Die notwendige Teilnahme: Zum Strafgrund der Beteiligung im Rahmen der Zuständigkeitslehre [1 ed.] 9783428584987, 9783428184989

In dieser Arbeit wurde der Frage nachgegangen, ob und, wenn ja, warum die notwendige Mitwirkung im Rahmen der von Zustän

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Die notwendige Teilnahme: Zum Strafgrund der Beteiligung im Rahmen der Zuständigkeitslehre [1 ed.]
 9783428584987, 9783428184989

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 302

Die notwendige Teilnahme Zum Strafgrund der Beteiligung im Rahmen der Zuständigkeitslehre

Von

Xueshuang Zhao

Duncker & Humblot · Berlin

XUESHUANG ZHAO

Die notwendige Teilnahme

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 302

Die notwendige Teilnahme Zum Strafgrund der Beteiligung im Rahmen der Zuständigkeitslehre

Von

Xueshuang Zhao

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik LL.M. (Cambridge), Freiburg Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-18498-9 (Print) ISBN 978-3-428-58498-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. An erster Stelle gilt mein herzlicher Dank meinem hochverehrten Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik, LL.M. (Cantab.) für die geduldige Betreuung ebenso wie für die stete Gesprächsbereitschaft und die fördernden Ermutigungen. Seinem wissenschaftlichen Vorbild und der freundschaftlichen Atmosphäre am Freiburger Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht Abteilung 1 verdankt die vorliegende Arbeit. Bei Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Perron möchte ich mich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens bedanken. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge“ danke ich den Herausgebern Prof. Dr. Dr. h.c. FriedrichChristian Schroeder und Prof. Dr. Andreas Hoyer. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern und meinem Mann, die mir während der Entstehung dieser Arbeit ein wichtiger Rückhalt waren. Shenzhen, November 2021

Xueshuang Zhao

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 A. Krise der Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Abstecken des Problembereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Konvergenz- und Begegnungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Unterschiedliche Bezugspunkte der Figur „notwendige Teilnahme“ . . . . . . . . . . . 16 III. Anforderung einer begrifflichen „Notwendigkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Erstes Kapitel Der Meinungstand in der Literatur

21

A. Analyse der einzelnen Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Straflosigkeit aufgrund des Schweigens des Gesetzgebers? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Der Erst-recht-Schluss von Freudenthal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Die Unterlegenheitsthese von Lange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Parallele zwischen Mittäter und notwendigem Beteiligten bei Zöller . . . . . . . . . . 33 V. Gropps Rückgriff auf verfassungsrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 VI. Funktionales Privilegierungsmodell von Sowada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I.

Rechtsgutsträger als Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Die Schwierigkeit bei der notwendigen Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2. Das Rechtsinstitut der Einwilligung und die Akzessorietät der Teilnahme . . . . 51

3. Vermittlungsfunktion des Rechtsgutsbegriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Rechtsgutsdogma und Auslegung der Einzeltatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Die Ratlosigkeit der rechtsgutsbezogenen Lösungswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Allgemeiner oder Besonderer Teil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Zweites Kapitel Strafgrund der Teilnahme

69

A. Das Scheitern der Schuldteilnahmetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

8

Inhaltsverzeichnis

B. Rechtsgutsbasierte Teilnahmekonzeption – Verursachungstheorie und ihre Varianten I.

73

Die reine Verursachungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Sperrgebiet der Zuständigkeitserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Eigenständiges Teilnahmeunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

II. Die akzessorische Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Akzessorietät nach dem gängigen Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Akzessorietät aufgrund faktischer Förderung der Haupttat? . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Akzessorietät und die positiv-rechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 III. Der akzessorische Rechtsgutsangriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Unmöglichkeit der Kombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Selbständiger Rechtsgutsangriff aufgrund der Lehre von der objektiven Zurechnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Regressverbot und eigenständiges Teilnahmeunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Schumanns Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Renzikowskis Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Teilnahme als Verletzung der eigenständigen Gefährdungsverbote? . . . . . . . 109 b) Schwierigkeiten bei der Mittäterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Radikal normativistische Beteiligungslehre von Jakobs und seinen Schülern . . . . 117 1. Konstruktion eines Gesamtsubjekts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Als Moment der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Die subjektive Tatseite der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Die Formel der Rollenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Die maßgebliche Unzulänglichkeit – Begrenztheit der Perspektive . . . . . . . . . 130

Drittes Kapitel Eigene Ansicht – Beteiligung als Verbindung der Organisationskreise

134

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I.

Der naturalistische Freiheitsbegriff und der Schmerzpunkt der Strafrechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 II. Das normative Freiheitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Freiheit als Selbstgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Rechtsgesetz und das subjektive Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 3. Pflichtverletzung als Mittelpunkt des Verbrechensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Die Mitwirkungspflicht des Bürgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Normverletzung und Normrehabilitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Inhaltsverzeichnis

9

2. Der Normbrecher als Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Verletzung eines besonderen Rechts als allgemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 160 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 B. Das System der Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Die Parallele zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte . . . . . . . . . . . . . 165 II. Die Kategorie der Rechtsperson als Scharnier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Respektierungsgebote im Fall des Alleinhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Skizze der Respektierungserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Grundaxiom: Respektierungspflichten als Kosten der Organisationsfreiheit . . . 176 3. Die konkreten Ausprägungen der Organisationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Kooperationsfreiheit – die Ausprägung der Respektierungsgebote im Fall des gemeinsamen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Zuständigkeit für die Tatbestandsverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Kooperationsfreiheit als Bestandteil der Organisationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . 191 3. Abgrenzung zum Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Konstruktive Erfassung der Verbindung mehrerer Organisationskreise . . . . . . . . . . . . 200 I.

Repräsentanzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Die Denkmöglichkeit der Verbindung der Organisationskreise . . . . . . . . . . . . . 202 2. Repräsentanzgedanke als Sondergut der Mittäterschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

II. Die Bestimmung der Zuständigkeitsverbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Zuständigkeitsverbindung statt der modifizierten kausalen Beziehung . . . . . . . 214 2. Irrelevanz der individuellen Sinngebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Viertes Kapitel Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

223

A. Die Zuständigkeit des Mitwirkenden statt des eigenständigen Rechtsgutsangriffs: Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I.

Rechtspflicht zum Weiterleben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Berufung auf übergeordnete Interessen der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Das Bestandsschutzargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Das Tabubruch-Argument und andere auf Generalprävention bezogene Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

2. Intrapersonale Pflicht aufgrund der kantischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 II. Der weich-paternalistische Schutz vor Übereilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 1. Selbsttötung und Vollzugsreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Autonomie unter dem weich-paternalistischen Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 III. Die Straflosigkeit des Sterbewilligen trotz Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

10

Inhaltsverzeichnis

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I.

Die Mitwirkung des begünstigten Gläubigers (§ 283c StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Der Grund der Privilegierung des begünstigten Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Die Strafbarkeit des begünstigten Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

II. Die Mitwirkung des Käufers von Raubkopien (§ 106 UrhG) oder pornographischen Werken (§ 184 I Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Kriminalpolitische Erwägungen und das Unrecht der Teilnahme . . . . . . . . . . . 252 2. Der prozessuale Lösungsweg statt des materiellrechtlichen Lösungswegs . . . . 256 3. Die Straftheorie und Opportunitätserwägungen bei der Strafverfolgung . . . . . . 260 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Einleitung A. Krise der Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“ Freudenthal eröffnet seine Monographie „Die nothwendige Theilnahme am Verbrechen“ im Jahr 1901 mit der Klage, dass die Problematik der notwendigen Teilnahme keine genügende Beachtung oder Erwägung gefunden habe.1 An diesem Zustand hat sich im weiteren Verlauf und sogar bis in die Gegenwart wenig geändert. Gropp beschreibt im Jahr 1992 den unbefriedigenden Zustand der Untersuchung zur „notwendigen Teilnahme“ mit der ziemlich bildlichen Metapher, dass die Problematik der „notwendigen Teilnahme“ ein „Stiefkind“ der Strafrechtsdogmatik geblieben sei und ihre nähere Herausarbeitung als unwürdig betrachtet werde.2 Sowada beschwert sich darüber, dass eine minutiöse Suche nach dem Grund der Straflosigkeit der „notwendigen Teilnahme“ als „akademisches Glasperlenspiel“ belächelt und ignoriert werde.3 Gropp und Sowada plädieren dafür, die „notwendige Teilnahme“ aus ihrem „Schattendasein“ herauszuführen.4 Aber nach dem jetzigen status quo führt diese Problematik immer noch ein Schattendasein, die Situation hat sich sogar noch verschlimmert. Denn während Freudenthal zufolge die zeitgenössischen Autoren in Lehrbüchern und Kommentaren des Strafrechts bezüglich der notwendigen Teilnahme zumindest noch betonen, „so schwierig sie theoretisch zu fassen [sei], so bedeutsam [möge] sie zum Theil für die Praxis sein“,5 wird heute die Problematik der notwendigen Teilnahme als solche in zunehmendem Maße umfassend bestritten. Zum einen richtet sich der Einwand gegen die dogmatische Bedeutung der Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“. Roxin stellt ausdrücklich dar, dass der Begriff der notwendigen Teilnahme lediglich aus traditionellen Gründen beibehalten werde und ihm kaum Bedeutung zukomme, weil die rechtliche Behandlung des Großteils der einschlägigen Konstellationen nicht aus der notwendigen Beteiligung abzuleiten sei.6 Diese Ansicht findet weitgehend Anklang in der Literatur, sodass „notwendige Teilnahme“ oft durch das Präfix „sog.“ modifiziert wird.7 Bei Puppe wird unter dem 1 2 3 4 5 6 7

Freudenthal, Theilnahme, S. 2. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 2 f. Sowada, Teilnahme, S. 14. Sowada, Teilnahme, S. 14; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 3. Freudenthal, Theilnahme, S. 2. Roxin, AT II, § 26, Rn. 43. Puppe, in: NK, § 29, Rn. 86; Jakobs, AT II, § 24, Rn. 7 ff.

12

Einleitung

Titel „notwendige Teilnahme“ lediglich der Fall behandelt, dass der Teilnehmer selbst der Träger des geschützten Rechtsguts ist.8 Außerdem weist der Vorwurf darauf hin, dass der Begriff der notwendigen Teilnahme die meisten der mit ihr verbundenen Probleme eher verdeckt.9 Denn die rechtliche Behandlung der einschlägigen Konstellationen ist entweder aus dem Strafgrund der Teilnahme10 oder der Auslegung der einzelnen Tatbestände11 abzuleiten, und in allen diesen Fällen stellt sich nicht die Frage der notwendigen Teilnahme als solche. Zum anderen bleibt die Leistung der Untersuchung höchst unbefriedigend. Obwohl nach wie vor „die Rechtslage zum Teil umstritten und in den Grundlagen noch nicht geklärt“ ist,12 fehlen monographische Untersuchungen aus neuerer Zeit seit 1992; in jenem Jahr sind die Habilitation von Gropp und die Dissertation von Sowada veröffentlicht worden. Die Darstellungen in strafrechtlichen Kommentaren und Lehrebüchern beschränken sich grundsätzlich auf die Wiedergabe eher topischer oder punktueller Ansätze. Die angebotenen Lösungswege sind geprägt vom herkömmlichen Verständnis des Verbrechensbegriffs und des Strafgrundes der Teilnahme, nämlich im Sinne einer Rechtsgutsverletzung und der gemischten Verursachungstheorie. Weniger beachtet wird dabei jedoch, dass solche grundlegenden Theorien hier nicht so stichhaltig oder leistungsfähig sind wie erwartet und es dementsprechend den darauf beruhenden Lösungswegen bezüglich notwendiger Teilnahme an Überzeugungskraft fehlt. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“ eine doppelte Krise droht: nicht nur durch äußeren Widerstand, sondern auch durch inneren Zerfall. Die Frage, ob die Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“ eine weitere Untersuchung lohnt oder ohne weiteres abgeschafft werden sollte, hängt von der ihr zukommenden Aufgabe ab, nämlich dem Abstecken des Problembereiches. Fraglich ist genauer, was eine „Definition“ der notwendigen Teilnahme leisten muss bzw. leisten könnte. Wollte man die „notwendige Teilnahme“ als strenge begriffliche Beschreibung einer Deliktsstruktur verstehen, die zwingend den Schluss auf die Straflosigkeit der Mitwirkenden rechtfertigt, so käme nur ein ziemlich enger Anwendungsbereich für diese Rechtsfigur in Betracht. Wenn die allein auf die „Notwendigkeit“ bezogene Argumentation sich als kraftlos erweist, verliert die Rechtsfigur notwendige Teilnahme alle dogmatischen Anknüpfungspunkte. Infolgedessen ergäbe die „notwendige Teilnahme“ als eine eigenständige Rechtsfigur keinen Sinn und müsste nicht mehr im Allgemeinen Teil des Strafrechts als Trivialität erwähnt werden. 8

Puppe, in: NK, § 29, Rn. 86. Roxin, AT II, § 26, Rn. 43; Otto, FS-Lange, S. 197. 10 Roxin, AT II, § 26, Rn. 43. 11 Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 25. 12 Lackner, Strafgesetzbuch, Vor § 25, Rn. 12. 9

B. Abstecken des Problembereichs

13

Hingegen kann eine rechtsfolgenorientierte Bestimmung des Problembereiches wahrscheinlich neues Leben in diese ein „Schattensein“ fristende Problematik bringen. Ist für die „notwendige Teilnahme“ nicht mehr die begrifflich-formale Besonderheit des denknotwendigen Zusammenwirkens mehrerer Personen entscheidend, sondern orientiert sich die Begriffsbestimmung an dem zu analysierenden Strafbarkeitszweifel, der zu begründenden eventuellen Straflosigkeit, so gewinnt diese Rechtsfigur nicht nur maßgebliche dogmatische Bedeutung, nämlich die, als eine Herausforderung für das Akzessorietätsprinzips zur Reflexion der allgemeinen Beteiligungslehre beizutragen, sondern gewinnt auch enorme praktische Bedeutung. In einer modernen, durch Arbeitsteilung und Massengeschäftsverkehr geprägten Wirtschaftsgesellschaft lebt fast niemand autark. Zur Erfüllung der meisten Bedürfnisse und zur Verwirklichung der meisten Pläne werden Leistungen Dritter in Anspruch genommen. Diese gegenwärtige Lage stellt die gesamte Beteiligungslehre vor eine heikle Herausforderung. Angesichts dieser Situation erscheinen nahezu alle Delikte als Delikte mit notwendiger Mitwirkung, zumal im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Nachfolgend wird der Versuch unternommen, die herkömmliche Definition einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und die rechtsfolgenorientierte Annahme zu vertreten.

B. Abstecken des Problembereichs I. Konvergenz- und Begegnungsdelikte Unter „notwendiger Teilnahme“ versteht man gemeinhin die Erscheinung, dass ein Straftatbestand zu seiner Erfüllung notwendigerweise das Zusammenwirken mehrerer Personen erfordert. Die Unterscheidung zwischen Konvergenz- und Begegnungsdelikten nach der Bewegungsrichtung der Beteiligten bildet das heute einhellig anerkannte begriffliche Fundament für die Erörterung des Problemkreises der „notwendigen Teilnahme“. Aber ob diese Unterscheidung ihre Aufgabe, nämlich den Fragebereich präzise abzustecken, zu erfüllen vermag und inwiefern dies zur Behandlung der notwendigen Teilnahme beizutragen vermag, bleibt zu erörtern. Nach der Formulierung von Freudenthal sind bei der notwendigen Teilnahme „Willensbesthätigungen mehrerer Personen“13 erforderlich und dementsprechend bezieht sich „Begegnung“ eigentlich auf diese „verschiedene[n] Willensbesthätigungen“, wie in einem Vertragsabschluss.14 Ersichtlich sind diese Definitionen stark geprägt von der subjektiven Theorie, nach der die Willensbestätigung der Beteiligten eine entscheidende Rolle für die Zurechnung spielt. Terminologische Kontinuität in der späteren Literatur bedeutet jedoch weder Anschluss an die originäre Bedeutung noch Einmütigkeit über Definitionen. Infolge der später fast einhelligen Ablehnung 13 14

Freudenthal, Theilnahme, S. 1. Freudenthal, Theilnahme, S. 3.

14

Einleitung

der subjektiven Theorie hat der Bezugspunkt „Willensbestätigung“ für die Definition der notwendigen Teilnahme erheblich an Bedeutung verloren und fungiert nur noch als Beschreibung der Bewegungsrichtungen der Beteiligten. Die Begegnungsdelikte werden auf in der Weise kenngezeichnet, dass „die Handlungen der notwendig Beteiligten sich aufeinander zu bewegen“15, dass es „eine Mitwirkung der Beteiligten in verschiedenen, miteinander korrespondierenden Rollen“16 gibt und „die einzelnen Mitwirkungsakte aus verschiedenen Richtungen kommend zusammentreffen und sich einander ergänzend zum vom Tatbestand umschriebenen Gesamtbild zusammenfügen“17. Zudem ist die Definition der notwendigen Teilnahme heute ersichtlich geprägt von dem gängigen materiellen Verständnis der Straftat als Rechtsgutsverletzung. Beispielsweise werden die Konvergenzdelikte heute dadurch definiert, dass „mehrere Personen durch geleichgeartete Tätigkeit zu einer Rechtsgutsverletzung [beitragen]“18 oder „mehrere Beteiligte nebeneinander oder nacheinander gleichgerichtete Tätigkeitsakte in Richtung auf eine identische Rechtsgutsverletzung [ausführen]“19, während es bei Freudenthal um „ein Zusammenwirken Mehrerer nach einer und derselben Seite hin erfordernde[s] Verbrechen“20 geht. In den Definitionen der notwendigen Teilnahme schlägt sich die Veränderung des grundlegenden strafrechtswissenschaftlichen Verständnisses nieder. Im Gegensatz zur Änderung der Definitionen stehen grundsätzlich die gleichen Delikte im Mittelpunkt der Diskussion. Zu den Konvergenzdelikten gehören etwa die Gefangenenmeuterei (§ 121), die Körperverletzung durch mehrere (§ 224 Abs. 1 Nr. 4) und der Landfriedensbruch (§ 125). Unter dem Titel der Begegnungsdelikte wird normalerweise die Teilnahmestrafbarkeit des begünstigten Gläubigers (§ 283c), des Erwerbers von pornographischen Schriften (§ 184), des seine Tötung Verlangenden (§ 216) usw. erörtert. Der Gesetzgeber bestimmt in den Begegnungsdelikten ausdrücklich immer nur eine einseitige Strafdrohung, also z. B. die Strafbarkeit des Wucherers, Kupplers, Insolvenzschuldners. Das Gesetz schweigt in der Regel über die Strafbarkeit des notwendig Beteiligten, die im Wesentlichen den Schwerpunkt der Auseinandersetzung ausmacht. Die allgemeine Akzeptanz der Unterscheidung zwischen Konvergenz- und Begegnungsdelikten vermag ihre Leistungsfähigkeit freilich nicht sicherzustellen. Die Unterscheidung ist den folgenden Zweifeln ausgesetzt. Erstens fehlt es einer solchen Definition an hinreichender Bestimmtheit für den Fragebereich. Nach Freudenthals Definition schließt die Problematik der notwen15 16 17 18 19 20

Lange, Teilnahme, S. 12. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 10. Sowada, Teilnahme, S. 16. Heine/Weißer, in: Sch/Sch, §§ 25 ff., Rn. 41. Joecks, in: MK, § 26, Rn. 32. Freudenthal, Theilnahme, S. 122.

B. Abstecken des Problembereichs

15

digen Teilnahme zugleich eine Reihe von Deliktstatbeständen wie z. B. die Nötigung, die Erpressung und die Verführung ein, bei denen die Handlungen mehrerer zur Tatbestandsverwirklichung notwendig sind. Freudenthal erkannte dieses Problem und schloss sie speziell aus.21 Zweitens ist zu fragen, ob sich eine solche Unterscheidung in der Weise dogmatisch legitimieren lässt, dass das Konvergenzdelikt und das Begegnungsdelikt jeweils eine eigenständige Problemstruktur aufweisen.22 Aus der Wandlung der Definition im Zuge der Neuerung im Bereich der allgemeinen Beteiligungslehre und des materiellen Verbrechensbegriffs als solchen sowie der relativen Beständigkeit der diskutierten Konstellationen kann man den inhaltsleeren Charakter von derartigen Unterscheidung und Definitionen ableiten. Gerade aus dem bisher verbreiteten Einsatz der Bezeichnung „Konvergenz- und Begegnungsdelikte“ ergibt sich, dass dies eine nichtssagende Unterscheidung und Definition ist. Das Kriterium für die Abgrenzung zwischen Konvergenzdelikten und Begegnungsdelikten ist lediglich „eine am phänomenologischen Ablauf orientierte Metapher“, der eine dogmatische Relevanz nicht ohne weiteres zu entnehmen ist.23 Drittens verhindert diese Unterscheidung sogar die erforderliche Reflexion der allgemeinen Verbrechenslehre und der Beteiligungslehre. Tatsächlich spielt die Bewegungsrichtung der Beteiligten keine Rolle in der Überprüfung der Strafbarkeit der Teilnahme. Geht man vom herrschenden Verbrechensbegriff aus, dem zufolge die Rechtsgutsverletzung eine Straftat begründet, ist es gleichgültig, ob die Mitwirkung in irgendeiner Weise notwendig ist. Ob die Beteiligten in derselben Richtung oder von verschiedenen Seiten her aufeinander einwirken, gehört nicht zu den Voraussetzungen der Beteiligungsfiguren. Dass der Anstifter und der angestiftete Täter in verschiedenen, miteinander korrespondierenden Rollen mitwirken, ist insofern belanglos. Das legt den Eindruck nahe, dass die notwendige Teilnahme ohne weiteres die Voraussetzungen der §§ 26, 27 StGB erfüllt. Dementsprechend lautet die zentrale Frage, „unter welchen besonderen Umständen die Beteiligung straflos ist, obwohl deren allgemeine Voraussetzungen vorliegen“.24 Damit wird die Untersuchung der allgemeinen Beteiligungslehre ohne weiteres ausgespart. In den letzten zwanzig Jahren ist der Verbrechensbegriff durch die Reflexion über das Rechtsgutsdogma vertieft und sind zunehmend Beteiligungstheorien vertreten worden, während die Untersuchung der notwendigen Teilnahme wie Robinson Crusoe auf einer unbewohnten Insel zurückgeblieben ist. Die weder in die allgemeine Beteiligungslehre noch in die Verbrechenslehre sich einfügende Unterscheidung ist gleichsam dafür verantwortlich, dass die Problematik der notwendigen Teilnahme isoliert ist und veraltet erscheint.

21 22 23 24

Freudenthal, Theilnahme, S. 98 ff. Sowada, Teilnahme, S. 17. Sowada, Teilnahme, S. 17; Wachenfeld, Lehrbuch, S. 196. Wolter, JuS 1982, 343 f.

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Einleitung

Die Bewegungsrichtung stellt keinen qualifizierten Bezugspunkt dar. Stattdessen bildet der Zweifel an der Strafbarkeit jener notwendigen Beteiligten, bei denen es an ausdrücklicher Strafbarkeit aufgrund von Täterschaft fehlt, den Angelpunkt der Frage. Keine Schwierigkeiten bieten diejenigen Fälle, bei denen das Gesetz ausdrücklich die Strafbarkeit aller Mitwirkenden bestimmt; es ist gleichgültig, ob das Delikt zu den Konvergenz- oder Begegnungsdelikten gehört. Im heutigen Schrifttum gelten die Konvergenzdelikte gemeinhin als unproblematisch, da in diesen Fällen kraft Gesetzes alle Beteiligten als Täter strafbar sind.25 Die Bedeutung dieser Deliktsgruppe erschöpft sich folglich in der klassifikatorischen Funktion, zusammen mit den Begegnungsdelikten als Unterbegriff der notwendigen Teilnahme zu dienen.26 Die Frage, ob und gegebenfalls in welchem Ausmaß der zur Tatbestandverwirklichung notwendige Mitwirkende straflos bleibt, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich nur die Strafbarkeit eines der Beteiligten festgeschrieben hat, bildet eigentlich das Kernproblem der „notwendigen Teilnahme“. Zu den exemplarischen Fällen der problematischen Begegnungsdelikte zählt § 216, die Tötung auf Verlangen. Zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes ist die Mitwirkung, nämlich das Verlangen seitens des Sterbewilligen, begrifflich notwendig. Die Strafbarkeit des Verlangenden als Anstifter der Tötung auf Verlangen ist zu untersuchen, oder man kann sagen, die Straflosigkeit des Verlangenden ist zu begründen. Unter der Prämisse, dass der Suizid grundsätzlich kein strafbares Unrecht darstellt, lässt sich die Frage darauf reduzieren, ob und inwieweit bestimmte Personen, die das Gesetz nicht als Täter verantwortlich macht, als Teilnehmer bestraft werden können. Infolgedessen werden unter dem Titel „notwendige Teilnahme“ aufgrund der Geschichte der Rechtsprechung auch Fälle thematisiert, die nicht unbedingt eine „Notwendigkeit“ erfordern,27 bei denen aber dieselbe Frage auftaucht wie bei typischen Delikten mit notwendiger Beteiligung. Der typische Problembereich wird dadurch um das „Nachbargebiet“ der Begünstigung (§ 257) und Strafvereitelung (§ 258) erweitert. Die Erweiterung des Problembereichs unterminiert die dogmatische Bedeutung der Figur „notwendige Teilnahme“ nicht, wenn die Figur nicht unter dem Aspekt begrifflicher Notwendigkeit, sondern bewusst unter dem Aspekt der Rechtsfolgen betrachtet und interpretiert wird.

