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German Pages 314 [315] Year 2022
Schriften zum Völkerrecht Band 252
Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Von
Stephan Kasperidus
Duncker & Humblot · Berlin
STEPHAN KASPERIDUS
Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Schriften zum Völkerrecht Band 252
Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Von
Stephan Kasperidus
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.
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Alle Rechte vorbehalten
© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-18411-8 (Print) ISBN 978-3-428-58411-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meiner Familie
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Oktober 2020 berücksichtigt werden. Ganz herzlich danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Stefan Talmon, Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn, für die freundliche Unterstützung bei der Eingrenzung des Themas und der gemeinsamen Erarbeitung der Gliederung sowie für die fortlaufenden Hinweise auf relevante Untersuchungsobjekte und Veröffentlichungen. Außerdem danke ich Herrn Professor Dr. Matthias Herdegen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die Arbeit entstand im Wesentlichen während meiner Zeit als juristischer Mitarbeiter und Rechtsanwalt bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf in den Jahren 2013 bis 2017 und begleitete mich auch im Anschluss während meiner Tätigkeit am Land- und Amtsgericht Düsseldorf. Ich möchte meinen Eltern für die zuverlässige und bedingungslose Unterstützung zu jeder Zeit sowie für alles danken, was sie mir mit auf den Weg gegeben haben. Meinen Geschwistern danke ich dafür, dass sie immer ein offenes Ohr für mich haben und mir jeder für sich ein Vorbild sind. Außerdem danke ich meinem Patenonkel Hans und allen anderen, die mich in der Fertigstellung der Arbeit bestärkt haben. Dazu gehören insbesondere meine Freunde Christian B. und Christian S., Jan, Martin und Arne, die mich durch Studium, Referendariat, Promotion sowie Berufseinstieg begleitet haben und denen ich Ansporn, neue Blickwinkel und eine großartige gemeinsame Zeit verdanke. Der größte Anteil an diesem Projekt gehört meiner wunderbaren Frau, ohne deren Unterstützung, Austausch und Ideen diese Arbeit nicht entstanden wäre. Ihr und unseren großartigen Kindern danke ich von ganzem Herzen für den liebevollen Rückhalt, die Geduld sowie dafür, dass es sie gibt und ich ihnen dieses Buch widmen kann. Düsseldorf, im Oktober 2021
Stephan Kasperidus
Inhaltsübersicht
Einleitung
21
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen . . . 21 B. Untersuchungsgegenstand und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Teil 1
Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
51
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge: Die vertraglichen Pflichten und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 D. Zwischenergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Teil 2
Grundlegende Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
118
A. Die Zurechenbarkeit des Verhaltens privater und staatlicher Akteure bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen für staatlich nicht zurechenbares Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 C. Die Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs völkerrechtlicher Pflichten des Pächterstaates auf extraterritoriale Pachtgebiete . . . . . . . . . . . . . 156 D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit – Konsequenzen einer Aufteilung der Gebietshoheit auf die Pflichten des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 E. Zwischenergebnis zu Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
10 Inhaltsübersicht Teil 3
Spezifische Völkerrechtsverstöße im Rahmen der Pachtverhältnisse
234
A. Einführung und Bestimmung der Auswahlkriterien für die Untersuchung spezifischer Völkerrechtsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 D. Die Verletzung des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 E. Zwischenergebnis zu Teil 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung
284
A. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 B. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Verzeichnis untersuchter Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen . . . I. Aktuelle Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konfliktpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Beschränkung auf landwirtschaftliche Pacht . . . . . . . . . . . . . . . II. Historische Dimension der „territorial leases“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ursprünge im 16. Jahrhundert und erste leases durch private Unternehmen im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstärkte Verbreitung im 19. Jahrhundert und in der Zeit der Opium-Kriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortwirkend genutzte Militärbasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Guantánamo Bay und die Panamakanalzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 22 22 25 27 32 34 34 35 37 39
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Herkunftsstaat bzw. Pächterstaat, Empfangsstaat bzw. Verpächterstaat 43 2. Extraterritorialität der Pacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Pachtvertrag als Sammelbegriff verschiedener Nutzungsverhältnisse . 45 III. Untersuchung ausdrücklicher vertraglicher Befugnisse sowie faktischer Auswirkungen auf völkerrechtliche Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Teil 1
Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragsparteien auf Verpächterseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Organschaftliche Beteiligung als Regelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsfortführung im Fall der Staatennachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsparteien auf Pächterseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Privatrechtliche Unternehmen auf Pächterseite als Regelfall . . . . . . . . 2. Staatszugehörigkeit privater Pächterunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 51 51 53 54 54 57
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge: Die vertraglichen Pflichten und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
12 Inhaltsverzeichnis I. Gegenseitige Vertragspflichten und Vertragslaufzeiten . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Gegenseitigkeit der vertraglichen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Vertragslaufzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Bodennutzung zum Anbau von Agrarerzeugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Nutzung von Flächen zur industriellen Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Der Abbau von Rohstoffen auf dem Pachtgebiet sowie vertragliche Nebenbefugnisse zur Ressourcennutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Abbau mineralischer Rohstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Abbaubezogene Nebenbefugnisse und das Recht zum Holzeinschlag . 70 3. Zugriff auf Wasserreserven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 V. Der Betrieb von Infrastrukturanlagen wie Häfen und Verkehrsflächen . . 73 1. Tiefseehäfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Weltraumbahnhof Baikonur, Radarstationen und weitere Sondernutzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Vorhabenbegleitende Infrastrukturanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 I. Die Aufspaltung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität – dogmatische Grundlagen und historischer Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Das Verhältnis von Gebietshoheit zu territorialer Souveränität . . . . . . 80 2. Die Aufteilung der Gebietshoheit im Rahmen historischer leases . . . . 85 a) Überblick .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Pachtverträge, Verwaltungszessionen und Servitute als vorherrschende Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 c) Vollständige Übertragung der Hoheitsgewalt an den Pächterstaat . 89 d) Aufteilung der Gebietshoheit zwischen den Staaten . . . . . . . . . . . . 90 e) Rein privatrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Die Übertragung von Hoheitsgewalt auf den Pächter . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Grundsätzliche völkerrechtliche Anforderungen an die extraterrito riale Ausübung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Äußerungsformen extraterritorialer Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . 93 b) Anforderungen in Abhängigkeit von der Kategorie staatlicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 c) Die Anforderungen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Ausdrücklich übertragene Hoheitsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Keine ausdrückliche Übertragung der vollständigen Gebietshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Abgrenzung zu rein privatrechtlichen Befugnissen . . . . . . . . . . . . . 99 c) Übertragung der Normsetzungs- und Rechtsprechungsgewalt . . . . 100 d) Übertragung polizeilicher und militärischer Befugnisse . . . . . . . . . 101 e) Befugnis zur Weiterverpachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Faktisch übertragene oder ausgeübte Hoheitsbefugnisse . . . . . . . . . . . 103 a) Faktische Gesamtkontrolle des Pachtgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
Inhaltsverzeichnis13 b) Ausweitung des Anwendungsbereichs nationalen Rechts auf das Pachtgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) De-facto-Kontrolle, physische Gewalt und polizeiliche Befugnisse gegenüber Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Erschließung natürlicher Ressourcen des Territoriums als Ausdruck von Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Übernahme und Kontrolle der Daseinsvorsorge durch den Päch terstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Errichtung von Freihandelszonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Beschränkung der Gebietshoheit des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . 1. Ausdrücklich eingeschränkte Hoheitsbefugnisse des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Faktisch eingeschränkte Hoheitsbefugnisse des Verpächterstaates . . . .
105 106 106 109 109 111 112 112 113
D. Zwischenergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Teil 2
Grundlegende Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
118
A. Die Zurechenbarkeit des Verhaltens privater und staatlicher Akteure bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 I. Die Zurechenbarkeit zum Herkunfts- oder Pächterstaat . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Das Verhalten von Organen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Das Verhalten von de-facto-Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Die Ausübung von Elementen hoheitlicher Gewalt durch nichtstaatliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Staatliche Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Vom Staat geleitetes oder kontrolliertes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Handeln auf tatsächliche Anweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Handeln unter staatlicher Leitung oder Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Der effective-control-Maßstab als Zurechnungskriterium bei Unternehmensoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 (1) Zurechnungsmaßstab in der Völkerrechtspraxis . . . . . . . . 134 (2) Übertragung des Maßstabs auf Pachtverhältnisse . . . . . . . 137 bb) Die staatliche Leitung oder Kontrolle der Aktivitäten von Staatsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5. Die Zurechnung des Verhaltens von Amtsträgern des Verpächterstaates zum Pächterstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Die Zurechenbarkeit zum Verpächter- bzw. Empfangsstaat . . . . . . . . . . . 145 1. Der Vertragsabschluss als zurechenbares Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . 145
14 Inhaltsverzeichnis 2. Die Zurechenbarkeit des Verhaltens ausländischer Akteure auf dem Pachtgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Die Zurechnung im Wege der Organleihe gem. Art. 6 ILCEntwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Die Zurechnung kraft Ausübung hoheitlicher Gewalt . . . . . . . . . . . 146 B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen für staatlich nicht zurechenbares Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Die unmittelbare Bindung nichtstaatlicher Akteure an völkerrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 II. Die (pacht-)vertragliche Übertragung völkerrechtlicher Pflichten auf nichtstaatliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 C. Die Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs völkerrechtlicher Pflichten des Pächterstaates auf extraterritoriale Pachtgebiete . . . . . . . . . . . . . 156 I. Die Ausübung von Hoheitsgewalt als räumliches Begrenzungsmerkmal völkerrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt als Begrenzungsmerkmal menschenrechtlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Die Ausübung von Hoheitsgewalt zur Bestimmung des Anwendungsbereichs weiterer internationaler Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Wirksame Gebietskontrolle als Begrenzungskriterium für das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Der effective-control-Maßstab in der Menschenrechtspraxis . . . . . . . . 164 a) Wirksame Gebietskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Menschenrechtsschutz nach der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (1) Maßstab des Art. 1 EMRK und frühe Rechtsprechung . . 166 (2) „Effective control“ oder „effective overall control“ . . . . . 167 (3) Die Banković-Entscheidung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . 168 (4) Fortentwicklung der Rechtsprechung nach Banković . . . . 170 (5) Abstufungen und universelle Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Der Menschenrechtsrechtsschutz universeller Spruchkörper und Gremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 b) Wirksame Kontrolle über Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 aa) Europäischer Menschenrechtsschutz nach der EMRK . . . . . . . 177 bb) Maßstab des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 cc) Menschenrechtsschutz universeller Spruchkörper und Gre mien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Anwendung des räumlichen Begrenzungsmaßstabs für Menschenrechtsverträge ohne ausdrückliches Begrenzungsmerkmal . . . . . . . . . . 179 a) Menschenrechtspraxis zum Sozialpakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Ansatz der Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Schlussfolgerungen und Zwischenergebnis zum effective-controlMaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Inhaltsverzeichnis15 III. Wirksame Gebietskontrolle im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Wirksame Gebietskontrolle aus dem Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 189 2. Wirksame Gebietskontrolle aus faktischen Erwägungen . . . . . . . . . . . 190 a) Die Art der staatlichen Präsenz – Ausübung der „public powers“ des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Der Umfang der staatlichen Präsenz – vollumfängliche Kontrolle aufgrund tatsächlicher Gebietsherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Die extraterritoriale Anwendbarkeit menschenrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Schutzpflichten für Übergriffe Dritter auf vom Herkunftsstaat kon trolliertem fremden Hoheitsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Bürgerliche und politische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Wirtschaftliche und soziale Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Schutzpflichten für extraterritoriale Übergriffe Dritter außerhalb der Kontrolle des Herkunftsstaates über das Pachtgebiet . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Völkerrechtliche Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten . . 201 aa) Überblick und Begründungsansätze in Literatur und menschenrechtlicher Spruchpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 bb) Freiwillige Leitlinien zu Landnutzungsrechten und Maas trichter Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 cc) Auslegung des Sozialpaktes durch das Committee on Eco nomic, Social and Cultural Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 dd) Anerkennung in der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Extraterritoriale Schutzpflichten bei staatlicher Beteiligung an dem Pachtverhältnis – dogmatische Begründungsansätze . . . . . . . . 208 3. Handlungsgrenzen aus der Souveränität des Verpächterstaates . . . . . . 213 4. Fazit zu extraterritorialen Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit – Konsequenzen einer Aufteilung der Gebietshoheit auf die Pflichten des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Fortbestehen eingeschränkter Verantwortlichkeit des Verpächterstaates trotz Verlusts der wirksamen Gebietskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Die Verantwortlichkeit des Verpächterstaates für das Unterlassen gebotener Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Grundsätzliche Anforderungen an den Schutz vor dem Handeln Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Auswahl effektiver Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 III. Die Verantwortlichkeit wegen Beihilfe zur Verletzung menschenrecht licher Pflichten des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Beihilfe des Pächter- bzw.. Herkunftsstaates zur Verletzungshandlung des Verpächters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Beihilfe des Verpächterstaates zur Verletzungshandlung des Pächters . 229
16 Inhaltsverzeichnis E. Zwischenergebnis zu Teil 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zu A – Zurechenbarkeit des Verhaltens privater Akteure . . . . . . . . . . . . . II. Zu B – Keine unmittelbare völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zu C – Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs völkerrecht licher Pflichten des Pächterstaates auf extraterritoriale Pachtgebiete . . . . IV. Zu D – Übertragene, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit – fortbestehende Pflichten des Verpächterstaates . . . . . . . . . . . . .
230 230 231 231 233
Teil 3
Spezifische Völkerrechtsverstöße im Rahmen der Pachtverhältnisse
234
A. Einführung und Bestimmung der Auswahlkriterien für die Untersuchung spezifischer Völkerrechtsverstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 I. Staatliche Verantwortlichkeit aus der Verletzung eines kollektiven Gruppeninteresses oder einer Individualrechtsposition . . . . . . . . . . . . . . . 234 II. Inhaltliche Aussparung bestimmter Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . 235 B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Der Schutzbereich des Rechts auf Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Eigentumsrechte aus der AEMR sowie regionalen Menschenrechtsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Kodifizierung des Eigentumsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Schutz nicht eingetragener Landrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 II. Eingriff des Verpächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Eingriff durch die Entziehung von Eigentumspositionen (Verletzung von Achtungspflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 a) Entschädigungslose Enteignung durch Rechtsakt . . . . . . . . . . . . . . 242 b) Faktische Entziehung von Landrechten durch die Pacht in Nutzung befindlicher Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Schutz- oder Entschädigungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Eingriff durch das Unterlassen gebotener Maßnahmen gegenüber Dritten im Rahmen der Vertragsausführung (Verletzung von Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Eingriff des Pächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Eingriff durch die eigenständige Nutzung der verpachteten Land fläche (Verletzung von Achtungspflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Eingriff durch unzureichende Regulierung und Sanktionierung privater Dritter bei der Nutzung des Pachtgebiets (Verletzung von Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Besondere Anforderungen an die Wahrnehmung von Schutzpflichten außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets . . . . . . . . . . . . . . . 250
Inhaltsverzeichnis17 b) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz des Eigentums vor der Entziehung durch Unternehmen des Herkunftsstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Regulatorische Umsetzung extraterritorialer Schutzpflichten . 251 bb) Umsetzung extraterritorialer Schutzpflichten durch Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 I. Der Schutzbereich des Rechts auf Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Ursprung und völkerrechtlicher Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 2. Inhalt und Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Bedeutung des Rechts auf Nahrung im Rahmen von Landpachtverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Eingriff des Verpächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Eingriff durch den Vertragsabschluss selbst (Verletzung von Achtungspflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Die Entziehung der Lebensgrundlage Einzelner durch Verpachtung wirtschaftlicher Nutzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Die Verursachung von Nahrungsunsicherheit in Bevölkerungsteilen durch mangelnde Kompensation der Verpachtung wirtschaftlicher Nutzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Finanzielle Kompensationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Anderweitige Investitionen als Kompensation . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Beteiligungen und Einnahmen des Verpächterstaates sowie gesamtwirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Schutzklauseln in Pachtverträgen und nationalem Recht . . . . 265 2. Eingriff durch das Unterlassen gebotener Maßnahmen gegenüber Dritten im Rahmen der Vertragsausführung (Verletzung von Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Schutzpflichtendimension des Rechts auf Nahrung . . . . . . . . . . . . 267 b) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz vor der Entziehung von Landflächen zur Eigenversorgung . . . . . . . . . . . . . 268 c) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz vor faktischen Beeinträchtigungen der Nutzung von Land als Lebensgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Sonstige faktische Beeinträchtigungen des Rechts auf Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Vorkehrungen im Pachtvertrag und nationalen Recht . . . . . . . 271 cc) Problem des „Einfrierens“ des nationalen Rechts . . . . . . . . . . 272 III. Eingriff des Pächter- bzw.. . Herkunftsstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Eingriff durch eigenständige Durchführung des Pachtvertrags (Verletzung von Achtungspflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Eingriff durch unzureichende Regulierung und Sanktionierung privater Dritter (Verletzung von Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
18 Inhaltsverzeichnis IV. Das Recht auf Wasser: Eingriffe in den Schutzbereich durch dasselbe Verhalten (Verletzung von Achtungs- und Schutzpflichten) . . . . . . . . . . . 275 D. Die Verletzung des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzbereich des Verbots grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eingriff des Verpächterstaates durch das Unterlassen gebotener Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eingriff des Pächterstaates durch Handeln oder Unterlassen . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung zum Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
276 277 280 281 282
E. Zwischenergebnis zu Teil 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung
284
A. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 B. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Verzeichnis untersuchter Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Abkürzungsverzeichnis a. a. O.
am angegebenen Ort
AEMR
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
AMRK
Amerikanische Menschenrechtskonvention
Art. Artikel ATCA
Alien Tort Claims Act
BBl. Bundesblatt BGBl. Bundesgesetzblatt BT-Drucks. Bundestagsdrucksache CBD
Convention on Biological Diversity
CERD
Committee on the Elimination of Racial Discrimination
CESCR
Committee on Economic, Social and Cultural Rights
CSFAC
China State Farm and Agribusiness Corporation
d. h.
das heißt
ECCHR
European Center for Constitutional and Human Rights
ECOSOC
United Nations Economic and Social Council
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
ETO
extraterritorial obligations
EU
Europäische Union
FAO
Food and Agriculture Organization
gem. gemäß HLKO
Haager Landkriegsordnung
HRC
Human Rights Council
IACHR
Inter-American Court of Human Rights
IAGMR
Inter-Amerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte
ICJ
International Court of Justice
ICTY
International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia
IFPRI
International Food Policy Research Institute
IGH
Internationaler Gerichtshof
ILC
International Law Commission
i. S. v.
im Sinne von
20 Abkürzungsverzeichnis km Kilometer KRK Kinderrechtskonvention Mio. Million Mrd. Milliarde m. w. N. mit weiteren Nachweisen o. ä. oder ähnlich OECD Organisation for Economic Co-operation and Development o. g. oben genannte/r/n PCIJ Permanent Court of International Justice sog. sogenannte/r/s StIGH Ständiger Internationaler Gerichtshof u. a. unter anderem UN United Nations UNCLOS United Nations Convention on the Law of the Sea UN Doc. United Nations Documents UNDRIP United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples UNTS United Nations Treaty Series USD US-Dollar u. v. m. und viele mehr WKSV Konvention über die Staatennachfolge in Verträge WVRK Wiener Vertragsrechtskonvention z. B. zum Beispiel z. T. zum Teil
Einleitung A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen Globale Wirtschaftstrends in Zeiten wachsender Besorgnis um die mittelund langfristige Ernährungssicherheit haben eine Neuauflage längst vergangener kolonialer Auswüchse hervorgebracht: Die Pacht fremden Hoheitsgebiets ist wieder aktuell, auch wenn auf Seiten des Pächters weniger die Staaten selbst auftreten. Im Zuge der kolonialen Ausdehnung damaliger Großmächte im 19. Jahrhundert begannen verschiedene Staaten mit einer neuen Form der Erschließung zusätzlicher Flächen und Ländereien. Anstatt wirtschaftlich oder strategisch vorteilhafte Gebiete in der „südlichen Hemisphäre“ zu annektieren, schlossen sie Pachtverträge mit regelmäßig 99-jähriger Laufzeit. Auf dieser vertraglichen Grundlage sollte das Land wirtschaftlich genutzt sowie über die Bevölkerung und Ressourcen dergestalt verfügt werden können, als gehörten sie dem eigenen Hoheitsgebiet an. Verträge über Gebiete wie die Panamakanalzone, Guantánamo Bay, Kiautschou Bay oder Hongkong erscheinen vor dem Hintergrund der souveränen Gleichheit der Staaten heute zwar nicht mehr zeitgemäß; insbesondere seit dem Jahr 2006 werden jedoch erneut in großem Umfang Hoheitsgebiete an ausländische Investoren und Staaten verpachtet, häufig für einen Zeitraum von mindestens 25 bis regelmäßig 99 Jahren. Ein Vergleich zwischen den früheren und den aktuellen Verträgen drängt sich aufgrund zahlreicher weiterer Parallelen auf. Die dabei aufgeworfenen völkerrechtlichen Fragestellungen umfassen die Anforderungen an die Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt und Auswirkungen auf die Souveränität des Verpächterstaates, das Recht der Staatenverantwortlichkeit, die Zurechenbarkeit von Handeln Privater zu einem Staat, die Verantwortlichkeit privater Akteure im Völkerrecht, die extraterritoriale Anwendbarkeit völkerrechtlicher Pflichten, den konkreten Inhalt und die Reichweite einzelner Menschenrechte sowie das Umweltvölkerrecht.
22 Einleitung
I. Aktuelle Bedeutung 1. Überblick Verträge über die Pacht von Land haben in den letzten Jahren eine herausragende Bedeutung erlangt. Sie werden nicht nur zwischen Staaten und inländischen Akteuren, sondern häufig auch ausländischen privaten oder staatlichen Unternehmen geschlossen. Insbesondere die landwirtschaftliche Nutzung fremden Staatsgebiets ist seit dem Jahr 2006 für viele Akteure besonders attraktiv geworden. Aktuell hält die Transparenzplattform Landmatrix Informationen über mehr als 2.000 transnationale Landkauf- oder Landpachtverträge bereit, die sich auf eine Fläche von über 66 Mio. Hektar erstrecken.1 Es handelt sich dabei um kein regional begrenztes Phänomen; vielmehr sind Landnutzungsverträge in rund 100 Staaten dokumentiert. Die Verteilung ist indessen sehr ungleichmäßig. So befindet sich im Falle Liberias die gesamte aufbereitete landwirtschaftliche Nutzfläche eines Landes in fremder Hand.2 Als Hauptakteure auf Pächter- bzw. Käufer- oder – allgemeiner gesprochen – Investorenseite treten China, Südkorea, Japan, Indien und die Golfstaaten sowie amerikanische und europäische Investmentfonds auf.3 Auf Seiten des Verpächters finden sich in diesen Verträgen größtenteils Staaten in Afrika, Lateinamerika, Asien und Osteuropa.4 Durch das zunehmende „Outsourcing“ der landwirtschaftlichen Produktion vornehmlich finanzstarker, ressourcenarmer Länder in ressourcenreiche Schwellen- und Entwicklungsländer ziehen nicht nur erklärte Gegner der Landpachtverträge Vergleiche mit kolonialen Zuständen.5 Die Ausmaße der Pachtflächen sind zum Teil enorm. Sie umfassen mehrere Hunderttausend bis hin zu Millionen von Hektar und damit häufig signifikante Teile des jeweiligen Staatsgebiets oder einzelner Provinzen. Die Folgen sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern rufen in Einzelfällen politische Krisen hervor. 1 Arbeitsgemeinschaft Land Matrix Global Observatory, The Online Public Database on Land Deals, abrufbar unter: http://www.landmatrix.org (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 2 Rulli/Saviori/D’Odorico, Global land and water grabbing, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Vol. 110, Nr. 3/2013, S. 892 (894). 3 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 1. 4 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012. 5 Z. B. das Brookings-Institut, vgl. Aryeetey/Lewis, African Land Grabbing: Whose Interests Are Served?, Brookings Article, 25. Juni 2010, abrufbar unter: https://www. brookings.edu/articles/african-land-grabbing-whose-interests-are-served/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021); Amery, Arab Water Security: Threats and Opportunities in the Gulf States, 2015, S. 87; Liberti, Landraub – Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus, 2012; Langbein, Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland, 2015, S. 14.
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 23
Das bislang größte Aufsehen erregten die Verhandlungen über einen auf 99 Jahre angelegten Pachtvertrag des südkoreanischen Staatsunternehmens Daewoo, das beabsichtigte, auf 1,3 Mio. Hektar Fläche auf Madagaskar – über der Hälfte der gesamten Nutzfläche des Landes – Mais und Ölpalmen für den Export von Agrarprodukten nach Südkorea anzubauen.6 Dies löste auf Madagaskar Massenproteste aus und zog den Sturz des Präsidenten nach sich, dessen Nachfolger den Vertrag schließlich annullierte.7 In der Fachliteratur finden sich bezeichnende Einschätzungen für die Auswirkungen neuerer Pachtverträge auf die Rolle des verpachtenden Staates. Die erhöhte Bereitschaft verschiedener Staaten der südlichen Hemisphäre ausländischen, insbesondere chinesischen Investoren die Pacht von Landflächen zu ermöglichen, wird auch als „Kolonialisierung auf Einladung“ oder „Kolonialismus 2.0“ bezeichnet.8 Private Öl- und Minenunternehmen mit eigenen privaten Sicherheitsapparaten fungieren auf den jeweiligen Pachtgebieten demzufolge wie separate Staaten9; andere sprechen von „Quasi-Staaten“ oder „enclave territories“.10 In Anlehnung an den kolonialen Andrang auf Afrika („scramble for Africa“) ist auch von einem „new scramble for Africa“ die Rede.11 Verpachtete Gebiete im Nordwesten von Laos werden aufgrund des weitreichenden chinesischen Einflusses auf den dort betriebe6 Krämer, Staaten im Visier der „Landgrabber“, S. 6 und Bassey, Neokoloniale Manöver, S. 14, in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010; Brilmayer/Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (124), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014. 7 Lay/Nolte, Neuer „Landraub“ in Afrika?, GIGA Focus Afrika Nr. 1, Dezember 2011, S. 1; Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rightsbased approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144 (145), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 214 f. 8 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (90); Langbein, Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland, 2015, S. 14. 9 Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144 (145), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012. 10 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (90). 11 Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144, in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012.
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nen Kautschukplantagen sogar als chinesisches Territorium verstanden.12 Lateinamerikanische Staaten wie Paraguay und Venezuela, welche sich in Abkehr ihrer kolonialen Vergangenheit besonders in jüngster Zeit intensiv auf ihre politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit berufen, haben die Verpachtung ihres Territoriums demgegenüber aktiv in ihren Verfassungen ausgeschlossen.13 Der Ausschluss umfasst jegliche Form der Besitzübertragung, sei sie zeitlich oder in anderer Form begrenzt, an fremde Staaten oder andere Völkerrechtssubjekte (Venezuela) oder jegliche ausländische Staatsgewalt (Paraguay). Für die insbesondere seit 2006 ausgehandelten Landpachtverträge werden einige gemeinsame Charakteristika beobachtet. Den Verpächter- oder Empfangsstaaten werden häufig schwache Demokratiewerte zugeschrieben, sie sollen rechtsstaatliche Defizite und eine hohe Korruptionsrate aufweisen, selbst häufiger auf Lebensmittelunterstützung angewiesen sein und unzureichenden Schutz privater Eigentumsrechte bieten.14 Es erfolge regelmäßig keine Beteiligung oder Berücksichtigung der betroffenen Bevölkerung am Vertragsschluss, vielmehr wird Intransparenz und Desinformation kritisiert.15 Die Vertragslaufzeit beträgt in der Regel zwischen 25 und 99 Jahren und ist häufig verlängerbar.16 Dieser Zeitraum gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass eine Anpassung an veränderte Umwelt- und Sozialstandards z. T. vertraglich eingeschränkt wird. So werden in vielen Fällen die geltenden Umwelt- und Sozialstandards für die gesamte Dauer der Vertragslaufzeit auf den Stand des Vertragsschlusses „eingefroren“, ohne einen Änderungsspielraum für zukünftige faktische sowie technologische Ge-
12 Dwyer, Building the Politics Machine: Tools for ‚Resolving‘ the Global Land Grab, S. 309 (310), in: Wolford/Borras Jr./Hall/Scoones/White, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Development and Change Vol. 44 (2), März 2013. 13 Constitución de la República Bolivariana de Venezuela (1999), Art. 13: „El territorio no podrá ser jamás cedido, traspasado, arrendado, ni en forma alguna enajenado, ni aun temporal o parcialmente, a Estados extranjeros u otros sujetos de derecho internacional.“; Constitución de la República de Paraguay (1992), Art. 155: „El territorio nacional jamás podrá ser cedido, transferido, arrendado, ni en forma alguna enajenado, aún temporalmente, a ninguna potencia extranjera.“; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 18. 14 Brilmayer/Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (128 ff.), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014. 15 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 12. 16 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 10; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 1.
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 25
gebenheiten und Interessenlagen zu belassen.17 Die Möglichkeiten von Nachfolgeregierungen, bestehende Pachtverhältnisse durch eine Verschärfung der Umwelt- und Sozialbestimmungen oder eine Anpassung an den Stand der Technik im Einklang mit dem vertraglichen Regelungsregime zu beeinflussen, sind dadurch begrenzt. Die Verpächterstaaten werden dabei selbst oft als treibende Kraft bei der Vorbereitung und Durchführung der Verträge wahrgenommen. Sie treffen häufig die erforderlichen wirtschaftlichen oder rechtlichen Grundlagen und leisten die nötige Vermittlungsarbeit durch „kollusives Zusammenwirken“ mit dem Investor.18 Da Landpachtverträge mit grenzüberschreitendem Bezug ein globales Phänomen darstellen, finden sich auch zahlreiche europäische Staaten auf Verpächterseite.19 Das chinesische Unternehmen Zhongkun von Huang Nubo verhandelte etwa einen Pachtvertrag über eine Fläche von 300 km2 im Norden von Island. Die Nutzungsmöglichkeiten reichen von sog. Ökotourismus bis zu strategischen Interessen am Zugang zu Mineralien infolge des schmelzenden Eises der Arktis.20 Auch die Ukraine ist häufig Zielland von Agrarinvestitionen.21 2. Interessenlage Zentrales Nutzungsinteresse der Landflächen der „südlichen Hemisphäre“ seit dem Jahr 2006 ist die Nahrungsmittelversorgung. Der ganz erhebliche Zuwachs an Pachtverträgen über Agrarflächen seit diesem Zeitpunkt wird größtenteils mit der Welternährungskrise und der Preisvolatilität bei Agrarprodukten in Verbindung gebracht.22 Als mittel- oder längerfristige Ursachen 17 von
Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 12. From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (509). 19 Borras/Franco, Land concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe, Transnational Institute (TNI) for European Coordination Via Campesina und Hands off the Land Network, April 2013, S. 6 ff. 20 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (91); Borras/Franco, Land concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe, Transnational Institute (TNI) for European Coordination Via Campesina und Hands off the Land Network, April 2013, S. 7. 21 Pearce, Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden, 2012, S. 142 ff. 22 Narula, The Global Land Rush: Markets, Rights, and the Politics of Food, Stanford Journal of International Law Vol. 49/2013, S. 101; Lee, Contemporary Land Grabbing: Research Sources and Bibliography, Northeastern University School of Law Research Paper No. 216/2015, 107 Law Library Journal, S. 259 (261); De Schut18 Borras/Franco,
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werden neben dem Bevölkerungswachstum und der Ernährungsumstellung insbesondere die Absicherung von Energie- und Nahrungssicherheit durch Agrarinvestitionen genannt.23 Die an der Nutzung großer Landflächen interessierten Branchen kommen nicht nur aus der Landwirtschaft, sondern auch aus den Bereichen der Erdöl- und Automobilindustrie, dem Bergbau, der Forstwirtschaft, Chemie und Bioenergie.24 Die Nachfrage nach Pflanzen zur Erzeugung von Energie und Biokraftstoff wie Ölpalmen, Soja, Jatropha und Zuckerrohr („energy crops“) erhöhte sich seit 2007 stark.25 Ursachen waren die Steigerung des Ölpreises und eine unsichere Versorgungsprognose. Einige Industriestaaten erließen verpflichtende Quoten für die Beimischung von Biokraftstoff im Transportsektor26 sowie ähnliche Förderinstrumente, wie der Energy Independence and Security Act der USA27 oder die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU28. Eine tragende Rolle bei großflächigen Landpachtverträgen wird außerdem der Politik der Weltbank zugesprochen. Mit der Öffnung der nationalen Agrarmärkte für ausländische Investitionen sei ein Markt für landwirtschaftliche Pachtverträge erst geschaffen worden.29 Der durchaus besteter, The Green Rush: The Global Race for Farmland and the Rights of Land Users, Harvard International Law Journal, Vol. 52 Nr. 2 2011, S. 503 (504 f.). 23 Shepard/Mittal, The Great Land Grab: Rush for the World’s Farmland, Oakland Institute, 2009, S. 2; Narula, The Global Land Rush: Markets, Rights, and the Politics of Food, Stanford Journal of International Law Vol. 49/2013, S. 101; Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144, in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012. 24 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (508); Lee, Contemporary Land Grabbing: Research Sources and Bibliography, Northeastern University School of Law Research Paper No. 216/2015, 107 Law Library Journal, S. 259 (262). 25 Häberli/Smith, Food Security and Agri-Foreign Direct Investment in Weak States: Finding the Governance Gap to Avoid ‚Land Grab‘, The Modern Law Review 77 (2) 2014, S. 189 (194). 26 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (509). 27 110th US-Congress Public Law 140: Energy Independence and Security Act of 2007. 28 Rulli/Saviori/D’Odorico, Global land and water grabbing, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Vol. 110, Nr. 3/2013, S. 892; Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (511). 29 Narula, The Global Land Rush: Markets, Rights, and the Politics of Food, Stanford Journal of International Law Vol. 49/2013, S. 101 (166); von Bernstorff, The
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hende zeitliche Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung wird jedoch insofern verzerrt, als der Agrarmarktöffnung bereits eine entsprechende Angebots- und Nachfragesituation vorausgegangen ist. 3. Konfliktpotenzial Die großflächigen Landverpachtungen zur landwirtschaftlichen Nutzung stehen aus verschiedenen Gründen in der Kritik. In erster Linie wird der Vorwurf erhoben, sie führten zu Menschenrechtsverletzungen, z. B. infolge der Vertreibung von Kleinbauern von ihren angestammten Ländereien und des Entzugs von Trinkwasser durch einseitige, verbrauchsstarke Bewässerungstechniken. Neben unmittelbaren Eingriffen in die Rechte der Bevölkerung geht es im Kern folglich um den Vorwurf schädlicher Umweltauswirkungen, die ihrerseits zu Menschenrechtsverletzungen führen können.30 Im Zuge der Wahrnehmung der Pachtbefugnisse durch einen Investor in Mali sollen die ortsansässigen Bauern mit Schlägertrupps, darunter Polizisten und Soldaten, gewaltsam vertrieben worden sein, wobei einzelne Personen ums Leben gekommen und gezielt Gewalt gegen Frauen eingesetzt worden sein soll.31 Dabei lassen sich nicht sämtliche Vorkommnisse auf einzelne vertragliche Vereinbarungen, sondern vielmehr auf eine konfliktgeladene Gemengelage zurückführen. Ein solcher Ursachenzusammenhang ist bei bestimmten großflächigen Umsiedlungsaktionen jedoch durchaus gegeben. Es liegen Veröffentlichungen von sog. Resettlement Action Plans vor, wonach zur Durchführung eines Pachtvertrags mehrere Tausend Menschen umgesiedelt werden müssten.32 Dabei ist der Zugang zu Land in vielen südlichen Ländern, welche zugleich häufig als Verpächterstaaten bei Verträgen über die Nutzung ihrer Landflächen auftreten, von elementarer Bedeutung. Die staatliche Ernährungssouveränität wird dort besonders von Kleinbauern und deren Zugang zu Land, Saatgut und Wasser aufrechterhalten.33 Verzichtet der Verpächterstaat auf die Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 2; ders., ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 16; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 9. 30 Vgl. Ekardt, Menschenrechte und Umweltschutz – deutsche und internationale Debatte im Vergleich, Zeitschrift für Umweltrecht 2015, S. 579. 31 Christian, Nachhaltige Zerstörung, Oakland Institute/TAZ, 15. Februar 2015, abrufbar unter: https://www.oaklandinstitute.org/nachhaltige-zerst%C3%B6rung (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 32 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 32. 33 BT-Drucks. 17/2729, S. 1 mit Verweis auf den Weltagrarbericht von 2008.
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Nutzung des Landes für die eigene Lebensmittelversorgung, kann er kaum Einfluss darauf nehmen, welche Produkte angebaut werden. Ebenso wenig kann er die Ausfuhr bei einer Unterversorgung aufhalten. Er ist damit stärker den Preisschwankungen am Weltmarkt ausgeliefert. Besondere Brisanz besitzt das Thema der Nutzung großer Agrarflächen – wie eingangs erwähnt – in Schwellen- und Entwicklungsländern. In diesem Zusammenhang haben sich die plakativen Begriffe Landraub bzw. Landgrabbing oder global land grab entwickelt. Sie bezeichnen die großflächige Landnahme durch ausländische Investoren unter Missachtung der Landrechte der lokalen Bevölkerung. Aufgrund der inhaltlichen Bandbreite des Begriffs fehlt es an einer einheitlichen Definition. Vielmehr legt jede Untersuchung eigene Schwerpunkte – etwa auf die Rolle und Motivation der Akteure auf Pächter- oder Verpächterseite, die vertragliche Ausgestaltung der Landüberlassung einschließlich der damit übertragenen Kontrollbefugnisse, die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und deren Rechtspositionen unmittelbar auf der Pachtfläche selbst, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung in der gesamten Region oder die Nutzungs formen des Bodens im Einzelnen. Der Versuch einer Definition lautet wie folgt: „[L]and grabbing as the transfer of use rights or control over land, traditionally used by communities, to foreign investors for commercial purposes – frequently within the agricultural sector.“34
Andere Interessenvertreter heben demgegenüber die Entwicklungschancen für ländliche Regionen durch den Ausbau von Infrastruktur und die Schaffung von Absatzmärkten hervor.35 Auch das Forschungsinstitut IFPRI (International Food Policy Research Institute) betont die Investitionschancen: „Because of the urgent need for greater development in rural areas and the fiscal inability of the developing country governments to provide the necessary infusion of capital, large scale land acquisitions can be seen as an opportunity for increased investment in agriculture.“36
In zahlreichen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen wurden die Ursachen und Wirkungen beschrieben, dabei jedoch eher nach politischen und 34 Twomey, Displacement and dispossession through land grabbing in Mozambique – The limits of international and national legal instruments, Refugee Studies Centre, Oxford Department of International Development, University of Oxford, Working Paper Series No. 101, S. 4. 35 U. a. Weltbank und IFPRI; vgl. Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (509). 36 von Braun/Meinzen-Dick, „Land Grabbing“ by Foreign Investors in Developing Countries: Risks and Opportunities, IFPRI Policy Brief 13, 2009, S. 2.
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nachrangig nach rechtlichen Lösungen gesucht.37 Letztere münden häufig in der Entwicklung neuer soft-law-Mechanismen, ohne die bereits zur Verfügung stehenden völkerrechtlichen Regelungen umfassend zu begutachten. Aus welchem Grund ein Verpächterstaat rechtlich dazu befugt ist, erheb liche Landflächen zu verpachten und warum es auch dann zu zahlreichen Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung kommt, wenn lediglich die in staatlichem Eigentum stehenden Flächen verpachtet werden, ist Teil dieser Untersuchung. Die Grundannahme, wonach der Staat – wie im Rahmen historischer territorial leases – das Land unmittelbar an Dritte verpachtet, setzt voraus, dass der Staat verfügungsbefugter Eigentümer des Landes ist. Das formelle Grundeigentum liegt hauptsächlich in Afrika und Südostasien beim Staat.38 Andernorts bestehen überwiegend bereits private Nutzungsrechte an Pachtgebieten, welche von privaten Akteuren übernommen werden. In Äthiopien etwa ist der private Bodenerwerb gänzlich ausgeschlossen; Land kann also nur auf Zeit gepachtet und nicht gekauft werden.39 Das kambodschanische Recht unterscheidet zwischen State Public Property und State Private Land; ersteres dient dem Wohl der Bevölkerung – z. B. im Falle von Waldgebieten – und darf im Gegensatz zu letzterem nicht verpachtet werden.40 Die Industrienationen treten ohnehin seltener als Verpächter großflächiger Gebiete auf. Zudem finden sich kaum geeignete Flächen, die nicht bereits im Besitz Privater sind.41 In Staaten, die formell Eigentümer privat genutzter Gebiete sind, ist der Schutz dieser privaten Nutzung entscheidend. Landrechte bestehen häufig 37 Überblick über Literatur und Forschungsinitiativen bei Lee, Contemporary Land Grabbing: Research Sources and Bibliography, Northeastern University School of Law Research Paper No. 216/2015, 107 Law Library Journal, S. 259 (261); Langbein, Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland, 2015; Kruchem, Der Grosse Landraub – Bauern des Südens wehren sich gegen Agrarinvestitionen, 2012; Liberti, Landraub – Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus, 2012; Pearce, Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden, 2012. 38 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (509); Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 16; Brilmayer/ Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (133), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014. 39 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 16. 40 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 7, 9, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubber barons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 41 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 29.
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aber nur nach traditionellen Maßstäben und sind nicht formell eingetragen. Besonders in Afrika repräsentieren die Staatsgrenzen infolge der Kolonia lisierung sehr selten die Grenzen zwischen Völkern, Sprachengruppen und Stämmen.42 Dadurch befinden sich bestimmte Gruppen häufig in der Minderheit und sehen sich u. a. in ihrem Zugang zu Land benachteiligt. Bei den Landpachtverträgen in Afrika wird dementsprechend beobachtet, dass den Pächtern von der jeweils stärker repräsentierten Volksgruppe dasjenige Land zur Verfügung gestellt wird, welches von der jeweiligen Minderheit genutzt wird.43 Dass der Staat dort regelmäßig Eigentümer des Landes und damit formell zur Verpachtung bzw. Übertragung berechtigt ist, erklärt sich aus der Zeit der Dekolonialisierung. Der Staat trat die Rechtsfolge des Kolonialherren an, der offizieller Eigentümer des Gebietes war.44 Über die Zuteilung nicht eingetragener Landrechte besteht häufig große Rechtsunsicherheit, die von einem unkoordinierten Nebeneinander verschiedener lokaler, traditioneller sowie nationaler, kodifizierter Rechtsordnungen begleitet wird.45 Gleichzeitig bietet das Investitionsschutzrecht einen vergleichsweise ausgereiften Schutz für die Pächter bzw. Investoren.46 Der Empfangsstaat einer Investition als Verpächter läuft daher Gefahr, durch regulatorische Eingriffe in den Betrieb des Investors auf dem Pachtgebiet eine Schadensersatzpflicht auszulösen. Der außenwirtschaftlichen Ausrichtung Chinas kommt in diesem Kontext eine hervorgehobene Rolle zu. Die staatliche Kontrolle der Unternehmen ist weiterhin sehr hoch; über ein Drittel aller chinesischen Unternehmensanteile 42 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 3. 43 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 3. 44 Wily, Globaler Landraub: die neue Einhegung, Heinrich-Böll-Stiftung, 9. Juli 2012, abrufbar unter: http://www.boell.de/de/oekologie/wirtschaft-globaler-landraubeinhegung-commons-15057.html (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021); Wrange, Land, Development and the Irrationality of International Law, Scandinavian Studies in International Law, Vol. 60: Law and development (2015), S. 187 (204 ff.); von Berns torff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 3. 45 Gräfen, Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft – Themeninfo Sicherung von Landrechten, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, August 2012, abrufbar unter: https://www.giz.de/fachexpertise/downloads/giz2012-de-themeninfosicherung-von-landrechten.pdf (zuletzt abgerufen am 4. Dezember 2017). 46 Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144, in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012; vertiefend Cotula, ‚Land grabbing‘ and international investment law: toward a global reconfiguration of property?, in: Bjorklund, Yearbook on International Investment Law & Policy, Oxford University Press, 2014–2015.
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befindet sich in staatlicher Hand.47 Bei chinesischen Investitionen zeigen sich auch deutlich die fünf außenpolitischen Prinzipien, wonach u. a. die Einmischung in interne Angelegenheiten abgelehnt wird.48 Insbesondere für die vermehrten Investitionen in Afrika wird dieses Prinzip als Grundlage hervorgehoben.49 Gleichzeitig mussten sich chinesische Investoren etwa bei Pachtverträgen im Sudan und in Simbabwe dem Vorwurf aussetzen, an der Machterhaltung autoritärer Regime mitgewirkt zu haben.50 Der ehemalige Staatspräsident Hu Jintao verwies demgegenüber auf die Unterstützung Afrikas bei der Verwirklichung zahlreicher Projekte sowie dem Bau einer Vielzahl von Schulen, Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen.51 Auch deutsche Unternehmen beteiligen sich an großflächigen Landpachtverträgen. Die Neumann-Gruppe schloss 2001 einen Pachtvertrag über 2.500 Hektar Land in Uganda auf einer Fläche ab, die von Siedlern nach ugandischem Gewohnheitsrecht bevölkert wurde.52 Die staatliche Uganda 47 Office of the Leading Group of the State Council for the Second National Economic Census, National Bureau of Statistics of China: Communiqué on Major Data of the Second National Economic Census (No.1), 25. Dezember 2009, abrufbar unter: http://www.stats.gov.cn/english/NewsEvents/200912/t20091225_26264.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 48 Xi Jinping at Meeting Marking the 60th Anniversary of the Initiation of the Five Principles of Peaceful Coexistence: „[…] mutual respect for sovereignty and territorial integrity, mutual non-aggression, non-interference in each other’s internal affairs, equality and mutual benefit, and peaceful coexistence.“, vgl. Ministry of Foreign Affairs of the People’s Republic of China, Carry Forward the Five Principles of Peaceful Coexistence To Build a Better World Through Win-Win Cooperation, 28. Juni 2014, abrufbar unter: http://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/zxxx_662805/t1170143. shtml (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 49 Kidane/Zhu, China-Africa Investment Treaties: Old Rules, New Challenges, Fordham International Law Journal 2013–2014, S. 1036 (1038). 50 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (90 f.). 51 Hu Jintao, At the Opening Ceremony of the Fifth Ministerial Conference of the Forum on China-Africa Cooperation: „In 2011, our two-way trade reached 166.3 billion U.S. dollars, three times the figure in 2006. Cumulative Chinese direct investment in Africa has exceeded 15 billion U.S. dollars, with investment projects covering 50 countries. The AU Conference Center and Office Complex built by China was handed over to the African side. China’s assistance to Africa has been growing stead ily. China has built over 100 schools, 30 hospitals, 30 anti-malaria centers and 20 agricultural technology demonstration centers in Africa. It has met the pledge of providing 15 billion U.S. dollars of lending of a preferential nature to Africa.“, vgl. Forum on China-Africa Cooperation, Open Up New Prospects for A New Type of China-Africa Strategic Partnership, 19. Juli 2012, abrufbar unter: https://www.fmprc. gov.cn/zflt/eng/zxxx/t953172.htm (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 52 Wrange, Land, Development and the Irrationality of International Law, Scandinavian Studies in International Law, Vol. 60: Law and development (2015), S. 187
32 Einleitung
Investment Agency garantierte vertraglich, das Land sei frei von Drittansprüchen und legte eine Kompensationsbescheinigung vor. Es wird jedoch bemängelt, dass diese erzwungen und manche Siedler mit militärischer Gewalt vertrieben worden seien.53 Außerdem wurde bereits über mehrere Beteiligungen der Deutschen Bank AG an Unternehmen berichtet, deren Geschäftspraktiken mit sog. Landraub in Verbindung gebracht wurden.54 4. Keine Beschränkung auf landwirtschaftliche Pacht Die vorliegende Untersuchung betrachtet neben Verträgen über die landwirtschaftliche Gebietsnutzung auch solche über die Errichtung und Verwaltung von Industrie- und Infrastrukturanlagen jeglicher Art oder Tiefseehäfen. Solche Verträge dienen häufig der Verfolgung geopolitischer Interessen bzw. Strategien, die über die rein wirtschaftliche Gebiets- und Bodennutzung hinausgehen. Die Bedrohung der Menschenrechte durch einige international agierende Unternehmen hat die Suche nach völkerrechtlichen Instrumenten besonders in den letzten Jahren befeuert. Der UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte John Ruggie treibt seit dem Jahr 2008 die Entwicklung einheitlicher Maßstäbe für eine staatliche Verantwortung für menschenrechtsrelevantes unternehmerisches Handeln voran.55 Ansätze zur Stärkung der Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen wurden in den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte festgehalten, die im Jahr 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verabschiedet und seither in Nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden.56 Daneben existieren einige (219); Jeska, Kaffeehandel – Unsere Farm in Afrika, ZEIT Online, 28. August 2014, abrufbar unter: http://www.zeit.de/2014/34/kaffee-neumann-hamburg-uganda/kom plettansicht (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 53 Jeska, Kaffeehandel – Unsere Farm in Afrika, ZEIT Online, 28. August 2014, abrufbar unter: http://www.zeit.de/2014/34/kaffee-neumann-hamburg-uganda/kom plettansicht (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 54 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 2, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubber barons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 55 Kasolowsky/Voland, Die „Ruggie Revolution“ – Menschenrechte im unternehmerischen Handeln, Anwaltsblatt 5/2014, S. 388; Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2473 f.). 56 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Frame-
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 33
Vorschläge zu soft-law-Mechanismen. Bezogen auf die Pacht von Land sind hier die Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security der FAO („Freiwillige Leitlinien zu Landnutzungsrechten“), die Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources der Weltbank sowie der Code of Conduct for transnational land transactions zu nennen.57 Die Staatenpraxis im Umgang mit Landpachtverträgen neuerer Art lässt bislang keine einheitliche Rechtsauffassung hinsichtlich der Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen erkennen. Das chinesische Wirtschaftsministerium sowie die dortige oberste Forstwirtschaftsbehörde etwa halten Richtlinien für staatliche sowie nichtstaatliche Unternehmen bereit, die im Ausland im Bereich Forstwirtschaft tätig sind.58 Darin werden diese angehalten, bestimmte bilaterale Verträge mit dem jeweiligen Verpächterstaat sowie sämtliche völkerrechtlichen Verträge und Protokolle einzuhalten, denen China oder der Verpächterstaat beigetreten sind. In einzelnen Pachtverträgen wird ausdrücklich auf bestimmte völkerrechtliche Verträge Bezug genommen und diese zum Gegenstand des Vertrags gemacht, wie z. B. die UN-Kinderrechtskonvention.59 Das wirft die Frage auf, ob dahinter die Überzeugung Chinas bzw. der Staatenpraxis insgesamt steht, dass ohne eine solche ausdrückliche Anordnung erst gar keine Bindung an die betreffenden völkerrechtlichen Verträge bestünde. work, UN Doc. A/HRC/17/31; Krajewski/Bozorgzad/Heß, Menschenrechtliche Pflichten von multinationalen Unternehmen in den OECD-Leitsätzen: Taking Human Rights More Seriously?, ZaöRV 2016, S. 309 (310). 57 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507; Brilmayer/Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (124 f.), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014. 58 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010, Punkt 3.1: „Comply with the agreements/protocols signed between China and the host country of forest resources, in addition to the relevant international conventions/agreements. Comply with all kinds of binding agreements/protocols and other legal documents signed by China and the host country, and the international conventions and protocols acceded to by China or the host country of forest resources.“, abrufbar unter: https://www.forestry.gov.gy/ wp-content/uploads/2016/05/AGuideonSustainableOverseasForestManagementandUt ilizationbyChineseEnterprises.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 59 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 12.1, S. 27: „Investor shall not knowingly employ […] any minor, as defined by Law, for any purpose, in accordance with the United Nations Convention on the Rights of the Child and Liberian Law.“
34 Einleitung
II. Historische Dimension der „territorial leases“ Wie eingangs erläutert, sind Landkauf- und -pachtverträge keineswegs als neues Phänomen zu betrachten. Sie werden von der insoweit unveränderten Motivation betrieben, u. a. den einheimischen Rohstoffbedarf extraterritorial zu decken. Dies setzte traditionell die möglichst umfassende Kontrolle eines bestimmten Gebiets voraus. Dabei vollzieht sich die Entwicklung der Nutzung fremden Hoheitsgebiets entlang des Wandels staatlicher Souveränität: Nachdem die Sicherung des Rohstoffbedarfs nicht mehr im Wege der Kolonialisierung und in aller Regel nicht mehr durch die Beeinflussung der Regierungsbildung von im Entstehen befindlichen Staaten gedeckt wird,60 stehen nunmehr Vertragsverhältnisse im Vordergrund. Auch aus der Nutzung strategisch wichtiger Verkehrswege wie Kanälen oder Bahnstrecken folgte eine räumliche Ausdehnung des kontrollierten Gebiets bis hin zur Errichtung von Verwaltungszonen.61 Dies wird im Folgenden durch einzelne, ausgewählte historische Pachtverträge veranschaulicht.62 1. Ursprünge im 16. Jahrhundert und erste leases durch private Unternehmen im 17. Jahrhundert Ein frühes Beispiel für die vertragliche Aufspaltung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität ist die Besetzung der Halbinsel Macau durch Por tugal im 16. Jahrhundert.63 Das Gebiet war für 300 Jahre die einzige per manente europäische Siedlung in China.64 In den Jahren 1535 sowie 1553 wurden (nicht überlieferte) Abkommen geschlossen, wonach Portugal das Gebiet als Handelsstützpunkt gegen einen Pachtzins verwalten durfte.65 In einem Vertrag von 1887 erkannte China die dauerhafte Besetzung von Macau und seinen Schutzgebieten durch Portugal an.66 Die zuvor als Kolonie verwaltete Halbinsel wurde später in der portugiesischen Verfassung von 1933 als Gebiet unter portugiesischer Souveränität und 1951 zur Überseepro60 Die Sowjetunion unternahm einen solchen Versuch durch die Unterstützung der MLPA im angolischen Bürgerkrieg 1976. 61 Vgl. die Panamakanalzone, s. dazu Einleitung A.II.4. 62 Vertiefend Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 51 ff. 63 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 220. 64 Kugelmann, Macau, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2009, Rn. 1. 65 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 58 f. m. w. N. 66 Treaty of Amity and Commerce between Portugal and China of 1 December 1887, Art. 2.
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 35
vinz erklärt.67 Seit 1999 besteht ein Sonderstatus der Macao Special Administrative Region (SAR), vergleichbar mit dem zuvor vereinbarten Status Hongkongs.68 Danach liegt Macau auf chinesischem Territorium und China erlangte die uneingeschränkte Souveränität zurück.69 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts bedienten sich Kolonialstaaten außerdem privater Handelsunternehmen, um Überseegebiete strategisch und wirtschaftlich zu nutzen. Diese agierten unter staatlicher Leitung und waren ermächtigt, in diesen Gebieten weitreichende Hoheitsrechte auszuüben.70 Hervorzuheben ist die British East India Company, welche rechtsetzende sowie rechtsprechende Befugnisse über verschiedene Gebiete in Afrika sowie im süd lichen Asien besaß, die Steuereinnahmen verwaltete und dort stationiertes Militär befehligte.71 Auch ein Küstenabschnitt der Insel Sansibar wurde ursprünglich von der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft gepachtet, bevor deren Befugnisse unmittelbar von der kaiserlichen Regierung übernommen wurden.72 2. Verstärkte Verbreitung im 19. Jahrhundert und in der Zeit der Opium-Kriege Spätestens seit dem 19. Jahrhundert waren Landpachtverträge verbreitet unter dem Begriff der (territorial) leases bekannt. Die leases dienten zunächst der Grenzfestlegung europäischer Kolonien in Afrika. Vor der Jahrhundertwende sollten außerdem Gebiete in China den Zugang zu Häfen und den Einfluss in der Region sichern.73 Des Weiteren dienten leases der Errichtung von Kanälen, Bahntrassen oder Kommunikationswegen durch fremdes Territorium hindurch sowie dem Meereszugang europäischer Binnenstaaten nach den Balkankriegen und dem ersten Weltkrieg; in der zweiten Hälfte des
67 Kugelmann, Macau, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2009, Rn. 4. 68 Vereinbart in der Joint Declaration of the Government of the People’s Republic of China and the Government of the Republic of Portugal on the Question of Macao vom 13. April 1987, in Kraft seit dem 15. Januar 1988, U.N.T.S. Vol. 1498, I-25805; vgl. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 61. 69 Joint Declaration of the Government of the People’s Republic of China and the Government of the Republic of Portugal on the Question of Macao vom 13. April 1987, Art. 1, U.N.T.S. Vol. 1498, I-25805. 70 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 64 f. 71 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 64. 72 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 73. 73 Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 2.
36 Einleitung
20. Jahrhunderts ermöglichten sie häufiger Militärstützpunkte im Ausland.74 Nach dem Zerfall der Sowjetunion sicherte sich Russland außerdem vertraglich den Zugang zu strategischen Einrichtungen in den unabhängig gewordenen Staaten.75 In der Folge des ersten Opium-Krieges besetzte Großbritannien das Gebiet von Hongkong.76 Im Jahr 1842 wurde im Vertrag von Nanking die dauerhafte Zession von Hongkong zur Errichtung von fünf Häfen vereinbart.77 1860 wurde die Peking-Konvention geschlossen, die neben erweiterten Wirtschaftsbefugnissen die dauerhafte Zession auf ein zusätzliches Gebiet erstreckte, das Großbritannien zuvor lediglich gepachtet hatte.78 Der abschließende Schritt der Gebietsübernahme fand durch den Vertrag von 1898 statt, nach welchem Großbritannien das Gebiet der sog. New Territories, welches ca. zehn Mal der Größe der Kronkolonie Hongkong entsprach, für 99 Jahre pachtete.79 Die Pacht über die New Territories vergrößerte also die britischen Gebietsrechte um die Kronkolonie Hongkong selbst. Hongkong besitzt seit 1997 für 50 Jahre den Status einer Sonderverwaltungszone mit weitreichenden Autonomiebefugnissen („ein Staat, zwei Systeme“), die auch Gegenstand der jüngsten Proteste seit dem Jahr 2014 waren. Im Zuge der sog. Opium-Kriege entwickelte sich außerdem das Konzept der Exterritorialität fort, das sich auf den rechtlichen Status einzelner Per sonen auf fremdem Hoheitsgebiet bezieht. Ab dem Jahr 1898 wurden ca. 80 Konzessionsverträge über Enklaven an der chinesischen Küste geschlossen. Die sog. „Staaten im Staat“ wurden zugunsten von Großbritannien, Belgien, Japan, Russland und Frankreich als Häfen genutzt und sollten einen Handelszugang verschaffen (sog. „treaty ports“).80 Die Staatsangehörigen 74 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 35; Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 2. 75 Zum Ganzen: Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 2. 76 Malanczuk, Hong Kong, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Fe bruar 2010, Rn. 5. 77 Treaty between China and Great Britain vom 29. August 1842, ratifiziert am 26. Juni 1843, British and Foreign State Papers, Vol. XXX, S. 389. 78 Convention for the Extension of Hongkong, Peking vom 9. Juni 1898, Art. 4, United Kingdom Treaty Series 1898, No. 16; Malanczuk, Hong Kong, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Februar 2010, Rn. 9. 79 Convention for the Extension of Hongkong, Peking vom 9. Juni 1898, United Kingdom Treaty Series 1898, No. 16; Malanczuk, Hong Kong, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Februar 2010, Rn. 10. 80 Convention for the Lease of Weihaiwei, Peking vom 1. Juli 1898 (Wei-HaiWei), United Kingdom Treaty Series 1930, No. 50 und Convention for the Extension of Hongkong, Peking vom 9. Juni 1898 (New Territories), United Kingdom Treaty Series 1898, No. 16; vgl. Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt –
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 37
der westlichen sowie japanischen Pächter wurden in den Pacht- bzw. Konzessionsgebieten von der chinesischen Gerichtsbarkeit befreit und eigens eingerichteten Konsulargerichten unterstellt.81 Die Verwaltungsbefugnisse wurden ohne eindeutige territoriale oder personale Anknüpfungspunkte zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt. In diesen historischen Zusammenhang fallen auch die Kohlestationen für die Kriegs- und Handelsschiffe verschiedener Kolonialmächte insbesondere in Südostasien. Die Umstellung der Schifffahrt auf kohlebetriebene Dampfmaschinen erforderte ein dichtes Netz an Auffüllstationen, um ihre Handlungsfähigkeit sicherzustellen.82 Das Deutsche Reich schloss u. a. einen Pachtvertrag über ein 552 km2 großes Gebiet in Kiautschou Bay, auf dessen Grundlage China dem Deutschen Reich die Ausübung der Gebietshoheit für die Laufzeit des Pachtvertrags von 99 Jahren übertrug.83 3. Fortwirkend genutzte Militärbasen Zahlreiche der heute genutzten Militärbasen gehen auf Pachtverträge aus dem vergangenen Jahrhundert zurück. Die USA schlossen regelmäßig sog. Status of Forces Agreements (SOFA) über die Etablierung dauerhafter Militärstützpunkte oder lediglich einzelner militärischer Operationen.84 Noch im Eine völkerrechtliche Studie, 1911, S. 16; Strauss, the Leasing of Guantánamo Bay, 2009, S. 34; Convention for the Lease of the Liaotung Peninsula vom 27. März 1898 (Port-Arthur); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 107; Territoire de Kouang-Tchéou-Wan, Vertrag vom 10. April 1898, vgl. Maas/ Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 81 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 66. 82 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 80 ff. 83 Allerhöchster Erlaß, betreffend die Erklärung Kiautschous zum Schutzgebiet, Reichs-Gesetzblatt S. 171, 27. April 1898, abgedruckt in: Chickering/Chase Gummer/ Rotramel, Das Wilhelminische Kaiserreich und der Erste Weltkrieg, 1890–1918 – Ein „ungleicher Vertrag“: Pachtvertrag zwischen China und dem Deutschen Reich, DGDB 2012; vgl. Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221; Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrechtliche Studie, 1911, S. 16; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 74 f. 84 Sassen, Visible Formalizations and Formally Invisible Facticities, Indiana Journal of Global Legal Studies Vol. 20 Nr. 1/2013, S. 3 (20); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 84.
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Jahr 2015 entschied der Ständige Schiedshof über den Status einer Marine Protection Area, die Großbritannien in der Ausschließlichen Wirtschaftszone des Chagos-Archipels im Indischen Ozean einzurichten beabsichtigte.85 Nach dem Sturz Napoleons kamen die dort tätigen Sklaven und Arbeiter unter großbritannische Hoheitsgewalt und das Archipel wurde mit der Kolonie Mauritius verbunden.86 Zusammen mit zwei Inseln der Seychellen bildeten sie das British Indian Ocean Territory (BIOT). Großbritannien stützte seine Ansprüche auf einen originären Gebietserwerb, im Jahr 1966 kam es jedoch zu einer Verpachtung des Atolls Diego Garcia als Militärbasis an die USA mit einer Laufzeit bis 2016, nunmehr verlängert bis 2036.87 Es bildet heute eine der weltweit wichtigsten Stützpunkte, auch für geheimdienstliche Aktivitäten. Es verfügt über einen Flugplatz, der als Notlandeplatz für SpaceShuttle-Missionen verwendet werden kann. Offiziell erhält Großbritannien keinen Pachtzins, es wird jedoch angenommen, die Kompensation erfolge im Wege von Forschungsunterstützung für das Polaris Nuclear Submarine Programme.88 Während des Irak- und Afghanistaneinsatzes wurde der Stützpunkt u. a. inoffiziell als Gefangenenlager genutzt.89 Ab 1967 wurden der ursprünglich als Arbeiter auf Chagos gebrachten Bevölkerung sowie einigen gebürtigen Chagossianern im Zuge der Verpachtung bei einmaligem Verlassen von Diego Garcia bei der Rückkehr die Einreise verwehrt.90 1973 wurden die verbleibenden Einwohner schließlich von britischen Agenten und amerikanischen Soldaten zur Zwangsräumung ihrer Häuser veranlasst. Nur einige erhielten Kompensationszahlungen, die an Verzichtserklärungen bezüglich des Territoriums geknüpft waren; in der Folge 85 Ständiger Schiedshof, Entscheidung vom 18.05.2015, Chagos Marine Protected Area Arbitration (Mauritius v. United Kingdom). 86 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86). 87 Allen, The Chagos Islanders and International Law, 2014, S. 5; Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86). 88 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86). 89 Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86). 90 Snoxell, Expulsion from Chagos: Regaining Paradise, The Journal of Imperial and Commonwealth History, Vol. 36 Nr. 8/2011, S. 119 (123); Allen, The Chagos Islanders and International Law, 2014, S. 2; Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86).
A. Aktuelle Bedeutung und historische Dimension von Landpachtverträgen 39
konnten sie in Großbritannien ihr Rückreiserecht nicht gerichtlich durchsetzen.91 Der EGMR hielt sich auf eine Beschwerde der Chagossianer hin für unzuständig.92 Nachdem die UN-Generalversammlung beschloss, den IGH zur Klärung der Folgen der Abspaltung des Chagos Archipels von Mauritius im Jahr 1965 anzurufen, entschied dieser am 25. Februar 2019, „the process of decolonization of Mauritius was not lawfully completed when that country acceded to independence“ und „the United Kingdom is under an obligation to bring to an end its administration of the Chagos Archipelago as rapidly as possible“.93 4. Guantánamo Bay und die Panamakanalzone Die Pacht von Guantánamo Bay auf Kuba durch die USA ist schließlich das klassische Beispiel eines Pachtvertrags, in welchem dem Pächter die vollständige Gebietskontrolle übertragen wurde. Sie ist für diese Untersuchung nicht nur wegen ihrer weiterhin aktuellen politischen Dimension von hohem Interesse. Die USA halten die Fläche von ca. 117 km2 bereits seit dem Jahr 1898 im Zuge des spanisch-amerikanischen Krieges besetzt. Die Rechte der USA, im Gegenzug zum Truppenabzug sowohl Marinestützpunkte auf Kuba zu errichten als auch in nationalen Angelegenheiten intervenieren zu dürfen, wurden im sog. Platt-Amendment vereinbart und 1902 in der kubanischen Verfassung verankert.94 Im Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung Kubas von 1902 schloss dessen erster Präsident Palma einen Pachtvertrag über einen Marinestützpunkt in Guantánamo und Bahia Honda,95 die damit älteste Militärbasis außerhalb der USA. Ein zweiter Pachtvertrag folgte 1934, der den Vertrag von 1903 verlän-
91 Allen, The Chagos Islanders and International Law, 2014, S. 17 ff.; Alessio, ‚… territorial acquisitions are among the landmarks of our history‘: the buying and leasing of imperial territory, Global Discourse Journal, Vol. 3 Nr. 1 2013, S. 74 (86). 92 Chagos Islanders v. The United Kingdom App no 35622/04 (ECHR, 11 December 2012). 93 United Nations General Assembly resolution 71/292, Request for an advisory opinion of the International Court of Justice on the legal consequences of the separation of the Chagos Archipelago from Mauritius in 1965, UN Doc. A/RES/71/292 vom 22. Juni 2017. 94 An Act Making Appropriation for the Support of the Army for the Fiscal Year Ending June Thirtieth, Nineteen Hundred Two; vgl. de Zayas, Guantánamo Naval Base, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2016, Rn. 2. 95 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, abrufbar unter: http://avalon.law. yale.edu/20th_century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
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gerte und seine Änderung an die Mitwirkung beider Parteien knüpfte.96 Kuba hält die Besetzung des Gebiets seit der Revolution von 1959 für rechtswidrig und löst seit 1960 die US-amerikanischen Schecks über den Pachtzins von 4.085 USD nicht mehr ein.97 Während es ursprünglich nur als Kohlestation und Marinestützpunkt diente, bot das Areal ab 1990 Aufenthalt für mehr als 50.000 Migranten aus Haiti und Kuba; es wird nunmehr seit 2002 als Verhörund Gefangenenlager benutzt.98 Nur der Form halber lag demgegenüber dem Vertrag zwischen den USA und Panama über die Panamakanalzone kein Pachtvertrag, sondern eine Verwaltungszession zugrunde.99 Die beiden Länder vereinbarten die Gebietsüberlassung im Hay-Varilla-Vertrag vom 18. November 1903.100 Für eine Anzahlung von 10 Mio. USD und jährliche Zahlungen von 250.000 USD wurden die USA ermächtigt, innerhalb der maximal 10 km breiten und 82 km langen Route zwischen Atlantik und Pazifik sämtliche Rechte in dem Umfang auszuüben, als wären sie selbst der Souverän über das Gebiet: „The Republic of Panama grants to the United States all the rights, power and authority within the zone mentioned […] which the United States would possess and exercise if it were the sovereign of the territory within which said lands and waters are located to the entire exclusion of the exercise by the Republic of Panama of any such sovereign rights, power or authority.“101
Die rechtlichen Grundlagen und Ausgestaltungen der Gebietsüberlassung und der Hoheitsrechte werden im Zusammenhang mit der Aufteilung von 96 Treaty Concerning the Relations between the United States of America and the Republic of Cuba vom 29. Mai 1934; Art. 3: „[…] until the two contracting parties agree to the modification or abrogation of the stipulations of the Agreement in regard to the lease to the United States of America of lands in Cuba for coaling and naval stations […] the stipulations of that Agreement with regard to the naval station of Guantánamo shall continue in effect.“; abrufbar unter: http://avalon.law.yale. edu/20th_century/dip_cuba001.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 97 de Zayas, Guantánamo Naval Base, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2016, Rn. 3; Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 11; Strauss, Guantánamo Bay and the Evolution of International Leases and Servitudes, New York City Law Revue Vol. 10 2006–2007, S. 479 (506). 98 de Zayas, Guantánamo Naval Base, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2016, Rn. 4. 99 Dem Inhalt nach wird der Vertrag als Pachtvertrag verstanden, s. Teil 1 C.I.2.b); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 15 m. w. N. 100 Convention for the Construction of a Ship Canal (Hay-Bunau-Varilla Treaty) vom 18. November 1903, Art. 11, abgedruckt bei de Martens, NRG 2ième Série, XXXI, 599; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 62. 101 Convention for the Construction of a Ship Canal (Hay-Bunau-Varilla Treaty) vom 18. November 1903, Art. 3, abgedruckt bei de Martens, NRG 2ième Série, XXXI, 599.
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik41
Gebietshoheit und territorialer Souveränität im Einzelnen ausgeführt (s. Teil 1 C.I.).
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik I. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Ziel der Untersuchung ist es, die Voraussetzungen aufzuzeigen, unter denen typische und repräsentative im Rahmen der extraterritorialen Pacht von Land auftretende Sachverhalte eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit auslösen. Es werden also weder allgemeingültige Maßstäbe für die staatliche Verantwortlichkeit für extraterritoriales Verhalten insgesamt aufgestellt noch wird eine umfassende Untersuchung völkerrechtlicher Implikationen von Landpachtverträgen vorgenommen. Der Untersuchungsgegenstand ist daher in mehrfacher Hinsicht einzugrenzen. Die Untersuchung befasst sich zunächst mit Verträgen über die Pacht fremden Hoheitsgebiets sowie vergleichbaren Nutzungsverhältnissen.102 Dafür wurden vorrangig im Original veröffentlichte Vertragstexte untersucht.103 Deren Umfang und damit auch deren Detailschärfe spiegeln allerdings nur selten ihre wirtschaftliche Bedeutung wider. Die einzelnen Vertragsklauseln werden exemplarisch nach einem pick-and-choose-Verfahren zur Veranschaulichung einzelner Aspekte herangezogen und daraus bestimmte Vertragskonstellationen abstrahiert. Es findet damit keine Fallstudie statt, in welcher eine bestimmte Zahl von Verträgen abschließend beurteilt wird. Vielmehr wird eine Typisierung vorgenommen, die sich am rechtlichen Untersuchungsbedarf und an der faktischen Untersuchungsmöglichkeit orientiert. Aufgrund der Vielzahl der Akteure und der Vielschichtigkeit der vertraglichen Vereinbarungen, ihrem Zustandekommen und Regelungsinhalt können auch die jeweiligen materiellen Pflichten im Rahmen der Nutzung fremden Staatsgebiets nicht in allgemeingültigem Umfang bestimmt werden. Es werden daher besonders virulente Rechtspositionen herausgegriffen. Darunter finden sich das Recht auf Eigentum und auf Nahrung sowie die umweltvölkerrechtliche Pflicht des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigung. 102 Unter „Begrifflichkeiten“ werden die Merkmale der untersuchten Verträge erläutert, s. Einleitung B.II. 103 Arbeitsgemeinschaft Land Matrix Global Observatory, The Online Public Database on Land Deals, abrufbar unter: http://www.landmatrix.org (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021); The Oakland Institute (Think Tank) – Land Rights Issue; GRAIN (NGO): Plattform farmlandgrab.org.
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Die Pacht fremden Staatsgebiets findet außerdem häufig durch transnationale Unternehmen statt, welche Niederlassungen in dem jeweiligen Empfangsstaat unterhalten oder Kapital dort einbringen. Sie können in diesen Fällen als Auslandsdirektinvestitionen verstanden werden.104 Rein privatrechtlichen Auslandsdirektinvestitionen fehlt jedoch der unmittelbare völkerrechtliche Bezug. Ein solcher Bezug besteht nicht schon bei jeder Übernahme eines ausländischen Unternehmens, welches eine bestimmte Fläche für seine Geschäftstätigkeit besitzt. Es ist vielmehr eine gewisse Beteiligung des Empfangsstaates an dem Vertragsschluss erforderlich. Im Vordergrund der untersuchten Verträge steht außerdem nicht die wirtschaftliche Bedeutung der Investition, sondern die konkrete Gebietsnutzung und -kontrolle. Diese geht mit der physischen Präsenz des Pächters einher und führt zu einer nach außen wirkenden Wahrnehmung von Rechten. Erforderlich ist die ausdrücklich vereinbarte oder stillschweigend vorausgesetzte Befugnis zur Vornahme einer rechtlichen oder tatsächlichen Einflussnahme auf Individual- oder Gemeinschaftsrechtspositionen im Verpächter- bzw. Empfangsstaat. Inwiefern diese Rechte einen hoheitlichen Bezug aufweisen, bleibt der Untersuchung in Teil 1 C.1. vorbehalten. Hierunter fällt also nicht die rein wirtschaftliche Verflechtung durch die Einbringung ausländischen Kapitals, auch wenn dieses in den Betrieb eines gepachteten Gebietes fließt. Erwirbt also ein ausländisches Unternehmen lediglich die assets an einem Unternehmen, welches eine großflächige Landfläche bewirtschaftet, ohne die o. g. Kriterien zu erfüllen, fällt ein solcher Vertrag nicht unter den Untersuchungsgegenstand. Das Thema Land Grabbing wirft schließlich zahlreiche völkerrechtliche Fragen auf, die neben dem Recht der Staatenverantwortlichkeit u. a. im Investitionsschutz- und Welthandelsrecht verortet werden können.105 Die Fragen des Land Grabbing werden vorliegend jedoch weder ausschließlich noch umfassend untersucht. Es wird also keine auf landwirtschaftliche Pachtverträge in Schwellen- und Entwicklungsländern spezifizierte und beschränkte völkerrechtliche Analyse vorgenommen. Zugleich werden zusätzlich andere mit der Pacht vereinbarte Nutzungsformen behandelt. Die dort auftretenden Konfliktlagen sind aus menschenrechtlicher und umweltvölkerrechtlicher Sicht sehr vielfältig. Eine Lösung kann sowohl aus völkerrechtlicher als auch innerstaatlicher Perspektive gesucht werden. Auch wenn das Welthandels104 Zur Problematik einer eindeutigen Definition vgl. Böttger, Umweltpflichtigkeit von Auslandsdirektinvestitionen, Dissertation Bremen 2002, S. 48. 105 Brilmayer/Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (136 ff.), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014; Cotula, ‚Land grabbing‘ and international investment law: toward a global reconfiguration of property?, in: Bjorklund, Yearbook on International Investment Law & Policy, Oxford University Press, 2014–2015.
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik43
recht oder das Investitionsschutzrecht möglicherweise nach derzeitigem Stand praktikablere und effektivere Antworten auf dieses global-wirtschaft liche Phänomen bereithalten, konzentriert sich diese Untersuchung allein auf die völkerrechtliche Verantwortlichkeit bezogen auf Völkerrechtsverletzungen im Rahmen der Pacht.106 Eine weitere Einschränkung des Untersuchungsgegenstands ist in mate riell-rechtlicher Hinsicht vorzunehmen. Die völkerrechtlichen Pflichten, an denen die im Folgenden herausgearbeiteten Sachverhalte vor dem Hintergrund der Staatenverantwortlichkeit gemessen werden, besitzen grundsätzlich universelle Geltung. Es existiert jedoch kein allgemeingültiger völkerrecht licher Pflichtenkatalog, der alle Staaten in gleicher Form betrifft. Vielmehr sind sämtliche Pflichten für jeden Staat je nach regionaler Eingliederung, wirtschaftlicher Ausrichtung und weiteren Faktoren einzeln zu beurteilen.107 Um eine universell gültige Aussage über den Pflichtenkatalog bei der Pacht fremden Territoriums treffen zu können, werden regionale Völkerrechtsquellen wie z. B. Menschenrechtsverträge nur insoweit einbezogen, wie sie dem Einzelnen Rechte gewährleisten, die ihm auch aufgrund universell geltender Verträge oder aus Völkergewohnheitsrecht zustehen. Stellt ein regional geltender Vertrag im Einzelfall höhere Anforderungen an staatliches Verhalten, wird dies nicht gesondert behandelt.
II. Begrifflichkeiten 1. Herkunftsstaat bzw. Pächterstaat, Empfangsstaat bzw. Verpächterstaat Der Begriff Herkunftsstaat wird u. a. im Recht der diplomatischen Beziehungen sowie im Investitionsschutzrecht für den Staat verwendet, dessen Staatszugehörigkeit ein im Ausland investierendes Unternehmen besitzt und der Begriff Empfangsstaat für den Staat, auf dessen Territorium die Investi-
106 Zahlreiche Untersuchungen haben sich bereits mit der extraterritorialen Anwendbarkeit von Menschenrechtsverträgen beschäftigt, jedoch nicht vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Landnutzung oder -pacht, z. B. Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005; Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007; Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004. 107 Crawford, State Responsibility, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, September 2006, Rn. 2.
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tion getätigt wird.108 Mit diesen Begriffen werden im Folgenden auch zum einen der Staat bezeichnet, dessen Staatszugehörigkeit ein Unternehmen besitzt, welches fremdes Hoheitsgebiet wirtschaftlich nutzt sowie zum anderen der Staat, der das jeweilige Gebiet verpachtet. Tritt ein Staat ohne Zwischenschaltung eines Unternehmens selbst als Pächter auf, ist von dem Pächterstaat die Rede. Der Begriff des Verpächterstaates wird als Überbegriff für den Empfangsstaat sowie für den weiteren Fall verwendet, dass ein fremder Staat selbst als Pächter auftritt und somit nicht mehr von einem „Empfang“ einer privatrechtlichen ausländischen Investition gesprochen werden kann. 2. Extraterritorialität der Pacht Extraterritorial ist ein Sachverhalt, wenn er sich außerhalb des Territo riums eines Staates zuträgt, also entweder auf dem eines anderen Staates oder im staatsfreien Raum, z. B. auf hoher See.109 Unter dem Staatsgebiet versteht man im Völkerrecht das Landgebiet einschließlich des darunter befindlichen Erdreichs, das Wassergebiet, also die Binnengewässer und Küstengebiete sowie die Luftsäule über den Landgebieten.110 Die Untersuchung befasst sich mit der Pacht fremden Hoheitsgebiets. Sowohl das Verhalten in Gestalt des Betriebs des Pachtgebiets bzw. der Ausführung des Pachtvertrags als auch mögliche völkerrechtlich relevante Auswirkungen dieses Verhaltens finden folglich auf fremdem Territorium statt. Neben der Einordnung eines Sachverhalts als extraterritorial verbirgt sich hinter der Extraterritorialität im völkerrechtlichen Sinne eine „räumliche Wirkungserstreckung nationaler Rechtsvorschriften sowie deren exekutiver oder justizieller Vollzug“ auf fremdes Hoheitsgebiet.111 Ein unmittelbar auf fremdem Hoheitsgebiet stattfindendes staatliches Verhalten im Rahmen eines Pachtvertrags stellt also einen (untechnisch gesprochen) extraterritorialen Sachverhalt dar und erweitert im Wege der Extraterritorialität im völker108 Aus dem Englischen: „Home State“ und „Host State“; vgl. Ewelukwa Ofodile, Disciplining Foreign Investment in Land in Africa – Mapping the Role of International Investment Contracts and International Investment Law; Paper prepared for the Law and Development Conference 2013, Kyoto, 30./31. Mai 2013. 109 Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, Dissertation Tübingen 2006, S. 45 f. 110 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 61 Rn. I.1; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 203; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 36. 111 Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994).
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik45
rechtlichen Sinne die grundsätzlich auf sein eigenes Territorium beschränkten Rechte eines souveränen Staates.112 Darüber hinaus kann auch ein nicht unmittelbar extraterritorialer Sach verhalt eine Rechtserweiterung auf fremdes Hoheitsgebiet im Sinne der beschriebenen Extraterritorialität beinhalten. Das ist der Fall, wenn nicht das Verhalten, sondern nur dessen Wirkung auf fremdem Territorium eintritt113 und kann auch in der vorliegenden Untersuchung relevant werden. Die staatliche Beteiligung an der Pacht findet nämlich häufig im Vorfeld der Vertragsausführung statt, z. B. durch die Schaffung investitionsrechtlicher Rahmenbedingungen. Die Ausführung der Pacht wird wiederum häufig einem privaten Unternehmen überlassen. Darin liegt ein gängiges Beispiel für intraterritoriales Verhalten mit extraterritorialen Auswirkungen. Die Unterscheidung zwischen dem Verhalten selbst und seiner Wirkung wird für die Beurteilung staatlicher Verantwortlichkeit für intraterritoriale Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlungen im Vorfeld einer Pacht relevant (s. Teil 2 C.IV.). Zur Klärung des Begriffs der Extraterritorialität im Hinblick auf einen Pachtvertrag genügt es an dieser Stelle zunächst, festzuhalten, dass sich die gepachtete Fläche auf fremdem Hoheitsgebiet befindet. 3. Pachtvertrag als Sammelbegriff verschiedener Nutzungsverhältnisse Die untersuchten Verträge über die Gebietsüberlassung sind typischerweise als Pacht-, Konzessions- oder Kaufverträge ausgestaltet. Neben dem Vertragstyp des lease finden sich also u. a. sog. „concession agreements“114, „sale and purchase agreements“ sowie sog. „sale contracts“.115 Unter der Pacht von Land versteht man im Völkerrecht einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Vertrag zur Übertragung und Ausübung bestimmter funktional begrenzter Rechte auf bestimmte Zeit.116 Während der privatrechtliche Pacht112 Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994). 113 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/ 2014, S. 1303 (1312 ff.). 114 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009; Konzessionsvertrag zwischen Kambodscha und Global Agricultural Development (Cambodia) Co. Ltd. (USA) vom 15. März 2006. 115 Krämer/Massing, Akteure und Organisationen in und um die neue Landnahme, S. 4, in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010. 116 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Aufl. 2014, Kap. 3.1.6, S. 101; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 13; Gal-Or/ Strauss, International Leases as a Legal Instrument of Conflict Resolution: The
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vertrag typischerweise die Vereinbarung über einen Pachtzins als Synallagma beinhaltet, liegen Art und Umfang einer Gegenleistung im Völkerrecht zum Teil weit außerhalb des eigentlichen Vertrags. Die Hintergründe für die Gebietsüberlassung hängen regelmäßig mit den jeweiligen internationalen Beziehungen im Einzelfall zusammen.117 Ein weiterer Unterschied der völkerrechtlichen Pacht zum Privatrecht ist der Aspekt der Übertragung von Hoheitsgewalt: Im Zusammenhang mit den zwischen Staaten geschlossenen historischen leases war hiermit regelmäßig eine Übertragung aller oder bestimmter weitreichender Hoheitsrechte verbunden (s. Teil 1 C.I.2.).118 Die genannten Vertragstypen haben ihren Ursprung im Privatrecht, lediglich der Konzessionsvertrag weist auch außerhalb des Völkerrechts einen öffentlich-rechtlichen Bezug auf. Eine Konzession bezeichnet den zeitlich begrenzten Transfer von Rechten und Territorium von Regierungen auf private Akteure mit dem Ziel der Gewinnerzielung und der wirtschaftlichen Entwicklung.119 Konzessionen eines Staates an Private vermittelten nach herkömmlichem völkerrechtlichen Verständnis allerdings keine gebietsbezogenen Rechte.120 Schließlich kann eine völkerrechtliche Pacht auch ohne jeden Vertrag oder sonstige Niederschrift faktisch durch Überlassung eines Gebietsteils geschlossen werden, wenn Einigkeit über die zeitliche Begrenzung und die übertragenen Rechte besteht.121 Des Weiteren werden nicht weiter spezifizierte Vertragsbezeichnungen wie Land Rent Contractual Agreement122 verwendet. In der Literatur wird für großflächige Verträge mit dem Ziel der landwirtschaftlichen Nutzung häufig der Begriff der Large Scale Land Acquisitions verwendet.123 Im englischen Sprachgebrauch wird unter Pacht sowohl – wie für historische völkerrecht Shab’a Farms as a Prototype for the Resolution of Territorial Conflicts, Touro International Law Review, Vol. 11 2008, S. 97 (110). 117 Vertiefend Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 17 ff. 118 Kirschschläger, „Pacht“, S. 707, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1961; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 207. 119 Hardin, Concessionary Politics in the Western Congo Basin: History and Culture in Forest Use, World Resources Institute – Working Paper Series: Environmental Governance in Africa, November 2002, S. 10 f. 120 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 50 Rn. VI. 121 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 23. 122 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010. 123 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2; Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik47
liche Pachtverträge – der engere Begriff lease als auch der weitere Begriff tenure verwendet. Die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten der FAO zur Regulierung der zuletzt rapide gestiegenen Nachfrage nach Agrarland verwenden diesen weiteren Begriff (Voluntary Guidelines on the Re sponsible Governance of Tenure). Schließlich fallen auch Investitionsverträge oder Memoranda of Understanding in die Untersuchung, die sich ihrerseits in verschiedene Vereinbarungen unterteilen lassen.124 Landpachtverträge werden außerdem häufig im Rahmen übergreifender bilateraler Koopera tionsvereinbarungen geschlossen.125 Soweit nicht im Einzelfall die Besonderheit einer der genannten Vertragstypen in Rede steht, wird im Folgenden der Begriff der Pacht stellvertretend für sämtliche Verträge über die Bewirtschaftung, Nutzung oder Verwaltung fremden Hoheitsgebiets verwandt. Aus der Bezeichnung des Vertragstyps lässt sich nämlich häufig kein qualitativer Unterschied feststellen. Das laotische Recht definiert z. B. die häufig gebrauchten Begriffe lease und concession zum einen als Vorgang zur Übertragung von Befugnissen zur Landnutzung („to have rights to utilize state land“ – lease) und zum anderen als Vorgang zur Geschäftsführung mit dem Recht zur Landnutzung („to operate business with the right to use state land“ – concession).126 Beide der genannten Vorgänge sollen in der Untersuchung gleichermaßen abgedeckt werden. Bei Verträgen in Europa und Lateinamerika werden häufiger Kaufverträge und in Afrika häufiger Pachtverträge geschlossen. Letztere haben allerdings eine Laufzeit von zumeist über 50 Jahren. Die zeitliche Befristung statt der the Southern African Development Community sub-region, S. 144, in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012. 124 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 10; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 7; Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 12, abrufbar unter: https://www. globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 125 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 26; Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 12, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/ campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 126 Lao People’s Democratic Republic, Prime Minister’s Office No. 135/PM, VCC, 25. Mai 2009, Decree on State Land Lease or Concession, Art. 2; darüber hinaus dauert die concession gegenüber dem lease mindestens fünf Jahre; Chandrasekharan Behr/Robins/Russell, How Forests Enhance Resilience to Climate Change: What We Know and Case Studies from Burkina Faso, Honduras and Lao PDR, Januar 2015, Program on Forests (PROFOR), Weltbank.
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dauerhaften Gebietsüberlassung sowie die vereinbarte regelmäßige statt einer einmaligen Zahlungspflicht deuten in der Tat zunächst auf grundlegende Unterschiede hin. Im Hinblick auf die vertraglichen Befugnisse und die sich daran anschließenden Fragen der Verantwortlichkeit sinkt die Bedeutung dieser Unterschiede jedoch erheblich. Sie sind vielmehr abgesehen von den Beendigungsmöglichkeiten rein formaler Natur. Denn die Verwendung des Vertragstyps der Pacht ist z. B. in Afrika lediglich dem Umstand geschuldet, dass dort eingetragene und damit veräußerliche Landrechte oft nur in urbanen Regionen bestehen.127 Die malische Provinzregierung des Office du Niger etwa vergibt sämtliche Landrechte über Pachtverträge. Sie unterscheidet zwischen der Pacht für Anwohner, einschließlich indigener Gruppen („Bail d’Habitat“), dem Erbpachtvertrag über 50 Jahre für die Agrarwirtschaft („Bail Emphyteoptique“) mit Verpflichtungen zur Errichtung von Infrastruktur sowie einer weiteren Pachtvereinbarung über 30 Jahre mit ähnlichen Verpflichtungen („Bail Ordinaire“).128 Ein solcher Erbpachtvertrag lag z. B. der Gebietsüberlassung von 19.143 Hektar Land über 50 Jahre an ein chinesisches Unternehmen für die landwirtschaftliche Nutzung zugrunde.129 Der Begriff der Pacht wird in der vorliegenden Untersuchung also nicht als Ausschlusskriterium gegenüber anderen Vertragstypen verstanden, sondern beschreibt den Großteil der untersuchten Vereinbarungen.130 Die Eingrenzung der untersuchten Verträge erfolgt neben der Vertragsbezeichnung vielmehr auf weiteren Ebenen (s. Einleitung B.I.). Der vorliegend untersuchten extraterritorialen Nutzung von Land muss schließlich zusammenfassend ein Rechtsverhältnis zugrunde liegen, welches einem staatlichen oder privaten Pächter die wirtschaftliche Nutzung von fremdem Hoheitsgebiet unmittelbar ermöglicht. Ein essenzieller Vertragsbestandteil der Landpacht ist zwar die Ziehung der „Früchte“ des Bodens, also die Ernte der Agrarerzeugnisse sowie die Gewinnung von Bodenschätzen. Diese Nutzung des Bodens als solchem muss jedoch nicht notwendig Vertragszweck der untersuchten Landpachtverträge sein. Daneben kommen als Zweck der 127 Aryeetey/Lewis, African Land Grabbing: Whose Interests Are Served?, Brook ings Article, 25. Juni 2010, abrufbar unter: https://www.brookings.edu/articles/africanland-grabbing-whose-interests-are-served/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 128 Republique du Mali, Secretariat General, Decret No. 96-188/P-RM, Portant Organisation de la Gerance des Terres affectees a L’Office du Niger, Art. 19; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 15. 129 Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009, Art. 15: Die Vertragslaufzeit beträgt ebenfalls 50 Jahre. 130 Im Ergebnis Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 5 ff.
