aquin: Summa 8, S. 4107 und Thomas von Aquin: Summa 14, S. 2-89.

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von kackwin«6 verballhornen lässt. Essentieller wird das Problem noch, wenn man, wie Lucien Febvre in Bezug auf Rabelais, von Unglauben im Sinne von Atheismus spricht,7 dann stellt sich das Problem eines omnipotenten Schöpfergottes gar nicht mehr. Natürlich ist der ideologische Gehalt von Febvres These in Bezug auf Rabelais problematisch und zumindest für Fischart lässt sich belegen, dass er nicht atheistisch, sondern protestantisch ist. Deshalb würde sich für das 16. Jahrhundert eher noch die Frage stellen, ob bei einigen Autoren nicht schon strikt getrennt werden sollte zwischen religiösen und weltlichen Werken, welche vielleicht einem anderen Wahrheitspostulat unterliegen, das nicht von theologischen Erwägungen tangiert wird. Schließlich könnte man hier bei einer anderen Tradition des 13. Jahrhunderts anknüpfen, der europäischen Rezeption des Averroes.8 Andererseits bietet die thomistische Lehre eine gute Grundlage für das vormoderne Verständnis vom autonomen Schöpfer. Der Dreischritt des Schöpfungsaktes in productio – distinctio – conservatio et gubernatio ließe sich – als modernes Gedankenexperiment – mühelos auf den Autor als Schöpfer anwenden, der Figuren schafft, ihnen Eigenschaften zuweist und sie dann (durch die Handlung) lenkt – wäre da nicht die Problematik der Schöpfung von Neuem ›der Substanz nach‹.9 Thomasʼ These lässt aber auch einen Freiraum für menschliches Handeln, wie auch Thomas Cramer in seinem Aufsatz »Solus creator est deus« konstatiert.10 Doch letztendlich verweist dies nur darauf, dass Alles noch vor dem Ende der Welt an den Tag kommen soll. Der Autor wird somit wieder in ein teleologisches Modell eingebunden, was doch sein ›Schöpfertum‹ stark schmälert und ihn ›bloß‹ zu einem alter deus werden lässt. Bis ins 16. Jahrhundert gibt es wohl kaum eine Möglichkeit, diesem Circulus vitiosus zu entrinnen, dann aber sollte durch die religiöse Spaltung und die neue Vorstellung von Fortschritt doch der Weg frei sein für das Schöpfen immaterieller Gegenstände als autonome Leistung eines Künstlers oder Autors außerhalb einer religiösen Weltkonzeption. Schließlich kann das menschliche Ingenium, wie bei Cervantes, die ganze Wirklichkeit verändern, auch 6

Heinrich von Kettenbach: Schriften, S. 69.

7

Vgl. L. Febvre: Problème.

8

Die Schriften des Averroesʼ wurden im europäischen Mittelalter unter anderem so interpretiert, als könne man zwei Wahrheiten, eine religiöse und eine philosophische (wissenschaftliche), annehmen, was zu heftigen Gegenreaktionen der katholischen Kirche führte und schließlich zum Verbot der Schriften und der daraus abgeleiteten Thesen, vgl. grundlegend dazu L. Hödl: ...sie reden.

9

Thomasʼ Dreischritt wird in den »quaestiones« 44 ff. der »Summa theologiae« eingeführt.

10 T. Cramer (creator, S. 267) spricht von »Freiräume[n] innerhalb des göttlich erschaffenen Seins [...], die durch eigene Schöpfung noch ausgefüllt werden können.«

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um den Preis des eigenen Verstandes; und so gefährlich scheinen die dichterischen Schöpfungen zu sein, dass selbst dann noch ein Priester nötig ist, der alle Ritterromane verbrennt, was zugegebenermaßen wieder auf die Kontinuität scholastischer Vorstellungen hindeutet. Somit kann man eine Kontinuität der thomistischen Thesen annehmen, die aber in der Neuzeit immer mehr verdrängt werden, sodass gerade in dem hier behandelten Zeitraum fraglich bleibt, ob sie überhaupt noch eine Rolle spielen. Ulrich Pfisterer gibt in dem bisher umfangreichsten Aufsatz zu Neuheitskonzepten in der Frühen Neuzeit einen Einblick in den philosophischen, technischen und kunstwissenschaftlichen Diskurs um das Neue. Er postuliert fünf Konzeptionen von Neuheit in diesem Zeitraum: »1.) Innovation lässt sich im Rahmen tradierter Wissensbestände verstehen als ein (merkliches) Akkumulieren, Konzentrieren, Beschleunigen des bisher (quantitativ und/oder qualitativ) Vorhandenen. 2.) Innovation entsteht durch eine Refiguration oder Reform des Bestehenden (einer Richtungsänderung oder Um-Akzentuierung innerhalb des Bestehenden). 3.) Innovation wird als Renaissance oder Restitution des schon einmal so oder ähnlich Erreichten (insbesondere der Antike), zwischenzeitlich aber Verlorenen, bezeichnet. 4.) Innovation geriert sich als Revolution, als das Dagewesene radikal verändernde Erfindung oder Entdeckung und zugleich als bedingungsloser Bruch mit den vorausgehenden Traditionen, als Doppel-Figur der ›Löschung‹, aus der erst die Möglichkeit zur Neusetzung resultiert. 5.) Eine letzte Steigerung dieser Schöpferpotenz stellt die lange Zeit allein Gott zuerkannte Fähigkeit zur creatio ex nihilo dar, also ein auf keinerlei materiellen, chronologischen usw. Bedingungen und Gesetzen basierendes, absolutes Setzen und Erschaffen von Neuem.«11

Diese einzelnen Konzepte finden sich laut Pfisterer auch als Mischformen in frühneuzeitlichen Diskurse wieder. Was aber bei Pfisterer fehlt, ist eine eindeutige Trennung von ›fremd/anders‹ und ›neu‹, selbst der Hinweis auf die Unterscheidung bei Petrarca mit seinem Zitat »a veteribus ad nova, ab externis ad nostra transgrediar«12 bietet Pfisterer keinen Anlass, diese Trennung zu diskutieren. Petrarca schreibt in seinem Brief an Guido Settimo, dass er, nach einem Exkurs über den Ruhm antiker Künstler, nun zu den Neuen kommen möchte. Er unterscheidet hier eindeutig zwischen ›alt‹, ›fremd‹ und ›neu‹. Das Fremde und Andere kann somit nicht identisch mit dem Neuen sein, denn sonst hätte das Neue ja einen Moment des Bekannten und wäre im Endeffekt das Alte. An einem Beispiel aus Jean de Lérys »Histoire d’un voyage« (1578) lässt sich dies gut illustrieren. Léry stellt schon zu Beginn seines 10. Kapitels über die Tiere Brasiliens heraus, dass es 11 U. Pfisterer: Erfindung, S. 10. 12 F. Petrarca: Epistolae, S. 294-295 (5, 17). Vgl. U. Pfisterer: Erfindung, S. 21.

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keine direkten Vergleiche zur europäischen Fauna gäbe.13 Er beschreibt zum Beispiel Wildschweine und Hasen, die jedoch, was Farbgebung und Beschaffenheit betrifft, von den europäischen Exemplaren der Gattung abweichen. Sie sind fremdartig, ähneln aber den französischen (bekannten) Lebewesen. Anders sieht es dagegen mit dem Gürteltier (»Tatou«) aus, welches sich kaum in den bekannten Wissensstand einordnen lässt: »Quant au Tatou de ceste terre du Bresil, cest Animal (comme les herissons par deça) sans pouuoir courir si viste que plusieurs autres, se traisne ordinairement par les buissons: mais en recompense il est tellement armé & tout couuert d’escailles, si fortes et si dures, que ie croy qu’vn coup d’espee ne luy feroit rien […]. Mais quant à sa forme, qu’il soit si haut monté sur ses quatre iambes que celuy que Belon a reprensenté par portrait à la fin du troisieme liure de ses obseruations […] ie n’en ay point veu de semblables en ce pays là.«14

Das Gürteltier wird in seiner Langsamkeit mit einem Igel verglichen, ansonsten lässt sich für Léry kein Vergleich ziehen. Hinzu kommt, dass das Tier auch nicht mit anderen Lebewesen Brasiliens verglichen werden könne. Es wäre somit nicht fremd, sondern fast vollständig neu, sein Panzer könne nur in seiner Härte geschildert, der Geschmack seines Fleisches lediglich beschrieben werden. Léry verweist in dem Absatz noch auf eine Illustration bei Belon,15 offensichtlich scheint ihm das Tier derartig unbeschreibbar, dass es nur bildlich wiedergegeben werden kann. Die Sprache versagt in Anbetracht des Neuen, nur eine visuelle Wiedergabe kann das staunenswerte Neue präsentieren. Die Interkulturalitäts- und Alteritätsforschung kann hier eine Basis für die Interpretation des Neuen in der Frühen Neuzeit bilden. Die Wahrnehmung des Fremden, welche insbesondere in Reiseberichten evident wird, lässt sich gut mit einem Modell analysieren, wie es für die Kommunikationswissenschaft Christoph Barmeyer vorgeschlagen hat. Barmeyer postuliert einen analytischen Dreischritt, bei dem zuerst die Kulturspezifika beider Kulturen, die in Kontakt treten, herausgearbeitet werden müssen, aufgrund dieser Erkenntnisse kann der Kulturkontrast analysiert werden, schließlich folgt das Verstehen der interkulturellen Begegnung.16 Gerade in der Situation der Begegnung liegt das, was die Kommunikationswissenschaft als Critical Incident bezeichnet, Barmeyer definiert den Critical Incident, den man auch mit ›Krise‹ übersetzen könnte, folgendermaßen:

13 Vgl. J. de Léry: Histoire, S. 150. 14 Ebd., S. 156-157. Hervorhebung im Original. 15 Gemeint ist hier P. Belon: observations, Bl. 210r: »La peincture du Tatou.« 16 Vgl. C. Barmeyer: Interkulturalität, S. 36-39.

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»Auf die interkulturelle Kommunikation übertragen, bezeichnet ein Critical Incident eine interkulturelle Begegnungssituation, in der typische, rekurrierende Missverständnisse oder Probleme auftreten. Hervorgerufen werden diese aufgrund kultureller Unterschiedlichkeit (z.B. divergierender Normen und Wertesysteme oder miteinander nicht kompatibler kultureller Regeln) und Fehlinterpretationen der Kommunikation oder des Verhaltens der Interaktionspartner.«17

Natürlich ist dieses Modell dialogisch, es kann aber auch auf einen Textauszug wie Lérys Beschreibung appliziert werden. Léry, als Kenner der französischen Tierwelt, beschreibt die brasilianische Fauna, in der Beschreibung präsentiert er vermeintlich Bekanntes. Die Vergleiche mit europäischen Tieren lassen die neu entdeckten Arten jedoch fast zu Chimären werden, wenn ein Tier gleich mehrere bekannte Attribute wie ›y (Eigenschaft) wie ein x (europäisches Tier)‹ erhält. Die Wesen sind fremdartig und durch die Kommensurabilisierung des Inkommensurablen kommt es zu einer Krise, einem Critical Incident, der Beschreibung. Der Konflikt liegt also nicht in der Begegnung, sondern in dem Unvermögen, eine adäquate Beschreibung vorzulegen. Waren die Vergleiche mit in Europa bekannten Tierarten noch Zeichen des von Christian Kiening benannten »Fremdvertrauten«18, so stellt sich in der Beschreibung des Gürteltiers ein gänzlich Neues dar, dem der ›Entdecker‹ nur noch Staunen entgegenbringen kann. Die Reaktion auf Neues lässt sich für die Literatur aber nicht in ein einfaches Schema bringen, eine Dichotomie in ›Staunen‹ und ›Ablehnen‹ lässt sich nicht aufmachen, die Wahrnehmung des Neuen, die natürlich auch immer eine sprachliche Herausforderung birgt, und die Reaktion auf dieses Neue, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Verdeutlichen lässt sich die Unmöglichkeit, das Neue methodologisch zu beschreiben, anhand von Arne Klawitters Versuch, Foucaults Wissensarchäologie als Beschäftigung mit dem Neuen zu beschreiben. Klawitter sieht mit Foucault das Neue in Bezug zu Wissensformationen, weshalb die Definition des Neuen »zum einen die epistemologischen Bedingungen für die Wahrnehmung des Neuen; zum anderen die Entstehungsbedingungen des Neuen in einer gegebenen Wissensformation«19 betrifft. Er postuliert zwei Möglichkeiten des Neuen, zum einen erscheint es als eine andere Wissensformation und begrenzt erstere, zum anderen entsteht es in einer Episteme selbst. Das Neue ist zunächst unbestimmbar,

17 Ebd., S. 47. 18 Vgl. C. Kiening: Körper, S. 276-294, und C. Kiening: Subjekt, S. 111-115. 19 A. Klawitter: Kategorie, S. 153.

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unsagbar – oder um es mit Klawitter auszudrücken, »eine Art Unbestimmtheitsstelle«20 – wie an dem Beispiel von Lérys Gürteltier zu sehen. Wahrgenommen werden kann es nur vor dem Hintergrund einer bestehenden, konventionellen Wissensformation. Hier stellt sich wiederum das Problem der Befangenheit, da die historischen Episteme meist wieder aus der Perspektive des Beschreibenden wahrgenommen werden. Zuerst müssten also bestehende Wissensformationen analysiert werden, um die Brüche hervorzuheben. Brüche jedoch enthalten Momente des Bekannten, da sie zwangsläufig die alten Episteme wieder aufnehmen müssen, um diese erst zu entkräften. Dann wäre das Neue lediglich ein Fremdes oder epistemisch Anderes, wie es bei Foucault heißt. Mithin wird wichtig, wie Neues überhaupt wahrgenommen wird. Der Begriff der Perspektive, der primär auf das Gesichtsfeld fokussiert, ist meiner Ansicht nach in diesem Fall zu eng gefasst. Wahrnehmung ist in der Frühen Neuzeit in erster Linie eine räumliche Erfahrung, die alle Sinne einschließt, was ebenfalls zu einer synästhetischen Erfahrung führt. Musik kann so zum Beispiel in Farbe umgesetzt werden, wie es das Beispiel Arcimboldos zeigt.21 In der folgenden Untersuchung werden so zuerst die Wahrnehmung der Neuen Welt und die Idee des Fortschritts untersucht. Diese beiden historisch gegebenen Größen führen in der Literatur der Zeit zu Diskursen und ermöglichen erst ein Denken des Neuen als Reaktion auf diese Wahrnehmung. Schließlich muss das Bild des Dichters und der von ihm geschöpften Welt vor dem Hintergrund dieser Fakten befragt werden, bis dann die ausgewählten literarischen Texte auf ihren Umgang mit dem Neuem hin analysiert werden können.

2.2 D IE

IMAGINIERTE

N EUE W ELT

Drei Begriffe gilt es für die folgende Untersuchung auf das Verhältnis zum Neuen hin näher zu definieren: Entdecken, Erfinden und Dichten. In diesen drei Bereichen zeigen sich Neuerungen, es bestehen aber auch Wechselbeziehungen zwischen den drei Größen. Das Entdecken, im Sinne der lateinischen inventio, ist durch die Rhetorik zu einem Teilbereich der Dichtung geworden, die Dichtung wiederum schildert Entdeckungen und Erfindungen, wobei die beiden letzten Begriffe, wie schon angeführt, in der Frühen Neuzeit noch nicht voneinander getrennt werden können, es gibt im Lateinischen nur den Begriff inventio. Hier wird

20 Ebd., S. 154. 21 Vgl. Comanini, der auf Arcimboldos Entdeckung verweist, dass die Tonleiter in Farben dargestellt werden kann (vgl. G. Comanini: Figino, S. 369-370).

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also eine Trennung aus der Sicht der Moderne vorgenommen, die sich nicht historisch stützen lässt. Um aber das Material zu ordnen, erscheint es sinnvoll, zwischen den geographischen Entdeckungen und den technischen oder literarischen Erfindungen zu unterscheiden. Wie im Lateinischen der Begriff inventio für ›Entdecken‹ und ›Erfinden‹ steht, so unterscheiden auch das Mittelhochdeutsche und Frühneuhochdeutsche nicht zwischen den beiden neuhochdeutschen Termini, frühneuhochdeutsch erfinden kann so mit ›erfahren‹ und ›entdecken‹ übertragen werden.22 Semantisch handelt es sich also um ein Aufdecken von schon Vorhandenem. Dies entspricht genau dem theologischen Postulat, dass entsprechend dem ersten Buch der »Genesis« die Schöpfung seit dem siebten Tag abgeschlossen ist; lediglich die Aufdeckung des göttlichen Schöpfungsplans bleibt dem Menschen als Aufgabe. Umso komplizierter ist die Bezeichnung der Entdeckung Amerikas als mundus novus oder newe welt. Dieses Schlagwort, das sich in allen europäischen Sprachen findet, klammert zumindest in einer Lesart begrifflich die Geschichtlichkeit der neu entdeckten Länder aus. Möglicherweise spielen auch hier theologische Erwägungen eine Rolle. Noahs Kinder gründen die drei Völker der Erde, die dementsprechend auch die drei – nicht vier – Kontinente bevölkern: »hae familiae Noe iuxta populos et nationes suas ab his divisae sunt gentes in terra post diluvium«23. Der Konflikt, so könnte man denken, würde sich besonders gut in der Benennung des neuen Kontinents durch Martin Waldseemüller (und vielleicht auch Michael Ringmann) 1507 manifestieren, da Waldseemüller 1513 den von ihm in der ersten Karte eingeführten Namen America wieder durch die neutrale terra incognita ersetzte. Wie Christine R. Johnson nachweist, hängt die Vermeidung des Namens America aber wohl eher mit der Debatte um den wahren Entdecker Amerikas zusammen, dennoch bietet der unscharfe Begriff eine Möglichkeit, Neue und Alte Welt nebeneinander problemlos existieren zu lassen: »›New World‹ was a vague label that implied a significant discovery, but also one that could exist comfortably with the Old World.«24 Gemäß Johnson geht es für die geographischen Untersuchungen somit um die Frage, wie neu entdeckte Länder kartographisch vermessen werden können. Die Neue Welt konnte durch die Geographen in ihr europäisches Weltbild einverleibt werden. Auch die spanischen Eroberer hatten neben der Bewunderung des Neuen den Weg »kompletter Kommensurabilisierung« gefunden, wie Joachim

22 Vgl. A. Götze: Glossar, S. 67a. Ausführlich geht auf diese Problematik C. Atkinson (Inventors, S. 15) ein, die zurecht darauf hinweist, dass in der Gegenwart ebenfalls keine scharfe Trennungslinie zwischen den beiden Begriffen gezogen werden kann. 23 Gen. 10, 32. 24 C.R. Johnson: Cosmographers, S. 24.

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Küpper dies anhand der thomistischen diversitas-Lehre nachweisen möchte.25 Küpper verkennt jedoch, dass für die breite Masse der Konquistadoren die scholastische Argumentation unbedeutend, wenn nicht sogar in weiten Teilen unbekannt war. Die Hoffnung auf wertvolle Ressourcen in der Neuen Welt ließ die Fremderfahrung oder gar die Wahrnehmung des Neuen hinter die materiellen Ziele zurücktreten. In der Literatur, hier in erster Linie den Reiseberichten, historiographischen Werken und Biographien, tritt allerdings das Fremde, aber auch das Neue und seine Wahrnehmung, eindeutiger hervor. Bezeichnenderweise existieren der Columbusbrief und das Schreiben von der Neuen Welt des Vespucci nicht mehr im Original und sie wurden schon zeitnah in literarischen Überarbeitungen, welche das Ziel verfolgen, für die Neue Welt zu werben und den Absatz der Publikationen zu fördern, veröffentlicht. Es stellt sich auch im 16. Jahrhundert die Frage, ob die Neue Welt wirklich neu ist. Die antiken Belege über Atlantis dienen, wie auch in der Columbus-Vita André Thevets, als Beweis, dass die Neue Welt eigentlich eine Alte ist: »Et pour ce qu’il estoit bon Latin & sçavant Cosmographe, que cela luy fit venir l’envie de chercher le païs des Antipodes & la riche cipango, remarquée par vn Venitien, nommé Marc-Paul: Et aussi pour avoir leu le Timée & le critias de Platon, où il fait mention d’vne fort grande Isle nommé Atlantée, & d’vn pays noyé par vn deluge d’eaux, qui estoit plus grand que l’Asie & l’Afrique tout ensemble. Et aussi pour avoir leu ce que Aristote escrivant à Theophraste, dit au livre des Merveilles du monde, c’est à sçavoir que certains Marchands Carthaginois navigeans par delà l’estroit de Gibaltar [sic!], vers le Ponent & le Midy, avoient descouvert, apres avoir long-temps floté sur mer, vne grande Isle des-habitée, bien pourveuë toutefois de ce qui est requis à la vie humaine, & arrosée de grands fleuves navigables.«26

Der ausführliche Quellenbericht dient nicht nur der Digression der Biographie, sondern setzt die Neue Welt auch in die Tradition der antiken und mittelalterlichen Autoren, die spätestens seit Vespuccis Bericht für eine breitere Öffentlichkeit eigentlich widerlegt worden sind. »[Q]uasque novum mundum appellare licet, quando apud maiores nostros nulla de ipsis fuerit habita cognitio et audientibus omnibus sit novissima res. Etenim hec opinionem nostrorum antiquorum excedit, cum illorum maior pars dicat ultra lineam equinoctialem et versus meridiem non esse continentem, sed mare tantum, quod atlanticum vocavere. Et, si

25 Vgl. J. Küpper: Kosmos, Zitat: S. 189. 26 A. Thevet: Histoire, S. 154-155.

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qui eorum continentem ibi esse affirmaverunt, eam esse terram habitabilem multis rationibus negaverunt. Sed hanc eorum opinionem esse falsam et veritati omnino contrariam, hec mea ultima navigatio declaravit, cum in partibus illis meridianis continentem invenerim frequentioribus populis et animalibus habitatam quam nostram europam seu asiam vel africam, et insuper aerem magis temperatum et amenum, quam in quavis alia regione a nobis cognita, prout inferius intelleges, ubi succincte tantum rerum capita scribemus et res digniores annotatione et memoria, que a me vel vise vel audite in hoc novo mundo fuere, ut infra patebit.«27

Vespucci widerlegt in der Einleitung seines Briefes »Mundus Novus« die Vorstellung von einem unbevölkerten fernen Land, wie es einige antike Autoren postulierten. In der antithetischen Gegenüberstellung von ›neu-antik‹ und ›wahr-falsch‹ revidiert Vespucci die antiken Autoritäten zugunsten seines Augenzeugenberichts. Dagegen schafft Thevet eine Fiktion, in der Amerika mit dem tradierten antiken und christlichen Weltbild harmonieren kann. Erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzt sich diese Vorstellung von einer neu entdeckten Welt, die vorher gänzlich unbekannt war, wieder stärker durch. Michel de Montaigne greift diese Vorstellung auf, er vertauscht jedoch die Perspektive und versucht aus der Sicht der Neuen Welt die Alte moralisch zu beschreiben. Er führt, fast prärousseauistisch, das Bild vom ›Edlen Wilden‹ in seine Essais »Des cannibales« und »Des coches« ein. Die künstliche Überfremdung der europäischen Eroberer und ihr barbarisches Verhalten gegenüber den Einwohnern Amerikas lassen die Alte Welt zu einer Welt im moralischen Verfall werden. Deutlich wird in den »Essais«, dass die Neue Welt ein Gedankenkonstrukt ist. Dieses Gedankenkonstrukt wäre, so konstatiert Montaigne, für die antiken Autoren von großer Bedeutung gewesen, hätten sie den neuen Kontinent gekannt. Er führt Platon und Aristoteles als Gewährsleute für die Beschreibung unbekannter Inseln an, kommt aber ebenfalls zu dem Urteil, das sich seit Vespucci findet, dass die Antike Amerika noch nicht kannte. In »Des cannibales« lobt Montaigne die Reinheit und Natürlichkeit der neuen Völker, um zu bedauern, dass die antiken Gelehrten sie nicht kannten: »[M]ais c’est en telle pureté, qu’il me prend quelque fois desplaisir dequoy la cognoissance nʼen soit venuë plustost, du temps qu’il y avoit des hommes qui en eussent sceu mieux juger que nous. Il me desplait que Licurgus et Platon ne l’ayent eüe; car il me semble que ce que nous voyons par experience en ces nations là, surpasse non seulement toutes les peintures dequoy la poësie a embelly l’age doré et toutes ses inventions à feindre une heureuse condition d’hommes, mais encore la conception et le desir mesme de la philosophie. Ils n’ont 27 A. Vespucci: Mundus, S. 12.

30 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN peu imaginer une nayfveté si pure et simple, comme nous la voyons par experience; ny n’ont peu croire que nostre societé se peut maintenir avec si peu d’artifice et de soudeure humaine. C’est une nation, diroy je à Platon, en laquelle il n’y a aucune espece de trafique; nulle cognoissance de lettres; nulle science de nombres; nul nom de magistrat, ny de superiorité politique; nul usage de service, de richesse ou de pauvreté; nuls contrats; nulles successions; nuls partages; nulles occupations qu’oysives; nul respect de parenté que commun; nuls vestemens; nulle agriculture; nul metal; nul usage de vin ou de bled. Les paroles mesmes qui signifient la mensonge, la trahison, la dissimulation, l’avarice, l’envie, la detraction, le pardon, inouïes.«28

Die amerikanische Gesellschaft verfügt nicht über die zivilisatorischen Institutionen und Gewohnheiten der europäischen Welt. Diese Gesellschaft übertrifft die Vorstellungskraft der europäischen Gelehrten und ist deshalb staunenswürdig, so wie es auch Johannes Dryander in der Vorrede zu Hans Stadens »Wahrhaftige Historia« konstatiert: »Vnd sei hiemit genung angezeygt / das es nicht flucks alwege lügen sein müssen / so etwas wirdt angezeygt / dem gemeynen Man frembd / vnd vnbreüchlich dünckt sein / wie in dieser Historia / da die leuthe alle in der Jnsell nacket gehen / keyn heuslich vihe zur narung / keynerley dinge so bei vns im Brauch / den Leib zuerhalten / haben / als kleyder / Bette / Pferde / Schwein oder Kühe / noch Wein oder Bier etc. sich vff jhre weise enthalten / vnd behelffen müssen.«29

Nichts, was die Europäer kennen, sei auf dem neuen Kontinent vorhanden, das Neue wird aber noch mit dem »frembd« attribuiert. Wesentlich deutlicher äußert Montaigne sich in »Des coches«, hier wird die Neue Welt tatsächlich als neu, in einem infantilen Stadium, geschildert: »Nostre monde vient d’en trouver un autre (et qui nous respond si c’est le dernier de ses freres, puis que les Dæmons, les Sybilles et nous, avons ignoré cettuy-cy jusqu’asture?) non moins grand, plain et membru que luy, toutesfois si nouveau et si enfant quʼon luy aprend encore son a, b, c; il n’y a pas cinquante ans qu’il ne sçavoit ny lettres, ny pois, ny mesure, ny vestements, ny bleds, ny vignes. Il estoit encore tout nud au giron, et ne vivoit que des moyens de sa mere nourrice. Si nous concluons bien de nostre fin, et ce poëte de la jeunesse

28 M.E. de Montaigne: Œuvres, S. 204 (I, 31). 29 H. Staden: Historia, B2r/v. Die Diakritika und Abbreviaturen in den frühneuhochdeutschen Texten wurden in der Regel stillschweigend, bis auf »ů«, aufgelöst.

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de son siecle, cet autre monde ne faira qu’entrer en lumiere quand le nostre en sortira. L’univers tombera en paralisie; l’un membre sera perclus, l’autre en vigueur.«30

Diese Welt ist aufgrund ihres Zustands und der Entwicklung ihrer Bewohner, laut Montaigne, als jung und neu anzusehen. Die antiken Prophezeiungen konnten diese Welt noch gar nicht voraussehen. Allerdings verbindet Montaigne hier die Begriffe ›neu‹ und ›anders‹, was zu einer terminologischen Unschärfe führt. Die Neue Welt ist in den Texten des 16. Jahrhunderts ein imaginäres Konstrukt, die Paradiesallusionen eines Vespucci, der exzessive Kannibalismus in den Brasilienberichten und die Vorstellung von dem Goldland Eldorado, um nur einige prominente Beispiele zu nennen, zeugen davon. Die alte Welt hat die Neue erfunden, so, wie es in der Forschung seit Edmundo O’Gorman diskutiert wird.31 Dies hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Literatur der Zeit. Teofilo Folengo setzt an den Beginn seines makkaronischen Heldenepos »Baldus« die Aussage, dass die poetische Phantasie Gegenden entdeckt, hier den Musenberg, zu welchen die spanischen Karavellen gar nicht gelangen können: »Hae sunt divae illae grassae nymphaeque colantes, albergus quarum, regio propriusque terenus clauditur in quodam mundi cantone remosso, quem Spagnolorum nondum garavella catavit.«32

Um 1517 liegt also schon ein literarischer Reflex auf die neue Entdeckung vor. Die literarische Fiktion misst sich hier mit der realen Geschichte und geht dazu noch als Sieger hervor.33 Was mit Hilfe der Phantasie imaginiert werden kann, steht somit über den Wundern der Neuen Welt, so müsste man hier ergänzen. Die Berichte über die Neue Welt orientieren sich, wie auch die Gattung Reisebericht seit dem Mittelalter, stark an literarischen Mustern. Durch die vermeintliche Schilderung einer verkehrten Welt rückte in der Forschung mehrfach der Karnevalismus, den man in diesen Berichten sehen will, ins Zentrum des Interesses. Léry, der selbst in seinem Reisebericht Reminiszenzen an Rabelais bringt,34

30 M.E. de Montaigne: Œuvres, S. 886-887 (III, 6). 31 Vgl. E. O’Gorman: Invention. 32 T. Folengo: Baldo I, S. 2 (I, 17-20). 33 In diesem Fall bezeichnet Fiktion die Kulturtechnik des literarischen Fingierens, so wie sie im 16. Jahrhundert von vielen Rezipienten aufgefasst werden konnte, und zwar als Konkurrenz zu historiographischem Schreiben. 34 Vgl. K. Mahlke: Offenbarung, S. 145-146 u. 286, Anm. 373 u. 374.

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ist so wiederholt auf das karnevalistische Sujet hin untersucht worden.35 Kirsten Mahlke verweist auf die Bachtin’sche Karnevalstheorie und konstatiert, dass der Karneval »das Volk durch die Tradition [eint] und [gleichzeitig] erlaubt, das Alte zu durchbrechen.«36 Dem entgegen steht bei Mahlke und Verberckmoes die Behauptung, die Neue Welt ist lediglich eine verkehrte Welt, im Sinne des mundus perversus. Weiter denkt diese Vorstellung Mario Klarer: »While the European Carnival represents a temporary, though cyclical, enclave of utopian conditions in the course of the year, its basic elements are permanently transferred to the new continent. Grotesque motifs, which are part of the ritual renewal of the old world in the carnival, are realistically projected onto America.«37

Natürlich verlocken sowohl die Metaphorik des (kannibalischen) Verschlingens, die Bachtin auch für den Karneval stark gemacht hat, als auch die europäische Repräsentation von Tupinambá als Karnevalsnarren zu einer solchen Interpretation.38 Die Neue Welt aber als eine Welt, die sich ›permanent im Karneval‹ befindet, zu konstatieren, ist verfehlt. Der Karneval ist die Verkehrung der allgemeingültigen Ordnung, eine bloße Verkehrung kann aber nicht als ›neu‹ betrachtet werden. Die verkehrte Welt ist im 16. Jahrhundert die mögliche Welt, die zu moralischen Zwecken imaginiert werden kann,39 nicht jedoch eine neue Welt im qualitativen und temporalen Sinne. Das neu entdeckte Amerika bietet vielmehr eine Projektionsfläche für die verschiedenen Vorstellungen, die aufgrund der schwer überbrückbaren räumlichen Distanz, der gefährliche Weg von Europa zur Neuen Welt, eigentlich nicht kritisch hinterfragt werden können. Jede nur denkbare Vorstellung lässt sich auf diese Welt, die noch nicht vollständig vermessen ist, applizieren. Die Versuche, europäische Strukturen auf das neue Wissensvakuum zu übertragen, bieten so auch literarisches und philosophisches Potential, wie dargestellt worden ist.

35 Vgl. M. Klarer: Cannibalism, J. Verberckmoes: Laughter und K. Mahlke: Offenbarung. 36 K. Mahlke: Offenbarung, S. 146, ähnlich bei J. Verberckmoes: Laughter, S. 267, der ebenfalls auf Bachtin rekurriert und den Karneval als Ventil für alte und neue Konflikte auffasst. 37 M. Klarer: Cannibalism, S. 403. 38 Vgl. zum Indio als Narr A. Pagden: Encounters, S. 44. 39 Hier ist an Anton Francesco Donis »Mondi« (S. 53-72) zu denken. Der »mondo imaginato« ist lediglich die Verkehrung der Zustände, bei denen z.B. der Verstand eines Bauern in einen Edelmann versetzt wird.

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2.3 D IE I DEE DES F ORTSCHRITTS UND DIE AUTONOMIE DES D ICHTERS In der Wissenschaftsgeschichte gilt häufig Francis Bacon als erster Vertreter der Idee des Fortschritts, obwohl eine frühere Datierung dieses Gedankens auf die Zeit des Frühhumanismus sinnvoller erscheint. Die wichtigste Erfindung, in welcher der Gedanke von Progressivität in allen seinen Facetten greifbar wird, ist der Buchdruck im 15. Jahrhundert. Die Bedeutsamkeit dieses Ereignisses in panegyrischer Dichtung und Chronistik ist hinlänglich herausgestellt worden,40 dennoch empfiehlt sich ein Blick auf eine wenig beachtete Schilderung zu dieser neuen Erfindung. Jakob Wimpfeling bezeichnet in seinen »Epitome rerum Germanicarum« (1505) den Medienwandel als Erfindung der neuen Art des Schreibens (»nouo scribendi genere«), die Gutenberg in Straßburg erfand (»inuenit«) und in Mainz erfolgreich vervollständigte (»feliciter compleuit«).41 Die Erfindung ist nicht nur so neu, dass sie die alte Verfahrensweise, die Reproduktion von Texten durch die Handschrift, ersetzen kann, sie kann auch von ihrem Erfinder weiterentwickelt werden. Der Buchdruck ist absolut neu und man hat von dieser Technik vorher weder etwas gehört noch gesehen, ein typischer Topos des Neuen auch in der Reiseliteratur.42 In der Theorie wird die alte Technik überflüssig: »O Germania […] Libros scribere quae doces premendo.«43 Und die neue Erfindung kann, im Sinne des technischen Fortschritts, verbessert werden. Ein weiterer Aspekt ist die Wiederentdeckung antiken Wissens im Prozess des Fortschritts. François Rabelais hat mit seiner Erfindung des »Glottocomons« nach Galen zur Schienung von Brüchen ein solches Beispiel vorgelegt. Am Ende der französischen Übersetzung des sechsten Buches der »Therapeutik« (1537) findet sich die Illustration zu Rabelais’ Erfindung, die in das Übersetzungskonzept des

40 Man denke an die umfangreiche Arbeit von M. Giesecke (Buchdruck), der auch die zentralen deutschen Texte zu dieser Thematik versammelt. 41 J. Wimpfeling: Epitome, Bl. 69r. 42 Vgl. ebd., Bl. 69v, Wimpfeling berichtet über die Einführung des Buchdrucks in Rom, »rem inauditam, nec unquam Romanis uisam«. 43 Ein Gedicht des Beroaldus zit. nach J. Wimpfeling: Epitome, Bl. 70r. J. Wimpfeling (Epitome, Bl. 69v) führt auch das scherzhafte Epigramm über den Drucker Ulrich Hahn (= Gallus) von Johannes Antonius Campanus an, der auf die Überlieferung des Livius verweist, die Römer seien vor den Galliern durch das Geschrei der (kapitolinischen) Gänse gewarnt worden, nun rächt sich ein Gallus, indem er beweist, dass die Federn überflüssig sind.

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Philiatros, hinter dem sich vermutlich Rabelais selbst verbirgt,44 einfügt: »Au fruict commun plus que privé prouffit«45. Ein gängiger Topos der Idee des Fortschritts wird hier aufgerufen, das Bekanntmachen des neu gewonnenen Wissens steht über der Geheimhaltung.46 An diesen Beispielen zeigt sich erneut, dass Erfinden und (Wieder-)Entdecken im 16. Jahrhundert gleichbedeutend sind, schon vorhandenes (göttliches) Wissen oder geographische Gegebenheiten werden somit einem bestimmten Publikum entdeckt (d.h. aufgedeckt).47 Mitunter ist deshalb das Verbalisieren und Vermessen einer Entdeckung, welche alle Aspekte aufzeigt, die selbst der Entdecker noch nicht wahrgenommen hat, gleichzusetzen mit einer Entdeckung.48 Eng verbunden mit der Idee des Fortschritts ist folglich die Figur des Erfinders oder Entdeckers. Am deutlichsten wird dies in der literarischen Schilderung und Selbstdarstellung des Künstler-Erfinders. Dieses Konzept geht davon aus, dass Künstler des 16. Jahrhunderts – möglich wäre auch, es früher anzusetzen – sich wie Erfinder stilisieren und in ihren theoretischen Arbeiten auch die Funktion des Erfinders einnehmen. Von besonderem Interesse ist der Künstler-Erfinder, da er dem Dichter näher als der reine Erfinder technischer Geräte steht. Zudem lässt sich ein detaillierterer Katalog des Künstler-Erfinders ausarbeiten, als dies für einen technischen Erfinder in diesem Zeitraum möglich ist:49 44 Vgl. A. Heulhard Nivernoys: Rabelais, S. 19-20. 45 Zit. n. A. Heulhard Nivernoys: Rabelais, S. 20. 46 Zusätzlich artikuliert sich hier auch die Idee des Fortschritts, in dem die obsoleten Illustrationen des Mittelalters zu Galen verworfen werden (vgl. A. Heulhard Nivernoys: Rabelais, S. 42). Die neue Erfindung Rabelais’ bricht mit der Tradition der Illustration und stellt somit eine Weiterentwicklung antiken Wissens dar. 47 Sehr gut illustriert dies die Legende von der Erfindung der Würfelverdoppelung in Albrecht Dürers »Underweysung der Messung« (1525). Apollo versprach den Athenern, die Pestepidemie zu beenden, wenn sie seinen Altar verdoppeln würden. Sie stellten einen zweiten Altar her und setzten diesen auf den ersten, was den Gott aber nicht besänftigte. Erst Meister Platon gelang des Rätsels Lösung mit Hilfe der Geometrie, er vermittelt den Athenern die neue Technik. Dürer stellt dazu fest: »die weyl nun solichs ein sehr nutze kunst ist und allen werckleuten dient, auch von den gelerten in grösser geheim und verporgenheyt gehalten wird, wil jch die an den tag legen und leren machen« (L. Olschki: Literatur, S. 459). Die Erfindung muss, so Dürer, zum allgemeinen Nutzen bekannt gemacht werden. 48 Hier kann man wieder an den Fall des Amerigo Vespucci denken, der als Vermesser des neu entdeckten Kontinents zum Namensgeber wird. 49 Der folgende Katalog stellt eine Erweiterung meiner Überlegungen dar, vgl. R.F. Schulz: Myths, S. 456.

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Der Erfinder muss sich an der Antike und der Natur schulen, um diese schließlich zu überwinden (superatio).50 Er ist ein Meister im Praktischen wie auch im Technischen, visualisiert wird dies in der Kunst zum Beispiel durch die Bedeutsamkeit der Hände.51 Somit wird der Künstler-Erfinder zu einem Meister in allen Künsten, sowohl den artes liberales als auch den artes mechanicae. Die Besonderheit der (technischen) Erfindung liegt in einem Vereinfachungsprozess. Oft wirkt die Erfindung ex post banal, da sie schließlich einfach erscheint, wenn man das Verfahren oder die neue Technik kennt. Auf diesen Prozess weist Vasari mehrmals in den Vite hin.52 Der Erfinder stilisiert sich selbst in seinem Werk und wird durch andere stilisiert, dies kann z.B. durch Vergleiche mit historischen oder legendarischen Personen wie dem Maler Apelles erfolgen. Er zeichnet sich durch seine Kreativität aus, die im 16. Jahrhundert wohl noch mit dem Begriff des ingenium gleichzusetzen ist. So wie der Reisende, welcher die Kultur und Sprache einer fremden Zivilisation kennen lernt und diese vermittelt, ist auch der Erfinder ein Grenzgänger, welcher seine neuen Erkenntnisse (theoretischer und praktischer

50 Das älteste Beispiel hierfür stellt wohl der Wettstreit von Zeuxis und Parrhasios dar, der nicht nur die Überwindung der Natur, sondern auch des Menschen behandelt (vgl. E. Kris/O. Kurz: Legende, S. 69-70, 153), Lorenzo Valla bezieht seinen Dreischritt imitatio-aemulatio-superatio zwar nur auf den Menschen (vgl. z.B. M. Philipp: Ehrenpforten, S. 36), die Überwindung der Natur als höchstes Ziel muss aber dabei mitgedacht werden. 51 Hier ist an Albrecht Dürers bekanntes Selbstbildnis im Pelzrock (1500, München, Alte Pinakothek) zu denken, die Darstellung der Hand ist hier polyvalent, sie verweist aber immer wieder auf den Künstler als Schöpfer. Der Griff in den Pelz weist dazu auf das haptische Moment, der Pelz ist so echt geschaffen, dass man in ihn hineingreifen möchte. 52 Z.B. fand Luca della Robbia, nachdem er die Bronzetüren der Sakristei des Florentiner Domes fertig stellte, eine einfachere Methode, plastisch zu arbeiten: »Ma perche, fatto egli conto, dopo queste opere di quanto gli fusse venuto nelle mani, e del tempo, che in farle haueua speso, conobbe, che pochissimo haueua auanzato, e che la fatica era stata grandissima; si risoluette di lasciare il marmo, & il bronzo, e vedere se maggior frutto potesse altronde cauare. perche considerando, che la terra si lauoraua ageuolmente, & con poca fatica; e, che mancaua solo trouare vn modo« (G. Vasari: Vite 2, S. 264).

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Natur) anderen vermittelt. Grundlegend ist die Vermittlung neuer Entdeckungen und Erfindungen an ein breites – im 16. Jahrhundert hauptsächlich gelehrtes – Publikum.53 Der Künstler-Erfinder kann Neues artikulieren in einem neuen Medium oder Zeichensystem. Der Erfinder ist somit auch ein ›Schöpfer‹.

Die letzten drei Thesen sind die wichtigsten, da sie ein Bindeglied darstellen können zwischen dem Konzept des Künstler-Erfinders und dem Dichter. Immerhin verdanken wir die Künstlerbiographien Schriftstellern, die in ihren panegyrischen Passagen rhetorisches Wissen einsetzen und sich so von vornherein auch an Mustern des Dichterlobs orientieren. Dies beginnt schon in der frühneuzeitlichen Facetien- und Schwankliteratur, die zum Beispiel einen Dante ebenso gewitzt darstellt wie einen Buffalmacco.54 Die neuen historischen Gegebenheiten, zu denen die Entdeckung der Neuen Welt ebenso wie der technische Fortschritt gehören, führen zu einem neuen Weltbild und erlauben dem Schriftsteller im 16. Jahrhundert, genauso wie dem Künstler und Erfinder, sich neu zu positionieren. Der Ablösungsprozess der Auffassung vom Dichter als Nachahmer hin zur Dichterautonomie bleibt jedoch nicht auf das hier behandelte Jahrhundert beschränkt. Die Idee, dass ein Schriftsteller – formal wie inhaltlich – Neues hervorbringen kann und dies auch artikulieren darf, findet sich seit der Antike in der Literatur. Doch für jede Epoche ist eine Neupositionierung dieses Bewusstseins zu postulieren. Die Diskurse des 16. Jahrhunderts schließen sich nicht lückenlos an die mittelalterlichen Konzeptionen an, sie basieren vielmehr auf jenen des späten 15. Jahrhunderts. Die Auffassung vom Dichter als Schöpfer, die im Mittelalter vor dem Hintergrund der scholastischen Lehre eine problematische Konzeption war, wird im 15. und 16. Jahrhundert vor der Folie des Neoplatonismus diskutiert. Eugène N. Tigerstedt und Godo Lieberg haben zu der Erhellung dieses Faktums maßgeblich beigetragen. Tigerstedt geht von der Konzeption des Autors als »alter (oder semi)deus« bei Christophoro Landino und Julius Caesar Scaliger aus. Landino unterstellt dem Dichter, dass dieser »ex nihilo pene«55, also fast aus dem Nichts, sein Werk schafft. Das linguistische Argument, dass das griechische poieo sowohl ›et-

53 Der Gedanke des Gemeinwohls durch die Erfindungen ist in der Renaissance virulent, es ließen sich unzählige Beispiele anführen. 54 Zu denken ist hier an die Novellen und Facetien Franco Sacchettis und Poggio Bracciolinis, welche sowohl Dante als auch den Maler Buffalmacco, neben vielen anderen, als ingeniöse Figuren darstellen. 55 Zit. n. E.N. Tigerstedt: Poet, S. 478, Anm. 23.

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was aus etwas machen‹ als auch ›etwas aus dem Nichts schaffen‹ bedeutet, bestätigte den italienischen Gelehrten in seiner Theorie, dass der Dichter zwischen Gott und Mensch stehen müsste und man so von einem »concept of the poet as a semidivine creator« sprechen könnte.56 Der furor poeticus spielt, laut Tigerstedt, keine besondere Rolle in diesem Konzept, weil es sich lediglich um einen passiven Akt handelt, demzufolge der Dichter nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Ausschlaggebend für Landino scheinen mehrere antike und frühneuzeitliche Konzeptionen von Kreation und Dichtung zu sein, die aber, wie Tigerstedt darlegt, auf den christlichen Gott als Schöpfer abzielen. Lediglich Petrarca und Leon Battista Alberti haben die Vorstellung vom Dichter als Schöpfer einer neuen Form beziehungsweise als Künstler, der gleich Gott ist.57 Theologisch untermauert, aber mit einer ähnlichen Tendenz, findet sich die These vom Dichter, der an der göttlichen Schöpfung partizipiert, bei Günther Bader. Bader sieht in der Schöpfung ein sprachliches Handeln, weshalb es dem Dichter auch möglich ist, als ein ›anderer‹ Schöpfer aufzutreten.58 Lieberg zeichnet dagegen das Motiv vom Autor als Schöpfer aufgrund der antiken nichtchristlichen Quellen nach. Cicero und Ovid rekurrieren in Bezug auf das Schöpfertum auf die spirituelle Realität, die neben der physischen existiert, so lebt die Eiche in Ciceros Epos »Marius« ewig, während der reale Baum in Ciceros Geburtsstadt Arpinum vergänglich ist.59 Lieberg konstatiert: »This spiritual reality is of a higher level than the physical reality of nature, and it is strictly separated from historical reality.«60 Ovid äußert sogar direkt, dass das fruchtbare dichterische ingenium die Grundlage ist, eine Welt, welche die Grenzen der historischen Realität überschreiten kann, hervorzubringen.61 Neben der Legitimation des Dichters in Verbindung mit der Theologie oder im Rückgriff auf die Antike, gibt es noch einen weiteren Ansatz, wie ihn Boccaccio vertritt. Rainer Stillers hat aufgezeigt, wie Boccaccio eine anthropologische Poetik postuliert, die keine »zweite Theologie« darstellt:

56 Vgl. ebd., S. 458-459, Zitat S. 459. 57 Vgl. ebd., S. 468 u. 475. 58 Vgl. G. Bader: Alles neu, S. 170. Wesentlich detaillierter geht auf diesen Themenkomplex C.J. Steppich (Numine afflatur) ein, der das dichterische Ingenium aber wieder vor dem Hintergrund des Neoplatonismus sieht. 59 Vgl. G. Lieberg: Poeta, S. 23. 60 Ebd., S. 25. 61 Vgl. ebd., S. 27.

38 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »Mythen sind von Dichtern erfundene Geschichten, sie sind dichterische Fiktionen, die keine christlich-religiösen Inhalte ausdrücken. Sie dienen vielmehr dazu, naturphilosophische, moralische oder historische Erkenntnisse zu vermitteln: ›gli alti effetti della natura, le moralità e i gloriosi fatti degli uomini‹, wie es in einer der Versionen des Trattatello heißt.«62

Der Beruf des Dichters verweist auf die Diversität der Menschen, so geht jeder seiner Profession nach, weshalb das Dichten und die Präsentation von Wahrheiten in bildlicher Rede keineswegs überflüssig seien, selbst wenn es Berührungspunkte mit der Geschichtswissenschaft oder Philosophie gibt. Außerdem gibt es mehrere Menschen, wie Boccaccio bemerkt, die von der »novità delle favole«63 angezogen werden und so zu einer Erkenntnis gelangen, die sie ohne historisches und philosophisches Wissen sonst nicht erlangen könnten. Die für diesen Zusammenhang interessanten Aussagen Boccaccios sind die Feststellungen, dass die Dichter eine neue Sprache geschaffen hätten und dass sich ihre Aufgabe, wenn sie nicht mehr fingieren dürfen, im Nichts auflösen würde: »si auferatur eis vagandi per omne fictionis genus licentia, eorum officium omnino resolvetur in nihilum.«64 Mit Boccaccios anthropologischer Poetik ist der erste Schritt hin zur neuen Auffassung des Autors als unabhängigen Künstler getan. Die neue Unabhängigkeit äußert sich zuerst in der Kunst, dort bezogen auf die ästhetische Urteilskraft des Menschen, die nun auf seiner eigenen empirischen Erkenntnis beruht. Zeitgenössisch formuliert wird diese These von Ludovico Dolce, der Aretino, den Protagonisten seines gleichnamigen Kunsttraktats (1557), feststellen lässt: »E dico, che nell’huomo nasce generalmente il giudicio dalla pratica e dalla esperienza delle cose. E non essendo alcuna cosa più famigliare e domestica all’huomo di quello, ch’è l’huomo; ne seguita, che ciascun’ huomo sia atto a far giudicio di quello, che egli vede ogni giorno; cioè della bellezza e della bruttezza di qualunque huomo.«65

Erfahrung ermöglicht es dem Kritiker wie auch dem Künstler, ästhetische Urteile zu treffen, womit die Vorstellung eines platonischen Ideenhimmels überflüssig wird. Was in der humanistischen Fortschrittstheorie indirekt vermittelt wird, wird für die Künste um die Mitte des Jahrhunderts direkt artikuliert. 62 R. Stillers: Füllhorn, S. 140 u. S. 144. Hervorhebung im Original. 63 Zit. n. ebd., S. 148. 64 Zit. n. ebd., S. 135f. Zur Sprachreflexion in der Literatur vgl. Kapitel 6.4 »Sprache und Kreativität« in dieser Arbeit. 65 L. Dolce: Dialogo Della Pittura, S. 118.

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2.4 E IN NEUES G ESCHICHTSMODELL Die streng christliche Perspektive im Mittelalter kennt im Prinzip nur ein Geschichtsmodell, das aus drei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann, die Walter Haug konzis zusammenfasst: »Das Semper Novum der Inkarnation setzt die Bedingungen für das christliche Geschichtsverständnis. Es gibt drei unterschiedliche Interpretationsperspektiven, die sich jedoch verschränken können: 1. die Typologie, 2. die Exemplarik und 3. die Renovatio.«66 Die Typologie konzentriert die Geschichte des »Alten« und des »Neuen Testaments« auf das eine Ereignis des Semper Novum, die Exemplarik orientiert sich nicht mehr an der linearen Geschichtsvorstellung, sondern führt zu »der einen punktuellen Entscheidung« für Gut oder Böse. Als weiteres Modell dient schließlich die Renovatio, welche die Rückbesinnung auf das Alte, das erneuert wird, ins Zentrum geschichtlichen Denkens stellt.67 Haug geht bei diesen Perspektiven von »Einbruchstellen« aus,68 die Raum für innovatives Potential lassen. Wirklich Neues kann aber auch hier nur Eingang finden, wenn religiöse Konzepte aus der Geschichtsvorstellung zurückgedrängt und geschichtsphilosophische Konzepte aufgestellt werden. Allerdings, wenn man sich mit der Geschichtstheorie der Renaissance auseinandersetzt, genauer gesagt mit der Ideengeschichte dieser Epoche, sieht man sich schnell mit einer Materialfülle konfrontiert; eine einfache Klassifikation wie bei Haug ist nicht mehr möglich. Geschichte zu schreiben, ist die Form des Sammelns von Taten und Fakten, auch in der Geschichtsschreibung begegnet die Vorstellung der cornucopia, die Terence Cave für die Dichtung fruchtbar gemacht hat.69 Die Vergangenheit und noch mehr die Gegenwart sind ein Füllhorn, aus denen sich vielfältige Vorstellungen generieren. Man tut gut daran, wie Herbert Weisinger, die Idee der Geschichte auf sechs Vorstellungen zu begrenzen, um einen ersten Überblick dieser Denkmodelle zu erhalten: »The six ideas are the idea of progress, the theory of plentitude of nature, the climate theory, the cyclical theory of history, the doctrine of uniformitarianism, and the idea of decline.«70 Wie an der Aufzählung zu sehen, lassen sich Gegensatzpaare aufmachen. Der Fortschritt steht der zyklischen Zeitauffassung und der Vorstellung der Degeneration des Menschengeschlechts gegenüber, wie auch die Fülle der Natur einer Vorstellung von Uniformität. Der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schenkt

66 W. Haug: Innovation, S. 3. 67 Vgl. ebd., S. 3-5, Zitat S. 5. 68 Ebd., S. 5. 69 Vgl. T. Cave: Cornucopian Text. 70 H. Weisinger: Ideas, S. 416.

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Weisinger keine Beachtung, er macht die Idee des Fortschritts erst in der zweiten Jahrhunderthälfte fest, woran man berechtigte Zweifel haben sollte, wie sich auch bei Rabelais zeigt.71 Dafür sind Weisingers Ausführungen zur Vorstellung der Zukunft bedeutsam: »It was held that the modern world was different from previous worlds because it knew more, did more, and hoped to accomplish more. The future seemed to promise ever increasing inventions and discoveries of such magnitude as made the present achievements seem small by comparison, not that the present was bad, but that the future would be better. There therefore was no turning back to the past for only the future mattered.«72

Den Ursprung dieser Vorstellung sieht Weisinger in dem Bewusstsein der Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit, ein Aspekt, der bei einer ganzen Reihe von Autoren der Zeit eine Rolle spielt und der sich hier auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte als Analogie zum literarischen Streit zwischen antichi und moderni gibt. Schließlich konstatiert Weisinger, dass es nicht die Ideen seien, welche in der Renaissance neu seien, sondern »the ways in which they were recombined into new intellectual constructions.«73 Ein Denkmodell, kombiniert aus alten Vorstellungen, kann aber nicht ohne Weiteres neu sein. Es sind vielmehr die verschiedenen Diskurse um dieses Neue, die zwischen den antiken Autoritäten und einer unbedingten Fortschrittsgläubigkeit oszillieren. Besonders wichtig ist es dabei, auch Fehlschlüsse oder widersprüchliche Argumentationen zu berücksichtigen, die für die Makrohistorie, welche auf eine gerade Entwicklungslinie hin zur Gegenwart führt, nur peripher sind.74

71 A.C. Keller (Idea, S. 237) hat immerhin darauf hingewiesen, dass Rabelais ab dem »Tiers Livre« ein Bewusstsein für den Progressivitätsgedanken hat sowie eine positive Einstellung gegenüber dem menschlichen Fortschritt. Wie sich in dieser Arbeit zeigen wird, kann man das von Keller eruierte Fortschrittsbewusstsein aber schon für die ersten beiden Bände der Pentalogie annehmen. 72 H. Weisinger: Ideas, S. 424. 73 Ebd., S. 435. 74 An unerwarteter Stelle finden sich Reflexionen zu dieser modernen Analyse historischer Bedingtheiten, Wulf Oesterreicher kommt zu einer ähnlichen Erkenntnis, wenn er die Kolonialgrammatik der Spanier im 16. Jahrhundert untersucht und dabei den Aspekt der Pluralisierung berücksichtigt: »Pluralisierung [ist] dabei insofern von vornherein als Negation von Teleologie zu verstehen, als dieser Begriff versucht, historisch Bestehendes und die in ihm greifbaren, teilweise sogar ungerichteten Prozesse und deren Ergebnisse maximal differenziert zu fokussieren. Definitionsgemäß geht es dabei

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Offensichtlich gibt es in der Frühen Neuzeit neben dem antik tradierten zyklischen Zeitmodell und dem christlichen teleologischen Geschichtsmodell noch weitere, teils säkulare Alternativen. Hans Blumenberg diskutiert diese Alternativen vor dem Hintergrund der Idee des Fortschritts. Bei Blumenberg ist es die Hoffnung und die Ablehnung der christlichen Eschatologie, welche den Fortschritt erst möglich macht: »Ich meine, es seien neuartige Erfahrungen von so großer zeitlicher Weiträumigkeit gewesen, daß der Sprung in die letzte Generalisierung zur ›Idee des Fortschritts‹ sich nahelegte. Eine solche Erfahrung ist die Einheit methodisch regulierter Theorie als vom Individuum und Generation unabhängig werdendem Zusammenhang. Daß sich an diese Großräumigkeit des Fortschritts Hoffnungen auf größere Sicherheit des Menschen in der Welt anlagern und daß diese Hoffnungen für die Realisierung der Idee Antriebe werden können, läßt sich belegen.«75

Blumenberg sieht zudem eine Extension des Fortschrittsgedankens in den »unendlichen Fortschritt«76, da sich ein abgeschlossener Prozess, der endgültige Erfolg also, der erhofft wurde, in einem Menschenleben nicht abzeichnete. Es liegt deshalb am Menschen, den Fortschritt zu begünstigen und dies geht eben nur in einem Denksystem, welches – und darauf weist auch Blumenberg hin – den Aristotelismus und den Platonismus als überholt betrachtet. Als Grundlage dieses neuen Bewusstseins kann sowohl ein lineares als auch ein zyklisches Geschichtsmodell, wie bei Gabriel Naudé im 17. Jahrhundert,77 dienen. Ergänzen müsste man hier, dass natürlich die antiken Methoden damit nicht überholt sind, sondern koexistieren.

weder allein um die quantitative Vermehrung von Wissen, Wissensbeständen, Handlungsmustern und institutionellen Tatsachen, noch um die main road to present, sondern vorrangig um das in epochal gegebener historischer Konkretion, auch kleinräumig, in Variation und Innovation, in Grenzüberschreitungen, in Verwerfungen und Widersprüchen zeitgleich mit Altem koexistierende Neue – und zwar unabhängig von einer späteren Durchsetzung. Wenn man das ›Neue‹ dagegen kurzerhand mit dem sich durchsetzenden ›Wandel‹ identifiziert, werden die historischen Situationen inhärenten konkreten Möglichkeiten, die in durchaus unterschiedlichen, konkurrierenden Innovationsgestalten liegen, verkannt – historische Erkenntnis wird damit unmöglich gemacht.« (W. Oesterreicher: Entstehung, S. 33-34. Hervorhebungen im Original). 75 H. Blumenberg: Legitimität, S. 39-40. 76 Ebd., S. 44. 77 Vgl. W. Schulze: Wahrnehmungsmodi, S. 21.

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Zu der auch schon für den Dichter bedeutsamen Idee des Fortschritts kommt, als ihre Legitimation, die Anlehnung an die Natur mit einer vegetativen Symbolik. Gerhart B. Ladner hat aufgezeigt, wie wichtig gerade sie für die Selbstauffassung der Renaissance ist: »the idea of vegetal regrowth, conceived as both spontaneous and disciplined, was of considerable importance.«78 Das Hervorbringen von Neuem wird so vergleichbar mit dem organischen Akt des Wachsens von Pflanzen oder Bäumen.