II. Unterschiedliche Bezugspunkte der Figur „notwendige Teilnahme“ Bezüglich des terminologischen Aspekts wird die Bezeichnung „notwendige Teilnahme“ als „alt, eingebürgert und ungenau“ verworfen.28 Diese Bemerkung ist wiederholt zitiert worden und bisher immer gültig geblieben. Unklar ist die ele25 Jescheck/Weigend, AT, S. 698; Wolter, JuS 1982, 344; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 9; Roxin, AT II, § 26, Rn. 41. 26 Sowada, Teilnahme, S. 18. 27 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 204. 28 Wolter, JuS 1982, 343; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 24.

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mentare Frage, welche Sachverhalte dem Problembereich der „notwendigen Teilnahme“ unterfallen. Die Äußerungen der jüngsten Zeit zeigen, dass insoweit weder über die Abgrenzung von notwendiger Mitwirkung und „notwendiger Teilnahme“ noch über die Person des „notwendigen Teilnehmers“ Einmütigkeit herrscht.29 Der Grund dafür liegt darin, dass die Figur „notwendige Teilnahme“ sich auf unterschiedliche Gesichtspunkte bezieht. Vor allem weist das Begriffsmerkmal der „Notwendigkeit“ nicht konsequent auf einen identischen Gegenstand hin.30 Der Ertrag der bisherigen Untersuchung lässt sich in zwei nahezu einhelligen Grundsätzen zusammenfassen, nämlich „Theorie des straflosen Schutzsubjektes“ sowie „Theorie der straflosen Mindestmitwirkung“.31 Demgemäß ist die durch den betreffenden Straftatbestand geschützte Person stets straflos, auch wenn sie das Maß der notwendigen Mitwirkung überschreitet. Eindeutig liegt dem Grundsatz eine personale Deutung der „Notwendigkeit“ zugrunde, während es bei der Theorie der straflosen Mindestmitwirkung um die Notwendigkeit der Teilnahmehandlung als solche geht.32 Darüber hinaus ist „Teilnahme“ im Ausdruck „notwendige Teilnahme“ ebenfalls problematisch. Einerseits geht die notwendige Beteiligung manchmal über die bloße „Teilnahme“ hinaus, z. B. in Fällen sexuellen Missbrauchs, wenn das Opfer in einer „mittäterschaftsähnlichen“ Weise mitwirkt;33 andererseits ist vielfach auch ein Zusammenwirken denkbar, das noch nicht einmal die Qualität der Teilnahme, etwa der Beihilfe, erreicht.34 Ausgehend von der heute herrschenden restriktiven Täterschaftstheorie bedeutet die Teilnahme lediglich Anstiftung und Beihilfe, während der notwendige Beteiligte in vielen Fällen „funktionale Tatherrschaft“ haben kann und nach der Tatherrschaftstheorie als Täter qualifiziert werden muss. Tatsächlich zeigt die so dargelegte Ungenauigkeit des Begriffs „notwendige Teilnahme“ eher das Defizit der gängigen Beteiligungsdogmatik an, die auf dem qualitativen Unterschied zwischen Teilnahme und (Mit-)Täterschaft beharrt, als die Unangemessenheit der Bezeichnung „notwendige Teilnahme“. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dient die Bezeichnung Teilnahme als Oberbegriff aller Arten der Mitwirkung an einer Straftat.35 „Die Theilnahme an einem Verbrechen besteht in der verschuldeten Mitwirkung Mehrerer bei demselben Verbrechen. Alle diejenigen, welcher bei demselben Verbrechen auf eine verschuldete Weise mitgewirkt haben, 29

Vgl. Gössel, wistra 1985, 125 ff. Sowada, Teilnahme, S. 25 f. 31 Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 26; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, Vor §§ 25 ff., Rn. 42, 43; Joecks, in: MK, Vor § 26, Rn. 33, 34; Roxin, AT II, § 26, Rn. 44, 50. 32 Sowada, Teilnahme, S. 25 f. 33 Gropp, Sonderbeteiligung, S. 53 f.; Wolter, JuS 1982, 344; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 24; Stratenwerth/Kuhlen, § 12, Rn. 204; Zöller, Teilnahme, S. 4; Roxin, AT II, § 26, Rn. 43. 34 Herzberg, Täterschaft, S. 134 Fn. 12; Jescheck, AT, S. 568 f.; Lange, Teilnahme, S. 4. 35 Orozco López, Beteiligung, S. 202. 30

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Einleitung

sind daher Theilnehmer desselben im weiteren Sinne.“36 Aufgrund der damals neuen Regelung des Preußischen Strafgesetzbuchs im Jahr 1851, das unter Teilnehmer „bald alle schuldhaft Betheiligten schlechthin, bald nur die betheiligten Nichtthäter“ versteht,37 und danach des Reichsstrafgesetzbuchs im Jahr 1871, das trotz der Überschrift „Teilnahme“ des 3. Abschnitts im Allgemeinen Teil die Mittäterschaft, die Anstiftung sowie die Beihilfe getrennt in §§ 47, 48, 49 regelt, pflegt man seitdem unter Teilnahme nur Anstiftung und Beihilfe zu verstehen. Der Terminus „notwendige Teilnahme“ stellt ein lebendes Fossil dar, in dem sich das originäre Verständnis der Teilnahme gut erhalten hat. Aber diese Nostalgie in Bezug auf die Bezeichnung führt zur Unvereinbarkeit mit der heutigen Beteiligungsdogmatik. Daher schlagen viele Autoren vor, statt „notwendige Teilnahme“ die Problematik „notwendige Beteiligung“ zu nennen.38 Hinter dieser terminologischen Alternative verbirgt sich die Kernproblematik, dass der heute überwiegende Gedanke einer qualitativen Trennung zwischen Teilnahme und Täterschaft stillschweigend eine entscheidende Rolle in der Problematik „notwendige Teilnahme“ spielt.

III. Anforderung einer begrifflichen „Notwendigkeit“? Der Begriff der notwendigen Teilnahme verdankt nach Freudenthal seinen „üblen Ruf“ vor allem der Weite und infolgedessen der Unbestimmtheit seiner Fassung: Er fasst Einzeldelikte zusammen, die nichts gemeinsam haben als die Tatsache, dass mehrere Personen dem Tatbestand zufolge irgendwie „gehandelt“ haben müssen.39 Deswegen schlägt Freudenthal vor, diejenigen Delikte aus dem Problemkreis auszuschließen, bei denen „die zur Begegnung führende Willensbesthätigung mehrerer Personen […] nicht die abstrakte oder ständige Voraussetzung des Thatbestandes“ bilden; z. B. können Sexualdelikte auch „durch die Willensbesthätigung einer Person“ verwirklicht werden, wenn die andere Person schläft oder bewusstlos ist.40 Diese Verengung des Problemkreises auf eine begriffliche Notwendigkeit der Teilnahme stößt auf Ablehnung. Lange sieht einen methodischen Fehler in diesem Ansatz und geht davon aus, dass es bei der Abgrenzung des Problembereichs um die Problemeinheit geht, aber nicht um die Begriffseinheit.41 Im Zweifelsfalle solle man zugunsten der Seite entscheiden, die auf diese die Praxis immer wieder bewegende Frage eine befriedigende Antwort gibt.42 Deswegen müsse die Aufmerksamkeit auf die Strafbarkeit der nicht als Täter qualifizierten Beteiligten gerichtet werden, aber 36

Bauer, Abhandlungen I, S. 411. Schütze, Theilnahme, S. 412. 38 Geyer, Theilnahme, S. 324; Blesse, Teilnahme, S. 4; Lange, Teilnahme, S. 4 f.; B. Kant, Teilnahme, S. 11; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 53 ff.; Wolter, JuS 1982, 343 f. 39 Freudenthal, Theilnahme, S. 99. 40 Freudenthal, Theilnahme, S. 46. 41 Lange, Teilnahme, S. 5. 42 B. Kant, Teilnahme, S. 12. 37

B. Abstecken des Problembereichs

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nicht auf die Erarbeitung einer präzisen Aussage über den herkömmlichen Ausdruck „notwendige Teilnahme“43. Mit der späteren Überwindung des Naturalismus und der Entwicklung der teleologischen Strafrechtslehre mehren sich die Einwände gegen das Bemühen um die Reinheit des Begriffs und die Einengung des Problemkreises. Sowada verweist im Anschluss an Lange darauf, dass die „notwendige Teilnahme“ als sinnvolle dogmatische Kategorie nur dann gelten kann, wenn sie eine Problemstellung oder -lösung angemessen erfasst.44 Also ist es festzustellen, dass sich die „Notwendigkeit“ bei der „notwendigen Teilnahme“ nicht in jedem Fall auf ein für die Straftatverwirklichung unverzichtbares Verhalten beziehen muss.45 Gropp erklärt die Straflosigkeit der Mitwirkung zur Richtschnur für den Problembereich und nennt das Problem einfach „mögliche Straffreiheit der Mitwirkung“ statt notwendige Teilnahme.46 Es ist zu erkennen, dass absolute begriffliche „Notwendigkeit“ als nahezu unmöglich erscheint. Der Vorschlag von Freudenthal lässt sich jedoch bei ihm selbst nicht durchführen. Die mangels begrifflicher Notwendigkeit ausgeschlossenen Delikte weisen dieselben Strafbarkeitszweifel auf wie Delikte mit notwendiger Teilnahme im engen Sinne. Weshalb behandelt Freudenthal die ausgeschiedenen Delikte nach den gleichen Grundsätzen, die er aus den Delikten mit denknotwendiger Teilnahme entnimmt.47 Die Ausklammerung ergibt im Ergebnis keinen Sinn und in der Tat werden diese Straftatbestände „durch eine Hintertür“48 als sogenannte Ausnahme von der Teilnahmelehre wieder eingeführt. Ein Begriff, der nur das Ziel hat, eine Streitfrage zu skizzieren, kann wohl eine Erleichterung des juristischen Ausdrucks, aber kein Mittel, jedenfalls kein brauchbares Mittel einer juristischen Lösung sein.49 Kurzum: Das Streben nach der absoluten Bestimmtheit und Reinheit des Begriffs „notwendige Teilnahme“ erweist sich als zweifelhaft, weil diese Reinheit unerreichbar ist. Der Begriff „notwendige Teilnahme“ findet in der Strafrechtsdogmatik unterschiedliche Verwendung.50 Zum einen wird er als gemeinsamer Oberbegriff für die Konvergenz- und Begegnungsdelikte und als Hinweis auf eine bestimmte Deliktgruppe anwendet. Zum anderen wird der Terminus als schlagwortartiges Kürzel bei der Begründung der Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers verwendet.51 Bei der Frage, ob der erwachsene Konsument im Fall der Verbreitung pornographischer Schriften im Versandhandel (§ 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB) wegen Beihilfe bestraft 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Lange, Teilnahme, S. 5. Sowada, Teilnahme, S. 27. Sowada, Teilnahme, S. 28. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 53 f. Freudenthal, Theilnahme, S. 116. Bergen, Begriff, S. 3; B. Kant, Teilnahme, S. 10. Wagner, Strafbarkeit, S. 6. Sowada, Teilnahme, S. 14, 38. Horn, in: SK, § 174 Rn. 10; Dreher/Tröndle, § 174, Rn. 1 a, § 180, Rn. 25.

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Einleitung

werden könne, rekurriert man allgemein auf die Rechtsfigur „notwendige Teilnahme“ und erklärt damit den Konsumenten für straflos. Hingegen wird die Strafbarkeit des an der Veräußerung beteiligten Geschäftspartners im Rahmen der Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 StGB) bejaht, weil § 288 kein Delikt mit notwendiger Teilnahme sei.52 Die Anforderung einer begrifflichen „Notwendigkeit“ beruht auf dieser Funktion als Kürzel einer materiellen Begründung. Die Erforderlichkeit einer exakten Definition der „Notwendigkeit“ hängt deshalb von der Antwort auf die Frage ab, ob das Merkmal „Notwendigkeit“ strafbarkeitsrelevant ist. Wenn die Antwort „Ja“ ist, nämlich gestützt auf den Grundgedanken, dass die unverzichtbare Mitwirkung des „notwendigen Teilnehmers“ vom Gesetzgeber mitbedacht und mangels Einbeziehung in die Täterschaft als umfassend straflos mitbewertet worden ist, spielt die Definition von „Notwendigkeit“ für die Bestimmung der Rechtsfolge des Teilnehmers eine maßgebende Rolle. Die Abgrenzung der Reichweite der „notwendigen Teilnahme“ wird mit der Begründung der Straflosigkeit gleichgesetzt. Zu beobachten sind dagegen in jüngster Zeit zunehmende kritische Äußerungen, die eine auf die Rechtsfigur der „notwendigen Teilnahme“ rekurrierende Straflosigkeitsbegründung für „anfechtbar“53 oder „nichtssagend“54 erklären. Wenn der Fall so ist, erscheint eine präzise Definition der „Notwendigkeit“ nicht so entscheidend. Der Begriff der „notwendigen Teilnahme“ erfüllt eine vorläufige Funktion: Er steckt anhand vorwiegend formaler Kriterien das Untersuchungsgebiet ab und bildet die Gesprächsbasis für die inhaltliche Auseinandersetzung.55 Es ist deswegen im Folgenden zu ermitteln, ob diese auf der „begrifflichen Notwendigkeit“ basierenden Argumente zu überzeugen vermögen.

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Wolter, JuS 1982, 345; Maurach/Gössel, AT 2, 50/12. So Weber, in: Arzt/Weber, Lehrheft 1, Bem. 526. So Arzt, in: Arzt/Weber, Lehrheft 4, Bem. 402. Zutreffend Sowada, Teilnahme, S. 39.

Erstes Kapitel

Der Meinungstand in der Literatur A. Analyse der einzelnen Auffassungen Der früheste Hinweis zum Thema „notwendige Teilnahme“ findet sich wohl bei Stübel im Jahr 1805: Es gebe Verbrechen, „deren Verübung mehrere Personen, als Urheber, schlechterdings voraussetzt, z. B. das Duell und die fleischlichen Vergehungen“.1 In der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts setzt sich für dieses Phänomen allmählich die Bezeichnung „notwendige Teilnahme“ durch.2 Aber die Delikte, die heute im Mittelpunkt des Problembereichs stehen, nämlich solche mit einseitiger Strafandrohung, werden von den älteren Autoren nicht mit einem Wort erwähnt. Dementsprechend werden die strafbarkeitsrelevanten Fragen noch nicht gestellt. Der Grund liegt darin, dass vor dem Inkrafttreten des StGB derartige Delikte kaum existierten.3 Deswegen ist die Ausführung v. Kries’ im Jahr 1887, die sich auf die noch heute geltenden Vorschriften des StGB bezieht und das Problem „notwendige Teilnahme“ mit dem Strafbarkeitszweifel verknüpft, für die moderne Problemstellung von Belang. Nach v. Kries sind in drei Fällen die Grundsätze der Teilnahme nicht anwendbar: Erstens kann die Person, zu deren Schutz ein Gesetz erlassen ist, niemals wegen Teilnahme bestraft werden; zweitens kann eine Person wegen mehrfacher Beteiligung an demselben Verbrechen nur einmal bestraft werden; drittens kann aus Fassung und Zusammenhang des Gesetzes der Wille entnommen werden, bestimmte Personen straflos zu lassen.4 Diese Befunde schaffen die Grundlage für die noch heute herrschende Ansicht. Der erste Fall wird später in der Ausführung zu Sowadas Ansicht im Zusammenhang mit der Rechtsgutslehre näher erörtert. Der zweite Fall wird in der Auseinandersetzung mit der auf das Konkurrenzverhältnis der Beteiligungsformen abstellenden Konzeption von Freudenthal und Zöller behandelt. Im Folgenden beschäftigt sich die hiesige Ausführung zuerst mit dem dritten Fall, in dem die notwendige Mitwirkung im Namen des Willens des Gesetzgebers für straflos erklärt wird. 1 2 3 4

Stübel, Thatbestand, S. 28. Vgl. Schütz, Theilnahme. Lange, Teilnahme, S. 7. v. Kries, ZStW 7 (1887), 522 ff.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

I. Straflosigkeit aufgrund des Schweigens des Gesetzgebers? In den heutigen Darstellungen zur „notwendigen Teilnahme“ in Lehrbüchern und Kommentaren erscheint die Straflosigkeit der Tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung als eine Selbstverständlichkeit. Bei vielen Autoren dient die These gar ohne weiteres als Prämisse der weiteren Begründung für die Straflosigkeit der über das Notwendigkeitsmaß hinausgehenden Mitwirkung.5 Aber der Grundsatz hat tatsächlich eine hinreichend schlüssige Begründung nicht erfahren. Neuerdings wird der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung jedoch in zunehmendem Maß bestritten.6 Das Begründungsmodell lässt sich auf die Ausführung von v. Kries zurückführen: „Wo der Gesetzgeber nur die Thätigkeit einer Person mit Strafe bedroht, während er die mit Notwendigkeit vorauszusetzende Thätigkeit einer zweiten unerwähnt läßt, kann mit Bestimmtheit behauptet werden, dass diese letzte nicht unter dem Gesichtspunkt der Teilnahme bestraft werden darf.“7 Ähnliche Positionen finden sich auch in der jüngeren Literatur, etwa dass „der Gesetzgeber, wenn er beide Beteiligte für strafbar erklären will, dies auch ausdrücklich bestimmt (z. B. in § 173), so dass sich im Gegenschluss die Straflosigkeit wenigstens der Tatbestandsnotwendigen Mindestbeteiligung ergibt“.8 Diese Begründung beginnt mit der Annahme, dass dem Gesetzgeber bei den Begegnungsdelikten mit einseitiger Strafdrohung die zur Deliktsverwirklichung notwendige Mitwirkung des jeweils anderen Teils konkret vor Augen gestanden hat.9 Wo der Gesetzgeber denjenigen, der das zur Tatbestandverwirklichung erforderliche Verhalten vornimmt, für strafbar betrachtet, regelt er dies ausdrücklich durch eine eigenständige täterschaftliche Vertypung der Beteiligungstat.10 Umgekehrt lässt sich der Schluss ableiten, dass das Fehlen einer eindeutigen täterschaftlichen Kriminalisierung ein beredtes gesetzgeberisches Schweigen darstellt, mit welchem zugleich eine die entsprechende Teilnahmestrafbarkeit ausschließende Regelung beabsichtigt ist.11 Eine derartige Begründung stößt vor allem auf den folgenden Einwand: Wieso ist die Anwendung der allgemeinen Teilnahmeregelungen auf die Delikte mit notwendiger Mitwirkung ausgeschlossen? Aus welchem Grund wird eine ausdrückliche Regelung der Teilnahmestrafbarkeit im Bereich der Delikte mit notwendiger Teilnahme verlangt? Nach dem geltenden Strafgesetzbuch bedarf es in Bezug auf die 5

Vgl. Freudenthal, Theilnahme, S. 107, 110; Zöller, Teilnahme, S. 7. Herzberg, Täterschaft, § 13 II 2, bei Fall 101; Jakobs, AT, 24/12; Sowada, Teilnahme, S. 116 ff. 7 v. Kries, ZStW 7 (1887), 557. 8 Wolter, JuS 1982, 345; vgl. auch Roxin, in: LK, Vor § 26, Rn. 32; Vormbaum, GA 1981, 131 f.; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 205. 9 Sowada, Teilnahme, S. 119. 10 Maurach/Gössel, AT 2, 50/12; Wolter, JuS 1982, 345. 11 Busch, in: LK, § 50, Rn. 26 f.; Stratenwerth, AT, Rn. 946; dagegen vgl. Jakobs, AT II, 24/ 12, Fn. 13; Sowada, Teilnahme, S. 118 f. 6

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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Teilnahmestrafbarkeit keiner ausdrücklichen Bestimmung in der einzelnen Regelung der besonderen Teils; vielmehr bedeutet das gesetzgeberische Schweigen insoweit grundsätzlich, dass für den jeweiligen Deliktstatbestand auf die Teilnahmeregelungen im Allgemeinen Teil Bezug genommen wird.12 Unter diesen Prämissen kommt nur eine Begründungsstrategie für die zu diskutierende These in Betracht, nämlich dass die in den Problembereich „notwendige Teilnahme“ fallenden Deliktstatbestände materiell so besonders sind, dass sie ausdrückliche Regelungen der Teilnahmestrafbarkeit verdienen.13 Es reicht nicht aus, die Möglichkeit der Zusammenfassung bestimmter Deliktstatbestände zur Gruppe der Begegnungsdelikte aufzuzeigen, vielmehr muss unter Beweis gestellt werden, dass dieser Gruppenbildung dogmatische Relevanz zukommt.14 Es liegt nahe, die Richtigkeit der Forderung nach ausdrücklicher Bestimmung im Bereich der notwendigen Teilnahme durch einen Vergleich mit einem Fall zu überprüfen, in dem die Strafbarkeit gesetzlich eine ausdrückliche Bestimmung voraussetzt. Unter Verweis auf die Regelung des vorsätzlichen und gefährlichen Handelns im Allgemeinen Teil (§ 15) lässt sich gerade eine rechtliche Relevanz zeigen, die die Forderung nach ausdrücklicher Bestimmung im besonderen Teil rechtfertigt. Gemäß § 15 ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht. Nach hiesiger Auffassung besteht das kriminelle Unrecht darin, dass der Täter der geltenden strafrechtlichen Normenordnung eine Gegennorm entgegenstellt und durch sein Handeln erkennen lässt, dass er dieser Gegennorm den Vorrang vor der Norm des Rechts einräumt.15 Der Täter mit Vorsatz handelt mit Rechtsfeindschaft, der fahrlässige Täter drückt dagegen lediglich einen Mangel an Rechtsfreundschaft aus.16 „Handlungen, die bei vernünftiger Beurteilung noch mit der Maxime der Vermeidung einer Gesetzesverletzung vereinbar sind oder die durch Umstände mitbewirkt worden sind, welche den Täter von der vollen Verantwortung für seine Fehleinschätzung zu entlasten vermögen, verdienen demnach eine mildere Beurteilung als Handlungen, die eine solche Deutung realistischerweise nicht mehr zulassen.“17 Konsequenterweise kann man sagen, dass in Hinsicht auf das kriminelle Unrecht der Fahrlässigkeit eine rechtliche Relevanz zukommt, und deswegen lässt sich die Forderung einer ausdrücklichen Bestimmung im besonderen Teil rechtfertigen. Im Gegensatz dazu bedarf es hinsichtlich der Strafbarkeit beim dolus eventualis keiner ausdrücklichen Bestimmung im besonderen Teil, weil der rechtsfeindliche Täter nicht dadurch gekennzeichnet ist, dass er den deliktischen Erfolg hat herbeiführen wollen, sondern dadurch, dass er sich nicht zur Erfüllung der sein Verhalten untersagenden Verhal12 13 14 15 16 17

Sowada, Teilnahme, S. 119. Sowada, Teilnahme, S. 119. Zutreffend Sowada, Teilnahme, S. 119 f. Vgl. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 41 ff.; Pawlik, Normbestätigung, S. 29 f. Grolman, Begriffe, S. 28; Pawlik, Unrecht, S. 374 f. Pawlik, Unrecht, S. 375.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

tensnormen motiviert hat.18 Nach dieser Konzeption besteht kein strafrechtlich relevanter Unterschied zwischen dolus directus und dolus eventualis. Infolgedessen ist das Erfordernis der ausdrücklichen Regelung bezüglich der Strafbarkeit des Eventualvorsatzes haltlos. Ob die Mitwirkung unentbehrlich für die Tatbestandverwirklichung ist, spielt keine Rolle für die Ermittlung dessen, ob und in welchem Maß der Handelnde sich von der geltenden Normenordnung lossagt. Deswegen ist die Forderung nach ausdrücklicher Bestimmung im Bereich der notwendigen Teilnahme nach dem hiesigen Verbrechensbegriff unberechtigt. Selbst wenn man auf der Rechtsgutsverletzung als Verbrechensbegriff beharrt, steht bei der Prüfung der Strafbarkeit die Verursachung der Rechtsgutsverletzung im Vordergrund, nicht die Notwendigkeit der Verursachung. Es ist deshalb nicht überraschend, dass die Darstellung der strafrechtlich relevanten Besonderheit der notwendigen Teilnahme sich in der Literatur ziemlich selten findet, weil vor dem Hintergrund des überwiegenden Verbrechensbegriffs, nämlich der Rechtsgutsverletzung, die notwendige Mitwirkung zweifellos eine Straftat begründet. Um die Besonderheit der Delikte mit notwendiger Teilnahme genauer zu begründen, führen die Vertreter der Straflosigkeit der Mindestmitwirkung das zusätzliche systematische Argument an, dass bei den Begegnungsdelikten mit allseitiger Strafdrohung der Gesetzgeber beide Parteien als Täter angesehen hat, um die Straflosigkeit des einen Partners zu vermeiden. Diese Argumentation lässt sich nicht mehr durchhalten, wenn die These überzeugend untermauert wird, dass unter der Voraussetzung der allgemeinen Geltung der Teilnahmenormen die gesetzgeberische Entscheidung für eine täterschaftliche Erfassung noch sinnvoll ist.19 Es ist nicht zu übersehen, dass die Teilnahmenormen nicht nur der Begründung der Strafbarkeit der Teilnahme dienen, sondern auch der Beschränkung dieser Strafbarkeit. Die entscheidende Konsequenz einer täterschaftlichen Erfassung aller Beteiligten ist der Verzicht auf das Akzessorietätsprinzip.20 Nach dem gängigen „Prinzip der limitierten Akzessorietät“ setzt jede Teilnahme eine tatbestandsmäßigrechtswidrige Tätertat voraus. Wenn dieses Prinzip angenommen wird, führt die Aufhebung der akzessorischen Bindung zu einer Strafbarkeitserweiterung insofern, als der jeweils andere Teil nicht vorsätzlich gehandelt haben muss.21 Dies hat etwa zur Folge, dass sich derjenige, der mit einer verheirateten Person die Ehe schließt, auch dann gemäß § 172 StGB strafbar macht, wenn der Verheiratete seinen ersten Ehepartner für tot hält und deshalb unvorsätzlich handelt.22 Nach der h. M. geht es bei der quantitativen Akzessorietät darum, dass die Strafbarkeit der Anstiftung und Beihilfe erfordert, dass die Haupttat zumindest in das Versuchsstadium gelangt sein 18 19 20 21 22