B. Untersuchungsgegenstand und Methodik49
Pacht vielmehr eine gewerbliche oder industrielle Nutzung der Fläche sowie die Nutzung des Gebiets als Zugang etwa zu internationalen Gewässern oder des darüber liegenden Luftraums in Betracht. Erfasst werden schließlich keine Aktivitäten, welche sich nur mittelbar auf fremdes Hoheitsgebiet auswirken, wie etwa der Handel mit Wertpapieren aus dem Agrarsektor. Soweit der Betrieb und die Verwaltung einer auf dem Land zu errichtenden Anlage im Vordergrund stehen,131 ist die Einordnung der Vertragsgestalt als Pacht oder Gebietsüberlassung im weiteren Sinne weniger eindeutig. Es kann sich dann z. B. um einen nicht näher klassifizierten Investitionsvertrag handeln. Solche Verträge werden aber unter den zuvor genannten Voraussetzungen mit in die Untersuchung aufgenommen. Nicht untersucht werden Pachtverträge, die keinen Bezug zu völkerrecht lichen Pflichten aufweisen. Die untersuchten Pachtgebiete müssen also zumindest soweit zugänglich sein, dass dort die Ausübung von Hoheitsrechten durch den Pächter gegenüber Individuen möglich ist. Die im Folgenden untersuchte völkerrechtliche Verantwortlichkeit hat den Ausgangspunkt, dass sich ein Individuum auf einem bestimmten Teil staatlichen Hoheitsgebiets der Situation ausgesetzt sieht, dass ein Pächter über dieses Gebiet ein gewisses Maß an Kontrolle ausübt und über seine Rechte und Pflichten bestimmt.
III. Untersuchung ausdrücklicher vertraglicher Befugnisse sowie faktischer Auswirkungen auf völkerrechtliche Rechtspositionen Die Untersuchung der vertraglichen Befugnisse dient der Ausarbeitung eines allgemeinen Maßstabs für die völkerrechtlichen Pflichten der Vertragsparteien aus den zuvor beschriebenen Verträgen. Dafür werden die Voraussetzungen erarbeitet, unter denen ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit ausgelöst wird. Die völkerrechtlich relevanten Konfliktlagen ergeben sich jedoch regelmäßig nicht unmittelbar aus den vertraglichen Regelungen. Daher sind die faktischen Auswirkungen der Verträge besonders zu berücksichtigen. Eine ähnliche Differenzierung wird in menschenrechtsbezogenen Fallstudien vorgenommen, in denen zwischen ausdrücklich vertraglich definierten und lediglich implizierten Konsequenzen eines Vertrages unterschieden wird.132
131 Z. B. Übernahmevertrag über die Errichtung und Verwaltung des Hafens von Gwadar, China Overseas Port Holding Company und Port of Singapore Authority vom 8. Februar 2013. 132 Lomax, Human Rights-based analysis of the agricultural concession agreements between Sime Darby, Golden Veroleum and the Liberian Government, Forest Peoples Program, Dezember 2012, S. 4.
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Im Folgenden wird also ein Zusammenhang zwischen der Vertragsausübung und der jeweiligen völkerrechtlichen Konfliktlage hergestellt. Dieser Zusammenhang ist im Sinne einer adäquat-kausalen Folge zu verstehen:133 Weist ein Sachverhalt einen Bezug zu einer völkerrechtlichen Pflicht auf, weil er eine Gefährdungslage für deren Schutzgut beinhaltet und stellt sich dieser Sachverhalt als lebensnahe Folge der Ausübung der vertraglichen Befugnisse dar, wird ein ausreichender Zusammenhang zwischen der Vertragsausübung und der völkerrechtlichen Konfliktlage angenommen. Um eine Kategorisierung vornehmen zu können, d. h. aus den typischerweise auftretenden Sachverhalten auf völkerrechtliche Pflichten schließen zu können, die an solche Sachverhalte anknüpfen, wird auf empirische Erhebungen zu Konflikten im Rahmen der tatsächlichen Vertragsausübung zurückgegriffen. Dazu dienen u. a. Fallstudien und Berichte verschiedener Organisationen, die solche Auswirkungen untersuchen.134 Aus den völkerrechtlichen Pflichten werden demnach diejenigen heraus gearbeitet, in deren sachlichen Anwendungsbereich die in Teil 1 genannten Befugnisse und deren faktische Auswirkungen fallen. Für den Herkunftsstaat wird im Rahmen des räumlichen Anwendungsbereichs dieser Pflichten untersucht, ob diese auf sein Hoheitsgebiet beschränkt oder darüber hinaus auch extraterritorial einzuhalten sind. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob ein Staat bei der wirtschaftlichen Nutzung fremden sowie eigenen Territoriums an die gleichen Pflichten gebunden ist oder ob er sich diesen durch extraterritoriales Handeln entziehen kann. Auf diese Weise wird ein auf ausgewählte Pflichten begrenzter völkerrechtlicher Pflichtenkatalog für die wirtschaftliche Nutzung fremden Territoriums herausgearbeitet. Dies wird mit der bestehenden Staatenpraxis abgeglichen, soweit eine solche erkennbar ist. Dazu zählen etwa innerstaatliche Vorgaben eines Staates an seine Unternehmen im Zusammenhang mit den untersuchten Verträgen.135 133 Ähnlich Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 174 ff., welche die völkerrechtliche Adäquanztheorie als Einschränkung des Kausalitätskriteriums auf den Zusammenhang zwischen Ursache und Rechtsbeeinträchtigung heranzieht. 134 Arbeitsgemeinschaft Land Matrix Global Observatory, The Online Public Database on Land Deals, abrufbar unter: http://www.landmatrix.org (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021); The Oakland Institute (Think Tank) – Land Rights Issue; GRAIN (NGO): Plattform farmlandgrab.org. 135 Z. B. State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010, (s. Fn. 58), Punkt 2.11: „The principle of national sovereignty: Chinese enterprises shall fully respect the ownership of the host country to its forest resources and strictly observe its laws, regulations and policies when managing and utilizing the forest resources in foreign countries.“; s. dazu noch Teil 1 C.III.1.
Teil 1
Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge Die vertraglichen Gestaltungen sind auch im Hinblick auf die Parteien der untersuchten Verträge über die Pacht von Hoheitsgebiet sehr vielseitig.1 Sie lassen sich jedoch unter bestimmte Kategorien fassen.
I. Vertragsparteien auf Verpächterseite 1. Organschaftliche Beteiligung als Regelfall Als Vertragspartei auf der Seite des Verpächters tritt bei Verträgen über Landflächen in Schwellen- und Entwicklungsländern regelmäßig ein staatliches Organ des Verpächterstaates auf.2 Dies können die Regierung selbst sowie eines oder mehrere der jeweils zuständigen Ministerien und untergeordnete Behörden sein, die entweder für die Regierung oder im eigenen Namen handeln. Föderalistische Strukturen führen hier häufig zu einer Beteiligung verschiedener Verwaltungsebenen. In afrikanischen Ländern folgt die staatliche Beteiligung schon daraus, dass die Landflächen überwiegend in staatlicher Hand liegen (s. Einleitung A.I.3.). Das Landwirtschaftsabkommen zwischen dem Sudan und Syrien aus dem Jahr 2002 etwa – welches bereits konkrete Rechte und Pflichten beinhaltete – wurde von der Regierung des Sudan selbst abgeschlossen.3 Teilweise wird die staatliche Verfügungsbefugnis auch durch halbstaatliche Unterorganisationen ersetzt. In Madagaskar treten z. B. auf Verpächterseite anstelle des Staates in der Regel lokale Land1 Überblick bei Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/ FAO/IFAD, 2009; Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013. 2 So auch Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 16; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 12. 3 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002.
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besitzervereinigungen auf; zuvor wurde der Regierung im Zuge einer Landreform die Verpachtungsbefugnis über besetzte, unregistrierte Gebiete entzogen.4 Nach dem jeweiligen nationalen Recht lässt sich die jeweils zuständige Stelle auf Verpächterseite nicht immer einheitlich bestimmen. Pachtverträge im Office du Niger in Mali werden z. T. durch unterschiedliche Ministerien – etwa das Ministry of Agriculture oder das Ministry of Habitat, Land and Urbanism – oder die Zentralregierung selbst abgeschlossen.5 Eine Vielzahl der Vertragsabschlüsse unterliegt wiederum der (vermeintlichen) Zuständigkeit der Provinzregierung des Office du Niger; die Zentralregierung erhielt in vielen Fällen weder Informationen darüber noch konnte sie auf die Verhandlungen einwirken.6 Im Vorfeld des Vertragsschlusses mit einer Regierung oder einem Ministerium sind häufig weitere Behörden des Verpächterstaates involviert. Am Beispiel Tansanias zeigt sich, dass die Zuständigkeit für Landpachtverträge breit aufgeteilt ist. Nachdem das Tanzania Investment Centre der Finanzierung eines solchen Vertrags zugestimmt hat, sind Genehmigungen des Landwirtschaftsministeriums, des Ministeriums für Landesentwicklung und Siedlungsbau sowie des Umweltministeriums erforderlich.7 Wie einleitend ausgeführt wurde, sollen rein privatrechtliche Vertragsverhältnisse ohne völkerrechtliche Relevanz von der Untersuchung ausgenommen werden (s. Einleitung B.I.). Die Untersuchung schließt allerdings Übernahmeverträge zwischen einem privaten inländischen und einem ausländischen Akteur ein, wenn dem ein vorheriger Pachtvertrag mit Behörden des Verpächterstaates zugrunde liegt oder deren erneute Zustimmung zu diesem Vertrag erforderlich ist. Darüber hinaus muss der ausländische Akteur zumindest unter staatlichem Einfluss stehen. Besitzt ein Unternehmen im Empfangsstaat bereits Pachtrechte und werden dessen Anteile von einem staat 4 Burnod/Gingembre/Ratsialonana, Competition over Authority and Access: International Land Deals in Madagascar, Development and Change, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Vol. 44 Issue 2, März 2013, S. 357 (360); Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 18. 5 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 17; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 1 f. 6 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 18 f. 7 Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 66.
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge53
lichen oder privaten Akteur des Herkunftsstaates gekauft, werden auf diesem Wege die Pachtrechte an ihn übertragen. Ein Beispiel dafür ist der Übernahmevertrag über den Hafen von Gwadar zwischen einem chinesischen Staatsunternehmen mit der pakistanischen Provinz Baluchistan und dem Vorgänger, einem singapurischen Unternehmen.8 Daneben kommen weitere Vertragsgestaltungen in Betracht, aufgrund derer ein ausländischer Akteur zur Fortführung einer Pacht berechtigt ist. Darin wird der Übergang der Befugnisse aus vorangegangenen Vereinbarungen gesichert, ohne in einem neuen Vertrag oder dem Übernahmevertrag explizit geregelt zu werden. Zur vollständigen Beurteilung der vertraglichen Befugnisse sind dann die jeweiligen Rahmenverträge oder Investitionsschutzabkommen heranzuziehen. Eine Weitergabe sowohl der Vermögensgegenstände (assets) als auch der Unternehmensbeteiligungen (shares) lag z. B. dem Übernahmevertrag zwischen einem peruanischen und einem chinesischen Staatsunternehmen über den Betrieb der Marcona-Mine zugrunde, einer Eisenerzmine auf einem Gelände von etwa 150 km2.9 2. Vertragsfortführung im Fall der Staatennachfolge Angesichts der häufig langen Vertragsdauer der in jüngster Zeit geschlossenen Pachtverträge stellt sich die Frage nach ihrer Fortgeltung im Falle der Staatennachfolge oder Staatensukzession. Darunter wird der Wechsel der völkerrechtlichen Zuordnung eines Gebiets verstanden.10 Der Verpächterstaat hört danach auf zu existieren oder geht in einem neuen Staat auf und das verpachtete Gebiet kann nicht mehr dem ursprünglichen Staat im völkerrechtlichen Sinne zugeordnet werden. Ginge damit automatisch eine Vertragsauflösung einher, wäre die Vereinbarung einer möglichst langfristigen Vertragslaufzeit in solchen Fällen obsolet. Das Völkervertragsrecht hält hierfür keine allgemeingültige Antwort bereit. Die Staatennachfolge in Verträge wurde von der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) ausgespart und ist in der Konvention über die Staaten8 Übernahmevertrag über die Errichtung und Verwaltung des Hafens von Gwadar, China Overseas Port Holding Company und Port of Singapore Authority vom 8. Februar 2013. Das Federal Cabinet von Pakistan stimmte dem Transfer bei seinem Treffen vom 30. Januar 2013 zu, vgl. Ghumman, Transfer of Gwadar Port to Chinese co: Alteration in concession agreement, SROs allowed, Business Recorder, 2. Februar 2013, abrufbar unter: https://www.brecorder.com/2013/02/02/104212/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 9 Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992. 10 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 16 Rn. I.1; hierzu Kau, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 188.
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nachfolge in Verträge (WKSV) von 1978 geregelt.11 Diese wurde jedoch bislang erst von wenigen Staaten ratifiziert.12 Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich gem. Art. 6 WKSV auf Staatensukzessionen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und den Prinzipien der UN-Charta. Ferner ist die Konvention nur auf zwischenstaatliche Verträge anwendbar. Nach Art. 12 Nr. 1 lit. a und b WKSV13 berührt eine Staatennachfolge nicht die vertraglich übertragenen Rechte und Pflichten über die Nutzung von Territorium des fremden Staates. Darunter fasst man an ein Gebiet gebundene Verträge wie Grenzverträge, Servituten oder Verträge über die Nutzung von Grenzgewässern. Hierfür gilt das Kontinuitätsprinzip. Ein Entgegenhalten des Pachtvertrages gegenüber dem staatlichen Gebietsnachfolger auf Grundlage dieser Vorschrift setzte jedoch einen territorialen Bezug des Pachtvertrags zum Gebiet des Pächterstaates voraus. Dieser Umstand findet bei den untersuchten Pachtverträgen keinen praktischen Anwendungsbereich.
II. Vertragsparteien auf Pächterseite 1. Privatrechtliche Unternehmen auf Pächterseite als Regelfall Auf Seiten des Pächters treten demgegenüber häufiger private und seltener staatliche Akteure auf.14 Ein Beispiel einer vollständig öffentlich zugäng lichen Vereinbarung mit einer Regierung auf Pächterseite ist das bereits erwähnte Abkommen zwischen Syrien und dem Sudan.15 In den häufigsten Fällen ist der Pächter allerdings ein privatwirtschaftlich organisierter Akteur mit rein oder überwiegend nichtstaatlicher Beteiligung. Es ist jedoch auf Pächterseite die signifikante Anzahl privater Akteure unter staatlichem Einfluss hervorzuheben, insbesondere Staatsunternehmen und Staatsfonds. Da 11 Vienna Convention on succession of States in respect of treaties, U.N.T.S. Vol. 1946, S. 3. 12 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 336. 13 Art. 12 Nr. 1 lit. a und b WKSV: „A succession of States does not as such affect: (a) obligations relating to the use of any territory, or to restrictions upon its use, established by a treaty for the benefit of any territory of a foreign State and considered as attaching to the territories in question. (b) rights relating to the use of any territory, or to restrictions upon its use, established by a treaty for the benefit of any territory of a foreign State and considered as attaching to the territories in question.“ 14 Überblick bei Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (508 f.); Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 16. 15 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002.
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge55
rüber hinaus existiert eine unüberschaubare Zahl staatlicher Beteiligungs formen an Pachtverhältnissen, die das Vorfeld des Vertragsschlusses selbst betrifft und damit bei der Charakterisierung der Vertragsparteien ausgespart werden kann. Verträge zwischen Unternehmen und Staaten über die Durchführung bestimmter Investitionen, sog. State Contracts, bilden entweder den vertraglichen Überbau für eine konkrete Pacht oder beinhalten deren Durchführung unmittelbar. Als Beispiele für Investitionen von Staatsunternehmen ist etwa die großflächige Pacht kanadischer Ölsandfelder durch das chinesische Staatsunternehmen CNOOC zu nennen.16 Daneben tritt auf Pächterseite häufig ein Unternehmen mit dem Sitz und in der Rechtsform des jeweiligen Verpächterstaates auf, welches jedoch ein Tochterunternehmen eines ausländischen Staatsunternehmens ist. Dies ist der Fall bei der Pacht einer Fläche von 25.000 Hektar für 40 Jahre durch das chinesische Unternehmen Hunan Dafengyuan in Äthiopien.17 Dieses ist zusammengesetzt aus einem Staatsunternehmen und einem Tochterunternehmen eines von der Provinzregierung Hunan geführten nationalen chinesischen Konglomerats.18 Die staatliche Beteiligung an den Pächterunternehmen – und damit die Frage der möglichen völkerrechtlichen Relevanz eines Pachtvertrags – ist angesichts mehrstufiger Zwischenbeteiligungen häufig nicht eindeutig zu bejahen. So sind die größten Anteilseigner eines in Liberia eine Fläche von ca. 312.000 Hektar pachtenden Mischkonzerns der malaysische Staat und der gesetzliche Pensionsfonds. Das Pächterunternehmen Sime Darby Plantation Liberia Inc. gehört zu einem Konzern (Sime Darby Berhad Corp.), an dem seinerseits das Tochterunternehmen eines malaysischen Staatsunternehmens beteiligt ist; mehrheitlicher Anteilseigner des Konzerns ist jedoch der ma laysische Staatsfond Permodalan Nasional Berhad.19 Auch der Betrieb der 16 Rocha, CNOOC closes $15.1 billion acquisition of Canada’s Nexen, Reuters, 25. Februar 2013, abrufbar unter: https://www.reuters.com/article/us-nexen-cnoocidusbre91o1a420130225 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 17 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 1.1. und 2.1. 18 Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD, benannt nach dem „Vater von Chinas Hybrid-Reis“, besteht aus zwei Unternehmen der chinesischen Provinz Hunan, Longping High-Tech und der Ershisanye Construction Group sowie China Minmetals, das seit 2001 von der Provinzregierung Hunan geführt wird, vgl. Bräutigam/Tang, An Overview of Chinese Agricultural and Rural Engagement in Ethiopia, IFPRI Discussion Paper 01185, Mai 2012, S. 1. 19 Sime Darby Plantation Liberia Inc. gehört zur Gruppe Sime Darby Berhad Corp., diese wird mehrheitlich gehalten von dem vollständig staatseigenen malaysischen Unternehmen AmanahRaya Trustees Berhad, vgl. Amanahraya Company Profile, abrufbar unter: https://www.amanahraya.my/profile/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019), sowie Permodalan Nasional Bhd (PNB) und der Citibank Malaysia,
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Marcona-Mine in Peru erfolgt durch ein ausschließlich in Peru tätiges chinesisches Staatsunternehmen, an welchem ein weiteres chinesisches Staatsunternehmen seinerseits die Anteile hält.20 Alternativ dazu werden Verträge zwischen zwei Regierungen bzw. einer Regierung und einem Staatsunternehmen geschlossen, aber durch ein privates Unternehmen ausgeführt. Diese Möglichkeit ist etwa in dem Abkommen zwischen Syrien und dem Sudan vorgesehen.21 Auch im Vertrag zwischen Mali und Libyen wird die Ausführung dem staatseigenen libyschen Unternehmen Malibya übertragen.22 Bei einer weiteren möglichen Gestaltungsform überträgt der Verpächter das Gebiet an einen Dritten, der nicht selbst Vertragspartei ist. Zwischen den Regierungen wird hierzu etwa ein Joint Venture gebildet. Laut einem Konzessionsvertrag zwischen China und Mali wird der Vertrag von einem Unternehmen ausgeführt, das aus Anteilen beider Staaten zusammengesetzt ist. An dem Unternehmen N-Sukala hält die Regierung Mali 40 % und CLETC 60 %.23 CLETC wiederum ist ein vollständig staatseigenes chinesisches Unternehmen.24 Sime Darby’s major shareholder, state-owned fund manager, Permodalan Nasional Bhd. (PNB), vgl. Sime Darby Plantation Fact Sheet, März 2014, abrufbar unter: http://www.simedarby.com/upload/Sime_Darby_in_Liberia.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019), Satish, TEXT-S&P rates Sime Darby Bhd. ‚A‘ & ‚axAAA‘; outlook stable, Reuters, 11. Januar 2013, abrufbar unter: http://www.reuters.com/article/id USWLA757820130111 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 20 Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992; Hierro Peru ist laut „Antecedentes“, Punkt 1, ein staatliches Unternehmen und laut Punkt 2 in 4.944.483 Aktien aufgeteilt, welche sämtlich MINERO PERU gehörten. Nach einer Privatisierung gem. Punkt 4 wurde nach einer internationalen öffentlichen Ausschreibung (Punkt 5) der China Shougang International Trade & Engineering Corporation der Zuschlag erteilt (Punkt 6). Dabei handelt es sich um ein chinesisches Staatsunternehmen, zugelassen im Juni 1992; vgl. China Shougang International Trade & Engineering Corporation, Company Infor mation, abrufbar unter: http://www.zs.com.cn/en/index.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 21 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 14. 22 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 3; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 19; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 26 ff. 23 Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009, Art. 5.3. 24 China Light Industry Corp. for Foreign Economic & Technical Cooperation, Company Information: „[…] a wholly state-owned backbone enterprise for foreign economic and trade co-operation established with the approval of the State Council and a central enterprise under the direct supervision of the State-owned Assets Supervision and Administration Commission of the State Council.“, abrufbar unter: http:// www.cccme.org.cn/shop/cccme0796/index.aspx (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge57
Während auf der Seite des Pächters selbst also in der Regel ein privates Unternehmen auftritt, kommt dessen Herkunftsstaat häufig eine Rolle bei der Bereitstellung der Rahmenbedingungen zu. Darunter fallen Investitionsschutzverträge, Vereinbarungen im Vorfeld des Vertragsabschlusses oder In strumente der Außenwirtschaftsförderung sowie weitere Finanzierungsinstrumente. Saudi-Arabien stellte z. B. einheimischen Unternehmen im Rahmen der „King Abdullah Initiative for Saudi agricultural investment abroad“ Milliardenkredite für Agrarinvestitionen im Ausland mit dem Ziel bereit, den inländischen Wasserverbrauch zu senken.25 Daraus gingen Pachtverträge im Sudan durch die Hail Agricultural Development Corporation sowie in Mali, Senegal, Sudan und Uganda durch das Unternehmen Foras hervor.26 Auch an diese Form der Beteiligung kann sich eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Verletzung von Schutzpflichten anschließen (s. Teil 2 C.IV.). 2. Staatszugehörigkeit privater Pächterunternehmen Bei den privatwirtschaftlich organisierten Pächtern handelt es sich in der Regel um sog. multinationale oder transnationale Unternehmen, d. h. „private oder öffentliche Unternehmen, die Einrichtungen außerhalb des Staates, in dem sie ihren Sitz haben, besitzen oder kontrollieren“.27 Der Pachtbetrieb kann demzufolge durch abhängige Unternehmensniederlassungen oder durch nach dem Recht des Empfangsstaates gegründete rechtlich eigenständige Tochterunternehmen erfolgen.28 Da die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der beteiligten Staaten untersucht wird, ist die Staatszugehörigkeit der privaten Akteure als juristische Personen zu ihrem Herkunftsstaat zu ermitteln. Zu beachten ist dabei, dass die Staatszugehörigkeit aus völkerrechtlicher Sicht in erster Linie für die Bestimmung diplomatischen Schutzes entwickelt worden
25 Mit einer Fördersumme von 5 Mrd. USD; vgl. De Schutter, The Green Rush: The Global Race for Farmland and the Rights of Land Users, Harvard International Law Journal, Vol. 52 Nr. 2 2011, S. 503 (515); Vidal, Billionaires and Mega-Corporations Behind Immense Land Deal in Africa, Alternet/Mail & Guardian, 9. März 2010, abrufbar unter: http://www.alternet.org/story/145970/billionaires_and_megacorporations_behind_immense_land_grab_in_africa (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 26 De Schutter, The Green Rush: The Global Race for Farmland and the Rights of Land Users, Harvard International Law Journal, Vol. 52 Nr. 2 2011, S. 503 (515); Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 32. 27 Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Abschn. Rn. 53; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 9 Rn. 16. 28 Z. B. Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992.
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ist29 und an die Bestimmung staatlicher Verantwortlichkeit für das einem Staat zugehörige Unternehmen andere Maßstäbe anzulegen sind. Die Staatszugehörigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach nationalem Recht, allerdings innerhalb völkerrechtlicher Grenzen.30 Dafür werden hauptsächlich zwei Theorien herangezogen, die der IGH in Barcelona-Traction für die Berechtigung diplomatischen Schutzes anerkannt hat.31 Das ist im kontinentaleuropäischen Raum vorwiegend die Sitz- und im angelsächsischen Raum vorwiegend die Gründungstheorie.32 Die Sitztheorie stellt auf den tatsächlichen Geschäfts- oder Verwaltungssitz ab.33 Das ist „der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.“34 Die Gründungstheorie beurteilt die Staatszugehörigkeit nach der Rechtsordnung, nach welcher die juristische Person gegründet wurde; beide Theorien werden in der Staatenpraxis gleichermaßen vertreten und sind völkerrechtlich anerkannt.35 Nur subsidiäre Anwendung findet die Kontrolltheorie, welche die Staatszugehörigkeit einer juristischen Person an die wirtschaftliche Kontrolle des Unternehmens in Gestalt der Anteilseigner knüpft.36 Gelangen Sitz- und Gründungstheorie zu unterschiedlichen Ergeb29 Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten – Eine Bestandsaufnahme aus juristischer Perspektive, Dissertation Göttingen 2009, S. 23. 30 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (890); De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 30. 31 The Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Judgement, I.C.J. Reports 1970, S. 3, § 42; vgl. Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (168). 32 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (890); De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 33; Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, Dissertation Göttingen 2009, S. 24 f. 33 BGH NJW 1986, 2194 (2195); von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 9 A III 2, Rn. 597. 34 BGH NJW 1986, 2194 (2195); von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 9 A III 2, Rn. 597. 35 von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 9 A III 2, Rn. 597; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, § 449. 36 von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 9 A III 2, Rn. 598; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrecht
A. Die Vertragsparteien der Landpachtverträge59
nissen, ist auf die einzelfallbezogene effektive Staatszugehörigkeit abzustellen.37 Für die Staatszugehörigkeit sowohl nach der Sitz- als auch nach der Gründungstheorie ist zu unterscheiden, ob das Unternehmen, welches den Pachtvertrag tatsächlich durchführt, eine Niederlassung des Unternehmens des Herkunftsstaates im Empfangsstaat oder ein juristisch eigenständiges Tochterunternehmen ist. Im ersten Fall liegt die Staatszugehörigkeit unproblematisch beim Herkunftsstaat.38 Im zweiten Fall könnte eine Staatszugehörigkeit zum Herkunftsstaat lediglich nach den Maßstäben der Sitztheorie begründet werden. Voraussetzung dafür ist, dass die grundlegenden Unternehmensentscheidungen bei dem Mutterunternehmen getroffen werden und damit der Geschäfts- und Verwaltungssitz im Herkunftsstaat liegt. Dann könnte die effektive Staatszugehörigkeit den Konflikt zwischen Sitz- und Gründungstheorie auflösen. Liegt jedoch weder der Geschäfts- noch der Verwaltungssitz im Herkunftsstaat, lässt sich die Staatszugehörigkeit zum Herkunftsstaat auch nicht nach der Sitztheorie begründen. Dies gilt selbst dann, wenn das im Empfangsstaat gegründete Unternehmen mehrheitlich von Anteilseignern des Herkunftsstaates gehalten wird. Dadurch würde bereits die Zurechnung zum (nur vermeintlichen) Herkunftsstaat und zugleich eine Voraussetzung für dessen etwaige völkerrechtliche Verantwortlichkeit erschwert. Die Problematik der Staatszugehörigkeit lässt sich am Beispiel einer schweizerischen Unternehmenstochter verdeutlichen, die eine Fläche von 30.000 Hektar in Sierra Leone pachtet. Als Vertragspartei und durchführendes Unternehmen tritt Addax Bioenergy Sierra Leone Limited auf, ein nach dem Recht Sierra Leones gegründetes Unternehmen mit Firmensitz in Freetown, Sierra Leone.39 Das Genfer Mutterunternehmen Addax Bioenergy40 licher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (893); der IGH wies im Barcelona-TractionFall die Bestimmung der Staatszugehörigkeit nach der Nationalität der Anteilseigner ab: The Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Judgement, I.C.J. Reports 1970, S. 3, § 39 ff. und 58; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 31 f. 37 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 105; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 241; Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (169 f.). 38 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 35. 39 Memorandum of Understanding/Abkommen Sierra Leone und Addax Bioenergy Sierra Leone Limited, Addax & Oryx Holdings BV vom 9. Februar 2010. 40 AOG Group, Company Information, abrufbar unter: http://www.aoginvest. com/en/group/history (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019); Puntas Bernet/Hug, Der Deal seines Lebens – Schweizer kassiert beim Verkauf seiner Ölfirma Addax Petroleum über zwei Milliarden Franken, Neue Zürcher Zeitung, 28. Juni 2009, abrufbar
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tritt weder beim Vertragsabschluss noch im weiteren Verlauf nach außen in Erscheinung. Lässt sich unter Anwendung der Maßstäbe der Sitztheorie nicht nachweisen, dass grundlegende Unternehmensentscheidungen am Sitz des Genfer Mutterunternehmens getroffen werden, wird die Prüfung einer mög lichen Verantwortlichkeit der Schweiz bereits an dieser Stelle unterbunden. Gelingt dieser Nachweis jedoch, kann auch das nach dem Recht des Empfangsstaates gegründete Unternehmen als ein solches des Herkunftsstaates betrachtet werden. In dem Kontext der Staatszugehörigkeit von Unternehmen wird häufig das Schlagwort des „lifting the corporate veil“ verwendet.41 Dahinter verbirgt sich die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten einer Gesellschaft. Diese Durchgriffshaftung besitzt für die Frage der Staatenverantwortlichkeit nur dann Relevanz, wenn es sich bei den jeweiligen Gesellschaftern um Staatsorgane handelt, die im Wege der Anteilsmehrheit die konkrete Unternehmensoperation leiten und kontrollieren (s. Teil 2 A.I.4.).
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge: Die vertraglichen Pflichten und Befugnisse I. Gegenseitige Vertragspflichten und Vertragslaufzeiten Die folgende Darstellung des inhaltlichen Regelungsbereichs der untersuchten Landpachtverträge beschreibt zunächst nur den Untersuchungsgegenstand, ohne die Ergebnisse zu bewerten. Insbesondere die Frage, inwieweit die aufgeführten Vertragsverhältnisse Befugnisse hoheitlicher Art übertragen oder mit einer Rücknahme solcher durch den Verpächter einhergehen, wird hierauf aufbauend in Teil 2 C. untersucht. 1. Gegenseitigkeit der vertraglichen Pflichten Das Recht zur Gebietsnutzung wird in den untersuchten Pachtverträgen regelmäßig entweder abstrakt und ohne Einschränkungen übertragen oder bereits konkret umrissen. Der erste Fall wird durch die russische Pacht des Weltraumbahnhofs Baikonur veranschaulicht: „The Republic of Kazakhstan unter: http://www.nzz.ch/der-deal-seines-lebens-1.2835814 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 41 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 32; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (895).
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge61
leaves the right to use the land […] with the Russian Federation.“42 Welche Befugnisse von dem Recht zur Landnutzung genau umfasst sind, ergibt sich entweder aus den weiteren vertraglichen Bestimmungen oder der Natur des überlassenen Gebietes selbst. Verträge über die landwirtschaftliche Nutzung von Land und die Verarbeitung von Agrarerzeugnissen räumen häufig umfassende, nur verhalten konkretisierte Rechte ein. Dort heißt es z. B. „to develop […] and administer the leased land“43 oder „to manage and develop [the land]“44 bzw. „develop and utilize the area and conduct investor activities“.45 Das Pachtgebiet selbst wird durch die Beschreibung der Grenzlinien oder durch Koordinaten festgelegt. Bezieht sich der Vertrag auf eine bereits bestehende Anlage, kann das Pachtgebiet auch dadurch beschrieben werden (z. B. „the land on which the Baikonur facility is located […] to the Russion Federation“)46. Der Übertragung von Befugnissen zur Gebietsnutzung steht üblicherweise eine Kompensation in Gestalt eines Pachtzinses oder einer Gegenleistung in anderer Form gegenüber. Vereinbarungen über Zahlungsmodalitäten bergen vor dem Hintergrund der langen Vertragslaufzeiten durchaus Konfliktpotenzial. Je nach Entwicklung von Wechselkursen sowie Inflationsraten kann ein nicht angepasster Pachtzins nach mehreren Jahrzehnten unter Umständen nur noch symbolischer Art sein.47 Die Zahlung des Pachtzinses wird daher als starre, als linear oder dynamisch ansteigende oder als nach festgelegten Parametern neu verhandelte Rate vereinbart.48 Verhandlungspunkte sind u. a. die Wertentwicklung des Pachtgebietes oder Wechselkursschwankungen. Auch die Währung, in welcher der Betrag zu zahlen ist, und die Währung, 42 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 2 Satz 2; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff. 43 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.1. 44 Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Benishangul, Art. 5.1 lit. a. 45 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.1, S. 11. 46 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 2 Satz 2; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff. 47 Z. B. Guantánamo Bay (4.085 US-Dollar jährlich); de Zayas, Guantánamo Naval Base, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2016, Rn. 3; Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 11; Strauss, Guantánamo Bay and the Evolution of International Leases and Servitudes, New York City Law Revue Vol. 10 2006–2007, S. 479 (506). 48 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 158 ff.
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nach welcher die Höhe des Betrags zu bestimmen ist, sind festzulegen. Bei der Panamakanalzone wurde die Währung des Pächterstaates festgesetzt, wobei in den englisch- und spanischsprachigen Vertragsfassungen nicht einheitlich geregelt war, ob sich der Wert des Pachtzinses in US-Dollar oder in Pesos bestimmt.49 Statt eines Pachtzinses räumte Mali dem Pächter Libyen etwa das Recht ein, über einen Zeitraum von 50 Jahren kostenlos auf 100.000 Hektar Land Reis anzubauen („gratuité de la terre“).50 Russland vereinbarte mit Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion statt eines Pachtzinses als Gegenleistung teilweise einen Schuldenschnitt.51 In einer Fallstudie wurden Zahlungen von nur zwei USD pro Hektar bei einer Pacht äthiopischen, fünf USD bei einer Pacht liberianischen und etwa 14 USD bei einer Pacht kamerunischen Territoriums ermittelt.52 Aus welcher Motivation heraus einem anderen Staat also ein Teil des Hoheitsgebiets – auch vermeintlich kostenlos oder gegen einen rein symbolischen Pachtzins – überlassen wird, erschließt sich regelmäßig erst nach einer Untersuchung der gesamten mitunter komplexen Gemengelage aus den jeweiligen internationalen Beziehungen.53 2. Vertragslaufzeiten Typischerweise wurden die territorial leases um das 19. Jahrhundert herum über einen Zeitraum von 99 Jahren geschlossen.54 Dieser lange, hinsichtlich der wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Entwicklung der Vertragsstaaten völlig unübersehbare und willkürliche anmutende Zeitraum verdeutlicht die vorherrschende Motivation der Vertragsparteien: Der 49 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 158 ff.; allerdings nur in der englischen Fassung, während die spanische Fassung den Pachtzins in Pesos nannte, welcher aber in US-Dollar zahlbar sei. 50 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 17. 51 Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 15. 52 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 24; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 11. 53 S. vertiefend Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 17 ff. 54 Z. B. Hongkong: Convention for the Extension of Hongkong, Peking vom 9. Juni 1898 (New Territories), United Kingdom Treaty Series 1898, No. 16 und Kiautschou Bay: Allerhöchster Erlaß, betreffend die Erklärung Kiautschous zum Schutzgebiet, Reichs-Gesetzblatt S. 171, 27. April 1898, abgedruckt in: Chickering/Chase Gummer/Rotramel, Das Wilhelminische Kaiserreich und der Erste Weltkrieg, 1890– 1918 – Ein „ungleicher Vertrag“: Pachtvertrag zwischen China und dem Deutschen Reich, DGDB 2012.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge63
Pachtvertrag diente als Aliud für eine Sezession, indem die Abspaltung zwar nicht endgültig vollzogen wurde, auf damit einhergehende Rechte jedoch nicht verzichtet werden sollte. Die untersuchten Pachtverträge neuerer Zeit werden ebenfalls regelmäßig über einen Zeitraum zwischen 25 und 99 Jahren geschlossen. Der Pachtvertrag zwischen der äthiopischen Provinz Benishangul und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD läuft über 40 Jahre,55 derjenige zwischen Liberia und dem malaysischen Mischkonzern Sime Darby über 63 Jahre56 sowie der ursprünglich geplante Vertrag zwischen dem südkoreanischen Staatsunternehmen Daewoo und der Regierung von Madagaskar über 99 Jahre.57 Kambodscha verpachtete einem kambodschanischen Tochterunterunternehmen eines US-amerikanischen Konzerns eine Fläche zum Anbau von Teakbaum-Plantagen über 70 Jahre58 und Osttimor beabsichtigte die Verpachtung an ein indonesisches Unternehmen über 50 Jahre.59 Auch der Investitionsvertrag zwischen Mali und Libyen ermächtigte Libyen zur Pacht über einen Zeitraum von 50 Jahren.60 Pachtverträge zum Zweck der landwirtschaftlichen Nutzung mit einer langjährigen, zumeist verlängerbaren Vertragslaufzeit wurden außerdem häufig durch Äthiopien (in der Regel zehn-, 30- oder 50-jährige Laufzeit), Ghana, Mosambik (regelmäßig 50-jährige Laufzeit) und Tansania (bis zu 99-jähriger Laufzeit) geschlossen.61 55 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 1.1. und 2.1. 56 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, S. 1; bereits am 9. Juli 1954 schloss Liberia einen Konzessionsvertrag mit der B. F. Goodrich Company über 600.000 Morgen (entspricht 150.000 Hektar) Land als Agrarnutzfläche. Der Vertrag wurde mehrfach abgeändert und der Vertragspartner von Kumpulan Guthrie Berhad (United Kingdom) übernommen. Schließlich übernahm Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. sämtliche Anteile und schloss mit Liberia einen Vertrag, wonach dem Investor 220.000 Hektar Land für den Anbau von Palmöl und Kautschukbäumen und der Herstellung Produkte daraus bereitgestellt werden. 57 Krämer, Staaten im Visier der „Landgrabber“, S. 6 und Bassey, Neokoloniale Manöver, S. 14, in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010; Schwab, Daewoo kauft Madagaskar auf – Internationale Konzerne sichern sich Ackerflächen in Afrika – die UN geißeln den Neokolonialismus, Frankfurter Rundschau, 4. Februar 2009, abrufbar unter: http://www.fr.de/wirtschaft/neokolonialismus-daewoo-kauft-madagaskar-auf-a-1133 842 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 58 Konzessionsvertrag zwischen Kambodscha und Global Agricultural Development (Cambodia) Co. Ltd. (USA) vom 15. März 2006. 59 Memorandum of Understanding Osttimor und GTLESTE BIOTECH vom 15. Januar 2008, Punkt G. 60 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 6. 61 Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 77.
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Kürzere Laufzeiten weisen darauf hin, dass auf Seiten des Verpächterstaates versucht wird, auf Änderungen der zwischenstaatlichen Beziehung flexibler reagieren zu können. Dies veranschaulichen die Vereinbarungen Russlands mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.62 Die Radarstation Qəbələ (Gabala) in Aserbaidschan sollte lediglich für zehn Jahre betrieben werden und das Hafengebiet für die russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim verpachtete die Ukraine für 20 Jahre.63 Das geänderte Abkommen über die Weltraumstation Baikonur vom 9. Januar 2004 enthielt wiederum eine Verlängerung der Pacht durch Kasachstan bis 2050.64 Die Rechte des Vorgängerunternehmens zur Fortführung der Errichtung und des Betriebs des Tiefseehafens Gwadar in Pakistan wurden dem chinesischen Staatsunternehmen COPHC für 35 Jahre übertragen.65 Demgegenüber ermächtigte Sri Lanka China über 99 Jahre zur Errichtung und zum Betrieb eines Tiefseehafens in Colombo.66 Die Verträge enden entweder nach Zeitablauf ohne das weitere Zutun der Vertragsparteien oder durch das Eingreifen eines vorzeitigen Kündigungsrechts. Dieses richtet sich entweder nach dem Vertrag selbst oder – soweit anwendbar – völkervertragsrechtlichen Normen wie der Wiener Vertragsrechtskonvention.67 Häufig wird die Möglichkeit einer Vertragsverlängerung nach weiteren Verhandlungen der Parteien vertraglich berücksichtigt.68 Im Falle Guantánamo Bays können die USA die Pacht sogar nach selbst beein62 Zur Vertiefung s. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 152 f. m. w. N. 63 Höppner, Marine-Experte: Krim ist Russlands „Sprungbrett ins Mittelmeer“, Interview mit Klaus Mommsen, Deutsche Welle, 27. Februar 2014, abrufbar unter: http://www.dw.com/de/marine-experte-krim-ist-russlands-sprungbrett-ins-mittelmeer/ a-17463353 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 64 Kooperations- und Durchführungsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 9. Januar 2004, Art. 6; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff. 65 Vgl. zu den Vereinbarungen zwischen der Gwadar Port Authority und CHC, einer Tochter des singapurischen Unternehmens PSA: Zaheer, Development and Operations of the Port of Gwadar, IFSMA, 24./25. Mai 2007, abrufbar unter: http://www. ifsma.org/tempannounce/aga33/Gwadar.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 66 Hein, Wahl in Sri Lanka bekommt weltpolitische Bedeutung – Die Ferieninsel ist Chinas Vorposten in Sichtweite zur indischen Küste, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Januar 2015, S. 16. 67 Zur Vertiefung s. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 166 m. w. N. 68 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 10; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 23.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge65
flussbaren Maßstäben verlängern, indem sie den Begriff des Marinestützpunktes weit auslegen („[…] leases to the United States, for the time required for the purposes of coaling and naval stations, […]“).69 Die Gebiete Hongkong, die Panamakanalzone und Macau wurden schließlich auf Grundlage der Doktrin über ungleiche Verträge („unequal treaties“) an die jeweiligen Verpächterstaaten zurückgegeben.70
II. Bodennutzung zum Anbau von Agrarerzeugnissen Eine Vielzahl der in jüngster Zeit geschlossenen Verträge über die Pacht fremden Hoheitsgebiets haben eine landwirtschaftliche Nutzung zum Gegenstand, d. h. den Anbau von Agrarerzeugnissen. Die Verträge enthalten regelmäßig Vereinbarungen darüber, welche Art von Landwirtschaft und gegebenenfalls welches Verarbeitungsgewerbe für welche Zeit auf der Fläche betrieben werden soll. Eine sehr häufige Form der Agrarnutzung ist der Anbau von Pflanzen zur Energieerzeugung und Herstellung von Biokraftstoff wie Ölpalmen, Soja, Jatropha und Zuckerrohr („energy crops“). Daneben finden sich viele Vereinbarungen über den Anbau verschiedener Getreidearten und Kautschuk.71 Zur Veranschaulichung seien einige Beispiele genannt, die typische Vertragsparteien, -inhalte und -zeiträume hervorheben. Die äthiopische Provinz Benishangul hat einen Großteil ihrer Fläche an ausländische Unternehmen verpachtet. Das chinesische Unternehmen Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD ist dort vertraglich zum Anbau von Zuckerrohr und zur Herstellung von Zucker auf einer Fläche von 25.000 Hektar für 40 Jahre ermächtigt worden.72 Für wiederkehrende Landpachtverträge („lease agreements“) bis 5.000 Hektar verwendet die Provinzregierung von Benishangul eine einheitliche Vertragsvorlage, welche die grundsätzlichen Rechte und Pflichten veranschaulicht.73 Die potenzielle flächenmäßige Ausdehnung zeigt das Beispiel Liberias, dessen gesamte erschlossene landwirtschaftliche Nutzfläche fremd 69 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, Art. 1, abrufbar unter: http:// avalon.law.yale.edu/20th_century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 165. 70 de Zayas, Guantánamo Naval Base, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2016, Rn. 16; Peters, Treaties, Unequal, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, April 2007, Rn. 1 ff. 71 Langbein, Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland, 2015, S. 91 ff. 72 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 1.1. und 2.1. 73 Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Benishangul.
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bewirtschaftet wird.74 Liberia verpachtete einem malaysischen Mischkonzern zum Anbau von Palmöl und Kautschuk sowie zur Herstellung entsprechender Produkte für 63 Jahre eine Fläche von 220.000 Hektar.75 Eingangs wurde bereits der letztlich stornierte Pachtvertrag zwischen dem südkoreanischen Staatsunternehmen Daewoo und der Regierung von Madagaskar über 1,3 mio. Hektar zum Anbau von Mais und Palmöl für den Export nach Südkorea genannt.76 Diese Pachtfläche entspricht etwa der Hälfte der Nutzfläche der Insel. Für den Anbau von Kautschuk werden zu großen Teilen Pachtflächen in Kambodscha und Laos genutzt.77 Das private vietnamesische Unternehmen Hoang Anh Gia Lai hat Anbaugebiete von insgesamt 47.370 Hektar in Kambodscha und 26.549 Hektar in Laos gepachtet78 und das vietnamesische Staatsunternehmen Vietnam Rubber Group insgesamt 132.992 Hektar in Kambodscha und 38.893 Hektar in Laos.79 Ein weiterer Konzessionsvertrag wurde zwischen Kambodscha und einem kambodschanischen Tochter unterunternehmen eines US-amerikanischen Konzerns zum Anbau von Teak baum-Plantagen und der Errichtung eines Weiterverarbeitungsbetriebs auf 9.800 Hektar über 70 Jahre geschlossen.80 Das Landwirtschaftsministerium Osttimor beabsichtigte in einem Memorandum of Unterstanding, einem indonesischen Unternehmen eine Fläche von 100.000 Hektar für Zuckerrohrplan74 Rulli/Saviori/D’Odorico, Global land and water grabbing, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Vol. 110, Nr. 3/2013, S. 892 (894). 75 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, S. 1. 76 Krämer, Staaten im Visier der „Landgrabber“, S. 6 und Bassey, Neokoloniale Manöver, S. 14, in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010. 77 Kruchem, Der Grosse Landraub – Bauern des Südens wehren sich gegen Agrar investitionen, 2012, S. 45 ff.; Langbein, Landraub – Die globale Jagd nach Ackerland, 2015, S. 91 ff. 78 Das Unternehmen Hoang Anh Gia Lai ist vor Ort durch drei Tochterunternehmen vertreten, nämlich Hoang Anh Oyadav Co. Ltd. CRD, Heng Brother und Hoang Anh Mang Yang K Rubber Development; vgl. Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 15 f., abrufbar unter: https://www. globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 79 Die Vietnam Rubber Group ist in Kambodscha durch 19 Tochtergesellschaften vertreten; vgl. Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 25 f., abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/landdeals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 80 Konzessionsvertrag zwischen Kambodscha und Global Agricultural Development (Cambodia) Co. Ltd. (USA) vom 15. März 2006.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge67
tagen und Ethanolproduktion über 50 Jahre zu konzedieren („The Government will grant the company the exclusive concession of 100.000 hectares of unproductive land and to be utilized for sugar plantation.“).81 In einigen Ländern Afrikas betreiben chinesische halbstaatliche Organisationen wie die China State Farm and Agribusiness Corporation (CSFAC) auf kleineren Flächen von weniger als 1.000 Hektar sogenannte „Friendship Farms“; die CSFAC ist eine frühere Abteilung des chinesischen Landwirtschaftsministeriums.82 Ursprünglich dienten sie quasi als Experimentierflächen für die landwirtschaftliche Entwicklung im Rahmen von Hilfsprojekten. Im Rahmen eines bilateralen Investitionsvertrags zwischen Mali und Libyen wurde Libyen das Recht übertragen, in Mali auf einer Fläche von 100.000 Hektar Reis anzubauen.83 Im Gegenzug zu der kostenlosen Pacht verpflichtete sich Libyen dazu, die für das Agrarprojekt nötigen Infrastrukturmaßnahmen in der Region Office du Niger durchzuführen. Die Pachtgebiete werden oft als „marginale“ Flächen bezeichnet, d. h. solche, die brachliegen und nicht anderweitig genutzt werden; tatsächlich werden die Pachtgebiete z. B. in Mali hauptsächlich nach Bewässerungsmöglichkeiten, Fruchtbarkeit des Bodens sowie Anbindung an Infrastruktur ausgewählt.84 Die landwirtschaftliche Aufbereitung einer Fläche ist danach häufig Gegenstand eigenständiger Verträge. In der Regel wird sie jedoch im Pachtvertrag selbst erwähnt oder stillschweigend vorausgesetzt. So ermächtigte die Regierung der argentinischen Provinz Río Negro ein chinesisches Unternehmen zur Durchführung vorbereitender Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für eine anschließende landwirtschaftliche Nutzung.85 81 Memorandum of Understanding Osttimor und GTLESTE BIOTECH vom 15. Januar 2008, Punkt G. 82 Bastholm/Kragelund, State-Driven Chinese Investments in Zambia: Combining Strategic Interests and Profits, in: van Dijk, The New Presence of China in Africa, 2009, S 132. 83 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 3. 84 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 14; De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/ 13/33/Add.2, S. 5. 85 Kooperationsabkommen Río Negro, Argentinien und Heilongjiang Beidahuang LTD vom 15. Oktober 2010, Punkt 3: Bewässerungssystem in der 20.000 Hektar großen Region Valle del Idevi zur Verpachtung für 20 Jahre: „la Parte ‚A‘ (El Gobierno de la Provincia Río Negro) ofrece a la Parte ‚B‘ las tierras disponibles sin explotación, con las obras de riego por canales de la región Valle del Idevi en alrededor de 20.000 hectáreas para que ambas partes adopten la forma de arrendamiento por 20 años.“
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Diese Maßnahmen schlossen die Errichtung eines Bewässerungssystems in einem Gebiet ein, welches im Anschluss für eine bestimmte Zeit verpachtet werden sollte.
III. Nutzung von Flächen zur industriellen Verarbeitung Verträge über die landwirtschaftliche Nutzung größerer Gebiete enthalten häufig zusätzliche Vereinbarungen über den Bau und die Verwaltung industrieller Anlagen, welche die Verarbeitung der Agrarprodukte ermöglichen sollen (sog. „processing plants“). Häufig anzutreffende Aufbereitungsanlagen sind Palmölraffinerien sowie andere Raffinerien zur Produktion von Biokraftstoff aus Zuckerrohr oder Jatropha, außerdem Holzverarbeitungsfabriken und Anlagen zur Kautschukverarbeitung.86 Teilweise wird vertraglich festgehalten, welcher Teil einer gepachteten Fläche auf die landwirtschaftliche Nutzung und welcher auf die Errichtung von Industrieanlagen entfällt. Dies war der Fall in einem Vertrag zwischen Mali und dem chinesischen Unternehmen CLETC.87 Gem. Art. 2 dieses Vertrags beträgt die gesamte Pachtfläche 20.000 Hektar. Davon sollten gem. Art. 4 für die Installation industrieller Anlagen 857 Hektar übertragen werden (Cession directe) und für die restlichen 19.143 Hektar ein Erbpachtvertrag (bail emphytéotique) für die landwirtschaftliche Nutzung mit der Laufzeit von 50 Jahren geschlossen werden. Bereits im Jahr 2002 schlossen die Regierungen Sudan und Syrien ein Abkommen über 30.900 Morgen (entspricht 7.725 Hektar) Land auf sudanesischem Staatsgebiet, welche von Syrien landwirtschaftlich genutzt werden dürfen. Das Abkommen beinhaltet auch die Befugnis zur sog. „landwirtschaftlichen Industrialisierung“, ohne dies jedoch zu konkretisieren.88
86 Beispiel für Palmölraffinerien: Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, S. 2; Beispiel für Kautschukverarbeitung: Konzessionsvertrag zwischen Kambodscha und Global Agricultural Development (Cambodia) Co. Ltd. (USA) vom 15. März 2006; vgl. Häberli/Smith, Food Security and Agri-Foreign Direct Investment in Weak States: Finding the Governance Gap to Avoid ‚Land Grab‘, The Modern Law Review 77 (2) 2014, S. 189 (194). 87 Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009. 88 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 3.
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IV. Der Abbau von Rohstoffen auf dem Pachtgebiet sowie vertragliche Nebenbefugnisse zur Ressourcennutzung Eine weitere Nutzungsform im Rahmen der untersuchten Pachtverträge ist der Abbau von Rohstoffen auf dem Pachtgebiet. Darunter fallen die Gewinnung von Öl auf Ölsandfeldern, der Abbau von Kohle oder Eisenerz im Tagebau sowie Abholzungsrechte. Darüber hinaus werden die Pächter regelmäßig neben der hauptsächlichen Nutzung zum Zugriff auf dort vorgefundene Ressourcen ermächtigt. In letztem Fall spielt der Zugriff auf Wasserreserven wegen seines hohen Konfliktpotenzials eine hervorgehobene Rolle. 1. Abbau mineralischer Rohstoffe Zur Veranschaulichung der Nutzung energetischer Rohstoffe sei beispielhaft zunächst die Pacht eines chinesischen Staatsunternehmens genannt, welches auf dem 150 km2 großen Gelände der Marcona Mine in Peru Eisenerz im Tagebau abbaut.89 Das seit 1992 bestehende Pachtverhältnis rief wiederholt Unruhen über die Umweltauswirkungen des Abbaus sowie die Bedingungen der Minenarbeiter hervor.90 Das chinesische Unternehmen hat auch die Elektrizitäts- und Wasserversorgung der angrenzenden Stadt San Juan de Marcona übernommen, welche ganz überwiegend von Minenarbeitern bewohnt wird.91 In Kanada wurden außerdem großflächige Abbaugebiete für Ölsand, sog. Ölsandfelder, an ausländische Investoren verpachtet. Die kanadische Regierung bestätigte die Übernahme zweier staatlicher Ölförderungsunternehmen durch staatliche Investoren aus China.92 Die den kanadischen Staatsunternehmen zuvor eingeräumten vertraglichen Befugnisse wurden auf die Inves89 Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992. 90 Kaiman, Peru has copper. China wants it. And now Beto Chahuayllo is dead., Los Angeles Times, 25. Februar 2016, abrufbar unter: http://www.latimes.com/world/ mexico-americas/la-fg-peru-china-mining-20160224-story.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 91 Post, Police kill one in Ica mineworker protests, Los Angeles Times, 26. Mai 2015, abrufbar unter: http://perureports.com/2015/05/26/police-kill-one-in-ica-mine worker-protests/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 92 Mitteilung der kanadischen Regierung (Industrieministerium) zur Übernahme von Nexen Inc. (Nexen) durch CNOOC Limited (CNOOC) vom 7. Dezember 2012: „Under the Investment Canada Act, CNOOC has satisfied me that, under existing Guidelines, their proposed transaction to acquire control of Nexen is likely to be of net benefit to Canada.“, abrufbar unter: https://www.globenewswire.com/newsrelease/2012/12/07/1406446/0/en/CNOOC-Limited-s-Acquisition-of-Nexen-Inc.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
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toren übertragen. Das chinesische Unternehmen CNOOC ist dadurch berechtigt, auf ca. 121.405 Hektar Ölsand abzubauen.93 Den regulatorischen Rahmen für diese Übernahmen bildet das kanadische Gesetz zur Regulierung umfangreicher Auslandsdirektinvestitionen, der Investment Canada Act.94 Zwischen China und Kanada besteht ein daneben anwendbares bilaterales Investitionsschutzabkommen.95 Die Aufteilung der kanadischen Ölsandfelder sowohl an in- als auch an ausländische Unternehmen erfolgt hauptsächlich über Pachtverträge.96 Dieses Beispiel verdeutlicht die bereits in der Einleitung unter B.I. genannte Abgrenzungsproblematik gegenüber reinen Auslandsdirektinvestitionen: Bei den genannten Verträgen übernahmen die Investoren nicht lediglich Vermögensbestandteile, sondern traten – nunmehr als Pächter – in das Pachtverhältnis mit dem kanadischen Staat ein. 2. Abbaubezogene Nebenbefugnisse und das Recht zum Holzeinschlag Rohstoffbezogene Befugnisse stellen außerdem gängige Nebenabreden zu Verträgen über die landwirtschaftliche Nutzung dar. Nach einem solchen Abkommen zwischen Mali und Libyen erhielt das neu gegründete Unternehmen Malibya das Recht, alle „gewöhnlichen Steine“ auf der Oberfläche für den Bau von Infrastruktur zu verwenden.97 Für den Fall der Entdeckung unterirdischer Mineralien in dem Pachtgebiet wurde hingegen vereinbart, dass diese Eigentum Malis bleiben und Mali das Recht zur Förderung hat.98 Demgegenüber sicherte sich der Sudan im Landwirtschaftsabkommen mit Syrien aus dem Jahr 2002 zwar die auf dem Pachtgebiet entdeckten Roh93 Nexen, Übersicht Operations/Assets/Nexen Shale Gas Interests, abrufbar unter: http://www.nexencnoocltd.com/en/Operations/ShaleGasOil/ShaleAssets.aspx (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019): Ca. 300.000 Morgen (acres) in Northeast British Columbia; 1 acre entspricht 0.40468564224 Hektar. 94 Der Investment Canada Act stellt das Regelwerk für Auslandsinvestition dar und wurde bei dem Übernahmevertrag sowie dem Investitionsschutzabkommen (dort vgl. Art. 1 und Annex D.34) in Bezug genommen. Der ICA enthält einige Richtlinien bezüglich der Unternehmensfortführung, dem administrativen Vorgehen, etc.; Investment Canada Act – All Guidelines, abrufbar unter: http://www.ic.gc.ca/eic/site/ica-lic. nsf/eng/lk00064.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 95 Agreement between the Government of Canada and the Government of the People’s Republic of China for the Promotion and Reciprocal Protection of Investments – Bilateraler Investitionsvertrag Kanada/China vom 9. September 2012. 96 Vgl. die „Oil Sand Lease Map“ des Unternehmens Terracon Technique, abrufbar unter: https://www.terracon.ca/news/2018/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 97 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 13. 98 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 12.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge71
stoffe zu.99 Dort aufgefundene Edelsteine, Edelmetalle, Kohle, Öl sowie andere Ressourcen und Bodenschätze sollte der Sudan danach jedoch nur gegen eine Entschädigung des Pächters Syrien für aus dieser Nutzung folgende Verluste nutzen dürfen. Es entspricht darüber hinaus keineswegs der Regel, dass sich die Befugnisse aus den Pachtverträgen des Landwirtschaftssektors auf den hauptsächlichen Vertragsgegenstand beschränken. Vielmehr zeigt die Vielzahl der untersuchten Pachtverträge, dass diesen eine umfassende Nutzung der Fläche zugrunde liegt. Unter die Fallgruppe des Rohstoffabbaus werden außerdem Konzessionen zum Holzeinschlag verbunden mit darüberhinausgehenden Gebietsrechten gefasst. Unter dem Titel „Nordkoreanische Holzfäller in Russisch-Fernost“ wurde über eine unter Verschluss gehaltene Vereinbarung aus dem Jahr 1967 zwischen der ehemaligen Sowjetunion und Nordkorea berichtet, welche durch Russland fortgeführt worden sein soll.100 Danach legte die Sowjetunion Gebiete fest, in denen Nordkorea eine Konzession zum Holzeinschlag eingeräumt wurde. Die nordkoreanischen Arbeiter, teilweise oder überwiegend Häftlinge, lebten und arbeiteten unter sklavenähnlichen Zuständen in sog. „Holzfällercamps“, während eigene nordkoreanische Sicherheitsorgane, eine eigene Gerichtsbarkeit sowie Gefangenenlager eingerichtet wurden.101 Die Arbeiter waren dadurch „nordkoreanischen Gesetzen und der Willkür von Polizei und Geheimdienst unterworfen und unterstehen vollständig dem nordkoreanischen Staatsapparat“.102 Derartige Vereinbarungen können jedoch typischerweise nicht durch veröffentlichte offizielle Dokumente belegt und es kann dementsprechend keine Einsicht in konkrete vertragliche Absprachen genommen werden. 3. Zugriff auf Wasserreserven Mit landwirtschaftlichen Pachtverträgen sind häufig Befugnisse zur Ver fügung über die natürlichen Süßwasserressourcen aus Flüssen, Bächen, Seen oder dem Grundwasser verbunden. Die Verfügungsrechte über die Wasser99 Landwirtschaftsabkommen
Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 7. Nordkoreanische Holzfäller in Russisch Fernost: Ein dunkles Kapitel der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Pjöngjang, S. 1 ff. 101 Fritzsche, Nordkoreanische Holzfäller in Russisch Fernost: Ein dunkles Kapitel der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Pjöngjang, S. 1; zu nordkoreanischen Zwangsarbeitern allgemein Strittmatter, China – Der nervige Nachbar, Süddeutsche Zeitung, 31. August 2017, S. 9. 102 Fritzsche, Nordkoreanische Holzfäller in Russisch Fernost: Ein dunkles Kapitel der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Pjöngjang, S. 1. 100 Fritzsche,
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
ressourcen können kraft nationalen Rechts bereits mit dem Land verbunden sein. Außerdem sind sie von einigen vertraglichen Vereinbarungen ausdrücklich umfasst. In zahlreichen Pachtgebieten insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent lassen sich die völkerrechtlichen Konfliktlagen auf eben diese Verfügungsrechte zurückführen.103 Das Pächterunternehmen Malibya ist z. B. berechtigt, über einen eigens zu errichtenden 40 km langen und 30 m breiten Kanal unbegrenzt Süßwasser aus dem Niger zu entnehmen.104 Daneben erhält es aufgrund des Abkommens einen uneingeschränkten Zugang zum Grund- und Oberflächenwasser.105 Auch nach dem Landwirtschaftsabkommen zwischen dem Sudan und Syrien aus dem Jahr 2002 erhält Syrien Zugang zu Wasserressourcen aus dem Nil sowie dem Grundwasser.106 Dabei hat Syrien das Wasser ohne Verschmutzung oder Schädigung zu nutzen und moderne Landwirtschafts- und Bewässerungstechnologien anzuwenden. Die Nutzung als solche ist jedoch unbeschränkt: „The Republic of Sudan permits the Syrian Party to acquire what the project needs as water resources from the White Nile, as well as underground water resources. The Syrian Party is committed to use the water without any waste or damage of the respective resources and to integrate modern agricultural and irrigation technologies to the project.“107
Sofern die Nutzung der Wasserressourcen nicht ausdrücklich vereinbart ist, kann sie schließlich vertraglich vorausgesetzt sein. So umfasst die Befugnis zur Einrichtung und zum Betrieb von Bewässerungsanlagen einen Zugang des Pächters zu Wasserreserven.108 Nutzungsgebühren für die Gewässernutzung stellen dabei eher die Ausnahme dar. Vielmehr wird der Verpächter z. T. sogar vertragsbrüchig, wenn das verpachtete Land nicht über einen ausreichenden Wasserzugang verfügt oder die Wasserressourcen nicht ausreichen.109 103 Beispiel inneres Nigerdelta: Pearce, Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden, 2012, S. 331. 104 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 8; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 36; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 27. 105 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 8. 106 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 5. 107 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 5. 108 Beispiele: Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2; Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Benishangul, Art. 5.1 lit. b. 109 Andrews, Das versteckte Water Grabbing, S. 18 f., in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge73
V. Der Betrieb von Infrastrukturanlagen wie Häfen und Verkehrsflächen Losgelöst von der zuletzt stark gestiegenen Zahl von Verträgen über Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung werden im Folgenden solche Pachtverträge betrachtet, die die Errichtung und den Betrieb großer Infrastrukturanlagen auf fremdem Territorium ermöglichen. Es handelt sich hierbei zwar nicht um ein aus der Finanzkrise sowie dem Anstieg der Kosten für Grundnahrungsmittel folgendes Phänomen; gleichwohl ist auch hinsichtlich solcher Pachtverträge eine Entwicklung zu beobachten. Zu dieser Kategorie zählen besonders Tiefseehäfen, Bahn- oder Straßentrassen. Flächen zur Errichtung und zum Betrieb von Flughäfen und Bahnhöfen werden demgegenüber eher als Nebenanlagen zu einer landwirtschaftlichen oder industriellen Hauptnutzung mitverpachtet. 1. Tiefseehäfen Bei der Auswahl eines Standorts für die Errichtung und Verwaltung von Häfen steht weniger die Nutzbarkeit des Bodens selbst sondern der Standort des Pachtgebiets im Vordergrund. Die Standortwahl ist häufig Teil weitreichender geopolitischer Wirtschaftsstrategien wie der Errichtung der sog. Neuen Seidenstraße. Ein Beispiel dafür ist der Übernahmevertrag über den Hafen von Gwadar zwischen einem chinesischen Staatsunternehmen mit der pakistanischen Provinz Baluchistan und dem Vorgänger auf Pächterseite, einem singapurischen Unternehmen. Am 18. Februar 2013 unterzeichneten der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari, der chinesische Botschafter Liu Jian sowie einige pakistanische Minister und Abgeordnete vier Abkommen zur Übernahme des Concession Agreement von der PSA (Port of Singapore Authority) an die COPHC (China Overseas Port Holding Company).110 Das Federal Cabinet von Pakistan stimmte dem Transfer bei seinem Treffen vom 30. Januar 2013 zu.111 110 Der Übernahmevertrag über die Errichtung und Verwaltung des Hafens von Gwadar, China Overseas Port Holding Company und Port of Singapore Authority vom 8. Februar 2013 wurde von der chinesischen Regierung bestätigt; vgl. Mitteilung des Wirtschaftsministeriums der Volksrepublik China vom 21. Februar 2013, abrufbar unter: http://english.mofcom.gov.cn/article/counselorsreport/asiareport/201302/20130 200033288.shtml (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 111 Ghumman, Transfer of Gwadar Port to Chinese co: Alteration in concession agreement, SROs allowed, Business Recorder, 2. Februar 2013, abrufbar unter: https://www.brecorder.com/2013/02/02/104212/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); zur strategischen Relevanz des Hafens von Gwadar vgl. Malik, Strategic Importance of Gwadar Port, Journal of Political Studies, Vol. 19, Issue 2, 2012, S. 57; eine Veröffentlichung der Vereinbarung selbst wurde trotz eines entsprechenden gerichtlichen
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Laut der bekannt gewordenen Eckdaten der Vereinbarung betreibt und errichtet das chinesische Staatsunternehmen COPHC112 den Hafen unter Fortführung der Rechte des vorangegangenen Investors.113 Der Umfang des chinesischen Einflusses auf dem Pachtgebiet wurde von vielen Seiten mit der Rolle Großbritanniens in Hongkong bis 1997 verglichen.114 Tatsächlich erwog Pakistans Ministerpräsident Nawaz Sharif, dem Hafen von Gwadar den Status einer Sonderwirtschaftszone nach dem Vorbild Hongkongs zu verleihen.115 Die Vereinbarung über die Fertigstellung und den Betrieb des Hafengeländes wurde durch die Errichtung eines chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors von Kashgar bis Gwadar ergänzt.116 Auf Seiten Pakistans ist die Gwadar Port Authority (GPA) zuständig für die Verwaltung des Hafens, das Projekt insgesamt wird jedoch maßgeblich durch COPHC finanziert.117 Die GPA erstellt welfare plans inklusive Bildungs- und Gesundheitsprojekte und Antrags einer Oppositionspartei nicht erreicht. Die Watan Party Pakistan richtete eine Petition zur Veröffentlichung des Pak-China Vertrags über die Entwicklung des Gwadar Hafens an den Supreme Court (dort im Lahore-Register). 112 COPHC ist ein Subunternehmen von China State Construction Engineering Company, welches 1957 als Staatsunternehmen gegründet wurde, vgl. China State Construction Engineering Corporation (Middle East) (L.L.C), Company Information, abrufbar unter: http://www.chinaconstruction.ae/about-china-state-construction-mid dle-east/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019); Aijazuddin, The tip of the noodle, DAWN, 29. August 2013, abrufbar unter: http://dawn.com/news/1039136/the-tip-ofthe-noodle (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 113 Vgl. zu den Vereinbarungen zwischen der Gwadar Port Authority und CHC, einer Tochter des singapurischen Unternehmens PSA: Zaheer, Development and Operations of the Port of Gwadar, IFSMA, 24./25. Mai 2007, abrufbar unter: http://www. ifsma.org/tempannounce/aga33/Gwadar.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019) und Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 19 ff. 114 Aijazuddin, The tip of the noodle, DAWN, 29. August 2013, abrufbar unter: http://dawn.com/news/1039136/the-tip-of-the-noodle (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 115 The Economic Times, Nawaz Sharif for giving Hong Kong-like status to Gwadar, 23. August 2013, abrufbar unter: https://economictimes.indiatimes.com/news/ politics-and-nation/nawaz-sharif-for-giving-hong-kong-like-status-to-gwadar/article show/22012903.cms (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 116 Mitteilung des chinesischen Wirtschaftsministeriums vom 7. September 2013, Experts: Economic corridor links China, Pakistan dreams; abrufbar unter: http:// english.mofcom.gov.cn/article/counselorsreport/americaandoceanreport/201309/2013 0900291661.shtml (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019); Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 14 ff. 117 DAWN, Gwadar port has bright future, says Chinese envoy, 21. August 2014, abrufbar unter: http://www.dawn.com/news/1126704 (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge75
ist ausweislich des ursprünglichen Abkommens außerdem für die Themen Navigation und Schiffssicherheit zuständig; dem ursprünglichen Pächter wurden Steuerbefreiungen eingeräumt und es wurde der Abbau von Handelshemmnissen durch Errichtung einer Freihandelszone vereinbart.118 Ferner bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erhöhung der chinesischen MarineInfanterie auch der Stationierung von Soldaten im Ausland diente.119 Eine ähnliche Vereinbarung über die Errichtung und den Betrieb eines Tiefseehafens besteht zwischen China und Sri Lanka. China errichtet danach den neuen Hafen in Colombo zu voraussichtlichen Kosten von etwa 1,4 Mrd. Dollar und ist berechtigt, diesen für 99 Jahre zu betreiben.120 Das Unternehmen China Communications Construction Company (CCCC) betreibt das Hafengebiet um die Stadt Colombo Port City. Außerdem errichtet Indien – allerdings von Unterbrechungen begleitet – den Hafen Chabahar im Iran.121 Der Chabahar-Hafen sollte über eine alternative Verkehrsverbindung zu derjenigen über Afghanistan erschlossen werden und eine handelsstrategische Antwort auf die chinesischen Tiefseehäfen liefern.122 Nach dem Zerfall der Sowjetunion pachtete Russland außerdem verschiedene weitere Flächen für strategische Einrichtungen auf dem Gebiet von sog. Nachfolgestaaten.123 Auch über den Hafen der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim bestand seit 1997 ein Pachtvertrag, der Russland einen Stützpunkt für seine Schwarzmeerflotte ermöglichte.124 118 Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 21; DAWN, Gwadar port has bright future, says Chinese envoy, 21. August 2014, abrufbar unter: http://www.dawn. com/news/1126704 (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 119 Gady, China Is Building a 100,000 Strong Marine Corps – The People’s Liberation Army allegedly plans to increase the size of its amphibious assault troops by 400 percent, The Diplomat, 24. März 2017, abrufbar unter: http://thediplomat. com/2017/03/china-is-building-a-100000-strong-marine-corps/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 120 Hein, Wahl in Sri Lanka bekommt weltpolitische Bedeutung – Die Ferieninsel ist Chinas Vorposten in Sichtweite zur indischen Küste, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Januar 2015, S. 16. 121 Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 23. 122 Aftab Ali, Chahbahar and Gwadar, The Nation Pakistan, 1. Oktober 2013, abrufbar unter: https://nation.com.pk/01-Oct-2013/chahbahar-and-gwadar (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 123 Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, M PEPIL, Juli 2008, Rn. 15. 124 Höppner, Marine-Experte: Krim ist Russlands „Sprungbrett ins Mittelmeer“, Interview mit Klaus Mommsen, Deutsche Welle, 27. Februar 2014, abrufbar unter: http://www.dw.com/de/marine-experte-krim-ist-russlands-sprungbrett-ins-mittelmeer/ a-17463353 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
2. Weltraumbahnhof Baikonur, Radarstationen und weitere Sondernutzungen Ein besonderes Beispiel der Pacht zur Errichtung einer Verkehrseinrichtung im weiteren Sinne ist der Weltraumbahnhof Baikonur. Das Gelände um die Stadt Baikonur wurde zur Errichtung eines sog. Kosmodroms mit zugehöriger Infrastruktur von Kasachstan an Russland verpachtet.125 Seinen größten Weltraumbahnhof betreibt Russland auf einer Fläche von 6.717 m2 mit neun Startkomplexen und 15 Startvorrichtungen, elf Montage- und Versuchskomplexen, einem Kraftwerk, Flugplätzen für den Luftverkehr und einem umfangreichen Straßen- und Schienennetz; der Weltraumbahnhof beschäftigte zeitweise etwa 80.000 Menschen.126 Zwischen der Republik Kasachstan und der Russischen Föderation wurde der Status der Stadt Baikonur (vormals Leninsk) in verschiedenen Abkommen geregelt. Am 25. Mai 1992 wurde das erste bilaterale Abkommen über die Bedingungen der Nutzung des Kosmodroms geschlossen.127 Am 10. Dezember 1994 wurde ein Abkommen über die Vermietung des Komplexes Baikonur zwischen Russland und Kasachstan ratifiziert.128 Am 4. Januar 1995 wurde die von den Präsidenten Kasachstans und Russlands ernannte russische Stadtverwaltung in der kasachischen Stadt eingesetzt. Hinzu kam ein Abkommen vom 23. Dezember 1995 über den Status der Stadt Baikonur und über das Verfahren zur Bestellung ihrer Exekutivorgane und deren Status. Sie legen ein besonderes Verwaltungssystem für das Pachtgebiet fest. Die Stadt Baikonur verbleibt danach eine administrative territoriale Einheit der Republik Kasachstan, die „unter Pachtbedingungen funktioniert“.129 125 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff.; Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 2 ff. 126 Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff. 127 Agreement between the republic of Kazakhstan and the russian federation on the use of the cosmodrome „baikonur“ (Moscow, May 25, 1992), abrufbar unter: http://bayterek.kz/en/info/soglashenie_baikonur_1.php (zuletzt abgerufen am 21. Juli 2021). 128 Kooperations- und Durchführungsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 9. Januar 2004, Art. 6. 129 Ratifikationsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 10. Dezember 1994, Art. 1; Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 2 ff.
B. Der materielle Regelungsgehalt der Landpachtverträge77
Die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte kasachischer Staatsbürger wird durch einen Sonderbeauftragten der Republik Kasachstan überwacht, während sich die russischen Gesetze auf militärisches und ziviles Personal mit russischer Staatsbürgerschaft einschließlich ihrer Familienangehörigen erstrecken.130 Zuletzt wurden verschiedene Änderungsabkommen über den Betrieb des Weltraumbahnhofs ratifiziert.131 Ein weiteres Beispiel für eine Pacht zwischen Russland und einem ehemaligen sowjetischen Teilstaat über eine strategische Anlage ist die Radarstation Qəbələ (Gabala) in Aserbaidschan. Der Pachtvertrag wurde von Russland weitergeführt und am 25. Januar 2002 in Moskau ein weiteres Abkommen geschlossen, auf Grund dessen Russland gemeinsam mit Aserbaidschan auf die dort gewonnenen Daten zugreifen und diese auswerten kann.132 Als weitere Sondernutzung wird in diesem Zusammenhang die Vereinbarung über die Nutzung und Verwaltung eines ganzen Stadtgebiets gefasst. Die Fläche von 21 km2 einer Kasinostadt in Laos an der Grenze zu China – Boten Golden City – erlangte den Status einer „Specific Economic Zone“.133 Der Pächter ist der chinesische Investor Boten Golden City Co. Ltd. und der Pachtvertrag von April 2012 wurde für 30 Jahre mit zweimaliger Verlängerungsmöglichkeit geschlossen. Der Pächter verfügt über eigene Sicherheitskräfte auf dem Stadtgebiet, die Stadt war zeitweise weitgehend von Chinesen
130 Ratifikationsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 10. Dezember 1994, Art. 1 und 6.11; Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 2. 131 Das am 9. Januar 2004 in Astana unterzeichnete Abkommen über die Entwicklung der Zusammenarbeit bei der effizienten Nutzung der Baikonur Anlage (Gesetz Nr. 273-IV vom 29. April 2010); Abkommen über die medizinische Versorgung des Personals des Kosmodroms Baikonur und der Einwohner der Stadt Baiqongyr (Baikonur) im Zusammenhang mit der Anmietung der Baikonur Anlage durch die Russische Föderation vom 17. November 2009 in Moskau (Gesetz Nr. 285-IV vom 31. Mai 2010) sowie das am 21. Mai 2009 in Astana unterzeichnete Änderungsprotokoll zum Abkommen über den Status der Stadt Baiqongyr und ihrer Exekutivorgane vom 23. Dezember 1995 (Gesetz Nr. 287-IV vom 1. Januar 2010), vgl. Marenkov, Kasachs tan, Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO), 20. August 2010, S. 253, 254. 132 Eine Verlängerung des Abkommens scheiterte im Jahr 2012; Herszenhorn, Russia to Close Radar Station in Azerbaijan, The New York Times, 11. Dezember 2012, abrufbar unter: http://www.nytimes.com/2012/12/12/world/europe/russia-toshut-down-radar-station-in-azerbaijan.html?mcubz=1 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 133 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
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bewohnt, es wurde in chinesischer Währung bezahlt, Mandarin gesprochen und es galt eine an China angepasste Zeitzone.134 3. Vorhabenbegleitende Infrastrukturanlagen Darüber hinaus enthalten Verträge über die landwirtschaftliche Nutzung häufig Nebenabreden über die Errichtung und den Betrieb von Infrastrukturanlagen. Es bestehen große Unterschiede im Hinblick auf den Umfang, in dem der Herkunftsstaat für die Rahmenbedingungen seiner Investition sorgt. Häufig besitzt er ein großes Interesse an der Verbesserung der Infrastruktur des Verpächterstaates für den Export von Rohstoffen oder verarbeiteten Produkten. So wurde z. B. zwischen der argentinischen Provinz Río Negro und einem chinesischen Unternehmen vereinbart, diesem einen Teil des Hafens mit eigenem Terminal für eine bestimmte Zeit zu konzedieren.135 Die Errichtung von verkehrsbezogener Infrastruktur wie Straßen und Brücken stellt die Grundvoraussetzung für die landwirtschaftliche Nutzung des Gebiets dar und wird dementsprechend häufig vereinbart.136 Je nach der Energieintensität des Pachtbetriebs und der Funktionalität der lokalen Stromversorgung wird der Herkunftsstaat teilweise zum Bau von Kraftwerken ermächtigt.137 Vor dem Hintergrund des zunehmenden Baus eigener Blockheizkraftwerke von Unternehmen an Industriestandorten auch in Deutschland138 muss damit nicht
134 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 135 Kooperationsabkommen Río Negro, Argentinien und Heilongjiang Beidahuang LTD vom 15. Oktober 2010, Annex, Punkt 5: „La parte ‚A‘ brindará sin cargo alguno, parte de la zona portuaria del puerto de San Antonio Este, destinara cinco hectáreas de tierra para el uso de la parte ‚B‘ [Heilongjiang Beidahuang] y realizará el diseño y la construcción de la misma según requerimiento de la parte ‚A‘. la concesión para el uso será por 50 años, y se renovará automáticamente una vez cumplido el plazo.“ 136 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2; Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Benishangul, Art. 5.1 lit. b. 137 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2. 138 Reimann, Unternehmen setzen beim Strom auf Eigenversorgung, heise online/ dpa, 26. August 2013, abrufbar unter: http://www.heise.de/newsticker/meldung/ Unternehmen-setzen-beim-Strom-auf-Eigenversorgung-1942381.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 79
notwendigerweise eine unzureichende Energieversorgung im Verpächterstaat verbunden sein. Der Bau von Krankenhäusern, Apotheken und Bildungseinrichtungen wie Schulen139 stellt indes keine Infrastruktur dar, welche unmittelbar mit dem Anbau landwirtschaftlicher Produkte verknüpft ist. Solche Vereinbarungen finden sich im Rahmen landwirtschaftlicher Pachtverträge auf afrikanischem Boden allerdings sehr häufig. In der Vereinbarung zwischen Mali und Libyen und dem staatseigenen Unternehmen Malibya als Pächter wird Mali ermächtigt, je nach eigenem Bedarf („si elle le désire“) die für die Funktionsfähigkeit des Projektes notwendige Infrastruktur zu errichten.140 Einschränkungen zu regulatorischen Vorgaben oder nationalen Bedarfsermittlungen sind nicht ersichtlich. Ein Vertrag zwischen Liberia und einem malaysischen Mischkonzern ermächtigt diesen zur Errichtung und Unterhaltung von Infrastruktur sowohl inner- als auch außerhalb des konzedierten Gebiets.141 Die außerhalb des Gebiets errichtete Infrastruktur soll öffentliches Eigentum werden, von dem Investor aber gebührenfrei genutzt werden können.142
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kommt der Frage, wer die Gebietshoheit über das jeweilige Hoheitsgebiet ausübt, an zwei verschiedenen Stellen hervorgehobene Bedeutung zu. Diese beiden Bedeutungszusammenhänge sind streng voneinander zu unterscheiden. Für die extraterritoriale Anwendbarkeit völkerrechtlicher – insbesondere menschenrechtlicher – Pflichten des Herkunftsstaates ist entscheidend, ob Personen auf fremdem Territorium dessen Hoheitsgewalt unterstehen (s. Teil 2 C.). Im Gegensatz zu dieser pflichtenbegründenden Dimension liegt in der extraterritorialen Aus139 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2. 140 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 14. 141 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.4, S. 12: „Investor shall only be responsible for on-going maintenance or repair of any such Infrastructure in the Developed Areas and to the extent specified in the approval of Government. Nothing herein shall restrict or impair Investor’s right to construct within the Concession Area such Farm Roads as Investor deems necessary or desirable to properly conduct Investor Activities.“ 142 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.4, S. 12 f.
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übung von Hoheitsgewalt zugleich eine pflichtenerfüllende Dimension. So kann der Herkunftsstaat positiv zur Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt verpflichtet sein, um Übergriffe privater Akteure auf fremdem Hoheitsgebiet zu verhindern. Die Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten knüpft grundsätzlich an die Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt an bzw. setzt diese voraus (s. Teil 2 D.). Im Folgenden werden die vertraglichen Befugnisse und ihre faktischen Auswirkungen auf eine Übertragung der (umfassenden) Gebietshoheit oder zumindest einzelner Hoheitsrechte hin untersucht. Damit wird eine wesent liche Voraussetzung für die pflichtenbegründende Dimension adressiert (s. Teil 2 C.).
I. Die Aufspaltung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität – dogmatische Grundlagen und historischer Kontext 1. Das Verhältnis von Gebietshoheit zu territorialer Souveränität Das Verhältnis von Gebietshoheit zu territorialer Souveränität ist zunächst in einen Zusammenhang mit der Pacht von Hoheitsgebiet zu stellen. Hierzu ist eine inhaltliche Klärung der Begrifflichkeiten und ihrer Entwicklung erforderlich, auf deren Grundlage die im Rahmen von Pachtverhältnissen übertragenen Befugnisse bewertet werden. Zunächst zeigen sich sowohl in der Gebietshoheit als auch in der territorialen Souveränität verschiedene Ausprägungen des Verhältnisses eines Staates zu seinem Territorium. Dieses Verhältnis erschöpft sich nicht in dem Hinweis auf den staatsbildenden Charakter des Staatsgebietes im Sinne der Drei-Elemente-Lehre von Jellinek.143 Warum ein Staat also in der Lage ist, Pflichten auf seinem Territorium zu begründen, Rechte hierüber zu übertragen, sich selbst über sein Staatsgebiet zu definieren und sich gegenüber anderen Staaten abzugrenzen, wird durch das jeweilige Verständnis eines Staates zu seinem Territorium veranschaulicht. Hierfür haben sich verschiedene Theorien herausgebildet. Ihr jeweils maßgeblicher Inhalt kommt im Rahmen von Pachtverträgen in unterschiedlichem Umfang zum Tragen. So lässt sich das Staatsgebiet als identitätsstiftendes Merkmal eines Staates (subject theory oder Eigenschaftstheorie), als Eigentum und Objekt seiner Macht und seiner Ausübung von Hoheitsgewalt (object theory oder Eigentumstheorie), als Be143 Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 394 ff.; vertiefend Horn, in: Gornig/Horn (Hrsg.), Territoriale Souveränität und Gebietshoheit, Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, 2016, S. 21 ff.
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 81
grenzungs- und Exklusivitätsmerkmal (limit theory), als Raum für die Ausübung von personaler Hoheitsgewalt (space theory oder Raumtheorie), als Raum für die Entfaltung seiner Bevölkerung (living space theory oder Lebensraumtheorie) oder in Weiterentwicklung der Eigentumstheorie als Geltungsbereich staatlicher Hoheitsgewalt (competence/jurisdictional theory oder Kompetenztheorie) verstehen.144 An die Kompetenztheorie anknüpfend wird deutlich, dass ein Staat die ihm bezüglich seines Territoriums zustehenden Zuständigkeiten grundsätzlich übertragen kann. Die Zuordnung eines Staates zu einem bestimmten Territorium stützt sich dabei auf eine bestimmte Rechtsgrundlage, den sog. title to territory.145 Hat ein Staat das Territorium auf völkerrechtlich anerkannte Weise erlangt – also durch Zession, Annexion, Ersitzung, Zuwachsung, völkerrechtliche Entscheidung oder Okkupation – verfügt er über ein tituliertes Eigentumsrecht.146 Hierauf bezieht sich die staatliche Souveränität. Das Prinzip der staatlichen Souveränität ist ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Grundprinzip des Völkerrechts und findet seinen Ausdruck im Grundsatz der souveränen Staatengleichheit nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 UNCharta.147 Das Konzept staatlicher Souveränität entwickelte sich mit dem Aufkommen der Nationalstaaten nach dem Dreißigjährigen Krieg; nach klassischem Völkerrecht war der Staat als Souverän nach außen von fremden Mächten unabhängig und berechtigt, Kriege zum Erhalt dieser äußeren Unabhängigkeit zu führen (ius ad bellum).148 Jeder Staat hatte – bezogen auf seine faktischen Handlungsmöglichkeiten – einen ebenbürtigen Status unter Gleichen. Daneben besaß er nach innen die Souveränität im Sinne eines exklusiven Herrschaftsanspruchs über das eigene Territorium und die darin befindlichen Personen, also die Fähigkeit zur Organisation und Aufrecht erhaltung einer inneren Ordnung.149 144 Zur Vertiefung s. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 47 Rn. I.2 sowie Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 30 ff. m. w. N. 145 Zur Vertiefung s. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 42 ff. m. w. N.; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 212. 146 Kau, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 136. 147 Zum Begriff der Souveränität vgl. Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 447 ff.; Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, ZaöRV 2004, S. 517 ff.; Böttger, Umweltpflichtigkeit von Auslandsdirektinvestitionen, Dissertation Bremen 2002, S. 171. 148 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 511. 149 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 512; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 138; Schröder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit failed und failing States, Dissertation HU Berlin 2007, S. 56; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 44.
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Im modernen Völkerrecht ist der Souveränitätsbegriff nicht als statisch feststehender Begriff zu verstehen. Er findet seinen Ausdruck vielmehr als normatives Grundprinzip der Gleichbehandlung von Staaten, das sich eher auf deren rechtliches Dürfen als auf das faktische Können bezieht.150 Der Schiedsrichter Max Huber beschrieb die Souveränität im Fall Island of Palmas151 wie folgt: „Sovereignty […] signifies independence. Independence in regard to a portion of the globe is the right to exercise therein, to the exclusion of any other State, the functions of a State […]. Territorial Sovereignty, as has already been said, involves the exclusive right to display activities of a State.“
Die staatliche Souveränität ist danach mit der Macht über ein bestimmtes Territorium verknüpft und wirkt sowohl nach innen als auch nach außen.152 Sie bezeichnet die Gesamtheit der staatlichen Herrschaft in ihrer Substanz, während die Hoheitsgewalt nur einzelne davon abgeleitete Rechte beinhaltet.153 Aus der Souveränität folgt die schlussendliche Amtsgewalt, Kontrolle oder Entscheidungsgewalt („ultimate authority, control or decision-making power“)154 über ein Territorium und die darin befindlichen Personen. Dieser staatliche Herrschaftsanspruch – auch Staats-, Hoheits-, Herrschaftsgewalt oder Jurisdiktion genannt – beinhaltet die umfassende Befugnis zum Erlass von Rechtsnormen (Gesetzgebungsgewalt bzw. jurisdiction to prescribe), die Zuständigkeit, die Regelbefolgung zu überprüfen (Rechtsprechungsgewalt bzw. jurisdiction to adjudicate) und die Fähigkeit, diese Regeln durchzusetzen (vollziehende Gewalt bzw. jurisdiction to enforce).155 Der territoriale Bezug der Souveränität wird auch durch das Lotus-Urteil des StIGH vom 7. September 1927 gestützt. Darin stellte der StIGH fest, dass die grundsätzlich uneingeschränkte staatliche Freiheit zur Vornahme 150 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Aufl. 2014, Kap. 2.4, S. 39 ff.; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 447. 151 Island of Palmas case (Netherlands v. United States of America), Schiedsspruch vom 4. April 1928, Reports of International Arbitral Awards Vol. II, S. 829 (838 f.). 152 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (308); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 45. 153 Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 204. 154 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 2. 155 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 536; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (308); Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1310).
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 83
von Hoheitsakten bis auf bestimmte Ausnahmen auf das staatliche Hoheitsgebiet begrenzt ist:156 „Now the first and foremost restriction imposed by international law upon a State is that – failing the existence of a permissive rule to the contrary – it may not exercise its power in any form in the territory of another State. In this sense jurisdiction is certainly territorial; it cannot be exercised by a State outside its territory except by virtue of a permissive rule derived from international custom or from a convention.“
Die von der Souveränität abgeleitete Gebietshoheit war nach traditionellem Verständnis danach an das eigene Staatsgebiet gebunden, wurde also territorial verstanden.157 Das ausschließliche Recht zur Vornahme von Hoheitsakten auf eigenem Territorium sowie die territoriale Integrität gegenüber fremden Hoheitsakten werden auch als Grundsatz der Gebietsausschließlichkeit verstanden.158 Dieser Grundsatz wirkt nach innen gegenüber Personen und Gütern auf einem bestimmten Gebiet und wird nur begrenzt durch die Immunität, das Fremdenrecht und das Nachbarrecht.159 Die Gebietshoheit ist somit die aus der territorial begründeten Souveränität folgende Hoheitsgewalt.160 Die mit der Gebietshoheit verbundene exklusive staatliche Regelungsgewalt äußert sich schließlich in dem Territorialitätsprinzip, wonach sich die staatliche Hoheitsgewalt auf Personen und Sachverhalte auf dem jeweiligen Territorium erstreckt.161 Die genannten Begrifflichkeiten, ihre Übersetzung sowie die jeweilige Bedeutung sind nicht in jedem Zusammenhang deckungsgleich: Ursprünglich wurde der Begriff der Jurisdiktion seiner wörtlichen Übersetzung folgend lediglich als Rechtsprechungsgewalt verstanden.162 Im englischen 156 The Case of the S.S. Lotus (France v. Turkey), Judgement, P.C.I.J. Reports, Series A, No. 10 (1927), 45; dazu Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994). 157 King, The Extraterritorial Human Rights Obligations of States, Human Rights Law Review 9/2009, S. 521 (522). 158 Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 4 Rn. 20; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 536. 159 Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 4 Rn. 20; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 536; von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 4 C I 1, Rn. 336. 160 Horn, in: Gornig/Horn (Hrsg.), Territoriale Souveränität und Gebietshoheit, Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen der Studiengruppe für Politik und Völkerrecht, 2016, S. 21 ff.; Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 536; Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 2. 161 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Aufl. 2014, Kap. 3.1.6, S. 99; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 47 Rn. I.3. 162 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/ 2014, S. 1303 (1310); Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 230.