2.5 D IE ABLEHNUNG

DES

ALLEGORISMUS

Die Idee des Fortschritts, die es dem Künstler erlaubt, zu eigenen ästhetischen Urteilen zu gelangen, lässt auch das konventionell überlieferte Denkmodell der Allegorie obsolet werden. Immerhin hat die Allegorese ohnehin zu einer willkürlichen und exzessiven Auslegung der Literatur, der Entitäten und Artefakte der Welt geführt. Die Kritik an diesem Allegorismus erlebt am Anfang des 16. Jahrhunderts einen Höhepunkt,79 der seinen Niederschlag unverkennbar in Rabelais’ Werk findet. Im späten Mittelalter greift der Allegorismus auf den Alltag und seine Gegenstände über.80 Allegorismus bezeichnet hier den übertriebenen Einsatz

78 G.B. Ladner: Vegetation Symbolism, S. 322. 79 Die Kritik an dem ›Missbrauch‹ ist jedoch wesentlich älter und findet sich schon bei Cicero in »De natura deorum« (I, 39-43). Chrysippus gilt Cicero als großer Interpret der »Stoicorum somniorum« – selbstverständlich im negativen Sinne – und Erfinder unbekannter Gottheiten, welche er ausdeutet. Dieser Allegorismus sei laut Cicero nicht weniger absurd als die poetischen Werke, monströse Zauberlehren oder die ägyptische Mythologie: »nec enim multo absurdiora sunt ea quae poetarum uocibus fusa ipsa suauitate nocuerunt, qui et ira inflammatos et libidine furentes induxerunt deos feceruntque ut eorum bella proelia pugnas uulnera uideremus, odia praeterea discidia discordias, ortus interitus, querellas lamentationes, effusas in omni intemperantia libidines, adulteria uincula, cum humano genere concubitus mortalesque ex immortali procreatos. cum poetarum autem errore coniungere licet portenta magorum Aegyptiorumque in eodem genere dementiam, tum etiam uulgi opiniones, quae in maxima inconstantia ueritatis ignorantione uersantur« (Cicero: natura, S. 33-34). 80 Die Beispiele lassen sich unbegrenzt aufzählen, ich erinnere nur an die neuen wirtschaftlichen Verhältnisse der Renaissance, die ebenfalls einer Legitimation bedurften. So sieht der florentiner Dominikanermönch Remigio de’ Girolamo (14. Jh.) den Florin

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der allegorischen Technik, der besonders auf humanistischer Seite Kritik an dieser Methode hervorruft.81 Im Vorfeld der Reformation mehren sich die Gegenstimmen zu dem allegorischen Verfahren. Erasmus von Rotterdam lässt Stultitia in seinem »Encomium moriae« die Redner und Prediger tadeln: »Auditus est a nobis alius quidam octogenarius, adeo Theologus, ut in hoc Scotum ipsum renatum putes. Is explicaturus mysterium nominis Iesu, mira subtilitate demonstravit in ipsis litteris latere, quidquid de illo dici possit. Etenim quod tribus dumtaxat inflectitur casibus, id manifestum esse simulacrum divini ternionis. Deinde quod prima vox Iesus, desinat in s, secunda Iesum in m, tertia Iesu in u, in hoc άρρητον subesse mysterium: nempe tribus litterulis indicantibus eum esse summum, medium, et ultimum. Restabat mysterium his quoque retrusius, Mathematica ratione. Iesus sic in duas aequales diffidit portiones, ut scilicet pentemimeres in medio resideret. Deinde docuit eam litteram apud Hebraeos esse, ‫שׁ‬, quam illi Syn appellent: porro syn Scotorum, opinor, lingua, peccatum sonat: atque hinc palam declarari, Iesum esse qui peccata tolleret mundi.«82

Der Achtzigjährige legt die Deklinationssuffixe des Namens Jesus allegorisch aus, zerlegt den Namen und enthält als Mitte das »s«. Kurioser Höhepunkt dieser Allegorese ist die Deutung des »s« als hebräischer Buchstabe »schin«, dessen Name im Schottischen die ›Sünde‹ meine. Stultitia verurteilt nicht nur die Buchstabenallegorese, die dazu führt, dass sogar die kleinste Einheit eines jeden Wortes eine allegorische Bedeutung erhält, sie geht auch auf den fünfteiligen Aufbau der Rede ein, der von den zeitgenössischen Theologen missverstanden werde. Über den vierten und fünften Teil der Rede heißt es: »Tum syllogismos maiores, minores, conclusiones, corollaria, suppositiones frigidissimas ac plus quam scholasticas nugas apud imperitum vulgus iactitant. Superest iam quintus actus, in quo summum artificem praestare convenit. Hic mihi stultam aliquam et indoctam fabulam, ex speculo, opinor, historiali, aut gestis Romanorum in medium adferunt, et eamdem interpretantur allegorice, tropologice, et anagogice. Atque ad hunc quidem modum als wertvoll an, da die Münze nicht nur aus Gold besteht, sondern mit dem Bildnis Johannes des Täufers und der Lilie, einem Mariensymbol, geprägt ist und somit einen religiösen Sinn vermitteln würde (vgl. T. Dean: Towns, S. 112-113). 81 Besonders stark wenden sich die Humanisten und der Klerus gegen die Ovid-Allegorese im 16. Jahrhundert. Auf dem Konzil von Trient wird die christliche Auslegung Ovids verboten. Siehe hierzu J. Blänsdorf: Bildprogramm, S. 12-35, weiterführende Literatur zur Ablehnung der Ovid-Allegorese: S. 30, Anm. 31. 82 D. Erasmus von Rotterdam: Laus stultitiae, S. 150-152. Hervorhebungen im Original.

44 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN Chimaeram suam absolvunt, qualem nec Horatius umquam adsequi potuit cum scriberet: ›Humano capiti‹ etc.«83

Absurde Vergleiche werden durch logische Schlüsse, die so zu Sophismen werden, gerechtfertigt. Im fünften Teil der Rede präsentieren die falschen Redner Geschichten aus den »Gesta Romanorum«, die allegorisch und anagogisch ausgelegt werden. In diesen Geschichten zeigt sich schon der weite Spielraum der Interpretation, der das einzelne Wort, das vom Kontext losgelöst ist, uneindeutig werden lässt.84 Dieses Verfahren, welches die abwegigsten Vergleiche durch Allegorien verbindet, ähnelt – so Stultitia – der Chimäre des Horaz, die beim Publikum Gelächter auslöst.85 Philipp Melanchthon definiert in seinen »Elementorum rhetorices libri duo« (1545) den Begriff Allegorie im Sinne Quintilians und wendet sich gegen die vollkommene Allegorisierung der Bibel: »Si crebra fuerit, reddet orationem obscuram et ineptam. Itaq(ue) sunt ineptißimi, qui in sacris literis omnia transformant in Allegorias.«86 Der Erzähler Rabelais’ greift das Thema im Prolog des »Gargantua« auf, indem er sein Werk mit den »Silenen des Alkibiades« vergleicht, er konstatiert somit eine seriöse Intention seines Werkes unter dem Integumentum des Komischen und Monströsen. Jedoch kritisiert er, als unzuverlässiger Erzähler, im Folgenden die Homerallegorese: »Croiez vous en vostre foy qu’oncques Homere escrivent l’Iliade et Odyssée, pensast es allegories lesquelles de luy ont calfreté Plutarche, Heraclides Ponticq, Eustatie, Phornute: et ce que d’iceulx Politian a desrobé? Si le croiez: vous n’approchez ne de pieds ne de mains à mon opinion: qui decrete icelles aussi peu avoir esté songées d’Homere que d’Ovide en ses Metamorphoses, les sacremens de l’evangile: lesquelz un frere Lubin vray croque lardon s’est efforcé démonstrer, si d’adventure il rencontroit gens aussi folz que luy: et (comme dict le proverbe) couvercle digne du chaudron. Si ne le croiez: quelle cause est, pourquoy autant n’en ferez de ces joyeuses et nouvelles chronicques? Combien que les dictans n’y pensasse en plus que vous qui paradventure beviez comme moy. Car à la composition de ce 83 Ebd., S. 154. 84 Gerade die »Gesta Romanorum« sind in Verruf geraten, da in diesen Erzählungen zum Beispiel die Schlange – wie in der Bibel – für den Satan steht, aber auch für den Menschen (»serpens homo [est]«), oder sogar für Christus selbst stehen kann (»Serpens nutritus in camera est Christus«). Gesta Romanorum, S. 425 (Nr. 99) und 496 (Nr. 141). 85 »spectatum admissi risum teneatis, amici?« fragt Horaz in der »Ars poetica«, nachdem er seine Chimäre vorgestellt hat (Horaz: Opera, S. 253, V. 5). 86 P. Melanchthon: Elementorum rhetorices libri, S. 77.

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livre seigneurial, je ne perdiz ne emploiay oncques plus ny aultre temps, que celluy qui estoit estably à prendre ma refection corporelle: sçavoir est, beuvant et mangeant. Aussi est ce la juste heure, d’escrire ces haultes matieres et sciences profundes. Comme bien faire sçavoit Homère paragon de tous Philologes, et Ennie père des poetes latins, ainsi que tesmoigne Horace, quoy qu’un malautru ait dict, que ses carmes sentoyent plus le vin que l’huille. Autant en dict un Tirelupin de mes livres, mais bren pour luy.«87

Die zitierte Passage korrespondiert, wie auch die ganze Vorrede, mit Erasmusʼ »Sileni Alcibiadis« (1517). Erasmus lehnt die Wahrheit der weltlichen Dichter ab und akzentuiert die biblische Wahrheit, obwohl er Parallelen zwischen den alttestamentarischen und homerischen Erzählungen sieht: »nonne putes ex Homeri officina profectam fabulam? Si legas Loth incestum, Dauid adulterium, (et) in senis frigidi gremio cubitantem puellam. Oseae meretricum matrimonium, nonne qui verecundioribus sit auribus, vt obscenam fabulam auersetur? At sub his inuolucris, deum immortalem, q(uod) splendida latet sapientia?«88

Obszöne Erzählungen finden sich sowohl bei antiken Autoren als auch in der Bibel, aber unter den biblischen Geschichten liegt eine ›glänzende Weisheit‹ (»splendida sapientia«). Rabelaisʼ Erzähler, in Abgrenzung zu Erasmus, stellt sich mit seinem Werk auf die Ebene eines Homers. Er fordert das Publikum auf, wenn es nicht an eine theologische Deutung der antiken Werke glaube, auch den »Gargantua« nicht einer solchen Allegorese zu unterziehen. Schließlich erreicht die Ablehnung des übermäßigen und falschen Gebrauchs von Allegorien einen ersten Höhepunkt in der Beschreibung der Kleidung des Riesen Gargantua. Der Erzähler kritisiert die Heraldik, hier wird die »melancholie« durch die Pflanze »ancholie« (›Akelei‹) ›allegorisiert‹. Dass dieses Verfahren kein allegorisches ist, da es auf reiner ›Homonymie‹89 beruht, ist offensichtlich. Als positiv zu bewertende Allegorese wird im »Gargantua« die Auslegung von Hieroglyphen – wie dies im »Horapollon« oder in Francesco Colonnas »Hypnerotomachia Poliphilii« ausgeführt wird – genannt, da die Hieroglyphen die Tugend, die Eigenart und die Natur der Sachen repräsentieren.90 In diesem Fall wird die 87 F. Rabelais: Œuvres, S. 7. Hervorhebungen im Original. 88 D. Erasmus von Rotterdam: Sileni, Bl. biv- biir. 89 Vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 29. 90 »Bien aultrement faisoient en temps jadis les saiges de Egypte, quand ilz escripvoient par lettres, qu’ilz appelloient hieroglyphiques. Lesquelles nul n’entendoit qui n’entendist: et un chascun entendoit qui entendist la vertu, proprieté, et nature des choses par icelles figurées.« Ebd., S. 29.

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Allegorese wieder als Mittel der Erkenntnis verstanden. Besonders ausführlich widmet sich das 10. Kapitel im »Gargantua« der Bedeutung der Farben Weiß und Blau. Für den Erzähler zeigen diese beiden Farben der Kleidung an, dass Grandgousier eine himmlische Freude daran hat, einen solchen Sohn zu haben.91 Warum Weiß die Freude bedeutet und Blau den Himmel meint und nicht, wie in der konventionellen Interpretation, Weiß für den Glauben und Blau für die Beständigkeit steht, belegt Rabelais mit Zitaten aus der antiken Literatur. Zuerst wendet er aus Aristoteles’ »Topica« einen logischen Schluss an: Tugend und Laster sind natürliche Gegensätze wie gut und schlecht, Freude und Trauer, Weiß und Schwarz. Wenn nun die Tugend das Gute ist, so ist das Laster schlecht, wenn Schwarz die Farbe der Trauer ist, dann ist Weiß die Farbe der Freude.92 Der Erzähler bedient sich hier einer Methode des logischen Schließens, die schon Erasmus tadelt. Selbst die scheinbare Begründung des allegorischen Verfahrens bei Rabelais entlarvt sich als fadenscheinig. Nach der langen Ausführung, warum die Farbe Weiß die Freude bedeutet, konstatiert der Erzähler: »icy doncques calleray mes voilles, remettant le reste au livre en ce consommé du tout.«93 Am Ende des Kapitels teilt der Erzähler also mit einer Metapher für den Abschluss eines Exkurses (›ich ziehe hier meine Segel ein‹) mit, dass er diese (Farben-)Allegorese abschließe und sich im Rest des Buches damit noch beschäftigen will. Wäre der Rabelais’sche Erzähler ein zuverlässiger Erzähler, würde dies bedeuten, dass das ganze Buch »Gargantua« nur das Ziel hätte, den falschen Gebrauch der Allegorie darzustellen und zu verurteilen. Würde man aber nun das ganze Werk als Allegorie auffassen, wäre der Inhalt unbedeutend, da ja das allegorische Verfahren als unsinnig entlarvt worden ist. Ein Paradoxon also, das an jenes des Epimenides erinnert. Michel Jeanneret sieht in seinem Aufsatz »Signs Gone Wild: The Dismantling of Allegory« in der scheinbar widersprüchlichen Stellung Rabelais’ zur Allegorie ein Resultat aus der humanistischen Ablehnung des alten (scholastischen) Denkens. Jeanneret konstatiert: »The Supreme Being – the ideal one – of Neoplatonists is conceived as an Absolute, too enigmatic for human language to grasp. […] The best language to speak about what cannot be known is a self-defeating language that points to its own object as always beyond its reach.«94 Daraus resultieren für ihn zwei Konsequenzen, zum einen referieren Zeichen endlos aufeinander, Wörter sind also polyvalent, zum anderen lässt sich das Wort

91 »Et par icelles vouloit son pere qu’on entendist que ce luy estoit une joye celeste.« Ebd., S. 28. 92 Vgl. ebd., S. 30. 93 Ebd., S. 33. 94 M. Jeanneret: Signs, S. 61.

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Gottes nicht mit dem vierfachen Schriftsinn deuten, es kann nur durch die spirituelle und persönliche Erfahrung mit Gott – wie bei Erasmus – erfasst werden.95 In dem Werk Rabelais’ sieht Jeanneret eine Befreiung von den starren Regeln der Allegorie. Indikator für diese Befreiung ist das Wort »estrange«, mit dem die Rabelaisʼschen Pseudo-Allegorien gekennzeichnet sind: »This is what l’estrange is about: images that cannot be incorporated into a preestablished system, wild signs emancipated from morals that bring to the fore phantasms normally repressed.«96 So werden einzelne Protagonisten wie Panurge im »Tiers Livre« zu modernen Menschen, da sie sich nicht mehr auf ein »stabiles hermeneutisches System« beziehen können und ihre eigene Erfahrung bei der Interpretation von Zeichen mit einbringen.97 Auch dies ist ein Indikator für das neue, auf eigene empirische Erkenntnis, gewonnene Wissen. Die eigene Erfahrung, die auf neuen Entdeckungen beruht – und das sind sowohl Entdeckungen im Denken, wie Jeanneret es für Rabelais postuliert, als auch Erfindungen neuer Gegenstände und Entdeckungen neuer Länder, die sich auf das Denken auswirken –, wird literarisch verarbeitet; wenn man mit Walter Benjamin konstatiert, dass »Allegorie […] nicht spielerische Bildertechnik [ist], sondern Ausdruck, so wie Sprache Ausdruck ist, ja so wie Schrift«98 und gut humanistisch voraussetzt, dass Sprache Denken ist, schlägt sich auch im Zeichensystem der Allegorie – und ihrer Kritik – die Reaktion auf das Neue nieder. Diese Reaktion auf das Neue äußert sich in der Suche nach einer angemessenen Sprache – humanistisch gesagt also mit einem angemessenen Denkmodell. Der Autor kann in seinem Werk dann nicht mehr nur eine Denkrichtung vorgeben, wie es die Allegorie noch erlaubte, die den Erzähler als Kommentator bedurfte, sondern viele.

95 Vgl. ebd., S. 61-62. Hervorhebung im Original. 96 Ebd., S. 69. 97 »Panurge is a modern man; he no longer has access to a stable hermeneutical system, he has to put together his own system with signs that are bound to be misunderstood and, worse, signs that generate disturbing representations beyond his control«. Ebd., S. 67-68. 98 W. Benjamin: Ursprung, S. 141.

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2.6 D ER I CH -E RZÄHLER UND DIE K ONSTITUTION FIKTIVER W ELTEN IM 16. J AHRHUNDERT Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Perspektive in der Kunst und der Perspektive in narrativer Fiktion. Gemeint ist hier die Erzählerperspektive, aber auch der Blick der Betrachtenden oder Lesenden auf ein Werk der bildenden Kunst oder Literatur.99 In der bildenden Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts finden sich unzählige Beispiele des Experimentierens mit Perspektiven. Einige Werke stechen hierbei besonders hervor, wie Jan van Eycks »Madonna in der Kirche« (um 1425).100 Die Madonna, im Kirchenschiff stehend, entzieht sich schon durch ihre Größe einer genauen Verortung. Da ihre Füße durch das Gewand bedeckt werden, scheint sie zu schweben. Nicht sicher lässt sich sagen, ob sich die Madonna in der Mitte der Kirche befindet oder ob sie vielleicht vor einer Säule steht. Die NichtVerortbarkeit weist hier eindeutig auf die Heiligkeit der Dargestellten hin. Hans Holbein des Jüngeren »Die Gesandten« (1533) spielt ebenfalls mit der Perspektive.101 In diesem Fall ist es der durch Anamorphose verzerrte Totenschädel, welcher für den Betrachter nur aus einem bestimmten Blickwinkel sichtbar wird. Auf welcher Stelle des Fußbodens genau der Schädel aufliegt, lässt sich ebenfalls nicht eindeutig bestimmen, es kommt auf den Blickwinkel des Betrachters an. Im ersten Beispiel wird der Betrachter insofern gelenkt, als er die Madonna im Kirchenschiff nicht genau verorten kann, das heißt, er soll das Mysterium der Omnipräsenz der Muttergottes erfahren. Im zweiten Beispiel wird der Betrachter dagegen eindeutig gezwungen, eine bestimmte Position einzunehmen, um die Bildaussage, das vanitas-Motiv, zu erkennen. Nur wenn der Betrachter die Position einhält, sieht er den Schädel unverzerrt, der auf der Leinwand so nicht gemalt wurde; folglich oszilliert das Bild zwischen Verzerrung und natürlicher Ordnung.

99

Besonders deutlich wird dies bei E. Esposito (Fiktion), die auf die Herausbildung dichterischer Autonomie und deren Zusammenhang zur Zentralperspektive hinweist: »Die Zentralperspektive ermöglicht es, einen einheitlichen und unabhängigen fiktionalen Raum zu erzeugen – also die Wahrnehmungswelt des Beobachters deutlich vom Koordinatenraum der Repräsentation zu trennen.« (S. 271) Daraus folgt, dass »Optik und Perspektive [auseinandertreten] so, wie der Bezug auf die reale Welt und der Bezug auf die Perspektive des Beobachters auseinandertritt« (S. 272). Die fiktionale Welt verfügt schließlich über eine Eigenperspektive, die getrennt von der des Lesers existieren kann.

100 Berlin, Museen Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie. 101 London, National Gallery.

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Die beiden kurz angesprochenen Beispiele sind beliebig herausgegriffen, führen aber zum Ausgangsproblem zurück, dem Ort in der Fiktion, der nicht greifbar wird. Wie in der Malerei durch perspektivische Mittel latente Figuren, Gegenstände oder Orte geschaffen werden können, hat auch die Literatur die Möglichkeit, ihre Welten und die dazugehörigen Akteure so mit literarischen Mitteln zu gestalten, dass sie sich einer genauen Verortung entziehen. Eben solche Orte begegnen den Leserinnen und Lesern in einigen literarischen Werken des 16. Jahrhunderts und haben ihre Bedeutung in der Nicht-Verortbarkeit ihrer Handlung, weshalb, so die heuristische These, ein bloßes Abtun dieser Literatur als ›Nonsens‹-Texte, die lediglich mit Bedeutung spielen, verfehlt ist. Thomas G. Pavel gibt in der Diskussion um die fiktionalen Welten unfreiwillig ein solches Beispiel: »A last category includes redundant texts, from the jocular prose of Rabelais to contemporary avant-garde writers who play with the signifier. The information density of such texts slides toward zero: the brew bubbles for its own sake, as it were, and textual size and density cast themselves free from referential moorings.«102

Das Werk Rabelaisʼ mit der avantgardistischen Literatur in eine Entwicklungslinie zu stellen, ist äußert problematisch. Natürlich will die Avantgarde des späten 19. und 20. Jahrhunderts, wie auch einige so genannte komische Texte des 16. Jahrhunderts, die Möglichkeiten von Literatur darstellen, die Ausgangspunkte sind jedoch different. Man sollte gerade in der Polyvalenz der hier zu behandelnden Texte des 16. Jahrhunderts das Potential dieser Literatur sehen, neue fiktionale Räume zu schaffen. Der Terminus ›Neue Insel‹ zeigt gut diese Nicht-Lokalisierbarkeit, das ›neu‹ steht zum einen für ›neu entdeckt‹, in der Realität, zum anderen aber auch für ›(neu) erfunden‹, als Gedankenkonstrukt. Die Konstruktion fiktionaler Welten ist zudem komplex, wie schon das Beispiel von Teofilo Folengos »Baldus« gezeigt hat. Der Musenberg, den Folengo im ersten Buch beschreibt, ist nicht nur ein Ort, der von spanischen Schiffen nicht zu erreichen ist, sondern er hat auch Motive des Schlaraffenlandes. Elemente, die es zu definieren gilt, um die Konstitution dieser fiktionalen Welt zu erfassen. Verbindendes Element dieser nicht lokalisierbaren Welten in der Fiktion sind der Ich-Erzähler und die handelnden Personen, welche dem Rezipienten ihre Perspektive(n) auf diese Orte präsentieren. Bis in die Neuzeit hinein gibt es keine Unterscheidung zwischen dem realen Autor und dem Erzähler-Ich,103 dies scheint communis opinio und so manifestiert 102 T.G. Pavel: Worlds, S. 104-105. 103 Dies führt auch zu terminologischen Problemen in der Forschung, wie M. Unzeitig (Schwierigkeit, S. 59-81) für das Verhältnis Autor-Erzähler bei Chrétien de Troyes

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es sich auch seit Platon. Im »Staat« lässt er Sokrates die entscheidende Feststellung treffen: »Du weißt also, daß bis zu den Versen und er flehte zu allen Achaiern / Aber zumeist den Atreiden, den zween Heerfürsten der Völker der Dichter selbst spricht und nicht den geringsten Versuch macht unsere Vorstellung dahin abzulenken als spräche ein anderer als er selbst. Das dann Folgende aber spricht er so, als wäre er selbst Chryses, und er sucht alles Ernstes uns glauben zu machen, nicht Homer sei der Redende, sondern der alte Priester. Und mit der ganzen übrigen Darstellung der Ereignisse um Ilion und der Vorgänge in Ithaka und in der ganzen Odyssee hat er es ungefähr ebenso gehalten.«104

Sokrates geht es primär um die Nachahmung, die staatlichen Ämter betreffend, das Beispiel Homers dient ihm dazu schließlich festzustellen, dass die demokratischen Politiker von Anfang an ihr Amt vorbildlich nachahmen und nicht vielerlei Nachahmung betreiben. Sokrates setzt den Autor Homer mit den Erzählern der »Ilias« und der »Odyssee« gleich. Ebenfalls spricht der Autor, wenn seine Figuren reden. Hier wird in nuce schon das Problem vom lügenhaften Dichter angesprochen und wer vielerlei nachahmt, so müsste man schlussfolgern, kann kein guter Meister in seinem Fach sein. Der Autor ist immer der Erzähler und ist auch immer derjenige, der durch die Figurenrede spricht, dieses Verdikt gilt bis in die Neuzeit hinein. Jeffrey M. Rothschild konstatiert zumindest für die englische Literatur, dass in Robert Greenes Dialog »A Disputation beteween a He Conny-catcher and a She Conny-catcher« (1592) das erste Mal ein Autor sich von den Ich-Erzählern distanziert.105 Man kann jedoch diese Erkenntnis schon in der Antike ansetzen, immerhin handelt es sich bei Rothschilds Beispiel um die Form des Dialogs, und würde dann wieder zu dem im 16. Jahrhundert stark rezipierten Lukian gelangen. Lukian nimmt in seinen Dialogen verschiedene Positionen ein, mal tritt sein IchErzähler als Grieche, mal als Römer oder Syrer auf. Das Wesen des Dialogs erhellt sich aus Lukians »Bis accusatus«, dem ›doppelt Angeklagten‹: Ein Syrer muss

und Hartmann von Aue aufgezeigt hat. Vgl. auch T. Reuvekamp-Felber: Autorschaft. Generell ist festzuhalten, dass unsere modernen Vorstellungen von ›Figur‹, ›Autor‹ und ›Erzähler‹ problematisch in Bezug auf mittelalterliche Literatur ist, siehe z.B. die Diskussion bei S. Glauch: Schwelle, bes. S. 77-136, die den Begriff der persona wählt. Deshalb muss man sich bewusstmachen, dass die modernen Setzungen ›Erzähler‹ und ›Autor‹ lediglich Hilfskonstruktionen sind, wenn der mittelalterliche Erzähler thematisiert wird. 104 Platon: Staat, S. 96-97. Hervorhebungen d. Verf. 105 Vgl. J.M. Rothschild: Renaissance Voices, S. 25-26.

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sich dem Vorwurf der Untreue und des Missbrauchs stellen, Kläger sind die Rhetorik und der Dialog. Die Rhetorik wirft dem Angeklagten vor: »Er schämt sich nicht, den freien, ungehemmten Fluß der Rede, wie er sie bei mir gelernt hat, zu durchbrechen, sich selbst die Zwangsjacke winziger, abgehackter Fragesätze anzulegen und, statt mit dem Brustton der Überzeugung seiner Meinung Ausdruck zu geben, kurze Wörtchen miteinander zu verflechten und einzelne Silben zu stammeln.«106

Hingegen wirft der Dialog dem Angeklagten vor, er habe ihn vom tragischen Genre in ein komisches und satirisches gezogen, er fühlt sich seit seiner Verbindung mit dem Syrer als »der reine Roßzentaur, […] eine aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte unerhörte Mißgeburt«107. Der Syrer weiß sich geschickt zu verteidigen, hebt seine Bedeutung als Neuerer des alten Dialogs hervor, und trägt so den Sieg davon. Der Dialog ermöglicht es dem Autor, verschiedene Textsorten und Stile zusammenzubringen; während die klassische Rede rhetorisch homogen sein muss, kann der Dialog durch die Gesprächspartner die Stilebenen wechseln. Die Stilmischung und die daraus resultierende heterogene Textsorte erfahren hier ihre Apologie auch gegenüber Kritiken, wie sie vor dem Hintergrund der Dichterkonzeption Platons denkbar wären. Nicht eine Meinung wird »mit dem Brustton der Überzeugung« ausgedrückt, sondern viele. Hier kommt es auch zu dem Novum, dass im Dialog mehrere Ich-Erzähler auftreten. Immerhin lässt sich für Lukian festhalten, dass ein Autor/Erzähler mehrere Perspektiven einnehmen und, wie die »Wahren Geschichten« zeigen, auch als handelnde Figur auftreten kann. Lukian ist in diesem für die Renaissance maßgeblichen Text »erstens das Ich des historischen Autors, zweitens das des Sprechers im Prooemium und drittens das des reisenden Helden.«108 Trotzdem rekurrieren alle drei Ichs, vor dem Hintergrund der Auffassung Platons, auf die Person des realen historischen Autors. Komplizierter wird es, wenn der Ich-Erzähler sich von seinem Ich distanziert. Dies ist der Fall in Apuleius’ »Asinus Aureus«, in dem mit John J. Winkler ein auctor (Apuleius) und ein weiterer auctor (Lucius), der auch actor ist, angenommen werden kann.109 Es ist nicht zuletzt diese Konstellation, welche es ermöglicht, mehrere (Ich-)Perspektiven in dem Text einzusetzen, es gibt, mit Winkler, zwei Lesarten:

106 Lukian: Gespräche, S. 430. 107 Ebd., S. 434. 108 U. Rütten: Phantasie, S. 103. 109 Vgl. J.J. Winkler: Auctor, S. 153.

52 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »In both relations, Lucius now / Lucius then and Apuleius author / Lucius fictional narrator, the search for a single perspective on the dual structure is endless: a reader may decide to stop at some point in the cycle of shifting points of view, but the authoritative voice of the text makes no declaration about what the reader should choose. Apuleius neither affirms nor denies any of the perspectives – he merely signifies that they are there.«110

Der Dialog und die dialogische Struktur, die sich auf das Romanschreiben überträgt, gestatten es erst, mehrere Perspektiven in einen Text zu bringen, so müsste man hier hinzufügen.111 Der Dialog ist zudem auch der Ort, seit der Antike, in dem Neues verhandelt werden kann. Meisterhaft stellt dies Erasmus in seinen »Colloquia familiaria« dar. In der »Apotheosis Capnionis« treffen sich Pompilius und Brassicanus, um über die Apotheose Reuchlins zu reden, Eingang ist die Frage Pompilius’ an den aus Tübingen kommenden Brassicanus: »Nihilne istic rei novae?«112 Der Tod des humanistischen Neuerers gibt Anlass, vor dem Hintergrund scholastischer Angriffe, die Qualität von Alt und Neu in der Wissenschaft zu diskutieren: »Atqui isthuc ipsum olim erit vetus. Ita fieri necesse est, ut, si omnia vetera sint bona, omnia nova mala, quaecunque nunc bona sunt; fuerint olim mala, et quae nunc sunt mala, sint olim futura bona.«113 Im logischen Schluss ist das Alte einst neu gewesen und das Neue wird einst alt sein, da das Alte gut und das Neue schlecht ist, wird folglich das Neue einst – als Altes – gut werden. Als Mischform kann der Dialog zudem eine große Anzahl an literarischen Textsorten, wie Kurzerzählungen oder Gedichte, aber auch außerliterarische Textsorten, wie Auszüge aus Reiseberichten oder Gesetzestexten und dergleichen mehr, subsumieren, was eine multiple Perspektive ebenfalls begünstigt. Die antike Traditionslinie eines Lukians oder Apuleius’ aufnehmend, entstehen im Europa des 16. Jahrhunderts neue Erzählformen, welche bewusst mit der Trennung und der Identität von Ich-Erzähler und Autor spielen.114 Ein geistiger 110 Ebd., S. 142. 111 Sehr ausführlich zeigt M. Bachtin (Probleme, S. 127-133) den Unterschied zwischen sokratischem Dialog und Menippee und die Bedeutung letzterer für die Entwicklung des Romans auf. 112 D. Erasmus von Rotterdam: Colloquia, S. 124. 113 Ebd., S. 124. 114 Den hier zu behandelnden Autoren des 16. Jahrhunderts bietet sich eher ein schablonenartiger Zugriff auf die hochmittelalterliche Literatur, entweder sind die Texte des 12. und 13. Jahrhunderts im Druck lediglich als Prosaauflösung zugänglich, z.B. der »Wigoleis« (1493), oder in verderbter Form, wie z.B. Mentelins »Parsival« (1477), weshalb sie nicht auf die Diskurse eines Hartmanns von Aue oder Gottfrieds von Straßburg rekurrieren können.

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Vorläufer Rabelaisʼ, zumindest was das Motiv des Autors als handelnde Person betrifft, mag in Francisco Delicado und seinem »Retrato de la Lozana andaluza« gesehen werden, auch wenn Rabelais das Werk wohl nicht nachweislich kannte. Ähnlich dem Rabelaisʼschen Erzähler-Ich, das auch eine Rolle als ChronikSchreiber annimmt, tritt der ›Autor‹ in der »Lozana andaluza« als Berichterstatter auf, der seine Informationen über die in Rom lebende Protagonistin, die Prostituierte und vermeintliche Wunderheilerin Lozana, in Heften (»mamotretos«) aufzeichnet. Das Erstaunliche ist, dass Delicado den Lesenden autonome Charaktere präsentiert,115 auf welche die Figur, die sich »el autor« nennt, keinen Einfluss zu haben scheint. In die Dialoge der einzelnen Hefte schaltet er sich immer wieder ein und dokumentiert das Geschehen, was von den anderen Figuren kommentiert beziehungsweise unterstützt wird: »estando escribiendo el pasado capítulo, del dolor del pie dexé este cuaderno sobre la tabla, y entró Rampín y dixo: ›¿Qué testamento es éste?‹«116 – »Toma, tráeme un poco de papel y tinta, que quiero notar aquí una cosa que se me recordó agora.«117 Auch wenn, wie im Fall Rampins, des Dieners und engsten Vertrauten der Lozana, der Autor mit Papier und Tinte beliefert wird, besteht die Gefahr, dass die Figuren ihn betrügen: »y quiero atar bien la bolsa antes que suba, que tiene mala boca, y siempre mira allí.«118 Und tatsächlich verliert die Figur des Autors auch Geld bei seinem Besuch im Haus der Lozana. Der Autor/Erzähler verfügt augenscheinlich nicht mehr über die Kontrolle der Figuren, er gefällt sich im Beobachten und stellt sich auch als reiner Beobachter dar. Erstaunlich dafür ist seine Fähigkeit, Zukünftiges vorauszusehen, so warnt er zum Beispiel einen »compañero« vor dem Sacco di Roma, den er historisch korrekt auf das Jahr 1527 voraussagt.119 Der Ich-Erzähler ist hier offensichtlich nicht mehr identisch mit dem Autor, selbst wenn er so betitelt wird. Der Ich-Erzähler besichtigt ein moralisch zerfallenes Rom. Der Ort, an dem Lozana wohnt, wird nur grob mit Pozzo Bianco benannt, er ist nicht genau mit Straße oder Hausnummer angegeben. Die Handlung entwickelt sich aus den Dialogen. Die Welt, die hier geschaffen wurde, ist das Konstrukt eines Autors, obwohl sie, wie zum Beispiel der Ortsname, Berührungspunkte mit der Realität hat. Das Neue ist jedoch die Autonomie der Figuren, die den Leserinnen und Lesern vermittelt werden soll. Die fiktionale Welt erscheint somit nicht mehr als Konstrukt eines Einzelnen, sondern wirkt vollständig autonom. Diese Illusion deckt gerade, bei einer 115 Vgl. zum autonomen Charakter J.E. Gillet: Autonomous Character, S. 181-182 (zu Delicado). 116 F. Delicado: Lozana, S. 116. 117 Ebd., S. 200. 118 Ebd., S. 199. 119 Vgl. ebd., S. 147.

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wiederholten oder zumindest kritischen Lektüre, die Artifizialität des Geschaffenen auf, gleich dem Vorhang des Parrhasios, der selbst das Gemälde ist und nicht mehr enthüllt zu werden braucht. Literaten des 16. Jahrhunderts haben als Orientierung, wenn sie fiktive Welten schaffen, in erster Linie die Utopie. Das frühe 16. Jahrhundert bietet die Utopie par exellence in dem gleichnamigen Werk des Thomas Morus. Morus’ Schrift wird bis heute als bahnbrechender Beginn frühneuzeitlichen Denkens angesetzt, obwohl man an einer solchen absolut setzenden These berechtigten Zweifel haben sollte.120 Bei Hommes findet sich ein weiter gefasster Begriff der Utopie, bei der auch »[a]n die Stelle des Wunschbilds damit das Schreckbild [tritt], ein Vorgang, der sehr wohl zumindest auch typisch ist für die Erfahrung des Menschen in der modernen Welt.«121 Die Mehrdeutigkeit der utopischen Welt ist aber nicht nur auf das 20. Jahrhundert beschränkt, wie es Hommes suggeriert,122 sie muss auch schon für das 16. Jahrhundert vorausgesetzt werden. Neben der Polyvalenz der Utopie spielt auch ihre Nicht-Lokalisierbarkeit eine Rolle, die bei Morus in dem Spiel um die Autorschaft des Textes thematisiert wird. Christian Kiening arbeitet detailliert heraus, wie die Insel Utopia zu dem wird, was sie ist: ein unbestimmbarer Ort.123 Es sind die Vorrede und der ein Jahr später hinzugefügte Brief des Pierre Gilles. Durch das Husten eines Mitreisenden von Raphael Hythlodaeus kommt es zu »Störungen der Kommunikation […], die doch den Reiz des Geheimnisses nur erhöhen«124 und die genauen Koordinaten von Utopia bleiben somit im Dunkeln. Denkt man sich diesen Störfaktor weg, sind es sprachliche Mittel, welche die genaue Lage der Insel verschleiern müssten. Auch Morus’ Insel kann von den Karavellen der Spanier nicht entdeckt werden. Utopie sollte hier aber nicht als Nirgendort mit einem Uchronos verstanden werden. Utopien, die sich unter solchen Voraussetzungen konstituieren, hätten wahrscheinlich keine staatstheoretischen Intentionen. Jean-Jacques Wunenburger konstatiert: »Sa [i.e. Utopie – R.F.S.] poétique des lieux rêvés mêle déjà appels et échos du réel; loin de discourir de l’irréalité informe, elle organise un monde parallèle, elle l’anime de l’intérieur, en le lestant de lieux, en le projetant selon des axes d’orientation spatiale, qui sont autant de

120 Ich verweise nur auf O.G. Oexle (Denken, S. 307), der auch auf die »geographische[n] Paradiese« als »Wunschräume[]« bei Isidor von Sevilla verweist. 121 U. Hommes: Utopie, S. 1573. 122 Vgl. ebd., S. 1573. 123 Vgl. C. Kiening: Subjekt, S. 205-206. 124 Ebd., S. 206.

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décalques et simulations de la réalité. La géographie utopique met en scène un univers figuratif qui attire et relaie dans son espace propre, les forces du désir et donc du possible, toujours frustrées dans les limites des territoires habités ou connus.«125

Die Utopie ist somit als eine Parallelwelt zu definieren, die sehr wohl Bezüge zur Realität hat, folglich kein Nirgendort sein kann. Verknüpft wird der utopische Raum mit Motiven des Schlaraffenlands, dies klingt bei Giovanni Bossi an, der schon bei Morus im »progetto utopico una traccia del mito della Cuccagna«126 sehen möchte. Eine solche Interpretation scheint aber durch die spätere volkstümliche Sicht auf die Neue Welt als Schlaraffenland geprägt zu sein, wie sie zum Beispiel Carlo Ginzburg mit der »Begola contra le bizaria« aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erwähnt.127 Die »Begola« enthält einen Anhang »Capitolo qual narra l’essere di un mondo novo trovato nel Mar Ocean«, der mit folgenden Versen einsetzt: »Di novo si è trovato un bel paese Da naviganti nel Mar Oceano, Che mai piú non fu visto e mai piú inteso. Grandissimo è il paese, e tutto piano Che Buona Vita per nome è chiamato, Che mai non se li muor chi gli sta sano. Una montagna di caso grattato Sola si vede in mezzo la pianura, Che in cima una caldara gli han portato.«128

Das Kapitel verortet, ebenso ungenau wie Morusʼ Utopie, im Ozean eine Insel mit einem Parmesanberg, von der man zuvor nie etwas gesehen oder gehört hat. Das Schlaraffenlandmotiv wird mit einer Gesellschaftsutopie verbunden, die Rabelaisʼ Abtei von Thélème zumindest in der Grundlage vorwegnimmt: Es herrscht völlige Freiheit. Hinzu kommt, dass die Bewohner nicht altern, in einer Art ewigem Frühling leben und keine Kleidung brauchen:

125 J.-J. Wunenburger: L’utopie, S. 65-66. 126 G. Bossi: Immaginario, S. 113. 127 Vgl. C. Ginzburg: Käse, 2011, S. 117-118 und G. Bossi: Immaginario, S. 96-97. 128 Edition des Textes in P. Camporesi: Maschera, S. 309-311, Zitat: S. 309.

56 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »Là non bisognan gonne né giupponi Né camiscie, né brache a nissun tempo, Nudi van tutti, mamolle e garzoni.«129

Die Nacktheit in diesem Schlaraffenland spielt ebenfalls auf die neue Welt und ihre Einwohner an, ebenso der Reichtum, der in dem »Capitolo« geschildert wird. Schließlich wird die unbegrenzte Fülle durch das Fehlen einer Einteilung in Bezirke und Gebietsmarkierungen gekennzeichnet: »Non son partiti campi, né contrade […] Cosí il paese è tutto in libertade.«130 Abschließend wird skizziert, wie man diesen Ort erreichen kann: »Chi li vuol andar, vo’ dirli la via: Vada imbarcarsi al Porto Mamalucco, Poi, navicando per mar di bugia, E chi v’arriva è Re sopra ogni Cucco.«131

Der Ich-Erzähler gibt erst eine konkrete Anweisung, wie man sie auch in einer seriösen Wegbeschreibung zur Neuen Welt finden kann: ›Schiff dich im Hafen der Mamelucken (wahrscheinlich die Kanarischen Inseln) ein!‹ Dann wird der Interessierte aber aufgefordert, durch das Meer der Lügen zu fahren, um König aller Narren zu werden. So scherzhaft diese Schilderung auch ist, sie reflektiert doch die frühneuzeitlichen Vorstellungen der Neuen Welt als ein imaginiertes Schlaraffenland. Erst in der Überzeichnung wird hier für die Zeitgenossen deutlich, dass die Vorstellung von einem Land im Überfluss wohl zu weit hergeholt ist. Carlo Ginzburg behandelt sowohl die »Begola« als auch Donis Utopie, um den Begriff der ›Neuen Welt‹, den der Müller Menocchio anführt, vor dem Hintergrund der utopischen Diskurse der Zeit zu erklären.132 Donis »mondo nuovo« sei »sehr ernst«133, wie Ginzburg anmerkt, sie bringt aber mit Savio eine Figur, die zeitgleich mit Rabelais einen Schöpfer von Welten präsentiert: »So wie Gott beim Schöpfungsakt die Erde benennt und diese entsteht, so nennt und zeichnet Savio seine Erde: die Stadt. Dadurch beginnt sie zu existieren, sei es auch nur im Bewußtsein des Zuhörers«134. Der Schöpfungsakt, wie Anna Comi dies richtig zusammenfasst, ist bei Doni noch in Analogie zur göttlichen Kreation zu sehen. Die 129 Ebd., S. 310. 130 Ebd., S. 311. 131 Ebd., S. 311. 132 Vgl. C. Ginzburg: Käse, S. 116-121. 133 Ebd., S. 119. 134 A. Comi: Glanz, S. 174.

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Gesellschaftsutopie Savios beinhaltet so auch noch den christlichen Tempel als Zentrum des neu geschaffenen Kosmos. Von der Utopie führt der Weg zur Heterotopie, die Christian Kiening in seiner Interpretation des Foucault’schen Begriffes postuliert. Heterotopien sind für Kiening »sich beständig verschiebend, neu auftauchend, sich auflösend. Sie repräsentieren nicht nur das Vorfindliche, dessen Neuheit man erkennt, sie werden produziert, um das Neue an einen Ort zu knüpfen, der zugleich entzogen ist.«135 Zu trennen wäre hier jedoch zwischen der literarischen Wahrnehmung eines neu entdeckten Ortes oder Landes und zwischen der künstlerischen Produktion eines neuen Ortes. Ein Blick auf Foucaults Definition ist für die Diskussion um den Charakter fiktiver Welten unumgänglich. In dem 1966 ausgestrahlten Radiobericht beginnt Foucault: »Es gibt also Länder ohne Ort und Geschichten ohne Chronologie. Es gibt Städte, Planeten, Kontinente, Universen, die man auf keiner Karte und auch nirgendwo am Himmel finden könnte, und zwar einfach deshalb, weil sie keinem Raum angehören.«136 Diese Heterotopien sind Gegenräume und werden bei Foucault von den utopischen Räumen nicht scharf getrennt. Foucault bezeichnet sie als Orte der Abweichung. Der Garten gilt Foucault ebenfalls als Heterotopie, weshalb er konstatiert: »Das Schreiben von Romanen ist eine gärtnerische Tätigkeit.«137 Die Heterotopien können in sich Orte, die konträr zueinander konzipiert sind, beinhalten, wie auf der Theaterbühne.138 Hinzu kommt, dass diese Orte auch heterochron sind, das heißt, nicht der natürlichen Zeit folgen. Dies wird besonders in Sammlungen deutlich: »Die Idee, alles zu sammeln und damit gleichsam die Zeit anzuhalten oder sie vielmehr bis ins Unendliche in einem besonderen Raum zu deponieren; die Idee, das allgemeine Archiv einer Kultur zu schaffen; der Wunsch, alle Zeiten, alle Epochen, alle Formen und Geschmacksrichtungen an einem Ort einzuschließen; die Idee, einen Raum aller Zeiten zu schaffen, als könnte dieser Raum selbst endgültig außerhalb der Zeit stehen, diese Idee ist ein ganz und gar moderner Gedanke.«139

135 C. Kiening: Subjekt, S. 202. 136 M. Foucault: Heterotopien, S. 9. 137 Ebd., S. 15. 138 Vgl. ebd., S. 13-14. 139 Ebd., S. 16.

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Im Ganzen nimmt Foucault fünf Aspekte der Heterotopien an: 1. Sie sind Konstanten der menschlichen Gesellschaft; 2. Sie können sich auflösen und verschwinden; 3. Sie verbinden mehrere unvereinbare Räume; 4. Es kann in ihnen zeitliche Brüche geben; 5. Sie können abgeschlossen, aber auch gleichzeitig offen sein.140 Beispiele für Heterotopien, die jeder kennt, sind Friedhöfe, die für jeden offen sind, oder Bordelle, die man betreten kann, die aber doch in sich abgeschlossen sind und bestimmten Gesetzmäßigkeiten und auch Zeitabläufen folgen oder sogar der Zeit enthoben sind. Schließlich folgert Foucault, dass Heterotopien »alle anderen Räume in Frage [stellen]«, da sie die »Realität als Illusion« erscheinen lassen »oder indem sie ganz real einen anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren Unordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist.«141 Foucault akzentuiert zum Schluss, dass Schiffe die Heterotopien »par excellence« sind.142 Vor dem Hintergrund der Foucault’schen Definition wird deutlich, dass Heterotopien nicht nur in der Realität Räume bezeichnen, sie sind, gerade wenn man an den Aspekt ihres illusionistischen Potentials denkt, besonders in der Literatur zu finden. Da wäre im Artusroman, um nur ein Beispiel zu nennen, an den Wald zu denken. Ein Raum, den jeder betreten kann, dessen Geheimnisse sich aber nicht jedem eröffnen, beziehungsweise dessen Durchquerung lebensgefährlich ist. Ein Raum, der sein eigenes Personal hat, wie Riesen und Räuber, und der dadurch mit aventiuren aufwartet, ganz konträr zur höfischen Welt, ein Gegenraum zur Burg also.143 In den hier zu behandelnden Texten des 16. Jahrhunderts entstehen neue Heterotopien, die je nach Werk auf ihren Charakter hin befragt werden müssen. Der Autor, der diese Orte im Spiel um seine eigene Erzähler-Identität aber auch in der Verwischung von Spuren, dem Nicht-Nennen der genauen Adresse oder dem Verorten auf einen beweglichen Raum, wie ein Schiff oder einen Rollwagen, schafft, weist damit auf seine Kreation hin.

140 Vgl. ebd., S. 11-19. 141 Ebd., S. 19-20. 142 Vgl. ebd., S. 22, Zitat: ebd. 143 Dieses Verfahren und seine Bedeutung für die Fiktion wird für den Artusroman (Hartmanns von Aue) z.B. bei H. Wandhoff (Kopfreisen, S. 141-159) herausgearbeitet.

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2.7 Z USAMMENFASSUNG Bis hierhin lässt sich festhalten, dass das Neue in der Literatur ein Prozess von Wahrnehmung und Reaktion auf diese Wahrnehmung ist. Das in der Realität entdeckte oder erfundene Neue führt zu Diskursen, welche die Unbeschreibbarkeit von absolut Neuem, aber auch die Möglichkeit der Definition und Domestikation des Neuen verhandeln. Als Reaktion darauf entsteht eine neue Auffassung vom Autor und den von ihm geschaffenen fiktionalen Welten. Das Neue in der historischen Realität, wenn es vorher weder zeitlich noch qualitativ existent gewesen ist, lässt sich in Weiterentwicklung der These Michael Sukales in ein (zeitlich) »Noch-Nicht-Dagewesenes« und in ein (qualitatives) »Noch-Nicht-Erfundenes« einteilen, beides Formen des absolut Neuen. Das Neue, zum Beispiel in Form einer unbekannten Tierart oder sogar eines ganzen, auch der Antike völlig unbekannten Kontinents kann durch Vergleiche mit Bekanntem beschrieben werden. Dieser Versuch scheitert aber und so müssen verschiedene (Meta-)Zeichensysteme, neben der Schrift, bemüht werden. Das Neue ist nicht das Andere, Fremde, welches ein Moment des Eigenen, Vertrauten, innehat, weshalb es sich diesen Vergleichen mit dem Bekannten entzieht. Ein Präzedenzfall des Neuen im 16. Jahrhundert schlechthin ist der Umgang mit der neu entdeckten ›Welt‹ Amerika. Das Orientierungsvakuum, das durch diese neue Entdeckung entsteht, wird im literarischen wie im philosophischen Diskurs mit Bedeutung gefüllt. Die neue Welt erscheint dabei als ein unbeschriebenes Blatt, welches mit einer augenscheinlich unbegrenzten Menge an Vorstellungen motiviert werden kann. Räumliche Distanz und der Wunsch danach, das Neue zu kommensurabilisieren, führen dazu, dass aus der realen Entdeckung eines Kontinents ein Gedankenkonstrukt wird. Die Vorstellung vom Autor als einem Erfinder, der sich permanent weiterentwickeln kann, begünstigt die Form der Beherrschung neuer Räume und literarischer Handlungen. Vor dem Hintergrund der Diskussion um den Autor als Schöpfer, sei es vor dem antiken Hintergrund oder der neoplatonistischen Diskussion der Renaissance, wird deutlich, dass dem Autor im 16. Jahrhundert eine neue Stellung zukommt. Er ist es, der aufgrund seines Ingeniums und der Möglichkeit, autonome ästhetische Urteile zu treffen, zum Schöpfer neuer Welten wird. Die Idee des Fortschritts lässt somit auch das neoplatonistische Konzept zurücktreten. Nicht mehr ein Ideenhimmel oder ein göttlich inspirierter furor lassen Fiktionen entstehen, sondern der Autor selbst. Diese neuen Denkstrukturen lassen die alten aufbrechen, Allegorie – und hier besonders der Allegorismus, der die ganze Welt als ein Buch göttlicher Schöpfung sehen möchte –, zudem als ein metasprachliches System verstanden, wird obsolet.

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Verschiedene Alternativen bieten sich folglich den Autoren an: Sie können die Allegorie vollkommen ablehnen, dann wird jedoch ein neues Interpretationsmodell notwendig, oder sie treiben die Allegorie soweit, dass monströse sprachliche Gebilde entstehen, und entlarven so das veraltete System. Waren die Dichter zuvor Schöpfer von – theologisch negativ als Lügen bewerteten – Fabeln, unter denen sich eine moralische Wahrheit verbarg, werden sie nun zu Fingierern, deren Stoffe sich nicht mehr allegorisch deuten lassen. Boccaccios Verdikt, dass die Dichter, wenn sie nicht mehr fingieren dürfen, nichts mehr schaffen können, erhält somit eine neue Qualität. Der progressive Verfasser fiktionaler Texte, der keine theologischen Wahrheiten mehr bringt, verweist somit auf die Fiktion an sich. Den Rezipierenden wird in diesem Prozess die Kreativität des Autors, souveräne selbstreferentielle Erzählstoffe zu schaffen, vor Augen geführt. Das Aufgeben der allegorischen Form als Denkmodell führt aber auch dazu, dass der mittelalterliche Kommentator-Erzähler überflüssig wird, weshalb das Auftreten des Erzähler-Ichs, das lange Zeit mit dem Autor gleichgesetzt wurde, eine neue Rolle erhält. Der Ich-Erzähler kann sich nunmehr auf mehrere Figuren aufteilen und mehrere Perspektiven auf die Welt geben. Die Welt, die er in der Fiktion geschaffen hat und die nun wie ein autonomer Kosmos mit autonomen Figuren erscheint. Durch den Perspektivwechsel unterliegen diese fiktiven Welten einem permanenten Wandel. Diese fiktiven Welten, die dem Rezipienten präsentiert werden, sind, in Anlehnung an Michel Foucault, als Heterotopien zu betrachten. Orte, die sich weder zeitlich noch räumlich definitiv bestimmen lassen. Deren Existenz zerbrechlich ist, da sie nicht mehr allegorisch deutbar sind, und die aufgrund dieser Tatsache ein unbestimmbares Potential an (nicht-allegorischen) Interpretationen zulassen, letztendlich aber auf die Kreativität des Autors verweisen. Die hier vorgetragenen Thesen treffen natürlich nur auf eine begrenzte, inhomogene Gruppe von Autoren des 16. Jahrhunderts zu, dennoch sind sie von zentraler Bedeutung, wenn es um die Interpretation komplexer Werke wie Michael Lindeners »Katzipori«, den »Finckenritter« oder Johann Fischarts »Geschichtklitterung« geht.

3. Rabelaisʼ »Gargantua« und »Pantagruel«

3.1 D ER F ORTSCHRITT UND DAS MULTIPLE E RZÄHLER -I CH Eine Untersuchung, die Rabelais einschließt, kommt nicht umhin, auch auf Michail Bachtin einzugehen. Die zentralen Bachtin’schen Begriffe ›Dialogizität‹, ›Volkskultur‹ und ›Karnevalismus‹ bedürfen dringend einer kritischen Revision, die nicht nur in einer leichten Modifikation besteht, sondern wie Richard M. Berrongs Kritik tiefgreifender gehen muss.1 Auch wenn man den Terminus ›Dialogizität‹ akzeptieren kann, im Sinne des Pluralitätsdiskurses der Renaissance,2 ist die Annahme einer folkloristischen Tradition als Basis der Pentalogie Rabelais’ verfehlt. Bachtin geht sogar so weit, zu behaupten, dass »[e]s […] wahrscheinlich in der Weltliteratur kein anderes Werk [gibt], das in solcher Fülle und Authentizität alle Seiten des volkstümlichen Lebens auf dem Marktplatz wiedergibt«3. Heranzuziehen ist hier für ein Gegenargument die Anatomie des Karnevals im »Quart Livre«: »Comment par Xenomanes est anatomisé et descript Quaresmeprenant Chapitre XXX Quaresmeprenant, dist Xenomanes, quant aux parties internes a, au moins de mon temps avoit, la cervelle en grandeur, couleur, substance et vigueur semblable au couillon guausche d’un Ciron masle.

1

R.M. Berrong (Rabelais and Bakhtin) leugnet nicht die folkloristischen Elemente bei Rabelais, akzentuiert aber die wichtige Bedeutung der Gelehrtenkultur, welche Bachtin ausschließt. Ebenfalls ist einzuwenden, dass Bachtins These gerade den Karneval in seiner Komplexität und sein Verhältnis zur Institution Kirche verkennt (vgl. z.B. M. Martinez: Dialogizität, S. 436-437).

2

Vgl. hierzu den Sammelband von W.-D. Stempel/K. Stierle: Pluralität, S. 7.

3

M. Bachtin: Rabelais und seine Welt, S. 195.

62 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN Les ventricules d’icelle, comme un tirefond. L’excrescence vermiforme, comme un pillemaille. Les membranes, comme la coqueluche d’un moine. L’entonnoir, comme un oiseau de masson. La voulte, comme un gouimphe. Le conare, comme un veze.«4

Die interne und – im darauffolgenden Kapitel – externe Anatomie des Karnevals ist keine volkstümliche Karnevalsdeutung. Die anatomische Beschreibung des Kopfes folgt den zeitgenössischen wissenschaftlichen Kenntnissen der makroskopischen Anatomie und benutzt eine dem Lateinischen entlehnte Fachterminologie.5 Brüche entstehen durch Assoziationen der einzelnen Organe mit Gegenständen der Umwelt. So gleicht die Hirnhaut einer Mönchskapuze, die Lungen gleichen einem Kanonikermantel (»aumusse«).6 Es folgt die Beschreibung der äußeren Anatomie sowie seiner Verhaltensweisen. Dennoch bleibt die physische Größe des Karnevals nicht messbar. Evoziert schon durch die Assoziationen, die Körperteile mit großen und kleinen Artefakten in Relation setzen, sind Größe und Gewicht unmöglich anzugeben. Dafür offenbart sich indirekt die medizinische Kompetenz des Xenomanes, da er das Hirn des Karnevals, von der Größe des linken Hodens einer Milbe, derartig detailliert beschreiben kann. Was hier präsentiert wird, ist kein folkloristisches Bild des Karnevals, die anatomischen Kenntnisse, die ein Assoziationsspiel mit Alltagsgegenständen ermöglichen, dienen wohl kaum der Belustigung auf dem Marktplatz, sondern sind in der Gelehrtenstube anzusiedeln. Die Beschreibung des Karnevals greift zwar Elemente auf, die zu dem Weltwissen gehören, welches auch dem ungebildeten Marktplatzbesucher zugänglich ist, die literarische Form aber ist anspruchsvoll und wieder in eine ge-

4

F. Rabelais: Œuvres, S. 608.

5

Vgl. R. Antonioli: Rabelais et la médecine, S. 283-290, und A. Gouazé: Rabelais et l’anatomie. Gouazé weist besonders auf die Rolle von Rabelais’ öffentlichen Anatomiekursen im Lyon der 1530er Jahre hin (S. 99), die zusätzlich belegen, dass Rabelais sehr wohl wusste, was er parodierte, als er den Anatomieexkurs im »Quart Livre« schrieb.

6

Vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 608. Es fällt auf, dass die Vergleiche zu Artefakten, nicht jedoch zu natürlichen Entitäten gezogen werden. Gewöhnlich finden sich sonst Beschreibungen, die Vergleiche zur Natur heranziehen, z.B. bei Antonio Benivieni, der einen Nierenstein »schwarz und so groß wie eine getrocknete Kastanie« schildert (zit. n. D. Laurenza: Leonardo, S. 116). Rabelais zielt hier also bewusst auf die Artifizialität seines Gebildes ab.

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lehrte Tradition einzuordnen. Ähnliches gilt auch, um ein deutschsprachiges Beispiel anzuführen, für Hans Sachs’ »Ein gesprech mit der Faßnacht von ihrer aygenschafft« (1540). Der Erzähler begibt sich an einen Ort außerhalb der Stadt und trifft dort auf ein Kompositwesen: »Ich kund nit kennen, was es was. Sein pauch war wie ein füdrich faß, Sein gantzer leyb vol schellen rund, Het starck zeen und ein weyten schlund, Sein schwantz schewich war und beschorn, Das het weder augen noch orn.«7

Vor der Stadt, der dem Erzähler bekannte Raum, kommt es zu einer Begegnung mit einem vorerst undefinierbaren Wesen; die unzivilisierte Welt, ebenfalls ein heterotopischer und nach außen vermeintlich offener Raum, bietet neue Erfahrungen, die zu deuten sind. Ein Motiv, das für allegorisches Erzählen typisch ist. Zu denken wäre hier an das prominenteste Beispiel Dantes, dessen »Commedia« ebenfalls außerhalb der zivilisierten Welt ihren Ausgang nimmt. Der Eingang des Dialogs und die darauffolgende Deutung des Monstrums benutzen auch bei Hans Sachs die gelehrte Form der Allegorese, die eben nicht als volkstümlich zu bezeichnen ist. Die Beschäftigung mit dem Karneval, so sie denn auch humoristisch ist, wird auf einer gelehrten Ebene geführt, das nicht zu fassende Ausmaß der Verschwendung von Geld und die ungezügelte Lebensweise in der Karnevalszeit finden ihren literarischen Niederschlag in nicht zu messenden Größenverhältnissen oder bizarren Gebilden, welche allegorisch deutbar sind. Der Unterschied zwischen Hans Sachs und François Rabelais ist jedoch, dass die Allegorie der Fastnacht eine Einordnung in ein Denkmodell erlaubt, die Anatomie des Karnevals sich aber jeglicher Deutung entzieht. Antonioli bemerkt, dass das Heranziehen mehrerer anatomischer Lehnwörter aus dem Griechischen, Lateinischen und Arabischen zu einer ›unsicheren Anatomie‹ führt: »Ces emprunts à des lexiques différents donnent parfois l’impression d’une anatomie incertaine. Rabelais emploie fréquemment, pour le même organe, suivant les circonstances, le mot savant ou le mot populaire […]. L’incertitude commence quand le même mot (les adenes) désigne, tantôt les amygdales, tantôt les glandes du cou.«8

7

H. Sachs: Werke 5, S. 295.

8

R. Antonioli: Rabelais et la médecine, S. 288.

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Wie die Inseln, die sich nicht verorten lassen, da man ihre genauen Koordinaten nicht kennt, so lassen sich auch die Organe im Körper des Karnevals bei Rabelais nicht genau lokalisieren, da ihre Größenangaben durch die Vergleiche mit Artefakten im Ganzen widersprüchlich scheinen und sich somit dem Verstand entziehen. Gerade die Medizin und angrenzende Bereiche bieten bei Rabelais eine Möglichkeit, um Fortschritt durch Empirie aufzuzeigen. Ein Meisterstück ist hierbei das »torchecul«-Kapitel im »Gargantua«. Selbstbewusst präsentiert der junge Riese seine neue Erfindung, die Körperhygiene betreffend, welche er empirisch, mittels Versuchen, gemacht hat: »J’ay (respondit Gargantua) par longue et curieuse expérience inventé un moyen de me torcher le cul, le plus seigneurial, le plus excellent, le plus expédient que jamais feut veu.«9 Es ist nicht nur die intensive Erfahrung (»longue«), sondern auch ein Akt der Neugier (»curieuse«), die zu einem ›nie gesehenen Mittel‹ der Analhygiene führen. Fundiert wird die empirische Methode allerdings mit einem scholastischen Syllogismus: »Il n’est, dist Gargantua, poinct besoing torcher cul, sinon qu’il y ayt ordure. Ordure n’y peut estre, si on n’a chié: chier doncques nous fault davant que le cul torcher. – O (dist Grandgousier) que tu as bon sens petit guarsonnet! Ces premiers jours je te feray passer docteur en gaie science [1. Ausgabe: en Sorbone] par Dieu, car tu as de raison plus que d’aage. Or poursuiz ce propos torcheculatif je t’en prie.«10

Weniger die Erfindung als vielmehr der logische Schluss, der zu ihr führte, wird von Grandgousier zum Anlass genommen, seinen Sohn würdig als Sorbonne-Professor zu sehen. Die wenigen Untersuchungen zu diesem Kapitel haben zu interessanten Ergebnissen geführt, die jedoch kritisch zu hinterfragen sind. François Rigolot sah in der »torchecul«-Episode eine Persiflage auf das auch in Lyon geschätzte Werk »Leda und der Schwan« von Michelangelo, sodass das 13. Kapitel ein »jeu mi-populaire, mi-savant«11 darstellen würde. Allerdings, wie auch Skye Paine einwendet,12 ist es nicht der Schwan, sondern eine Gans, die sich hier zwischen den Beinen des Riesenkindes befindet. Paines Analyse ist fundierter, basiert aber wiederum auf der Bachtin’schen Annahme, bei Rabelais seien ›oben‹ und ›unten‹ bzw. ›hoch‹ und ›niedrig‹ vertauscht. Papier und Pergament, beides die

9

F. Rabelais: Œuvres, S. 38.

10 Ebd., S. 41. 11 F. Rigolot: L’affaire du »torchecul«, S. 216. 12 Vgl. S. Paine: Rabelais’s Serious Joke, S. 356.

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Beschreibstoffe des Schriftstellers, sowie die Gans, welche die Schreibfedern liefert, werden nicht für die Produktion von Literatur verwendet, sondern für die Analhygiene. Ausgangspunkt sei das Trinken als Stimulans für den geistigen Akt des Schreibens oder den physischen Akt des Defäkierens.13 Er belegt seine Untersuchung zusätzlich durch die Analyse der drei Gedichte, die Gargantua vorträgt. Der Weg führt vom unpersönlichen »on« bis zum lyrischen »je« oder auch vom sprichwortartigen Zweizeiler zum anspruchsvolleren Rondeau, aber: »as Gargantua’s writing becomes more nuanced his verses become more scatological.«14 Dies widerlegt schon die von Paine konstatierte Bachtin’sche Austauschbarkeit (Umkehrbarkeit) von oben und unten, denn wenn der Inhalt ein hohes poetisches Thema in angemessenen Worten bringen würde, dann müssten, durch die Umkehrung, eigentlich Form und Inhalt ›niedrig‹ sein. Umkehrbar sind diese Gedichte keineswegs, da Form und Inhalt nie zueinander in einem angemessenen Verhältnis stehen können. Dem entspricht auch das Verhältnis zwischen scholastischer Methode und neuzeitlichem Fortschrittsdenken, zwei Denkweisen, die sich gegenseitig ausschließen. Läse man die »torchecul«-Episode unter dem Aspekt des Schreibprozesses, dann müsste auch die Tinte thematisiert werden,15 konsequenterweise wäre der Akt des Schreibens dann, zumindest im »Gargantua«, ein Akt des Besudelns, da Papier und Gänsefedern bei der Analhygiene durch die ›Tinte‹, die Exkremente, beschmutzt werden und schließlich nur noch weggeworfen werden können. Die »torchecul«-Episode verweist auf mehr, hier wird obsoletes Wissen mit den neuen Fortschrittsvorstellungen vermischt, was als Ergebnis vorliegt, ist die Persiflage des innovativen Denkens, das von scholastischen Prämissen ausgeht. Problematisch erweist sich hier das Nebeneinander von alter und neuer Wissenschaft. Das Neue, in diesem Fall der neu behandelte Stoff, erweist sich als Täuschung, das Thema ist banal. In der Kritik steht jedoch nicht der Fortschritt an sich, sondern vielmehr die konventionelle universitäre (scholastische) Herangehensweise. Rabelais bezieht damit eine humanistische Position, die Innovation nicht ausschließt. Abraham C. Keller konstatiert, dass die vielfach geäußerte Annahme, die Humanisten orientierten sich an der Vergangenheit, die Handwerker aber an der Zukunft,16 also dem Fortschritt, durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, 13 Vgl. ebd., S. 358. 14 Vgl. ebd., S. 359-360, Zitat: S. 360. 15 Gewöhnlicherweise wird die Tinte in der Dichtung thematisiert, wenn es um den Prozess des Schreibens geht, z.B. in den Lais von François Villon findet der Erzähler einen Grund, sein Testament abzuschließen, da seine Tinte gefroren ist (vgl. F. Villon: Poésies, S. 76, Str. XXXIX). 16 Vgl. A.C. Keller: Rabelais and the Renaissance Idea, S. 21.