Pawlik, Unrecht, S. 380. Sowada, Teilnahme, S. 122. Ähnlich Sowada, Teilnahme, S. 123. Sowada, Teilnahme, S. 123. Vgl. Sowada, Teilnahme, S. 123.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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muss. Jedoch ist die Strafbarkeit des Handelnden, der eine andere Person in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen unterweist, gemäß § 89a II 1 StGB bereits dann anzunehmen, wenn der unterwiesene Handelnde noch zu keiner staatsgefährdenden Gewalttat ansetzt, und sogar die Herstellungsmethode von Schusswaffen noch nicht erlernt hat. Insofern führt auch die täterschaftliche Erfassung im Vergleich mit der Anwendung der Teilnahmenormen zur Strafbarkeitserweiterung. In einer Epoche, in der die Präventionstheorie der Strafe im Vordergrund steht, ist es dem Gesetzgeber möglich, die Handlungen, die phänomenologisch nur Beihilfe oder Anstiftung sind, zu verselbständigen und als Täterschaft zu bestrafen.23 Das gesetzgeberische Phänomen bezieht sich nicht nur auf Begegnungsdelikte, sondern auch auf viele normale Delikte. Solche Behandlung geht auf die Abkoppelung der Strafbarkeit von den begrenzenden Kautelen des Akzessorietätsprinzips. Zwar hat das Gesetz bei einigen Delikten die notwendige Teilnahme gesondert vertatbestandlicht. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass die notwendige Teilnahme in allen übrigen Fällen straflos sein solle, weil – wie Hoyer es auf den Begriff bringt – der Sinn einer gesonderten Erfassung einzelner Fälle notwendiger Teilnahme auch darin liegen kann, dadurch die Akzessorietät dieser materiellen Teilnahmefälle gegenüber einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat aufzuheben.24 Die Begrenzungsfunktion ist gerade die Konsequenz der Geltung von allgemeinen Teilnahmenormen. Deswegen bestätigt die täterschaftliche Erfassung umgekehrt die allgemeine Geltung von Teilnahmenormen im Bereich des besonderen Teils. Es ist nicht sachgerecht, aus dem Fehlen derartiger Sonderregeln bei Begegnungsdelikten die Unanwendbarkeit der allgemeinen Teilnahmeregelungen herzuleiten. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Versuch, durch Konzentration auf die Eigenschaft „Notwendigkeit“ die Delikte mit notwendiger Teilnahme als Ausnahme von den allgemeinen Teilnahmenormen zu begründen, sich nicht durchführen lässt. Es gibt kein Entweder-oder-Verhältnis zwischen der Bestrafung des notwendigen Teilnehmers wegen Täterschaft gemäß einer ausdrücklichen Bestimmung und der umfassenden Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers. Die offene Frage am Ende des letzten Abschnitts, ob eine exakte Definition der „Notwendigkeit“ erforderlich ist, findet hier ihre Antwort. Da dem Merkmal „Notwendigkeit“ keine Funktion als materielle Begründung für die Straflosigkeit zukommt, entbehrt die strenge Beschränkung auf Fälle mit begrifflicher Notwendigkeit jeden Grundes. Daher verdient die heute nahezu einhellig vertretene Position Zustimmung, wonach die Grenzen des zu betrachtenden Gebiets nach Maßgabe der Problemeinheit, nicht der Begriffseinheit zu ziehen sind.25

23 24 25

Lenckner, GS-Schröder, S. 339, 351; vgl. dazu auch Rudolphi, JR 1984, 338, 339. Hoyer, in: SK, § 26, Rn. 76. Vgl. Lange, Teilnahme, S. 5; B. Kant, Teilnahme, S. 12; Sowada, Teilnahme, S. 28.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

II. Der Erst-recht-Schluss von Freudenthal In der Anknüpfung an v. Kries hält Freudenthal die Annahme für schlüssig, dass die notwendige Mitwirkung straflos ist, weil das Gesetz mit dieser Notwendigkeit gerechnet habe und demgemäß sein Schweigen über die Strafbarkeit der notwendigen Mitwirkung deren Straflosigkeit bedeutet.26 Aber bezüglich der Strafbarkeit des die notwendige Mitwirkung überschreitenden Teilnehmers geht es um die strafrechtliche Behandlung der mehrfachen Beteiligung, also um die Frage: Was geschieht mit X, der nicht nur das Verbrechen ausgeführt, sondern auch den anderen Mittäter Y zur Mitwirkung angestiftet oder unterstützt hat?27 Den Lösungsweg sieht Freudenthal in der Parallele zwischen Verletzungs- und Gefährdungsdelikt einerseits und Täterschaft und Teilnahme andererseits. Freudenthal konstatiert, dass das gegen die bloße Gefährdung sich richtende Strafgesetz nur anwendbar ist, wenn die Anwendung des Verletzungsgesetzes schon ausgeschlossen ist, denn Gefährdungsdelikte sind den Verletzungsdelikten gegenüber subsidiär.28 Deswegen wird der Täter beim Aufeinandertreffen von Verletzungs- und Gefährdungsdelikt nicht mehrfach, sondern nur wegen der Verletzung des Rechtsguts bestraft. Der Befund lässt sich auf Fälle mehrfacher Beteiligung übertragen, und damit wird zu dem Ergebnis gelangt, dass Anstiftung oder Beihilfe des einen gegenüber dem anderen Mittäter deshalb nicht mit besonderer Strafe belegt werden, weil sie zur Mittäterschaftshandlung im Verhältnis der Gefährdungs- zur Verletzungshandlung oder im Verhältnis der leichteren zur schwereren Gefährdungshandlung stehen.29 Der Befund stützt sich wesentlich auf folgendes argumentum a maiore ad minus. Ausgangssatz: Aufgrund des Schweigens des Gesetzes lässt sich die notwendige Mitwirkung nicht als (Mit-)Täterschaft strafbar machen. Komparatives Merkmal: Die über Notwendigkeit hinausgehende Anstiftung oder Beihilfe stellt lediglich eine Gefährdung des Rechtsguts dar und ist im Vergleich zu der notwendigen Täterhandlung, die dasselbe Rechtsgut verletzt, weniger strafwürdig. Komparative Regel: In je geringerem Maß sich die Mitwirkung auf die Rechtsgutsverletzung auswirkt, desto eher bleibt sie straflos. Konsequenz: Die über Notwendigkeit hinausgehende Teilnahme ist erst recht straflos und der das zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche Mindestmaß überschreitende Teilnehmer bleibt daher straflos. Wie oben schon ausgeführt, ist der Ausgangssatz als solcher nicht stichhaltig. Die obige Beweisführung ist deswegen von vornherein zweifelhaft. Abgesehen davon ist das komparative Merkmal zu überprüfen, weil ein Erst-recht-Schluss nur dann gültig 26 27 28 29

Freudenthal, Theilnahme, S. 107. Freudenthal, Theilnahme, S. 109. Freudenthal, Theilnahme, S. 78 ff., 110. Freudenthal, Theilnahme, S. 110.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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ist, wenn sich die beiden verglichenen Fälle durch nichts anderes unterscheiden als dadurch, dass das steigerungsfähige Merkmal im zu entscheidenden Fall in schwächerem Maße ausgeprägt ist als im Ausgangssatz.30 Freudenthal beweist die komparative Beziehung zwischen der notwendigen Mitwirkung und der darüber hinausgehenden Mitwirkung in zwei Schritten. Im ersten Schritt wird die notwendige Mitwirkung als Mittäterschaft und die über Notwendigkeit hinausgehende Mitwirkung als Teilnahme subsumiert. Im zweiten Schritt lässt sich die komparative Beziehung zwischen Täterschaft und Teilnahme mithilfe des Verhältnisses zwischen Verletzungs- und Gefährdungsdelikt begründen. Die Beweisführung des ersten Schritts stößt schon auf den skeptischen Einwand, warum die notwendige Mitwirkung als Mittäterschaft angesehen werden kann. Nach der von Freudenthal vertretenen subjektiven Theorie ist die Subsumtion der notwendigen Mitwirkung als Mittäterschaft problematisch. Freudenthal stellt zuerst fest, dass die notwendige Mitwirkung sich nicht als bloße Anstiftung oder Beihilfe ansehen lässt und nur die Mittäterschaft in Betracht kommt, weil die eigentliche Ausführung im Fall § 205 RStGB, das Kämpfen, in der Anstiftungstätigkeit nicht begriffen ist und der Käufer wie auch Verkäufer im Fall § 109 RStGB die Ausführungshandlungen begehen und keiner von ihnen Gehilfe des anderen sein kann.31 Freudenthal überträgt sodann diesen Befund auf die allgemeine notwendige Mitwirkung und nimmt sie ausnahmslos als „Thäterhandlung“32 an. Allerdings besteht der entscheidende Unterschied zwischen § 205 und § 109 einerseits und den problematischen Delikten mit notwendiger Beteiligung andererseits darin, dass die beiden Parteien in § 205 und § 109 nach dem damals geltenden Strafgesetz ausdrücklich strafbar sind, während die eigentliche Problematik diejenige der notwendigen Teilnahme mit einseitiger Strafdrohung ist. Im Fall der Gläubigerbegünstigung (§ 283c) ist die Annahme der Begünstigung durch den Gläubiger die erforderliche Voraussetzung für die Vollendung der Tatbestandsverwirklichung, während die Anstiftung des Gläubigers durch aktives Handeln über das Maß der notwendigen Mitwirkung hinausgeht. Geht man von der von Freudenthal vertretenen subjektiven Theorie aus, dass der Täter die zum gesetzlichen Tatbestand gehörende Willensbestätigung vollzieht, kann man trotzdem kaum zustimmen, dass bereits die bloße Annahme der Begünstigung durch den Gläubiger als eine von ihm gewollte Gewährung seitens des Schuldners und dadurch als Täterhandlung des Gläubigers qualifiziert wird. Schon Bergen33 hat darauf hingewiesen, dass Freudenthal bei seiner Subsidiarität der Teilnahmeformen mit einer Fiktion arbeitet. Man fingiert nämlich die Strafbarkeit des vom Gesetz straflos gelassenen notwendigen Beteiligten, indem er als Täter oder Mittäter betrachtet wird, und gelangt so zu einem Ergebnis, bei dem man die Strafbarkeit nachträglich wieder retuschiert. Es muss doch aber erheblichen 30 31 32 33

Puppe, Schule, S. 189. Freudenthal, Theilnahme, S. 24. Freudenthal, Theilnahme, S. 111. Bergen, Begriff, S. 91.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Bedenken unterliegen, eine Strafbarkeit zu fingieren, wo gerade der Straflosigkeit des notwendig Beteiligten eine besondere Bedeutung zukommt.34 Nur wenn das Delikt „Annahme der Begünstigung“ vermutet wird, ist die notwendige Annahme des Gläubigers als Täterhandlung denkbar. Bezüglich des zweiten Schritts fehlt es heute an einer dogmatischen Grundlage. Der gewählte Lösungsweg, nämlich mittels einer Rangfolge der einzelnen Beteiligungsformen die umfassende Straflosigkeit des „notwendigen Teilnehmers“ zu begründen, geht überwiegend auf die Kausallehre zurück. Im Anschluss an seine Kausallehre unterscheidet Frank35 zwischen dem Setzen einer Ursache im Falle der Täterschaft und dem Setzen einer bloßen Bedingung im Falle der Teilnahme. Ist aber, so argumentiert Frank, die Täterschaft straflos, dann ergebe sich daraus logisch zwingend auch die Straflosigkeit des Setzens einer Bedingung. Es ist zu beachten, dass die dogmatische Grundlage dieser Konzeption, nämlich die Teilnahme und Täterschaft nach der Kausallehre aufzufassen, heute weitgehend in Frage gestellt wird. Aus diesem Grund büßt diese Konzeption in der Konsequenz an Aussagekraft ein. Die Parallele zwischen Verletzungs- und Gefährdungsdelikt einerseits und Täterschaft und Teilnahme andererseits ist nicht sachgerecht. Erstens ist es unmöglich, einerseits mithilfe der Kausallehre die Täterschaft und Teilnahme zu begreifen, andererseits auf einer qualitativen Unterscheidung zwischen ihnen zu bestehen. Nach der Äquivalenztheorie, nach der jede Bedingung eines tatbestandlichen Erfolgs Ursache im Rechtssinne ist, ergibt sich aus Täterschaft und Teilnahme kein Plus-Minus-Verhältnis. Die Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung ist das gemeinsame Element im Unrecht des Täters und in dem des Teilnehmers.36 Freudenthal versucht diese Konsequenz durch die Preisgabe der Äquivalenztheorie zu vermeiden: Er erklärt die Annahme der Begünstigung als die „das Rechtsgut eigentlich verletzende Haupttätigkeit“ und die Beihilfe und Anstiftung des Gläubigers als „bloße Gefährdung“37. Diese Behauptung beruht auf der Prämisse, dass der strafrechtliche Vorwurf desto größer ist, je kürzer die Entfernung zwischen der Tätigkeit und dem tatbestandlichen Erfolg ist. Selbst wenn diese Prämisse zutreffend wäre, ist auf der Grundlage einer konkreten Gefährlichkeitsbeurteilung die Einteilung der Beteiligung in zwei scharf zu unterscheidende Gruppen nicht möglich,38 da die Gefährlichkeit unendlich viele Grade aufweist. Zweitens kommt der Sache nach der Entfernung zwischen der Tätigkeit und dem tatbestandlichen Erfolg keine Relevanz bei der strafrechtlichen Zurechnung zu. Ein exemplarisches Beispiel dafür bildet das Pflichtdelikt. Bei einem Sonderdelikt macht die unterschiedliche Entfernung zwischen der Tätigkeit und dem Erfolg kein Abgrenzungskriterium zwischen Täterschaft und Teilnahme aus. Wie oben erwähnt, ist 34 35 36 37 38

B. Kant, Teilnahme, S. 30. Frank, Strafgesetzbuch, S. 111. Otto, FS-Lange, S. 203. Freudenthal, Theilnahme, S. 112. Lange, Teilnahme, S. 63.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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ein Erst-recht-Schluss nur haltbar, wenn das steigerungsfähige Merkmal der einzige Unterschied zwischen dem zu entscheidenden Fall und dem Fall im Ausgangssatz ist; ansonsten besteht die Gefahr, dass durch das Erst-recht-Argument ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden verglichenen Fällen überspielt und deshalb missachtet wird.39 Durch die Vorgehensweise, die Entfernung zwischen Tätigkeit und Erfolg als komparatives Merkmal zu konzipieren, wird die Zuständigkeitserwägung missachtet, die eine entscheidende Rolle bei der strafrechtlichen Zurechnung spielt. Daher erfüllt das Verhältnis zwischen Teilnahme und Täterschaft die Voraussetzung des Erst-recht-Schlusses nicht. Deswegen kann der Ausschluss aus dem Kreis der potentiellen Täter die Strafbarkeit als Anstifter oder Gehilfe nicht verhindern. Der Befund entspricht auch § 28 I StGB, dem zufolge das Fehlen strafbarkeitsbegründender persönlicher Merkmale nicht zur umfassenden Straflosigkeit des Extraneus führt, sondern zur Strafbarkeit als Teilnehmer im engen Sinn. Das Fehlen der Täterqualität verursacht zwar den Zweifel an der Strafbarkeit der notwendigen Teilnahme, bietet aber keine eindeutige Antwort. Bezüglich der komparativen Regel nimmt Freudenthal Bezug auf Bindings Ausführung40 zur Subsidiarität: „Ist die Strafe der Anstiftung der Strafe der Thäterschaft subsidiär, so kann sie da nicht eintreten, wo die Thäterschaft nicht lediglich im konkreten Falle, sondern generell straflos ist.“ Dies trägt jedoch wenig zur Überzeugungskraft seiner Beweisführung bei und legt sogar viele Einwände nahe. Heute besteht Einigkeit darüber, dass die Beihilfe gegenüber der Anstiftung und die Teilnahme gegenüber der Täterschaft eine subsidiäre Beteiligungsform darstellt. Die auf weniger gravierendes Unrecht bezogene Teilnahme wird von der auf schwereres Unrecht bezogenen Täterschaft verdrängt.41 Aber aus dem graduellen Unterschied zwischen dem Unrechtsgehalt der Teilnahme und der Täterschaft und der dadurch entstehenden Subsidiarität ergibt sich keine Argumentation für die Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme, weil die Subsidiarität sich lediglich auf die unterschiedliche Strafbarkeit, aber nicht auf die Straflosigkeit bezieht.42 Subsidiarität ist ein Fall der Gesetzeskonkurrenz, setzt also das Konkurrieren zweier Deliktstatbestände voraus. Während die Argumentation im Bereich der „notwendigen Teilnahme“ die umfassende Straflosigkeit eines Mitwirkenden begründen soll, geht es bei der eigentlichen Konkurrenzproblematik darum, dass eine an sich strafrechtlich erfassbare Bewertung eines Verhaltens neben einer anderweitig bestehenden Strafbarkeit nicht mehr eigenständig ins Gewicht fallen soll.43

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Puppe, Schule, S. 189. Binding, Handbuch I, S. 361. 41 Kindhäuser, AT, § 46, Rn. 10; Stratenwerth/Kulen, § 12, Rn. 225; Roxin, AT II, § 26 II, Rn. 10; Samson, in: SK, Vor § 52, Rn. 70. 42 Sowada, Teilnahme, S. 56. 43 Sowada, Teilnahme, S. 56. 40

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Erst-recht-Schluss von Freudenthal in jedem Schritt der Ableitung Zweifel ausgesetzt ist und es ihm deswegen an Überzeugungskraft fehlt.

III. Die Unterlegenheitsthese von Lange Lange stellt eingangs fest, dass allein aus dem Schweigen des Gesetzgebers nichts für die Straflosigkeit der Teilnahme folgt.44 Begreift man die Rechtsgutsverletzung als das Wesen des Verbrechens und die Herbeiführung des Erfolgs als den Begriff der Handlung, begibt man sich unvermeidlich in ein Dilemma, weil auch der notwendige Teilnehmer das Rechtsgut verletzt und sein Verhalten für den Eintritt des Erfolgs kausal ist.45 Aufgrund der begrenzten Leistungsfähigkeit der auf die Handlung bezogenen Verbrechenselemente im Fall notwendiger Teilnahme, nämlich Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuldhaftigkeit, ist der Verbrechensbegriff um eine neue Dimension zu erweitern, genauer gesagt, durch ein auf die Person des Handelnden bezogenes Verbrechenselement zu ergänzen.46 Lange rechtfertigt die Straflosigkeit des notwendigen Beteiligten mit dessen regelmäßig gegebener „Unterlegenheitsituation“, nämlich dem Fehlen eines materiellen täterschaftlichen Unrechtsmoments, das sich nur auf der Überlegenheitsseite findet.47 Dieser Lösungsweg lässt sich auf Berners „Objects-Theorie“ zurückführen: Dass bei den Tatbeständen Bigamie, Ehebruch, Stuprum, Inzest, Bestechung, Duell usw. das andere Subjekt „nicht als solches, sondern […] als Object des Verbrechens nothwendig ist, macht das Wesen des Concursus necessarius aus, und nur hierin ist der Grund zu suchen, der diese Form von der eigentlichen Theilnahme ausschließt“.48 Lange formuliert das „Unterlegenheits-Kriterium“ auf die Weise, dass bei dem notwendig Beteiligten nicht nur die besondere soziale Tatherrschaft fehle, sondern dass sich die stärkere Stellung des anderen gerade gegen ihn richte, dass er im sozialen Kräftespiel nicht primär als der Mitwirkende, sondern als das Objekt, der Gegenstand der Betätigung des anderen erscheine.49 Um die Erforderlichkeit des „in der Tatbestandsmäßigkeit verborgenen täterschaftlichen Moments“ für den Verbrechensbegriff zu begründen, nimmt Lange die Sonderdelikte als Beispiel: Als täterschaftliches Moment ist die Pflichtverletzung etwas Höchstpersönliches und zugleich als ein Merkmal der Täterschaft ein Gegensatz zur Teilnahme.50 Allerdings führt nach der heutigen Regelung des § 28 I 44 45 46 47 48 49 50

Lange, Teilnahme, S. 2. Lange, Teilnahme, S. 14. Lange, Teilnahme, S. 15 f. Lange, Teilnahme, S. 19 f. Berner, Theilnahme, S. 166. Lange, Teilnahme, S. 21. Lange, Teilnahme, S. 16 f., 19, 55.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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StGB das Fehlen einer besonderen strafbegründenden Pflichtenstellung nicht zur völligen Straflosigkeit, sondern nur zu einer Strafmilderung gemäß § 49 I StGB.51 Das Fehlen der Täterschaftsmäßigkeit des Extraneus führt dazu, dass er nicht als Täter, sondern bloß als Anstifter oder Gehilfe qualifiziert wird. Aber im Fall der Delikte mit notwendiger Mitwirkung ist folgende These zu begründen: Aufgrund des auf Unterlegenheit basierenden Fehlens der Täterschaftsmäßigkeit kann der notwendig Beteiligte niemals „Teilnehmer“ im eigentlichen Sinn sein.52 Die Sonderdelikte bilden deswegen kein angemessenes Beispiel für das sogenannte „täterschaftliche Moment“. Die Kritik an der Unterlegenheitstheorie weist überwiegend darauf hin, dass der „notwendige Teilnehmer“ nicht im Regelfall als typischerweise unterlegener Tatbeteiligter ist.53 Beispielsweise erscheint der begünstigte Mandant bezüglich des einverständlichen Pateiverrats (§ 356 II StGB) möglichweise sogar als der wirtschaftlich und sozial Stärkere.54 Bei näherem Hinsehen erweist sich das „Unterlegenheit-Kriterium“ als ein Dietrich, der für die vielfältigen Delikte mit notwendiger Mitwirkung immer anwendbar ist, ohne Rücksicht darauf, dass die sogenannte Unterlegenheit sich auf ganz unterschiedliche Aspekte bezieht. Es geht in der historischen Diskussion beispielsweise um den physischen Unterschied zwischen Mann und Frau bei der ,Rassenschande‘: Weil der Mann typischerweise der aktivere Teil, die treibende Kraft ist, pflegt von ihm die Initiative auszugehen, die zur Straftat führt, befindet er sich also gegenüber der notwendig beteiligten Frau in einer überlegenen Stellung.55 Dagegen ergibt sich die Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers im Falle der Gläubigerbegünstigung daraus, dass der Gläubiger sein Recht verfolgt, und dem übermächtigen Motiv, das ihn zur Annahme der Begünstigung treibt.56 Die Tatherrschaft des Beteiligten ist nach Lange beeinträchtigt, seine Entschließungsfreiheit steht unter dem Druck übermächtiger Motive, seine Lage ist durch absolute – nach seinem eigenen personalen Status – oder relative – durch den Partner bedingte – Unterlegenheit gekennzeichnet.57 Die Frage ist dann die, wie es sich mit der Strafbarkeit des notwendigen Beteiligten verhält, wenn er dem Druck übermächtiger Motive unterliegt, jedoch gleichzeitig „der aktivere Teil, die treibende Kraft“ in den Fällen gemeinsamen Handelns ist. Dadurch bestätigt sich, dass das „UnterlegenheitsKriterium“ kein einheitliches Kriterium darstellt, sondern eine Vermischung von heterogenen fragwürdigen Argumentationen ist. Die Unzulänglichkeit der Unterlegenheitsthese zeigt sich auch, wenn man einen Blick auf das Verhältnis zwischen Haupttäter und Gehilfe wirft. Normalweise stehen 51 52 53 54 55 56 57

Sowada, Teilnahme, S. 48 f. Lange, Teilnahme, S. 66. Zöller, Teilnahme, S. 75 ff.; Welzel, ZStW 61 (1942), 210; Sowada, Teilnahme, S. 47 f. Sowada, Teilnahme, S. 47 f. Lange, Teilnahme, S. 19. Lange, Teilnahme, S. 25. Lange, Teilnahme, S. 30.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

alle Beteiligten in den Fällen gemeinsamen Handelns einander nicht in absolut gleicher Stellung gegenüber. Es ist nicht selten, dass jemand aufgrund überlegener Fähigkeiten und Kenntnisse bei der Ausarbeitung des Tatplans und seiner Ausführung eine überlegene Rolle spielt. Es ist völlig unstrittig, dass dem Beitrag des Gehilfen im Vergleich zu dem des Haupttäters eine sekundäre Stellung zukommt. Nach Langes Begründungslogik ist die Tatherrschaft des Gehilfen überhaupt auch beeinträchtigt, weil seine Lage durch eine durch den Haupttäter bedingte Unterlegenheit gekennzeichnet ist. Aber niemand will zu dem absurden Ergebnis gelangen, dass der Beteiligte, der die Entscheidung und den Befehl des anderen befolgt, sich also in den Worten Langes in der Unterlegenheitssituation befindet, wegen des inneren Verhältnisses zwischen Beteiligten straflos bleibt. Die entscheidende Schwäche der „Unterlegenheitsthese“ besteht darin, dass ein tragfähiges dogmatisches Fundament dafür fehlt, dass der tatsächliche physische, wirtschaftliche oder soziale Unterschied zwischen den Beteiligten eine ausschlaggebende Rolle für die Ablehnung der allseitigen Strafbarkeit spielen soll. Die materielle Erwägung der Strafbarkeit einer Handlung muss eigentlich mit der materiellen Verbrechenslehre vereinbar sein. Nach der bislang herrschenden Auffassung liegt das Wesen der Straftat in der Rechtsgutsverletzung, nämlich dem Verhältnis zwischen dem Handelnden und dem tatbestandlichen Erfolg. In einer solchen Konzeption besteht konsequenterweise kein Raum für die Erwägung des Verhältnisses zwischen den Beteiligten. Ob der Beteiligte sich in einer unterlegenen oder gleichrangigen Stellung gegenüber dem anderen befindet, spielt bei der Zurechnung der Rechtsgutsverletzung keine Rolle. Gerade deswegen fehlt der Unterlegenheitsthese eine verbindliche systematische Leitidee, und somit muss die Argumentation von Fall zu Fall improvisiert werden. Infolgedessen versucht Lange, die sog. „Täterschaftlichkeit“ als ein heterogenes Element zwingend von außen anzufügen, also zwischen der Unterlegenheit einerseits und der Rechtsgutsverletzung andererseits abzuwägen. Nach Lange überwog in den Augen des Gesetzgebers die Unterlegenheit des Käufers, der mehr als den zulässigen Höchstpreis bezahlt, in der Bewertung gegenüber der sachlichen Mitwirkung bei der Erfolgsherbeiführung, da der Verkäufer infolge seiner Besitzerstellung die Lage beherrscht und den Käufer zu Bedingungen zwingt, zu denen er sich unter normalen Umständen nicht verstehen würde.58 Die Abwägung zwischen der Unterlegenheit einerseits und der Rechtsgutsverletzung andererseits ist unvermeidlich der Willkür ausgesetzt. Um dies zu vermeiden, sieht sich Lange dazu gezwungen, wieder auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurückzugehen.59 Dieser Begründungsweg benutzt die zu legitimierende und zu interpretierende positive Regelung, um die Legitimation der Regelung zu untermauern, und stellt einen Zirkelschluss dar. Insoweit ist Lange beizupflichten, dass man der Problematik der notwendigen Teilnahme nicht gerecht wird, wenn man den herkömmlichen Begriff der Handlung 58 59

Lange, Teilnahme, S. 24. Lange, Teilnahme, S. 24.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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als Herbeiführung des Erfolgs zugrundelegt.60 Das für die Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme entscheidende Merkmal soll nicht etwa ein außerhalb des Verbrechensinhalts liegendes, aus systemfremden, etwa allgemein rechtspolitischen Gründen von außen herangetragenes Moment sein.61 Aber eine einfache Hinzufügung der auf die Person des Handelnden bezogenen „Täterschaftsmäßigkeit“ als Verbrechenselement neben Tatbestandmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld, ohne den Begriff der Handlung sowie des Verbrechens als solche zu betrachten, bietet keine befriedigende Lösung, weil von einem auf Rechtsgutsverletzung abgestellten Verbrechen aus gesehen die Täterschaftsmäßigkeit eine grundlose Anforderung darstellt.