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Sprachgebrauch wird außerdem unter dem Begriff territorial sovereignty statt etwa der territorial begründeten Souveränität häufig die Gebietshoheit verstanden und so sprachlich mit dem übergeordneten Souveränitätskonzept vermengt. Entsprechend dem vorliegend zugrunde gelegten Verständnis bezeichnet der Begriff jurisdiction bzw. national jurisdiction hingegen die staatliche Hoheitsgewalt als Folge bzw. Ausdruck der sovereignty. Die Begriffe Hoheitsgewalt, Herrschaftsgewalt oder Jurisdiktion beschreiben die zuvor genannten staatlichen Befugnisse, enthalten entgegen dem Begriff der Gebietshoheit jedoch keine räumliche Komponente. Der Begriff der Gebietshoheit beinhaltet also mit dem staatlichen Hoheitsgebiet einen bestimmten Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Hoheitsgewalt.163 Der territoriale Bezug ist jedoch nicht der alleinige Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Hoheitsgewalt. Die Befugnis zur Ausübung von Hoheitsrechten kann sich außerdem aus der Beziehung zu einer bestimmten Person oder Sache ergeben. Sie kann an Bord von Schiffen oder Flugzeugen außerhalb jeglichen staatlichen Hoheitsgebiets ausgeübt werden. Der Begriff der Gebietshoheit bezeichnet also die staatliche Befugnis zur Ausübung von Hoheitsrechten, geknüpft an die räumliche Komponente, diese Befugnis auf einem bestimmten Territorium ausüben zu können. Die Gebietshoheit kann sich jedoch von der territorialen Souveränität abspalten und über die eigenen Staatsgrenzen hinausreichen oder umgekehrt auf eigenem Territorium nur eingeschränkt bestehen.164 Das Territorium, auf dem der souveräne Staat zur exklusiven Vornahme von Hoheitsakten berechtigt ist, muss dementsprechend nicht notwendig seiner dauernden Verfügungsgewalt unterstehen.165 Zur Veranschaulichung werden die territoriale Souveränität mit dem Eigentum über eine Sache als Vollrecht einschließlich der Verfügungsbefugnis und die Gebietshoheit mit dem Besitz als tatsächliche Herrschaftsbefugnis verglichen.166 Dieser Veranschaulichung ist für die vorliegende Untersuchung nur hinzuzufügen, dass das Verhältnis zwischen Eigentümer und Besitzer von einer Letztentscheidungskompetenz geprägt ist, die sich im Verhältnis zwischen territorialem Souverän und Inhaber der Gebietshoheit nur theoretisch wiederfindet. Mit der umfassenden Hoheitsbefugnis über ein Gebiet ist zwar nicht die Befugnis zur Gebietsabspaltung verbunden, die hoheitlichen Befugnisse gegenüber Personen und Sachverhalten übersteigen jedoch diejenigen des territorialen Souveräns. 163 Hobe,
Einführung in das Völkerrecht, 10. Aufl. 2014, Kap. 3.1.6, S. 99. Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 543; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 204 ff. 165 Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Aufl. 2014, Kap. 3.1.6, S. 99. 166 Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 3; von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 4 C I 1, Rn. 336. 164 Stein/von
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 85
2. Die Aufteilung der Gebietshoheit im Rahmen historischer leases a) Überblick Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und der darauffolgenden Jahrhundertwende griffen Staaten häufig auf das Vertragsmodell der völkerrechtlichen Pacht, die sog. (territorial) leases, zurück. Sie stellen im Rahmen dieser Untersuchung die historische Dimension der Pacht im Völkerrecht dar. Nach herkömmlichem Verständnis beinhalteten sie die Überlassung von Gebietsteilen von einem Staat an einen anderen auf bestimmte oder unbestimmte Zeit gegen die Zahlung eines Pachtzinses.167 Das Gebietsrecht des verpachtenden Staates sollte am Ende der Vertragslaufzeit in der Regel auf den Verpächter zurückfallen, es bestand also ein sog. „Heimfallrecht“.168 Zugleich ebneten einige historische Pachtverträge den Weg für eine Annexion oder Sezession des Pachtgebietes, indem der Pächterstaat nicht bloß die Gebietshoheit, sondern auch die Souveränität darüber ausübte und eine rechtliche Grundlage für einen souveränen Gebietsanspruch schuf.169 Daran anknüpfend wurden Pachtverträge als „verschleierte Gebietsabtretung“ eingeordnet.170 Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, dass einer Annexion oder Sezession eine schwächere oder räumlich eingeschränkte Form der Gebietsüberlassung vo rausgeht. So erfolgte auch die russische Annexion der Krim im Nachgang an die kurz zuvor verlängerte Pacht des Hafens von Sevastopol als Stützpunkt für die russische Schwarzmeerflotte.171 Ein entscheidendes Merkmal der historischen leases im Rahmen dieser Untersuchung ist die Aufteilung oder Übertragung der Gebietshoheit. Die leases waren je nach Einzelfall entweder als rein privatrechtliche Pacht ohne jeglichen hoheitlichen Bezug ausgestaltet; weitaus häufiger vereinbarten die Vertragsparteien jedoch eine Übertragung oder Aufteilung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität.172 Im letzteren Fall war der Pächterstaat zu 167 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 168 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 169 Z. B. die Annexion von Zypern durch Großbritannien, von Bosnien-Herzego wina durch Österreich-Ungarn und von Hawaii durch die USA, vgl. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 91. 170 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 49 Rn. III; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 43, 89 ff. 171 Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschnitt, Rn. 22; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 91 f.; s. auch Teil 1 B.V.1. 172 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221.
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einer Ausübung von Hoheitsgewalt in einem derartigen Umfang und von solcher Qualität berechtigt wie auf seinem eigenen Territorium.173 Wie diese Vereinbarungen im Einzelnen ausgestaltet waren, wird anhand konkreter Pachtverträge verdeutlicht (s. Teil 1 C.II.). Die für historische Pachtverträge entwickelten Grundsätze zeichnen zwar den Weg vor, auf dem sich die hiesige Untersuchung der Pachtverträge hinsichtlich der Aufteilung der Gebietshoheit bewegt. Sie lassen sich jedoch nur eingeschränkt auf die untersuchten Pachtverträge neuerer Zeit übertragen. Ihre Ausgestaltung entweder als „verschleierte Gebietsabtretung“ mit umfassenden Hoheitsrechten oder im Gegensatz dazu als rein privatrechtliche Gebietsüberlassung zeigt die Bandbreite zwischen zwei Extremen auf: Entweder verbleibt die gesamte Souveränität bei dem Verpächterstaat und seine Rechtsordnung findet auf dem Pachtgebiet unverändert Anwendung174 oder die Hoheitsgewalt wird vollständig auf den Pächterstaat übertragen175. In diesem Rahmen bewegen sich die untersuchten Pachtverträge neuerer Zeit. Die Aufteilung der Gebietshoheit kann sowohl auf freiwilliger als auch auf unfreiwilliger Basis erfolgen. Ein Staat kann die Gebietshoheit kraft zwischenstaatlicher Vereinbarung von der Souveränität über sein Hoheitsgebiet abspalten oder sie als Konsequenz kriegerischer Auseinandersetzung über einen bestimmten Zeitraum verlieren.176 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Gebietshoheit um ein abgeleitetes Recht handelt. Die Rechte des pachtenden Staates können daher nur in dem Rahmen bestehen, der ihm von dem verpachtenden Staat zugestanden worden ist.177
173 Oxman, Jurisdiction of States, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2007, Rn. 15. 174 S. Vertrag zwischen Frankreich und Spanien über Rechte im Grenzbereich der Pyrenäen: Treaty delimiting the frontier from the mouth of the Bidassoa to the point where the Department of Basses-Pyrenees adjoins Aragon and Navarra, Bayonne, 2. Dezember 1856, 1142 U.N.T.S. 318; vgl. Strauss, The Leasing of Guantanamo Bay, 2009, S. 34. 175 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, Art. 3, abrufbar unter: http:// avalon.law.yale.edu/20th_century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); vgl. Strauss, Guantánamo Bay and the Evolution of International Leases and Servitudes, New York City Law Revue Vol. 10 2006–2007, S. 479 (496). 176 Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 3. 177 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 63.
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 87
b) Pachtverträge, Verwaltungszessionen und Servitute als vorherrschende Vertragstypen Völkerrechtlich anerkannte Modelle von Vereinbarungen zwischen Staaten, in denen die Gebietshoheit über fremdes Territorium ausgeübt wird, sind die Verwaltungszession, die Verpachtung sowie bestimmte Servitute.178 Bei der Verwaltungszession findet zunächst eine Gebietsüberlassung zwischen zwei Staaten einschließlich der Überlassung von Regierung und Verwaltung eines Gebietes insgesamt statt.179 Einer als Verwaltungszession klassifizierten Gebietsüberlassung kann ihrerseits ein Pachtvertrag zugrunde liegen; es handelt sich also nicht um vollständig voneinander abgrenzbare Modelle.180 Die Verwaltungszession ist jedoch nicht als reines Vollzugsgeschäft eines Pachtvertrags zu sehen. Sie kann auch als eigenständiges Rechtsgeschäft vereinbart werden. Formal als Verwaltungszession klassifiziert wurde die Überlassung der Panamakanal-Zone. Art. 3 des Hay-Varilla-Vertrags lautet: „The Republic of Panama grants to the United States all the rights, power and authority within the zone mentioned […] which the United States would possess and exercise if it were the sovereign of the territory within which said lands and waters are located to the entire exclusion of the exercise by the Republic of Panama of any such sovereign rights, power or authority.“181
Die USA waren danach ermächtigt, alle Rechte in der Form auszuüben, als wären sie selbst der Souverän über das Gebiet. Wegen des Umfangs dieser übertragenen Befugnisse und der damit verbundenen Kontrolle über das gesamte „Konzessionsgebiet“ wird dieser Vertrag eher als lease eingeordnet.182 Diese Übertragung hoheitlicher Rechte fällt bei Pachtverträgen gegenüber Verwaltungszessionen üblicherweise weniger deutlich aus. Bei Pachtverträgen handelt es sich – auch zwischen Staaten als Völkerrechtssubjekten – zunächst um die entgeltliche Gebrauchsüberlassung eines Grundstücks. In den historischen Pachtverträgen insbesondere Anfang des 20. Jahrhunderts ging damit jedoch regelmäßig eine Übertragung der Gebietshoheit auf den Pächter einher. Der Begriff der „Pacht“ wurde z. T. nur aus politischen Gründen ge178 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 545 ff.; weitere Beispiele bei Heere/Offerhaus/Verzijl, International Law in Historical Perspective, Vol. XII, 1998, S. 233 ff.; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 51 ff. 179 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 62. 180 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 63. 181 Convention for the Construction of a Ship Canal (Hay-Bunau-Varilla Treaty) vom 18. November 1903, Art. 3, abgedruckt bei de Martens, NRG 2ième Série, XXXI, 599. 182 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 15 m. w. N.
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wählt.183 Bei der Pacht von Kiautschou durch Deutschland aus dem Jahr 1898 wurde die Übertragung der Gebietshoheit allerdings deutlich geregelt. In Art. 3 des Vertrags vom 6. März 1898 heißt es: „Um einem etwaigen Entstehen von Konflikten vorzubeugen, wird die kaiserlich chinesische Regierung während der Pachtdauer im verpachteten Gebiete Hoheitsrechte nicht ausüben, sondern überläßt die Ausübung derselben an Deutschland […].“184
Die chinesische Souveränität sollte ungeachtet dessen erhalten bleiben.185 Die Grenze zwischen Staatsservituten und Pachtverträgen verlaufen nicht immer eindeutig. Servituten bezeichnen zunächst verkehrsbezogene Dienstbarkeiten und Nutzungsrechte, die z. B. das Gebot enthalten, Anlagen zu errichten oder instand zu halten, Hindernisse zu beseitigen oder Durchfahrtsund Wegerechte zu gewähren.186 Es handelt sich dabei um einem Gebiet anhaftende dingliche Berechtigungen.187 Daneben können Servituten militärische Befugnisse wie Überflugs- oder Stationierungsrechte vermitteln; auch bestimmte wirtschaftliche Hoheitsrechte können als Servitut nach klassischem völkerrechtlichem Verständnis eingeordnet werden.188 Darunter fallen Befugnisse des begünstigten Staates z. B. zur Fischerei, zum Schiffsverkehr, zur Gruben- oder Hafennutzung. Die Einräumung einer solchen Dienstbarkeit oder eines solchen Nutzungsrechts enthält allerdings nicht automatisch einen hoheitlichen Bezug. Die Einrichtung von Freihäfen oder Zollfreigebieten etwa stellt ebenfalls eine wirtschaftliche Beschränkung territorialer Hoheitsgewalt dar. Die Hoheitsge183 Gegenüber Drittstaaten sollte die tatsächliche Gebietsausdehnung verschleiert und gegenüber dem Pächterstaat auf eine zu offensichtliche Aufgabe von Rechten Rücksicht genommen werden, vgl. Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 184 Allerhöchster Erlaß, betreffend die Erklärung Kiautschous zum Schutzgebiet, Reichs-Gesetzblatt S. 171, 27. April 1898, abgedruckt in: Chickering/Chase Gummer/ Rotramel, Das Wilhelminische Kaiserreich und der Erste Weltkrieg, 1890–1918 – Ein „ungleicher Vertrag“: Pachtvertrag zwischen China und dem Deutschen Reich, DGDB 2012; vgl. Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 185 Verdross/Simma/Geiger, Territoriale Souveränität und Gebietshoheit – Zur völkerrechtlichen Lage der Oder-Neiße-Gebiete, 1980, S. 23. 186 Herdegen, Völkerrecht, § 23 Rn. 4; Kau, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 133. 187 Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrecht liche Studie, 1911, S. 18. 188 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 67; Gal-Or/Strauss, International Leases as a Legal Instrument of Conflict Resolution: The Shab’a Farms as a Prototype for the Resolution of Territorial Conflicts, Touro International Law Review, Vol. 11 2008, S. 97 (105).
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 89
walt des gewährenden Staates wird faktisch zwar beschränkt, dies bleibt jedoch ohne Auswirkungen auf die Gebietshoheit oder die territoriale Souveränität.189 Im Rahmen von Pachtverträgen nach klassischem völkerrechtlichen Verständnis übertrug der Verpächter demgegenüber die Gebietshoheit im Sinne einer umfassenden Befugnis zur Ausübung von Hoheitsbefugnissen. Die Pacht bedeutete in Einzelfällen eine „verdeckte Sezession“ oder eine „verschleierte Gebietsabtretung“; die territoriale Souveränität des Verpächters war also lediglich nudum ius, d. h. eine „rechtliche Fiktion ohne rechtserhebliche Wirkung“.190 Für Panama etwa fiel die Gebietshoheit über die Panamakanalzone während der langjährigen Vertragslaufzeit vollständig weg, während die territoriale Souveränität fortbestand. Die USA schufen kurz nach Abschluss des Hay-Varilla-Vertrages eine Kommission, welche die Regierungsgewalt über die Kanalzone innehatte und gesetzgeberische Befugnisse ausübte.191 Der Pächter erhielt zudem weitreichende exekutive Befugnisse: „If it should become necessary at any time to employ armed forces for the safety or protection of the Canal, or of the ships that make use of the same, or the railways and auxiliary works, the United States shall have the right, at all times and in its discretion, to use its police and its land and naval forces or to establish fortifications for these purposes.“192
Die USA stellten nicht nur den Governeur der Kanalzone, sondern waren vertraglich ermächtigt, den Schutz des Kanals und der Hilfsanlagen mit Polizei, Truppen und Marine abzusichern sowie Befestigungen anzulegen. c) Vollständige Übertragung der Hoheitsgewalt an den Pächterstaat Auch im Vertrag zwischen Kuba und den USA über Guantánamo Bay aus dem Jahr 1903 wurde vereinbart, dass Kuba die schlussendliche Souveränität über das Gebiet behält, die USA jedoch die „vollständige Hoheitsgewalt und Kontrolle“ ausüben dürfen: „While on the one hand the United States recognizes the continuance of the ultimate sovereignty of the Republic of Cuba […], on the other hand the Republic of 189 Dahm/Delbrück/Wolfrum,
Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 50 Rn. IV.1. Völkerrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 4 Rn. 22; Kirschschläger, „Pachtgebiete“, S. 709, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1961; Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt, S. 19. 191 Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrecht liche Studie, 1911, S. 14. 192 Convention for the Construction of a Ship Canal (Hay-Bunau-Varilla Treaty) vom 18. November 1903, Art. 23, abgedruckt bei de Martens, NRG 2ième Série, XXXI, 599; vgl. Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrechtliche Studie, 1911, S. 21. 190 Kempen/Hillgruber,
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Cuba consents that […] the United States shall exercise complete jurisdiction and control over and within said areas […].“193
Die dort benannte „vollständige Hoheitsgewalt und Kontrolle“ besteht bereits dem Wortlaut nach uneingeschränkt. Allein der Zweck der Gebietsüberlassung ursprünglich als Kohlestation und Marinestützpunkt enthielt Einschränkungen, welche die Nutzung durch die USA jedoch nicht beeinflusst haben.194 Die bereits einleitend beschriebene Besetzung der chinesischen Halbinsel Macau durch Portugal beinhaltete über die Gebietshoheit hinausgehend die Anerkennung portugiesischer Souveränität (s. Einleitung A.II.1.). Bevor die letztendliche Souveränität zumindest von dem Jahr 1976 an wieder bei China lag, stand Macau vollständig unter portugiesischer Verwaltung; das portugiesische Parlament hatte durch den Pekinger Vertrag von 1887 umfassende Legislativrechte erhalten („perpetual occupation and government“).195 d) Aufteilung der Gebietshoheit zwischen den Staaten Im häufigsten Fall wurde auf das Pachtgebiet ein Rechtsregime angewandt, welches sich in der Form weder im Verpächter- noch im Pächterstaat fand. Zwischen dem Russischen Reich und dem Kaiserreich China wurde etwa bei der Pacht über den strategisch bedeutsamen Marinestützpunkt und Handelshafen Kwantung auf der Halbinsel Liadong im Jahr 1898 vereinbart, dass sich die russische Hoheitsgewalt umfassend auf das Pachtgebiet ausdehne, die Strafverfolgung davon jedoch ausgenommen sei: „Should any criminal cases occur, the criminal is to be handed over to the nearest Chinese official to be punished according to law, […].“196
193 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, Art. 3, abrufbar unter: http:// avalon.law.yale.edu/20th_century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 194 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, Art. 2: „[…] the right to use and occupy the waters adjacent to said areas of land and water […] and generally to do any and all things necessary to fit the premises for use as coaling or naval stations only, and for no other purpose.“; abrufbar unter: http://avalon.law.yale.edu/20th_ century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 195 Treaty of Amity and Commerce between Portugal and China of 1 December 1887, Art. 2, 3. 196 Convention for the Lease of the Liaotung Peninsula vom 27. März 1898 (PortArthur); vgl. Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrechtliche Studie, 1911, S. 16; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 107.
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 91
Ein weiteres prominentes Beispiel stellt die Pacht über die Sonderverwaltungszone Hongkong dar, welche über das Gebiet der New Territories erweitert wurde. Nachdem Großbritannien bereits die Kontrolle über die Kronkolonie Hongkong ausübte, vereinbarte es mit China im Jahr 1898 die Pacht über das zusätzliche Gebiet der New Territories.197 Die Gebietshoheit wurde in Bezug auf das Gebiet von Kowloon sowie die New Territories zwischen den Vertragsparteien aufgeteilt: „It is at the same time agreed that within the city of Kowloon the Chinese officials now stationed there shall continue to exercise jurisdiction except so far as may be inconsistent with the military requirements for the defence of Hongkong. Within the remainder of the newly-leased territory Great Britain shall have sole jurisdiction.“198
Die lediglich aufgeteilte Gebietshoheit zeigte sich auch in der internationalen Außenwahrnehmung der Kronkolonie: Während es durch Großbritannien bei den Vereinten Nationen repräsentiert wurde, war es eigenständiges Mitglied des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) sowie der Asian Development Bank (ADB), wodurch ihm eine eigenständige internationale Rechtspersönlichkeit zugeschrieben wurde.199 Das Mundatwald-Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich stellt ein Lehrbuchbeispiel zur Veranschaulichung der Aufteilung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität dar. Auch hierbei handelte es sich formal um eine Verwaltungszession.200 Die französische Besatzungsmacht übernahm im Jahr 1946 die Verwaltung über eine Fläche des Mundatwaldes von sieben km² zur Sicherstellung der Wasserversorgung für die französische Stadt Wissembourg.201 Grundlage dafür war Art. 1 Nr. 4 der Verordnung Nr. 212 über Grenzberichtigungen vom 23. April 1949, in welcher die Leitung des Französischen Oberkommandos in Deutschland verschiedene vorläufige Änderungen der deutschen Westgrenze anordnete. Deutschland behielt danach die territoriale Souveränität über das Gebiet des Mundatwaldes, war jedoch 197 Malanczuk, Hong Kong, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Fe bruar 2010, Rn. 10. 198 Convention for the Extension of Hongkong, Peking vom 9. Juni 1898 (New Territories), United Kingdom Treaty Series 1898, No. 16; vgl. Beck, Der Panamakanal und die internationale Schiffahrt – Eine völkerrechtliche Studie, 1911, S. 16; Strauss, the Leasing of Guantánamo Bay, 2009, S. 34. 199 Langer, Out of Joint? – Hong Kong’s International Status from the Sino-British Joint Declaration to the Present, Archiv des Völkerrechts Band 46, 2008, S. 309 (313 ff.); Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 137. 200 Khan, Die deutschen Staatsgrenzen – Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen, Habilitation München 2004, S. 578 m. w. N. 201 Pilz, Der Mundatwald bleibt deutsch! Wie das deutsch-französische Grenzabkommen vom 31. Juli 1962 am Auswärtigen Ausschuss des Bundestages scheiterte, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Jahrgang 43, Heft 4 2012, S. 816 ff.
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nicht zur Ausübung von Hoheitsgewalt befugt. Frankreich war demgegenüber unbefristet zum Holzeinschlag sowie zur Wassernutzung berechtigt und erhielt die Jagdrechte innerhalb dieses Gebietes.202 Der Mundatwald ist erst seit 1986 wieder uneingeschränkt deutsches oheitsgebiet, nachdem der Bundestag unter Zustimmung der drei westdeutH schen Besatzungsmächte die Verordnung Nr. 212 für aufgehoben erklärte. Hiermit erklärte sich Frankreich einverstanden, nachdem es als Ausgleich zum Verlust der Verwaltungshoheit als Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen werden sollte.203 Die Gebietshoheit wurde folglich mit dem privatrechtlichen Grundbesitz ausgetauscht. e) Rein privatrechtliche Ausgestaltung Ein zwischen Staaten geschlossener Pachtvertrag konnte demgegenüber auch rein privatrechtlich ausgestaltet sein. Die Pacht ermöglichte in diesen Fällen lediglich die Benutzung des verpachteten Gebiets ohne die Übertragung von Hoheitsrechten und unter uneingeschränkter Fortgeltung der Rechtsordnung des verpachtenden Staates.204 Historische Beispiele finden sich insbesondere zwischen Kolonialmächten zur Regelung und Abgrenzung ihrer Einflusssphären.205 Hier bestand jedoch häufig der Unterschied, dass der nur scheinbar souveräne Staat, um dessen Hoheitsgebiet es in der Pacht ging, nicht an dem Vertrag beteiligt war und keine Übertragung von Rechten stattfand.
202 Khan, Die deutschen Staatsgrenzen – Rechtshistorische Grundlagen und offene Rechtsfragen, Habilitation München 2004, S. 579; Pilz, Der Mundatwald bleibt deutsch! Wie das deutsch-französische Grenzabkommen vom 31. Juli 1962 am Auswärtigen Ausschuss des Bundestages scheiterte, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Jahrgang 43, Heft 4 2012, S. 816 ff. 203 BT-Drucks. 10/4512, S. 32; der Notenaustausch erfolgte mit Verbalnote vom 13. Mai 1984. 204 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 222. 205 Großbritannien und Frankreich, Abgrenzung der beiderseitigen Besitzungen östlich und westlich vom Niger und der Interessensphären östlich vom Niger, Erklärung vom 21. März 1899, Paris, 14. Juni 1898; abgedruckt bei Roloff (Hrsg.), Das Staatsarchiv – Sammlung der officiellen Actenstücke zur Geschichte der Gegenwart, begründet von Aegidi und Klauhold, 64. Band, 1901, S. 325 ff.; weitere Abkommen zwischen Großbritannien und Italien vom 19. Januar 1905 und zwischen Deutschland und Frankreich vom 4. November 1911 als Annex zu Art. 8 des deutsch-französischen Abkommens betreffend die beiderseitigen Besitzungen in Äquatorial-Afrika; hierzu Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 220 ff.
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 93
II. Die Übertragung von Hoheitsgewalt auf den Pächter 1. Grundsätzliche völkerrechtliche Anforderungen an die extraterritoriale Ausübung von Hoheitsgewalt Die Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Hoheitsgebiet ist in jeglicher Form ohne Einwilligung des Verpächterstaates nur in Ausnahmefällen völkerrechtlich erlaubt.206 Sie bedeutet grundsätzlich einen Eingriff in die Souveränität des Verpächterstaates i. S. v. Art. 2 Abs. 1 UN-Charta und bedarf eines völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkts, eines sog. genuine link.207 Eine Einwilligung des Verpächterstaates liegt nicht automatisch in der Erklärung begründet, sein Hoheitsgebiet zu verpachten. Selbst wo dies der Fall ist, werden im Rahmen von Pachtverträgen auch außerhalb staat licher Einwilligung Hoheitsbefugnisse ausgeübt. Auch und insbesondere solche nicht ausdrücklich übertragenen Hoheitsbefugnisse sind an den völkerrechtlichen Anforderungen zu messen. Daher werden zunächst die grundsätzlichen völkerrechtlichen Anforderungen an die extraterritoriale Ausübung von Hoheitsgewalt erläutert. a) Äußerungsformen extraterritorialer Hoheitsgewalt Die völkerrechtlichen Anforderungen an die Befugnis eines Staates, auf fremdem Hoheitsgebiet, d. h. extraterritorial, Hoheitsgewalt auszuüben, hängen davon ab, in welche „Kategorie“ das jeweilige hoheitliche Handeln einzuordnen ist. Die drei anerkannten Kategorien staatlicher Hoheitsgewalt – die Legislative, Exekutive und Judikative – gelten dabei gleichermaßen intrawie extraterritorial. Extraterritoriale Hoheitsgewalt beinhaltet also die staat liche Befugnis zur Setzung, Anwendung und Durchsetzung von Verhaltensnormen für Personen, Sachen oder Ereignisse auf fremdem Hoheitsgebiet.208
206 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1314 ff.); Kamchibekova, State Responsibility for Extraterritorial Human Rights Violations, Buffalo Human Rights Law Review 13/2007, S. 87 (90); Orakhelashvil, Governmental Activities on Foreign Territory, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2010, Rn. 1 ff. 207 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (891); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 71; Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994). 208 Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 1.
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Dabei bestimmt primär das nationale Recht des betroffenen Staates, ob eine Maßnahme als hoheitlich einzustufen ist.209 Die Rechtssetzungshoheit bezieht sich zunächst auf sämtliche Personen, Güter und Sachverhalte auf einem bestimmten Gebiet. Auf dem eigenen Hoheitsgebiet eines Staates besteht sie somit umfassend und uneingeschränkt. Besonderheiten ergeben sich lediglich aus selbst auferlegten inter- oder supranationalen Einschränkungen. Unter die extraterritoriale Rechtssetzungsgewalt fallen u. a. Befugnisse, welche einen spezifischen territorialen Bezug aufweisen. Hierunter fällt etwa die Entscheidung darüber, wer zur Abspaltung oder Veräußerung eines Gebiets befugt ist; hinzu kommt die Entscheidungsgewalt darüber, welche Personen und Güter zu einem Grenzübertritt, also dem Verlassen oder Betreten staatlichen Territoriums, berechtigt sind und welcher rechtliche Status ihnen im Folgenden zukommt.210 Im Hinblick auf Personen schließt der rechtliche Status die Staatsbürgerschaft, die Aufenthaltsbestimmung sowie den diplomatischen Status mit ein.211 Im Hinblick auf Güter sind Ein- und Ausfuhrbestimmungen, Zölle sowie sonstige Außenhandelsbestimmungen zu nennen. Die Anwendung von Verhaltensnormen wird von der rechtsprechenden Gewalt erfasst. Die extraterritoriale Ausübung der rechtsanwendenden Hoheitsgewalt liegt in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Sachverhalten, die einen spezifischen Auslandsbezug aufweisen. Dieser kann sowohl durch den Ort begründet werden, an dem sich der Sachverhalt zugetragen oder ausgewirkt hat sowie durch die daran beteiligten Personen (s. Teil 1 II.1.c)). Der nationale sowie internationale Regulierungsumfang für diese Art von extraterritorialer Hoheitsgewalt ist hoch, da die Fallgestaltungen größtenteils vorhersehbar und entsprechend regulierbar sind. Zugleich liegt in der gerichtlichen Auseinandersetzung mit auslandsbezogenen Sachverhalten in aller Regel kein Grund für eine nennenswerte Einschränkung oder Erweiterung der Gebietshoheit. Die Durchsetzung von Verhaltensnormen – die Ausübung extraterritorialer Exekutivgewalt – beinhaltet schließlich den Vollzug von Hoheitsakten. Darunter fallen rechtmäßige sowie unrechtmäßige hoheitliche Aktivitäten physisch auf fremdem Staatsgebiet anwesender Amtsträger, z. B. Ermittlungshandlungen, die Zustellung gerichtlicher Unterlagen bis hin zur Festnahme von Personen.212 Die vielfältigen Regulierungsmöglichkeiten in Form von Geboten, Verboten, Rechtsgewährungen, -gestaltungen und -versagungen er209 Epping,
in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 60. Boundaries of Authority, 2016, S. 93 ff. 211 Simmons, Boundaries of Authority, 2016, S. 93. 212 Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 22. 210 Simmons,
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öffnen einen weiten Spielraum denkbarer Durchsetzungsakte. Diese sind insbesondere mit sehr unterschiedlichen Eingriffen in individuelle oder kollektive Rechte verbunden. Als Hilfsüberlegung zur Bestimmung des hoheit lichen Gehalts einer Handlung kann zwischen solchen Handlungen unterschieden werden, die ein Staat für sich selbst vorbehält und solchen, die ein Privater auch ohne staatliche Erlaubnis durchführen dürfte.213 Diese Betrachtung geht zurück auf die Regeln der Staatenimmunität, die zwischen sog. acta iure imperii und acta iure gestionis unterscheidet.214 Bei primär wirtschaftlichen Aktivitäten führt dieser Maßstab jedoch im Wesentlichen zu einer Qualifizierung der untersuchten Verhaltensweisen als nicht hoheitlich. b) Anforderungen in Abhängigkeit von der Kategorie staatlicher Gewalt Die völkerrechtlich anerkannten Kriterien zur Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt wurden in erster Linie für die Regulierung und Aburteilung von Auslandssachverhalten, also die Rechtsetzung und -anwendung, entwickelt. Sie sind darüber hinaus weitgehend deckungsgleich.215 Die Anforderungen an die Rechtsdurchsetzung – den Vollzug von Hoheitsakten auf fremdem Hoheitsgebiet – sind davon also zunächst zu trennen. Aufgrund der zuvor beschriebenen Vielzahl an denkbaren Durchsetzungsmaßnahmen sind auch die hieran zu stellenden Kriterien vielfältig. So wird die extraterritoriale Ausübung von Exekutivgewalt mit der Ausübung militärischer oder polizeilicher Gewalt in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang ist häufig der Anwendungsbereich des Rechts humanitärer Interventionen sowie des Besatzungsrechts eröffnet. Andere extraterritoriale Vollzugsakte wiederum beruhen auf politischen Absprachen und sind selten Gegenstand rechtlicher Einordnung und Dogmatik.216 Hierzu zählen etwa die als hoheitlich einzuordnenden Handlungen im Rahmen von Staatsbesuchen. Eine einheitliche Regulierung dergestalt, wann ein Staat welchen Durchsetzungsakt durch eine fremde Amtsperson auf seinem Territorium zu dulden hat, wird durch diese Vielfältigkeit erschwert.
213 Crawford,
State Responsibility – The General Part, 2013, S. 130. State Responsibility – The General Part, 2013, S. 130. 215 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 10; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 231. 216 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/ 2013/2014, S. 1303 (1311). 214 Crawford,
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c) Die Anforderungen im Einzelnen Die Ausübung jeglicher Form extraterritorialer Hoheitsgewalt ist – wie eingangs bereits erwähnt – an der Souveränität des Verpächterstaates i. S. v. Art. 2 Abs. 1 UN-Charta zu messen und erfordert einen sog. genuine link.217 Die Anforderungen daran haben für die Ausübung der Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsgewalt größere Konkretisierung erfahren als für die Exekutivgewalt. Sie hängen zunächst von der zu regelnden oder abzuurteilenden Sachmaterie ab. So ist die Regulierung und Aburteilung von Auslandssachverhalten nach dem Territorialitäts-, dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip, dem Universalitäts- sowie dem Schutzprinzip sowie nach dem Wirkungsprinzip anerkannt.218 Für die Regulierung oder Aburteilung von Auslandssachverhalten ist also ein Anknüpfungspunkt erforderlich, der nach völkerrechtlichen Kriterien zu messen ist. Es kann vorweggenommen werden, dass der Pächter im Rahmen der untersuchten Verträge ganz überwiegend nicht zur Wahrnehmung der Rechtssetzungs- oder Rechtsprechungsgewalt ermächtigt wird (s. sogleich unter Teil 1 C.II.2.). Die vertraglichen Befugnisse erfassen zwar mitunter den Erlass allgemeinverbindlicher Bestimmungen, diese sind jedoch eher mit betrieblichen oder anlagenbezogenen internen Vorgaben vergleichbar. Die völkerrechtlichen Anforderungen an die extraterritoriale Rechtsetzungs- sowie Rechtsanwendungsgewalt gewinnen für die vorliegende Untersuchung vielmehr im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Schutzpflichten durch den Herkunftsstaat an Bedeutung (s. Teil 2 D.II.1.). Für die extraterritoriale Ausübung von Durchsetzungsgewalt kann festgehalten werden, dass die Anforderungen an ein völkerrechtmäßiges Handeln grundsätzlich enger sind. Wie der StIGH in dem bereits erwähnten LotusFall entschied, verbietet das Völkerrecht dem Staat grundsätzlich die Ausübung seiner Macht in Gestalt der Durchsetzung von Hoheitsakten auf fremdem Gebiet, sofern eine bestimmte Regel sie nicht erlaubt.219 Das folgt aus 217 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (891); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 71; Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994). 218 The Case of the S.S. Lotus (France v. Turkey), Judgement, P.C.I.J. Reports, Series A, No. 10 (1927), 308; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 47 Rn. III.3; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 23; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 74. 219 Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 8; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl.
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dem mittlerweile kodifizierten Grundsatz der territorialen Integrität gem. Art. 2 Abs. 4 UN-Charta. Liegt indes eine gewohnheitsrechtliche oder vertragliche Zustimmung oder Duldung vor, wie insbesondere bei diplomatischen oder konsularischen Tätigkeiten, erfolgt die extraterritoriale Durchsetzung von Hoheitsakten völkerrechtskonform.220 Eine Erlaubnis dafür besteht z. B. für den Erlass von Hoheitsakten an Bord von Schiffen und Flugzeugen in bzw. über fremdem Territorium.221 Außerhalb des Einverständnisses des Territorialstaates kann exekutive Hoheitsgewalt auf fremdem Hoheitsgebiet in völkerrechtskonformer Weise durch eine Billigung des Sicherheitsrates gem. Kap. VII der UN-Charta von Militäreinsätzen im Rahmen des peacekeeping oder peace-enforcement ausgeübt werden.222 Im Folgenden wird untersucht, in welchem Umfang einem Staat im Rahmen von Pachtverträgen eine solche Erlaubnis zur extraterritorialen Ausübung insbesondere exekutiver Hoheitsgewalt erteilt wird. 2. Ausdrücklich übertragene Hoheitsbefugnisse Es bestehen keine allgemein anerkannten völkerrechtlichen Prinzipien zur Beurteilung völkerrechtlicher Pachtverträge, auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Hoheitsgewalt der Vertragsstaaten. Vielmehr ist jeder Vertrag sui generis zu behandeln.223 Auch vor dem Hintergrund historischer leases lässt die ausdrückliche Bezeichnung eines Vertrags als „Pacht“ keine Rückschlüsse über die Übertragung von Hoheitsrechten zu.224 Es wird daher zu1988, § 47 Rn. III.2.a); Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (994); The Case of the S.S. Lotus (France v. Turkey), Judgement, P.C.I.J. Reports, Series A, No. 10 (1927), 45. 220 Thallinger, Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte: Auslandseinsätze des Bundesheeres und Europäische Menschenrechtskonvention, 2008, S. 13; Volz, Extraterritoriale Terrorismusbekämpfung, Dissertation Tübingen 2006, S. 117; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, § 456; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 274. 221 Zum Ganzen: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 47 Rn. III.4.c). 222 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (309). 223 Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 1; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 21. 224 Z. B. „Land Rent Contractual Agreement“ (Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010), „Convention Particuliere sur les Conditions de Cession et de Bail des Terres“ (Vertrag über die
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nächst erläutert, in welchem Umfang Hoheitsrechte ausdrücklich übertragen werden. a) Keine ausdrückliche Übertragung der vollständigen Gebietshoheit Der Pächter ist zur Ausübung von Hoheitsrechten grundsätzlich in dem Umfang befugt, in welchem sie ihm durch den Verpächterstaat übertragen wurden. Befugnisse zur Ausübung einzelner hoheitlicher Maßnahmen oder der (vollständigen) Gebietshoheit werden in den untersuchten Pachtverträgen neuerer Zeit jedoch selten ausdrücklich vereinbart. Eine Vereinbarung wie diejenige zwischen den USA und Kuba aus dem Jahr 1903 mit dem Inhalt, „[The USA] shall exercise complete jurisdiction and control over and within said areas“,225 in der die Vertragsparteien sich ausdrücklich über einen Übergang der Gebietshoheit einig waren, finden sich in neueren Pachtverträgen – soweit ersichtlich – nicht mehr. Sie enthalten regelmäßig keine solche „jurisdiction-clause“. Eine Aussage über die Übertragung der Gebietshoheit ließe sich aus Vertragsklauseln über die territoriale Souveränität des Verpächterstaates herleiten. Wird geregelt, dass diese vollständig erhalten bleiben soll, spricht einiges für die gemeinsame Übereinkunft der Vertragsstaaten, die davon abgeleitete Gebietshoheit an den Pächterstaat zu übertragen. Andernfalls wäre anzunehmen, dass sie auch eine dahingehende Regelung ausdrücklich getroffen hätten. Beispiele hierfür finden sich in einzelnen Pachtverträgen zwischen Russland und ehemaligen Staaten der Sowjetunion.226 Diese enthalten zum Teil Bestimmungen, wonach die Souveränität über das verpachtete Gebiet bei dem jeweiligen Verpächterstaat – darunter Tadschikistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Weissrussland und die Ukraine – verbleiben sollte.227 Das Abkommen vom 28. März 1994 zwischen Russland und Kasachstan über den Weltraumbahnhof Baikonur enthielt etwa eine Klausel zur Vereinbarung von Maßnahmen zur Absicherung der Hoheitsgewalt Kasachstans. Russland Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009). 225 Agreement between the United States and Cuba for the Lease of Lands for Coaling and Naval stations vom 23. Februar 1903, Art. 3, abrufbar unter: http:// avalon.law.yale.edu/20th_century/dip_cuba002.asp (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 226 Vgl. das Baikonur-Kosmodrom in Kasachstan, eine Radarstation in Gabala, Aserbaidschan, eine Militärbasis in Nurek, Tadschikistan sowie weitere Pachtverträge mit Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan, vgl. Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 15. 227 Ronen, Territory, Lease, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juli 2008, Rn. 15.
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sollte danach die Hoheitsgewalt über das zivile und militärische Personal seiner Staatsangehörigkeit ausüben, während die Hoheitsgewalt im Übrigen bei Kasachstan verbleiben sollte.228 Die territoriale Souveränität sowie die Gebietshoheit des Verpächterstaates sind – soweit ersichtlich – in neuerer Zeit hingegen ausnahmslos kein Gegenstand pachtvertraglicher Vereinbarung mehr. Die Zurückhaltung hinsichtlich solcher Vereinbarungen erklärt sich dadurch, dass das gewandelte Selbstverständnis souveräner Staaten und damit letztlich die Völkerrechtsordnung der Abtretung von Hoheitsgewalt engere Grenzen vorgibt. Im Rahmen der regionalen Wirtschaftsintegration sowie der Mitgliedschaft in kollektiven Verteidigungssystemen ist die Abtretung von Hoheitsgewalt ausgiebig reguliert. Es entspricht diesem gewandelten Selbstverständnis nicht mehr, weitreichende hoheitliche Befugnisse über das eigene Hoheitsgebiet auf andere Staaten zu übertragen. Die nach außen wirkende staatliche Souveränität im UN-Verbund verbietet zwar mit dem Gewaltverbot gem. Art. 2 Nr. 4 UN-Charta nur äußere Eingriffe gegen den Willen des Staates. Darin liegt aber zugleich die Grundannahme des Verbleibs der effektiven Hoheitsgewalt beim Staat. b) Abgrenzung zu rein privatrechtlichen Befugnissen Die untersuchten Pachtverträge wurden überwiegend zwischen dem Empfangsstaat und privatwirtschaftlich organisierten Akteuren geschlossen, welche diese in der Folge selbst durchführen und das Pachtgebiet verwalten. Private Akteure wie Unternehmen können in völkerrechtlich anerkannter Weise Hoheitsrechte ausüben, indem sie durch das Recht eines Staates ermächtigt werden, Elemente der hoheitlichen Gewalt dieses Staates auszuüben. Dies verdeutlicht bereits Art. 5 ILC-Entwurf. Sie handeln dann gleichsam als Beliehene dieses Staates. Daraus zu schließen, privaten Unternehmen könne im Rahmen eines Pachtvertrags die Gebietshoheit über ein Stück staatlichen Territoriums übertragen werden, begegnet jedoch Bedenken. Zwar sind Hoheitsrechte nicht erst dadurch als solche zu qualifizieren, dass sie durch einen staatlichen Akteur ausgeübt werden. Ein Gebot oder Verbot auszusprechen, ein Subordinations- oder herrschaftliches Gewaltverhältnis zu betroffenen Individuen zu schaffen, ist nicht nur staatlichen Akteuren vorbehalten, wenn es von einer staatlichen Ermächtigung gedeckt ist. Dennoch üben grundsätzlich staatliche Organe bzw. Amtsträger und nicht privatwirtschaftliche Akteure die Gebietshoheit als umfassende Hoheitsgewalt aus. Die 228 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 3; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff.
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Figur des Beliehenen ist nicht für eine umfassende Übertragung der Hoheitsgewalt geschaffen. Da die Einordnung des Verhaltens im Rahmen von Pachtverträgen als staatlich oder privat jedoch erst bei der Frage der Zurechnung eines Verhaltens zum Staat relevant wird (s. Teil 2 A.I.), wird die Übertragung von Hoheitsgewalt auf den Pächter zunächst unabhängig davon untersucht, ob dieser ein staatlicher oder privater Akteur ist. Die im Rahmen der Pacht übertragenen und wahrgenommenen Befugnisse lassen sich häufig nicht a priori als hoheitlich oder nicht-hoheitlich einordnen, da diese Einteilung im gesellschaftlichen und kulturellen Verständnis staatlicher Aufgaben und Befugnisse stark differiert. Die Definition einer öffentlichen, hoheitlichen oder staatlichen Aufgabe im Unterschied zu einer privaten Aufgabe ist nicht ohne weitreichende Überschneidungen möglich. Besonders die Rolle des Staates bei der Versorgung der Bevölkerung unterliegt einem Wandel, der sich nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht – etwa in Gestalt von Privatisierungen oder privatwirtschaftlicher Aufgabenerfüllung – zeigt. Dennoch besteht ein unveränderter Kernbereich hoheitlicher Aufgaben, welcher der folgenden Untersuchung zugrunde gelegt wird. Dazu gehören die Aufgaben zur Ausübung effektiver Staatsgewalt als konstitutives Element der Staatlichkeit nach innen und nach außen, d. h. Befugnisse zum Erhalt der Sicherheit und Ordnung sowie Durchsetzung von Staatsgewalt.229 c) Übertragung der Normsetzungs- und Rechtsprechungsgewalt Im Rahmen der untersuchten Pachtverträge neuerer Zeit wird dem Pächter in der Regel keine Rechtsetzungsgewalt übertragen. Eine derartige hoheit liche Befugnis besteht allenfalls für untergesetzliche Normen, also Regelungen, die der Exekutivgewalt zuzuordnen sind. Die Regulierungsgewalt bezieht sich dann auf einzelne Vorgänge im Zusammenhang mit der Nutzung des Pachtgebiets. Solche Nutzungsbedingungen folgen bereits aus dem „Hausrecht“ des Pächters auf dem Pachtgebiet und können außerhalb von der Ausübung von Hoheitsgewalt erlassen werden. Eine Ausnahme stellen die Befugnisse Russlands als Pächter des Gebiets um den Weltraumbahnhof Baikonur dar. Dort erstrecken sich die Gesetze Russlands auf das militärische und zivile Personal mit russischer Staatsbürgerschaft.230 Außerdem wird der Bürgermeister der Stadt Baikonur auf russi229 Drews, Die völkerrechtlichen Dimensionen des staatlichen Einsatzes privater Militärfirmen, Dissertation Hamburg 2011, S. 188 f. 230 Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 2 f.
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schen Vorschlag hin gemeinsam vom russischen und kasachischen Präsidenten ernannt.231 Russland wird danach ermächtigt, den räumlichen Anwendungsbereich seiner Rechtsordnung auf bestimmte Personen im Ausland zu erstrecken, nicht jedoch, dort eine allgemeinverbindliche Rechtssetzung vorzunehmen. Die Rechtsprechungsgewalt verbleibt ebenfalls in der Regel beim Verpächterstaat. Die Verträge enthalten häufig eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten desselben.232 Die in früheren Pacht- oder Konzessionsverträgen enthaltenen Extraterritorialitätsklauseln bezüglich der Staatsangehörigen des ausländischen Staates finden heute keine Entsprechung (s. Einleitung A.II.2.). d) Übertragung polizeilicher und militärischer Befugnisse Vereinzelt lassen sich die vertraglichen Befugnisse der vollziehenden Gewalt zuordnen. Den deutlichsten Anknüpfungspunkt für exekutive Befugnisse liefern Sicherheits- bzw. Polizeibefugnisse, die Eingriffsrechte gegenüber Individuen entweder ausdrücklich enthalten oder zumindest voraussetzen. Das Gewaltmonopol des Verpächterstaates wird dadurch eingeschränkt. Nicht immer enthalten die Verträge jedoch eine ausdrückliche Regelung. Die Sicherheitsbefugnisse können zum Einsatz privater Sicherheitskräfte oder zur Stationierung von Militär ermächtigen. Das Recht zur Stationierung von Truppen schließt üblicherweise Hoheitsrechte wie Manöverrechte, Überflugrechte und die Errichtung von Militärgerichtsbarkeiten mit ein.233 Das Abkommen vom 28. März 1994 zwischen Russland und Kasachstan über den Weltraumbahnhof Baikonur regelt den Status des russischen Militärs, das die Sicherheit auf dem Gelände erhalten soll.234 Dessen Rechte und Pflichten bestimmen sich wiederum nach dem Abkommen vom 25. Mai 1992. Danach ist das russische Militär „Chief-of-Staff in Charge“. Das Militär führt seine Aktivitäten nach russischem Recht und den russischen Truppenstatuten aus. Es gilt lediglich die Einschränkung: „[…] while taking into account the law 231 Ratifikationsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 10. Dezember 1994, Art. 6.9. 232 Z. B. Agreement between the Government of Canada and the Government of the People’s Republic of China for the Promotion and Reciprocal Protection of Investments – Bilateraler Investitionsvertrag Kanada/China vom 9. September 2012, Art. 30; Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992, Punkt 12 Abs. 1.2, u. v. m. 233 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 50 Rn. II.3. 234 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 4.5: „The military Space personnel shall have the rights and duties established for the Chief-of-Staff in charge of space facilities of the Military Forces […].“
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of the Republic of Kazakhstan“.235 Der Wortlaut dieser Einschränkung lässt keine strenge Bindung an die kasachischen Gesetze erkennen, sondern lediglich eine Berücksichtigungspflicht. Diese ist jedoch nicht letztverbindlich und hat nicht die Qualität eines Vetorechts für Kasachstan. Besonders weitreichend sind die Sicherheitsbefugnisse in dem Vertrag zwischen Liberia und dem malaysischen Mischkonzern Sime Darby geregelt. Dieser darf auf dem Pachtgebiet den öffentlichen Zugang zu privaten Bereichen verbieten und bestimmte Maßnahmen zum Erhalt der Sicherheit seines Vermögens ergreifen.236 Das Justizministerium ermächtigt den Investor, auf der Grundlage eines Sicherheitsplans eine Sicherheitsabteilung einzurichten, um die Einhaltung von Recht, Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten.237 In dem Sicherheitsplan sind insbesondere polizeiliche Eingriffsrechte geregelt, wie die Festnahme und das Festhalten von Personen bis zu 24 Stunden aus wirtschaftlichen, operationellen oder Sicherheitsgründen, allerdings unter Aufsicht und Kontrolle der Regierung Liberias.238 Das Festsetzen von Personen aus „wirtschaftlichen Gründen“ verdeutlicht, dass die polizeilichen Eingriffsrechte des Pächters in diesem Fall sogar über das hinausgehen, wozu der Verpächterstaat typischerweise selbst befugt ist. e) Befugnis zur Weiterverpachtung Des Weiteren kann die Befugnis zur Weiterverpachtung des Gebiets einen hoheitlichen Bezug aufweisen, soweit damit die territoriale Verfügungsbefugnis als Ausdruck der ausschließlichen Gebietshoheit übertragen wird.239 Denn ein wichtiger Bestandteil der Gebietshoheit ist die Ausschließlichkeit, d. h. die Macht, andere staatliche Hoheitsgewalt auf dem Pachtgebiet zu verdrängen. Darf der Pächter also frei über das Gebiet verfügen und es z. B. an Dritte abtreten, lässt dies auf seine umfassende Hoheitsgewalt schließen. Diese Überlegung führt jedoch insofern nicht weiter, dass die Verfügung über das Gebiet nicht zu weiterreichenden Rechten führen kann, als sie der Pächter selbst innehat. Schon in historischen Pachtverträgen war – auch ohne ausdrückliche Bestimmung – der Pächter unter Berücksichtigung des Heim235 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 4.5. 236 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.4, S. 12. 237 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 9.3, S. 24: „Plant Protection Department“. 238 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 9.3, S. 24. 239 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 49 Rn. III.
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fallrechts des Verpächters nicht zur Weiterverpachtung befugt.240 Dem Pächter wird in heutigen Verträgen zwar regelmäßig die Weiterverpachtung über das Gebiet, d. h. die Möglichkeit der Übertragung an Dritte, eingeräumt.241 Dabei ist er jedoch nicht zur freien Verfügung berechtigt, sondern unterliegt Einschränkungen, wie etwa der Zustimmungsbedürftigkeit des Verpächterstaates.242 Zum Teil werden außerdem weitere Bedingungen vereinbart, wie das Erfordernis, dass zuvor ein bestimmter Anteil der Fläche bewirtschaftet sein muss.243 f) Zwischenergebnis Die Analyse der ausdrücklich übertragenen Hoheitsbefugnisse führt zu dem Ergebnis, dass einzelne Verträge Russlands mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion durchaus in der Tradition historischer Pachtverträge die Gebietshoheit auf den Pächterstaat übertragen. Pachtverträge aus dem landwirtschaftlichen Bereich enthalten solche Rechte vereinzelt in Gestalt von polizeilichen Eingriffsbefugnissen. Darüber hinaus finden sich Hinweise auf Ausnahmefälle, in denen Pächter zwar staatenähnliche Befugnisse ausüben, denen jedoch keine ersichtlichen vertraglichen Regelungen zugrunde liegen. Hauptsächlich beinhalten die untersuchten Verträge indes primär als privatrechtlich einzuordnende Befugnisse. 3. Faktisch übertragene oder ausgeübte Hoheitsbefugnisse Da ausdrückliche Vereinbarungen über die Ausübung von Hoheitsgewalt in den untersuchten Pachtverträgen Ausnahmecharakter haben, kommt es vorliegend schwerpunktmäßig auf die stillschweigende Übertragung von Hoheitsrechten an. Es werden daher typischerweise im Rahmen der Vertrags240 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 241 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 24. 242 Z. B. Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009: Section 24.1 ermöglicht die Vertragsfortführung bei Unternehmensnachfolge unter Zustimmung der Regierung; Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002: § 14 regelt die übereinstimmende Übertragbarkeit an Private bei Beachtung des sudanesischen Investitionsschutzrechts. 243 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 4.10: „Unless 75 % of the project land is developed the lessee has no right to transfer the land or properties developed on the land in favour of any other company or individual“ und Art. 4.11 „[…] only with the prior permit of the lessor.“
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Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
ausübung auftretende Sachverhalte daraufhin überprüft, ob sie die Ausübung von Hoheitsrechten erfordern. Entscheidend ist also, wann der Pächter Hoheitsrechte im Sinne eines „rechtlichen Dürfens“ ausüben muss, um seine vertraglichen Befugnisse wahrnehmen zu können (s. Einleitung B.III.). a) Faktische Gesamtkontrolle des Pachtgebiets Das Beispiel des Pachtvertrags zwischen Laos und einem chinesischen Unternehmen über das Stadtgebiet von Boten Golden City unterstreicht die Aktualität der Aufteilung von territorialer Souveränität und Gebietshoheit nach dem Vorbild historischer leases. Die Pacht wurde im Jahr 2003 mit einer 30-jährigen Laufzeit über das 1.640 Hektar große Stadtgebiet Boten abgeschlossen.244 Der chinesische Pächter führte auf dem Stadtgebiet von Boten Golden City eine eigene Währung ein und teilte die infolge seiner Investitionen generierten Arbeitsplätze überwiegend chinesischen Arbeitnehmern zu.245 Die Befugnisse des Pächters über das Stadtgebiet gingen so weit, dass Anwohner und Kasinobetreiber mit den treffenden Einschätzungen „Sure it’s China! China rented it“ und „we have our own government inside the zone“ zitiert werden.246 Solche Verträge lassen am ehesten die Übertragung der Gebietshoheit vermuten, auch wenn sie ihrem materiellen Inhalt nach lediglich privatrechtliche Nutzungsbefugnisse beinhalten. Hoheitsgewalt ist in diesem Fall ein faktischer Annex zu weitreichenden Pachtrechten. Die Beurteilung von Hoheitsgewalt deckt sich in diesem Fall inhaltlich mit der Frage nach der Effektivität staatlicher Hoheitsgewalt. Diese wird im Zu244 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Strangio, The Rise, Fall and Possible Renewal of a Town in Laos on China’s Border, The New York Times, 6. Juli 2016, abrufbar unter: https://www. nytimes.com/2016/07/07/world/asia/china-laos-boten-gambling.html (zuletzt abge rufen am 16. Mai 2019). 245 Fawthrop, Laos’s Chinese Gamble, The Diplomat, 24. Dezember 2010, abrufbar unter: http://thediplomat.com/2010/12/laoss-chinese-gamble/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 246 Fawthrop, Laos’s Chinese Gamble, The Diplomat, 24. Dezember 2010, abrufbar unter: http://thediplomat.com/2010/12/laoss-chinese-gamble/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
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sammenhang der Zuordnung eines Gebietes zu einem Hoheitsträger zwar herangezogen, um festzustellen, wer territorialer Souverän über ein Gebiet ist. Es wird also in einer Einzelfallbetrachtung untersucht, welcher von mehreren Staaten seinen Anspruch auf ein Gebiet zu Recht geltend macht, wenn es an einem eindeutigen und rechtmäßigen Titel daran fehlt.247 Das betrifft allerdings Konstellationen, in denen die Zugehörigkeit eines Gebietes zu einem Staat in Frage steht. Besteht wie im vorgenannten Beispiel die laotische Souveränität jedoch unverändert fort, indiziert die effektive Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse durch den Pächter eine faktisch übertragene Hoheitsgewalt, die an die gesamte Gebietshoheit heranreicht. b) Ausweitung des Anwendungsbereichs nationalen Rechts auf das Pachtgebiet Wendet der Pächterstaat die auf seinem eigenen Staatsgebiet geltenden Regeln tatsächlich auf das Pachtgebiet an, kann darin eine extraterritoriale Rechtssetzungsgewalt gesehen werden. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs bestehender nationaler Regeln des Pächterstaates ist zwar in Bezug auf das Pachtgebiet keine originäre Rechtssetzung. Es wird also lediglich der Adressatenkreis bereits bestehender Normen erweitert. Auch diese Erweiterung ist als hoheitliche Einmischung in die Angelegenheiten des Verpächterstaates zu sehen und erfordert einen genuine link (s. Teil 1 II.1.c)). Wenn ein Gebiet vollständig verwaltet und genutzt werden soll, muss der Pächter in Einzelfällen zwangsläufig Regelungen gegenüber Individuen erlassen und den Zugang zum Land oder die Nutzung des Landes regulieren. Konkrete Beispiele sind etwa die Regulierung der Anforderungen an die Veterinärkontrolle des auf dem Pachtgebiet weidenden Viehs, die Zulassung von dort verwendetem Saatgut, die Wassernutzung bzw. -verteilung, die Erhebung von Hafengebühren oder die Vorschriften für die Reinigung der Ballasttanks von Schiffen. Solche Regeln müssten jedoch über sog. Nutzungsbedingungen hinausgehen. Der Übergang von Hoheitsgewalt erfordert also, dass der Verpächterstaat derartige Vorschriften für das Pachtgebiet grundsätzlich bereithält, diese jedoch gegenüber dem Pächter nicht zur Anwendung kommen. Handelt es sich hingegen um weder im nationalen Recht des Verpächterstaates noch im Pachtvertrag geregelte Sachverhalte, kann der Pächterstaat ohne weiteres auf sein nationales Recht zurückgreifen. Soweit diese spezifisch auf die pachtvertragliche Nutzung abstellen und darüber hinaus keine Anwendung finden, sind sie eher mit der Anwendung eines „Hausrechts“ vergleichbar, das nur eine begrenzte Zahl von Anwendungsfällen betrifft und darüber hinaus keinen Gewinn an Hoheitsgewalt bedeutet. 247 Kau,
in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 137.
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Zur Veranschaulichung sei die Bindung eines EU-Pächterstaates an harmonisierte Saatgutvorgaben in einem Verpächterstaat genannt, der diesbezüglich keine Vorgaben bereithält. c) De-facto-Kontrolle, physische Gewalt und polizeiliche Befugnisse gegenüber Individuen Einige Pächter sind zur Ausübung faktischer Sicherheits- bzw. Polizei befugnisse, d. h. Eingriffsrechten gegenüber Individuen ermächtigt. In dem Pachtverhältnis zwischen einem chinesischen Investor und Laos über das Stadtgebiet Boten Golden City wird vorausgesetzt, dass eine chinesische „Special Zone Security“ für Sicherheit in der Kasinostadt sorgt; die Sicherheit wird tatsächlich jedoch von chinesischen Polizei- oder Militäreinheiten sowie lokalen Gruppierungen gewährleistet, die der Pachtverwaltung unterstehen.248 Auch im Rahmen der Vielzahl landwirtschaftlicher Pachtverträge wurde von Festnahmen und Gewalt durch dem Pächter zuzuordnende Gruppierungen oder Einheiten berichtet, insbesondere bei ausstehenden Spielschulden.249 Dies lässt sich zwar abstrakt der Durchsetzung der vertraglichen Befugnisse zuordnen, ist jedoch nicht von diesen gedeckt. Es handelt sich daher nicht um eine – wenn auch nur faktische – Übertragung von Rechten durch den Verpächterstaat. d) Erschließung natürlicher Ressourcen des Territoriums als Ausdruck von Souveränität Man kann sich der Frage der Übertragung hoheitlicher Befugnisse und damit der Gebietshoheit des Weiteren nähern, indem man die typischerweise von Staaten in Bezug auf ihr eigenes Territorium ausgeübten Rechte betrachtet. Dabei handelt es sich um die ureigenen Befugnisse des Staates, nach seinen Vorstellungen von seinem Territorium Gebrauch zu machen. Je nach wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Bedeutung dieser Nutzung kann 248 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 249 Strangio, The Rise, Fall and Possible Renewal of a Town in Laos on China’s Border, The New York Times, 6. Juli 2016, abrufbar unter: https://www.nytimes. com/2016/07/07/world/asia/china-laos-boten-gambling.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Yacob, Oakland Institute Exposed the Human Right Impact of „Land Grabbing“ in Ethiopia, 18. Februar 2013, abrufbar unter: https://www.oaklandinstitute. org/oakland-institute-exposed-human-right-impact-%E2%80%9Cland-grabbing% E2%80%9D-ethiopia (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019).
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diese Befugnis entscheidendes Merkmal der Entstehung oder Formation eines Staates, insbesondere aber der Verschiebung von Staatsgrenzen sein. Der Staat definiert sich in solchen Fällen über sein Territorium und die Möglichkeit, damit verbundene Vorteile zu genießen. Dieses Motiv wird durch ressourcenreiche Staaten wie die OPEC-Länder und zuletzt auch durch die Unabhängigkeitserklärung des Südsudans veranschaulicht, der über Bodenschätze einschließlich der überwiegenden Erdölvorkommen im Gesamtsudan verfügt. Zu diesen territorial begründeten Hoheitsrechten eines Staates gehört die vollständige Kontrolle über das Land und die darin befindlichen Ressourcen.250 Auf dem Gebiet des Umweltvölkerrechts entwickelt sich als Ausdruck der territorialen Souveränität der Grundsatz der dauerhaften Souveränität über natürliche Ressourcen (permanent sovereignty over natural resources).251 Tatsächlich zeigt die Untersuchung der Befugnisse der Pächter, dass diese regelmäßig über umfassende Nutzungsrechte an der gepachteten Fläche selbst verfügen. Die Verträge räumen den Pächtern häufig das Recht ein, das Gebiet für ein bestimmtes Vorhaben über einen begrenzten Zeitraum für eine zumeist finanzielle Gegenleistung zu nutzen. Diese Nutzung erscheint in der Tat umfassend: Sie beinhaltet das Recht, sämtliche natürlichen Ressourcen eines Landes auszuschöpfen und darüber zu verfügen. So ist der Pächter z. B. befugt, „to develop and administer the leased land on his own or through a legally delegated person/agency“252 oder „to manage and develop“253 bzw. „to develop and utilize the area and conduct investor activities without any interference from Government“254. Ein damit verbundener Übergang der Gebietshoheit auf den Pächter wird darin gesehen, dass der Hoheitsgewalt des Verpächterstaates durch den Verlust der Nutzungsrechte an seinem Grund und Boden die Substanz fehle.255 250 Simmons, Boundaries of Authority, 2016, S. 93 ff.; Miller, Territorial Rights: Concept and Justification, Political Studies 2012, Vol. 60, S. 252 (253). 251 United Nations General Assembly resolution 1803 (XVII), Permanent sovereignty over natural resources, UN Doc. A/5217 (1962) vom 14. Dezember 1962; Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 2; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 15–19. 252 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.3. 253 Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Benishangul, Art. 5.1 lit. a. 254 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.1, S. 11. 255 von Bernstorff, Who is entitled to cultivate the Land? Sovereignty, Land Resources and Foreign Investments in Agriculture in International Law, S. 55 (63), in: Romanin Jacur/Bonfanti/Seatzu, Natural Resources Grabbing: An International Law Perspective, 2015.
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Das umfassende Nutzungsrecht an dem Boden und den Ressourcen eines Staatsgebiets geht tatsächlich über rein privatrechtliche Besitzrechte an den Bodenerträgen hinaus. Da sich das Staatsgebiet auch über das Eigentum und die Nutzungsrechte daran definiert (s. Teil 1 C.I.1.), leiten sich die umfassende Bodennutzung und damit die „physischen Elemente des Territoriums“ aus der staatlichen Souveränität selbst ab.256 Die Charter of Economic Rights and Duties of States bestimmt in Art. 2 Abs. 1: „Every State has and shall freely exercise full permanent sovereignty, including possession, use and disposal, over all its wealth, natural resources and economic activities.“257 Darin kommt die Auffassung der Staaten zum Ausdruck, dass die Erschließung und Verwertung des Bodens Ausdruck von Souveränität sei. Dies bestätigten verschiedene UN-Resolutionen über die staatliche Souveränität über natürliche Ressourcen.258 Der autonomen und umfassenden Ausschöpfung natürlicher Ressourcen kann daher grundsätzlich die Qualität von Hoheitsgewalt zugesprochen werden. Denn Bestandteil der Gebietshoheit als Ausdruck der äußeren Souveränität ist die exklusive Vornahme bestimmter Handlungen, d. h. unter Ausschluss anderer Staaten. Aus den genannten Befugnissen „to administer the land“ oder „to manage and develop“ lassen sich jedoch keine umfassenden Verwaltungskompetenzen herleiten. Vielmehr ist damit die Bewirtschaftung des Bodens selbst gemeint. Die umfassende Bodennutzung verleiht dem Pächter also ein Recht, welches unmittelbar mit staatlichem Territorium verknüpft ist. Im Rahmen einer Konzession zur Förderung von Rohstoffen an Private überträgt der Staat ebenfalls das Nutzungsrecht an einem Gemeingut. Die umfassenden Nutzungsrechte von Pächtern in dem oben genannten Umfang weisen damit einen hoheitlichen Bezug auf. Sie sind jedoch noch im Hinblick auf weitere, über die bloße Ressourcennutzung hinausgehende Befugnisse nicht von einer Qualität, die einer Übertragung der Gebietshoheit gleichkommt.
256 Strauss,
Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 37. of Economic Rights and Duties of States, United Nations General Assembly resolution 3281 (XXIX) UN Doc. A/RES/29/3281 vom 12. Dezember 1974. 258 Permanent sovereignty over natural resources: United Nations General Assembly resolution 1803 (XVII), UN Doc. A/5217 (1962) vom 14. Dezember 1962; resolution 2158 (XXI), UN Doc. A/2158 (1966) vom 25. November 1966; resolution 2386 (XXIII), UN Doc. A/2386 (1968) vom 19. November 1968; resolution 3171 (XXVIII), UN Doc. A/3171 (1973) vom. 17. December 1973; Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 206. 257 Charter
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e) Übernahme und Kontrolle der Daseinsvorsorge durch den Pächterstaat Ein weiteres Indiz für die faktische Ausübung hoheitlicher Aufgaben ist die Übernahme der Daseinsvorsorge durch den Pächter. Auch wenn diese zum Teil vollständig durch den Pächter übernommen wird, lässt sich hieraus jedoch keine Hoheitsgewalt ableiten. Zunächst ist die Daseinsvorsorge kein streng eingrenzbares Aufgabenspektrum mit hoheitlichen Elementen. Außerdem führt die Privatisierung der Aufgaben nicht zu einem Souveränitätsgewinn. Vereinbarungen zur Errichtung von Krankenhäusern, Apotheken und Bildungseinrichtungen wie Schulen259 bedeuten also nicht notwendigerweise gegenüber den Nutzern dieser Einrichtungen ein über einen faktischen Einfluss hinausreichendes staatliches Gewaltverhältnis. Entscheidend sind vielmehr die Nutzungsbedingungen, d. h. die geltenden Gesetze für Krankenhausaufenthalt, Schulbesuch oder Straßennutzung und deren Durchsetzung. Die genannten Einrichtungen werden zumindest während der Pachtdauer zwar auch häufig von den Pächtern betrieben. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass sie dabei abweichenden Vorschriften von denen des Verpächterstaates unterliegen. Ähnliches gilt für die Errichtung von Infrastruktur. Zwar wird vereinzelt eine wirksame Kontrolle über das Pachtgebiet ausgehend von titulierten Rechten an der dort errichteten Infrastruktur angenommen, wie im Fall der Pacht von Agrarland durch das britische Unternehmen ProCana.260 Das Unternehmen betreibt seit 2008 eine Zuckerrohrplantage in Mosambik und ist in Übereinstimmung mit der Verfassung des Verpächterstaates nicht berechtigt, nach Ende der Laufzeit einen Eigentumstitel über das Land zu erlangen; davon bleiben jedoch Infrastruktureinrichtungen ausgenommen.261 f) Errichtung von Freihandelszonen Die Errichtung von Freihandelszonen bedeutet nicht unmittelbar eine Übertragung von Hoheitsrechten. Dort, wo ein Pächterstaat jedoch umfas259 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2; vgl. Burnod/Gingembre/Ratsialonana, Competition over Authority and Access: International Land Deals in Madagascar, Development and Change, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Vol. 44 Issue 2, März 2013, S. 357 (371). 260 Borras/Fig/Suárez, The politics of agrofuels and mega-land and water deals: insights from the ProCana case, Mozambique, Review of African Political Economy, Vol. 38 No. 128 2011, S. 215 (222). 261 Borras/Fig/Suárez, The politics of agrofuels and mega-land and water deals: insights from the ProCana case, Mozambique, Review of African Political Economy, Vol. 38 No. 128 2011, S. 215 (222).
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sende Befugnisse über ein Gebiet ausübt, ist er regelmäßig auch von Handelshemmnissen befreit. Freihandelszonen sind daher typische Begleitmerkmale der umfassenden Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen von Pachtverträgen. Dies verdeutlicht das Konzept der sog. Charter Cities nach dem Vorbild der Sonderverwaltungszone Hongkong. Danach stellen Entwicklungsländer einen Teil ihres Territoriums unter die Verwaltung eines fremden Staates, der dort durch die Schaffung rechtsstaatlicher Strukturen und die Herstellung von Infrastruktur versucht, Investitionen zu erleichtern.262 Das Konzept der Charter Cities sieht sich dementsprechend der Kritik ausgesetzt, es handele sich um eine Art Neokolonialismus.263 Tatsächlich wird zumindest das Konzept einer Sonderverwaltungszone im Rahmen der Pacht bereits vielfach realisiert. Das pakistanische Hafengebiet Gwadar soll zu einer chinesischen Sonderverwaltungszone erklärt werden und verschiedene weitere Städte besitzen diesen Status bereits.264 Die frühere Kasinostadt Boten Golden City in Laos wurde z. B. als „Specific Economic Zone“ mit chinesischer Währung, Sprache und Zeitzone erklärt.265 Es bestehen also strukturelle Ähnlichkeiten mit vorliegend untersuchten Vertragsgestaltungen. „Eigene legislative Strukturen“ sollte die Lake Victoria East Africa Free Trade Zone in Uganda („Sseesamirembe City“) beinhalten, deren Umsetzung jedoch ins Stocken geriet. Dabei handelt es sich um eine im Jahr 2008 für 99 Jahre errichtete und 518 km2 große Freihandelszone, eine sog. „Designer Eco-City“, deren Infrastruktur von einem chinesischen Unternehmen betrieben werden sollte.266 Sie sollte Raum für nicht steuerpflichtige Investitionen bieten und über einen solarbetriebenen Flughafen, einen Seehafen, ein Kraftwerk, eine eigene Universität und den Hauptstützpunkt des China-Africa 262 Epping,
in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 66. in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 66. 264 Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 21. 265 Dazu Teil 2 B.IV; Strangio, The Rise, Fall and Possible Renewal of a Town in Laos on China’s Border, The New York Times, 6. Juli 2016, abrufbar unter: https:// www.nytimes.com/2016/07/07/world/asia/china-laos-boten-gambling.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-palnyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Fawthrop, Laos’s Chinese Gamble, The Diplomat, 24. Dezember 2010, abrufbar unter: http://thediplomat.com/2010/12/laosschinese-gamble/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 266 The Economist, Chinese investment in Africa – Not as easy as it looks – Western worries about China’s burgeoning influence in Africa may be overblown, 1. November 2015, abrufbar unter: https://www.economist.com/middle-east-and-africa/ 2015/11/21/not-as-easy-as-it-looks (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 263 Epping,
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Volunteer Corps verfügen, einer Freiwilligenarmee.267 Der für die Zone gewählte Rat stellte eigene Regeln für die darin befindlichen Dörfer auf.268 Ziel war es, ein perfektes Investitionsklima für ausländische Unternehmen zu schaffen.269 Formal handelt es sich dabei jedoch nicht um ein verpachtetes Gebiet, sondern eine von Uganda selbst eingerichtete Zone. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, ob und inwieweit der chinesische Betreiber der Infrastruktur oder andere ausländische Akteure Einfluss auf die dort eigens errichteten legislativen Strukturen ausüben. g) Zwischenergebnis Das Verständnis von Staatlichkeit im modernen völkerrechtlichen Sinne durchlebt einen erneuten Wandel, der eine einheitliche Beurteilung der Kriterien für die Übertragung von Hoheitsgewalt erschwert. Das Gemeinwesen wird zunehmend durch die tatsächliche Einflussnahme privater Akteure bestimmt. Die Hoheitsgewalt wirkt sich daher nicht mehr überwiegend direkt im Verhältnis eines Staates zu seinem Bürger aus, sondern durchläuft mehrstufige komplexe hierarchische Strukturen. Daher lässt sich weniger feststellen, dass die Hoheitsgewalt von einer anderen ausländischen Gewalt abgelöst werde, sondern sich in beide Richtungen immer weiter aufweicht. Hinzu kommen beobachtete Effekte wie die „Entterritorialisierung“ staatlicher Einflussbereiche, die „Durchlässigkeit der Wände staatlicher Herrschaftsgewalt“ und damit die Loslösung von der staatsprägenden Bindung an ein konkretes Hoheitsgebiet.270 Neben solchen wirtschaftlichen und politischen Faktoren lassen sich für die vorliegende Untersuchung jedoch ausreichend „harte“ Faktoren finden, an welche völkerrechtliche Rechtsfolgen zu knüpfen sind. Darunter fällt die Stationierung von Militär, die Ausübung polizeilicher Befugnisse mit Fest267 Africa Business Pages, Uganda Attracts Investments In Its New Free Zone – Lake Victoria Free Trade Zone in Uganda offers a perfect business venue for capturing markets in East Africa, abrufbar unter: http://www.africa-business.com/features/ uganda_freezone.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 268 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 269 Africa Business Pages, Uganda Attracts Investments In Its New Free Zone – Lake Victoria Free Trade Zone in Uganda offers a perfect business venue for capturing markets in East Africa, abrufbar unter: http://www.africa-business.com/features/ uganda_freezone.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 270 Stüer, Grenzüberschreitungen: Migration und Entterritorialisierung des Öffentlichen Rechts, Deutsches Verwaltungsblatt 24/2016, S. 1580 (1583 f.).
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nahme- bzw. sonstigen Eingriffsrechten und die Kontrolle öffentlicher Einrichtungen und Infrastruktur. Auch das Recht zur umfassenden Erschließung natürlicher Ressourcen weist Hoheitscharakter auf, kann jedoch nicht allein zur Begründung der Gebietshoheit herangezogen werden. Hoheitliche Befugnisse können ausdrücklich oder faktisch übertragen werden. Beides kann in einem solchen Umfang erfolgen, dass die gesamte Gebietshoheit durch den Pächterstaat ausgeübt wird. Im Regelfall beinhalten die untersuchten Pachtverträge eine Übertragung von Hoheitsrechten allein auf Grundlage des umfassenden Bodennutzungs- und Erschließungsrechts. Darin liegt jedoch eine lediglich partielle Übertragung von Hoheitsrechten. Cooley und Spruyt unterscheiden treffend zwischen Kontroll- und Nutzungsrechten als Ausdruck von Souveränität.271 Die Gebietshoheit kann folglich – wie es auch bei einem Kondominium oder Koimperium der Fall ist272 – aufgeteilt werden und besteht nicht ausschließlich entweder für den Territorial- oder den Pächterstaat.
III. Die Beschränkung der Gebietshoheit des Verpächterstaates Spiegelbildlich zum Gewinn an Hoheitsrechten durch den Pächter, die ihm durch den Verpächterstaat übertragen werden, begibt sich dieser infolge vertraglicher Vereinbarung einzelner Hoheitsrechte. Auch für den Wegfall der Gebietshoheit des Verpächterstaates gilt, dass sie Folge ausdrücklicher Vereinbarung oder faktischer Auswirkungen sein kann. Von einem solchen möglichen Verlust an Hoheitsrechten ausgespart bleibt jedoch die Personalhoheit des Verpächterstaates. Anknüpfend an die Staatsangehörigkeit seiner Bürger kann er jederzeit und ungeachtet der Grenzen des Pachtgebietes diesen gegenüber personalbezogene Hoheitsrechte ausüben. 1. Ausdrücklich eingeschränkte Hoheitsbefugnisse des Verpächterstaates Spiegelbildlich zu den ausdrücklich übertragenen Hoheitsbefugnisse auf den Pächter werden diese für den Verpächterstaat – ausdrücklich oder implizit – eingeschränkt (s. Teil 1 C.II.2.), sodass auf eine erneute gesonderte Aufführung verzichtet werden kann. Dieser Abschnitt betrifft vielmehr die Frage, welche vertraglichen Regelungen ausdrücklich und unabhängig vom 271 Cooley/Spruyt, Contracting States: Sovereign Transfers in International Relations, 2009, S. 34; vgl. Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 46. 272 Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 4 f.
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 113
Befugnisgewinn des Pächters die Hoheitsbefugnisse des Verpächterstaates einschränken. Abgesehen von den vorgenannten „implizierten“ Hoheitsverlusten werden solche Vereinbarungen indessen soweit ersichtlich nicht getroffen. Sie wären mit dem modernen völkerrechtlichen Verständnis staat licher Souveränität nicht zuletzt kaum in Einklang zu bringen. Die Untersuchung fokussiert sich daher auf die faktischen Einschränkungen (s. sogleich). Indes zeigen die Leitlinien des chinesischen Wirtschaftsministeriums erneut die Relevanz dieser Überlegung. Bestimmte, im Ausland investierende Unternehmen sollen dem Verpächterstaat gegenüber das Prinzip nationaler Souveränität wahren.273 Diese Leitfäden gibt das Ministerium branchenspezifisch an Unternehmen weiter, die stark in den Außenhandel eingebunden sind. Es lässt auch einen Rückschluss darauf zu, wie sehr sich die Volksrepublik China selbst in der völkerrechtlichen Pflicht sieht, auf die Einhaltung dieser Prinzipien durch chinesische Unternehmen hinzuwirken (s. im Einzelnen Teil 3 A.III.). 2. Faktisch eingeschränkte Hoheitsbefugnisse des Verpächterstaates Die nicht auf ausdrücklichen Vereinbarungen beruhende Einschränkung der Hoheitsgewalt des Verpächterstaates kann verschiedenste Ausdrucksformen finden. Die Befugnis der lokalen kasachischen Behörden auf dem von Russland gepachteten Gebiet in Baikonur zur Interaktion mit Vertretern von Drittstaaten ist z. B. rein tatsächlich auf einen informellen und mit Russland abgestimmten Informationsaustausch beschränkt.274 Der Pachtvertrag führt also zu einer Einschränkung der Kontrolle des Verpächterstaates über seine Außenbeziehungen. Ein weiteres Beispiel ist die Einschränkung der Strafverfolgungskompetenz des Verpächterstaates über auf seinem Territorium befindliche Personen. Dies ist häufig für das Personal US-amerikanischer Militärstationen auf fremdem Hoheitsgebiet vereinbart.275 Auch umfassende Bodennutzungs- und Erschließungsrechte sind Ausdruck von Souveränität und als Hoheitsrechte einzuordnen. Gegenleistungen des Pächters – z. B. in Gestalt des Pachtzinses – sind jedoch bei der Frage zu berücksichtigen, inwie273 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Punkt 2.11: „The principle of national sovereignty: Chinese enterprises shall fully respect the ownership of the host country to its forest resources and strictly observe its laws, regulations and policies when managing and utilizing the forest resources in foreign countries.“ 274 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 137 f. 275 Peters, Treaties, Unequal, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, April 2007, Rn. 63.
114
Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
weit sich der Verpächterstaat dadurch tatsächlich seiner Kontrollrechte begibt.276 Darüber hinaus werden häufig die als hoheitlich einzustufenden fiskalischen Zugriffsrechte des Verpächterstaates eingeschränkt. Dies geschieht in dem Umfang, in dem der Pächter finanzielle Erleichterungen erhält. Dazu zählen Steuer- und Zollbefreiungen, Freihäfen sowie die Einrichtung von Freihandelszonen.277 Es werden also nicht lediglich gesetzliche Ausnahmetatbestände angewendet, sondern gebietsbezogen auf die Geltung und/oder Durchsetzung entsprechender Vorschriften verzichtet. Insoweit weisen die neueren Pachtverträge Ähnlichkeiten zu wirtschaftlichen Servituten des 19. Jahrhunderts auf. Der hoheitliche Bezug von Befreiungen von der Pflicht zu Verzollung von ein- und ausgeführten oder gelagerten Gütern ist völkerrechtlich anerkannt.278 In der chinesisch verwalteten laotischen Stadt Boten Golden City hatte die Rücknahme fiskalischer Hoheitsrechte sogar eine räumliche Dimension. Die Zollkontrollen führten die laotischen Behörden nicht mehr an der eigentlichen chinesisch-laotischen Grenze, sondern an der Grenze zwischen der laotischen Stadt Boten und dem Rest des Landes durch.279 Die argentinische Provinzregierung von Río Negro erarbeitete demgegenüber mit dem Pächter zusammen eine Möglichkeit, pachtvertragliche Zoll- und Steuererleichterungen unter bestehende Ausnahmetatbestände zu fassen.280 Auch bei der Verwaltung des Hafens von Gwadar kann der chinesische Investor von einer Reihe langfristiger Zoll- und Steuererleichterungen profitieren, die Pakistan bereits dem vorangegangen Investor eingeräumt hatte.281
276 Strauss,
Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 46. Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 11. 278 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Aufl. 1988, § 50 Rn. II.1. 279 Strangio, The Rise, Fall and Possible Renewal of a Town in Laos on China’s Border, The New York Times, 6. Juli 2016, abrufbar unter: https://www.nytimes. com/2016/07/07/world/asia/china-laos-boten-gambling.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 280 Kooperationsabkommen Río Negro, Argentinien und Heilongjiang Beidahuang LTD vom 15. Oktober 2010, Punkt 6: „La Parte ‚A‘ realizará todos los tramites necesarios una vez instalada la sede de la Parte ‚B‘ a fin de aplicar las normas que exceptúen de todos los impuestos provincials tazas, como ingresos brutos, sellos, patentes, etc.“; die Opposition hält dies für verfassungswidrig, vgl. Repudio al proyecto „agroalimentario“ entre Río Negro y China, S. 2. 281 Vgl. zu den vorherigen Vereinbarungen Zaheer, Development and Operations of the Port of Gwadar, IFSMA, 24./25. Mai 2007, abrufbar unter: http://www.ifsma. org/tempannounce/aga33/Gwadar.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 19 ff. 277 von
C. Die Aufteilung der Gebietshoheit über das Pachtgebiet 115
Anstatt einzelne Anknüpfungspunkte für den Verzicht auf Hoheitsrechte zu suchen, werden die hoheitsbezogenen Auswirkungen neuerer Pachtverträge verbreitet einer Gesamtschau unterzogen. Ausgehend von diesem Verständnis wird infolge der großflächigen Verpachtung von Hoheitsgebiet eine „Erosion“ der Souveränität des Verpächterstaates beobachtet.282 Auch laut von Bernstorff verbleibt die Hoheitsgewalt zwar rein formell beim Verpächterstaat, wird aber durch den Verlust der Zuordnung des Staates zu seinem Territorium entkernt.283 Die klassische, dem Völkerrecht zugrundeliegende Verbindung eines Staates zu seinem Territorium werde aufgeweicht. Sassen veranschaulicht in ähnlicher Diktion den Verlust an Gebietshoheit als „structural hole in the tissue of national sovereign territory“ und damit als Wegfall der staatlichen Verbindung zu einem Teil seines Territoriums als staatsbildendem Element.284 Das danach fehlende Element ist allerdings nicht das Territorium, sondern die sich darauf erstreckende effektive Staatsgewalt. Insofern bestünde eine strukturelle Vergleichbarkeit mit sog. failed oder failing states, bei denen die effektive Staatsgewalt als solche wegfällt oder sich nur noch auf einen begrenzten Teil des Territoriums bezieht.285 Der diesen Ansätzen zugrunde liegende völlige Verlust von Staatsgewalt kann durch die vorliegende Untersuchung nicht mit praktischen Beispielen gestützt werden. Der dort vermittelte Eindruck entsteht insbesondere dort, wo umfassende Pächterbefugnisse auf einen schwachen und kaum präsenten Verpächterstaat treffen. Den Wegfall der Hoheitsgewalt jedoch allein mit der Präsenz des Pächters zu erklären, würde Ursache und Wirkung verkehren. Jedenfalls bezogen auf viele großflächige Pachtgebiete mit umfassenden Nutzungsrechten besteht zuerst ein zumindest partielles Vakuum an Staatlichkeit, bevor der Pächter dieses durch die Schaffung eigener Strukturen auf dem Pachtgebiet ausfüllen kann. An die Stelle, an der also zuvor schlicht keine eigene staatliche Herrschaftsgewalt vorhanden war, tritt nach Vertragsschluss nunmehr eine andere. Wenn ein Staat mit dem Einverständnis des Verpächterstaates bestimmte Rechte auf dessen Hoheitsgebiet ausübt, bedeutet dies schließlich keinen 282 Dwyer, Building the Politics Machine: Tools for ‚Resolving‘ the Global Land Grab, S. 309 (313), in: Wolford/Borras Jr./Hall/Scoones/White, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Development and Change Vol. 44 (2), März 2013. 283 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 3. 284 Sassen, Visible Formalizations and Formally Invisible Facticities, Indiana Journal of Global Legal Studies Vol. 20 Nr. 1/2013, S. 3 (6). 285 Schröder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit failed und failing States, Dissertation HU Berlin 2007, S. 56; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 141.
116
Teil 1: Vertragliche Gestaltungen der Pacht fremden Hoheitsgebiets
Wegfall seiner Souveränität.286 Bereits bei historischen Pachtverträgen bestand regelmäßig ein sog. Heimfallrecht an dem Pachtgebiet.287 Es war zwar nicht auszuschließen, dass die territoriale Souveränität des verpachtenden Staates zu einem nudum ius herabsinkt und der pachtende Staat die Gebietshoheit in der Folge völlig unbeschränkt ausübt.288 Die Souveränität lebte nach Ende der Pachtzeit jedoch regelmäßig wieder auf, sodass kein dauerhafter Verlust eines staatsbildenden Elementes zu verzeichnen war.
D. Zwischenergebnis zu Teil 1 Vertragsparteien der untersuchten Verträge sind auf Verpächterseite insbesondere Ministerien oder Regierungen und auf Pächterseite in der Regel Unternehmen, die häufig unter wirtschaftlichem Einfluss eines Herkunftsstaates stehen. Der inhaltliche Regelungsbereich der Verträge umfasst die landwirtschaftliche Nutzung, die Errichtung und den Betrieb von Industrieanlagen, den Abbau von Rohstoffen und die Durchführung großflächiger Infrastrukturprojekte. Die Verträge weisen selten einen ausdrücklichen Hoheitsbezug auf, die übertragenen Befugnisse sind aber materiell teilweise als Übertragung hoheitlicher Rechte zu werten. Das bezieht sich in der Breite auf die umfassenden und uneingeschränkten Bodennutzungsrechte und qualitativ insbesondere auf polizeiliche Festnahme- und sonstige Eingriffsrechte oder militärische Zugriffsrechte sowie die Kontrolle öffentlicher Einrichtungen und Infrastruktur. Hinzu kommen „Leuchtturmbeispiele“ wie solche im Anschluss an den Zerfall der Sowjetunion oder die Kontrolle einer ganzen Stadt in einem Umfang, der einer Verschiebung der Landesgrenzen gleichkommt (s. Baikonur und Boten Golden City). Damit findet weder eine regelmäßige Abspaltung der Gebietshoheit von der territorialen Souveränität statt, noch sind die auch privatrechtlich ausgestalteten Pachtverträge in Bezug auf Hoheitsrechte irrelevant. Neben konkreten vertraglichen Anknüpfungspunkten spricht viel dafür, sich der Frage der Aufspaltung von Gebietshoheit und territorialer Souveränität mit einer Gesamtschau zu nähern, die das gewandelte Verständnis von Staatlichkeit, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Zusammen286 Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 208. 287 Maas/Utschiali, in: Hatschek/Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, 1925, Band II, S. 221. 288 Kirschschläger, „Pachtgebiete“, S. 709, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1961; Verdross/Simma/Geiger, Territoriale Souveränität und Gebietshoheit – Zur völkerrechtlichen Lage der Oder-Neiße-Gebiete, 1980, S. 25.
D. Zwischenergebnis zu Teil 1117
hänge mit einbezieht. Diese Ansätze beschreiben durchaus treffend die ersichtliche Realität einzelner großflächiger Pachtverträge. Vor dem Hintergrund, dass die Übertragung von Hoheitsgewalt untersucht wird, ist jedoch zu bedenken, dass eine solche Gesamtschau nur auf solchen Pachtgebieten fruchtbar gemacht werden kann, die zuvor im Hinblick auf staatliche Präsenz schlicht brach lagen.
Teil 2
Grundlegende Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit Jede Rechtsordnung bedarf eines Mechanismus zur Beachtung und Durchsetzung ihrer Pflichten, um ihren Bestand zu sichern. Der Ständige Interna tionale Gerichtshof stellte für das Völkerrecht bereits 1928 im Chorzów-Fall fest: „It is a principle of international law, and even a general conception of law, that any breach of an engagement involves an obligation to make reparation.“1
Diesen Grundsatz hat die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission, ILC) im Jahr 2001 in einem vierteiligen Vertragsentwurf zur Staatenverantwortlichkeit für völkerrechtswidrige Akte (Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, sog. ILC-Entwurf)2 aufgegriffen. Dieser ist bisher nicht als verbindliches multilaterales Abkommen ausgestaltet, gilt jedoch als Indiz für eine bestehende gemeinsame Rechtsüberzeugung. So wurde der ILC-Entwurf von der Generalversammlung zur Kenntnis genommen und der Aufmerksamkeit der Regierungen empfohlen3 und wird vom IGH faktisch als Rechtsquelle behandelt; er bildet in Teilen bestehendes Völkergewohnheitsrecht ab und enthält im Übrigen Vorschläge für verbindliche Regelungen.4 Als strukturgebendes Leitbild für die Untersuchung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Akteure im Rahmen der untersuchten Pachtverträge wird die Grund-
1 The Factory at Chorzow (Germany v. Poland), Judgement, 1928 P.C.I.J. Series A No. 17 vom 13. September 1928, 73. 2 United Nations General Assembly, Official Records, Report of the International Law Commission on the Work of its Fifty-third Session, UN Doc. A/56/10 (2001) von April/August 2001. 3 United Nations General Assembly, Responsibility of States for internationally wrongful acts, UN Doc. A/RES/56/83 (2001) vom 28. Januar 2002. 4 Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (495); Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 28 Rn. 1 ff.; Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 125; Thiele, Das Verhältnis zwischen Staatenverantwortlichkeit und Menschenrechten, Archiv des Völkerrechts Band 49, 2011, S. 343.
Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit119
konzeption des ILC-Entwurfs nunmehr dem Abschnitt zu Grundfragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit vorangestellt. Der Entwurf ist in vier Teile gegliedert, beginnend mit der völkerrechtswidrigen Handlung eines Staates (internationally wrongful act of a state) als Voraussetzung der Staatenverantwortlichkeit, gefolgt von den Rechtsfolgen völkerrechtswidrigen Verhaltens (Content of the international responsibility) sowie Regeln zur Durchsetzung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit (The implementation of the international responsibility) und schließlich allgemeinen Regeln zum Verhältnis des ILC-Entwurfs zu lex-specialis-Normen u. a. (General Provisions). Die Artikel des ILC-Entwurfs werden als Sekundärnormen verstanden, die an eine Verletzung primärer völkerrechtlicher Pflichten anknüpfen.5 Nach Art. 1 des ILC-Entwurfs hat jede völkerrechtswidrige Handlung eines Staates (internationally wrongful act of a state) die völkerrechtliche Verantwortlichkeit dieses Staates zur Folge. Ein völkerrechtswidriges Handeln eines Staates liegt nach Art. 2 ILC-Entwurf vor, wenn ein Verhalten, bestehend aus einer Handlung oder einem Unterlassen, dem Staat nach dem Völkerrecht zurechenbar ist und eine Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates begründet. Diese dreischrittige Prüfung „act or omission“, „attributable to the State“ und „breach of an international obligation“ bildet den dogmatischen Unterbau für die vorliegende Untersuchung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets. Weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Wiedergutmachung oder Schadensersatz nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit ist das Fehlen von Rechtfertigungsgründen (Art. 20 ff. ILC-Entwurf). Auf Rechtfertigungsgründe wird vorliegend angesichts ihrer Einzelfallbezogenheit nicht eingegangen, es werden lediglich haftungsbegründende Umstände untersucht. Von der Staatenverantwortlichkeit als Haftung für die Folgen eines Völkerrechtsdelikts ist die staatliche Gefährdungshaftung, die sog. state liability zu unterscheiden. Dabei geht es um die Haftung der Staaten für Schäden, die aus nicht notwendigerweise völkerrechtswidrigem Verhalten resultieren. Im Rahmen der Ausführung eines Pachtvertrags entstandene Schäden an Völkerrechtsgütern können also eine staatliche Haftung auch dann auslösen, wenn kein Verstoß gegen eine völkerrechtliche Pflicht vorliegt.6 5 Schröder, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 7. Abschn. Rn. 4; Tams, All’s Well That Ends Well – Comments on the ILC’s Articles on State Responsibility, ZaöRV 2002, S. 759 (764). 6 S. o. Einleitung B.; die Unterscheidung wird besonders im Zusammenhang mit umweltvölkerrechtlichen Pflichten relevant (s. u. Teil 3 D.). Dort wird ein Verstoß gegen eine umweltvölkerrechtliche Norm untersucht, nicht jedoch die Haftung für einen Umweltschaden, der aus einem nicht völkerrechtswidrigen Verhalten rührt.
120
Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
A. Die Zurechenbarkeit des Verhaltens privater und staatlicher Akteure bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags Die Verantwortlichkeit von Staaten betrifft im Ausgangspunkt ihr „eigenes“ Verhalten, also u. a. solches ihrer Organe und Amtsträger.7 Die Verantwortlichkeit für das Handeln Privater bedarf also der Zurechnung von bestimmten Handlungen. Für die Beurteilung der Zurechenbarkeit des Verhaltens von privaten Personen – genau wie von Amtsträgern – zu einem Staat werden die Maßstäbe des ILC-Entwurfs herangezogen. Der ILC-Entwurf enthält für die Frage der Zurechnung einen in sich geschlossenen Regelungsmechanismus: Handlungen von Privatpersonen einerseits und staatliches Organverhalten andererseits werden kontradiktorisch definiert.8 Das verdeutlicht Art. 5 des ILC-Entwurfs. Dieser ist überschrieben mit „Conduct of persons or entities exercising elements of governmental authority“ und lautet: „The conduct of a person or entity which is not an organ of the State under article 4 but which is empowered by the law of that State to exercise elements of the governmental authority shall be considered an act of the State under international law, provided the person or entity is acting in that capacity in the particular instance.“
Die Zurechenbarkeit bezieht sich also auf ein konkretes Verhalten, welches einen „act of the State“ darstellen muss. Die Zurechnungsregeln nach den Art. 4 ff. ILC-Entwurf können auch zur Begründung der Verantwortlichkeit für Verstöße gegen menschenrechtliche Pflichten herangezogen werden (s. im Detail noch Teil 3 A.II.).9
I. Die Zurechenbarkeit zum Herkunfts- oder Pächterstaat Im Rahmen der Untersuchung der Pflichten des Herkunftsstaates ist zunächst zu erörtern, welches Verhalten er sich im Zeitraum von Vertragsab7 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 406; Lehnardt, Private Militärfirmen und völkerrechtliche Verantwortlichkeit, Dissertation HU Berlin 2011, S. 82 f. 8 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility: Introduction, Text and Commentaries, 2002, Chapter II, S. 91 ff. 9 Thiele, Das Verhältnis zwischen Staatenverantwortlichkeit und Menschenrechten, Archiv des Völkerrechts Band 49, 2011, S. 343 (344 ff.); Yearbook of the International Law Commission 1975 Volume I, UN Doc. A/CN.4/SER.A/1975, Art. 10, § 5; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität: Der Verpflichtungsgrad internationaler Menschenrechte, Dissertation Bern 2001, S. 167.
A. Zurechenbarkeit bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags121
schluss bis zur Durchführung zurechnen lassen muss. Denn nur für zurechenbares Verhalten kann er im Ergebnis verantwortlich gemacht werden. Die Verhaltenszurechnung zum Herkunftsstaat stellt sich gegenüber dem Empfangs- oder Verpächterstaat als besonders schwierig dar. Auf Pächterseite treten nämlich überwiegend Unternehmen und damit privatwirtschaftlich organisierte Rechtsträger auf. Kann eine Zurechnung ihres Handelns nicht begründet werden, kann der Herkunftsstaat allenfalls für das völkerrechtswidrige Unterlassen der Wahrnehmung von Schutzpflichten zur Regulierung des unternehmerischen Handelns verantwortlich gemacht werden. 1. Das Verhalten von Organen des Staates Nach Art. 4 ILC-Entwurf ist der Staat für das Handeln seiner Organe verantwortlich. Das gilt gem. Art. 4 Nr. 1 ILC-Entwurf unabhängig davon, zu welcher der drei Staatsgewalten das Organ gehört, welche Stellung es in der Organisation des Staates hat und ob es zur Zentralregierung oder zu einer Gebietseinheit des Staates gehört. Letztere Erweiterung wird für Pachtverträge relevant, welche auf Verpächterseite durch Provinzregierungen geschlossen werden (s. Teil 1 A.I.1.). Nach Art. 4 Nr. 2 ILC-Entwurf schließt der Organbegriff jede natürliche oder juristische Person mit ein, die diesen Status nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts besitzt. Das Völkerrecht greift den Organstatus als tatsächlichen Umstand des innerstaatlichen Rechts auf, lässt weitere Umstände wie die Rechtmäßigkeit nach innerstaatlichem Recht oder einen innerstaatlichen Zurechnungsausschluss indes unbeachtet.10 Auch ultra-vires-Handeln des Organs ist demnach als Handlung des Staates zu werten, wie Art. 7 ILC-Entwurf vorsieht. Bei völkerrechtswidrigem Handeln staatlicher Organe auf fremdem Staatsgebiet gilt diese Identität von Pächter und Staatsorgan grundsätzlich fort, auch wenn das Handeln in ört licher Hinsicht der Gebietshoheit des Verpächterstaates unterfällt.11 Diese Zurechnungsform ist für solche Verträge relevant, bei denen auch auf Pächterseite eine Regierung handelt, wie z. B. im Investitionsabkommen zwischen Libyen und Syrien vom 9. Mai 2008.12 Daneben treten regelmäßig auch Ministerien oder sonstige Behörden als Vertragspartner in eigenem Namen auf. Darüber hinaus enthalten einige zwischenstaatlich ausgearbeitete Rahmenverträge oder Investitionsschutzverträge bereits eine Pachtvereinbarung, überlassen deren Durchführung jedoch einem privaten Unternehmen.
10 Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 29 Rn. 4; von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 5 C I 1, Rn. 399. 11 Stein/von Buttlar/Kotzur, Völkerrecht, 14. Aufl. 2017, Rn. 1111. 12 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008.
122
Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Soweit ein Verstoß schon in der Vorbereitung in Gestalt des Rahmenvertrags gesehen werden kann, wäre dieser gem. Art. 4 ILC-Entwurf zuzurechnen. Das weite Verständnis von staatlichen Organen umfasst zudem Streitkräfte.13 Wird im Rahmen eines Pachtverhältnisses militärisches Personal eingesetzt oder stationiert, muss sich der Herkunftsstaat dessen Verhalten grundsätzlich zurechnen lassen. Wie bereits festgestellt, trifft dies auf die wenigsten der untersuchten Pachtverhältnisse zu (s. Teil 1 C.II.2.d)). Abgesehen von ausländischen Militärstützpunkten wie Guantánamo Bay stellt der Weltraumbahnhof Baikonur ein prominentes Beispiel aus neuerer Zeit dar.14 Andere Vereinbarungen wie diejenige über den Hafen von Gwadar lösen zwar eine militärische Präsenz aus; diese ist jedoch soweit ersichtlich nicht mit der Pacht verbunden.15 2. Das Verhalten von de-facto-Organen Die Zurechnung des Verhaltens von sog. de-facto-Organen im Gegensatz zu den in Art. 4 ILC-Entwurf angesprochenen de-jure-Organen ist nicht ausdrücklich geregelt. Er wird häufig auf Art. 8 ILC-Entwurf gestützt oder soll vollständig darin zum Ausdruck kommen,16 teilweise wird er mit Art. 5 ILCEntwurf gleichgesetzt.17 Das faktische Element zur Begründung der Organeigenschaft kommt jedoch bereits in Art. 4 Abs. 2 ILC-Entwurf zum Ausdruck: „An organ includes any person or entity which has that status in accordance with the internal law of the State.“ Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 545; zum weiten Verständnis allgemein ders., The International Law Commission’s Articles on State Responsibility: Introduction, Text and Commentaries, 2002, Art. 4 Rn. 6. 14 Ratifikationsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 10. Dezember 1994, Art. 1 und 6.11; Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 2. 15 S. Teil 1 B.V.1.; Gady, China Is Building a 100,000 Strong Marine Corps – The People’s Liberation Army allegedly plans to increase the size of its amphibious assault troops by 400 percent, The Diplomat, 24. März 2017, abrufbar unter: http:// thediplomat.com/2017/03/china-is-building-a-100000-strong-marine-corps/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 16 Palchetti, De Facto Organs of a State, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2010, Rn. 7; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 217; s. vertiefend Griebel, Die Zurechnungskategorie der de factoOrgane im Recht der Staatenverantwortlichkeit, Dissertation Köln 2004; Dereje, Staatsnahe Unternehmen – Die Zurechnungsproblematik im Internationalen Investitionsrecht und weiteren Bereichen des Völkerrechts, Dissertation Köln 2016, S. 88 ff. 17 von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 5 C I 1, Rn. 400. 13 Crawford,
A. Zurechenbarkeit bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags123
Mit dem Wort „includes“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Organeigenschaft auch nach innerstaatlichem Recht beurteilt werden kann; in erster Linie sind jedoch solche Stellen als Organe zu sehen, die tatsächlich, also de facto als solche handeln.18 Darüber hinaus enthält Art. 9 ILCEntwurf das Merkmal eines tatsächlichen Elementes hoheitlicher Gewalt. Danach kann das Verhalten einer Person oder Personengruppe zugerechnet werden, die in Abwesenheit oder Ermangelung der öffentlichen Behörden tatsächlich Elemente der hoheitlichen Gewalt ausüben, wenn zugleich Umstände vorliegen, welche die Ausübung solcher Elemente der hoheitlichen Gewalt erforderlich machen.19 Die Anforderungen an die Zurechnung des Handelns der Contra-Rebellen im Nicaragua-Urteil wurden im GenocideUrteil des IGH aufgegriffen und als Kriterien für das Vorliegen eines defacto-Organs im Zusammenhang mit Art. 4 des ILC-Entwurfs entwickelt.20 Danach lassen sich durchaus greifbare Unterschiede zu dem Zurechnungsmaßstab des Art. 8 ILC-Entwurf ausmachen; dazu gehört die vollständige staatliche Kontrolle der de-facto-Organe sowie deren fehlende Autonomie.21 Die relevanten Zurechnungstatbestände lassen sich jedenfalls sowohl im Rahmen von Art. 4 als auch von Art. 8 ILC-Entwurf hinreichend verdeutlichen. Denn für die Zurechnung des Handelns privatwirtschaftlicher Unternehmen als Pächter zu ihrem Herkunftsstaat kommt es sowohl darauf an, ob dieses unter derart umfangreicher staatlicher Kontrolle steht wie ein de-jureOrgan, als auch darauf, ob die konkrete Unternehmensoperation staatlich geleitet oder kontrolliert wird. Letztere Voraussetzung entspricht den Anforderungen, die Art. 8 ILC-Entwurf an die Zurechnung stellt (s. sogleich unter A.I.4.). Soweit sich Unternehmensoperationen des tatsächlich handelnden Zurechnungsobjekts mithin unter Anwendung dieses Tatbestands zurechnen lassen, werden sie dort behandelt. Die Einordnung als de-facto-Organ wird besonders für die häufig auf Pächterseite auftretenden Staatsunternehmen relevant. Es stellt sich somit die Frage, ob sie unter einem derart starken staatlichen Einfluss stehen, dass sie als de-facto-Organe angesehen werden können.
18 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 4, § 11. 19 Art. 9 ILC-Entwurf: „The conduct of a person or group of persons shall be considered an act of a State under international law if the person or group of persons is in fact exercising elements of the governmental authority in the absence or default of the official authorities and in circumstances such as to call for the exercise of those elements of authority.“ 20 Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 148. 21 Für den vorliegenden Untersuchungszweck ist eine dogmatische Einordnung der sog. de-facto-Organe nicht zwingend erforderlich.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Der IGH hat im Zusammenhang mit nichtstaatlichen Gruppierungen drei Anforderungen für die Zurechnung als de-facto-Organ entwickelt. Sie müssen in vollständiger Abhängigkeit von dem sie unterstützenden Staat stehen, diese Abhängigkeit muss sich auf sämtliche ihrer Aktivitäten erstrecken und sie muss sich schließlich auf die Ausübung von Kontrolle durch den unterstützenden Staat zurückführen lassen.22 Die vollständige Abhängigkeit muss sich in einer fehlenden Autonomie äußern, das de-facto-Organ also „bloßes Instrument“ des dahinter stehenden Staates sein.23 Eine fehlende Autonomie im Sinne einer unselbstständigen und abhängigen Unternehmensstruktur und einer rein formalen eigenständigen Rechtspersönlichkeit lässt sich auf Unternehmen, die selbst als Pächter auftreten, nicht ohne weiteres übertragen. Zunächst treten sie im Rahmen der untersuchten Verträge mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit und eigenem wirtschaftlichen Interesse auf. Dennoch handeln sie volkswirtschaftlich im Interesse des dahinterstehenden Herkunftsstaates, etwa wenn landwirtschaftlich genutzte Pachtflächen die heimische Ernährungssicherheit herstellen sollen. Hinzu kommt die praktisch bedeutsame staatliche Anteilsmehrheit (s. Teil 1 A.II.1.). Grundsätzlich enthält die eigene Rechtspersönlichkeit eines Staatsunternehmens eine Vermutung gegen das Vorliegen eines de-facto-Organs. Diese Vermutung für ein fehlende Zurechenbarkeit des Handelns von Staatsunternehmen gibt eine Entscheidung des britischen Krongerichts (Privy Council) wieder. In „La Générale des Carrières et des Mines („Gécamines“) v. FG Hemisphere“ (kurz: Gécamines), betreffend eine Streitigkeit zwischen einem kongolesischen Minenunternehmen und einem amerikanischen Konzern, konkretisierte der Privy Council die Anforderungen an die Zurechnung des Verhaltens von Staatsunternehmen wie folgt:24 22 Military and paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgement, I.C.J. Reports 1986, S. 14, § 109 f.; Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 391, 397; Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (498). 23 Military and paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgement, I.C.J. Reports 1986, S. 14, § 109; Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 392 f.; Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (499). 24 La Générale des Carrières et des Mines („Gécamines“) v. F. G. Hemisphere Associates LLC, Judgement, UKPC 27, Privy Council Appeal No 0061 vom 17. Juli 2012, § 29; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 162 f.; Herbert Smith Freehills, Privy Council Rules On The Liability Of State-Owned Corporations For Debts Of The State, Arbitration Notes, 20. Juli 2012, abrufbar unter: http://
A. Zurechenbarkeit bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags125 „[…] where a separate juridical entity is formed by the State for what are on the face of it commercial or industrial purposes, with its own management and budget, the strong presumption is that its separate corporate status should be respected, and that it and the State forming it should not have to bear each other’s liabilities.“
Diese Grundannahme spricht gegen die Gleichsetzung einer selbstständigen Unternehmenseinheit mit einer organähnlichen staatlichen Stelle und für eine getrennte Haftung sowie Verantwortlichkeit. Der Privy Council konturierte des Weiteren die Ausnahmen, unter denen von der Grundannahme der Nicht-Zurechenbarkeit abgewichen werden kann. Dazu bedarf es außergewöhnlicher Umstände: Die Angelegenheiten des Unternehmens und des Staates müssen so eng verknüpft sein, dass das Unternehmen außerhalb seiner juristischen Selbstständigkeit keinen erheblichen eigenständigen Existenzgrund besitzt.25 Insofern wird der zuvor dargestellte Maßstab der fehlenden Autonomie des IGH aufgegriffen und verschärft. Die Eigenständigkeit des Unternehmens soll nach dem Privy Council hingegen vorliegen, wenn es wesentliche Anteile und erhebliche Geschäftstätigkeit mit anderen Unternehmen, einen eigenen Etat, eigene Buchhaltung sowie Verbindlichkeiten besitzt und darüber hinaus selbstständig haftet.26 Die Eigenständigkeit fehlt also erst dann, wenn ein Staatsunternehmen einer weisungsabhängigen Abteilung des Staatsapparates gleichkommt. Dabei wird auf Kriterien zurückgegriffen, die zugleich der Bestimmung der zivilrechtlichen Haftungsautonomie von Unternehmen dienen. Die Zurechenbarkeit infolge einer fehlenden Eigenständigkeit eines Staatsunternehmens bejahte der ICSID in Salini v. Morocco.27 Handelt es sich danach bei dem Staatsunternehmen selbst lediglich um eine „leere Hülle“, die von Staatsvertretern betrieben wird, kann deren Handeln zugerechnet werden. Der Staat Marokko hält 89 % an der National Motorway Company of Morocco (ADM) und der Unternehmensführung gehören verschiedene Regierungsbeamte an, darunter der Verkehrsminister als Präsident. Sitzungsprotokolle wurden der Regierung übermittelt und der Gründungszweck ist rein hoheitlicher Art, er beinhaltet die Errichtung, den Betrieb und die Verhsfnotes.com/arbitration/2012/07/20/privy-council-rules-on-the-liability-of-stateowned-corporations-for-debts-of-the-state/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 25 La Générale des Carrières et des Mines („Gécamines“) v. F. G. Hemisphere Associates LLC, Judgement, UKPC 27, Privy Council Appeal No 0061 vom 17. Juli 2012, § 29; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 162. 26 La Générale des Carrières et des Mines („Gécamines“) v. F. G. Hemisphere Associates LLC, Judgement, UKPC 27, Privy Council Appeal No 0061 vom 17. Juli 2012, § 70 f.; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 162. 27 Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Kingdom of Morocco, Judgement, ICSID Case No. ARB/00/4 vom 23. Juli 2001, 42 ILM 609 (2003), Rn. 30 ff.; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 163.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
waltung von hochkapazitären Kommunikationswegen, die dem Unternehmen staatlicherseits zugewiesen werden.28 Als Anknüpfung für eine Zurechnung wurde diesbezüglich zwar Art. 8 ILC-Entwurf herangezogen;29 die hierfür relevanten Maßstäbe deuten jedoch eher auf eine Einordnung als de-factoOrgan hin.30 Des Weiteren hat das Iran-US Claims Tribunal die Zurechnung unternehmerischen Verhaltens in solchen Fällen angenommen, in denen der Geschäftsführer des Unternehmens staatlicherseits ernannt wurde.31 Fällt dieser seine Entscheidungen in Abhängigkeit von der staatlichen Ernennungsstelle und führt seine Ernennung zu einer Kontrolle des unternehmerischen Handelns, verliert das Unternehmen seine Eigenständigkeit gegenüber einer staatlichen Stelle.32 Die Zurechnung seines Verhaltens ließe sich folglich damit begründen, dass das Unternehmen zum verlängerten Arm behördlichen Handelns wird. Die Zurechnung des Verhaltens privatwirtschaftlicher Pächter zum Herkunftsstaat als dessen de-facto-Organe kann unter engen Voraussetzungen bejaht werden. Der staatliche Einfluss kann sich in vielerlei Hinsicht äußern. Dazu gehören etwa die Festlegung einer Zielvorgabe in den Gründungsdokumenten, die Finanzierung der Unternehmensaktivitäten und Projekte, der Einfluss auf das Personal durch Weisungsbefugnisse sowie Ein- und Absetzungsmöglichkeiten des leitenden Personals; zusammenfassend muss sich jede Unternehmenshandlung auf staatliche Vorgaben zurückführen lassen, sodass es nicht auf die Zurechnung der Operation im Einzelnen ankommt.33 Unter Anwendung dieser Kriterien finden sich auch im Rahmen der untersuchten Pachtvertragstypen de-facto-Organe. Der umfassende staatliche Einfluss wird etwa am Beispiel chinesischer Staatsunternehmen wie der China National Cereals, Oils and Foodstuffs Import and Export Company (COFCO), Chinas führendem Agrarunternehmen, deutlich. Dieses hält zum einen An28 Zum Ganzen Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Kingdom of Morocco, Judgement, ICSID Case No. ARB/00/4 vom 23. Juli 2001, 42 ILM 609 (2003), Rn. 30 ff.; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 163. 29 Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 163. 30 Dereje, Staatsnahe Unternehmen – Die Zurechnungsproblematik im Internationalen Investitionsrecht und weiteren Bereichen des Völkerrechts, Dissertation Köln 2016, S. 268. 31 Sedco v. National Iranian Oil Co. (1985), 9 Iran-US CTR 248, 278–279; Starrett Housing v. Iran (1983), 4 Iran-US CTR 122, 155; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 163 f. 32 Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 399 f. 33 Dereje, Staatsnahe Unternehmen – Die Zurechnungsproblematik im Internationalen Investitionsrecht und weiteren Bereichen des Völkerrechts, Dissertation Köln 2016, S. 268.
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teilsmehrheiten an ausländischen Agrarunternehmen und bemüht sich zum anderen selbst um Pacht- oder Konzessionsverträge, z. B. für den Anbau von Reis und Sojabohnen in Mosambik.34 Leitende Angestellte von COFCO werden staatlicherseits ernannt und ihre Geschäftsführer haben Ministerialrang inne.35 Auch der Gründungszweck kann bei der Beurteilung staatlicher Leitung oder Kontrolle Aufschluss geben. Dies klingt sowohl in der o. g. Entscheidung Gécamines in der Formulierung „formed for commercial or industrial purposes“ sowie in Salini v. Morocco (ADM) an.36 Die Unternehmen auf Pächterseite sind häufig eigens nach dem Recht des Empfangsstaates für die Durchführung eines Pachtvertrags gegründet worden, wie etwa Addax Bio energy Sierra Leone Limited. Das nach dem Recht Sierra Leones gegründete Unternehmen zählt zu einem (allerdings rein privatwirtschaftlichen) Schweizer Konzern (s. Teil 1 A.II.2.). Wird ein Staatsunternehmen eingesetzt, um einen Pachtvertrag durchführen zu können, schließt dies jedoch keineswegs eigenständige kommerzielle Interessen aus. Die Durchführung von Pachtverträgen erschöpft sich also auch dann nicht in der Durchsetzung staatlicher Interessen. Es kommt daher auf eine jeweilige Gesamtschau an, die sämtliche der zuvor genannten Parameter betrachtet.37 Im Ergebnis müssen die Angelegenheiten des Unternehmens und des Staates so eng verknüpft sein, dass das Unternehmen außerhalb seiner juristischen Selbstständigkeit keinen erheblichen eigenständigen Existenzgrund besitzt und einer weisungsabhängigen Abteilung des Staatsapparates gleichkommt.
34 Bell, China moves into fast lane to secure agri-trading assets, TXF News, 29. April 2014, abrufbar unter: http://www.txfnews.com/News/Article/2753/Chinamoves-into-fast-lane-to-secure-agri-trading-assets (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); vgl. Übersicht zu Unternehmensaktivitäten von COFCO bei farmlandgrab.org, abrufbar unter: http://farmlandgrab.org/cat/show/137 (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019); Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 37. 35 Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 32. 36 La Générale des Carrières et des Mines („Gécamines“) v. F. G. Hemisphere Associates LLC, Judgement, UKPC 27, Privy Council Appeal No 0061 vom 17. Juli 2012, § 29; Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. Kingdom of Morocco, Judgement, ICSID Case No. ARB/00/4 vom 23. Juli 2001, 42 ILM 609 (2003), Rn. 33. 37 Dereje, Staatsnahe Unternehmen – Die Zurechnungsproblematik im Internationalen Investitionsrecht und weiteren Bereichen des Völkerrechts, Dissertation Köln 2016, S. 401.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Angesichts der weiten Verbreitung von Staatsunternehmen auf Pächterseite hat dieser Zurechnungstatbestand für die vorliegende Untersuchung besondere Bedeutung. Auch wenn es hier auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt und die maßgeblichen Kriterien nicht aus der Untersuchung der Pachtverträge selbst hervorgehen, eröffnet dieser Zurechnungstatbestand für einen großen Teil der untersuchten Vertragstypen zumindest die Möglichkeit der Zurechnung. Für die Staatenverantwortlichkeit im Rahmen extraterritorialer Pachtverhältnisse kann daher festgehalten werden, dass das Auftreten eines privaten Akteurs nicht bereits zu einem Ausschluss der Zurechnung führt. Es lohnt in jedem Einzelfall ein Blick auf den Umfang und die Qualität der Einflussnahme und Beteiligung des Herkunftsstaates auf private Unternehmen und ihre konkreten Aktivitäten. 3. Die Ausübung von Elementen hoheitlicher Gewalt durch nichtstaatliche Akteure Art. 5 ILC-Entwurf regelt die Zurechnung des Verhaltens natürlicher oder juristischer Personen, die Elemente hoheitlicher Gewalt ausüben („Conduct of persons or entities exercising elements of governmental authority“). Der Zurechnungstatbestand reflektiert den Grundsatz, dass sich ein Staat nicht durch die Delegation seiner Aufgaben an Private von seinen Pflichten entledigen kann.38 Auf die Einordnung eines Akteurs als öffentlich kommt es dabei nicht an.39 Der Zurechnungstatbestand erfasst nach den Commentaries zum ILC-Entwurf z. B. das Verhalten ehemals staatlicher Gesellschaften, die nach ihrer Privatisierung weiterhin öffentliche oder regulierende Funktionen ausüben.40 Juristische Personen im Sinne dieser Zurechnungsregel sind öffentliche sowie unter Umständen private Unternehmen bzw. Gesellschaften, halbstaat liche Einrichtungen oder andere Träger öffentlicher Belange.41 Sie müssen 38 Costello-Roberts v. The United Kingdom App no 13134/87 (ECHR, 25 March 1993), § 27; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 213. 39 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 3. 40 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 1; diese Überzeugung findet in der Menschenrechtspraxis vielfach Bestätigung, vgl. Kees, Responsibility of States for Private Actors, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, März 2011, Rn. 20 f.; Kontos, „Private“ security guards: Privatized force and State responsibility under international human rights law, Non-State Actors and International Law 4/2004, S. 199 (214). 41 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 2.
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nach dem Recht des Herkunftsstaates zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse ermächtigt sein und in Ausübung dieser Befugnisse handeln. Die staatlicherseits erforderliche Ermächtigung sowie deren Bezugspunkt, die Ausübung hoheitlicher Befugnisse, sind die beiden entscheidenden tatbestandlichen Merkmale. a) Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse Die Ermächtigung muss auf die Ausübung von Elementen hoheitlicher Gewalt seitens des Pächters gerichtet sein. In den Commentaries zum ILCEntwurf werden Kriterien zur Beurteilung des Merkmals hoheitlicher Gewalt („governmental authority“) aufgestellt. Dabei wird ausdrücklich von einer exakten Definition abgesehen und anerkannt, dass dieses Merkmal von einer Vielzahl gesellschaftlicher, historischer und traditioneller Faktoren beeinflusst sein kann. Als Elemente hoheitlicher Gewalt werden u. a. Befugnisse zur Festnahme von Personen, zum Verhör und zur Bewachung von Gefangenen, zum Strafvollzug nach einem Urteil, zur Einwanderungskontrolle und Quarantäne bis hin zur Eigentumsermittlung im Rahmen der Pfändung verstanden.42 Hervorzuheben sind neben dem Inhalt der Befugnisse auch die Art und Weise, wie diese auf die Person übertragen wurden sowie der mit der Ausübung der Befugnisse verfolgte Zweck und die Reichweite ihrer öffentlichen Verantwortlichkeit.43 Insofern überschneidet sich die Prüfung mit der Frage, ob dem Pächter hoheitliche Befugnisse übertragen worden sind (s. Teil 1 C.II.). Die Ausübung von Elementen hoheitlicher Gewalt durch ein Individuum erkannte der IGH im Bosnia Cenocide Case an, wenn die Person in vollständiger Abhängigkeit vom Staat steht. Dieser Zurechnungstatbestand wurde außerdem von den Maastrichter Prinzipien in Nr. 12 lit. b aufgegriffen (s. hierzu noch Teil 2 C.II.2.b)). Die Commentaries zum ILC-Entwurf erwähnen ausdrücklich private Sicherheitsfirmen, die in Gefängnissen oder bei der Festnahme von Personen eingesetzt werden.44 Im Rahmen von Pachtverhältnissen kommt es vereinzelt zum Einsatz privaten Sicherheitspersonals; dies erfolgt sowohl kraft 42 Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 129; ders., The International Law Commission’s Articles on State Responsibility: Introduction, Text and Commentaries, 2002, Art. 5 Rn. 2. 43 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 6: „[…] particular importance will be not just the content of the powers, but the way they are conferred on an entity, the purposes for which they are to be exercised and the extent to which the entity is accountable to government for their exercise.“ 44 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 2; vgl. Kon-
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
ausdrücklicher vertraglicher Befugnis als auch im Rahmen faktischer Vertragsausübung: Ein malaysischer Investor wird in einem Konzessionsvertrag mit Liberia etwa zur Einrichtung einer Sicherheitsabteilung ermächtigt, welche zum Erhalt von Recht, Ordnung und Sicherheit unter der Aufsicht Liberias Vollstreckungsmaßnahmen einschließlich von Festnahmen ergreifen darf.45 Privates Sicherheitspersonal kam auch auf laotischem Pachtgebiet zum Einsatz. Die chinesische „Special Zone Security“ hatte dort ein Sicherheitsbüro („new public security office“) eröffnet, allerdings ohne die laotische Polizei vollständig abzulösen.46 b) Staatliche Ermächtigung Eine Zurechnung erfordert des Weiteren, dass die handelnden Personen nach dem Recht des Herkunftsstaates dazu befugt sind („empowered by the law of that State“). Dieser Zurechnungstatbestand ist vor diesem Hintergrund mit der verwaltungsrechtlichen Rechtsfigur des Beliehenen vergleichbar.47 Versteht man unter „law of that State“ – entsprechend dem Beliehenen nach deutschem Recht – dass eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich ist, führte dieses zweite zentrale Kriterium zu einem faktischen Ausschluss der Zurechnung des Verhaltens privater Akteure zum Herkunftsstaat im Rahmen der untersuchten Pachtverhältnisse. Denn eine gesetzliche Ermächtigung des Herkunftsstaates zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse auf fremdem Terri torium setzte gewissermaßen einen gesetzlich manifestierten Eingriff in die territoriale Souveränität des Verpächterstaates voraus. Eine abstrakte national-rechtliche Ermächtigung zur extraterritorialen Ausübung von Hoheitsgewalt, die losgelöst ist von einem konkreten Pachtverhältnis, erscheint fernliegend. Die national-rechtlichen Ermächtigungsnormen enthalten zwar typischerweise keine Beschränkung auf die Vornahme einer hoheitlichen Befugnis lediglich im Inland.48 Eine derartige Beschränkung folgt jedoch aus ihrem praktischen Anwendungsbereich, da sich die Ermächtigung zur Vornahme tos, „Private“ security guards: Privatized force and State responsibility under international human rights law, Non-State Actors and International Law 4/2004, S. 199. 45 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 9.3, S. 24. 46 Nyíri, Extraterritoriality – Foreign Concessions: the Past and Future of a Form of Shared Sovereignty, EspacesTemps.net, 19. November 2009, abrufbar unter: https://www.espacestemps.net/articles/extraterritoriality-pal-nyiri/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 47 Kunig/Uerpmann-Wittzack, JURA – Übungen im Völkerrecht, 2. Aufl. 2006, S. 18. 48 Beispiele im deutschen Recht sind die Ermächtigung der TÜV-Ingenieure gem. § 29 Abs. 2 Satz 2 StVZO sowie privater Personen für die Zulassung von KraftWärme-Kopplungsanlagen gem. § 10 Abs. 2 KWKG.
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der jeweiligen hoheitlichen Handlung nur auf bestimmte, im Inland auftretende Situationen bezieht. Darüber hinaus existieren zwar Anwendungsfälle für abstrakte nationalrechtliche Ermächtigungsnormen, die auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse auf fremdem Territorium gerichtet sind; darunter fallen z. B. die Vollstreckungsbefugnisse von Piloten und Kapitänen. Diese besitzen im Rahmen von Pachtverhältnissen jedoch keine Relevanz. Gleiches gilt für den Sonderfall der privaten Militärdienstleister. Eine Ermächtigung i. S. v. Art. 5 ILCEntwurf liegt auch in der staatlichen Übertragung von Befugnissen zur Vornahme von Kampfhandlungen oder zur Durchführung von Vollzugsmaßnahmen gegenüber Gefangenen im Ausland durch private Sicherheitsunternehmen.49 Innerstaatliche Befugnisse des Herkunftsstaates zur Vornahme von Hoheitsakten auf dem Pachtgebiet lassen sich also weder mit Praxisbeispielen belegen, noch erscheinen sie aus abstrakter Sicht denkbar. Versteht man unter „law of that State“ eine nicht notwendig gesetzliche, sondern jede nach innerstaatlichem Recht erteilte Ermächtigung zur Ausübung von Hoheitsrechten, kommen auch konkret-individuelle Regeln in Betracht.50 Darunter fiele demzufolge eine Ermächtigung, nach welcher ein Herkunftsstaat einem Unternehmen die Ausübung des Pachtvertrages überträgt. Eine innerstaatliche Ermächtigung nach den Maßstäben von Art. 5 ILC-Entwurf ist in solchen Fällen jedoch abzulehnen. Aus den Commentaries zum ILC-Entwurf ergibt sich vielmehr, dass derartige Konstellationen unter den Zurechnungstatbestand gem. Art. 8 ILC-Entwurf gefasst werden sollten, also als Handeln auf staatliche Anweisung oder unter dessen Leitung oder Kontrolle.51 4. Vom Staat geleitetes oder kontrolliertes Verhalten Der Staat trägt die Verantwortung für nach Art. 8 ILC-Entwurf zurechenbares Verhalten, wenn eine Person oder Personengruppe tatsächlich auf seine Anweisung oder unter seiner Leitung bzw. Kontrolle handelt („[…] if the person or group of persons is in fact acting on the instructions of, or under 49 Bezogen auf die konkrete Vollzugshandlung im Gegensatz zu dem Einsatz insgesamt, der über Art. 8 ILC-Entwurf zuzurechnen wäre; vgl. Drews, Die völkerrechtlichen Dimensionen des staatlichen Einsatzes privater Militärfirmen, Dissertation Hamburg 2011, S. 190; Lehnardt, Private Militärfirmen und völkerrechtliche Verantwortlichkeit, Dissertation HU Berlin 2011, S. 168 ff. 50 Zur Übersetzungsproblematik von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, § 5 C I 1, Rn. 400. 51 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 5, § 7.
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the direction or control of, that State in carrying out the conduct.“). Die Zurechnung wird damit aufgrund von tatsächlichen Umständen und ohne die Berücksichtigung formeller Ermächtigungen begründet.52 Auf ein mögliches ultra-vires-Handeln kommt es – anders als für die Zurechnung des Verhaltens von staatlichen Organen (gem. Art. 7 ILC-Artikelentwurf) – nicht an, da kein klar umrissener Kompetenzbereich für das private Handeln definiert ist. a) Handeln auf tatsächliche Anweisung Die erste Alternative von Art. 8 ILC-Entwurf („in fact acting on the instructions of that State“) erfasst das Verhalten der von staatlichen Organen eingesetzten oder angestifteten Gehilfen, die außerhalb staatlicher Strukturen bleiben.53 Hierunter kann ein für den Einzelfall erteilter staatlicher Auftrag fallen. Eine abstrakte gesetzliche Ermächtigung würde demgegenüber von Art. 5 ILC-Entwurf erfasst. An diese Zurechnungsmodalität des Handelns auf tatsächliche Anweisung wäre im Rahmen dieser Untersuchung dann zu denken, wenn ein Staat einen Pachtvertrag selbst abschließt, die Ausführung und den Betrieb einer (unter Umständen noch zu errichtenden) Anlage indessen einem privaten Unternehmen überlässt. Dann müsste der staatliche Auftrag jedoch im Ausgangspunkt dasjenige Verhalten umfassen, welches als völkerrechtswidrig zu qualifizieren ist und die staatliche Verantwortung auslöst. Die Völkerrechtsverletzung müsste also bereits in der Vertragsausführung „angelegt“ sein, also unmittelbar und ohne weitere hinzutretende Kausalverläufe aus ihr selbst folgen. Eine Völkerrechtsverletzung erst im Rahmen oder im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung würde nicht mehr unter die staatliche Anweisung fallen, die in einem Pachtvertrag geregelten Befugnisse auszuüben. Eingangs wurde bereits erläutert, dass mit den vertraglichen Befugnissen selbst in der Regel keine Übertragung von Hoheitsrechten einhergeht; dies geschieht vielmehr im Rahmen ihrer tatsächlichen Ausführung (s. Teil 1 C. II.). Dieses Ergebnis lässt sich auch auf die Frage übertragen, ob aus pachtvertraglichen Befugnissen unmittelbar eine Verletzungshandlung hervorgeht. 52 Der Sonderberichterstatter Ago hob als Kernursache der Zurechnung zudem die Ausübung öffentlicher Funktionen durch Private hervor, unabhängig von seiner Zuordnung zu einem staatlichen Organ. Sein Entwurf enthielt bereits das tatsächliche Kriterium „[…] in fact act on behalf of the state“, was schließlich seinen Ausdruck in der heutigen Fassung im Handeln unter Anweisung, Leitung oder Kontrolle findet; Yearbook of the International Law Commission 1971 Volume II Part 1, UN Doc. A/ CN.4/SERJV/1971/Add.l (Part 1), S. 264; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 143. 53 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 2.
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Diese Frage ist zu verneinen, ohne damit eine materielle Bewertung der vorliegend untersuchten Aktivitäten vorwegzunehmen. Denn völkerrechtliche Konfliktlagen ergeben sich typischerweise erst aus der Art und Weise, mit der vertragliche Befugnisse ausgeübt bzw. umgesetzt werden; dass dies der Fall ist, kann in aller Regel nicht automatisch als rechtswidriges Verhalten eingeordnet werden. Ein staatlich instruierter Völkerrechtsbruch qua Übertragung der Vertragsausübung ist also nicht zu erkennen. b) Handeln unter staatlicher Leitung oder Kontrolle Die zweite Alternative von Art. 8 ILC-Entwurf, das Handeln unter staatlicher Leitung oder Kontrolle („direction or control“), entbehrt einer eindeutigen Definition und erhält erst nach einer Gesamtschau der diesbezüglichen Völkerrechtspraxis eine gewisse Klarheit. Zum einen werden der hierfür entwickelte effective-control-Maßstab und seine konkrete Bedeutung in Pachtverhältnissen untersucht (aa), zum anderen die Besonderheiten bei der Zurechnung der Aktivitäten von Staatsunternehmen (bb). Letztere weisen eine gesondert darzustellende Kasuistik auf und knüpfen nur teilweise an den effective-control-Maßstab an. aa) Der effective-control-Maßstab als Zurechnungskriterium bei Unternehmensoperationen Die staatliche Leitung oder Kontrolle muss sich nach den Commentaries zum ILC-Entwurf auf eine konkrete Unternehmensoperation beziehen und die völkerrechtsverletzende Handlung wesentlicher Bestandteil dieser Operation sein.54 Das ist nicht der Fall, sofern die zuzurechnende Handlung nur anlässlich einer staatlichen Handlung erfolgte oder sich der staatlichen Kontrolle entzieht.55 Die Leitung oder Kontrolle muss sich also nicht auf die Verletzungshandlung selbst, sondern auf die übergeordnete Unternehmensoperation beziehen. Der Staat muss aber während der Ausführung der Operation darauf Einfluss nehmen können.56 Dabei ist zu untersuchen, welche 54 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 3: „Such conduct will be attributable to the State only if it directed or controlled the specific operation and the conduct complained of was an integral part of that operation.“ 55 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 3. 56 Drews, Die völkerrechtlichen Dimensionen des staatlichen Einsatzes privater Militärfirmen, Dissertation Hamburg 2011, S. 195; Jinks, State Responsibility for the Acts of Private Armed Groups, Chicago Journal of International Law 2003, Vol. 4 S. 83 (90).
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Anforderungen an die Leitung und Kontrolle der Unternehmensoperation zu stellen sind und wie eng der Zusammenhang zwischen der übergeordneten Unternehmensoperation und der konkreten Verletzungshandlung zu sein hat. (1) Zurechnungsmaßstab in der Völkerrechtspraxis Zur Verdeutlichung der Anforderungen an die Leitung und Kontrolle einer Unternehmensoperation nehmen die Commentaries zu Art. 8 ILC-Entwurf Bezug auf das Nicaragua-Urteil des IGH von 1986. Danach wäre den USA das Verhalten der Contra-Rebellen nur dann als eigenes Verhalten zurechenbar gewesen, wenn sie über die Finanzierung, Ausbildung, Organisation und Ausstattung hinaus wirksame Kontrolle über deren Aktivitäten ausgeübt hätten.57 Die bloße – wenn auch vielseitige und intensive – Unterstützung der Rebellengruppe als solche begründete nicht die Zurechnung ihrer Aktivitäten im Einzelnen, sondern die Kontrolle ihrer Handlungen. Der IGH setzte zur Erfüllung des Merkmals „direction or control“ also ausdrücklich eine „effective control“ voraus. Diesen Maßstab griff der IGH indirekt in Armed Activities on the Territory of the Congo auf, indem er an der entsprechenden Stelle auf das Nicaragua-Urteil verwies.58 Der ICTY äußerte sich im Tadić-Urteil ebenfalls zu Fragen der Staatenverantwortlichkeit, konkret zu der Zurechnung des Verhaltens der Republika Srpska zur Federal Republic of Yugoslawia. Die Appeals Chamber hielt fest, dass die Kontrollintensität von den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls abhänge und nicht notwendig eine wirksame, sondern eine allgemeine („overall“) Kontrolle erfordere.59 Weil es dabei nicht um die Begründung 57 Military and paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, Judgement, I.C.J. Reports 1986, S. 14, § 115: „For this conduct to give rise to legal responsibility of the United States, it would in principle have to be proved that that State had effective control of the military or paramilitary operations in the course of which the alleged violations were committed.“; gleichwohl bejahte der IGH einen Verstoß gegen das Gewaltverbot; Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (502); Herdegen, Völkerrecht, § 34 Rn. 24 f. 58 Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgement, I.C.J. Reports 2005, S. 168, § 160; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 149, 154. 59 Prosecutor v. Duško Tadić, International Tribunal for the Former Yugoslavia, Case No.: IT-94-1-A vom 15. Juli 1999, Appeals Chamber, Judgement, § 117: „The degree of control may, however, vary according to the factual circumstances of each case. The Appeals Chamber fails to see why in each and every circumstance international law should require a high threshold for the test of control.“; Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILC-Commentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 5; Crawford, State Responsibility – The
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von Staatenverantwortlichkeit, sondern die Feststellung eines internationalen bewaffneten Konflikts ging, war damit kein offener Widerspruch zum effective-control-Maßstab des IGH intendiert.60 Das Merkmal der effective control wird sowohl zur Bestimmung von Art. 8 ILC-Entwurf sowie zur Beantwortung der Frage herangezogen, wann eine Person staatlicher Hoheitsgewalt untersteht. Diese Überschneidung wird im Rahmen der Bestimmung des extraterritorialen Anwendungsbereichs von Menschenrechtsverträgen erneut aufgegriffen (s. unten Teil 2 C.II.). Die Merkmale sind trotz ihrer sprachlichen und mitunter tatsächlichen Überschneidung streng voneinander zu trennen. Im Zusammenhang mit dem extraterritorialen Anwendungsbereich menschenrechtlicher Verträge wird wirksame Kontrolle als Kontrolle über ein Territorium (wirksame Gebietskontrolle) oder als Kontrolle über die den Verletzungen ausgesetzten Personen verstanden. Nichtsdestotrotz steht eine territoriale Kontrolle im Sinne einer wirksamen Gebietskontrolle mitunter in einem Zusammenhang mit der Kontrolle über das Verhalten Privater i. S. v. Art. 8 ILC-Entwurf. Bereits im Namibia-Urteil von 1971 stellte der IGH fest, dass die physische Kontrolle über ein Hoheitsgebiet und nicht das souveräne oder legitime Eigentum daran die Grundlage für die staatliche Haftung für Handlungen gegenüber anderen Staaten ist.61 Auch in Loizidou begründete der EGMR die staatliche (menschenrechtliche) Verantwortlichkeit für das Verhalten Dritter mit der Kontrolle über ein fremdes Territorium, die mittels Dritter ausgeübt wurde.62 Gegenstand waren dabei jedoch sowohl die Anwendbarkeit der EMRK als Voraussetzung der Verletzung einer völkerrechtlichen Pflicht als auch die Zurechnung des Verhaltens der Turkish Re public of Northern Cyprus (TRNC) zur Türkei.63 Diese Entscheidung dient daher gerade nicht der Verdeutlichung der jeweiligen Unterschiede. General Part, 2013, S. 151 f.; dazu Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 402; Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (504). 60 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 5. 61 Legal Consequences for States of the continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1971, S. 16, § 118: „Physical control of a territory, and not sovereignty or legitimacy of title, is the basis of State liability for acts affecting other States.“ 62 Loizidou v. Turkey (GC) App no. 15318/89 (ECHR, 23 March 1995) Preliminary Objections § 20, 24; dazu unten Teil 2 C.II. 63 Loizidou v. Turkey App no 15318/89 (ECHR, 18 December 1996), § 57; Talmon, The responsibility of outside powers for acts of secessionist entities, International and Comparative Law Quarterly Vol. 58, 2009, S. 493 (508 f.).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Die Überschneidungen zwischen wirksamer Gebietskontrolle und der Zurechnung des Verhaltens Privater kraft „direction and control“ sind folglich faktischer Natur. Sie materialisieren sich insbesondere in Situationen militärischer Auseinandersetzungen. Damit bleibt das Erfordernis von Art. 8 ILCEntwurf unberührt, wonach sich die zurechnungsbegründende staatliche Kontrolle auf ein bestimmtes Verhalten eines Privaten beziehen muss. Überlegungen betreffend eine (zusätzliche) Gebietskontrolle bleiben daher in diesem Zusammenhang außen vor. Der IGH griff den effective-control-Maßstab erneut im Genocide-Urteil von 2007 über den Krieg in Bosnien (im konkreten Fall zu Auseinandersetzungen zwischen Serbien-Montenegro und Bosnien-Herzegowina) auf und spezifizierte die hieran zu stellenden Anforderungen.64 Nicht erforderlich ist danach, dass der jeweilige Akteur in vollständiger Abhängigkeit („complete dependence“) des Staates steht.65 Das gilt sowohl für das Handeln unter staatlicher Anweisung als auch für das Handeln unter staatlicher Leitung oder Kontrolle („direction or control“). Letzteres Merkmal setzt er mit „effective control“ gleich. Die staatliche Anweisung, Leitung oder Kontrolle muss sich im Übrigen nicht auf die Gesamtheit der Aktivitäten, sondern die private Operation im Einzelnen beziehen, aus welcher die Verletzung hervorging: „[…] it has to be proved that they acted in accordance with that Stateʼs instructions or under its ‚effective control‘. It must however be shown that this ‚effective control‘ was exercised, or that the State’s instructions were given, in respect of each operation in which the alleged violations occurred, not generally in respect of the overall actions taken by the persons or groups of persons having committed the violations.“66
Die Zurechenbarkeit erfordert also neben der Kontrolle der konkreten Operation nicht, dass zugleich der gesamte Einsatz kontrolliert wird; zugleich reicht es nicht aus, wenn nur diese Gesamtkontrolle gegeben ist. Nur zur Ergänzung wird festgehalten, dass die bloße Förderung durch den Herkunftsstaat eine wirksame staatliche Kontrolle nicht begründen kann, auch wenn die Folgen absehbar oder naheliegend sind. Die in den USA gegründeten Pharmaunternehmen Monsanto, DuPont und Dow profitierten von 64 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 400. 65 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 400. 66 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 400.
A. Zurechenbarkeit bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags137
systematischer Werbung durch das US-Außenministerium, wie im Rahmen der Wikileaks-Enthüllungen offenbart wurde.67 Die US-Botschaften und sonstigen Auslandsvertretungen sollten eine „aktive Biotech-Agenda“ verfolgen; in Gestalt von Werbeveranstaltungen, Pressegesprächen sowie Lern videos an Schulen sollte eine gesellschaftliche Akzeptanz aufgebaut werden und Regierungsbeamte in Entwicklungsländern zur Aufhebung von Importbeschränkungen für genverändertes Saatgut bewegt werden.68 Des Weiteren wurde mit der Farmer Assurance Provision ein (mittlerweile außer Kraft getretenes) Gesetz erlassen, was – als Monsanto Protection Act tituliert – bestimmte Agrarunternehmen vor Rechtsverfolgung im Rahmen des Vertriebs genveränderten Saatguts im Ausland schützt.69 Dennoch begründet eine solche Förderung keine staatliche Leitung und Kontrolle im Sinne von Art. 8 ILC-Entwurf. (2) Übertragung des Maßstabs auf Pachtverhältnisse In der Rechtsprechung des IGH wurde diese Unterscheidung der Kontrolle eines gesamten Einsatzes bzw. einer konkreten Operation sämtlich im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten vorgenommen. Auch der über konkret übertragene Vollstreckungshandlungen hinausgehende gesamte Einsatz privater Sicherheits- oder Militärunternehmen auf vertraglicher Grundlage wird nach überwiegender Auffassung jedoch dem beauftragenden Staat gem. Art. 8 ILC-Entwurf zugerechnet.70 Im Gegensatz zu Agrar-, Industrieoder anderen Land pachtenden Unternehmen weist die Durchführung von Kampfhandlungen allerdings einen eindeutigen Hoheitsbezug auf. Die Maß67 Wikileaks, Public Library of US Diplomacy, Cable, 9. Februar 2007, „U.S. biotech companies concerns about security and outlook for pending dossiers“, abrufbar unter: https://wikileaks.org/plusd/cables/07PARIS515_a.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 68 Hauter, Monsanto and other GM firms are winning in the US – and globally, The Guardian vom 14. Mai 2013, abrufbar unter: https://www.theguardian.com/ commentisfree/2013/may/14/monsanto-gm-crops-worldwide (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 69 Das Gesetz HR 933 wurde von Kritikern als Monsanto Protection Act bezeichnet; Alman, ‚Monsanto Protection Act‘ To Expire, Won’t Be Part Of Continuing Resolution, Huffington Post, 24. September 2013, abrufbar unter: https://www.huffpost. com/entry/monsanto-protection-act-expire_n_3985673?guccounter=1 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 70 Krieger, Der privatisierte Krieg: Private Militärunternehmen im bewaffneten Konflikt, Archiv des Völkerrechts Band 44, 2006, S. 159 (173); Kontos, „Private“ security guards: Privatized force and State responsibility under international human rights law, Non-State Actors and International Law 4/2004, S. 199 (215). Dies gilt allerdings nicht, wenn sie in die Streitkräfte des Empfangsstaates eingegliedert werden.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
stäbe lassen sich jedoch durchaus auf primär wirtschaftliche Aktivitäten privater Unternehmen übertragen. Danach können drei Handlungsebenen unterschieden werden: Auf oberster Ebene steht zunächst die Gesamtheit unternehmerischer Aktivitäten, darunter die konkrete Unternehmensoperation und schließlich die Verletzungshandlung an sich. Eine Zurechnung des Verhaltens von Unternehmen im Rahmen eines Pachtvertrages setzt voraus, dass der Staat ein Unternehmen im Hinblick auf eine konkrete Unternehmensoperation beaufsichtigt, anleitet, lenkt oder kontrolliert. Aus dieser Operation muss schließlich die Verletzungshandlung hervorgehen. Wann nun im Rahmen der Pachtverhältnisse von welcher der drei Handlungsebenen ausgegangen werden kann, hängt von ihrem jeweiligen Verständnis ab. Nach einem sehr weiten Verständnis der drei genannten Handlungsebenen ließe sich unter den Begriff der konkreten Unternehmensoperation die Durchführung der Pacht insgesamt fassen. Ein Beispiel für eine mögliche Verletzungshandlung wäre die Besitzstörung oder die faktische Entziehung von Eigentum im Rahmen der Errichtung von Anlagen auf dem Pachtgebiet. Eine Zurechnung wäre nach diesem weiten Verständnis bereits dann zu bejahen, wenn der Staat als Vertragspartei die Vertragsdurchführung auf ein Unternehmen überträgt und seine Kontrolle auf die grundsätzlichen Entscheidungen beschränkt. Die Verletzungshandlung müsste dann jedoch wesent licher Bestandteil der Durchführung der Pacht insgesamt sein und nicht nur anlässlich derselben erfolgen. Diese Einschränkung geht – abstrakt – aus den Commentaries zu Art. 8 ILC-Entwurf hervor.71 Dafür müsste zum Zeitpunkt der Übertragung der Vertragsausführung bereits ersichtlich sein, dass diese zu einer Verletzung von Eigentumspositionen o. ä. führen wird. Nach Analyse der untersuchten Verträge fehlt es jedoch an einer entsprechenden hinreichenden Verknüpfung zwischen den vertraglichen Befugnissen und der völkerrechtswidrigen Handlung.72 Nach einem engeren Verständnis der genannten Handlungsebenen fiele unter die staatlich geleitete oder kontrollierte Unternehmensoperation erst die nähere Ausgestaltung der Durchführung des Pachtvertrags. Der staatliche Einfluss dürfte dann nicht bei der Übertragung der Vertragsausführung insgesamt enden, sondern müsste im vorgenannten Beispiel die Art und Weise der Errichtung und des Betriebs von Anlagen auf dem Pachtgebiet sowie den Umgang mit bodenbezogenen Konflikten umfassen. Eine staatliche Stelle müsste etwa die Errichtung einer Anlage auf einer bestimmten Fläche oder 71 S. o., Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILC-Commentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 3. 72 Zur Analyse der vertraglichen Befugnisse s. Teil 1 B. sowie Teil 1 C.II. im Hinblick auf hoheitliche Befugnisse.
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die Aufbereitung des Bodens für die landwirtschaftliche Nutzung einschließlich der Beseitigung von baulichen Hindernissen – und damit den Eingriff in entgegenstehende Rechte selbst – anleiten. Wäre die Errichtung oder Aufbereitung nur unter faktischer Entziehung von Eigentumspositionen möglich, wäre die völker- bzw. menschenrechtswidrige Handlung wesentlicher Bestandteil der Unternehmensoperation. Praktische Anwendungsfälle finden sich in solchen Konstellationen, in denen ein Staat selbst als Pächter auftritt und die Vertragsausführung nicht vollständig auf ein privates Unternehmen überträgt, sondern im Wesentlichen etwa durch Amtsträger übernimmt. Lässt er sodann einzelne bauliche Maßnahmen durch private Unternehmen durchführen, wäre eine Zurechnung nach dem engeren Verständnis einer gelenkten Unternehmensoperation gegeben. Überlässt er die Standortwahl einer Anlage sowie den Umgang mit entgegenstehenden Rechtspositionen dem Unternehmen und überwacht lediglich, dass das Pachtgebiet für einen bestimmten Zweck genutzt wird, wäre eine Zurechnung nach dem engen Verständnis der genannten Handlungsebenen zu verneinen. Es finden sich gute Argumente sowohl für ein weites Verständnis als auch für ein enges Verständnis der konkreten Unternehmensoperation als Anknüpfungspunkt staatlicher Kontrolle. Umso geringere Anforderungen man hieran stellt, desto eher ließe sich eine Zurechenbarkeit und damit eine Verantwortlichkeit begründen. Hierfür sprechen also insbesondere schutzgutbezogene Argumente. Bei der Übertragung der vorgenannten Maßstäbe auf die Pachtkonstellation ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese ihren Ursprung in der Rechtsprechung zu internationalen bewaffneten Konflikten finden. Potenzielle Verletzungshandlungen ziehen in diesem Zusammenhang regelmäßig schwerwiegende Rechtseingriffe nach sich, erfordern jedoch eine Gesamtschau über eine Vielzahl einzelner Ereignisse. Der Rechtsprechung zu bewaffneten Konflikten lag ein enges Verständnis der privaten Operation zugrunde. Der Bezugspunkt sowohl für eine einzelne Operation privater Akteure als auch deren gesamte Aktivitäten („overall actions“)73 ist der militärische Einsatz in einem bestimmten Land. Welche Aktivitäten darüber hinaus von einem privaten Akteur (wie z. B. einer international vernetzten bewaffneten Gruppierung) ausgehen, betrifft nicht die Frage der Zurechnung in einem bestimmten Konflikt. Unter den „gesamten Aktivitäten“ werden also solche im Rahmen eines bestimmten Konfliktes verstanden und nicht darüber hinaus gehende Aktivitäten einer bewaffneten Gruppierung. Die Organisationsstrukturen außerhalb des Einsatzortes, deren laufende Finanzierung sowie die Gesamtausrichtung ihrer Aktivitäten liegen im 73 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 400.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
militärischen Kontext regelmäßig außerhalb der Betrachtung des staatlichen Einflussbereichs. Dieses engere Verständnis ist jedoch primär auf die bisherigen, den wegweisenden Urteilen zugrunde liegenden Fallgestaltungen zurückzuführen. Die Anforderungen an die Kontrollintensität ist demgegenüber niedriger, sobald nicht die Zurechnung von Gewalthandlungen, sondern z. B. Umweltschädigungen in Rede steht. So verzichtet Art. 263 Abs. 3 UNCLOS auf das Erfordernis staatlicher Kontrolle über einzelne Unternehmensoperationen. Danach ist der Staat für Schäden infolge von Meeresbodenuntersuchungen haftbar und verantwortlich, die durch ihn selbst oder in seinem Auftrag („undertaken by them or on their behalf“) ausgeführt wurden.74 Eine über die Beauftragung hinausgehende Anleitung oder Kontrolle ist für die Zurechnung eines Schadens nicht erforderlich. Die Befugnisse Privater im Rahmen von Pachtverhältnissen stehen zwar in einem engeren Sachzusammenhang mit Umwelteingriffen und sich möglicherweise anschließenden menschenrechtlichen Beeinträchtigungen als mit Kampfhandlungen. Dies rechtfertigt jedoch keine Abweichung von den für letztere entwickelten Kriterien, die Art. 8 ILC-Entwurf zugrunde liegen und ein enges Verständnis der konkreten Unternehmensoperation vorsehen. Ließe man einen zu weit vorgelagerten staatlichen Einfluss für die Zurechnung ausreichen, würde man die Kriterien aufweichen und letztlich ihre praktische Anwendbarkeit verringern. Die Durchführung der untersuchten Pachtverträge umfasst schließlich eine Fülle von Aktivitäten, die in ihrer Gesamtheit nicht als „konkrete“ Unternehmensoperation eingeordnet werden können, wie z. B. die Errichtung von Infrastruktur, Bildungseinrichtungen und Krankenhäusern. Eine Zurechnung sämtlicher unternehmerischer Aktivitäten aufgrund der Übertragung der gesamten Vertragsdurchführung wird den Maßstäben der Völkerrechtspraxis nicht gerecht. Insbesondere fehlte es an der Voraussetzung, dass die Völkerrechtsverletzung wesentlicher Bestandteil der kon trollierten Unternehmensoperation sein muss. Die Zurechenbarkeit erfordert danach vielmehr, dass der Staat diejenige Unternehmenshandlung aus einer Vielzahl von Aktivitäten im Rahmen des Pachtverhältnisses kontrolliert, die unmittelbar zu einer Völkerrechtsverletzung führt. Im Ergebnis bedeutet ein enges Verständnis der genannten drei Handlungsebenen (Gesamtheit unternehmerischer Aktivitäten – konkrete Unternehmens operation – Verletzungshandlung), dass der Herkunftsstaat im Rahmen eines 74 Art. 263 Abs. 3 UNCLOS: „States and competent international organizations shall be responsible and liable pursuant to article 235 for damage caused by pollution of the marine environment arising out of marine scientific research undertaken by them or on their behalf.“; vgl. Kees, Responsibility of States for Private Actors, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, März 2011, Rn. 24.
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Pachtverhältnisses darüber entscheidet, wie ein Unternehmen einzelne Befugnisse konkret umsetzt, welche sodann zu einer Verletzungshandlung führen. Darunter fällt etwa eine örtlich und zeitlich genau bestimmte Bau-, Erschließungs- oder Beseitigungsmaßnahme, die zu einer Eigentumsentziehung führt. Nicht zurechenbare unternehmerische Gesamtaktivitäten i. S. v. „overall actions“ sind demgegenüber Abläufe hinsichtlich der Ausführung des Pachtvertrags insgesamt, also etwa die Entscheidung über die Durchführung eines Projekts noch ohne nähere Konkretisierung des Umgangs mit möglichen entgegenstehenden Nutzungen. bb) Die staatliche Leitung oder Kontrolle der Aktivitäten von Staatsunternehmen Im Hinblick auf die Zurechenbarkeit des Handelns von Staatsunternehmen kann nur eingeschränkt auf den dargestellten effective-control-Maßstab zurückgegriffen werden. Vielmehr hat sich hierzu eine eigenständige Kasuistik herausgebildet.75 Der staatliche Einfluss auf Unternehmen, die selbst als Pächter auftreten oder die Ausführung eines Pachtvertrags übernehmen, kann vielseitige Formen annehmen. Der staatlichen Anteilsmehrheit an dem jeweiligen Unternehmen kommt darunter eine hervorgehobene Bedeutung zu. In einigen dieser Fallkonstellationen wird sich bereits eine Zurechnung als defacto-Organ bejahen lassen (s. Teil 2 A. I. 2.). Neben Staatsunternehmen, also solchen der öffentlichen Hand (State wned Enterprises), werden in diesem Zusammenhang auch öffentlichO rechtliche Partnerschaften (Public-Private-Partnerships) oder Joint Ventures behandelt. Unter den Zurechnungstatbeständen korrespondiert die staatliche Anteilsmehrheit am ehesten mit der „direction or control“. Die Zurechnung erfolgt jedoch nur unter engen Voraussetzungen: Der Staat muss über seine Anteilsmehrheit oder Beteiligung Kontrolle über die konkrete Unternehmens operation ausüben können oder diese lenken.76 Soweit decken sich die Anforderungen mit dem zuvor dargestellten effective-control-Maßstab. In diesem Zusammenhang wird veranschaulichend das Schlagwort des Corporate Veil verwandt, welches auch die Commentaries zu Art. 8 ILC-Entwurf aufgreifen. Darunter wird die verschleierte staatliche Lenkungsmacht eines nur scheinbar rein privaten Unternehmens verstanden, die den Blick auf eine staatliche Verantwortlichkeit verstellt. Nach herkömmlichem Verständnis 75 Crawford,
State Responsibility – The General Part, 2013, S. 161 ff. US-Iran-Claims Tribunal, z. B. Schering Corporation v. Iran, 1984, 5 Iran-Us CTR 361, 368–371; Otis Elevator Company v. Iran, 1987, 14 Iran-Us CTR 283, 293–295; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 162. 76 S. auch
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
verbirgt sich dahinter der Haftungsdurchgriff auf die Anteilseigner einer Gesellschaft, welchen der IGH in Barcelona Traction jedoch abgelehnt hat.77 Nach den Commentaries zum ILC-Entwurf steht die Eigenständigkeit von Staatsunternehmen einer Zurechnung grundsätzlich entgegen: Unternehmen in staatlicher Hand werden solange als eigenständige Handlungseinheit betrachtet, wie sie nicht hoheitliche Befugnisse i. S. v. Art. 5 ILC-Entwurf ausüben.78 Ist dies hingegen der Fall oder nutzt der Staat seinen Einfluss als Eigentümer, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, soll nach den Commentaries zum ILC-Entwurf eine staatliche Kontrolle i. S. v. Art. 8 ILC-Entwurf vorliegen.79 Die Zurechnung des Handelns von Staatsunternehmen wurde in der Rechtsprechung näher konturiert. In EDF (Services) Ltd. v. Romania entschied der ICSID über die Zurechnung einzelner unternehmerischer Aktivitäten, welchen der Staat konkrete Anweisungen erteilt hatte.80 Zwei Staatsunternehmen sollten ihre Rechte als Anteilseigner eines Joint Ventures in einer bestimmten Art und Weise ausüben. Das rumänische Transportministerium hatte Anweisungen und Anordnungen erteilt, durch die Einwirkung auf das Joint Venture dieses zu einer Verletzung des geltenden bilateralen Investi tionsvertrags zu verleiten.81 Die staatliche Anteilsmehrheit wurde folglich zur Erzielung eines bestimmten völkerrechtswidrigen Ergebnisses ausgenutzt. Der ICSID nahm in der Entscheidung ausdrücklich Bezug auf die gleichlautende Passage der Commentaries zu Art. 8 ILC-Entwurf.82 Diese Konstellation fällt deshalb nicht unter das Merkmal einer Handlung auf tatsächliche staatliche Anweisung i. S. der ersten Alternative, sondern unter das Merkmal staatlicher Leitung und Kontrolle i. S. der zweiten Alternative von Art. 8 ILC-Entwurf, da nicht direkt auf das handelnde Unternehmen eingewirkt, sondern die Lenkungsmacht gegenüber übergeordneten Entscheidungsträgern eingesetzt wurde.
77 The Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Judgement, I.C.J. Reports 1970, S. 3, § 39 ff. und S. 58. 78 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 6. 79 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 8, § 6. 80 EDF (Services) Limited (Claimant) and Romania (Respondent), ICSID Case No ARB/05/13 vom 8. Oktober 2009, § 201; Crawford, State Responsibility – The General Part, 2013, S. 164. 81 EDF (Services) Limited (Claimant) and Romania (Respondent), ICSID Case No ARB/05/13 vom 8. Oktober 2009, § 201. 82 EDF (Services) Limited (Claimant) and Romania (Respondent), ICSID Case No ARB/05/13 vom 8. Oktober 2009, § 201.
A. Zurechenbarkeit bei Abschluss und Ausführung des Pachtvertrags143
Wie bereits die Untersuchung des effective-control-Maßstabs als Zurechnungskriterium gezeigt hat (s. o. A.I.4.b)aa)), muss der staatliche Einfluss auf eine Unternehmensoperation, aus der eine völkerrechtswidrige Handlung als wesentlicher Bestandteil folgt, eine bestimmte Qualität haben. Bei der Beurteilung des staatlichen Einflusses kommt es auf verschiedene Faktoren an, wie etwa die jeweilige unternehmerische Struktur. So wird gefordert, dass sich der staatliche Einfluss infolge der Unternehmensorganisation derart auf das zuzurechnende Verhalten auswirkt, wie die Entscheidung einer militärischen Leitung auf die Ausführung durch ihre Befehlsempfänger.83 Diese Betrachtung dient einer näheren Einordnung der geforderten Qualität; sie lässt die großen Unterschiede hinsichtlich der unternehmensinternen Weisungsrechte jedoch unberücksichtigt. Für eine staatliche Anteilsmehrheit am pachtenden Unternehmen lassen sich zahlreiche Praxisbeispiele finden (Teil 1 A.II.2.). Ein hoheitlicher Einfluss über die konkrete Entscheidung ist indes schwieriger zu belegen. Die Literatur empfindet die Anforderungen an die staatliche Kontrolle der Verletzungshandlung im Einzelnen häufig als zu streng. Es müsste danach statt der Kontrolle vielmehr ausreichen, z. B. bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen den Staat zu bestimmen, der eine Nähe zu dem Verhalten aufweist oder dieses vorhersehen musste (Merkmale der „proximity“ und „foreseeability“).84 Dieses weite Verständnis folgt dem nachvollziehbaren Wunsch, die Hürden staatlicher Verantwortung herabzusenken. Es findet jedoch bisher keine hinreichende Unterstützung in der Völkerrechtspraxis. Es ist schließlich anzumerken, dass bei einer Zurechenbarkeit von Staatsunternehmen zum Herkunftsstaat die Regeln der Staatenimmunität einer Verantwortlichkeit entgegenstehen können. Gerade wenn also ein Handeln dem Staat zuzurechnen ist und eine Haftung begründet, kann im Einzelfall diese Haftung an die Grenzen der Staatenimmunität führen. Dafür wird der sog. „function and control test“ angewendet, wonach die unternehmerische Funktion hoheitlicher Art sein und unter souveräner Immunität stehen muss. Zudem muss der Staat ein kontrollierendes Interesse in dem Unternehmen haben.85 Eine souveräne Immunität ist für eine privatwirtschaftliche Betäti-
83 Villalpando, Attribution of Conduct to a State: How the Rules of State Responsibility may be applied within the WTO dispute settlement system, Journal of International Economic Law 2002, S. 393 (413). 84 Skogly, Causality and Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 244, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 85 Muchlinski, Corporations in International Law, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juni 2014, Rn. 51.
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gung im Rahmen eines Pachtvertrags jedoch typischerweise nicht anzunehmen. 5. Die Zurechnung des Verhaltens von Amtsträgern des Verpächterstaates zum Pächterstaat Ein Sonderfall der möglichen Zurechnung von Aktivitäten stellt dasjenige Verhalten dar, das nicht von einem de-jure- oder de-facto-Organ sowie Privatunternehmen des Herkunftsstaates, sondern von einer Einheit des Verpächterstaates ausgeht. Es stellt sich also die Frage, ob Amtsträger des Verpächterstaates dem Pächter- bzw. Herkunftsstaat derart in Dienst gestellt werden, dass deren Verhalten ihm als eigenes zuzurechnen ist. Der Pächter wäre dann verantwortlich für Völkerrechtsverletzungen von ausländischen Einheiten auf fremdem Staatsgebiet. Diese weitreichende Form der Zurechnung folgt grundsätzlich denselben Regeln, die zuvor für die Zurechnung „eigener“ Amtsträger oder Privatunternehmen untersucht worden ist. Anwendungsbeispiele finden sich durchaus etwa in Besatzungssituationen, wenn inländische Amtsträger des besetzten Staates dem Besatzerstaat unterstellt werden, er also über sie wie über eigene Organe verfügt. Im Rahmen der untersuchten Pachtverträge sind Anwendungsfälle jedoch selten. Einen Anhaltspunkt bieten Regelungen, die den Verpächter zum Erhalt der Sicherheit in die Pflicht nehmen. Die Regierung von Äthiopien verpflichtete sich etwa, den Pächter vor Aufständen, Turbulenzen und jeglichen Störungen mit Ausnahme höherer Gewalt zu schützen.86 Ein mögliches Tätigwerden auf dieser Grundlage erfüllt jedoch noch keinen Zurechnungstatbestand. Die Einbeziehung der Ordnungskräfte des Verpächterstaates für Interessen des Pächters geht im Rahmen der Pacht eines vietnamesischen Kautschukunternehmens in Laos und Kambodscha allerdings weit darüber hinaus. Die laotischen sowie kambodschanischen Polizei und Militärkräfte werden für die gewaltsame Räumung des Pachtgebiets im Auftrag und unter Finanzierung des Pächters verantwortlich gemacht.87 Grundsätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass Amtsträger des Verpächterstaates vom Pächter finanziert und beauftragt werden, Vollzugshandlungen im Zusammenhang mit der Bereitstellung des Pachtgebiets oder dem Erhalt der Sicherheit vorzunehmen. Ebenso ist möglich, dass sich hinter derartigen Räumungs- und (vermeintlichen) Sicher86 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 6.6. 87 Unter Berufung auf Augenzeugen Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 16, abrufbar unter: https://www.globalwitness. org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021).
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heitsmaßnahmen schwerwiegende Menschenrechtsverstöße verbergen. Es bestehen jedoch keine faktischen Anhaltspunkte dafür, dass der Pächter Amtsträger wie Polizei- und Ordnungskräfte des Verpächterstaates in der Form anleitet und kontrolliert, dass die zuvor erläuterten Zurechnungstatbestände dieses Verhalten erfassen würden. Es lässt sich daher lediglich abstrakt feststellen, dass diese grundsätzlich auch dazu führen können, dass der Pächter für Völkerrechtsverletzungen von Amtsträgern des Verpächterstaates verantwortlich ist.
II. Die Zurechenbarkeit zum Verpächter- bzw. Empfangsstaat 1. Der Vertragsabschluss als zurechenbares Verhalten Auf Seiten des Verpächters treten regelmäßig Ministerien, die Zentralbzw. Regionalregierung selbst oder sonstige Behörden auf. Nach Art. 4 ILCEntwurf ist der Staat für das Handeln seiner Organe verantwortlich. Die Anforderungen an die Zurechnung des Handelns staatlicher Organe wurden bereits für den Pächterstaat erörtert (s. Teil 1 A.I.1.). Unproblematisch sind Ministerien und Regierungen bzw. deren Vertreter als Organe des Staates anzusehen. Grundsätzlich wäre es denkbar, bereits die Verpachtung von Land durch ein privates Unternehmen dem Verpächterstaat zuzurechnen. Sofern dieses jedoch als Grundeigentümer zur Verpachtung befugt ist, fehlt es an einem greifbaren Anknüpfungspunkt für eine Zurechnung. Vielmehr liegt nahe, dass ein rein privatrechtliches Pachtverhältnis begründet wird. Eine staatlich in struierte Verpachtung von Privateigentum an Dritte ist denkbar, lässt sich jedoch nicht durch Fallbeispiele belegen. Als rein theoretische Überlegung bleibt diese Zurechnungsform von der vorliegenden Untersuchung ausgeklammert. 2. Die Zurechenbarkeit des Verhaltens ausländischer Akteure auf dem Pachtgebiet Üben private oder staatliche ausländische Akteure im Rahmen der Pacht des Gebietes des Verpächterstaates Hoheitsgewalt aus, kann deren Verhalten diesem zurechenbar sein. Der Verpächterstaat wäre dann nicht im Rahmen seiner Schutzverantwortung für das Verhalten Dritter verantwortlich, vielmehr handelte es sich dann um sein eigenes Verhalten. Diese Hypothese setzt also voraus, dass in den zuvor dargestellten engen Grenzen dem Verlust an Hoheitsgewalt des Verpächterstaates ein Gewinn auf Seiten des Pächters gegenübersteht (s. dazu Teil 1 C.II. und III.). Eine Zurechnung des Verhaltens
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
ausländischer Akteure kommt infolge der Zurechnungstatbestände von Art. 6, 8, 9 und 11 des ILC-Entwurfs grundsätzlich in Betracht. Eine nationale Ermächtigungsregel des Verpächterstaates zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse durch ausländische Akteure, wie Art. 5 ILC-Entwurf es in diesem Fall vorsähe, erscheint fernliegend. Einer weiteren Untersuchung wird jedoch die Zurechnung im Wege der Organleihe (dazu a) sowie kraft Ausübung hoheitlicher Gewalt (dazu b) zugeführt. a) Die Zurechnung im Wege der Organleihe gem. Art. 6 ILC-Entwurf Grundsätzlich ist einem Staat unabhängig von dem Begehungsort des zuzurechnenden Verhaltens nur das Verhalten eigener und nicht dasjenige ausländischer Organe zurechenbar.88 Unter den Voraussetzungen von Art. 6 ILC-Entwurf besteht eine Ausnahme für den Fall, dass einem Staat Organe eines anderen (entleihenden) Staates zur Verfügung gestellt werden, wenn der dadurch begünstigte Staat die Aufsicht darüber ausübt. Entsendete also ein Pächterstaat Staatsorgane in den Verpächterstaat, damit diese dort unter der Aufsicht des Verpächterstaates Aufgaben wahrnehmen, kann das Verhalten dieser Organe dem Verpächterstaat zugerechnet werden. Eine Entsendung von Staatsorganen kommt im Rahmen der Pachtverhältnisse hauptsächlich für militärisches Personal oder polizeiliche Sicherheitskräfte in Betracht. Deren Aktivitäten müssten allerdings unter die Aufsicht des Verpächterstaates gestellt werden. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass sich ein Verpächterstaat ausländische administrative Strukturen zu eigen macht, um ein Pachtverhältnis durchzuführen. Für eine Organleihe bieten sich in diesem Zusammenhang daher keine konkreten Anhaltspunkte. b) Die Zurechnung kraft Ausübung hoheitlicher Gewalt Der Verpächterstaat muss sich das Verhalten ausländischer privater Akteure auf dem Pachtgebiet dann zurechnen lassen, wenn diese Elemente hoheitlicher Gewalt i. S. v. Art. 5 ILC-Entwurf ausüben („Conduct of persons or entities exercising elements of governmental authority“). Zentrale tatbestandliche Voraussetzungen dieser Zurechnungsregel sind die Ausübung hoheit licher Befugnisse sowie die staatliche Ermächtigung hierzu (s. Teil 2 A.I.2.). Die dahingehende Analyse hat vereinzelt ausdrückliche oder jedenfalls faktische Befugnisse des Pächters zur Stationierung von Militär, Ausübung polizeilicher Befugnisse mit Festnahme- bzw. sonstigen Eingriffsrechten und 88 Schröder, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit failed und failing States, Dissertation HU Berlin 2007, S. 87.
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen147
Kontrolle öffentlicher Einrichtungen und Infrastruktur ergeben (s. Teil 1 C.II.2. und 3.). Klammert man die erforderliche Ermächtigung des Verpächterstaates zur Ausübung von Hoheitsrechten aus, besteht eine vergleichbare Situation zu einem besetzten Staat, auf dessen Territorium fremde Hoheitsträger seine Aufgaben wahrnehmen. Konsequenterweise sind Rechtsverletzungen der Besatzungsmacht – mangels entsprechender Ermächtigung des besetzten Staates – nach den Regeln der Staatenverantwortlichkeit nicht zurechenbar.89 Zu den genannten hoheitlichen Befugnissen würde der Pächter staatlich ermächtigt, sofern der Vertrag mit einer Behörde abgeschlossen oder inhaltlich mit einer solchen abgestimmt oder von ihr genehmigt worden ist. Diese vertragliche Ermächtigung ist jedoch nicht hinreichend im Sinne von Art. 5 ILC-Entwurf. Vielmehr wird die Zurechnung erneut durch das Erfordernis ausgeschlossen, dass sich die Befugnis aus dem Recht des Verpächterstaates ergeben muss („empowered by the law of that State“). Eine gesetzliche Ermächtigung zur Ausübung von Hoheitsbefugnissen für ausländische private Akteure ist in nationalen Rechtsordnungen nicht ersichtlich. Vertragliche Ermächtigungen zur Ausübung von Hoheitsgewalt werden nicht durch entsprechende nationale Gesetze des Verpächterstaates flankiert. Dies führt zu einem Ausschluss der Zurechnung des Verhaltens privater Akteure zum Verpächterstaat im Rahmen eines Pachtverhältnisses.
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen für staatlich nicht zurechenbares Verhalten Unternehmerisches Handeln ist von erheblicher Relevanz für eine Vielzahl völkerrechtlicher Regelungsbereiche. Darunter fallen zahlreiche Menschenrechte wie Arbeitsschutznormen, Sozialstandards, Diskriminierungsverbote bis hin zum Schutz der Privatssphäre, des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit sowie umweltvölkerrechtliche Normen.90 Das Ungleichgewicht zwischen „ökonomischer Machtfülle“ und rechtlicher Verantwortung wird vielfach und oft zu recht kritisiert.91 Auch politische Forderungen zur 89 Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten – Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern, 2006, S. 826; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 358. 90 Kasolowsky/Voland, Die „Ruggie Revolution“ – Menschenrechte im unternehmerischen Handeln, Anwaltsblatt 5/2014, S. 388. 91 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (911 f.); Gilbert/Keane,
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Ausweitung der Sorgfaltspflichten transnationaler Unternehmen häufen sich.92 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen setzt voraus, dass diese eine Pflicht zur Beachtung von (Menschen-)Rechten trifft. Diese sog. „corporate responsibility to respect“ ist damit von der staatlichen Pflicht zu unterscheiden, vor Rechtsverletzungen Privater zu schützen (sog. „state duty to protect“).93 Die Untersuchung konzentriert sich erneut auf typische völkerrechtliche Konfliktlagen im Zusammenhang mit der Pacht fremden Hoheitsgebiets. Zunächst kommt eine unmittelbare Bindung nichtstaatlicher Unternehmen an völkerrechtliche Ge- oder Verbotsnormen in Betracht. Des Weiteren wird untersucht, ob staatliche völkerrechtliche Pflichten kraft Ausgestaltung des Pachtverhältnisses auf Unternehmen übertragen werden können.
I. Die unmittelbare Bindung nichtstaatlicher Akteure an völkerrechtliche Pflichten Grundsätzlich sind nur Staaten, nicht jedoch Unternehmen als Völkerrechtssubjekte Träger völkerrechtlicher Pflichten und können mit völkerrechtlichen Mechanismen zur Verantwortung gezogen werden.94 Eine Bindung nichtstaatlicher Akteure an die Regeln des Völkerrechts wird überwiegend nur dann bejaht, wenn es sich um staatsähnliche Kollektive handelt, die eine territoriale Kontrolle und eine „Quasi-Souveränität“ über ein bestimmtes Gebiet ausüben.95 Diese Akteure sind zwar keine Vertragsparteien der MenThe new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144 (157 f.), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012; zum Bedeutungszuwachs nichtstaatlicher Akteure auch Benedek, Grundlagen und Rahmenbedingungen der Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, S. 345. 92 Vgl. den Antrag auf die Ausweitung unternehmerischer Sorgfaltspflichten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 7. Oktober 2014, BT-Drucks. 18/2746 sowie Beschlussempfehlung und Bericht BT-Drucks. 18/3134 vom 11. November 2014. 93 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, Prinzip 4, S. 9. 94 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, S. 84–90; Peters, Jenseits der Menschenrechte: Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, Habilitation Tübingen 2014, S. 53 ff.; Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (40). 95 Die Rede ist hier von politischen Gruppierungen mit staatsähnlicher Funktion wie der Hamas, der Hisbollah und der LTTE in Sri Lanka; Peters, Jenseits der Men-
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen149
schenrechtskonventionen, ihre Bindung vor allem an Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht wird jedoch mit einer Staatsanalogie begründet.96 An Individuen gerichtete direkte völkerrechtliche Verpflichtungen finden sich nur im IStGH-Statut für die dort genannten Verbrechen. Ähnliche, jedoch weitergehende unternehmerische Regelungen finden sich im UN Global Compact in Form einer Art freiwilliger Selbstverpflichtung.97 Außerhalb des Strafrechts enthält das Umweltvölkerrecht in engen Ausnahmen Direktverpflichtungen Privater. Das UN-Seerechtsübereinkommen enthält in Art. 137 Abs. 1 Satz 1 HS 2 ein an jede natürliche und juristische Person gerichtetes Verbot.98 Außerdem sieht Art. 22 von Anhang III des UN-Seerechtsübereinkommens die Haftung von privaten Vertragsnehmern für Schäden beim Tiefseebergbau vor.99 Diese sind danach für jeden Schaden verantwortlich oder haftbar, der durch rechtswidrige Handlungen im Verlauf seiner Arbeiten verursacht worden ist. Auch der Antarktis Treaty beinhaltet eine vergleichbare Haftung Privater.100 Im Umweltvölkerrecht wird eine direkte Haftung von Unternehmen für Umweltverschmutzungen aus der Übertragung des in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen anerkannten Verursacherprinzips („Polluter pays principle“) abgeleitet.101 Betrei-
schenrechte: Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, Habilitation Tübingen 2014, S. 56. 96 Peters, Jenseits der Menschenrechte: Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, Habilitation Tübingen 2014, S. 57. 97 United Nations Human Rights Council, Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/2002/13 (2002), z. B. § 3: „Transnational corporations and other business enterprises shall not engage in nor benefit from war crimes, crimes against humanity, genocide, torture, forced disappearance, forced or compulsory labour, hostage-taking, other violations of humanitarian law, and other international crimes against the human person as defined by international law.“ 98 „Kein Staat darf über einen Teil des Gebiets oder seiner Ressourcen Souveränität oder souveräne Rechte beanspruchen oder ausüben; ebenso wenig darf sich ein Staat oder eine natürliche oder juristische Person einen Teil des Gebiets oder seiner Ressourcen aneignen.“; dazu Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (907). 99 Art. 22, Annex III UNCLOS; vgl. Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (39). 100 Protocol on Environmental Protection to the Antarctic Treaty – Liability Arising From Environmental Emergencies vom 4. Oktober 1991, Annex VI. 101 United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Rio de Janeiro, 3. bis 14. Juni 1992, UN Doc. A/CONF.151/ 26 (Vol. I), Prinzip 16.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
ber von Kernenergieanlagen haften außerdem auf völkerrechtlicher Grundlage verschuldensunabhängig für Schäden infolge des Betriebs selbst.102 Einzelne Staaten haben bereits eine direkte Verantwortlichkeit privater Unternehmen für bestimmte schwere Menschenrechtsverletzungen anerkannt, wie etwa US-amerikanische Gerichte in Anwendung des ATCA (Alien Tort Claims Act), welcher die Zuständigkeit von US-Gerichten für die zivilrechtliche Haftung aus Völkerrecht u. a. regelt.103 Die unter Bezugnahme auf den ATCA erlassenen Urteile geben jedoch keine einheitliche Rechtsauffassung wieder. Die Bundesregierung nahm im Rahmen einer Kleinen Anfrage hierzu Stellung und äußerte die Auffassung, wie die Verurteilung eines deutschen Unternehmens zu bewerten wäre: „Eine derartig weite Auslegung des ATS würde deutsche Souveränitätsinteressen verletzen. Deutschland hat durch geeignete Gesetzgebung dafür Sorge getragen, dass Menschenrechtsverletzungen deutscher Unternehmen, die im Ausland begangen werden, auch in Deutschland rechtlich verfolgt werden können, wenn eine ausreichende Verbindung des Rechtsstreits mit Deutschland besteht.“104
Eine indirekte völkerrechtliche Verpflichtung für Unternehmen findet sich außerdem im Investitionsschutzrecht. Schließen transnationale Unternehmen selbst Investitionsschutzverträge mit Staaten, werden völkerrechtliche Regeln darauf entsprechend angewandt (sog. internationalisierte Verträge).105 Sie vermitteln den Unternehmen jedoch keine Völkerrechtssubjektivität.106 Darüber hinaus können an Unternehmen gerichtete soziale, umweltrecht liche und menschenrechtliche Vorgaben im Rahmen freiwilliger Selbstbindung wie etwa durch Corporate Social Responsibility adressiert werden.107 102 Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy vom 29. Juli 1960, Art. 3; vgl. Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (39). 103 S. dazu Teil 2 C.IV.2.a); Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, Dissertation Göttingen 2009, S. 34; Weilert, Taming the Untamable? Transnational Corporations in United Nations Law and Practice, Max Planck Yearbook of United Nations Law Vol. 14, 2010, S. 445 (450). 104 BT-Drs. 17/9867 vom 5. Juni 2012, S. 2; vgl. Krennerich, Soziale Menschenrechte – Zwischen Recht und Politik, 2013, S. 134. 105 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 ff., in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005; vertiefend zu Landpachtverträgen und Investitionsschutzrecht: Cotula, ‚Land grabbing‘ and international investment law: toward a global reconfiguration of property?, in: Bjorklund, Yearbook on International Investment Law & Policy, Oxford University Press, 2014–2015. 106 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 (141), in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005. 107 Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2473 f.).
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen151
Zudem sind in diesem Zusammenhang die vielbeachteten Ruggie-Principles zu nennen. Der UN-Sonderberichterstatter für Wirtschaft und Menschenrechte John Ruggie erarbeitete die 2011 erlassenen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zur Umsetzung des dreigliedrigen Konzepts „protect, respect and remedy“.108 Darin stellte er primär eine bereits bestehende staatliche Schutzpflicht („State Duty to protect“) fest; für eine unternehmerische Achtungspflicht fehle es im Gegensatz dazu noch an einer gefestigten völkerrechtlichen Grundlage.109 Unternehmen obliegt danach eine besondere Verantwortung („Corporate Responsibility to Respect“) zur Beachtung der Internationalen Menschenrechtscharta und weiterer Menschenrechte, aber eben keine durchsetzbare Pflicht. Auch die Freiwilligen Leit linien zu Landnutzungsrechten der FAO übernehmen diese Aussage bezüglich der unternehmerischen Verantwortlichkeit zur Achtung der Menschenrechte, ohne von einer völkerrechtlichen Pflicht auszugehen.110 Die freiwillige Selbstverpflichtung im Rahmen einer wachsenden Corporate Social Responsibility findet durch mehrere Verhaltenskodizes in jüngerer Zeit Ausdruck.111 Hier sind die Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen (OECD Guidelines for Multinational Enterprises) von 2011 zu nennen, die als Teil der „Erklärung zu internationalen Investitionen und multinationalen Unternehmen“ von den OECD-Mitgliedstaaten und weiteren Staaten angenommen worden sind. Multinationale Unternehmen lassen ferner erkennen, dass sie international anerkannten Verhaltensstandards u. a. im Hinblick auf Menschenrechte und Umweltschutz zunehmend Beachtung schenken.112 108 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, S. 6 ff.; Kasolowsky/Voland, Die „Ruggie Revolution“ – Menschenrechte im unternehmerischen Handeln, Anwaltsblatt 5/2014, S. 388 (389); Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2473 f.). 109 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, S. 7; die fehlende völkerrechtliche Verbindlichkeit wird nicht ausdrücklich erwähnt, sondern ergibt sich aus der Formulierung in Prinzip 2; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 183; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 38. 110 FAO, Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security, Nr. 3.2; von Berns torff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 38. 111 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 12. Aufl. 2020, § 4 Rn. 71 ff. 112 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 12. Aufl. 2020, § 4 Rn. 80.
152
Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Außerhalb einer direkten völkerrechtlichen Verpflichtung ist die Frage zu betrachten, wann völkerrechtliche Verträge im Rahmen des nationalen Rechts unmittelbare Wirkungen für Unternehmen entfalten. Das erfordert, dass die Verträge wie in Deutschland nach Art. 59 Abs. 2 GG im nationalen Recht Geltung besitzen, dass sie ohne weiteren Umsetzungsakt unmittelbar anwendbar (self-executing) und schließlich drittwirksam sind.113 Die unmittelbare Anwendbarkeit ist erforderlich, da sonst keine Verpflichtung nach Völkerrecht, sondern nach nationalem Recht bestünde, die Unternehmen also an nationale Umsetzungsakte gebunden wären. Dittwirksam heißt, Private und nicht der Staat werden direkt verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht setzt für konkrete Handlungs- oder Verhaltenspflichten Privater aus völkerrechtlichen Verträgen voraus, dass der Vertragstext dies unzweideutig zum Ausdruck bringt.114 Eine direkte Verpflichtung transnationaler Unternehmen wird bisher nur vereinzelt für erga-omnes-Pflichten angenommen, etwa bei dem Folterverbot und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.115 Die Pflichten des Zivilpaktes und Sozialpaktes richten sich jedenfalls an Staaten und sind nicht drittwirksam.116 Die unmittelbare Bindung nichtstaatlicher Akteure an völkerrechtliche Pflichten beschränkt sich somit auf bestimmte erga-omnes-Pflichten wie u. a. die im IStGH-Statut genannten Verbrechen sowie in engen Grenzen auf das Umweltvölkerrecht. Es stellt sich daher die Frage, ob die völkerrechtlichen Pflichten des Herkunfts- oder des Verpächterstaates auf den privaten Akteur übertragen werden können, welcher zur Durchführung eines Pachtvertrags befugt ist.