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welche auch auf die Humanisten einen großen Einfluss hatten, relativiert werden müsse. Mit den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, besonders im Bereich der Medizin, dringt die Vorstellung des Fortschritts auch in die humanistischen Kreise ein. Angesetzt werden diese Veränderungen spätestens im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts,17 sodass sich für Keller ein Bruch zwischen den ersten beiden Büchern der Pentalogie Rabelais’ und den restlichen Büchern ergibt: »Whereas in the first books he could pay no higher compliment to a character’s eloquence or wisdom than to liken it to that of the ancients, in the last books he proclaimed that the ancients left much for modern men to do – in making new discoveries as well as in building upon ancient knowledge by finding new applications of old formulas.«18

Anhand des »torchecul«-Kapitels zeigt sich jedoch, dass Rabelais im »Gargantua« nicht nur eine Vorahnung von der Idee des Fortschritts hat, wie Keller behauptet,19 sondern diese explizit thematisiert.20 Das Phänomen wird aber aus dem Bereich der Technik und der Naturwissenschaften in die Literatur verlagert. Der Text bietet die Möglichkeit, Fortschritt als Erkenntnisprozess nachzuzeichnen. Die Idee des Fortschritts lässt auch die neoplatonistische Konzeption von Autorschaft in den Hintergrund treten. Die Legitimation des Autors basiert nicht mehr auf der Theorie eines Landino oder Ficino, sondern auf empirischen Erkenntnissen. Dies ermöglicht auf dem Gebiet der Literatur einen selbstbewussten, autonomen Umgang mit literarischen Stoffen und ihren fiktionalen Welten. Schon in den Prologen zu »Gargantua« und »Pantagruel« wird diese neue anthropologische Haltung deutlich. Die Bücher sind, laut dem Prolog zum »Gargantua«, »nostre invention«, die Erfindungen eines Autors. Trotz der Scherze und ›fröhlichen Lügen‹ auf der Oberfläche sollte man die ›menschlichen Werke nicht leichtfertig einschätzen‹21. Empirie, im Prolog zum »Pantagruel« als Beurteilung des Erfolgs eines Stoffes, führt zum eigenen Schreiben: »Orlando Furioso«, »Robert le Diable« oder »Fierabras« sind bekannte literarische Stoffe, wie die Bibel, dennoch werden sie alle durch die vielen Auflagen der »chronicque Gargantuine« übertroffen: »Et le monde a bien congneu par experience infallible 17 Vgl. A.C. Keller: Idea of Progress, S. 241, der aber auch auf die Bedeutung des 15. Jahrhunderts für den Fortschrittsgedanken hinweist. 18 A.C. Keller: Rabelais and the Renaissance, S. 22. 19 Vgl. A.C. Keller: Idea of Progress, S. 238. 20 Als außerliterarisches Zeugnis lässt sich hier auf einen (Widmungs-)Brief Rabelaisʼ an André Tiraqueau vom 3. Juni 1532 verweisen, der ein ausdrückliches Bekenntnis zum Fortschritt darstellt (vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 979-982). 21 Vgl. ebd., S. 6.

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le grand emolument et utilité qui venoit de ladicte chronicque Gargantuine: car il en a esté plus vendu par les imprimeurs en deux moys, qu’il ne sera acheté de Bibles en neuf ans.«22 Die biblischen Texte zeichnen sich hier nicht mehr durch ihre religiöse Wahrheit aus, allein der Verkaufserfolg, der empirisch erfasst werden kann, führt zur Rezeption eines Stoffes. Diese Tatsache lenkt den Blick auf den Ich-Erzähler, der souverän Erfolg versprechende Stoffe ›bilden‹ kann, und seine Masken, in denen er sich den Lesenden präsentiert. Ästhetische Aspekte treten somit hinter den Absatzerfolg, möchte man meinen. Es ist aber offensichtlich, dass in der Pentalogie ein unzuverlässiger Erzähler auftritt, der verschiedene Rollen, oder Masken, annimmt, weshalb auch diese Feststellung zu revidieren ist. Schon in den Prologen zu »Gargantua« und »Pantagruel« wird deutlich, dass sich zwei konträre Intentionen gegenüberstehen, zum einen der Ich-Erzähler François Rabelais und zum anderen der Ich-Erzähler Alcofribas Nasier. Mit Frédéric Tinguely kann man somit von einem »auteur conscient« (Rabelais) und einem »auteur inconscient« (Alcofribas) sprechen, der zuverlässige Erzähler wäre somit Rabelais.23 Wie an beiden Prologen zu sehen, ist es jedoch schwierig, beide Ich-Erzähler zu trennen. Noch komplexer ist das Auftreten von Rabelais und Alcofribas in den Romanen selbst. Der beiden nicht eindeutig zuzuordnende IchErzähler erhält am Anfang des »Gargantua« die Kunde von einer archäologischen Entdeckung, als Schriftgelehrter wird er hinzugerufen, um den Text eines Buches zu entschlüsseln: »Je (combien que indigne) y fuz appelé: et à grand renfort de bezicles practicant l’art dont on peut lire lettres non apparentes, comme enseigne Aristoteles, la translatay, ainsi que veoir pourrez en Pantagruelisant, c’est à dire, beuvans à gré et lisans les gestes horrificques de Pantagruel. À la fin du livre estoit un petit traicté intitulé, Les Fanfreluches antidotées. Les ratz et blattes ou (affin que je ne mente) aultres malignes bestes avoient brousté le commencement, le reste j’ay cy dessoubz adjousté, par reverence de l’antiquaille.«24

Das Ich gibt sich als ein Experte in einer Kunst aus, die nicht existiert. Das Buch enthält offensichtlich den Text des »Gargantua«, den das Ich für die zeitgenössischen Leserinnen und Lesern vorgibt, übersetzt (»translatay«) zu haben. Danach folgt jedoch nicht die Geburt des Helden, sondern »Les fanfreluches antidotées«, das Gedicht also, welches erst am Schluss des Buches stehen soll. Der hier in die 22 Ebd., S. 214-215. 23 F. Tinguely: D’un prologue, bes. S. 90-91. 24 F. Rabelais: Œuvres, S. 10-11. Hervorhebung im Original.

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Materie einführende und übersetzende Ich-Erzähler erweist sich als trügerisch, er beherrscht eine Kunst, die es nicht gibt, beginnt mit dem Schluss der Erzählung und gibt mit dem Gedicht am Ende des ersten Kapitels lediglich einen unverständlichen Text wieder. Zwischen Leserin oder Leser und Erzähler ergibt sich somit ein distanziertes Verhältnis, alle Aussagen des Erzählers sind kritisch zu hinterfragen. Als Künstler wird Alcofribas dann in der dritten Person erwähnt, wenn es um die Ringe an der linken Hand Gargantuas und wohl auch die ganze abenteuerliche Kleidung geht. Offensichtlich spricht hier der Ich-Erzähler Rabelais. Alcofribas wird in dieser Passage als Geschäftsmann eines Capitaine Chappuys eingeführt:25 »Au doigt medical d’icelle, eut un aneau faict des quatre metaulx ensemble: en la plus merveilleuse façon, que jamais feust veue, sans que l’assier froisseast l’or, sans que l’argent foullast le cuyvre. Le tout fut faict par le capitaine Chappuys et Alcofribas son bon facteur.«26 Neben Zwergenhäuten und Werwolffellen, die für die Handschuhe verarbeitet wurden und damit eine vermeintlich arkane Funktion zu haben scheinen, werden nun auch noch vier Metalle, die im alchemistischen Diskurs Gang und Gäbe sind, ›in der wunderbarsten Weise, die man je gesehen hat‹, zu einem Ring verbunden. Aber nicht nur die Kleidung ist ein Produkt Alcofribasʼ, der Ich-Erzähler selbst wird in den ersten beiden Buchtiteln als der Verfasser und »abstracteur de quinte essence« 27 bezeichnet. Die quinta essentia, seit Aristoteles die aus den anderen Elementen hervorstechende Materie, der Äther, gewinnt gerade im 16. Jahrhundert bei Agrippa und Paracelsus an Bedeutung. Der Äther ist das Element, welches die leblosen Körper erst belebt, Alcofribas, als Extrahierer der Quintessenz, schafft somit selbst einen neuen Kosmos, er ›belebt‹ ihn, auf dem Papier. Schließlich interagiert er im »Pantagruel« mit den Figuren und legt dem Riesen dar, was er in dessen Mund erlebte: »Quand il me apperceut, il me demanda, ›Dont viens-tu, Alcofrybas?‹ Je luy responds, ›de vostre gorge, monsieur. – Et despuis quand y es tu? dist-il. – Despuis (dis-je) que vous alliez contre les Almyrodes. – Il y a (dist il) plus de six moys. Et de quoy vivois tu? que beuvoys tu?‹ Je responds. ›Seigneur de mesmes vous, et des plus frians morceaulx qui passoient par vostre gorge j’en prenois le barraige. – Voire mais (dist-il) où chioys tu? – En vostre gorge monsieur, dis-je. – Ha, ha, tu es gentil compaignon (dist-il). Nous avons avecques l’ayde de

25 Es muss offen bleiben, ob hiermit der Dichter Claude Chappuis gemeint ist, vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 27. 26 Ebd., S. 27. 27 Ebd., S. 1 u. 209.

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dieu conquesté tout le pays des Dipsodes, je te donne la chatellenie de Salmigondin. – Grand mercy (dis je) monsieur, vous me faictes du bien plus que n’ay deservy envers vous.‹«28

Hier wird die Handlung durch die Form des Dialogs vorangetrieben und schließlich wird der Ich-Erzähler mit einem großzügigen Lehen bedacht. Schon vor den Abenteuern im Mund des Riesen gibt es eine weitere ungewöhnliche Begegnung zwischen dem Ich-Erzähler, der nicht näher bezeichnet wird, weshalb unklar bleibt, ob es Rabelais oder Alcofribas ist,29 und Panurge. Der Ich-Erzähler tritt als fürsorgliche Gesprächsperson in der Mitte des Buches auf:30 »Un jour je trouvay Panurge quelque peu escorné et taciturne, et me doubtay bien qu’il n’avoit denare dont je luy dys. ›Panurge vous estes malade à ce que je voy à vostre physionomie, et j’entens le mal, vous avez un fluz de bourse, mais ne vous souciez. J’ay encores six solx et maille, qui ne virent oncq pere ny mere, qui ne vous fauldront non plus que la verolle, en vostre necessité.‹«31

Der Ich-Erzähler stellt eine Diagnose anhand der Gesichtszüge Panurges und mutmaßt, dass dieser traurig sei, weil er kein Geld mehr hat. Er wird zum Augenzeugen und vermittelt so dem Publikum die physische Erscheinung Panurges. Im Gespräch wird deutlich, dass Panurge eine autonome Figur ist. So versucht der IchErzähler ihn zu überzeugen, dass das Stehlen von Geld aus den Kirchen eine Straftat mit möglichen fatalen Konsequenzen ist, Panurge beharrt aber auf seiner Position und setzt seine kriminellen Aktionen weiter fort. Für die Lesenden erscheint es so, als ob der Ich-Erzähler, in dieser Zeit wohlbemerkt gleichgesetzt mit dem Autor, keinen Einfluss auf die handelnden Personen hätte. Das Spiel um die Erzähleridentität wird im »Tiers Livre« weiter getrieben, dort ist es Panurge, der im zweiten Kapitel die »chastellenie de Salmiguondin« erhält.32 Es stellt sich hier die Frage, ob diese Parallele bewusst gezogen wurde, vielleicht soll sogar eine Identität von Panurge und Alcofribas hergestellt werden. Dies erklärt auch, warum Panurge selbst die Position eines Erzählers einnimmt, deutlich wird dies nicht zuletzt an dem umfangreichen Lob der Leiher und Schuldner (»louange des presteurs et debteurs«33), dass sich als dilatatio des Erzählens

28 Ebd., S. 333. 29 F. Rigolot (Vraisemblance et Narrativité) geht von Alcofribas aus. 30 Vgl. F. Rigolot: Vraisemblance et Narrativité, S. 61-62. 31 F. Rabelais: Œuvres, S. 277. 32 Ebd., S. 357. Auf diese Parallele verweist auch A.C. Keller (Telling of Tales, S. 59). 33 F. Rabelais: Œuvres, S. 343.

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über zwei Kapitel erstreckt. Panurge wird nach dem Erhalt des Schlosses Salmiguondin, wie auch schon in früheren Szenen, selbst zum Erzähler, da er seine Ausreden in ein literarisches Lob verwandelt. Für Panurge gilt, was Fritz Breithaupt mittlerweile über die Ausrede als Movens des Erzählens konstatiert. Es handelt sich bei dem Lob des Schuldners um eine »Kontextmanipulation«34, da der Getadelte sein Vergehen eingesteht, aber seine Schuld durch die angeführten Exempel aus der Antike leugnet. Panurges Funktion beschränkt sich aber nicht nur darauf, ein Ich-Erzähler bei Rabelais zu sein, er wird im »Pantagruel« zu einem Lebensspender: »Adonc noctoya tresbien de beau vin blanc le col, et puis la teste: et y synapiza de pouldre de diamerdis qu’il portoit tousjours en une de ses fasques, aprés les oignit de je ne sçay quel oingnement: et les afusta justement veine contre veine, nerf contre nerf, spondyle contre spondyle, affin qu’il ne feust tortycolly (car telles gens il haissoit de mort). Ce faict luy fist alentour quinze ou seize poincts de agueille, affin qu’elle ne tumbast de rechief: puis mist à l’entour un peu d’un unguent, qu’il appelloit resuscitatif. Soubdain Epistemon commença respirer, puis ouvrir les yeulx, puis baisler, puis esternuer, puis fist un gros pet de mesnage.«35

Panurge verbindet nicht nur disparate Handlungsstränge zu einer Erzählung, was man im Französischen mit »ajouter« (›aneinanderreihen‹) bezeichnen kann, sondern er kann Épistémon, dem die Kehle durchtrennt wurde, den Kopf wieder richtig annähen (»afusta [sic!] iustement«). Dank einer Auferweckungssalbe (»resuscitatif«) beginnen nun Épistémons Körperfunktionen wieder zu arbeiten, die anhand der Reaktionen der Körperöffnungen deutlich werden: Augen, Mund, Nase, After. Panurge ist in der Lage, parallel zum realen Autor, den Figuren wieder Leben einzuhauchen. Ob schließlich eine Figur wie Loupgarou, dessen Tod im 29. Kapitel des »Pantagruel« ähnlich Oliviers Sterben in der »Chanson de Roland« geschildert wird – blutüberströmt schlägt er wild um sich –, tot bleibt, oder ob sie, wie im Fall Épistémons, neues Leben erhält, bleibt auf dem Papier lediglich dem Autor überlassen. Die Wertung der Figur Panurges in der Handlung ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, Abraham C. Kellers Einschätzung »[i]t is into him [Panurge – R.F.S.] that Rabelais has put his whole self«36 verkennt, dass auch andere Ich-Erzähler in der Pentalogie auftreten. Rouben C. Cholakian kommt zu einem differenzierteren Ergebnis, wenn es um die Rolle des Erzählers oder der Erzähler bei Rabelais geht. 34 F. Breithaupt: Kultur der Ausrede, S. 127. 35 F. Rabelais: Œuvres, S. 321-322. 36 A.C. Keller: Tellling of Tales, S. 60.

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Cholakian geht zwar wieder nur von einem Ich-Erzähler, Alcofribas Nasier, aus, erkennt aber die Differenz, die zwischen Autor und Erzähler steht, da die Handlung in einer fernen Vergangenheit spielt. Das heißt, dass Rabelais nicht Ich-Erzähler und handelnde Figur in einem sein kann; des Weiteren hat Alcofribas eine »autonomous reality of his own«, weshalb der Ich-Erzähler als Chronist zwischen erster und dritter Person changieren kann.37 Cholakian konstatiert für Alcofribas, dass der Erzähler »creator and creation«38 ist, was aber ebenso auf Panurge zutreffen sollte. Er kommt dann zu der Erkenntnis: »In Pantagruel, the chronicler simply re-creates the universe. In Gargantua he creates it anew«39. Cholakian geht davon aus, dass der als handelnde Figur auftretende Ich-Erzähler die Welt im »Pantagruel« nur nachahmt, im »Gargantua« werde er dagegen zum Wort-Magier, der eine neue Welt schafft, in der er selbst nur unsichtbar ist.40 Für die gesamte Pentalogie nimmt Cholakian vier Ebenen des Erzählens an: (1) Der Erzähler, der die Grundlage des Erzählens, den Rahmen, schafft und in der ersten Person spricht; (2) Der Erzähler in der dritten Person, der die Handlung beschreibt; (3) Die handelnden Figuren, welche zu Erzählern werden, die einzelne Geschichten verbinden; (4) Der Sonderfall, dass Figuren in Erzählungen der erzählenden handelnden Figuren zu Erzählern werden.41 Dieses Modell, das begrüßenswerterweise die Erzählebenen ohne eine anachronistische narratologische Theorie zu benutzen beschreibt, berücksichtigt jedoch nicht den hier thematisierten multiplen Ich-Erzähler, dessen Surrogate augenscheinlich souverän agieren. Wenn der Prolog des »Gargantua« aus zwei Ich-Erzählern, die dialogisch ihre konträren Intentionen vortragen, besteht, wird er – im Gedankenspiel, das Erzähler 2 als Ableitung des Erzählers 1 betrachtet – automatisch zum Monolog. Die dialogische Struktur wird ebenfalls in einen Monolog überführt, wenn Alcofribas und Pantagruel oder der Ich-Erzähler und Panurge identisch sind. Alle Figuren und alle Ich-Erzähler lassen sich auf eine Person zurückführen, einen Ich-Erzähler, der die Welt nach seinem eigenen Gutdünken schafft. Dieses Gedankenspiel führt wieder zur Kritik des Sokrates an Homer. Diese Konstellation zeigt aber nicht auf, und dies ist das Neue, dass Dichtung lügenhaft sei, sondern verweist auf den omnipotenten Schöpfer-Autor, der souverän, da er seinen Ich-Erzähler in mehrere Figuren aufteilt, mit seinem Stoff und den Perspektiven auf ihn umgehen kann. Ermöglicht wird dies auch durch die Idee des Fortschritts, die es im Bereich der

37 Vgl. R.C. Cholakian: Moi, S. 3, Zitat: ebd. 38 Ebd., S. 7. 39 Ebd., S. 14. Hervorhebungen im Original. 40 Vgl. ebd., S. 14. 41 Vgl. ebd., S. 48-49.

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Literatur erlaubt, die auktoriale Erzählperspektive zu verlassen und mehrere Positionen zuzulassen. Das komplexe Spiel um die Identität des Ich-Erzählers führt auf Seiten der Lesenden zur Erfahrung des Neuen: Der wissenschaftliche und kulturelle Fortschritt, konterkariert mit obsoleten Denkmodellen wie der Scholastik, reflektiert sich in den vielfältigen Ich-Erzählern, die letztendlich auf den Ich-Erzähler Rabelais und somit den Autor verweisen. Da es bis in die Neuzeit keine Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler gibt und in der Pentalogie der IchErzähler ebenfalls als Autor tituliert wird, führen die sich widersprechenden Intentionen der Ich-Erzähler zur Verwirrung der Rezipienten. Neu ist an dieser Konzeption, dass nichts mehr zuverlässig ist. Der Autor kann viele Masken annehmen und auf dem Papier das Unmögliche möglich machen, wie an dem Fall der Wiedererweckung des Épistémon zu sehen ist.

3.2 D IE K ONSTRUKTION

FIKTIVER

W ELTEN

Der Fortschritt wird bei Rabelais primär im Medium der Sprache greifbar. Die Sprache beschreibt Räume und gibt so eine neue Perspektive auf sie. Als Pantagruel einen Limousiner trifft, schildert der ihm seinen Aufenthalt in Paris in einem latinisierten Französisch: »Nous transfretons la Sequane au dilucule, et crepuscule, nous deambulons par les compites et quadriviers de l’urbe, nous despumons la verbocination Latiale et comme verisimiles amorabonds captons la benevolence de l’omnijuge omniforme et omnigene sexe féminin, certaines diecules nous invisons les lunapares, et en ecstase Venereique inculcons nos veretres es penitissimes recesses des pudendes de ces meritricules amicabilissimes, puis cauponizons es tabernes meritoires, de la pomme de pin, du castel, de la Magdaleine et de la Mulle, belles spatules vervecines perforaminées de petrosil.«42

Die pseudowissenschaftliche Beschreibung der Bordelle, an sich schon Heterotopien, lässt den Bericht zu einer lehrbuchartigen Beschreibung eines fernen Ortes werden, die für Pantagruel unverständlich bleibt. Der Blick auf die Stadt Paris, der sich nur auf einen Bereich konzentriert, wird somit zu einem sprachlichen Konstrukt. Der Einsatz verschiedener Stile der Beschreibung und unterschiedliche Akzentsetzungen geben neue Perspektiven auf altbekannte Themen. Die Welt, wie sie hier beschrieben wird, ist nur zu einem Teil ein mundus perversus oder wie es Keller formuliert: »It is a land of make-believe, a topsy-turvy land, where the

42 F. Rabelais: Œuvres, S. 232-233.

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sense of adventure and excitement is heightened by the knowledge that not everything is make-believe, that only certain things are topsy-turvy.«43 Die reale Stadt Paris wird hier von einem bestimmten Standpunkt mit einer sophistischen Sprache beschrieben, sodass ein neuer Ort zu entstehen scheint. Nicht nur sprachliche Stile und Fachsprachen, die zur Beschreibung genutzt werden, sondern auch die Anlehnung an bestimmte narrative Muster lassen die Welt in »Gargantua« und »Pantagruel« in einem neuen Licht erscheinen. Wie Arthur Tilley nachgewiesen hat, kannte Rabelais die erste umfangreiche Anthologie der Amerikaberichte: »Paesi novamente retrovati e Novo Mondo da Alberico Vesputio Florentino intitulato«. Dieser entnimmt er die Anspielungen auf die Neue Welt.44 Tilley beschränkt sich aber auf eine bloße Quellenstudie. Deutlich wird vor diesem Hintergrund, dass Rabelais bewusst seine Handlung und die Reisen der drei letzten Bücher auch auf der Grundlage der Entdeckungsberichte der Neuen Welt angelegt hat. Die neuen Welten, die er in der Pentalogie entstehen lässt, sind aber kein einfacher Reflex der realen historischen Entdeckungen. Dafür legitimieren die geographischen Entdeckungen die fiktiven Welten in der Literatur, da auch sie vor ihrer Entdeckung durch die Europäer nicht vorstellbar waren. Präsentiert wird dieses neue Konzept auf einer Metaebene der Handlung. Rabelais’ Ich-Erzähler berichtet von der Welt im Mund des Riesen, was insbesondere im »Pantagruel« ersichtlich wird, wo weitere Figuren auftreten, die fiktive Räume vor Augen führen. Panurge ist einer dieser interessanten Ich-Erzähler, die in der Metafiktion das Entstehen und die Wahrnehmung fiktiver Welten aufzeigen.45 Die einzelnen Figuren reflektieren nicht nur ihre Umwelt, sondern schaffen auch alternative Konzepte zur erzählten Welt, deren Beständigkeit jedoch fragil ist. Nicholas Spadaccini weist für Cervantesʼ »Don Quijote« ähnliches nach, wie es auch als Ausgangspunkt für Rabelais’ Pentalogie gesehen werden kann – direkte Parallelen zwischen beiden Werken können aber nicht gezogen werden. Er resümiert die bisher erschienene Fachliteratur: »It has been shown convincingly, I believe, that Cervantes’s novelistic universe highlights the problem of language and communication, registering the cleavage between words and things and focusing attention on the relation between world and self«46.

43 A.C. Keller: Telling of Tales, S. 51. 44 Vgl. A. Tilley: Rabelais and Geographical Discovery, S. 323. 45 P. Waughs (Metafiction) Theorie der Metafiktion hat bisher noch zu wenig Beachtung bei der Analyse älterer Werke gefunden. Gerade in Zeiten, in denen sich eine Literaturtheorie für weltliche fiktionale Werke noch nicht herausgebildet hat, findet der Diskurs um Fiktion in erster Linie in fiktionaler Literatur selbst statt. 46 N. Spadaccini: Cervantes and the Question, o.S.

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Spadaccini führt weiterhin, auf Patricia Waugh Rekurs nehmend, aus, dass Cervantes in seiner Metafiktion die verschiedenen »Diskurse über die Welt« thematisiert.47 Dass die Konstruktion fiktiver Räume Anlass zum Erzählen geben kann, zeigt sich bei Rabelais anhand von Panurges Befestigungsplänen für die Stadt Paris. Die imaginäre organische Mauer spiegelt das Innenleben des Stadtkörpers wieder, die Unmoral äußert sich in einem Bollwerk der Wollust. Hier wird auf die Vorstellung der organischen Stadt angespielt, deren Grundriss in der Renaissance auf dem menschlichen Körper beruhen kann.48 Versteht man dieses Denkmodell wortwörtlich und benutzt, wie Panurge, Geschlechtsteile, dann ergeben sich neue Probleme: Um die Fliegen abzuwehren, benötigt man Fuchsschwänze. Die Begründung dafür liefert er, indem er eine obszöne Fabel erzählt, die er der Sammlung eines Fraters Lubinus entnommen haben will.49 Panurges Erfindung, die nur in der Imagination existieren kann, führt in der Präsentation für Pantagruel dazu, dass der Erfinder zum Erzähler wird. Die konstruierten Heterotopien leben von einem Spiel um die Distanz. Mal erscheinen sie zum Greifen nah und entpuppen sich dann als bloße Gedankenspielereien, wie das Beispiel von Panurges Befestigungsanlagen zeigt. Dies macht auch plausibel, weshalb die Entdeckung Amerikas, die Überbrückung einer vorher nicht gekannten Distanz, eine große Rolle im Werk Rabelais’ spielt. Ludwig Schrader sieht in der Entdeckung der Neuen Welt mit dem neu aufgekommenen Verhältnis von Distanz und Nähe das Neue des Rabelaisʼschen Erzählens: »Das Neue scheint zu sein, daß mit geographischen Dimensionen bewußt und durchschaubar gespielt wird, und dies ist gewiß als eine Reaktion auf die Erweiterung der realen Welt durch die Entdeckungen auffaßbar: die schlicht märchenhafte Fiktion war durch die Berichte der Eroberer überholt worden.«50 Das Faszinierende an diesen neuen fiktiven Welten ist, laut Schrader, die Verfremdung von »Ferne und Nähe«51. Die Normalität, die in der Welt in Pantagruels

47 Ebd., vgl. P. Waugh: What is Metafiction, S. 41. 48 Die Hauptvertreter dieser These, dass die Stadt ein organisches Gebilde, gleich dem Menschen, ist, sind Antonio Averlini Filarete (»Trattato di architettura«, 1461/1464) und Francesco di Giorgio Martini (»Trattato di architettura«, um 1470). Filarete »treibt die bei Alberti angelegte Analogie weiter, indem er Gebäuden eine Existenz wie Menschen, die leben, erkranken, sterben, zubilligt.« Vgl. B. Roeck: Urbanistische Konzepte, S. 25-26, Zitat: S. 25. 49 Vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 269. 50 L. Schrader: Frühformen, S. 210. 51 Ebd., S. 208.

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Mund herrscht, verfremdet diese Relation.52 Aufgrund der bisherigen Analyse erweist sich die These von Schrader als zu eingeschränkt, da sie nur einen Aspekt des vielschichtigen Themas aufzeigt. Die großen Veränderungen seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts wurden in erster Linie von einer gebildeten Schicht rezipiert und in neue Kontexte eingebettet. Es beginnt ein literarisches Spiel um Wahrheit, Fiktion, alt und neu, das schnell in Ernst umschlagen kann. Ausgehend von der spielerischen Ebene tangiert das Thema nun auch die Legitimation des Autors. Die wichtigsten literarischen Motive und Gattungen, die nicht nur bei Rabelais für die literarischen Verarbeitungen der neu entdeckten Welten herangezogen werden, sind die Utopie, das Schlaraffenlandmotiv und die Topographie der Bibel.53 Das Besondere dieser neuen Räume in der Literatur, die sich auf die NichtLokalisierbarkeit einer Utopie berufen und das Schlaraffenlandmotiv mit Elementen der Reisebeschreibung aus der neuen Welt verbinden, ist auch ihre Isolation, die sie nicht zuletzt zu Heterotopien werden lässt. Der abgeschlossene, schwer erreichbare Raum bietet die Möglichkeit für den Autor, diesen komplett nach seinen Vorstellungen zu schaffen, dabei müssen die Orte der fiktiven Welt keine Idealstädte mit idealen Regierungen sein, sondern können in vollkommener Freiheit geschaffen werden. Rabelais zeigt eine ganze Reihe solcher abgeschlossener – wenn auch auf den ersten Blick offener – Räume auf einer Metaebene: Sie entstehen in der fiktionalen Welt und sind dementsprechend auch sehr zerbrechlich, was nicht zuletzt mit der Sprache Rabelaisʼ zusammenhängt oder wie Floyd Gray es treffend formuliert hat: »Now one of the most obvious things about Rabelais’s world is the instability of its words. He does not attempt to arrest their meaning, to circumscribe their use, to regulate their flow or formation. He allows them to grow, change, expand, and out of this verbal chaos a new world [of contradiction – R.F.S.]«54.

Dieses ›verbale Chaos einer neuen Welt der Widersprüche‹ und ihrer Räume ist deshalb auch stetigem Wandel unterworfen. Rabelais zeigt die Transformierbarkeit fiktiver Welten zum Beispiel anhand der Abtei von Thélème, in der »Welt im Mund von Pantagruel« oder der »Welt im Bart von Panurge«.

52 Vgl. ebd., S. 208. 53 Gerade utopische Stadtentwürfe lehnen sich im 16. Jahrhundert in Planung und Architektur an biblische Vorbilder an, vgl. A. Comi: Glanz und Elend, S. 177-179. 54 F. Gray: Ambiguity and Point of View, S. 15.

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Thélème gibt sich schon geographisch als Heterotopie. Die Abtei ist ein abgeschlossener Komplex, allerdings ohne Mauern, der nur bestimmten Personen zugänglich ist. Lokalisiert wird sie zwei Meilen vom Wald von Port Huault, südlich der Loire.55 Genau bestimmen lässt sich der Ort also nicht, obwohl er Berührungspunkte mit realen geographischen Bezeichnungen hat. Was das Gebäude selbst betrifft, liegen hier vielfältige Anspielungen an das Alte Testament, an die »Hypnerotomachia Polyphilii« und wahrscheinlich auch an Thomas Morus’ »Utopia« vor. Die Abtei von Thélème ist nicht durch eine Mauer geschützt, dennoch wird nicht jeder aufgenommen, es gibt also Vorschriften, obwohl jeder das tun kann, was er möchte. Durch diese Gegensätze wird das Wesen des Ordens inkonstant, offensichtlich ist das Fehlen einer Mauer kein Indiz für die Offenheit der Abtei. Diese Tatsache würde der fehlenden Mauer einen verborgenen Sinn unterstellen, wie auch die Anlehnung der Architektur der Abtei an biblische Muster. Der Sinn bleibt aber leer, wie auch die Allegorie, die man dem Rabelais’schen Text nicht mehr unterlegen kann. Das Gebilde bleibt genauso defizitär wie auch das verstümmelte Augustinus-Zitat »Dilige, et quod vis fac«56 als Motto. Es ist ein rein imaginärer Raum, dem man in der Interpretation alles unterstellen kann. Nicht eindeutig als ein auf einer Utopie basierender Ort zu lesen ist hingegen die Welt in Pantagruels Mund. Wenig ist den Ausführungen Auerbachs zur »Welt in Pantagruels Mund« hinzuzufügen. Die Anspielungen an Lukian, an das Schlaraffenland und an Utopia sind hinlänglich dargelegt worden.57 Dass Amerika eine Rolle in dem Abschnitt spielt, ist auch Auerbach nicht entgangen,58 allerdings handelt es sich nicht nur um eine geschickte »Stilmischung«59, wie Auerbach konjiziert. Aufgrund des bisher Festgestellten ist vielmehr davon auszugehen, dass Rabelais sich sehr wohl bewusst war, an welchen literarischen Formen und Inhalten er sich orientiert. Er arbeitet hier das Konzept seiner Heterotopie heraus, indem er auf mögliche Interpretationen, wie zum Beispiel das Schlaraffenlandmotiv, anspielt. Interessant ist jedoch, dass Rabelais auch eine Utopie in den Körper Pantagruels einfügt, die eine Schlaraffenlandschilderung bringt. Nachdem der Ich-Erzähler Alcofribas die Welt des Mundes verlassen hat, gelangt er in der Nähe des Ohrs zu einem nicht lokalisierbaren Ort: »[P]uis trouvay une petite bourgade à la devallée, j’ay oublié son nom, où je feiz encore meilleure chere que jamais, et gaignay quelque peu d’argent pour vivre. Sçavez vous comment? à dormir«60. 55 Vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 137. 56 Vgl. M. Stolz: Weltinnenräume, S. 438. 57 Vgl. E. Auerbach: Mimesis, S. 254, 256 u. 257. 58 Vgl. ebd., S. 256-257. 59 Ebd., S. 258. 60 F. Rabelais: Œuvres, S. 332.

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Den Namen des kleinen Ortes hat der Ich-Erzähler einfach vergessen, aber er führte in dem utopischen Ort ein wunderbares Leben, da er mit Schlafen sein Geld verdiente. Die Rahmenbedingungen erscheinen wie eine Persiflage auf den Brief des Pierre Gilles bei Morus, nur hier war es nicht das Husten, das die genauen Koordinaten verschleierte, sondern, so könnte man mutmaßen, der Erzähler hat die genaue Lage des Ortes einfach ›verschlafen‹. »Rabelais [hat] die Welt im Munde ganz nach seiner eigenen Weise geformt«61, obwohl man hier eher von ›Welten‹ sprechen sollte. Wie geschickt dieses Spiel mit den fiktiven Welten, die einmal neu oder ein anderes Mal fremdartig sind, getrieben wird, zeigt sich in der Terminologie in diesem Kapitel. Sammelt man die Bezeichnungen für die angeführten Welten, ergibt sich ein buntes Geflecht, das zwischen neu, alt und fremd oszilliert: »nouveau monde«, »terre neufve«, »[monde] ancien«, »aultre monde«, »les plus beaulx lieux du monde«, »la moytié du monde [ne sçait comment l’aultre vit]«.62 Für die Bewohner des Mundes ist die Welt ›da draußen‹ eine neue Welt, umgekehrt verhält es sich aus der Sicht des Ich-Erzählers genauso, die eigene Welt erscheint als die ›alte‹, einen Unterschied zwischen der Welt im Mund und der Welt außerhalb gibt es nicht, sodass es auf die Perspektive des Betrachters ankommt. Der Junge, der in der Welt des Mundes Tauben fängt, gibt zur Antwort, dass die Vögel aus der ›anderen Welt‹ kommen. Auch hier bleibt es dem Betrachter überlassen, ob die Welt vor den Zähnen neu, fremd (andersartig) oder alt ist. Schließlich bringt der Erzähler das Sprichwort, dass die eine Hälfte der Welt nicht wisse, was die andere mache, und spielt damit auf die Entdeckung der Neuen Welt an. Würde man dem Spiel in der Fiktion zwischen fiktiver Welt im Mund und außerhalb folgen, hieße das, die Neue Welt wäre nicht viel anders als Europa. Durch den schnellen Perspektivwechsel und die verschiedenen Orte, die im Endeffekt eine Körperlandschaft bilden, welche permanenten Veränderungen unterworfen ist, entstehen fragile Welten, die jeden Moment einen anderen Aspekt offenbaren. Deutlich wird dies auch wieder an den Distanzverhältnissen: Der Ich-Erzähler spaziert gut zwei Meilen auf der Zunge Pantagruels (»bien deux lieues sus sa langue«), die Mundhöhle vergleicht er mit dem Inneren der Hagia Sophia (»Je y cheminoys comme l’on faict en Sophie à Constantinoble«), schließlich erfährt Alcofribas, dass die sich im Mund befindenden Städte genauso groß wie Rouen und Nantes seien (»Laryngues et Pharingues, qui sont deux grosses villes telles que Rouen et Nantes, riches et bien marchandes«).63 Aufgrund der sich widersprechenden Größenverhältnisse sind weder die Ausmaße der Mundhöhle, noch die Länge der Zunge zu berechnen. 61 E. Auerbach: Mimesis, S. 254. 62 Zitate: F. Rabelais: Œuvres, S. 331-332. 63 Zitate: ebd., S. 331.

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Wäre die Mundhöhle tatsächlich vergleichbar mit der Hagia Sophia, könnten zwei große Handelsstädte keinen Platz in ihr finden. Es handelt sich vielmehr um perspektivische Wechsel, die den heterotopischen Charakter der »Welt im Mund Pantagruels« unterstützen. Verbale Übertreibungen und das Vexierspiel um das Alter dieser Welt lassen diesen Kosmos weder zeitlich noch räumlich bestimmbar machen. Die Welt in Pantagruels Mund ist eine lexikalische Landschaft, wie es Tom Conley akzentuiert, das Andere wird auf den bekannten, vertrauten Kosmos appliziert: »The book [i.e. Pantagruel – R.F.S.] seeks to recover a way of encountering and cultivating others in familiar and uncommon places.«64 Das Oszillieren zwischen dem Fremden und Vertrauten, die Unsicherheiten um alt und neu, schaffen nicht nur eine Landkarte der Alterität, wie es Conley sehen will, sondern bilden eine Karte des Neuen ab, welche nicht mehr mit der Vernunft fassbar ist. Noch komplexer werden diese latenten sprachlichen Welten, wenn es um den Bart des Panurge im »Tiers Livre« geht. Bruder Jean sieht in dem graumelierten Bart eine Weltkarte: »Desjà voy je ton poil grisonner en teste. Ta barbe par les distinctions du gris, du blanc, du tanné, et du noir me semble une Mappemonde. Reguarde icy. Voy là Asie. Icy sont Tigris et Euphrates. Voy là Afrique. Icy est la montaigne de la Lune. Voydz tu les paluz du Nil? Deçà est Europe. Voydz tu Theleme? Ce touppet icy tout blanc, sont les mons Hyperborées.«65

Frank Lestringant hat nachgewiesen, dass Rabelais offensichtlich die von Peter Apian angestellte Analogie zwischen einem bärtigen Kopf und dem Globus kannte.66 Das Herauslesen der Weltkarte aus dem Bart ist, laut Lestringant, als eine Parodie auf das Verhältnis von Mikrokosmos zu Makrokosmos zu lesen. Da der Bart keine Tiefen und Verstecke aufweisen kann wie etwa die Welt in Pantagruels Mund, bleibt dieses Verhältnis ein oberflächliches.67 Die Weltkarte im Bart ist insofern erstaunlich, als sie nicht die Neue Welt darstellt, dafür aber die Utopie von Thélème. In der Literatur ist das Neue das Konstrukt eines Autors, nicht das reale Neue steht im Mittelpunkt. Anhand dieser konstruierten Welten wird deutlich, dass es sich weder um Utopien oder Dystopien, noch um reine scherzhafte Gebilde handeln kann. Die Welten entsprechen auch nicht mehr einer gedanklichen Realisierung von Vorstellungen aus dem neoplatonischen Ideenhimmel. Die Utopien eines Anton Francesco 64 Vgl. T. Conley: Errant Eye, S. 33, Zitat: S. 51. 65 F. Rabelais: Œuvres, S. 438. 66 Vgl. F. Lestringant: Welt im Bart, S. 5. 67 Vgl. ebd., S. 14-15.

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Doni in seinen »Mondi« oder eines Francesco Colonna in der »Hypnerotomachia Poliphilii« bieten ihrem Publikum immerhin ein solches neoplatonisches Konzept an, welches bei Rabelais, der aus ähnlichen Quellen schöpft, keine seriöse Rolle mehr spielt. Die Abtei von Thélème, Gegenstand unzähliger Diskussionen in der Forschung, erweist sich nicht als Utopie und auch nicht als Scherz. Sie ist eine Heterotopie, deren Bestimmung es ist, einen von einem Autor geschaffenen Raum den Lesenden zu präsentieren. Die Abtei bleibt ein Gebäude ohne tieferen Sinn, ein Konstrukt an sich, welches so erstaunlich scheint, dass es in den darauffolgenden Jahrhunderten mehrere Rekonstruktionsversuche auf dem Papier gibt. Das Rätsel am Ende des »Gargantua« offenbart diesen Charakter: Die Bronzetafel im Fundament enthält, folgt man der Auslegung Bruder Jeans, nur eine Beschreibung des Ballspiels »soubz obscures parolles«68 – nicht eine höhere Aussage, Glaubensdinge betreffend, wie es Gargantua konjiziert. Mit dieser Einschätzung endet der »Gargantua« und knüpft wieder an den Anfang und der Frage nach der adäquaten Interpretation des Werks an. Die zwei Standpunkte, welche die Interpretation der Inschrift ambivalent erscheinen lassen, die multiplen Perspektiven auf die Abtei von Thélème, die für alle offen sei und dennoch Personen ausschließt, sowie die vielen späteren Interpretationen rücken das Bauwerk an sich, in seinem ästhetischen Zweck, Ausdruck eines schaffenden Autors zu sein, ins Zentrum. Dagegen ist Panurges Mauer aus Geschlechtsteilen auf den ersten Blick ein Witz, der, wenn er wörtlich genommen wird, Probleme aufwirft. Legitimiert wird dieses Fragment, es wird immerhin nur über die Befestigung der Stadt spekuliert, wiederum durch einen fiktiven Text. Die Figur ist nicht in der Lage, einen vollständigen Idealort zu schaffen, dies ist auch gar nicht die Intention. Das Innere, das unmoralische Verhalten der Bürger, wird nach außen gekehrt, die Außenfläche enthält schon die Informationen, sodass eine Begehung des imaginären Raumes Paris überflüssig wird. Übertragen deutet dies darauf hin, dass der Raum lediglich einen Literalsinn hat, die Oberfläche muss nicht mehr durchbrochen werden, um an eine »substantifique mouelle« zu gelangen. Ohne einen allegorischen Sinn muss auch eine Idealstadt nicht mehr bis in ihr Zentrum hinein konstruiert werden, das Verharren an der Außenmauer genügt. Schließlich Pantagruels Mund, in ihm befindet sich die bekannte alte Welt an ungewöhnlichem Ort. Der Erzähler behauptet, diese Welt sei neu, wird aber von den sie bewohnenden Figuren eines Besseren belehrt. Die Lesenden werden verunsichert, ist der Erzähler Alcofribas dieses Mal verlässlich oder ist es die fiktive Figur des Bauern, die sich in der alten Welt wähnt? – Eine Antwort bleibt aus. Dafür werden die Leserinnen und Leser gesteuert, sie hinterfragen nicht mehr die 68 F. Rabelais: Œuvres, S. 164.

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Fiktionalität der erzählten Welt, sondern müssen sich nun mit dem Problem, ob die Welt außerhalb des Mundes oder in der Mundhöhle neu oder fremdartig ist, auseinandersetzen. Die Verlagerung des Fiktionalitätsdiskurses hin zur Frage nach alt und neu zeigt wiederum die Tragfähigkeit der vom Autor geschaffenen Fiktion auf. Der Rezipient muss im Prozess des Lesens die fiktive Welt als wahr annehmen, selbst Brüche durch Erzählerkommentare stören diese Imagination nicht, da neue Fragen aufgeworfen werden, welche von einer kritischen Sicht auf die geschaffenen Räume ablenken.69 Gerade die Brüche, die durch die vorliegende Dialogstruktur entstehen, lassen die Erzählerfiguren zu unzuverlässigen Erzählern werden. Aussagen über den Sinngehalt von Räumen, Gebäuden und Artefakten werden hinterfragt. Dies verweist wiederum auf den Autor, der diese fiktiven Welten mit ihren Metafiktionen geschaffen hat, indem er den Plan der Handlung anlegte. Der eigentliche Schöpfer fiktiver Welten, welcher die Rezipierenden auf Irrwege führt, ist außerhalb des Textes zu suchen. Die Allegorese, als obsoletes Denkmodell eingeführt, wird ad absurdum geführt, es gilt das Terenz’sche quot homines tot sententiae. Da die konzipierten Räume so der Interpretation des Betrachters unterliegen, zeigen sie auch mit jeder Interpretation neue Facetten auf und weisen damit auf einen neuen, autonomen Umgang mit Literatur hin.

69 Dass diese Räume Fragen nach der Fiktionalität aufwerfen, zeigt sich schon bei Teofilo Folengo, der im letzten Kapitel seines »Baldo« einen Kürbis in die Unterwelt setzt, der größer als der Olymp sei. Ihn bewohnen Poeten, Spielleute und Astrologen, welche für jede ihrer Lügen Zähne gezogen bekommen. Hier siedelt Baldo auch sein Erzähler-Ich an: »Ergo sorellarum, o Grugna, suprema mearum, / si nescis, opus est hic me remanere poëtam: / non mihi conveniens minus est habitatio zucchae / quam qui Greghettum quendam praeponit Achillem / forzibus Hectoreis« (T. Folengo: Baldo II, S. 482, XXV, 642-646). Das Erzähler-Ich stellt sich aufgrund seiner ›Lügen‹ auf eine Ebene mit dem Dichter des Zweikampfes von Achill und Hektor (Homer). Der vom Autor erdichtete Riesenkürbis, in dem die Schuldigen sitzen, wird aber gar nicht mehr auf seinen Wahrheitsgehalt hin hinterfragt. Von dieser Art sind die Paradoxe, die auch Rabelais konstruiert.

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3.3 R IESENHAFTE AUSWACHSUNGEN ZWISCHEN F REMD UND N EU Am 28. Juli 1500 schreibt Amerigo Vespucci an Lorenzo di Perfrancesco de’ Medici, dass seine Mannschaft nach mehreren Entdeckungen und erfolgreichen Kämpfen gegen Indios eine Insel erreichte, die von Riesenfrauen bewohnt wird. Diese Frauen sind anderthalb Spannen (»una spanna e mezzo«) größer als die Europäer. Die vermeintliche Fürstin der Gruppe lädt die Reisenden auf ein Getränk ein: »E sanza dubio erano creature fuora della statura de li uomini comuni. E mentre stavamo in questa pratica, venono 36 uomini, ch’entronno nella casa dove stavamo bevando, ed erano di tanta alta statura che ciascuno di loro era più alto, stando ginocchioni, che io ritto. E in concrusione erano statura di giganti, secondo la loro grandeza, e la proporzione del corpo corispondeva colla grandeza; e ciascuna delle donne pareva una Pantasilea e li uomini Antei.«70

Gefragt nach ihren Zielen antworten die Europäer verschüchtert, dass sie friedliche Leute seien, welche die Welt sehen wollten (»gente di pace e che andavamo a vedere el mondo«71). Das eigentlich zu erwartende Neue ist wieder ein Altes, Antikes; die Riesinnen und Riesen werden schlichtweg mit einer Penthesilea oder einem Antaeus verglichen. Fremdes wird hier einfach kommensurabilisiert, indem es durch die Brille des Bekannten gesehen wird. Vespuccis Brief ist nur ein Beispiel einer langen Reihe von Amerikaberichten, die einen vergleichbaren Umgang mit dem Fremden und Neuen bringen. Rabelais lokalisiert seine fiktiven Geschöpfe ebenfalls zwischen fremd und neu, hervorstechend ist hierbei auch die Größe, welche nicht nur die Riesen betrifft, sondern auch Tiere, wie Gargantuas Stute: »En ceste mesmes saison Fayoles quart roy de Numidie envoya du pays de Africque à Grantgousier une jument la plus enorme et la plus grande que feut oncques veue, et la plus monstrueuse. Comme assez sçavez, que Africque aporte tousjours quelque chose de nouveau. Car elle estoit grande comme six Oriflans, et avoit les pieds fenduz en doigtz, comme le cheval de Jules Cesar, les aureilles ainsi pendentes, comme les chievres de Languegoth, et une petite corne au cul. Au reste avoit poil d’alezan toustade, entreillizé de grizes pommellettes. Mais sus tout avoit la queue horrible. Car elle estoit poy plus poy moins grosse

70 A. Vespucci: mondo nuovo, S. 66. 71 Ebd., S. 69.

82 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN comme la pile sainct Mars auprès de Langés: et ainsi quarrée, avecques les brancars ny plus ny moins ennicrochez, que sont les epicz au bled. Si de ce vous esmerveillez: esmerveillez vous dadvantaige de la queue des beliers de Scythie: que pesoit plus de trente livres, et des moutons de Surie, esquelz fault (si Tenaud dict vray) affuster une charrette au cul, pour la porter tant est elle longe et pesante. Vous ne l’avez pas telle vous aultres paillards de plat pays, Et fut amenée par mer en troys carracques et un brigantin jusques au port de Olone en Thalmondoys.«72

Eine detaillierte Analyse deckt auf, wie die Vermischung von Fremdem und Neuartigem in der Riesenstute kulminiert. Grandgousier erhält vom König von Numidien, der ein Europäer ist,73 die größte Stute, die je gesehen wurde. Dies ist ein gängiger Topos der Zeit und wenn die Leserinnen und Leser noch nicht informiert über die Tatsache sind, dass es sich um etwas Neues handelt, so werden sie durch die Plinius-Stelle belehrt: »Graeciae dictum semper aliquid novi Africam adferre«74. Das Tier ist so groß wie sechs Elefanten, hier in der ursprünglichen, orientalischen Form »oriflans«, und hat Hufe, die in Finger münden, wie das Pferd Caesars. Als Zugabe erhält das Kompositwesen Hängeohren wie Schafe aus dem »Languegoth« und ein kleines Horn am Gesäß. Der Schweif wird in seiner Größe mit einem antiken Turm, »la pile de Sainct Mars« bei Langeais, verglichen. Die Größe wird unterstrichen durch die drei genuesischen Schiffe und die Brigantine, welche das Riesenpferd ›über das Meer‹ brachten. Eingedenk dessen, dass Grandgousier in Utopia wohnt, ebenfalls ein Land, das Neues im Bereich der Dichtung generiert, erscheint die Tatsache, dass dorthin etwas Neues aus Afrika eingeschifft wird, interessant. Hier stellt sich wie in der Welt im Mund des Pantagruel indirekt die Frage, welches Land für die Lesenden nun als neu zu betrachten sein soll. Trotz der Größenverhältnisse sollen die Rezipierenden sich jedoch nicht verwundern, da Jean Thenaud in seiner »Voyage et itinéraire de oultre mer« ebenfalls von großen Tierschwänzen in Skythien und Syrien berichtet. Der Ich-Erzähler nutzt hier wieder die aus den Reiseberichten gewohnte Formel, dass es Vergleichbares gäbe. Das Negieren des Fremden und Neuen, beide hier nicht unterschieden, ist auffällig. Das Kompositwesen kann, rhetorisch beschrieben, zu einem ganz gewöhnlichen Tier werden. Der Erzähler treibt in diesem Fall wieder ein Vexierspiel mit den Leserinnen und Lesern, die irgendetwas Besonderes hinter der großen Stute vermuten. Oder wie es Wes Williams bezüglich des Physeters im »Quart Livre«

72 F. Rabelais: Œuvres, S. 46. 73 Bei der Anspielung handelt es sich vermutlich um den Afrikareisenden Jean de Fayolles. 74 Plinius: Natural History, Buch VIII, 17.

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konstatiert: »[Y]ou recognize the monster to be a poem, something made, a legend, something to be read; the moment of its appearance is less a chance event than an occasion.«75 Die Stute Gargantuas ist ein literarisches Konstrukt, wie auch die Welt, in der sie existiert. Kaum in seine einzelnen Bestandteile auflösbar ist dieses Wesen, da fremd und neu verbunden werden und schließlich das ganze Gebilde mit antiken Quellen und zeitgenössischen Reiseberichten legitimiert wird. In einem nächsten Schritt erhält das vom Dichter geschaffene Tier eine ätiologische Funktion: In der Nähe von Orléans gelangt die Reisegruppe um Gargantua in ein Waldstück, dort mäht die Stute mit ihrem mächtigen Schweif den ganzen Wald weg, der von Ungeziefer befallen ist. Die Freude Gargantuas äußert sich in dem Ausruf: »Je trouve beau ce«76, weshalb die Gegend nun Beauce heißt. Die Taten der fiktiven Wesen werden so geschickt mit der realen Topographie verbunden, dass Heterotopien entstehen, der Wald von Beauce wie der Turm von Saint-Mars sind reale topographische Angaben, der große Wald besteht aber trotz der Abholzung durch Gargantuas Stute. Nicht nur neu und fremd stehen sich in diesem Fall gegenüber, sondern auch real existent und fiktiv. Schließlich erfährt das Publikum nichts darüber, in welcher Zeit die Reisegruppe nach Paris gelangt. Der Weg führt über Orléans und müsste sich – nach modernen Karten gemessen – auf 300 Kilometer belaufen. In welcher Zeit die Riesenstute diese Strecke, zum Beispiel verglichen mit einem normalen Reitpferd, zurücklegt, erfährt man nicht, dafür nur den Hinweis, dass Gargantua sich ›zwei oder drei Tage‹ in Paris von der Reise erholen muss.77 Distanzen werden entweder nur anzitiert oder es finden sich widersprüchliche Angaben, die eine genaue Rekonstruktion unmöglich machen. Es scheint, als wären die Verhältnisse von groß und klein, nah und fern einem ständigen Wechsel unterworfen. Die Riesen bilden diesen Zustand in der Pentalogie ab und auch hier wird wieder die Vorstellung eines Riesengeschlechts in mehrfacher Weise mit der Idee des Fortschritts verknüpft. Im »Pantagruel« wird die Genealogie des Helden nachgezeichnet. Im später entstandenen »Gargantua«, wo eben jene Genealogie angekündigt wird, rückt diese Geschlechterfolge in die Nähe der biblischen Chronologie: Der Ich-Erzähler – »moy qui parle«78 – behauptet, dass »nous a esté réservée l’antiquité et genealogie de Gargantua, plus entiere que nulle aultre. Exceptez celle du messias, dont je ne parle, car il ne me appartient«79. Im »Pantagruel« zeigte der Erzähler aber, dass

75 W. Williams: Histories, S. 133. 76 F. Rabelais: Œuvres, S. 53. 77 Vgl. ebd., S. 53. 78 Ebd., S. 10. 79 Ebd., S. 10.

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er sehr wohl an der biblischen Geschichte Ergänzungen, wenn nicht sogar Änderungen, vornehmen konnte. Nach der langen Liste der biblischen, antiken und literarischen Vorfahren geht er auf den Riesen Hurtaly ein, der rittlings zu Zeiten der Sintflut auf der Arche saß und das Schiff damit rettete und ihm die richtige Richtung wies.80 Zugunsten der Fiktion wird ein apokrypher Text fingiert. Damit nicht genug, die Riesen der Ahnenlisten erweisen sich, gleich antiken Göttern und Heroen, als Erfinder. Eine lange Reihe Erfinder bizarrer und unterhaltsamer Gegenstände findet sich im »Pantagruel«: Eryx ist der Erfinder des Becherspiels, Gabbara der des Trinkspruchs, Gemmagog der des Fohlenfellschuhs, Morguan (Morgante) wird als Erster, der die Brille zum Würfelspiel aufsetzte, deklariert, Happemouche führte das Räuchern der Rindszungen ein und Galehault (Galahad) wird zum Erfinder der Flaschen.81 Neben den Riesen gibt es in der Welt Pantagruels noch Menschen, denen große Beine, große Nasen, große Ohren wuchsen, nur den Riesen wuchs aber auch der ganze Leib,82 was sie offensichtlich besonders von anderen Menschen unterscheiden soll. Die Riesen stellen eine nicht abbrechende Ahnenfolge dar, sie bringen nicht nur weitere Riesen hervor, sondern bereichern angeblich die Menschheit mit Erfindungen. Sie verkörpern das Renaissance-Prinzip des Wachstums. Dieses Wachstum bringt nicht nur hybride biblische, antike oder literarische Figuren hervor, es führt auch zu einer fiktiven Welt, die sich in ständigem Wachstum befindet. Es wäre müßig, alle Fälle, in denen in der Pentalogie logische Brüche durch die widersprüchliche Schilderung der Größe einer Figur oder eines Tieres entstehen, aufzulisten und der Erkenntnisgewinn, der daraus folgte, wäre gering. Es genügt, an die große Mundhöhle Pantagruels zu denken, der ganze Städte verschlucken kann, um im nächsten Moment mit dem Erzähler-Ich wieder auf Augenhöhe, im wahrsten Sinne des Wortes, zu sprechen.

80 Vgl. ebd., S. 221. 81 Vgl. ebd., S. 219-221. 82 Vgl. ebd., S. 219.

4. Michael Lindeners »Rastbüchlein« und »Katzipori«

4.1 N OVITÄTSDISKURS UND SCHWANKHAFTES E RZÄHLEN Schwankhafte Erzählungen haben im 16. Jahrhundert neben ihrer unterhaltenden auch eine ordnungsstiftende Funktion.1 In ihrem Postulat, Neues zu bringen, verbirgt sich schon die Intention, auf einer Metaebene das Neue zu diskutieren und zu bewerten. Stephan Braese weist, um nur ein Beispiel zu nennen, für Georg Wickrams »Von eim außgelauffnen münch, der mit der gschrifft überwunden ward« im »Rollwagenbüchlein« (1555) nach, wie der Medienwandel in Verbindung mit der Reformation die Form der alten Disputation verdrängt und hebt »den spektakulären Riss zwischen Träger und Sinn in der neuen Reproduktionstechnologie des Buchdrucks im Vergleich zur mittelalterlichen Manuskriptkultur«2 hervor, der sich auch in Wickrams Erzählung manifestiert. ›Neues‹ und ›Altes‹ vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Erfindungen werden in Schwanksammlungen immer wieder diskutiert, wobei das Neue häufig moralisch negativ bewertet wird, so auch bei Johannes Pauli. In »Schimpf und Ernst« findet sich unter anderem die Geschichte von Dädalos und Ikaros unter dem Aspekt der superbia,3 da der Sohn über seinen Vater – im wahrsten Sinne des Wortes – hinaus will. Interessanterweise wird hier das Erfinden angesprochen und mit der Verurteilung der »nüwe[n] find«4 perhorresziert. Neben der kritischen Einstellung zum Neuen, 1

Vgl. W. Röcke: Aggression und Disziplin, und R.F. Schulz: Übersetzbarkeit, S. 45-46.

2

S. Braese: gschrifft, S. 43.

3

Ausgangspunkt für die superbia ist hier wohl die curiositas, was an Bernardus Claraevallensis (Opera Omnia, Sp. 957) Lehre im »Tractatus de gradibus humilitatis et superbiae« erinnern lässt: »Primus itaque superbiae gradus est curiositas«.