IV. Parallele zwischen Mittäter und notwendigem Beteiligten bei Zöller Zöller bemerkt am Anfang seiner Monographie die „Benachteiligung“ des notwendigen Teilnehmers: Die Anstiftung und Beihilfe des Alleintäters oder normalen Mittäters wird durch die Täterschaft „konsumiert“, die Teilnahmehandlung (Anstiftung und Beihilfe) bleibt ohne Schuldvorwurf und damit straflos; hingegen wird die das Maß der Notwendigkeit überschreitende Anstiftung oder Beihilfe des notwendigen Beteiligten tatsächlich als vorwerfbar bewertet, wenn der notwendige Beteiligte strafbar gemacht wird.62 Aus der Prüfung von zwölf Deliktstatbeständen ergibt sich nach Zöller die Annahme, dass eine ausschlaggebende Gemeinsamkeit zwischen den betreffenden Delikten mit „notwendiger Teilnahme“ und denjenigen mit „normaler“ Mittäter-Struktur insoweit besteht, als eine gegenseitige Anstiftung der beiden Beteiligten dem zur Tatbestandserfüllung führenden Handlungsgeschehen immanent ist.63 Zöllers Kernthese ist: „Nimmt […] der Gesetzgeber bei einem solchen Delikte, das eine mittäterschaftsähnliche Struktur aufweist und bei dem außerdem eine gegenseitige Anstiftung der beiden Beteiligten dem zur Tatbestanderfüllung führenden Handlungsgeschehen immanent ist, einen der Beteiligten aus der Strafbarkeit heraus, ohne bestimmte Angaben zum Umfang der Straflosigkeit zu machen, dann folgt daraus zwingend, daß der Ausspruch über die Straflosigkeit sich nicht nur auf den eigentlichen Tatbeitrag, die ,notwendige‘ Beteiligung, sondern auch auf die stets beigegebene Anstiftungshandlung bezieht.“64 Anders gewendet: Auf diese Weise lässt sich die Verpflichtung des Gesetzgebers begründen, eine ausdrückliche und präzise Regelung vorzunehmen, wenn sich die Straflosigkeit lediglich auf die „notwendige Teilnahme“ bezieht, nicht aber auf die damit ein60 61 62 63 64

Lange, Teilnahme, S. 14. Lange, Teilnahme, S. 16. Zöller, Teilnahme, S. 10. Zöller, Teilnahme, S. 185 ff., 219 ff., 230. Zöller, Teilnahme, S. 231 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

hergehende Anstiftung.65 Gilt die Straflosigkeit bezüglich der Anstiftung, muss die „überschießende“ Beihilfe auch straflos bleiben, die gegenüber der Anstiftung die minder schwere Teilnahmeform darstellt.66 Vor allem unterliegt Zöllers Ausgangsansatz, d. h. die sogenannte „Benachteiligung“ des notwendigen Teilnehmers im Vergleich zum Mittäter eines „normalen“ Delikts, schon erheblichen Bedenken. Dieser Ausgangsansatz enthält zwei Thesen: Erstens, die immanente Anstiftungs- und Beihilfestat eines Mittäters ist straflos; zweitens, die notwendige Mitwirkung als solche ist selbstverständlich straflos und deswegen bezieht sich die eventuelle Bestrafung des notwendigen Beteiligten auf den die Notwendigkeit überschreitenden Teil, nämlich auf Anstiftung und Beihilfe des notwendigen Beteiligten. Genauso wie Freudenthal sieht Zöller den notwendigen Tatbeitrag als zweifellos nicht strafbar und unterteilt die gesamte Mitwirkung des notwendigen Beteiligten in zwei Teile, nämlich den notwendigen Tatbeitrag und die Anstiftungshandlung. Im Gegensatz zu Freudenthal lehnt Zöller aufgrund der tätergleichen Strafdrohung des Anstifters die Annahme ab, dass die Anstiftung gegenüber den Formen täterschaftlichen Handelns subsidiär sei.67 Infolgedessen kommt eine direkte Herleitung der Straflosigkeit der Anstiftung aus der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme bei Zöller nicht in Betracht. Stattdessen bemüht sich Zöller um die Darlegung der „Straflosigkeit“ der Anstiftungshandlung bei einer „normalen“ Mittäterschaft: Jeder mittäterschaftlichen Tat ist die gegenseitige, wechselseitige Anstiftung der Mittäter immanent, die wegen „Konsumtion“ durch die Täterhandlung straflos bleibt.68 Fraglich erscheint jedoch erstens die Annahme einer wechselseitigen Anstiftung dann, wenn der nach einem Komplizen Mitwirkende fest entschlossen ist, das Delikt notfalls auch allein zu begehen.69 Dogmatik und Praxis haben den Standpunkt eingenommen, dass ein zur Tat entschlossener Täter nicht mehr „bestimmt“ werden kann. Zumal in den Fällen der sukzessiven Mittäterschaft ist es zweifelhaft, den Beitrag des Hinzutretenden als eine über die bloße psychische Bestärkung hinausgehende Anstiftung zu qualifizieren.70 In der Tat verwechselt Zöller die phänomenologische Anstiftungstat und die Anstiftung als Zurechnungsfigur. Als eine die Mitverantwortung begründende Tat, die eine psychische Bestärkung der Tatentschlüsse der anderen Beteiligten bewirkt, besteht die Anstiftung freilich in fast allen Beteiligungsfällen. Aber die Gleichstellung der psychischen Bestärkung mit irgendeiner Unterstützungshandlung und der Anstiftung als Zurechnungsfigur führt zu der unlösbaren Frage, wieso der Anstifter gleich einem Täter bestraft wird. Zöller 65 66 67 68 69 70

Zöller, Teilnahme, S. 232 ff. Zöller, Teilnahme, S. 247 f. Zöller, Teilnahme, S. 199. Zöller, Teilnahme, S. 186, 191. Sowada, Teilnahme, S. 52. Sowada, Teilnahme, S. 52.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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beweist eher die These, dass die psychische Bestärkung bei der Mittäterschaft immer besteht, als diejenige, dass die Anstiftung der Mittäterschaft immanent ist. Zweitens ist es zweifelhaft, die Anstiftung aufgrund der Tatsache, dass sie nicht zusätzlich neben der Täterschaft bestraft werden kann, als solche als straflos zu qualifizieren. Abweichend von der herrschenden Auffassung liegt nach Zöller eine Subsidiarität im Verhältnis zwischen Anstiftung und Täterschaft nicht vor; stattdessen stützt die Nichtbestrafung der Anstiftung im Falle einer damit zusammentreffenden Täterschaft sich auf die Konsumtion.71 Tatsächlich trifft der Streit um „Subsidiarität“ oder „Konsumtion“ zwischen Anstiftung und Mittäterschaft keinen Angelpunkt. Materiell geht es bei der Gesetzeskonkurrenz um die Vermeidung der Mehrfachverwertung.72 Man kann also restlos alle Fälle von Gesetzeskonkurrenz als Spezialität bezeichnen: Anwendbar ist der auf den Einzelfall konkretisierte Rechtssatz, der alle Konkretisierungen der verdrängten Formulierung und mindestens noch ein zusätzliches Merkmal aufweist.73 Das Verhältnis zwischen Anstiftung und Mittäterschaft als Subsidiarität oder Konsumtion anzusehen, führt zu keiner Abweichung im Ergebnis – bei der Zurechnung einer täterschaftlichen Tat kann jede Förderung der Tat zugerechnet werden, bei derjenigen der Anstiftung wohl auch gehilfenschaftliche Förderung.74 Selbst wenn man im Anschluss an Zöller das Verhältnis zwischen Täterschaft und Anstiftung als Konsumtion erklärt, ist zu bemerken, dass die Anstiftung nicht als solche straflos ist, vielmehr lediglich konsumiert wird. Bildlich gesprochen könnte man nicht ohne weiteres behaupten, dass der Stein nicht existiert, wenn die Flut kommt und den Stein an der Küste überflutet. Aus dem gleichen Grund wird die Strafbarkeit der Anstiftung nicht einfach verneint oder beseitigt, sondern „konsumiert“ durch die Strafbarkeit der Täterschaft, wie der Stein durch das Wasser „überflutet“ wird. Wenn die Ebbe eintritt, verschwindet der Stein nicht, sondern bleibt an seinem Platz. Selbst wenn die notwendige Mitwirkung nach Zöller ohne Zweifel straflos ist, kann der Unwert der das Maß der Notwendigkeit überschreitenden Anstiftung durch nichts „konsumiert“ werden und bleibt erhalten, wie der Stein bei Ebbe erhalten bleibt. Die Bestrafung des schwereren Unrechts bildet die Voraussetzung für die Konsumtion des Begleitunrechts,75 die nach Zöllers Konzeption nicht erfüllt wird. Schließlich richtet sich der Einwand gegen die Annahme, dass bei Delikten mit „notwendiger Teilnahme“ regelmäßig eine mittäterschaftsähnliche Struktur bestehe.76 Vor allem liegt die entscheidende Schwäche von Zöllers Konzeption in dem 71

Zöller, Teilnahme, S. 10. Jakobs, AT, 31/12. 73 Jakobs, AT, 31/12; Stree, in: Sch/Sch, Vor § 52, Rn. 141; Klug, ZStW 68 (1956), 414 f.; Maurach/Gössel, AT 2, 55/51; Puppe, Idealkonkurrenz, 322 ff. 74 Jakobs, AT, 31/28. 75 Kindhäuser, AT, § 46, Rn. 11. 76 Vgl. Sowada, Teilnahme, S. 52. 72

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Widerspruch zwischen dem Ausgangspunkt und dem zu begründenden Ergebnis. Ausgehend von der Prämisse, dass Teilnahme und Täterschaft qualitativ zu trennen sind und die Täterschaft durch die Tatherrschaft bezeichnen ist,77 versucht Zöller zu der These zu gelangen, dass das Verhalten des notwendigen Teilnehmers eine mittäterschaftliche Struktur aufweist. Ein Widerspruch liegt vor, wenn einerseits die Teilnahme als eine von der Täterschaft qualitativ unterschiedene Rechtsfigur behauptet wird, andererseits Teilnahme als eine mit Täterschaft identische Figur benutzt wird. Zudem ist diese auf Tatherrschaft basierende Argumentation problematisch. Im Anschluss an die von Welzel entwickelte Abgrenzung der Täterhandlung, nämlich dass die Täterhandlung durch das Vorliegen der finalen Tatherrschaft geprägt sei, bezeichnet Zöller den zur Tötung seiner selbst bereiten Anstifter als „Herr der Tat“, denn er hat es wesentlich in der Hand und will es auch entscheidend in der Hand haben, ob der von ihm Angestiftete die Tötungshandlung vornimmt oder nicht.78 Im Fall der Gläubigerbegünstigung (§ 241 KO) ist der Gläubiger Mitinhaber der Tatherrschaft, weil eine Gläubigerbegünstigung regelmäßig in die Weg geleitet wird, wenn der Schuldner für die Hingabe der Deckung als Gegenleistung von dem Gläubiger einen ungefähr äquivalenten Vorteil erhält und daher die Entscheidung darüber, ob dieser Vorteil dem Schuldner anbietet oder nicht, vor allem vom Gläubiger abhängig ist.79 Bezüglich des Verkaufens unzüchtiger Schriften wird die „mittäterähnliche Struktur“ dadurch begründet, dass das Handeln der beiden Beteiligten dem Verhalten der Partner eines „normalen“ Barkaufs vergleichbar sei, bei dem die Beteiligten sich nach voraufgehender Einigung „synallagmatische“ Leistungen entgegenbringen.80 Abgesehen von dem Zweifel an der „finalen Tatherrschaft“ kommt tatsächlich bei der Prüfung von zwölf Deliktstatbeständen kein einheitliches Kriterium für die sog. mittäterschaftliche oder mittäterähnliche Struktur zur Anwendung. Obwohl in der Praxis der Konkursschuldner normalerweise durch den vom Gläubiger angebotenen Vorteil motiviert wird, lässt sich der Befund schwer festlegen, dass der Gläubiger „Herr“ der Ausführungshandlung ist. Der Gläubiger im Fall der Begünstigung spielt keine mit dem Verlangenden im Fall des § 216 vergleichbare Rolle für die Tatbestandsverwirklichung. In Bezug auf den Verkäufer der unzüchtigen Schriften verzichtet Zöller gleichsam vollständig auf die Tatherrschaftstheorie. Eine solche Begründung ist nur möglich, wenn das Kriterium der Täterhandlung auf bloße Kausalität reduziert wird. Zöller steht vor der Alternative, entweder nicht mehr auf die durch „finale Tatherrschaft“ von der Täterschaft präzise abgegrenzte Teilnahme im engeren Sinne abzustellen oder auf die Parallele zwischen Teilnahme im engeren Sinne und Mittäterschaft zu verzichten. Die der

77 78 79 80

Zöller, Teilnahme, S. 171. Zöller, Teilnahme, S. 171. Zöller, Teilnahme, S. 177. Zöller, Teilnahme, S. 182.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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Abgrenzung der Teilnahme von Täterschaft dienende Theorie der finalen Tatherrschaft trägt den Keim der Zerstörung der Abgrenzung bereits in sich.

V. Gropps Rückgriff auf verfassungsrechtliche Grundsätze Gropp sieht den Schlüssel zur Lösung des Problems der notwendigen Teilnahme in der Untersuchung der betreffenden Tatbestände des Besonderen Teils und unterscheidet Delikte mit selbstverletzender Sonderbeteiligung und Delikte mit fremdverletzender Sonderbeteiligung.81 Die Delikte mit selbstverletzender Sonderbeteiligung untergliedern sich wiederum in zwei Fallgruppen: Tatbestände zum Schutz eines disponiblen Gutes sowie Tatbestände zum Schutz eines indisponiblen Individualgutes.82 Gropp begründet die Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers nicht mit dem gängigen Erklärungsmuster, dass das vom Täter angegriffene Rechtsgut auch dem Teilnehmer gegenüber geschützt sein muss, sondern mit dem rechtfertigenden Charakter der Dispositionsbefugnis.83 Die Straflosigkeit des Teilnehmers, der der Träger des indisponiblen Rechtsguts ist, soll aus dem Gebot der Gleichbehandlung mit demjenigen resultieren, der selbst ein eigenes indisponibles Rechtsgut verletzt.84 Der sachliche Grund für die Gleichbehandlung liegt darin, dass es der Sinn strafrechtlichen Interessenschutzes ist, den Interessenträger zu schützen, nicht jedoch, ihn um des Schutzes seiner eigenen Interessen willen zu strafen.85 Bei den Delikten mit fremdverletzender Sonderbeteiligung nennt Gropp zwei Konstellationen mit den Bezeichnungen „Zentrifugaldelikte“ und „Zentripetaldelikte“. Kennzeichnend für die Zentrifugaldelikte ist eine Multiplikatorwirkung der Haupttat, die durch das „multiple Aussenden gefährlicher Gegenstände“ bewirkt wird und an der der notwendige Mitwirkende nicht teilhat.86 Beispiele bilden etwa die Verbreitung von Schriften, die zum Rassenhass aufstacheln (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und die Verbreitung pornographischer Schriften im Versandhandel (§ 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Die Straflosigkeit der notwendigen Mitwirkung am Zentrifugaldelikt stützt sich vor allem auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip: Die Kriminalisierung der peripheren Beteiligung ist zwar ein geeignetes Mittel zum Erreichen des Zwecks des Rechtsgüterschutzes, aber nicht das schonendste Mittel.87 Zwischen Rechtsgüterschutz und Strafdrohung soll eine optimale umgekehrte Proportionalität bestehen: „möglichst viel Rechtgüterschutz bei möglichst wenig Inkriminierung“.88 81 82 83 84 85 86 87 88

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 98 ff. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 139 ff. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 143 f. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 177 ff. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 177. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 206 f. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 212. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 211 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Nach dieser Überzeugung soll das Strafrecht die Multiplikatoren, die Gelegenheit Schaffenden kriminalisieren, eine multiplizierte Kriminalisierung der peripher Mitwirkenden, der bloß eine Gelegenheit Wahrnehmenden hingegen vermeiden.89 Dieses Argument gilt auch für die Gruppe der „Zentripetaldelikte“, bei denen „der Täter als Mittelpunkt des Geschehens zur Begehung der Tat typischerweise Dritte anlockt“90. § 283c bildet nach Gropp ein Beispiel der Zentripetaldelikte: Zum einen bildet der Konkursschuldner einen Anziehungspunkt für Gläubiger, welche sich inkongruent absichern wollen; zum anderen wirkt er wie ein Magnet auf Geschäftspartner, mit denen er bei Gelegenheit von Bankrotthandlungen i. S. v. § 283 in Beziehung tritt.91 In diesem Fall wird das zentrale Unrecht durch ein auf Wiederholung nach gleichem Schema angelegtes potentielles Multiplikationsverhalten geprägt, an welchem der Beteiligte nur peripher teilhat, weshalb der Beteiligte straflos bleibt.92 Sowada meldet zuerst Zweifel an Gropps Konstruktion der Deliktstypen an: Weil die Deliktstypen als eine Zusammenfassung der Straftatbestände der Legitimierung der Straflosigkeit bestimmten Mitwirkungsformen dienen, ist zu erklären, woher die Deliktstypen ihre dogmatische Kraft beziehen.93 Die zentrifugale bzw. zentripetale Struktur bestimmter Tatbestände stellt jedoch lediglich eine rein bildhafte Beschreibung dar, der keine strafrechtliche materielle Relevanz zukommt.94 Diesem Einwand ist zuzustimmen. Gropp räumt ein, dass hinsichtlich der theoretischen Begründung und des Umfangs der straflosen Beteiligung keine wesentlichen Unterschiede zwischen Zentripetaldelikten und Zentrifugaldelikten vorliegen.95 Begriffsbildung ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Angesichts der Anwendung der gleichen Regeln drängt sich die Frage auf, worin eigentlich die Bedeutung der Differenzierung zwischen Zentripetaldelikten und Zentrifugaldelikten liegt. Zumindest lässt sich feststellen, dass diese Konstruktion der Deliktstypen für den Grund der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme bedeutungslos ist. Diese These lässt sich mit dem folgenden Beispiel aus gutem Grund illustrieren. Gropp erklärt die Straflosigkeit der peripheren Mitwirkung mit diesem Beispiel: Hätte A 1000 Bücher vertreiben wollen, so würde eine Strafdrohung gegen die Abnehmer äußerstenfalls 1000 Täter hervorbringen; kriminalisiert man hingegen lediglich den vertreibenden Täter, dann resultiert aus der Versendung von 1000 Büchern die Strafbarkeit nur eines Beteiligten, was unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Handlungsfreiheit der schonendere Weg ist.96 Als vergleichbar mit dem 89 90 91 92 93 94 95 96

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 212. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 222. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 227. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 223. Sowada, GA 1995, 67. Sowada, GA 1995, 68. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 223. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 211.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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Fall der Verbreitung der in § 131 genannten Schriften kann man den folgenden Fall konstruieren: Ein Auftragsmörder wird durch 100 Personen jeweilig beauftragt und führt die Morde aus. Nach der Definition der Zentrifugaldelikte, bei denen von einem Mittelpunkt – dem Täter – aus Gegenstände in alle Richtungen losgeschickt werden und den abgesandten Gegenständen eine Gefahr innewohnt,97 erscheint der Auftragsmord auch als ein Zentrifugaldelikt, bei dem der Auftragsmörder als Mittelpunkt sein Dienstleistungsangebot als Mordservice in alle Richtungen losgeschickt hat und dem Mordservice freilich eine Gefahr innewohnt. Nach Gropps Argumentationslogik lässt sich der wirksame Rechtsgüterschutz immerhin effektivieren, indem das Strafrecht den Auftragsmörder kriminalisiert und die Strafbarkeit des Auftraggebers ausschließt. Diese Folgerung ist aber nicht akzeptabel und der Auftraggeber wird ohne Zweifel mindestens als Anstifter strafbar gemacht. Durch die Konstruktion der Zentripetaldelikte und Zentrifugaldelikte wird letztlich die Verschiedenheit der Beteiligten hinsichtlich des jeweiligen potenziellen Umfangs der Rechtsgutsverletzung bezeichnet. Freilich ist im Vergleich zur Bestrafung des Parts mit dem geringeren Rechtsgutsverletzungspotenzial die Bestrafung des Parts mit dem größeren Verletzungspotenzial effektiver bezüglich des Rechtsgüterschutzes. Aber abgesehen von den Bedenken gegen den Rechtsgüterschutz als Ziel kann man nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass es ein Entweder-oder-Verhältnis zwischen der Bestrafung der beiden Beteiligten gibt und die höhere Effektivität der Bestrafung einer Seite die Strafbarkeit der anderen Seite ausschließt. Darüber hinaus stößt auch der Rückgriff auf verfassungsrechtliche Grundsätze auf Einwände. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades der Verfassungsgrundsätze drängen sich nach Sowada Bedenken gegen die Verwendung einer Munition solch großen Kalibers auf.98 Das Problem von Gropps Ansicht liegt meines Erachtens nicht in der „verfassungsrechtlichen Überhöhung originär strafrechtlicher Auslegungsprobleme“99, sondern in der ungerechtfertigten Hochschätzung der Leistungsfähigkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips.100 Das Prinzip verbietet es, dem einzelnen Lasten aufzuerlegen, die in Hinblick auf die damit verfolgten Ziele nicht in einem instrumentellen Sinne erforderlich und unter normativen Aspekten angemessen sind.101 Beim Rückgriff auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist vor allem klarzumachen, zu welchem genauen Ziel der Einsatz strafrechtlicher Mittel ins Verhältnis gesetzt wird. Das Prinzip ist insofern nichts anderes als eine Leerformel, als die Bezugspunkte der Verhältnismäßigkeitsprüfung regelmäßig offenbleiben.102 Inso97

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 207. Sowada, GA 1995, 68. 99 Sowada, GA 1995, 68. 100 Vgl. etwa Krüger, Entmaterialisierungstendenz, S. 90 f. 101 Vgl. Neumann, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 128. 102 Appel, Verfassung, S. 416; Engländer, ZStW 127 (2015), 627; Neumann, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 133. 98

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

weit hängt die strafrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung von dem zugrundegelegten Verbrechensbegriff ab.103 Ersichtlich schließt Gropp sich der herrschenden Meinung an, dass die Straftat inklusive der Teilnahme eine Rechtsgutsverletzung ist und dementsprechend das Ziel des Strafrechts der Rechtsgüterschutz ist.104 Sofern sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf einen qualifizierten materiellen Rechtsgüterschutz richtet, ist es allen Vorbehalten gegenüber den strafrechtlichen Rechtsgutslehren ausgesetzt. Es ist unstrittig, dass beim strafrechtlichen Rechtsgüterschutz regelmäßig neben den Interessen der potentiellen Opfer auch die Interessen derjenigen Personen betroffen sind, die durch die Verbotsnorm in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden.105 Deswegen dürfen die Straftatbestände nicht einseitig die Interessen einzelner Person schützen, sondern müssen dieses Interesse mit den kollidierenden Interessen anderer in ein ausgewogenes Verhältnis bringen.106 Tatsächlich kann und soll das Strafrecht keinen umfassenden Schutz von Rechtsgütern anbieten, sondern schützt nur Rechtsgüter gegen bestimmt geartete Angriffe.107 Aber wer die Tatbestandsmerkmale vom Standpunkt des geschützten Rechtsguts auslegt, muss diejenige Auslegungsmöglichkeit wählen, bei der die Norm ihrer „eigentlichen Aufgabe – Schutz ihres Rechtsguts – am ehesten und besten nachkommt“108. Die Orientierung auf den Rechtsgüterschutz bei der Auslegung heißt, ein „punitiv wirkendes Superargument“109 in die Auslegung einzuführen. Bezüglich der hier interessierenden Frage wird der optimale Güterschutz erst dadurch erreicht, dass jede unerhebliche periphere Mitwirkung ebenfalls unter Strafe gestellt wird. Die nach Gropp erstrebenswerte reziproke Proportionalität zwischen Rechtsgüterschutz und Strafdrohung – möglichst viel Rechtsgüterschutz bei möglichst wenig Inkriminierung – enthält einen unlösbaren Widerspruch. Soweit das Verbrechen ausschließlich als Rechtsgutsangriff gedeutet wird, bleibt letztlich für den „Abwägungsprozess“ zwischen „der allgemeinen Handlungsfreiheit und schützenswerten Dritteninteressen“110 kein Raum. Der Rechtsgutsdogmatik wohnt eine Expansionslogik inne, weil Güterschutz durch umfassendere Strafbarkeit immer noch „verbessert“ werden kann, ohne je vollständig erreichbar zu sein.111 Wird aber die Interpretation nun durch das 103