113 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (902). 114 BVerfG NJW 1977, 1010 (1011); Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (905). 115 Tomuschat, Human Rights – Between Idealism and Realism, 2014, S. 374; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (902) m. w. N. 116 Für den Zivilpakt: Human Rights Committee, International covenant on civil and political rights, General Comment No 31, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, § 8; für den Sozialpakt: Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 18, UN Doc. E/C.12/ GC/18, 6. Februar 2006, § 52; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (905 f.).
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen153
II. Die (pacht-)vertragliche Übertragung völkerrechtlicher Pflichten auf nichtstaatliche Unternehmen Pachtverträge sind teilweise so ausgestaltet, dass die völkerrechtlichen Pflichten des Verpächter- oder Herkunftsstaates auf das den Vertrag durchführende Unternehmen übertragen werden. Es wird daher untersucht, ob und in welchem Umfang durch die Gestaltung von Pachtverträgen völkerrecht liche Pflichten wirksam inkorporiert werden und zu einer Verantwortlichkeit nichtstaatlicher Akteure nach Völkerrecht führen können. Die Beachtung völkerrechtlicher Garantien bei Vertragsverhältnissen zwischen multinationalen Unternehmen und Verpächterstaaten liegt oft im beiderseitigen Interesse der Vertragsparteien. Bevor auf mögliche Verpflichtungen der Unternehmen eingegangen wird, ist festzustellen, dass diese durch investitionsschutzrechtliche Vereinbarungen an Rechtssicherheit für ihre Investitionen gewinnen und die Vertragsabwicklung nur selten ganz dem natio nalen Recht des Verpächterstaates überlassen wollen. Daher dienten völkerrechtliche Regeln in der Vertragspraxis multinationaler Unternehmen in den letzten Jahren als „Ergänzung und Korrektiv“ neben dem nationalen Recht des Verpächterstaates.117 Dabei finden die völkerrechtlichen Regeln in unterschiedlicher Form Anwendung, d. h. sowohl infolge ausdrücklicher Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch infolge der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Regeln nach dem Recht des Verpächterstaates.118 So wird in der Mehrzahl der untersuchten Verträge vereinbart, dass das „governing law“ dasjenige des Verpächterstaates sein soll. Hier sei beispielhaft das Investitionsschutzabkommen zwischen China und Kanada genannt, wonach die anwendbaren Regeln des Völkerrechts und – soweit relevant und einschlägig – das Recht des Verpächterstaates Kanada zu beachten sind.119 Auch in dem Unternehmenskaufvertrag zwischen einem peruanischen und einem chinesischen Staatsunternehmen über den Betrieb der Marcona-Mine wurde die Anwendung peruanischen Rechts vereinbart.120 Die öffentlich-rechtlichen Regeln des Verpächterstaates einschließlich regulatorischer Vorgaben sind für den
117 Dolzer/Kreuter-Kirchhof, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Abschn. Rn. 60. 118 Vgl. zur Vertragspraxis multinationaler Unternehmen im Allgemeinen Dolzer/ Kreuter-Kirchhof, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Abschn. Rn. 60. 119 Investment Canada Act – All Guidelines, Art. 30; abrufbar unter: http://www. ic.gc.ca/eic/site/ica-lic.nsf/eng/lk00064.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 120 Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992, Punkt 12.1.2.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Pächter somit verbindlich.121 Damit besteht jedoch allenfalls eine mittelbare Bindung an völkerrechtliche Vorgaben über die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze. Unter bestimmten Voraussetzungen können Pachtverträge auch mit einem nicht-staatlichen Akteur auf Pächterseite als eigenständige völkerrechtliche Verträge eingestuft werden. Dies hätte zur Folge, dass sich die für die Einhaltung völkerrechtlicher Verträge geltenden Pflichten auf die Unternehmen als Vertragspartner ausdehnen (sog. international agreement doctrine).122 Für die Qualifizierung eines Pachtvertrags mit einem nichtstaatlichen Akteur, als völkerrechtlicher Vertrag fehlt diesem jedoch die Völkerrechtssubjektivität, d. h. die Ausstattung mit völkerrechtlichen Rechten und Pflichten.123 Völkerrechtliche Pflichten können schließlich aufgrund einer innerstaat lichen Regel des staatlichen Pflichtenträgers auf ein privates Unternehmen übertragen werden. So legt China durch verschiedene sog. Guidelines für chinesische Unternehmen fest, an eine Reihe völkerrechtlicher Verträge gebunden zu sein. Die innerstaatlichen Übertragungsregeln sind wie folgt ausgestaltet: Chinesische (staatliche wie nichtstaatliche) Unternehmen, die im Bereich Forstwirtschaft tätig sind, müssen sowohl die bilateral mit dem Verpächterstaat geschlossenen Verträge, relevante internationale Abkommen sowie sämtliche völkerrechtlichen Verträge und Protokolle beachten, denen China oder der Verpächterstaat beigetreten sind.124 Was unter „relevanten internationalen Abkommen“ zu verstehen ist, wird einzeln aufgeführt; sie betreffen für Unternehmen aus dem Bereich der Forstwirtschaft in erster Linie den Umweltschutz und sind sehr umfangreich.125 Es sind also kaum 121 von
Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 13. Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (909 ff.); Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 9 Rn. 18; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rn. 8 ff. 123 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 9 Rn. 18; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 10 Rn. 8 ff. 124 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Punkt 3.1: „Comply with the agreements/protocols signed between China and the host country of forest resources, in addition to the relevant international conventions/agreements. Comply with all kinds of binding agreements/protocols and other legal documents signed by China and the host country, and the international conventions and protocols acceded to by China or the host country of forest resources.“ 125 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Appendix A: „1. Convention on Biological Diversity, 2. Vienna Convention for the Protection of 122 Weilert,
B. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Unternehmen155
völkerrechtliche Verträge aus dem jeweils relevanten Sachbereich ersichtlich, denen China beigetreten ist und die nicht zugleich auf die forstwirtschaftlichen Unternehmen übertragen werden. Es handelt sich indes nur um eine scheinbare Übertragung. Denn sie entbindet weder China als Herkunftsstaat und völkerrechtlichen Pflichtenträger von seiner jeweiligen Achtungs- oder Schutzpflicht, noch führt sie zu einer über das innerstaatliche Recht hinausgehenden Verpflichtung der Unternehmen. Sie betrifft vielmehr allein das „Innenverhältnis“. Den jeweiligen Unternehmen werden Pflichten aufgelegt, an deren Verletzung nur nach Maßgabe innerstaatlichen Rechts Rechtsfolgen geknüpft werden können. Darin liegt also keine wirksame Übertragung völkerrechtlicher Pflichten im Außenverhältnis gegenüber anderen Staaten oder der Völkerrechtsgemeinschaft; insbesondere liegt darin keine Entbindung von (Schutz-)Pflichten Chinas für das Handeln der angesprochenen forstwirtschaftlichen Unternehmen. Denn ebenso wie die Pflichtenbegründung einen bi- oder multilateralen Konsens fordert, muss auch die Übertragung selbst völkerrechtlich vereinbart werden. Ohne eine Verletzung völkerrechtlicher Abkommen zu begehen, ließe sich also durch eine „Weitergabe“ der Pflichten keine sog. Enthaftung des jeweiligen Staates erreichen. Zugleich vermag die innerstaatliche Übertragung völkerrechtlicher Pflichten keine Verpflichtung im Außenverhältnis zu begründen: Die genannten Guidelines sind rechtsdogmatisch mit einer innerstaatlichen Umsetzungsregel zu vergleichen, welche den völkerrechtlichen Regelungsgehalt auf die national-rechtliche Ebene überträgt. Es wird lediglich auf ein Umsetzungsgesetz verzichtet und eine direkte Verpflichtung der jeweiligen Unternehmen – allerdings im Rahmen deren auswärtigen Handelns – statuiert. Eine solche Ausdehnung der Verantwortlichkeit durch schlichten Verweis auf völkerrechtliche Regeln ist typischerweise Ausdruck eines monistischen Systems. Tatsächlich sieht die überwiegende Literatur das chinesische System als „rechtsverwandt mit dem Monismus“.126 the Ozone Layer, 3. Non legally Binding Instrumemt Instrument on All Types of Forests, 4. United Nations Framework Convention on Climate Change, 5. International Convention for the Protection of New Varieties of Plants, 6. Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals, 7. Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, 8. Convention on Wetlands of International Importance Especially as Waterfowl Habitat, 9. International Convention for the Protection of Birds, 10. Agreement on Cooperation in the Quarantine of Plants and Their Protection against Pests and Diseases, 11. International Tropical Timber Agreement, 12. Rio Declaration on Environment and Development, 13. Agreement on the Protection of Migratory Birds and Their Habitats.“ 126 Ahl, Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China, Dissertation Heidelberg 2009, S. 5, m. w. N.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Somit lässt sich festhalten, dass sich die Übertragung völkerrechtlicher Pflichten auf im Rahmen von Pachtverhältnissen handelnde Unternehmen auf das innerstaatliche Recht beschränkt und keine Gültigkeit im Außenverhältnis besitzt. Ein Pächterunternehmen kann somit weder auf der Grundlage des Pachtverhältnisses selbst noch auf der Grundlage innerstaatlicher Übertragungsregeln des Verpächter- oder Herkunftsstaates dazu verpflichtet werden, selbst nach Völkerrecht verantwortlich zu sein. Derartige Übertragungskonstellationen beschränken sich vielmehr auf eine Haftung nach innerstaatlichem Recht.
C. Die Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs völkerrechtlicher Pflichten des Pächterstaates auf extraterritoriale Pachtgebiete Um die extraterritorialen völkerrechtlichen Pflichten des Pächter- bzw. Herkunftsstaates zu erfassen, muss dessen eigenes, d. h. ihm zurechenbares Verhalten auf fremdem Staatsgebiet in den jeweiligen Anwendungsbereich einer völkerrechtlichen Norm fallen. In diesem Abschnitt werden daher die Anforderungen an die extraterritoriale Anwendung von Menschenrechtsverträgen sowie internationalen Umweltstandards herausgearbeitet. Denn diese sind in materieller Hinsicht die für die vorliegende Untersuchung relevantesten völkerrechtlichen Vorgaben. Daraus wird ein Maßstab für die extraterritoriale Anwendbarkeit dieser Pflichten bei der Pacht fremden Territoriums entwickelt. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit aus menschenrechtlicher Perspektive. Umweltvölkerrechtliche Verträge enthalten teilweise spezielle Anwendungsregeln und lassen sich daher schlechter unter einen allgemeingültigen Maßstab fassen (s. sogleich Teil 2 C.I.2.). Die extraterritorialen Menschenrechtspflichten, sog. extraterritorial obli gations,127 sind bislang schwerpunktmäßig im Hinblick auf die bürgerlichen und politischen und weniger auf die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturel-
127 Auch genannt „international obligations“, „third party obligations“, „transboundary obligations“, „transnational obligations“, „external obligations“ oder „global obligations“, vgl. Gibney, On Terminology – Extraterritorial Obligations, S. 32 ff., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. Der Ausdruck „extraterritorial“ reflektiert in dieser Untersuchung am besten die Gebietsbezogenheit der Pflichten; vgl. auch die Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete157
len Rechte untersucht worden.128 Unter Rückgriff auf diese Ergebnisse konzentriert sich die Untersuchung auf eine Übertragbarkeit der Grundsätze auf die Pacht fremden Hoheitsgebiets. In diesem Zusammenhang wird außerdem der Frage nachgegangen, ob es Auswirkungen auf die völkerrechtlichen Pflichten des Verpächterstaates hat, wenn dieser sein Hoheitsgebiet nicht mehr vollumfänglich kontrolliert (s. unten Teil 2 C.IV.2.).
I. Die Ausübung von Hoheitsgewalt als räumliches Begrenzungsmerkmal völkerrechtlicher Verträge Räumliche Begrenzungsmerkmale dienen der Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs einer Norm. Dieser ist zunächst von dem räumlichen Geltungsbereich einer Norm zu unterscheiden. Der Anwendungsbereich umfasst die Gesamtheit derjenigen Sachverhalte, auf die eine Rechtsnorm durch staatliche Instanzen sachlich angewendet werden soll.129 Enthält eine völkerrechtliche Norm also Vorgaben für staatliches Verhalten, welches sich nicht notwendig auf dem eigenen Hoheitsgebiet abspielt, ist ihr räumlicher Anwendungsbereich grundsätzlich nicht auf das Territorium selbst begrenzt. Staatliches Verhalten ist demgegenüber von dem Geltungsbereich einer Norm umfasst, wenn diese exekutiv oder judikativ durchgesetzt werden kann und damit wirksam in einer Rechtsordnung existiert.130 Relevant für die Beurteilung der Entstehung, nicht aber der Durchsetzung von Pflichten des Herkunftsstaates im Rahmen dieser Untersuchung ist der Anwendungsbereich einer Norm. Knüpft dieser Rechtsfolgen an extraterritoriale Sachverhalte, ist ihr Geltungsbereich gleichwohl nur intraterritorial.131 Für die Untersuchung der Frage, ob staatliches Verhalten eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit begründet, ist nicht der Geltungsbereich einer Norm entscheidend, sondern ihr Anwendungsbereich. Die Staatenverantwortlichkeit setzt nämlich voraus, dass eine völkerrechtswidrige Handlung eines Staates vorliegt, welche dessen völkerrechtliche Verantwortlichkeit zur Folge 128 U. a. Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; Gibney/Skogly, Universal Human Rights and Extraterritorial Obligations, 2010; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005; Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007. 129 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 55. 130 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 54. 131 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 55.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
hat (Art. 1 ILC-Entwurf). Eine völkerrechtswidrige Handlung erfordert ihrerseits ein dem Staat zurechenbares Verhalten und die Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung des Staates (Art. 2 lit. a und b ILC-Entwurf). Aus Sicht der Staatenverantwortlichkeit kommt es damit nicht auf die Wirksamkeit einer völkerrechtlichen Norm in einer Rechtsordnung an. Entscheidend ist vielmehr, ob die Norm Rechtsfolgen für das jeweilige Verhalten bereithält. 1. Das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt als Begrenzungsmerkmal menschenrechtlicher Verträge Menschenrechtliche Pflichten, welche möglicherweise eine völkerrecht liche Verantwortlichkeit auslösen, können sowohl gewohnheitsrechtlicher als auch vertraglicher Art sein. Dass Menschenrechtsverträge in ihrem räumlichen Anwendungsbereich für die Vertragsstaaten überhaupt begrenzt sind, ist keineswegs unumstritten. So wird die universelle Geltung von Menschenrechten teilweise als Argument dafür angeführt, auch deren Anwendungs bereich für unbegrenzt zu erachten.132 Auch im Rahmen transnationaler Beziehungen wird häufig befürwortet, dass Staaten regelmäßig an sämtliche menschenrechtlichen Achtungspflichten gebunden sind. Dies findet etwa Ausdruck in der do-no-harm-rule im Zusammenhang mit Pflichten von Hilfsorganisationen im Ausland.133 Das Prinzip des universalen Respekts für Menschenrechte und das Prinzip internationaler Kooperation zum Schutz und zur Förderung von Menschenrechten sind in der Charta der Vereinten Nationen festgelegt.134 Die Präambeln des Zivilpaktes, des Sozialpaktes, der EMRK und der AEMR sprechen außerdem von der Universalität der Menschenrechte. Von den Vertragsstaaten kann jedoch nicht gefordert werden, sämtliche aus diesen Verträgen folgende Pflichten räumlich unbeschränkt zu erfüllen. Im Ergebnis fehlt für den Ansatz der universellen Geltung eine normative Grundlage, sodass daraus kein unbegrenzter Anwendungsbereich der Menschenrechtsverträge abgeleitet werden kann.135
132 So z. B. Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, S. 86, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004. 133 Andersen, Do No Harm: Supporting Local Capacities for Peace Through Aid: Collaborative for Development Action, Local Capacities for Peace Project, 1996. 134 Art. 1 Nr. 3 UN-Charta. 135 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 176, 242 f.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete159
Auch aus der erga-omnes-Wirkung bestimmter Menschenrechte folgt nicht, dass diese zugleich extraterritorial anzuwenden sind.136 Dasselbe gilt für Normen mit ius-cogens-Charakter i. S. v. Art. 53 Satz 2 WVK.137 Dennoch ist überwiegend anerkannt, dass bestimmte Rechte aufgrund ihrer überragenden Bedeutung ohne Einschränkung ihres räumlichen Anwendungsbereichs anwendbar sind, ein Staat also bei jeglichem Verhalten ohne weitere Voraussetzungen an diese gebunden ist. Verstöße auf fremdem Hoheitsgebiet darf er auch dort verfolgen und ist unter Umständen sogar dazu verpflichtet. Auch das ist Ausdruck des Universalitätsprinzips.138 Dazu zählen schwere Verbrechen gegen das Recht auf Leben wie Folter, Völkermord, Piraterie und terroristische Akte.139 Diese Verbrechen weisen jedoch bei lebensnaher Betrachtung keinen Bezug zu völkerrechtlichen Konfliktlagen im Rahmen von Pachtverhältnissen auf, sodass die Anwendung von Normen mit ius-cogensCharakter vorliegend keiner näheren Erörterung bedarf. Nichtsdestotrotz ist das Prinzip der universellen Geltung bei der Interpretation von einer Vielzahl menschenrechtlicher Detailfragen zugrunde zu legen. Das Völkervertragsrecht trifft schließlich keine Aussage für oder gegen die extraterritoriale Anwendbarkeit von Menschenrechtsverträgen.140 Art. 29 WVK spricht trotz seines territorialen Bezugs zunächst nicht gegen eine extraterritoriale Anwendbarkeit: „Unless a different intention appears from the treaty or is otherwise established, a treaty is binding upon each party in respect of its entire territory.“141 Daraus lässt sich jedoch allein die Anwendbarkeit eines Vertrags auf das gesamte Territorium eines Staates, d. h. einschließlich Dependancen, ableiten und keine logisch oder grammatikalisch vertretbare Beschränkung auf ausschließlich das gesamte Staatsgebiet.142 Zudem 136 Skogly, Beyond National Borders: States’ Human Rights Obligations in International Cooperation, 2006, S. 115. 137 Vgl. Frowein, Ius Cogens, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, März 2013, Rn. 9 f. 138 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1327); Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 687 ff. 139 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1307); Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 689. 140 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 10. 141 So aber z. B. das Argument Russlands in Application of the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (Georgia v. Russian Federation), Oral Proceedings, Verbatim Record of 8 September 2008, CR 2008/23, S. 40. 142 So auch Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 10.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
betrifft Art. 29 WVK den Geltungs- und nicht den Anwendungsbereich der Verträge.143 Die meisten Menschenrechtsverträge stellen hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs auf das Merkmal der jurisdiction der Vertragsstaaten ab. Dabei handelt es sich um ein sog. Schwellenkriterium, was das Unterstehen der Hoheitsgewalt zur notwendigen Voraussetzung der Anwendbarkeit der Verträge auf einen bestimmten Sachverhalt macht.144 Die EMRK erstreckt ihre Pflichten für die Vertragsstaaten gegenüber jedermann innerhalb ihrer Hoheitsgewalt („within their jurisdiction“),145 ebenso wie die AMRK („subject to their jurisdiction“)146. Auch verschiedene weitere Menschenrechtsabkommen erstrecken den Anwendungsbereich auf die jurisdiction der Mitgliedsstaaten, z. B. die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte („territories under their jurisdiction“), Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 lit. a, 16 der UN-Antifolterkonvention CAC („territory under whose jurisdiction“), Art. 2 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention CRC („each child within their jurisdiction“) sowie Art. 4 Abs. 1 deren 1. Fakultativprotokolls CRC-FP („within its jurisdiction“) und Abs. 3 („within their jurisdiction“) sowie Art. 3 („territories under their jurisdiction“) und Art. 6 („everyone within their jurisdiction“) der UN-Rassendiskriminierungskonvention ICERD.147 Der Zivilpakt148 sieht in Art. 2 Abs. 1 vor: „Each State Party to the present Covenant undertakes to respect and to ensure to all individuals within its territory and subject to its jurisdiction the rights recognized in the present Covenant, […].“
Ob die Merkmale „within its territory“ und „subject to its jurisdiction“ kumulativ zu verstehen sind, wird u. a. mit Blick auf den Sinn und Zweck 143 Papp,
Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 119. „threshold criteria“, Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 130; Talmon, Der Begriff der „Hoheitsgewalt“ in Zeiten der Überwachung des Internet- und Telekommunikationsverkehrs durch ausländische Nachrichtendienste, Juristenzeitung 2014, S. 783 (784). 145 Art. 1 EMRK: „The High Contracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention.“; vgl. dazu Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslandseinsatz, ZaöRV 2002, S. 669 (699). 146 Art. 1 Abs. 1 AMRK: „The States Parties to this Convention undertake to re spect the rights and freedoms recognized herein and to ensure to all persons subject to their jurisdiction […].“ 147 Vgl. zur Aufzählung Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 134 ff. 148 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. II 1973 S. 1534, in Kraft seit 23. März 1976; vertiefend Kaye, State Execution of the International Covenant on Civil and Political Rights, UC Irvine Law Review 3/2013, S. 95. 144 Sog.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete161
des Paktes sowie den Großteil der Staatenpraxis überwiegend verneint.149 Insbesondere vertritt dies auch das Human Rights Committee, dessen Auffassung vom IGH bestätigt wurde.150 Obwohl der Wortlaut („and“) insofern unmissverständlich scheint, stehen die Voraussetzungen also in einem Alternativverhältnis. Der Begriff jurisdiction kann als Hoheits- oder Herrschaftsgewalt, Zuständigkeit, Entscheidungsbefugnis oder Gerichtsbarkeit übersetzt werden.151 In der unverbindlichen deutschen Übersetzung von jurisdiction in Art. 1 EMRK wird auf die Hoheitsgewalt abgestellt. Die Verwendung des Begriffs Jurisdiktion auch im Deutschen ermöglicht zwar am ehesten eine einheitliche völkerrechtliche Terminologie;152 im Deutschen bezeichnet er jedoch allein die rechtsprechende Gewalt sowie die örtliche Zuständigkeit von Gerichten und nicht den gewaltenunabhängigen staatlichen Herrschaftsanspruch. Dieser wird am ehesten durch den Begriff der Hoheitsgewalt verdeutlicht. Das Verständnis von Hoheitsgewalt im allgemeinen Völkerrecht wurde bereits im Zusammenhang mit der Gebietshoheit als Ausdruck staatlicher Souveränität dargestellt (s. Teil 1 C.1.1.). Dort bedeutet Hoheitsgewalt eine Kompetenzzuweisung nach allgemeinen völkerrechtlichen Kriterien, wonach es einem Staat erlaubt ist, seine Regulierungs-, Durchsetzungs- oder Aburteilungshoheit auf eigenem sowie fremdem Territorium auszuüben.153 Unter extraterri149 King, The Extraterritorial Human Rights Obligations of States, Human Rights Law Review 9/2009, S. 521 (523); Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 213; Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 74; andere Auffassung Dennis, Non-Application of Civil and Political Rights Treaties Extraterritorially During Times of International Armed Conflict, Israel Law Review Vol. 40 2007, S. 453 (461) m. w. N. 150 Human Rights Committee, Views (Lopez Burgos v. Uruguay), Communication No. 52/1979 vom 29. Juli 1981, UN Doc. A/36/40 (1981), §§ 12.1 ff.; Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, §§ 107 und 111. 151 Vgl. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 79; zur Jurisdiction vertiefend Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 447 ff.; Oxman, Jurisdiction of States, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2007, Rn. 1 ff. 152 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 63; Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007, S. 25 ff.; Künzli, Zwischen Rigidität und Flexibilität: Der Verpflichtungsgrad internationaler Menschenrechte, Dissertation Bern 2001, S. 113 f. 153 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (309).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
torialer Hoheitsgewalt kann nach allgemeinem völkerrechtlichen Verständnis die Kompetenz eines Staates zur Rechtssetzung, Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung in Bezug auf Personen, Sachen oder Ereignisse auf fremdem Staatsgebiet verstanden werden.154 Die Übertragung des allgemein-völkerrechtlichen Maßstabs auf den Begriff der Hoheitsgewalt zur Bestimmung der Reichweite von Menschenrechtsverträgen begegnet allerdings berechtigter Kritik.155 Auch wenn in menschenrechtlichen Entscheidungen von einem Gleichlauf des Begriffs in den verschiedenen Zusammenhängen ausgegangen wurde,156 stellt die menschenrechtliche Spruchpraxis daran weitaus differenziertere Anforderungen (s. Teil 3 B.). Bei der Auslegung des Merkmals der Hoheitsgewalt sind überdies die für menschenrechtliche Verträge geltenden Auslegungsgrundsätze zu beachten. Der Grundsatz der Effektivität gebietet im Einklang mit object and purpose der EMRK, dass „eine Auslegung dem in einer Norm enthaltenen Recht zu praktischer Wirksamkeit verhelfen muss und Rechte nicht theoretisch und illusorisch bleiben dürfen“.157 Die praktische Wirksamkeit einer menschenrechtlichen Norm wird umso höher, desto niedrigere Anforderungen an ihre Anwendbarkeit gestellt werden. Das schließt ihre räumliche Komponente mit ein. Der mittlerweile weit verbreitete Grundsatz der dynamischen Auslegung wird auch dem Wandel des Begriffs der Hoheitsgewalt gerecht. Wie vom EGMR häufig betont, handelt es sich bei Menschenrechtsverträgen um „living instruments“, die an gesellschaftliche Wertvorstellungen sowie wissenschaftliche und technische Neuerungen anzupassen sind.158 Die Anforderungen für die – vertragliche oder faktische – Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf den Pächter wurden bereits erläutert (Teil 1 C.I.). Eine vollständige Übertragung der Gebietshoheit konnte im Rahmen der un154 Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 1; Kamchibekova, State Responsibility for Extraterritorial Human Rights Violations, Buffalo Human Rights Law Review 13/2007, S. 87 (90). 155 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 155, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012, m. w. N. 156 Insbesondere in der Banković-Entscheidung des EGMR, s. Teil 3 B.I.1. 157 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 57; vgl. Artico v. Italy App no 6694/74 (ECHR, 13 May 1980), § 33; McCann and others v. The United Kingdom App no. 18984/91 (ECHR, 27 September 1995), § 146. 158 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 64; Tyrer v. the United Kingdom App no 5856/72 (ECHR, 25 April 1978), § 31; Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 128; Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 59.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete163
tersuchten Pachtverhältnisse nicht beobachtet werden. Es kann also nicht pauschal angenommen werden, dass die auf einem Pachtgebiet befindlichen Personen der Hoheitsgewalt des Herkunftsstaates unterstehen, soweit dieser die Pacht selbst ausführt. Unabhängig von dem Umfang der übertragenen Hoheitsrechte kann aus der Ausübung von Hoheitsgewalt über fremdes Staatsgebiet noch nicht geschlossen werden, dass sämtliche Personen auf diesem Gebiet der Hoheitsgewalt im Sinne der Menschenrechtsverträge „unterstehen“.159 Wann dies der Fall ist, richtet sich nach dem effective-control-Maßstab. Der Inhalt dieses Maßstabs wird im Folgenden zunächst erläutert (Teil 2 C.II.) und untersucht, wann er im Rahmen von Pachtverhältnissen Anwendung findet (Teil 2 C.III.) sowie ob er auch auf extraterritoriale Schutzpflichten übertragbar ist (Teil 2 C.IV.). 2. Die Ausübung von Hoheitsgewalt zur Bestimmung des Anwendungsbereichs weiterer internationaler Abkommen Neben Menschenrechtsverträgen stellen weitere internationale Abkommen zur Bestimmung ihres Anwendungsbereichs auf die Ausübung von Hoheitsgewalt ab. Das gilt sowohl für universelle als auch bestimmte multilaterale völkerrechtliche Verträge, die nur für eine kleine Zahl von Vertragsstaaten Anwendung finden. Beispiele finden sich insbesondere in internationalen Umweltabkommen als Ausdruck des gewohnheitsrechtlich anerkannten Verbots grenzüberschreitender Umweltverschmutzung. So stellt etwa das SRÜ auf die Hoheitsgewalt bzw. Kontrolle der Vertragsstaaten ab. Art. 194 Abs. 2 SRÜ lautet: „States shall take all measures necessary to ensure that activities under their jurisdiction or control are so conducted as not to cause damage by pollution to other States and their environment, and that pollution arising from incidents or activities under their jurisdiction or control does not spread beyond the areas where they exercise sovereign rights in accordance with this Convention.“
Der IGH stellte im Fall Gabcíkovo-Nagymaros bei der Beurteilung umweltvölkerrechtlicher Pflichten ebenfalls auf die Voraussetzung der Hoheitsgewalt bzw. Kontrolle ab.160 Auch die Stockholm-Declaration enthält in Prinzip Nr. 21 die Verantwortlichkeit der Staaten für die Sicherstellung, dass Aktivitäten innerhalb ihrer Hoheitsgewalt („the responsibility to ensure that 159 Talmon, Sachverständigengutachten gemäß Beweisbeschluss SV-4 des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode („NSA- Untersuchungsausschuss“), 2. Juni 2014, abrufbar unter: https://www.bundestag.de/ ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/-/280848 (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019), S. 10. 160 Gabcíkovo-Nagymaros (Hungary v. Slovakia), Judgement, I.C.J. Reports 1997, S. 38, § 53.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
activities within their jurisdiction or control“) keinen Schaden außerhalb ihres Territoriums verursachen.161 Diese Formulierung wurde in der im Rahmen der Rio Declaration beschlossenen Biodiversitätskonvention aufgegriffen.162 Auch der 2004 überarbeitete Helsinki-Entwurf der International Law Association verweist zur Bestimmung der staatlichen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Nutzung von Frischwasserressourcen an verschiedenen Stellen auf die staatliche Hoheitsgewalt.163
II. Wirksame Gebietskontrolle als Begrenzungskriterium für das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt 1. Der effective-control-Maßstab in der Menschenrechtspraxis Die wirksame Kontrolle als Begrenzungsmerkmal für das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt kann sich auf ein Gebiet, auf Personen oder auf Sachen beziehen,164 wobei sich dafür in Rechtsprechung und Literatur zum Teil überschneidende Maßstäbe entwickelt haben. In diesem Abschnitt wird die menschenrechtliche Achtungsdimension untersucht, d. h. die extraterritoriale Anwendbarkeit einer Achtungs- bzw. Nichtverletzungspflicht durch eigenes, staatlich zurechenbares Verhalten. Zur Bestimmung der extraterrito rialen menschenrechtlichen Pflichten auf dem Pachtgebiet wird daher die Rechtsprechung menschenrechtlicher Spruchkörper und die Auslegung der Menschenrechtsverträge durch Beschwerde- und Überwachungsorgane zum Merkmal der Hoheitsgewalt herangezogen. Da allgemeingültige Maßstäbe entwickelt werden sollen, spielen die Ausprägungen der Spruchpraxis regio161 United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 5. bis 16. Juni 1972, UN Doc. A/CONF.48/14/ Rev.1, Prinzip 21, S. 5: „States have […] the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction.“ 162 United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Rio de Janeiro, 3. bis 14. Juni 1992, UN Doc. A/CONF.151/ 26 (Vol. I), Prinzip 2: „States have […] the responsibility to ensure that activities within their jurisdiction or control do not cause damage to the environment of other States or of areas beyond the limits of national jurisdiction.“ 163 International Law Association, Berlin Conference (2004) – Water Resources Law, Report of the 71st Conference 3 (2004); 71 ILA 337, 385 (2004): Art. 26, 28 Abs. 2 lit. a, 32 Abs. 2 u. a. 164 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 70 ff.; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (310): Unterscheidung zwischen dem Gebiet („within the territory over which the authority is exercised“) und Personen („subject to the authority“).
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete165
nal begrenzter Vertragswerke keine hervorgehobene Rolle. Der umfangreiche Schutzcharakter der EMRK und die ausdifferenzierte Rechtsprechung des EGMR besitzen jedoch erhebliche Ausstrahlungswirkung auf die allgemeinen Menschenrechtsverträge.165 Der effective-control-Maßstab ist streng von der Leitung und Kontrolle („direction and control“) als Zurechnungsmaßstab nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit zu trennen (s. bereits Teil 2 A.I.4.b)).166 Die Überschneidungen sind nicht nur rein sprachlicher, sondern auch teilweise inhaltlicher Natur. Es geht im hiesigen Kontext in beiden Fällen um staatliche Kontrolle über Vorgänge auf fremdem Hoheitsgebiet. Allerdings kann extraterritoriales Verhalten Privater innerhalb staatlicher Leitung und Kontrolle nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit zurechenbar sein, gleichzeitig aber nicht die Kontrollintensität erreichen, die für eine extraterritoriale Anwendbarkeit der Menschenrechte erforderlich wäre.167 Die Gemeinsamkeiten der beiden Kontrollmaßstäbe werden allerdings herangezogen, um eine staatliche Schutzverantwortung für nicht zurechenbares Verhalten Dritter zu begründen (s. Teil 2 C.IV.2.). Im Folgenden wird zwischen der Begründung von Hoheitsgewalt und damit der Eröffnung des jeweiligen völkerrechtlichen Anwendungsbereichs kraft wirksamer Gebietskontrolle (dazu a) und wirksamer Kontrolle über Personen (dazu b) unterschieden.168 a) Wirksame Gebietskontrolle Die Entwicklung des Maßstabs der wirksamen Gebietskontrolle wird anhand der menschenrechtlichen Spruchpraxis nach der EMRK (dazu aa) sowie derjenigen universeller Spruchkörper und Gremien (dazu bb) untersucht.
165 Zum sog. Spillover-Effekt der EMRK: de Wet, Zur Zukunft der Völkerrechtswissenschaft in Deutschland, ZaöRV 2007, S. 777 (783). 166 Grabenwarter/Pabel, in: Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 17 Rn. 14. 167 Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (220). 168 Vgl. zu dieser Differenzierung statt vieler Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 41 ff.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
aa) Menschenrechtsschutz nach der EMRK (1) Maßstab des Art. 1 EMRK und frühe Rechtsprechung Der EGMR hält ausgehend von Art. 1 EMRK („everyone within their jurisdiction“) die sich aus der EMRK ergebenden Pflichten auf fremdem Hoheitsgebiet für anwendbar, wenn die Vertragsstaaten wirksame Kontrolle über dieses Gebiet ausüben.169 Die Annahme von Hoheitsgewalt auf der Grundlage wirksamer Gebietskontrolle in der Rechtsprechung des EGMR ist allerdings kein Ergebnis konsequenter Entwicklung. Der EGMR stellte bereits in frühen Entscheidungen fest, dass das Merkmal Hoheitsgewalt und damit die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten nicht auf deren Hoheitsgebiet begrenzt ist.170 Die erste Loizidou-Entscheidung (preliminary objections) ist Ausgangspunkt für seine Rechtsprechung zur extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK kraft der Beherrschung eines bestimmten Gebiets. Die EMRK war danach für die Türkei auf Zypern wegen ihrer wirksamen Gebietskontrolle („effective control over an area“) anwendbar. Diese könne infolge militärischen Eingreifens entweder unmittelbar durch staatliche Truppen oder eine untergeordnete lokale Behörde begründet werden.171 In den merits von Loizidou stellte der EGMR fest, aufgrund der großen Zahl türkischer Truppen übe die Türkei wirksame Gesamtkontrolle („effective overall control“) über diesen Teil Zyperns aus und sei zugleich für die Sicherheitskräfte der TRNC (Turkish Republic of Northern Cyprus) verantwortlich.172 Auf den effective-control-Maßstab nahm der EGMR des Weiteren in Cyprus v. Turkey Bezug und erweiterte die Verantwortlichkeit der Türkei auf Handlungen zypriotischer Behörden, die nur unter dem Ein169 Vertiefend zu diesem Abschnitt Duttweiler, Authority, Control and Jurisdiction in the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 30/2 2012, S. 137. 170 Drozd and Janousek v. France and Spain App no 12747/87 (ECHR, 26 June 1992), § 91: „The term ‚jurisdiction‘ is not limited to the national territory of the High Contracting Parties; their responsibility can be involved because of acts of their authorities producing effects outside their own territory.“; vgl. Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 8 ff. 171 Loizidou v. Turkey (GC) App no. 15318/89 (ECHR, 23 March 1995) Preliminary Objections § 62. 172 Loizidou v. Turkey App no 15318/89 (ECHR, 18 December 1996), § 56: „It is obvious from the large number of troops engaged in active duties in northern Cyprus (see paragraph 16 above) that her army exercises effective overall control over that part of the island.“; Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten – Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern, 2006, S. 859.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete167
fluss türkischen Militärs weiter bestehen.173 Auch in Ilașcu begründete der EGMR später die Verantwortlichkeit Russlands auf dem Gebiet der separatistischen moldawischen Provinz Transnistrien mit der Gesamtkontrolle („overall control“) Moskaus in der Region.174 (2) „Effective control“ oder „effective overall control“ Der Zusatz „overall“ in Loizidou eröffnete erheblichen Interpretationsspielraum für die Entwicklung des effective-control-Maßstabs. Hintergrund war, dass der EGMR die Hoheitsgewalt der Türkei über Nordzypern aufgrund der wirksamen Gesamtkontrolle der türkischen Truppen mit der durch die zyprischen Behörden ausgeübten Kontrolle bejahte; da das Handeln dieser Behörden als de-facto-Organe der Türkei zuzurechnen sei, übe die Türkei Gesamtkontrolle über die lokalen Behörden aus.175 Der EGMR hielt den Nachweis detaillierter Kontrolle über die lokale Verwaltung in Ilașcu nicht für erforderlich, da zumindest Gesamtkontrolle ausgeübt werde („since even overall control of the area may engage the responsibility“).176 Die Nachweisanforderungen sollten dadurch mit dem Ergebnis abgeschwächt werden, dass eine wirksame Kontrolle bereits aufgrund des allgemeinen Einflusses eines Vertragsstaates auf das jeweilige Gebiet angenommen werden konnte; die Begriffe „effective control“ und „effective overall control“ sollten mithin in einem Abstufungsverhältnis stehen.177 Abweichend davon wurde der Zusatz zum Teil als Verweis auf die Zurechnungsregeln der Staatenverantwortlichkeit verstanden.178 Die Verantwortlichkeit des Vertragsstaates erwachse danach aus der Kontrolle untergeordneter Behörden, nicht eines Gebiets. Die Kontrolle beziehe sich also nicht auf die 173 Cyprus v. Turkey (GC), App no. 25781/94 (ECHR, 10 May 2001), § 76 f.: „Having effective overall control over northern Cyprus, its responsibility cannot be confined to the acts of its own soldiers or officials in northern Cyprus but must also be engaged by virtue of the acts of the local administration which survives by virtue of Turkish military and other support.“ 174 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 315. 175 Die türkisch-zyprischen Behörden seien „authorized agents“ der Türkei; Loizidou v. Turkey App no 15318/89 (ECHR, 18 December 1996), § 56; Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten – Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik NordZypern, 2006, S. 859 ff. 176 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 315. 177 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 72. 178 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 62 ff., 295.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Personen, die Opfer der Menschenrechtsverletzung wurden, sondern auf die Täter.179 Tatsächlich sind die Urteilssprüche diesbezüglich mehrdeutig und decken sich eher mit den Anforderungen an die Zurechenbarkeit des Handelns Dritter. Art. 1 EMRK wurde nach mehrheitlicher Auffassung jedoch insoweit schlicht missverstanden.180 Die Staatenverantwortlichkeit ist danach vielmehr auf sekundärer Ebene zu prüfen und setzt primär eine Pflichtverletzung voraus, deren Grundlage ihrerseits die Ausübung von Hoheitsgewalt über eine Person erfordert.181 Wenn somit das Kriterium der wirksamen Gesamtkontrolle zur Begründung extraterritorialer Hoheitsgewalt herangezogen wird,182 bezieht sich dies überwiegend auf ein gesamtes Gebiet. Es stellt im Einzelfall eine Beweis erleichterung der Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates dar, da die Kon trolle einer einzelnen Verletzungshandlung unerheblich ist, solange sie jedenfalls auf dem insgesamt kontrollierten Gebiet stattfand. Lässt sich jedoch – stattdessen oder darüber hinaus – die wirksame Kontrolle einer solchen konkreten Verletzungshandlung begründen, führt (auch) dieser Umstand zur Begründung von Hoheitsgewalt und damit zur Anwendbarkeit der EMRK. (3) Die Banković-Entscheidung des EGMR Die Entscheidung Banković enthält die bis dahin umfangreichste Analyse einer extraterritorialen Anwendbarkeit der EMRK durch den EGMR. Diese Entscheidung ist daher Bezugspunkt sowohl für jede weitere Entscheidung des EGMR als auch die Frage der extraterritorialen Anwendbarkeit in der Literatur.183 Es ging darin um die Bindung von NATO-Staaten an die EMRK bei der Bombardierung eines Radiosenders während des Kosovo-Einsatzes
179 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (315). 180 Statt vieler ausführlich Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007, S. 127 ff. 181 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 41 ff.; Thallinger, Grundrechte und extraterritoriale Hoheitsakte: Auslandseinsätze des Bundesheeres und Europäische Menschenrechtskonvention, 2008, S. 146 ff.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 69. 182 Grabenwarter/Pabel, in: Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, § 17 Rn. 14; Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/ von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 1, Rn. 31. 183 Wenzel, Human Rights, Treaties, Extraterritorial Application and Effects, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Mai 2008, Rn. 10.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete169
im früheren Jugoslawien. Die Anforderungen an extraterritoriale Hoheitsgewalt fasste der EGMR wie folgt zusammen: „In sum, the case-law of the Court demonstrates that its recognition of the exercise of extra-territorial jurisdiction by a Contracting State is exceptional: it has done so when the respondent State, through the effective control of the relevant territory and its inhabitants abroad as a consequence of military occupation or through the consent, invitation or acquiescence of the Government of that territory, exercises all or some of the public powers normally to be exercised by that Government.“184
Der EGMR hält in seiner weiteren Begründung die „jurisdictional competence“ eines Staates und mithin den Anwendungsbereich der EMRK unter Bezugnahme auf ihre travaux préparatoires grundsätzlich für territorial begrenzt.185 Ausnahmen und deren Reichweite ergäben sich aus der Souveränität anderer Staaten und benötigten anerkannte Anknüpfungspunkte wie die Nationalität, diplomatische und konsularische Beziehungen, das Personalitäts-, Wirkungs- oder Schutzprinzip.186 Ein solcher „jurisdictional link“ folge danach nicht bereits aus der Rechtsverletzung selbst. Das Merkmal der Hoheitsgewalt wurde in Banković also entsprechend seiner traditionellen Bedeutung im allgemeinen Völkerrecht („from the standpoint of public international law“) verstanden, wo es der Beurteilung der Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns auf fremdem Staatsgebiet und nicht der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit von Individuen vor solchem Handeln dient.187 Der o. g. Formulierung des EGMR wird hinsichtlich der „public powers“ als zusätzliche Einschränkung entnommen, dass der Staat die öffentliche Gewalt ausüben muss, die sonst der Verpächterstaat ausübt, und somit „funktional“ an seine Stelle tritt.188 184 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 71. 185 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 63: „Finally, the Court finds clear confirmation of this essentially territorial notion of jurisdiction in the travaux préparatoires which demonstrate that the Expert Intergovernmental Committee replaced the words ‚all persons residing within their territories‘ with a reference to persons ‚within their jurisdiction‘ with a view to expanding the Convention’s application to others who may not reside, in a legal sense, but who are, nevertheless, on the territory of the Contracting States.“ 186 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 59. 187 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 59; Wenzel, Human Rights, Treaties, Extraterritorial Application and Effects, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Mai 2008, Rn. 12; Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 23 ff.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 64 ff. 188 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 17.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Dieser in Banković gewählte Ansatz ist zu restriktiv. Er traf in der Literatur überwiegend und nachvollziehbar auf Ablehnung.189 Der EGMR hielt den Ansatz seinerseits außerdem nicht konsequent aufrecht, wie eine Betrachtung der nachfolgenden Rechtsprechung zeigt. Richtigerweise liefert der Begriff der Hoheitsgewalt nach allgemeinem Völkerrecht keinen praktikablen Maßstab und wird dem menschenrechtlichen Schutzbedürfnis nicht gerecht. Bei Menschenrechtsverträgen sind die Begrifflichkeiten vor dem Hintergrund ihres Zwecks und Kontextes zu betrachten und es ist diejenige Auslegung zu wählen, die den größtmöglichen Schutz bietet.190 Der Begriff der Hoheitsgewalt der EMRK ist – anders als im allgemeinen Völkerrecht – untechnisch und faktisch zu verstehen.191 Entscheidender und überzeugender Kritikpunkt ist die nach allgemeinem völkerrechtlichen Verständnis von Hoheitsgewalt auftretende Schutzlücke: Fehlte die Legitimität einer Handlung und überstiege sie die Hoheitsgewalt des Staates, bestünde auch keine menschenrechtliche Verpflichtung. Ein Staat könnte sich durch kompetenzwidriges extraterritoriales Handeln von seiner Menschenrechtsbindung befreien.192 (4) Fortentwicklung der Rechtsprechung nach Banković Dass sich infolge eines legitimatorischen Verständnisses des Begriffs der Hoheitsgewalt in Art. 1 EMRK der Bezugspunkt der räumlichen Anwendbar189 Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, S. 85, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 63 ff., 262; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 67 ff. m. w. N. 190 S. o. Teil 2 C.I.1. zum Auslegungsgrundsatz der Effektivität; Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 57; vgl. Artico v. Italy App no 6694/74 (ECHR, 13 May 1980), § 33; McCann and others v. The United Kingdom App no. 18984/91 (ECHR, 27 September 1995), § 146. 191 Duttweiler, Authority, Control and Jurisdiction in the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 30/2 2012, S. 137 (140); Scheinin, Just Another Word? Jurisdiction in the Roadmaps of State Responsibility and Human Rights, S. 212, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 66 m. w. N. 192 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 164, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 68; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 370; Duttweiler, Authority, Control and Jurisdiction in the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, Netherlands Quarterly of Human Rights, Vol. 30/2 2012, S. 137 (140).
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete171
keit schwer von der Frage der materiellen Rechtmäßigkeit trennen lässt, zeigte sich in der Entscheidung Öcalan. Gegenüber der BankovićEntscheidung hielt der EGMR in Öcalan die Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahme – der Festnahme von Abdullah Öcalan durch den türkischen Geheimdienst auf kenianischem Boden – mit internationalem Recht für relevant, um die materielle Rechtmäßigkeit der Festnahme zu beurteilen.193 Die Hoheitsgewalt wurde aufgrund der physischen Kontrolle über ihn bejaht.194 In weiteren Entscheidungen betonte der EGMR, die Verantwortlichkeit der Vertragsstaaten bestehe sowohl für rechtmäßige als auch für rechtswidrige Maßnahmen.195 Des Weiteren legte er in Ilașcu ein abgestuftes Verständnis von Hoheitsgewalt zugrunde, welches er in Banković noch ausdrücklich ablehnte.196 So waren die Pflichten Moldawiens auf dem Gebiet von Transnistrien auf positive Pflichten zu rechtlichen und diplomatischen Bemühungen beschränkt.197 Der EGMR setzte im Urteil Assanidze v. Georgia mit der Hoheitsgewalt ausdrücklich die Kompetenz eines Staates gleich.198 Allerdings hielt der EGMR diesen Ansatz allein begrifflich aufrecht; entscheidend für die Ausübung für Hoheitsgewalt war auch in späteren Entscheidungen regelmäßig, dass ein Staat wirksame Kontrolle über ein Gebiet, Personen oder Sachen ausübt.199 Diesen Ansatz vertrat der EGMR bereits vor der Banković193 Öcalan v. Turkey App no 46221/99 (ECHR, 12 May 2005), §§ 91, 98 f.; vgl. den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 164, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 194 Öcalan v. Turkey App no 46221/99 (ECHR, 12 May 2005), § 91: „[T]he applicant was effectively under Turkish authority and therefore within the ‚jurisdiction‘ of that State for the purposes of Article 1 of the Convention, even though in this instance Turkey exercised its authority outside its territory.“ 195 Issa and Others v. Turkey App no 31821/96 (ECHR, 16 November 2004), § 71: „Moreover, a State may also be held accountable for violation of the Convention rights and freedoms of persons who are in the territory of another State but who are found to be under the former State’s authority and control through its agents operating – whether lawfully or unlawfully – in the latter State […].“ 196 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 75; den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 167, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 197 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 333. 198 Assanidze v. Georgia App no 71503/01 (ECHR, 8 April 2004), § 137. 199 Zusammenfassend Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 131 ff.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 70 ff.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Entscheidung: Besonders in den sog. Zypern-Fällen stellte er fest, dass die Türkei durch die Besetzung von Nordzypern wirksame Kontrolle über dieses Gebiet ausübe und für Verstöße gegen die EMRK verantwortlich sei.200 In der bereits erwähnten Loizidou-Entscheidung bejahte er die wirksame Kontrolle über ein Gebiet kraft rechtmäßigen oder rechtswidrigen militärischen Eingreifens.201 Auch in Banković selbst erkannte er die extraterritoriale Hoheitsgewalt ausnahmsweise an; erforderlich sei „effective control of the relevant territory and its inhabitants abroad“202. In Ilașcu griff der EGMR den Maßstab aus Banković hinsichtlich wirksamer Gebietskontrolle kraft militärischen Eingreifens auf, ohne den normativen Charakter von Hoheitsgewalt zu wiederholen.203 Außerdem begründete der EGMR in dieser Entscheidung die Gesamtkontrolle Russlands und mithin deren Hoheitsgewalt über den Beschwerdeführer mit dem Einfluss auf das separatistische Regime Moldovan Republic of Transdniestria (MRT), von welchem die Rechtsverletzung ausging. Dieses stehe unter der „effective authority“ oder zumindest „decisive influence“ Russlands.204 Daraus wird zum Teil geschlossen, Hoheitsgewalt i. S. v. Art. 1 EMRK könne sich ebenso auf die Täter eines menschenrechtlichen Übergriffs beziehen.205 Der sog. decisive-influence-Test wurde in der Folge zur Begründung extraterritorialer Schutzpflichten herangezogen (s. unten Teil 2 C.IV.2.b)). Darüber hinaus wurde erneut festgestellt, dass die wirksame Gebietskontrolle auch durch Dritte ausgeübt werden kann, deren Verhalten dem Vertragsstaat zurechenbar ist.
200 Cyprus v. Turkey App no 6780/74, 6950/75 (EComHR, 26 May 1975), The Law, Nr. 10, S. 137; App no 8007/77 (EComHR, 4 October 1983), § 64; App no 25781/94 (ECHR, 10 May 2001), § 77; App no 25781/94 (ECHR, 12 May 2014), § 63; Talmon, Kollektive Nichtanerkennung illegaler Staaten – Grundlagen und Rechtsfolgen einer international koordinierten Sanktion, dargestellt am Beispiel der Türkischen Republik Nord-Zypern, 2006, S. 859. 201 Loizidou v. Turkey App no 15318/89 (ECHR, 23 March 1995), § 62. 202 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 71. 203 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 314. 204 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 392: „All of the above proves that the ‚MRT‘, […] remains under the effective authority, or at the very least under the decisive influence, of the Russian Federation, and in any event that it survives by virtue of the military, economic, financial and political support given to it by the Russian Federation.“ 205 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (315).
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete173
In der jüngeren Entscheidung Al-Skeini fasste der EGMR die Ausnahmefälle, in denen er eine extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK bejaht hatte, gruppenspezifisch zusammen. Die Beschwerdeführer hielten Großbritannien für den Tod eines Häftlings innerhalb sowie fünf weiterer Personen außerhalb einer britischen Militärbasis im Irak für verantwortlich. Ausgehend vom Grundsatz des „territorial principle“ unterschied der EGMR die Ausnahmefälle kraft Amtsgewalt und Kontrolle („State agent authority and control“) sowie kraft wirksamer Gebietskontrolle („effective control over an area“).206 Unter der zweiten Gruppe „effective control over an area“ nahm er Bezug auf die genannten Entscheidungen zur Begründung von Hoheitsgewalt durch militärische Kontrolle und Besetzung aus den Zypern-Fällen sowie aus Banković und Ilaşcu. Wurde danach die wirksame Kontrolle des Gebiets dargelegt, muss der Einfluss auf das Handeln der lokalen Behörden nicht mehr im Detail nachgewiesen werden.207 Als Merkmale zur Bestimmung der wirksamen Gebietskontrolle nannte er neben militärischer und politischer die wirtschaftliche Unterstützung („the strength of the State’s military presence in the area“ sowie „the extent to which its military, economic and political support for the local subordinate administration provides it with influence and control over the region“).208 Die militärische Präsenz und die Unterstützung der lokalen untergeordneten Behörden müssten dem Vertragsstaat im konkreten Fall also einen Einfluss auf und Kontrolle über die Region verschaffen. Die EMRK ist schließlich nicht – wie in Banković angenommen – auf extraterritoriale Verletzungen innerhalb ihres espace juridique begrenzt.209 Es erfolgte in Al-Skeini allerdings keine ausdrückliche Abkehr von dieser Begrenzung. Ein Vertragsstaat ist im Ergebnis also auch für Verletzungen auf fremdem Hoheitsgebiet außerhalb des Geltungsbereichs der EMRK verantwortlich, wenn er wirksame Kontrolle über dieses Gebiet oder die sich außerhalb seines Hoheitsgebiets befindlichen Personen ausübt.
206 Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 131 ff.; auf diese Strukturierung nahm der EGMR zuletzt Bezug in Jaloud v. The Netherlands App no 47708/08 (ECHR, 20 November 2014), § 139. 207 Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 139. 208 Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 139. 209 Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 142.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
(5) Abstufungen und universelle Ansätze In der Literatur wird die wirksame Gebietskontrolle ohne ersichtliche Gegenstimmen als Maßstab zur Begründung von Hoheitsgewalt anerkannt.210 Sie kann aus der längeren Präsenz eines Staates auf fremdem Staatsgebiet folgen und führt damit zu einer Menschenrechtsbindung ratione loci.211 Entgegen der Entscheidungen Banković und Al-Skeini kann aus der Sicht vieler Literaturstimmen der Umfang der Bindung an menschenrechtliche Pflichten nicht ohne Abstufungen festgestellt werden. Vielmehr lasse die Art der Begründung von Hoheitsgewalt Rückschlüsse darauf zu, an welche Pflichten ein Staat gebunden ist. Das hänge von der Ausgestaltung der Pflichten ab; die Einhaltung von Art. 9, 14 Zivilpakt erfordere z. B. territoriale Kontrolle.212 Teilweise wird eine wirksame Kontrolle durch einen „direct and immediate link“, d. h. eine direkte und unmittelbare Verknüpfung zwischen Staatshandeln und Vertragsverletzung gesehen.213 Die Verbindung sei nicht formal-rechtlich zu verstehen, sondern stelle einen faktisch unmittelbaren Kausalzusammenhang dar.214 Die vielfältigen staatlichen Finanzierungsmodelle im Rahmen von Pachtverträgen könnten nach dieser Auffassung zur Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs herangezogen werden. 210 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 127; Narula, International Financial Institutions, Transnational Corporations and Duties of States, S. 121, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/ van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (310); Peters, Die Anwendbarkeit der EMRK in Zeiten komplexer Hoheitsgewalt und das Prinzip der Grundrechtstoleranz, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 1 (8); Krieger, Die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der EMRK für seine Streitkräfte im Auslands einsatz, ZaöRV 2002, S. 669 (671 ff.); Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 88. 211 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 105. 212 King, The Extraterritorial Human Rights Obligations of States, Human Rights Law Review 9/2009, S. 521 (540). 213 Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, S. 104, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; von Arnauld, Das (Menschen-)Recht im Auslandseinsatz, S. 67, in: Weingärtner, Streitkräfte und Menschenrechte, 2008. 214 Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, S. 104, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004; so auch Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 76 und Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007, S. 159.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete175
Damit gehen die Anforderungen an eine wirksame Kontrolle jedoch im Ergebnis nicht über den Kausalzusammenhang hinaus,215 sodass dieser Ansatz abzulehnen ist. Daneben ließe sich eine Abstufung materieller Art vornehmen, wonach bestimmte Menschenrechte einen extraterritorialen Anwendungsbereich besitzen und andere nicht.216 Diese Abstufung wird am ehesten durch eine Unterscheidung zwischen positiven und negativen Rechten verdeutlicht. So wird der territoriale Anwendungsbereich der Menschenrechtsverträge als unbegrenzt angesehen, soweit es um die (negative) Pflicht zur Achtung der Menschenrechte geht, während die (positive) Pflicht zu ihrem Schutz die wirksame Kontrolle des Staates voraussetzt.217 In der Tat dürften die Anforderungen an eine Pflicht zur Nichtverletzung von Menschenrechten niedriger sein, da lediglich ein Unterlassen gefordert wird. Dieser Pflicht sollte ein Staat unterschiedslos intra- wie extraterritorial nachkommen können. Der Anwendungsbereich einzelner grundlegender Rechte lässt sich bereits aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für unbegrenzt erklären (s. schon in Teil 2 C.I.1 zum Universalitätsprinzip bzw. allgemein anerkannten unbeschränkt geltenden Rechten). Dazu gehören die gem. Art. 4 Abs. 2 Zivilpakt notstandsfesten Rechte, also Art. 6 (Recht auf Leben), Art. 7 (Folterverbot), Art. 8 (Sklavereiverbot), Art. 11 (Haftverbot bei Vertragsschuld), Art. 15 (nulla poena sine crimen) und Art. 18 des Zivilpaktes (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit). Im Rahmen der vorliegend untersuchten Pachtverhältnisse und den ihnen zugrunde liegenden Konfliktlagen ist eine weitere Erörterung der genannten Rechte mit universalem Anspruch jedoch nicht angezeigt.
215 So auch Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 76 und Jankowska-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte – Der Begriff der Jurisdiktion im Sinne von Art. 1 EMRK, Dissertation Regensburg 2007, S. 159. 216 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 185; Lawson, Life after Bankovic: On the Extraterritorial Application of the European Convention on Human Rights, S. 120, in: Coomans/Kamminga, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties, 2004. 217 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 263; Narula, International Financial Institutions, Transnational Corporations and Duties of States, S. 134 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/ van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
bb) Der Menschenrechtsrechtsschutz universeller Spruchkörper und Gremien Das Merkmal der Hoheitsgewalt nach dem Zivilpakt wird vergleichbar mit der EMRK überwiegend in den Fällen bejaht, in denen der Staat wirksame Kontrolle über Gebiete und Personen im Ausland ausübt.218 Auch hierfür wird die physische Präsenz des Staates für erforderlich gehalten.219 Der IGH bestätigte in seinem Mauer-Gutachten vom 9. Juli 2004, dass ein Vertragsstaat bei der Ausübung von Hoheitsgewalt außerhalb seines eigenen Territoriums (dort im Falle militärischer Besetzung) an den Zivilpakt, den Sozialpakt und die Kinderrechtskonvention gebunden sei.220 Er bestätigte in dem Gutachten die Ansichten des Human Rights Committee und des Committee on Economic Social and Cultural Rights zur Hoheitsgewalt kraft wirksamer Kontrolle, verwendete in diesem Zusammenhang selbst allerdings nur den Ausdruck „territorial jurisdiction“.221 In Armed Activities on the Territory of the Congo wiederholte der IGH seine Aussage zur Anwendbarkeit von Menschenrechtsverträgen bei der Ausübung von Hoheitsgewalt auf fremdem Hoheitsgebiet, insbesondere in Besatzungssituationen: „The Court further concluded that international human rights instruments are applicable ‚in respect of acts done by a State in the exercise of its jurisdiction outside its own territory‘, particularly in occupied territories.“222
Dabei schränkte er die im konkreten Fall anwendbaren Verträge nicht ein, sodass die Aussage allgemeine Gültigkeit besitzt. Bei der Erläuterung des Begriffs der „Besatzung“ verweist er auf das sich in Art. 42 der HLKO223 218 Im Einzelnen sogleich; s. Human Rights Committee, Concluding observations (Israel), UN Doc. CCPR/C/79/Add.93 vom 18. August 1998, § 10; Human Rights Committee, Views (Lopez Burgos v. Uruguay), Communication No. 52/1979 vom 29. Juli 1981, UN Doc. A/36/40 (1981), § 12.3; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 105. 219 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 20; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 105. 220 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, §§ 111, 112 und 113. 221 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, § 112. 222 Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgement, I.C.J. Reports 2005, S. 168, § 216; vgl. Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, § 111. 223 Abkommen Betreffend Die Gesetze Und Gebräuche Des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, RGBl. 1910, S. 107 (151), Art. 42: „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindlichen Heeres
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widerspiegelnde Völkergewohnheitsrecht. Danach muss ein besetztes Gebiet unter fremder Amtsgewalt stehen („placed under the authority of the hostile army“).224 Neben vielen weiteren Staaten legt für die deutsche Regierung auch das Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung eine ex traterritoriale Geltung des Zivilpaktes zugrunde.225 b) Wirksame Kontrolle über Personen aa) Europäischer Menschenrechtsschutz nach der EMRK Die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) bejahte die staatliche Verantwortlichkeit unter der EMRK in mehreren Fällen, in denen sich die Konventionsverletzung auf fremdem Hoheitsgebiet ereignete. Die hierzu gängige Formel lautet: „[T]he Contracting Parties’ responsibility under the Convention is also engaged insofar as they exercise jurisdiction outside their territory and thereby bring persons or property within their actual authority or control.“226
Der EGMR fasste die Gruppe von Hoheitsgewalt infolge „state agent authority and control“ in Al-Skeini zusammen. In diese Gruppe fallen zunächst Handlungen von Diplomaten und konsularischen Vertretern auf fremdem Territorium, wenn diese Amtsgewalt und Kontrolle über andere ausüben.227 Hinzu kommt die in Drozd and Janousek und Gentilhomme u. a. entwickelte Ausnahme, wonach die Verantwortlichkeit durch die Ausübung von „ex ecutive or judicial functions“ seitens des Vertragsstaates ausgelöst werden befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann.“ 224 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, § 78. 225 Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung, Strategiepapier zu Menschenrechtsfragen in der deutschen Entwicklungspolitik, 4. Mai 2011, S. 5: „Menschenrechte verpflichten Staaten nicht nur auf ihrem eigenen Territorium, sondern auch im Rahmen ihres Handelns in internationalen Organisationen und im Ausland.“, abrufbar unter: https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen/archiv/reihen/ strategiepapiere/Strategiepapier303_04_2011.pdf (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019); Überblick bei Schäfer, Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht: Zugleich ein Beitrag zur exterritorialen Geltung von Menschenrechtsverträgen, Dissertation Potsdam 2006, S. 24. 226 X. and Y. v. Switzerland App nos 7289/75 and 7349/76 (EComHR, 14 July 1977), The Law, § 2. 227 Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 131; Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 73.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
kann,228 sowie aus Öcalan, wonach die Ausübung von Gewalt (in dem Fall durch Festnahme) zu einer Kontrolle durch staatliche Behörden führt.229 Diesen Maßstab wiederholte er in Hrsi Jamaa und erkannte an, die Konventionsrechte könnten nunmehr teilbar sein und begründeten auf das Maß an Kon trolle zugeschnittene Pflichten („divided and tailored“).230 Dem in früheren Entscheidungen angedeuteten Gedanken, Hoheitsgewalt folge bereits aus der auf fremdem Hoheitsgebiet eingetretenen Rechtsverletzung – der sog. causeand-effekt-Ansatz – hat der EGMR in Banković eine Absage erteilt.231 bb) Maßstab des IAGMR Im Interamerikanischen Menschenrechtssystem wurde zur Begründung der Hoheitsgewalt der Vertragsstaaten ebenfalls auf die staatliche Amtsgewalt und Kontrolle („authority and control“) über eine Person abgestellt:232 „(I)n principle, the inquiry turns not on the presumed victim’s nationality or pre sence within a particular geographic area, but on whether, under the specific circumstances, the State observed the rights of a person subject to its authority and control.“
Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) ließ – anders als der EGMR in Banković – jedoch die bloße Gewaltausübung in Form von Flugzeugabschüssen im internationalen Luftraum zur Begründung von „authority“ ausreichen.233 In bestimmten Fällen sah jedoch auch der EGMR die bloße Gewalteinwirkung als ausreichend für die Begründung von Hoheitsgewalt des Vertragsstaates an.234 228 Drozd and Janousek v. France and Spain App no 12747/87 (ECHR, 26 June 1992), § 91; Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 135. 229 S. o.; Öcalan v. Turkey App no 46221/99 (ECHR, 12 May 2005), §§ 91, 98 f. 230 Hirsi Jamaa and others v. Italy [GC] App no 27765/09 (ECHR, 23 February 2012), § 74. 231 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 75. 232 Inter-American Commission on Human Rights, Alejandre et al. v. Cuba (Brothers to the Rescue), Case No 11.589, Report No 86/99, § 23; Coard et al. v. the United States, Case No 10.951, Report No 109/99, § 37; The Haitian Centre for Human Rights et al. v. United States, Case No 10.675, Report No 51/96, § 164 ff.; den Heijer/ Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 175, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 233 Inter-American Commission on Human Rights, Alejandre et al. v. Cuba (Brothers to the Rescue), Case No 11.589, Report No 86/99, § 23. 234 Solomou and Others v. Turkey App no 36827/97 (ECHR, 24 June 2008), § 50 f. u. a.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete179
cc) Menschenrechtsschutz universeller Spruchkörper und Gremien Auch das Human Rights Committee geht offensichtlich davon aus, dass der Zivilpakt auch außerhalb des Hoheitsbereichs für Vertragsstaaten Anwendung findet, wenn sich die schutzbedürftige Person im Machtbereich oder unter wirksamer Kontrolle dieses Staates befindet. Der extraterritoriale Aspekt wird in den General Comments zum Zivilpakt ausdrücklich erwähnt: „[…] a State party must respect and ensure the rights laid down in the Covenant to anyone within the power or effective control of the State party, even if not situated within the territory of the State party.“235
Das Human Rights Committee hat konkret in Fällen der Festnahme und Inhaftierung von Staatsangehörigen auf fremdem Staatsgebiet im Einverständnis des Verpächterstaates die Auffassung geäußert, dass der handelnde Vertragsstaat hierfür extraterritorial verantwortlich sei.236 Im Hinblick auf die wirksame Kontrolle über Personen entspricht sie damit der Rechtsprechung des EGMR und ist mithin allgemein anerkannt. Während es im Rahmen der untersuchten Pachtverträge primär auf eine Ausweitung des Anwendungsbereichs kraft wirksamer Gebietskontrolle ankommen wird, muss die wirksame Personenkontrolle als Korrektiv mitberücksichtigt werden: Kommt es im Einzelfall zu Eingriffen in die Rechte von Individuen außerhalb wirksamer Gebietskontrolle, bedeutet dies nach allgemein anerkannten Maßstäben keine automatische menschenrechtliche Schutzlosigkeit (s. unten Teil 2 C.II.3.). 2. Anwendung des räumlichen Begrenzungsmaßstabs für Menschenrechtsverträge ohne ausdrückliches Begrenzungsmerkmal Verschiedene Verträge zum Schutz wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Rechte enthalten keine vergleichbare jurisdiction-Klausel oder eine andere ausdrückliche Regelung über ihren Anwendungsbereich. Das trifft insbesondere auf den Sozialpakt237 selbst zu, darüber hinaus auf die UN235 Human Rights Committee, International covenant on civil and political rights, General Comment No 31, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, § 10; Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte – Staatliche Schutzpflichten auf der Basis regionaler und internationaler Menschenrechtsverträge, Dissertation Potsdam 2012, S. 151. 236 Human Rights Committee, Views (Lopez Burgos v. Uruguay), Communication No. 52/1979 vom 29. Juli 1981, UN Doc. A/36/40 (1981), § 12.3; Views (Celiberti de Caseriego v. Uruguay), Communication No. 56/1979 vom 29. Juli 1981, UN Doc. CCPR/C/OP/1, § 10.1. 237 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. II 1976 S. 428, in Kraft seit 3. Januar 1976.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Frauenrechtskonvention (CEDAW) und die UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD). a) Menschenrechtspraxis zum Sozialpakt Das Fakultativprotokoll zum Sozialpakt knüpft die Beschwerdemöglichkeit an das Unterstehen der Hoheitsgewalt des Adressatenstaates (Art. 2 Sozialpakt-FP). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Frage der extraterritorialen Pflichtenbindung, sondern der Justiziabilität einer Konventionsverletzung. Das Merkmal der internationalen Kooperation in Art. 2 Abs. 1 Sozialpakt wird schließlich verbreitet herangezogen, um einen unbeschränkten Anwendungsbereich zu begründen.238 Dem ist im Ergebnis jedoch nicht zuzustimmen. Die Frage extraterritorialer Pflichten für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist von erheblicher Bedeutung für die vorliegende Untersuchung, da es oftmals solche Rechte sind, die durch Aktivitäten im Ausland tätiger Unternehmen bedroht werden.239 Diese wiederum sind die hauptsächlichen Akteure bei der Pacht fremden Hoheitsgebiets (s. oben Teil 1 A.II.1.). Bei der Übertragung des für bürgerliche und politische Rechte entwickelten Schwellenkriteriums der wirksamen Kontrolle über ein Gebiet oder über Personen treten allerdings Schwierigkeiten auf. Es ist nämlich eine deutlich geringere hoheitliche Präsenz erforderlich, um wirtschaftliche Rechte von Personen auf fremdem Hoheitsgebiet zu beeinträchtigen, während selbst Staaten unter Verlust jeglichen wirtschaftlichen Einflusses noch den Zugang zu politischen und bürgerlichen Rechten steuern können.240 Eine Beeinträchtigung des Rechts auf Leben oder Freiheit und Sicherheit der Person erfordert 238 Skogly, Causality and Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 255, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 239 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 192 und Narula, International Financial Institutions, Transnational Corporations and Duties of States, S. 117 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 240 Narula, The Right to Food: Holding Global Actors Accountable Under International Law, Columbia Journal of Transnational Law Vol. 44/2005–2006, S. 691 (734): „By their very nature, social and economic rights are more easily violated under globalization’s deterioration of economic sovereignty. The same cannot be said of civil and political rights under globalization. Even states that yield some degree of economic control still retain a high level of sovereignty in the civil and political arena.“; Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Com-
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etwa eine unmittelbare Einwirkung eines Amtsträgers auf das sich im Ausland befindliche Individuum. Das Recht auf Nahrung kann indes bereits durch das Beeinflussen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen von eigenem Hoheitsgebiet aus verletzt werden. Die Forderung nach wirksamer Kontrolle über ein Gebiet oder eine Person zur Bindung des Staates an seine im Inland anwendbaren wirtschaftlichen und sozialen Pflichten erscheint in Anbetracht dessen fernliegend. Sie führte zu einem ungleich niedrigeren Schutz wirtschaftlicher Rechte durch extraterritoriales staatliches Handeln gegenüber bürgerlichen Rechten. Ein weiterer Anknüpfungspunkt für eine differenzierte Betrachtung ist die unterschiedliche Qualität der Pflichten nach dem Sozialpakt. Dieser verpflichtet an vielen Stellen zu positivem Handeln zum Schutz und zur Gewährleistung von Rechten (u. a. Art. 13–15 Sozialpakt). Positive Handlungspflichten kann der Staat nur durch pflichtwidriges Unterlassen verletzen. Das pflichtwidrige Unterlassen einer staatlichen Handlung stellt eine Person indessen regelmäßig nicht unter dessen Kontrolle oder Amtsgewalt.241 In der Menschenrechtspraxis finden sich zunächst Anhaltspunkte dafür, die zuvor entwickelten Maßstäbe extraterritorialer Anwendbarkeit auf den Sozialpakt zu übertragen. Der IGH bejahte eine extraterritoriale Anwendbarkeit des Sozialpaktes in dem Fall, dass ein Vertragsstaat auf dem Gebiet Hoheitsgewalt („territorial jurisdiction“) ausübt. Er stellte in seinem Gutachten zur Errichtung einer Mauer auf besetztem palästinensischen Gebiet vom 9. Juli 2004 zu den Pflichten Israels fest: „112. The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights contains no provision on its scope of application. This may be explicable by the fact that this Covenant guarantees rights which are essentially territorial. However, it is not to be excluded that it applies both to territories over which a State party has sovereignty and to those over which that State exercises territorial jurisdiction. […]“242
Im Hinblick auf die Anwendbarkeit der ebenfalls räumlich nicht ausdrücklich begrenzten Anti-Rassendiskriminierungsregeln (Committee on the Elimination of Racial Discrimination – CERD) hielt der IGH außerdem fest, dass Menschenrechtsverträge ohne räumliche Begrenzung grundsätzlich nicht auf munity sub-region, S. 144 (160), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012. 241 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 183, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 242 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 2004, S. 136, § 112.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
das Territorium der Vertragsstaaten beschränkt sind.243 Diesbezüglich forderte er kein Begrenzungskriterium im Sinne einer „jurisdiction“, „control“ oder „authority“: „Whereas the Court observes that there is no restriction of a general nature in CERD relating to its territorial application; […]; and whereas the Court consequently finds that these provisions of CERD generally appear to apply, like other provisions of instruments of that nature, to the actions of a State party when it acts beyond its territory; […].“244
Obwohl sich der IGH in seiner Rechtsprechung bisher nie isoliert mit der extraterritorialen Anwendbarkeit wirtschaftlicher und sozialer Rechte beschäftigt hat, kann aus dieser Entscheidung nicht abgeleitet werden, dass für bürgerliche und politische Rechte andere Maßstäbe gelten müssten.245 Damit stimmen auch die General Comments des Committee on Economic, Social and Cultural Rights, des UN-Gremiums zur Überwachung der Einhaltung des Sozialpaktes, weitgehend überein. Seine Stellungnahmen sind nicht verbindlich, stellen aber eine ausschlaggebende Interpretation des Sozialpaktes dar und können somit ein bestimmtes Auslegungsergebnis vorgeben.246 Nach dem Committee on Economic, Social and Cultural Rights sind die Mitgliedstaaten zur Sicherung des Rechts auf Nahrung für jede Person verpflichtet, die ihrer Hoheitsgewalt untersteht („everyone under its jurisdiction“).247 Er begründet die extraterritoriale Anwendbarkeit ebenfalls bei wirksamer Kontrolle der Vertragsparteien. Zur Anwendbarkeit des Sozial paktes auf palästinensischem Gebiet hielt er fest: „[…] the State party’s obli 243 S. sogleich; vgl. den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 189, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 244 Application of the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (Georgia v. Russian Federation), Provisional Measures, Order of 15 October 2008, I.C.J. Reports 2008, S. 353, § 109. 245 Skogly, Causality and Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 255, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 246 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (905); Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 118. 247 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 14: „Every State is obliged to ensure for everyone under its jurisdiction access to the minimum essential food which is sufficient, nutritionally adequate and safe, to ensure their freedom from hunger.“; Mechlem, Food, Right to, International Protection, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juni 2008, Rn. 22.
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gations under the Covenant apply to all territories and populations under its effective control.“248 In Fällen militärischer Besetzung hält das Committee on Economic, Social and Cultural Rights also eine wirksame Kontrolle des Besatzungsstaates für gegeben.249 Auch in der Literatur wird vielfach vertreten, die Regeln für die extraterritoriale Geltung anderer Menschenrechtsverträge ließen sich auf den Sozialpakt übertragen.250 Andere stimmen zu, die Interpretationsansätze für das Vorliegen von Hoheitsgewalt, d. h. wirksame Kontrolle über Gebiet, Person oder Sache, könnten übertragen werden, der räumliche Anwendungsbereich des Sozialpaktes sei gleichwohl nicht in demselben Umfang beschränkt wie die vorgenannten Verträge. Er sei vielmehr in seinem räumlichen Anwendungsbereich unbeschränkt.251 Vielfach wird im Hinblick auf einzelne Pflichten des Sozialpaktes differenziert. Für das in der vorliegenden Untersuchung besonders relevante Recht auf Nahrung wird eine uneingeschränkte extraterritoriale Anwendbarkeit als Ausnahmefall auch bei differenzierter Betrachtung bejaht. Der frühere UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung Ziegler war der Auffassung, Regierungen hätten auch „extranational obligations“, das Recht auf Nahrung zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.252 Das schließe die Pflicht ein, extraterritorial Verletzungshandlungen durch „seine“ Unternehmen zu verhindern. Sein Nachfolger De Schutter fordert außerdem die Unterstützung von Entwicklungsländern im Rahmen der Entwicklungskooperation.253 Teilweise wird es sogar als völkergewohn-
248 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Concluding Observations Israel, UN Doc. E/C.12/1/Add.90 vom 26. Juni 2003, § 31. 249 Langford/Coomans/Gómez Isa, Extraterritorial Duties in International Law, S. 101, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 250 Wenzel, Human Rights, Treaties, Extraterritorial Application and Effects, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Mai 2008, Rn. 2; von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 22; unter Berufung auf Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Concluding Observations Israel, UN Doc. E/C.12/1/Add.90 vom 26. Juni 2003, § 31 u. a. 251 Zum Ganzen Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 122 ff. 252 United Nations General Assembly, Fifty-seventh session, Item 111 (b) of the provisional agenda – The right to food, Note by the Secretary-General, UN Doc. A/ 57/356, 27. August 2002, § 15. 253 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Rapporteur on the right to food, Olivier De Schutter – Mission to the World Trade Organization (Addendum), UN Doc. A/HRC/10/5, § 28.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
heitsrechtliche Pflicht erachtet, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte außerhalb des eigenen Territoriums zu achten.254 b) Ansatz der Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten Nach den Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte erstreckt sich deren räumlicher Anwendungsbereich zunächst auf Situationen, in denen Staaten Amtsgewalt oder wirksame Kontrolle ausüben.255 Ihr Anwendungsbereich soll jedoch noch darüber hinausgehen. Die Maastrichter Prinzipien wurden im Jahr 2011 vom Konsortium für extraterritoriale Verpflichtungen (ETO-Konsortium), bestehend aus Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlern, erarbeitet. Sie erheben den Anspruch, den gegenwärtigen Stand des Völkerrechts zusammenfassen und orientieren sich dabei eng an den General Comments des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (United Nations Economic and Social Council – ECOSOC). Der „Scope of Jurisdiction“ der Prinzipien wird unter Punkt 9 wie folgt definiert: „A State has obligations to respect, protect and fulfil economic, social and cultural rights in any of the following: a) situations over which it exercises authority or effective control, whether or not such control is exercised in accordance with international law; b) situations over which State acts or omissions bring about foreseeable effects on the enjoyment of economic, social and cultural rights, whether within or outside its territory; c) situations in which the State, acting separately or jointly, whether through its executive, legislative or judicial branches, is in a position to exercise decisive influence or to take measures to realize economic, social and cultural rights extraterritorially, in accordance with international law.“
Über die anerkannten Maßstäbe von Amtsgewalt und wirksamer Kontrolle hinaus sollen extraterritoriale Pflichten also auch bei vorhersehbaren Auswirkungen („foreseeable effects“) staatlichen Handelns oder Unterlassens sowie bei entscheidendem Einfluss („decisive influence“) bestehen. Nicht eindeutig 254 Langford/Coomans/Gómez Isa, Extraterritorial Duties in International Law, S. 73, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 255 Maastricht Principles on Extraterritorial Obligations of States in the Area of Economic, Social and Cultural Rights, Nr. 9 lit. a; abrufbar unter: http://www. etoconsortium.org/nc/en/main-navigation/library/maastricht-principles/?tx_drblob_ pi1 %5BdownloadUid %5D=23 (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
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festgelegt wird, worauf sich dieser Einfluss beziehen muss. Der sog. decisiveinfluence-Test wird auch zur Begründung extraterritorialer Schutzpflichten herangezogen (s. unten Teil 2 C.IV.2.b)) – der Wortlaut von Punkt 9 lit. c der Maastrichter Prinzipien bezieht sich jedoch nicht auf unternehmerisches, sondern eigenständiges staatliches Verhalten. Die Maastrichter Prinzipien verfolgen einen umfassenden Schutzgedanken und versuchen, den Anwendungsbereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auf alle Situationen zu erstrecken, die sich mit völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkten belegen lassen. Ob dies tatsächlich eine Wiedergabe allgemein anerkannter Rechtsgrundsätze darstellt, ist zweifelhaft. Vielmehr lässt sich die genannte Erweiterung des Anwendungsbereichs nicht mit der Kooperationspflicht aus Art. 2 Abs. 1 Sozialpakt oder entsprechender Menschenrechtspraxis belegen; darüber hinaus stünde einer völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung entgegen, dass sie keine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Überzeugung widerspiegelt. 3. Schlussfolgerungen und Zwischenergebnis zum effective-control-Maßstab Bei der Frage nach der menschenrechtlichen Verantwortlichkeit kommt es der Sache nach auf das Verhältnis eines Staates zu den Individuen als Rechtsträgern und nicht auf dasjenige zu einem Gebiet an. Nichtsdestotrotz kann das Rechtsverhältnis zu einem Gebiet maßgeblich für die Bindung an menschenrechtliche Pflichten sein. Vielfach wird eine Abkehr der Menschenrechtspraxis vom effective-control-Test beobachtet und es werden abweichende Ansätze zur Begründung staatlicher Hoheitsgewalt herangezogen.256 Tatsächlich handelt es sich dabei weiterhin um das vorherrschende Merkmal zur Bestimmung von Hoheitsgewalt. Es unterliegt jedoch wie jedes in der Rechtsprechung entwickelte Merkmal stetiger Entwicklung und Veränderung. Hoheitsgewalt ist außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsstaaten immer anhand der Umstände des Einzelfalls und gegebenenfalls nach faktischen Kriterien zu beurteilen.257 Der EGMR nahm diese Umstände an, wenn ein 256 Scheinin, Just Another Word? Jurisdiction in the Roadmaps of State Responsibility and Human Rights, S. 213, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (326 f.). 257 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 182, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice,
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Vertragsstaat entweder wirksame Kontrolle über ein Gebiet ausübt oder sich eine Person in der physischen Amtsgewalt und Kontrolle eines Amtsträgers befindet. Kennzeichnend für die wirksame Gebietskontrolle ist, dass der Vertragsstaat solche öffentlichen Befugnisse („public powers“) der vollziehenden oder rechtsprechenden Gewalt ausübt, die üblicherweise vom Verpächterstaat ausgeübt werden.258 Das ist der Fall, wenn er die Herrschaft über die den eigenen Behörden oder Sicherheitskräften untergeordnete lokale Verwaltung des Verpächterstaates ausübt. Erstreckt sich die Kontrolle auf eine gesamte Region und nicht nur die handelnde Behörde im Einzelnen („effective overall control“), sinken die Anforderungen an den Kontrollnachweis dieser handelnden Behörde. Zur Bestimmung des Einflusses auf die Ausübung öffentlicher Befugnisse können auch wirtschaftliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Als Voraussetzung wirksamer Gebietskontrolle ist nach einer Gesamtschau der Rechtsprechung außerdem festzuhalten, dass das staatliche Verhalten auf fremdem Staatsgebiet selbst zu erfolgen hat, der Staat also physisch präsent sein muss. Die staatliche Kontrolle muss außerdem ein bestimmtes Maß erreichen, das allerdings nicht demjenigen des Verpächterstaates über sein eigenes Territorium in Friedenszeiten entspricht. Die staatliche Kontrolle kann durch eine de-facto-Regierung begründet sein, teilweise auch durch die kurzzeitige und beschränkte Ausübung öffentlicher Befugnisse.259 Sie muss also keineswegs immer aus einer Besatzungssituation herrühren.260 Folgte man nur dem gebietsbezogenen Ansatz, wären Staaten nicht mehr pflichtgebunden, wenn sie auf einem Gebiet handeln, über welches sie keine wirksame Kontrolle ausüben. Dieser Schutzlücke kann zunächst dadurch begegnet werden, dass man den gebietsbezogenen Ansatz auf kleinere geographische Einheiten herunterbricht, bis hin zur Kontrolle etwa über Plätze oder Gebäude.261 Soweit der gebietsbezogene Ansatz keine Lösung mehr bereithält, kann daher auf den personalbezogenen Ansatz, d. h. die HoheitsState Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 66. 258 Talmon, Der Begriff der „Hoheitsgewalt“ in Zeiten der Überwachung des Internet- und Telekommunikationsverkehrs durch ausländische Nachrichtendienste, Juristenzeitung 2014, S. 783 (784). 259 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 141. 260 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (327). 261 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 171.
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gewalt kraft Kontrolle und Amtsgewalt über Personen zurückgegriffen werden.262 In der Rechtsprechung wurde Hoheitsgewalt schließlich sowohl aus der rechtlichen als auch aus der faktischen Zuordnung einer Person zu einem Staat hergeleitet.263 Damit wird keine qualitative Abstufung zwischen dem gebiets- und personenbezogenen Ansatz vorgenommen, sondern lediglich die Praktikabilität ihrer Anwendung auf Pachtverhältnisse zugeschnitten. Die Erforderlichkeit eines gebietsbezogenen Ansatzes – abgesehen von seinen außerhalb des Besatzungsrechts wenig konturierten Voraussetzungen – erscheint aber fraglich, wenn in jedem Fall auf den personalbezogenen Ansatz rekurriert werden kann. So wird vereinzelt allein die faktische Möglichkeit, extraterritorial Amtsgewalt oder Kontrolle über Personen auszuüben, zur Begründung von Hoheitsgewalt herangezogen.264 Allerdings greift der gebietsbezogene Ansatz in bestimmten Situationen weiter als der personalbezogene und schließt dadurch eine Schutzlücke. So greift er auch dann, wenn keine Handlung eines Amtsträgers („state agent“) vorliegt oder im Laufe einer Rechtsverletzung keine physische Kontrolle über ein Individuum begründet wird. Zwar trifft den Staat auch bei personenbezogener Hoheitsgewalt die Pflicht zur Verhinderung von Übergriffen Dritter auf das Individuum, etwa auf eine festgenommene Person.265 Der gebietsbezogene Ansatz ermöglicht es aber, die staatliche Verantwortlichkeit für Übergriffe gegen eine Vielzahl potenziell Betroffener zu begründen. Zudem sind die durch ausländische Pächter besonders bedrohten Rechte wirtschaftlicher Natur. Die Bedrohungslage ergibt sich nicht aus der physischen Kontrolle über einzelne, sondern aus der Nutzung des Gebiets. Letztlich liegt der Untersuchung der Verantwortlichkeit im Rahmen extraterritorialer Pachtverhältnisse die Frage zugrunde, ob sich Staaten durch das Auslagern der Produktion auch ihrer Pflichten entledigen können, also ein double standard für intra- und extraterritoriales Handeln besteht. Lässt man die dargestellten Unwägbarkeiten außer Betracht, verneint der EGMR diese Frage deutlich in Issa:266 262 Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 262. 263 Rechtliche Zuordnung bei Human Rights Committee, Lichtensztejn v. Uruguay, Communication No. 77/1980, UN Doc. CCPR/C/18/D/77/1980, 31. März 1983, § 6.1 und faktische Zuordnung bei Al-Skeini and others v. The United Kingdom App no 55721/07 (ECHR, 7 July 2011), § 136 m. w. N.; dazu King, The Extraterritorial Human Rights Obligations of States, Human Rights Law Review 9/2009, S. 521 (526). 264 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 369. 265 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 208. 266 Issa and Others v. Turkey App no 31821/96 (ECHR, 16 November 2004), § 71; Skogly, Causality and Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 243, in: Lang-
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„Accountability in such situations stems from the fact that Article 1 of the Convention cannot be interpreted so as to allow a State party to perpetrate violations of the Convention on the territory of another State, which it could not perpetrate on its own territory […].“
Der gesamten Rechtsprechung zu Art. 1 EMRK ist von dem Gedanken der Effektivität des Menschenrechtsschutzes getragen und dient der Verhinderung von Umgehungen. Jede dogmatische Einordnung des JurisdictionSchwellenkriteriums wird sich daher im Einzelfall an Situationen anpassen, die vor dem Hintergrund von object and purpose der EMRK ihre Anwendbarkeit erfordert. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass neben der Ausübung staatlicher Gewalt über Personen die wirksame Gebietskon trolle das entscheidende Kriterium zur Bestimmung des Anwendungsbereichs menschenrechtlicher Verpflichtungen ist. Diese erfordert die Ausübung effektiver Staatsgewalt, die „nicht bloß punktueller, temporärer oder akzidentieller Natur“ sein darf.267 Wie sich dieser Maßstab auf die untersuchten Pachtverhältnisse übertragen lässt, wird im Folgenden erörtert.
III. Wirksame Gebietskontrolle im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets Im Rahmen der um die Wende des 19. Jahrhunderts geschlossenen, historischen Pachtverträge wurde die Gebietshoheit regelmäßig umfassend auf den pachtenden Staat übertragen. Zugleich wurde im Regelfall angenommen, dass der pachtende Staat den Personen im Pachtgebiet denselben fremdenund menschenrechtlichen Schutz garantiert wie den Personen in seinem eigenen Hoheitsgebiet.268 Dies lässt sich heute nicht mehr pauschal feststellen. Die auf einem Pachtgebiet befindlichen Personen unterstehen der Hoheitsgewalt des Herkunftsstaates jedenfalls bei (physischer) Amtsgewalt und Kon trolle durch einen Amtsträger oder wirksamer Gebietskontrolle. Der Maßstab für das Vorliegen wirksamer Gebietskontrolle wird daher auf die Rolle des Pächters auf dem Pachtgebiet angewendet. Sollte im Einzelfall ein Amtsträger auf Seiten des Pächters durch Festnahme oder sonstige physische Gewalt die Kontrolle über ein Individuum begründen, kann eine extraterritoriale Anwendbarkeit – stattdessen oder zusätzlich – aus dem personalbezogenen Ansatz begründet werden.
ford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 267 Kau, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 252a. 268 Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, 2. Aufl. 2012, Kap. 4 Rn. 23.
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Die wirksame Gebietskontrolle folgt unter Zugrundelegung der entsprechenden Menschenrechtspraxis grundsätzlich aus einem Rechtsverhältnis (dazu 1.) oder faktischen Erwägungen (dazu 2.). 1. Wirksame Gebietskontrolle aus dem Rechtsverhältnis Wie in der in Banković zur Hoheitsgewalt angewandten Formel kann wirksame Kontrolle durch „consent, invitation or acquiescence of the Government of that territory“ begründet werden.269 Offen blieb in dem Zusammenhang sowohl die Frage, ob die Zustimmung, Einladung oder das Einverständnis in Gestalt eines Rechtsverhältnisses wie der Pacht erfolgen sollte, sowie die Frage, ob darin eine konkrete Abrede über die Ausübung von Hoheitsgewalt getroffen werden musste. Der Entwicklung dieser Maßstäbe lagen primär militärische Auseinandersetzungen und keine Gebietsnutzungsvereinbarungen zugrunde. An den Zulassungsakt des Verpächterstaates sind daher in formeller Hinsicht keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Vielmehr dürfte der EGMR diesbezüglich etwa Regierungserklärungen im Blick gehabt haben, die einen bestimmten Einsatz zulassen, die damit verbundene Reichweite territorialer Kontrolle jedoch noch nicht konkretisieren können. In Teil 1 C.II wurde bereits festgestellt, dass sich aus den untersuchten Pachtverträgen selbst in der Regel keine Übertragung umfassender Hoheitsrechte oder der Gebietshoheit entnehmen lässt. Auch eine wirksame Gebietskontrolle kann allein durch die vertraglichen Befugnisse nicht angenommen werden. Die Übertragung von Gebietsnutzungsrechten reicht dafür nicht aus. Soweit Sicherheitsbefugnisse übertragen werden, reichen diese ebenfalls nur unter engen Voraussetzungen aus, um eine solche Kontrolle zu begründen. Entscheidendes Kriterium ist der fortbestehende Einfluss des Verpächterstaates. Diese Voraussetzungen dürften z. B. in dem Abkommen vom 28. März 1994 zwischen Russland und Kasachstan über den Weltraumbahnhof Baikonur erfüllt sein.270 Die darin übertragenen Sicherheitsbefugnisse weisen einen Umfang auf, der mit einer Besatzungssituation vergleichbar ist. Das russische Militär ist danach „Chief-of-Staff in Charge“ und führt seine Aktivitäten nach russischem Recht und den russischen Truppenstatuten aus. Es soll da-
269 Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 71. 270 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994; nicht offizielle Übersetzung von Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Ka zakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
mit die Sicherheit auf dem gesamten Gelände erhalten.271 Ist der Pächter bei der Ausübung von Sicherheitsbefugnissen hingegen von Weisungen des Verpächterstaates abhängig oder unterliegt dessen Kontrolle, ist die wirksame Gebietskontrolle zu verneinen. Stellt man also zur Beurteilung der Gebietskontrolle allein auf das Rechtsverhältnis des Pächters zu dem Gebiet ab, ist das Ergebnis negativ. Hoheitsgewalt wird danach lediglich in einem Umfang ausgeübt, der den anerkannten Maßstab nicht erfüllt, nämlich bloß punktuell, temporär oder akzidentiell. 2. Wirksame Gebietskontrolle aus faktischen Erwägungen Der Übergang der wirksamen Gebietskontrolle kann sich jedoch aus den faktischen Auswirkungen der Vertragsausführung ergeben. Die übersetzte Begrifflichkeit der „wirksamen“ Gebietskontrolle erfordert also trotz des teilweise angelegten legitimatorischen Verständnisses des EGMR keine gültige Rechtsgrundlage. Die „Wirksamkeit“ bzw. Effektivität bezieht sich vielmehr auf die Art und den Umfang der Gebietskontrolle. Die aus faktischer Kontrolle über ein Gebiet hervorgehende staatliche Hoheitsgewalt kann sich auch auf ein fremdes, von einem Staat gepachtetes Territorium beziehen.272 Die Übertragung des Maßstabs der wirksamen Gebietskontrolle begegnet allerdings Schwierigkeiten. Zunächst müsste der Pächter alle bzw. einzelne öffentliche Befugnisse („public powers“) der vollziehenden oder rechtsprechenden Gewalt ausüben, die normalerweise vom Verpächterstaat ausgeübt werden.273 Außerdem müsste die Ausübung dieser Befugnisse auch in quantitativer Hinsicht zu einer Kontrolle eines bestimmten Gebietes führen, sich also auf das gesamte Gebiet und sämtliche darin befindliche Personen und Sachverhalte beziehen. Die Anforderungen daran leitete die Rechtsprechung hauptsächlich aus der Aufarbeitung von Besatzungssituationen her. Eine strukturelle Vergleichbarkeit der Pacht mit einer Besetzung erfordert indes eine Kontrollintensität, wie sie eher im Rahmen historischer Pachtverträge gegeben war.