4

F. Bobertag: Vierhundert Schwänke, S. 116.

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in Form von neuen Lehren, neuen Erfindungen und neuen Nachrichten, die bis zur Ablehnungshaltung führen kann, spielt das Unerwartete, gerade in Bezug auf offensichtliche Belanglosigkeiten, eine wichtige Rolle. Michael Lindener gibt in seinen »Katzipori« (1558) ein solches Beispiel in »Ein böszlein von einer grossen Lachen / die einer spann lang / brayt vnd groß / von Biderleüten geschetzet war«. Mit den aus der komischen Literatur bekannten stilistischen Mitteln wie der Enumeration von Attributen und dem Spiel um die – gar nicht relevante – Identität des Protagonisten wird das breite Lachen eines Ungenannten eingeleitet: »ES war ein vberauß trefflicher / gelerter / erfarner / kunst vnd sinnreicher / gewanderter / verschmitzer Gesell / mit nammen Ich kenne jn wol / waiß auch zů allem warzeichen wie er heißt / doch vngenännt / das er nit offenbar wirt / vnd verborgen bleibe / biß er schreiet Kuckkuck.«5 Unerwartet nun die Wende, dass besagte Person gar nicht mit dem zu erwartenden Lachen begabt ist. Es ist ein weiterer Ungenannter »vnter den gůten schluckern«: »War aber einer vnter den gůten schluckern / der het ein sonderliche arth / wann er grinsen auff Polnisch lachen wolt / vnd lachte nach der Tabelthur / wie man auff der Leyren oder Rummelscheit schlegt / vnd sonderlich in dem Künigreich Döringen / das in Welschlandt ligt / vnd nam jm schier ein zůlauff / damit jm der athem nit entfür / dann er het ein treflich groß weyt Maul / fünf Elen lang / syben weyt / vnd neün brayt / das möcht mir ein gůte gossche oder plerpe sein / die einer Fůrmanns tasche nit vbel anstünde«6.

Das Lachen eines Einzelnen wird thematisiert, die Topographie der sogenannten Lügendichtung wird eingeführt und schließlich findet sich das Spiel mit Größenverhältnissen und Analogien. Der Mund des Lachenden sei sieben Ellen lang und fünf breit, eine Messung, die auf einen Riesen hindeutet. Im Weiteren wird kurz erklärt, warum dieses Lachen schließlich verstummt. Hier wird nicht über eine Figur gelacht, oder mit ihr, sondern die Leserinnen und Leser, deren Erwartungen enttäuscht werden, werden förmlich ausgelacht. Die wenigen modernen Studien zu Lindener behandeln diesen wichtigen Aspekt nur sehr peripher. Albrecht Classen, der den Lindener’schen Schwanksammlungen zwar eine »faszinierende Erzählstruktur«7 attestiert, bindet die beiden Werke trotzdem wieder in die zeitgenössische Komik ein, wenn er feststellt,

5

M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 155.

6

Ebd., S. 155.

7

A. Classen: Schwankliteratur, S. 154.

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»dass er [Lindener – R.F.S.] mittels des komischen Diskurses individuelle Fehler, Torheiten und Dummheiten aufdeckt und die Dinge schlicht beim Namen zu nennen versteht, womit ängstlich gehütete Bedürfnisse (eben auch sexueller Art) ans Tageslicht kommen und derjenige allein den Sieg davonträgt, der sich als intelligent genug erweist, rational handelt und sich selbst im Klaren darüber ist, worin seine Wertvorstellungen bestehen.«8

Besonders ist nur, dass nicht der Erzähler das Wertesystem vorgibt, sondern die handelnden Figuren. Dagegen sieht Juliane Rieche in den widersprüchlichen Wertungen von Handlungen die Unzuverlässigkeit des Erzählers.9 Rieche stimmt mit Stroszeck überein, dass das inkonstante Wertesystem den »freyen knaben« angemessen ist.10 Sie ordnet Lindeners »Katzipori« auch in einen zeitgenössischen Kontext ein und sieht interessante Parallelen zu Matthias Gerungs »Melancholia 1558«, die sie leider nicht vertieft.11 Lindeners Texte konstruieren für Rieche eine »poetische Welt auf der Basis von Therapievorstellungen«12, eine »(anti)melancholische Utopie«, eine »rhetorische[] Inszenierung einer dichterischen Welt«13 oder sogar eine »Utopie der poetischen Welt«14 und eine Groteske, die das Schreiben Fischarts präfiguriert.15 Weiter führt sie aus: »Lindeners poetisches Konstrukt im ›Katzipori‹ präsentiert sich als eine fiktionale Welt, die erstens den Melancholiker wahrnimmt und zum Thema macht und zweitens den Kranken durch Lachen heilt, d.h. die Melancholie aus dieser Welt vertreibt.«16 In den »Katzipori« sieht Rieche ein Spiel mit der Rhetorik, die in der Praxis pervertiert wird und somit zum Lachen führt, folglich heilsam ist.17 Es steht allerdings zu bezweifeln, ob hier ›eine‹ dys- oder utopische, rhetorisch konstruierte Welt vorliegt oder nicht vielmehr verschiedene fiktionale Welten. Die Ungewissheiten beginnen schon mit dem Titel »Katzipori«. »Katzipori« wird als Bezeichnung für die Gemeinschaft der »gůten gesellen« gelesen, die Bedeutung

8

Ebd., S. 167.

9

Vgl. J. Rieche: Literatur, S. 297.

10 Vgl. ebd., S. 299-300; H. Stroszeck: Pointe, S. 127. 11 Bei J. Rieche (Literatur, S. 113-118) hätte sich ein direkter Vergleich zwischen Gerungs Figureninventar und Lindeners Protagonisten angeboten. 12 Ebd., S. 341. 13 Ebd., S. 342. 14 Ebd., S. 335. 15 Vgl. ebd., S. 339-341. 16 Ebd., S. 342. 17 Vgl. ebd., S. 344.

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könnte mit dem italienischen »cazzo« zusammenhängen oder sich auf das »katzenporen« (»erheben«) beziehen.18 Im Vorwort heißt es über diese Gesellen: »welche man auf Welsch Kazipori nennet / vnd auff Griechisch Raudj maudj / leüß imm peltz«19. »Raudj maudj / leüß imm peltz« sind aber auch, und darauf wird in der Forschungsliteratur gar nicht hingewiesen, bei Lindener Synonyme für den Geschlechtsverkehr, wie in dem ersten Schwank des »Rastbüchleins« zu lesen ist,20 weshalb unklar ist, ob mit diesem Wort eine Gemeinschaft fröhlicher Trinker oder eine Handlung gemeint ist. Schließlich könnte, abstrakt gelesen, »Katzipori« auch für die Gemeinschaft der Schwänke stehen.21 Ebenfalls sind etymologisch mehrere Deutungen zulässig. Italienisch und Griechisch werden in der Widmung als Sprachen angesprochen, in denen es Äquivalente zu »Katzipori« gibt. Man könnte nun das Wort in seine Konstituenten zerlegen: »Katzi-pori«. »Pori« könnte, aus dem Griechischen stammend, eine Verballhornung von »βοροι« (›Fresser‹) sein, wie die »Tranibori« (›Bankesser‹) bei Thomas Morus.22 Übertragen ließe sich das Mischwort als ›Katzenfresser‹, auf Italienisch (»Welsch«) »mangiagatti«, ein Spottname aus dem venezianischen Dialekt für die Einwohner von Vicenza.23 Diese von mir angestellte etymologische Herleitung des Begriffs »Katzipori« ist rein spekulativ, sie dient aber dazu, zu demonstrieren, was ein Rezipient aus den Allusionen Lindeners machen kann. Der Erzähler gibt also einen gut Teil seiner tradierten Stellung als moralischer Interpret auf, er versucht nicht mehr, wie zum Beispiel Wickram oder Frey, die Rezipierenden in die ›richtige‹ Richtung zu lenken oder wie der Erzähler im »Rastbüchlein« konstatiert: »Ich kan nicht sonderlich darüber vrtheylen / gibs aber einem yeden selbs zubedencken.«24 Besonders ist nicht zuletzt die Tatsache, dass sich für viele der Schwänke Lindeners keine literarischen Quellen ausmachen lassen, sie können also als Neuschöpfungen gelten, die sich so ein Stück weit von der vorausgegangenen Schwanktradition abgrenzen. In den schwankhaften Erzählungen Lindeners dient das Neue primär als Mittel zur Enttäuschung, da es sich, wie zu zeigen sein wird, in seinen beiden Sammlungen als Trug herausstellt. 18 Vgl. M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 37. P. Rusterholz (Fischarts Prolog, S. 257) schlägt »Katzenschwanz, Schwanz, […] Italienisch ›cazzo‹« vor. 19 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 65. 20 Vgl. ebd., S. 6. 21 Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit »Katzipori« als Plural aufgefasst. 22 Vgl. T. Morus: Utopia, S. 138. 23 Es war mir leider nicht möglich, den Begriff »mangiagatti« schon für das 16. Jahrhundert nachzuweisen. 24 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 21.

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Lindeners »Rastbüchlein« (1558) beginnt mit einem Regelverstoß: Der IchErzähler sitzt am Tisch eines Adligen, an dem während des Essens nicht vom Geschlechtsakt gesprochen werden darf. Der Erzähler bricht das Gebot, indem er neunzehn, teilweise wohl erfundene, Synonyme für den Geschlechtsverkehr aufzählt. Die Sammlung endet mit einem ebenso ordnungsstörenden Akt: dem karnevalistischen Mandat des Königs Volnarrus. In den »Katzipori« (1558) wird an mehreren Stellen das Neue behandelt. In der »Offenbarung eines wunderbarlichen Thiers / zů Ynßbrugk geschehen« haben sich einige Männer auf eine Wallfahrt begeben, die ihnen als Tarnung für ihre Fress- und Saufgelage dient. Zu dieser Zeit zieht der Erzherzog von Österreich in Innsbruck ein, einer der Trinker sieht den Einzug und wird von seinen Gesellen gefragt, was der Herzog denn mit sich führe, er antwortet ihnen: »er hat ein seltzamb wunderbarlich Thier mit jm gebracht / das man ein Trampelthier nennet / hab all mein tag kain solch Thier nye gesehen […] Es hat drey köpff / acht füß / zwen schwäntz vnd Lareten.«25 Die Deutung dieses Wundertiers löst sich in Lachen auf: Es sind ein Mann und seine Geliebte, die beide auf einer Stute reiten. Somit erweist sich das wunderbare Tier als sprachliches Konstrukt, hinter dem sich eine alltägliche Szene verbirgt. Die Erzählung spielt auf die Prodigienliteratur der Zeit an. Eine Gesellschaft von Trinkern, die vorgibt zu pilgern, wird mit einem Wunderzeichen, das es nicht gibt, getäuscht. Die Beschreibung des Alten, schon Bekannten, als Neues, Wunderbares, ist nichts anderes als eine reine Täuschung – und löst sich in Lachen auf. Neuigkeiten, die durch den Medienwandel besonders kritisch hinterfragt werden, finden auch in Lindeners »Katzipori« ihren Niederschlag. In »Ein närrischen Bossen / den Studenten zů Leyptzig gerissen« wird das trügerische Potential des Neuen deutlich. Der Ich-Erzähler beschließt auf dem Rückweg einer Reise, »wann ich gehn Leyptzig komme / můß ich etwas newes haben«26, er besticht Bauern, damit sie von einer Hinrichtung eines Mannes und einer Frau an einem Dorfsee berichten sollen. In Leipzig machen die Begleiter des Erzählers »ein groß geschrey«27, um die vermeintliche Neuigkeit zu verbreiten. Schließlich brechen neunhundert Bürger und Studenten zum See auf: »Vnd wie sie endtlich zů dem Seh kamen / welcher waren bey neün hundert / war es endtlich nichts.«28 Die Schaulustigen wurden getäuscht, das Neue ist Nichts, die Leserinnen und Leser können die Neugierigen verlachen. Neben der curiositas ist es auch die avaritia, welche die Neugierigen täuscht, in »Ein harter jnnhalt eines versigelten Brieffs / 25 Ebd., S. 86. 26 Ebd., S. 160. 27 Ebd., S. 161. 28 Ebd., S. 161.

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zů Magdeburgk in der belägerung / von ainem Landtßknecht verbutschiert« öffnet ein Hauptmann den versiegelten Brief eines verstorbenen Landsknechts in der Hoffnung, eine reiche Erbschaft zu finden. Der heiß ersehnte Inhalt des Briefes besteht jedoch nur aus maledicta und Obszönitäten.29 Ähnlich ergeht es Bürgern in Donauwörth, die einen Mitbürger, der kürzlich in Nürnberg gewesen ist, fragen, »was allda gůtes newes wäre.«30 Dieser antwortet »Sonderlich nichts«31, zählt dann aber eine Reihe Handwerker auf, die mit Fäkalien ihre Scherze trieben und dafür bestraft werden sollen. Die Reaktion der Umstehenden ist das Lachen über die vermeintlichen Vergehen, bis eine Frau den Geschichtenerzähler übertrumpft, da er noch den Barettmacher vergessen hätte, der ebenfalls seine Kundschaft mit »dreck« versorgt hätte. Der Überbringer scheinbarer Neuigkeiten wird so selbst hereingelegt. Ebenfalls auf Täuschung der Neuigkeitssuchenden zielt das »tieffe[] Laberinth / einem Kauffmann zů Nürnberg / zůr antwort gegeben« ab. Kaufleute fragen, so die Behauptung, immer nach »gůts newes«, »ein gůter Mehrtrager« fragt den Ich-Erzähler, »was man für neuwe zeytung do hette« und erhält zur Antwort, dass der Teufel jetzt Pfarrer sei »vnd Gottes wort prediget / der bringt die newe zeytung auß«.32 Nachdem der Ich-Erzähler mehrere Tage diese Geschichte verbreitet, klärt er alle auf: Es handele sich um einen Pfarrer, dessen Name Teufel wäre. Neuigkeitssucht wird permanent durch Täuschungen entlarvt, Neuerungen selbst stellen sich als Finten heraus oder, um es mit Lindener zu sagen, sind ein »dreck«.33 Deutlich wird dies auch in der Erzählung »Ein newe Grammatica von einem Bůchbinder / auff die ban gebracht«, in der ein Buchbinder und sein Meister ihre Unkenntnis der lateinischen Grammatik zur Schau stellen, da sie Sonderfälle nicht erkennen und so durch ihre Fehler eine vermeintlich »newe Grammatica« schaffen.34 Die »Katzipori« kulminieren schließlich in der Schilderung eines Riesen aus der Neuen Welt, die auf den ersten Blick nicht in das Konzept der Sammlung zu passen scheint und die deshalb hier einer genaueren Analyse bedarf. 29 Vgl. ebd., S. 91-92. 30 Ebd., S. 187. 31 Ebd., S. 187. 32 Ebd., S. 110. 33 Hier wäre an das Fastnachtspiel »Vom Dreck« zu denken, in dem Bauern verlacht werden, die über die Verwendbarkeit eines großen Objekts, das auf der Straße liegt, sinnieren, das sich dann aber lediglich als überdimensionaler Kothaufen herausstellt. Das von den Unwissenden als neu Bezeichnete ist meist nur eine Täuschung, so müsste man konsequenterweise folgern. Vgl. A. von Keller: Fastnachtspiele, S. 211-218: »Ein vasnachtspil vom dreck«. 34 Vgl. M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 114-115, Zitat: S. 114.

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4.2 L INDENER UND R ABELAIS Felix Bobertag mutmaßt als Einziger in seiner »Geschichte des Romans«, dass Lindener »wohl manches dem Rabelais abgesehen haben [dürfte]«35. Lichtenstein hat diese Aussage wieder verworfen,36 da Bobertag keine Beweise bringe, neuerdings findet sich die Vermutung eines Einflusses durch Rabelais jedoch wieder.37 Die Vorreden und Widmungen von Michael Lindeners »Rastbüchlein« und »Katzipori« weisen zwar Ähnlichkeiten zu Rabelaisʼ Texten auf, es sind aber offensichtlich zeitgenössische Topoi gelehrter komischer Literatur, wie der Hinweis auf den Humor als Heilmittel für Melancholie.38 Das Gleiche gilt für die scherzhafte Bezeichnung der Lesenden als die »gůten Schlucker[]« - »Beuveurs très illustres«39 oder den Appell, das Gelesene auswendig zu lernen, um den Inhalt zu verbreiten.40 Eine Bekanntschaft mit dem »Gargantua« scheint dennoch nicht ganz ausgeschlossen, wie sich an der Gegenüberstellung der Bekleidung der beiden Riesen sehen lässt. Die »Warhafftige newe zeytung von einem gar vnerhörten grossen Mann / auß Calabrien bracht / vnd dem großmächtigen Künige auß Franckreich / newlich zůgeschickt«41, der letzte Prosatext der »Katzipori«, lässt sich nicht mehr deuten oder in Lachen auflösen. Der dort nach Art einer »newe[n] zeytung« vorgestellte Riese entzieht sich dieser Interpretation.

35 F. Bobertag, Geschichte, S. 139. 36 Vgl. F. Lichtenstein in M. Lindener: Rastbüchlein und Katzipori, S. 198. 37 M. Shields (Klischees, S. 208) geht von einem möglichen Einfluss Rabelaisʼ auf Lindener aus, ohne dies zu konkretisieren. 38 Vgl. J. Rieche (Literatur, S. 345), die ebenfalls Parallelen zwischen Rabelais und Lindener sieht (aber nicht von direkter Beeinflussung spricht) und somit Letzteren als Vorläufer Fischarts neben Rabelais stellt. 39 M. Lindener (Schwankbücher 1, S. 70) in der »Vorrede an den Leser« zu den »Katzipori« und F. Rabelais (Œuvres, S. 5) im Prolog zum »Gargantua«. 40 Vgl. M. Lindener (Schwankbücher 1, S. 70-71) in der »Vorrede an den Leser« zu den »Katzipori« und F. Rabelais (Œuvres, S. 213) im Prolog zum »Pantagruel«. 41 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 196.

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Die Erzählungen in Lindeners »Fatzbüchlein«42 sind meist im städtischen oder dörflichen Milieu Mittel- und Süddeutschlands oder Österreichs angesiedelt, dieser letzte Prosatext unterscheidet sich schon vom Thema her von den anderen Erzählungen der Sammlung. Es soll eine »newe zeytung« präsentiert werden, die ein vermeintlich zeithistorisches Ereignis bekannt gibt. Der Ich-Erzähler hat die Nachricht von dem Riesen in seiner Funktion als »Factor[] von Beru« (Peru) erhalten. Das Wesen ist »in einer vngehewren / neuwen / vnd zůuor nye gehörter Insel / mit nammen Cubagua jenseyts des grossen Meers / gegen Nydergang der Sonnen« entdeckt worden. Es wird von »alle[r] welt« als »groß wunderzeichen« gehalten und der Erzähler fügt hinzu: »Auff das aber der Christliche Leser verständiget werde / wie groß er entlich sey / will ich jn auß glaubwirdigen Schrifften hoher wichtiger leüt vnd personen berichten.«43 In dem Brief, den der Erzähler zu dem betreffenden Fall erhalten hat, werden die lateinischen Wörter in gewohnter Lindener’scher Weise ›übersetzt‹, es heißt dazu: »das ich derhalben außlege / auff das der Christenliche Leser verstehen könne / vnnd darneben auch spüre vnd sehe / das ich die Lateynische spraach / Gott sey lob und danck / gantz wol verstehe / vnd reychlich verdolmetschen könne.«44 Ein Wunderzeichen soll also christlich ausgelegt, das heißt mit Hilfe des vierfachen Schriftsinns gedeutet werden, ein Verfahren, wie man es in den Wunderzeichendeutungen der Flugschriften des 16. Jahrhunderts findet.45 Gleich zu Anfang des Textes wird das ›Wunderzeichen‹, der Riese aus der Neuen Welt, als ein komisches Konstrukt entlarvt: Trotz seiner exotischen Herkunft trägt er den Namen »Hans Allgemein«46. Die neue Insel sollte, so der Erzähler, aufgrund ihres Alters die ›alte Insel‹ heißen. Das Vorhaben der christlichen Deutung einer bizarren fiktiven Gestalt ist nicht nur komisch, da der Gegenstand der Auslegung unangemessen ist, es zieht auch die Methode der allegorischen Auslegung selbst ins

42 Michael Lindeners »Katzipori« wird in der Forschung als eine der Facetientradition nahestehende Sammlung bezeichnet (z.B. E. Straßner: Schwank, S. 69.), obwohl dies nicht auf alle Texte des Werks zutrifft. M. Lindener (Schwankbücher 1, S. 66) selbst bezeichnet sein Buch u.a. als »Fatzbüchlein«, weshalb hier der Lindener’sche Terminus benutzt wird. 43 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 196. 44 Ebd., S. 197. 45 Vgl. zu diesem Verfahren z.B. R.F. Schulz: Sprache, bes. S. 304-305. 46 K. Heidemann überträgt den Namen mit »Jedermann« und verweist auf die bekanntere Form »Hans Omnis«. Vgl. M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 166.

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Lächerliche. Es scheint, als wolle der Autor den vierfachen Schriftsinn – und damit auch das allegorische Verfahren selbst – kritisieren. In der vorangegangenen Darstellung konnten einige Faktoren aufgezeigt werden, die zur Ablehnung des Allegorismus geführt haben. Bei Lindeners Text fällt zuerst auf, dass die Rahmenhandlung die Entdeckung eines Riesen in der Neuen Welt ist. Die Neue Welt steht auch für das neue Denken. Das Denkmodell von den drei Kontinenten mit ihren drei Völkern, die biblisch belegt sind,47 trifft durch die Entdeckung Amerikas nicht mehr zu. So führt diese Tatsache zu einem Bruch im Denken. Aufgrund dieser Neuerung ist die adaequatio res et intellectus nicht mehr gegeben, die ›Sache‹ hat sich vom Denken entfernt: Die gedachte dreigeteilte Welt ist in der neuen ›Wirklichkeit‹ viergeteilt, der eine christliche Glaube teilt sich in zwei Glaubensrichtungen. Diese Durchbrechung der alten Ordnung, ihre Aufteilung, findet auch in der Schriftsprache ihren Niederschlag. Es ist evident, dass die sprachliche Teilung in Latein und Volkssprache durch die Entwicklung der letzteren eine neue Bedeutung bekommt. Die Sprache wird ›durchbrochen‹, das neue Denken ›durchbricht‹ das alte. Alt und neu existieren nebeneinander und überlagern sich, so wie der Lindener’sche Riese, der aus der Neuen Welt stammt, aber den Pseudonamen »Hans Allgemein« trägt. Wie diese Brechungen und Überlagerungen sprachlich dargestellt werden, lässt sich an der Beschreibung des Riesenkopfes und seiner Bekleidung zeigen: »Derselbige Mann hat ein kopff oder schädel / ist grösser vnd höher dann die Hoheschůl zů Pariß / darinnen vil künst stickt. Hat auch ein solchen gar grossen Hůt / der so brayt ist / wann er zů Pariß auff dem Perlement platz stehet / so bedeckt er die gantze Statt an welchem die Viltzmacher oder Hůtter siben vnd dreissig Jar gemacht haben / Darauff tregt er zwo Hahnenfädern / von einem Indianischen Göcker / die ganntz krumb sein / wie die Türckischen Sebel / vnd so lang / als eine gůte Teütsche Schweytzer meyl / die sonst so lang ist als drey Teütsche / daran einer einen gůtten langen tag im Sommer zugehen hat. Zů dem / tregt er einen vergulten pfeil in dem Hůt / darzů man zů vbergulden / wie die Goldtschmid sagen / vnd ein gantz handtwerck der hochwirdigen Kretzenmacher glaubwirdigklichen bezeüget / sibenmal hundert tausent Ducaten verbraucht worden. Sein Haar ist also grausam lang / wann er zů Regenspurg auff der steynin Brugken steht / vnd der Wind jm drein gehet / vnnd auß einander wehet / so möcht jn einer wol zů Straßburg darbey zupffen / oder reüffen. […] Seiner augen eins ist grösser / dann das kleine Stetlein Gent in Flandern / das nur siben meyl weges in der Ringkmawren hat […]. Sein Nasen ist länger / dann der Babylonische Thurn […]«48.

47 Vgl. Gen. 9,19. 48 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 198-200.

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Das Neue, der Riese, wird hier vermessen, die Ausformung des Körpers und – wie in diesem Fall – die Kleidung werden in Zeit (es wurden 37 Jahre an seinem Hut gearbeitet), Materialkosten (für die Vergoldung des Pfeils wurden 700.000 Dukaten verarbeitet) und räumlichen Maßen (die Truthahnfedern sind drei deutsche Meilen lang) angegeben. Dazu werden die Maße in Relation zu den den Lesenden bekannten Orten oder Objekten (wie Städten oder deren architektonische Merkmale) gesetzt: Ein Auge von ihm ist größer als Gent, wenn er auf der ›Steinernen Brücke‹ in Regensburg steht, kann man ihn in Straßburg an seinem Haar raufen. Zum Vergleich bietet sich hier ein Blick auf Rabelais’ Gargantua und dessen Kopfbedeckung an: »Pour son bonnet furent levées troys cens deux aulnes ung quart de velours blanc, et feut la forme d’icelluy large et ronde à la capacité du chief. Car son pere disoit que ces bonnetz à la Marrabeise faictz comme une crouste de pasté, porteroient quelque jour mal encontre à leurs tonduz. Pour son plumart pourtoit une belle grande plume bleue prinse d’un Onocrotal du pays de Hircanie la saulvaige, bien mignonement pendente sus l’aureille droicte. Pour son image avoit en une platine d’or pesant soixante et huyt marcs, une figure d’esmail compétent«49.

Man kann in dieser Passage interessante Parallelen zu Lindeners Beschreibung entdecken. Geld- und Maßangaben stellen die Ausmaße und den Wert der Kleidung dar. Entsprechend der exotischen Pelikanfeder aus »Hircania« hat der Lindener’sche Riese exotische Federn von einem Truthahn (»Indianische[r] Göcker«) auf seinem Hut. Jedoch ließe der Pelikan eine Deutung im christlichen Sinne zu, während der Truthahn keine allegorische Bedeutung hat, auch wenn die Bezeichnung »Göcker« vertraut klingt, so ist dieses Tier fremdartig, da es aus der Neuen Welt stammt. Auch das Wasserlassen Hans Allgemeins, das zum Übertreten der Donau führt,50 stellt nicht nur eine Übersteigerung der zeitgenössischen Fäkalkomik dar, sondern weist auch Parallelen zu Rabelais’ Gargantua auf, der bei seiner Ankunft in Paris auf die Bevölkerung der Stadt uriniert, sodass 260.418 Bürger ertrinken.51 Ebenfalls Ähnlichkeiten weisen die Aufzählungen der Lebensmittel auf, auch hier kommt es wieder zu hyperbolischen Mengenangaben:

»Zů einem voressen můß er tausent Säwseck / die nit klain sein / haben / darzů syben hundert Wampen / zweintzig tausent Kuttelfleck / siben hundert Bratwürst / zehen thunnen 49 F. Rabelais: Œuvres, S. 26. 50 Vgl. M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 206. 51 Vgl. F. Rabelais: Œuvres, S. 48.

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Sawrskraut / siben fůder Gumpelmilch / die gesundt ist imm Mayen / vernimb eygentlich die Scheyssen / wie die Merdici sagen. Zum andern dritten gericht gebraucht er souil lungen vnd leber / vnd dreyvndzwaintzig Bayerische lange Schwein / neün thunnen Häring.«52

Rabelais lässt seinen Grandgousier auftischen: »D’iceulx graz beufz avoient faict tuer troys cens soixante sept mille et quatorze, pour estre à mardy gras sallez […]. Les tripes furent copieuses, comme entendez«53. Der kleine Gargantua trinkt Milch von 17.913 Kühen.54 Das Wortspiel, die Kontamination aus »merde« und »medici« zu »merdici« bei Lindener, hat seine Entsprechung bei Rabelais, zum Beispiel im Namen des Capitaine Merdaille. Lindener mag den »Gargantua« gekannt haben, dennoch gibt es zwischen Lindeners Beschreibung und Rabelais’ »Gargantua« erhebliche Unterschiede. Während Rabelais’ Riese vorgeblich aus der Vergangenheit stammt, kommt Lindeners Riese aus der Gegenwart, aus der Neuen Welt. Auch der Hutschmuck ist bei Rabelais anders als bei Lindener: Gargantua hat einen Hut von weißem Stoff, da weiß im »Gargantua« für die Freude steht; seine Plakette, die er am Hut trägt, hat ebenfalls eine Bedeutung: Sie ist mit seiner Imprese geprägt. Der Kopfbedeckung von Lindeners Hans Allgemein wird keine allegorische Bedeutung unterlegt, der goldene Pfeil im Hut hat bloßen Goldwert. Dass die Kleidung des Riesen keine Bedeutung über den Literalsinn hinaus hat, hängt wohl auch mit ihrer Neuartigkeit zusammen.

4.3 D ER R IESE

UND DIE

N EUE W ELT

Das Neue muss erst vermessen werden, damit man es beurteilen kann, aber das Neue entzieht sich der Vermessung, wenn man mit den alten Maßstäben misst. Als Ergebnis dieser Vermessung – bei der die Maße durcheinandergeraten, wie an der »Teütsche[n] Schweytzer meyl« zu sehen ist – erhält man so ein »vngecirckelte[s] maß«55. Der Kopf des Riesen ist größer als die Sorbonne in Paris, »darinnen vil künst stickt«. Viele Künste stecken aber nicht nur in der Universität, welche die artes pflegt, sondern auch in dem Gesicht des Riesen, der sich als komisches Gedankenkonstrukt entpuppt. Die Nase des Riesen ist größer als der Turm

52 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 205. 53 F. Rabelais: Œuvres, S. 16. 54 Vgl. ebd., S. 23. 55 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 197.

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von Babylon, diese Maßangabe ist nicht verifizierbar, sie wirkt aber an der Destruktion der alten Allegorese mit. War der Turm zu Babel vorher noch allegorisch deutbar, so wird er jetzt in seinem historischen Sinn gesehen und als Maßangabe herangezogen. Hinzu kommt, dass der Turm ein bekannter Ort – wie die ›Steinerne Brücke‹ in Regensburg – ist, nur dass es sich hier nicht um einen realen Ort, sondern um einen biblischen (literarischen) Topos handelt. Durch die Vermischung literarischer und wirklicher Orte sowie durch das Anwenden verschiedener Maßstäbe wird die Konfusion ausgedrückt, die der Riese als Repräsentant der Neuen Welt in das alte Denken bringt. Bemerkenswert ist, dass gerade ein Riese aus der Neuen Welt kommt. Der Riese ist in der komischen Literatur der Renaissance eine groteske Gestalt. Hier liegt der menschliche Leib in vergrößerter Form vor und kann genau betrachtet werden. Michail Bachtins Theorie des Grotesken, die in erster Linie auf dem Werk Rabelais’ basiert, kann hier wieder herangezogen werden, sie erweist sich aber erneut als nicht stichhaltig. Folgt man Bachtin, so ist der groteske Leib ein Körper, der neue Körper hervorbringt oder verschlingt, weshalb besonders die hervorstehenden Körperteile und die Öffnungen des menschlichen Körpers und deren Sekrete für das Groteske von Bedeutung sind, Entstehen und Vergehen liegen hier dicht beieinander. »Alle diese hervorstehenden oder offenstehenden Körperteile werden dadurch bestimmt, daß in ihnen die Grenzen zwischen Leib und Leib und Leib und Welt im Zuge eines Austausches und einer gegenseitigen Orientierung überwunden werden.«56 Als »nichtgroteske Teile des Leibes« gelten Bachtin das Gesicht, die Augen, die Arme und die Beine: »Sie dienen der Orientierung im nächstgelegenen Raum, der Bestimmung von Entfernung, Ausmaß oder Anzahl. Jegliche symbolische Erweiterung, jede metaphorische Kraft, jede Expression geht ihnen ab. Deshalb haben sie keinen Anteil am Fluchen und Lachen.«57 Lediglich »herausquellende Augen« sind für das Groteske relevant, sonst sind die Augen – nach Bachtin – nicht grotesk, da sie zum »rein individuellen« Leben des Menschen gehören.58 Bei Lindeners Riese findet sich aber auch die Beschreibung der Augen. Nicht nur, dass man von ihrer Größe erfährt, es wird auch etwas über ihre Sehfähigkeit geäußert: »Vnd wann er einen Brieff lesen will / so gebraucht er zway augengläser […] dann er hat böse liechter / das ist augen / dann der Wind gehet jme starck hinein / daß recht saußt / als mit laub inn einen Kirchen thurn.«59

56 M. Bachtin: Literatur und Karneval, S. 17. 57 Ebd., S. 19. 58 Siehe ebd., S. 16. 59 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 200.

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Auch wenn Hans Allgemein groteske Züge hat, so sind seine Augen nicht grotesk, sie sind nicht hervorstehend, sondern nach innen gerichtet, der Wind weht in sie hinein, wie in einen Kirchturm. Der Riese ist also keine rein groteske Figur, zumindest aus der Sicht von Bachtin, es werden nämlich auch seine Kniescheiben, seine Waden und sein Schienbein in ihrer Größe beschrieben und vermessen.60 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Riese bei Lindener als eine Art Allegorie identifizieren, eine Allegorie, die in sich zusammenbricht: Das Unbekannte – das riesenhaft Große, das man versucht mit dem Bekannten zu erklären, da es scheinbar Züge des Alten hat – ist die Neue Welt, das neue Denken. Das Maß ist nicht mehr einheitlich, sondern vielfältig, wie die Sprache. Das Neue lässt sich nicht mit den alten Worten erfassen. Geht man mit Walter Benjamin davon aus, dass »Allegorie […] Ausdruck [ist], so wie Sprache Ausdruck ist«61, so ist die Allegorie nunmehr ein veralteter Ausdruck, der nicht mehr der Erkenntnis des Neuen dienen kann. Deshalb endet die Geschichte mit den Worten: »Nit mehr dann so vil / wann er [der Riese – R.F.S.] kommen wirt / will ich dichs wissen lassen.«62 Eine Auslegung des wundersamen Gebildes durch den Erzähler, das heißt, durch eine Autorität, erfolgt nicht mehr. Die Lesenden werden mit dem Phänomen allein gelassen und dies schafft Unsicherheit – die Unsicherheit und die Überforderung im Umgang mit dem Neuen. Der Ort, aus dem der neue Riese stammt, ist wie eine Heterotopie nicht genau zu lokalisieren. Der Ich-Erzähler gibt sich als der Faktor einer europäischen Handelsgesellschaft in Peru aus, der Nachricht über den Riesen von der neuen Insel Cubagua erhält: »Man hat mir als einem Factorn von Beru / auß der neüwen Insel / geschriben / das doch schier sechstausendt Jar weniger fünffthalbhundert vnnd achte allt ist / darumb es billich die Allte / vnnd nit die Neüwe hayssen solte«63. Kyra Heidemann teilt hierzu in ihrem Kommentar mit: »Wohl eine Anspielung auf das Entstehungsjahr des KZP [›Katzipori‹ – R.F.S.] (1558): fünffthalbhundert = 550 und acht = 558.«64 »Fünffthalbhundert« sind aber 450, deshalb ist die Insel also 6000 minus 450 plus acht Jahre, das heißt 5558 Jahre alt. Zieht man das Datum der Erstausgabe der »Katzipori« davon ab, so ist die Insel 4000 v.Chr. entstanden, somit nach christlicher Rechnung kurz nach Entstehung der Welt oder nach jüdischer Zeitrechnung schon vor der Entstehung der Welt. Setzt man die jüdische Zeitrechnung voraus oder auch christliche Spekulationen des 16. Jahr-

60 Siehe M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 203. 61 W. Benjamin: Ursprung, S. 141. 62 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 206. 63 Ebd., S. 196-197. 64 M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 166-167.

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hunderts, würde schon dies die Insel als Utopos im eigentlichen Wortsinne entlarven. Das Neue ist somit inexistent oder besser gesagt, es kann nur in der literarischen Fiktion bestehen, worauf auch das Spiel mit dem Erscheinungsdatum 1558 hinweisen könnte.

4.4 R EZEPTION Die Flugschriften- und Flugblattpublikationen widmen sich schon seit der frühen Zeit der Entdeckung dem Thema der Neuen Welt, sehr schnell wurden die Schriften Columbusʼ und Vespuccis verbreitet. Auch an der Wunderzeichenliteratur orientieren sich die Berichte, das aussagekräftigste Zeugnis im deutschsprachigen Raum ist die von Matthias Franck gedruckte »Newe Zeytung von einem seltzamen Meerwunder« (1564).65 Zu sehen ist auf dem Holzschnitt der Kampf zweier Eingeborener und eines Kolonialisten gegen ein androgynes zoomorphes Riesenwesen in Brasilien. Der Vorfall wird in dem Flugblatt kurz geschildert, die Größe mit ›17 Schuh‹ angegeben und die Beschaffenheit des Fells mit Samt verglichen.66 Hier ist es wieder das Staunen über das Neue, Vergleiche mit europäischen Wesen werden im Text nicht angestellt, im Holzschnitt zeigen sich aber die Androgynität, die übergroßen Raubvogelkrallen und der vielleicht seehundähnliche Kopf. Eine Exegese des Meerwunders erfolgt nicht, offensichtlich ist es vor allem das Staunen und Erschrecken, sodass es nur möglich ist, ein Wesen aus der Neuen Welt bildlich darzustellen, nicht aber es zu deuten. Parodistische Reaktionen auf diese Art von Berichterstattung bleiben nicht aus, Lindeners fingierter Bericht eines Riesen aus Cubagua findet sich in einer – bisher nicht beachteten – Flugschrift von 1589 wieder: »Newe Zeyttung auß Wiltreissen: Vnglaubhafte vnd Vnnatürliche Zeyttung / von einem grossen Rysen vnd Hölden / so newlicher zeyt / von dem Großfürsten inn den Wiltreysen / gegen den Lappenländer ligent / gefangen worden / dessen thůn vnnd lassen / inn folgendem schreyben vernommen wirdt / etc. An einen gůten Freundt / in Boßnaurischer sprach geschrieben / vnd jetzt in Hochteutsche sprach verthiert vnnd gebracht.«67

65 Vgl. C. Hofmann-Randall: Monster, S. 13 (Abb.) u. S. 86, Nr. 43. 66 Vgl. ebd., S. 13. 67 Newe Zeyttung auß Wiltreissen, Bl. A1r.

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Der Titel verrät schon, dass es sich um eine schwankhafte Erzählung handelt und keinen Bericht aus dem langsam ins Interesse der Entdecker rückenden Lappland. Der Bericht ist in »possenhauerischer Sprache« abgefasst worden und wird nun ins Deutsche übertragen der Leserschaft vermittelt. Die Beschreibung des Riesen bereitet dem Anonymus Probleme, wie er vorgibt, er kann keine Beispiele geben, ihn zu schildern. Er benutzt dabei eine Terminologie, die auf das Visualisieren, die bildliche Darstellung, verweist (»Prefigurieren«, »Contrafein«). Die einzige Möglichkeit bietet sich in dem Vergleich mit den Größenmaßen von bekannten Bauwerken des süddeutschen Raums, um die Lesenden in die Position von Augenzeugen zu bringen: »Disen Mann [hi]er hab ich euch durch Exempel zu Prefiguieren oder zu Contrafein, hab ich anders nit könden stadt haben oder finden / allein hab ich gedacht / Seytemahl euch Hochteutschland mit den Stätten so wol als mir bekandt sind / bey den selben gleichnussen zugeben / Dadurch jr gwiß vernemen sollent / dises Manns grösse vnd lenge / als ob jr den Personlich mit Augen gesehen hetten / etc.«68

Die Schilderung des Riesen greift den Text Lindeners auf, erweitert und modifiziert ihn aber um einige regionale deutsche Bauwerke und weitet die Informationen um Größenverhältnisse und Maßangaben aus: »Fürs erst / so ist sein Haupt vmb ein gůtthail grösser / dan(n) der Thumb zu Regenspurg / drauff ist sein Hůt also groß / Wann er zu Münichen [A2r] bey vnser Frawen Kirchen stündt / bedeckt er die gantze Statt / Er hat auch von art ein wolgezierte vnnd schöne / von Goldt geschmuckte Federn darauff / vngefehr zwü Teutscher meil wegs lang / der geschmuck so darauff gewendt ist / wirdt auff 3. mahl hundert tausent Ducaten geschetzt. Tregt auff dem Haupt ein langes Haar / deren ens allein so lang ist / so es jhm der Wind erwehet / vnnd stündt zu Regenspurg auff der Brucken / so möcht jhn einer zu Straubing gar leicht darbey rupffen / sind 6. Meilwegs / entfelt jm deren eins / so hatt er also bald sein bargelt darumb / von den Schüfleuten / dann sy brauchens zu Schüfsaylen / vnd habens lieber dan(n) die / so die Sayler machen / dann es erfault nit so bald / seiner Augen eins ist grösser dann daß Closter zu Osterhofen / drob hat er Augenbrauen eins Wüschbaums lenge.«69

Allein die Abtrennung der »Newen Zeytung« Lindeners von der Sammlung »Katzipori« ist schon bezeichnend, da der Text nun seinen medialen Rahmen, die

68 Ebd., Bl. A1v. Hervorhebung im Original. 69 Ebd., Bl. A1v-A2r.

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Flugschrift, erhält, für den er bei Lindener vorgab, entstanden zu sein. Hinzu kommt, dass der Ich-Erzähler, der in Briefform von den Ereignissen berichtet, schließlich noch eine Nachricht beifügt, »auß den new erfundnen Jnsulen / wie der selbigen Obrister mit Namen Remvven mit seinen Soltaten ein Hochgebürgete Jnsel erstigen / Darinnen nichts anders gefunden / dann auch ein ohn vber groß vnd anzusehen schröckliches Frawen bild«70. Mit den ›neuen Inseln‹ begegnet den Lesenden wieder die Neue Welt, der Obrist verrät durch seinen Namen, den man vielleicht als Palindrom »new mer« (etwa ›neue Geschichte[n]‹) lesen kann, dass es sich um ein weiteres neues ›Märchen‹ handelt. Es findet sich an diesem, nicht genau bezeichneten Ort, eine Riesenfrau, die mit ihrem Urin 200 Soldaten ertränkt. Der Herr des Ich-Erzählers stellt abschließend dazu fest: »Auff soliche Zeyttung / Hatt mein gnediger Herr / ein gwaltig groß Windschüff zurichten lassen / vnd ist willens dise zwů Personnen auffs Ehest zusamen bringen / ob ein Heyrat darauß kündt werden / inn mainung grosse Rissen vnd Hölden dauon zu erziehen / dann ein zeytlang die kleinen Mändlein so gar vber hand genom(m)en haben / wie die Spanische Baretter / Wann dann solicher Heyrat glücklich furt gieng / möchts der gantzen Welt zu gůttem kom(m)en / Hiemit was euch dienstlich vnd lieb ist / Jch hette wol mehr zuschreyben gehabt / aber wöllet auff diß mahls also verlieb nemen / vnnd meiner vmb alter Gesellschafft wegen im besten gedencken / geben zu Rumpelßgundt / hinder dem Schnauffenberg / im Schwaderloch / etc.«71

Der Plan ist, die Riesin mit dem Riesen zu vermählen, mit dem Ziel, der Welt zu nützen,72 deshalb begibt sich der ungenannte Herr mit einem »groß Windschüff« in die Neue Welt. Verfasst wurde der Brief im Schwaderloch. Sowohl das Windschiff als auch das Schwaderloch kommen im »Finckenritter« vor und verweisen wieder auf das komische Genre. Die Erzählung ist konstruiert, ihr Inhalt rekurriert nicht auf die Realität, Lappland und die neuen Inseln sind Heterotopien. Die Fundorte der Riesen lassen sich nicht genau verorten, gefragt ist die Vorstellungskraft der Rezipierenden. Doch die Maßangaben, aus Lindeners »Katzipori« entnommen, verschließen sich der Imagination. Der letzte Absatz – mit seinen Bezügen zur zeitgenössischen komischen Literatur – deckt diese Unmöglichkeit, sich das Neue vorzustellen, auf. Ein Windschiff trägt die Soldaten in die Neue Welt, der Bericht darüber stammt aus

70 Ebd., Bl. A3v. Hervorhebungen im Original. 71 Ebd., Bl. A4r. 72 Vgl. zum Konnex von Nutzen und Innovation Kapitel 2.3 in dieser Arbeit.

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dem in der Narrenliteratur und im »Finckenritter« bekannten Ort »Rumpelßgundt / hinder dem Schnauffenberg / im Schwaderloch«, eine scheinbar genaue Verortung in einer Phantasietopographie.

4.5 M ICHAEL L INDENERS P OETIK Das Neue in der Gesellschaft präsentiert sich bei Lindener als ein Trugbild. Folglich wird auch die Neuheitssucht verurteilt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Schwänke, die primär das Postulat haben, Neues beziehungsweise Neuigkeiten zu bringen – darin liegt auch ihr basaler Unterhaltungswert –, thematisieren selbst das Neue als negativ. Auffällig ist, dass Lindener sich hier bevorzugt nicht-literarischen Traditionen anschließt. Für viele Texte im »Rastbüchlein« und besonders in den »Katzipori« lassen sich deshalb auch keine literarischen Quellen ausmachen. Wenn Neues aber analysiert oder durch Komik hinterfragt wird, zerfällt es, wie das Wundertier in Innsbruck, in seine altbekannten Bestandteile. In den Lindener’schen Schwänken wird eine neue Hermeneutik postuliert, die nicht mehr auf eine allegorische Deutung von Welt abzielt. Dies betrifft auch die Bibelexegese. Derjenige, der aus der Interpretation einen Nutzen erzielt, gilt als Experte, nicht mehr die Person, die streng nach der Lehre operiert. So im »Rastbüchlein« in der Erzählung »Wie ein Prediger außleget / warzů die Leüß vnd Flöhe / von Gott geschaffen wären«, in der ein Pfarrer sich auf die »Genesis« bezieht – alles sei »dem Menschen zů nutz vnd forderung« geschaffen – und konstatiert, die Flöhe seien von Gott geschaffen, »das sie die stůdfaulen Mägde inn der predig auffwecketen«.73 Neben der Möglichkeit freier Interpretation wird bei Lindener, als ein Gegenpol, die wortwörtliche Deutung, gemäß dem alten Literalsinn, präsentiert. Dass dies sowohl für das Medium Bild als auch für die Sprache gilt, wird in einem Schreiben Wolffgangus Hagers, einem eingebildeten Poeten, in den »Katzipori« deutlich. Der erste Buchstabe »T« ist »mit einem schönen Narrenkopff gekrönet«. Die ganze Studentenschaft der Freiburger Universität »wünschet allen denen / die disen Brieff ansehen / vil heils vnd alles gůtes / dann man dorfte sie nit lesen / man sahe wol das die person ein Narr war.«74 Die Initiale weist durch die Figur des Narren schon auf den Inhalt des Briefes hin, sodass ein weiteres Lesen nicht mehr vonnöten ist. Es verbirgt sich hinter dem Schreiben somit kein tieferer Sinn, weshalb ein bloßes Ansehen der Initialfigur genüge. Dies ist zugleich eine Invektive

73 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 6-7. 74 Ebd., S. 163.

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auf schlechte Poeten, die sich bei Lindener an mehreren Stellen findet und die gerade für die Frage nach dem dichterischen Selbstverständnis in »Rastbüchlein« und »Katzipori« unerlässlich ist. In den Vorreden und Widmungen zum »Rastbüchlein« und zu den »Katzipori« thematisiert Lindener sein literarisches Schaffen. In der Widmung an Anthon Baumgartner behauptet er, ebenfalls der Verfasser einer Chronik zu sein, die »auch mit vberauß schönen Figuren / dergleychen nye gesehen / gezieret« sei. Offensichtlich ist dieses Werk Lindeners nie in den Druck gekommen, wenn es überhaupt je existierte.75 Eigentlich wollte Lindener dieses historiographische Werk Baumgartner widmen, so behauptet er jedenfalls selbst, ließ dafür aber lieber das »Rastbüchlein« erscheinen, welches sich nicht durch seine hervorragenden Illustrationen auszeichnet, dafür aber durch »gůte kurtzweylige schwenck vnd Fablen / die Historien gleych sehen«76. Der Hinweis auf »die Historien« lässt vor dem Hintergrund einer eigentlich zu publizierenden Chronik Zweifel aufkommen, ob hier wirklich nur auf fiktionales Erzählen referiert wird. In der Widmung an Hans Greuther zu den »Katzipori« spricht Lindener von »visierlichen schwäncken« sowie »trefflich vnd zůuor nye gesehen werck«.77 In der »Vorrede an den Leser« greift er dann wieder den Begriff der »Historie« auf: »Historien / do die warheit bißweylen mitläufft / vnd nit erlogen ist / erzelen / welche nit verbotten sein«78. Durch die parallele Beschreibung von pragmatischer »Historie« und schwankhafter (fiktionaler) »Historie« bestätigt sich, dass Lindener beide gleichberechtigt sieht. Wie die Chronik mit schönen Illustrationen geziert sein soll, um wohl die historische Wahrheit zu stützen, so enthalten die Schwanksammlungen »visierliche« Schwänke, die nicht erlogen seien. Lindener positioniert sich mit diesen Vergleichen zu den poetologischen Diskursen seiner Zeit. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die zeitgenössische Übertragung Jacob Freys von Maffeo Vegios »Philaletes« (Straßburg 1555). Auf die Anschuldigung Philaletes hin, »das die Poeten / die gantz welt mit jren edichten (ich weis nit was)

75 Ebd., S. 3. Michael Lindener ist allerdings selbst mit dem Herausgeben (fiktiver) Chroniken hervorgetreten, so in der »Wunderbarliche[n] Hystoria«, welche er aus einer alten Chronik gezogen haben will. Auf diese Art von fingierten Texten mag Lindener in der betreffenden Stelle anspielen. 76 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 3. 77 Ebd., S. 65 und 66. 78 Ebd., S. 70.

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lugen / vnd lächerlichen fabeln erfült haben«79, hält Veritas ein umfangreiches Plädoyer für die Dichtkunst:80 »Dahin sind sie [die Poeten – R.F.S.] nütz vnd hoch dienstlich zů erkennen / alles dz so sich zů wissen gebürt / dadurch man verstan vnd vernemmen mag / mancherlei vnd vilerhand geschehener herlicher thaten / der künig / der land vnnd völcker / oder zů erkennen vnnd wahr zů nemmen / die heilsame vnderweisung vnd nützlicher leren / des menschlichen lebens / der arten / sitten / geberden / vnnd die heimlicheiten der naturen, Dann von keinem Philosopho / oder offnen lehrer der weißheit / mag die veränderung / gelegenheit vnnd die geschichten der lande / auch die seltzame verwandlung der zeit / des jars mehr grüntlicher vnd besser / dann von den Poeten / beschriben werden. Es mögend auch die Philosophi / die art / die weiß / vnd die rechte meinung / der creaturen / nit bas vnnd verständlicher dar thůn. […] Dergleichen so mögend auch in keinen weg / alle andere besondere / kunstreiche vnd gelerte Leuth (wie hoch doch vnd auch warinnen sie fürtreflich gelert sind) jre leren / mehr nützlicher / getrewer vnd glaubwirdiger / mit einer etwas besunderen / semlichen überschwencklichen vnd fürtreflichen beschreibung der namen vnd harkommen der ding / fürgeben vnd darthůn / als allein die Poeten / die jme so grüntlich nachkomen / das sie gleich der selbigen dingen / so sie beschreiben / selbs schöpffer vnd erschaffer genant werden. Aber inn jetz gemelter sachen der Poeterei betriegend vnd verfürend sich vil / dann etliche / die sich selbs dahin noch nit / oder gar kaum / mit grosser mühe vnnd arbeit / rechte gedicht vnd verß zů machen / gůt erachten können / vnd die silben stimmen / wie sich gebürt / herfür zůbringen / die selbigen achtend vnd meinend dann von stundan / sie seiend gleich hoch gelert / über die an[d]eren alle / Sie habend den berg Parnassum schon gar erstigen vnd des wassers aus dem brunnen Helicon / waiß wie vil getruncken / betriegend sich also / durch jren eignen gůten wohn selbs. […] Man solle auch nit schlechte sachen vnd händel oder kindische gedancken / darzů gebrauchen / vnd anziehen / sunder gedächtnüs / würdige hohe sachen / welche von [d]em gemeinen volck abgesündert / die sollend mit einer dapfferen / ehrenhafften / leuchtenden gezierde vnd Maiestat / vnd einem rechten widerglantzenden schein / angezogen werden. Aber neben dem allen was würt mehr manglen? Vor allendingen ist hoch von nöten / eines scharpfsinnigen / hohen vnd geschickten verstands / das sie jre betrachtung vnd gedicht / leichtlich zů wegen bringend / jre reden zierlich vnd hübsch anfahend / scheinbar vnd heiter erzelen / das sie wissen mögen / die meinungen vnd wörtlin / gantz künstlich in die verß zů bringen / die selbige in mancherley art vnd weiß zů distinguieren / diuidieren vnd zertheilen / gebürlich 79 J. Frey: Philaletes, Bl. Ciiv. 80 Da Freys Text nicht als moderne Edition zugänglich ist, folgt hier ein längerer Auszug nach dem Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Signatur: A: 293.8 Quod. [9]).

104 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN vnd wol daruff zů beharren vnd bleiben / vff das sie wol gůt vnd zierlich daruon reden mögen / fleissig daruff acht vnd wahrnemen / vnd einem jeden ding nach seiner wirde / eigenschafft / vnd stand / rechtschaffen vor sein / das selbig wol vnd recht erzelen / die leut damit erwecken / anmütig vnd lustig zůmachen. […] Es habend neben dem die Poeten noch eine besondere freiheit / zů gleicher weis die keiser vnd künig / gesatze / vnnd ordnung jren vnnderthanen / wie jnen gefallen thůt / machen vnd geben. Also mögen auch die Poeten sich solcher freiheiten / in den Künsten üben vnd gebrauchen / sind auch nit gezwungen das sie der gemeinen Gramaticalischen vnd Historialischen reguln vnd arten (dahin dann die andern alle angehalten werden) eben volgen vnd nachkummen müssen. Dannen herkumpt vnd entspringt / da die jhenigen / so jre der Poeten freier art / besundere wort / terminos / vnd anziehungen / auch das sie des selbigen jres ampts halben wol gefreiet sind / vnd mehr macht haben / nit wissend noch verstend / das die selben sich dann hierüber hoch verwunderen / vnd in solchem die Poete schuldigen / namlich / das sie mit disen jren gedichten vnd gleichnissen / allerhand freiheit vnd verhencknis / jnen selbs zu eignen vnd geben. So sie aber verstünden oder wißten / das die Poeterei / so gar ein weit abgesündert ampt vnd werck / von den Historien / vnd allen andern schreiben were / vnd erkanten / die götliche reitzung vnd bewegung jres gemůts / damit sie alles entzündt / gähe vnd vrblitzlich darinn verzuckt werden / sie würden one zweiffel / in keinen wege sie beschuldigen / sunder hoch vnnd wol halten / auch jre verdeckten figuren / vnd die gedicht der beschribnen sache rümen vnd verachten. Dweil dann die gedicht / on besondere anmůtung vnd reitzung der vernunfft / auch götliche genad / mit gemacht mögen werden. So gebürt es keinem Poeten im einichen weg / mit anderen gemeinen geschefften beladen zů sein / vnd ob es schon gleich die aller vnachstbare oder ringste ämpter werend / sonder es ist von nöten / den selbigen / seinen hohen sinnreichen vnd freien geist mit Got vnd den obern himlischen dingen / sich alle zeit zů bekümmern vnd üben / auch die gedächtnüs würdiger händel zůbeschreiben / nit wie die Historici / welche ein schlecht / rings / vnachtbars ampt / gegen jnen den Poeten / haben vnd tragend / in dem / das sie jre Historien / der massen so schlecht vnd blos / an den tag geben / das man söllichs ein rechte gründtliche warheit / beschehnet vnd ergangner händel sein / glauben můs / sunder es gebürt jnen / vnd sie sollen als die jenigen / so aller kunst vnnd weißheit voll seind / die händel vnd sachen warhafftg erzelen / vnd so sie beschriben / nit mit einer blossen vnd groben einfaltigkeit / anzeigen vnd für geben / sunder mit vil vnd manigerlei zierlichen / verdeckten / gebognen vnd versetzten gleichnüssen / mit verborgnen verandrungen inwicklen / dazů mit feinen / lustigen fabeln / schimpffigen / weitleüffigen reden / vnnd vmbweg / die rechte warheit grosser sachen vnd geschichten bedeüten / dann so die sach also dapffer / hoch / wol / vnd heiter am tag ligende / erkhant vnnd erleüchtet würt / so ersůcht vnd erfordert sie / rechte / zimmende gezierlicheiten [d]er rede / vnd so dann die

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ding also dermassen zierlich / vnd zům freiesten volbracht / vnnd beschehen seind / so verstehn es dann nur die rechten gelerten / vnd scharpffsinnigen / den groben / vnd vnuerständigen aber (deren vnder der gemeinde gar vil ist) bleibt es gantz vnd gar verborgen / also / das sie es weder verstehn noch begreiffen mögen. […] Dannenher kumpt es / dz etlicher vnwissenheit so starck yngewurzlet / vnd sie also gar verblendet sind / das sie nichts weder begreiffen / verston noch mercken können / es seie dann jnen gantz lauter für geben / Die selben sind auch so freuel / das sie einer semlichen heiligen kunst der Poeterei / schwach / schand vnd nachreden zůlegen dörffen / dz sie von wegen jrer schmeichelnden / erdichten vnd stinckenden fablen / falsche lügner seien / so sind sie gar nit wissends / was der Poeten ampt vnd Officium inhalt / deren eigenschafft nit allein ist mit heilsamen vnd gůten beispielen / Exemplen vnd vnderweisungen / den menschen nutz vnd fürstendig zů sein / sunder auch die leüt mit hüpschen süssen gleichnüssen / der verborgnen vnd verdeckten worten / zů belustigen / mit welchen sie die lautere vnd rechte warheit / der großmächtigen vnd wichtigen händel / nit vertuncklen (zů gleicherweis die andern / doch vnrecht vermeinend) sunder vil mehr zierend / er leüchtend / vnd würdiger zů lesen vnd zů hören / herfürbringend.«81

Wie im Dialog »Philaletes« deutlich wird, ist Dichtung primär dem Wahrheitspostulat verpflichtet. Dichtung steht folglich über der Philosophie, der Musik oder der Historiographie. Auch das Primat des Geschriebenen vor den anderen Künsten findet sich – parodiert – auch bei Lindener in den »Katzipori« in »Ein vngeschmaltzne antwort einem Poeten gegeben / die jn nit ein wenig verdroß«. Der Protagonist »Jungkherr Michel von L.«, Michael Lindener, schafft zu einem obszönen Bild ein Gedicht, da: »Dann ein ding wann es kein schrifft hat / todt ist / vnd für nicht geacht wirt«.82 Die Historiker bieten ihre Wahrheit »mit einer blossen vnd groben einfaltigkeit«, wie es in Frey/Vegio heißt, die Dichter dagegen »mit vil vnd manigerlei zierlichen / verdeckten / gebognen vnd versetzten gleichnüssen / mit verborgnen verandrungen inwicklen / dazů mit feinen / lustigen fabeln / schimpffigen / weitleüffigen reden / vnnd vmbweg / die rechte warheit grosser sachen vnd geschichten bedeüten«. Dass Lindener mit der Vorstellung des Historikers spielt, ist evident, er gibt aber auch dem Aufdecken verborgener Wahrheit eine neue Bedeutung. Gerade in den abstrusen Vorstellungen der handelnden Figuren in den Schwänken, ihre Affinität zu Neuheiten und Neuigkeiten, und deren Aufdecken, wird die Aufgabe des Dichters deutlich. Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang wahrscheinlich das ›Scheibentreiben‹, das bestimmt nicht nur auf ein volkstümliches Spiel rekurriert. 81 J. Frey: Philaletes, Bl. Ciijr-Dijr. 82 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 147.

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In der Widmung zum »Rastbüchlein« bemerkt Lindener: »für die lange weyle / treyben wir die Scheyben«83, in den »Katzipori« ist zu lesen: »nach dem gemeynen reymen: Für die lange weyle / treiben wir die scheybe: Welches scheyb treyben nichts anders ist / dann bossen reyssen […] auch andere dergleichen Historien«84. Vermutlich verbirgt sich dahinter eine Anspielung auf Horaz’ »Ars poetica«: »[…] amphora coepit institui: currente rota cur urceus exit? denique sit quodvis, simplex dumtaxat et unum. maxima pars vatum, pater et iuvenes patre digni, decipimur specie recti […]«85.

Der Dichter, der heterogene Elemente zusammenfügt, gleicht dem Töpfer, der auf der Scheibe (»rota«) eine Amphore schaffen will, dessen Ergebnis aber ein Krug ist. Der größte Teil der Dichter, so konstatiert Horaz, wird durch den Anschein des Richtigen getäuscht, es gilt aber, sich diesem Trugbild zu entziehen und sich an der Wahrheit zu orientieren. Das ›Scheibentreiben‹ steht ebenfalls für das Töpfern,86 weshalb hier wohl ein Bezug zur Horaz-Stelle anzunehmen ist. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass Lindener für die dichterische Wahrheit optioniert. Fast möchte man meinen, dass Lindener ein Konzept vorstellt, das sich auch in (post)modernen Theorien des Neuen in der Kunst wiederfindet, so bei Boris Groys: »Die Umwertung der Werte ist die allgemeine Form der Innovation: das als wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und das früher als wertlos angesehene Profane, Fremde, Primitive oder Vulgäre aufgewertet.«87 Natürlich wäre es anachronistisch, eine solche Annahme, die unverkennbar auf Nietzsche basiert, für Lindener ins Feld zu führen, aber in der Modifikation dieser These lässt sich sehr wohl eine Parallele sehen. Lindener versteckt keine Wahrheit 83 Ebd., S. 4. 84 Ebd., S. 69-70. 85 Horaz: Opera, S. 254, V. 21-25. 86 Vgl. J. u. W. Grimm: Deutsches Wörterbuch 14, Sp. 2388, dort die Stelle Sir. 38,32: »also ein töpffer, der mus bey seiner erbeit sein, und die scheiben mit seinen füszen umbtreiben.« Natürlich spielt das ›Scheibentreiben‹ auch auf das oberdeutsche Spiel an, wie es das »Deutsche Wörterbuch« u.a. unter Rückgriff auf Lindeners »Katzipori« anführt (Sp. 2386). K. Heidemanns Erklärung (M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 55), es handele sich um »das Reihumerzählen von Geschichten in geselliger Runde« oder ein »Bierspiel[]«, erscheint dagegen weniger plausibel, zumal Lindener gut vertraut ist mit der klassischen Literatur des universitären Kanons. 87 B. Groys: Über das Neue, S. 14.