Neumann, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 134. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 74 ff. 105 Pawlik, Unrecht, S. 138. 106 Amelung, ZStW 87 (1975), 141; Armin Kaufman, Lebendiges, S. 75 f.; Jakobs, Begriff, S. 76; Frisch, Rechtsgut, S. 225 ff.; Kindhäuser, Gefährdung, S. 150; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 229. 107 Appel, Verfassung, S. 450; v. Hirsch, GA 2002, 7; Jakobs, AT, 2/4; Pawlik, Unrecht, S. 138. 108 Demko, Relativität, S. 151 f.; Kubiciel, Wissenschaft, S. 53 f. 109 Kudlich, JR 2009, 211. 110 Gropp, Sonderbeteiligung, S. 209. 111 Pawlik, Unrecht, S. 139; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 362; Jakobs, ZStW 97 (1985), 753 f.; Fiolka, Rechtsgut, S. 351 ff. 104

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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„Verhältnismäßigkeitsprinzip“ ergänzt, liegt rechtsmethodisch ein unvollkommener Syllogismus vor,112 bei dem ein Ergebnis, etwa die Straflosigkeit der Verursachung einer Störung des öffentlichen Friedens durch Bestellung der betroffenen Schriften,113 nicht mehr aus der Prämisse, § 131 StGB diene dem Schutz des Rechtsguts – öffentlicher Frieden –, abgeleitet werden kann. Gropp räumt ein, dass die Kriminalisierung der Empfänger von Schriften, deren Verbreitung verboten ist, sicherlich ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der Verbreitung von Hetzschriften im Interesse des öffentlichen Friedens sei, jedoch verstoße es gegen den Grundsatz des schonendsten Mittels.114 Dadurch greift Gropp den Subsidiaritätsgedanken auf. Jedoch ist die angebliche strafrechtsbegrenzende Kraft des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zumal der Prüfung der Erforderlichkeit, fragwürdig. Aus den folgenden Gründen bezeichnet das Verhältnismäßigkeitsprinzip eher ein Desiderat rationaler Gesetzgebung als eine rechtlich bindende und überprüfbare Entscheidungsvorgabe für den Einzelfall.115 Erstens lässt sich angesichts der heutigen Expansion des Strafrechts fragen, ob das Strafrecht wirklich als ultima ratio oder vielmehr als sola ratio116 oder prima ratio eingesetzt wird, durch dessen Einsatz gesellschaftliche Entwicklungen gesteuert und Fehlentwicklungen korrigiert werden sollen.117 Es handelt sich tatsächlich bei dem Prinzip der Subsidiarität weniger um einen Grundsatz als vielmehr um die Wunschvorstellung einer letztlich relativ kleinen Gruppe von Strafrechtstheoretikern.118 Tiedemann, der den Grundsatz der Subsidiarität als solchen zwar grundsätzlich anerkennt, meint aber, dass der Anwendungsbereich dieses Prinzips sich auf das klassische Strafrecht beschränkt und sich für das Wirtschaftsstrafrecht Abweichungen vom klassischen Strafrecht ergeben.119 Die Mehrheit der im Bereich der notwendigen Teilnahme diskutierten Delikte gehört gerade nicht zu den klassischen Delikten. Angesichts dieses Umstands mag die Verbindlichkeit einer solchen Wunschvorstellung mit einem Fragezeichen versehen werden. Auch wenn man das Subsidiaritätsprinzip mit Respekt behandelt, ist die Berufung auf dieses Prinzip im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik zweifelhaft. Das Ultimaratio-Prinzip setzt vor allem die Sonderstellung des Strafrechts im Vergleich zu anderen staatlichen Mitteln voraus, z. B. Ordnungswidrigkeitenrecht, Verwaltungsrecht usw. Aber der Satz, dass Strafrecht dem Schutz von Rechtsgütern diene, verweist nicht auf eine spezifische Stellung des Strafrechts im System der gesamten 112

Kubiciel, Wissenschaft, S. 54. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 211. 114 Gropp, Sonderbeteiligung, S. 211. 115 Sternberg-Lieben, Rechtsgut, S. 77. 116 Kindhäuser, ZStW 129 (2017), 384. 117 Vgl. Wohlers, ultima ratio, S. 56; Hassemer, ZRP 1992, 381. 118 Wohlers, ultima ratio, S. 56. 119 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, § 1, Rn. 63; vgl. auch Achenbach, GA 2004, 562; Ransiek, Unternehmenstrafrecht, S. 249. 113

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Rechtsordnung: Rechtsgüter schützt das Verwaltungsrecht durch seine Eingriffsbefugnisse nämlich ebenso, wie dies zivilrechtliche Abwehransprüche und das System der Maßregeln tun.120 Nach Gropp gilt das Ultima-ratio-Prinzip unterschiedslos für Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht, da das Strafgesetz ebenso wie das Ordnungswidrigkeitenrecht zweifellos dem Rechtsgüterschutz dient und ein Mittel eingreifender Verhaltenssteuerung durch Rechtszwang darstellt.121 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ultima-ratio-Argumentation sich eher durch eine unbeweisbare und damit auch unbestreitbare These von der Pflicht zur Beweisführung befreit, als dass sie die These begründet. Ob etwas erforderlich ist, lässt sich aber nur empirisch ermitteln, und gerade deshalb gelten die Anforderungen dieses Grundsatzes nur kontingent. Ferner ist das Erforderlichkeitskriterium erst dort anwendbar, wo die verfügbaren Alternativen gleich effizient sind. Ob etwas effizient ist, ist aber wiederum eine empirische Frage.122 Die Frage nach der Begrenzung des Strafrechts erscheint wie die eine Seite einer Medaille, deren Kehrseite durch die Eigenart und das Selbstverständnis des Strafrechts geprägt ist.123 Diese Medaille existiert in Gropps Ausführung nicht. Er konstatiert ohne weiteres die Straflosigkeit des Abnehmers, weil die Bestrafung des Abnehmers nicht „das schonendste Mittel“ ist; hingegen erörtert Gropp nicht die „Erforderlichkeit“ der Bestrafung des die Schriften vertreibenden Täters. Die Vorgehensweise erweckt den Eindruck, dass der Beitrag zum Rechtsgüterschutz als Grund für die Kriminalisierung ausreicht und es entbehrlich ist, die Verhältnismäßigkeit dieser Kriminalisierung zu beweisen, während die Unverhältnismäßigkeit durchaus zur Entkriminalisierung führen kann. Neumann hält die argumentative Kraft des Verhältnismäßigkeitsprinzip insofern für hoch, als es einer Abwägung mit Gegenargumenten kaum zugänglich und das Argument der Unverhältnismäßigkeit ein typisches Gewinnerargument ist.124 Der Grund dafür, dass „ein entsprechendes typisches Oppositionsargument nicht in Sicht zu sein“125 scheint, liegt der Sache nach nicht in der Überzeugungskraft des Arguments der Unverhältnismäßigkeit, sondern in der nichtssagenden Gestalt dieses Arguments. Die Analyse der Kritik der Unverhältnismäßigkeit ist ein Kampf mit der Phrase. Wer nichts äußert, kann nicht das Schweigen der anderen als Zustimmung betrachten. Sie schweigen, weil es nichts zu einwenden gibt.

120 121 122 123 124 125

Appel, Verfassung, S. 480; Kubiciel, Wissenschaft, S. 136. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 210 f. Greco, Lebendiges, S. 268. Müller-Dietz, FS-R. Schmitt, S. 95; Seher, Strafrecht, S. 77. Neumann, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 136. Neumann, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 136.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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VI. Funktionales Privilegierungsmodell von Sowada Nach Sowada lässt sich die Besonderheit der Begegnungsdelikte dahingehend charakterisieren, dass hier der notwendige Teilnehmer eine „funktionale Doppelrolle“ spielt, nämlich Täter einerseits und Opfer andererseits.126 Der Rechtsgutsgedanke stellt einen geeigneten Anknüpfungspunkt dar, um die Opfereigenschaft des notwendigen Teilnehmers in die Strafrechtsdogmatik zu integrieren.127 Nach dem Wesen des Rechtsguts ist eine Beziehungsstruktur dem Rechtsgutsbegriff immanent, denn der Rechtsgutsbegriff erfasst das Interesse des Rechtsgutsträgers an einem ungestörten Zustand der ihm zugewiesenen Objekte.128 Der Rechtsgutsinhaber kann die ihm zugewiesenen Rechtsgüter überhaupt nicht beeinträchtigen, sondern allein das Rechtsgutsobjekt, weil in seinem Verhalten stets eine besonders geschützte Beziehung sich realisiert, die ihn zum Gebrauch oder auch zur Preisgabe des Rechtsgutsobjekts berechtigt.129 Eine umfassende Straflosigkeit des Tatopfers ergibt sich aus der Tatsache, dass es eines Angriffs der betreffenden Person auf ein auch ihr gegenüber geschütztes Rechtsgut bedarf.130 Sowada hält das weithin geteilte These der straflosen Mindestmitwirkung für unschlüssig; stattdessen müsse die Straflosigkeit speziell im Hinblick auf einzelne Tatbestände begründet werden.131 Im Gegensatz zu der herrschenden Meinung lehnt Sowada unter Rückgriff auf die Bestimmungen der Konkursordnung die Straflosigkeit des auf seine Begünstigung hinwirkenden Gläubigers im Rahmen des § 283c StGB ab.132 Bezüglich des Konsumenten im Fall der Verbreitung pornographischer Schriften (§ 184 Abs. 1 Nr. 3 StGB) sind nach Sowada kriminalpolitische Überlegungen entscheidend für die Straflosigkeit des Konsumenten – die Kriminalisierung des Enderwerbers leistet keinen geeigneten Beitrag zum Rechtsgüterschutz, effektiver erscheint vielmehr die Bestrafung der Anbieter.133 Zweifel an Sowadas Konzeption bestehen vor allem im Hinblick darauf, ob es zutreffend ist, das Zusammentreffen von Täter- und Opferrolle in derselben Person als einzige Besonderheit der notwendigen Teilnahme aufzufassen. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Strafrechtsnormen öffentlichen Charakter haben. Dies erweist sich deutlich an der Frage der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs.134 Geht man von einer privaten Beziehung zwischen Rechtsgutsinhaber und -schädiger aus, ist die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs undenkbar, weil in den Fällen tatsächlich 126 127 128 129 130 131 132 133 134

Sowada, Teilnahme, S. 22. Sowada, Teilnahme, S. 64. Sowada, Teilnahme, S. 82. Sowada, Teilnahme, S. 82 f. Sowada, Teilnahme, S. 87. Sowada, Teilnahme, S. 61, 118 f., 271. Sowada, Teilnahme, S. 171 ff. Sowada, Teilnahme, S. 223 f., 274. Vgl. Renzikowski, GA 2007, 564.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

keine Rechtsgutsverletzung, sogar kein Rechtsgutsrisiko droht. Allerdings wird die reduktionistische Wahrnehmung rechtlicher Konflikte, die der Rechtsgüterschutzlehre eigen ist, nämlich die Straftat als ein intersubjektives Geschehen zwischen Rechtsgutsinhaber und -schädiger erscheinen zu lassen, in Sowadas Ansatz ziemlich vollständig demonstriert. Die überindividuell-gesellschaftliche Dimension der Straftat wird in der Besonderheit der Begegnungsdelikte – die „funktionale Doppelrolle“ des notwendigen Teilnehmers135 – durchaus ausgeblendet. Die auffälligste Folge dieses privaten Straftatbegriffs manifestiert sich in der Schwierigkeit einer Legitimation der eigentlichen Härte des Strafrechts, nämlich zur Verhängung einer höchst einschneidenden Sanktion zu ermächtigen.136 Ginge es nur um einen zwischen dem Opfer und dem Täter bestehenden Konflikt, müsste die staatliche Reaktion im Sinne einer Übelzufügung durch Strafe außen vor bleiben.137 Der Ausgangspunkt, das Begegnungsdelikt durch die „funktionale Doppelrolle“ des notwendigen Teilnehmers zu charakterisieren, übersieht den durch Strafe entprivatisierten Zug des Konflikts zwischen Täter und Opfer und taugt deswegen nicht als strafrechtlich relevanter Angelpunkt für die Problematik der notwendigen Teilnahme. Außerdem ist der Aussage zu widersprechen, dass dem Rechtsgutsbegriff eine Beziehungsstruktur zwischen Rechtsgut und seinem Träger immanent und ein Rechtsgutsangriff des Rechtsgutsinhabers a priori ausgeschlossen ist.138 Erstens herrscht im Feld der Rechtsgutsdogmatik keine Einmütigkeit über die Unverletzbarkeit der Rechtsgüter seitens des Rechtsgutsträgers. Otto139 – ein rechtsgutsfreundlicher Autor – lehnt eine solche Ableitung ab und hält die Verfügungsmacht für maßgeblich: Nur in den Fällen, in denen der Teilnehmer die volle Verfügungsmacht über das Rechtsgut innehat, ist die mittelbare Rechtsgutsverletzung (bei der Teilnahme) sowie die unmittelbare Rechtsgutsverletzung (bei Täterschaft) straflos, weil sie „kein Unrecht, sondern Ausdruck einer von der Rechtsordnung eingeräumten Verfügungsmacht“ ist. Soweit eine Disposition des Rechtsgutsträgers wegen dessen Unterlegenheit unbeachtlich ist, wäre es grob inkonsequent, wollte man dem Willen des Schutzbedürftigen bezüglich der Frage seiner Teilnahmestrafbarkeit volle rechtliche Relevanz beimessen. Deswegen ist der Schluss von der Straflosigkeit der Selbstschädigung auf die Straflosigkeit der Teilnahme an der eigenen Verletzung oder Tötung unzulässig, da die Verfügungsmacht des Betroffenen gesetzlich beschränkt ist (§§ 216, 226a StGB). Die Straflosigkeit des Rechtsgutsträgers stützt sich nach Otto letztlich auf seine besondere psychische Situation. Der Streit zwischen Sowada und Otto lässt sich auf die inhaltliche Unbestimmtheit des Rechtsgutsbegriffs zurückführen. Nach der Rechtsgutslehre wird die 135 136 137 138 139

Sowada, Teilnahme, S. 22. Pawlik, Unrecht, S. 63. Pawlik, Person, S. 90 f.; Renzikowski, GA 2007, 564; Albrecht, Kriminologie, § 45 A. Sowada, Teilnahme, S. 82 f. Otto, FS-Lange, S. 212 f.

A. Analyse der einzelnen Auffassungen

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komplexe Problematik der Strafbarkeit auf die Frage reduziert, ob die betreffende Handlung ein schutzwürdiges Substrat verletzt.140 Auf die Frage, was eigentlich das Substrat ist und unter welcher Voraussetzung das Substrat schutzwürdig ist, vermag die Rechtsgutslehre gleichsam keine systematische oder schlüssige Antwort zu liefern. Nehmen wir § 216 als Beispiel, ist es grundsätzlich unstrittig, dass § 216 StGB das Rechtsgut Leben schützt. Allerdings trägt dieser Hinweis wenig zur Entscheidung über die Strafbarkeit des Opfers als Beteiligten bei. Schon in der Definition des Rechtsguts als reale Beziehung der Person zu konkreten von der Rechtsgemeinschaft anerkannten Werten kommt nach Otto zum Ausdruck, dass der Rechtsgutsbegriff „individuelle“ und „kollektive“ Elemente enthält.141 Nach Sowada lässt sich der Rechtsgutsbegriff nicht ausschließlich statisch definieren und auf die bloße physische Unversehrtheit des Rechtsgutsobjekts abstellen, weil Rechtsgüter Anerkennung verlangen, um dem Einzelnen seine Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern.142 Das lässt die Frage offen, ob das Rechtsgut Leben als subjektives Recht der betreffenden Person, als Wert der Rechtsgemeinschaft oder als Objekt eines Interesses des Einzelnen oder der Rechtsgemeinschaft zu begreifen ist.143 Die herkömmliche Rede vom Rechtsgut ist dadurch charakterisiert, dass „sie das Opfer einer Straftat auf die Rolle des Inhabers eines bestimmten Rechtsgu¨ terbestandes reduziert“.144 Rechtsgüter haben demgemäß „einen objekthaften Charakter, ein seinhaftes Substrat; sie existieren außerhalb eines Subjekts, in der Wirklichkeit der Außenwelt“.145 Gesundheit, körperliche Integrität oder gar das Leben als Rechtsgüter verkörpern „als solche und nicht nur als Dispositionsmasse menschlicher Freiheit einen Wert“146, deshalb können sie gegebenfalls auch gegen den Willen ihres „Trägers“ geschützt werden.147 Das Schutz kann sich nicht nur gegen andere richten, sondern auch gegen den „Träger“. Diese unerwünschte Folge lässt sich durch die Behauptung, dem Rechtsgutsbegriff sei „eine Beziehungsstruktur immanent“, nicht ohne weiteres vermeiden. Zweitens zeigt sich die Inkonsequenz der Aussage, eine Beziehungsstruktur sei „dem Rechtsgutsbegriff immanent“, schon an der Unterscheidung zwischen einem tatbestandsausschließenden Einverständnis und einer rechtfertigenden Einwilligung. Sowada räumt selbst ein, dass eine derartige Kritik nicht im strengen Sinne widerlegt werden kann.148 Wenn nach h. M. überwiegend an einer erst rechtfertigenden Wirkung der Zustimmung festgehalten und damit zugleich der Ausnahmecharakter 140 141 142 143 144 145 146 147 148

Pawlik, Verhalten, S. 48 f.; ders., Unrecht, S. 137; Amelung, FS-Eser, S. 6. Otto, FS-Lange, S. 212 f. Sowada, Teilnahme, S. 82. Kubiciel, Wissenschaft, S. 56, 182 ff. Pawlik, Verhalten, S. 48. M. Marx, Definition, S. 9. Hirsch, FS-Amelung, S. 189. Pawlik, Unrecht, S. 147. Sowada, Teilnahme, S. 84.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

dieses Vorgangs betont wird, so ergibt sich als schlagkräftiger Grund hierfür, dass bereits die physische Unversehrtheit der einzelnen Schutzobjekte einen eigenständigen Rechtswert darstellt. Wenn wirklich die Rechtsgüter als Dispositionsmasse der Freiheit der Person angesehen werden und der materialisierte Personbegriff in den Vordergrund gerückt wird, lässt sich die Differenzierung zwischen Einverständnis und Einwilligung freilich nicht durchhalten. Neben der Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung zeigt sich der Widerspruch in Sowadas Konzeption deutlicher in der Figur „relativer Rechtsgutsbegriff“, mithilfe deren er § 216 zu rechtfertigen versucht. Der Staat gestaltet Sowada zufolge die Konstellationen, in denen es auf die Möglichkeit einer wirksamen Einwilligung bzw. eines wirksamen Einverständnisses ankommt, als zwei Rechtsverhältnisse: Zum einen geht es um die Beziehung des Staates zum Rechtsgutsträger, zum anderen um das Verhältnis zu dem Dritten, dessen Verhalten die Rechtsmäßigkeitsfrage aufwirft.149 Aus dieser Doppelbeziehung will Sowada einen „relativen Rechtsgutsbegriff“ folgern: Was für den einen Beteiligten (nämlich den Rechtsgutsinhaber) keine Rechtsgutsverletzung darstellt, kann umgekehrt für den anderen durchaus eine Rechtsgutsverletzung bilden.150 Gegen diesen Ansatz eines „relativen Rechtsgutsbegriffs“ lassen sich die folgenden Gesichtspunkte anführen. Erstens stellt die Figur „relativer Rechtsgutsbegriff“ eher eine Umgehung als eine Antwort dar. Während bei den einer Einwilligung zugänglichen Delikten die Rechtsbeziehung des Staates zum Dritten abhängig von der Rechtsbeziehung des Rechtsgutsinhabers zum Dritten ist, lässt sich die Abhängigkeit auflösen, wenn der Staat dem Rechtsgutsträger das Recht zur freien Verfügung über das Rechtsgut abspricht und einem Normbefehl gegenüber diesem Dritten unbedingte Geltung verleiht, z. B. durch die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen (§ 216).151 Durch die Verlagerung des Blicks vom Verhältnis zwischen dem Staat und dem Rechtsgutsinhaber auf das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Dritten wird der Frage nach dem Strafgrund des Dritten jedoch lediglich ausgewichen, sie wird aber nicht beantwortet. Wenn die Güter tatsächlich vor allem der Selbstbestimmung des Trägers dienen, bedarf es einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit der Selbstbestimmung, um § 216 zu legitimieren. Statt auf den komplexen Autonomiebegriff einzugehen, führt Sowada ohne weiteres die Figur „relativer Rechtsgutsbegriff“ an, die wenig überzeugend ist. Zweitens führt die Figur „relativer Rechtsgutsbegriff“ aus praktischem Blickwinkel zu unerwünschten Folgen. Hinter der Aussage „relativer Rechtsgutsbegriff“ versteckt sich in Wirklichkeit ein Austausch des geschützten Rechtsguts. Nach Sowadas ursprünglicher Ansicht handelt sich es bei der „Relativität des Rechtsgutsbegriffs“ um die Beziehung unterschiedlicher Subjekte zum identischen Rechtsgutsobjekt. Aber beim Zusammenwirken mehrerer Personen im Fall der 149 150 151

Sowada, Teilnahme, S. 84. Sowada, Teilnahme, S. 85. Sowada, Teilnahme, S. 84 f.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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Tötung auf Verlangen befreit sich der Verlangende wegen der Sonderbeziehung zu seinem eigenen Leben von der Strafbarkeit, während die Strafbarkeit des Sterbehelfers sich auf die Tabuisierung fremden Lebens in der Bevölkerung stützt. Solche Inkonsequenz lässt sich nur auf eine Weise beseitigen, nämlich indem man einräumt, dass das Bezugsobjekt der „Relativität“ das geschädigte Objekt ist. Aber sobald dies der Fall ist, müsste man statt von „Relativität“ eher von Willkürlichkeit bezüglich des Schutzobjekts sprechen. Als eine Beschränkung der Einwilligung würde die „Relativität des Rechtsguts“ mithin dazu führen, dass sich der strafrechtliche Güterschutz in sein Gegenteil verkehrt, weil dem Opfer seine Verfügungsfreiheit dadurch beschnitten wird, dass im Verhältnis des Staates zu dem auf Grundlage der Einwilligung Handelnden eine Verletzung dieses Individualrechtsguts angenommen würde.152 Letztlich liegt der entscheidende Fehler in dem methodischen Widerspruch. Die Selbstbestimmung ist auf die Erzeugung des punktuell erwünschten Ergebnisses zugeschnitten. Begründungen stellen eine spezifische Form kommunikativer Selbstbindung dar.153 Es ist daher unrichtig, wenn der Argumentierende weiter an seiner ursprünglichen Position festhält, während er in einem anderen Segment seiner Theorie die von ihm vorgetragene Begründung erschüttert.154 Die Vorgehensweise, einerseits aus der Selbstbestimmung die Straflosigkeit des das Rechtsgut tragenden notwendigen Teilnehmers resultieren zu lassen, andererseits ohne Rücksicht auf die Selbstbestimmung des Rechtsgutsträgers mithilfe der Figur „Relativität des Rechtsguts“ zur Strafbarkeit des Dritten zu gelangen, entspricht nicht der Forderung nach der Selbstverbindung der Argumentation. Es ist einzuräumen, dass es der Bedeutungsgehalt des Begriffs „relatives Rechtsgut“ zu sein scheint, die Durchbrechung der Akzessorietät zwischen Beteiligten und die Beschränkung der Entlastungsfunktion von Einwilligung gleichzeitig zu begründen. Aber die Richtigkeit und Überzeugungskraft einer Ansicht stellt nicht auf die Bequemlichkeit ab.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden? Nach herkömmlicher Auffassung ist der Begriff der Rechtsgutsverletzung „der harte Fels unseres heutigen modernen Strafrechts“155 und die conditio sine qua non materiellen Kriminalunrechts. Das Rechtsgut geriet zum „Angelpunkt“ der Auslegung und zur Richtschnur für die systematische Klassifikation der Delikte.156 Der Rechtsgutsbegriff als Roter Faden leitet die Lösungen fast aller strafrechtlichen Grundfragen. Die heutige Untersuchung zur notwendigen Teilnahme ist ebenfalls 152 153 154 155 156

Sternberg-Lieben, Schranken, S. 529. Pawlik, Unrecht, S. 85, Fn. 448. Pawlik, Unrecht, S. 85, Fn. 448. Chen, Garantensonderdelikt, S. 274. Swoboda, ZStW 122 (2010), 28 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

stark vom Rechtsgutsdogma geprägt. Es lohnt sich daher, die rechtsgutsdogmatische Orientierung im Bereich der notwendigen Teilnahme zu thematisieren, um die Schwächen der rechtsgutsdogmatisch geprägten Lösungswege eindringlich auf den Punkt zu bringen. Die Orientierung am Rechtsgutsdogma im Bereich der notwendigen Teilnahme lässt sich zuvörderst dadurch aufweisen, dass das Rechtsgutsdogma als ein maßgebliches klassifikatorisches Element fungiert. Bei Gropp werden die Delikte mit notwendiger Teilnahme nach dem Verhältnis zwischen dem Teilnehmer und dem tatbestandlich geschützten Rechtsgut in „selbstverletzende Sonderbeteiligung“ und „fremdverletzende Sonderbeteiligung“ unterteilt.157 Nach Sowada liegt das dogmatische Charakteristikum der Begegnungsdelikte in dem Zusammentreffen der Rolle als Täter und der Rolle als „personales Tatobjekt“.158 Mit dem „personalen Tatobjekt“ ist zum einen das Tatopfer gemeint, zum anderen das Tatobjekt (etwa der Begünstigte in § 283c StGB), das zwar nicht der Inhaber des verletzten Rechtsguts ist, an dem oder durch den aber die Tat erst bewirkt werden kann.159 Ungeachtet der terminologischen Nuancen teilen beide Autoren übereinstimmend die Delikte mit notwendiger Teilnahme in zwei Gruppen: (1) Der notwendige Teilnehmer verletzt sein eigenes Rechtsgut; (2) der notwendige Teilnehmer verletzt fremdes Rechtsgut. Wenn eine Straftat schlicht als Rechtsgutsverletzung begriffen wird statt als Interaktion zwischen mehreren Personen – dies ist vornehmlich bedeutsam für das Beteiligungsproblem –, ist eine solche Unterteilung freilich der einzige denkbare Ausgangspunkt. Außerdem stellt die materielle Begründung der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme durchaus eine genuine Durchführung der Rechtsgutsdogmatik dar. Beharrt man konsequent auf dem Rechtsgutsdogma, liegt es freilich nahe, alle Strafbarkeitszweifel durch die Prüfung zu beantworten, „ob eine strafrechtlich relevante Rechtsgutsverletzung vorliegt“. Um das Kriminalunrecht auszuschließen, kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: entweder besteht hierbei kein strafrechtlich schutzwürdiges Rechtsgut, oder das Rechtsgut wird nicht im bestimmten Sinne verletzt oder nicht so erheblich verletzt, dass eine Strafe zu verhängen ist. Bezüglich der notwendigen Teilnahme bemühen sich die Autoren dementsprechend darum, zum einen irgendwie die These zu begründen, dass der notwendige Teilnehmer als Rechtsgutsinhaber sich nicht als Teilnehmer strafbar machen könne, zum anderen den notwendigen Teilnehmer, der nicht Inhaber des tatbestandlich geschützten Rechtsguts ist, mithilfe des methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriffs und der mit ihm Hand in Hand arbeitenden kriminalpolitischen Erwägungen auf einem topischen Lösungsweg zu behandeln. In der folgenden Ausführung ist zu beweisen, dass infolge eines unterkomplexen Verbrechensverständnisses die Behandlung der

157 158 159

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 134. Sowada, Teilnahme, S. 22 f. Sowada, Teilnahme, S. 22 f.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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notwendigen Teilnahme im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.