271 Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994, Art. 4.5; vgl. Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 13 ff. 272 King, The Extraterritorial Human Rights Obligations of States, Human Rights Law Review 9/2009, S. 521 (539 f.). 273 Talmon, Der Begriff der „Hoheitsgewalt“ in Zeiten der Überwachung des Internet- und Telekommunikationsverkehrs durch ausländische Nachrichtendienste, Juristenzeitung 2014, S. 783 (784).
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete191
Der faktische Ansatz verringert zunächst die Umgehungsgefahr durch formalisierte Haftungsausschlüsse durch den Herkunftsstaat. Dieser kann das Vertragsverhältnis nicht einseitig so ausgestalten, dass er keine Hoheitsgewalt ausübt, obwohl er das Pachtgebiet tatsächlich effektiv kontrolliert. Staaten können ihr Verhältnis zu dem Pachtgebiet nach nationalem Recht so ausgestalten, dass sie dort nicht alle Hoheitsrechte ausüben und dadurch auch die Reichweite ihrer internationalen Verpflichtungen selbst bestimmen.274 Dass solche nationalen Ausschlussklauseln völkerrechtlich irrelevant bleiben, gewährleistet der faktische Ansatz, der sich sowohl aus der Art sowie dem Umfang staatlicher Präsenz speist. Vorausgeschickt sei, dass sich die Prüfung wirksamer Gebietskontrolle auf das einem Staat zurechenbare Verhalten bezieht. Sofern also die in Teil 2 A. dargestellten Anforderungen an die Zurechnung des Verhaltens Privater erfüllt sind und der möglicherweise verpflichtete Staat demnach „selbst“ (in Gestalt seiner de-jure- oder de-facto-Organe sowie angeleiteter und kontrollierter Dritter) Pächter ist, übt er unter den folgenden Voraussetzungen aufgrund der Art (dazu a) oder des Umfangs der staatlichen Präsenz (dazu b) die wirksame Gebietskontrolle aus. a) Die Art der staatlichen Präsenz – Ausübung der „public powers“ des Verpächterstaates Der Verpächterstaat betraut Unternehmen oder Staaten auf Pächterseite nur ganz ausnahmsweise vertraglich mit der Ausübung öffentlicher Befugnisse (s. Teil 1 C.II.2. und 3.). Ebenso selten wird davon tatsächlich Gebrauch gemacht. Die Aktivitäten des Pächters konzentrieren sich vielmehr auf die Umsetzung des Vertragszwecks. Da in den untersuchten Vertragsgestaltungen typischerweise nichtstaatliche Organe mit der Durchführung der Verträge betraut sind, sind die Aktivitäten zudem nicht schon in formeller Sicht als hoheitlich anzusehen. Dennoch lassen sie sich ihrer Qualität nach teilweise als eine Ausübung von „public powers“ einordnen. Konkrete Ansatzpunkte hierfür sind die physische Präsenz von Amtsträgern einschließlich der Stationierung von Militär und anderen Sicherheitskräften, die militärische, wirtschaftliche oder politische Unterstützung der Aktivitäten im Rahmen der Pacht, der lenkende Einfluss auf die lokale Verwaltung und übergeordnete Machtstrukturen, der Erhalt von behördlichen Strukturen des Verpächterstaates allein infolge der Beteiligung, Unterstützung oder Kontrolle des Pächters, die Regulierung bestimmter, über anlagenbezo274 Strauss, Guantánamo Bay and the Evolution of International Leases and Servitudes, New York City Law Revue Vol. 10 2006–2007, S. 479 (499).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
gene Nutzungsbedingungen hinausgehender Sachverhalte sowie die besatzungsähnliche Gesamtkontrolle des öffentlichen Raumes. Eine Verdrängung der Gebietshoheit des Verpächterstaates lässt sich nur an wenigen Beispielen veranschaulichen, etwa durch die Verlagerung der laotischen Zollgrenze hinter das Pachtgebiet von Boten Golden City. Die Kontrolle der Ein- und Ausfuhr von Waren wird dadurch faktisch dem chinesischen Pächter überlassen (s. oben Teil 1 C.II.2.). Solche Umstände bilden qualitative Kriterien zur Bestimmung wirksamer Gebietskontrolle. In der Gesamtschau übernimmt der Pächter jedoch typischerweise keine Hoheitsrechte des Verpächterstaates, sondern reguliert und überwacht die Nutzung des Pachtgebietes und schafft damit erst einen Raum für die – erstmalige – Ausübung von Hoheitsrechten. Er übernimmt also von dem Verpächterstaat nicht etwa das Passwesen oder die Regulierung und Durchsetzbarkeit politischer Rechte; vielmehr konzentrieren sich die Hoheitsaufgaben darauf, was zur Zweckerreichung des Pachtverhältnisses erforderlich ist, wie die Zugangsregulierung, Nutzungsvorschriften und die Gewährleistung von Sicherheit. Diese Aufgaben sind bei einer Betrachtung ihrer Art nach nicht notwendigerweise hoheitlich, sondern ließen sich auch als Ausübung des „Hausrechts“ einordnen. Erst ihr Umfang und die Allgemeingültigkeit charakterisieren sie als faktisch ausgeübte wirksame Gebietskontrolle. b) Der Umfang der staatlichen Präsenz – vollumfängliche Kontrolle aufgrund tatsächlicher Gebietsherrschaft Während die Untersuchung der Art der staatlichen Präsenz darüber Auskunft gibt, ob die typischerweise vom Verpächterstaat ausgeübten „public powers“ nunmehr vom Pächter übernommen werden, betrifft der Umfang staatlicher Präsenz sonstige, typischerweise als hoheitlich eingestufte Befugnisse. Die für eine wirksame Gebietskontrolle erforderliche faktische Ausübung hoheitlicher Befugnisse muss sich auf das gesamte Pachtgebiet erstrecken und sämtliche darin befindlichen Personen und Sachverhalte betreffen. Es kommt also auf eine Gesamtbetrachtung der Gebietsverwaltung oder -herrschaft und Einflussmöglichkeiten durch den Pächter an. Die Anforderungen daran hängen grundsätzlich von regionalen Besonderheiten ab, welche die Effektivität von Hoheitsgewalt beeinflussen. Dazu zählen die Bevölkerungsdichte und -struktur, ihre Verteilung in Ballungszentren oder länd lichen Regionen, die Infrastruktur einschließlich von Kommunikationswegen sowie topographische Begebenheiten. Wirksame Gebietskontrolle infolge der umfassenden Gebietsverwaltung übt der Pächter am ehesten über solche Gebiete aus, auf denen der Verpäch terstaat zuvor kaum „präsent“ war. Dies betrifft die Erschließung des Gebiets
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete193
durch Infrastruktur und Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge, die Regulierung der Bodennutzung etwa in Form von Umweltschutzvorgaben, die Regional- oder Bauleitplanung, die Durchsetzung behördlicher Vorgaben insgesamt sowie die physische Präsenz jeglicher Vollzugspersonen oder behördlicher Anlaufstellen. Der Begriff von Staatlichkeit wird durch diese abgestufte Effektivitätsbetrachtung nicht relativiert; es handelt sich also auch bei einem Fehlen staatlicher Präsenz unverändert um souveränes Staatsgebiet. Politische und bürgerliche Rechte wie das Passwesen verbleiben unverändert beim Herkunftsstaat und die gesamte Rechtsordnung erstreckt sich hierauf uneingeschränkt. Jedoch variiert die Eintrittsschwelle für einen fremden Staat im Hinblick auf die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ganz erheblich. Es wird daher angenommen, dass die wirksame Gebietskontrolle über Teile von Verpächterstaaten mit schwachen und regional unterschiedlich ausgeprägten Verwaltungsstrukturen geringeren Anforderungen unterliegt.275 Die zeitlich vor Vertragsschluss gelegenen staatlichen Strukturen sind für die Beurteilung wirksamer Gebietskontrolle also von großer Bedeutung. Die Gebietskontrolle bestimmt sich daher zumindest indiziell im Wege eines Vergleichs zwischen der Lage vor und nach der Übernahme durch den Pächter. Doch auch hierfür bedarf es konkreter Anknüpfungspunkte. Staatliche Strukturen werden auf dem Pachtgebiet häufig nicht abgelöst, sondern erstmalig geschaffen; sie sind zwar regelmäßig weitreichend, jedoch nicht umfassend. Allein durch die erstmalige Erschließung einer Region in wirtschaftlicher Hinsicht infolge der Errichtung, Bereitstellung und Verwaltung von verkehrs-, ressourcen- und energiespezifischer Infrastruktur erfolgt keine Übernahme umfassender hoheitlicher Kontrollbefugnisse. Gleiches gilt für die erstmalige Errichtung, Bereitstellung und Verwaltung medizinischer Versorgung sowie von Bildungseinrichtungen auf einem bestimmten Gebiet. Erforderlich ist vielmehr eine tatsächliche und allgemeinverbindliche Regulierung des Zugangs zu diesen Strukturen. Dies kann nur angenommen werden, wenn der Pächter etwa bestimmt, wer ein Gewerbe betreiben darf, welche Währung gilt, welche Uhrzeit gilt und welche Waren in das Gebiet gelangen. Die laotische Boten Golden City etwa erfüllte diese Kriterien; gleiches gilt zumindest für Teile der Anlage Baikonur (s. oben Teil 1 C.II.2.). Im Ergebnis erfüllen die Aktivitäten eines Pächters dann die Anforderungen an eine wirksame Gebietskontrolle, wenn er für alle Personen und Sach275 Ähnlich Dwyer, Building the Politics Machine: Tools for ‚Resolving‘ the Global Land Grab, S. 309 (313), in: Wolford/Borras Jr./Hall/Scoones/White, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Development and Change Vol. 44 (2), März 2013; am Beispiel von Laos, welches nur eine fragmentierte effektive oder de-facto-Souveränität über sein Hoheitsgebiet ausübe.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
verhalte auf dem Pachtgebiet vorgeben kann, wer wann unter welchen Voraussetzungen welche Rechte ausüben kann, welche wirtschaftlichen Aktivitäten durchführen kann, welche Leistungen erhält oder welche Verbote zu beachten hat. Dabei ist eine Gesamtschau vorzunehmen; ist jedoch die Kontrolle hinsichtlich nur einer dieser Faktoren besonders intensiv ausgeprägt, kann dies ebenfalls eine wirksame Gebietskontrolle begründen. Hinzu kommt die umfassende Befugnis des Pächters zur Bodennutzung, der Ressourcenkon trolle durch Wassernutzungsrechte und der Übernahme der gesamten Daseinsvorsorge (Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser) sowie die Zugangsregulierung, Nutzungsvorschriften und Sicherheitsvorgaben.276 Während die Kontrolle in Besatzungssituationen aus militärischem Zwang und der Ablösung des Gewaltmonopols des Territorialstaates folgt, kann in Pachtsituationen also die alleinige tatsächliche Entscheidungsbefugnis des Pächters über die Ausgestaltung des Gemeinwesens auf dem Pachtgebiet ausreichen. Der auf den Umfang staatlicher Präsenz bezogene Ansatz beinhaltet mithin unweigerlich eine wertende Betrachtung und lässt sich schwer an „harten“ Kriterien festmachen. Die für Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Pacht deutlich relevanteren wirtschaftlichen und sozialen Rechte (s. Teil 2 C.II.2.) sind im Hinblick auf die extraterritoriale Anwendbarkeit zudem anders zu beurteilen, als die politischen und bürgerlichen Rechte. Als Grund dafür wird angeführt, dass die Verletzung dieser Rechte ein geringeres Maß an staatlicher Einflussnahme auf fremdem Staatsgebiet erfordere als die unmittelbare physische Kontrolle eines Individuums oder die wirksame Kontrolle eines Gebietes.277 Die für die Besetzung und militärische Kontrolle entwickelten Kriterien sind für wirtschaftliche und soziale Rechte in der Tat zu eng. Die Übertragung des effective-control-Maßstabs auf die Kontrolle einer landwirtschaftlichen Fläche im Rahmen der Pacht wurde lediglich im Hinblick auf das Recht auf Nahrung begutachtet. Laut Narula sind bei einer wirtschaftlich begründeten Kontrolle über das Pachtgebiet in erster Linie die wirtschaftlichen Rechte des Sozialpaktes zu beachten.278 Ein Staat behalte nämlich auch bei einem hohen 276 Zur effektiven Kontrolle der Ressourcennutzung Hardin, Concessionary Politics in the Western Congo Basin: History and Culture in Forest Use, World Resources Institute – Working Paper Series: Environmental Governance in Africa, November 2002, S. 21. 277 Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Introduction – An Emerging Field, S. 9, in: dies., Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 278 Zum Recht auf Nahrung Narula, The Right to Food: Holding Global Actors Accountable Under International Law, Columbia Journal of Transnational Law Vol. 44/2005–2006, S. 691 (734): „Though international human rights jurisprudence tells us that a state can exercise ‚effective control‘ in situations of occupation or
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete195
Verlust wirtschaftlicher Kontrolle über sein Hoheitsgebiet ein hohes Maß an Hoheitsgewalt im Hinblick auf zivile und politische Rechte bei. Bei einer „Aushöhlung bzw. Erweiterung der wirtschaftlichen Hoheitsgewalt“ sprächen gute Argumente für die extraterritoriale Anwendbarkeit des Sozialpaktes: „For the effective control doctrine to be useful in this regard, it would have to include those situations in which states exercise effective economic control over economic policies or markets outside their territories. […] One could therefore argue that the jurisdictional scope of the ICESCR should be adapted to reflect erosions and expansions of economic jurisdiction.“279
Unter Bezugnahme darauf lehnen Gilbert und Keane die Übertragbarkeit des effective-control-Maßstabs auf eine wirksame wirtschaftliche Kontrolle („effective economic control“) durch Landpachtverträge grundsätzlich ab. Eine solche Auslegung dieses Maßstabs würde die Kontrolle im Rahmen von Pachtverhältnissen mit einer de-facto-Kolonialisierung gleichsetzen, wie sie nur infolge einer Besetzung angenommen werden könnte.280 Dieser Ansatz stoße zudem auf zu großen politischen Widerstand, um völkerrechtlich anerkannt zu werden. Im Ergebnis sprechen gute Argumente dafür, die Anforderungen an den effective-control-Maßstab für wirtschaftliche und soziale Rechte herabzusenken. Abgesehen von sozialen Erwägungen und dem Gedanken der Effektivität des Menschenrechtsschutzes fehlen hierfür jedoch belastbare dogmatische Anknüpfungspunkte. Die häufig herangezogene Kooperationspflicht aus Art. 2 Abs. 1 Sozialpakt trifft dazu keine Aussage. Auch lässt sich dieser Ansatz bislang nicht mit entsprechender Menschenrechtspraxis belegen. Im Rahmen der zuvor dargestellten Gesamtbetrachtung kommt es jedoch unweigerlich zu einer starken Berücksichtigung der wirtschaftlich begründeten Kontrolle des Pächters, der dadurch ganz maßgeblich über die Ausgestaltung des Gemeinwesens entscheidet.
armed conflict, the majority of extraterritorial violations of the right to food under globalization are committed outside these limited scenarios.“ 279 Narula, The Right to Food: Holding Global Actors Accountable Under International Law, Columbia Journal of Transnational Law Vol. 44/2005–2006, S. 691 (734). 280 Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144 (160), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012: „Effective control does not extend to effective economic control, even in the case of economic acquisition of land. To admit as much would be to recognise that this is indeed a situation of de facto colonisation akin to occupation, with obvious political difficulties.“; zustimmend dagegen Hauter, The Limits of International Human Rights Law and the Role of Food Sovereignty in Protecting People from Further Trade Liberalization under the Doha Round Negotiations, Vanderbilt Journal of Transnational Law, Vol. 40/2007, S. 1071 (1094, Fn. 187).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
IV. Die extraterritoriale Anwendbarkeit menschenrechtlicher Schutzpflichten Die vorherigen Ausführungen betrafen die Frage, inwieweit ein Pächterstaat zur Achtung insbesondere von Menschenrechten im Rahmen seiner Handlungen auf dem Pachtgebiet verpflichtet ist. Wird der Pachtvertrag durch Private umgesetzt, deren Verhalten dem Herkunftsstaat nicht zurechenbar ist, kann er selbst keine wirksame Gebietskontrolle ausüben. Es stellt sich daher die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen er dazu verpflichtet ist, private Dritte an der Verletzung von Menschenrechten auf fremdem Hoheitsgebiet zu hindern. Menschenrechtliche Schutzpflichten verlangen positive staatliche Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsbeeinträchtigungen durch Dritte, d. h. das Verhalten staatlich nicht zurechenbarer Akteure. Eine Schutzpflichtverletzung liegt daher in dem Unterlassen erforderlicher Maßnahmen.281 Die Verantwortlichkeit im Rahmen von Pachtverhältnissen setzt voraus, dass eine Pflicht zum Schutz vor Übergriffen Dritter auf fremdem Hoheitsgebiet besteht, die Schutzpflicht also auf fremdem Territorium – extraterritorial – anwendbar ist. In Anknüpfung an die für extraterritoriale Achtungspflichten geltenden Maßstäbe wäre zunächst eine wirksame Kontrolle des Staates über ein fremdes Hoheitsgebiet erforderlich, auf welchem dem Staat nicht zurechenbare Übergriffe Dritter erfolgten (dazu 1.). In den untersuchten Pachtverträgen kontrolliert jedoch häufig nicht der Staat das Pachtgebiet, sondern ein privates Unternehmen. Es stellt sich daher die Frage, wie sich eine staatliche Pflicht zum Schutz vor Übergriffen Dritter auf einem Gebiet dogmatisch begründen lässt, welches der Staat gerade nicht selbst kontrolliert (dazu 2.).282 In der wissenschaftlichen Diskussion um die Existenz extraterritorialer Schutzpflichten wird in der Regel nur die letztere Konstellation darunter verstanden, da der Anwendungsbereich für den ersten Fall deutlich kleiner ist. In jedem Fall sind bei der Wahrnehmung extraterritorialer Schutzpflichten Handlungsgrenzen zu beachten, die sich aus der Souveränität des Verpächterstaates ergeben können (dazu 3.).
281 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (326). 282 Zur Unterscheidung vgl. Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 186.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete197
1. Schutzpflichten für Übergriffe Dritter auf vom Herkunftsstaat kontrolliertem fremden Hoheitsgebiet a) Bürgerliche und politische Rechte Die Menschenrechtsverträge verpflichten die Vertragsstaaten nicht nur zur Achtung, sondern auch zum Schutz und zur Gewährleistung der darin verbrieften Rechte (sog. Pflichtentrias).283 Das lässt sich Art. 1 EMRK („secure to everyone […] the rights and freedoms defined in Section I of this Convention“) und Art. 2 Abs. 1 Zivilpakt („to respect and ensure […] the rights rec ognized in the present Covenant“) entnehmen.284 Auch die Antifolterkonvention CAT, die Völkermordkonvention CPPCG und die Kinderrechtskonvention CRC enthalten Schutzpflichten.285 Für die extraterritoriale Anwendbarkeit der Schutzpflichten gelten zunächst dieselben Maßstäbe wie für Achtungspflichten (s. Teil 2 C.II.). Übt ein Staat wirksame Kontrolle über fremdes Territorium aus, hat es darin befindlichen Individuen Schutz vor Übergriffen Dritter zu gewähren.286 Dies gilt ebenfalls dann, wenn eine Person unter der Hoheitsgewalt des Herkunftsstaates steht. In Armed Activities on the Territory of the Congo hielt der IGH Uganda zunächst für das Handeln und Unterlassen des eigenen Militärs auf kongolesischem Staatsgebiet verantwortlich; zusätzlich befand er eine Verantwortlichkeit für die unzureichende Überwachung Dritter („any lack of vigilance in preventing violations of human rights […] by other actors present in the occupied territory, including rebel groups acting on their own account“).287 283 Für den Sozialpakt s. Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 15; Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 38. 284 Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (184); Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 100; zum Zivilpakt Human Rights Committee, International covenant on civil and political rights, General Comment No 31, UN Doc. CCPR/C/21/ Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, §§ 5 und 10; zur EMRK Pereira Henriques v. Luxemburg App no 60255/00 (ECHR, 9 May 2006), § 55; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (888 f.). 285 Art. 1 CPPCG, Art. 2 Abs. 2 KRK, Art. 2 CAT; United Nations, Committee against Torture, General Comment No 2, UN Doc. CAT/C/GC/2, 24. Januar 2008, § 15 ff.; zum Ganzen Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 135 ff. 286 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 379. 287 Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Judgement, I.C.J. Reports 2005, S. 168, § 179.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Der EGMR bejahte ebenfalls Verpflichtungen der Vertragsstaaten, auf fremdem Hoheitsgebiet Verletzungshandlungen privater Dritter zu unterbinden. Dies galt in Isaak, als türkische Soldaten selbst in die Verletzungshandlung eingebunden waren,288 in Solomou allerdings auch, als lediglich eine Duldung bzw. ein Einverständnis mit dem Handeln Dritter bestand289. Das Human Rights Committee hielt in einem General Comment zum Zivilpakt fest: „However the positive obligations on State Parties to ensure Covenant rights will only be fully discharged if individuals are protected by the State, not just against violations of Covenant rights by its agents, but also against acts committed by private persons or entities that would impair the enjoyment of Covenant rights in so far as they are amenable to application between private persons or entities.“290
Findet ein Übergriff durch eine „staatlich unterstützte irreguläre Herrschaftsstruktur auf lokaler Ebene“ statt, richtet sich die Verantwortlichkeit des Staates mithin auf das Unterlassen der erforderlichen Sorgfalt und nicht die Rechtsverletzung an sich.291 Soweit der Herkunftsstaat also wirksame Kontrolle über ein Gebiet ausübt, ist er nicht nur verpflichtet, auf diesem Gebiet bürgerliche und politische Rechte zu achten, sondern darin befind liche Personen vor Übergriffen Dritter zu schützen. b) Wirtschaftliche und soziale Rechte Für den Sozialpakt werden sowohl individuell als auch kollektiv zu erfüllende Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 1 hergeleitet.292 Dieser lautet: 288 Isaak v. Turkey App no 44587/98 (ECHR, 28 September 2006), § 119: „[T]he Court cannot ignore the fact that the Turkish or Turkish-Cypriot soldiers actively participated in the beating without making any attempt to apprehend Anastasios Isaak or to prevent the counter-demonstrators from continuing their violent behavior. Thus, they manifestly failed to take preventive measures to protect the victim’s life.“ 289 Solomou and Others v. Turkey App no 36827/97 (ECHR, 24 June 2008), § 46: „[T]he acquiescence or connivance of the authorities of a Contracting State in the acts of private individuals which violate the Convention rights of other individuals within its jurisdiction may engage that State’s responsibility under the Convention.“; vgl. den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 187, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 290 Human Rights Committee, International covenant on civil and political rights, General Comment No 31, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, § 8. 291 Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (326). 292 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 19, UN Doc. E/C.12/GC/19, 4. Februar 2008, § 54; General Comment No 18, UN Doc. E/C.12/GC/18, 6. Februar 2006, § 35; General
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete199 „Each State Party to the present Covenant undertakes to take steps, individually and through international assistance and co-operation, especially economic and technical, to the maximum of its available resources, with a view to achieving progressively the full realization of the rights recognized in the present Covenant by all appropriate means, including particularly the adoption of legislative measures.“
Die Formulierung „to take steps“ enthält eindeutig positive Verpflichtungen, welche die Pflicht zum Schutz vor Übergriffen Dritter miteinschließen.293 Nach dem Committee on Economic, Social and Cultural Rights umfasst die Pflicht zur Sicherung des Rechts auf Nahrung ausdrücklich den Schutz dieses Rechts in anderen Staaten: „States […] should take steps to respect the enjoyment of the right to food in other countries, to protect that right, to facilitate access to food and to provide the necessary aid when required.“294
Die Pflicht zum Schutz vor Übergriffen Dritter auf staatlich kontrolliertem fremden Hoheitsgebiet erstreckt sich damit auch auf wirtschaftliche und soziale Rechte. c) Zwischenergebnis Die extraterritoriale Verantwortlichkeit kraft wirksamer Gebietskontrolle umfasst nicht nur die Pflicht zur Achtung, sondern auch zum Schutz von Menschenrechten. Pachtet ein Staat fremdes Hoheitsgebiet und übt dort wirksame Kontrolle aus, sind Schutzpflichten räumlich anwendbar.295 Zwar befindet sich die gesamte Diskussion um extraterritoriale Schutzpflichten und damit die Frage ihrer völkerrechtlichen Anerkennung insgesamt noch im Fluss.296 Comment No 14, UN Doc. E/C.12/2000/4, 11. August 2000, § 35; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 110. 293 Z. B. Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 18, UN Doc. E/C.12/GC/18, 6. Februar 2006, § 25: „The obligation to protect the right to work includes the responsibility of States parties to prohibit forced or compulsory labour by non‑State actors.“; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and the Center for Economic and Social Rights (CESR) v. Nigeria, Comm. No. 155/96 (2001), § 46: „to take measures“; Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (196); Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 112. 294 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 36; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 116. 295 Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Dissertation Potsdam 2012, S. 206. 296 Vgl. Krennerich, Soziale Menschenrechte – Zwischen Recht und Politik, 2013, S. 133; Montag, Pflichten des Sicherheitsrates und der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Friedenskonsolidierung, Dissertation Bochum 2017, S. 251.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Sofern jedoch die Hürde der Hoheitsgewalt etwa kraft Ausübung wirksamer Kontrolle eines Staates überwunden ist, lässt sich kaum begründen, warum ein Staat dann nicht auch denselben Pflichten bezüglich des Schutzes vor Übergriffen Dritter unterläge. Schließlich gehen mit der wirksamen Kontrolle auch entsprechende Möglichkeiten der Schutzgewährung einher, die ihm – wenn auch abhängig von der Kontrollintensität im Einzelfall – auch auf eigenem Hoheitsgebiet zur Verfügung stehen. Auch der EGMR nahm die Verantwortlichkeit Italiens für den Schutz von Flüchtlingen vor Übergriffen Dritter außerhalb von dessen Territorium auf hoher See kraft wirksamer Kontrolle an.297 Bezogen auf die Rechte von Personen auf extraterritorial gepachtetem Gebiet bedeutet dies, dass der Staat als Inhaber der Gebietskontrolle für das Verhalten Dritter auf dem kontrollierten Gebiet einzustehen hat. Ein praktischer Anwendungsfall wäre die Ausführung des Pachtvertrags durch den Pächterstaat selbst, soweit er infolgedessen die wirksame Gebietskontrolle ausübt. Ein Übergriff müsste sodann durch ein privates in- oder ausländisches Unternehmen oder jeden Dritten erfolgen, dessen Verhalten dem Päch terstaat nicht zurechenbar ist. Wenn also Russland bei dem Betrieb des Weltraumbahnhofs Baikonur (s. Teil 1 B.V.2.) einen Dritten beauftragt, wäre es – seine wirksame Gebietskontrolle infolge militärischer Befehlsgewalt vorausgesetzt – zum Schutz vor Übergriffen durch diesen auf kasachischem Hoheitsgebiet verpflichtet. 2. Schutzpflichten für extraterritoriale Übergriffe Dritter außerhalb der Kontrolle des Herkunftsstaates über das Pachtgebiet Wird das Gebiet hingegen nicht staatlich kontrolliert, sondern handelt es sich bei dem ausländischen Pächter um ein Unternehmen, dessen Verhalten dem Herkunftsstaat nicht zurechenbar ist, greift der effective-control-Maßstab gegenüber den von privaten Übergriffen Betroffenen nicht. Für die Verantwortlichkeit eines Staates für Übergriffe ihm nicht zurechenbarer Akteure auf fremdem Hoheitsgebiet fehlt es an der Hoheitsgewalt über die dort betroffenen Individuen. Mangels physischer Anwesenheit staatlicher Organe lässt sich weder eine wirksame Gebietskontrolle noch die Amtsgewalt und Kon trolle über eine Person begründen.298
297 Hirsi Jamaa and others v. Italy [GC] App no 27765/09 (ECHR, 23 February 2012), § 76. 298 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 77; Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Dissertation Potsdam 2012, S. 206.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete201
a) Völkerrechtliche Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten Ein Staat ist für unterlassene Maßnahmen gegenüber Privaten verantwortlich, wenn dafür eine völkerrechtliche Handlungspflicht besteht. Eine solche Handlungspflicht besteht zumindest darin, zu verhindern, dass eine Bedrohung für andere Staaten von Privatpersonen innerhalb seines hoheitlichen Einflussbereichs ausgeht.299 Das gebietet der Grundsatz der territorialen Integrität gem. Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta. In den untersuchten Pachtverhältnissen geht die Bedrohung in der Regel von Situationen außerhalb wirksamer Gebietskontrolle des Herkunftsstaates und damit außerhalb seines hoheitlichen Einflussbereichs, d. h. seiner Hoheitsgewalt, aus. Die Handlungspflicht müsste sich also auf zu schützende Individuen beziehen, die nicht ihrer Hoheitsgewalt unterstehen, also nicht „subject to its jurisdiction“ sind.300 aa) Überblick und Begründungsansätze in Literatur und menschenrechtlicher Spruchpraxis Eine Pflicht zur Wahrnehmung von Schutzpflichten in Gestalt der Regulierung und Aburteilung extraterritorialer Sachverhalte ist derzeit nur in engen Grenzen völkerrechtlich anerkannt. Staaten sind nach dem Universalitätsprinzip zur Verfolgung bestimmter Straftaten befugt, auch wenn diese durch fremde Staatsangehörige auf fremdem Hoheitsgebiet begangen wurden. Voraussetzung ist nur, dass die Täter ihrer Gerichtsbarkeit unterstehen. Dazu zählen u. a. Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.301 Eine Befugnis zur extraterritorialen Strafandrohung und Aburteilung besteht daneben für schwere Verbrechen wie Piraterie und terroristische Akte.302 Die Existenz und der Umfang extraterritorialer Schutzpflichten von Staaten für transnationale Unternehmen außerhalb ihrer Hoheitsgewalt sind Ge299 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2. Aufl. 2002, § 167 Rn. IV.2; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht – Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, § 1281. 300 So Art. 2 Abs. 1 Zivilpakt; s. vergleichbare Formulierungen in anderen Menschenrechtsverträgen unter Teil 2 C.I. 301 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 15; Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 14. 302 Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/ 2014, S. 1303 (1307); De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 24.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
genstand umfassender Untersuchungen.303 Bislang wurden sie in der Menschenrechtspraxis noch nicht eindeutig anerkannt. Auch die Fachliteratur geht überwiegend nicht von der Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt aus.304 Der UN-Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte John Ruggie befürwortet eine Pflicht der Herkunftsstaaten zum Schutz vor Menschenrechtsverletzungen ihrer Unternehmen im Ausland, geht jedoch ebenfalls nicht von einer bereits völkerrechtlich anerkannten Regulierungspflicht aus:305 „At present States are not generally required under international human rights law to regulate the extraterritorial activities of businesses domiciled in their territory and/or jurisdiction. Nor are they generally prohibited from doing so, provided there is a recognized jurisdictional basis.“
Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte geben allerdings einen Hinweis darauf, unter welchen Voraussetzungen sich die staatliche Verantwortlichkeit am ehesten zu einer Handlungspflicht verdichten kann. Sie sehen solche Staaten besonders in der Verantwortlichkeit, die Unternehmen besitzen, diese unterhalb des Zurechnungsmaßstabs des Art. 8 ILC-Entwurf kontrollieren oder im Wege von Exportkreditgarantien oder Investitionsversicherungen unterstützen.306 Es wird also erkannt, dass sich die Verantwortlichkeit eines Staates unterschiedlich beurteilt, wenn er eine Pacht durch die Schaffung der Rahmenbedingungen lediglich vorbereitet 303 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 98; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 39; Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Dissertation Potsdam 2012, S. 206. 304 Peters, Jenseits der Menschenrechte: Die Rechtsstellung des Individuums im Völkerrecht, Habilitation Tübingen 2014, S. 229; Milanovic, Extraterritorial Application of Human Rights Treaties: Law, Principles, and Policy, 2011, S. 209 ff.; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (891); De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 18; Koenen, Wirtschaft und Menschenrechte, Dissertation Potsdam 2012, S. 206. 305 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, S. 7; vgl. von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 23; ders., ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 40. 306 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, Prinzip 4, S. 9.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete203
oder durch ein Unternehmen durchführen lässt, an welchem er die mehrheitlichen Anteile besitzt. bb) Freiwillige Leitlinien zu Landnutzungsrechten und Maastrichter Prinzipien Diese besondere Verantwortlichkeit von Unternehmen in staatlicher Hand oder unter staatlicher Kontrolle wird in den Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten aufgegriffen.307 Deren Nr. 3.2 lautet: „Where transnational corporations are involved, their home States have roles to play in assisting both those corporations and host States to ensure that businesses are not involved in abuse of human rights and legitimate tenure rights. States should take additional steps to protect against abuses of human rights and legitimate tenure rights by business enterprises that are owned or controlled by the State, or that receive substantial support and service from State agencies.“
Hinsichtlich der Beteiligung an oder der Förderung von Auslandsinvestitionen gehen die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten über die UNLeitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hinaus und erkennen eine staatliche Schutzpflicht an:308 „When States invest or promote investments abroad, they should ensure that their conduct is consistent with the protection of legitimate tenure rights, the promotion of food security and their existing obligations under national and international law, and with due regard to voluntary commitments under applicable regional and international instruments.“
Eine grundsätzliche menschenrechtliche Pflicht des Herkunftsstaates zur Regulierung sowohl staatlicher als auch staatlich geförderter Auslandsinvestitionen wird darin befürwortet. Durch die Formulierung „should ensure“ wird jedoch deutlich, dass auch aus diesem multilateralen Dokument keine Überzeugung von der Anerkennung extraterritorialer Schutzpflichten spricht. Die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten greifen den Ansatz der Maastrichter Prinzipien zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auf. Nach Nr. 24 der Maastrichter Prinzipien bestehen staatliche Schutzpflichten für das Verhalten nichtstaatlicher Akteure, sofern die Staaten in der Lage sind, diese zu regulieren. Das ist nach Prinzip Nr. 25 der Fall, wenn die Bedrohungslage ihren Ursprung auf seinem Territorium hat (lit. a), der Akteur seine Staatszugehö307 von
Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 40. Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests in the Context of National Food Security, Nr. 12.15; von Berns torff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 40 f. 308 FAO,
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
rigkeit besitzt (lit. b), das Unternehmen selbst oder das jeweilige Mutter unternehmen seinen Tätigkeitsschwerpunkt in diesem Staat hat, dort gegründet wurde oder seinen Sitz hat bzw. seine hauptsächliche oder wesentliche Geschäftstätigkeit dort ausübt (lit. c). Des Weiteren ist der Staat in einer Regulierungsposition, wenn ein „reasonable link“ zwischen dem Staat und dem unternehmerischen Verhalten besteht (lit. d) sowie eine zwingende völkerrechtliche Norm bedroht ist (lit. e).309 cc) Auslegung des Sozialpaktes durch das Committee on Economic, Social and Cultural Rights Einen progressiven Ansatz vertritt ebenfalls das Committee on Economic, Social and Cultural Rights in seinen General Comments zur Auslegung des Sozialpaktes. Die rechtliche Einordnung dieser Auslegung ist allerdings nicht eindeutig. Vielfach wird den General Comments lediglich Empfehlungs charakter zugesprochen. Das Committee on Economic, Social and Cultural Rights stellte jedenfalls für das Recht auf Gesundheit gem. Art. 12 Sozialpakt in deutlicher Form den Inhalt einer extraterritorialen Schutzpflicht fest („to prevent third parties from violating the right in other countries“).310 Der Staat muss dazu allerdings in der Lage und rechtlich befugt sein.311 Auch für das Recht auf Wasser nahm er eine extraterritoriale Schutzpflicht an: „Steps should be taken by States parties to prevent their own citizens and companies from violating the right to water of individuals and communities in other countries.“312
Für das Recht auf soziale Sicherheit spricht das Committee on Economic, Social and Cultural Rights schließlich ausdrücklich von einer extraterritoria309 Maastricht
Principles, a. a. O. (s. Fn. 255). and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 14, UN Doc. E/C.12/2000/4, 11. August 2000, § 39; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 116. 311 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 14, UN Doc. E/C.12/2000/4, 11. August 2000, § 39: „[…] able to influence these third parties by way of legal or political means, in accordance with the Charter of the United Nations and applicable international law.“ 312 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 15, UN Doc. E/C.12/2002/11, 20. Januar 2003, § 33; Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (891); Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 40. 310 Economic
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len Schutzpflicht („States […] should extraterritorially protect the right to social security“).313 Die CERD-Kommission vertritt für das Diskriminierungsverbot eine ähnliche Position und befürwortet extraterritoriale Schutzpflichten.314 Bei der Beurteilung der Pflichten aus dem Sozialpakt ist jedoch zu berücksichtigen, dass dieser keine ausdrückliche Begrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs enthält. Des Weiteren werden die Kooperationspflichten häufig herangezogen, um dem Sozialpakt über die Grenzen der Vertragsstaaten hinaus Geltung zu verschaffen (s. bereits Teil 2 C.I.1.). Die dafür geltenden Anforderungen besitzen daher keine Allgemeingültigkeit bezüglich der Existenz extraterritorialer Schutzpflichten. dd) Anerkennung in der Staatenpraxis Es lässt sich auch keine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht eines Herkunftsstaates erkennen, im Ausland begangene menschenrechtsrelevante Übergriffe Privater zu regulieren und Verstöße juristisch zu verfolgen.315 Es finden sich vereinzelt Urteile nationaler Gerichte, die solche Übergriffe zum Gegenstand haben. In diesem Zusammenhang sind Verfahren unter Anwendung des Alien Tort Claims Act (ATCA) zu beleuchten.316 Danach sind US-amerikanische Gerichte zur zivilrechtlichen Aburteilung extraterritorial begangener Verstöße internationalen Rechts berechtigt. Sie können Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen von Völkergewohnheitsrecht von privaten Unternehmen und Individuen aburteilen und diese zu Schadens ersatzzahlungen verurteilen, auch wenn die Verletzung nicht in den USA stattgefunden hat. Private Unternehmen haften also zivilrechtlich für Völkerrechtsverstöße. Die Personen müssen sich lediglich innerhalb der USA befinden und es muss ein (weit zu verstehender) personaler Anknüpfungspunkt 313 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 19, UN Doc. E/C.12/GC/19, 4. Februar 2008, § 54; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 117. 314 Committee on the Elimination of Racial Discrimination, Consideration of Reports Submitted by States Parties Under Art. 9 of the Convention, UN Doc. CERD/C/ CAN/CO/18 vom 25. Mai 2007, § 17: „[T]he Committee encourages the State Party to take appropriate legislative or administrative measures to prevent acts of transnational corporations registered in Canada which negatively impact on the enjoyment of rights of indigenous peoples in territories outside Canada.“ 315 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 155. 316 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (892); Kaleck/SaageMaaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 48 f.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
vorliegen.317 Dafür reicht es aus, dass die Person regelmäßige Geschäftsbeziehungen in den USA unterhält, ohne dort ihren eingetragenen Aufenthaltsort oder Geschäftssitz zu haben.318 In Kiobel entschied der Federal Supreme Court der USA demgegenüber, dass der ATCA keine Anwendung finde, wenn weder Kläger noch Beklagter oder die unerlaubte Handlung eine Verbindung zu den USA aufweisen.319 Im Fall Jesner v Arab Bank, PLC zog der US Supreme Court die Verantwortlichkeit und Haftung juristischer Personen für Völkerrechtsverletzungen demgegenüber in Zweifel.320 Die US-Gerichte sind sich zudem uneinig in der Frage, ob der ATCA allein eine Zuständigkeitsregel oder einen individuellen Klageanspruch beinhaltet.321 Es ist jedoch ein Trend hin zu der juristischen Verfolgung von Tochter unternehmen für im Ausland begangene menschenrechtliche Übergriffe durch die Haftung der Mutterunternehmen im Herkunftsstaat zu beobachten. Mit dieser nationalen Rechtsverfolgung und Aburteilung von Sachverhalten kann ein Herkunftsstaat seinen Schutzpflichten nachkommen. So hielt das niederländische Berufungsgericht in Den Haag in seiner Entscheidung Akpan v. Royal Dutch Shell plc vom 30. Januar 2013 fest: „for quite some time […], there has been an international trend to hold parent companies of multinationals liable in their own country for the harmful practices of foreign (sub-) subsidiaries, in which the foreign (sub-) subsidiary involved was also summoned together with the parent company on several occasions.“322 317 Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 48; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 6; Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1337). 318 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 6. 319 US Supreme Court, Kiobel, Individually and on behalf of her late husband Kiobel, et al. v. Royal Dutch Petroleum Co. et al., 17 April 2013; Colangelo, What is Extraterritorial Jurisdiction?, Cornell Law Review 99/2013/2014, S. 1303 (1336 f.); Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2478 f.); Huck, Extraterritorialität US-amerikanischen Rechts im Spannungsverhältnis zu nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnungen, Neue Juristische Online-Zeitschrift, 2015, S. 993 (995). 320 US Supreme Court, Jesner v. Arab Bank, PLC, 584 U.S. (2018), S. 15; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 12. Aufl. 2020, § 4 Rn. 82. 321 Weilert, Taming the Untamable? Transnational Corporations in United Nations Law and Practice, Max Planck Yearbook of United Nations Law Vol. 14, 2010, S. 445 (450). 322 The Hague Court of Appeal, Akpan v. Royal Dutch Shell plc vom 30. Januar 2013, 4.5; vgl. Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2478).
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete207
In Deutschland erfolgte eine juristische Verfolgung oder Sanktionierung extraterritorialer Übergriffe Privater bisher nur vereinzelt. Ein Beispiel ist das fünfjährige (mittlerweile eingestellte) Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main gegen Mitarbeiter der Firma Lahmeyer. Die Organisation ECCHR hatte zuvor Anzeige wegen extraterritorialer Menschenrechtsverletzungen im Rahmen eines Staudammprojektes im Sudan erstattet.323 Eine weitere Anzeige ist gegen Mitarbeiter der Kleiderkette KIK wegen der Verletzung von Arbeitsvorschriften bei der Produktion in Pakistan erhoben worden. Außerdem klagten Betroffene des Brandes einer Kleiderfabrik in Pakistan am 11. September 2012 vor dem Landgericht Dortmund auf Schadensersatz. Dieses erkannte seine Zuständigkeit an und bewilligte den Klägern Prozesskostenhilfe, sodass mögliche Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen im Ausland vor einem deutschen Gericht verhandelt werden konnten.324 Das britische House of Lords hielt sich außerdem in zwei Fällen für Klagen zuständig, in denen Privatpersonen einen Schaden durch das Verhalten von Unternehmen im Ausland geltend machten, die von britischen Unternehmen kontrolliert werden.325 In der Regel können sich Gerichte in solchen Fällen jedoch unter Berufung auf die forum non conveniens doctrine für unzuständig erklären, da ein sachnäheres Gericht für die Klage zuständig wäre. In den beiden Fällen vor dem House of Lords wandte es diese Doktrin jedoch nicht an, da von den ebenfalls zuständigen Gerichten des Verpächterstaates keine substanzielle Rechtsprechung zu erwarten sei („[…] substantial justice will not be done in the alternative forum“).326 323 European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Bauen ohne Rücksicht: Das Unternehmen Lahmeyer und die Vertreibungen beim Staudammbau in Sudan, abrufbar unter: https://www.ecchr.eu/fall/bauen-ohne-ruecksicht-das-unter nehmen-lahmeyer-und-die-vertreibungen-beim-staudammbau-im-sudan/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 324 Die Klage wurde im Ergebnis wegen Verjährung abgewiesen; beck-online, Meldung vom 11. Januar 2019: LG Dortmund: Klage gegen Kik nach Fabrikbrand in Pakistan wegen Verjährung abgewiesen; vgl. hierzu European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Der Preis der Katastrophen in der Textilindustrie Südasiens, abrufbar unter: https://www.ecchr.eu/fall/kik-der-preis-der-katastrophenin-der-textilindustrie-suedasiens/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 325 House of Lords, Opinion of the Lords of Appeal for Judgement in the Cause (Connelly v. R.T.Z. Corporation PLC and others), 24. Juli 1997, UKHL 30 (1997); House of Lords, Opinion of the Lords of Appeal for Judgement (Schalk Willem Burger Lubbe i. a. v. Cape PLC), 20. Juli 2000, UKHL 41 (2000); Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/ IDRC, 2013, S. 28. 326 House of Lords, Opinion of the Lords of Appeal for Judgement in the Cause (Connelly v. R.T.Z. Corporation PLC and others), 24. Juli 1997, UKHL 30 (1997); House of Lords, Opinion of the Lords of Appeal for Judgement (Schalk Willem Bur-
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Im Ergebnis können private Akteure indirekt an die Einhaltung von Menschenrechten gebunden werden, indem an die Verantwortung des Herkunftsstaates auf mehreren Ebenen angeknüpft wird. Dazu zählt die Bindung an staatliche Achtungspflichten, wenn der Staat die Entscheidungen des Unternehmens maßgeblich beeinflusst; hinzu kommt die Pflicht des Herkunftsstaates, das extraterritoriale Verhalten Privater durch nationale Rechtsverfolgung und Aburteilung zu regulieren.327 Schließlich sind weitere dogmatische Begründungsansätze für extraterritoriale Schutzpflichten im engeren Sinne zu untersuchen. b) Extraterritoriale Schutzpflichten bei staatlicher Beteiligung an dem Pachtverhältnis – dogmatische Begründungsansätze Trotz des Fehlens einschlägiger Völkerrechtspraxis gibt es zahlreiche zum Teil überzeugende Ansätze zur Begründung extraterritorialer Schutzpflichten außerhalb staatlicher Kontrolle. Extraterritoriale Schutzpflichten sollen sich einer Ansicht nach auf sämtliche notstandsfesten Rechte (z. B. Art. 2, 3, 4 Abs. 1 Zivilpakt und 7 EMRK) beziehen.328 Andere lassen die bloße Kenntnis oder das Kennenmüssen des Staates von einer drohenden Menschenrechtsverletzung ausreichen. Wieder andere sehen die Hoheitsgewalt über Opfer von Menschenrechtsverletzungen begründet, wenn die Verletzung von einer unternehmerischen Entscheidung auf dem Territorium des Staates ausging.329 Ohne physische staatliche Präsenz stehen die Opfer eines menschenrechtlichen Übergriffs auf fremdem Hoheitsgebiet jedoch nicht unter der Kontrolle des Staates. Immer häufiger werden extraterritoriale Schutzpflichten aus der faktischen Einflussmöglichkeit des Herkunftsstaates auf das private Unternehmen her-
ger Lubbe i. a. v. Cape PLC), 20. Juli 2000, UKHL 41 (2000); Weschka, Human Rights and Multinational Enterprises: How Can Multinational Enterprises Be Held Responsible for Human Rights Violations Committed Abroad?, ZaöRV 2006, S. 625 (631 ff.); Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 29. 327 Narula, International Financial Institutions, Transnational Corporations and Duties of States, S. 118, 146, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 328 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 98, unter Bezugnahme auf die Soering-Fälle zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen. 329 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 205, in: Langford/ Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012.
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geleitet.330 Wurde der extraterritoriale Übergriff durch eine unternehmerische Entscheidung im Herkunftsstaat in Gang gesetzt, sollen die Opfer des Übergriffs unter die Hoheitsgewalt dieses Staates fallen. Die staatliche Hoheitsgewalt müsste sich also auf das handelnde Unternehmen und damit auf dasjenige Rechtssubjekt erstrecken, von welchem die Rechtsverletzung ausgeht, d. h. den sog. Störer. Der effective-control-Test würde damit auf die Beziehung zwischen Herkunftsstaat und transnationalem Unternehmen übertragen.331 Die staatliche Hoheitsgewalt ließe sich danach durch die staatliche Versicherung der Investitionen gegen politische Risiken sowie finanzielle Beteiligungen wie Pensionsfonds, außerdem Steuererleichterungen, Exportsubventionen oder die technische Assistenz durch Handelskammern oder Botschaften begründen.332 Tatsächlich ähnelt die Voraussetzung der Schutzpflichten, die Capacity to influence, strukturell durchaus den Zurechnungstatbeständen im Recht der Staatenverantwortlichkeit. Der Herkunftsstaat muss nämlich in völkerrechtskonformer Weise auf die konkrete Handlungsentscheidung des Privaten einwirken können. Lässt sich jedoch keine Zurechenbarkeit nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit begründen, löst dies nicht automatisch eine subsidiäre extraterritoriale Schutzpflicht aus. Die Übertragung des effective-control-Maßstabs auf das Verhältnis des Staates zu dem handelnden Unternehmen lässt sich jedoch nicht mit dem Wortlaut der menschenrechtlichen Verträge hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs in Einklang bringen. Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, die jeweiligen Rechte den Personen zuzusichern, die ihrer Hoheitsgewalt unterstehen, nicht jedoch, Übergriffe solcher Personen zu verhindern.333 Außerdem birgt dieser Ansatz die Gefahr der Verwässerung. Die Anforderungen an die Anwendbarkeit von Menschenrechtsverträgen würden umgangen und mit den Anforderungen an die Wahrnehmung einer (extraterritorial zunächst zu begründenden) Schutzpflicht vermischt. Die Beschwerdemöglichkeiten im Rahmen der Menschenrechtsverträge und das Recht der Staatenverantwortlichkeit enthalten kein dogmatisch komplementäres Regelungsregime. Die Bestimmung der Staatenverantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen stützt sich vielmehr auf zwei getrennt voneinander entwickelte und zu beurteilende Rechtsbereiche. Das zeigt sich deutlich im Hin330 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 205, in: Langford/ Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 331 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 23. 332 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 206 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 333 Zu den Formulierungen im Einzelnen s. Teil 2 C.I.2.
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blick auf den vorgenannten Ansatz, staatliche Hoheitsgewalt zur Begründung extraterritorialer Schutzpflichten aus der Kontrolle des Staates über das Unternehmen herzuleiten. Steht die unternehmerische Entscheidung nämlich unter der „direction or control“ des Staates, ist das jeweilige Verhalten diesem bereits zuzurechnen (Art. 8 ILC-Entwurf). Dann liegt die zu unterlassende Rechtsverletzung in der Achtungsdimension der Menschenrechte und es liegt kein Anwendungsfall für Schutzpflichten vor. Für den Sozialpakt wird angesichts einer fehlenden ausdrücklichen räumlichen Begrenzung des Anwendungsbereichs häufig von einer unbeschränkten extraterritorialen Anwendbarkeit ausgegangen und hierzu die Koopera tionspflicht aus Art. 2 Abs. 1 Sozialpakt herangezogen (s. Teil 2 C.II.1.). Danach verpflichten sich die Staaten einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit zur Ergreifung von Maßnahmen. Auch Art. 11 Abs. 1, 22 und 23 Sozialpakt weisen auf Kooperationspflichten hin. Die staatliche Hoheitsgewalt sei nach einer Ansicht hinsichtlich des Bestehens von Schutzpflichten nicht auf Tatbestands- sondern auf Rechtsfolgenebene von Bedeutung.334 Ihr Fehlen könne die Unmöglichkeit der Schutzpflichterfüllung bedeuten. Die Besonderheit bei der Prüfung extraterritorialer Schutzpflichten im Zusammenhang mit der Pacht fremden Hoheitsgebiets liegt in der Qualität der staatlichen Beteiligung. Es ist also zuzugestehen, dass ein Staat nicht allein aus dem Grund zur extraterritorialen Regulierung verpflichtet ist, dass das handelnde Unternehmen seine Staatszugehörigkeit besitzt. Erforderlich ist eine dogmatische Begründung dafür, aus dem faktischen Können der Regulierung extraterritorialen unternehmerischen Verhaltens auf ein rechtliches Müssen zu schließen. Aus dem Grundsatz der Universalität und Effektivität der Menschenrechte kann nicht auf eine solche Pflicht geschlossen werden. Ist ein Staat also aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips grundsätzlich zur Regulierung solchen Verhaltens befugt, folgt daraus noch keine entsprechende Pflicht.335 Zwischen extraterritorialer wirksamer Kontrolle und vollständigem Fehlen staatlicher Einflussnahme finden sich aber zahlreiche Abstufungen, die zwar keine Verhaltenszurechnung i. S. d. Staatenverantwortlichkeit begründen können, aber andere Formen staatlicher Beteiligung beinhalten. In diesen Fällen – u. a. bei staatlicher Unternehmensbeteiligung oder finanzieller Investi tionsförderung – heben die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschen334 Papp,
Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 122. aber Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (226): „The sole condition for a state to bear an obligation to demonstrate diligent protection of human rights beyond its national territory is simply that the state be somehow linked with the situation.“ 335 So
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete211
rechte sowie die Freiwillige Leitlinien zu Landnutzungsrechten eine besondere staatliche Verantwortlichkeit hervor (s. Teil 2 C.IV.2.a)). Es kann außerdem eine gemeinsame Überzeugung in Völkerrechtspraxis und Literatur erkannt werden, dass der Herkunftsstaat keinen „aktiven Beitrag“ zu den menschenrechtsverletzenden Handlungen eines Unternehmens leisten darf.336 Dieser aktive Beitrag darf ohnehin nicht derart weitreichend sein, dass er unter die menschenrechtliche Achtungsdimension fällt. Zwar liegt in dem staatlichen Beitrag ein aktives Tun, er wäre einer späteren Menschenrechtsverletzung im Rahmen der Ausführung des Pachtvertrags jedoch so deutlich vorgeschaltet, dass darin lediglich ein kausaler, jedoch kein adäquater Beitrag mehr zu sehen ist. Eine Ausnahme läge vor, wenn sich die Menschenrechtsverletzung nicht erst im Rahmen der Vertragsausführung, sondern bereits aus der vorgelagerten staatlichen Beteiligungshandlung ergäbe. Die Verletzung müsste also bereits aus einem bilateralen Investitionsvertrag, einem Rahmenvertrag für die Ausführung eines Pachtvertrags oder der finanziellen Förderung einer Investition in Gestalt eines Pachtvertrags liegen. Dafür fehlen jedoch ersichtliche Anwendungsbeispiele (s. u. Teil 3). Schutzpflichten könnten sich also aus der Förderung, Unterstützung oder Genehmigung extraterritorialer Aktivitäten ergeben. Dafür finden sich zahlreiche Praxisbeispiele im Rahmen der extraterritorialen Pacht fremden Hoheitsgebiets, wie Investitionsversicherungen, finanzielle Beteiligungen wie Pensionsfonds, Steuererleichterungen, Exportsubventionen, technische sowie bürokratische Assistenz durch Handelskammern oder Botschaften sowie staatliche Exportkreditgarantien.337 Ein Beispiel ist das unter Federführung der Finanzminister des Sudan und Katar ins Leben gerufene Joint Venture für landwirtschaftliche Investitionen im Sudan im Rahmen einer strategischen Partnerschaft.338 Eine sehr starke Form der Beteiligung liegt außerdem vor, wenn der Abschluss eines Pachtvertrags durch den Herkunftsstaat erfolgt, deren Ausführung aber einem Unternehmen überlassen wird. Das sieht das Landwirtschaftsabkommen zwischen dem Sudan und Syrien vor. Darin heißt es: „In case the Syrian Government wishes to transfer the project fully or partially for the purpose of investment through the private sector, the process complies with the 336 von
Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 39. Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 206 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 27; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 39. 338 Amery, Arab Water Security: Threats and Opportunities in the Gulf States, 2015, S. 87. 337 Ryngaert,
212
Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
current investment law of the Republic of Sudan and upon mutual agreement of both parties.“339
Ähnlich sind Fälle gelagert, in denen die Pacht unmittelbar aus einem staatlichen Rahmenvertrag oder Investitionsvertrag hervorgeht. Dann müsste die Pacht ausdrücklich geregelt oder der wesentliche Einigungsprozess schon in einem Staatsvertrag enthalten sein. Der Herkunftsstaat kann seine gegenüber Privaten stärkere Verhandlungsposition nutzen, mit politischen Zusagen verknüpfen und den Boden für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit bereiten. Er setzt den Pachtvorgang damit erst in Gang und leistet eine Vorbereitungshandlung für spätere menschenrechtliche Übergriffe. Die damit aufgenommene Verantwortung kann sodann nicht dadurch umgangen werden, dass der Pächter letztlich ein nicht staatlich zurechenbares Unternehmen ist. Darin liegt auch keine Umgehung des in sich geschlossenen Zurechnungssystems der Staatenverantwortlichkeit nach dem ILC-Entwurf. Die besondere Schutzverantwortung für das so geförderte unternehmerische Verhalten ist strukturell mit einer kraft Garantenstellung bestehenden Handlungspflicht vergleichbar.340 Die staatliche Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung begründet nach diesem Ansatz eine Garantenstellung aus der Beherrschung einer Gefahrenquelle oder aus gefahrerhöhendem Vorverhalten. Eine völkerrechtliche Überwachungsgarantenstellung und damit eine Pflicht zur Kontrolle und Überwachung sollen sich daraus ergeben, dass der Staat den Betrieb und die Verwaltung öffentlicher Einrichtungen wie Kliniken und Schulen durch Private zulässt und fördert.341 Als aktiver staatlicher Beitrag, der eine Garantenstellung begründet, kann auf die bereits genannten Förderungsmittel und vertraglichen Vorbereitungshandlungen zurückgegriffen werden.342 Weitere Instrumente der Außenwirtschaftsförderung wie staatliche Exportkreditgarantien veranschaulichen diese Form staatlicher Beteiligung.343 Die Rechtsfigur der Garantenpflicht ist auf die extraterritorialen 339 Landwirtschaftsabkommen
Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 14. Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 182 ff.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 290. 341 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 186 f. 342 Z. B. Investitionsversicherungen, finanzielle Beteiligungen wie Pensionsfonds, Steuererleichterungen, Exportsubventionen oder technische sowie bürokratische Assistenz durch Handelskammern oder Botschaften; Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 206 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012; Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 27. 343 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 39. 340 Stahl,
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete213
Schutzpflichten sehr gut übertragbar. Sie greift die pflichtwidrige staatliche Verstrickung in das menschenrechtsgefährdende Verhalten Privater auf und verschafft diesem Begründungsansatz einen dogmatischen Unterbau. Zudem ist es auch im Völkerrecht anerkannt, die Verantwortungssphären an der Interessenverteilung auszurichten. Fördert der Herkunftsstaat eine Pacht durch die genannten Vorfeldmaßnahmen, manifestiert dies sein oftmals sehr großes volkswirtschaftliches Interesse an der jeweiligen Nutzung, etwa im Bereich Ernährungssicherheit. Ein gewichtiges Argument gegen die Existenz extraterritorialer Schutzpflichten außerhalb der Hoheitsgewalt ist die territoriale Souveränität des Verpächterstaates über das zu regulierende Verhalten. Wenn diese aber von der Wahrnehmung der Schutzpflicht gar nicht betroffen sind, fällt ein Hindernis für eine solche Pflicht weg. Reguliert ein Herkunftsstaat das unternehmerische Handeln im Rahmen seiner zuvor genannten Beteiligung, wird die Souveränität des Verpächterstaates grundsätzlich nicht berührt. Eine staat liche Anteilsmehrheit verschafft dem Herkunftsstaat auf unternehmerischer Entscheidungsebene weitreichende Entscheidungsbefugnisse. Er kann im Rahmen aufsichtsrechtlicher Einflussnahme unternehmerisches Handeln im Ausland steuern. 3. Handlungsgrenzen aus der Souveränität des Verpächterstaates Anders ist die Wahrnehmung von Schutzpflichten zu beurteilen, welche Maßnahmen auf fremdem Hoheitsgebiet oder mit dortigen unmittelbaren Auswirkungen erfordert. Die Souveränität eines Verpächterstaates kann die Wahrnehmung extraterritorialer Schutzpflichten außerhalb wirksamer Gebietskontrolle begrenzen.344 Die Anforderungen an die Wahrnehmung extraterritorialer Schutzpflichten – das jeweilige Handlungsgebot – hängen unmittelbar mit den Grenzen ihrer Ausübung zusammen. Die Wahrnehmung extraterritorialer Schutzpflichten erfolgt primär durch die präventive Regulierung sowie Sanktionierung des Verhaltens Privater. Die Handlungsgrenzen entsprechen also den Anforderungen an die präskriptive sowie judikative Hoheitsgewalt. In der Lotus-Entscheidung stellte der StIGH fest, dass das Völkerrecht für die Regulierung und Aburteilung extraterritorialer Sachverhalte keine ausdrückliche Befugnisnorm fordert, solange damit nicht gegen internationales Recht verstoßen wird.345 Grundsätzlich ist es danach zulässig, 344 S. vertiefend Tomuschat, Menschenrechtsschutz und innere Angelegenheiten, S. 5 ff., in: Caflisch/Stein/Tomuschat, Eingriff in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten zum Zwecke des Menschenrechtsschutzes, 2002. 345 The Case of the S.S. Lotus (France v. Turkey), Judgement, P.C.I.J. Reports, Series A, No. 10 (1927), 46: „Far from laying down a general prohibition to the effect
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Lebenssachverhalte zu regeln, die sich auf fremdem Staatsgebiet ereignen. Jede nationale Rechtsordnung kann also selbst ihren Anwendungsbereich bestimmen, z. B. in Bezug auf die Besteuerung von Auslandsvermögen oder kartell- und insolvenzrechtliche Vorgaben an wirtschaftlich relevante Aktivitäten im Ausland.346 Die positiven Pflichten bestehen auf fremdem Territorium also nur in dem Umfang, in dem ihnen nicht durch das Völkerrecht, insbesondere die Souveränität des Verpächterstaates, Grenzen gesetzt werden.347 Der Herkunftsstaat ist nämlich nur verpflichtet, die ihm möglichen Maßnahmen zu ergreifen, d. h. die Schutzpflichten sind durch das Merkmal der Capacity begrenzt (s. D.II.1.). Dieses Kriterium kann im Zusammenhang mit extraterritorialen Schutzpflichten nicht abstrakt beurteilt werden. Es hängt von der räumlichen Distanz des Herkunftsstaates zu der jeweiligen Gefährdungslage, der Intensität politischer Verknüpfung sowie weiterer Anknüpfungspunkte („links of all other kinds“) ab.348 Das Committee on Economic, Social and Cultural Rights verlangt ebenfalls eine völkerrechtskonforme Erfüllung extraterritorialer Schutzpflichten („in accordance with the Charter of the United Nations and applicable international law“).349 Steht der Schutzpflichtenwahrnehmung ein Interesse des Verpächterstaates entgegen, verbietet das Interventionsverbot eine solche Maßnahme.350
that States may not extend the application of their laws and the jurisdiction of their courts to persons, property and acts outside their territory, it leaves them in this respect a wide measure of discretion, which is only limited in certain cases by prohibitive rules; as regards other cases, every State remains free to adopt the principles which it regards as best and most suitable.“; vgl. Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 46. 346 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 156, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 347 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 328. 348 Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 430; Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 204, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 349 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 14, UN Doc. E/C.12/2000/4, 11. August 2000, § 39. 350 Die Anforderungen an die völkerrechtsmäßige Ausübung extraterritorialer Exekutivgewalt wurden in Teil 1 C.I.1. dargestellt.
C. Ausweitung des Anwendungsbereichs auf extraterritoriale Pachtgebiete215
Die Regulierung von Auslandssachverhalten bedeutet also einen Eingriff in die Souveränität des Verpächterstaates und bedarf mithin eines völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungspunkts. Zur Bestimmung dessen für den Herkunftsstaat zur extraterritorialen Regulierung von Unternehmen ist zu unterscheiden, ob es die Staatszugehörigkeit von Herkunfts- oder Empfangsstaat besitzt bzw. ob – was häufig der Fall ist351 – das Mutterunternehmen einer dem Empfangsstaat zugehörigen Unternehmenstochter die Zugehörigkeit des Herkunftsstaates besitzt. Einen Anknüpfungspunkt für die Regulierung von juristischen Personen mit der Staatszugehörigkeit des Herkunftsstaates auch außerhalb von dessen Hoheitsgebiet liefert das aktive Personalitätsprinzip.352 In Teil 1 A.II.2. wurde festgestellt, wie die Staatszugehörigkeit von Unternehmen grundsätzlich bestimmt werden kann. Ist das zu regulierende Unternehmen also dem Herkunftsstaat zugehörig, ist ein völkerrecht licher Anknüpfungspunkt zur Regulierung gegeben. Der Wahrnehmung der Schutzpflicht kann dann lediglich entgegenstehen, dass die Regulierungsmaßnahme mit den Pflichten kollidiert, an welche der Empfangsstaat gebunden ist. Bei einer Pflichtenkollision mit dem Empfangsstaat muss der Herkunftsstaat ein überwiegendes Interesse an der Wahrnehmung der Schutzpflicht geltend machen.353 Widerspricht die dem Herkunftsstaat von seiner materiellen Menschenrechtsbindung vorgegebene extraterritoriale Regulierung eines Sachverhalts den Vorgaben des Empfangsstaates, ist daher eine Interessenabwägung durchzuführen.354 Liegt aber – wie es bei den in dieser Untersuchung herausgegriffenen Pflichten regelmäßig der Fall sein dürfte – zugleich eine korrelierende intraterritoriale Schutzpflicht des Empfangsstaates vor (s. Teil 2 D.II.), ist ein überwiegendes Interesse an der Wahrnehmung des Menschenrechtsschutzes pauschal anzunehmen.355 Der personale Anknüpfungspunkt fehlt indes, wenn das Mutter- aber nicht das Tochterunternehmen die Staatszugehörigkeit des Herkunftsstaates besitzt. Nimmt das konkret handelnde eigenständige Tochterunternehmen die Staatszugehörigkeit des Empfangsstaates an, droht der Herkunftsstaat bei Regulierung des Tochterunternehmens, die Souveränität des Empfangsstaates und 351 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (892). 352 Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 74; Kamminga, Extraterritoriality, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, November 2012, Rn. 11; De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 23. 353 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 208, in: Langford/ Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 354 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 263 ff. 355 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 328.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
letztlich das Interventionsverbot zu verletzen. Fehlt also die Staatszugehörigkeit des Herkunftsstaates, kann als Anknüpfungspunkt zur Regulierung des unternehmerischen Verhaltens nur auf das Territorialitätsprinzip zurückgegriffen werden. Es kommt damit nur eine Regulierung des dem Herkunftsstaat zugehörigen Mutterunternehmens (sog. Regelungsdurchgriff) oder eine direkte Klagemöglichkeit gegen das Mutterunternehmen innerhalb des Herkunftsstaates durch Geschädigte des Tochterunternehmens (sog. Haftungsdurchgriff) in Betracht.356 Mit einem Regelungsdurchgriff lässt sich das Verhalten des Tochterunternehmens nur dann steuern, wenn das Mutterunternehmen gesellschaftliche Leitungsmacht ausübt, d. h. durch Weisungen tatsächlichen Einfluss darauf nehmen kann.357 Einem Regelungsdurchgriff kann nur die zuvor dargestellte Pflichtenkollision entgegenstehen. Ein Haftungsdurchgriff gegen das Mutterunternehmen kommt insbesondere in Betracht, wenn es sich das konkrete Verschulden des Tochterunternehmens im Sinne einer „Vertreterhaftung“ zurechnen lassen muss oder es ein eigenes Verschulden durch Mitwirkung an der Rechtsverletzung trifft.358 Unter dem Schlagwort „piercing the corporate veil“ wird in diesem Zusammenhang gefordert, die tatsächlichen Machtverhältnisse multinationaler Unternehmen zu durchleuchten und zu prüfen, ob das Verhältnis zwischen Mutter- und Tochterunternehmen im Hinblick auf die Entscheidungsgewalt nicht einem reinen Vertretungsverhältnis gleichkommt.359 Für einen Haftungsdurchgriff besteht allerdings keine allgemeine völkerrechtlich anerkannte Pflicht.360 Ein weiteres Hindernis zur Wahrnehmung der Schutzpflichten und damit eine fehlende Möglichkeit der Maßnahme können sich aus Gerichtsstandsvereinbarungen ergeben. Im Regelfall unterliegt das Tochterunternehmen hinsichtlich Streitigkeiten aus dem Pachtverhältnis dem Gerichtsstand des Empfangsstaates.361 356 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (893 ff.). 357 Hennings, Über das Verhältnis von Multinationalen Unternehmen zu Menschenrechten, Dissertation Göttingen 2009, S. 46. 358 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (895). 359 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 37. 360 Weilert, Transnationale Unternehmen im rechtsfreien Raum? Geltung und Reichweite völkerrechtlicher Standards, ZaöRV 2009, S. 883 (894 ff.). 361 Z. B. Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009, Art. 12; Investment Canada Act – All Guidelines, Art. 15, abrufbar unter: http://www. ic.gc.ca/eic/site/ica-lic.nsf/eng/lk00064.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit217
4. Fazit zu extraterritorialen Schutzpflichten Extraterritoriale Schutzpflichten sind lediglich für den Fall anerkannt, dass der Herkunftsstaat über das jeweilige fremde Territorium wirksame Kontrolle ausübt und dieses damit seiner Hoheitsgewalt untersteht. Der Staat muss bei wirksamer Kontrolle fremden Hoheitsgebiets vor Übergriffen ihm nicht zurechenbarer Dritter schützen. Ist dies jedoch nicht der Fall, sind extraterrito riale Schutzpflichten bis auf enge Ausnahmen noch nicht völkerrechtlich anerkannt; primär ist also der Verpächter- bzw. Empfangsstaat verpflichtet, Übergriffe auf die Menschenrechte durch ausländische Akteure auf seinem Hoheitsgebiet zu unterbinden.362 Mangelt es an dieser wirksamen Kontrolle oder ist der Staat auf fremdem Territorium gar nicht erst in Gestalt seiner Amtsträger physisch anwesend, wird eine Pflicht zur Regulierung oder Sanktionierung des Verhaltens Dritter unter sehr engen Voraussetzungen von Teilen der Literatur bejaht. Dazu gehört die finanzielle Beteiligung etwa in Form von Exportkreditgarantien, sowie wenn der Pachtvertrag zwischenstaatlich vereinbart und die Ausführung einem privaten Unternehmen übertragen worden ist. Trotz einer Vielzahl befürwortender Ansätze in der Literatur kann darüber hinaus noch nicht von Schutzpflichten außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt gesprochen werden.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit – Konsequenzen einer Aufteilung der Gebietshoheit auf die Pflichten des Verpächterstaates I. Fortbestehen eingeschränkter Verantwortlichkeit des Verpächterstaates trotz Verlusts der wirksamen Gebietskontrolle Wenn der Verpächterstaat sich seiner Gebietshoheit freiwillig begibt, hat dies grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Fortbestand seiner völkerrechtlichen Pflichten.363 Aus der Tatsache, dass die Ausübung wirksamer Kontrolle über ein Gebiet die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates auf dieses Gebiet ausdehnt, folgt nicht automatisch, dass der Verpächter362 Montag, Pflichten des Sicherheitsrates und der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Friedenskonsolidierung, 2017, S. 251; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 39; Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (207). 363 Emmerich-Fritsche, Zur Verbindlichkeit der Menschenrechte für transnationale Unternehmen, Archiv des Völkerrechts Band 45, 2007, S. 541 (544).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
staat, welcher die Gebietskontrolle verliert, von seinen Pflichten befreit wird.364 Demgegenüber tritt auch der kontrollierende Staat kraft Ausübung der Gebietshoheit nicht in die völkerrechtlichen Pflichten des Verpächterstaates ein. Es wird zwar grundsätzlich erwogen, ob der Pächterstaat dann, wenn er die Gebietshoheit über ein fremdes Hoheitsgebiet ausübt, an die völkerrechtlichen Pflichten des Verpächterstaates gebunden ist, d. h. diese auf ihn übertragen werden.365 Eine solche Übertragung von Pflichten bleibt jedoch auf Fälle der Staatennachfolge begrenzt und findet im Rahmen dieser Untersuchung keinen Anwendungsbereich. Schließlich würde eine solche Übertragung entweder die Entpflichtung des Verpächterstaates oder eine Erweiterung des Kreises der Pflichtenträger bedeuten. Für eine solche Erweiterung besteht bereits keine Rechtfertigung, wenn der ursprünglich verpflichtete Staat weiterhin völkerrechtlich verantwortlich bleibt. Dies ist bis auf wenige Ausnahmen der Fall. Zunächst kommt in Art. 23 ILC-Entwurf der Ausnahmecharakter einer gelockerten Pflichtenbindung zum Ausdruck. Zugleich wird deutlich, dass die dort geregelte Ausnahme im Rahmen von Pachtverträgen nicht greifen kann: Nach der force-majeure-Regel handelt ein Staat nicht rechtswidrig bei dem Eintritt einer unüberwindbaren Kraft oder eines unvorhergesehenen Ereignisses außerhalb der Kontrolle des Staates, was es den Umständen nach tatsächlich unmöglich macht, die Verpflichtung zu erfüllen (Art. 23 Abs. 1 ILC-Entwurf). Die Regel findet jedoch keine Anwendung, wenn diese Situation auf das Verhalten des Staates selbst zurückzuführen ist oder dieser das Risiko des Eintritts dieser Situation übernommen hat, gem. Art. 23 Abs. 2 ILC-Entwurf. Liegt ein Verlust an Hoheitsgewalt danach in dem vom Verpächterstaat selbst abgeschlossenen Pachtvertrag begründet, hat er zumindest dieses Risiko übernommen und kann sich einer Verantwortlichkeit nicht entziehen.366 Der EGMR bejahte eine fortbestehende Verantwortung des Verpächterstaates im Falle der wirksamen Personenkontrolle durch einen anderen Staat. Die Entscheidung betraf zwei in Polen illegal inhaftierte Terrorverdächtige, die in 364 Kamchibekova, State Responsibility for Extraterritorial Human Rights Viola tions, Buffalo Human Rights Law Review 13/2007, S. 87 (100 f.); Lawson, Out of Control. State responsibility and Human Rights: Will the ILC’s Definition of the ‚Act of State‘ Meet the Challenges of the 21st Century?, S. 91 (113), in: CastermansHolleman/van Hoof/Smith, The Role of the Nation-State in the 21st Century – Human Rights, International Organizations and Foreign Policy, Essays in Honour of Peter Baehr, 1998. 365 Lorenz, Der territoriale Anwendungsbereich der Grund- und Menschenrechte, Dissertation HU Berlin 2005, S. 94; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 373. 366 Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 143.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit219
Kenntnis polnischer Behörden von CIA Mitarbeitern dort festgehalten und gefoltert wurden.367 Der EGMR sah eine Verletzung Polens von Art. 3 (Verbot der Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung), Art. 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), Art. 8 (Recht auf Privatsphäre und Familienleben), Art. 13 (Recht auf wirksame Rechtsmittel) und Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) als gegeben an.368 Aufgrund seiner territorialen Souveränität blieb Polen für alle Ereignisse verantwortlich, die auf seinem Hoheitsgebiet erfolgten, also auch für Menschenrechtsverletzungen durch Dritte auf eigenem Gebiet. Der EGMR beschäftigte sich außerdem mehrfach mit der fortbestehenden Verantwortlichkeit eines Staates über Gebiete, in denen er nur eingeschränkt Hoheitsgewalt ausüben konnte. In Assanidze v. Georgia stellte er fest, dass die Zuständigkeit des Territorialstaates zur Sicherung der Rechte aus der EMRK auf seinem gesamten Hoheitsgebiet vorausgesetzt werde,369 er also die Hoheitsgewalt über sein Gebiet grundsätzlich nicht verliere. Da die autonome Republik Adscharien weder „separatistische Bestrebungen“ gehegt noch ein anderer Staat „effective overall control“ darüber ausgeübt habe, stehe dieser Vermutung nichts entgegen.370 Gegenstand des Verfahrens Ilașcu and others v. Moldova and Russia war demgegenüber die separatistische Region Transnis trien, welche die Zentralregierung Moldawien nicht anerkannte. Obwohl Moldawien die „effective overall control“ über die Region verloren habe, verliere es nicht seine Hoheitsgewalt im Sinne von Art. 1 EMRK; der „scope of jurisdiction“ reduziere sich allerdings auf die positiven Pflichten, alle rechtlichen und diplomatischen Bestrebungen zur Einhaltung der EMRK vorzunehmen.371 Moldawien behielt die endgültige Souveränität über das von Separatisten kontrollierte Gebiet und damit die Kompetenz, gegenüber darin befindlichen Personen Rechtsakte zu erlassen und Urteile zu fällen.372 Davon ging auch das
367 Al
Nashiri v. Poland App no 28761/11 (ECHR, 24 July 2014), §§ 82 ff. Nashiri v. Poland App no 28761/11 (ECHR, 24 July 2014), §§ 460 ff. 369 Assanidze v. Georgia App no 71503/01 (ECHR, 8 April 2004), § 139. 370 Assanidze v. Georgia App no 71503/01 (ECHR, 8 April 2004), § 140: „[…] it is common ground that the Ajarian Autonomous Republic has no separatist aspirations and that no other State exercises effective overall control there […].“ 371 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 333; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (312). 372 den Heijer/Lawson, Extraterritorial Human Rights and the Concept of ‚Jurisdiction‘, S. 167, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 368 Al
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Human Rights Committee aus.373 Allein die Durchsetzungskompetenz war erheblich eingeschränkt. Auch das Oberverwaltungsgericht Münster bejahte in seiner Entscheidung zu den von der Air Base Ramstein aus gesteuerten US-Drohneneinsätzen im Jemen eine fortbestehende Verantwortlichkeit Deutschlands als Territorialstaat im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflichtendimension: „Geht es um die Gewährung von Schutz im Ausland oder gegenüber einem anderen Staat, zwingt die Tatsache, dass die deutsche öffentliche Gewalt gegebenenfalls nur beschränkten Einfluss auf die Umstände hat, von denen eine Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts oder der Grundrechtsgebrauch jeweils abhängen, nicht zu der Annahme, eine grundrechtliche Schutzpflicht sei bereits dem Grunde nach ausgeschlossen. Rechtliche und tatsächliche Grenzen von Handlungsoptionen können vielmehr erst für die Bestimmung der Reichweite der Schutzpflicht von Bedeutung sein.“374
Ungeachtet der Urteilsaufhebung im Rahmen der Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte dieses, dass grundrechtliche Schutzpflichten auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern bestehen können.375 Jedoch kann die Verantwortlichkeit des Territorialstaates ausnahmsweise „gelockert oder durchbrochen“ sein, wenn sein Gebiet militärisch besetzt ist und er nicht mehr die wirksame Kontrolle hierüber ausübt.376 Auch dann hat der Territorialstaat jedoch alle zumutbaren Schritte zu unternehmen, um die Rechte der Bevölkerung auf dem besetzten Gebiet sicherzustellen; dies gilt auch für den Fall einer Rebellion oder für den Versuch eines fremden Staats, eine separatistische Regierung auf dem Gebiet des Mitgliedstaates zu installieren.377 In diesen Fällen ist der Mitgliedstaat gehalten, die Kontrolle wieder zu erlangen. Er hat zudem Schritte zu unternehmen, um eine Sicherung der Rechte Betroffener sicherzustellen. Es bestand aufgrund der bis auf Ausnahmefälle fortbestehenden, unmittelbaren Verantwortlichkeit des Territorialstaates daher in der Menschenrechts praxis soweit ersichtlich auch bei Wegfall der wirksamen Gebietskontrolle 373 Human Rights Committee, Concluding observations (Georgia), UN Doc. CCPR/ C/GEO/CO/3/CRP.1 vom 19. Oktober 2007, § 6; vgl. Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 362. 374 OVG Münster, Urteil v. 19. März 2019, Az. 4 A 1361/15, BeckRS 2019, 5666, Rn. 116. 375 BVerwG, Urteil v. 25.11.2020, Az. 6 C 7/19, juris, Ls. 1. 376 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 1, Rn. 28; Banković and others v. Belgium and others App no 52207/09 (ECHR, 12 December 2001), § 70 f.; Loizidou v. Turkey App no 15318/89 (ECHR, 23 March 1995), preliminary objections. 377 Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 1, Rn. 28.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit221
bisher kein Anlass, eine nachgelagerte Verantwortlichkeit des Territorialstaates zu entwickeln. Würde dessen unmittelbare Verantwortlichkeit kraft des Verlusts wirksamer Gebietskontrolle zurücktreten, ließe sich eine solche nachgelagerte Verantwortlichkeit grundsätzlich auf der Grundlage eines Auswahl- oder Organisationsverschuldens begründen. Der Territorialstaat müsste sich dann auf ein mögliches eigenes Verschulden bei der Zustimmung zur Übernahme der wirksamen Gebietskontrolle durch den fremden (etwa Pächter-) Staat verweisen lassen. Trotz bislang fehlender Menschenrechtspraxis ließen sich dafür durchaus Begründungsansätze finden. So könnte der Maßstab der „Foreseeability“ übertragen werden, der etwa in Auslieferungsfällen Anwendung findet.378 Danach ist eine Verantwortlichkeit unter folgenden Voraussetzungen gegeben: „[T]his action has as a direct consequence the exposure of an individual to a foreseeable violation of his Convention rights in the country of his destination […].“379
Ist es in Übertragung dieses Maßstabs also für den Territorialstaat erkennbar, dass die Überlassung der wirksamen Gebietskontrolle durch einen anderen Staat die Verletzung von Konventionsrechten unmittelbar zur Folge hätte, wäre er auf nachgelagerter Ebene für Menschenrechtsverletzungen des unmittelbar handelnden Staates verantwortlich. Die Verletzungshandlung als solche müsste er sich nicht notwendigerweise zurechnen lassen, sondern die Überlassung der wirksamen Gebietskontrolle an den Pächterstaat, wenn dessen Verletzungshandlung vorhersehbar ist. Da die Verantwortlichkeit des Territorialstaates im Falle einer freiwilligen Rücknahme der Gebietshoheit jedoch fortbesteht, bleibt die Frage der nachgelagerten Verantwortlichkeit im Sinne eines Auswahl- oder Organisationsverschuldens theoretischer Natur. Im Ergebnis besteht die Verantwortlichkeit des Territorialstaates mithin bis auf zeitlich begrenzte Ausnahmen fort, die im Rahmen der untersuchten Pachtverträge keine praktische Anwendung finden. Davon ausgehend besteht im Rahmen dieser Untersuchung auch kein Erfordernis für eine Übertragung der völkerrechtlichen Pflichten des Territorialstaates auf den Pächterstaat.
378 Soering v. the United Kingdom App no 14038/88 (ECHR, 7 July 1989), §§ 90– 91, 113; Mamatkulov and Askarov v. Turkey [GC] App nos 46827/99, 46951/99 (ECHR, 4 February 2005), §§ 90–91; Al Nashiri v. Poland App no 28761/11 (ECHR, 24 July 2014), §§ 453. 379 Soering v. the United Kingdom App no 14038/88 (ECHR, 7 July 1989), §§ 90– 91, 113; Al Nashiri v. Poland App no 28761/11 (ECHR, 24 July 2014), §§ 452.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
II. Die Verantwortlichkeit des Verpächterstaates für das Unterlassen gebotener Maßnahmen Ein völkerrechtswidriges Verhalten kann sowohl durch ein Tun als auch ein Unterlassen hervorgerufen werden (Art. 2 ILC-Entwurf). Handlungspflichten, deren Unterlassen zu einer Rechtsverletzung führen kann, folgen insbesondere aus den menschenrechtlichen Schutz- oder Verhinderungspflichten. 1. Grundsätzliche Anforderungen an den Schutz vor dem Handeln Privater Schutzpflichten setzen voraus, dass kein staatlich zurechenbarer Eingriff, sondern ein sog. Übergriff durch privat handelnde Dritte vorliegt, d. h. eine nicht-hoheitliche Ursache, die eine Beeinträchtigung eines geschützten Rechts herbeiführt.380 Der menschenrechtliche Schutz wird folglich auf das horizontale Verhältnis zwischen Privaten übertragen. In Bezug auf ein und dieselbe Handlung und dasselbe Rechtssubjekt schließen sich Achtungs- und Schutzpflichten daher aus.381 Die Missachtung von Schutzpflichten begründet somit einen eigenständigen Verstoß, der die Staatenverantwortlichkeit zur Folge hat.382 Die Wahrnehmung von Handlungspflichten erfordert mehr als die bloße Verhinderung eines bestimmten Erfolgs. Im Teheraner Geiselfall erkannte der IGH eine Schutzpflichtverletzung des Iran darin, es unterlassen zu haben, notwendige Maßnahmen zum Schutz der amerikanischen Botschaft und des Personals zu ergreifen.383 In Velásquez Rodriguez v. Honduras hielt der IAGMR fest, dass die Verpflichtung zur vollen und freien Ausübung der Garantien der AMRK die Pflicht der Vertragsstaaten enthalte, den Regierungsapparat und allgemein alle Strukturen, durch die öffentliche Gewalt 380 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 122, 137; Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 38. 381 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 124. 382 Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (43). 383 United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran), Judgement, I.C.J. Reports 1980, S. 3, §§ 63 ff.; Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (44).
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit223
ausgeübt wird, so zu organisieren, dass sie in der Lage sind, den vollen und freien Genuss der Menschenrechte sicherzustellen.384 Im Ogoni-Fall entschied die African Commission on Human and Peoples’ Rights über umfangreiche staatliche Versäumnisse Nigerias im Zusammenhang mit dem Bau einer Ölpipeline durch ein staatliches Unternehmen im sog. Ogoni-Land.385 Die African Commission on Human and Peoples’ Rights hielt zu den Anforderungen an die Wahrnehmung von Schutzpflichten allgemein fest: „[…] the State is obliged to protect right-holders against other subjects by legislation and provision of effective remedies. This obligation requires the State to take measures to protect beneficiaries of the protected rights against political, economic and social interferences. Protection generally entails the creation and maintenance of an atmosphere or framework by an effective interplay of laws and regulations so that individuals will be able to freely realize their rights and freedoms.“386
Die Schaffung und der Erhalt von Rahmenbedingungen und einer funktionierenden Rechtsordnung sind danach der Kern der staatlichen Wahrnehmung von Schutzpflichten. Auch das Human Rights Committee fordert zur Erfüllung der positiven Pflichten des Zivilpaktes die Ergreifung legislativer, judikativer und administrativer einschließlich bildungsbezogener Maßnahmen.387 Vorbehaltlich handlungsnormspezifischer Besonderheiten liegt eine Verletzung menschenrechtlicher Schutzpflichten danach unter den folgenden Vo raussetzungen vor: Die Behörden des Staates müssen Kenntnis von einer drohenden oder eingetretenen Beeinträchtigung haben oder im Rahmen erforderlicher Sorgfalt und innerhalb der menschenrechtlich zulässigen Schranken der Informationsbeschaffung erlangen können; diese Anforderungen werden unter das Merkmal der Vorhersehbarkeit („foreseeability“) gefasst.388 384 Inter-American Court of Human Rights, Velásquez-Rodríguez v. Honduras, Judgment, Series C No. 4 vom 29. Juli 1988, § 166; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 287. 385 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and the Center for Economic and Social Rights (CESR) v. Nigeria, Comm. No. 155/96 (2001), § 46; hierzu BT-Drs. 17/9867 vom 5. Juni 2012, S. 1 f. 386 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and the Center for Economic and Social Rights (CESR) v. Nigeria, Comm. No. 155/96 (2001), § 46. 387 Human Rights Committee, International covenant on civil and political rights, General Comment No 31, UN Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, 26. Mai 2004, § 7: „[…] adopt legislative, judicial, administrative, educative, and other appropriate measures in order to fulfill their legal obligations.“ 388 Osman v. The United Kingdom App no 87/1997/871/1083 (ECHR, 28 October 1998), § 116; Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (51); Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (189, 224).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Sie müssen trotz dieser Kenntnis nicht die im Rahmen verfügbarer Mittel zu treffenden Schutzmaßnahmen ergriffen haben, von denen vernünftigerweise eine Abwendung der Beeinträchtigung zu erwarten ist (Merkmal der „capacity“).389 Die Einschränkung auf die Ergreifung verfügbarer Mittel entspricht dem im Völkerrecht generell zu beachtenden Grundsatz der Unmöglichkeit.390 Der Staat ist also nicht für ein Unterlassen verantwortlich, wenn er keine Handlungsalternative besitzt.391 Schließlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insofern zu beachten, als die zur Verfügung stehenden und tauglichen Maßnahmen ihrerseits menschenrechtskonform sein müssen.392 Auf allen Ebenen ist den Staaten dabei ein weiter Handlungs- und Ermessensspielraum eingeräumt.393 Der Taterfolg einer Schutzpflichtverletzung liegt regelmäßig in dem Eintritt eines Schadens für das zu schützende Rechtsgut.394 Darüber hinaus kann die Gefährdung eines Rechts bereits eine Schutzpflichtverletzung darstellen, wenn die Gefahr hinreichend konkret ist und das in Frage stehende Menschenrecht vor solchen Gefährdungen schützt.395 Vielfach wird die positive Pflicht zur Regulierung, Kontrolle und Sanktionierung mit der Einhaltung eines Sorgfaltsmaßstabs gleichgesetzt; daran anknüpfend werden die Schutzpflichten als due-diligence-Pflicht bezeichnet, 389 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 302; Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (52). 390 Der Grundsatz „nemo ultra posse tenetur obligatur“ ist anerkannter völkerrechtlicher Rechtssatz und gilt als Schranke für die Erfüllung jeder völkerrechtlichen Pflicht; vgl. zur nachträglichen Unmöglichkeit Art. 61 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge; Osman v. The United Kingdom App no 87/1997/871/1083 (ECHR, 28 October 1998), § 116; Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (52). 391 Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 28 Rn. 40; dies wird als einschränkendes Merkmal angeführt, welches das fehlende Verschuldenserfordernis ersetzt. 392 Der EGMR spricht von „fair balance“, vgl. Rees v. The United Kingdom App no 9532/81 (ECHR, 17 October 1986), § 37 bzw. „disproportionate burden“, vgl. Osman v. The United Kingdom App no 87/1997/871/1083 (ECHR, 28 October 1998), § 116; Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (202); Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 302. 393 Krennerich, Soziale Menschenrechte – Zwischen Recht und Politik, 2013, S. 132; von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 9. 394 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 153. 395 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 154.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit225
also als Pflicht zur Ergreifung aller erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung einer Rechtsverletzung.396 Dabei handelt es sich nach herkömmlichem Verständnis jedoch um einen Verschuldensmaßstab, der eine Rechtsverletzung erst voraussetzt. Nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit kommt es nur auf einen wrongful act und damit eine allein nach objektiven Maßstäben begründete Verantwortlichkeit an.397 2. Auswahl effektiver Schutzmaßnahmen Bei der Frage, welche Schutzmaßnahmen verfügbar sind und eine Abwendung der Beeinträchtigung versprechen, kommt dem Staat ein weiter Beurteilungsspielraum zu.398 Der EGMR beurteilt staatliche Handlungspflichten nach den Umständen des Einzelfalls und verwahrt sich der Aufstellung einer allgemeinen Theorie.399 Die Maßnahmen können faktischer und unmittelbarer Art sein oder sich auf gesetzgeberische Tätigkeiten ausdehnen.400 Der Staat muss effektive Normen erlassen, die das unternehmerische Verhalten regulieren, wie z. B. rechtliche Rahmenbedingungen zur Gewährleistung der Menschenrechte bei Investitionsvorhaben.401 Neben der Regulierung und 396 Inter-American Court of Human Rights, Velásquez-Rodríguez v. Honduras, Judgment, Series C No. 4 vom 29. Juli 1988, § 172; Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgement, I.C.J. Reports 2007, S. 43, § 430; Kranz, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für die Anwendung militärischer Gewalt – Maßstäbe der Zurechenbarkeit, Archiv des Völkerrechts Band 48, 2010, S. 281 (294, 326 f.); Seibert-Fohr, Die völkerrechtliche Verantwortung des Staats für das Handeln von Privaten: Bedarf nach Neuorientierung?, ZaöRV 2013, S. 37 (44). 397 Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 190; Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 28 Rn. 38, 42. 398 Young, James and Webster v. The United Kingdom App no 7601/76; 7806/77 (ECHR, 13 August 1981), § 65; X and Y v. The Netherlands App no 8978/80 (ECHR, 26 March 1985), § 24; Plattform „Ärzte für das Leben“ v. Austria App no 10126/82 (ECHR, 21 June 1988), § 34; Rudolf/von Raumer, Der Schutzumfang der Europäischen Menschenrechtskonvention – Individuelle Freiheitsrechte, Verfahrensgarantien und Diskriminierungsverbote im Vergleich zum Grundgesetz, Anwaltsblatt 4/2014, S. 11 (13). 399 Plattform „Ärzte für das Leben“ v. Austria App no 10126/82 (ECHR, 21 June 1988), § 31. 400 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 305. 401 United Nations Human Rights Council, Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie – Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations „Protect, Respect and Remedy“ Framework, UN Doc. A/HRC/17/31, Annex, Prinzip 1, S. 8 f.; Spießhofer, Wirtschaft und Menschenrechte – rechtliche Aspekte der Corporate Social Responsibility, NJW 2014, 2473 (2477).