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hinter der Allegorie, vielmehr wird die Wahrheit, die er vermitteln möchte, durch sein transparentes Erzählen offensichtlich.88 Die Lesenden nehemen die Täuschungen, die Lindener in seinen Erzählungen präsentiert, zu jedem Zeitpunkt als konstruiert wahr, nur für die handelnden Figuren bleibt die Wahrheit bis zur Auflösung undurchsichtig. Die Konstruiertheit, wie am Beispiel der Hinrichtung am See, führt den Rezipienten so vor Augen, wie ein Trugbild als Wahrheit geglaubt werden kann. Mit Hilfe dieser Transparenz wird der Erzähler zum Vermittler von Wahrheit und schafft Neues durch die Umwertung dessen, was als adäquater Stoff für Dichtung angesehen wurde. Im »Philaletes« steht die Renaissanceidee von der Dichterautonomie im Zentrum, der Dichter kann »selbs schöpffer vnd erschaffer genant werden«. Dichterische Freiheit korrespondiert bei Lindener mit den »freyen Knaben«89, trotz dieser scherzhaften möglichen Anspielung wird dichterische Freiheit, die sich wie bei Frey/Vegio über grammatikalische und historiographische Regeln hinwegsetzen kann, verurteilt. Ein extremes Beispiel bietet sich in den »Katzipori« mit dem Bachanten Groll, der versucht, sich an der Dichtkunst Eobanus Hessusʼ zu schulen, welcher »ein freyer Mann wäre«90. Die Freiheiten Grolls beschränken sich aber darauf, dass er Gedichte in einer Mischung aus fehlerhaftem Latein mit deutschen Versatzstücken und später Texte in makkaronischem Latein abfasst. Als Orientierung dient ihm ein Holzstock, den er auf die Größe der Verse seines Vorbildes gestutzt hat und diesen nun als ›Maßstab‹ nutzt. Schlechte Poesie kann überhaupt bei Lindener als Metapher für grobes Verhalten oder drastische Streiche stehen, so in »Ein Poetische tawbe / zů Augspurg einem Sawrsenffer gerissen«. Im Wirtshaus defäkieren die Gäste in den Senfkübel eines Verkäufers, dies ist offensichtlich die »Poetische tawbe«. Der Senfverkäufer revanchiert sich, indem er den Behälter vor den Tätern auskippt.91 Poetisch, wenn überhaupt, ist in diesem Fall nur das italienische Muster, das hier bedient wird: der contraccambio, bei dem die Betrüger selbst betrogen werden. Neu ist beim Lindener’schen Konzept weniger das Entlarven von falschen Vorstellungen, sondern vielmehr der freie Umgang mit der Interpretierbarkeit von 88 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt H. Strosezck (Pointe, S. 136): »Das Medium der Wunder- bzw. Lügengeschichte läßt eine Willkür des artistischen Verfahrens zu, die das Dargebotene in jeder Phase in seiner Fiktionalität verschärft und transparent macht.« Stroszeck lehnt aber das Wahrheitspostulat für Lindener ab wie »jeden Anspruch eines Zweckes« und attestiert Lindener eine »uneingeschränkte[] artistische[] Freiheit« (S. 136). 89 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 65. 90 Ebd., S. 145. 91 Vgl. ebd., S. 95, Zitat: ebd.

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Handlung und somit auch von Welt. Sehr detailliert schildern die Figuren beziehungsweise auch der Erzähler Phänomene, wie das wunderbare Tier zu Innsbruck oder den Riesen, der scheinbar aus völlig beliebigen Komponenten besteht. Dieser Detailreichtum, welcher die Entlarvung dieser Gebilde umso effektiver wirken lässt, führt aber zu neuen Unsicherheiten. Durch die Genauigkeit der Darstellung werden die Erzählungen mimetisch, sie bilden eine Welt ab, wie sie der Erzähler den Lesenden präsentieren möchte. Rückschließen lässt sich nun, dass hinter allem Neuen ein Trug stecken müsse, weshalb das Aufdecken der Wahrheit doch wieder eine Ungewissheit bei den Rezipierenden zurücklässt. Mit Sicherheit ist diese Ungewissheit auf eine Poetik der »freyen knaben« zurückzuführen, wie sie auch Stroszeck annimmt, jedoch sollten die »freyen knaben« nicht sozial definiert werden, als eine dem Bürgertum entgegengesetzte Gruppe,92 sondern vielmehr als Dichter, die sich einer Wahrheit verpflichtet fühlen, deren Bewertung sie aber dem Publikum überlassen. Der kreative Umgang mit Sprache und das Sichtbarmachen des Schreibprozesses, ist schließlich das eigentliche poetisch Neue.

4.6 D IE AUSWIRKUNG DER

MEDIALEN

N EUERUNGEN

Während das Neue als Phänomen der zeitgenössischen Publizistik unter starker Kritik steht und dem Lachen preisgegeben wird, findet sehr wohl auf sprachlicher Ebene Innovation statt. Gerade die neuen publizistischen Formen, wie die Flugschrift, werden bei Lindener aufgegriffen und mit neuen, unerwarteten Inhalten gefüllt. Dieses Spiel wird zum Teil bis zur Unverständlichkeit getrieben. Exemplarisch soll ein Blick auf »Ein vnhörtes und scharpfes Mandat / des großmächtigen Königs Volnarri / vber die / welche die gutten leüth zuvexieren pflegen / die es nit lenger leyden noch dulden künden etc.«93, der letzte Text des »Rastbüchleins«, geworfen werden. Die Form des Mandats wird eingehalten. Einer Präambel, welche den Sender und seinen Status näher bezeichnet, folgt die Beschreibung der Motivation für dieses Schreiben, das Anhalten des »spottens und vexierens«94, welches sanktioniert werden soll. Es folgen drei Artikel, zum ersten das Verhältnis gegenüber Frauen betreffend, zum zweiten eine Kleiderordnung und schließlich die Einbürgerung der Narren verordnend. Zum Beschluss folgt das »datum«. Kyra Heidemann hat

92 Vgl. z.B. H. Stroszeck: Pointe, S. 127. 93 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 52. 94 Ebd., S. 53.

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diesen Text folgerichtig in die »Tradition der parodistischen Sendbriefe«95 eingeordnet und die plausiblen Quellen, darunter Murners »Geuchmat«, angeführt. Allerdings gibt es entscheidende Abweichungen Lindeners von seinen Quellen, die in erster Linie in der sprachlichen Umsetzung bestehen. Der Text verhandelt nach der Arenga, welche die Motivation dieses Schreibens bringt, wie – und auch das bleibt fraglich – der Bote dieses Mandat übermittelt: »Disen Brieffszeyger der vns klagendt angezeygt / wie sie nyrgent vngeuexiert oder gespottet mögen sein noch bleyben / vnd sie es vonn natur nit gerne haben noch leyden / dann sein Vatter selig der Filtzmacher / noch sein anherr / der ein Löffler gewesen / vnd nur ein gůter / daher er noch etwann ein Löffel imm Ermel tregt / nye haben dulden künden / vnd zum zeügknus hab jnen sein Vetter der Miller zů Schweynaw auff dem öpffelboden / kurtz hart mit dem Sack geschlagen / vnd mit einem Täller geworffen, das er so schwerlich auff das Haupt gefallen / das die wundt voller faulfleysch und saurkraut worden. Also das im Meyster Zempel der Bader / auff deütsch Arschkrauer grosse Schelmmbeyn hat herauß gethon / doch vil mehr darinnen gelassen / darumb er heüt bey tag noch mit dem Maul schwindelt / sich in die zunge schneydt / vnnd in die Backen hawet / vnd nur vor vngedult die Zähn an das Hembde wüscht / vnd geschicht jm doch vnbillich.«96

Es wird hier nicht der Inhalt des Mandats thematisiert, sondern lediglich der Bote eingeführt, der das Schreiben überbringen soll, der Text, der überbracht werden soll, verhandelt den Prozess des Überbringens. Hier wird auf der Metaebene verhandelt, was sich anhand der ›Biographie‹ des Boten zeigt: Die dilatatio dient nicht mehr der Textentfaltung, um das Thema zu konkretisieren oder weitere Aspekte hinzuzufügen, sondern um eine assoziative Kette von Themen entstehen zu lassen, deren Inhalte sich von einer zu erwartenden Kernaussage entfernen. Statt den Inhalt des Mandates wiederzugeben, wird über den Boten gesprochen, über dessen Vater und einen nicht näher bezeichneten Vorfahren, schließlich geht das Mandat auf den Vetter ein, welcher dem Boten eine Verletzung zufügte, durch die dieser, trotz einer Behandlung durch den Bader, noch Folgeschäden hat. Die freie assoziative Aneinanderreihung nimmt das Fischart’sche Schreiben vorweg. Ein wichtiger Impulsgeber kann dabei in der komischen akademischen Literatur des 16. Jahrhunderts gesehen werden. In erster Linie ist hier Eobanus Hessus’ »De generibus ebriosorum et ebrietate vitanda« (1515) zu nennen. In der QuodlibetDisputation wird die Trunkenheit behandelt, der erste Abschnitt widmet sich den Tiervergleichen von Betrunkenen und versucht den animalischen Status der Trin-

95 M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 73. 96 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 54.

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ker zu analysieren. Es werden deutschsprachige Scherzverse, aber auch Enumerationen in die lateinische Rede eingefügt. So heißt es in dem Unterkapitel, das Betrunkene mit Schafen vergleicht, über jene, die nicht die Lehren des Albertus Magnus und der Duns Scotus verstehen: »Ipsi sunt de via Albertistarum et subtilitates Scotizantium non intelligunt, das sein die albern schaff, weychhertzige weibliche mütterliche kindische forchtsame lappen, leffelmeuler, sewleffel, genßleffel, leffelgänß, Leußmichel, Heyntz Lungenesser, mutehu, schudip.«97

Die Assoziationsketten dienen ursprünglich, wie schon Zarncke nachgewiesen hat,98 dem Parodieren scholastischer Argumentation. In dem hier zitierten Beispiel zeigen sie aber auch, wie die Argumentation abschweifen kann von der eigentlichen Thematik und nun nur noch der Lächerlichkeit preisgegeben wird. In Lindeners »Ein Disputation von zwayn Meßpfaffen vnd einem gelerten Papyrer« beeindruckt ein Papiermacher zwei einfältige katholische Geistliche. Dies geschieht mit Rückgriff auf Hessus und dient auch hier dazu, die scholastische Lehre bloßzustellen: »Wie nun endtlich ein freündtlich vnderreden geschicht von den Meßpfaffen vnd dem Papyrer / fragen sie was doch glim glam gloriam hieß / oder bedeüte. Saget der Papyrer: Es haißt also vil / Ehrwirdigen Herren / als die Saw hat ain pantzer an. Antwort der Elteste Priester: Das ist fürwar ein wichtig ding.«99 Bei Hessus ist in »De generibus ebriosorum« dem Vergleich mit Schweinen ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Hier wird von einem Chor berichtet, den Hinterbliebenen, welche eine Beisetzung aufsuchen, um nur gut zu trinken und folgendes vorzutragen: »Post quam mussitationem chorus reliquorum mirabilium fratrum concorditer respondet: Glam glam gloriam, die saw die hat ein pantzer an.«100 Es wird wohl kein Zufall sein, dass bei Lindener ein Papiermacher auftritt, der das Material für das neue Medium, das gedruckte Buch, liefert. Auch in diesem Fall zeigt sich wieder, wie Lindener mit traditionellen Textmustern gekonnt umgeht, indem er hier auf die universitäre Form der disputatio eingeht, diese dann aber mit Versatzstücken aus Quotlibet-Disputationen füllt. Generell fällt auf, dass Lindener im »Katzipori« stärker noch als im »Rastbüchlein« auf die durch die neuen Medien hervorgerufenen Textmuster alludiert. Während Formularbücher Anleitungen bieten, wie Briefe, Urkunden und andere formale Dokumenten abzu-

97

F. Zarncke: Universitäten, S. 124.

98

Vgl. ebd., S. 255-256.

99

M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 179.

100 F. Zarncke: Universitäten, S. 125. Vgl. auch M. Lindener: Schwankbücher 2, S. 157.

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fassen sind, gibt es für die schwankhaften Erzählungen – zumindest im deutschsprachigen Bereich – keine zeitgenössischen theoretischen Schriften. Lindener erfindet nun für die Titel seiner kurzen Texte, neben Titeln, die er aus dem akademischen Bereich übernimmt, neue Begriffe. Bevorzugt orientiert er sich dabei an Tieren wie zum Beispiel dem Esel, der Ente und der Grille, die den Lesenden aus der zeitgenössischen komischen Literatur bekannt sind. So finden sich: »Ein seltzams Eselohr«, »Ein artiger Entenfůß«, »Ein dückischer storchschnabel«, »Ein kecker Hundszagel«, »Ein vnerhörter Grille«, »Ein Närrischer Katzenschwantz« oder »Ein weise Hannefeder«.101 Auf der Oberfläche weisen diese Titel auf komisches Erzählen hin. Sie reflektieren aber ebenso, wenn auch nur in parodistischer Weise, die Erweiterung des Textsortenspektrums durch das neue Medium, den Buchdruck. Gerade mit Attributen wie »vnerhört[]«, »seltzam[]« oder »vnmüglich[]«102 lehnt sich Lindener an die zeitgenössische Publizistik an. Die vielversprechenden Titel lassen Neues erwarten, was allerdings dieses Neue ist, bleibt im Ermessen der Lesenden. Natürlich lassen sich für viele der kurzen Texte keine Traditionen ausmachen, was seine »Katzipori«, wie schon erwähnt, von anderen Sammlungen dieser Art unterscheidet. Allerdings ist das, was Lindener vielfach schildert, in der Konzeption nicht neu, Strukturen wie der betrogene Betrüger, das Hintergehen des Ehemannes oder auch eine gewitzte Antwort, das facete dictum, sind dem wissenden Publikum vertraut. Die schwankhaften Erzählungen inszenieren dies jedoch als großes Ereignis, stellen es als ›neu‹ und ›unerhört‹ dar, was auch den Reiz der »Katzipori« ausmacht. Die Neugierde, sowohl auf der Ebene der Figuren als auch die Neugierde der Rezipierenden wird permanent enttäuscht. Die Neuheitssucht ist etwas, das Lindener entschieden in seinen Texten ablehnt, und mit dieser Einstellung möchte er unterhalten. Der Diskurs um das Neue ist für Lindener ein Diskurs um die Medien und ihr Wandel. Ein Sendschreiben, das ausgegeben wird, berichtet auf einer Metaebene zuerst einmal über den Boten, der es austrägt. Boten sind bei Lindener ohnehin präsent, ebenso wie die einzelnen im Druckgewerbe tätigen Figuren, zu nennen wären hier nur der Papiermacher, der Buchdrucker oder auch der Briefmaler. Auch wenn Lindener die Neuigkeitssucht seiner Zeit, die ›neuen Zeitungen‹, perhorresziert und sie der Lächerlichkeit preisgibt, so ist doch sein Erzählen insofern neu, als er auf verschiedenen Ebenen diesen medialen Wechsel thematisiert. Er ist sich bewusst, dass die neuen Medien nun auch die Deutungshoheit der Institutionen, wie die Kirche, unterminieren. Texte, die vorher nur unter ganz bestimmten Bedingungen zugänglich waren oder auch nur in speziellen Kontexten interpretierbar gewesen sind, wie der Text der 101 M. Lindener: Schwankbücher 1, S. 72, 73, 75, 83, 99, 111, 126. 102 Ebd., S. 128.

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Predigt, können nun – und das haben auch schon die Reformatoren erkannt103 – an ganz verschiedenen Orten und unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Es gibt nicht mehr die ›eine‹ autorisierte Interpretation, sondern eine Vielzahl an Interpretationen und das, was für den einen Rezipienten als neu erscheint, ist für den anderen ein bloßer Trugschluss. Wie man sich in einer Welt, die eine derartige Orientierungslosigkeit zurücklässt, zurechtfinden kann, dazu leitet der Text bei Lindener nicht mehr an. Mit der Diversität der Interpretationen verschwindet auch der moralische Erzähler. Zurück bleibt im ersten Moment das Lachen über die Figuren, welche sich in einer Welt verlässlicher Interpretationen glauben, in diesem Glauben allerdings enttäuscht werden.

103 Vgl. zum Einsatz der Medien und deren Auswirkungen auf den Textsortenstil R.F. Schulz: Textsortenstilistik.

5. Der »Finckenritter«

5.1 D IE F IKTION VOR

DEM

H INTERGRUND DER Q UELLEN

Der »Finckenritter« wurde spätestens seit Karl Müller-Fraureuths einschlägiger – doch mittlerweile veralteter – Studie als Lügenmärchen bezeichnet.1 Erst in den letzten 20 Jahren erfuhr das um 1560 erstmals erschienene Werk eine Aufwertung. Joachim Knape sieht in seiner Neuedition des »Finckenritters« diesen noch in der Nähe der »Nonsense- und Unsinnsdichtung«, jedoch nur in Bezug auf »die Komponente des semantikverwirrenden Sprachspiels«2. In der Bewertung des Textes in toto konstatiert Knape allerdings: »In der Darstellung verlieren die Gegenstände ihre bekannten Formmerkmale; die ansonsten unverrückbare Gültigkeit der Logik und Folgerichtigkeit wird ebenso schwankend wie die vertrauten Modelle wahrgenommener oder postulierter Ordnungen; nichts ist verläßlich, der Leser kann nichts mehr voraussehen, alles kann sich verkehren, alles kann unerwartet auftreten, alles wird zu einem Geflecht nicht mehr berechenbarer Ursachen und Wirkungen.«3

1

C. Müller-Fraureuth: Lügendichtungen, S. 67-68. Neuerdings schließt sich H. Brunner (Von achtzehn Wachteln, S. 140) diesem vernichtenden Urteil wieder an, wenn er konstatiert: »Es handelt sich um einen skurril-grotesken Unsinnstext ohne didaktische oder satirische Absichten, der als Parodie eines Ritterromans und Reiseberichts daherkommt«. Nicht nur die Interpretation verkennt das Potential des Werks, es ist auch bezeichnend, dass Brunner lediglich drei Seiten Kommentar dem in seiner Ausgabe 17 Seiten umfassenden Text widmet.

2

J. Knape in Finckenritter, S. 110.

3

Ebd., S. 124.

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Die alogische Konzeption des Werks führt also zur Desorientierung des Rezipienten, die Handlung ist nicht mehr proleptisch, Unerwartetes kann eintreten. Dieses Unerwartete thematisiert Knape nicht, er zitiert aber aus Wielands Kommentar zu Lukians »Wahrer Geschichte«, in dem es heißt: »Lucian erhält seine Leser in beständiger Erwartung, durch etwas neues, das noch abenteuerlicher ist als das vorhergehende, überrascht zu werden; und verstärkt das Vergnügen, das aus dem Wunderbaren der Sache selbst entspringt, noch durch das Erstaunen über die Energie und Verwegenheit der Imagination, welche die Schöpferin so unerhörter Dinge ist.«4

Die entscheidende Differenz ist nur, dass Lukians Figuren sich in einem immerhin noch geordneten Kosmos bewegen und dass sich auch eine kohärente Handlung für die Lesenden ex post rekonstruieren lässt. Der »Finckenritter«, in dem in der ersten Person Handlung erlebt und geschildert wird, lässt aber eine Orientierung, die den Text zu einem Ganzen werden lassen kann, nicht erkennen.5 Werner Röcke hat darauf hingewiesen, dass der »Finckenritter« gerade durch diese Orientierungslosigkeit – besonders die ›Verkehrung‹ von Anfang und Ende – auf die zeitgenössischen Lesenden bedrohlich wirken musste, sodass als einzige Reaktion nur ein »beklemmendes Gelächter«6 bliebe. Es ist allerdings zu fragen, ob die Orientierungslosigkeit der Figur, die bewusst angelegt wurde, zwangsläufig ein historisches Publikum beunruhigte. Ulrich Gaier hat zu Recht auf die häufig fehlende Differenzierung »zwischen dem funktionalisierten Lachen und dem poetischen Lachen«7 hingewiesen und fragt dementsprechend, »warum [z.B. für eine Theorie wie sie Bachtin vorlegt – R.F.S] Gargantua ein poetischer Text und nicht ein Zeugnis der Karnevalsgewohnheiten ist wie der Festzug des Kölner Karnevals.«8 Schließlich führt Gaier für das literarische Lachen aus: »Die Normverletzungen, Mißverständnisse, (Selbst-)Blockaden, Überkorrektheiten, die in der Alltagskommunikation Lachen erregen, werden in der Literatur vorgezeigt und wecken wie im Alltag Lachen; die Inszenierung, deren Künstlichkeit durch groteske Übertreibung […] oder durch spezifische Rahmung […] ins Bewußtsein gehoben wird, leitet das Lachen um von den beteiligten Personen auf den Sachverhalt und seine Modellhaftigkeit.«9 4

C.M. Wieland in Lukian: Werke, S. 228, Anm. 49, vgl. J. Knape in Finckenritter, S.

5

Vgl. T. Cramer: Von einem, der auszog.

6

W. Röcke: Anfang, S. 326.

7

U. Gaier: Lachen und Lächeln, S. 85.

8

Ebd., S. 85. Hervorhebung im Original.

9

Ebd., S. 87.

125.

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Die Normverletzungen tangieren aber im »Finckenritter« weniger die Realität als die literarische Tradition. Der Held, der noch nicht geboren ist, sich in seinen Abenteuern aber versehentlich den Kopf abschlägt und diesem nachjagt, verstößt gegen die Mimesis, welche auch dem Ritterroman als Orientierungspunkt dient. Hier werden literarische Konzepte hinterfragt und ad absurdum geführt, dies vollzieht sich vor der Folie von literarischen Traditionen. Schon allein die Allusionen an die verschiedenen Gattungen, zu nennen sind in erster Linie Reisebericht, Abenteuer- und Ritterroman, städtischer Roman und Schwanksammlung, auch Teufelserzählung,10 machen eine Gattungszuordnung unmöglich. Die Makrostruktur des Textes besteht aus disparaten Handlungsteilen. Die acht ›Tagreisen‹ sind so gut wie nicht verknüpft, auch das Verknüpfen durch Worte, Redewendungen und Artefakte machen den Text nicht kohärent, entgegen der Behauptung von Armin Schulz, der Verknüpfungen im Text nachweisen möchte, die lediglich epistemologisch verkehrt seien.11 Innerhalb der einzelnen Kapitel werden nur wenige Themen konsequent durchgehalten, hervorzuheben ist hier besonders die Schlaraffenland-Thematik, die aus dem um 1300 entstandenen »Wachtelmäre« entlehnt ist.12 Das »Wachtelmäre« lässt ebenso eine kohärente Handlung vermissen wie der »Finckenritter« und steht unter dem neuerdings wieder geäußerten Verdikt, eine reine »Unsinnsdichtung«13 zu sein. Gerade aufgrund der Tatsache, dass der »Finckenritter« maßgeblich auch vom »Wachtelmäre« beeinflusst zu sein scheint, empfiehlt sich hier eine genauere Analyse. Vor der Folie des »Wachtelmäres« zeigt sich das Neuartige des »Finckenritters«. Das dem 14. Jahrhundert zuzurech-

10 Vgl. T. Cramer: Von einem, der auszog, S. 292. Interessanterweise überliefern J. u. W. Grimm in den »Kinder- und Hausmärchen« (S. 570, Nr. 138) die Geschichte von »Knoist un sine dre Sühne«. Der blinde, der lahme und der nackte Sohn erleben ein Abenteuer, das an die drei korrespondierenden Figuren im »Finckenritter« denken lässt. Im Märchen ist es die protestantische Kritik am katholischen Ritus, weshalb hier die Weihe mit dem Knüppel kommentiert wird: »Sielig is de Mann, de den Wiggewater entlaupen kann« (S. 570). 11 Vgl. A. Schulz, Negative Kohärenz, bes. S. 180-183. 12 Vgl. zum »Wachtelmäre« H. Brunner: Wachtelmäre. 13 Zu denken wäre hier an H. Brunner (Von achtzehn Wachteln), der schon im Titel seiner Anthologie die Texte unter dem Begriff »Deutsche Unsinnsdichtung« subsumiert.

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nende Gedicht ist in mehreren Versionen von unterschiedlicher Länge überliefert,14 im Folgenden wird die längste Version herangezogen.15 Es beginnt mit der Einführung eines Essigkrugs als Protagonist: »Hie vor in alten zeiten an ainer haberleiten, in aim hültzein lande auf aim ströbein sande saz ain reicher ezzeich krug, dez muter ain peren truk, hintz sie ains ochsen gnas, der gwaltig esel waz, an dem kumpostperg. puttern auz twerg span er manigen tak. ain wachtel in sak!«16

Nach dem formelhaften Eingang »Hie vor in alten zeiten«, welcher der Leserschaft von Heldenepik vertraut ist, wird in der ersten Strophe die Genese des Helden parodiert. Entgegen der Leseerwartung wird aber nicht von der Geburt des Essigkrugs berichtet, der zukünftige ›Abenteuer‹ erleben soll, sondern von der Geburt eines Ochsen durch seine Mutter Otte. Der Essigkrug und Otte erreichen in den nächsten Strophen ein Schlaraffenland namens Gugelmiure, das ausführlich geschildert wird und schließlich wird das Kind eines Ritters aus Heu, ein Kalb, mit einem Sattel verheiratet. Aus der Ehe gehen Alexander der Große, Kaiser Ermenrich, der Zwerg Alberich, ein dreiköpfiger Riese und noch weitere Wunderwesen hervor. Danach lässt sich eine kohärente Handlung kaum noch rekonstruieren. Es folgen eine Reihe Motive aus der Schwankliteratur, Adynata, wie zum Beispiel Fische, die im Feuer gehen. Eine nicht näher bezeichnete Gruppe fliegt nun auf einen Heuhaufen, dann kommt ein Regenwurm, der gegen einen Igel 14 Das »Wachtelmäre« wird in sieben Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts überliefert, vgl. N. Busch/D. Könitz: Wachtelmäre. 15 Zitiert wird der Text nach der Edition von H. Brunner: Von achtzehn Wachteln, S. 3651. Er orientiert sich, wie W. Wackernagel (Wachtelmäre), der den Text normalisiert bringt, an der Handschrift Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 2885. Die Edition von E. Kiepe/H. Kiepe (Gedichte, S. 57–61) druckt nur eine kürzere, zwölfstrophige Fassung ab, wie sie in der Kalocsaer Handschrift (heute Cologny-Genf, Bibl. Bodmeriana, Cod. Bodm. 72) überliefert ist. 16 H. Brunner: Von achtzehn Wachteln, S. 36. Hervorhebung im Original.

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kämpft. In die kriegerische Handlung wird erneut das Personal der Heldenepik (besonders des »Nibelungenliedes« und der Dietrichepik) eingefügt: »Geflogen kam ain regenwurm: der hub den aller grösten sturm mit ainem igel, der waz plos. herr Dietreich von Perne schoz durch ain alten neuen wagen, herr Hildeprant durchn kragen, herr Ekk durch den schüzzelkreben – Chriemhilt verloz da ir leben, daz plut gen Maintz ran. herr Vasolt kaum entran, des leibs er sich verwak. sibentzehen wahteln in sak!«17

Der Text endet mit dem bizarren Kampf des Regenwurms und des Igels, der durch einen heranschwimmenden Mühlstein auf dem Meer geklärt wird. Interessant sind an diesem Text die Bezüge zur Heldenepik, ebenfalls relevant sind die Reminiszenzen an Mongolen und Kumanen. Die Erwartung der Lesenden wird aber permanent enttäuscht, die Namen der Heldenepik werden nur erwähnt, Figuren aus den unterschiedlichen Texten werden willkürlich nebeneinander gestellt. Das Motiv des Schlaraffenlands erscheint auch nur als disparater Handlungsteil, Regenwurm und Igel wecken Assoziationen an die Tierfabel, dienen aber lediglich dazu, das heldenepische Geschehen endgültig ad absurdum zu führen. Hier liegt ein extremer Fall von unzuverlässigem Erzählen vor, der nicht einfach als Nonsensdichtung verstanden werden kann. Besonders die Heldenepik und die Anspielungen auf die historischen Ereignisse scheinen Themen zu sein, die in Zusammenhang mit dem konfus wirkenden Text stehen, der im Sinne einer dekonstruierenden Lektüre als Ausdruck einer Krise von Literatur gelesen werden kann.18 17 Ebd., S. 48-50. Hervorhebung im Original. 18 Krise bezeichnet in erster Linie einen Wendepunkt, der auch eine Entscheidung fordern kann, sie kann jedoch auch in einer Katastrophe enden. Die Entlehnung des Begriffs ist im Deutschen relativ jung und datiert in das 16. Jahrhundert, das Phänomen besteht verständlicherweise länger als die konkrete Benennung. Krisen rücken in letzter Zeit stärker in das Bewusstsein literaturwissenschaftlicher Forschung, was auch mit der aktuellen Alteritäts- und Interkulturalitätsforschung zusammenhängt, bei der im Blickpunkt primär Reisebeschreibungen und Schilderungen von Begegnungen mit fremden Kulturen in der Fiktion liegen. Vielfach münden die literarisch geschilderten Krisen in

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Auffällig ist die Thematisierung fremder Kulturen in dem Text, welche mit heldenepischem Personal verknüpft wird und somit offensichtlich auf die literarische Situation um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert reagiert. Die fünfte Strophe bringt, mit Bezug auf die Kulinaria des Schlaraffenlandes, die Verse: »daz gepraten in den munt fliegent da die swalben. Räussen noch Falben habnt nicht so reichen hak.«19

In der 12. Strophe, die eine Anrede an Spielleute enthält, werden diese aufgefordert: »richt zu den snüren / die taterman, unt weset stoltz!«20 Unter den »taterman« sind in erster Linie die Marionetten zu verstehen, die hier an den Schnüren geführt werden sollen. Vor dem Hintergrund der Kumanen und Reußen (»Riuzen, noch Valwen«) ist aber eine Verbindung zu den Tartaren – mittelhochdeutsch ebenfalls taterman – möglich. Zum einen belegt schon der Dialekt der überlieferten Textzeugen, der auf das Gebiet des heutigen Burgenlandes weist,21 dass eine solche Assoziationskette möglich ist, zum anderen wurden schon einige historische Rechtstermini von der Forschung im »Wachtelmäre« nachgewiesen, sodass mit relativ wenigen Zufällen zu rechnen sein wird. Der Hinweis auf die Kumanen kann jedoch noch nicht plausibel machen, wie es Alfred Ratz 1949 behauptet, dass der Text um 1250 aufgezeichnet worden sein sollte.22 kriegerische Auseinandersetzungen. Sie werden in der Heldenepik, aber auch im Artusund Abenteuerroman des Hochmittelalters in Zweikämpfen gelöst. Der Fremde, wenn er nicht kommensurabel mit einem höfischen System ist, wird besiegt. Anders sieht es in der zeitgenössischen humoristischen Kleinepik aus, hier werden verkehrte Welten und die Möglichkeit einer Einbeziehung des Fremden aufgezeigt. Doch bleibt letztendlich die Frage, ob diese Texte die Konflikte aus der ›seriösen‹ Literatur anders bewältigen oder nicht sogar die Krise und ihre unmögliche Lösbarkeit erst viel stärker zum Ausdruck bringen. Unterschieden werden muss in jedem Fall die Krise auf der literarischen Ebene, in welcher der Held oder die Erzählerfigur sich befindet, wenn er oder sie mit Fremdem konfrontiert wird, und die Krise eines literarischen Stoffes, der überholt ist und Gefahr läuft, nur noch die Vorlage für ein humoristisches Werk zu liefern. 19 H. Brunner: Von achtzehn Wachteln, S. 40. 20 Ebd., S. 44. 21 Der Dialekt des Wachtelmäres ist heanzisch, vgl. A. Ratz: Peter der Wachtelsack, S. 1617. 22 Vgl. ebd., S. 16-17.

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Der Konnex zwischen Kumanen und Tartaren findet sich in der zeitgenössischen Chronistik, wenn es um den Mongolensturm von 1241 geht. Zum Beispiel berichtet die »Gestorum Treverorum Continuatio« über die Mongolen: »Nam gens infausta Tartarorum, terna iam irruptione facta, fines invasit Europe, exterminium toti orbi christiano meditans et minitans. Hos Tarsenses et Hysmahelitas quidam autumant, de quibus scribit Methodius, quod egressuri sint ante finem mundi et obtenturi orbem terre octo ebdomadibus annorum, id est 56 annorum, et multa facturi mala. Adiuncti sunt eis Cumani, Amazones et alie gentes […]. Invaserunt igitur Hungarie partes, Boemiam, Poloniam et finitimas regiones, omnia vastantes, nulli hominum parcentes, senes et iuvenes, divites et pauperes, mulieres cum parvulis interficientes, matronarum et virginum pudicitie incredibiliter nocentes, commessationibus, luxuriis, inmunditiis intra templa Deo sacrata vacantes, villas et ecclesias, oppida et cenobia paris in destruendo habentes.«23

Das Ausmaß des Mongoleneinfalls wird – und das auch in anderen Quellen – apokalyptisch geschildert. Die Endzeiterwartung und die Verwüstung ganzer Landstriche haben noch Jahre später ein negatives Bild der Mongolen und ihrer Verbündeten hinterlassen, sodass sie in den Chroniken des 13. Jahrhunderts durchweg perhorresziert werden. Die Reiseberichte jedoch, die wenige Jahrzehnte nach den kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitteleuropa entstanden, schildern die Mongolen anders, so bieten beispielsweise Wilhelm von Rubruk und Marco Polo ein weitaus neutraleres Bild.24 Das »Wachtelmäre« verbindet nun die Elemente der aufkommenden Reiseliteratur mit den historischen Ereignissen. So heißt es über die Tasche der Mutter des Essigkrugs, dass ›solche bisher niemals über das Meer gekommen sei‹25, was einen weiteren Verweis auf die Reiseliteratur darstellt. Das Anzitieren des Mongolensturms im »Wachtelmäre« passt sich in die chaotische erzählte Welt ein, die ebenfalls in einem monströsen Krieg unterzugehen scheint. Die historische Schändung der Kirchen korreliert mit der literarischen Entweihung des Gotteshauses im Schlaraffenland, in dem ein Priester aus Eichenholz mit einem Kolben den Segen erteilt: »zehant hub ich mih herab: / von dem antlaz ich ersrack.«26 Unvermittelt tritt ein Ich-Erzähler hervor, so verstörend ist die pervertierte Messe im Schlaraffenland Gugelmiure, dass durch den Wechsel der Erzählerperson auf sie aufmerksam gemacht werden muss.

23 G. Waitz: Continuatio, S. 403–404. 24 Vgl. M. Münkler: Alterität und Interkulturalität, S. 330–332. 25 Vgl. H. Brunner: Von achtzehn Wachteln, S. 36. 26 Ebd., S. 42.

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Der Kommentar in der ersten Person, wie er aus der Textsorte Reisebericht dem zeitgenössischen Publikum bekannt ist, und die Reflexe des Mongolensturms führen in Verbindung mit einer fiktiven Topographie und literarischen Figuren in eine Bedeutungskrise. Es bleibt als Konsequenz, dass Fiktives nicht mit historischen Fakten erklärt werden kann, was natürlich auch für den umgekehrten Fall gilt. Ein zweiter wichtiger Aspekt liegt in der Thematisierung der Heldenepik. Auch hier wird das kritische Potential des »Wachtelmäres« deutlich. Das »Nibelungenlied« selbst lässt die nicht zu vereinbarenden Konzepte einer höfischen Gesellschaft, die auf eine archaische Kultur in der literarischen Bearbeitung trifft, zu einem katastrophalen Ende an Etzels Hof führen,27 und thematisiert somit eine (literarische) Krise. Hinzu kommt, dass die bunte Zusammenstellung aus mehreren Stoffkreisen und Motiven die heldenepischen Texte des späteren 13. Jahrhunderts suspekt erscheinen ließen und das schon teilweise im Spätmittelalter. Die grotesken Abenteuer in der aventiurehaften Dietrichepik und den kleineren Stoffkreisen wie dem »Wolfdietrich« stießen auch in der wissenschaftlichen Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts auf Unverständnis und Ablehnung. Neuere Studien heben dagegen das Zusammensetzen disparater Handlungsteile und Motive als eine poetische Übertragung der Intention hervor. Dies zeigt sich schon an dem hybriden Helden Wolfdietrich, der – je nach Version – als Kind unter Wölfen ausgesetzt und großgezogen wurde, und Abenteuer erlebt, die sowohl der höfischen Welt als auch der archaischen Heldenepik zugeordnet werden können. Dass hier nicht homogen erzählt wird, kehrt aber wohl eher das Konzept des Helden hervor. Andreas Kraß konstatiert: »Der Protagonist springt gewissermaßen zwischen den Stationen seines ritterlichen und seines religiösen Weges hin und her, was den ästhetischen Effekt von Unruhe und Unordnung erzeugt, einer Unordnung freilich, die poetologisch organisiert und sinnträchtig ist.«28 Ein älteres Beispiel lässt sich im »Eckenlied« finden. Der Riese Ecke, welcher aufgrund seiner Fremdartigkeit, die sich in seiner Größe und seiner Hybris äußert, wird schließlich von Dietrich von Bern getötet. Die Tötung verweist auf den moralischen Zerfall der höfischen Gesellschaft, da sich in der verantwortungslosen Aussendung des Riesen durch seine höfische Herrin die Problematik sehen lässt.29 Heldenepische Ethik wird hier gegen höfische Ethik ausgespielt und das in der Zeit um 1220, in der höfische Romane als modern galten. Die Reihe der Beispiele ließe sich problemlos noch erweitern, allerdings ist die Ablehnung des heldenepischen Erzählens für das hier behandelte »Wachtelmäre« von größerer Bedeutung. 27 Vgl. J.-D. Müller: Spielregeln. 28 A. Kraß: Ritter, S. 176. 29 Vgl. zur Einführung der höfischen Ethik in die Heldenepik z.B. M. Greulich: zaghait.

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Zu denken wäre hier an den Marner, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts klagt, sein Publikum wolle nur ein breites Repertoire an heldenepischen Stoffen hören.30 Noch ist der Stoff der Heldenepik beliebt, der Vortragende aber schon unwillig, sich mit den vielfältigen Wünschen des Publikums auseinanderzusetzen. Einen vergleichbaren Katalog bietet das »Wachtelmäre«, doch weicht hier die Aufzählung einer Interaktion mehrerer Helden aus unterschiedlichen Stoffkreisen. Das Zusammenbringen dieser unterschiedlichen Figuren dient zum einen der Komik des kurzen Texts, zum anderen drückt es aber auch die Beliebigkeit und somit die Austauschbarkeit der Protagonisten aus, die mittlerweile obsolet geworden sind oder sich in hybriden Erzählformen wiederfinden. Modernes Erzählen, und dies ist eine heuristische These, die hier anzustellen wäre, kann die archaischen Krieger nur noch verlachen, zumindest aus der Sicht des anonymen »Wachtelmäre«-Autors.31 Die Einordnung des »Wachtelmäres« in die literarische Produktion um 1300 könnte für mehr Klarheit sorgen. Seit der Publikation des kurzen Textes durch Wilhelm Wackernagel im 19. Jahrhundert galt das »Wachtelmäre« als Nonsenstext oder der Lügendichtung zugehörig. Immerhin lässt sich für das Mittelhochdeutsche belegen, dass wahtel ebenfalls ein Synonym für Lüge ist. Auch als Zeitsatire wurde das »Wachtelmäre« gedeutet, um es inhaltlich aufzuwerten. Sonja Kerth konstatiert in ihrem 2008 erschienenen Aufsatz, dass es sich »nicht um eine Satire oder Zeitklage handelt, sondern daß die Beschreibung ein freies Spiel mit übersteigerter Fiktionalität darstellt: Bezugspunkte sind nicht die Gesellschaft und als real empfundene Erscheinungen der Welt, sondern der Text ist referenzialisierbar auf Literatur: Heldenepik, Brautwerbungsdichtung, Schlaraffenlandschilderungen, Reisebericht. Hier ist der direkte Wirklichkeitsbezug in der Tat völlig suspendiert.«32

Nach Kerth liegt also keine Krise vor, sondern lediglich ein literarisches Spiel. Doch die Auseinandersetzung mit der Fiktion reflektiert gerade die Krise des Erzählens. Deutlich wird dies in der erzählten Welt. Im »Wachtelmäre« liegt keine verkehrte Welt im Sinne des mundus perversus vor, wie ihn Ernst Robert Curtius geschildert hat.33 Die Zustände sind nicht einfach vertauscht, wie, um nur ein Bei-

30 Vgl. F. Wentzlaff-Eggebert/E. Wentzlaff-Eggebert: Deutsche Literatur, S. 80. 31 Die handschriftliche Überlieferung spricht hier allerdings eine andere Sprache, da zum Beispiel die Dietrichepik im 16. Jahrhundert, und darüber hinaus, eine konstante Rezeption erfährt. 32 S. Kerth: ich quam geriten, S. 428. 33 Vgl. E.R. Curtius: Europäische Literatur, S. 104–108.

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spiel zu bringen, das beliebte Motiv des Hasen, der den Hund jagt. Unterschiedliche Protagonisten und Orte sind im »Wachtelmäre« so verknüpft, dass eine Ordnung nicht mehr durch Umkehrung erzielt werden kann. Eine Intention lässt sich nicht mehr erschließen. Bei den Leserinnen und Lesern erzeugen die Assoziationsketten, die ins Leere laufen und die Verknüpfung disparater Handlungsteile, die letztendlich doch ihre Autonomie erhalten, entweder Lachen oder Verstörung im ästhetischen Sinne. Der letztere Fall, die Verstörung oder das Befremden, kann somit als Referenz auf ein gewandeltes Verständnis von Literatur und Sprache im Allgemeinen deuten. Ein Wendepunkt im Sinne einer Krise liegt vor, wenn man diese dekonstruierende Lektüre fortsetzt. Friedrich und Erika Wentzlaff-Eggebert haben in »Die Deutsche Literatur im späten Mittelalter« den »Übergang zu bewusst kritischer Sprachgestaltung« treffend skizziert: »Das Streben nach Gelehrsamkeit und wissenschaftlicher Abstraktion, das sich in den theologischen Sprüchen der Meister zeigte, machte sich im späten Mittelalter auf allen Gebieten der Literatur bemerkbar. Das Nachdenken über die Welt, das sich, auf Grund der sich schärfenden Beobachtungsgabe, deren Einzelerscheinungen zuzuwenden beginnt, erstreckt sich auch auf die Sprache und auf die Gesetze der Poetik. […] Übersetzer identifizieren sich nicht wie in früheren Jahrhunderten mit ihrer Vorlage, sie beginnen sie kritisch zu betrachten.«34

Was für den Übersetzer dieser Übergangszeit gilt, gilt für den Verfasser des »Wachtelmäres« im gleichen Maße, nicht mehr Stoffe und Vorlagen werden bearbeitet, sondern etwas Neues entsteht. Durch die Interpretation lässt sich die literarische Krise im »Wachtelmäre«, die sich im Aufgreifen neuer Stoffe und dem Hinterfragen der alten literarischen Texte manifestiert, schrittweise aufdecken: •

• •

Die obsoleten Erzählmuster und -stoffe werden im »Wachtelmäre« verfremdet. Durch die Verbindung von historischen mit fiktiven Ereignissen und das Heranziehen von Motiven aus unterschiedlichen Textsorten wird das heldenepische Erzählen in eine Krise geführt. Eine kohärente Bedeutung des Textes kann nicht mehr rekonstruiert werden, die Verweise führen ins Leere. Auf der Ebene der Narrativik äußert sich diese Inkohärenz in der Verknüpfung unterschiedlicher, teils entgegengesetzter Orte, Handlungen und Figuren. Die Krise, als Wendepunkt zum neuen Erzählen hin, wird in der Erzähltechnik des »Wachtelmäres« deutlich.

34 F. Wentzlaff-Eggebert/E. Wentzlaff-Eggebert: Deutsche Literatur, S. 20–21.

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Wie Wendepunkte in der deutschen Literatur um 1200 mit dem Aufkommen des hochhöfischen Artusromans anzusetzen sind oder mit den Auswirkungen des italienischen Frühhumanismus auf die deutsche Literatur um die Mitte des 14. Jahrhunderts, so kann auch die Zeit um 1300, mit ihrer aufkommenden Reiseliteratur und der zumindest partiellen Ablehnung später Heldenepik als ein Wendepunkt angesehen werden. Zudem werden im »Wachtelmäre« die obsoleten Erzählmuster in eine Krise geführt, die literarisch mit den historischen Ereignissen des Mongolensturms verglichen werden. Das chaotische Geschehen, welches eher befremdlich erscheint, aber auch für Gelächter sorgen kann, kulminiert in einem absurden Untergang der fiktiven Welt, die dem an neuen Stoffen orientierten Rezipienten um 1300 nichts mehr zu bieten hat. Entgegengesetzt wird dem Publikum ein Text, der sowohl verstörend wirken als auch als artifizielles Gebilde gedeutet werden könnte, das ausgehend von dem rhetorischen Topos des mundus perversus ein nicht mehr umkehrbares Geflecht von Motiven schafft. Diese Deutung ist jedenfalls zu konjizieren, wenn man bedenkt, dass es zwei bedeutende Rezeptionsphänomene des Texts noch im 16. Jahrhundert gibt, zum einen bei Fischart,35 zum anderen im »Finckenritter«. Wie nah sich der Text des »Finckenritters« partiell am »Wachtelmäre« orientiert, wird schon in der Gegenüberstellung der Abschnitte über das Schlaraffenland evident: »Mit liderein glokken muz man ze kirhen loken, si hangnt also hoh, daz man sei läut im stro mit einem fuchszagel, si hangent an dem nagl – daz ist ain eiszephe – unt klingent als ein hephe. da ist albeg veirtak. sechs wahteln in sak! Die hund sint mit mûz beschut. dâ sint die kirhtürne gut gemaurt auz puttern, gotwaiz, unt scheint diu sunn alz haiz, daz schat im umb ain har. ain aichen pfaff, daz ist war, 35 Vgl. z.B. die Anspielung auf das »Wachtelmäre« mit »Vier Wachtel im Sack«, J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 240.

124 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN ain puchein messe singet. wer da ze opfer dringet, der antlaz im geben wirt, daz im der rukk swirt, den segen man mit kolben gab. zehant hub ich mih herab: von dem antlaz ich ersrack. siben wahteln im sak!«36 »[d]a kam ich zů einer zwilchenen Kirchen / die Glocken warend von Jüppenthůch gegossen / die klüpffel darinn von Beltz ermlen gemachet / darinn stůnd ein häberiner Caplan / der bettet ein gerstine mettin / der Chor was von gebachnen fladen gemauret / der Caplan sang Amen / Jch gedacht / er saget / fahen mir den / da flohe ich vor schrecken zů der thüren hinauß«37.

Offensichtlich bot sich das »Wachtelmäre« als Ausgangstext dem anonymen Autor des »Finckenritters« an, da es, wie hier dargestellt, als Reaktion auf die Krise der Sprache und Literatur um 1300 aufgefasst wird oder als ein »freies Spiel mit übersteigerter Fiktionalität«38. Der Anonymus zog also bewusst Texte heran, die an sich schon eine gestörte Ordnung oder eine Sinnkrise präsentierten. Neben dem Schlaraffenlandmotiv wird aber auch die beliebte Reiseliteratur der Zeit, wie Brandans Reisen, Mandevilles und Marco Polos Reiseberichte, indirekt zitiert. Die geographischen Orte und Stätten ferner Länder werden, kombiniert mit deutschen geographischen Namen, zu einer chaotisch wirkenden Topographie. Die Ansammlung der Motive kennt auch bei Rabelais Parallelen, in der Ankündigung einer Fortsetzung des »Pantagruel«: »Vous aurez la reste de l’histoire à ces foires de Francfort prochainement venantes, et là vous verrez comment Panurge fut marié, et cocqu dés le premier moys de ses nopces, et comment Pantagruel trouva la pierre philosophale, et la maniere de la trouver et d’en user. Et comment il passa les mons Caspies, comment il naviga par la mer Athlantique et deffit les Caniballes, et conquesta les isles de Perlas. Comment il espousa la fille du roy de Inde nommé Presthan. Comment il combatit contre les diables, et fist brusler cinq chambres d’enfer, et mist à sac la grande chambre noire, et getta Proserpine au feu, et rompit quatre dentz à Lucifer, et une corne au cul, et comment il visita les regions de la lune, pour sçavoir si à

36 H. Brunner: Von achtzehn Wachteln, S. 40-42. 37 Finckenritter, S. 137. 38 Zur zweiten These vgl. S. Kerth: ich quam geriten, Zitat: S. 428.

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la verité la Lune n’estoit entiere: mais que les femmes en avoient troys quartiers en la teste. Et mille aultres petites joyeusetez toutes veritables. Ce sont belles besoignes.«39

Die Handlung des »Finckenritters« setzt ein: »Eben zů denselben zeiten / als der groß Chan vonn Cathay / zů Straßburg inn der Růprechts Auwe regiert / vnnd Herr Johann von Monteuilla / Ritter auß Engelland / die gantze Welt / so weit der Hymmel blaw / vmbzogen ist. Da Priester Johann von Jndia / auff der Haller Wisen zů Nürenberg / bey den Kemmetfegern / neben dem Kettenbrunnen zů Heidelberg / gegen des Babylonischen seyffenwebers hauß vber / ein Probst des Paradeyses war.«40

Die Anspielungen auf die zeitgenössische Reiseliteratur sind bei Rabelais und im »Finckenritter« evident, die Topographie fremder Länder wird mit jener des gewohnten geographischen Umfelds vermischt, eine Technik, die sich auch in Michael Lindeners Beschreibung des Riesen findet.41 Nähe und Ferne sind im »Finckenritter« von Anfang an von großer Bedeutung, ebenso das Spiel um Maß, Zahl und Gewicht. Auch wenn dieser erste Abschnitt noch keine Bekanntschaft des »Finckenritter«-Autors mit dem Werk Rabelaisʼ verrät, gibt es doch noch einige weitere Aspekte, auf die schon Thomas Cramer hingewiesen hat: Der durch Kutteln eingeleitete Geburtsvorgang, im »Finckenritter« ist es Speckkuchen, und die Figur des Bridoye (= Gänseritter oder Gänsefeld),42 auch der bizarre Geburtsvorgang selbst, könnten Rabelais als Ausgangspunkt haben. Immerhin verbindet Fischart in der »Geschichtklitterung« sowohl den »Finckenritter« als auch den »Gargantua«, wenn es um den Geburtsvorgang seines Riesen geht.43 Die durch die Überschriften vorgegebene Struktur des Textes, unterteilt in ›Tagreisen‹, orientiert sich am Ritterroman, mit Enfance und Ritter- und Abenteuerhandlung, dazu kommen Anspielungen an den städtischen Roman, wenn der Finckenritter beschließt, als Kaufmann auszuziehen, und schließlich findet auch die Narrenliteratur mit dem Windschiff ihren Eingang in das Werk.44 Durch die 39 F. Rabelais: Œuvres, S. 336. 40 Finckenritter, S. 135. 41 Vgl. Kapitel 4.2 und 4.3 in dieser Arbeit. 42 Vgl. T. Cramer: Von einem, der auszog, S. 287. 43 Vgl. J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 43 u. 150. 44 Für H. König (Reuters »Schelmuffsky«, S. 116) gehört das Windschiff zu den »reine[n] Märchenmotive[n]«, es zeigt sich allerdings eine interessante Parallele zu dem nur in einer Handschrift überlieferten »Windschiff aus Schlaraffenland«, zugleich einer der ersten Rezeptionszeugnisse für Sebastian Brants »Narrenschiff«, in dem in den Prolog vorausgeschickten Versen zu lesen ist: »In windschiff faren wir vff drucknem landt,

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fehlenden Verknüpfungen bleibt die Heterogenität der Quellen erhalten. Auch der Ich-Erzähler schafft keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Abschnitten. Zudem steht das Ich anderen Individuen, die nicht mit ihm interagieren, gegenüber. Als Konsequenz scheitern jegliche Kommunikationsversuche. Bezeichnend sind hier die räumlichen Orientierungsversuche im dritten Abschnitt. Nach der Gesprächseröffnung durch das Erzähler-Ich folgt die Frage nach dem richtigen Weg, da die Kommunikationspartner aber mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt sind, sind die Versuche zum Scheitern verurteilt. Der Finckenritter trifft auf seiner Reise einen Mann mit einem »Badstüblin auff der Nasen«, den er nach dem Weg fragt: »Zů dem saget ich / Gott grüß euch. Er antwortet mir / vnnd sprach / Ja ich kam nechten spaht. Jch fragt jhn / wo gehet der weg da hinauß? Er sagt / Jch kundts nicht eh geschicken / Dann ich zehret am obern thor / bey gůten gesellen. Jch sprach / lieber freund / weiset mich die rechten strassen / da sagt er / Es kam einer vmb sibendthalben pfennig / das macht / das ich so spath bin kommen / Jch gedachte / er fatzet mich / Vnd zohe füert / verlor den weg / vnnd gieng die bane / vnnd kam in einen großen vngeheuren dicken Wald / da was kein Baum«45.

Die Fragen des Ich-Erzählers sind für sich genommen logisch, wie in der Zusammenstellung deutlich wird: »Gott grüß euch. […] wo gehet der weg da hinauß? […] lieber freund / weiset mich die rechten strassen […]«. Auch die Redeteile des Mannes sind für sich genommen kohärent, abgesehen davon, dass es zwei Gründe für das Zuspätkommen gibt: »Ja ich kam nechten spaht. […] Jch kundts nicht eh geschicken / Dann ich zehret am obern thor / bey gůten gesellen. […] Es kam einer vmb sibendthalben pfennig / das macht / das ich so spath bin kommen«. Erst in der Interaktion zwischen den beiden kommt es zum Aneinander-vorbei-Reden.46 Gleichzeitig ist der Abschnitt auf der Metaebene ein Text, der die Konzeption des »Finckenritters« noch einmal verdeutlicht. Die Zusammenstellung lässt die »rechte straaß«, nach der der Ich-Erzähler auch einen Köhler fragt, im Verborgenen. Die Figuren sind unabhängig vom Erzähler-Ich und gehen nicht auf dessen Wünsche ein. Ein Faktum, das sich auch in Delicados »Lozana Andaluza« und bei Rabelais schon zeigte. Die Straße kann hier auf die tradierte Erzählmetapher der vnser gsellschafft ist gar manger handt / vnd vnser kufmannschafft von lichter war.« (Kleinschmidt: Windschiff, 63). Das auf dem Trockenen fahrende Schiff und die ›leichte‹ (unbedeutende) Ware sind Motive, die auch im »Finckenritter« begegnen. 45 Finckenritter, S. 136. 46 Hierin lässt sich unter Umständen wieder ein Reflex der Reiseberichte sehen, in denen es auch um Verständnisprobleme bei Erstkontakten mit Fremden gehen kann.

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Straße verweisen. Da sie unauffindbar bleibt, kann auch der Text keine Kohärenz erhalten. Die Figuren wirken, als wären sie sich selbst überlassen, weshalb entweder die Handlung unerwartete neue Züge annimmt, wie bei Delicado und Rabelais, oder sogar ganz scheitern muss, wie im »Finckenritter«. Obsolete Erzähltexte werden zerstört und, hier zeigt sich das innovative Potential des Werks, in einer Zusammenstellung zu etwas Neuem gebildet. Dieses Neue bleibt jedoch unverständlich. Trotzdem zeigt sich im »Finckenritter«, wie sich durch Kombinationen immer wieder neue Texte generieren lassen, das Neuartige erschließt sich den Rezipierenden jedoch nicht oder, um es mit dem »Finckenritter« zu sagen, es ist noch nicht auf die Welt gekommen und somit noch gar nicht denkbar. Die Frage nach dem Entstehen des Neuen ist im Text permanent anzutreffen, dies ist schon durch das Postulat des Noch-nicht-Geborenseins des Protagonisten bedingt.

5.2 F REMD ,

GROTESK ODER NEU

Der »Finckenritter« ist mittlerweile Untersuchungsgebiet der Fremdwahrnehmungsforschung geworden. Werner Röcke sieht in ihm eine neue Konzeptionalisierung des Verhältnisses von Eigenem und Fremdem.47 Das besondere Potential erkennt er in dem Spiel um die Distanzen: »Zugleich aber erscheint das Fremde als Möglichkeit, das Nahe und Vertraute neu, und d.h. verfremdet wahrzunehmen. Nicht ›konflikthafte Gegensätzlichkeit‹ prägt jetzt das Verhältnis von vertrauter und fremder Welt, sondern die Möglichkeit, das Fremde in die Nähe zu ziehen, in der Verfremdung des Vertrauten dies aber neu sehen zu lernen.«48

Schließlich konstatiert Röcke: »Der anonyme Erzähler entwirft Bilder einer Persönlichkeitsspaltung und Entfremdung des Subjekts zu sich selbst, die deutlich machen, wie radikal der Fremdediskurs des Mittelalters verändert worden ist.«49 Auch Röcke sieht hier etwas Neues: den neuen Umgang mit dem Fremden aber auch dem Eigenen, »den point of view des Betrachters selbst, der seines bislang gesicherten Fundaments verlustig geht und seltsam haltlos wird.«50 Auch wenn Röcke noch den Begriff »Unsinnspoesie«, wohlgemerkt in Anführungszeichen,

47 W. Röcke: Vertrautheit, S. 119. 48 Ebd., S. 121. 49 Ebd., S. 126. 50 Ebd., S. 121.

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benutzt, hebt er doch die Bedeutung der Phantasie hervor.51 An diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, inwiefern noch von Eigenem und Fremdem gesprochen werden kann, wenn die phantastischen Produkte des Ingeniums bewertet werden. Die phantastischen Orte sind nicht mehr gänzlich zu kommensurabilisieren, ein gutes Beispiel dafür gibt die Lautenschlägerepisode ab. Neun Dörfer bespielt der Musiker jeden Sonntag: »Mit demselbigen Lautenschlager / gieng ich auff ein Sambstag inn sein hauß / daselbst fieng er also früh am morgen an / vnnd hat biß mittag an der Lauten zůrichten / Demnach so lieff er mit den füssen so geschwind daurauff herumbher / gleich wie ein Katz auff einem Dach / vnd ein Eichhörnlein in einer Kefig / ich wolt jhm helffen / als ich aber leyder nicht wol darmit kundt / so strauch ich / vnnd fiel durch den Lauten sternen / wol ein gantz viertel stund in die Lauten / ehe ich auff den boden kam.«52

Die beiden Räume, Haus und Laute, sind verschachtelt. Das Haus beinhaltet offensichtlich nur eine Laute. Der Musiker läuft wie eine Katze über die Laute, was schon auf die Größe des Instruments hindeutet. Der fünfzehnminütige Fall des Protagonisten bestätigt dann diese enorme Größe. Eine Laute solchen Ausmaßes ist zwar theoretisch denkbar, wohl aber nicht zu realisieren. Ebenfalls müsste das Haus des Lautenschlägers noch größer sein als das Instrument. Haus und überdimensionierte Laute sind allein noch denkbar, in ihrer Kombination entziehen sie sich aber der Vorstellung. Die Phantasie des Autors schafft hier Räume, die zwischen dem Möglichen und dem gänzlich Unvorstellbaren oszillieren. Der »Finckenritter«-Autor geht hier noch einen Schritt weiter als die Groteske, die seinen Ausgangspunkt zu bilden scheint. Die Groteske ist für mehrere Kunstkritiker des 16. Jahrhunderts, ausgehend von Vitruv, eine der Natur entgegengesetzte, (im negativen Sinne) phantastische Kunstform. Kayser stellt sogar fest, dass für die Architektur »das Prinzip der Statik [durch die Groteske – R.F.S.] ad absurdum geführt ist«, das Neue ist somit, »daß in dieser Welt die Ordnungen der Natur aufgehoben waren«53. Recht schnell behauptet Montaigne, nach Kayser,54 diese Kunstform für literarischen Stil, selbst bei Fischarts attributivem »Grubengrotteschische, fantästische krüg«55 liegt dieser Verdacht nahe. Gut fünfzehn Jahre nach Erscheinen des »Finckenritters« besteht also schon die Möglichkeit, im zeitgenössischen deutschsprachigen Kontext von Groteske zu sprechen. Allerdings 51 Ebd., S. 124. 52 Finckenritter, S. 139. 53 W. Kayser: Groteske, S. 15. 54 Vgl. ebd., S. 19. 55 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 20.

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birgt dieser Übertragungsvorgang von der bildenden Kunst auf die Literatur Probleme. Im Vitruvkommentar des Philandrus um die Mitte des 16. Jahrhunderts findet sich zwar schon eine Parallele zwischen Vitruvs Perhorreszierung der Groteske und Horazʼ bekannter Chimäre,56 doch muss man eingestehen, dass die Dichtung wesentlich weiter gehen kann als die Architektur. Das riesige Lautenschlägerhaus mit dem über alle Maße dimensionierten Instrument lässt sich nicht mit den Mitteln der Architektur des 16. Jahrhunderts umsetzen und es wäre zu fragen, ob das Kunstwerk überhaupt als Ganzes vom menschlichen Auge wahrgenommen werden könnte. Ein weiterer Begriff, der im italienischen Bereich schon im 16. Jahrhundert geläufig ist, stellt die Bizarrerie dar. Sie ist ebenfalls Stil, nicht Gattungsbezeichnung: »Die Bizarrerie sucht mit Absichtlichkeit das Seltsame und Auffallende, strebt, sich den Schein des Außerordentlichen zu geben, weicht, Originalität affektierend, von allgemein gültigen Sitten und Normen ab und wirkt dadurch bisweilen wider Willen komisch.«57 Anders als die Groteske wird Bizarrerie als Kunststil verstanden, bei dem also bewusst und seriös versucht wird, Neues – wider die Natur und poetische Konventionen – zu bilden, dadurch jedoch komisch wirkt. In der Literatur des 16. Jahrhunderts wird aber kaum unterschieden zwischen Bizarrerie und Groteske, die unter einer Reihe anderer Begriffe für eine Dichtung firmieren, welche offensichtlich nicht mimetisch im konventionellen Sinne ist. Die wieder entdeckte Dichtung des Burchiello erhält durch Anton Francesco Doni (1553) folgende Gattungs- beziehungsweise Stilzuordnung: »capricci, fantasie, umori, strauaganze, grilli, frenesie, ghiribizzi, argutie, motti, e sali«58, die, wie sich in Donis Widmung an Jacopo Tintoretto zeigt, Synonyme zu »grottesche« und »Bizzarie« sind.59 Die Groteske oder Bizzarerie kann auch nicht wirklich als neue Kunstform verstanden werden. In der Malerei ist sie das ganze Mittelalter hindurch eher eine Randerscheinung, die eine interessante Symbiose mit der Ornamentik einging. Jurgis Baltrušaitis sieht in der Gotik ein Oszillieren zwischen Kontinuität und Erneuerung, was die Rezeption der antiken Modelle betrifft, und er konstatiert ihre Verwandtschaft mit orientalischen Mustern, ohne dies – außer anhand von Bilddokumenten – näher zu erläutern: »Le paganisme antique, le paganisme de lʼOrient contemporain se sont trouvés, en quelque sorte, à une distance égale de lʼOccident nouveau.«60 Was hier angesprochen wird, ist die Wahrnehmung von Alteri-

56 Vgl. G. Philandrus: In Decem Libros, S. 228. 57 Meyers Großes Konversationslexikon 3, Sp. 8. 58 Burchiello: Rime, Titel. 59 Ebd., Bl. A8r. 60 J. Baltrušaitis: Le Moyen-Âge fantastique, S. 294.