I. Rechtsgutsträger als Beteiligte Nach dem in der Literatur einhellig anerkannten Grundsatz ist der durch eine strafrechtliche Norm Geschützte unabhängig von der Art seiner Beteiligung straflos. Denn niemand kann seine eigenen Rechtsgüter in strafrechtlich relevanter Weise angreifen.160 Aus diesem Grund sind der Darlehensnehmer, der von sich aus die Wucherzinsen anbietet, die Jugendliche, die an sexuellen Handlungen i. S. d. § 174 teilnimmt, und das Opfer einer versuchten Tötung auf Verlangen jeweils nicht wegen Mitwirkung an der Verwirklichung der Tatbeständen der § 291, § 174 und § 216 strafbar.161 Diese dezidierte These, dass niemand sein eigenes Rechtsgut in strafbarer Weise angreifen kann, vereinfacht unangemessen die Untersuchung der notwendigen Teilnahme. 1. Die Schwierigkeit bei der notwendigen Teilnahme Es ist vor allem zu erkennen, dass die hier interessierende Frage keine isolierte Frage darstellt; vielmehr bezieht sie sich einerseits auf das Rechtsinstitut der Einwilligung bei eigenverantwortlicher Selbstschädigung, andererseits auf die Mitverantwortung im Fall gemeinsamen Handelns. Nehmen wir den Verlangenden im Fall des § 216 als Beispiel, lässt sich der Strafbarkeitszweifel bezüglich des Verlangenden erst durch eine schrittweise Analyse der folgenden Fragen befriedigend abhandeln: (1) Die Rechtsfolge des Rechtsinstituts der Einwilligung ist zuerst zu begründen, nämlich die These, dass Beeinträchtigungen der Belange, die auf dem vollverantwortlichen Willen des Betroffenen selbst beruhen, nicht nur für den Verletzten, sondern auch für den ausführenden Täter keinen Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote begründen. (2) Anschließend muss man der Ausnahme von der Rechtsfolge der Einwilligung auf eine systematisch überzeugende Weise gerecht werden. Die Legitimationsfrage des § 216 bildet ein Beispiel. (3) Im Bereich der Beteiligung stellt sich schließlich das Problem, auf welche Weise die Strafbarkeit des Verletzten vermieden werden kann, denn nach h. M. wird das Teilnahmeunrecht gemäß dem Akzessorietätsprinzip aus dem Täterschaftsun-

160 Roxin, AT II, § 26, Rn. 44; Sowada, Teilnahme, S. 62 ff.; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 139 ff. 161 Roxin, AT II, § 26, Rn. 44.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

recht abgeleitet. Diese Frage macht das Kernstück der notwendigen Teilnahme aus. Im Rahmen des Rechtsgutsgedankens werden diese drei aufeinander bezogenen Fragen zumeist wie folgt beantwortet: In Bezug auf die erste Frage wird das Argument angeführt: Es gibt keine Rechtsgutsverletzung, wenn eine Handlung auf einer Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, die seine Entfaltungsmöglichkeiten nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil deren Ausdruck ist; denn die Rechtsgüter dienen der freien Entfaltung des Rechtsgutsträgers.162 Wenn beim strafrechtlichen Individualschutz zum Rechtsgut nicht nur der Gegenstand gehört, sondern auch die Befugnis, über den Gegenstand zu verfügen,163 ist bezüglich der zweiten Frage die Möglichkeit ausgeschlossen, durch das Fehlen der Verfügungsbefugnis des Verletzten die Strafbarkeit des ausführenden Täters im Fall des § 216 zu legitimieren. Im Lichte des Rechtsgutsgedankens stellt es einen folgerichtigen Lösungsweg dar, neben dem Leben des Verletzten ein anderes Rechtsgut in § 216 hineinzulesen. Deswegen erblickt die gängige Auffassung die Legitimation des § 216 im Schutz des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Achtung des menschlichen Lebens. So wird argumentiert, dass die Fremdtötung ein Tabu bleiben müsse, das keine Ausnahme kenne; ansonsten bestehe eben die Gefahr einer Ausuferung.164 Anschließend drängt sich doch die Frage auf, ob der Verlangende akzessorisch als Anstifter des § 216 strafbar ist. Denn nach dem herrschenden Zurechnungsvorgang der Teilnahme ist zuerst das Unrecht des Haupttäters, genauer gesagt des eigenhändigen Ausführenden, zu bestimmen; sodann wird die Strafbarkeit des Teilnehmers anhand des Akzessorietätsprinzips begründet. Aus dem gesetzgeberischen Motiv des § 216, die Tabuisierung fremden Lebens in der Bevölkerung durchzusetzen, ergibt sich kein immanenter Vorbehalt gegen die Geltung des Akzessorietätsprinzips und damit gegen die Strafbarkeit des Verlangenden als Anstifter. Denn es geht hier nicht mehr um das individualistische Rechtsgut Leben des Verlangenden, sondern um ein überindividuelles Rechtsgut. Dies läuft darauf hinaus, dass der Sterbewillige verpflichtet ist, zur Aufrechterhaltung der „Wertschätzung des Lebens in der sozialethischen Anschauung der Bevölkerung“165 beizutragen. Hier droht tatsächlich die Gefahr, dass das Rechtsgut so selbständig von seinem Träger ist, dass der Wille des Rechtsgutträgers, eben weil er nur „Träger“ sei, den angeblichen Interessen Dritter nachgeordnet wird.166 Um diese Folge zu umgehen, wendet sich die h. M. ohne weiteres zu der These, dass die Teilnahme insofern selbständig ist, als

162 163 164 165 166

Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Sowada, Teilnahme, S. 82 ff. Roxin, AT I, § 13, Rn. 13. Duttge, GA 2006, 573, 576; Schöch/Verrel, GA 2005, 582 f.; Hirsch, FS-Welzel, S. 791. So Dölling, GA 1984, 87. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 357.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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diese Zurechnung nur dann erfolgt, wenn sich die Mitwirkung gleichzeitig als eigener Rechtsgutsangriff des Teilnehmers darstellt.167 Aber diese These vermag einer Prüfung schon im Rahmen einer immanenten Analyse nicht standzuhalten. Durch die Geschmeidigkeit des Rechtsgutsbegriffs wird die Begründungsarbeit erleichtert, weil das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Achtung des menschlichen Lebens mühelos und unauffällig als Rechtsgut qualifiziert werden kann.168 Infolgedessen dient § 216 nicht mehr dem Schutz des Rechtsguts Leben des betreffenden Opfers, sondern der „Tabuisierung fremden Lebens“ und dem Präventionszweck. Nur wenn § 216 allein auf den Lebensschutz der Sterbewilligen abzielt, scheint der Grundsatz – dass der durch einen Tatbestand Geschützte unabhängig von der Art seiner Beteiligung straflos ist – ein taugliches Argument zu sein.169 Somit lässt sich mit Bloy sagen, dass der Teilnehmer, auch wenn er nicht direkt gegen das Tötungsverbot verstößt, zur Verantwortung gezogen wird, weil er sich gegen den Achtungsanspruch des Rechtsgutes richtet, der von der Verhaltensnorm ausgeht.170 Deswegen müssen die Vertreter der h. M. die Gründe dafür liefern, warum der Verlangende sich von der Verpflichtung befreit, das Tötungstabu zugunsten anderer Personen zu festigen. Durch die Anerkennung des Tötungstabu als Rechtsgut scheint die Legitimationsfrage des § 216 auf eine bequeme Weise gelöst zu werden. Aber der einfachste Weg ist zumeist verkehrt. Das akzessorische Unrecht des Sterbewilligen lässt sich nicht durch die Aufstellung des „selbständigen Rechtsgutsangriffs“ als Strafbarkeitsvoraussetzung der Teilnahme oder durch die Anerkennung eines „relativen Rechtsgutsbegriffs“ einfach umgehen. Denn eine These, deren innerdogmatische Berechtigung zweifelhaft geworden ist, lässt sich nicht auf dem Umweg über die aus ihr resultierenden erwünschten Ergebnisse retten. 2. Das Rechtsinstitut der Einwilligung und die Akzessorietät der Teilnahme In der Tat findet das Dilemma, das bei der dritten Frage auftritt, seine Wurzel in der ersten Frage, nämlich dem Rechtsinstitut der Einwilligung. Denn das Rechtsinstitut der Einwilligung ist mit derselben Legitimationsfrage konfrontiert wie die Akzessorietät der Teilnahme und stützt sich auch auf denselben Grundsatz, nämlich eine auf der Handlungsfreiheit basierende interpersonale Verbindung. Aber nach Gropp unterscheiden sich die beiden Fragen voneinander, nämlich die Straflosigkeit des Dispositionsbefugten als Teilnehmer und die Straflosigkeit infolge Einwilligung: Die Einwilligungslehre bezieht sich auf den Täter der tatbestandsmäßigen Handlung und erarbeitet daher die hinreichenden Bedingungen dafür, den Täter straflos zu stellen, während es kein Problem der Einwilligungslehre ist, ob der 167 168 169 170

Roxin, AT I, § 26, Rn. 11; Sowada, Teilnahme, S. 85; Redmann, Anstiftung, S. 40. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 357 f. Ähnliche Kritik vgl. Camargo, FS-Kindhäuser, S. 63. Bloy, Beteiligungsform, S. 263.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Einwilligende als Teilnehmer der tatbestandsmäßigen Handlung in Frage kommt.171 Wenn die wirksame Einwilligung das Unrecht der Haupttat ausschließt, ist eine akzessorische Teilnahme schon rein begrifflich unmöglich; hingegen ist die Teilnahmelehre auf den Plan gerufen und gelangt somit das Akzessorietätsprinzip zur Geltung, sobald sich nach der Einwilligungslehre die Unwirksamkeit der Einwilligung ergibt.172 Diese unzutreffende Position lässt sich auf die beiden Grundüberzeugungen im Bereich der Beteiligung zurückführen: Zum einen stellt man bei der Zurechnung der Beteiligten auf das Kriterium der faktischen Tatherrschaft ab, genauer gesagt auf die Eigenhändigkeit; zum anderen herrscht ein vordergründiges Verständnis der Akzessorietät der Teilnahme, nach dem die Teilnahme eine tatbestandsmäßige rechtswidrige Haupttat voraussetzt. Sobald man auf die Eigenhändigkeit als Ausgangspunkt der Zurechnung der Teilnahme und das formelle Verständnis der Akzessorietät der Teilnahme verzichtet, offenbart sich der Berührungspunkt zwischen Einwilligung und Akzessorietät. Vor allem ist es bei näherer Betrachtung des gängigen Zurechnungsmodells der Beteiligung merkwürdig, dass im Rechtsinstitut der Einwilligung der Befugte eine maßgebliche Rolle für die Zurechnung spielt und der Ausführende „akzessorisch“ als straflos bestimmt wird, während man im Bereich der Beteiligung vom Ausführenden ausgeht, der angeblich die Tatherrschaft besitzt, und das Unrecht des Befugten umgekehrt „akzessorisch“ bestimmt wird. Der Konflikt zwischen Beteiligungslehre und Einwilligungsdoktrin wird schon vereinzelt bemerkt: „Das an den Dritten gerichtete Verlangen des Rechtsgutsinhabers nach einem Eingriff in das Rechtsgut soll nicht als Selbstverwirklichung gesehen werden.“173 In einem typischen Fall, wenn in der Terminologie der Rechtsgutstheorie das Rechtsgut disponibel ist, führt die aufgespaltene Betrachtungsweise scheinbar zu keinem misslichen Ergebnis, weil die Straflosigkeit des Befugten formal erklärt wird: Da die Haupttat aufgrund der Einwilligung kein Unrecht begründet, ist der Befugte als Teilnehmer mangels rechtswidriger Haupttat straflos. Sobald aber der Bereich erreicht ist, in dem der Ausführende nach positivrechtlicher Regelung strafbar ist, führt diese aufgespaltene Betrachtungsweise unvermeidbar zu Schwierigkeiten beim Strafbarkeitszweifel des Befugten als Teilnehmer. Es drängen sich Bedenken auf, ob die Orientierung an der faktischen Tatherrschaft bei der Zurechnung normativ sachgerecht ist, die für die aufgespaltene Betrachtungsweise verantwortlich ist. Speziell bei der Tötung als Erfolgsdelikt wird seitens der Tatherrschaftstheorie durch die besondere Gewichtung der „letzten“ Ursache eine emotionale Anlehnung an das Konzept der Eigenhändigkeit vorgenommen.174 Aus diesem Grund wird der strukturelle Unterschied zwischen der Teilnahme an einer Selbstverletzung und der täterschaftlichen Verletzung des einwilligenden Opfers weitgehend bewusst oder unbewusst anerkannt. 171 172 173 174

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 141. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 141 f. Arzt, FS-Geppert, S. 10. Arzt, FS-Geppert, S. 10.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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Diese separate Behandlung deutet schon die These an, dass die Teilnahme an einer Selbstverletzung nicht deshalb straflos sei, weil das Verhalten durch die autonome Entscheidung des Opfers „abgedeckt“ ist, sondern weil sie nicht Täterschaft sei – unter Berufung auf das formale Akzessorietätsargument. In diesem Fall wird der Autonomiegedanke in den Hintergrund gedrängt, dessen Dominanz maßgeblich sein soll.175 Zudem speist sich Gropps Position aus einer Verkennung der Akzessorietät der Teilnahme. Wenn die Akzessorietät lediglich als Anforderung einer tatbestandsmäßigen rechtswidrigen Haupttat für das Unrecht der Teilnahme begriffen wird, scheint die Akzessorietät der Teilnahme mit dem Rechtsinstitut der Einwilligung nichts zu tun zu haben. Aber wenn aufgrund eines formellen Verständnisses der Akzessorietät als Strafgrund der Teilnahme schlicht deren tatbestandliche Voraussetzungen aufgezählt werden, fehlt immer eine eigenständige Aussage darüber, was es überhaupt rechtfertigen könnte, den Teilnehmer am fremden Unrecht der Haupttat partizipieren zu lassen.176 Es handelt sich bei der Akzessorietät nicht um die bloße Nennung der Strafbarkeitsvoraussetzung der Teilnahme durch Auslegung des geltenden Rechts, sondern um die Legitimation, warum eine Person für eine fremdhändige Ausführung zuständig ist. Nur dadurch erhält das Akzessorietätsprinzip ein tragfähiges theoretisches Fundament. Deswegen lässt die Straflosigkeit des Einwilligenden als Teilnehmer sich nicht schlicht darauf zurückführen, dass kein Unrecht der Haupttat vorliegt und somit eine akzessorische Teilnahme begrifflich undenkbar ist. Der Sache nach beziehen sich Einwilligung und Akzessorietät auf dieselbe Frage: Unter welchen Voraussetzungen ist eine interpersonale Verbindung möglich, die eine Verantwortung für fremdhändige Ausführung zu begründen vermag? Im Rechtsinstitut der Einwilligung entfällt der Schutz vor fremden Eingriffen in die eigene Rechtssphäre durch die Einbindung fremder Organisation in eigene.177 Dementsprechend besagt die Akzessorietät der Teilnahme nichts anderes, als dass eine autonome Person durch die Einbindung fremder Organisation in eigene die Verantwortung für fremdes Handeln trägt. Auf die beiden Rechtsinstitute lässt sich eine identische Formel anwenden: Durch autonome Entscheidungen autonomer Personen können die Organisationskreise dergestalt verwoben werden, dass fremdes Handeln normativ als eigenes gilt.178 Wenn man bei der Zurechnung den Akzent auf die auf der Autonomie basierende strafrechtlich relevante Verbindung legt, wird auch die Schwierigkeit bei der Zurechnung des Nicht-Ausführenden überwunden. Der Berührungspunkt zwischen dem Rechtsinstitut der Einwilligung und der Akzessorietät wird gleichsam nicht allgemein zur Kenntnis genommen. Aber erinnert man sich an die im Rahmen des Rechtsgutsdogmas angebotene Begründung zur 175 176 177 178

Frisch, Verhalten, S. 116 f.; Derksen, Handeln, S. 240 f.; Fiedler, Strafbarkeit, S. 153 ff. Schumann, Handlungsunrecht, S. 43, 46 f. Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 139. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 646.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Rechtfertigung der Rechtsfolge der Einwilligung und der Straflosigkeit des Rechtsgutsträgers als Teilnehmer, kann man leicht bemerken, dass in den beiden Fällen die Begründung ebenfalls auf dem gleichen Prinzip beruht, nämlich der Beziehung zwischen dem Rechtsgutsträger und dem Rechtsgut und damit der Unmöglichkeit einer Rechtsgutsbeschädigung durch den Rechtsgutsträger selbst. Gerade deswegen trägt die rechtsgutsdogmatisch geprägte Begründung zur Einwilligung den Keim der Unlösbarkeit der Frage im Bereich der Beteiligung schon in sich, weil eine interpersonale Beziehung zwischen den Betroffenen, die doch der Schlüssel für die Rechtsinstitute der Einwilligung und der Beteiligung ist, im Zusammenhang des Rechtsgutsbegriffs unmöglich ist. Die folgende Ausführung versucht diesen Befund zu untermauern. 3. Vermittlungsfunktion des Rechtsgutsbegriffs? Im Lichte der Rechtsgutsdogmatik werden die Betroffenen und das Verhältnis zwischen ihnen ausnahmslos durch Orientierung am Rechtsgutsbegriff aufgefasst. Die Person ist nicht mehr „dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind“179, oder „der gedachte Zusammenhang der Belegenheit und der Verwaltung von Rechten und Pflichten“180, sondern wird zum „Rechtsgutsverletzer“ und „Rechtsgutsträger“181 herabgesetzt. Die Rechtsgüter als Emanation der Persönlichkeit,182 die der Person dabei helfen sollen, „als Idee zu sein“183, spielen umgekehrt eine herrschende Rolle in der Definition der Person. Der Rechtsgutsbegriff als Leitidee führt zwangsläufig zur Entleerung der Personen. Die lediglich als Rechtsgutsträger in Erscheinung tretende einzelne Rechtsperson wird nicht nur ontisch, sondern auch normativ in die zweite Reihe abgedrängt.184 Aber im Fall der Einwilligung und Beteiligung muss das Kalkül aller beteiligten Akteure in das Beurteilungsschema einbezogen werden. Nach der Rechtsgutsdogmatik ist die Konstruktion der Beziehung zwischen den Betroffenen allein auf die Vermittlungsfunktion des Rechtsgutsbegriffs angewiesen. Statt auf Überlegungen zur interpersonalen Beziehung fokussieren sich die Rechtsgutsdogmatiker darauf, durch Bearbeitung des Rechtsgutsbegriffs den strafrechtlich relevanten Rechtsgutsangriff im einschlägigen Fall auszuschließen und dann die Beziehung zwischen den Betroffenen nur reflexartig zu berühren. Bei der Legitimation des Rechtsinstituts der Einwilligung und der Begründung der Straflosigkeit des Rechtsträgers als Teilnehmer betonen die Rechtsgutsdogmatiker die immanente Komponente des Rechtsgutsbegriffs, dass die Rechtsgüter dem 179 180 181 182 183 184

Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, AB 22. Jakobs, Begriff, S. 74; ders., System, S. 27. Statt vieler vgl. M. Heinrich, 2. FS-Roxin, S. 149 ff. C. Müller, Wille, S. 5, 83. Hegel, Grundlinien, § 41. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 359 f.; Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 357.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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einzelnen seine Entfaltungsmöglichkeiten sichern.185 Durch Abgrenzung des Rechtsguts vom Rechtsgutsobjekt ermöglichen sie erst die These, dass allein eine Beschädigung des Rechtsgutsobjekts gegeben ist, die aber kein Angriff auf das Rechtsgut ist, sondern ein Ausdruck der freien Entfaltung des Rechtsgutsträgers.186 Der Lösungsweg stützt sich auf die Prämisse, dass sich Rechtsgutsobjekt und Rechtsgut nicht verwechseln lassen. Wenn diese Prämisse als unhaltbar erweist wird, verstrickt sich die Vermittlungsfunktion des Rechtsgutsbegriffs in Schwierigkeiten. Die Frage stellt sich, ob die Unterscheidung von Rechtsgütern und Rechtsgutsobjekten, die auf die Herstellung einer Beziehung zwischen dem Rechtsgut und seinem Träger abzielt, mit dem Rechtsgutsbegriff vereinbar ist. Nach hiesiger Meinung ist die Antwort Nein. Vor allem ist die Rechtsgutsdogmatik mit der Frage konfrontiert, was das Rechtsgut ist. Jeder Gegenstand muss durch Unterscheidung von anderem bestimmt werden.187 Die gängige Strafrechtsdogmatik versucht durch Auswahl der strafrechtlich geschützten Objekte das Rechtsgut zu bestimmen.188 Exemplarisch werden die guten Sitten und die Moral grundsätzlich von den strafrechtlich geschützten Rechtsgütern ausgeschlossen. Der Terminus „Rechtsgut“ beinhaltet wörtlich jedoch zwei Komponenten, zum einen das „Gut“, zum anderen das „Recht“. Die herkömmlichen Definitionen beschäftigen sich lediglich mit der zweiten Komponente, nämlich etwas als strafrechtlich geschützt zu bestimmen. Aber ein solches Unternehmen setzt die Überzeugung voraus, dass Rechtsgüter und Nicht-Rechtsgüter in ihrer Eigenschaft als „Gegenstände“ übereinstimmen.189 Wovon werden Güter ihrerseits unterschieden, wenn sie als „Gegenstände“ qualifiziert werden? Als Antwort kommt ausschließlich in Betracht, dass die Güter von ihren Trägern abgegrenzt werden.190 In der neueren Literatur wird diese Gegenüberstellung wieder deutlich demonstriert. Um die Idee des Rechtsgüterschutzes zu verfeinern, werden nach M. Heinrich bei dem Drei-Stufen-Schema des Rechtsgüterschutzes die drei folgenden Fragen geprüft: (1) Was soll geschützt werden? (2) Wer soll geschützt werden? (3) Wovor soll geschützt werden?191 Aus der getrennten Behandlung und der Abfolge von Frage (1) und (2) ergibt sich schon, dass zum einen im Rahmen des Rechtsgutsdogmas ein Träger nicht identisch mit dem Gut ist, das er trägt, und dass zum anderen im Vergleich zum Rechtsgutsträger das geschützte Gut im Vordergrund steht. Die nachträgliche Ergänzung und der entschiedene Nachdruck darauf, dass die Rechtsgüter nicht allein um ihrer selbst willen geschützt sein können, sondern dass sie stets nur eingedenk ihrer Zuordnung zu einem außerhalb ihrer selbst stehenden 185 186