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Kontrolle unternehmerischen Handelns kann einer Schutzpflicht auch durch die nachträgliche Sanktionierung nachgekommen werden.402 Die Maastrichter Prinzipien fassen den Begriff „to regulate“ so weit, dass davon adminis trative, legislative, investigative und judikative Maßnahmen umfasst werden.403 Der Staat hat danach zusammenfassend eine umfassende Regulierungs-, Kontroll- und Durchsetzungsverantwortung gegenüber Unternehmen auf seinem Territorium.404 Schutzpflichten fordern nicht nur die Gewährung von Schutz vor Beeinträchtigungen durch Private. Sie umfassen auch eingetretene oder drohende Verletzungshandlungen ausländischer Staatsorgane auf eigenem Staatsgebiet.405 Der Verpächterstaat kann bei der Wahrnehmung von Schutzpflichten gegenüber ausländischen Pächtern jedoch an seine Handlungsgrenzen stoßen. Er ist – wie soeben dargestellt – nach dem Grundsatz der Unmöglichkeit nur verpflichtet, die in den völkerrechtlichen Grenzen verfügbaren Maßnahmen zu ergreifen. Die verfügbaren Maßnahmen können insbesondere durch bilaterale Investitionsschutzverträge begrenzt sein. Der darin regelmäßig enthaltene Grundsatz des „fair and equitable treatment“ beschränkt staatliche Regulierungsmaßnahmen und verschafft dem Investor bzw. Pächter regelmäßig einen Entschädigungsanspruch.406
III. Die Verantwortlichkeit wegen Beihilfe zur Verletzung menschenrechtlicher Pflichten des Verpächterstaates Schließlich stellt sich die Frage, ob das Zusammenwirken von Herkunftsbzw. Pächterstaat auf der einen und Verpächterstaat auf der anderen Seite im Rahmen von Pachtverhältnissen mit einer Beihilfekonstruktion verglichen werden kann. Hierfür sind zwei Fallgestaltungen denkbar. Zunächst könnte 402 Kaleck/Saage-Maaß, Transnationale Unternehmen vor Gericht – Über die Gefährdung der Menschenrechte durch europäische Firmen in Lateinamerika, Heinrich Böll Stiftung, Schriften zur Demokratie, Band 4, 2008, S. 38. 403 Maastricht Principles, Nr. 24: „[…] administrative, legislative, investigative, adjudicatory and other measures […].“ 404 Zum Ganzen von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 15. 405 Ilașcu and others v. Moldova and Russia App no 48787/99 (ECHR, 8 July 2004), § 333; Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, 3. Aufl. 2013, Rn. 288; Stahl, Schutzpflichten im Völkerrecht – Ansatz einer Dogmatik, Dissertation Frankfurt 2012, S. 140 f.; Inter-American Court of Human Rights, The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Judgement, Series C No. 79 vom 31. August 2001, § 173 Nr. 4. 406 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 13; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 40.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit227
der pachtende Staat eine völkerrechtswidrige Unterstützungshandlung zu möglichen Verletzungshandlungen des Verpächterstaates leisten, indem er einen Pachtvertrag abschließt und durchführt bzw. durchführen lässt (hierzu 1.). Zum anderen könnte der Verpächterstaat eine völkerrechtswidrige Unterstützungshandlung zu möglichen Verletzungshandlungen des Pächters leisten, indem er den Abschluss und die Durchführung eines Pachtvertrags ermöglicht (hierzu 2.). 1. Beihilfe des Pächter- bzw. Herkunftsstaates zur Verletzungshandlung des Verpächters Die Beteiligung mehrerer Staaten an einer Völkerrechtsverletzung ist keine Frage der Zurechnung, sondern wird eigenständig in Kapitel IV des ILCEntwurfs behandelt. Art. 16 ILC-Entwurf regelt die Verantwortlichkeit eines Staates für die Hilfe oder Unterstützung bei dem völkerrechtswidrigen Handeln eines anderen Staates und Art. 17 ILC-Entwurf für die Leitung oder Kontrolle dessen Handelns. Voraussetzung ist jeweils, dass der Staat in Kenntnis der Umstände des völkerrechtswidrigen Verhaltens handelt und es auch völkerrechtswidrig wäre, sofern er selbst handelte.407 Eine völkerrechtswidrige Teilnahmehandlung des Pächter- bzw. Herkunftsstaates erfordert daher eine völkerrechtswidrige Haupttat des Verpächterstaates, wie z. B. die Verletzung einer menschenrechtlichen Schutzpflicht. Der Pächter- bzw. Herkunftsstaat müsste ihm dabei gem. Art. 16 ILC-Entwurf durch eine nicht unerhebliche Beteiligungshandlung helfen oder ihn unterstützen sowie Kenntnis von der Völkerrechtswidrigkeit besitzen. Er dürfte also nicht bloß vermuten, dass seine Unterstützungshandlung zu einer Verletzung durch den Verpächterstaat führt. Art. 16 ILC-Entwurf ist in seiner konkreten Ausgestaltung allerdings nicht uneingeschränkt gewohnheitsrechtlich anerkannt.408 Dieser Ansatz findet in Fällen von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen geförderter Investitionsprojekte Zuspruch. Im Rahmen der Errichtung und dem Betrieb der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline sowie der Tschad-Kamerun-Pipeline wurden die Staaten als Gehilfen völkerrechtlicher Delikte angesehen, welche die genannten Projekte finanziell unterstützen.409 407 Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 29 Rn. 42 ff.; vertiefend Felder, Die Beihilfe im Recht der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit, Dissertation Freiburg (Schweiz) 2007. 408 Lehnardt, Private Militärfirmen und völkerrechtliche Verantwortlichkeit, Dissertation HU Berlin 2011, S. 89; Tams, All’s Well That Ends Well – Comments on the ILC’s Articles on State Responsibility, ZaöRV 2002, S. 759 (794). 409 Skogly, Causality and Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 246 f., in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Ex
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Als Beispiel einer Beihilfehandlung im Rahmen der Pacht fremden Hoheitsgebiets kommen staatliche finanzielle Förderungsmaßnahmen auch im Rahmen von sog. Entwicklungsprojekten in Betracht, welche vorhersehbar zu Menschenrechtsverletzungen durch den Verpächterstaat führen.410 Als Beispiel nennt von Bernstorff Ausfuhrgewährleistungen wie deutsche „Hermes-Bürgschaften“ für Investitionsprojekte sowie politische Interventionen. Die Verletzung einer Schutzpflicht des Empfangsstaates läge dann in der unterlassenen Regulierung des Verhaltens eines Unternehmens des Herkunftsstaates; der Herkunftsstaat leistete Beihilfe zu diesem pflichtwidrigen Unterlassen, indem er dieses Unternehmen mit Ausfuhrgewährleistungen für ein Investitionsprojekt ausstattet, obwohl er weiß, dass dieses zu Menschenrechtsverletzungen führt.411 In diesem Fall unterstützt der Herkunftsstaat jedoch nicht primär den Empfangsstaat bei einem völkerrechtswidrigen Unterlassen, sondern den privaten Akteur bei einem menschenrechtlichen Übergriff. Erforderlich ist aber die Unterstützung eines Staates als Völkerrechtssubjekt, dessen Verhalten selbst die Staatenverantwortlichkeit auslöst. Dies wäre erst dann der Fall, wenn das Handeln des privaten Akteurs dem Empfangsstaat (trotz der Staatsangehörigkeit des Herkunftsstaates) zurechenbar wäre. Hierfür finden sich im Rahmen der untersuchten Pachtverträge jedoch keine praktischen Anwendungsfälle (s. Teil 2 A.II.2.). Die Anwendungsprobleme liegen also in der Akzessorietät der Beihilfe begründet. Die eigene rechtswidrige Unterstützungshandlung muss sich danach auf einen Rechtsverstoß des Verpächterstaates beziehen. Besteht dieser Rechtsverstoß in einem Unterlassen, wäre eine völkerrechtswidrige Hilfe oder Unterstützung dieses Unterlassens erforderlich. Die Unterstützung eines pflichtwidrigen Unterlassens wird jedoch nur in engen Ausnahmen anerkannt. Zum einen ist der Empfangsstaat nicht auf die Unterstützung bei dem Schutz vor Übergriffen auf seinem Hoheitsgebiet angewiesen, zum anderen begründete eine aktive Verhinderung dieses Schutzes bereits eine eigenständige Rechtsverletzung. Denn dies erforderte einen Eingriff in das souveräne Handeln des Empfangsstaates. Liegt der Rechtsverstoß des Empfangsstaates hingegen in einem aktiven Tun und damit innerhalb der menschenrechtlichen Achtungsdimension, kommt im Rahmen der Verpachtung seines Hoheitsgebiets hierfür nur der Vertragsabschluss selbst in Betracht. Der Herkunftsstaat müsste dazu als Vertragspartei, nämlich als Pächter, im Vorfeld des Vertragsabschlusses selbst rechtswidrig Beihilfe leisten. Auch dies erscheint fernlietraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 410 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 27. 411 von Bernstorff, Die völkerrechtliche Verantwortung für menschenrechtswidriges Handeln transnationaler Unternehmen, INEF 05/2010, S. 27.
D. Übergehende, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit229
gend. Diese Konstruktion kommt daher allenfalls im Hinblick auf ein außerhalb des Vertragsabschlusses liegendes, aktives Tun des Empfangsstaates in Betracht. Ein praktischer Anwendungsfall ist im Zusammenhang mit der Pacht fremden Hoheitsgebiets daher nicht erkennbar. 2. Beihilfe des Verpächterstaates zur Verletzungshandlung des Pächters Umgekehrt kommt eine Beihilfehandlung des verpachtenden (Empfangs-) Staates zu möglichen Verletzungshandlungen des Pächterstaates in Betracht, indem ersterer etwa den Abschluss und die Durchführung eines Pachtvertrags fördert oder ermöglicht. Nach den Maßstäben von Art. 16 ILC-Entwurf wird hierfür verlangt, dass der Verpächterstaat Abschluss und Durchführung eines Pachtvertrags in Kenntnis der Umstände eines völkerrechtswidrigen Aktes fördert. Die Kenntnisschwelle stellt indessen eine beträchtliche Hürde für die Begründung der Verantwortlichkeit des Verpächterstaates dar. Denn aus dem Vertragswerk selbst ergeben sich nach Auswertung praktischer Beispiele keine Umstände eines völkerrechtswidrigen Aktes. Welche Völkerrechtsverletzungen im Rahmen von Pachtverträgen in Betracht kommen, wird sogleich in Teil 3 untersucht. Unter Vorwegnahme dieser Ergebnisse lässt sich bereits feststellen, dass eine Verletzungshandlung regelmäßig nicht in dem Vertragsabschluss begründet liegt. Zwar setzen etwa gewaltsame Vertreibungen oder die Wasserversorgung gefährdende Maßnahmen den Pachtvertragsschluss voraus; dieser stellt jedoch noch keine eigenständige Verletzungshandlung dar. Erst im Rahmen der Durchführung des Pachtvertrags ließe sich durchaus eine Beihilfekonstellation begründen. Fördert der Verpächterstaat etwa die gewaltsame Vertreibung von Kleinbauern durch den Pächterstaat zur Bereitstellung des Pachtgebiets für denselben, wären die Voraussetzungen des Art. 16 ILC-Entwurf durchaus gegeben. Verletzt der Pächter im Rahmen der Vertragsdurchführung völkerrechtliche Pflichten und fördert der Verpächterstaat dies durch Unterstützungshandlungen, wäre der Anwendungsbereich der Beihilfe in einem weiteren Fall eröffnet. Typischerweise wäre der Verpächter jedoch bereits selbst zur Wahrnehmung von Schutzmaßnahmen verpflichtet, da die Verletzungshandlungen auf seinem Hoheitsgebiet stattfinden. Die Beihilfe träte dann lediglich komplementär neben die originäre Verletzung des Verpächterstaates.
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
E. Zwischenergebnis zu Teil 2 I. Zu A – Zurechenbarkeit des Verhaltens privater Akteure Schwerpunkt der Betrachtung ist die Zurechnung des Verhaltens privater Pachtunternehmen zum Herkunftsstaat. Unter Anwendung der Zurechnungsmaßstäbe aus dem ILC-Artikelentwurf kann für die untersuchten Pachtverhältnisse Folgendes festgehalten werden: Ein privates Unternehmen, welches selbst Pächter ist oder einen Pachtvertrag durchführt, ist typischerweise weder als Organ des Herkunftsstaates anzusehen noch übt es Elemente hoheit licher Gewalt gem. Art. 5 ILC-Entwurf aus. Es kann jedoch als de-facto-Organ eingeordnet werden, wenn die Gesamtheit der Unternehmensaktivitäten staatlich gesteuert wird, wie es bei Staatsunternehmen der Fall sein kann. Die Angelegenheiten des Unternehmens und des Staates müssen dafür so eng verknüpft sein, dass das Unternehmen außerhalb seiner juristischen Selbstständigkeit keinen erheblichen eigenständigen Existenzgrund besitzt und einer weisungsabhängigen Abteilung des Staatsapparates gleichkommt. In Betracht kommt zudem in engen Grenzen eine Zurechnung gem. Art. 8 ILC-Entwurf für vom Staat geleitetes oder kontrolliertes Verhalten. Dies gilt nicht für die Tatbestandsalternative des Handelns auf tatsächliche staatliche Anweisung. Da ein völkerrechtswidriges Verhalten hierfür unmittelbar aus der staatlichen Anweisung hervorgehen müsste und nicht erst im Rahmen oder im Zusammenhang mit der Vertragsdurchführung eintreten dürfte, bliebe hierfür kein praktischer Anwendungsbereich. Denn ein völkerrechtswidriges Verhalten lässt sich im Falle der untersuchten Pachtverträge nicht aus der staatlichen Anweisung ableiten, die in einem Pachtvertrag geregelten Befugnisse auszuüben. Von praktischer Bedeutung bleibt daher die zweite Alternative des Art. 8 ILC-Entwurf, das Handeln unter staatlicher Leitung und Kontrolle. Zurechenbar sind zunächst nur unternehmerische Aktivitäten innerhalb der Durchführung eines Pachtvertrages. Eine staatlicherseits geleitete oder kon trollierte konkrete Unternehmensoperation kommt etwa durch eine örtlich und zeitlich genau bestimmte Bau-, Erschließungs- oder Beseitigungsmaßnahme in Betracht. Die Zurechnung des Unternehmenshandelns auch von Staatsunternehmen kann nichtsdestotrotz auch durch die wirksame Kontrolle der konkreten Unternehmensoperation begründet werden. Für die Zurechnung zum Verpächterstaat kann festgehalten werden, dass eine Zurechnung des Verhaltens ausländischer Akteure, die hoheitliche Befugnisse auf dessen Territorium ausüben, nicht in Betracht kommt. Die Zurechnung des Vertragsabschlusses durch Organe des Verpächterstaates ist hingegen unproblematisch gegeben und stellt damit im Rahmen der unter-
E. Zwischenergebnis zu Teil 2231
suchten Pachtverhältnisse für den Verpächterstaat die einzige bedeutsame Zurechnungsregel dar.
II. Zu B – Keine unmittelbare völkerrechtliche Verantwortlichkeit privater Akteure Grundsätzlich obliegt Unternehmen eine besondere Verantwortung zur Beachtung der Internationalen Menschenrechtscharta und weiterer Menschenrechte, aber keine entsprechende durchsetzbare Pflicht („Corporate Responsibility to Respect“). Eine direkte Verpflichtung transnationaler Unternehmen wird bisher nur vereinzelt für erga-omnes-Pflichten angenommen, etwa hinsichtlich des Folterverbots und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber hinaus enthält das Völkerrecht nur ganz vereinzelt unmittelbare Verpflichtungen bzw. Haftungsbegründungen für Private. Somit lässt sich festhalten, dass sich die Übertragung völkerrechtlicher Pflichten auf im Rahmen von Pachtverhältnissen handelnde Unternehmen auf das innerstaatliche Recht beschränkt und keine Gültigkeit im Außenverhältnis besitzt.
III. Zu C – Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs völkerrechtlicher Pflichten des Pächterstaates auf extraterritoriale Pachtgebiete Maßgebliches Kriterium für die räumliche Anwendbarkeit völkerrechtlicher, insbesondere menschenrechtlicher Pflichten ist das Unterstehen staatlicher Hoheitsgewalt, wofür der effective-control-Maßstab entwickelt wurde. Entscheidend für die Anwendbarkeit menschenrechtlicher Achtungspflichten ist die wirksame Kontrolle entweder über die schutzsuchende Person oder über ein Gebiet. Dies ist außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsstaaten immer anhand der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Der EGMR nahm diese Umstände an, wenn ein Vertragsstaat entweder wirksame Kontrolle über ein Gebiet ausübt oder sich eine Person in der physischen Amtsgewalt und Kontrolle eines Amtsträgers befindet. Kennzeichnend für die wirksame Gebietskontrolle ist, dass der Vertragsstaat die Wahrnehmung der öffentlichen Befugnisse vom Verpächterstaat übernimmt. Das ist der Fall, wenn er die Herrschaft über die den eigenen Behörden oder Sicherheitskräften untergeordnete lokale Verwaltung des Verpächterstaates ausübt. Hauptsächlich wird hierbei auf tatsächliche Umstände abgestellt, die sich aus der Art der staatlichen Präsenz, nämlich der Ausübung der „public powers“ des Verpächterstaates, sowie aus dem Umfang der staatlichen Präsenz, nämlich
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Teil 2: Anforderungen an die völkerrechtliche Verantwortlichkeit
der vollumfänglichen Kontrolle durch faktische Ausübung von Hoheitsbefugnissen, ergeben können. Im Rahmen von Pachtverhältnissen kann eine wirksame Gebietskontrolle sowohl auf der Grundlage des Rechtsverhältnisses als auch aufgrund faktischer Erwägungen vorliegen. Während ersterer Maßstab bis auf Ausnahmen für die Übertragung militärischer Befehlsgewalt auf dem Pachtgebiet für die untersuchten Vertragstypen keinen Anwendungsbereich findet, bietet die wirksame Gebietskontrolle aufgrund faktischer Erwägungen mehr Raum für praktische Anwendungsfälle. Hier ist zwischen Kriterien, welche die konkrete Art ausgeübter Hoheitsrechte betreffen, sowie Kriterien, die ihren Umfang in einer Gesamtbetrachtung betreffen, zu unterscheiden. Während der Pächter bis auf vereinzelte militärische Befugnisse in der Regel keine Hoheitsrechte ausübt, die ihrer Art nach typischerweise hoheitlich sind, kann der Umfang staatlicher Präsenz durchaus zur Begründung von faktisch ausgeübter Hoheitsgewalt und damit zur Begründung wirksamer Gebietskontrolle herangezogen werden. Die Anforderungen sinken, wenn der Pächter erstmals hoheitliche Strukturen etabliert. Sie ist anzunehmen, wenn der Pächter für alle Personen und Sachverhalte auf dem Pachtgebiet vorgeben kann, wer wann unter welchen Voraussetzungen welche Rechte ausüben, welche wirtschaftlichen Aktivitäten durchführen kann, welche Leistungen erhält oder welche Verbote zu beachten hat. Hinzu kommen die umfassende Befugnis zur Bodennutzung, der Ressourcenkontrolle durch Wassernutzungsrechte und der Übernahme der gesamten Daseinsvorsorge (Infrastruktur, Schulen, Krankenhäuser) sowie die Zugangsregulierung, der Erlass von Nutzungsvorschriften und Sicherheitsvorgaben. Die wirksame Gebietskontrolle folgt in Pachtsituationen also aus der alleinigen tatsächlichen Entscheidungsbefugnis des Pächters über die Ausgestaltung des Gemeinwesens auf dem Pachtgebiet. Darüber hinaus wäre es aus Gründen der Effektivität des Menschenrechtsschutzes angezeigt, den Kontrollmaßstab im Falle der Bedrohung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte herabzusenken. Dies ist jedoch derzeit noch nicht in der menschenrechtlichen Praxis verankert. Extraterritoriale Schutzpflichten kommen lediglich dann in Betracht, wenn der Herkunftsstaat selbst über das jeweilige fremde Territorium wirksame Kontrolle ausübt und dies damit seiner Hoheitsgewalt untersteht. Dies gilt für zivile und wirtschaftliche Rechte. Der Staat muss bei wirksamer Kon trolle fremden Hoheitsgebiets vor Übergriffen ihm nicht zurechenbarer Dritter schützen. Ist dies jedoch nicht der Fall, sind extraterritoriale Schutzpflichten bis auf enge Ausnahmen und trotz vielversprechender Ansätze noch nicht völkerrechtlich anerkannt; primär ist also der Empfangsstaat verpflichtet, Übergriffe auf die Menschenrechte durch ausländische Akteure auf seinem Hoheitsgebiet zu unterbinden.
E. Zwischenergebnis zu Teil 2233
IV. Zu D – Übertragene, überlagerte oder gemeinschaftliche Verantwortlichkeit – fortbestehende Pflichten des Verpächterstaates Verpächterstaaten treffen in Bezug auf das Handeln Privater sowie ausländischer Staatsorgane in ihrem Hoheitsbereich Schutzpflichten, welche die Schaffung und den Erhalt von Rahmenbedingungen und einer funktionierenden Rechtsordnung umfassen. Eine Einschränkung der völkerrechtlichen Pflichten des Verpächterstaates infolge des Verlusts der Gebietshoheit ist allgemein auf Ausnahmen beschränkt und im Rahmen der untersuchten Pachtverträge weitgehend auszuschließen. Dies folgt bereits aus der Freiwilligkeit eines solchen Verlusts, der regelmäßig auf die pachtvertragliche Vereinbarung zurückgeht. Daher besteht auch keine Schutzlücke, die durch eine Übertragung der Pflichten auf den Pächter- oder Herkunftsstaat auszufüllen wäre. Bei der Heranziehung der Grundsätze der Beihilfe und einer darauf begründeten gemeinschaftlichen Verantwortlichkeit zwischen Pächter- und Verpächterstaat handelt es sich im Ausgangspunkt um einen treffenden Ansatz, da die tatsächlichen Mitwirkungsbeiträge an möglichen Verletzungshandlungen wertungsmäßig gerecht nachempfunden würden. Unter Heranziehung der differenzierten, in Kapitel IV des ILC-Entwurfs zusammengefassten Anforderungen stellt sich jedoch heraus, dass es für Beihilfekonstruktionen im Rahmen der untersuchten Pachtverträge keine eigenständige praktische Anwendung gibt. Die Beihilfe des Verpächters zu Verletzungshandlungen des Pächters tritt allenfalls begleitend zu einer eigenen Verantwortlichkeit aufgrund der Verletzung von Schutzpflichten hinzu.
Teil 3
Spezifische Völkerrechtsverstöße im Rahmen der Pachtverhältnisse A. Einführung und Bestimmung der Auswahlkriterien für die Untersuchung spezifischer Völkerrechtsverstöße Aus der Vielzahl der im Zusammenhang mit der Pacht fremden Hoheitsgebiets auftretenden völkerrechtlichen Konfliktlagen werden in diesem dritten und letzten Teil einzelne besonders relevante Völkerrechtsverstöße herausgegriffen und untersucht.
I. Staatliche Verantwortlichkeit aus der Verletzung eines kollektiven Gruppeninteresses oder einer Individualrechtsposition Die Verletzung einer staatlichen Pflicht zur Achtung oder zum Schutz der Menschenrechte kann zu einer vertikalen Verantwortlichkeit des Staates gegenüber dem verletzten Individuum führen. Der Rechtsschutz des Betroffenen richtet sich sodann nach der Ausgestaltung der regionalen oder universellen Beschwerde- und Abhilfemöglichkeiten, wie Individualbeschwerden, Staatenberichte oder -beschwerden. Eine Menschenrechtsverletzung bedeutet hingegen nicht ohne Weiteres die Verletzung einer horizontalen Verpflichtung gegenüber anderen Staaten. Nur Völkerrechtssubjekte können die Rechtsfolgen nach Teil 3 Kapitel 1 des ILC-Entwurfs geltend machen (vgl. Art. 42 ILC-Entwurf). Die Verpflichtung zum Schutz der Menschenrechte findet nur im Zusammenhang mit Gegenmaßnahmen in Art. 50 Abs. 1 lit. b ILC-Entwurf ausdrückliche Erwähnung. Gleichwohl stellt die Verletzung auch völkerrechtlicher Individualrechtspositionen einen Fall der Staatenverantwortlichkeit dar. Darüber hinaus sind Staaten aufgrund eines völkerrechtlich anerkannten internationalen Mindeststandards verpflichtet, Fremden auf ihrem Staatsgebiet ein „Minimum an gerichtlichem Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen und Schutz durch Ordnungskräfte, bei Angriffen auf Leib, Leben und Vermögen, ein faires Strafverfahren, Schutz vor willkürlichen Verhaftungen sowie die Haftung für rechtswidrige Maßnahmen staatlicher Organe“ zu
A. Einführung und Bestimmung der Auswahlkriterien235
gewähren.1 Dieser Mindeststandard hat insbesondere im Bereich des Eigentumsschutzes Bedeutung.2 Ein Verstoß gegen diesen Mindeststandard verletzt die Rechte des Staates, welchem die verletzte Person angehört und führt zu einer unmittelbaren horizontalen Verpflichtung des verletzenden Staates, die im Wege des diplomatischen Schutzes geltend gemacht werden kann. In den Commentaries der ILC sind regionale Menschenrechtsverträge als Beispiele für den Anwendungsbereich von Art. 48 Abs. 1 lit. c ILC-Entwurf aufgeführt.3 Ein nicht verletzter Staat kann somit bestimmte Menschenrechtsverletzungen eines anderen Staates geltend machen. Auch die Maastrichter Prinzipien sehen unter Nr. 11 vor, dass die Verletzung einer menschenrecht lichen Verpflichtung die Staatenverantwortlichkeit auslöst.4 Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen der untersuchten Pachtverträge bezieht sich sowohl auf die Verantwortlichkeit gegenüber anderen Staaten als auch gegenüber Individuen. Die Anforderungen an die jeweilige Rechtsverfolgung bei Feststellung eines Völkerrechtsverstoßes im Einzelnen werden bewusst ausgeklammert. Der Untersuchungsrahmen endet damit bei der Feststellung einer grundsätzlichen Verantwortlichkeit des jeweiligen Staates auf Pächteroder Verpächterseite.
II. Inhaltliche Aussparung bestimmter Rechtspositionen Schließlich werden aus inhaltlicher Sicht bestimmte Rechtspositionen aus der Untersuchung ausgespart, obwohl sie im Zusammenhang mit der Pacht großflächiger Agrarflächen in Schwellen- und Entwicklungsländern häufig im Mittelpunkt stehen. Die Menschenrechte können jedoch nur dann vor der Verletzung national anerkannter Landrechte schützen, wenn in dem jeweiligen Verhalten zugleich eine bestimmte Rechtsgutverletzung aus völkerrechtlicher Sicht liegt.5 Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker als Ausdruck der Souveränität einer Bevölkerungsgruppe über die natürlichen Ressourcen eines Staates gegenüber ausländischen Investoren wird zwar häufig
1 Herdegen,
Völkerrecht, § 27 Rn. 4 m. w. N. Völkerrecht, § 27 Rn. 5. 3 Yearbook of the International Law Commission 2001 Volume II Part 2, ILCCommentaries, UN Doc. A/CN.4/SER.A/2001/Add.1 (Part 2), Art. 48, § 7. 4 Maastricht Principles (s. Teil 2, Fn. 255), Nr. 11: „State responsibility is engaged as a result of conduct attributable to a State, acting separately or jointly with other States or entities, that constitutes a breach of its international human rights obligations wether within its territory or extraterritorially.“ 5 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 33. 2 Herdegen,
236
Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
als Argument gegen großflächige Landinvestitionen angeführt.6 Tatsächlich handelt es sich dabei um ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes „tragendes Legitimationsprinzip“ des Völkerrechts, welches das Verständnis von Staat, Territorium, Menschenrechten und Souveränität durchdringt.7 Es ist zudem sowohl im Zivilpakt als auch im Sozialpakt jeweils in Art. 1 Abs. 2 kodifiziert. Dennoch ist es für die Mehrzahl der untersuchten Verträge nicht repräsentativ. Zwar ist seine Bedeutung im Zusammenhang mit Vertragskonstellationen, die typischerweise als „Landraub“ bezeichnet werden, als hoch anzusiedeln. Denn es sind gerade naturverbundene und selbstversorgende Völker, die in Ländern des „globalen Südens“ von Landinvestitionen betroffen sind und zugleich in der Regel über keine eingetragenen Landrechte verfügen, sondern sich auf traditionelle Nutzungsrechte stützen. Jedoch findet es Anwendung auf Völker und nicht lediglich Bevölkerungsgruppen. Zudem sollen vorliegend Maßstäbe gefunden werden, die sich auf aktuelle Pachtverträge in der Breite anwenden lassen und somit allgemeingültig sind. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird ebenfalls ausgeklammert. Zwar kann es im Zusammenhang mit den untersuchten Pachtverträgen zu entsprechenden Verletzungshandlungen kommen; diese lassen sich jedoch nicht adäquat kausal auf die Pacht zurückführen und besitzen einen anderen, eigenständigen Unwertgehalt. Die im Folgenden untersuchten Rechtsverletzungen leiten sich indes sämtlich aus pachtvertraglichen Befugnissen ab, können also als mittelbare Konsequenz der Vertragsausübung betrachtet werden. Das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit der Person lässt sich zwar auf vertragliche Festnahmerechte und damit adäquat kausal auf die Pacht zurückführen; aufgrund seiner gegenüber dem Recht auf Eigentum und auf Nahrung geringeren praktischen Bedeutung wird es jedoch zur besseren Schwerpunktsetzung ausgenommen.
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum Beginnend mit dem Recht auf Eigentum werden der Schutzbereich und mögliche Eingriffe sowohl durch den Verpächter- bzw. Empfangsstaat als auch durch den Pächter- bzw. Herkunftsstaat untersucht. Da sich die Kritik an den großflächigen Landpachtverträgen häufig auf die mangelhafte Berücksichtigung nicht eingetragener oder – wie häufig in Afrika – nur gewohnheitsrechtlich bestehender Landrechte richtet, werden diese zusätzlich untersucht.8 6 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 4. 7 Heintze, in: Ipsen, Völkerrecht, § 8 Rn. 5. 8 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum237
I. Der Schutzbereich des Rechts auf Eigentum 1. Eigentumsrechte aus der AEMR sowie regionalen Menschenrechtsverträgen Das Recht auf Eigentum hat seinen völkerrechtlichen Ursprung im Fremdenrecht und im heutigen Menschenrechtssystem noch keine gewohnheitsrechtliche Geltung als in- wie ausländerschützendes Recht erlangt.9 Es ist jedoch in verschiedenen regionalen Menschenrechtsverträgen sowie in der AEMR enthalten. a) Kodifizierung des Eigentumsrechts Nach Art. 17 Abs. 1 AEMR hat jeder das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben und nach Art. 17 Abs. 2 AEMR darf niemand willkürlich seines Eigentums beraubt werden. Entschädigungsansprüche für den Fall einer Entziehung des Eigentums sind dort nicht geregelt. Der Sozial- und der Zivilpakt schützen das Recht auf Eigentum höchstens mittelbar, ohne es ausdrücklich zu gewährleisten. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK) enthält hingegen einen umfassenden Schutz, der die Eigentumsentziehung verbietet, soweit sie nicht gegen die Zahlung einer gerechten Entschädigung, aus Gründen des öffentlichen Wohls oder sozialen Interesses sowie in den gesetzlich vorgesehenen Fällen nach recht lichen Grundsätzen erfolgt.10 Die EMRK schützt das Recht auf Eigentum in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls, regelt jedoch keine Entschädigung im Falle seiner Entziehung. Die African Charter on Human and People’s Rights (Banjul Charter) verbietet Eingriffe in das Recht auf Eigentum ohne ein ausreichendes öffentliches Interesse, statuiert jedoch kein Kompensationserforder13/2010, S. 507 (509); Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 16; von Berns torff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 3. 9 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 (132 f.), in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005; zur Vertiefung Cotula, International law and negotiating power in foreign investment projects: Comparing property rights protection under human rights and investment law in Africa, South African Yearbook of International Law, Vol. 33 2008, S. 62 ff. und Sprankling, The Emergence of International Property Law, North Carolina Law Review Vol. 90 2012, S. 461 (465). 10 Art. 21 Abs. 2 AMRK: „No one shall be deprived of his property except upon payment of just compensation, for reasons of public utility or social interest, and in the cases and according to the forms established by law.“
238
Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
nis.11 Dieses ergibt sich in der Regel jedoch aus dem Erfordernis der Gesetzmäßigkeit eines Eingriffs („in accordance with the provision of appropriate laws“). Die African Commission on Human and Peoples’ Rights hielt mehrfach fest, dass das Recht auf Eigentum nicht nur den ungehinderten Zugang zu seinem Eigentum und den Schutz vor Eindringen oder Übergriffen darauf beinhaltet, sondern auch den ungestörten Besitz, die Nutzung und Kontrolle darüber nach Belieben des Berechtigten.12 Der Schutz des Eigentums ist Gegenstand weiterer Menschenrechtsverträge.13 Darüber hinaus können sich insbesondere ausländische Investoren auf einen weitreichenden Enteignungsschutz aus Investitionsschutzverträgen berufen.14 Vorbehaltlich regionaler Unterschiede können bestimmte gemeinsame Voraussetzungen für einen Eingriff in das Recht auf Eigentum festgehalten werden.15 Ein Eingriff darf zunächst nur auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen, die den Wesensgehalt des betroffenen Menschenrechts respektiert; der Eingriff zugunsten der Rechte anderer oder öffentlicher Zwecke muss im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen, bei dessen Beurteilung dem Gesetzgeber ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt; schließlich darf ein Eingriff nur gegen eine angemessene Entschädigung erfolgen und muss verhältnismäßig sein.16 Von diesen Voraussetzungen gehen auch die Freiwilli11 Art. 14 Banjul Charter: „The right to property shall be guaranteed. It may only be encroached upon in the interest of public need or in the general interest of the community and in accordance with the provisions of appropriate laws.“ 12 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Huri-Laws v. Nigeria, Comm. No. 225/98 (2000), § 52; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 186. 13 Art. 5 lit. d ICERD („Right to not to be subjected to racial discrimination in the right to property“); Art. 10 UNDRIP („Right not to be forcibly removed from lands without FPIC“), Art. 25 UNDRIP („Right to maintain spiritual relationship with traditionally owned/occupied land and resources“), Art. 26 UNDRIP („Right to lands and resources they use and occupy“), Art. 29 UNDRIP („Right to conservation and protection of the environment of their lands and resources“), Art. 8 lit. j Convention on Biological Diversity (CBD – „Right to respect for traditional knowledge and lifestyles of indigenous and local communities“) und 10 lit. c CBD („Duty on states to protect and encourage customary use and culture with respect to biological resources“). 14 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 (138 ff.), in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005. 15 Zum Ganzen: von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 34 f.; für die EMRK Rudolf/von Raumer, Der Schutzumfang der Euro päischen Menschenrechtskonvention – Individuelle Freiheitsrechte, Verfahrensgarantien und Diskriminierungsverbote im Vergleich zum Grundgesetz, Anwaltsblatt 4/2014, S. 11 (18). 16 Sprankling, The Emergence of International Property Law, North Carolina Law Review Vol. 90 2012, S. 461 (493); Cotula, International law and negotiating power
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum239
gen Leitlinien zu Landnutzungsrechten aus (Nr. 16.1 bis 16.9). Die Entziehung von Eigentumsrechten durch den Staat bedarf damit einer gesetzlichen Ermächtigung. Landreformen, die solche Eingriffe beinhalten, können völkerrechtskonform in Gestalt eines Parlamentsgesetzes und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen.17 b) Schutz nicht eingetragener Landrechte Das Recht auf Eigentum schließt grundsätzlich kollektive, gewohnheitsrechtliche Landrechte mit ein, die nicht von der jeweiligen nationalen Rechtsordnung anerkannt werden.18 Der EGMR hielt in Dogan v. Turkey fest, dass der Begriff des Eigentums („possessions“) eine selbstständige Bedeutung hat, die nicht auf das Inhaberverhältnis an physischen Gegenständen beschränkt ist.19 Es umfasse vielmehr nicht eingetragene Ländereien, die Gemeineigentum darstellen und als wirtschaftliche Ressourcen in Gestalt von Weideflächen und Wäldern den Berechtigten zur Schaffung ihres Lebensunterhalts dienen.20 Damit beschreibt der EGMR deutlich die vorliegend relevanten nicht eingetragenen und subsistenzwirtschaftlich genutzten Ländereien von Kleinbauern. Die African Commission on Human and Peoples’ Rights stuft diese Entscheidung als bedeutend für die Stärkung des Schutzes indigener Völker in ihren traditionellen Landrechten ein.21
in foreign investment projects: Comparing property rights protection under human rights and investment law in Africa, South African Yearbook of International Law, Vol. 33 2008, S. 62 (68 f.). 17 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 34 f. 18 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 32; Inter-American Court of Human Rights, The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Judgement, Series C No. 79 vom 31. August 2001, § 140b; Inter-American Court of Human Rights, The Saramaka People v. Suriname, Judgement, Series C No 172 vom 28. November 2007, § 174; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 162. 19 Dogan and others v. Turkey App nos 8803–8811/02, 8813/02 and 8815–8819/02 (ECHR, 29 June 2004), § 138. 20 Dogan and others v. Turkey App nos 8803–8811/02, 8813/02 and 8815–8819/02 (ECHR, 29 June 2004), § 139: „[T]he applicants had unchallenged rights over the common lands in the village, such as the pasture, grazing and the forest land, and that they earned their living from stockbreeding and tree-felling.“ 21 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 188.
240
Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
In diese Richtung interpretierte auch der IAGMR den Eigentumsbegriff der AMRK in der grundlegenden Entscheidung The Mayagna (Sumo) Awas Tingni v. Nicaragua. Eigentumsrechte indigener Bevölkerungsgruppen bestünden im Rahmen gemeinschaftlich genutzter Ländereien auch ohne einen offiziellen Rechtstitel.22 So verhindere eine unklare Zuordnung abgrenzbarer Flächen zu einzelnen Personen nicht, das Recht an der Nutzung natürlicher Ressourcen einer bestimmten Gruppe als gemeinschaftliches Eigentum zuzuordnen.23 Die menschenrechtliche Eigentumsgarantie hat sich im Falle nicht registrierter gemeinschaftlicher Landrechte einer abgrenzbaren Bevölkerungsgruppe also anzupassen und auf abweichende Kriterien zurückzugreifen, um den Schutzumfang zu bestimmen. Dieser richtet sich nach der Struktur von Grundeigentum, die sich innerhalb einer solchen Gemeinschaft findet. Auch wenn Hinweise auf Rechte Einzelner an abgrenzbaren Flächen in ihrer Entstehung und ihrem Fortbestehen nicht zu führen sind, reicht der Nachweis der dauerhaften Nutzung durch die Gemeinschaft. Die African Commission on Human and Peoples’ Rights befasste sich im Fall Center for Minority Rights Development (CEMIRIDE, Kenya) and Minority Rights Group v. Kenya mit der Vertreibung bzw. Umsiedlung von Viehhaltern, den Endorois, von ihren angestammten Ländereien durch die kenianische Regierung. Diese gründete ein Wildreservat, vergab eine Bergwerkskonzession und verkaufte Teile des Landes an Dritte; Kompensationszahlungen erreichten nur einen Teil der Betroffenen, wurden in unzureichender Höhe und erst 13 Jahre nach der Umsiedlung gezahlt.24 Daraus schloss die African Commission on Human and Peoples’ Rights eine Verletzung von Art. 14 der Banjul Charter, wonach ein Eingriff in das Recht auf Eigentum nur in Übereinstimmung mit bestimmten Gesetzen („appropriate laws“) vorgenommen werden darf. Dazu zählen nationale Regeln wie die Kompensa tionsregel der kenianischen Verfassung, die eine unverzügliche Zahlung einer vollständigen Kompensation („prompt payment of full compensation“) vorsehe; außerdem wurde kein überwiegender öffentlicher Zweck anerkannt, die
22 Inter-American Court of Human Rights, The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Judgement, Series C No. 79 vom 31. August 2001, § 140 lit. b. 23 Inter-American Court of Human Rights, The Saramaka People v. Suriname, Judgement, Series C No 172 vom 28. November 2007, § 174; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 193 f. 24 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 110 ff.
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum241
Umsiedlung der Endorois war vielmehr unangemessen („disproportionate to any public need“).25 Der Schutz nicht eingetragener Landrechte wird auch in den Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten gefordert. In deren Sektion 8 ist die staatliche Anerkennung und der Schutz von Ländereien im Eigentum öffentlicher Gemeinschaften geregelt, in Sektion 9 der Schutz gewohnheitsrechtlich anerkannter Landrechte indigener Völker und in Sektion 10 der Schutz informeller Landtitel. Nichtsdestotrotz sind nicht eingetragene Landrechte noch nicht in demselben Umfang vom Schutzbereich völkerrechtlicher Eigentumsrechte umfasst. Soweit ihr Schutz durch regionale Menschenrechtspraxis bereits gestärkt worden ist, besteht er jedenfalls noch nicht universal. Da Rechtspositionen indigener Völker mangels formaler Rechtstitel im Rahmen von Pachtverträgen somit besonders gefährdet sind, bedarf es weiterer Regelungen zum Schutz vor dem Entzug von Land als existenzielle Grundlage der Selbstversorgung. Der Schutz von Landrechten indigener Völker wurde dementsprechend in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und Resolutionen gestärkt. Art. 13 bis 19 der ILO-Convention Nr. 169 greifen unter dem Titel „Grund und Boden“ die Landrechte indigener Völker auf.26 Danach sind die Eigentums- und Besitzrechte indigener Völker an dem von ihnen traditionell besiedelten Land anzuerkennen, gem. Art. 14 Nr. 1 ILO-Convention Nr. 169. Daneben wurde am 13. September 2007 die UN-Resolution 61/295 über die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker angenommen. Danach richten Staaten wirksame Mechanismen zur Verhütung und Wiedergutmachung von jeder Handlung ein, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass indigene Völker und Menschen ihrer Integrität als eigenständige Völker oder ihrer kulturellen Werte oder ihrer ethnischen Identität beraubt werden sowie jeder Handlung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass ihnen der Besitz ihres Landes, ihrer Gebiete oder ihrer Ressourcen entzogen wird (Art. 8 Nr. 2 lit. a, b). Weiter schützt sie gem. Art. 10 UN-Resolution 61/295 vor zwangsweiser Umsiedlung und gebietet die Einbeziehung und Mitbestimmung indigener Völker bei der Erschließung oder Nutzung ihres Landes oder ihrer Gebiete und sonstigen Ressourcen gem. Art. 32 Nr. 1 und 2 UN-Resolution 61/295. 25 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 101, 108; Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 27. 26 International Labour Organization (ILO), Convention Nr. 169, Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, 1989.
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Die folgende Untersuchung staatlicher Eingriffe in den Schutzbereich von Eigentumsrechten im Rahmen von Pachtverträgen schließt nicht eingetragene Landrechte indigener Völker im Wesentlichen mit ein. Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit gilt jedoch unter dem Vorbehalt, dass das jeweilige regionale Menschenrechtssystem einen gleichwertigen Schutz gewährleistet. Die Besonderheiten nicht eingetragener Landrechte indigener Völker werden dabei nur vereinzelt zur Veranschaulichung hervorgehoben. Dadurch soll ein allgemeingültiger Maßstab für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit im Rahmen von Landpachtverträgen entwickelt werden, der nicht nur, aber auch auf solche Pachtgebiete Anwendung findet, die von indigenen Völkern genutzt werden.
II. Eingriff des Verpächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen Als Eingriffe des Verpächterstaates kommen sowohl die Entziehung von Eigentumspositionen Privater als auch das Unterlassen gebotener Schutzmaßnahmen gegen Übergriffe Dritter in Betracht. 1. Eingriff durch die Entziehung von Eigentumspositionen (Verletzung von Achtungspflichten) Der Verpächterstaat verstößt unter den folgenden Voraussetzungen durch die Verpachtung von Land gegen seine Pflichten zur Achtung von Eigentum sowie die besondere Ausprägung der Eigentumsrechte in Gestalt der Landrechte indigener Völker. Dazu gehören die Verletzung von Eigentumspositionen im Vorfeld des Vertrags oder die Verpachtung unter Missachtung der selben. Die Enteignung kann durch Rechtsakt erfolgen oder das Land kann faktisch entzogen werden. Letztere Verletzungshandlung ist insbesondere für nicht eingetragene Landrechte von Bedeutung. a) Entschädigungslose Enteignung durch Rechtsakt Eine Entziehung eingetragener Rechtspositionen im Vorfeld der Verpachtung oder im Rahmen der Vertragsausführung ohne Beachtung der dafür entwickelten Anforderungen stellt einen Eingriff des Verpächterstaates in das Recht auf Eigentum dar. Erforderlich wäre also eine gesetzliche Grundlage für die Enteignung, die Zahlung einer angemessenen Entschädigung, die Verfolgung eines überwiegenden öffentlichen Zwecks sowie die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Entziehung katastermäßig erfasster und eingetragener Landrechte erfolgt häufiger im Zuge der Pacht in
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum243
Industriestaaten als im Zuge der Verpachtung landwirtschaftlich genutzter Flächen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Praktische Beispiele für eine solche Enteignung im Zuge großflächiger Landpachtverträge sind dementsprechend selten. In aller Regel wird eine Enteignung vertraglich nicht vorgesehen und Pachtverträgen auch keine enteignungsgleiche Vorwirkung zugesprochen. Es handelt sich also nicht um vertraglich ausdrücklich vorgesehene Enteignungen, sondern solche, die faktisch durchgeführt werden müssen, um das Land dem Pächter bereitzustellen. Enteignungen können regelmäßig in gerechtfertigter Weise aus öffentlichem Interesse vorgenommen worden. Dabei handelt es sich aufgrund des großen Interpretationsspielraums um ein unscharfes Kriterium. In einigen Ländern, z. B. in Tansania, lassen sich auch kommerzielle (öffentliche) Interessen darunter fassen.27 Die African Commission on Human and Peoples’ Rights forderte in CEMIRIDE (Kenya) and Minority Rights Group v. Kenya hinsichtlich des überwiegenden öffentlichen Interesses allerdings höhere Anforderungen, wenn es um den Schutz traditioneller Landrechte indigener Bevölkerungsschichten geht.28 Wird eine Bevölkerungsgruppe von ihrem traditionell und generationsübergreifend angestammten Land unter Missachtung ihrer Eigentumsrechte umgesiedelt, ist danach kaum ein öffentlicher Zweck ersichtlich, der diese Maßnahme in verhältnismäßiger Weise recht fertigen würde.29 Das gelte umso mehr, wenn der Zugang zu dem in Rede stehenden Grundeigentum der Erhaltung der Lebensgrundlage dient. In den untersuchten Pachtverträgen finden sich Regelungen über Enteignungen zur Bereitstellung des Pachtgebietes, die auch eine angemessene Entschädigung regeln. So ist im Vertrag zwischen der Regierung von Kamerun und einem europäischen Unternehmen vorgesehen, dass Anteile aus den Pachtgebühren an lokale Gruppen gezahlt werden, nämlich zu 40 % an Kommunen und zu 20 % unmittelbar an die Bewohner betroffener Dörfer.30 Welche Enteignung tatsächlich nach völkerrechtlich anerkannten Maßstäben angemessen ist, bleibt dem Einzelfall vorbehalten und erfordert eine eingehende Untersuchung des jeweiligen Grundstückswertes. Beispiele für Enteignungen, welche nicht auf mögliche Entschädigungen eingehen, finden sich 27 Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 21. 28 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 212 ff. 29 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 214. 30 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 34.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
nicht. Die größere Relevanz birgt daher die im Folgenden behandelte Kon stellation, in der Enteignungen sowie Besitzstörungen vertraglich nicht geregelt sind. b) Faktische Entziehung von Landrechten durch die Pacht in Nutzung befindlicher Gebiete Neben der Enteignung durch Rechtsakt kann die Eigentumsstörung oder -entziehung durch faktische Maßnahmen erfolgen. Von großer praktischer Bedeutung sind die Weiterverpachtung bereits genutzter Gebiete über mehrere Jahrzehnte sowie weitere Maßnahmen, welche den Zugang zu genutzten Gebieten faktisch verhindern. Die Verletzungshandlung liegt dann in der Verpachtung ohne die Vereinbarung vertraglicher Schutz- und Entschädigungsklauseln für die lokale Bevölkerung.31 aa) Fallbeispiele Pachtverträge in der einleitend dargestellten Größenordnung von mehreren hunderttausend Hektar betreffen auch in dünn besiedelten Gebieten in nahezu keinem Fall völlig ungenutzte Gebiete. Es treten vielmehr fast unweigerlich Konflikte mit Kleinbauern auf, die Teile eines Pachtgebietes seit Generationen selbst nutzen, jedoch keine eingetragenen Landrechte haben.32 Die philippinische Regierung etwa verpachtete 1,4 Mio. Hektar Land an China, welches sie als „marginal“ im Sinne von ungenutzt oder brachliegend deklarierte; tatsächlich wurde es von der indigenen und sonstigen Bevölkerung zu Selbstversorgungszwecken genutzt.33 Ein vollständiges Brachliegen auch im Hinblick auf die Subsistenzwirtschaft ist bei Flächen dieser Größenordnung de facto auszuschließen. Allein der Schutz dieser nicht eingetragenen Landrechte unterliegt einer sich anschließenden Einzelfallprüfung. Werden entgegenstehende Nutzungen auf dem Pachtgebiet also nicht vertraglich aufgeführt, bedeutet dies nicht, dass solche nicht vorliegen.
31 Vgl. von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 11; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 237. 32 Hall, Land Grabbing in Africa and the New Politics of Food, Policy Brief 041, Juni 2011, abrufbar unter: http://www.fao.org/family-farming/detail/en/c/308860/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 33 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (517).
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum245
Vor diesem Hintergrund wurde über Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen bei der Durchsetzung solcher Pachtverträge berichtet. Im Südwesten Äthiopiens sollen 60.000 Ureinwohner zur Verpachtung des Landes an Investoren zwangsweise umgesiedelt worden sein.34 Im Zuge der Verpachtung einer Fläche zur Holzverarbeitung an ein britisches Unternehmen in Mosambik sollen 22.000 Menschen und bei der Pacht vom indischen Staatsunternehmen Katari über 300.000 Hektar in Pakistan 25.000 Menschen vertrieben worden sein.35 Mitarbeiter des vietnamesischen Unternehmens Hoang Anh Attapeu Company in Laos brannten Berichten zur Folge zur Räumung des Pachtgebiets die Häuser mehrerer Familien nieder.36 bb) Schutz- oder Entschädigungsmaßnahmen War der Eingriff verhältnismäßig und sind angemessene Schutz- oder Entschädigungsmaßnahmen vertraglich vorgesehen oder faktisch zur Anwendung gekommen, liegt trotz einer faktischen Entziehung von Rechtspositionen kein Eingriff in ein Eigentumsrecht vor. Zunächst kann der Pachtvertrag selbst konkrete Schutz und Entschädigungsmaßnahmen vorsehen. Da die Entziehung von Landrechten in der Regel jedoch nicht vertraglich vorausgesetzt wird, finden sich auch selten entsprechende Gegenmaßnahmen. Schweigt sich der Pachtvertrag über Schutzoder Kompensationsmaßnahmen für nicht eingetragene, aber gewohnheitsrechtlich anerkannte Landrechte aus, muss das nationale Recht ausreichenden Schutz bereitstellen. Solche Landrechte werden jedoch häufig entweder nicht als geschützte Rechtspositionen anerkannt, die Berechtigten vor einer Entziehung nicht konsultiert oder die Übertragung erfolgt ohne ihr Einverständnis.37 In Kamerun und Äthiopien fehlt es z. B. bereits an einer Anerkennung
34 Sogorski, Fluch oder Segen? Reiche Länder kaufen Äcker in Afrika, Wirtschaftswoche, 4. Juli 2013, abrufbar unter: http://www.wiwo.de/technologie/green/ living/fluch-oder-segen-reiche-laender-kaufen-aecker-in-afrika/13546400.html (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 35 Twomey, Displacement and dispossession through land grabbing in Mozambique – The limits of international and national legal instruments, Refugee Studies Centre, Oxford Department of International Development, University of Oxford, Working Paper Series No. 101, S. 3. 36 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 21, unter Berufung auf Augenzeugen, abrufbar unter: https://www.globalwitness. org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 37 Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 12.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
solcher Landrechte.38 Das führt dazu, dass der Staat flächendeckend die alleinige Befugnis besitzt, über das Land zu verfügen. Einige Länder haben den Schutz nicht eingetragener Landrechte in jüngeren Reformen verbessert, darunter Mosambik, Tansania, Liberia, Mali und Uganda.39 In Tansania sichert z. B. der Village Land Act von 1999 gewohnheitsrechtlichen Besitzverhältnissen denselben Status und dieselbe rechtliche Durchsetzbarkeit („status and effects“) zu, die auch formal eingetragene Rechte besitzen.40 In Mosambik befindet sich das Land grundsätzlich in der Hand des Staates und dieser vergibt die Nutzungsrechte daran.41 Nutzungsrechte von Kleinbauern auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage oder aufgrund gutgläubiger Besetzung von mindestens zehn Jahren werden dort allerdings geschützt, indem Gewohnheitsrechte der Gemeinden als formelle Landtitel behandelt werden.42 Dieser Schutz leidet jedoch an Umsetzungsschwächen. Tatsächlich erfolgt die Vergabe nämlich häufig ohne die notwendige Konsultation der Gemeinden, sodass die Landtitel nicht zur Durchsetzung gelangen. So verpachtete die Regierung in Mosambik 30.000 Hektar Land über 99 Jahre an das Londoner Unternehmen Procana für den Anbau von Zuckerrohr zur
38 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 17. 39 Liberia, An Act to establish the Community Rights Law of 2009 with Respect to Forest Lands, Section 3.3; Tanzania’s Village Land Act, 1999 (No. 4 of 1999), Section 18; Mali, Code domanial et foncier, Ordonnance n°00-027 du 22 mars 2000, Art. 43 ff.; Mozambique’s Land Act 1997 (Lei de Terras, Lei No 19/97), Art. 12 lit. a, b, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 2; Uganda’s Land Act 1998 (Chapter 227), Art. 9; vgl. Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 91; Wrange, Land, Development and the Irrationality of International Law, Scandinavian Studies in International Law, Vol. 60: Law and development (2015), S. 187 (198). 40 Tanzania’s Village Land Act, 1999 (No. 4 of 1999), Section 18.1, vgl. Cotula/ Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 91. 41 In Mosambik darf der Staat langfristige Pachtverträge über Land abschließen, s. Mozambique’s Land Act 1997 (Lei de Terras, Lei No 19/97), Art. 12 lit. c; Polack/ Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 19. 42 Mozambique’s Land Act 1997 (Lei de Terras, Lei No 19/97), Art. 12 lit. a, b, 13 Abs. 2 und 14 Abs. 2; vgl. Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 91; Wild, Land Grabbing in Mosambik, S. 13, in: Krämer/ Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010; Twomey, Displacement and dispossession through land grabbing in Mozambique – The limits of international and national legal instruments, Refugee Studies Centre, Oxford Department of International Development, University of Oxford, Working Paper Series No. 101, S. 17.
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum247
Ethanolherstellung, obwohl das Gebiet von Subsistenzlandwirten und Hirten besiedelt war; auch hierbei kam es zu Zwangsumsiedlungen.43 In Mali besteht grundsätzlich ein solcher Schutz gewohnheitsrechtlicher Landrechte, er wird aber ebenfalls unzureichend umgesetzt. Erforderlich für die Registrierung solcher Rechte ist der – nicht näher definierte – Nachweis des vermeintlich Berechtigten, dass eine ersichtliche und dauerhafte Nutzung zu Produktionszwecken erfolgt.44 In der malischen Region Office du Niger erkennt der für die Verpachtung zuständige Secretary of State in charge of development in the Office du Niger indigenen Bevölkerungsteilen ihren Status einer Fallstudie zur Folge nicht an, auch wenn diese ihre Präsenz bereits vor der Kolonialzeit beweisen können.45 In Madagaskar erschwerte eine Landreform aus dem Jahr 2005 die Verpachtung nicht registrierter, aber in Nutzung befindlicher Landflächen. Die Regelvermutung, nicht registrierte Landflächen gehörten dem Staat, wurde abgeschafft, sodass besiedelte Gebiete ohne einen Landtitel als privat eingestuft wurden („untitled private property“).46 Staatlichen Stellen wurde es so unmöglich gemacht, Verträge über derart klassifizierte Flächen abzuschließen. Schutzlücken können jedoch weiterhin auftreten, indem einer privat besiedelten Fläche die entsprechende Klassifizierung abgesprochen wird.47 Bestehen weder vertragliche noch national-rechtliche Vorkehrungen zum Schutz nicht eingetragener Landrechte, verletzt der Verpächterstaat seine Pflicht zur Achtung des Rechts auf Eigentum. In einer entsprechenden Fall43 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507 (518); Fallstudie: Borras/Fig/Suárez, The politics of agrofuels and mega-land and water deals: insights from the ProCana case, Mozambique, Review of African Political Economy, Vol. 38 No. 128 2011, S. 215. 44 Mali, Code domanial et foncier, Ordonnance n°00-027 du 22 mars 2000, Art. 45 ff.; Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 91. 45 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 40. 46 Burnod/Gingembre/Ratsialonana, Competition over Authority and Access: International Land Deals in Madagascar, Development and Change, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Vol. 44 Issue 2, März 2013, S. 357 (360); vgl. Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 18. 47 Zum legal framework in Laos s. Chandrasekharan Behr/Robins/Russell, How Forests Enhance Resilience to Climate Change: What We Know and Case Studies from Burkina Faso, Honduras and Lao PDR, Januar 2015, Program on Forests (PROFOR), Weltbank.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
studie wird die Annahme eines prima-facie-Beweises für die Nichtbeachtung von Landrechten allein aufgrund der vertraglichen Ausgestaltung vorgeschlagen: Wurde eine Fläche wegen gewohnheitsrechtlicher Nutzung von Kleinbauern beansprucht und dennoch verpachtet, ohne dass vertragliche Schutzmechanismen vorgesehen waren oder solche in ausreichender Weise im na tionalen Recht verankert waren, besteht danach ein Anscheinsbeweis für die Verletzung von Eigentumsrechten durch die bloße Gewährung von Land.48 Tatsächlich ist eine Verletzungshandlung bereits dann anzunehmen, wenn es der Verpächterstaat trotz seiner Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis über die auf eine Tradition zurückgehende und nicht bloß gelegentliche Nutzung des zu verpachtenden Gebiets durch Siedler vollständig unterlässt, den eigentumsrechtlichen Status des Gebiets zu prüfen. Eine Verpachtung von besiedelten Flächen, die der Subsistenzwirtschaft dienen, „sehenden Auges“ und bloß am Maßstab der jeweiligen Papierform des Gebiets durchzuführen, kann völkerrechtlichen Anforderungen an den Schutz nicht eingetragener Landrechte nicht genügen. 2. Eingriff durch das Unterlassen gebotener Maßnahmen gegenüber Dritten im Rahmen der Vertragsausführung (Verletzung von Schutzpflichten) Für das Recht auf Eigentum ist die staatliche Schutzdimension neben der Pflicht zu seiner Achtung anerkannt.49 In der Schutzdimension des Rechts auf Eigentum hat der Empfangs- bzw. Verpächterstaat die betroffene Bevölkerung auf dem Pachtgebiet vor einer Entziehung ihres Grundeigentums durch Dritte zu bewahren. Im Rahmen der Achtungsdimension wurde festgestellt, dass eine Verletzung durch Enteignungen sowie faktische Eigentumsentziehungen erfolgen kann und auf der Ebene nationalen Rechts sowie des Vertrags selbst eingetragene sowie gewohnheitsrechtliche Landrechte zu achten sind. Die Verletzung einer Schutzpflicht liegt also vor, wenn der Verpächterstaat auf den genannten Ebenen (nationales Recht bzw. Pachtvertrag selbst) nicht die erforderlichen Maßnahmen vor einem eigentumsrechtlichen Übergriff Dritter trifft. Durch Rechtsakt erfolgende Enteignungen werden durch einen ausländischen Pächter in der Regel nicht vorgenommen. Vielmehr ist Schutz vor faktischen Eigentumsentziehungen des Pächters im Rahmen der Vertragsausübung zu gewähren. Diese stellen ihrerseits Verletzungen 48 Lomax, Human Rights-based analysis of the agricultural concession agreements between Sime Darby, Golden Veroleum and the Liberian Government, Forest Peoples Program, Dezember 2012, S. 8. 49 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) v. Kenya, Comm. No. 276/03 (2009), § 191.
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum249
einer Achtungspflicht dar, soweit sie dem Herkunftsstaat zuzurechnen sind und werden isoliert behandelt. Es ist also erforderlich, auch die Inhaber nicht eingetragener Landrechte zu schützen. Wird dieser Schutz im Pachtvertrag zumindest berücksichtigt, kommt es für die Beurteilung staatlicher Schutzpflichten auf die Effizienz und Durchsetzung dieses Schutzes an. In einem kambodschanischen Konzessionsvertrag wird etwa auf den rechtmäßigen Besitz der ortsansässigen Bevölkerung abgestellt („The land that is legally owned by local residents is not available for company use unless a mutual agreement is reached.“).50 Wann danach ein sog. rechtmäßiger Besitz vorliegt, definiert der Vertrag zwar nicht selbst; hier greift jedoch ergänzend das kambodschanische Recht. Dieses regelt in seinem 2001 verabschiedeten „Land Law“ u. a., welche Personengruppe als Landeigentümer in Betracht kommt und welche Besonderheiten für unterschiedlich genutzte Gebiete greifen.51 Schafft der Empfangsstaat einen funktionierenden und durchsetzbaren Rechtsrahmen für den Schutz nicht eingetragener Landrechte vor dem faktischen Entzug durch Dritte, erfüllt er grundsätzlich die im Rahmen seiner Schutzpflichten an ihn gestellten Anforderungen. Weitergehende Maßnahmen werden erforderlich, wenn er Kenntnis von einem konkreten Übergriff erhält und die genannten Regeln nicht ausreichen.
III. Eingriff des Pächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen 1. Eingriff durch die eigenständige Nutzung der verpachteten Landfläche (Verletzung von Achtungspflichten) Für die Untersuchung der Eingriffe des Pächterstaates in einzelne völkerrechtliche Rechtspositionen durch eigenes Verhalten wird zunächst vorausgesetzt, dass sich deren jeweiliger räumlicher Anwendungsbereich auf das Pachtgebiet unter den unter Teil 2 C. genannten Voraussetzungen ausweitet. Der Pächterstaat verletzt eine Pflicht zur Achtung des Rechts auf Eigentum, wenn er im Rahmen der Vertragsausführung eingetragene oder gewohnheitsrechtliche Landrechte faktisch entzieht. Eine solche faktische Entziehung kann in der Durchführung von Baumaßnahmen zulasten des Grundeigentums 50 Konzessionsvertrag zwischen Kambodscha und Global Agricultural Development (Cambodia) Co. Ltd. (USA) vom 15. März 2006, § 1.2. 51 National Assembly Cambodia, Land Law vom 20. Juli 2001, NS/RKM/0801/14, Art. 4 ff.; inoffizielle englische Übersetzung abrufbar unter: http://www.cambodiain vestment.gov.kh/land-law_010430.html (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
Dritter sowie in weiteren Maßnahmen liegen, welche den Zugang zu Land einschränken oder unterbinden. Erforderlich ist somit ein dem Pächterstaat selbst zurechenbares Verhalten. Hinsichtlich der Aktivitäten, die im Einzelnen zu einer Rechtsverletzung führen können, wird im Übrigen auf den entsprechenden Eingriff des Verpächterstaates verwiesen (s. Teil 3 B.II.1.). Unter den dort genannten Voraussetzungen liegt ein Eingriff des Verpächterstaates in das Recht auf Eigentum infolge der entschädigungslosen Enteignung durch Rechtsakt sowie der faktischen Entziehung von Landrechten vor. 2. Eingriff durch unzureichende Regulierung und Sanktionierung privater Dritter bei der Nutzung des Pachtgebiets (Verletzung von Schutzpflichten) a) Besondere Anforderungen an die Wahrnehmung von Schutzpflichten außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets Die Prüfung einer extraterritorialen Schutzpflichtverletzung setzt deren Existenz in den in Teil 2 C.IV genannten Grenzen voraus. Danach sind ex traterritoriale Schutzpflichten bis auf enge Ausnahmen noch nicht völkerrechtlich anerkannt. Sie beschränken sich also weitgehend auf die Situation, dass der Herkunftsstaat über das fremde Territorium wirksame staatliche Kontrolle ausübt und dies damit seiner Hoheitsgewalt untersteht (s. Teil 2 C.IV.2.). Schutzpflichten sowohl des Empfangs- wie auch des Herkunftsstaates können parallel für denselben Sachverhalt bestehen, ohne dass damit eine Verdoppelung des menschenrechtlichen Schutzstandards verbunden wäre. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Willen sowie der Fähigkeit zur konsequenter Schutzgewährung auf der einen und dem Bestehen einer Schutzpflicht des Herkunftsstaates auf der anderen Seite. Die extraterritoriale Regulierungspflicht flammt für den fremden Staat auf, der einen personalen Anknüpfungspunkt besitzt, wenn der Verpächter- bzw. Empfangsstaat unwillig oder nicht in der Lage ist, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen.52 Darüber hinaus können unterschiedliche Pflichtenbindungen zu einer abweichenden Verantwortlichkeit für denselben Sachverhalt führen. Eine Rechtsverletzung aus Sicht des Herkunftsstaates bedeutet noch keine solche 52 Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (230): „[…] where the host state (possessing the territorial link) is found to be in a situation of impossibility or unwillingness to adopt the necessary positive measures, it is for the state of origin (which possesses the nationality link) to exercise subsidiary diligence through the punishment of the human rights abuses of its investors.“
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum251
aus Sicht des Empfangsstaates. Ist letzterer anders als der Herkunftsstaat kein Vertragsstaat eines Menschenrechtsvertrags oder ist der Herkunftsstaat an weitreichendere Schutzpflichten z. B. aus der EMRK gebunden, kommt allein die Verantwortlichkeit des Herkunftsstaates in Betracht.53 b) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz des Eigentums vor der Entziehung durch Unternehmen des Herkunftsstaates Der Herkunftsstaat verletzt eine unter den genannten Voraussetzungen bestehende extraterritoriale Schutzpflicht, wenn er es unterlässt, die gebotenen Maßnahmen zur Verhinderung von Übergriffen privater Unternehmen mit seiner Staatszugehörigkeit zu ergreifen. Diese Maßnahmen umfassen die Regulierung und Sanktionierung des unternehmerischen Verhaltens, auch indem möglichen Opfern von Eigentumsverletzungen Rechtsschutzmöglichkeiten gewährt werden. aa) Regulatorische Umsetzung extraterritorialer Schutzpflichten Das aus extraterritorialen Schutzpflichten folgende Handlungsgebot hängt unmittelbar mit den Grenzen ihrer Ausübung zusammen. Die positiven Pflichten bestehen auf fremdem Territorium nur in dem Umfang, in dem ihnen nicht durch das Völkerrecht, insbesondere die Souveränität des Verpächterstaates, Grenzen gesetzt werden. In Teil 2 C. wurde erörtert, unter welchen Voraussetzungen die staatlichen Pflichten zum Schutz vor unternehmerischen Übergriffen anwendbar sind. Der Inhalt von Schutzpflichten im Allgemeinen, d. h. ohne die extraterritoriale Komponente, wurde bereits in Teil 2 D.II. erörtert. Nun wird unter Bezugnahme auf konkrete Pachtverhältnisse aufgezeigt, wie der Herkunftsstaat diesen Pflichten im Einzelnen nachkommen muss. Der Erlass von Gesetzen zur Beeinflussung unternehmerischen Verhaltens auf fremdem Staatsgebiet, die „präskriptive Hoheitsgewalt“ bzw. „regulatorische Schutzpflichten“, ist die primäre Erfüllungsform extraterritorialer Schutzpflichten.54 Das Committee on Economic, Social and Cultural Rights betonte die Pflicht zur Regulierung und gegebenenfalls Sanktionierung unternehmerischen Handelns durch den Herkunftsstaat in jedem seiner General 53 Beispiel bei Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 248: Ein deutsches Unternehmen exportiert unter Absicherung durch eine Exportkreditversicherung in ein Land, welches den Sozialpakt nicht unterzeichnet hat. 54 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 290; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 13.
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Comments seit Nr. 12.55 China ist nach dem Committee on Economic, Social and Cultural Rights im Rahmen der Schutzpflicht aus Art. 11 Nr. 1 Sozialpakt gehalten, vor Zwangsumsiedlungen bei der Durchführung von Staudammprojekten zu schützen.56 Die Regulierung erfolgt typischerweise durch abstrakt-generelle Vorgaben in Gestalt der Anknüpfung nachteiliger Rechtsfolgen an extraterritoriale Sachverhalte, mit denen steuernd auf das Verhalten im Ausland tätiger Unternehmen eingewirkt wird.57 Der extraterritorialen Schutzpflicht kann ein Staat folglich im Rahmen der Regulierung durch gesetzliche Verhaltensvorgaben mit Sanktionsandrohung nachkommen. Eine Verletzung der Schutzpflicht läge danach vor, wenn ein Staat seine Unterstützung in Gestalt finanzieller Beteiligungen wie Pensionsfonds, Steuererleichterungen, Exportsubventionen oder technischer Assistenz durch Handelskammern oder Botschaften nicht an die Einhaltung menschenrecht licher Schutzstandards knüpft.58 Damit stimmen auch die Freiwilligen Leit linien zu Landnutzungsrechten überein: Herkunftsstaaten müssen danach sicherstellen, „dass ein staatlich geförderter Kauf- oder Pachtvertrag im Ausland nicht gegen Menschen- oder Landrechte der ausländischen Landbevölkerung verstößt.“ Vor der Pacht ist also im Rahmen einer „menschenrechtlichen Verträglichkeitsprüfung“ zu untersuchen, ob die Pacht eingetragene oder gewohnheitsrechtliche Landrechte verletzt.59 Diesen Anforderungen kann auf verschiedene Weise nachgekommen werden. Die kanadische Exportkreditagentur EDC führt im Vorfeld der Förderung ein umfangreiches Human Rights Impact Assessment (HRIA) durch.60 Innerhalb der OECD haben sich mehrere Staaten gem. der Common Ap 55 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 19; General Comment No 19, UN Doc. E/C.12/GC/19, 4. Februar 2008, § 64 f.; General Comment No 18, UN Doc. E/C.12/GC/18, 6. Februar 2006, §§ 32, 35; General Comment No 14, UN Doc. E/C.12/2000/4, 11. August 2000, § 48 u. a.; Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 113. 56 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, Concluding Observations China vom 13. Mai 2005, UN Doc. E/C.12/1/ Add.107, § 61. 57 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 234; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, Archiv des Völkerrechts Band 37, 1999, S. 492. 58 Ryngaert, Jurisdiction – Towards a Reasonableness Test, S. 206 f., in: Langford/ Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 59 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 41. 60 Papp, Extraterritoriale Schutzpflichten, Dissertation Köln 2012, S. 173 ff.; Kasolowsky/Voland, Die „Ruggie Revolution“ – Menschenrechte im unternehme rischen Handeln, Anwaltsblatt 5/2014, S. 388.
B. Die Verletzung des Rechts auf Eigentum253
proaches zur Einrichtung nationaler Kontaktstellen verpflichtet, vor denen auf Menschenrechtsverletzungen in Beschwerde- und Vermittlungsverfahren reagiert werden kann.61 Chinesische Forstwirtschaftsunternehmen werden von ihrer Regierung angehalten, den Behörden des Verpächterstaates einen Report zu übermitteln, der die Einhaltung aller relevanten Vorschriften sicherstellt.62 Auch die Leitlinien des chinesischen Wirtschaftsministeriums, die sich an alle im Ausland investierenden Unternehmen richten, sehen Vorprüfungs-, Informations- und Abstimmungsmaßnahmen mit den zuständigen Behörden des Verpächterstaates vor, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung gleichkommen.63 Chinesische Unternehmen sind sogar gehalten, vor der Übernahme von Unternehmen des Empfangsstaates eine umweltbezogene due diligence durchzuführen.64 Die im Ausland im Bereich Forstwirtschaft tätigen chinesischen Unternehmen sollen im Einklang mit den Richtlinien der Regierung und industriebezogenen Vorschriften handeln.65 Sie sollen außerdem die Vorschriften des Empfangsstaates für Investitionen, den „Export von Arbeitskräften“ und andere gewerbliche Aktivitäten einhalten66 und 61 Krajewski/Bozorgzad/Heß, Menschenrechtliche Pflichten von multinationalen Unternehmen in den OECD-Leitsätzen: Taking Human Rights More Seriously?, ZaöRV 2016, S. 309 (317 ff.). 62 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Punkt 4.2.1. 63 Ministry of Commerce P.R. China, Notification of the Ministry of Commerce and the Ministry of Environmental Protection, Guidelines for Environmental Protection in Foreign Investment and Cooperation vom 18. Februar 2013, Art. 8: „Enterprises shall, in accordance with requirements of laws and regulations of the host country, conduct environmental impact assessment on their development and construction as well as production and operation activities, and take reasonable measures to reduce possible adverse impacts based on the findings of such environmental impact assessment“ sowie Art. 11: „[…] conduct environmental monitoring and evalu ation […]“; abrufbar unter: http://english.mofcom.gov.cn/article/policyrelease/bbb/ 201303/20130300043226.shtml (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 64 Ministry of Commerce P.R. China, Notification of the Ministry of Commerce and the Ministry of Environmental Protection, Guidelines for Environmental Protection in Foreign Investment and Cooperation vom 18. Februar 2013 (s. Fn. 63), Art. 12: „Enterprises are advocated to carry out environmental due diligence on the target enterprise before acquiring overseas enterprises, focusing the evaluation on the hazardous wastes formed in its historical operation activities and the soil and underground water pollution, as well as environmental debts of the target enterprise related thereto. Encourage enterprises to take favorable environmental practices for the purpose of reduction of potential risks of environmental liabilities.“ 65 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Punkt 2.1.4. 66 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Uti-
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
dazu die einschlägigen Regeln des Verpächterstaates über die Forstwirtschaft verinnerlichen sowie die dazugehörigen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen beachten.67 Ein weiteres Beispiel ist das schweizerische Mineralölsteuergesetz, welches die Gewährung von Steuererleichterungen für die Produktion biogener Treibstoffe davon abhängig macht, ob ökologische und soziale Produktionsbedingungen sowie die Ernährungssicherheit im Ausland gewährleistet werden.68 bb) Umsetzung extraterritorialer Schutzpflichten durch Gewährung von Rechtsschutzmöglichkeiten Daneben kann der Staat durch die Bereitstellung von Beschwerdemöglichkeiten, d. h. effektiven Rechtsbehelfen, seiner extraterritorialen Schutzpflicht nachkommen. Innerhalb der EU bestehen nach der Brüssel-Ia-Verordnung eingeschränkte Möglichkeiten der Rechtsverfolgung von im Ausland begangenen Übergriffen. Der Beklagtenwohnsitz, im Falle von juristischen Personen wie Unternehmen der Ort der Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung, bestimmt die Zuständigkeit für privatrechtliche Streitigkeiten mit ausländischem Element, vgl. Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 63 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1215/ 2012. Geht die Verletzungshandlung von einem Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat aus, kann dieses an seinem Sitz verklagt werden, gem. Art. 7 Nr. 2 VO (EU) Nr. 1215/2012. Die Zuständigkeit für Schadens ersatzforderungen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Tochterunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit von in der EU ansässigen Mutterunternehmen wird hingegen durch die natio nalen Zuständigkeitsregeln bestimmt, gem. Art. 6 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1215/2012.69 lization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Überschrift Punkt 3.3: „Comply with the laws and regulations concerned of the host country of forest resources.“, Punkt 3.2.1: „Comply with the provisions of the laws, regulations and related documents of the host country on the management of investment, export of labour services, contracted projects and other business operations of the offshore enterprises.“ 67 State Forestry Administration P.R. China, Ministry of Commerce P.R. China, Chinese Enterprises: A Guide on Sustainable Overseas Forests Management and Utilization by Chinese Enterprises, 6. Mai 2010 (s. Einleitung, Fn. 58), Punkt 3.2.2: „Obtain a full understanding of and familiarize the current laws and regulations of the host country pertinent to the forest resources. The management of forests shall be in compliance with the requirements of the related forestry laws and regulations of the host country, and the corresponding responsibilities and obligations shall also be resumed and fulfilled.“ 68 Art. 12b Abs. 3 Mineralölsteuergesetz, BBl. 2013/5737; vgl. dazu Kaufmann/ Good/Ghielmini/Blattner, Extraterritorialität im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, S. 10.
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Der mitunter effektivere Gerichtsstand des in der EU ansässigen Mutter unternehmens bleibt dadurch häufig versperrt. Durch die unmittelbar gegen Unternehmen gerichtete Strafverfolgung, d. h. gegen juristische Personen und nicht lediglich gegen die dahinterstehenden natürlichen Personen als Entscheidungsträger, kann ein Staat seiner Schutzpflicht in Gestalt der Sanktionierung nachkommen. Die Einführung eines solchen Unternehmensstrafrechts zur Schutzpflichterfüllung als notwendig zu fordern,70 erscheint angesichts der völkerrechtlichen Maßstäbe an die Erfüllung von Schutzpflichten (s. Teil 2 D.II.) indes überzogen. Obwohl damit eine effektivere Durchsetzung menschenrechtlicher Schutzstandards verbunden wäre, stellt sich die präventive Wirkung, die von einem auf natürliche Personen ausgerichteten Strafrecht ausgeht, bei konsequenter Anwendung als hinreichend dar.
C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung I. Der Schutzbereich des Rechts auf Nahrung 1. Ursprung und völkerrechtlicher Status Das Recht auf Nahrung folgt in erster Linie aus Art. 11 Sozialpakt.71 Es wird außerdem von mehreren regionalen Menschenrechtsverträgen anerkannt, darunter ausdrücklich nur im interamerikanischen Menschenrechtssystem als Recht auf „adequate nutrition“ in einem Ergänzungsprotokoll von 1988 zu der AMRK sowie in abgeleiteter Form in der Banjul Charter sowie der EMRK.72 Das Recht auf Nahrung ist daneben in weiteren verbindlichen sowie unverbindlichen Völkerrechtsverträgen enthalten, darunter Art. 12 Abs. 2 der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung 69 Kaufmann/Good/Ghielmini/Blattner, Extraterritorialität im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, S. 47 f. 70 S. einen entsprechenden Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 7. Oktober 2014, BT-Drucks. 18/2746, S. 4. 71 Zur Vertiefung s. Gilbert/Keane, The new scramble for Africa – Towards a human rights-based approach to large-scale land acquisitions in the Southern African Development Community sub-region, S. 144 (146 ff.), in: Chigara, Southern African Development Community Land Issues, 2012 sowie Kanalan, Die universelle Durchsetzung des Rechts auf Nahrung gegen transnationale Unternehmen, Dissertation Bremen 2015. 72 Hauter, The Limits of International Human Rights Law and the Role of Food Sovereignty in Protecting People from Further Trade Liberalization under the Doha Round Negotiations, Vanderbilt Journal of Transnational Law, Vol. 40/2007, S. 1071 (1090).
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der Frau73 sowie Art. 24 Abs. 2 lit. c und e der UN-Kinderrechtskonven tion.74 Der Sozialpakt verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 2 Abs. 1, „im Rahmen der Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen.“
Aufgrund dieser relativierenden Formulierung wird den wirtschaftlichen und sozialen Rechten (den sog. Rechten der zweiten Generation oder Dimension) von Teilen der Literatur weiterhin der Charakter bloßer Programmsätze zugeschrieben, die keine justiziablen Individualrechtsansprüche begründen.75 Soweit jedoch eine hinreichend konkrete Verpflichtung erkennbar ist und lediglich die Rechtsdurchsetzung erschwert ist, steht diese eingeschränkte Justiziabilität ihrer Berücksichtigung im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht entgegen. Auch der Sozialpakt verpflichtet die Vertragsstaaten zur Achtung, zum Schutz und zur Gewährleistung der darin enthaltenen Rechte. Seit dem Jahr 2004 enthält der Sozialpakt zudem ein Fakultativprotokoll zur Implementierung eines Individualbeschwerdeverfahrens. Das Recht auf Nahrung hat sich erst seit der Welternährungskonferenz von 1996 und durch eine Reihe unverbindlicher völkerrechtlicher Instrumente als eigenständiges Recht aus dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard herausgebildet und besitzt noch nicht dieselbe Trennschärfe zwischen verbindlichen Pflichten und politischen Handlungsempfehlungen wie andere Menschenrechte.76 Es wird jedoch weit überwiegend als verbindlich anerkannt und hat gewohnheitsrechtlichen Status erlangt.77 Angesichts der großen Zahl von Mitgliedstaaten des Sozialpaktes (derzeit 164) und seiner nicht auf Personengruppen oder Regionen eingeschränkten Geltung vermittelt das Recht auf Nahrung Pflichten globalen Charakters. Der Sozialpakt bindet damit einen überwiegenden Teil der Vertragsparteien der untersuchten Pachtverträge. 73 United Nations General Assembly, Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, 18 December 1979, U.N.T.S. Vol. 1249, S. 13. 74 United Nations General Assembly, Convention on the Rights of the Child, 20. November 1989, U.N.T.S. Vol. 1577, S. 3. 75 Vgl. Stubenrauch, Ein Menschenrecht auf Wasser, Zeitschrift für Umweltrecht 2010, S. 521 (524); Ipsen, in: Ipsen, Völkerrecht, § 36 Rn. 47; Kau, in: Graf Vitz thum/Proelß, Völkerrecht, 3. Abschn. Rn. 238. 76 Mechlem, Food, Right to, International Protection, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juni 2008, Rn. 3. 77 Mechlem, Food, Right to, International Protection, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juni 2008, Rn. 13.
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2. Inhalt und Schranken Nach Art. 11 Abs. 1 Sozialpakt „erkennen [die Vertragsstaaten] das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung […]“. Art. 11 Abs. 2 regelt: „In Anerkennung des grundlegenden Rechts eines jeden, vor Hunger geschützt zu sein, werden die Vertragsstaaten einzeln und im Wege internationaler Zusammenarbeit die erforderlichen Maßnahmen, einschließlich besonderer Programme, durchführen.“
Das Recht auf Nahrung schützt vor einem staatlich verursachten Zustand, in welchem sich Einzelne nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen können.78 Der Staat muss dem Einzelnen also die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten bereitstellen, sich selbst zu ernähren.79 Es beinhaltet die physische Komponente, Nahrung selbst anbauen und verzehren zu können, sowie die ökonomische Komponente, durch Anbau und Verkauf von Agrarprodukten eine ernährungssichernde Einkommensquelle zu haben („physical and economic access at all times to adequate food or means for its procurement“).80 Die Verfügbarkeit kann dadurch gesichert werden, dass sich der Einzelne durch produktive Bodenressourcen selbst ernähren kann oder die Mittel und den Zugang zu einem funktionierenden Marktverteilungssystem hat.81 Die Eigenversorgung durch den Anbau von Lebensmitteln ist also gleichwertig geschützt. Die verfügbare Nahrung muss in Qualität und Quantität den jeweiligen Bedürfnissen entsprechen, frei von nachteiligen
78 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 35 f.; der CESCR bestimmt den Erklärungsgehalt einzelner Rechte oft mit den Kategorien der Verfügbarkeit („availability“), dem Zugang („accessibility“) und der Annehmbarkeit bzw. Qualität („acceptability/quality“), vgl. Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 11 ff. 79 Krennerich/Stamminger, Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte: Die Interpretation ist nicht beliebig!, Nürnberger Menschenrechtszen trum (NMRZ), Dezember 2004, abrufbar unter: www.nmrz.de/wp-content/up loads/2009/10/wsk0031.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 80 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 6; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 36; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 32. 81 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 12: „Availability refers to the possibilities either for feeding oneself directly from productive land or other natural resources, or for well functioning distribution, processing and market systems […].“
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Substanzen und auch kulturell akzeptabel sein.82 Die Achtungspflicht verbietet es den Staaten, diesen Zugang abzuschneiden.83 Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung De Schutter sieht die Staaten in der Pflicht, Entwicklungsmodelle vorzuziehen, die nicht zu Vertreibung, einer Aufspaltung der Landrechte oder erhöhter Landkonzentration führen.84 Eine Menschenrechtsverletzung liegt jedoch erst dann vor, wenn keine ausreichenden Gegenmaßnahmen oder Kompensationen gewährt werden. Die Achtungspflicht ist erst dann verletzt, wenn der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen verhindert wird, ohne adäquate Alternativen zu bieten.85 Hierfür reicht es aus, wenn eine alternative Erwerbs- und Ernährungsquelle zur Verfügung steht oder gestellt wird.86 3. Bedeutung des Rechts auf Nahrung im Rahmen von Landpachtverträgen Wenn die Ernährung zu großen Teilen durch den eigenständigen Anbau von Lebensmitteln gesichert wird, erlangt der Zugang zu Bodenressourcen besondere Bedeutung für das Recht auf Nahrung. Der Begriff der Subsistenzwirtschaft ist Ausgangspunkt für den Zusammenhang zwischen der Einschränkung von Landzugang und der Entziehung der Lebensgrundlage. Dabei handelt es sich um die Produktion von Gütern oder den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten für den Eigenbedarf, die vom Markt unabhängig sind.87 Die Versor82 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 8: „The availability of food in a quantity and quality sufficient to satisfy the dietary needs of individuals, free from adverse substances, and acceptable within a given culture; The accessibility of such food in ways that are sustainable and that do not interfere with the enjoyment of other human rights.“ 83 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 15: „The obligation to respect existing access to adequate food requires States parties not to take any measures that result in preventing such access.“ 84 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 5, 8. 85 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 8. 86 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 36; Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 12. 87 Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2016; Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2016.
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gung mit lebensnotwendigen Nahrungsmitteln erfolgt danach fast ausschließlich durch die Bewirtschaftung der eigenen Landfläche und es besteht daneben kein dauerhafter oder ausreichender Zugang zu Lebensmitteln.88 In Afrika etwa hängt für 60 % der Bevölkerung die Nahrungsmittelversorgung unmittelbar mit dem Zugang zu Anbauflächen zusammen.89 Ein Staat verhindert die Möglichkeit der physischen Eigenversorgung von Kleinbauern, wenn diesen das Recht genommen wird, „auf einem bestimmten Land Vieh weiden zu lassen oder Nahrungsmittel für die Versorgung der eigenen Familie anzubauen“.90 Auf eigentumsrechtliche Positionen kommt es dabei nicht an. Wie bereits dargelegt, ist in vielen Teilen Afrikas der Staat regelmäßig Eigentümer der Landfläche und Private haben in der Regel lediglich gewohnheitsrechtlich anerkannte Landrechte (s. Einleitung A.I.3.). Der Entzug von Flächen zur Eigenbewirtschaftung scheitert daher selten an entgegenstehenden privaten Eigentumstiteln. Das Recht auf Nahrung hat mithin zugleich eine Auffangfunktion für Eingriffe in nicht durch das Recht auf Eigentum geschützte Landrechte. Es existieren bislang nur vereinzelte Entscheidungen über Ansprüche von Opfern einer Verletzung des Rechts auf Nahrung. Eine solche wurde in der Entscheidung Ogoni angenommen (s. Teil 2 D.II.1.). Die African Commission on Human and Peoples’ Rights stellte eine Verletzung der Achtungsund Schutzpflicht Nigerias dadurch fest, dass es durch seine Sicherheitskräfte und die staatliche Ölgesellschaft selbst Nahrungsmittelquellen zerstörte und dies durch eine private Ölgesellschaft zuließ.91
88 Die NGO Global Witness zitiert einen betroffenen kambodschanischen Kleinbauern: „Without the natural forests and farmland we will starve to death.“; Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 21, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 89 Twombey, Displacement and dispossession through land grabbing in Mozambique – The limits of international and national legal instruments, Refugee Studies Centre, Oxford Department of International Development, University of Oxford, Working Paper Series No. 101, S. 3. 90 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 36. 91 African Commission on Human and Peoples’ Rights, Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and the Center for Economic and Social Rights (CESR) v. Nigeria, Comm. No. 155/96 (2001), § 43 ff.; s. auch Mechlem, Food, Right to, International Protection, in: Oxford Public International Law, MPEPIL, Juni 2008, Rn. 30; Tzevelekos, In Search of Alternative Solutions, Brooklyn Journal of International Law Vol. 35, 2010, S. 155 (194).