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tät in der mittelalterlichen Kunst. Alterität hat hier nicht nur eine temporale Komponente, die antike Kunst, sondern auch eine geographische. Der räumlich ferne Orient ist den Rezipienten fremd, er wird in Form von Wunderwesen an die Ränder des Manuskripts gesetzt, was natürlich auch Ausdruck einer Mode ist, wie es Baltrušaitis hervorhebt. Wirklich grotesk, im Sinne von Baltrušaitis oder Kayser, sind im »Finckenritter« nur der Mann mit der Badstube auf der Nase, dessen Vorbild ein Druck ist,61 und die abenteuerlichen Ritter am Ende des Textes, nota bene, die Holzschnitte. Hier wird versucht, bildende Kunst und Dichtung in Einklang zu bringen, die zoomorphen Gestalten, die auf Turnierfahrt gehen, entsprechen den inhaltsleeren Rätseln und Scherzgedichten, die sie begleiten. Die Groteske verlässt ihre marginale Position, wie auch in den frühneuzeitlichen Höllendarstellungen, und rückt ins Zentrum des Geschehens, weshalb man hier eigentlich nicht mehr von Groteske sprechen sollte. Die Distanz- und Größenverhältnisse, die in den ›Tagreisen‹ ausgemacht werden, entsprechen aber nicht mehr der bildenden Kunst. Ihre verstörende Wirkung verbindet sie noch mit den Grotesken, von grotesken Konzeptionen lässt sich allerdings nicht mehr sprechen. Eine adäquate literarische Einordnung ist ebenfalls nicht mehr möglich, das Werk präsentiert einen neuen und somit undefinierbaren Erzählstoff, dessen Raum eine Heterotopie ist. Genau, wie sie Foucault schildert: »Andere Heterotopien sind gegen die Außenwelt vollkommen abgeschlossen, aber zugleich auch völlig offen. Jeder hat Zutritt, doch wenn man eingetreten ist, stellt man fest, dass man einer Illusion aufgesessen und in Wirklichkeit nirgendwo eingetreten ist. Die Heterotopie ist ein offener Ort, der uns jedoch immer nur draußen lässt.«62

Problemlos betritt der Protagonist das Haus der Lautenschlägers, darinnen befindet sich offensichtlich nur eine Laute, die ebenfalls ›betreten‹ werden kann. Von einem Raum gelangt das Ich in den nächsten Raum, doch aufgrund der Dimensionen, des fehlenden Interieurs, ist das Betreten dieser Räume keineswegs aufschlussreich für die Handlung. Wenn das, was sicher ist, plötzlich ungewiss wird, dann sind diese Räume lediglich Illusionen. Die geänderte Wahrnehmung, das Einführen eines Ichs, eines Individuums in den Roman, das keine Konzeption erfahren hat, noch nicht geboren ist, führt zur Erfahrung des Neuen, Undefinierbaren, das bis auf seine Größenausmaße eine Leerstelle bleibt, wie Haus und Lautenkörper. Man kann diese Thesen mit all ihren problematischen Konsequenzen annehmen oder man entscheidet sich für die einfache Interpretation, der Deutung des 61 Vgl. J. Knape in Finckenritter, S. 102 u. 116, Abb. 13. 62 M. Foucault: Heterotopien, S. 18.

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Werks als Nonsensdichtung. Dann allerdings wird der »Finckenritter« nur noch für stilistische Untersuchungen heranzuziehen sein. Wie aber die wissenschaftliche Rezeption des rätselhaften Werks zeigt, kann der Text wohl nicht bloß der Bedeutungslosigkeit anheim gegeben werden. Eine detailliertere Analyse der Thematik wird aufzeigen, wie sich der Text in den Wissensdiskurs der Zeit einfügt und mit welchen Mitteln er ihn durchbricht und so beim Publikum auch ein neues Rezeptionserlebnis hervorruft.

5.3 W ISSEN UND

DAS

H ERVORBRINGEN

NEUER

W ELTEN

Sowohl Rabelais als auch der Autor des »Finckenritters« setzen sich für ihre Fiktionen mit Geburtsvorgängen auseinander. Im »Gargantua« wird detailliert die Geburt des Helden geschildert: »Par cest inconvenient feurent au dessus relaschez les cotyledons de la matrice, par lesquelz sursaulta l’enfant, et entra en la vene creuse, et gravant par le diaphragme jusques au dessus des espaules (où ladicte vene se part en deux) print son chemin à gauche, et sortit par l’aureille senestre. Soubdain qu’il fut né, ne cria comme les aultres enfans, «mies, mies». Mais à haulte voix s’escrioit, ›à boire, à boire, à boire‹, comme invitant tout le monde à boire, si bien qu’il fut ouy de tout le pays de Beusse et de Bibaroys. Je me doubte que ne croyez asseurement ceste estrange nativité. Si ne le croyez, je ne m’en soucie, mais un homme de bien, un homme de bon sens croit tousjours ce qu’on luy dict, et qu’il trouve par escript. Est ce contre nostre loy, nostre foy, contre raison, contre la saincte escripture? De ma part je ne trouve rien escript es bibles sainctes, qui soit contre cela. Mais si le vouloir de Dieu tel eust esté diriez vous qu’il ne l’eust peu faire? Ha pour grace, ne emburelucocquez jamais vous espritz de ces vaines pensées. Car je vous diz, que à Dieu rien n’est impossible. Et s’il vouloit les femmes auroient doresnavant ainsi leurs enfans par l’aureille. Bacchus ne fut il engendré par la cuisse de Jupiter? Rocquetaillade nasquit il pas du talon de sa mere? Crocquemouche de la pantofle de sa nourrice? Minerve, nasquit elle pas du cerveau par l’aureille de Jupiter? Adonis par l’escorce d’un arbre de mirrhe? Castor et Polux de la cocque d’un œuf pont et esclous par Leda?

132 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN Mais vous seriez bien dadvantaige esbahys et estonnez, si je vous expousoys presentement tout le chapitre de Pline, auquel parle des enfantemens estranges, et contre nature. Et toutesfoys je ne suis poinct menteur tant asseuré comme il a esté. Lisez le septiesme de sa naturelle histoire, capi. III. et ne m’en tabustez plus l’entendement.«63

Zuerst wird die Geburt Gargantuas geschildert, deutlich wird, dass trotz der medizinisch korrekten Bezeichnung der Anatomie ein phantasievoller Geburtsvorgang vorliegt, bei dem das Kind durch die Venen bis zu den Schultern gelangt, dann den Körper durch das linke Ohr verlässt. Diesen bizarren Vorgang sollen die Leserinnen und Leser glauben, da die Schrift niemals lügt. Die Wahrheit der Bibel wird auf eine Ebene mit der Wahrheit des »Gargantua« gestellt. Mit Hilfe der antiken Mythologie, einer fingierten Riesenmythologie und der »Naturgeschichte« des Plinius wird das Beschriebene legitimiert. Der Weg Gargantuas durch den Körper ist zwar ein Fakt contra naturam, dennoch gehorcht er einer Logik, die sich in der medizinischen Lehre des 16. Jahrhunderts nachvollziehen ließe, wenn man die Tatsache, dass das Kind nicht nach oben steigen kann und auch zu groß dafür ist, die Venen zu passieren, außer Acht ließe. Bezeichnenderweise bezieht sich Rabelais hier auf sehr unsichere Aussagen, die er in medizinischem Schrifttum vorfand.64 Die Geburt durch das Ohr spielt zum einen auf die Empfängnis durch das Ohr an. Der Schöpfergott hat die Möglichkeit, sich über die Naturgesetze zu erheben, interessant ist hierzu die Parallele, dass der Erzähler Rabelaisʼ ebenfalls die Art der Niederkunft bestimmt. Zum anderen liegt in dieser Passage eine Allusion auf die Kopfgeburt der Minerva vor. Ebenfalls das Werk des höchsten Gottes, Jupiter. Warum das Ohr hier der Ort des Ausgangs ist, das begründet Antonioli mit der Mutmaßung, dass »lʼoreille […] est la porte ouverte par où entrent, et sʼengendrent dans lʼesprit, toutes les fables.«65 Damit würde der Geburtsvorgang wieder auf die Fiktion verweisen. Interessanterweise findet sich die Verknüpfung von Ohr, Geburt und (Heiliger) Schrift im »Physiologus« – »Vom Wiesel« wieder: »Der Mund des Weibchens empfängt vom Männchen, und wenn es trächtig geworden ist, gebiert es durch die Ohren; übel also gebären sie durch die Ohren. Es gibt Leute, die in der Kirche am geistlichen Brot nur knabbern; wenn sie aber hinauskommen, werfen sie das Wort aus ihren Ohren und gleichen so dem unreinen Wiesel. Und sie werden wie eine taube Schlange, die ihre Ohren verstopft.«66 63 F. Rabelais: Œuvres, S. 21-22. Hervorhebung im Original. 64 Vgl. R. Antonioli, Rabelais et la médecine, S. 168-169. 65 Ebd., S. 171. 66 Physiologus, S. 39.

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Eindeutig werden die Empfängnis und die Geburt des Wiesels als contra naturam verurteilt. Verglichen wird diese phantasievolle Vorstellung mit den Kirchgängern, die das geistliche Wort wieder vergessen, wenn sie die Messe verlassen. Rabelais wird diese Deutung gekannt haben, auch wenn er nicht direkt auf sie rekurriert. Immerhin führt das Beispiel des Wiesels mit zur polyvalenten Bedeutung der Geburt durch das Ohr. Der Finckenritter erlebt nun seine Abenteuer 250 Jahre vor seiner Geburt. Er beschließt nach seinem unglücklichen Versuch, sich als Kaufmann zu verdingen, Ritter zu werden: »so lang / biß ich auch ein mal auff erdtrich keme / wie andere menschen […] band mein dägen an das Miltz«67. Pantagruel fragt Panurge, ob er nicht eine andere Verteidigungswaffe wünsche als nur eine Flasche und Schinken, worauf dieser erwidert: »aultre espée ne portoit il. Et quand Pantagruel luy en voulut bailler une, il respondit, qu’elle luy eschaufferoit la ratelle.«68 – Der Degen wird von Panurge abgelehnt, da er nur die Milz erhitzen würde. Wäre diese Verbindung von Degen und Milz nicht schon interessant genug, so ist die Tatsache, dass die Geburt beide Male mit dem Essen verbunden wird, im »Gargantua« mit dem Genuss von Kutteln, im »Finckenritter« mit dem Backen von Speckkuchen, ebenfalls frappierend. Im »Finckenritter« sträubt sich der Neugeborene dagegen, gewickelt zu werden: »da nam mich die Hebamm wider / vnnd will mich in die Windlen einwickeln / vnd einbinden / das mocht ich gar nicht leiden / vnd schlůg jr die faust in den halß / daß jr die naß vberlieff«69. Ebenfalls schlagkräftig ist der kleine Pantagruel, der in seiner Wiege mit Ketten gefesselt ist und schließlich mit einer Faust die Wiege zertrümmert: »et mist son dict berceau en plus de cinq cens mille pieces dʼun coup de poing quʼil frappa au millieu par despit, avec protestation de jamais nʼy retourner.«70 Entgegen der Naturgesetze findet die Niederkunft im »Finckenritter« – zumindest partiell – extern statt, der Protagonist erreicht das Haus seiner Mutter auf einem Windschiff, fällt durch den Schornstein, wobei er sich seine inneren Organe verletzt: »vnnd ist mir in demselbigen fall / die Läber vnnd die Blaß / du merckst mich wol / an der lebetsch dahinden / entzwey gebrochen / das mir das Hirn vnnd hertz blůt / gar starck durch die hosen gerunnen«71. Die Symptome erscheinen auch hier, entgegen den eigentlichen Verletzungen, an ganz anderen Organen. In beiden Texten, »Gargantua« und »Finckenritter«, wird mit den volkstümlichen Vorstellungen und Mythen über die Geburt gespielt. Rabelais konstruiert aus der 67 Finckenritter, S. 135-136. 68 F. Rabelais: Œuvres, S. 267-268. 69 Finckenritter, S. 140. 70 F. Rabelais: Œuvres, S. 229. 71 Finckenritter, S. 140.

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antiken Literatur und aus unsicheren medizinischen Aussagen eine Wundergeburt, der »Finckenritter«-Autor spricht zwar Organe an, spielt aber auf die rein volkstümliche Vorstellung an, dass Kinder durch den Schornstein fallen. Rabelaisʼ Erzähler kann Wunder aufgrund seiner intimen Kenntnis der Medizin (sophistisch) legitimieren und durch die Brüche in der Erzählung, hervorgerufen durch die digressiones, die Quellenangaben bringen, wird die Fingiertheit des Erzählten deutlich. Der Autor hat die Möglichkeit, völlig neue Stoffe entstehen zu lassen und somit auch neue Formen der Geburt. Im »Finckenritter« stellt sich generell die Frage, wieso über eine noch ungeborene Figur Geschichten erzählt werden können. Was in der realen Welt nicht möglich ist, erscheint auf den ersten Blick in der Fiktion leicht. Der Ich-Erzähler bezieht sich auf literarische Traditionen, insofern verhält er sich konform zur Erzähltechnik der Zeit. Die Ausgangssituation, die Lebensgeschichte eines Ungeborenen zu erzählen, ist jedoch neu. Die Erzählung ist nicht mehr wahrscheinlich, sie ahmt Welt nicht mehr mimetisch nach, sondern sie gibt eine unmögliche Welt wieder, die aber auch nicht mehr in eine mögliche Welt verkehrt werden kann. Der Text spielt mit dem Wissen um Literatur, und besonders mit dem mundus perversus-Topos, der hier jedoch nicht vorliegt. Die Irreversibilität der Bilder lässt so auch die kundigen Rezipierenden vor einem unerwarteten Gebilde stehen. Der Text zeigt aber auch auf, dass Texte aus beliebigen Zitaten und Versatzstücken neu kombiniert werden können. Ebenfalls wird die Konstruiertheit der Figuren evident, der Finckenritter schlägt sich versehentlich den Kopf ab, der Kopf existiert autonom und läuft weg. Bei dem Versuch, den Kopf wieder anzusetzen, ereignet sich das Missgeschick, dass dieser verkehrt herum auf dem Hals sitzt. Die nicht existente, da noch nicht geborene Figur, kann beliebig in ihre Einzelteile zerlegt werden, Neukombinationen sind möglich, ebenso sind Größe und Gewicht der Figur variierbar, je nach Erzählsituation. Diese Zerlegbarkeit findet sich nicht im »Wachtelmäre«, auf das der Text an mehreren Stellen rekurriert. Auch bietet das Spiel um die Größenverhältnisse und die Maßangaben eine bedeutsame Abgrenzung des »Finckenritters« zum »Wachtelmäre«. Diese wichtigen Differenzkriterien, welche das neue Erzählen von dem Alten abgrenzen, zeigen sich besonders gut in der Anatomie des Textes.

5.4 D IE ANATOMIE

DES

T EXTES

Die zentrale Frage bei der Beschäftigung mit dem »Finckenritter« sollte nicht nur sein, wie der Text konstruiert wurde, sondern auch, welche mentalen und poetologischen Vorstellungen diesem zugrunde liegen. Der Begriff Collagetechnik bietet sich an, erweist sich aber als problematisch, da er von den Kunstströmungen

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des 20. Jahrhunderts, in erster Linie dem Dadaismus, determiniert ist. Es erweist sich als hilfreich, eine zwar spätere Epoche als Ausgang der Überlegungen heranzuziehen, jedoch nicht unbedingt das 20. Jahrhundert. Gemeint ist das Barock, welches in seiner literarischen Produktion auf das 16. Jahrhundert rekurriert. Für die barocke Dichtung kann man, wie Stefan Rieger, von mathematischen Konzepten ausgehen. Das basale Problem des Barocks, das Ende von Literatur betreffend, wird durch die unendliche Kombinatorik des Alphabets gelöst und überwunden: »Dieser buchstäblich unvorstellbare Zusammenhang, der den Schutz vor der Exhaustion garantieren soll, findet sein Maß und seine Berechenbarkeit in der mathematischen Fakultät. Weil, wie Anagrammatiker und Codierungstheoretiker, wie also Literaten und Kryptografen und Universalsprachspezialisten des Barock wissen, eine abgeschlossene Menge von N Elementen sich eben N! (sprich N Fakultät) mal verwechseln lässt, wird die Exponentialkurve dieser Vervielfältigung zum Emblem kombinatorischer Unerschöpfbarkeit. In der Permutation abgeschlossener Mengen und in der Gleichsetzung (um nicht zu sagen Verwechslung) großer Zahlen mit kleinen Unendlichkeiten feiert das Barock die Unmöglichkeit eines absehbaren Endes und auf diesem Weg sich selbst.«72

Die Frage nach der »Exhaustion« ist für Rieger »eine Frage, die mit dem Ende den Anfang und damit die Frage betrifft, wie überhaupt Etwas und wie überhaupt etwas Neues entsteht.«73 Riegers Theorie ist ein möglicher Ansatz, barocke Textproduktion und ihre Theorie zu erklären, er hätte jedoch gut daran getan, auch die beiden in seinem Aufsatz abgedruckten Tafeln zur Kombinatorik aus Athanasius Kirchers »Ars Magna« (1669) in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Durch die Kombinatorik ergeben sich nicht nur interessante Figuren, wie die Exponentialkurve, sondern auch Schemata, deren Traditionen weit über das 17. Jahrhundert zurückreichen. Das Wissen und dessen Ordnung wird in den westlichen Kulturen durch Diagramme, bevorzugt durch das Baumschema seit dem Mittelalter, vermittelt. Ausgehend von Rudolf Agricolas Impuls wird dieses System der Wissensvermittlung weiterentwickelt. Zwei Vertreter, Ludovico Castelvetro und Francesco Patrizi, die Lina Bolzoni auch in »The Gallery of Memory« vorstellt, sind für die hier zu behandelnden geistigen Strömungen von besonderem Interesse. Die beiden gegensätzlichen Positionen möchten stellvertretend für den Ordnungsdiskurs der Zeit stehen. Castelvetros Ausgangspunkt ist das tradierte Baumschema, er entwirft allerdings weitere Schemata, allen voran ein Gitter. In seiner »Esaminatione sopra la ritorica a Caio Herennio« präsentiert Castelvetro eine grata (Gitter), mit deren 72 S. Rieger: In(ter)ventionen, S. 24. 73 Ebd., S. 23-24.

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Hilfe sich die poetische und rhetorische Struktur der Tragödie analysieren lässt. Die vertikalen Stäbe stehen für die fünf parte qualitative der Rede, die horizontalen für die parte quantitative der Tragödie: »The lines of the geometric model are rods, staffs and bars. They, in turn, form a grid. In other words, they give shape to a type of window or, better yet, an observatory that gives a new perspective on the text. Their organizational mechanisms allow the text to be taken apart and recomposed.«74 Francesco Patrizi nimmt in »Deca dogmatica universale« eine gegensätzliche Position ein, er arbeitet ebenfalls mit Diagrammen und Baumschemata, sieht die Poesie aber zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen angesiedelt, deren Ziel es ist, Wunderbares und Erstaunen zu erzeugen. Lina Bolzoni konstatiert: »The ways in which imagination acts, Patrizi believes, can be described, quantified, and represented visually. The task of the poet is to produce wonderment. His playing field lies somewhere between two opposite orders, the believable and the unbelievable. The poetic universe can thus be represented as the outcome of a combinatorial game of elements derived from these two topical sources. Patrizi actually arrives at a calculation of 33,600 possible combinations, but he immediately points out that this number could grow infinitely if other topical places are allowed in the game […]. The central parts of Patrizi’s poetics are accompanied by trees, tables, and diagrams. These are intended to give visible form to a logical model of all possible poems. This model can be infinitely extended – in part, because it has secretly been cross-referenced to the deep structure of the cosmos.«75

Vom Schema, das versucht, poetische Kreativität auf wenigen Quadratzentimetern zu bannen, führt hier der Weg hin zu unzähligen neuen Möglichkeiten, die durch die kosmologische Dimension unendlich werden. Beide Ansätze versuchen das Poetische mit mathematischen Mitteln und mit Schemata zu erklären, durch das Einbeziehen des Kosmos gewinnt Patrizis Ansatz jedoch eine unbestimmbare Größe. Diese Vorstellungen begleiten die Reflexionen über die poetische Kreativität spätestens seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, es gibt aber auch eine Alternative. Der Aufbau der Rede entspricht, wie es in der platonischen Rezeption immer wieder aufgegriffen wird, dem menschlichen Körper. Sokrates stellt seinem Gesprächspartner in Platons »Phaidros« folgende rhetorische Frage: »Immerhin wirst du wohl soviel verlangen: es müsse jede Rede wie ein lebendiger Organismus zusammengesetzt sein und gewissermaßen ihren eigenen Körper haben, so daß ihr

74 L. Bolzoni: Gallery of Memory, S. 45. 75 Ebd., S. 51-52.

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weder der Kopf fehle noch die Füße, sondern daß sie Rumpf und Glieder habe, die zueinander und zum Ganzen passen?«76 Die Rede als menschlicher Organismus betrachtet kann so in ihre Einzelteile zerlegt werden, analysiert, wie der Körper in der anatomischen Untersuchung zerteilt wird. Die Vorstellung von der Ordnung des Diskurses als (lebendiger) Körper wird auch dem »Finckenritter«-Autor bekannt gewesen sein, wenn auch nicht durch direkte Vermittlung des platonischen Dialogs. Die zentrale Stelle hierfür ist in der fünften ›Tagreise‹ zu sehen. Der Finckenritter schlägt sich versehentlich mit einer Sense den Kopf ab. Das Erzähler-Ich nimmt nun die Verfolgung auf: »flucks lieff ich jhm nach / stieß mich aber in solcher eyl an einen ast / das mir die stirnen blůtet / So bald ich jhn erwischet / setzet ich jhn behend wider auff / dieweil er noch also warm war / vnnd setzet das hinder theyl zům vordersten [...] das ich auch hinden vnd vornen gesehen kund.«77 Für das Publikum muss es den Anschein haben, als ob mehrere Personen in die Handlung involviert sein würden, wobei doch nur ein Ich-Erzähler im Hintergrund steht. Der Ich-Erzähler verliert seinen Kopf, er verfolgt scheinbar diesen Kopf und verletzt sich dabei an seiner Stirn. Da sich die Figur des Ich-Erzählers ohne Kopf keine Stirnverletzung zuziehen würde, müsste man im ersten Moment von einer Metapher ausgehen: Wie nach dem Kopf, so sucht der Erzähler die logische Abfolge der Handlung, die sich allerdings aufgrund der bizarren Zerteilung des Körpers nicht mehr finden lässt. Der Kopf, der abgetrennt wurde, erweist sich beim Aufsetzen als neues Produkt des Körpers, der Gesichtssinn verdoppelt sich nun, sodass der Finckenritter folglich janusköpfig nach vorne und nach hinten schauen kann. Dass das Ich hier gespalten wird, verweist wieder auf das Verhältnis zwischen Autor und Erzähler-Ich, das hier auch für die Lesenden in einer extremen Szene, dem Abschneiden und Wiederaufsetzen des Kopfes, deutlich wird, die daraus resultierende Janusköpfigkeit könnte unter Umständen als Metapher für die auktoriale Erzählperspektive gelesen werden. Daran zeigt sich eine weitere Erzähltaktik des »Finckenritter«-Autors: Er nutzt Phraseologismen und Metaphern, die er wörtlich nimmt. Am interessantesten sind wohl die Erzählmetaphern. Erzählmetaphern dienen im Hochmittelalter noch der Legitimierung volkssprachlichen Erzählens und bieten eine alternative Terminologie, die Disposition und Ordnung des Stoffes sowie den Vorgang des Erzählens selbst sinnlich erfahrbar zu machen.78 Letzteres wird auch im 16. Jahrhundert noch eine wichtige Funktion der Erzählmetaphern sein und hier setzt der anonyme Verfasser des »Finckenritters« an. Die platonisch vermittelte Vorstellung der Rede als menschlicher Körper 76 Platon: Phaidros, S. 86. 77 Finckenritter, S. 138. 78 Zu Erzählmetaphern siehe meinen Aufsatz R.F. Schulz: Amboss.

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mit seiner logischen Abfolge Kopf-Rumpf-Füße wird im »Finckenritter« im wahrsten Sinne des Wortes zerlegt. Doch nicht nur der Kopf wird entfernt – um ihn dann auch noch verkehrt herum wieder anzubringen –, die Eingriffe gehen tiefer. Körperteile, die der Orientierung dienen, wie die Augen, werden zerstochen, Organe, die den Körper im Inneren ordnen und am Leben erhalten, werden ebenfalls »entzwey gebrochen«79. Metaphorisch bedeutet dies, dass die Erzählung ungeordnet, chaotisch, da kopflos, ist und sie in ihre disparaten Handlungsteile zerfällt, die immer wieder neu kombiniert werden können, aber letztendlich doch kein sinnvolles Ganzes ergeben. Eine weitere Erzählmetapher, der Weg, der gegangen werden muss – richtig gegangen, entsprechend der logischen Ordnung der Rede –, wird ebenfalls entfunktionalisiert. Zuerst »da hieng der weg vber die weiden«80, war also nicht mehr einzuschlagen, wie auch die Erzählung, bei der der rechte Weg nicht mehr genommen werden kann, schließlich wird er dann, in der dritten ›Tagreise‹, gänzlich verloren. Der Heimweg, der hier wohl thematisiert wird – »DEmnach wolte ich ein mahl heym ziehen / vnnd auff dem weg«81 – steht metaphorisch für das Ende der Geschichte, welches aber letztendlich nicht vorhanden sein kann, da der Anfang, die Geburt, an das Ende gesetzt wurde. Eine weitere Erzählmetapher, die gerade in der Renaissance an Bedeutung gewinnt,82 ist die Schifffahrtsmetapher, die ebenfalls ad absurdum geführt wird: Drei Schiffe sind in einem trockenen Flussbett, das eine ohne Boden, das andere ohne Wände, das dritte inexistent,83 ein weiteres Schiff fliegt in der Luft.84 Der »druckne[] bach«, der dem erlebenden Ich wiederholt begegnet, ist nicht schiffbar, ein Ausdruck dafür, dass ein ›Erzählfluss‹ nicht gegeben sein kann. Der anonyme Erzähler präsentiert eine Ordnung vergleichbar dem Gekröse, das aus dem Körper herausplatzt und dann in einen ›Text-Körper‹ wieder hineingesteckt wird.85

79 Finckenritter, S. 140. 80 Ebd., S. 136. 81 Ebd., S. 138. 82 Vgl. E.R. Curtius: Europäische Literatur, S. 138-141. 83 Vgl. Finckenritter, S. 137. 84 Vgl. ebd., S. 140. 85 Das permanente Auseinanderbrechen und Zusammensetzen des Körpers – wie in: »Jch lieff eylends vber ein drucknen bach / wůsche das kröß sauber / thet es widerumm hinein« (Finckenritter, S. 137) – ließe sich auf einer Metaebene auch auf den vorliegenden ›Text-Körper‹ hin deuten.

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5.5 P ERSPEKTIVE

UND

T EXT

Das Zusammenführen disparater Handlungsteile im »Finckenritter« mag auf den ersten Blick chaotisch wirken, doch liegt ein bewusst angelegter Text vor, der auf literarische und künstlerische Traditionen reagiert. Besonders ist hier auf die Perspektive hinzuweisen. Ein Aspekt, der bisher nur peripher für die deutschsprachige Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit behandelt worden ist, der jedoch, wie Thomas Cramer und Hartmut Kugler ausführen,86 für die Kunstgeschichte schon wesentlich länger eine Rolle spielt. Erwin Panofsky stellt in seinem richtungsweisenden Aufsatz »Die Perspektive als ›symbolische Form‹« dar, wie durch die Erfindung der Perspektive in der Renaissance eine Abstraktion geschaffen wurde. »[D]ie planperspektivische Konstruktion« ist für Panofsky »nur aus einem ganz bestimmten und eben spezifisch neuzeitlichen Raum- oder wenn man so will, Weltgefühl verständlich«87, weshalb sie zu einer symbolischen Form wird. Cramer leitet aus Panofskys Ansatz ab, dass durch die Perspektive »das Bild […] zur vom Künstler erschaffenen Wirklichkeit geworden [ist], einer Wirklichkeit eigenen Rechts neben der gottgeschaffenen Wirklichkeit und nicht mehr zeichenhafter Hinweis auf diese.«88 Für die Literatur postuliert er somit: »Der Autor des 13. Jahrhunderts oder der Maler des 15. verfügt nicht über die schöpferische Allmacht des Genies, aber er kann den Widerspruch zwischen hervorbringendem Subjekt und übersubjektiver Regel auflösen bzw. umdeuten, indem er die abzubildende Schöpfungsidee ersetzt durch die abstrakte Regel selbst, durch ein Naturgesetz oder ein historisches Gesetz, das er für sich zum Gestaltungsprinzip erklärt und sich durch diese autonome und subjektive Anwendung auf unterschiedliche Gegenstände schöpferische Freiräume eröffnet.«89

Für Panofsky und Cramer sei der »perspektivgeschichtliche[] Aspekt ein Kontinuum […] nicht Bruch und Überwindung der mittelalterlichen Anschauung […], sondern ihre extreme Weiterentwicklung«90, wie Kugler schlussfolgert. Anhand einer kursorischen Analyse von Hartmanns »Iwein« kommt Kugler zwar zu einem ähnlichen Ergebnis wie Cramer, um dann letztendlich festzustellen:

86 Vgl. T. Cramer: Perspektive, und H. Kugler: Perspektive. 87 E. Panofsky, Perspektive, S. 104. 88 T. Cramer: Perspektive, S. 102. 89 Ebd., S. 110. 90 H. Kugler: Perspektive, 1994, S. 208.

140 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »Zwar das Gestalten von Texten wie die Verständigung über Textgestalten kommen ohne eine mit Raummetaphern besetzte Sprache nicht aus, doch ist diese Raummetaphorik dem Bereich der Architektur und Bildkunst nicht ohne weiteres benachbart, sie liegt näher dem ›kognitiven Kartieren‹, dem ›mental mapping‹ der Kognitionswissenschaft, der es um die Strukturen mentaler Modelle geht.«91

Dies mag für die Literatur des Hochmittelalters zutreffen, sobald aber der Diskurs der Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, der die Zentralperspektive als neu entdeckt gilt,92 in die Literatur eingeführt wird, kann auch ein Paragone zwischen bildender Kunst und Literatur angenommen werden. Dass im »Finckenritter« durch das Vexierspiel um Nähe und Distanz auch die Perspektive eine nicht unbedeutende Rolle spielt, ist evident. Bedenkt man, dass Knape die bildlichen Einflüsse, die auf den Text eingewirkt haben, plausibel nachgewiesen hat und dass der Anonymus bewusst Holzschnitte an das Ende des Texts gesetzt hat, so ist zumindest eine rudimentäre Vertrautheit mit der Druckgraphik und wohl auch der neuen Zentralperspektive anzunehmen. Eine besondere Rolle für den Text spielt dabei die Metaphorik der Perspektive, die auf die bildende Kunst rekurriert. Durch den Übertragungsvorgang, der bei der Metaphernbildung geleistet wird, ist es natürlich verständlich, dass Perspektive in literarischen Texten anders definiert wird als in einem Gemälde. Wie Claudio Guillén akzentuiert, sind Metaphern der Perspektive in frühneuzeitlicher und neuzeitlicher Literatur sehr häufig anzutreffen. Perspektive selbst als Metapher für räumliche und zeitliche Distanz weist Guillén schon in der Literatur seit dem 17. Jahrhundert nach und, wie er zumindest anhand eines Beispiels zeigt, lässt sich diese Metaphorik sicherlich auch schon früher belegen.93 Guillén akzentuiert in besonderem Maße auch die Verknüpfung zwischen Sehen und Wissen in der Metaphorik der Perspektive. Ausgehend von der Etymologie des lateinischen Wortes perspicere, das sowohl ›deutlich sehen‹ als auch übertragen ›mental betrachten‹ oder ›untersuchen‹ bedeuten kann,94 sieht er wichtige Anknüpfungspunkte in der Literatur. Guillén betrachtet so die Metapher auch als ein kulturelles (europäisches) Konzept,95 leider unterlässt er es »[t]o analyze our metaphor as a structure of possibilities«96, ein Aspekt, der gerade für den »Finckenritter« von Relevanz ist. In besonderem Maße werden in dem kleinen 91 Ebd., S. 211. 92 Autoren wie Vasari und Manetti weisen eindeutig auf Brunelleschi als Erfinder der zentralperspektivischen Darstellung hin. 93 Vgl. C. Guillén: Literature, S. 299-300. 94 Vgl. ebd., S. 284. 95 Vgl. ebd., S. 366. 96 Ebd., S. 366. Hervorhebung im Original.

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Text sowohl das Sehen an sich als auch das Untersuchen und Betrachten im übertragenen Sinne als ›zur Erkenntnis gelangen‹ thematisiert. Schon der Titel kündigt an, dass der Finckenritter Policarpus auf seinen Reisen »seltzame ding gesehen«97 hat. Dies wird in der Vorrede wieder aufgegriffen, so hat er die Orte nicht nur »durchzogen«, sondern auch »sie besehen«98. Auf der dritten ›Tagreise‹ begegnet dem Helden ein »Blind der sahe ein Hasen […] Auch zeyget mir der Blinde den Hasen«99, das heißt, der Blinde sieht das Tier nicht nur, sondern er zeigt es dem Ich-Erzähler, der wiederum den Hasen abkauft. Mit dem Geld erwirbt der Blinde einen Schmalztiegel aus Pelz und ein hölzernes Schüreisen, »damit so zündet er seinen gesellen / Vnnd wise sie den weg hinauß / daß sie dester bas gesehen möchten«100. Auf der nächsten ›Tagreise‹ werden dem Finckenritter die Augen zerstochen sowie sein »hinder gesicht«101, als er in einem hohlen Baum feststeckt. Der Befreiungsversuch mit einer Axt scheitert, die Axt fällt in ein Gebüsch und der Ich-Erzähler holt daraufhin ein Feuer, um den Busch abzubrennen.102 Ebenfalls thematisiert die fünfte ›Tagreise‹ das Sehen direkt, der Ich-Erzähler sieht einen Ackerrain. Als er sich den Kopf abschlägt, setzt er ihn sich verkehrt herum auf, um »auch hinden vnd vornen gesehen«103 zu können. Als der Kopf weggeweht wird, sieht ihn sein Besitzer und fängt ihn schließlich ein: »das ich wider gesehen kundt«104. Schließlich schlägt der neugeborene Finckenritter die Hebamme derart, dass diese »nichts mehr gesach«105. Das Sehen, das Weisen der Richtung (zum Beispiel durch Feuer), die Erkenntnis als visueller Prozess – oder zumindest die Suche nach dieser – werden permanent thematisiert. Dies verweist nicht zuletzt auf die Frage des Blickwinkels, folglich auch auf die Frage nach der Perspektive. Weder werden dieser Blickwinkel und die SubjektObjekt-Beziehung von einem heilsgeschichtlichen Konzept bestimmt, noch von einem natürlichen oder historischen Prinzip, wie es Cramer für die Literatur des 13. Jahrhunderts konjiziert, sondern von einem artifiziellen Gebilde, das entgegen

97

Finckenritter, S. 134.

98

Ebd., S. 135.

99

Ebd., S. 136.

100 Ebd., S. 136. 101 Ebd., S. 137. 102 Vgl. ebd., S. 137. 103 Ebd., S. 138. 104 Ebd., S. 138. 105 Ebd., S. 140.

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den Naturgesetzlichkeiten konzipiert wurde. Daraus resultiert, dass es für die Rezipierenden den Anschein hat, als ob » die Welt«, um es mit Hans König zu sagen, eine »vom Helden ausstrahlende Projektion«106 sei. Durch den erlebenden Ich-Erzähler wird der Rezipient gezwungen, ebenfalls diese Perspektive und ihre permanenten Wechsel einzunehmen. Die Episode mit dem Lautenschläger wird in diesem Fall noch durch den Aspekt des Perspektivwechsels interessant. Weshalb hier die Laute gewählt wurde, die der Ich-Erzähler im Haus des Lautenschlägers entdeckt, und die durch ihre überdimensionale Gestaltung exponiert erscheint, lässt sich zwar nicht eindeutig klären, allerdings gibt es eine bemerkenswerte Parallele im vierten Buch von Dürers »Underweysung mit dem Zirkel und Richtscheydt« (1525/1538). Dürer exemplifiziert an der Laute, wie man einen Gegenstand, der zeichnerisch schwierig umsetzbar ist, mit Hilfe einer Konstruktion zentralperspektivisch darstellen kann. In der Illustration zu diesem Abschnitt gibt Dürer so auch zwei Perspektiven auf das Instrument. Letztlich stellt sich Dürer damit dem Problem, wie die zweidimensionale Zeichnung eine Tiefe und somit eine vermeintlich weitere Dimension erhält. Im »Finckenritter« gibt es ebenfalls mehrere Perspektiven auf die Laute, mit Betreten des Raumes lässt sich, der Kunst der Zeit entsprechend, vielleicht ein zentralperspektivischer Blick auf das Interieur erwarten. Dann erblickt das Ich den Lautenschläger auf seinem Instrument und vergleicht ihn mit einer Katze auf einem Dach, womit auf die Froschperspektive alludiert wird. Da sich der Finckenritter als Gehilfe, wohl für das Stimmen der Laute, offeriert, erhalten die Lesenden somit die Draufsicht auf das Instrument. Im Fallen verändert sich die Perspektive permanent und schließlich findet sich der Erzähler am Boden des Instruments, er blickt wieder in einen Raum, doch dieses Mal in den Innenraum des Instruments. Durch die verschiedenen Stationen erhält der Rezipient ein dreidimensionales Bild der Laute: »Mit demselbigen Lautenschlager / gieng ich auff ein Sambstag inn sein hauß [= Blick in den Raum, R.F.S. ] / daselbst fieng er also früh am morgen an / vnnd hat biß mittag an der Lauten zůrichten / Demnach so lieff er mit den füssen so geschwind daurauff herumbher / gleich wie ein Katz auff einem Dach [= Froschperspektive, R.F.S.] / vnd ein Eichhörnlein in einer Kefig / ich wolt jhm helffen / als ich aber leyder nicht wol darmit kundt / so strauch ich [= Draufsicht, R.F.S.] / vnnd fiel durch den Lauten sternen [= schneller Perspektivwechsel, R.F.S.] / wol ein gantz viertel stund in die Lauten / ehe ich auff den boden kam [= Blick in den Raum, R.F.S.].«107

106 H. König: Reuters »Schelmuffsky«, S. 115. 107 Finckenritter, S. 139.

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Die Rezipienten werden zu bewussten Perspektivwechseln gezwungen, gerade das Fallen durch Räume wird wieder am Schluss des Textes aufgegriffen, wenn der Protagonist durch das Dach bis in das Zentrum des Haushalts fällt: »vnd fiel ich von oben an / durch alle bünen / kasten / böden / stegen / vnd gemach / biß inn den hauß ehren ein«108. Der freie Umgang mit den Metaphern und das Spiel mit rhetorischen Stilmitteln, wie den Adynata, welche »angst vnnd noth«109 dem Ich verursachen, zeigt die verschiedenen Blickwinkel auf den Text auf, die dazu führen, dass es so scheint, als gäbe es schier unendliche Möglichkeiten, diesen Text zu lesen und zu verstehen. Dass der Text sich einer einzigen konkreten Bedeutung entzieht, dass er sich einer traditionellen Hermeneutik entzieht und nicht bloß auf eine Krise abzielt, wie das »Wachtelmäre«, lässt ihn zu einem neuartigen Erzählen werden, das nicht ohne Grund seine Nachahmer findet, die jedoch versuchen, wie Johann Fischart oder Christian Reuter, zumindest im Bereich des kohärenten Erzählens, zur Tradition zurückzufinden. Das Neue im »Finckenritter« ist somit die Multiperspektivität, die der Text aufmacht, und die sich nicht mehr auf eine bestimmte Erzähltradition zurückführen lässt.

108 Ebd., S. 140. 109 Ebd., S. 139.

6. Johann Fischarts Werk

6.1 V ON DER ALTERITÄT ZUR N OVITÄT : D IE »G ESCHICHTKLITTERUNG « Fischarts »Geschichtklitterung« wird in den drei zu Lebzeiten des Autors erschienenen Auflagen mehr und mehr zu einem autonomen Werk, Rabelaisʼ »Gargantua« dient ihm nur noch als »Sprungbrett«, wie es Günther Müller formuliert.1 In der Forschungsliteratur wurde das Werk über Kindheit, Jugend und Heldentaten des Riesen kontrovers aufgenommen. Immer jedoch war es ein Ringen um die Intention des häufig als grotesk bezeichneten Werkes. Ausgehend von der Konstruktion eines literarischen Manierismus durch Ernst Robert Curtius und Gustav René Hocke wurde auch die »Geschichtklitterung« als ein manieristischer Text gelesen. Doch Manierismus, lediglich als antiklassizistische epochenübergreifende Strömung verstanden,2 kann dem Werkverständnis kaum dienlich sein. Als Konsequenz müsste somit jedes Werk, das mit den literarischen Konventionen und Traditionen bricht, ein manieristisches sein. Für Fischarts Werk hat Christoph Mühlemann in erster Linie auf der Ebene der Stilistik versucht, es als manieristisch zu deuten.3 Rüdiger Zymner interpretiert dagegen zurückhaltender, wenn er im Manierismus eine »poetische Artistik« sehen möchte, die er auch für Fischart postuliert. Zymner definiert den »›literarische[n] Manierismus‹ [als] eine globale Schreibweise mit der Funktion, bei gewahrter konventioneller Basis poetische Artistik auf der Bedeutungsebene und/oder der

1

G. Müller: Deutsche Dichtung, S. 186.

2

In dieser noch heute gültigen Definition bei E.R. Curtius: Europäische Literatur, S. 286,

3

Vgl. C. Mühlemann: Fischarts »Geschichtklitterung«.

oder G.R. Hocke: Manierismus, S. 12.

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Ausdrucksebene eines Textes vorzuführen und dadurch eine Rezipientenreaktion auf diese Artistik herauszufordern.«4 Als reines literarisches Kunstwerk gelesen, nur den Akzent auf die individuelle und artistische Schreibweise des Textes setzend, gar als manieristische Satire gelesen,5 verliert die »Geschichtklitterung« ihr kritisches Potential, das sie aus den politisch-religiösen und wissenschaftlichen Revolutionen des 16. Jahrhunderts zieht. Die Distanz des Erzählers zu seinem Stoff beruht für Zymner lediglich auf der manieristischen Schreibweise, die es erlaubt, eine vorher noch nicht gekannte Autorautonomie hervorzubringen. Die bewusst gesetzte Polyvalenz des Textes wird jedoch vor dem Hintergrund dieser These ignoriert. Eine weitere, problematische Interpretationsmöglichkeit bietet sich mit Bachtins Karnevalismuskonzeption an, hierbei wird die Methode aus der Rabelais-Philologie auf Fischarts »Geschichtklitterung« übertragen. Einen dritten Weg schlagen neuerdings die Arbeiten von Beate Kellner, Tobias Bulang und Michael Schilling ein.6 Der Text der »Geschichtklitterung« wird als epistemische Herausforderung für die zeitgenössischen Rezipierenden, aber auch für die modernen Philologinnen und Philologen gesehen. Bulang versteht so das Werk Fischarts als arbiträr zusammengestelltes Wörterbuch. Schließlich bietet Rabelaisʼ Roman den »Anlass, den lexikalischen Möglichkeitsreichtum der deutschen Sprache, die copia verborum, in all ihren Facetten zu exponieren und darüber hinaus die noch nicht realisierten Möglichkeiten der Sprache durch das permanente Hervortreiben von Neologismen zu forcieren.«7 Ein solcher Ansatz erlaubt zumindest eine neue, nicht-manieristische, Perspektive auf die »Geschichtklitterung«. Grundsätzlich kann man, mit Michael Schilling, eine Kritik Fischarts an den antichi sowie an den moderni sehen,8 nicht nur die Scholastik wird angegriffen, sondern auch das humanistische Lehrsystem, insofern ist er vergleichbar mit Rabelais. Die »Geschichtklitterung« lässt sich so auch als eine Reaktion auf die zeitgenössische Beschleunigung in der Wissenschaft deuten: »Die Fülle des Wissens, die der Verfasser in immer neuen sprachlichen Wucherungen und Eruptionen darbietet, ist zweifelsohne eine Reaktion auf die immense Erweiterung, Erneuerung und Beschleunigungen von Information und Wissen in der Frühen Neuzeit.«9 4

R. Zymner: Manierismus, S. 65.

5

Vgl. zu dem folgenden Absatz ebd., S. 163-167.

6

Vgl. z.B. B. Kellner: Fischarts Geschichtklitterung, und T. Bulang: Enzyklopädische

7

T. Bulang: Manierismus, S. 299.

8

Vgl. M. Schilling: Amplifikation, S. 80.

9

Ebd., S. 79.

Dichtungen, bes. S. 337-489.

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Dass allerdings dem Werk Fischarts aufgrund dieser Reaktion auf die Wissensexpansion, wie es Schilling resümiert, »ein Moment der Verzweiflung innewohnt«10, trifft nicht zu. Seit der ersten Auflage präsentiert sich Fischarts »Geschichtklitterung« als eine kulturelle Übertragung.11 In der ersten Fassung heißt es, der Text sei auf den »Teutschen Meridian visiert«, das Titelblatt der dritten Ausgabe nennt das Werk einen Text, der »in einen Teutschen Model vergossen« 12 ist.13 Der Erzähler präsentiert dem Publikum einen kulturell fremden Erzählstoff, den er vorgeblich durch geographische Transformation in ein Nirgendreich, das an die heterotopischen Inseln seit Morus erinnert, und schließlich in einem künstlerischen Akt, vergleichbar dem Gießen von Bronzefiguren, in den europäischen Raum integrieren möchte. In Wahrheit verhehlt er dem Rezipienten aber nicht, dass es sich dabei in erster Linie um eine fremde Erfahrung beim Leseprozess handelt. Exemplarisch hierfür kann das 19. Kapitel stehen, das durch die Reise des Helden nach Paris auf die zeitgenössische Reiseliteratur anspielt. Die Stute Gargantuas stammt aus Afrika, dem Kontinent, der in der »Naturgeschichte« des Plinius immer etwas Neues hervorbringt, wie sich dies auch bei Fischart andeutet. Das Reittier ist jedoch ein bloßes Kompositwesen, das sich aus Altbekanntem zusammensetzt. Die afrikanische Stute mit ihrem gewaltigen Schweif hat aber, laut Erzähler, nichts Besonderes, vielmehr solle sich das Publikum über die Tierschwänze in Amerika, Asien und Europa wundern: »So ihr euch deßhalben verwundert, wundert euch viel meher der Schwäntz an den Scytischen Schafen, welche meher als dreissig Pfund wigen. Oder verkreutziget euch über den Schafen in Riobella plata, da N. Schmidt von Straubingen auff eim etlich Meiln ist geritten: Oder versegnet euch ob den Castronen zu Riame inn Arabien, deren Schwäntz einer vier unnd zwentzig pfund soll wigen: Oder pfeifft über den Spannenbreiten Schafschwentzen inn Cypern, darauß etwann die Venedischen Curtisanen reiff unter die Röck machten«.14

Hier wird Antikes (die Skythen), Bekanntes (Zypern, Venedig), Fremdes (Arabien), aber auch völlig Neues (Südamerika) vermischt. Die Stute soll den Lesenden vertraut vorkommen, obwohl sie fremdartig in ihrer Erscheinung ist und aus 10 Ebd., S. 87. 11 Zum Begriff der kulturellen Übertragung vgl. R.F. Schulz: Land der Griechen, bes. S. 314-317 u. S. 319-320. 12 So auf den Titelblättern der Ausgaben von 1590 und 1575. 13 Dieser Absatz und die folgenden Passagen zum 19. Kapitel orientieren sich an meinem Aufsatz R.F. Schulz: Alterität, S. 12-19. 14 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 211-212. Hervorhebungen im Original.

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dem laut Plinius permanent Neues generierenden Afrika stammt. Verwunderlicher und damit vielleicht auch neuartiger sind die anderen drei Kontinente, Amerika, Asien und eben auch das den Lesenden eigentlich vertraute Europa. Was vertraut ist, lässt sich hier nicht mehr eindeutig bestimmen, fremd ist das hier Vorgestellte somit auch nicht, es gibt sogar Schafe am Rio della Plata.15 Wenn beides nicht zutrifft, dann ist die Lösung womöglich ein tertium comparationis, wie es für Rabelais postuliert wurde.16 Nur bei Fischart ist es nicht eine Alternative wie in der Pentalogie des französischen Autors, es ist ein absolut Neues, das sich nicht mehr einfach in seine Bestandteile zerlegen lässt, selbst wenn es scheinbar beide Momente, den des Fremden und den des Vertrauten, beinhalten kann. Die Welt, vertreten durch Tierschwänze aller Kontinente, wird unter einem neuen Blickwinkel betrachtet. Das Neue löst somit Verwunderung aus. Das Neue ergibt sich bei Fischart aber nicht nur durch eine Neukombination von Bekanntem oder einen neuen Blickwinkel, die neue Perspektive, sondern er sucht das Neue auch in seinen Ursprüngen zu präsentieren. Permanent verweist Fischart mit seinen Sprachspielen auf die Ursprünge von Sprache und Kultur. Dies entfaltet sich schon auf dem Titelblatt, welches nicht nur auf die utopische Literatur und den Ritterroman verweist, sondern auch auf den Mythos. Der Erzähler stilisiert sich zum Schmied, der Neues schafft und neue Ursprünge gründet. Dass diese Sprache, in der mit Wortfamilien, Kompositionen, Klangspielen und Anagrammen experimentiert wird, eine ursprüngliche sein soll, erhellt sich durch ein außerliterarisches Zeugnis: Fischarts persönliches Exemplar von Janus Goropius Becanus’ Werken. Goropius verfolgte das Ziel, das Niederländische als die adamitische Sprache zu verifizieren, Fischart münzt dies in seinen Randnotizen zu den Werken des Goropius auf das (alemannische) Deutsch um: »Vor der Sündflut haben sie all Teutsch geredt«17. Er schafft somit eine neue Ursprungsfiktion der Sprache. Die eigene Sprache erhält somit eine neue historische Dimension und ein neues Wirkungsfeld, das ihr, als ursprüngliche Sprache, vielleicht auch die Möglichkeit gibt, moralisch zu wirken.

15 Gerade das »Riobella plata Land« steht bei Fischart für die Neue Welt und findet auch an anderer Stelle Erwähnung, vgl. J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 154, Zitat: ebd. 16 Vgl. zu Rabelais G. Hoffmann: Neither one. 17 Vgl. A. Hauffen: Fischart 2, S. 244-251, Zitat: S. 245. Das Exemplar ist mittlerweile verloren, siehe C. Hoffmann: Bücher und Autographen, S. 560, Nr. 51. Goropius begegnet wiederholt als Gewährsmann bei Fischart, besonders wenn es um die Frage nach der Etymologie oder der Herkunft von Symbolen geht, vgl. z.B. J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 156f., u. M. Holtzwart: Emblematum, S. 16-17.

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Im Vorwort äußert Fischart: »So nun beides die alte und auch heutige welt, solche beyspilige spigelweiß und spigelweißliches beyspiel, und Comedische art der leut scham unnd zucht, (wo anders noch einige im hindersten spulwinckel bey ihnen verborgen) zuerwecken und auffzumuntern, gebillichet und nutzlich befunden: wie solten wir uns dann derselbigen bereit bewärten weiß nun hierin und zu andermalen anderswo zugebrauchen, und ein verwirretes ungestaltes Muster der heut verwirrten ungestalten Welt, sie von ihrer verwirrten ungestalt und ungestalter verwirrung abzuführen und abzuvexieren, fürzuspiegeln beschamen?«18

Der Erzähler hat die alte und die gegenwärtige Welt im Blick, beide sind in Verwirrung, was zum einen moralisch gelesen werden kann, andererseits aber auch auf das neue Weltbild hinweist, das die antike und biblische Geographie sowie als Konsequenz auch die der Gegenwart durcheinanderbringt. Dieser Welt soll angeblich ein Spiegel, dessen Bild aber ebenso durcheinander wie sie selbst ist, vorgehalten werden. Durch den Blick in den Zerrspiegel, die vorliegende »Geschichtklitterung«, kann offensichtlich dieser prekäre Zustand überwunden werden. Das würde allerdings bedeuten, dass fiktionale Literatur einen bedeutenden Einfluss auf die Realität hätte. An dieser ›Realität‹ orientiert sich der Erzähler, indem er sich unter das Volk mischt, eine Äußerung, die aber genauer betrachtet werden muss: »Ich thu wie die Griechischen Philosophi, die zogen auff alle Kirchweihen, Messen und Märckte, nicht daß sie kaufften, sondern alles, wie es zugieng, begafften, waren Gaffleut für Kaufleut.«19 Der Erzähler wird nicht zu einer Bachtin’schen Figur, die volkstümliche Impressionen sammelt, sondern zu einem Philosophen, der das Treiben auf dem Marktplatz beobachtet und es ›widerspiegeln‹ möchte. Führt man diesen Gedanken weiter aus, kann das Kaufen und Gaffen in diesem Satz auch allegorisch verstanden werden, das Kaufen wäre somit die Adaption ›folkloristischen‹ Erzählens, das Gaffen jedoch die kritische Beobachtung. Durch die Schöpfung einer neuen Sprache mittels (unwissenschaftlicher) Lautverschiebung und Assoziationen kann so aus einem Kaufmann ein Gaffmann werden.20 Wie haltbar eine solche Interpretation ist, zeigt der Erzähler wenig 18 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 8. Hervorhebungen im Original. 19 Ebd., S. 9. 20 Dieses Verfahren wiederum erinnert an Goropius, der über Analogien das etymologische Verhältnis des Niederländischen zu den biblischen Sprachen sieht. Eine besondere Bedeutung spielt wohl auch für Fischart die Conversio, die Hauffen besonders hervorhebt. Bei Goropius »[bezeichne] die Umkehrung eines Wortes das Gegenteil: ›mat‹ (indomitum) zu ›tam‹ (zahm, domitum)« (A. Hauffen: Fischart 2, S. 248), diese Methode macht sich auch Fischart zunutze.

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später auf, wenn er zu dem Werk Rabelais’ feststellt: »es stehe eim jeden frey drauß zulesen was er wil«21. Die Entlassung der Lesenden in ihre Eigenverantwortlichkeit, die gleichzeitig eine Potenzierung von Lindeners »Katzipori« ist und auf Fischart als souverän interpretierenden Leser Rabelais’ zurückverweist, führt zu Verwunderung. Diese Behauptung enthält im Kern das, was die Vorrede über mehrere Seiten entwickelt. Doch wie steht es dann mit der Moral, der Überwindung des verwirrten status quo der Welt, wenn das Gegenmittel ein Text ist, der ebenfalls beliebig deutbar sein soll, aber eine derartige Leseanweisung beinhaltet? Das Individuum kommt nun in die Lage, eine Ordnung herzustellen. Die eigene Interpretation der Leserinnen und Leser ist die definitive, somit nimmt der Text die Partikularansichten der Rezipierenden vorweg, ohne sie überhaupt zu kennen. Das Neue wird dann zum Zukünftigen, das noch nicht geäußert werden kann, sich aber in nicht erschöpfender Vielfalt artikulieren wird. Die anfänglich wahrgenommenen Elemente des Anderen – zu erinnern ist an das 19. Kapitel –, deren Indikatoren Textsorten wie der Reisebericht oder die naturwissenschaftliche Schilderung fremder Entitäten sind, wandeln sich in ein nicht mehr zu lösendes Geflecht, den Text. Neu ist die Perspektive des Erzählers, der seinen Text individuell interpretierenden Rezipienten überlässt. Hiermit wäre, würde man die Erzählerrede ernst nehmen, die wissenschaftliche Interpretation beendet, lediglich stilistische und philologische Untersuchungen könnten noch angestellt werden, wie die Analyse der textlichen Montagen oder die Ermittlung der Quellen. Fischarts »Geschichtklitterung« entzieht sich aber auch einer solchen Deutung, wie Florence M. Weinberg konstatiert: »Even native-speaking scholars who specialize in Fischart seen occasionally unable to remember or to disentangle the storyline, disturbed as it is by Fischart’s constant and massive asides.«22 Immerhin ist die »Geschichtklitterung« so noch als ein Rezeptionsprozess zu sehen, Rabelaisʼ »Gargantua« wird gelesen und neu gedeutet, was in einer enthemmten Kreativität mündet. Der (Rabelais) lesende Erzähler schafft selbst neue Erzählräume, deren unzuverlässige Deutungen erneut Rezipierenden überlassen werden. Die Überlassung des Publikums an sich selbst führt auch zum Scheitern konventioneller Beschreibungstechniken. Wie soll erzählt werden, wenn der Rezipient nicht mehr zu steuern ist? Über das Fremde lässt sich durch Bezüge zum Eigenen kommunizieren, das Neue wird aber dadurch nicht fassbar. Fischarts Taktik ist, wie an der Stute zu sehen, das Eigene als das Neue zu betrachten. Etwas, das vorher noch nicht in Frage gestellt wurde, da es eindeutig erschien, erlebt nun

21 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 11. 22 F.M. Weinberg: Fischart’s »Geschichtklitterung«, S. 25.

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seine kritische Betrachtung, die in einer Aporie mündet. Verwirrung und Verzerrung sind die Begriffe, die, vergleichbar den italienischen ghiribizzi,23 auf die neue Perspektive auf das Eigene des Individuums verweisen. Der Verwirrung zu entgehen, ist eines der Ziele, dem sich Gargantua stellen muss. Er wird fast wie ein dem Wahnsinn Verfallener behandelt, er erhält ein Abführmittel, bekommt Diätauflagen, um dann in den freien Künsten und ritterlichen Kampfsportarten ausgebildet zu werden. Er steht, als modernes Individuum, vor dem herkulischen Scheideweg: »auß eifer entzündet, noch großmütiger ergeysteret unnd hertzhaffter ermanet, einen begirlichen gelust unnd sehnliche begird bekam auff andere gestalt sein studieren anzurichten, unnd sich auch wol begabt von angearteter scharffsinne zuerweisen. Dann es ihm auch jetzund anfieng an die Bindriemen, wie dem Hercule, zugelangen: Da ihm auff dem wegscheid Frau tugend mit Buch unnd Rocken, unnd Frau Wollust, mit Lauten und eim Weinkelch der Hurn in der Offenbarung bekamen, und jede auff ihren weg ihn bereden wolt. Derwegen solchen mut nicht under der Aschen erstöcket ligen zulassen, sondern mit dem Blaßbalg strenger anmanung und unabläßlicher übung mehr auffzublasen, richtet ihm Kindlob sein studium auff ein semliche weiß an, daß er nit eine tagstund unnützlich verzeret, sondern all sein zeit inn Schrifftgründung und ehrlichen zu Weißheit förderlichen künsten und übungen zubracht.«24

Der Wahn wird überwunden durch die Entscheidung für das Gute, die Studien. Den unkontrollierten Phantasien, die man bei Gargantua voraussetzen kann, tritt nun der Scharfsinn hinzu. Neue Lehrkonzepte, wie der Einsatz von Rechenkarten, führen bei ihm zu »kurtzweil unnd neuwe fündlin«25, während der »Regenwetterszeit« bringt Gargantua schließlich auch neue Erfindungen hervor, darunter »Neu Trägerzeug, neue Schlösser […], künstliche Circul und Meßstäb […], Lauten die sich selbs richten«26. Das Maß der Dinge wird der Mensch, gut humanistisch gesagt, weshalb auch er die Messstäbe und Zirkel, als Zeichen seiner Schöpferkraft, entwickelt, dies geht sogar so weit, dass er Maschinen konstruieren kann, wie sich selbst justierende Lauten.

23 Bei Machiavelli zum Beispiel nimmt der »Diskurs der Selbsterhaltung die Form des Extravaganten und Bizarren, des Ingeniösen und Neuartigen« an, welches sich für Helmut Pfeiffer im »ghiribizzare« äußert (Machiavellis Anthropologie, S. 139). 24 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 253. 25 Ebd., S. 256. 26 Ebd., S. 283.