80. 187 188 189 190 191

Roxin, AT I, § 13, Rn. 12; ders., GS-Noll, S. 275; Sowada, Teilnahme, S. 82. Roxin, AT I, § 13, Rn. 12; Sowada, Teilnahme, S. 83; Rudolphi, in: SK, § 228, Rn. 68, Pawlik, Normbestätigung; ders., FS-Kindhäuser, S. 354. Roxin, AT I, § 2, Rn. 1 ff. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 354. Beck, Unrechtsbegründung, S. 83 f. M. Heinrich, 2. FS-Roxin, S. 148 ff.; Roxin, GA 2013, 440 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Rechtssubjekt Schutz genießen,192 offenbart die immanente Möglichkeit des Rechtsgutsbegriffs: Es ist wenigstens begrifflich möglich, sogar konsequent, dass ein Rechtsgut unabhängig vom „außerhalb ihrer selbst stehenden Rechtssubjekt“ existiert. Denn wäre das nicht der Fall, liefe diese Ergänzung leer. Das Rechtsgutsdogma begibt sich damit unausweichlich in ein Dilemma: Einerseits erlangt die Figur Rechtsgut ihre Bestimmtheit erst in ihrer Eigenschaft als sich vom Rechtsgutsträger unterscheidender Gegenstand; andererseits erlangt die Rechtsfigur ihre Leistungsfähigkeit nur durch Vernachlässigung, sogar Abweichung von ihrer genuinen Eigenschaft. Offenbar existiert im Rechtsgutsbegriff ein Spannungsverhältnis zwischen der Bestimmtheit als Begriff und der Aussagekraft. Diese immanente Trennung lässt sich durch die Behauptung, die Verfügungsfreiheit sei immanenter Bestandteil des Rechtsguts, nicht so leicht verschleiern. Der Preis, den die Rechtsgutsdogmatik für die Bestimmtheit als Begriff bezahlen muss, ist der, dass Träger und Gut selbständige und voneinander unabhängige Entitäten sind.193 Denn wenn die Vertreter des Rechtsgutsbegriffs wirklich der Freiheit der Person den Vorrang vor den Rechtsgütern verleihen, vertreten sie im Grunde genommen nicht mehr den Rechtsgutsbegriff als strafrechtliche Grundkategorie, sondern „die Freiheit in ihrer konkretesten Gestaltung“.194 Die Rede von der „Freiheit des Rechtsgutsträgers“ schließt wie die Rede von einem „Kahlkopf mit dichtem Haupthaar“ einen unübersehbaren Widerspruch in sich: Wenn die Freiheit des Subjekts wirklich respektiert wird, lässt sich das Subjekt nicht mehr als „Rechtsgutsträger“ bezeichnen; wenn das Subjekt als „Rechtsgutsträger“ behandelt wird, wird die Autonomie nicht wirklich ernst genommen. Zusammenfassend kann man sagen: Rechtsgüter können im Sinne des Strafrechts nur „einen objekthaften Charakter, ein seinhaftes Substrat haben; sie existieren außerhalb eines Subjekts, in der Wirklichkeit der Außenwelt“.195 Denn nur durch Distanzierung von seinen Trägern verschafft sich die Figur „Rechtsgut“ ihre Bestimmtheit.196 Es gibt zwar durchaus unterschiedliche Stimme innerhalb der Rechtsgutsdogmatik. Die Ansicht, Rechtsgut und Verfügungsmacht seien gewissermaßen getrennt, ist nicht selten: Nicht die Rechtsgutsträgereigenschaft, sondern die vom Gesetz eingeräumte Dispositionsbefugnis sei maßgeblich.197 Doch auch wenn man den Einwand gegen die „immanente“ Verfügungsfreiheit des Rechtsguts beiseitelässt, ist dem Streit innerhalb des Rechtsgutsdenkens kaum Bedeutung zuzumessen. Wir nehmen das Rechtsinstitut der Einwilligung als Beispiel: Es ist gleichgültig, ob man das Unrecht aufgrund der „immanenten“ Verfügungsfreiheit des Rechtsguts oder 192

M. Heinrich, 2. FS-Roxin, S. 150 f. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 354. 194 Hegel, Grundlinien, § 33 Z (S. 91); Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 363; ders., Hegel, S. 256 ff. 195 M. Marx, Definition, S. 9; Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 353. 196 Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 354. 197 Otto, FS-Lange, S. 211 f.; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 140 ff. 193

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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nach dem Prinzip des mangelnden Interesses aufgrund eines „durch das Selbstbestimmungsrecht legitimierten Verzichts auf Rechtsschutz“ ausschließt – der Schwerpunkt liegt stets in dem Verhältnis zwischen dem Opfer und seinem Rechtsgut. In solcher Begründung spielt der Verletzer keine Rolle und ist lediglich reflexartig betroffen. Das Kalkül der beteiligten Akteure lässt sich nicht in das Beurteilungsschema einbeziehen. Bezüglich des Rechtsinstituts der Einwilligung entsteht ein Vakuumbereich zwischen dem Einwilligenden und dem Täter. Aber die Einwilligung ist letztlich eine Ausnahme vom gängigen Verständnis des Selbstverantwortungsprinzips, nach dem jeder für sein eigenes Tun Verantwortung trägt. Selbst wenn der Rechtsgutsbegriff durch die hinzugesetzte Verfügungsbefugnis erklären würde, warum der Rechtsgutsinhaber bei Verletzung seines eigenen Rechtsguts regelmäßig straflos ist, bleibt noch im Dunkeln, aus welchem Grund unter strafrechtlichen Aspekten Selbsthandeln und vom Rechtsgutsträger gewolltes Dritthandeln im Rahmen der freien Verfügbarkeit keinerlei Bewertungsdifferenz begründen. Das Vakuum zwischen dem Täter und dem Einwilligenden schließt die Möglichkeit aus, den qualitativen Sprung von der Verantwortung nur für eigenes Handeln zur Verantwortung für fremdes Handeln als eigenes zu legitimieren. Die Schwierigkeit zeigt sich im Begründungsvorgang der Rechtsgutsdogmatiker. Mit vielen lebendigen Beispielen versucht Roxin darzustellen, dass die beiden Konstellationen, dass ich meine Haare selbst schneide oder aber schneiden lasse, als sozial gleichbedeutende, vollkommen einwandfreie, niemandes Rechtsgüter verletzende Verhaltensweisen eine gleiche strafrechtliche Behandlung verdienen.198 Der Befund entspricht freilich der intuitiven Vorstellung. Doch so „selbstverständlich“ er im Ergebnis sein mag, so schwierig ist die Begründung. Es ist nicht überraschend, dass Roxin keine stichhaltige Begründung zu seiner These anführt. Aufgrund des Geburtsfehlers des Rechtsgutsbegriffs ist die Begründung tatsächlich für die Rechtsgutsdogmatiker eine Überforderung. Um real frei sein zu können, bedarf die Person eines Fundus buchstäblich handgreiflicher Ressourcen.199 Deswegen hat der Rechtsgutsbegriff eine vordergründige ontologische Plausibilität, die sich jedoch im Bereich vom Eigentum und Vermögen erschöpft.200 Indem das Eigentum als „Sammelbezeichnung für die Befugnis des Rechtsträgers“201 aufgefasst wird, erklären die Vertreter des Rechtsgutsbegriffs scheinbar die Rechtsfolge der Einwilligung als einen zwangsläufigen Erfolg des Eigentumsbegriffs. Aber sobald man das Gebiet des Eigentums verlässt, ist es um die Überzeugungskraft des Rechtsgutsbegriffs rasch geschehen.202 Denn man kann den Körper, das Haar, das Leben nicht nach Maßgabe des Eigentums begreifen. Die Formulierung, dass man seinen Körper, 198 199 200 201 202

Roxin, FS-Amelung, S. 272. Pawlik, Verhalten, S. 46. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 355. Roxin, AT I, § 13, Rn. 12. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 355.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

sein Leben besitzt oder trägt, um seine Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern,203 stellt eine ontologische Unangemessenheit dar,204 die sich nicht mithilfe des Wortes „Rechtsgut“ bewältigen lässt. Es überrascht deswegen nicht, dass die Disposition eines Sacheigentums immer als der exemplarische Fall bei der Begründung der Rechtsfolge der Einwilligung angeführt wird. Denn es gibt hier keine andere Option für die Vertreter des Rechtsgutsbegriffs. Mit Nachdruck behaupten die Rechtsgutsdogmatiker immer, dass das Rechtsgut nicht von seinem Träger abgespalten werde.205 Diese Behauptung offenbart die gegebene Trennung zwischen Rechtsgut und seinem Träger und die Möglichkeit, dass die beiden voneinander abgespalten werden können. Kurzum: die Figur des Rechtsguts ist leider dem Rechtsgutsobjekt zu nah, und zu fern von der Person. Im Grunde genommen drückt Roxin durch seine Beispiele in der Tat die folgende These aus: Unter bestimmten Voraussetzungen lässt sich die fremdhändige Ausführung als eigenhändige ansehen. Aber die Begründung der Verantwortung für fremdes Handeln als eigenes setzt vor allem voraus, dass der Einwilligende eine zurechnungsfähige Person sein muss, statt bloß ein Rechtsgutsträger zu sein. Nur eine zurechnungsfähige Person kann die fremde Organisation in die eigene einbinden. Ein durch den Rechtsgutsbegriff definiertes Menschenbild ist nicht in der Lage, einen tragfähigen Grund für die Verantwortung für fremdhändige Ausführung zu liefern. Im Vakuum lässt sich eine normative Verbindung weder konstruieren noch abschaffen. Deswegen kann man zusammenfassend sagen: Der verhängnisvolle Einfluss des Rechtsgutsdogmas manifestiert sich bereits im Rechtsinstitut der Einwilligung vollständig, und die Schwierigkeiten mit der Problematik der notwendigen Teilnahme sind nichts anderes als wiederholte Erscheinungen des Geburtsfehlers des Rechtsgutsdogmas.

II. Rechtsgutsdogma und Auslegung der Einzeltatbestände Zu beobachten ist zunehmend die Ansicht, dass der Lösungsschlüssel der Problematik der notwendigen Teilnahme primär in der Auslegung der je betroffenen Einzeltatbestände im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches liege.206 Mit der Aussage ist gemeint, dass der „immanente Inhalt“ des Rechtsgutsbegriffs in Fällen, in denen der notwendige Teilnehmer kein Träger des verletzten Rechtsguts ist, nicht helfen kann und das Argumentationsvakuum durch auslegungsmethodische und kriminalpolitische Aspekte ausgefüllt werden muss.207 Vorstehend wurde bereits bewiesen, dass die Hinzufügung der Verfügungsfreiheit zum Rechtsgutsbegriff mit 203

Sowada, Teilnahme, S. 82. Pawlik, FS-Kindhäuser, S. 355. 205 Sowada, Teilnahme, S. 82; M. Heinrich, 2. FS-Roxin, S. 150. 206 Wolter, JuS 1982, 344; Jescheck/Weigend, AT, S. 699; O. Magata, Jura 1999, 246 ff.; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 98; Sowada, Teilnahme, S. 164 ff. 207 Sowada, Teilnahme, S. 164 ff. 204

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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der Bestimmtheit des Begriffs kollidiert und deswegen der Problematik der notwendigen Teilnahme nicht gerecht werden kann. Im Folgenden wird zuerst die Ratlosigkeit der einseitigen Fokussierung auf die Einzeltatbestände mithilfe eines „methodisch-teleologischen“ Rechtsgutsbegriffs am Beispiel des § 283c und des § 184 I 3 illustriert. Sodann wird darauf hingewiesen, dass sich die einseitige Hervorhebung der Auslegung der Einzeltatbestände aus einer Verkennung der allgemeinen Verbrechenslehre speist und die interpretatorische Ergiebigkeit der Einzeltatbestände nicht überschätzt werden darf. 1. Die Ratlosigkeit der rechtsgutsbezogenen Lösungswege Bezüglich § 283c gelangen Gropp und Sowada trotz einstimmiger Ablehnung der Geltung des Mindestmitwirkungsprinzips durch eine Fokussierung auf die Einzeltatbestände zu gegensätzlichen Folgerungen. Die beiden Autoren teilen miteinander den Ausgangspunkt, dass § 283c dem Schutz der Gläubigerinteressen und allgemeiner Belange der Gesamtwirtschaft bzw. der Funktionsbedingungen der Kreditwirtschaft dient. Aber nach Gropp reicht die Bestrafung des Schuldners schon für den Schutzzweck des § 283c aus, es sei denn, der Gläubiger lässt sich „vor den Karren des Schuldners spannen“208 ; bei Sowada hingegen lässt sich das Ziel nur erreichen, wenn der mitwirkende Gläubiger bestraft wird; dies gilt auch dann, wenn sich die Mitwirkung des Gläubigers auf die Entgegennahme der inkongruenten Leistung beschränkt.209 Bei identischem Schutzzweck kann man also zu gegenteiligen Schlüssen in Bezug auf die Strafbarkeit einer bestimmten Handlung gelangen, denn das Problem, in welchem Umfang andere Personen für die Integrität dieses Rechtsgutes verantwortlich gemacht werden können, ist praktisch weitaus bedeutsamer als der durch den Rechtsgutsbegriff bezeichnete Schutzzweck.210 Deswegen soll eine strafrechtlich leistungsfähige Grundkategorie dafür zumindest eine Weichenstellung anbieten. Um klarzumachen, wie der Rechtsgutsbegriff auf die Aufforderung reagiert und ob die Reaktion gelungen ist, bedarf es einer genaueren Betrachtung der rechtsgutsbezogenen Argumentation. Sowada zieht zunächst den herkömmlichen Kanon der Auslegungsmethoden heran. Ihm zufolge ist der auf den Wortlaut bezogene grammatikalische Aspekt unergiebig, weil ein Verhalten, das zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes denknotwendig ist, dem Begriffskern der „Beihilfe zu § 283c StGB“ zugeordnet werden kann.211 Die Erklärungskraft der historischen Auslegungsmethode dürfe ebenfalls nicht überschätzt werden, obwohl die Gesetzesmaterialien eine legislatorische Privilegierungsabsicht ausdrücken.212 In systematischer Hinsicht bestehen 208 209 210 211 212

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 228. Sowada, Teilnahme, S. 172 ff. Pawlik, Unrecht, S. 127. Sowada, Teilnahme, S. 166 f. Sowada, Teilnahme, S. 167 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

gegen die Straflosigkeit der Teilnahme des begünstigten Gläubigers Bedenken, weil bei der von der Interessenlage her durchaus vergleichbaren Vollstreckungsvereitelung (§ 288 StGB) überwiegend eine „notwendige Teilnahme“ verneint und die Mitwirkung deshalb als strafbar erachtet wird.213 Im Kontext teleologischer Überlegungen besteht keine Veranlassung, die Gläubiger zu privilegieren, weil die Gläubiger eine Art Gefahrengemeinschaft bilden, in der jeder Beteiligte ein Interesse daran hat, dass die von der Konkursordnung zum Zwecke einer in toto optimalen Konfliktlösung aufgestellten „Spielregeln“ vom jeweiligen Konkurrenten befolgt werden.214 Es ist zuerst zu erkennen, dass die gängigen Auslegungsmethoden dem Interpreten nur eine periphere Orientierungshilfe bieten können, welches Ergebnis sie zu wählen und wie sie dieses zu begründen haben.215 Dies zeigt sich schon in Sowadas Ausführung, bei der die einzelnen Auslegungsmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, also die grammatikalische und historische Interpretation von der telelogischen und systematischen abweichen. Es gibt, wie Kelsen pointiert gesagt hat, „keine – als positivrechtlich charakterisierbare – Methode, nach der von mehreren sprachlichen Bedeutungen einer Norm nur die eine als richtig ausgezeichnet werden kann“.216 Deswegen muss Sowada behaupten, dass die grammatikalische und die historische Auslegungsmethode, die zu aus seiner Sicht unerwünschten Folgen führen können, nicht überschätzt werden dürfen. Dies zeigt, dass eine rationale Rechtsinhaltsermittlung mit den gängigen juristischen Methoden allein kaum betrieben werden kann.217 Aber lässt sich die Ratlosigkeit durch die vom Rechtsgutsbegriff geleitete teleologische Auslegung überwinden? In der Strafrechtsdogmatik besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Rechtsgutsbegriff Bezugspunkt der objektiv-teleologischen Auslegung des geltenden Rechts ist.218 Auch wenn der Rechtsgutsbegriff als „Krone der Auslegung“219 die zu erhaltenden Funktionseinheiten oder Systembedingungen beschreiben kann, vermag die Rechtsgutslehre bereits ihrem Ansatz nach kein Kriterium dafür zu liefern, warum das jeweils zu schützende Gut gerade mit strafrechtlichen Mitteln geschützt werden darf.220 Die strafrechtlichen Fragen kreisen immer darum, ob eine bestimmte Handlung strafbar ist. Im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik wird diese Kernfrage ohne weiteres darauf reduziert, ob eine bestimmte Handlung einen Rechtsgutsangriff begründet. Mit dieser Umformulierung geht die entscheidende 213

Sowada, GA 1995, 70. Sowada, GA 1995, 71. 215 Gräfin von Schlieffen, JZ 2011, 116. 216 Kelsen, Rechtslehre, 1. Aufl., S. 106. 217 Kubiciel, Wissenschaft, S. 51. 218 Eine diesbezügliche Einigkeit bemerkt Krüger, Entmaterialisierungstendenz, S. 17; Roxin, FS-Hassemer, S. 586; Jescheck/Weigend, AT, S. 257. 219 Jescheck/Weigend, AT, S. 156; Vogel, FS-Roxin, S. 117. 220 Appel, Verfassung, S. 385. 214

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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Identität des Verbrechens verloren, nämlich die Strafe als Rechtsfolge. Bestimmt zu sein bedeutet, dass etwas so-und-so beschaffen ist, anstatt anders beschaffen zu sein.221 Das kriminelle Unrecht lässt sich aus sich selbst definieren. Wenn das kriminelle Unrecht als Rechtsgutsverletzung begriffen wird, entsteht dadurch noch keine Identität mit dem zivilrechtlichen Unrecht. Lediglich durch die Strafe als Rechtsfolge kann man der Identität des Verbrechens gerecht werden. Deswegen bildet das Verständnis der Strafe selbst den eigentlichen Angelpunkt für die Eingrenzung des Strafbaren.222 Im Gegensatz dazu leitet man im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik den Verbrechensbegriff aus der Aufgabe des Strafrechts ab, nämlich aus dem Rechtsgüterschutz.223 Folgerichtig dient die Strafe der Prävention der Rechtsgutsverletzung. Mit einer solchen rechtsgutsorientierten Bestimmung der Strafrechtsaufgabe, des Straftatbegriffs und des Zwecks der Strafe begibt sich die Strafrechtsdogmatik in eine missliche Situation, bildlich gesprochen wie ein Hund seinem eigenen Schwanze nachjagt oder wie man in einem Raum ohne Ausgang wiederholt vor die Wand stößt. Denn mit der Bestimmung der Strafrechtsaufgabe als Rechtsgüterschutz wird zugleich die Strafe als Präventionsinstrument bestimmt. Infolgedessen wird die Theorie der Strafe, die das entscheidende Element für die Identität des Verbrechens ist, in der Tat entleert. Die objektiven Wertordnungen, auf die sich der Rechtsgutsbegriff bezieht, halten keine Maßstäbe dafür parat, ob ein bestimmtes Mittel im Hinblick auf einen bestimmten Schutzzweck stimmig und angemessen ist.224 Wegen der vom Rechtgutsbegriff mitgebrachten Vermengung von Schutzgut und Schutzinstrumentarium225 findet der Streit zwischen Gropp und Sowada im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik zwingend keine Lösung. Zudem lautet das Argument unter präventivem Aspekt, „die Einhaltung der Konkursordnung mit strafrechtlichen Mitteln abzusichern und den jeweiligen Mitgläubigern den Anreiz zur Umgehung der konkursrechtlichen Vorschriften zu nehmen, um zu verhindern, dass die sich normtreu verhaltenden Gläubiger am Ende beeinträchtigt sind“,226 fördert also weiter die schon in Gang gesetzte Expansionslogik des Rechtsgutsdenkens.227 Tatsächlich sind die angebliche Güterschutzeffekte einzelner Rechtsnormen ebenso illusorisch wie die bei Kriminalpolitikern beliebte Behauptung der Verbesserung der Verbrechensbekämpfung durch Anhebung einzelner gesetzlicher Strafobergrenzen.228 Die Ratlosigkeit macht sich mit besonderem Nachdruck bemerkbar, wenn später Sowadas Behandlung des Käufers im Fall des § 184 I 3 in Erwägung gezogen wird. 221 222 223 224 225 226 227 228

Brandom, Idealismus, S. 149. Frisch, FS-Stree/Wessels, S. 85. Roxin, AT I, § 2, Rn. 1. Appel, Verfassung, S. 385. Appel, Verfassung, S. 385. Sowada, Teilnahme, S. 172. Pawlik, Unrecht, S. 139; Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 362; Zabel, Ordnung, S. 551. Stuckenberg, ZStW 129 (2017), 359 f.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

Im Gegensatz zur Stoßrichtung von Sowada qualifiziert Gropp zuerst die Gläubigerbegünstigung (§ 283c) als Zentripetaldelikt, weil es der Schuldner als Täter in der Hand hat, eine Vielzahl Dritter in sein kriminelles, auf jeweils dasselbe Rechtsgut gerichtetes Handeln hineinzuziehen (potentielles Multiplikatorunrecht), während die Gläubiger in § 283c der Gruppe der peripheren Teilnehmer angehören.229 Wenn der Gläubiger die Bereitschaft des Täters zum tatbestandsmäßigen Verhalten lediglich ausnutzt, handelt er straflos; wenn er dagegen insgesamt den Entschluss zur Unrechtsverwirklichung weckt, hat er an dem potentiellen Multiplikatorunrecht des Täters teil und ist deswegen als Teilnehmer strafbar.230 Die materiellen Gründe dafür erblickt Gropp in der Abwägung zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit und schützenswerten Drittinteressen, die sich im Verhältnismäßigkeitsprinzip verkörpert.231 Die Begründungsstrategie ist kurzum die, durch die Beschreibung der notwendigen Teilnahme als unerhebliche Rechtsgutsbeschädigung unter Verweis auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Straflosigkeit zu erklären. Tatsächlich stimmen Gropps Konstruktion der Deliktstypen „Zentripetaldelikte“ und „Zentrifugaldelikte“ und das von ihm abgelehnte Mindestwirkungsprinzip in der Methode überein, aus den einschlägigen Fällen die Gemeinsamkeit zu abstrahieren, dass der notwendige Teilnehmer normalweise nur periphere Mitwirkung ausübt und daher das Rechtsgut nicht so beträchtlich verletzt. Der entscheidende Schwachpunkt dieser Methode liegt darin, dass der Vorgang des Abstrahierens auf einer verborgenen petitio principii beruht. Zu abstrahieren, d. h. von bestehenden Unterschieden abzusehen und gemeinsame Merkmale aus einem Ensemble mannigfaltiger Gegenstände herauszulösen, vermag nur, wer diese Gemeinsamkeiten bereits als relevant erkannt und anerkannt hat, bevor er den Akt der Abstraktion vornimmt.232 Gropp zufolge sind die Kriterien für seine Fallgruppenbildung also Kriterien, die Auskunft darüber geben, unter welchen Voraussetzungen der notwendige Beteiligte sich dergestalt von anderen Beteiligten unterscheidet, dass er straflos bleiben muss.233 Dabei ist die Erkenntnis schon vorweggenommen, dass der Grad der Mitwirkung an der Rechtsgutsverletzung für die strafrechtliche Zurechnung relevant ist. Zur Beantwortung der Frage, warum gerade dieses Element, nämlich die „periphere Mitwirkung“, in dieser Anordnung den Begriff der notwendigen Teilnahme ausmacht, ist die abstrahierende Methode konstitutiv unfähig. Dies führt uns wieder auf das eigentliche Thema zurück, nämlich auf die Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs, der den materialen Verbrechensbegriff definiert. Sowada meldet den Einwand an, dass der zentrifugale oder zentripetale Charakter des Tatbestandes nur einen Abwägungsfaktor bilden, der sich bezüglich einzelner Tatbestände zwar durchaus als maßgeblicher Gesichtspunkt erweisen, aber die 229 230 231 232 233

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 229. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 228. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 209 ff. Pawlik, Normbestätigung, S. 25. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 134.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme nicht allgemein rechtfertigen kann.234 Statt das entscheidende Defizit von Gropps Konstruktion zu berühren, weist der Einwand vielmehr die methodische Parallele zwischen beiden Autoren auf. Sie besteht in der identischen Grundüberzeugung, dass man vom Rechtsgutsbegriff einen Ausfilterungseffekt erwarten kann. Bei ihrem Bemühen, diesen Ausfilterungseffekt des Rechtsgutsbegriffs zu erzielen, setzen die Autoren ihre Hoffnung auf die Beantwortung der Frage, auf welche Weise sich das Ziel des Rechtsgüterschutzes effektiv erreichen lässt. Bei der Begründung der Straflosigkeit des Käufers im Fall § 184 I 3 führt Sowada folgendes Argument an: Angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der verbreiteten Exemplare die Zahl der Veräußerer wesentlich übersteigt, leistet die Kriminalisierung des Enderwerbers keinen geeigneten Beitrag zum Rechtsgüterschutz; effektiver erscheint vielmehr der konzentrierte Einsatz des strafrechtlichen Instrumentariums gegen die Anbieter.235 Die Differenz liegt lediglich darin, dass Gropp durch Konstruktion seiner Deliktsgruppen mithilfe des Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Abwägung zu unternehmen versucht, während Sowada anhand des methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriffs durch Auslegung der Einzeltatbestände aufgrund sogenannter kriminalpolitischer Erwägungen einen effizienten Rechtsgüterschutz verwirklichen will. Lässt sich der Umfang der Strafbarkeit durch eine vermeintliche Abwägung zwischen Kosten und Nutzen der Bestrafung abstecken? Meines Erachtens ist diese Erwartung unbegründet. Die unter dem Titel „Kriminalpolitik“ angeführten Erwägungen zeigen nichts anderes als den angeblichen konsequentialistischen Charakter des Rechtsgutsarguments: Mit der These, dass ein Verhalten nicht bestraft werden dürfe, weil es keine Rechtsgüter beeinträchtige, ist gemeint, die Bestrafung dieses Verhaltens sei nutzlos und bringe keine Vorteile.236 Diese Bestrafung sei konsequentialistisch sinnwidrig und deshalb zu unterlassen.237 Vor allem ist die konsequentialistische Abwägung keine folgerichtige Durchführung der Rechtsgutsdogmatik, sondern ein angestückter Flicken. Der Rechtsgutsbegriff per se beinhaltet keine Elemente, die die Forderung nach Rechtsgüterschutz sinnvoll zu begrenzen vermögen. Wieder zeigt sich hier der „Geburtsfehler“238 der Rechtsgutslehre, die die Zurechnungsregeln grundsätzlich aus Sicht des Rechtsgutsträgers definieren und den so entstehenden umfassenden Integritätsanspruch nachträglich mit Freiheitsinteressen anderer Personen abwägen muss.239 Zudem ist die konsequentialistische Abwägung auch ein kitschiger Flicken. Die konsequentialistische Erwägung schließt zwei Thesen ein: (1) Es lohnt sich nicht, zahlreiche Käufer zu bestrafen. (2) Die Bestrafung des Verkäufers reicht schon für den Rechtsgüterschutz aus. Gemäß der 234 235 236 237 238 239