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II. Eingriff des Verpächterstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen 1. Eingriff durch den Vertragsabschluss selbst (Verletzung von Achtungspflichten) Der Verpächterstaat kann bereits durch den Abschluss des Pachtvertrages und die Übertragung der dargelegten Befugnisse eine Pflicht zur Achtung des Rechts auf Nahrung verletzen. Dies erfordert ein dem Verpächterstaat zurechenbares Verhalten in Gestalt des Vertragsabschlusses und eine Verletzung der Achtungspflicht infolge der Übertragung bestimmter vertraglicher Befugnisse. Dabei kann sowohl auf ein Tun abzustellen sein, also den Abschluss eines Vertrags an sich, in dem keine ausreichenden Sicherungs- oder Kompensationsmechanismen enthalten sind, als auch auf ein Unterlassen der Vereinbarung solcher Maßnahmen. Im Folgenden wird dargelegt, unter welchen Bedingungen die bloße Gewährung von Gebietsrechten an einen ausländischen Pächter eine Verletzung der Pflicht zur Achtung des Rechts auf Nahrung darstellt. Der Entzug von Landrechten steht häufig schon im Rahmen der vor Vertragsschluss durchgeführten Planungen und Verträglichkeitsprüfungen fest. Für einen Pachtvertrag in Mali wurde ein Resettlement Action Plan erstellt, wonach die Pacht 1.718 Haushalte direkt betreffen sollte und 127 Haushalte mit 1.644 Personen umgesiedelt werden müssten.92 Mangels Kompensa tionsmaßnahmen und unter Zugrundelegung der dort vorherrschenden Subsistenzwirtschaft deutet bereits aufgrund dieser vorbereitenden Vertragshandlung alles auf eine Verletzung des Rechts auf Nahrung durch den Verpächterstaat hin. a) Die Entziehung der Lebensgrundlage Einzelner durch Verpachtung wirtschaftlicher Nutzflächen Die staatliche Verletzungshandlung kann also darin liegen, einen Zustand mit zu verursachen oder zu dulden, in dem sich Einzelne durch die Pacht nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgen können.93 Die Bedeutung des Zugangs zu Produktionsflächen für das Recht auf Nahrung wurde im Rahmen seines Schutzbereichs erläutert (s. Teil 3 C.I.). Die Nutzung dieser Flächen für die eigene Versorgung steht einer Verpachtung derselben nur entgegen, wenn das nationale Recht oder im konkreten Fall ver92 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 32. 93 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 35 f.
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tragliche Klauseln diese Nutzung anerkennen. Die nationale Rechtsordnung oder der Vertrag müssten also vor der Entziehung der Lebensgrundlage durch die Verpachtung der jeweiligen Fläche schützen. In zahlreichen afrikanischen Ländern wird der Landzugang zum Erhalt der Lebensgrundlage nur unzureichend berücksichtigt. Das verdeutlicht ein Beispiel aus dem äthiopischen Recht, das gewohnheitsrechtliche Landrechte nicht anerkennt und die alleinige Verfügungsbefugnis über Gebiete ohne Landtitel dem Staat zuspricht.94 Es besteht jedoch ein Schutz für Viehhalter vor Vertreibung von ihrem eigenen Land. Die äthiopische Verfassung sieht in Art. 40 Abs. 5 vor: „Ethiopian pastoralists have the right to free land for grazing and cultivation as well as the right not to be displaced from their own lands.“ Davon sind solche Viehhüter nicht geschützt, die das jeweilige Land nicht als ihr eigenes reklamieren können, was von der einfach-gesetz lichen Ausgestaltung dieser Verfassungsnorm abhängt. Eine Menschenrechtsverletzung liegt erst bei dem Fehlen ausreichender Gegenmaßnahmen oder Kompensationen vor. Solche finden sich zur Veranschaulichung im Abkommen zwischen dem Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002 über die landwirtschaftliche Nutzung von Land. Dort vereinbarten die Vertragsparteien, Syrien habe ca. ein Drittel der gepachteten Fläche, d. h. 10.300 Morgen Land (entspricht 2.575 Hektar) außerhalb des Pachtgebiets zu bewässern, damit die Fläche von Kleinbauern genutzt werden kann.95 Die Kompensationen müssen jedoch umfassend umgesetzt werden. Nach einer Untersuchung der Pacht von Malibya in Mali wurden nur etwa ein Drittel der 150 im Rahmen erster Bauarbeiten vertriebenen Haushalte tatsächlich entschädigt.96 Bei einem Pachtvertrag in derselben Region wurde den Ortsansässigen ein Hektar Land als Kompensation für zehn Hektar entzogener Fläche angeboten.97 Es ist daher im konkreten Einzelfall zu ermitteln, ob eine Kompensation als hinreichend anzusehen ist. Zwar besteht hier ein weiter Handlungs- und Ermessensspielraum der Staaten (s. Teil 2 D.II.1.). Die unterste Grenze ist jedoch die hinreichende Wirksamkeit der Maßnahmen.
94 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 17. 95 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 8. 96 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 28; Coulibaly/Monjane, Libyan land grab of Mali’s rice-producing land, Via Campesina, 11 September 2009, abrufbar unter: https:// viacampesina.org/en/libyan-land-grab-of-malis-rice-producing-land/ (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019). 97 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 29.
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b) Die Verursachung von Nahrungsunsicherheit in Bevölkerungsteilen durch mangelnde Kompensation der Verpachtung wirtschaftlicher Nutzflächen Der Verpächterstaat verletzt eine Achtungspflicht, wenn er bereits durch den Vertragsabschluss eine Situation herbeiführt, die zu einer Nahrungsunsicherheit in Teilen der Bevölkerung führt. Das ist laut De Schutter der Fall, wenn der Staat auf internationale Hilfe bei der Herstellung von Nahrungssicherheit seiner Bevölkerung angewiesen ist. Diese Situation kann dadurch hervorgerufen werden, dass der Großteil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse in den Pächterstaat exportiert oder auf internationalen Märkten verkauft wird.98 Ausreichende Absicherungen oder Kompensationen stellen jedoch etwa der Pachtzins oder andere vertragliche Austauschpflichten dar (s. Teil 1 B.I.1.). Wie eingangs erläutert, zielen die aktuellen Landpachtverträge häufig da rauf ab, die Ernährungssicherheit in kapitalstarken, ressourcenarmen Ländern zu sichern, entweder durch den direkten Export der produzierten Lebensmittel oder durch den daraus erzielten Erlös (s. Einleitung A.I.2.). So bietet etwa die malische Investitionsagentur API ausländischen Investoren Pachtflächen von über 2,5 Mio. Hektar und damit über der Hälfte der gesamten Nutzfläche des Landes als „verfügbar“ zur landwirtschaftlichen Nutzung an, während bereits die derzeitige Nutzungsverteilung zu sehr großer Nahrungsunsicherheit führt.99 Mögliche Kompensationen und Ausgleichsmaßnahmen werden im Folgenden untersucht. aa) Finanzielle Kompensationsmaßnahmen Als Kompensation für den Export von Nahrungsmitteln kommen vertragliche Klauseln über die Reinvestition des Pachtzinses in Nahrungsmittel oder über die Sicherung des Verbleibs eines Teils der Ernte auf lokalen Märkten in Betracht.100 Häufig ist der vereinbarte Pachtzins allerdings zu gering, um den Wegfall der Ressourcen zu kompensieren. Eine Fallstudie hat Zahlungen von nur zwei USD pro Hektar bei einer äthiopischen, fünf USD bei einer 98 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 8. 99 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 11. 100 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 8, 14.
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liberianischen und etwa 14 USD bei einer kamerunischen Pacht ermittelt.101 Zum Teil besteht bereits gar keine Zahlungspflicht. Das Abkommen zwischen Mali und Libyen enthält keine Regelung über Zahlungspflichten für Malibya, die Parteien haben sich vielmehr über die „gratuité de la terre“ geeinigt.102 Malibya sollte zudem ausschließlich für den libyschen Markt produzieren, um dort Nahrungssicherheit herzustellen und die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten zu verringern. bb) Anderweitige Investitionen als Kompensation Auch Ausgleichsmaßnahmen wie Investitionen in vertragsfremde Sektoren können unter Umständen eine hinreichende Kompensation darstellen. So darf Malibya im Office du Niger in Mali zwar kostenlos Reis anbauen, verpflichtete sich aber dazu, die für das Agrarprojekt nötige Infrastruktur herzustellen.103 Auch der Vertrag zwischen Liberia und einem malaysischen Mischkonzern ermächtigte diesen zur Errichtung und Unterhaltung von Infrastruktur inner- und außerhalb des konzedierten Gebiets, welche öffentliches Eigentum werden sollte.104 Das Abkommen zwischen Syrien und dem Sudan vom 22. Mai 2002 enthält schließlich eine Pflicht zur Errichtung von Bewässerungssystemen außerhalb des Pachtgebiets:105 „The Syrian Arab Republic is committed to provide irrigation to 10,300 acre (10,000 Faddan) outside the Land allocated to the Syrian Arab Republic land which is 30,900 acre (30,000 Faddans). This is to serve the peasants working the Land for minimal wages and that is to be agreed upon by both parties.“
Die Klausel nimmt ausdrücklich die Kleinbauern in Bezug, die das Land selbst bewirtschaften. Das Verhältnis von einem Drittel Ausgleichsfläche erscheint nicht unerheblich, um mögliche Einschränkungen für die lokale Bevölkerung aufzufangen. Ungeklärt bleibt jedoch die Frage, wie der Zugang zu dem bewässerten Land ausgestaltet wird, ob er ausreichend ist und wie sich das zu errichtende Bewässerungssystem mit bisherigen Nutzungsrechten 101 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 24; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 11. 102 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 17. 103 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008, Art. 14. 104 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 4.4, S. 12 f. 105 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 8; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 25.
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verträgt. Es ist vielmehr erforderlich, dass die Austauschpflichten und damit die erforderlichen Kompensationsmaßnahmen für betroffene Bevölkerungsteile unmittelbar zur Ernährungssicherheit beitragen. cc) Beteiligungen und Einnahmen des Verpächterstaates sowie gesamtwirtschaftliche Aspekte Der Verpächterstaat kann einer Ernährungsunsicherheit außerdem durch eine ausreichende Beteiligung an dem Pachtgewinn entgegentreten, indem er etwa mit dem Pächter ein gemeinsames Unternehmen bildet.106 So hält die malische Regierung etwa Anteile an dem Unternehmen N-Sukala in Höhe von 40 % und das chinesische Unternehmen CLETC in Höhe von 60 %.107 Eine Beurteilung, ob in einer solchen Beteiligung eine ausreichende Kompensation liegen kann, erfordert jedoch eine genaue Aufschlüsselung der Gewinnerwartung und -verteilung im Einzelfall. Eine weitere mittelbare Kompensation für den Verpächterstaat stellen Zollund Steuereinkünfte dar.108 Allerdings werden häufig Befreiungen im Rahmen von Freihäfen oder Freihandelszonen vereinbart. Der libysche Pächter Malibya ist etwa für 30 Jahre von der Gewerbesteuer, für acht Jahre von der Unternehmenssteuer und für drei Jahre während der Projektbauphase von Zöllen und sonstigen Einfuhrabgaben befreit.109 Syrien als Pächter ist z. B. nach dem Vertrag mit dem Sudan vollständig von Einfuhrzöllen für bestimmte Gegenstände befreit, darüber hinaus von der Einkommenssteuer für zehn Jahre und von Steuern für ausländische Arbeiter.110 Die argentinische Provinzregierung von Río Negro sicherte etwa vertragliche Zoll- und Steuer erleichterungen durch die Selbstverpflichtung ab, alle notwendigen Schritte zur Erwirkung einer solchen Befreiung vorzunehmen.111 Auch bei der Ver106 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 29. 107 Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009, Art. 5.3. 108 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 28 ff. 109 Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oak land Institute, 2011, S. 26 f. 110 Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 10. 111 Kooperationsabkommen Río Negro, Argentinien und Heilongjiang Beidahuang LTD vom 15. Oktober 2010, Punkt 6: „La Parte ‚A‘ realizará todos los tramites necesarios una vez instalada la sede de la Parte ‚B‘ a fin de aplicar las normas que exceptúen de todos los impuestos provincials tazas, como ingresos brutos, sellos, patentes, etc.“
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waltung des Hafens von Gwadar profitiert der chinesische Investor von einer Reihe langfristiger Zoll- und Steuererleichterungen.112 In diesem Zusammenhang sind auch die Beschäftigungsmöglichkeiten zu nennen, die grundsätzlich geeignet sind, einen Wegfall des Einkommens aus Subsistenzwirtschaft zu kompensieren. Dafür müsste allerdings vertraglich sichergestellt werden, dass die Zahl der neu generierten Arbeitsplätze den Verlust der von der Verpachtung betroffenen Kleinbauern und Hirten tatsächlich ausgleicht. Eine derartige Abrede ließe sich jedoch nur schwerlich umsetzen und ist nicht mit Praxisbeispielen belegbar. Grundsätzlich darf der Pächterstaat das fremde Hoheitsgebiet unter Einsatz eigener Arbeitnehmer bewirtschaften, soweit dem keine Regeln des Verpächterstaates über die Arbeitserlaubnis von Ausländern entgegenstehen. In der Vertragspraxis finden sich dazu unterschiedliche Regelungen. So wird der Einsatz eigener Arbeitnehmer des malaysischen Mischkonzerns Sime Darby in dem Vertrag mit Liberia hinsichtlich der Art der Tätigkeit, d. h. für einfache Tätigkeiten oder solche in Führungspositionen, beschränkt.113 Für die Durchführung der Pacht von Malibya in Mali gab die zuständige Provinzregierung zwar an, die lokale Bevölkerung werde primär an den Arbeitsplätzen beteiligt; die Errichtung eines 40 km langen Bewässerungskanals übernahm daraufhin jedoch ein chinesischer Subunternehmer.114 dd) Schutzklauseln in Pachtverträgen und nationalem Recht Der Verpächterstaat kann sich in unterschiedlicher Form gegen eine Ernährungsunsicherheit absichern und damit seinen Achtungspflichten nachkommen. So kann er vertraglich regeln, dass im Falle von Lebensmittelknappheit oder einer Versorgungskrise die Erträge aus dem Pachtgebiet nicht wie vertraglich vorgesehen exportiert werden, sondern zu marktüblichen Preisen im Verpächterstaat selbst gehandelt werden.115 Argentinien hat außerdem gesetz112 Vgl. zu den vorherigen Vereinbarungen Zaheer, Development and Operations of the Port of Gwadar, IFSMA, 24./25. Mai 2007, abrufbar unter: http://www.ifsma. org/tempannounce/aga33/Gwadar.pdf (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019); Boyce, China-Pakistan Economic Corridor: Trade Security and Regional Implications, Sandia National Laboratories, Januar 2017, S. 19 ff. 113 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Sektion 12.1 enthält die Vorgabe, dass der Investor keine Nicht-Liberianer für „unskilled labor positions“ beschäftigt, eine Präferenz für die Einstellung von Liberianern besteht und eine Quote für Führungspositionen eingehalten wird. 114 Das Unternehmen CGC (im Eigentum des chinesischen Staatsunternehmens SINOPEC); Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 27. 115 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 11, 13 f.
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lich geregelt, dass sich nicht mehr als 15 % der Fläche des Landes in ausländischem Eigentum befinden dürfen.116 Einen Vorschlag für eine standardisierte Klausel in Pachtverträgen zur Absicherung der Ernährungssicherheit liefern Häberli und Smith: „Public Interest (Food Security) – Nothing in this Agreement shall be construed 1. To prevent a Contracting Party from taking measures necessary (1) For the protection of its national and local population’s food security as defined by relevant international organisations. (2) For the conservation of exhaustible natural resources, water, and livestock adversely impacted by the investments carried out by an investor of the other Contracting Party. (3) For the fulfilment of a Contracting Party’s international obligations relating to human rights as defined in relevant international treaties and standards. (4) For ensuring the enjoyment of all legitimate claims to land by rightful individual or communal landowners. […]“117
Eine solche Klausel kann dann effektiv zur Ernährungssicherheit beitragen, wenn entsprechende Konfliktlagen je nach Auslegung der vertraglichen Befugnisse entstehen oder nicht. Führt eine Vertragsumsetzung jedoch unweigerlich zu solchen Konfliktlagen, würde die o. g. Klausel zu einem Leerlauf der gesamten Pacht führen und wäre im Rahmen des jeweiligen Vertrags ihrerseits geltungserhaltend zu interpretieren. Ihre Effektivität ist daher beschränkt und vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Eine weitere Möglichkeit der Verpachtung ohne die Verletzung von Achtungspflichten sind Moratorien, in denen der Staat und die Zivilbevölkerung Zeit haben, die Konsequenzen des Pachtvertrages zu untersuchen und zu bewerten.118 Die Ukraine versucht etwa, die Pachtverträge über eine Laufzeitbegrenzung auf 50 Jahre besser zu kontrollieren.119 Probleme wirft allerdings der Nachweis einer konkreten Verletzungshandlung auf. Ein Staat kann nicht wegen der Gesamtausrichtung seiner Volkswirtschaft verantwortlich gemacht werden. Es bedarf vielmehr einer konkreten Menschenrechtsverletzung. Der Nachweis zwischen einem Ernährungs116 Narula, The Global Land Rush: Markets, Rights, and the Politics of Food, Stanford Journal of International Law Vol. 49/2013, S. 101 (164). 117 Häberli/Smith, Food Security and Agri-Foreign Direct Investment in Weak States: Finding the Governance Gap to Avoid ‚Land Grab‘, The Modern Law Review 77 (2) 2014, S. 189 (222). 118 Narula, The Global Land Rush: Markets, Rights, and the Politics of Food, Stanford Journal of International Law Vol. 49/2013, S. 101 (164). 119 Vgl. Meldung auf farmlandgrab.org, Ukraine’s parliament passes law on land market, 20. Juli 2011, abrufbar unter: http://farmlandgrab.org/post/view/18960 (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019).
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defizit Einzelner und der Verpachtung von Land ist je nach Einzelfall schwer zu führen. Eine Staatenverantwortlichkeit kann aus dieser Pflichtenbindung somit nur in besonders gelagerten Fällen hergeleitet werden, in denen ein Pachtvertrag eindeutige Auswirkungen auf die Ernährungssituationen in konkreten Bevölkerungsteilen hat. 2. Eingriff durch das Unterlassen gebotener Maßnahmen gegenüber Dritten im Rahmen der Vertragsausführung (Verletzung von Schutzpflichten) a) Schutzpflichtendimension des Rechts auf Nahrung Das Recht auf Nahrung beinhaltet nach dem Committee on Economic, Social and Cultural Rights Schutzpflichten gegenüber Dritten: „The obligation to protect requires measures by the State to ensure that enterprises or individuals do not deprive individuals of their access to adequate food.“120 Den Verpächterstaat trifft eine Schutzpflicht zur Regulierung bzw. Kontrolle des Verhaltens Dritter, d. h. des Pächters, wenn dieser im Rahmen der Vertragsausführung das Recht auf Nahrung verletzt.121 Er hat den Zugang zu den Ressourcen der Nahrungsmittelproduktion vor Eingriffen ausländischer sowie einheimischer Privater zu schützen und das Recht auf Nahrung zu gewährleisten, indem er den Zugang der Bevölkerung zu und die Nutzung von Umweltressourcen und Mitteln zum Erhalt einer Lebensgrundlage, einschließlich der Ernährungssicherheit, stärkt.122 Die Verursachung einer Nahrungsmittelunterversorgung lässt sich je nach potenziell verantwortlichem Staat sowohl unter die Achtungs- als auch unter die Schutzpflichtendimension fassen. Es ist daher für die Verantwortlichkeit des Verpächterstaates an das Unterlassen konkret gebotener Maßnahmen anzuknüpfen. Hierfür wird – entsprechend der Untersuchung der Achtungs dimension – zwischen der Entziehung von Landflächen zur Eigenversorgung (dazu b) sowie ihrer faktischen Beeinträchtigung (dazu c) unterschieden.
120 Economic and Social Council, Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No 12, UN Doc. E/C.12/1999/5, 12. Mai 1999, § 15. 121 Narula, International Financial Institutions, Transnational Corporations and Duties of States, S. 119, in: Langford/Vandenhole/Scheinin/van Genugten, Global Justice, State Duties: The Extraterritorial Scope of Economic, Social and Cultural Rights in International Law, 2012. 122 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 3.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
b) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz vor der Entziehung von Landflächen zur Eigenversorgung Der Verpächterstaat verletzt eine Pflicht zum Schutz des Rechts auf Nahrung, wenn er es unterlässt, Vorkehrungen zur Verhinderung von Übergriffen Dritter zu treffen. Wenn von der lokalen Bevölkerung gewohnheitsrechtlich beanspruchtes Land von einem ausländischen Pächter genutzt wird, kann das völkerrechtswidrige Unterlassen des Verpächterstaates darin liegen, nicht die erforderlichen Konsultations-, Monitoring- oder sonstige Sicherheitsmechanismen durchgeführt zu haben.123 De Schutter hält das Recht auf Nahrung für verletzt, wenn infolge der Pacht durch Dritte der Zugang zu Ressourcen verhindert wird, ohne dass angemessene Alternativen sichergestellt würden.124 Bei der Verletzung einer Achtungspflicht wurden nationale und vertragliche Vorgaben darauf untersucht, ob sie der Subsistenzwirtschaft dienende Flächen vor der menschenrechtswidrigen Entziehung schützen (s. Teil 3 C.II.1.a)). Für die Wahrnehmung von Schutzpflichten ist zu prüfen, ob die nationale Rechtsordnung oder der Vertrag selbst ausreichend vor der Entziehung solcher Flächen durch Dritte schützen. Im Rahmen zahlreicher Pachtverträge wird über die Vertreibung der lokalen Bevölkerung von ihren subsistenzwirtschaftlich genutzten Flächen durch ausländische Pächter berichtet. Beispiele finden sich in Kambodscha und Laos auf Anbauflächen für Kautschuk durch vietnamesische Unternehmen.125 Das vom UN-Sicherheitsrat eingesetzte Expertenpanel für Liberia berichtet regelmäßig über die Situation hinsichtlich der Pacht durch zwei Unternehmen, die dort großflächig Agrarland bewirtschaften.126 Es bemängelt, dass regelmäßig keine Konsultation und Beteiligung sowie kein Monitoring durch liberianische Behörden stattfinde.127 Wie bereits im Rahmen der Achtungsdimension festgestellt wurde, wird durch die Entziehung von Flächen für die 123 Munson/Ronghui, Feeding the Dragon: Managing Chinese Resource Acquisition in Africa, Seattle Journal of Environmental Law 2/2011–2012, S. 343 (359). 124 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2, S. 8. 125 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 16, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubber barons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 126 United Nations Security Council, Security Council Committee established pursuant to resolution 1521 (2003) concerning Liberia: Panel of Experts on Liberia, UN Doc. S/2013/683. 127 United Nations Security Council, Security Council Committee established pursuant to resolution 1521 (2003) concerning Liberia: Panel of Experts on Liberia, UN Doc. S/2013/683, S. 6; vgl. Lomax, Human Rights-based analysis of the agricultural
C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung269
Subsistenzwirtschaft in das Recht auf Nahrung eingegriffen, wenn keine der dort aufgeführten Kompensationsmaßnahmen greifen (s. Teil 3 C.II.1.a)). Im Rahmen der Schutzdimension ist es die Pflicht des Verpächterstaates, diese zu gewährleisten. c) Das Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz vor faktischen Beeinträchtigungen der Nutzung von Land als Lebensgrundlage Neben dem Schutz vor der Entziehung von Landrechten hat ein Schutz des Verpächterstaates vor sonstigen Übergriffen auf das Recht auf Nahrung zu erfolgen. aa) Sonstige faktische Beeinträchtigungen des Rechts auf Nahrung Der Verpächterstaat hat zudem Vorkehrungen gegen faktische Beeinträchtigungen des Rechts auf Nahrung durch den Pächter im Rahmen der konkreten Vertragsausführung zu treffen. Er ist z. B. dann verantwortlich, wenn das Land faktisch nicht mehr für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden kann und die Betroffenen keine anderweitigen Möglichkeiten zur Nahrungsmittelversorgung haben. Die landwirtschaftliche oder industrielle Nutzung infolge der Pacht kann weitreichende umweltbezogene Auswirkungen haben, die von großer Relevanz für die Nutzungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung sind. Auch die Nutzbarkeit des Bodens auf benachbarten Flächen des Pachtgebietes kann beeinträchtigt werden. Häufig beobachtete Umweltauswirkungen von Landwirtschaft auf den Boden sind die Bodenerosion, Schäden durch Bewässerungstechniken und Monokulturen, Verschmutzungen durch den Einsatz von Pestiziden oder Öl, die Trockenlegung von Sumpfgebieten, die Verursachung der Wüstenbildung und die Abholzung von Wäldern.128 Mehrere Pachtverträge über Agrarland im Office du Niger in Mali ermächtigen zur Errichtung großer vom Fluss Niger abgehender Bewässerungskaconcession agreements between Sime Darby, Golden Veroleum and the Liberian Government, Forest Peoples Program, Dezember 2012, S. 10 ff. 128 Lay/Nolte, Neuer „Landraub“ in Afrika?, GIGA Focus Afrika Nr. 1, Dezember 2011, S. 6; von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 29 f.; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 36; unter Berufung auf Augenzeugen Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 7, 11, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubberbarons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021).
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
näle, dessen Wasser die Lebensgrundlage für 100 Mio. Menschen in West afrika darstellt.129 Einer dieser Verträge sieht die Nutzung des Bodens für den Anbau von Biokraftstoffen durch die malische Tochter des US-amerikanischen Unternehmens Petrotech-ffn vor.130 Die malische Provinzregierung klassifizierte die Fläche zuvor als brachliegende Industriefläche, sodass der Einbringung von Stoffen in den Boden weniger strenge Umweltvorgaben entgegenstehen. Der Verpächterstaat gewährleistet den Schutz vor einer Kontamination und damit verbundenen Einschränkung der Subsistenzwirtschaft dadurch nur in unzureichender Weise. Im Rahmen der Pacht zweier vietnamesischer Unternehmen in Laos und Kambodscha zur Errichtung von Kautschukplantagen kam es zu einer massiven Abholzung von Wald und der Entziehung von Agrarflächen der Bevölkerung.131 Diese Beeinträchtigungen treten aber auch bei anderen Landnutzungsformen auf. Bei der Nutzung des Weltraumbahnhofs Baikonur kam es z. B. zu Abstürzen von Proton-Raketen; bei dem benutzten Treibstoff UDMH handelt es sich um einen „toxischen, flüchtigen und entzündlichen hypergolischen Treibstoff“, der bei Kontakt mit der Luft zu einem schwer abbaubaren Karzinogen wird.132 Nach jedem Absturz kam es zu längeren Regenperioden und bei der lokalen Bevölkerung wurden Störungen des Hormonsystems und der Blutbildung festgestellt; außerdem wurde das Grundwasser verunreinigt.133 Neben weiteren Eingriffen in menschenrecht liche und umweltvölkerrechtliche Schutzgüter stellt das Unterlassen gebotener Maßnahmen gegen derartige Beeinträchtigungen auch einen Eingriff in das Recht auf Nahrung dar, wenn dadurch Anbauflächen beeinträchtigt werden.
129 Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 2. 130 Pachtvertrag Mali und Petrotech – ffn Agro Mali SA von August 2007; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland In stitute, 2011, S. 32. 131 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 16, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubber barons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 132 Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 4. 133 Baizakova, Das Raumfahrtzentrum Baikonur: Kooperation und Konflikte zwischen Russland und Kasachstan, Zentralasien-Analysen Nr. 75, 4. April 2014, S. 4.
C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung271
bb) Vorkehrungen im Pachtvertrag und nationalen Recht Einen Lösungsansatz und damit eine Maßnahme zur Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten stellen gesetzlich vorgeschriebene und lokal verwaltete Flächennutzungspläne, Genehmigungsverfahren mit Umwelt- bzw. Sozialverträglichkeitsprüfungen (Social and Environmental Impact Assessment) und die konkrete Vertragsgestaltung selbst dar.134 Der IGH nahm im PulpMills-Fall eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung an, die er aus vertraglichen Kooperationspflichten und Völkergewohnheitsrecht herleitete.135 Der Vertrag selbst oder das anwendbare nationale Recht müssen also sicherstellen, dass die landwirtschaftliche Nutzung auch benachbarter Flächen nicht beeinträchtigt wird. Entsprechende vertragliche Klauseln aus Pachtverträgen verweisen hinsichtlich solcher Umwelt- oder Sozialverträglichkeitsprüfungen auf nationale oder internationale Vorgaben.136 Ein Verweis auf internationales Recht muss allerdings konkrete Pflichten benennen, um nicht zu unspezifisch zu sein.137 Unzureichend ist eine Vertragsklausel, die den Pächter verpflichtet, bei der Ausführung des Pachtvertrags auf den allgemeinen Wohlstand und die sozioökonomische Entwicklung des Landes hinzuwirken.138 Im Vertrag zwischen Äthiopien und dem chinesischen Unternehmen Hunan Dafengyuan wird dieses z. B. verpflichtet, eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu Beginn der Vertragsausführung vorzunehmen.139 Manche Verträge inkorporieren das für den Verpächterstaat geltende Völkervertragsrecht, indem sie darauf verweisen, anwendbares Recht schließe „treaty obligations“ mit ein.140 Unzureichend sind allgemeine Hinweise an den Pächter, einen verantwortungsvollen
134 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 30; Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 30. 135 Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Judgement, I.C.J. Reports 2010, S. 14, § 203. 136 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 31. 137 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 31. 138 Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992: Die Shougang Corporation ist dazu gem. Nr. 1 der antecedentes verpflichtet: „[…] la finalidad de crear riqueza y contribuir al desarollo socio-económico del país“ (sinngemäße Übersetzung im Fließtext). 139 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 4.1 lit. d. 140 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 31.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
Umgang mit dem Pachtgebiet zu pflegen (z. B. „to develop and maintain the land in a responsible way“).141 Fehlt eine solche vertragliche Schutzklausel, ist das anwendbare nationale Recht entscheidend. Viele Rechtsordnungen binden die Durchführung bestimmter umweltbedeutsamer Projekte an die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung. Das gilt etwa für den Bau von im Rahmen der Pacht zu errichtender Infrastrukturanlagen. Das Genehmigungsverfahren durch die zuständigen Behörden des Verpächterstaates enthält dann entsprechende Prüfungen. In deren Rahmen können konkrete Auswirkungen der Pacht auf die Erhaltung der Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung überprüft werden. Für Pachtverträge in Madagaskar gilt, dass ab einer zu verpachtenden Fläche von 1000 m2 Agrarland eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist.142 Vereinzelt wird es vertraglich in das Ermessen des Verpächterstaates gestellt, ob er je nach Art und Größe des Vorhabens eine solche Genehmigung einholt („whenever it deems so appropriate“).143 Es obliegt dem nationalen Recht des Verpächterstaates, zu beurteilen, inwieweit eine solche vertragliche Einschränkung national-rechtlich vorgeschriebener Genehmigungserfordernisse oder Verträglichkeitsprüfungen rechtmäßig ist. Aus der Per spektive menschenrechtlicher Schutzpflichten kann es jedoch eine Verletzung bedeuten, wenn dadurch gebotene Maßnahmen zum Schutz vor Übergriffen nicht getroffen werden. cc) Problem des „Einfrierens“ des nationalen Rechts Der Verpächterstaat muss schließlich sicherstellen, die genannten Maßnahmen auch bei steigenden Anforderungen an seine Schutzpflicht durchsetzen zu können. Häufig wird allerdings das „Einfrieren“ des nationalen Rechts auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vereinbart. Dabei handelt es sich um Klauseln, welche bestimmte Regeln des Verpächterstaates wie z. B. regulato141 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 31. 142 MECIE Decree, ‚Decree to Make Investments Compatible with the Environment‘, Decree No. 99954 (15. Dezember 1999) on the Implementation Compatibility of Investments with the Environment, as amended by Decree No. 2004-167 (3. Fe bruar 2004); Burnod/Gingembre/Ratsialonana, Competition over Authority and Access: International Land Deals in Madagascar, Development and Change, Special Issue: Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land, Vol. 44 Issue 2, März 2013, S. 357 (360). 143 Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 3.2: „[…] at the discretion of Lessee upon consultation and submission of permit request with concerned offices subject to the type and size of the investment project whenever it deems so appropriate.“; ebenso Landpachtvertrag Äthiopien und BHO Bio Products Private Ltd. Co. vom 11. Mai 2010, Art. 3.2.
C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung273
rische Vorgaben nur nach ihrem jeweils derzeitigen Stand zum Vertragsinhalt machen.144 Diese Vereinbarungen finden sich zudem häufig in sog. „State Contracts“ zwischen einem Empfangsstaat und einem Unternehmen selbst, d. h. ohne Zwischenschaltung des Herkunftsstaates dieses Unternehmens. Die Stabilisierungs- oder Kontinuitätsklauseln erklären – wie zuvor beschrieben – die Rechtslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für dauerhaft verbindlich (auch sog. „Versteinerungsklauseln“) oder verbieten die Anwendung bestimmter nachträglicher Rechtsänderungen (sog. „Nichtanwendungs klauseln“).145 So wird in einem malischen Pachtvertrag etwa eine solche Stabilisierungsklausel vereinbart, wonach der Vertrag selbst sämtlichen neuen Regeln vorgeht („prevails […] any new law“), die der Projektumsetzung entgegenstehen könnten.146 Bei Vertragslaufzeiten von zwischen 25 und 99 Jahren ist eine Anpassung an die national-rechtlichen Rahmenbedingungen erforderlich, um die gebotenen Maßnahmen zur Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten ergreifen zu können. Andernfalls kann der Verpächterstaat Langzeitwirkungen der Pacht im Hinblick auf die Ernährungssicherheit nicht hinreichend begegnen.
III. Eingriff des Pächter- bzw. Herkunftsstaates in den Schutzbereich durch Handeln oder Unterlassen Die Untersuchung der Pflichten zur Achtung und zum Schutz des Rechts auf Nahrung setzt wiederum voraus, dass diese unter den in Teil 2 C. genannten Voraussetzungen für den Pächter- bzw. Herkunftsstaat auf fremdem Territorium anwendbar sind und ihm das jeweilige Verhalten zuzurechnen ist (s. Teil 2 A.I.).
144 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 39; Munson/Ronghui, Feeding the Dragon: Managing Chinese Resource Acquisition in Africa, Seattle Journal of Environmental Law 2/2011–2012, S. 343 (353 f.). 145 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 (142), in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005; Merkl, Investitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln – Zur intertemporalen Rechtswahl in State Contracts, Abhandlungen zum Recht der Internationalen Wirtschaft Bd. 16, 1991, S. 478. 146 Cotula, Land deals in Africa: What is in the contracts?, International Institute for Environment and Development, März 2011, S. 39.
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
1. Eingriff durch eigenständige Durchführung des Pachtvertrags (Verletzung von Achtungspflichten) Der Pächterstaat kann durch die eigenständige Nutzung der verpachteten Landfläche in das Recht auf Nahrung eingreifen und ist insoweit an Achtungspflichten gebunden. Bei physischer Anwesenheit von Organen des Pächterstaates auf fremdem Staatsgebiet besteht eine Pflicht zur Achtung des Rechts auf Nahrung sowohl gegenüber Individuen, über welche er unmittelbar hoheitliche (Amts-)Gewalt und Kontrolle („State agent authority and control“) ausübt als auch über solche, die sich auf dem Gebiet befinden, über welches er wirksame Gebietskontrolle ausübt. Diese Begründungsansätze für die Ausübung von Hoheitsgewalt können sich auch überschneiden. Die Maßstäbe für Eingriffe des Verpächterstaates in das Recht auf Nahrung lassen sich hierauf teilweise übertragen (s. Teil 3 C.II.1.). Führt die Durchführung des Pachtvertrags zu einer Entziehung der Lebensgrundlage oder der Verursachung von Lebensmittelunsicherheit greift der Pächterstaat nach den dort genannten Maßstäben in das Recht auf Nahrung ein. Daneben lassen sich die Maßstäbe für mögliche Schutzpflichtverletzungen des Verpächterstaates heranziehen (s. Teil 3 C.II.2.). Die möglichen Übergriffe Dritter, auf die sich die dort untersuchten Schutzpflichten des Verpächterstaates beziehen, stellen Eingriffe des Pächterstaates in das Recht auf Nahrung dar, wenn dieser die Pacht eigenständig durchführt. Dazu zählen die Entziehung sowie faktische Beeinträchtigung von Landflächen für die Subsistenzwirtschaft. Wegen des komplementären Pflichtensystems aus Achtungs- und Schutzpflichten genügt an dieser Stelle ein Verweis auf Teil 3 C.II.2.b) und c). 2. Eingriff durch unzureichende Regulierung und Sanktionierung privater Dritter (Verletzung von Schutzpflichten) Daneben kann der Pächterstaat durch unzureichende Regulierung und Sanktionierung privater Dritter bei deren Nutzung des Pachtgebiets in das Recht auf Nahrung eingreifen. Voraussetzung ist, dass seine Schutzpflichten sich auf das extraterritoriale Pachtgebiet ausweiten (s. Teil 2 C.IV). Die grundsätzlichen Anforderungen an ihren Inhalt und ihre Reichweite wurden bereits im Zusammenhang mit dem Schutz des Rechts auf Eigentum erläutert (s. Teil 3 B.III.2). Der Pächterstaat hat nach diesen engen Voraussetzungen vor Übergriffen Privater auf das Recht auf Nahrung im Rahmen der Durchführung des Pachtvertrages zu schützen. Dies erfordert im Wesentlichen eine wirksame Kon trolle des Pachtgebietes; übt der Pächterstaat diese jedoch selbst aus, ist
C. Die Verletzung des Rechts auf Nahrung275
fraglich, welche Handlungen Privater zu solchen Übergriffen führen können. Denkbar wäre, dass der Pächterstaat die Durchführung des Pachtvertrags durch Private mit Sicherheitskräften wie Militär flankiert. Die Handlungen, die dann ihrerseits zu einer Entziehung oder faktischen Beeinträchtigung von Landflächen für die Subsistenzwirtschaft führen, wären dem Pächterstaat indes nicht zurechenbar, wenn er das operative Geschäft im Einzelnen nicht kontrolliert. Infolge seiner wirksamen Gebietskontrolle durch militärische Präsenz wäre er jedoch für Übergriffe Privater auf diesem Gebiet verantwortlich.
IV. Das Recht auf Wasser: Eingriffe in den Schutzbereich durch dasselbe Verhalten (Verletzung von Achtungs- und Schutzpflichten) Pachtverträge über Agrarflächen haben teilweise derart weitreichende Auswirkungen auf die Wasserversorgung der Bevölkerung des Verpächterstaates, dass sie die Auswirkungen durch den unmittelbaren Entzug von Landflächen weit übertreffen. Staaten mit geringen über- und unterirdischen Wasserreserven sind auf eine nachhaltige und effiziente Nutzung sowie Verwaltung angewiesen. Auch moderne Bewässerungstechniken können jedoch je nach Höhe des mit dem Pachtvorhaben verbundenen Verbrauchs zu einem Entzug von Trinkwasser sowie zu einer Verhinderung der notwendigen Bewässerung im Rahmen der Subsistenzwirtschaft führen.147 Große Bewässerungsanlagen können daneben zum Absinken des Grundwassers führen und so der lokalen Bevölkerung auch weit außerhalb des eigentlichen Pachtgebiets die Lebensgrundlage entziehen. Einschränkungen der Wasserversorgung entstehen auch durch das Einbringen von gesundheitsgefährdenden Stoffen, die im Rahmen der Landwirtschaft verwendet werden.148 Menschenrechtsorganisationen äußern sich daher ebenso besorgt über die Bedrohungslage für das Recht auf Nahrung wie für das Recht auf Wasser.149 147 Pearce, Land Grabbing – Der globale Kampf um Grund und Boden, 2012, S. 336; Baxter, Understanding Land Investment Deals in Africa, Country Report: Mali, Oakland Institute, 2011, S. 36 f.; FIAN International, Land grabbing in Kenya and Mozambique – A report on two research missions – And a human rights analysis of land grabbing in Kenya and Mozambique, April 2010, abrufbar unter: http://www. fian.org/library/publication/land-grabbing-in-kenya-and-mozambique/ (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2019). 148 Global Witness Report, Rubber Barons – How Vietnamese companies and global financiers are driving a land grabbing crisis in Cambodia and Laos, Mai 2013, S. 26, abrufbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/land-deals/rubber barons/ (zuletzt abgerufen am 8. Juni 2021). 149 Vgl. Rulli/Saviori/D’Odorico, Global land and water grabbing, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Vol. 110, Nr. 3/2013, S. 892; Borras/Fig/
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Das Recht auf Wasser, abgeleitet aus Art. 11 Abs. 1 des Sozialpaktes, wurde am 28. Juli 2010 mit 122 Stimmen bei 41 Enthaltungen durch die UN-Generalversammlung als Menschenrecht anerkannt.150 Auch die EU stellte in einem Beschluss fest, dass der Zugang zu Trinkwasser in ausreichender Qualität und angemessener Menge ein grundlegendes Menschenrecht darstelle.151 Im Rahmen von Pachtverträgen wird auf mögliche Verletzungen des Rechts auf Wasser etwa durch umweltbezogene Rücksichtnahmepflichten oder Nachhaltigkeitsgebote reagiert. So gründeten die Staaten am Fluss Mekong das Mekong-Wasser-Komitee, um die Rücksichtnahme auf gewässerbezogene Interessen zu gewährleisten.152 Das Recht auf Wasser findet aufgrund der mit den Pachtverträgen verbundenen Eingriffen und Konfliktlagen ausdrückliche Erwähnung. Dennoch werden die möglichen Eingriffe, Übergriffe Dritter und staatliche Achtungssowie Schutzpflichten nicht gesondert untersucht. Vielmehr handelt es sich hierbei in Bezug auf das Recht auf Wasser lediglich um andere Auswirkungen derselben Aktivitäten, die bereits im Hinblick auf das Recht auf Nahrung sowie das Recht auf Eigentum erörtert wurden.
D. Die Verletzung des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Ein kurzer Überblick über mögliche Verletzungen von Umweltvölkerrecht ist notwendiger Bestandteil der Untersuchung, da sowohl im Rahmen der landwirtschaftlichen Nutzung als auch der industriellen Nutzung fremden Staatsgebiets die Behandlung natürlicher Ressourcen besonders im Fokus steht. Zum Teil weist diese Nutzung in erster Linie eine menschenrechtliche Relevanz auf, wenn z. B. Trinkwasserquellen gefährdet werden oder aufgrund von Bewässerungsmethoden oder Bodenerosion die landwirtschaftliche ErSuárez, The politics of agrofuels and mega-land and water deals: insights from the ProCana case, Mozambique, Review of African Political Economy, Vol. 38 No. 128 2011, S. 215; Andrews, Das versteckte Water Grabbing, S. 18 f., in: Krämer/Massing, Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf, INKOTA-Dossier 7, Juni 2010 u. v. m. 150 United Nations General Assembly resolution 64/292, The human right to water and sanitation, UN Doc. A/RES/64/292 (2010) vom 28. Juli 2010; vgl. Stubenrauch, Ein Menschenrecht auf Wasser, Zeitschrift für Umweltrecht 2010, S. 521 (523). 151 European Parliament, Report on the Commission communication on water management in developing countries and priorities for EU development cooperation, Committee on Development and Cooperation vom 22. Juli 2003, COM(2002) 132 – C5-0335/2002 – 2002/2179(COS), S. 7. 152 Kunig, Konflikte um das Wasser – Was sagt das Völkerrecht?, Wissenschaftsmagazin fundiert, Ausgabe „Wasser“ 02/2004, Freie Universität Berlin.
D. Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen277
nährungsgrundlage zerstört wird.153 Darüber hinaus kommt dem Schutz des Umweltvölkerrechts eine eigenständige Bedeutung zu. In den untersuchten Verträgen wird deutlich, dass umfassende umweltbezogene Befugnisse erteilt werden, welche die Nutzung von Gewässern betreffen. Auch Boden und Luftraum sind mitunter intensiven Belastungen durch die jeweilige Nutzungsform ausgesetzt. Gleichzeitig überprüfen die zuständigen Umweltbehörden des Verpächterstaates häufig nicht konsequent die Einhaltung genehmigungsrechtlicher Anforderungen durch die Pachtvorhaben.154 Aus der Vielzahl umweltvölkerrechtlicher Vorgaben wurde das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen wegen seiner grundlegenden Bedeutung repräsentativ herausgegriffen, um eine mögliche völkerrechtliche Verantwortlichkeit der bei Pachtverträgen beteiligten Staaten zu untersuchen. Die Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit sind auf die Verletzung dieses Verbots grundsätzlich anwendbar.155 Umweltschützende Vorschriften sind darüber hinaus aufgrund ihrer menschenrechtsschützenden Dimension für die untersuchten Verträge von Bedeutung. So wird befürwortet, den sachlichen Anwendungsbereich des Indivi dualschutzes gem. Art. 2 Abs. 1 des Zivilpaktes sowie der EMRK und der EU-Grundrechtecharta im Wege der Auslegung auf den ökologischen Schutz von Tieren und Natur zu öffnen.156 Je nach Art der pachtvertraglichen Nutzung und der jeweils einschlägigen umweltvölkerrechtlichen Vorgabe können den Verpächter- sowie den Pächterstaat also entsprechende Achtungs- und Schutzpflichten treffen.
I. Schutzbereich des Verbots grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Das internationale Umweltrecht ist von dem zentralen Grundsatz des Gebots der Rücksichtnahme durchzogen, für den der Schiedsspruch zum Trail Smelter Fall von 1938 den Ausgangspunkt darstellt.157 Das Schiedsgericht 153 Ekardt, Menschenrechte und Umweltschutz – deutsche und internationale Debatte im Vergleich, Zeitschrift für Umweltrecht 2015, S. 579. 154 Polack/Cotula/Côte, Accountability in Africa’s Land Rush: What role for legal empowerment?, IIED/IDRC, 2013, S. 25. 155 Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility: Introduction, Text and Commentaries, 2002, Art. 14 Rn. 14; Epiney, Das „Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen“: Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, Archiv des Völkerrechts Band 33, 1995, S. 309 (353). 156 Fischer-Lescano, Natur als Rechtsperson, Zeitschrift für Umweltrecht 2018, S. 205 (214 f.). 157 Trail smelter case (United States v. Canada), Arbitral Tribunal Decision, Reports of International Arbitral Awards, 16. April 1938 und 11. März 1941, Vol. III, S. 1905
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stützte seine Entscheidung auf ein umfassendes Verbot erheblicher Umweltschädigungen durch grenzüberschreitende Luftverunreinigungen: „[…] no State has the right to use or permit the use of its territory in such a manner as to cause injury by fumes in or to the territory of another or the properties or persons therein, when the case is of serious consequence and the injury is established by clear and convincing evidence.“158
Der IGH erkennt das Prinzip sic utere tuo at alienum non laedas als Umsetzung der no-harm-rule an, worin zugleich der Nachbarschutzgrundsatz und das Verbot des Rechtsmissbrauchs zum Ausdruck kommen.159 Er stellte im Fall Gabcíkovo-Nagymaros fest: „The existence of the general obligation of States to ensure that activities within their jurisdiction and control respect the environment of other States or of areas beyond national control is now part of the corpus of international law relating to the environment.“160
Im Corfu Channel Case bestätigte der IGH im Jahr 1949 die staatliche Verpflichtung, eine Nutzung seines Territoriums unter Verletzung der Rechte anderer Staaten zu verhindern (sog. Schädigungsverbot).161 Die Rücksichtnahmepflichten entwickelten sich weiter durch die Erklärung der Stockholmer Staatenkonferenz zur menschlichen Umwelt von 1972, die in Prinzip 21 ein absolutes Schädigungsverbot vorsieht.162 Die Erklärung von Rio zu Umwelt und Entwicklung von 1992 knüpft in Prinzip 2 an das Schädigungsverbot aus der Stockholmer Erklärung an.163 (1965); weitergehend Prinzip 21 der Erklärung der Stockholmer Staatenkonferenz zur menschlichen Umwelt von 1972, United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 5. bis 16. Juni 1972, UN Doc. A/CONF.48/14/Rev.1, S. 5; Herdegen, Völkerrecht, § 51 Rn. 2. 158 Trail smelter case (United States v. Canada), Arbitral Tribunal Decision, Reports of International Arbitral Awards, 16. April 1938 und 11. März 1941, Vol. III, S. 1905 (1965). 159 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1996, S. 226, § 29; Crawford, Brownlie’s Principles on Public International Law, 8th Edition, 2012, S. 359; vertiefend Hinds, Das Prinzip „sic utere tuo at ali enum non laedas“ und seine Bedeutung im internationalen Umweltrecht, Archiv des Völkerrechts Band 30, 1992, S. 298. 160 Gabcíkovo-Nagymaros (Hungary v. Slovakia), Judgement, I.C.J. Reports 1997, S. 38, § 53. 161 Corfu Channel Case (United Kingdom and Northern Ireland v. P.R. Albania), Judgement, I.C.J. Reports 1949, S. 4 (22): „[…] every State’s obligation not to allow knowingly its territory to be used for acts contrary to the rights of other States.“ 162 United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 5. bis 16. Juni 1972, UN Doc. A/CONF.48/14/ Rev.1, Prinzip 21, S. 5. 163 United Nations General Assembly, Report of the United Nations Conference on the Human Environment, Rio de Janeiro, 3. bis 14. Juni 1992, UN Doc. A/CONF.151/ 26 (Vol. I).
D. Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen279
Es ist nunmehr gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass die Verursachung erheblicher Umweltbeeinträchtigungen auf fremdem Staatsgebiet verboten ist; ferner dürfen Staaten derartige Beeinträchtigungen durch grenzüberschreitende Aktivitäten Privater nicht zulassen.164 Dies berücksichtigte auch der IGH in seinem Gutachten zur Rechtmäßigkeit der Drohung mit oder des Einsatzes von Atomwaffen.165 Das Beeinträchtigungsverbot findet auch in Art. 194 Abs. 2 des UN-Seerechtsübereinkommens Ausdruck, wonach Staaten alle notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung von Schäden durch die Verschmutzung der Umwelt in anderen Staaten unternehmen sollen.166 Auch Art. 21 Abs. 2 UN-Gewässer-Konvention enthält ein solches Beeinträchtigungsverbot für die Wasserläufe anderer Staaten.167 Dabei handelt es sich um eine spezielle Ausprägung von Art. 5 und 7 UN-Gewässer-Konvention, die ihrerseits eine Ausprägung der gewohnheitsrechtlich anerkannten noharm-rule darstellen. Dem Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen kommt ein Staat nach, wenn er bei der Planung und Umsetzung umweltrelevanter Vorhaben die notwendigen Schutzmaßnahmen trifft. Die Umweltverträglichkeitsprüfung stellt hierfür ein geeignetes Instrument dar. Der IGH nahm im Pulp-Mills-Fall eine Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung an, die er aus vertraglichen Kooperationspflichten und Völkergewohnheitsrecht herleitete.168
164 Herdegen, Völkerrecht, § 51 Rn. 4; Epiney, Das „Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen“: Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, Archiv des Völkerrechts Band 33, 1995, S. 309 (312). 165 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1996, S. 226, § 29; Herdegen, Völkerrecht, § 51 Rn. 4. 166 Art. 194 Abs. 2 UN-Seerechtsübereinkommen: „States shall take all measures necessary to ensure that activities under their jurisdiction or control are so conducted as not to cause damage by pollution to other States and their environment, and that pollution arising from incidents or activities under their jurisdiction or control does not spread beyond the areas where they exercise sovereign rights in accordance with this Convention.“; vgl. Jessen, Staatenverantwortlichkeit und seevölkerrechtliche Haftungsgrundsätze für Umweltschäden durch Tiefseebodenbergbau, Zeitschrift für Umweltrecht 2012, S. 71 (76). 167 Art. 21 Abs. 2 UN-Gewässer-Konvention: „Watercourse states shall, individually and, where appropriate, jointly, prevent, reduce and control the pollution of an international watercourse that may cause significant harm to other watercourse states or to their environment, including harm to human health or safety, to the use of the waters for any beneficial purpose or to the living resources of the watercourse.“ 168 Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Judgement, I.C.J. Reports 2010, S. 14, § 203; Herdegen, Völkerrecht, § 51 Rn. 4.
280
Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
II. Eingriff des Verpächterstaates durch das Unterlassen gebotener Schutzmaßnahmen Das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltverschmutzung kann verletzt werden, wenn der Verpächterstaat es unterlässt, erforderliche Maßnahmen zur Verhinderung solcher Verschmutzungen in den Pachtvertrag aufzunehmen. Enthält ein Vertrag also keine Bedingung, welche die Durchführung einer bestimmten Maßnahme an die Überprüfung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt knüpft, kann ein völkerrechtswidriges Verhalten vorliegen. Ein Beispiel ist die Ermächtigung Syriens durch den Sudan in dem Abkommen vom 22. Mai 2002 zur unbegrenzten Entnahme von Wasser aus dem Nil sowie von Grundwasser zur Bewässerung des landwirtschaftlich genutzten Pachtgebiets (s. Teil 1 B.II.). Einschränkungen dahingehend, dass die Wasserversorgung der Nachbarstaaten dadurch nicht abgeschnitten oder gemindert werden dürfe, sind aus dem Pachtvertrag nicht ersichtlich. Allerdings wurde Syrien der Wasserzugang nur unter der Bedingung gewährt, keine Verschmutzungen oder Schädigungen herbeizuführen und moderne Landwirtschafts- und Bewässerungstechnologien anzuwenden.169 Die Anforderungen des Verbots grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen sind danach durch das ausdrückliche Schädigungsverbot zumindest formal berücksichtigt. Im Falle derart weitreichender vertraglicher Befugnisse wäre es jedoch erforderlich, die Grenzen einer schädigungsfreien Nutzung genau zu definieren. In anderen Pachtverträgen wurden ebenfalls allgemein gehaltene Umweltschutzklauseln aufgenommen. Der jeweilige Pächter ist danach etwa zur größtmöglichen Schonung von Flora und Fauna oder zur Anwendung von Techniken und Verfahren mit der kleinstmöglichen Umweltbelastung und der Verhinderung einer Bodenerosion angehalten.170 Solche Umweltschutzklauseln enthalten jedoch selten zwingende, d. h. verbindliche und durchsetzbare konkrete Vorgaben. Die erforderliche Sorgfalt wird eher dadurch gewahrt, dass konkrete, branchenspezifische Umweltschutzvorgaben in den Vertrag inkorporiert werden. So verweisen Pachtverträge zur Gewinnung von Palmöl wie im Falle Liberias und einem malaysischen Unternehmen auf die Principles of the Roundtable on Sustainable Palm Oil.171 169 Landwirtschaftsabkommen
Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002, § 5. Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010, Art. 4.1 lit. a–c. 171 Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009, Section 16, S. 31: „Investor’s obligations with respect to the environment shall be in accordance with the Environmental Protection and Management Law 170 Landpachtvertrag
D. Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen281
III. Eingriff des Pächterstaates durch Handeln oder Unterlassen Grundsätzlich gilt das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen nicht nur für den Verpächterstaat, sondern für jeden Staat, der durch ein bestimmtes Vorhaben in einer Position ist, die Umwelt dritter Staaten zu beeinträchtigen. Das Verbot knüpft zwar – neben der territorialen Integrität des beeinträchtigten Staates – auch an die territoriale Souveränität des handelnden Staates an.172 Zunächst leitet sich die Möglichkeit eines Staates, auf dem Territorium eines anderen ein potenziell umweltbeeinträchtigendes Vorhaben umzusetzen, also von der territorialen Souveränität des Verpächterstaates ab. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern Pächterstaaten eigenverantwortlich vor der Durchführung potenziell umweltschädlicher Projekte auf fremdem Hoheitsgebiet Sorgfaltsmaßnahmen ergreift. Grundsätzlich sind national-recht liche Umweltverträglichkeitsprüfungen und ähnliche Maßnahmen auf Vorhaben auf das jeweils eigene Hoheitsgebiet beschränkt. Lediglich die Leitlinien für sämtliche im Ausland investierenden chinesischen Unternehmen enthalten eine Vorgabe, die Grenzwerte des Verpächterstaates für jegliche Emissionen aus ihren Investitionsvorhaben einzuhalten.173 Daneben wurden Leitlinien zum Umweltschutz für sämtliche Unternehmen – branchenunabhängig – bei Auslandsinvestitionen erlassen, die zur Förderung nachhaltiger Entwicklung durch einen umfangreichen Verhaltenskatalog einschließlich Ausbildungsmaßnahmen aufrufen.174
of Liberia or any other law or regulation of Liberia, regulations of the Environmental Protection Agency (EPA), and the Principles of the Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO).“ 172 Epiney, Das „Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen“: Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, Archiv des Völkerrechts Band 33, 1995, S. 309 (319). 173 Ministry of Commerce P.R. China, Notification of the Ministry of Commerce and the Ministry of Environmental Protection, Guidelines for Environmental Protection in Foreign Investment and Cooperation vom 18. Februar 2013 (s. Fn. 63) Art. 10: „Enterprises shall, attending to the requirements of laws, regulations and standards of the host country concerning environmental protection, construct and operate pollution prevention installations, carry out pollution prevention work, and ensure that the emission of exhaust gas, waste water, solid wastes or other pollutants meet the standards of the host country for pollutant emission.“ 174 Ministry of Commerce P.R. China, Notification of the Ministry of Commerce and the Ministry of Environmental Protection, Guidelines for Environmental Protection in Foreign Investment and Cooperation vom 18. Februar 2013 (s. Fn. 63).
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Teil 3: Spezifische Völkerrechtsverstöße i. R. d. Pachtverhältnisse
IV. Zusammenfassung zum Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen Die Umweltauswirkungen der im Rahmen einer Pacht durchzuführenden Vorhaben werden häufig bereits verkannt und dementsprechend auch selten vertraglich abgebildet. Dadurch wird zumindest nicht vertraglich gewährleistet, dass national-rechtliche Umweltverträglichkeitsprüfungen oder ähnliche Genehmigungserfordernisse greifen. Eine nicht unerhebliche Zahl der Verpächterstaaten verfügt jedoch bereits nicht über entsprechende nationale Vorgaben, sodass eine vertragliche Regelung erforderlich wäre. Die Anforderungen an die umweltvölkerrechtlichen Pflichten des Pächter- bzw. Herkunftsstaates sind im Gegensatz zu menschenrechtlichen Pflichten nicht an die Ausübung wirksamer Gebietskontrolle gebunden und begegnen damit im Grundsatz geringeren Durchsetzungsanforderungen. Zugleich bestehen auf Seiten des nationalen Rechts des Pächterstaates große Unterschiede im Hinblick auf die Gewährleistung der erforderlichen Sorgfalt im Rahmen von Vorhaben auf fremdem Hoheitsgebiet.
E. Zwischenergebnis zu Teil 3 Aus repräsentativen Gesichtspunkten wurden spezifische völkerrechtliche Schutznormen herausgegriffen, die im Rahmen von Pachtverträgen besonders virulent sind. Dazu zählen das Recht auf Eigentum einschließlich des Schutzes nicht eingetragener Landrechte indigener Völker, das Recht auf Nahrung, das Recht auf Wasser sowie das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen. Diese Aufzählung ließe sich um einige Rechtspositionen – wie etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit der Person oder völkerrechtliche Arbeitsschutzbestimmungen – ergänzen, würde dann jedoch entweder einen unmittelbaren Bezug zu den typischen pachtvertraglichen Konfliktlagen vermissen lassen oder an Allgemeingültigkeit verlieren. Eingriffe in die jeweiligen Schutzbereiche ergeben sich sowohl für den Verpächter- als auch für den Pächterstaat aus zurechenbaren Handlungen im Rahmen der menschenrechtlichen Achtungsdimension. Sie erfolgen in Gestalt der Vorbereitung, des Abschlusses oder der Durchführung eines Pachtvertrags. Im Rahmen der menschenrechtlichen Schutzdimension ergeben sie sich sowohl für den Empfangs- als auch den Herkunftsstaat aus dem Unterlassen gebotener Maßnahmen zum Schutz vor Übergriffen Dritter. Für betroffene Landbesitzer gestaltet sich die Geltendmachung einer Völkerrechtsverletzung weitaus einfacher, wenn sie über einen eingetragenen Landtitel verfügen, als wenn sie sich auf gewohnheitsrechtliche Landrechte
E. Zwischenergebnis zu Teil 3283
berufen. Diese werden vom Recht auf Eigentum grundsätzlich geschützt, die Anforderungen sind jedoch deutlich höher. Einen Gebietsverlust mit einer Verletzung des Rechts auf Nahrung zu verfolgen, ist schließlich nur in seltenen Fällen erfolgversprechend. Hierfür bedarf es einer umfassenden Untersuchung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die sowohl den Verlust von Land als Nahrungssicherung als auch die vielfältigen möglichen Kompensationsmaßnahmen berücksichtigen.
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung A. Zusammenfassung in Thesen I. Die im Rahmen von neueren Pachtverträgen vereinbarten Nutzungsformen sind vielseitig. Während seit 2007 das Thema Ernährungssicherheit zu einem starken Zuwachs landwirtschaftlicher Pacht geführt hat, die auch sog. energy crops beinhaltet, werden auch Gebiete zur Errichtung sowie dem Betrieb von Tiefseehäfen, Industrieanlagen und Abbauflächen für verschiedene Ressourcen sowie Infrastrukturprojekten unterschiedlicher Art verpachtet (s. Teil 1 B.). II. Während historische leases häufig ausdrücklich die Übertragung hoheitlicher Befugnisse beinhalteten, verhalten sich neuere Pachtverträge dazu in aller Regel nicht. Eine Übertragung von Hoheitsgewalt an den Pächter und die entsprechende Einschränkung des Verpächters beschränkt sich auf Ausnahmen wie die Übertragung der militärischen Oberbefehlsgewalt oder polizeilicher Festnahme- und Eingriffsbefugnisse. Legt man eine faktische Betrachtung an, gibt es zahlreiche Ansätze für einen hoheitlichen Charakter der tatsächlich vom Pächter ausgeübten Befugnisse. Dazu zählt der qualitative und quantitative Umfang der Gebiets- und Bodenkontrolle, die Verfügungsbefugnis über die gesamten Ressourcen auf dem Pachtgebiet, die Überlassung der Verwaltung, Daseinsvorsorge und gesamten staatlichen Präsenz an den Pächter. Gleiches gilt spiegelbildlich für die Einschränkung der Hoheitsgewalt des Verpächterstaates (s. Teil 1 C.). III. Auf Pächterseite treten überwiegend nicht die Staaten selbst, sondern örtlich niedergelassene Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen auf. Deren unmittelbare völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist derzeit noch nicht allgemein anerkannt (s. Teil 2 B.). Während die Zurechenbarkeit des jeweils auf Verpächterseite handelnden Organs nach den Maßstäben des ILCEntwurfs zur Staatenverantwortlichkeit kaum Probleme aufwirft, ist die Zurechnung des Handelns nichtstaatlicher Akteure auf Pächterseite zu deren jeweiligem Herkunftsstaat nur in Ausnahmefällen gegeben. Zum einen kann es sich hierbei um de-facto-Organe handeln, wenn sich jede Unternehmenshandlung auf staatliche Vorgaben zurückführen lässt. Zum anderen kann das Verhalten gem. Art. 8 ILC-Entwurf vom Staat geleitet oder kontrolliert sein, was einzelne Unternehmensoperationen, nicht jedoch die gesamte Ausführung des Pachtvertrags umfasst. Die effektive Kontrolle des Unternehmens-
A. Zusammenfassung in Thesen285
handelns müsste sich etwa auf eine örtlich und zeitlich genau bestimmte Bau-, Erschließungs- oder Beseitigungsmaßnahme beziehen (s. Teil 2 A.). IV. Völker- bzw. menschenrechtliche Achtungspflichten sind (extraterritorial) auf dem Pachtgebiet anwendbar, wenn der Pächterstaat oder das pachtende Unternehmen, welches vom Pächterstaat kontrolliert wird, effective control im Sinne der wirksamen Gebietskontrolle ausüben. Den Pächtern werden im Rahmen der untersuchten Verträge nur vereinzelt typisch hoheitliche Befugnisse übertragen. Eine wirksame Gebietskontrolle kann sich jedoch aus faktischen Umständen sowie dem Umfang der Präsenz und Einflussnahme des Pächters ergeben, insbesondere, wenn er erstmals hoheitliche Strukturen etabliert. Konkret ist dies dann anzunehmen, wenn der Pächter für alle Personen und Sachverhalte auf dem Pachtgebiet vorgeben kann, wer wann unter welchen Voraussetzungen welche Rechte ausüben, welche wirtschaftlichen Aktivitäten durchführen kann, welche Leistungen erhält oder welche Verbote zu beachten hat. Die alleinige tatsächliche Entscheidungsbefugnis des Pächters über die Ausgestaltung des Gemeinwesens ist der Maßstab, der einer bislang hauptsächlich in militärischen Auseinandersetzungen entwickelten Völkerrechtspraxis zur wirksamen Gebietskontrolle aus militärischem Zwang und der Ablösung des Gewaltmonopols des Territorialstaates entspricht (s. Teil 2 C.III.). VI. Für die extraterritoriale Anwendbarkeit völkerrechtlicher Schutzpflichten auf dem Pachtgebiet lassen sich zahlreiche vielversprechende Ansätze anführen, die sich auf völkerrechtlich anerkannte, dogmatische Figuren zurückführen lassen. Für die Vielzahl der untersuchten Pachtverträge böten sie einen Anknüpfungspunkt für eine effiziente Verpflichtung der Herkunftsstaaten. Außerhalb der Gebietshoheit des Pächters sind sie jedoch derzeit noch nicht völkerrechtlich anerkannt (s. Teil 2 C.IV.). VII. Infolge einer – nur ausnahmsweise gegebenen und eingeschränkten – Übertragung der Gebietshoheit des Verpächters wird dessen Bindung an völkerrechtliche Pflichten nicht gelockert und keine gemeinschaftliche Verantwortlichkeit begründet. Die Kriterien für eine Beihilfe nach den Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit sind nur theoretisch übertragbar und finden kaum praktische Anwendungsfälle (s. Teil 2 D.). VIII. Spezifisch untersuchte und besonders virulente Völkerrechtsverstöße des Verpächterstaates im Rahmen der untersuchten Vertragstypen sind das Recht auf Eigentum einschließlich nicht eingetragener Landrechte sowie das Recht auf Nahrung. Den Verpächterstaat treffen sowohl Achtungs- als auch Schutzpflichten im Rahmen des Vertragsschlusses und im Laufe des Pachtbetriebs. Während einige Völkerrechtsverletzungen bereits vertraglich „angelegt“ sind, ergeben sie sich im Wesentlichen erst aus der Art und Weise der faktischen Umsetzung der Pachtbefugnisse (s. Teil 3 B. und C.).
286
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung
IX. Für den Pächterstaat gelten materiell dieselben Maßstäbe, sobald die Probleme einer Verhaltenszurechnung sowie der extraterritorialen Anwendbarkeit von Achtungs- und Schutzpflichten überwunden worden sind. Hinzu kommt das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen, welches auch für die Umsetzung von Vorhaben auf fremdem Hoheitsgebiet gilt (s. Teil 3 A. bis D.).
B. Schlussbetrachtung Die im Ausgangspunkt gestellte Frage, ob und inwieweit die neueren Pachtverträge in der Tradition historischer territorial leases stehen, kann nur scheinbar klar verneint werden. Die Kräfteverhältnisse sind häufig ähnlich gelagert, jedoch formell vollständig neu eingekleidet. Das betrifft insbesondere die handelnden Akteure, aber auch die übertragenen Befugnisse. Zwar überträgt der Verpächterstaat regelmäßig nicht seine Gebietshoheit auf einen fremden Staat und es fällt schwer, einzelne vertragliche Befugnisse auszumachen, die als hoheitlich zu qualifizieren sind. Hinzu kommt, dass in aller Regel nicht fremde Staaten selbst, sondern vielmehr private Unternehmen häufig mit unterschiedlicher staatlicher Beteiligung als Pächter auftreten. Allein der Wandel staatlicher Souveränität verbietet eine Neuauflage eines Pachtmodells, welches aus eher formalen Gründen an die Stelle einer Kolonialisierung tritt. Denkt man jedoch all die veränderten völkerrechtlichen Rahmenbedingungen hinweg, sind die Interessenlage, die Rollenverteilung, das Konfliktpotenzial und nicht zuletzt der Grad an Kontrolle über fremdes Land sehr gut damit vergleichbar. Die eindeutig staatsvertragliche Ausgestaltung ist einer zivilrechtlichen Einkleidung gewichen. Jeglicher Bezug zu einer hoheitlichen Betätigung wird vermieden. Früher ausdrücklich geregelte Exekutivbefugnisse sind schwammiger formulierten vertraglichen Befugnissen im Sinne von „to manage and develop the leased land“ gewichen. Einer direkten staatlichen Beteiligung und damit letztlich einer möglichen Verantwortlichkeit werden verschiedene private oder halbstaatliche Zwischenglieder vorgeschoben. Der Einfluss und die Kontrolle über das Geschehen auf dem Pachtgebiet selbst sind jedoch bei rein tatsächlicher Betrachtung sehr ähnlich. Staatliche Strukturen werden überlagert oder erstmals etabliert, die Daseinsvorsorge erst geschaffen, Sicherheit und Zugangsrechte geschaffen und durchgesetzt. Der zeitliche Horizont ist ebenfalls faktisch auf Dauer ausgelegt. Der Pächter ist aufgrund seiner vertraglichen Befugnisse daher häufig in einer Position, für das jeweilige Gebiet über die gesamte Ausgestaltung des Gemeinwesens zu entscheiden. Hier ist lediglich die Einschränkung zu betonen, dass dies auf zuvor staatlich vernachlässigte Gebiete zutrifft.
B. Schlussbetrachtung287
Dementsprechend hohe Hürden stehen einer staatlichen Verantwortlichkeit gegenüber. Bereits die Zurechnung des Verhaltens vermeintlich autonom agierender Unternehmen zu einem Staat, dessen volkswirtschaftliche Interessen hinsichtlich des Exports von Agrarerzeugnissen o. ä. durchaus treffend repräsentiert werden, gestaltet sich unter Heranziehung anerkannter Zurechnungsmaßstäbe als schwierig. Tochterunternehmen mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit nach dem Recht des Empfangsstaates und formal sehr loser Bindung zu dem Mutterunternehmen des Herkunftsstaates, komplexe, mehrgliedrige staatliche Beteiligungsstrukturen sowie zwischengestaltete Staatsfonds oder staatliche Förderprogramme sind nur einige Beispiele dafür. Überwindet man diese Hürden, lässt sich der für die extraterritoriale Anwendbarkeit menschenrechtlicher Pflichten entwickelte effective-controlMaßstab durchaus auf die wirksame Gebietskontrolle im Rahmen von Pachtverhältnissen übertragen. In den allermeisten Fällen fehlt es indes an einer solchen Zurechenbarkeit und man wird auf die Frage der Existenz völkerrechtlich anerkannter extraterritorialer Schutzpflichten gestoßen. Die Vielzahl an Ansätzen zu ihrer Begründung lässt eine Entwicklung in diesem Bereich zwar erahnen und erhoffen; dennoch ist ihre Existenz außerhalb wirksamer Gebietskontrolle derzeit noch zu verneinen. Dem rechtlichen Problem, den Herkunftsstaat in die Verantwortlichkeit zu bekommen, steht das faktische Problem des oft geringen Schutzstandards auf Seiten des Empfangsstaates gegenüber. Vor diesem Hintergrund werden sämtliche verfügbaren rechtlichen Steuergrößen bemüht, um etwaige Schutzlücken zu schließen. Ein Wandel an Staatlichkeit wird ebenso wie ein Wandel des Begriffs des Territoriums beobachtet, um herabgesenkte Anforderungen an klar räumlich und personal begrenzte völkerrechtliche Pflichten zu begründen. Da sich der Staat angesichts globalisierungsbedingt „entterritorialisierter Räume“ – etwa in Gestalt sog. globaler Marktplätze, regionaler Integration etwa im Umfang des europäischen Rechtsraums sowie eine durch globalisierte Kommunikation definierte moderne Gesellschaft – nicht mehr über ein klar abgrenzbares Territorium definiere, verändere sich auch der Staat als verfasstes Gemeinwesen.1 Das klassische Verständnis von staatlicher Souveränität als Status unter Gleichen ging noch von einem festen Staatsgebiet, einer Bevölkerung und effektiver Regierung aus.2
1 Stüer, Grenzüberschreitungen: Migration und Entterritorialisierung des Öffentlichen Rechts, Deutsches Verwaltungsblatt 24/2016, S. 1580 (1583 f.); Sassen, Land Grabs Today: Feeding the Disassembling of National Territory, Globalizations Journal Vol. 10/2013, S. 25 (27 ff.). 2 von Bernstorff, The Global ‚Land-Grab‘, Sovereignty and Human Rights, European Society of International Law, Vol. 2 Issue 9 2013, S. 2.
288
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung
Mittlerweile wird durch den Einfluss privater Akteure eine „Demontage“ der überkommenen Souveränitätsidee beobachtet.3 Daran anknüpfend fordert der Ansatz der Food Sovereignty eine lokale und nationale Selbstbestimmung in Fragen der Ernährungssicherheit und will den Begriff der Souveränität „wie das klassische Konzept der Permanent Sovereignty over Natural Resources aus der Dekolonisierungsphase als Abwehrrecht gegen politische und rechtliche Fremdherrschaft in Anschlag“ bringen.4 Auch die Pflichten selbst werden in inhaltlicher Art ausgeweitet und erweitert, die Anforderungen an eine Zurechnung begrenzt, eine eigene völkerrechtliche Verantwortlichkeit transnationaler Unternehmen gefordert und schließlich die Idee extraterritorialer Schutzpflichten dogmatisch untermauert. Eine Weiterentwicklung der extraterritorialen Schutzpflichten von Herkunftsstaaten für das Verhalten multinationaler Unternehmen erscheint vielversprechend, um einer Vielzahl menschenrechtlicher Gefährdungslagen im Rahmen der Pacht zu begegnen. Der Herkunftsstaat müsste völkerrechtlich verpflichtet werden, das Mutterunternehmen dahin zu regulieren, das Verhalten seiner Unternehmenstöchter zu steuern. De Schutter fordert in diesem Zusammenhang: „[A] home State is required to impose certain prescriptions directly on the foreign subsidiaries of companies incorporated under its jurisdiction, on the grounds that these subsidiaries form with the parent company one single transnational group.“5
Hinzu kommen verschiedene Ansätze, um den jeweiligen Herkunftsstaaten zu ermöglichen, ihrer Verantwortung ohne eine formelle Erweiterung ihrer Pflichten nachzukommen. Eine Möglichkeit ist die Regulierung von Produktionsketten, damit der Herkunftsstaat auf transnationale Unternehmen einwirken und durch wirtschaftlichen Druck auf das Investitionsklima des Empfangsstaates letztlich sogar konstruktiv auf dessen Rechtsordnung Einfluss nehmen kann6, wie das deutsche Lieferkettengesetz. Die völkerrechtliche Sanktionierung eines Staates, der sich unter der Hinnahme oder Duldung von Menschenrechtsverletzungen zur Wahrung eigener wirtschaftlicher Interessen eines fremden Territoriums bedient, lässt sich unter völkerrechtlich anerkannten Kriterien jedoch bislang nur in dem dargestellten Umfang und nicht aufgrund einer der zahlreichen Alternativansätze umsetzen. 3 Kämmerer, Der Schutz des Eigentums im Völkerrecht, S. 131 (155), in: Depenheuer, Eigentum – Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, 2005. 4 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 15– 19; Proelß, in: Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 5. Abschn. Rn. 2. 5 De Schutter, Extraterritorial Jurisdiction as a tool for improving the Human Rights Accountability of Transnational Corporations, 1. Dezember 2006, S. 52. 6 Sarfaty, Shining Light on Global Supply Chains, Harvard International Law Journal, Vol. 56 Nr. 2 2015, S. 419.
B. Schlussbetrachtung289
Zunächst bleibt zu hoffen, dass die international durchaus anerkannte Notwendigkeit zur Regulierung des Umgangs mit Landpachtverträgen durch die Völkerrechtsordnung und die Rechtsprechung Unterstützung erfährt.7 Für eine solche Weiterentwicklung existieren zahlreiche vielversprechende In strumente, die konkret an die Stärkung von nicht eingetragenen Landrechten im Rahmen von landwirtschaftlichen Pachtverträgen anknüpfen. Hier sind zunächst die Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure of Land and Other Natural Resources der FAO, die Freiwilligen Leitlinien zu Landnutzungsrechten, zu nennen. Sie haben zum Ziel, die Schutzverantwortung der Verwaltung des Verpächterstaates zu stärken, indem legitime Rechte der von einer Verpachtung betroffenen Personengruppen umfassend geschützt werden.8 Sie beinhalten eine Reihe konkreter planungs- und grundstücksrechtlicher „best practices“, wie eine Flächennutzungsplanung, eine Grundbuchverwaltung, die Verbesserung von Genehmigungsverfahren sowie eine finanzielle Bezifferung von Landnutzungsrechten.9 Daneben sind die Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources der Weltbank, der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) und des International Fund for Agricultural Development (IFAD) u. a. zu nennen.10 Der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung De Schutter präsentierte dem Human Rights Committee einen Katalog an menschenrechtlichen Mindest anforderungen für großflächige Landnahmen.11 Auch die International Finance Corporation und die OECD haben ihre Leitlinien für Landpachtverträge angepasst; die industriebasierten Plattformen Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) sowie der Roundtable on Sustainable Biofuels haben Prinzipien zum Schutz vor der unrechtmäßigen Entziehung von Landrechten erlassen.12 Die Afrikanische Union hat außerdem die Land Policy Guidelines and Framework entwickelt, die von der Land Policy Initiative, der UN Eco7 Vgl. hierzu Strauss, Territorial Leasing in Diplomacy and International Law, S. 219. 8 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 23. 9 von Bernstorff, ‚Land Grabbing‘ und Menschenrechte, INEF 11/2012, S. 26. 10 Borras/Franco, From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, Yale Human Rights and Development Law Journal 13/2010, S. 507; Brilmayer/Moon, Regulating Land Grabs: Third Party States, Social Activism and International Law, S. 123 (124 f.), in: Lambek/Claeys/Wong/Brilmayer, Rethinking Food Systems – Structural Challenges, New Strategies and the Law, 2014. 11 De Schutter, Large-Scale land acquisitions and leases: A set of minimum principles and measures to address the human rights challenge, Report to Human Rights Council, 2009, UN Doc. A/HRC/13/33/Add.2. 12 Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agri cultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 27.
290
Zusammenfassung in Thesen und Schlussbetrachtung
nomic Commission for Africa sowie der Afrikanischen Entwicklungsbank implementiert werden sollen.13 Am 15. Oktober 2014 verabschiedete das Committee on World Food Security (CFS) die Principles for Responsible Investment in Agriculture and Food Systems (RAI). Ihr Ziel ist „die Förderung verantwortungsbewusster Investitionen in Landwirtschaft und Nahrungssysteme, welche die Nahrungssicherheit erhöhen und zur progressiven Verwirklichung des Rechts auf Nahrung beitragen.“14 Es knüpft an die Struktur und Aufgabenteilung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und das dort enthaltene Prinzip „protect, respect and remedy“ an.15 Auch allgemein auf die Stärkung der „internationalen Rechtsstaatlichkeit“ bezogene Ansätze können zur Regulierung der Rechte und Pflichten im Rahmen der untersuchten Verträge und zur Vermeidung oder Verfolgung der damit verbundenen Konflikte beitragen.16 Im Ergebnis fehlt es jedoch derzeit an einem wirksamen völkerrechtlich anerkannten Mittel, um Staaten dafür verantwortlich zu machen, dass in ihrem Interesse oder unter ihrer mehr oder weniger greifbaren Leitung oder Kontrolle fremdes Hoheitsgebiet unter teilweise schwerer Verletzung menschenrechtlicher und umweltrechtlicher Standards nutzbar und ihnen damit wirtschaftlich zu eigen gemacht wird. Dem Völkerrecht kann nur dann ein Mindestmaß an Effektivität zukommen, wenn es glaubwürdig eingesetzt wird. Liefert es keine angemessene Antwort auf weitreichende globale Pro bleme, darf es nicht überdehnt und letztlich entkernt werden, sondern muss sich entsprechend weiterentwickeln.
13 Cotula/Vermeulen/Leonard/Keeley, Landgrab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, IIED/FAO/IFAD, 2009, S. 28. 14 Kaufmann/Good/Ghielmini/Blattner, Extraterritorialität im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, S. 33. 15 Kaufmann/Good/Ghielmini/Blattner, Extraterritorialität im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte, S. 33; Krajewski/Bozorgzad/Heß, Menschenrechtliche Pflichten von multinationalen Unternehmen in den OECD-Leitsätzen: Taking Human Rights More Seriously?, ZaöRV 2016, S. 309 (310). 16 Zu den Ansätzen der Effektivität und Sozialisierung, der Legitimitätstheorien, des globalen Konstitutionalismus, der Bedeutung gemeinsamer Interessen, des Multistakeholder-Ansatzes sowie der Stärkung des Rechts auf Abhilfe durch besseren Zugang zu Rechtsmitteln Benedek, Grundlagen und Rahmenbedingungen der Steuerungskraft des Völkerrechts, ZaöRV 2016, S. 345 (355).
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Verzeichnis untersuchter Verträge Nr. Vertragsparteien
Titel und Fundstelle
Datum zitiert als
1
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11.05. 2010
Landpachtvertrag Äthiopien und BHO Bio Products Private Ltd. Co. vom 11. Mai 2010
2
Äthiopien und Hunan Dafeng yuan Agriculture Co., LTD (China)
Land Rent Contractual Agreement made between Ministry of Agriculture and Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD, abrufbar unter: http://farmlandgrab.org/ uploads/attachment/19HunanAgreement.pdf
25.11. 2010
Landpachtvertrag Äthiopien und Hunan Dafengyuan Agriculture Co., LTD vom 25. November 2010
3
Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. (Malaysia)
An Act to ratify the amended 30.04. and restated Concession 2009 Agreement, between the Republic of Liberia and Sime Darby Plantation (Liberia) Inc., abrufbar unter: http://de.scribd. com/doc/152423546/An-ActRatifying-the-Amended-andRestated-Concession-Agree ment-between-the-Republic-ofLiberia-and-Firestone-LiberiaInc
Konzessionsvertrag Liberia und Sime Darby Plantation (Liberia) Inc. vom 30. April 2009
Verzeichnis untersuchter Verträge309
Nr. Vertragsparteien
Titel und Fundstelle
Datum zitiert als
4
Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Econom ic an Technical Cooperation – CLETC (China)
Convention Particuliere sur les Conditions de Cession et de Bail des Terres au Nouveau Complexe Sucrier du Kala Superieur (N-Sukala), abrufbar unter: http://www.oaklandinsti tute.org/sites/oaklandinstitute. org/files/Reference%20 Mali%20lease%20Nsukalaconvention.pdf
22.06. 2009
Vertrag über die Pacht an N-Sukala, Mali und China Light Industrial Corporation for Foreign Economic and Technical Cooperation vom 22. Juni 2009
5
Argentinien (Provinz Río Negro) und Heilongjiang Beidahuang State Farms Business Trade Group Co, LTD (China)
Acuerdo de Cooperación para el proyecto de Inversión Agro alimenticio entre Heilongjiang Beidahuang State Farms Business Trade Group Co, LTD y el Gobierno de la Provincia de Rió Negro, Argentina, abrufbar unter: http://congresos.unlp.edu.ar/ index.php/CRRII/CRRII-VIII/ paper/viewFile/3484/892
15.10. 2010
Kooperationsabkommen Rió Negro, Argentinien und Heilongjiang Beidahuang LTD vom 15. Oktober 2010
6
Kasachstan und Russland
On Basic Principles and Terms of the Utilization of the Baikonur Cosmodrome Agreement Between the Russian Federatioin and the Republic of Kazakhstan 28. März 1994, nicht offizielle Übersetzung abgedruckt bei Bjornerud, Baikonur Con tinues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 26
28.03. 1994
Komplex Baikonur – Abkommen über Grundlagen und Nutzungsbedingungen, Kasachstan und Russland vom 28. März 1994
(Fortsetzung nächste Seite)
310
Verzeichnis untersuchter Verträge
(Fortsetzung Verzeichnis untersuchter Verträge) Nr. Vertragsparteien
Titel und Fundstelle
Datum zitiert als
7
Kasachstan und Russland
О ратификации Договора аренды комплекса „Байконур“ между Правительством Республики Казахстан и Правительством Российской Федерации – Ratifizierung des Abkommens über die Vermietung des Komplexes „Baikonur“ vom 10. Dezember 1994, abrufbar unter: http://adilet.zan.kz/rus/ docs/U950002195_
10.12. 1994
Ratifikations abkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 10. Dezember 1994
8
Kasachstan und Russland
Agreement between the 09.01. Russian Federation and the 2004 Republic of Kazakhstan on the Cooperation in the effective Use of the Baikonur Facility, nicht offizielle Übersetzung abgedruckt bei Bjornerud, Baikonur Continues: The New Lease Agreement Between Russia and Kazakhstan, Journal of Space Law, Vol. 30 Nr. 1 2004, S. 32
Kooperationsund Durchführungsabkommen Baikonur, Kasachstan und Russland vom 9. Januar 2004
9
Mali und Libyen
Convention d’investissement dans le Domaine agricole entre La République du Mali et La Grande Jamahiriya arabe Libyenne populaire et socia liste, abrufbar unter: http:// www.oaklandinstitute.org/sites/ oaklandinstitute.org/files/ Convention.pdf
09.05. 2008
Investitionsabkommen Landwirtschaft, Mali und Libyen vom 9. Mai 2008
El Contrato de Compra y Venta 01.12. de Acciones y Compromiso de 1992 Aportes al Capital de Hierro Peru – Unternehmenskaufvertrag (Share Deal) über Hierro Peru vom 1. Dezember 1992, abrufbar unter: http://www. proinversion.gob.pe/Repositorio APS/0/0/JER/PAHIERROPERU/ Contrato.pdf
Unternehmenskaufvertrag Marcona-Mine, Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. vom 1. Dezember 1992
10 Peru und Shougang Hierro Perú S.A. A. (China)
Verzeichnis untersuchter Verträge311
Nr. Vertragsparteien
Titel und Fundstelle
Datum zitiert als
11 Sudan und Syrien
Special Agricultural Consultancy between the Government of the Syrian Arab Republic and the Government of the Republic of Sudan, abrufbar unter: http://farmlandgrab.org/ wp-content/uploads/2009/06/ syria-sudan-mou-2002-e.pdf
22.05. 2002
Landwirtschaftsabkommen Sudan und Syrien vom 22. Mai 2002
12 Äthiopien (Vertragsmuster)
Regional Agreement Template, Benishangul, abrufbar unter: http://farmlandgrab.org/ uploads/attachment/Regional% 20agreement%20template-1. doc (englische inoffizielle Übersetzung)
(–)
Äthiopien, Vorlage für Regionalabkommen in Beni shangul
13 Pakistan und COPHC (China Overseas Port Holding Company)
Vier Abkommen vom 8. Febru- 08.02. ar 2013 zur Übernahme des 2013 Concession Agreement von der PSA (Port of Singapore Authority) an die COPHC (China Overseas Port Holding Company) – nicht veröffentlicht; von der chinesischen Regierung bestätigt: Mitteilung des Wirtschaftsministeriums der Volksrepublik China vom 21. Februar 2013, abrufbar unter: http://english.mofcom. gov.cn/article/counselorsreport/ asiareport/201302/201302000 33288.shtml (zuletzt abgerufen am 16. Mai 2019)
Übernahmevertrag über die Errichtung und Verwaltung des Hafens von Gwadar, China Overseas Port Holding Company und Port of Singa pore Authority vom 8. Februar 2013
14 Sierra Leone und Addax Bioenergy Sierra Leone Limited, Addax & Oryx Hold ings BV (Schweiz)
Memorandum of Understanding and Agreement between the Government of Sierra Leone with Addax Bioenergy Sierra Leone Limited and Addax & Oryx Holdings BV, abrufbar unter: https://www. farmlandgrab.org/post/view/ 18025
Memorandum of Understanding/Abkommen Sierra Leone und Addax Bioenergy Sierra Leone Limited, Addax & Oryx Holdings BV vom 9. Februar 2010
09.02. 2010
(Fortsetzung nächste Seite)
312
Verzeichnis untersuchter Verträge
(Fortsetzung Verzeichnis untersuchter Verträge) Nr. Vertragsparteien
Titel und Fundstelle
Datum zitiert als
15 Osttimor und GTLESTE BIOTECH (Indonesien)
Memorandum of Understanding between the Ministry of Agriculture and Fisheries and GTLESTE BIOTECH to cooperate in the pursuit of profitable investment opportunities in the Integrated Sugar Cane sector in Timor-Leste, abrufbar unter: https://www. laohamutuk.org/Agri/MOUGTLESTE.pdf
15.01. 2008
Memorandum of Understanding Osttimor und GTLESTE BIOTECH vom 15. Januar 2008
16 Mali und Petrotech – ffn Agro Mali SA (United States of America)
Contrat de Bail Ordinaire entre l’Office du Niger et Petrotech – ffn Agro Mali SA, abrufbar unter: https://www. oaklandinstitute.org/petrotechffn-agro-mali-ordinary-leasecontract
August 2007
Pachtvertrag Mali und Petrotech – ffn Agro Mali SA von August 2007
Stichwortverzeichnis Alien Tort Claims Act (ATCA) 150, 205 Armed activities on the territory of Congo (Entscheidung) 134, 176, 197 Baikonur (Weltraumstation) 76, 98, 101, 189 Banković-Entscheidung 168 ff. Barcelona-Traction-Case 58, 142 Beihilfehaftung 226 ff. Bosnia-Genocide-Case 129, 136 CEMIRIDE-Case 240 Chorzow-Case 118 Corfu-Channel-Case 278 Daseinsvorsorge 109 De-facto-Organe 122 Diego Garcia 38 Effective-control-Maßstab 164 ff. Enteignung 242 f. Erga-omnes-Pflichten 152, 159, 231 Extraterritoriale Schutzpflichten 200 ff. Extraterritorialität 44 Food sovereignty 288 Force-majeure-Regel 218 Freihandelszone 109, 114 Freiwillige Leitlinien zu Landnutzungsrechten der FAO 47, 151, 203, 289 Gabykovo-Nagymaras-Case 278 Gebietshoheit 80, 83, 84 Gécamines-Case 124
Gewaltverbot 99 Guantánamo Bay 39, 64, 89, 98 Gwadar (Tiefseehafen) 64, 73 f. Heimfallrecht 85, 116 Hongkong 36,91 Island-of-Palmas-Case 82, 96, 213 Ius ad bellum 81 Ius cogens 159 Kiautschou Bay 37, 88 Kontinuitätsprinzip 54 Konzession 46, 108 Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen 151 Loizidou-Entscheidung 135, 166, 172 Lotus-Case 83, 96, 213 Maastrichter Prinzipien zu extraterrito rialen Schutzpflichten 184 ff., 203 Macau 34, 90 Marcona Mine Peru 69, 153 Mundatwaldabkommen 91 Nicaragua-Case 123, 134, 240 No-harm-rule 158, 278 Ogoni-Case 223, 259 Opium-Kriege 35 Organleihe 146 Panamakanalzone 40,87 Permanent sovereignty over natural resources 288
314 Stichwortverzeichnis Personalitätsprinzip 96, 169, 210, 215 Polluter pays principle 149 Pulp-Mills-Case 271, 279 Ramstein-Entscheidung 220 Recht auf Eigentum 236 ff. Recht auf Nahrung 255 ff. Recht auf Wasser 275 ff. Ruggie principles 151, 202 f. Schutzpflichten 222 ff., 251 ff. Staatennachfolge 53 Staatenverantwortlichkeit 119 ff. Staatsunternehmen 124, 141 ff. Staatszugehörigkeit 57, 215 State Contracts 55
Subsistenzwirtschaft 239, 258 Territoriale Souveränität 80, 82, 107 Territorialitätsprinzip 83, 96, 216 Trail-Smelter-Case 277 Umweltverträglichkeitsprüfung 271 UN Global Compact 149 Universalitätsprinzip 96, 159, 175, 201 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte 151, 202 f. Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen 277 ff. Wirksame Gebietskontrolle 165 ff. Wirkungsprinzip 96