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In der »Geschichtklitterung« gibt es keinen allegorischen Sinn mehr, da das Individuum seine Welt, zumindest auf dem Papier, so schafft, wie es sie wahrnimmt – als Interpretationschaos. Allegorie besteht zwar noch auf der Ausdrucksebene, sie transportiert aber keine Inhalte mehr. Am Ende der »Geschichtklitterung« schließt sich der Kreis. Das vom Menschen erfundene Ballspiel ist nichts mehr für die »Marckbeinsauger«27, die der Prolog noch ansprach. Im Dialog zwischen Gargantua und Bruder Jan wird dies deutlich: »Was darff es viel wesens, sagt Gurgellantua, Ich halt es sey nichts Lecherlichs, es deitet auff den Lauff und die erhaltung Göttlicher Warheit. Bei dem heiligen Sanct Goderan, sprach der Mönch, was kodert ihr hie? diß kompt mit meiner Außlegung gar nicht überein: Es ist des Propheten Märlini Stylus unnd Art zuschreiben: Ihr möcht die wichtigsten und ernsthaffsten Allegorien drüber zu Marckt bringen, die ihr wolt, so halt ich meins theils, kein anderer verstand sey under den gelesenen verzwickten dunckelen Worten darinn begriffen: Dann ein Beschreibung des Katzenspringenden Ballenspils oder Ballenspiligen Katzensprungs.«28

Die obskuren Worte schildern lediglich etwas Alltägliches, ein Spiel, das die Lesenden nach Belieben interpretieren mögen, dessen eigentlicher Schöpfer aber ein omnipotenter Erzähler ist, der keine göttliche Wahrheit mehr vermittelt.29 Mit dem Hinweis auf die Fortsetzung des Werks wird zum letzten Mal auch die schöpferische Kreativität anzitiert, die Möglichkeit, eine Welt, gleich der Dantes mit Verdammten und Teufeln zu schaffen, welche jedoch bloß in Pantagruels Mund existiert: »Auch werden mir sehr wol stehn zuhanden, die neu Zeitung von Teuffeln und den Verdampten, sampt der Zung, darmit Pantagruel, ein gantz Hör deckt, unnd was wunderlichs ihm inn dem Maul steckt.«30

27 Ebd., S. 427. 28 Ebd., S. 428. Hervorhebung im Original. 29 Diese Aussage gilt natürlich nur für die »Geschichtklitterung«, in seinen religiösen Schriften zeigt sich Fischart wieder konservativ, indem er das Postulat einer göttlichen (protestantischen) Wahrheit vertritt. Auch findet sich bei Fischart die Berufung auf die alten Sitten in Abgrenzung zu den neuen, so in seinem »Glückhafft Schiff von Zürich«, vgl. J.-D. Müller: ›Alt‹, S. 142-143, was allerdings auch mit der anderen Intention dieses Textes zusammenhängt. 30 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 429.

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6.2 N EUE M YTHOLOGIE

UND

E NTALLEGORISIERUNG

Der antike Mythos erfährt seit dem Mittelalter Transformationen, die Raum für poetische Kreativität geben. Dies hängt primär mit der christlichen Rezeption paganer Vorstellungen zusammen. Max Wehrli geht in seinem Aufsatz »Antike Mythologie im christlichen Mittelalter« von drei Hauptmethoden des Verfahrens mit dem überlieferten Mythos aus: •





Die »Dämonisierung der heidnischen Götter« und damit verbunden eine »Historisierung«, die der euhemeristischen Theorie folgt, dass die antiken Götter historisch bedeutende Personen waren, denen in späterer Zeit kultische Verehrung zukam. Es findet sich vereinzelt ein »religionsgeschichtlicher Erklärungsversuch«, der »schon vorlieg[t], wenn die Römer ihre Götter mit den griechischen identifizieren«. Die christliche Allegorese der Göttergeschichten.31

Neben diesen drei Fällen ist allerdings noch die Möglichkeit der Neuschreibung des Mythos zu erwähnen. Gerade im 12. Jahrhundert finden sich hier schon wichtige Ansätze, erwähnt seien nur Bernardus Silvestris und Alanus de Insulis. In Alanusʼ »De planctu Naturae« wird ein Bildungshorizont aufgemacht, der in das Wesen der personifizierten Natura und deren Stellung zur christlich-göttlichen Schöpfung einführt. Die kurzen Fragen, die der Erzähler stellt, werden in umfangreichen Belehrungen beantwortet. Die sechste Frage thematisiert das Wesen Cupidos: »vellem Cupidinis naturam, de quo alquantum mentionem tua preaelibavit oratio, pictura tuae descriptionis agnoscere. Quamvis enim plerique auctores sub integumentali involucro aenigmatum, ejus naturam depinxerit, tamen nulla certitudinis nobis reliquerunt vestigia.«32 Der Erzähler möchte die von vielen Dichtern nur allegorisch ausgelegte wahre Natur der Liebe in Erfahrung bringen. Während die christliche Tradition eher der Dämonisierungstheorie anhängt – so heißt es bei Isidor von Sevilla über Cupido »Est enim daemon fornicationis«33 – wird Alanus Anleihen bei der antiken Überlieferung eines Ovids gemacht haben, der dem omnipotenten Liebesgott sogar Macht über die Unterwelt zugesteht. Dass Liebe nicht rational definierbar ist, drückt sich bei Alanus in einer Reihe von Antithesen aus, Cupido ist:

31 Vgl. M. Wehrli: Mythologie, S. 96, Zitate: ebd. 32 Alanus de Insulis: De planctu Naturae, Sp. 454. 33 Isidor: Etymologiarum […] libri, lib. VIII. xi, 80.

154 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »Naufragium dulce, pondus leve, grata Charybdis, Incolumis languor, et satiata fames.«34

Die Klimax des metrischen Teils der Natura folgt jedoch erst, wenn der Einfluss Cupidos auf die antiken mythologischen Figuren und Herrscher angeführt wird. Zum Verständnis des Ganzen muss vorher noch auf die Schilderung Cupidos selbst in »De planctu Naturae« eingegangen werden. Der Liebesgott wird nämlich als Sohn der Venus, die in dem Werk als »subvicaria« fungiert – analog zu dem Verhältnis von Gott zu Natura –, und des Hymenaeus eingeführt.35 Dies verwundert, ist doch der gängige Mythos, dass Eros durch den Ehebruch der Venus mit Mars gezeugt wurde. Zwar kennt die Antike noch andere Götter als Vater des Amors, aber Hymenaeus findet sich nicht unter ihnen. Jedoch weisen Diodor und, wie Johan Huizinga in seiner Alanus-Studie feststellt, Martianus Capella sowie Claudianus auf eine Verbindung der Venus mit Bacchus hin, aus der Hymenaeus hervorging.36 Doch da Alanus sich in seinem Werk nicht als Mythograph betätigt, sondern, und das ist hervorzuheben, sich dem Genre der Satire verpflichtet fühlt, schafft er den Mythos neu. Für die an der Antike geschulten Rezipierenden birgt die neue Genealogie noch einen weiteren delikaten Hinweis: Cupido ging nicht aus einem Ehebruch hervor, sondern, wie es Alanus will, aus dem widernatürlichen Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. So stiftet der aus dem Inzest hervorgegangene Gott selbst inzestuöse Beziehungen, die durch Ovids »Metamorphosen« bekannt sind. Nur bei Ovid ist es zum Beispiel Myrrha, die verantwortlich für den Inzest ist, bei Alanus liegt die Schuld bei Cupido, der als Verkehrer des Mythos und der Geschichte erscheint: »pius Aeneas incipit esse Nero. Fulminat ense Paris, Tydeus mollescit amore, Fit Nestor juvenis, fitque Melicta senex. Thersites Paridem formam mendicat, Adonim Davus, et in Davum totus Adonis abit. Dives eget Crassus, Codrus et abundat egendo, Carmina dat Bavius, musa Maronis hebet. Ennius eloquitur, Marcusque silet; fit Ulysses Isipiens, Ajax desipiendo sapit.«37

34 Alanus de Insulis: De planctu Naturae, Sp. 455. 35 Ebd., Sp. 454. 36 Vgl. J. Huizinga: Verknüpfung. 37 Alanus de Insulis: De planctu Naturae, Sp. 455.

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Die Figuren des Mythos (um die Schlacht von Troja), historische Herrscher und Dichter aus dem Umfeld Vergils werden durch die Macht Amors umgestaltet. Alanus lässt Natura mitteilen, dass Cupido es schafft, aus dem alten Nestor einen jungen Mann zu machen, das Gegenteil geschieht dem als Säugling ertrunkenen Melicertes. Auch dass Odysseus durch den Einfluss des Liebesgottes verrückt wird, ist bemerkenswert. Es gelingt dem Dichter hier, aufgrund seiner Kenntnis des Motivs des mundus perversus, einen »mythus perversus« zu schaffen. Schon Wehrli stellt fest, dass der Mythos »in Rhetorik, Dichtung und Philosophie […] als beliebtes Schmuckmittel und allgemeines Bild-Alphabet und Bezugssystem«38 seit der Antike fungiert. Dieses »Bild-Alphabet«, mit Sicherheit schon als eine Art Zeichensystem verstanden, wird von Alanus verändert, indem er es durch Cupido als Mittler verkehren lässt. Die Zeichen werden hier zugunsten einer anderen Interpretation neu kombiniert. Der Dichter fasst also den Mythos hier im wörtlichen Sinne als »μυθος«, als ›Wort‹, auf, mit welchem man neue Sätze, beziehungsweise neue Mythen, schaffen kann. Diese Neukombination der Mythen erinnert an die Neologismen, die Alanus in seinen Werken schöpft. Zumindest in einer Passage ist der Mythos der allegorischen Deutung enthoben. Mythos ersetzt die Allegorie. Noch eindrücklicher wird dies, wenn der antike Mythos eine Leerstelle hinterlassen hat, die beliebig mit Inhalten gefüllt werden kann. Peter Godman hat dies anhand des Urania-Mythos bei Bernardus Silvestris und Pontano dargestellt. Bernardus geht ebenfalls, wie Alanus, kreativ mit der Mythologie um, den letzten Schritt, die Abwendung von der Allegorese, vollzieht er jedoch noch nicht. Dies wird sich dann erst im 16. Jahrhundert herauskristallisieren. Mythos als Zeichensystem verstanden erlaubt es so, eine neue Terminologie (des Mythos) zu schaffen, die dem Dichter mehr Freiraum lässt: »[C]osmological myth licenses the poet invoking his Muse, to assume the role of a speculative thinker and provides a more beguiling promise of human freedom than a dozen rational arguments.«39 Mithin gelangt der Mythos in die Position einer alternativen Wissenschaft, die parallel zum christlichen Denken existiert und keiner theologischen Legitimation mehr bedarf, wie es sich an den neuen Künstlermythen des 16. Jahrhunderts zeigt. Ausgangspunkt ist in diesem Zeitraum immer noch die antike Konzeption. Gerade im 16. Jahrhundert, mit der Entstehung der Kunsthistorie, rückt auch die Legitimierung, Lebensbeschreibungen moderner Künstler zu verfassen, wieder ins Zentrum. Für den italienischen Bereich ist Vasari als Vorbild zu sehen, im deutschsprachigen Bereich sind es primär Gedichte auf Künstler und Erwähnungen in Chroniken, allen voran zu Person und Werk Albrecht Dürers. Mythos hat

38 M. Wehrli: Mythologie, S. 98. 39 P. Godman: Search for Urania, S. 97.

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hier die Funktion eines alternativen Wissens, wie es auch Claude Lévi-Strauss definiert.40 Die Mythologie besteht aus einem Bündel von »Mythemen« und ist kein Vorgänger modernen logischen Denkens, sondern ein Parallelphänomen. Mit Lévi-Strauss sollte auch hervorgehoben werden, dass der Mythos neben der mündlichen Tradierung ein schriftlich überliefertes Wissen ist, wie an dem Ödipus-Mythos zu sehen: »I am well aware that the Oedipus myth has only reached us under late forms and through literary transfigurations concerned more with aesthetic and moral preoccupations than with religious or ritual ones, whatever these may have been.«41 Diesem medialen Wandel gerecht zu werden, dient Jean-Jacques Wunenburgers Theorie der »Mytho-phorie« als adäquate Grundlage: »La compréhension du rapport entre mythe oral et mythe écrit est inséparable de la naissance même de genres littéraires, en particulier en Occident. Le patrimoine littéraire (théâtre, poésie et plus tard roman) constitue, en effet, un lieu de conservation et de transformation d’un patrimoine religieux antérieur.«42

Deshalb nimmt Wunenburger drei Arten der Transformation von Mythen an: •

• •

»la réanimation herméneutique«, die Auslegung des Mythos in einem neuen, meist wissenschaftlichen Kontext, welche die antiken Mythen als Vorwegnahme der christlichen Religion ansehen. »le bricolage mythique«, bei der es um den Vorgang der Verschriftlichung mündlicher Stoffe geht. »la transfiguration baroque«, die Synthese der beiden ersten Aspekte. Die literarische Verarbeitung des Mythos betrachtet Wunenburger als eine freie Neuschöpfung antiker oder fremder Mythen im eigenen kulturellen Kontext.43

Trotz dem Zugestehen einer freien Neuschöpfung weist der Terminus »barocke Transfiguration« eher auf einen manieristischen, spielerischen Aspekt hin. Erst, wenn die alten Namen ersetzt werden und neue Figuren an ihre Stelle treten, kann

40 Die folgenden Ausführungen zur neuen Mythologie in der Kunst sind eine stark modifizierte Bearbeitung meines Aufsatzes R.F. Schulz: Myths, ebenfalls übernommen sind die Zitate zu den Anm. 41-49. 41 C. Lévi-Strauss: Study of Myth, S. 432. 42 J.-J. Wunenburger: Mytho-phorie, S. 59. 43 Vgl. ebd., S. 61-66.

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von einer völligen Neuschreibung des Mythos gesprochen werden. Für den künstlerischen Aspekt ist besonders der Dädalos-Mythos heranzuziehen. Der mythische Erfinder und Architekt imitiert die Natur, indem er das Labyrinth nach dem Fluss Mäander schafft, er täuscht die Natur, indem er eine hölzerne Kuh für Pasiphae bildet, die einen Bullen täuscht, wie es Ovid und Diodorus Siculus darstellen, und schließlich wird Dädalos selbst zum Schöpfer der Natur, wenn es bei Platon heißt, dass er Skulpturen erstellt, die festgebunden werden müssen, damit sie nicht weglaufen können.44 Die Domestizierung der Natur ist also eines der Hauptmotive dieses Mythos. Parallel dazu entwickelt sich die Legende um den Künstler Apelles, von dem kein einziges Werk überliefert ist. Beide Figuren, der mythologische Architekt und der legendarische Künstler, werden zu einer mythischen Vorform, welche die Renaissance als Muster des Künstlerlobes adaptiert. In den »Vite« des Vasari wird aus dem christlichen Künstler Brunelleschi derjenige, der neben den Griechen und Römern steht: »[C]osi dunque Christianamente viuendo, lasciò al mondo odore della bontà sua, & delle egregie sue virtù. Parmi, che segli possa attribuire, che dagli antichi Greci, & da’ Romani in quà, non sia stato il più raro, né il più eccellente di lui«45. Durch das Zitat seines Epitaphs wird zudem deutlich, dass Brunelleschi hier zu einem christlichen Dädalos stilisiert werden soll: »Quantum Philippus Architectus arte Daedalea valuerit, cum huius celeberrimi Templi mira testudo, tum plures aliae diuino ingenio abeo [sic!] ad inuentae machinae documento esse possunt«46. Nicht mythische Kraft, sondern göttliches Ingenium ließen Brunelleschi zu dem Meister werden, der nun fast in die Position eines mythischen Helden gerückt ist. Wie Brunelleschi, so wird auch Dürer, schon zu Lebzeiten, zu einem zweiten Apelles stilisiert. Apelles ist in diesem Fall weniger als eine legendarische Gestalt aufzufassen, sondern er ist vielmehr als mythischer Schöpfer zu verstehen. In den Epigrammen auf Dürers Tod von Helius Eobanus Hessus und Thomas Venatorius zeigt sich dieser Sachverhalt eindrücklich: »Quicquid Parrhasius potuit vel Cous Apelles Ingenio, arte, manu, contegit hic tumulus.«47

44 Vgl. P. Ovidius Naso: Metamorphoses, S. 221-222, VII, 159-168; 188-189, Diodorus: Bibliotheca, S. 60, IV, 77, 1; Platon: Meno, S. 139. 45 G. Vasari: Vite 2, S. 325. 46 G. Vasari: Vite 2, S. 325. 47 A. Dürer: Schriftlicher Nachlass 1, S. 303.

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Dürer wird mit einem Parrhasios oder Apelles verglichen, was sein Ingenium, seine Kunst und seine Arbeit betrifft. Schließlich wird ihm die Ehre zuteil, wie ein mythischer Heros, unter die Sterne des Himmels versetzt zu werden: »Artis ingenii laudem si fata morentur, Certum est Durerum non potuisse mori. Ergo sub hoc nondum totus iacet ille sepulchro, Ingenii famam vivus ad astra tulit.«48

1572 findet sich gar eine indirekte Anspielung auf Dädalos, wenn Paul Eber behauptet: »Jn manchen stücken merckt man schier, Das er auch hab des menschen sprach So viel müglich, wölln malen nach. Welchs warlich zu verwundern ist.«49

Die Übertragung sprachlicher Zeichen in das visuelle Medium, ohne die Schrift zu benutzen, kommt den Statuen Dädalos, die lebendig sind (oder scheinen), nahe. Der alte Mythos liegt nur noch wie ein Palimpsest unter den panegyrischen Texten. Die neuen Künstler haben die alten mythischen Gestalten, von denen (verständlicherweise) keine Werke die Zeit überdauert haben, überwunden. Äußeres Zeichen dieses Wandels ist bei Dürer schon die Ausgestaltung des Nürnberger Rathauses mit einem Calumnia-Fresko. Neben dem Entstehen neuer Mythen zeigt aber auch die alte allegorische Auslegung antiker Mythen Kontinuität, sie kann sich sogar gegen das Neue, wie zum Beispiel die neuen religiösen Strömungen, wenden. Johannes Paulis »Von schimpf das .clxxv« gibt die Geschichte von Dädalos und Ikaros wieder, um sie dann auf die neuen reformatorischen Tendenzen anzuwenden. »[S]ie machen andere kleider, nüwe find, oder ziehen lange bert [...]. Deßgleichen man wil nüwe opiniones haben, vnd wöllen nit der alten doctores opinion vnd meinung halten, wir wöllen etwas sunders haben, das heisen etwan doctores non famosi, set [sic!] fumosi, wa her sein die Behemer kumen vnd hussits. etc.«50

48 Ebd., S. 301. 49 Ebd., S. 324. 50 F. Bobertag: Vierhundert Schwänke, S. 116.

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Das Neue in der Religion ist nur ein ›Rauch‹, wer sich diesen neuen Ansichten verschrieben hat, muss, so die Konsequenz, wie Ikaros scheitern. Im 16. Jahrhundert lassen sich folglich drei Haltungen gegenüber der antiken Mythologie ausmachen. Zum einen ist es die Kontinuität, welche die mittelalterliche Form der Allegorese übernimmt und diese auch auf neue, zeitgemäße Themen anwendet. Eine weitere Möglichkeit besteht in der radikalen Ablehnung des Mythos und seiner künstlerischen Darstellung, wie es das Tridentinum – jedoch fast wirkungslos – vorschrieb.51 Schließlich zeigt sich die Alternative, den Mythos neu zu schaffen, wenn er als ein alternatives Wissen aufgefasst wird, das weder konträr zum Christentum steht – da es unter Umständen, wie an dem Beispiel Brunelleschis zu sehen, dieses inkludiert –, noch allegorisch zu deuten ist. Mitunter konzentriert sich der Gegensatz zwischen Kontinuität und Diskontinuität in nur einem Kunstwerk, wie es an Giambolognas »Ratto delle Sabine« (1583) zu sehen ist. An dieser Skulptur zeigt sich künstlerisches und technisches Können, immerhin ist sie aus einem Marmorblock entstanden. Faszinierend ist besonders die Tatsache, dass der Betrachter völlig frei ist, welchen Standpunkt er wählt. Die figura serpentinata, die als Grundmuster der Figurengruppe anzusehen ist, bot mit Sicherheit Unbehagen in der Kunstkritik. Margarete Vöhringer spricht so auch von »Figuren, die man sehen kann, bevor sie sich in Worte fassen lassen«52, um das Neue der figurae serpentinatae hervorzuheben. Dies mag mit zu dem Umstand geführt haben, dass von humanistischer Seite noch im 16. Jahrhundert ein Titel für Giambolognas Statuengruppe gefordert wurde. Der mythische Raub der Sabinerinnen fungierte so als Erklärung des schon von seiner Perspektive kaum eindeutig einzuordnenden Werkes. Einem an sich ästhetischen Kunstwerk, das eine neue Kunstform einführt, wird ein mythologischer Gehalt zugewiesen, der allerdings keine allegorische Interpretation mehr zulässt. Das Neue entfunktionalisiert hier die sekundäre Zuweisung, den Mythos. Dieses Bewusstsein um den gewandelten Umgang mit Mythos ist auch bei Johann Fischart als geistige Grundlage vorauszusetzen. Schon in dem frühsten umfangreichen Werk Fischarts, dem »Eulenspiegel Reimensweiß«, der auf dem Titel schon Neues in Bild und Wort ankündigt (vgl. Abb. 1), wird dies fassbar. Neben den marktwirksamen Hinweisen, dass es sich um »Ein newe Beschreibung [… ] mit schönen newen Figuren« handelt, sticht der von Tobias Stimmer geschaffene Rahmen ins Auge. Oben in der Mitte ist die obligatorische Eule zu sehen, die den Spiegel wie ein Wappen hält. Unten in der Rahmenleiste korrespondiert ein Reiter mit einem Spiegelschild und mit einer Eule im schnellen Galopp auf einem

51 Vgl. J. Seznec: Survival, S. 264-266. 52 M. Vöhringer: Figura serpentinata, S. 23.

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Esel die Szene. Doch der Esel reitet nicht auf einem Weg, sondern fliegt mit Flügeln, wie Pegasus, in der Luft. Die vom Betrachter aus rechts zu sehende Figur im Titelrahmen stellt einen Mann dar, der ein Eselsfell über Kopf und Rücken trägt und sich mit seiner Linken auf eine Marotte stützt. Ikonographisch dargestellt ist hier Herkules als Narr, der sich auf seine Keule stützt und eigentlich das Löwenfell trägt. Als Pendant steht ihm ein Mann, halbnackt, mit einem Umhang und einer Federkrone gegenüber, welche zusammen mit der partiellen Nacktheit darauf hinweist, dass hier ein brasilianischer Indio dargestellt werden soll.53 In den vier Ecken des Rahmens finden sich exotische und einheimische Tiere, die mit Narrheit und Dummheit in Beziehung gesetzt werden können: ein Schwein und zwei Affen. Nur in der rechten oberen Ecke, wo man doch eine Gans erwarten sollte, findet sich ein Schwan, welcher als Etikett für ein Werk in gebundener Sprache keiner Erklärung bedürfte, wenn er nicht wie bei Stimmer zusammen mit den ›niederen‹ Tieren stehen würde. Der Mythos wird in diesem Titelblatt in ein Narrengewand transformiert. Der Schalk selbst wird zum Pegasus reitenden Helden. Die Figur des Indios, Zeichen der Narrheit wie auch des Neuen, als Repräsentant der Neuen Welt, fügt sich problemlos in den Rahmen ein. Allerdings bereitet die Mehrdeutigkeit der Zeichen erhebliche Schwierigkeiten, zu einer konkreten Deutung zu gelangen. Die Reimvorrede »Der Eulenspiegel zum Leser« greift die Kakophonie des Titels wieder auf. Eulenspiegel hat: »Bekommen auch Poetisch fluegel, Wie Pegasus, welchs war ein pferd, Souiel ist auch mein Esel wehrt.«54

Weiterhin vergleicht sich der Protagonist mit Dädalos und empfiehlt sich als Diener den Musen, schließlich verweist Eulenspiegel auf Minerva, deren Zeichen die Eule ist. Die Tradition der Eule südlich der Alpen wird nun konterkariert mit der nördlichen Vorstellung des Nachtvogels: »Mit Eulen allzeit ist gerüst [Minerva – R.F.S.], Darmit sie dann will zeigen an, Daß schalckhafft sey ein kluger Mann. Dann klug on trug vnd weiß on fleiß Erlangt sehr selten seinen preiß, 53 Zu vergleichen ist hier Stimmers Darstellung eines Indios in einigen Porträtrahmen zur Baseler Ausgabe von Paulo Giovios »Elogia«, z.B. der Rahmen zum Portrait von Camillus Vitellius (Abb. 2). 54 J. Fischart: Werke 2, S. 3.

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Wie solchs Vlysses hat gestifft, Der durch sein list die Welt durchschifft. Vnd diß nur durch der Eulen kunst Vnd dieser Eulen Göttin gunst. Dann schier ein Baur ein Eid verschwür, Vlysses kem von Vlen schier, Tyllisch Tulyssisch kem von Thulen Vnd Vlenspieglisch von den Vlen. […] Dann ich Minerue Schiltjung bin, Der jhr die Eul nachtrag vorthin. Jhr secht, ich komm euch nicht zu schrecken, Wie Pyrenaeus euch zugecken, Sonder ich flieg her mit der Eulen, Mit Spiegeln vnder euch zutheilen, […] Das ist kein rauhe straff und raach. Ist nicht Persei grewelschildt, Medusae kopff und Teuffelsbildt, Welchs die Leut macht zu stein vnd klötzen.«55

Der listenreiche Held Odysseus wird zum vermeintlichen Vorgänger Eulenspiegels stilisiert, da auch er seinen lateinischen Namen angeblich auf »Ulen« zurückführen kann. Eulenspiegel präsentiert sich so selbst als Held eines Epos. Tyll wird wiederum auf »Thulen« zurückgeführt, ein typisch ambivalentes Wort, wie man es von Fischart kennt. Nicht nur auf die Dohle spielt es an, sondern auch auf die unentdeckte Insel Thule, die man im Norden vermutete.56 Eulenspiegel ergänzt den Mythos und wird zum Schildjungen der Minerva, welcher nun nicht mehr das Gorgonenhaupt trägt, sondern einen Spiegel, den er der Welt vorhält. Der Befürchtung, dass sein Schild die Betrachter versteinern lässt, hält er die Tatsache, dass ihr eigenes Angesicht sie lachen lässt, entgegen:

55 Ebd., S. 4-5. 56 Hauffen (ebd., S. 5, Anm. zu V. 65) überträgt »Thulen« mit »Dohlen«, offensichtlich um des Parallelismus mit den Eulen willen. Ebenfalls ist aber auch mit einer Anspielung auf die Insel Thule zu rechnen. Gerade die Unerreichbarkeit dieses Ortes, welche schon bei Petrarca als Gedankenexperiment eine wichtige Rolle spielt (vgl. H. Blumenberg: Legitimität, S. 401), macht den besonderen Reiz aus, wenn Fischart seinen Eulenspiegel dort herkommen lässt.

162 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN »Mein schildt hat auch ein sonder art, Daß er nicht macht Leut steinen hart, Wie der Medusae Strobelhirn; Sonder so baldt man Naß vnd stirn Darin erplickt, so muß man lachen«57.

Wie Pegasus schlägt Eulenspiegels Esel Quellen aus dem Boden, doch diese Hippokrene bietet keine Inspiration mehr, dafür aber »schalckhafft krafft.«58 Das Bild vom Fliegen aufnehmend, distanziert sich der Ich-Erzähler schließlich von Ikaros um dann gegen Ende auf den im Titelrahmen zu sehenden Schwan zu kommen: »Vnd glaub nicht daß on vrsach theten, Welche zugaben den Poeten Kein Adler, welcher steig zur Sunnen, Sonder sie haben wol besunnen Ein Schwanen jn geeignet zu, Welcher hieniden hat sein ruw, Auff daß auch theten sie deßgleichen Nicht zu hoch von der Erden weichen.59

Den Pegasusflügen wird eine Absage erteilt, das Bodenständige dagegen, auch im Bereich der Dichtung, wird postuliert. In den letzten beiden Versen wird Pegasus zum Esel des Silens, der vergleichbar dem Finckenritter warnt: »Wolauff, nun fort Sileni Pferdt, Weicht, daß kein Schalck getretten werd!«60

Fischart schreibt in dieser Vorrede den Mythos neu, indem er ihn nicht bloß verkehrt oder anders als bisher deutet. Er macht aus seinem Helden einen Teil des Mythos. Eulenspiegel als Schildjunge wird autonom, er bestimmt den Schild und dieser trägt nicht mehr das Medusenhaupt.

57 J. Fischart: Werke 2, S. 6, V. 117-121. 58 Ebd., S. 7, V. 160. 59 Ebd., S. 9, V. 207-214. 60 Ebd., S. 10, V. 254-255. Man vergleiche im »Finckenritter« (S. 142): »Weicht auß das keiner tretten werd / Von meinem gschwinden schnellen pferd«.

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Auch in der »Geschichtklitterung« findet die ›neue Mythologie‹ Eingang. Sie stellt sich als ein Konglomerat aus antikem und christlichem Mythos in Verbindung mit zeitgenössischem Wissen dar. Primär ist es der ätiologische Mythos, der neu konzipiert wird. Im »Streit zwischen den Nutelpauntznern, Krapffen unnd Käßfladenbecken von Lerne, eins theyls, und des Gargantua Landsässen anderstheyls«61 wird die Vermischung antiker und biblischer Mythologie besonders eindrücklich inszeniert. Der Krieg wird zu einem sprachlichen Phänomen, Nimrod, der »Thurnbaubeler«62, wird zum Initiator des ersten Krieges, da er anderen das Brot nahm, wie sein Name »Nimprot« bei Fischart verrät. Schon in seiner Funktion des Turmbauherrn wird Nimrod zu einer Figur, die Verwirrung stiftet, Fischart ist sich hier der Bedeutung des Wortes Babel bewusst und verbindet sie sprachlich mit dem Bauen des Turms. Der biblische Mythos wird erweitert, da nun auch der Name des Herrschers selbst etymologisch gedeutet wird. Der Erzähler hinterfragt jedoch kritisch seine neue Etymologie und kommt auf die Höhlenmenschen zu sprechen, die anfingen, ihren Wohnraum abzugrenzen: »Ihr wüßt die ersten Menschen wonten inn hülen, da begab sich offt, daß die wilden Thier und Menschen wolten vor ungewitter, kält oder hitz inn eine Hül schlieffen, da wolt keins das ander einlassen, da gabs ein streit, der Mensch verbauet den eingang mit Bäumen, hinder diesem Pollwerck schützt er sich«.63

Der Mythos wird vorerst zugunsten einer vermeintlich historischen Erklärung aufgegeben: Die Höhlenbewohner bekämpften sich angeblich aufgrund ihrer Felle. Schließlich folgen Ausführungen zu Kriegsanlässen, zum Beispiel der nachbarschaftliche Streit. Hauptgrund des Krieges, so in der »Geschichtklitterung«, seien aber die Eier. Was auf den ersten Blick wie eine Trivialisierung erscheint, wird durch die Rückbindung an den Mythos wiederum aufgewertet und legitimiert. Der Raub oder die Zerstörung von Eiern führt zu Unfrieden, so auch in der fingierten antiken Mythologie: »Hat nicht der Roßkäfer dem Adler sein Eyer inn Jupiters Schoß zerstört? Darvon der Londisch Johan vom Ey groß Monadisch heimlichkeit den Keyser lehrt, als er beweißt, die Welt geh wie ein Ey umb: Ja Jupiter, damit er sein Stral Schilttragend Vogelgschlecht erhalt, schafft, das alsdann, wann der Adler übern Eiern sitzt, keine Schalkäfer umbfliegen: Warumb aber die Roßkäferisch Scherabeierisch art den eyerschalen so feind: das macht, weil 61 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 284. 62 Ebd., S. 284. 63 Ebd., S. 284.

164 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN sie verdreußt, daß sie auß Roßfeigen unnd keinen Eyern kommen: Nun so viel hat dannoch der vom Ey, auß den Grabakarabis Pillulariis ergarakrabelet, daß wir all auß eim Ey herkommen, weil die Welt ein Ey ist: das hat gelegt ein Adler, das ist die hoch, weit und schnellfliegend Hand des Jupiters, das ist das Chaos, das Cavum, das Chaovum, der offen Ofen, hauffen, Hafen, welches des Adlers Hitz Chaovirt, Fovirt, Feurofirt, Chaoquirt unnd Coquirt: Ja Jupiters krafft war distillirer inn dem Vacuo Cavo Ovo, inn dem Ofen Hafen Ey: Der schoß war der Himmel: O ihr Alchymisten freuet euch, hie geht euer geheimnuß an. Diß schön Ey, hat zerstört die Sündflutisch Mistkäferey, da ein Mistkasten über die Wolcken inn den andern Elementen ist umbgefahren, der Dotter im Eyerklar. Merckt ihrs ihr Eyerbrütling, warumb ihr im Helm geboren werd, und warumb ihr weint, wann man euch dieselb Sturmhaub abziecht?«64

Anspielungen auf den ägyptischen Skarabäus und das Urei werden nicht nur mythologisch verstanden, sondern lassen diesen Abschnitt auch vermeintlich zu einem alchemistischen Traktat werden. Die Welt kommt aus dem Ei, wie auch der Mensch: »das Chaos, das Cavum, das Chaovum«. Das Chaos erklärt sich aus dem Ei. Hier wird ein Schöpfungsmythos erzählt, der auch gleichzeitig den Krieg, primär das Durcheinander der Worte, erklärt. Die neue Perspektive erklärt auch den neuen Gebrauch von Sprache.65 Der Krieg zwischen den Nutelpauntznern und den Untertanen Gargantuas verweist wiederum auf die Sprache, das makkaronische Latein, dessen Hauptvertreter Teofilo Folengo als Merlinus Coccaius ebenfalls Erwähnung findet: »Dan ihr solt wissen, das es aus Merulæ Kockai erfarung, eyn recht Amprosisch und Männisch essen ist, frische Notelpauntzen zu den Trauben nüchtern einnemmen«66. Nach erfolgreicher Schlacht gegen die Nudeln und Fladen wird bei einem Festbankett ein Loblied auf den Sieg vorgetragen:

64 Ebd., S. 287-288. Hervorhebungen im Original. 65 Die Verbindung zwischen Krieg und Sprache wird gerade im 16. Jahrhundert anhand des rezeptionsstarken »Bellum grammaticale« (1511; Ausgabe in D. Puliga/S. Hautala: Guerra grammaticale, S. 99-163) des Andrea Guarna evident, das Fischart auch in seinem »Catalogus« (S. 25, Nr. 356) leicht verändert aufnimmt. Das ungeklärte Machtverhältnis zwischen dem König der Verben und der Substantive kann erst durch einen Krieg, in dem obsolete und falsche Formen untergehen, geklärt werden, sodass am Ende ein »Frieden … in einem funktional ausdifferenzierten Staat« (R. Stockhammer: Grammatik, S. 265) entsteht. Bei Fischart zieht sich das Motiv des Chaos weiter fort, eine semantische Eindeutigkeit wird durch den Frieden nicht erreicht, was auch durch die Gründung der Abtei Willigmut deutlich wird. 66 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 289. Hervorhebung im Original.

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»Allso, allso es uns gefällt. Allso man recht begengnuß hält: Dir O lieber Speckkuchenheld, Dir Finckenritter, hie im Feld: Du hast gern Kuchen ghölet, […] Drumb dancken wir wie obgemelt Dir O lieber Speckkuchenheld, Der du ankamst sehr hart Dein Muter auff der fart Da sie Speckkuchen schelet: Ja schelet, quelet, hölet.«67

Als Held tritt der Finckenritter auf, über den man nur – aus bekannten Gründen – singen kann, dass er eine Vorliebe für den Speckkuchen seiner Mutter hat. Mit diesem Zitat verweist Fischart auf die Konstruiertheit der im 28. Kapitel geschilderten Schlacht. Die aus dem Ei hervor gekommene eiförmige Welt folgt ihren eigenen Regeln. Sie ist das Gebilde eines Sprachschöpfers, der aufgrund seiner Kenntnis anderer Werke und im Bewusstsein, fiktionale Texte zu schaffen, den Mythos und seine Welt neu hervorbringen kann.

6.3 L ITERATUR UND

BILDENDE

K UNST

Ein wichtiger Schlüssel des Verständnisses zum Werk Fischarts, der selbst in engem Kontakt zu Künstlern wie Tobias Stimmer stand, ist die bildende Kunst. Die Verbindung von Bild und Text erfährt in der frühen Neuzeit eine Transformation. Das Bewusstsein für die Autonomie des Künstlers wird schon in den ersten beiden Dezennien des 16. Jahrhunderts greifbar. In der bildenden Kunst sind es besonders die fingierten Landschaften eines Altdorfers oder die zeitgenössischen Phantasiegebäude in der Druckgraphik.68 Eine neue Qualität gewinnt diese Diskussion um die Autorschaft mit den aus Artefakten aber auch natürlichen Produkten zusammengesetzten Kompositköpfen und den Landschaften, die anthropomorphe Züge besitzen. Arcimboldo zählt wohl zu den Hauptvertretern dieser illusionistischen Kunst im 16. Jahrhundert, die nachweislich in enger Verbindung zur Literatur

67 Ebd., S. 292. 68 Vgl. C.S. Wood: Forgery, S. 270-275.

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steht und auch auf diese gewirkt hat.69 Diese Wechselwirkung macht es fast unmöglich, nur über die Kunstwerke zu sprechen, ohne ihren literarischen Kontext zu berücksichtigen. Auf den ersten Blick erfüllen diese Werke der bildenden Kunst nur die Funktion, Lachen zu erzeugen. Dies widerspricht sich aber mit der Tatsache, dass Rudolf II. hier als prominentester Vertreter porträtiert wird. Anhand zweier Thesen lässt sich das Neue dieser Kunstform der Kompositköpfe erklären. 1. Die grilli Arcimboldos sind keine komischen Portraits von Hofleuten, sondern Ausdruck der Kreativität des Künstlers, der vollkommen Neues hervorbringen kann. In Gregorio Comaninis Dialog »Il Figino« (1581) artikuliert sich ein neues Künstlerverständnis, so wie es das 15. Jahrhundert und das 16. Jahrhundert vorgebildet haben. Figino resümiert zur Invention: »Voi dite quel pittore fare imitazion fantastica, il qual dipinge cosa di capriccio e dʼinvenzion sua, e che non abbia lʼessere fuori inteletto.«70 Die Werke sind nicht außerhalb des Künstlerintellekts entstanden, sie kommen somit nur einem Individuum zu und sind vollkommen neu, unterstrichen wird dies durch die Aussage Stefano Guazzos im Dialog, der zu der »Flora« und dem »Vertumnus« Arcimboldos konstatiert: »Ché, se bene la favola, così di Flora come di Vertumno, gli è stata somministrata di fuori, e da poeti che lʼhanno imitata col verso, e da altri pittori stato il formare una donna che tutta sia fiori, et un uomo che tutto sia frutti; cosa che non aveva lʼessere in alcun altro intelletto.«71

Kongenial wird Comanini bezeichnet, der zu den beiden Gemälden zwei Gedichte verfasst hat. Das Madrigal, in dem mit den Wörtern »Flora« und »fiori« gespielt wird »imita ben da dovero la pittura dellʼArcimboldo«72, das zweite Gedicht sei

69 T. DaCosta Kaufmann: Allegories, S. 276a, weist auf die Stellung Giovanni Baptista Fonteos hin, der wahrscheinlich Arcimboldos »humanist advisor« war. An sich verwundert das Faktum nicht, dass Rhetoriker bzw. Gelehrte als Berater von Malern in der Renaissance fungierten (vgl. E.R. Curtius: Europäische Literatur, S. 87), allerdings ist es bezeichnend, dass die Arcimboldo-Forschung diese Tatsache lange Zeit außer Acht ließ. Dass Arcimboldo wiederum auf die Dichtung einen Einfluss hatte, ist z.B. für das Werk Quevedos belegt (vgl. M. Levisi: Figuras Compuestas). 70 C. Comanini: Figino, S. 256. 71 Ebd., S. 257. 72 Ebd., S. 258.

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sogar eine »nuova sorte di poema«73. Die neue Kunstform soll ihren Ausdruck in einer neuen Form der Dichtung erhalten. Wie neu und bahnbrechend die Erfindung des Arcimboldo aufgenommen wurde, wird an den Aufzeichnungen Fonteos deutlich. DaCosta Kaufmann hat darauf hingewiesen, dass sich die Bezeichnung grilli für die Kompositköpfe auf die Art der Komposition beziehen und schon bei Plinius belegt ist, als Analogie sei hier aber eher »chymerae« zu sehen, weshalb die Wertung des Werks als komisch durch spätere Kunsthistoriker als problematisch anzusehen ist.74 Mehr noch ist diese Kunstform schon von Arcimboldo und seinen Zeitgenossen als völlig neu wahrgenommen worden: »On the other hand Arcimboldo’s inventions are a new genre of grilli, a new kind of paintings: this is one reason according to Fonteo why his pictures are imperial images. Fonteo says that the ancients did not write about Arcimboldo’s kind of picture, nor did ancient painters know similar effects. He implies that a new empire with claims even greater than those of ancient realms – encompassing the New World as well as the Old – is worthy of a new type of imperial paintings.«75

Neue geographische und politische Verhältnisse rufen eine neue Form der Kunst hervor, die diesen adäquat ist, so das Resümee Fonteos. Die neue Kunst überwindet den klassischen Kanon, in der Antike noch unbekannt, bringt die neue Zeit eine bis dahin neue Form hervor, die aus dem Intellekt eines Individuums hervorgegangen ist. Das neue Entstehen von Kunstformen setzt somit einen neuen Ursprung für ein künstlerisches Selbstverständnis. 2. Wenn die Kompositköpfe oder die anthropomorphen Landschaften Lachen hervorrufen, dann ist dies eher eine Reaktion, die aus Angst vor dem Neuen entstehen kann oder eine mögliche Form, dem Unaussprechlichen zu begegnen. Die Angst resultiert zugleich aus der Erhebung des Künstlers über die von Gott geordnete Natur wie auch aus dem Unnennbaren. Die soziale Funktion des Lachens spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das Lachen als Reaktion auf diese Kunstform, die nicht komisch intendiert ist, anzunehmen. Zum einen ist es die Angst, zum Beispiel vor einem System, einer Herrschaftsordnung, die mit neuen Mitteln kritisch hinterfragt wird. Stimmers »Gorgoneum Caput« (1577, Abb. 3) zu Fischarts antipäpstlichen Flugblatt,

73 Ebd., S. 257. 74 Vgl. T. DaCosta Kaufmann: Allegories, S. 281. 75 Ebd., S. 282b.

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das eindeutig Bezüge zu arcimboldesker Kunst aufweist, ist für diesen Sachverhalt interessant. Schon der Titel weist darauf hin, dass es sich um etwas Neues handeln müsse: »Der Gorgonisch Meduse Kopf, Ain fremd Römisch Mörwunder, neulicher zeit, inn den Neuen Jnsuln gefunden«76. Ein Gorgonenhaupt, das paradoxerweise fremd aber auch gleichzeitig römisch ist, wird als ein Meerwunder aus der Neuen Welt präsentiert. Der Holzschnitt von Stimmer bringt dazu einen Kompositkopf, den Papst darstellend. Eine Glocke bildet die Tiara, der Nacken wird von einem aufgeschlagenen Buch mit dem päpstlichen Siegel gebildet. Das Gesicht und der Brustbereich bestehen aus unterschiedlichen Artefakten wie Kanonen, einem Helm oder einem Tabernakel. Dass dieses Porträt nicht komisch intendiert ist, beweist schon der Titel, da das Gorgonenhaupt die Betrachter versteinern lässt. »Faszinierend und abstoßend zugleich soll das Porträt wirken. Zunächst als klassisches Bildnis im Profil mit repräsentativem Rollwerkrahmen geformt, dann aber drastisch in Frage gestellt durch die attributiven Figuren des Rahmens, durch den mit Scheuklappen lesenden Esel, die Gans mit dem Rosenkranz, das Schwein mit der Lampe […]. Die Tiara erscheint wie ein Hut für Geisterbeschwörungen, besetzt mit brennenden Kerzen, Weihwasserwedeln, Jakobsmuscheln und Kreuzesnägeln.«77

Fischart bezeichnet im Gedicht die Illustration als »vngheuer« und »Mörteufel«78, um dann noch einmal explizit auf den Holzschnitt hinzuweisen: »Mit sein Schupen vnd Abgrundgschmais, Wie man aus diser Bildnus wais.«79

Hier wird ein Meerungeheuer oder Wunderwesen vergleichbar dem »Papstesel« Melanchthons geschildert, weshalb Text und Bild hier nicht koordiniert sind. Überführt wird diese Schilderung in eine Beschreibung der mythologischen Medusa: »Welcher Har waren eitel Schlangen, Damit jr Buler sie thät fangen, Vnd nur mit anplick von dem Haupt Die Menschen jrer sinn beraubt. 76 J. Fischart: Werke 1, S. 417. 77 T. Stimmer: Spätrenaissance am Oberrhein, S. 258. 78 J. Fischart: Werke 1, S. 418, V. 5 u. 12. 79 Ebd., S. 418, V. 33-34.

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Dis ist der schrecklich Gorgonsscheitel, Der die Leut stainhart macht vnd eitel.«80

Schließlich wird der Kirke-Mythos bedient und es folgen Aufzählungen von Handlungen, Gegenständen, Einrichtungen der Kirche, die kongenial das Bild des Kompositkopfes in Text umwandeln, ohne direkt auf seine Ausgestaltung zu rekurrieren: »Vnd was ist der anstrich vnd schein, Welcher die Menschen dunkt so fein? Das sint gar selsam Kirchengpräng, Fremd Ceremoni vnd Gesäng, Ain Sacristei voll Mummerklaidung, Gulden Kelch, Paten, Meßberaitung Kirchenpalläst, Gmalt gemäur, Vmhäng vnd Altartafeln theur, Die Kirch voll Poppenkrämerei, Monstranz, Orgeln, Vogelgschrai, Gros Jnfuln, gulden Hirtenstab, Pluthut, Feldstock, hailgen Grab, Die treifach Kron im Sessel tragen, Pantoffel küssen, Basso sagen, Vil Lastwägen mit Hailigtum, Des schmuck wärd ist vil Fürstentum. Dazu kommen dan faißt Prebenden, Reich Stift, welche die Leut bald plenden, Des Simons Gaistlich Wechsselbank, Der Gnadenkram vnd Ablasschank, Sölpfenning, zehend, Opfergelt, Ausfart, Jarzeit, Presenzgefellt, Das Bullenplei inn Gold Alchmirt, Den Todenstaub zu Gelt palirt.«81

Der Text entfernt sich von der Illustration, um ein vergleichbares Gebilde in Sprache zu erschaffen. Erhielt der Kompositkopf seine Begrenzung noch durch die Linie, so ist hier nur noch ein lockerer thematischer Rahmen gegeben, der es erlaubt, sämtliche, mit der Kirche in Verbindung zu bringende Themen aufzulisten. 80 Ebd., S. 419, V. 45-50. 81 Ebd., S. 419-420, V. 63-86.

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Durch die Akkumulation der Mittel, mit denen die Gläubigen durch die katholische Kirche geblendet und auch unterdrückt werden, entsteht ein Gedicht, das nicht mehr komisch ist. Das Lachen über einen solchen Text ist eher eine Abwehrhaltung, da die Rezipienten angesprochen sind. Sie werden geblendet von der Kirche und ihren Institutionen. Das Neuartige der Komposition löst beim Betrachter eine Verstörung aus, die altbekannte Institution Kirche, das vertraute Bild des Papstes, wird durch die neue Perspektive hinterfragt. Es ist nur noch ein bedrohlicher Kopf aus toten Gegenständen, eine Maschine, die mit Sicherheit an die in der Renaissance neu aufkommende Beschäftigung mit (Kriegs-)Maschinen anspielt.82 Auch in diesem Fall stellt sich die Frage nach Allegorie und Groteske. Wie wenig die hier behandelten narrativen Texte als reine Grotesken bezeichnet werden können, so ebenfalls die Kompositköpfe. Inwiefern von Allegorien gesprochen werden kann, ist auch kritisch zu überprüfen. Groteske und Allegorie können im kunsttheoretischen Diskurs der Frühen Neuzeit eine enge Symbiose miteinander eingehen. Dieses Oszillieren zwischen Groteskem und Allegorischem führt in der Renaissance zu einem Vexierspiel, wie es André Chastel formuliert: »Durch dieses Gitter von Zeichen hindurch kommt eine Beziehung zwischen dem Genie der Natur, die das Chamäleon, den Affen und den Reiher schafft, und dem des Zeichners zum Vorschein, der aus einer Windung eine Sphinx entstehen läßt oder die Vorderhälfte eines Pferdes auf ein Blattwerk pfropft. Die ungewohnte Wirklichkeit und die befreite Einbildungskraft spiegeln sich ineinander. Die beiden Arten der Erfindung erhellen sich wechselseitig durch dieses Netz hindurch, das darüber hinaus das Geometrische und das Organische abgewandelt und so unablässig danach strebt, die Begriffe umzukehren. Man wechselt vom Federnden zum Starren auf geschmeidige und zwanglose Weise, wobei der Eindruck von Ironie entsteht. Die Groteske erscheint so als ›symbolische Form‹, als vollständige Äußerung, welche die Sinnlichkeit anregt und den Verstand zum Narren hält.«83

Chastel versucht, eine Ästhetik der Groteske zu schreiben. Künstlerische Autonomie und Natur spielen zusammen, wenn es um die Konstruktion dieser ›Träumerei‹, wie sie Chastel nennt, geht. Mit der symbolischen Form klingt jedoch schon die tiefere Bedeutung dieser Kunst an, die auch für die Zeitgenossen evident ist. Chastel kommt aufgrund seiner Quellen zu keinem definitiven Ergebnis, verbunden mit der Hieroglyphenkunde der Renaissance erhält auch die Groteske ihren Platz als bedeutungstragendes Zeichensystem. In Giuseppe Betussis »Descrizione

82 Zu denken wäre hier an die anthropomorphen und zoomorphen Kriegsmaschinen, wie sie sich bei Vegetius finden (vgl. z.B. F. R. Vegetius: De re militari, Bl. 13r). 83 A. Chastel: Groteske, S. 54.

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del cataio luogo del marchese Pio Enea Degli Obizi« (1572) wird diese sinnträchtige Bedeutung besonders evident: »Siate certo, che chi biasma la Pittura è fuori dʼogni buon giudicioʼ perche, come dice Cicerone, & altri; ella è vna tacita Historia; che, sotto le sue proprietadi; non solo pasce gli occhi; ma sueglia lʼanimo. Et molti, che dannano le Grottesche, per parer loro improprie; veggendouisi per entro accommodate molte cose fuori del naturale; & che paiono capricciose; non le intendono. Perche secondo l’openione di Marco Varrone, & die Vitruuio; la Grottesca fù introdotta da Romani, & riposta ne’ più domestici, & appartati loro sotterranei luoghi; nè quali si ritirauano; per esprimere, & dinotar molti concetti de gli animi loro; con figure di piante, di lucerne, d’vcelli, di quadrupedi, di Pesci, di satiri, di fuochi, di altari, di maschere, di effigie humane, & monstruose, & d’altre varietadi collegate insieme; à similitudine degli Egitij; che quasi in maniera tale; trouarono le prime lettere. Et molte delle Imprese, che hoggidi fra noi si costumano; quando sono senz’ anima; si possono dir tali.«84

Die von den Römern erfundenen Grotesken gelten den ägyptischen Hieroglyphen als ebenbürtig. Wie auch die Hieroglyphen, bilden die Grotesken ein eigenständiges Zeichensystem. Als Beispiel dient Betussi im Weiteren die Personifikation der Liebe als Venus, was wiederum belegt, dass es keine eigenständige Gattung ›Groteske‹ – zumindest terminologisch – in der Renaissance gibt. Groteske bezeichne alles, was verzerrt ist oder auf ungewöhnliche neue Weise dargestellt ist. Stimmers Papstporträt lässt sich mit dem modernen Terminus Groteske nicht fassen, obwohl auch dieser Holzschnitt Elemente des Grotesken enthält. Fischarts Attribuierung »[r]ömisch« könnte vor diesem Hintergrund polyvalent werden und sowohl auf die Herkunft der Gattung der Groteske als auch auf das Papsttum anspielen. Allerdings ist der Kompositkopf nicht mehr allegorisch, weshalb er auch nicht eins zu eins im begleitenden Gedicht ausgelegt wird. Er besteht lediglich aus der Summe seiner Einzelteile, die für sich genommen bloße Artefakte sind. Erst ihre neue Kombination, durch die Kreativität des Künstlers, der in ihnen einen Nasenrücken oder eine Tiara sieht, lässt ein imaginäres Kunstwerk entstehen. Das Auffinden von Analogien in der Natur und das sich Erheben über die natürlichen Gegebenheiten sind der zweite Aspekt dieser These. Einem Betrachter ist es möglich, in Naturerscheinungen artifizielle Gebilde zu erkennen, wie zum Beispiel Schlösser in den Wolken, die berühmten »castelli dellʼaria«85. Die Natur bringt im Bewusstsein der Renaissance eine Reihe von Phänomenen hervor, die

84 G. Betussi: Descrizione, Bl. CLXr/v. 85 A. Chastel: Groteske, S. 56.

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wie artifizielle Kunstwerke erscheinen. Prominentestes Beispiel sind die unzähligen Missbildungen und Himmelserscheinungen, die Ulisse Aldrovandi in seiner »Monstruorum historia« sammelt.86 Die nach dem Zufallsprinzip entdeckten Kunstwerke sind wohl als Ausgangspunkt einer neuen Kunstrichtung zu sehen. Horst W. Janson hat dem »Image made by chance« eine Studie gewidmet, indem er die Entwicklung dieses Motivs von der Erwähnung im platonischen Dialog bis zur Renaissance nachgeht. Leonardo und Mantegna gelten ihm als Hauptrepräsentanten. Mantegnas Reiter in den Wolken ist für Janson ein »visual pun«, da Mantegna das Wolkengebilde nicht stillschweigend als Inspirationsquelle nutzte, sondern es für den Betrachter sichtbar darstellte. Bei späteren Künstlern wird der Wolkenreiter institutionalisiert und verliert seine eigentliche Bedeutung als »Image made by chance«87. Man vermisst bei Janson den Hinweis auf die christliche Tradition der Wolkenerscheinung, die einen gewissen Einfluss auf das Motiv hat. Im zweiten Buch der Makkabäer erscheint für vierzig Tage über der Stadt Jerusalem ein Reiterheer, das offensichtlich ein göttliches Zeichen ist.88 Wie eine Wolkenerscheinung wird das göttliche Wunder zum Beispiel in der Dietenberger-Bibel (1550, Abb. 4) dargestellt. Der Mensch ist bloßer Rezipient der von Gott gelenkten Naturphänomene und, so müsste man für die Kunst hinzufügen, für die künstlerische Inspiration. Ganz anders dagegen Arcimboldos Phantasielandschaften. Sie haben ihre Quelle nicht in realen Erscheinungen sondern nur im Ingenium ihres Schöpfers. Das nach Arcimboldo geschaffene Blatt mit einem Kopf, der in einer Landschaft erscheint, legt davon ein beeindruckendes Zeugnis ab.89 Ein Fels steht außerhalb der Stadt in der Landschaft, das Wirken des Menschen wird deutlich in den Häusern, die auf dem Fels stehen und der Brücke über einen Fluss, der aus dem Fels zu entspringen scheint. Häuser, Bäume und Felsformationen bilden Haare, Ohren, Augen, Nase. Die Brücke bildet den Oberlippenbart, während das Wasser den wallenden Kinnbart darstellt. Der Zweizeiler unter diesem Druck gibt allerdings wieder eine konventionelle Interpretation:

86 Zur Auffassung der Natur als Künstlerin in der Frühen Neuzeit vgl. L. Daston/K. Park: Wonders, S. 255-301, dort auch der Hinweis auf Aldrovandis Sammlung von Steinen, auf denen angeblich Lebewesen zu sehen waren, welche die Natur selbst in Stein gebracht hätte (S. 286-287). 87 Vgl. H.W. Janson: Image, S. 263-264. 88 Die Einwohner Jerusalems beten, dass es sich um ein gutes Zeichen handeln möge (2 Makk 5, 4), Antiochos verkennt das göttliche Zeichen (2 Makk 5, 17). 89 Vgl. S. Ferino-Pagden: Arcimboldo, S. 226.

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»Mi Formò in monte & mi ritrasse in Carte, Natura à caso l’Arcimboldo ad arte.«90

Die Natur ist der Ursprung arcimboldesker Kunst, wie der Anonymus glauben machen möchte, der wahre Initiator ist jedoch Arcimboldo selbst. Es ist keineswegs davon auszugehen, ein derart detailliertes Porträt in der Landschaft zu finden. Arcimboldo hat die einzelnen Elemente so angeordnet, wie der Schöpfergott die Natur anordnet, um ein künstlerisches Gebilde zu schaffen.

6.4 S PRACHE

UND

K REATIVITÄT

Das Mittel, mit dem die neuen Welten hervorgebracht werden, ist die Sprache. Diese Trivialaussage führt zu dem zentralen Problem hin. Der Schöpfer des »Alten Testaments« schafft den Menschen gleich einem Künstler aus Lehm. Er nutzt Materie, um Neues zu bilden. Dem gegenüber steht die neue Ansicht des »Johannesevangeliums«, dass Schöpfung ein Akt der Sprache ist. Den »Glossa ordinaria« zufolge richtet sich das »In principio erat Verbum« allerdings gegen jene, welche die Existenz Christi nicht vor dessen zeitlicher Geburt ansetzen.91 Als Konsequenz folgt, dass das Wort Gottes in Ewigkeit besteht, somit sämtliche Schöpfung durch Gott vorgegeben ist. Aus dem biblischen Kontext losgelöst könnte auch der Dichter zu einem autonomen Schöpfer werden. Die Rückbindung an Sprache, die auch die von Gott gegebene Sprache ist, erweist sich jedoch als hinderlich für dieses Gedankenspiel. Außerdem ist anzunehmen, dass die betreffende Stelle am Anfang des »Johannesevangeliums« eher metaphorisch aufgefasst wurde, da die göttliche Kommunikationsform wohl eine gänzlich Verschiedene zur weltlichen ist. Der göttliche Wille offenbart sich, zumindest seit dem »Neuen Testament«, ohne das Wort. Die neuerliche Diskussion der Teufelssprache, wie sie zum Beispiel bei Serhij Wakulenko geführt wird, macht zudem deutlich, dass drei Kommunikationsformen angenommen werden müssen: die englische, die menschliche und die teuflische.92 Für die Sprache der Engel gibt es demnach keine Belege, da sie rein innerlich, ohne Laute, vermittelt wird. Die Teufelssprache ist dagegen mannigfaltig, wie auch die menschliche Sprache.

90 Vgl. ebd., S. 226. 91 Vgl. Walafrid Strabo: Opera 2, Sp. 356. 92 Vgl. S. Wakulenko: Teufelssprache, bes. S. 205-207.

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Wenn die durch Laute vermittelte Sprache dem Menschen zukommt, dann ist sie auch als der Bereich zu sehen, in dem Neues, ohne die göttliche Schöpfungskraft zu berühren, erzeugt werden kann. Fischart bildet so Neologismen, ausgehend von Bekanntem: »ja Festtäglich, Ostertäglich, und Kottfleischgästlich Teller, ihr Kindbettfestlich Küssen und Silbergeschirr«93. Er entwickelt Rabelaisʼ Onomatopoetika weiter, wie das Husten und Räuspern des Magister Janotus: »Chen Chach, Chasch, Chrasch, Prasch, Platsch, Hisch, hisch, zisch.«94 Schließlich wird mit Hilfe griechischer Typen und beliebiger Begriffe eine Pantagruelische Prophezeiung verfasst: »Ω λ ξ ν schliffal δ θ μ büffal / β κ μ π lülzapfflin σ ρ en / υ φ wachtalpfeif ε κ φ ven.«95 Als Schlussfolgerung bieten sich bei Fischart drei Möglichkeiten an, Neues im Bereich der Literatur zu generieren, zum Ersten die Neukombination des Materials Sprache, des Weiteren das Absolutsetzen der klanglichen Qualität der Sprache und schließlich die beliebige Zusammenfügung der Zeichen, in welcher ein Bewusstsein für die Materialität des Wortes zum Ausdruck kommt. Außerdem ist zu konstatieren, dass gerade in der »Pantagruelischen Vorsagung« eine Dichotomie aufgemacht wird: Auf der einen Seite findet sich, wie eben dargestellt, die Sprache in ihrer Materialität als kreatives Mittel wieder, die Neues – auch auf die Gefahr eines vollkommenen Sinnverlusts hin – konstituiert. Auf der anderen Seite liegt hier auch eine Rückbesinnung auf den Ursprung vor, da sich mit Bachorski feststellen lässt, dass auch auf das Althochdeutsche alludiert wird.96 Das Ursprüngliche und das absolut Neue schließen sich in dem Gedicht nicht gegenseitig aus, sondern verhalten sich dichotom zueinander, da beiden die Idee des (ursprünglichen) Hervorbringens von Neuem innewohnt. Die Neukombination lehnt sich an die Vorstellungen in der Kunst an. Kunst ist im Humanismus primär ein Kommunikationsmittel, das nützen soll, wie es auch in Fischarts Gedicht »Die Kunst« geäußert wird. Der moralische Wert, den der Erzähler in diesem Gedicht akzentuiert, ist absolut zu setzen. Kunst, die nur der Täuschung dient, und dies wird in dem Gedicht in voller Länge ausgehend von dem Wettstreit von Parrhasios und Zeuxis thematisiert, ist wertlos. Ebenfalls zu 93 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 105. Hervorhebung im Original. 94 Ebd., S. 227. 95 Ebd., S. 52. 96 Stellt man einem Vers wie »Ti inn täm watar tahar wattan« (ebd., S. 45) einen Vers aus Otfrids »Evangelienharmonie« gegenüber, wird zumindest eine lautliche Ähnlichkeit deutlich. H.-J. Bachorski (Irrsinn, S. 403-406) spricht von einer »sprachliche[n] ›Verfremdung‹«, die den »Eindruck des Archaischen erweckt« (S. 403) und nennt den Vorgang »Makkaronisierung« (S. 406), da vermeintlich Althochdeutsches mit modernen Elementen vermischt wird.

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verurteilen ist ein Bilderverbot: »Wie solchs bescheint in der Türckei«97. Dichtung und bildende Kunst ergänzen sich einander: »Sonder das herz erquick vnd schick, Welches dan es sehr leichtlich kan, Wan es sein künstlichait legt an An die hailig Historisch gschicht, Nuzlich exempel vnd gedicht, Poetisch fünd, gmalt Poesi, Lehrbild vnd gmalt Philosophi, Welches zwar solche sachen sint, Das je meh man nachsinnt vnd gründ, Je meh sie schärfen den verstand Vnd machen die sach bas bekant. Drum warn die Maler je und je Poeten vnd Philosophi, Vnd Pamphylus wolt kain lehren nie, Er könnt dan die Geometri, Auch Rechnen vnd les die Poeten, So die erfindung mehren theten; Drum hat er auch solch schuler ghabt, Die for andern warn hoch begabt, Apellem vnd den Pausiam, Bei den die Kunst so hoch aufkam.«98

Die Grundlage dieses Kunstverständnisses bildet Horaz, hier wird aber noch stärker die Interdependenz bildender Kunst und Poesie betont. Hinzu kommt ein Verweis auf die Progressivität von Dichtung (»So die erfindung mehren theten«). Als Kunstkritiker zeigt sich Fischart fern von dem, was er in der »Geschichtklitterung« präsentiert. Die Aussagen treffen aber auf das Illustrationsprogramm seines Werks durch Stimmer zu.99 Wie kann es nun sein, dass Sprache sich derart weit von dem Postulat und der Intention der Bilder entfernt? In »Die Kunst« findet sich ganz am Schluss noch der Hinweis auf die Hieroglyphen, es wäre allerdings verfehlt, die »Geschichtklit-

97 J. Fischart: Werke 1, S. 398. 98 Ebd., S. 397-398. 99 G. Bucher-Schmidt (Stimmer, S. 274-286) weist plausibel nach, dass Stimmers Illustrationen eine moralische Deutung der »Geschichtklitterung« geben.

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terung« als ein arkanes Werk zu betrachten, auch wenn solche irreführenden Leseanweisungen durch den Erzähler gestreut werden, wie die alchemistischen Anspielungen im Nutelpauntzner-Krieg. Die »Geschichtklitterung« will offensichtlich selbst zum Fortschritt, zu den neuen Erfindungen auf dem Gebiet der Dichtung, beitragen. Diese dekonstruierende Lektüre drängt sich auf, wenn die in ihr enthaltenen Beurteilungen zur Kunst ernst genommen werden dürfen. In dem »Parat unnd Bereytschlag« heißt es dazu: »Exspeckta auß der Taschen, Sileni, solt ihr mich verstehn, waren etwann die wundergestalte Grillische, Grubengrotteschische, fantästische krüg, läden, büchsen und häfen, wie wir sie heut in den Apotecken stehen sehen, von aussen bemalet mit lächerlichen, gecklichen, ja offt erschrecklichen Häu unnd Graßteuffeln, wie sie auß Pandore büchs fligen, unnd der Grillen Römischen Mül stiben, gesellen die im hafen schlecken, und haben die Kertz im hindern stecken, wie sie Dantes inn der fegfeurigen Höllen beschreibet, Jott unnd Michelangel im Jungsten Gericht malen, Olaische Mittnächtige Meerwunder, wie sie einem zu mitternacht inn der Fronfasten, wann man zu vil Bonen ißt, und am rucken ligt, fürkommen, Ovidische verformungen, Weinsauffende Grillos unnd Apuleios, seltzame trachenschlund an den Canälen unnd Bronnrören, Midisch Königsoren, Ackteonisch Fürstenhörner: Leut, wie Megasten, Solin, Franck und Munster inn ihren Cosmographien gegen Morenland und Affrich versetzen und Colonisiren, als einfüsige Hasenjäger, einäugige Schützen, Brustgeköpffte Hundsköpff, die auff eim fuß Postiren, geruchlebige Leilachoren, geile Satyri und Geyßmänlin, Scherzengefider, Höllhacken, Charpie des Jupiters Vogelhund, fornen schön und lieb gestalt als Frauen, unnd hinden hön und dib mit klauen.«100

Peter Rusterholz denkt bei der Aufzählung der Mirabilia an Grünewalds »Versuchung des Heiligen Antonius«.101 Es werden aber keine Teufel geschildert, sondern Kunstwerke, die der Phantasie menschlicher Schöpfer entsprungen sind. Wie die Wunderwesen an den Rändern der Erde, für die Solinus oder Sebastian Münster Gewährsleute sind, und die, so müsste ergänzt werden, Gottes Geschöpfe sind, so gehen die Maskarone, Gargouilles und Höllengestalten auf Giotto, Michelangelo, Dante oder Ovid zurück. Ovids Figuren sind »verformungen«, ein Begriff, dessen Ambivalenz alles offen lässt. Es könnte sich zum einen um eine deutsche Übertragung des Wortes »metamorphoses« handeln oder aber sich auf die Tridentinische Verurteilung der Ovidallegorese als Lüge beziehen, dann im Sinne einer

100 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 20-21. 101 Vgl. P. Rusterholz: Fischarts Prolog, S. 259.

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Deformiertheit (der Auslegungsmethode). Außerdem spielt die Stelle wohl auch auf Stimmers Zeichnung der Pandora (1574) an.102 Welchen dezidierten moralischen Wert diese Kompositgestalten haben, lässt der Erzähler offen. Was sich konstatieren lässt, ist, dass sie auf die künstlerische Fiktion verweisen und zugleich auf ihr Material, die Sprache. Erich Kleinschmidt kommt dieser Vorstellung am nächsten, wenn er für Rabelais und stärker noch für Fischart feststellt: »[Das Buch] entwirft thetisch eine Welt, die inhaltlich alle Merkmale von Nichtexistenz enthält und dennoch in der Metaphorisierung seiner Sprache lebendig vorhanden erscheint. Der Akt, daß die Sprache sich der Welt bemächtigt, wird in seiner Brüchigkeit zumal bei Fischart greifbar. Die Festlegung von Sinn im Text erscheint nicht mehr als vorgängige Gegebenheit, sondern die Niederschrift ist das, wodurch sich das Wahrnehmbare überhaupt aufbaut. Es kann dies gewohnter, erzählter Inhalt sein, es kann aber auch die Sprache, das Medium selbst sein, wenn der Autor sie materialisiert.«103

Der Weg von Fischart führt für Kleinschmidt direkt zum Manierismus des 17. Jahrhunderts. Fischarts Werk ist aber weder manieristisch noch als bloße Ausdruckkunst zu sehen. Auch die Metaphorisierung der Welt, von der Kleinschmidt ausgeht, ist ein Trugschluss, wenn man bedenkt, dass sämtliches Reden in Metaphern stattfindet.104 Dagegen steht außer Frage, dass die »Geschichtklitterung« auf Sprache fokussiert. Gleich den Gemälden nach dem Zufallsprinzip entstehen Fischarts Kapitel. Fast den »Don Quijote« und die spätere Diskussion um die Bedeutung des Ingeniums vorweg nehmend, wendet sich Echephron von Hattmut im 36. Kapitel gegen die Phantasie, die jeder Urteilskraft enthoben ist: Erzählt wird, wie ein Waldbruder Honig sammelt, in der Hoffnung, dass er diesen zu Geld machen könne. Da die Bienen vergiftet werden, sieht er seine Gelegenheit gekommen: »Als er nun eins morgens frü im Bett lag, und dichtet wie Marcolfus, bauet Schlösser in

102 Vgl. T. Stimmer: Spätrenaissance am Oberrhein, S. 376, Nr. 244, Abb. 242. Die aus der Büchse fliegenden Plagen, dämonische Kompositwesen aus Mensch und Tier, erinnern tatsächlich an die Höllendämonen Giottos oder Michelangelos, nicht auszuschließen, dass auch Hieronymus Bosch für diese Wesen Pate gestanden hat. Da Stimmer das Motiv stark vereinfacht auch in Mathias Holtzwarts »Emblematum Tyrocinia« bringt, ist eine Bekanntschaft Fischarts mit dem Werk gesichert. 103 E. Kleinschmidt: Metaphorisierung, S. 50. 104 Zu denken ist hier an G. Lakoff/M. Johnson: Metaphors. Gerade bei Fischart werden durch die Assoziationsketten diese Übertragungsvorgänge transparent.

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Spanien unnd Stätt inn die lufft«105. Er baut Luftschlösser und erdichtet sich seine Zukunft, in der er einer arthurischen Tafelrunde vorsitzt und einen Sohn haben wird, den er züchtigen will. Er nimmt einen Stab und hebt in der Imagination an, das Kind zu schlagen. Dabei trifft er den Honigkrug, der über seinem Bett hängt und dieser geht zu Bruch. So ruiniert kann er nur noch seinen Schaden beklagen. Auf der Metaebene kann dies auf den Dichter verweisen, der bar jeder Vernunft ist. Interessant ist der Hinweis auf die Luftschlösser, der auch Anspielung auf die Wolkengebilde und Flecken sein kann, wie sie die Künstler zur Inspiration nutzen. Fischart verfährt ähnlich, nur seine Ausgangsbasis sind geordnete Texte – keine Naturphänomene –, denen er sein Material, die Sprache, entnimmt. Das Zufallsprinzip wird invertiert. Kunst fußt auf Kunst, das artifizielle Gebilde entsteht nun aus einem weiteren, bewussten artifiziellen Gebilde. Hier zeigt sich die Progressivität der Dichtung. Und da die Abfolge nicht in einem Aufeinanderaufbauen besteht, sondern in dem Bruch, eben eine diskontinuierliche Schilderung zu schaffen, lenkt Fischart das Augenmerk wieder auf die Sprache.

6.5 D IE B IBLIOTHEK

ALS

O RT

DES

N EUEN

Ganz am Ende seines vermeintlichen Supplementbandes zu Gessners »Bibliotheca universalis«106, im »Catalogus Catalogorum perpetuo durabilis« (1590), bringt Fischart einen Titel, der auf das Wesen dieses kleinen Katalogs hindeutet: »Der wild Walt der Bücher«107. Wie in den antiken silvae,108 so versucht er vorgeblich alles, was an Büchern erschienen ist und was noch erscheint, bei Gessner allerdings nicht aufgenommen wurde, in einem kuriosen Sammelsurium seinem Publikum zu präsentieren. Meist verfährt er dabei so, dass er, ausgehend von Rabelaisʼ Bibliothek von St. Victor, real existierende Titel verfremdet und diese auch untereinander neu kombiniert. Das Neue ist in mehreren Titeln präsent, zum einen,

105 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 332. 106 Fischart stützte sich wohl auf die zweite durch Johann Jakob Fries besorgte Ausgabe von 1583, vgl. Schilling: Einleitung, in: J. Fischart: Catalogus, S. XXVI, Anm. 44. 107 Ebd., S. 35, Nr. 518. 108 Auch D. Werle (Copia librorum, S. 192) verweist auf den »wild Walt« als einer der Schlüsseltitel des »Catalogus«, bringt diesen jedoch nur mit dem Labyrinth in Verbindung. Es muss hier aber auf die Bedeutung des lateinischen silvae hingewiesen werden, das nicht nur wie bei Quintilian eine bloße ungeordnete Materialfülle bezeichnet, sondern auch ein reichhaltiges, noch ungenutzes, Material wie bei Cicero (vgl. K.E. Georges: Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Sp. 2366).

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da es der üblichen Form der Werbung frühneuzeitlicher Buchtitel entspricht und zum anderen, um mit der »Newzeitung giriger vnd nach Büchern trachtenden Welt«109 seinen Spott zu treiben. Einen Höhepunkt erreicht das Neue in folgendem Titel: »Die Newerfunden wandelbahr Monwelt / Neuer Kreuter Newer wörter neues Glaubens / neuer Artzeney / neuer Juristerey / neuer Dialectic / neuer Rüstung / neuer Fünd. durch Gebhart Seeliung.«110 Schilling will darin eine skeptische Haltung sehen, was jedoch in einem Paradox mündet: »Skepsis gegenüber einer aus den Fugen mittelalterlicher Geschlossenheit geratenen, allerdings auch befreiten Welt«111. Die Neuheitssucht wird stigmatisiert, wie in »Villanouani Lumen nouum«112, doch ist dabei nicht zu vergessen, dass gerade die Titel an sich auch neue Inventionen sind. So werden die tatsächlichen Erfindungen und die künstlerische Kreativität keineswegs nur skeptisch im »Catalogus catalogorum« betrachtet. Aufdecken und Erfinden sind an vielen Stellen präsent: »Wanderbündel […] sampt [...] ein newen fund«, »die new erfunden warm Baderwelt«, »Schneckenheußlinmuster der Baw vnnd Zimmerleut: erfunden von Noa Nestwarm«, »Vesalius de […] Nouo Pillulario«, »Fertige Erfindungen der bösen Schuldner«, »Mercart Newer Schiffarten […] Durch Schrothart Schifftrach«.113 Wie an dieser kleinen Auswahl zu sehen, ist das Neue zwar häufig auf negative Handlungen und Erfindungen zu beziehen (vermeintlich neue Medizin, Mittel um zu lügen und zu betrügen, nicht vertrauenswürdige Seekarten), es gibt aber auch positive Beispiele, wie der Titel »Schneckenheußlinmuster der Baw vnnd Zimmerleut: erfunden von Noa Nestwarm«, was zum einen eine Anspielung auf die ornamentale und architektonische Spirale ist, wie sie auch bei Dürer als Schneckenlinie erscheint, dazu auf die figura serpentinata anspielt,114 zum anderen aber auch an Noahs Arche erinnern lässt, die »nestwarm« hält. Ebenso erscheinen die Erfindung des Buchdrucks und des Schießpulvers, genauso wie im zeitgenössischen Diskurs, nicht negativ: »Vergleichung zwaier vngleicher herlicher Fünd des Geschützes vnd der Buchtruckerey. Durch Jonam

109 J. Fischart: Catalogus, S. 36. 110 Ebd., S. 22, Nr. 305. 111 Ebd., S. XXVII. 112 Ebd., S. 24, Nr. 330. 113 Ebd., S. 8, Nr. 43; S. 9, Nr. 66; S. 16, Nr. 200; S. 23, Nr. 325; S. 24, Nr. 345; S. 28, Nr. 406. 114 Und natürlich erinnert die Schneckenlinie auch, als intertextueller Bezug, an Fischarts Schöpfung, die Wendeltreppen im Kloster Willigmut, vgl. J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 408.

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Fredenwart.«115 Das Adjektiv ›neu‹ erfährt selbst neue Erweiterungen durch die Komposition: »Nagelneuwer«, »Feurneuw«, »spundnewer«, »Newbekeutzter«.116 Ulrich Seelbach geht angesichts der Titelfülle davon aus, dass die zeitgenössischen Leserinnen und Leser gar überfordert gewesen seien,117 was doch eher auf ein heutiges Publikum zutreffen mag. Sein Versuch, die Titel nach realen Titeln, realen Autoren mit verfremdeten oder fingierten Titeln sowie fiktiven Autoren mit realen Titeln einzuteilen, bringt auch nicht die erhoffte Erkenntnis, außer dass die Lesenden mehrmals den Katalog studieren müssen, um dann immer noch »einige unentdeckte Versteckspiele«118 zu finden. Versucht man alle Titel zu interpretieren und sie zu deuten, wird man wohl nicht aus dem Irrgarten kommen, von dem Fischart spricht. Er konstatiert, dass »manche herrliche Authores / daruon jhr nie kein zeitung gehört / verborgen ligen«, aber »wann man lang kan warten / so kompt man einmahl auß dem Jrrgarten.«119 Der Irrgarten, der von einem Autor erschaffen wurde, erinnert auf der Metaebene an das Labyrinth des Dädalos: Ein Schöpfer hat bewusst die künstliche Form des Labyrinths angelegt und nur durch das menschliche Ingenium, den Faden der Ariadne, lässt sich die menschliche Erfindung des Labyrinths meistern. Dirk Werle führt, sich auf den Begriff des Labyrinths beziehend, zu Fischarts »Catalogus« aus: »Eine zentrale Eigenschaft der imaginierten Universalbibliothek besteht wie die des Waldes aus einem labyrinthischen Wechsel von Einsicht und Hermetik in einer unüberschaubaren Menge an Verweisungen. Von außen ist keine zutreffende Beschreibung von Wald, Labyrinth und Bibliothek möglich. Dabei ist die Bibliothek wie das Labyrinth, aber anders als der Wald ein artifizielles Gebilde.«120

Hierzu ist festzustellen, dass der Wald auch ein artifizielles Gebilde, gerade als silva (rerum), sein kann. Der Begriff des Labyrinths mag im freien Assoziationsspiel ebenfalls von Fischart mit gedacht worden sein, es muss aber unterschieden werden zwischen dem antiken Labyrinth, das zum Ziel führt, und dem frühneuzeitlichen Irrgarten, der mit Sackgassen und Irrwegen vom Ziel wieder wegführt. Letzteres klingt bei Polydorus Vergilius an, der die Labyrinthe bezeichnet als

115 J. Fischart: Catalogus, S. 24, Nr. 346. 116 Ebd., S. 7, Nr. 29; S. 25, Nr. 355; S. 26, Nr. 365; S. 32, Nr. 463. 117 Vgl. U. Seelbach: Ludus lectoris, S. 265. 118 Ebd., S. 265. 119 J. Fischart: Catalogus, S. 5. 120 D. Werle: Copia librorum, S. 192.

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»portentosissimum humani ingenii opus. In se enim continent mille itinerum ambages, occursus ac recursus inexplicabiles crebris foribus inditis ad fallendum occursus redeundumque in errores eosdem.«121 Dieses Verständnis ist auch bei Fischart vorauszusetzen, die Irrgärten sind eine der bewundernswertesten Erfindungen des Menschen, sie führen ihre Benutzer hin und her und schließlich auch auf falsche Wege, die sie wieder bei ihrer Suche nach dem Ziel zurückfallen lassen. So auch die Buchtitel im »Catalogus«. Wäre am Schluss des kleinen Werks nicht der teleologische Gedanke »Dann es muß vor der Welt end noch alles an tag kommen«122, läge mit dem »Catalogus« ein Plädoyer für eine nicht enden wollende menschliche Kreativität, die natürlich auch in ihrer Abwegigkeit kritisiert werden darf, vor. Fischarts Bücherkatalog bietet nicht nur eine neue Textsorte, die zeitgenössisch aufkommende Bibliographie, sondern auch neue Inhalte und grenzt sich so von Gessner und seinen Nachfolgern ab. Nicht mehr in einen Roman integrierte reale Publikationen oder Parodien wie bei Rabelais werden den Lesenden vorgelegt, sondern Phantasietitel, Kombinationen aus realen Autornamen oder Titeln mit imaginierten, sodass ein eigenständiges, separates literarisches Werk entsteht. Einen Vorreiter hat er darin in Anton Francesco Doni, der in seiner »Seconda Libraria« stellenweise ebenso verfährt. Obwohl ein direkter Einfluss des Werks Donis auf Fischart nicht nachgewiesen werden kann,123 sind doch seine Ausführungen als zeitgenössische Parallele bedeutsam. In der ›Vorrede an die Leser‹ heißt es: »Benedetta sia l’hora, e’l punto, che mi venne questa bizzaria nel capo di far questo libro«124. Hier werden wieder die »bizzarie« angeführt, die zur Entstehung der Bibliographie geführt haben, die »Libraria« enthält »nuoue inuentioni d’opere mirabili, nouelle«125. Dass es sich bei dem Text nicht um eine wissenschaftliche Bibliographie handelt, wird schon an den beigefügten Anekdoten und 121 Polydorus Vergilius: Discovery, S. 422, III, X, 1. 122 J. Fischart: Catalogus, S. 36. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in dem Gedicht, das am Eingang der Bibliothek des Klosters Willigmut zu lesen ist, hier wird besonders auf die von Gott initiierte Buchdruckerkunst und das Gotteslob, das sich in den Büchern wiederfinden soll, fokussiert. Allerdings wirkt das Ganze im Kontext des Klosters Willigmut erneut widersprüchlich. Vgl. J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 409414. 123 Dafür kann man mit D. Werle (Copia librorum, S. 201 u. Anm. 420) einen möglichen Einfluss von Rabelaisʼ Bibliothek von St. Victor auf Doni vermuten, was höchst interessant wäre, da es für die Frühe Neuzeit sonst keine italienischen Rezeptionszeugnisse der Pentalogie gibt. 124 A. Doni: Seconda Libraria, S. 13. 125 Ebd., S. 15-16.

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Novellen zu den einzelnen Autoren deutlich. Namen realer Autoren erscheinen in Anagrammen, eine vermeintliche Arbeit über die Wolfssprache wird angeführt, ebenso wie »Romanzi in lingua Furba«126. Dichtung bekommt eine besondere Bedeutung, Dichter kommentieren Dichter, wie der Novellendichter Masuccio Salernitano, der laut Doni einen »Comento sopra la prima giornata del Boccaccio«127 verfasst haben soll und dem bekannten Philologen Fausto da Longiano wird ein Werk zugeschrieben, das sich mit den Lügen der Historiker und der Wahrheit der Poeten auseinandersetzen solle (»Le bugie de gli Storici, le verità de Poeti«128). Im Gegensatz zu Fischart weist aber Doni nicht auf ein teleologisches religiöses Geschichtsmodell hin, sein Katalog ist offensichtlich dazu angelegt, unbegrenzten Spielraum für die Phantasie zu lassen und volkssprachliche Dichtung zu legitimieren. Da Doni keine Vorgänger nennt, Fischart aber mehrfach auf Rabelais verweist, stellt sich bei Letzterem wieder – wie in seiner »Geschichtklitterung« – die Frage nach der imitatio. Auf der Metaebene zeigt sich dies zum Beispiel in einem Titel wie »Anatomy der Flöh / vnd von der Milwen zän außbrechung: Mit einem kunstücklein / wie die Flöh inn Wachs seind abzutrucken«129. Dies erinnert erneut an Rabelais und zwar an die Anatomie des Karnevals durch Xenomanes und spielt auf Fischarts eigenes Werk, »Flöh Haz / Weiber Traz«, an, wie Schilling nachweist.130 Darüber hinaus wird mit dem Abdrücken eines Flohs in Wachs auf die in der Renaissance beliebte Technik der Lebendabformung (»lifecasting«) von Tieren alludiert.131 Hierbei wurden kleine Tiere wie Frösche, Eidechsen oder Schlangen lebend fixiert, um aus ihnen eine Abgussform für Bronze zu schaffen. Das Ergebnis waren Kleinplastiken, die lebensecht wirken. Claudia Kryza-Gersch sieht diese Technik in Bezug zu den im Humanismus wieder entdeckten antiken Diskursen um die imitatio: »Es ist dabei jedoch auffallend, dass für die paduanischen Naturabgüsse meistens Schlangen, Krebse, Kröten oder Eidechsen herangezogen wurden, Tiere also, denen man im allgemeinen lieber nicht im lebendigen Zustand begegnet. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Aristoteles in seiner Poetik (IV, 3) bemerkte, dass für den Betrachter Gegenstände, die man in der Realität mit Unlust sieht, zu einem vergnüglichen Anblick werden, sobald sie vollendet abgebildet sind. Diese philosophische Ansicht, verknüpft mit 126 Vgl. ebd., S. 59 und (Zitat) S. 96. 127 Ebd., S. 127. 128 Ebd., S. 87. 129 J. Fischart: Catalogus, S. 10, Nr. 84. 130 Ebd., S. 41, Anm. 84. 131 Vgl. P.H. Smith/T. Beentjes: Nature.

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dem sokratischen Begriff der ›zweckmäßigen Schönheit‹, dass nämlich auch etwas Hässliches schön sein kann, wenn es nützlich ist –, mag zu einem nicht geringen Teil den Anstoß zur Produktion von Utensilien aus Naturabgüssen von niederen Tieren gegeben haben.«132

Kaiser Maximilian II. soll sogar Tiere »conterfetisch von Gipß formiert«133 haben. Sind schon die Anatomie eines Flohs und das Zähneziehen bei Milben eine unmögliche Wissenschaft im 16. Jahrhundert, so ist das Abdrücken von Flöhen in Wachs – um Gipsabgüsse zu schaffen? – ebenfalls eine nicht zu bewältigende künstlerische Herausforderung. Besonders ist jedoch, dass hier keine lebenden Tiere abgeformt werden sollen, sondern literarische Wesen: Die Flöhe aus Fischarts »Flöh Haz«. Nicht mehr Natur wird mimetisch nachgebildet, sondern literarische Konzepte, und hier liegt tatsächlich ein Bereich für unendliche Formen von Neuschöpfung. Thomas Rathmann konstatiert, dass sich das Neue in der mimetischen Relation Fischarts zum Werk Rabelais findet: »Das Niveau der Erzählfiktion wird immer wieder unterbrochen von Partikeln anderer Realitäten; doch haben diese Einschübe keinerlei deskriptiven, abbildenden Charakter (mehr) und das heißt: hier wird nicht nachgeahmt, sondern gebildet, mittels Sprache ein Sinngebilde konstituiert, das seine Legitimation nicht länger aus dem Verhältnis zur Natur, einer vorgegebenen Wirklichkeit oder einem antiken Vorbild bezieht. Die Funktion des Textes innerhalb der mimetischen Beziehung geht eindeutig über das Ziel hinaus, eine Wirklichkeit widerzuspiegeln und zu deuten. Der Text bzw. das Kunstwerk stehen nicht mehr allein FÜR eine Wirklichkeit und somit in Abhängigkeit von ihr. Vielmehr zeigt sich hier, d.h. genauer müßte es heißen: wird hier erfahren, eine weitere, für das 16. Jahrhundert sicherlich neue, Funktion des Phänomens Mimesis: gemeint ist ihre seinskonstituierende Funktion.«134

Wenn der Begriff der Mimesis fällt, ist, zumindest seit dem 16. Jahrhundert, die »Poetik« des Aristoteles zu konsultieren. Aristoteles kann in der Tat einen Ausgangspunkt für Fischarts Schreiben bieten. Im 25. Kapitel äußert er in Bezug auf vermeintliche Fehler der Nachahmung: »Wenn ein Wort etwas Widersinniges auszudrücken scheint, dann muß man prüfen, wieviele Bedeutungen es an der betreffenden Stelle haben kann. So muß man bei den Worten

132 C. Kryza-Gersch: Kröte, S. 198. 133 Zit. n. F. Kirchweger: Kunst, S. 193. 134 T. Rathmann: sprach, S. 128.

184 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN ›dort wurde die eherne Lanze festgehalten‹ fragen, auf wievielerlei Weise sie dort festgehalten werden konnte, ob so oder so, wie man am ehesten vermuten möchte.«135

Es wäre immerhin vorstellbar, dass Fischart diese Aussage rezipierte und sie, indem er alle möglichen Assoziationen eines Gegenstandes oder einer Handlung einbezog, wortwörtlich nahm. Mimetisch wäre es dann, alle möglichen Perspektiven auf einen Stoff, in diesem Fall den »Gargantua«, sichtbar zu machen, um schließlich ein neues Werk zu schaffen, welches die Materie adäquat behandelt. Festzuhalten ist aber auch, dass Mimesis sich bei Aristoteles primär auf die Nachahmung der Natur und der Wirklichkeit bezieht. Sie kann sich aber auch auf die mimetische Aneignung literarischer Modelle beziehen. Im 16. Jahrhundert finden sich gerade in den Diskursen der bildenden Kunst und Literatur, hauptsächlich in Italien und Frankreich, Diskussionen zu diesem Komplex: Soll ein einzigartiges Vorbild imitiert werden oder sind es nicht vielmehr mehrere Modelle, die in der Nachahmung Neues hervorbringen?136 Die Vorgehensweise ist in diesem Fall allerdings eklektizistisch, wie Vasari dies in Hinsicht auf Raphael herausstellt: »il quale studiando le fatiche deʼ maestri vecchi e quelle deʼ moderni, prese da tutti il meglio, e fattone raccolta, arrichì l’arte della pittura di quella intera perfezione che ebbero anticamente le figure di Apelle e di Zeusi.«137 Perfektion kann – so ist zumindest dieser Stelle zu entnehmen – erreicht werden, wenn sowohl das Beste aus den antichi als auch aus den moderni gezogen wird. Fischart kannte mit Sicherheit, schon aufgrund seiner profunden Kenntnis der zeitgenössischen Kunst, auch diese Theorien. Er überführt diese kunsttheoretischen Überlegungen in die Eindimensionalität des Textes und gibt ihm somit eine Plastizität. Das Beschreiben von Bildern oder das Anzitieren der Schneckenlinie verweisen nicht nur auf einen Paragone, der Literatur mit der Kunst, sondern auch auf den Wunsch, auf dem Papier ein mehrdimensionales Kunstwerk zu schaffen. Ins Zentrum des Interesses sollte also nicht das Verhältnis zwischen Autor und Werk rücken, sondern zwischen Lesenden und Text. Durch ekphrastisches Schreiben und den permanenten Wechsel zwischen verschiedenen Perspektiven, bewirkt durch die Assoziationsketten, die einem Gegenstand mehrere Bedeutungen zuweisen, entsteht so der Eindruck eines mehrdimensionalen Werks. Somit wird hier

135 Aristoteles: Poetik, S. 91. 136 Vgl. die Überblicksdarstellung bei R. LeMollé: Vasari, S. 146-152. 137 Zit. n. ebd., S. 149.

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der Weg beschritten von der interpretatio zur imitatio und schließlich zur aemulatio, dem Wettkampf mit den anderen Künsten, der seinem Autor den größtmöglichen Spielraum zugesteht.138

6.6 F ISCHARTS H IEROGLYPHEN Wissen erscheint nicht nur in immer neuen Formen bei Fischart, es wird formbar. Hierbei spielen besonders die visuellen Künste eine Rolle. Die Rezeption durch das Auge gewinnt durch den Medienwandel eine ganz neue Bedeutung. Mithin wird der Wunsch des Vor-Augen-Führens von Wissen in Bild und Text, das Abbilden mehrerer Ebenen eines Gegenstandes, im gedruckten Buch deutlich.139 Dies zeigt sich auch in der Beschäftigung mit Hieroglyphen, die schon im 16. Jahrhundert als ein Zeichensystem gelesen werden können. Fischart selbst zieht eine lange Traditionsreihe von der »Hieroglyphica« des Horapollon bis hin zur zeitgenössischen Emblematik: »Wie solche unnd dergleichen Bilderschrifften der uralt Orus Apollo, der VollibPolyphil im Libtraum, Pieri Boltzan, Cälius Cittolinus, der Herold, der Goropius, der Schwartzialupi, die Hieroglyphischen Heyligschrifftenerklärer haben artlich erkliebet, auch sonst vil Emplemateschreiber, Sam Buch Stamm Buch Holderstock, Aldus Hadrianus Brachmonat, Reußner, Holtzwart, Fischart, Paradin, Jovius, unnd viel Divisendichter verblümt und verkünstelet.«140

Als Beispiel dient Fischart ein langer Katalog ›Sinnbilder‹ und ihre Bedeutung: »Helffant ein helffer, Kalecut ein beschabet Mönchskapp oder abgerieben zinckenbläsermaul, Lame tatz für Lamentatz: Pfrimen inn oren die Memori: Bock

138 Vgl. hierzu J.-D. Müller: Texte, S. 64 und R.F. Schulz: Land der Griechen, bes. S. 315. Hier findet sich auch der Nachweis, dass Fischart souverän in seinen Werken mit diesem Modell umgeht, so führt in der Kinderzucht der Weg wieder zurück zur interpretatio, jedoch unter neuen Vorzeichen, was eine kulturelle Übertragung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ausgehend von der Vorstellung der translatio studii, erst ermöglicht (S. 321). 139 Vgl. zur perspektivischen Darstellung und ihrer Rezeption in der westlichen Kultur, gerade in Hinblick auf die Mediengeschichte, M. Giesecke: Buchdruck, bes. S. 597639. 140 J. Fischart: Geschichtklitterung, S. 178.

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im Beltz der Teufel: Prust Latz für Protestatz: arm im reff ein Reformirer: ein entschipter kaler Fisch oder Al ein Fiscal«141. Was hier präsentiert wird, ist eine direkte Umsetzung von zeitgenössischen Auffassungen zur Hieroglyphik. Eine wichtige Referenz für Fischart ist in diesem Fall wohl Janus Goropius Becanus, der auch hier als Emblem-Dichter in Erscheinung tritt. Auch wenn die Technik einer vermeintlichen Tradition entspringt, die Fischart in einem Autorenkatalog vorstellt, so ist doch das Bildmaterial, das jeweils herangezogen wird, von Epoche zu Epoche unterschiedlich und kann mittels Interpretation in den zeitgenössischen Kontext eingebunden werden. Ebenfalls erweist sich somit die Interpretation als flexibel und erneuerbar. Hierbei spielt nicht nur der Einfluss von Religion eine Rolle, sondern auch technische oder sogar wirtschaftliche Innovationen, wie die angeführten »Reformirer« und »Fiscal« belegen. Die Bilder, als Zeichensystem gefasst, das beliebig erneuerbar ist oder erweitert werden kann, bieten das Potential für eine ungebrochene Kreativität. Aleida Assmann konstatiert, dass Hieroglyphen in der Renaissance »zur Projektionsfläche für etwas unerschöpflich Fremdes und Geheimnisvolles geworden«142 sind. Sie sieht drei mögliche Einflüsse für die Hieroglyphen-Renaissance, zum einen die »christlich platonisierende[] Topik vom ›Buch der Natur‹«, die Rezeption der »Hieroglyphica« des schon erwähnten Horapollon sowie des »Corpus Hermeticum«.143 Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht für sie in der »Suche nach einer vollkommenen Ursprache«144. Aus semiotischer Sicht akzentuiert Assmann das »semiotische Paradox« der Hieroglyphen, die gleichzeitig Bild und Text seien,145 um dann zu konstatieren: »Sie [die Hieroglyphe – Anm. R.F.S.] fügt sich nicht in die Kategorien abendländischer Rationalität; sie spottet der zwingenden Unterscheidungen und steht der technischen Fortschrittsgeschichte als Fossil aus einer fremden Welt entgegen. Darin liegt aber auch ihr Potenzial als Fremdkörper, Störung und Überbietung. Sie eignet sich dabei zugleich als ein Spiegel das im Eigenen verschlossenen kulturelle Andere zur Erscheinung bringt.«146

Dies trifft zwar auf die Rezeption der Hieroglyphe durch die Humanisten in der Renaissance zu, man darf aber nicht vergessen, dass die Hieroglyphen als Zeichen

141 Ebd., S. 177. 142 A. Assmann: Dickicht, S. 97. 143 Ebd., S. 104. 144 Ebd., S. 104. 145 Vgl. ebd., S. 118, Zitat ebd. 146 Ebd., S. 118.

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ein poetisches Potential haben. Durch Hieroglyphen wird schließlich auch die Materialität von Sprache evident. In einem religiösen Kontext sind die Bildzeichen dann natürlich wieder Entitäten, die zwar menschlich geschaffen wurden aber eine göttliche Wahrheit transportieren.147 Olivier Millet hat allerdings aufgezeigt, welche neue Bedeutung Hieroglyphen erhalten, wenn sie in einem säkularisierten Kontext rezipiert werden. Für ihn ist die Hieroglyphe ein neues Modell, besonders in Hinblick auf Rabelais, das die obsolet gewordene Allegorie ersetzt: »Les ›hiéroglyphes‹ humanistes ne sont pas un corpus archéologique, fermé et cohérent, mais seulement un modèle nouveau de langage allégorique. En dehors des milieux néoplatoniciens ou ésoteriques, il s’agit moins d’une langue sacrée close sur elle-même que d’un type de symbolisme qui se voudrait enfin délivré de l’arbitraire des signes dont l’exégèse allégorique systématique de la Bible constituait le repoussoir aux yeux des humanistes chrétiens […]. Ce modèle symbolique de langage était propice à l’inventivité des poètes et des romanciers, car les écrivains pouvaient grâce à lui combiner de manière renouvelée les conaissances de la philosophie naturelle issue des bestiaires, le symbolisme chrétien et les ressources de l’érudition et de l’archéologie humanistes.«148

Die Hieroglyphen werden zu einer universellen, neuen Zeichensprache, eine Zeichensprache, wie sie die Sprachtheoretiker des 16. Jahrhunderts einfordern.149 Dagegen ist die Emblematik nur als »petite sœur«150, wie es auch Millet herausstellt, zu betrachten. In der Emblematik wird auch der Aspekt des »Paragone-Diskurses«151 deutlich, von dem Assmann spricht, der aber in den Hieroglyphen über-

147 M. Elsky: Herbert’s Pattern Poems, S. 253, weist dem Dichter George Herbert, der von der humanistischen Theorie der Hieroglyphen beeinflusst scheint, die Funktion eines Handwerkers zu, der mit seinem (von Menschen geschaffenen) Zeichenmaterial operiert: »Herbert’s letters too is manmade, and its basic units, letters, also contain in their material being the basis of its spiritual meaning. The poet is a maker in much the same way the glazier constructs material images in glass to embody spiritual meanings, except that the poet’s medium is his physical, material letters. Herbert’s language is a poetic artifact constructed from divinely ordained sensible elements.« (S. 253). Die Materialität der Sprache wird erst durch die humanistische Auffassung der Hieroglyphen deutlich, die Sprache folglich auch als »divinely instituted conduit between the things of creation and their spiritual significance« (S. 258) erscheinen lässt. 148 O. Millet: Hiéroglyphes, S. 275-276. 149 Vgl. dazu C.-G. Dubois: Mythe, z.B. S. 51. 150 O. Millet: Hiéroglyphes, S. 272. 151 A. Assmann: Dickicht, S. 118.

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wunden werden kann. Evident wird die Problematik des Zusammenspiels der Medien Bild und Schrift bei Fischart in seinem Vorwort zu Holtzwarts »Emblematum Tyrocinia« (1581). Das Emblem leitet er interessanterweise aus der antiken griechischen Baukunst ab und gibt als dessen deutsches Äquivalent: »Emblemata, Kleynotgehänck vnd Einblůmungen«152 und vergleicht es unter anderen mit dem aus der Neuen Welt kommenden »Indianisch Edelgesteyn«153. Von der Marginalität, als architektonischer Schmuck, gelangt das Emblem nun in den Fokus. Der Fremdheit dieser gemischtmedialen Form der Literatur ist Fischart sich bewusst: »frembder / vnd noch zur zeit bei den Teutschen vngewohnter Titul oder Vberschrifft«154. Das Fremde überführt Fischart jedoch in einem Aneignungsprozess, einer literarischen translatio, in den eigenen deutschsprachigen Kontext, indem er das Deutsche dem Griechischen gleichstellt: »Darumb haben auch wir nunzumal inn vnserer Sprach / gleich so wol als die Griechen / vns diser Freiheyt angenommen / vnd von obberůrten Künsten auff fürgeschlagene Materi sondere Wörter vnd Namen verwendet: Gäntzlich darfür haltend / wa man vorgesetztes alles gründlich erwiget / daß man sich nicht mehr der Frembde zuverwunderen / sondern der Deitlichkeyt vnd Reichlichkeyt vnserer Sprach wird zubefräuen haben.«155

Mit dem Bild des Turniers, bei dem der »mit der artlichsten Invention auff dem Plan erscheinet«, womit eindeutig auch der Künstler gemeint ist, kommt Fischart zu einer erstaunlichen Aussage: »Also lauffet alles mit der weil / wie auch die zeit vnd das Gestirn / widerumb zu seinem ersten anfang: Vnd muß Achilles jetzund seinen alten gewohnlichen Schilt ablegen / vnd den von Junone jhm geschenckten Künstlichen Schilt annemmen.«156 Der erfolgreiche Turnierritter erhält, gleich dem Achilles, einen Schild mit künstlichen Symbolen, die nun aber nicht mehr gottgeschaffen sind, sondern vom Menschen gefertigt. Diese Stelle korrespondiert mit der zuvor gemachten Äußerung, welche anstrebt, die Tradition zu überwinden: »Also heutigs Tags viel mehr / da alle Künste nicht alleyn den Alten abgelehrnet / sondern noch vil zuerrathen auffgegeben«157. Sie überbietet diese jedoch, indem sie, auf den antiken Mythos anspielend, den Menschen über die Götter stellt und schließlich, in der vermeintlichen Rückkehr zu einem Ursprung, den neuen Anfang markiert. 152 M. Holtzwart: Emblematum, S. 10. 153 Ebd., S. 10. 154 Ebd., S. 7. 155 Ebd., S. 10-11. 156 Ebd., S. 17. 157 Ebd., S. 8.

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Die Hieroglyphe erscheint so auch bei Fischart als weiterer Schritt hin zur Dichterautonomie. Auf den ersten Blick hat sie, als Bild-Zeichen, einen paragonalen Charakter, den zum Beispiel das Emblem aufweist, aufgegeben. Bei Fischart erscheinen so auch die Hieroglyphen nicht mehr als (visuelle) Bilder, denkbar wären hier Holzschnitte, sondern sie werden verbalisiert. Sprache übernimmt, so wirkt es bei Fischart, die Funktion des bildlichen Zeichens und deutet es aus. Damit lehnt sich Fischart stärker an die Tradition des Horapollon als an dessen Rezeption an. Wird seit der Übertragung des Werks durch Pirckheimer ins Lateinische (1512) die »Hieroglyphica« häufig illustriert, in diesem frühen Fall sogar durch Dürer persönlich, so finden sich bei Fischart nur noch sprachliche Gemälde, welche die Frage nach »Poetischen Geheymnußlehrigen Gemälen« oder »Lehrgemäl«158 der Emblematik überwinden. Die Hieroglyphen können unendlich neugeschöpft werden, sämtliche Interpretationen kann man ihnen, je nach beabsichtigter Intention, unterstellen. Sie können nicht nur eine arkane Bedeutung haben, sondern sie können ebenso direkt auf den Gegenstand referieren, den sie abbilden, ihn direkt darstellen. Sie können auf der lautlichen Ebene zu neuen Assoziationen führen und neue Zusammenhänge ergeben oder vollkommen sinnentleert sein. In Fischarts Hieroglyphen zeigt sich somit ein Zeichensystem, das durch den Menschen beliebig veränderbar ist. Durch die Ablehnung der Allegorie, die Fischart mit dem Humanismus verbindet, der Neuschöpfung des Mythos, einem innovativen Kunstverständnis, dass er auf Dichtung überträgt, und schließlich der Diskussion von Hieroglyphen zeigt sich bei Fischart nicht nur ein Bewusstsein für den neuen Umgang mit Medien im Zeitalter des Buchdrucks, sondern auch eine entfesselte Kreativität, welche Zeichensysteme innovativ nutzt. Auch wenn, wie im »Catalogus Catalogorum« oder der Bibliothek in Willigmut, eine Rückbindung von Neuschöpfung und Kreativität – zumindest in Bezug auf das Bücherschreiben – an den christlichen (protestantischen) Glauben stattfindet, so finden sich doch auch genügend Gegenbeweise im Text, die gerade das menschliche Ingenium wieder erhöhen. Fischart greift versiert die Diskurse seiner Zeit, und das gerade auch in Bezug zur Diskussion um Zeichensysteme, auf, schafft aus dem Material der Sprache Neues und führt dies in praxi den Rezipierenden vor Augen. Er muss sich und seine dichterische Autonomie in der »Geschichtklitterung« nicht legitimieren oder rechtfertigen, anders als zum Beispiel in seinen pragmatischen Texten, wie in dem Vorwort zur den »Emblemata Tyrocinia«, in denen die Vorstellung von künstlerischer Autonomie lediglich indirekt – und über den Wettstreit mit den antiken Griechen – kommuniziert werden kann. Die Offenheit seines Werks, bedingt durch die verschiedenen Diskurse, die in ihm einfließen, ermöglicht es auf diese 158 Ebd., S. 7.

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Weise, verschiedene Positionen zur Diskussion um die poetische Kreativität einzunehmen. Ein Festlegen auf eine definitive Position wird gar nicht mehr vorausgesetzt. Der Dichter schafft somit selbstbewusst sein eigenes Universum und entlässt die Lesenden in ihre Eigenverantwortlichkeit, der freien Interpretation.

7. Fazit

Der Diskurs um das Neue ist in der Literatur des 16. Jahrhunderts virulent. Dieses Neue lässt sich jedoch weder definieren noch klassifizieren, es bleibt eine Unbestimmtheitsstelle. Es ist auch diese Unbestimmtheit, die gerade vor einem theologisch gestützten Weltbild für Beunruhigung sorgt und somit häufig zur Ablehnung dessen, was neu ist, führt. Mithin gewinnt die Positionierung zu dem, was als neu empfunden wird, poetologische Relevanz. Folglich wurden zwei Hauptfragen in dieser Arbeit verfolgt: • •

Wie wird das Neue in seiner Vielfältigkeit in Literatur verhandelt? Ist oder kann Literatur der Ort sein, wo das Neue generiert wird und welche Formen nimmt es dann an?

Neues begegnet den Schriftstellern im 16. Jahrhundert in erster Linie in den geographischen Entdeckungen, den technischen Erfindungen und den politischen Veränderungen und Umstürzen der Zeit. Dass diese nicht ohne Auswirkung für das theologische und philosophische Denken geblieben sind, erklärt sich von selbst. Im Zentrum des neuen Denkens stehen, gut humanistisch gesagt, der Mensch und seine Stellung zum Fortschritt. Selbst die Perhorreszierung des Neuen, zum Beispiel im Fall des Medienwandels, zwingt mitunter zum Kompromiss, wie es sich bei Johannes Trithemius zeigt, der sein Lob der Handschrift (»De laude scriptorum manualium«) und die damit gleichzeitig verbundene Verachtung des Buchdrucks 1492 ›drucken‹ lässt, damit er möglichst viele Lesende erreicht. Dagegen ergeben sich auch bei einer affirmativen Positionierung zum Neuen Probleme, wenn an theologischen Doktrinen, wie die Unikalität des Schöpfers, festgehalten wird. Die Legitimation des eigenen Standpunktes erfordert so ein Lavieren zwischen der Tradition und den vorgebrachten, innovativen Gedanken. Dabei muss unbedingt hervorgehoben werden, dass es sich meist nicht um zwei sich

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gegenseitig ausschließende Alternativen handelt, religiöse und weltliche Weltdeutung, sondern um zwei Denkmodelle, die nebeneinander existieren können, vergleichbar dem Mythos, der problemlos neben dem Logos existieren kann. Die im Christentum vorgegebene Endlichkeit des Fortschritts unterbindet letzteren nicht in allen Bereichen. Trotz oder gerade wegen des teleologischen Geschichtsmodells können innovative Konzepte im Bereich der Literatur (aber auch der Wissenschaft) weiterentwickelt werden. Dabei entsteht keine homogene Poetik des Neuen, sondern vielmehr eine Vielzahl von Poetiken, die auf die Autonomie ihrer Verfasser zurückverweisen. Vier Konzepte sind vorgestellt worden, die jeweils eigene Akzente setzen. Rabelais dient dabei als Ausgangspunkt der Überlegungen, da sein Werk mit Sicherheit Einfluss auf Fischart hatte, für Lindener scheint es nun auch plausibel, dass er Rabelaisʼ »Gargantua« kannte. Lindener wie der »Finckenritter«, dessen Verhältnis zu Rabelais offen bleiben muss, beeinflussten das Schreiben Fischarts ebenfalls. Dennoch soll hier keine Traditionslinie gezogen werden, da die einzelnen Werke letztendlich in ihren Intentionen, trotz einiger Überschneidungen, zu heterogen sind. Dass Fortschritt ein von Menschen geschaffenes Phänomen ist, wird bei Rabelais mehr als deutlich. In die Kritik gerät aber das Fortbestehen der alten (scholastischen) Lehre in Kombination mit dem neuen (humanistischen) Denken in der zeitgenössischen Epistemologie. Diese Kritik wird in der »torchecul«-Episode diskutiert, in der die bedenkliche Melange von Neuem und Alten ad absurdum geführt wird. Die Frage nach dem, was wahr und falsch ist, zieht sich so auch durch die gesamte Pentalogie. In Rabelaisʼ Erzählerfiguren tritt ein Bewusstsein für die eigenen Erfindungen im Feld des Literarischen und die Autonomie des Autors zu Tage, das als neuartig zu gelten hat. Die zentralen Erzählerfiguren, die in der ersten Person auftreten, verweisen wieder auf den einen, omnipotenten Autor zurück. Nur zum Schein offenbart sich dichterische Ohnmacht, wenn das multiple Erzähler-Ich zum Spielball der anderen Figuren wird. Auch, dass Figuren selbst zu Schöpfern fragiler fiktionaler Welten werden, wie Panurge, ist bezeichnend. Die Rezipierenden bekommen so Erzähler präsentiert, die – im Gegensatz zu Figuren wie Alcofribas oder Rabelais – nur defizitäre Geschichten vortragen können. Die Diskussionen um wahr oder falsch, um die Beständigkeit der fiktionalen Welten in der Fiktion, führen die Rezipienten so in Scheindiskussionen, sodass bei der Lektüre nicht unbedingt die fiktionale Welt des Werks an sich hinterfragt wird. Wenn Wahrheit auf der Ebene der Fiktion verhandelt wird, zum Beispiel in den logischen Brüchen, die durch widersprüchliche Maßangaben entstehen, hat der Autor sein Ziel erreicht. Sein fiktives Werk wird als solches gar nicht mehr wahrgenommen, sondern die Fragen nach Fiktionalität werden lediglich auf

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der Metaebene gestellt, die Grundfiktion der Riesenwelt muss aber als wahr und wirklich angenommen werden, sonst wären Verifikation und Falsifikation auf der Ebene des Erzählens nicht mehr möglich. Nur eine detaillierte Analyse kann hervorheben, wie sich der Autor letztendlich als autonom und kreativ behauptet. Mimesis ist für Rabelais nicht mehr die Nachahmung von Wirklichkeit, sondern das Schaffen einer (fiktiven) Wirklichkeit, die von den Rezipienten als wahr angenommen wird. Ihn interessiert weniger das Traditionelle oder das Moderne in der Realität, aber dafür das Verhältnis der beiden zueinander auf dem Papier. Das Papier ist auch der Ort bei ihm, an dem Kreativität verhandelt wird. Bei Michael Lindener geht es in erster Linie um das Entlarven der Neuheitssucht seiner Zeit. Der Riese aus der Neuen Welt, ein heterogenes Gebilde, dessen Fiktivität nicht zuletzt durch seine achronische Verortung – eine Insel, die vor Erschaffung der Welt bestand – zu einer offensichtlichen Täuschung wird, gibt ein gutes Beispiel davon ab. Beunruhigend bleibt jedoch, dass es keine zentrale moralische Instanz mehr gibt. Die Wertung der Handlungen erfolgt in vielen Fällen durch die Figuren der Schwänke. Was neu ist, bestimmt die Perspektive, die letztendlich auf Individualinteressen verweist. Literarisches Schreiben hat somit die Aufgabe, dem Anschein nach Neues zu entlarven, die Bewertung dessen bleibt aber häufig Aufgabe der Lesenden. Dies erlaubt es auch, mehrere Perspektiven auf das Thema des Neuen in den kurzen Erzählungen zu subsumieren. In der Rezeption wird die Neuigkeit vom Riesen in ihrem eigentlichen Medium, der Flugschrift, präsentiert. Die Mitteilungen aus den neu entdeckten Gegenden der Welt verhalten sich so zu den zeitgenössischen Rezipienten wie auch das komische Erzählen Lindeners. Ihr Gehalt kann nur hinterfragt, nicht aber auf Wahrheit geprüft werden. Literatur kann in diesem Fall die Probleme nur kommunizieren, die Leserreaktionen, wie Lachen oder Unbehagen, jedoch nicht mehr steuern. Neu ist bei Lindener das poetologische Konzept der »freyen Knaben«. Es wird transparent erzählt, die Konstruiertheit literarischer Phänomene wird den Rezipierenden zu jedem Zeitpunkt deutlich, sie erkennen beim Lesen, wie die Figuren getäuscht werden. Jedoch wird das, was vorher als angemessen für die Dichtung postuliert wurde, umgewertet. So kommt es zu einem freien Umgang mit der Interpretierbarkeit von Handlung, der Erzähler zieht sich aus seiner moralischen Verantwortung zurück. Der »Finckenritter« entzieht sich auf den ersten Blick jeglicher Interpretation. In einer fiktionalen Welt, in der alles dem Zufall überlassen zu sein scheint und in der weder natürliche Ordnungen greifen noch die Grundanforderungen an Kohärenz und logischer Abfolge eingehalten werden, ist der Rezipient sich selbst über-

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lassen. Jeder neue Satz bringt unerwartete und unpassende Wendungen und enttäuscht die konventionelle Leseerwartung. Erzählen wird selbstreferenziell und das ist das Neue, was hier in den literarischen Diskurs eingeführt wird. Die Abfolge von Buchstaben, Wörtern, Sätzen ist beliebig kombinierbar, der Erzähler ist nicht mehr an die gängigen narrativen Konventionen gebunden und setzt ihre Terminologie, wie anhand der Erzählmetaphern zu sehen, außer Kraft. Das Chaos ist eine mögliche Reaktion auf das Neue, das in Anbetracht des tradierten Erzählens längst überfällig ist, da doch die ganze Erde neu vermessen wird und Raum und Zeit aleatorisch zusammengefügt werden können. Die biblische Topographie, die Welt der Reise- und Abenteuerromane stehen auf einer Ebene mit den realen raum-zeitlichen Bedingungen. Das Individuum, ein erzählendes und erlebendes Ich, ist nicht mehr in der Lage, mit der Umwelt in Kontakt zu treten. Die literarische Konsequenz aus den neuen medizinischen und anthropologischen Erkenntnissen, dem menschlichen Fortschritt per se, ist eine vollkommen enthemmte fiktionale Welt, die nicht mehr zu imaginieren ist. Es besteht nur noch das Unbehagen, dass eine völlige Orientierungslosigkeit bei Leserinnen und Lesern zurück bleibt, die nicht mehr komisch ist und sie durch die Unbegrenztheit der Möglichkeiten zur Verzweiflung führt. Die Zerstörung jeglichen Sinns wirft das literarische Schreiben wieder zurück auf die Frage, ob Schreiben durch die neuen, unbekannten Gegebenheiten überhaupt noch möglich sei. Ein Lösungsangebot gibt es nicht mehr. Der Autor ist Schöpfer von Neuem und interessiert sich überhaupt nicht mehr für die Belange der Lesenden. Er kann, losgelöst von jeglichen Verpflichtungen, sprachliche Gebilde schaffen, die nur noch einen Selbstzweck erfüllen. Die Krise der Bedeutungssysteme lässt nur noch einen Scherbenhaufen zurück, bei dem kein Teil mehr zum anderen passt. Dies ist die Crux auch für den Interpreten, der zwischen den Extremen gefährlicher Spekulation und dem Konstatieren völliger Bedeutungslosigkeit keinen Spielraum mehr zu haben scheint. Die konventionelle Literatur ist an ihre Grenzen gestoßen, diese Krise löst sich nicht mehr, sondern wird konserviert, es gibt keine Alternativlösung mehr, sodass der Bruch mit dem traditionellen Denken im Text bestehen und sichtbar bleibt. In Fischarts »Geschichtklitterung« geht der Weg vom Fremden zum Neuen. Dieses Neue ist nicht mehr das unbeschreibbare Dritte, es ist das Eigene, das seine Orientierungspunkte verloren hat. Das Material Sprache generiert unendlich Neues, das noch nicht definiert werden kann, da es sich in einer Übergangsphase befindet. Ein Konzept, das neben dem teleologischen Modell Bestand hat. Die Aufgabe der Leserinnen und Leser besteht in einer Deutung, die ihnen selbst überlassen ist, sie können lediglich konstatieren, dass sie das Werk eines omnipotenten Autors vor sich haben, der souverän mit seinem Stoff umgehen kann und folglich keine theologische Wahrheit mehr vermittelt. Die Allegorie, als Zeichensystem

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aufgefasst, wird somit zu einer leeren Hülle, an der man sich erfreuen kann oder deren kreatives Potential man nutzt. Der souverän agierende Autor kann sich so auch die antike (obsolete) Mythologie aneignen, die wie die Allegorie inhaltsleer geworden ist. Die Figurenkonstellationen des Mythos können neu zusammengestellt werden, neues Personal kann eingeführt werden. Dies führt, zumindest bei Rabelais und Fischart, soweit, dass auch biblische Mythen verändert werden. War es bei Rabelais noch die Kritik der Bibelallegorese, so zeigt sich bei Fischart schon ein autonomer Sprachmeister, der den antiken und christlichen Mythos als reines Zeichensystem, als Material poetischer Kreativität, nutzt. Der Umgang mit Sprache gibt vor, wie auch diese anderen beiden Zeichensysteme poetisch genutzt werden können: Es werden neue Komposita gebildet, der Lautwert der Sprache kann absolut gesetzt werden und schließlich können die Buchstaben beliebig durch den Dichter aneinander gereiht werden. Da die Sprache des Menschen von dem göttlichen Kommunikationsmedium zu trennen ist, kann in ihr auch autonom Neues geschöpft werden, ohne die göttliche Schöpfung zu tangieren. Dieses Selbstbewusstsein drückt sich auch darin aus, dass nicht mehr Natur mimetisch nachgeahmt wird, sondern literarische Texte. Auf der Metaebene artikuliert sich dies in den literarischen Flöhen von Fischarts »Floh Haz«, die als Gedankenspiel in Wachs abgeformt werden können. Eine Technik, die in der Realität nicht vorstellbar wäre, kann im Bereich der Literatur problemlos angewendet werden. Wenn die Suche nach dem Neuen, wie Boris Groys postuliert,1 eine Form der Wahrheitssuche ist, dann stellt sie sich in den hier untersuchten Werken als eine Form der Suche nach poetischer Wahrheit dar, die schließlich bei Lindener und noch mehr bei Fischart zum Selbstzweck wird. Wenn Dichtung nur noch einen Selbstzweck erfüllt, dann hat sie den hedonistischen Status erreicht, den Castelvetro in seinem Poetikkommentar,2 das l’art pour l’art des 19. Jahrhunderts vorwegnehmend, konjiziert. Das dichterische Selbstbewusstsein führt so in einen Circulus vitiosus, entweder die poetische Selbstreferenzialität zu postulieren oder moralisch zu wirken. Diesem Problem müssen sich die Autoren spätestens seit dem 16. Jahrhundert stellen und sich zum Neuem positionieren. Von hier könnte der Weg zu weiteren Texten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts führen, welche unter den genannten Aspekten zu betrachten wären, auf der Hand läge zumindest das »Lalebuch«. Aber auch Texte, denen auf den ersten Blick konventionelle Erzählmuster zugrunde liegen, wie zum Beispiel das »Wagnerbuch«, können auf ihr Verhalten zu Perspektivität und Heterotopien untersucht werden.

1

B. Groys: Über das Neue, S. 13.

2

Vgl. L. Castelvetro: Poetica d’Aristotele.

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Letztlich stellt sich auch die Frage, ob das genannte Textkorpus nur ein ephemeres Phänomen ist, oder ob von ihm neue Traditionen für das folgende Jahrhundert ausgehen.

Literatur

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der zeit Statschreibern zů Maurßmünster, aus dem Latein, in Deutsche sprach gebracht, Gedruckt zů Straßburg in Knoblochs druckerei 1555. Gesta Romanorum. Herausgegeben von Hermann Oesterley, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1872. Giovio, Paolo: Elogia Virorum bellica virtute illustrium […], Basel: Peter Perna 1575. Grimm Jacob/Grimm, Wilhelm: Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage (1837). Herausgegeben von Heinz Rölleke, Frankfurt a.M.: Deutscher Klassiker Verlag 1985. Heinrich von Kettenbach: Die Schriften Heinrichs von Kettenbach. Herausgegeben von Otto Clemen (= Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, Band 2), Halle a.d.S.: R. Haupt 1907. Holtzwart, Mathias: Emblematum Tyrocinia. Mit einem Vorwort über Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen von Johann Fischart und 72 Holzschnitten von Tobias Stimmer. Herausgegeben von Peter von Düffel und Klaus Schmidt, Stuttgart: Reclam 2006. Horaz = Quintus Horatius Flaccus: Opera. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Eduardus C. Wickham. Editio altera curante H. W. Garrod, Oxford: University Press 1901. Isidor Hispalensis Episcopus: Etymologiarum sive originum libri XX. Recogn. brevique adnotatione critica instruxit W. M. Lindsay, Oxford: Clarendon 1911. Kiepe, Eva/Kiepe, Hansjürgen (Hg.): Gedichte 1300-1500. Nach Handschriften und Frühdrucken in zeitlicher Folge (= Epochen der deutschen Lyrik, Band 2), München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1972. Kleinschmidt, Erich (Hg.): Das Windschiff aus Schlaraffenland (= Bibliotheca Germanica: Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologien, Band 20), Bern: Francke 1977. Lindener, Michael: Wunderbarliche Hystoria / von dem Vrsprunge vnd namen / der Guelphen / vor zeytten Graffen vnd Herren zů Altorff […], o.O. u. o.Dr. [ca. 1560]. Ders.: Rastbüchlein und Katzipori. Herausgegeben von Franz Lichtenstein (= Bibliothek des Litterarischen Vereins, Band 163), Tübingen: Litterarischer Verein 1883. Ders.: Schwankbücher: Rastbüchlein und Katzipori. Herausgegeben von Kyra Heidemann. Band 1: Texte (= Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur, Band 20.1), Bern u.a.: Lang 1991.

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Abbildungen

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220 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN

Abbildung 2: Tobias Stimmer: Darstellung eines Indios (Ausschnitt aus: Paolo Giovio: Elogia, S. 182)

A BBILDUNGEN | 221

Abbildung 3: [Johann Fischart/Tobias Stimmer:] Der Gorgonisch Meduse Kopf. 1577 (J. Fischart: Werke 1, S. 417)

222 | D IE W AHRNEHMUNG DES N EUEN

Abbildung 4: Wolkenreiter in der Dietenberger-Bibel (Johann Dietenberger: Bibell. Das ist, Alle Bücher Alts und News Testament […]. Köln: Quentell, 1550, Bl. 455va)

Literaturwissenschaft Stephanie Bung, Jenny Schrödl (Hg.)

Phänomen Hörbuch Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel 2016, 228 S., kart., Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3438-9 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3438-3

Uta Fenske, Gregor Schuhen (Hg.)

Geschichte(n) von Macht und Ohnmacht Narrative von Männlichkeit und Gewalt 2016, 318 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3266-8 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3266-2

Stefan Hajduk

Poetologie der Stimmung Ein ästhetisches Phänomen der frühen Goethezeit 2016, 516 S., kart. 44,99 E (DE), 978-3-8376-3433-4 E-Book PDF: 44,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3433-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Literaturwissenschaft Carsten Gansel, Werner Nell (Hg.)

Vom kritischen Denker zur Medienprominenz? Zur Rolle von Intellektuellen in Literatur und Gesellschaft vor und nach 1989 2015, 406 S., kart. 39,99 E (DE), 978-3-8376-3078-7 E-Book PDF: 39,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3078-1

Tanja Pröbstl

Zerstörte Sprache — gebrochenes Schweigen Über die (Un-)Möglichkeit, von Folter zu erzählen 2015, 300 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3179-1 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3179-5

Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.)

Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 7. Jahrgang, 2016, Heft 2: Transiträume 2016, 220 S., kart. 12,80 E (DE), 978-3-8376-3567-6 E-Book PDF: 12,80 E (DE), ISBN 978-3-8394-3567-0

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