Sowada, GA 1995, 69. Sowada, Teilnahme, S. 224, 274. Greco, ZIS 2008, 236. Greco, ZIS 2008, 236. Renzikowski, GA 2007, 573. Kubiciel, Wissenschaft, S. 168; Frisch, Verhalten, S. 70, 76.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

ersten These spielen die Kosten der Strafverfolgung eine ausschlaggebende Rolle bei der Bestimmung der Strafbarkeit. Darauf mag man erwidern, dass es um kriminalpolitische Erwägung geht. Aber wo alles Folge von Kriminalpolitik ist, verwischt sich die Abgrenzung der Bereiche, in denen dem Rechtsanwender ein Spielraum zu eigener Gestaltung offensteht, von den Bereichen, in denen er verbindliche Wertungen antrifft.240 Deswegen können die kriminalpolitischen Strafzweckerwägungen nur in begrenzter Weise Einfluss auf die strafrechtliche Begriffsbildung nehmen.241 Ob eine Tat Unrecht begründet, kann nicht ohne weiteres aufgrund der Kosten der Strafverfolgung bestimmt werden. Die zweite These offenbart nichts anderes, als dass die sich am Schutzzweck orientierende Auslegung sich dem Verdacht der Irrationalität und Beliebigkeit aussetzt. Sie hält einer immanenten Prüfung nicht stand. Geht man vom Rechtsgüterschutz aus, verletzt zweifellos die Mitwirkung des Gläubigers wie auch die des Käufers die Rechtsgüter mittelbar. Der mitwirkende Gläubiger und der Käufer sind insofern gleich strafbar, als die Bestrafung zum bestmöglichen umfassenden Rechtsgüterschutz beitragen kann. Aber nach Sowada ist der mitwirkende Gläubiger im Fall § 283c zu bestrafen, während die Bestrafung des Käufers der pornographischen Schriften unnötig ist.242 Im Sinne der Rechtsgutsverletzung als Verbrechensbegriff verdienen der mitwirkende Gläubiger und der mitwirkende Käufer der pornographischen Schriften identische Beurteilung. Die Schwierigkeit der Problematik der notwendigen Teilnahme ist kein Sonderfall. Der Rechtsgutsbegriff ist so bescheiden, dass seine Begründungsressourcen einen vernünftigen Umfang für das kriminelle Unrecht nicht abzustecken vermögen. Wenn man sich einen Überblick über die heutige vom Rechtsgutsdenken stark geprägte Strafrechtswissenschaft verschafft, gelangt man leicht zu der Erkenntnis, dass die Strafrechtswissenschaft sich stets mit der Einschränkung der strafbarkeitsausdehnenden Tendenz des Rechtsgutsdenkens in allen Bereichen beschäftigt. Bei der Kausalitätsprüfung der Rechtsgutsverletzung wendet man sich an die Lehre von der objektiven Zurechnung, weil „die dogmatische Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs gerade in seiner Verknüpfung mit der objektiven Zurechnung deutlich werde“243. Im Bereich der Unterlassung dient die Lehre von den Garantenpflichten der Abwendung eines unerträglichen Strafbarkeitsumfangs, denn der optimale Güterschutz wird dadurch erreicht, dass jeder Rettungsfähige zu jeder ihm möglichen Rettung verpflichtet wird.244 Zudem fungiert das Schuldprinzip reduktionistisch als „allenfalls formale Voraussetzung der Verhängung staatlicher Strafe“245. Im Rahmen eines den Güterschutzgedanken konsequent umsetzenden Präventionsmodells hat der Gedanke der Garantenpflichten und des Schuldvorwurfs im Grunde 240 241 242 243 244 245

Haas, Kausalität, S. 44. Stratenwerth, Strafzwecken, S. 7; Haas, Kausalität, S. 45. Sowada, Teilnahme, S. 224, 274. Roxin, FS-Hassemer, S. 586. Pawlik, Unrecht, S. 140; Lesch, Beihilfe, S. 172. Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 82.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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genommen keinen Platz.246 Diese Rechtsfiguren werden ausnahmslos aufgegriffen, um der den Güterschutzgedanken konsequent umsetzenden Strafbarkeit eine vermeintliche Beschränkung zu verleihen. Die unter dem Titel „Verhältnismäßigkeitsprinzip“ oder „kriminalpolitische Erwägung“ vorgenommene Prüfung der Strafbedürftigkeit und Strafwürdigkeit ist gleichsam die letzte Bastion der Rechtsgutsdogmatik und nichts anderes als eine schönere Bezeichnung eigener Rechtsgefühle. In diesem Fall ist statt „Strafrechtswissenschaft“ vielmehr „die Kunst des Versuches zur Strafbarkeitsbeschränkung“ und sogar „die Klugheit der Beschränkung“247 eine angemessenere Bezeichnung. Denn „eine jede Lehre, wenn sie ein System […] sein soll, heißt Wissenschaft“.248 „In einem System wird ein ihm innewohnendes Prinzip über Teilelemente so zu einem Ganzen entfaltet, dass die Teile untereinander und mit dem Ganzen in einer solchen Verbindung stehen, dass das Ganze aus ihnen und sie aus dem Ganzen verständlich werden.“249 Statt eines Lippenbekenntnisses der heutigen Strafrechtsuntersuchung, in der System irgendein Nebeneinanderordnen auch widersprüchlicher Prinzipien sein kann, muss die Strafrechtswissenschaft sicherstellen, dass die Strafrechtsdogmatik ihrem Anspruch gerecht werden kann, systematisch-rationale Wissenschaft zu sein.250 2. Allgemeiner oder Besonderer Teil? Neben der begrenzten Aussagekraft des Rechtsgutsdogmas lässt sich die Unzufriedenheit mit der Lösung der Problematik der notwendigen Teilnahme auch auf die Verkennung der Untersuchung im Allgemeinen Teil und die Überschätzung der Leistungsfähigkeit der Auslegung der Einzeltatbestände im Besonderen Teil zurückführen. Es ist zu erkennen, dass der allgemeine Verbrechensbegriff die nötigen Konturen erst durch seinen Bezug auf jeweils konkrete Verkörperungen fremder Freiheit gewinnt, deren Wahrung dem Verpflichteten in gewissem Umfang obliegt.251 „Da es keine Handlungen im Allgemeinen, sondern nur einzelne bestimmte Handlungen dieser oder jener Art und Richtung geben kann, so muss das objektive Recht in einzelne Vorschriften zerfallen, welche für die einzelnen Verhältnisse, in welchen der Mensch sich befinden kann, ihm die Handlungsweise angeben, die der Gerechtigkeit gemäß ist.“252 Insofern ist die Behandlung der Einzeltatbestände sinnvoll, denn es ist letztlich der einzelne Tatbestand des Besonderen Teils, der die konkrete Gestaltung der notwendigen Mitwirkung festlegt. Aber vor dem rechtsgutsdogmatischen Hin-

246 247 248 249 250 251 252

Pawlik, Unrecht, S. 85; Kubiciel, Wissenschaft, S. 4. Zaczyk, ZStW 123 (2011), 692. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Werke Bd. 8, S. 11. Zaczyk, ZStW 123 (2011), 696. Pawlik, FS-Jakobs, S. 474. Pawlik, Unrecht, S. 46, 157; ders., FS-Jakobs, S. 474. Luden, Handbuch, S. 9.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

tergrund ist die einseitige Fokussierung auf die Auslegung der Einzeltatbestände unter zwei Aspekten mit Risiken verbunden. Erstens begründet sich die behauptete Schwerpunktverlagerung aus der Enttäuschung über die Leistungsfähigkeit der allgemeinen Theorie. Diesbezüglich sind zwei Fragen zu klären: (1) Gegen welche konkrete allgemeine Theorie richtet sich der Vorwurf? (2) Was müssen wir von der Grundtheorie im Allgemeinen Teil erwarten? Bei Sowada erfahren vornehmlich das Mindestmitwirkungsprinzip und die einschlägigen Argumentationen eine vehemente Kritik.253 Gropp meldet Zweifel an der Bedeutung des differenzierenden Beteiligungssystems an.254 Aber wenn die abgelehnten Theorien ausgerechnet als solche als nicht überzeugend erwiesen werden, lässt sich das Fehlen der Leistungsfähigkeit nicht auf die Allgemeinheit der Theorie zurückführen, sondern auf die konkreten Auffassungen. Insofern wird, wenn man aufgrund der Begrenztheit der heutigen Beteiligungslehre das nähere Eingehen auf die Beteiligungslehre als unnötig erachtet, bildlich gesprochen gewissermaßen das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Nach Gropp sind der Allgemeine Teil und seine Lehren mit einem Baukasten vergleichbar, aus dessen Einzelteilen sich bestimmte „Modelle“ konstruieren lassen: Vollendung und Versuch, Täterschaft und Teilnahme, Notwehr und Notstand.255 Wer nun mit dem „Baukasten Allgemeiner Teil“ ein Modell „notwendige Teilnahme“ bauen will, kann nur Erfolg haben, wenn der Baukasten alle Einzelteile für jene Konstruktion bereits enthält.256 Die Erwartung stützt sich auf das Verständnis des Allgemeinen Teils als ein lehrbuchmäßiges Nebeneinanderordnen wichtiger Aspekte und Kennzeichen. Insofern ist die Baukasten-Metapher eine zutreffende Beschreibung der gegenwärtigen allgemeinen Strafrechtsdogmatik. Aber ein solches Verständnis kastriert die wirkliche Strafrechtswissenschaft, die zum einen die Straftheorie zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit machen muss, zum anderen ermöglichen soll, dass der Verbrechensbegriff sich auf einem wissenschaftlichen Weg zu einer Lehre von den einzelnen Verbrechen entfaltet. Hierfür gilt die große Aussage von Hegel: „Wie bei dem Lebendigen überhaupt alles schon im Keime enthalten ist und von diesem selbst, nicht von einer fremden Macht hervorgebracht wird, so müssen auch alle besonderen Formen des lebendigen Geistes aus seinem Begriffe als ihrem Keime sich hervortreiben.“257 Freilich lassen sich zahllose strafrechtliche Streitfragen nicht unmittelbar aus dem allgemeinen Verbrechensverständnis deduzieren, es bedarf vielmehr der positiv-rechtlichen Reglung und deren jeweils spezifischer Auslegung.258 Aber das Fehlen der Leistungsfähigkeit einer kastrierten allgemeinen 253 254 255 256 257 258

Sowada, Teilnahme, S. 117 ff., 161 ff. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 68 ff. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 61. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 61. Hegel, Enzyklopa¨ die III, § 379 Z, Werke Bd. 10, S. 14. Pawlik, Unrecht, S. 157.

B. Rückblick: Rechtsgutsdogma als Roter Faden?

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Strafrechtstheorie taugt durchaus nicht als Grund für eine endgültige Ablehnung der allgemeinen Strafrechtswissenschaft, die den Ehrennamen der Wissenschaft verdient. Die Strafrechtswissenschaftstheorie ist nicht selbst Dogmatik in dem Sinne, dass sie Auslegungen des gegebenen Rechtsmaterials produzieren würde, sondern sie erarbeitet die inhaltlichen und methodischen Vorgaben, unter deren Beachtung die Dogmatik wissenschaftlich operieren kann.259 Diese Aufgabenzuweisung lässt die Geringschätzung der allgemeinen Strafrechtstheorie unbegründet erscheinen. Zweitens stützt sich die Fokussierung auf den Besonderen Teil auf die Erwartung einer Aussagekraft der Einzeltatbestände. Es ist aber zu erkennen, dass die Dogmatik des Allgemeinen Teils einen reich ausgestatteten Überbau aus Straftheorie und Allgemeiner Verbrechenslehre ihr Eigen nennt, während sich die Interpretation des Besonderen Teils seit nahezu 100 Jahren an der Rechtsgutslehre orientiert.260 Vor diesem Hintergrund bringt ein Verweis auf die einzelnen Tatbestände nicht allzu viel, mehr noch: Er eignet sich dazu, auf topischen Lösungswegen aufgrund angeblicher kriminalpolitischer Überlegungen zu einem systematisch unverbindlichen Ergebnis zu gelangen. Sowada räumt den topischen Charakter seiner Untersuchung ein und sieht die Möglichkeit, dass sich im Zuge der einzeldeliktischen Diskussion durchaus auch andere als die bei ihm entwickelten Resultate ergeben können, indem entweder bestimmte Argumente anders gewichtet oder weitere Blickwinkel in eine umfassendere Beurteilung eingebracht werden.261 Die topische Problemerörterung und das Systemdenken sind keine alternativen wissenschaftlichen Arbeitsweisen, sondern ergänzen einander.262 Unter dem Dach der Strafrechtsdogmatik haben sowohl eine im anspruchsvollen Sinne systematische als auch eine im Kern topische Herangehensweise in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen ihr Recht.263 Aber wenn man bereits auf der dogmatischen Grundlagenebene auf systematische Stringenz verzichtet und sich mit den topischen Erklärungsansätzen abfindet, kann die Wissenschaft ihre Vorschläge zur Lösung von kriminalpolitischen und dogmatischen Einzelfragen nicht mit Anspruch auf Verbindlichkeit begründen.264 Vielmehr muss die Topik auf jener Stufe der Auslegung zum Einsatz kommen, auf der die Systematik die Lösung von Auslegungsproblemen nicht mehr anleiten kann.265 Denn die Strafrechtswissenschaft genügt den Rationalitätsansprüchen nicht, wenn sie lediglich Rechtshypothesen mit Ad-hoc-Argumenten begründet.266 Deshalb liegt in der Hoffnung auf eine Problemlösung von den Besonderheiten der Einzeltatbestände her eine Überschätzung der interpretatorischen Ergiebigkeit 259 260 261 262 263 264 265 266

Pawlik, FS-Jakobs, S. 474. Kubiciel, Wissenschaft, S. 1 f. Sowada, Teilnahme, S. 164. Weinberger, ARSP 59 (1973), 26. Pawlik, FS-Jakobs, S. 475. Kubiciel, Wissenschaft, S. 101. Viehweg, Topik, S. 31 ff. Vgl. Hager, Rechtsmethoden, S. 312; Kubiciel, Wissenschaft, S. 114.

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1. Kap.: Der Meinungsstand der Literatur

der Einzeltatbestände.267 Der Deliktstatbestand legt also nur die jeweilige Gestalt einer sozialen Störung fest, besagt jedoch eo ipso nichts darüber, wem diese Störung in welcher Beteiligungsform zuzurechnen ist.268 Wie soll der einzelne Bürger in einer bestimmten Situation mit fremden Belangen umgehen, um als Gemeinschaftsmitglied seine Pflicht zur Erhaltung der freiheitlichen Ordnung zu erfüllen? Der Sache nach beantwortet eine sorgfältige Analyse der einzelnen Deliktstatbestände diese Frage nicht abschließend.269 Eine bloß formale Anpassung eines Verhaltens an die Beschreibung einer Strafnorm führt nicht unbedingt zur Strafbarkeit. Man kann leicht viele derartige Beispiele in der gängigen Diskussion unter dem Titel der Lehre von der objektiven Zurechnung finden. Auch die Untersuchung vom Besonderen Teil beschäftigt sich, freilich anhand konkreter kriminalpolitischer und dogmatischer Probleme, mit der Grundfrage des Strafrechts, warum Strafe sein darf.270 Die Interpretation des Rechts lebt von der Annahme, dass sich hinter der „bunten“ Fassade des Besonderen Teils rationale Strukturen verbergen: Ginge man davon aus, dass der Besondere Teil ein „amorphes Chaos“ wäre, ließe er sich kaum in einer Weise anwenden, die den Bürgern signalisiert, hier werde Recht gesprochen und nicht Willkür vollstreckt.271 „Alles was irgend als wesentliches Moment des besondern Thatbestandes erscheint, ist niemals nur etwas Besonderes, sondern zugleich ein Allgemeines, das nach dieser Seite seine gebührende Berücksichtigung im allgemeinen Theile fordert.“272 Deswegen gehen die folgenden Ausführungen auf die herkömmliche Beteiligungslehre ein.

267

fung. 268 269 270 271 272

Frisch, Verhalten, S. 236 bezüglich der Problematik der missbilligten GefahrenschafLesch, Beihilfe, S. 121. Pawlik, Unrecht, S. 157. Kubiciel, Wissenschaft, S. 122. Vgl. dazu Neuner, Rechtsfindung, S. 107 f. Hälschner, Strafrecht, Bd. 2, S. 1.

Zweites Kapitel

Strafgrund der Teilnahme Inwiefern vermag die gegenwärtige allgemeine Beteiligungslehre zur Problematik der notwendigen Teilnahme beizutragen? Gropp hält die Diskussion um den Strafgrund der Teilnahme für entbehrlich: Für die eventuelle straflose notwendige Beteiligung genügt es zu wissen, worin das Unrecht des jeweiligen Delikts zu sehen ist und ob der Teilnehmer dieses Unrecht in entsprechender Weise verwirklicht,während es insoweit unerheblich ist, ob das Unrecht des Teilnehmers im Verhältnis zum Täter als originär oder als derivativ erachtet wird.1 Unabhängig von der Entscheidung für eine „reine“ oder für eine „akzessorietätsorientierte“ Verursachungstheorie setzt die Strafbarkeit einer jeden Teilnahme i. S. der §§ 26 ff. StGB voraus, dass der Teilnehmer mittels der tatbestandsmäßigen Rechtsgutsverletzung durch einen Dritten ein eigenes Unrecht verwirklicht.2 Im Gegensatz dazu ist im Schrifttum die Ansicht durchaus nicht selten, dass die rechtliche Behandlung des Großteils der einschlägigen Konstellationen nicht aus der notwendigen Beteiligung selbst, sondern aus dem Strafgrund der Teilnahme abzuleiten ist.3 Wenn man den Darlehensnehmer des § 291, die Jugendliche des § 174, den Verlangenden des § 216 als Rechtsgutsträger begreift, liegt die Frage nahe, inwieweit die Rechtsgutsträgereigenschaft einer Teilnahmestrafbarkeit des Opfers entgegensteht. Insofern ist zu konstatieren, dass vor allem der Unrechtsgehalt der Teilnahme aufzuhellen ist, um diesen Zusammenhang herstellen zu können.4 Tatsächlich lassen sich die gegensätzlichen Positionen auf die identische Überzeugung zurückführen, dass die Verursachungstheorie und ihre Varianten zweifellos die Diskussion um den Strafgrund der Teilnahme beherrschen und die mithilfe der Rechtsgutsdogmatik konstituierte Beziehung zwischen dem Beteiligten und dem tatbestandlichen Erfolg immer eine ausschlaggebende Rolle bei der Begründung der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme spielt. Diese Grundüberzeugung entspricht dem gegenwärtigen Stand der Diskussion um Strafgrund der Teilnahme: Es geht grundsätzlich nicht mehr um eine Bewegung zwischen den Polen der Schuldbzw. Unrechtsteilnahmetheorie einerseits und der Verursachungstheorie andererseits, sondern um den Streit innerhalb der Verursachungstheorie, inwieweit der Teilnehmer für eine eigenständige Unrechtsverwirklichung zur Verantwortung ge1 2 3 4

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 75. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 78. Roxin, AT II, § 26, Rn. 43; Rengier, AT, § 45, Rn. 7. Sowada, Teilnahme, S. 67.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

zogen werden kann bzw. inwieweit ihm das vom Haupttäter verwirklichte Unrecht mittels des Akzessorietätsprinzips zuzurechnen ist.5 Allerdings bedeutet die allgemeine Akzeptanz der Verursachungstheorie nicht zwingend ihre Richtigkeit. Zwar setzen sich die Verursachungstheorie und ihre Varianten gegen die Schuldteilnahmetheorie durch. Die Richtigkeit der verschiedenen auf ein und dieselbe Frage gerichteten Ansätze wird häufig auf die Schwächen des jeweiligen Kontrahenten gestützt. Indessen setzt dies voraus, dass diese beiden Ansätze jeweils schon das ganze Spektrum der denkbaren Konzeptionen abdecken und somit eine Polarität zueinander bilden. Aber neben der Schuldteilnahmetheorie und der Verursachungstheorie existieren in der neueren Literatur noch die von dem Gedanken der Zuständigkeitsverteilung geprägten Beteiligungskonzeptionen. Zudem gibt es keine Polarität zwischen diesen beiden Theorien in dem Sinne, dass aus logischen oder anderen Gründen aus der Falschheit der einen die Richtigkeit der anderen, vice versa, folgte.6 Deswegen führt die Ablehnung der Schuldteilnahmetheorie nicht zwangsläufig zur Befürwortung der Verursachungstheorie. Der Rückgriff auf die besondere Beziehung des notwendigen Teilnehmers zum verletzten Rechtsgut ist daher nicht selbstverständlich sachgerecht. Deswegen bildet Gropps Unterschätzung keinen stichhaltigen Grund für den Verzicht auf die Auseinandersetzung mit den Lehren zum Strafgrund der Teilnahme. Aufgrund der obigen Erwägungen beschäftigt sich die folgende Ausführung zuerst mit einer skizzenhaften Darlegung der Schuldteilnahmetheorie und der daraus resultierenden Schlüsse für die notwendige Teilnahme. Die Schwäche der Schuldteilnahmetheorie als solche und ihre ziemlich begrenzte Leistungsfähigkeit für die Problematik der notwendigen Teilnahme trägt nichts zur Berechtigung der Verursachungstheorie bei. Sodann werden die Verursachungstheorie und ihre Varianten einer ausführlichen kritischen Überprüfung unterzogen. Schließlich werden die zuständigkeitsgeprägten Beteiligungslehren analysiert.

A. Das Scheitern der Schuldteilnahmetheorie Die Schuldteilnahmetheorie erblickt den Strafgrund der Teilnahme darin, dass der Teilnehmer den Täter korrumpiere, indem er ihn „in Schuld und Strafe verstricke“.7 Demgemäß ist das Freisein von Schuld für den Betreffenden schon als solches ein für das Strafrecht schutzwürdiger Zustand. Die Kritik der Schuldteilnahmelehre weist allererst auf die Friktion mit dem geltenden Strafgesetz hin, nämlich, dass die

5

Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 17. Koriath, FS-Maiwald, S. 419. 7 Vgl. Mayer, FS-Rittler, S. 255; Beling, ZStW 18 (1898), 269 ff.; ders., Lehre, S. 401 ff., 433 ff.; Kohlrausch, FS-Bumke, S. 48. 6

A. Das Scheitern der Schuldteilnahmetheorie

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Teilnahme demnach auch dann strafbar ist, wenn der Täter schuldlos handelt.8 Als Reaktion auf diese Kritik hat die Schuldteilnahmelehre einen Wandel zur sog. Unrechtsteilnahmelehre erfahren. Hierbei wird das Merkmal der Schuldverstrickung durch den Gesichtspunkt der „sozialen Desintegration“9 ersetzt. Auch der schuldlose Handelnde wird durch die angestiftete Tat und die sozialen und staatlichen Reaktionen darauf sozial desintegriert, weil dem schuldunfähigen Täter immerhin die strafrechtliche Ermittlung und das Sicherungsverfahren drohen. Unausweichlich kommt die Schuldteilnahmetheorie bei den Fällen der notwendigen Teilnahme in Schwierigkeiten.10 Wenn die Schuldteilnahmetheorie konsequent durchgeführt wird, führt sie zur Strafbarkeit des notwendigen Teilnehmers, weil in Anbetracht der positiv-rechtlichen Strafbarkeit des Täters der notwendige Teilnehmer in einer Weise handelt, die zumindest den Täter der „sozialen Desintegration“ aussetzt. Die Konsequenz zeigt sich deutlich in der Rechtsprechung zur Mitwirkung des Gefangenen an der auf seine Befreiung gerichteten Tat (§ 120). Nach der Rechtsprechung geht das Verhalten des Gefangenen, der Dritte zu seiner Befreiung veranlasst, über eine bloße Selbstbefreiung hinaus, da er zu der (zumindest versuchten) Tatbestandsverwirklichung des Dritten anstiftet und dadurch ein „zusätzliches Unrecht“ erwirkt.11 Diese Position findet nahezu keinen Anklang in der Literatur. Als einzige Stützung der Rechtsprechung im Rahmen der Theorie des Strafgrunds der Teilnahme erfährt die Schuldteilnahmetheorie deswegen auch überwiegend Ablehnung.12 Trotzdem wird diese naheliegende Folge den Vertretern der Schuldteilnahmetheorie immer entgegengehalten. Nach Hellmuth Mayer13 kann es nur bei oberflächlicher Anwendung der Schuldteilnahmetheorie zu einer unbilligen Bestrafung der notwendigen Teilnahme kommen. Er nennt die folgenden Gründe für die Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme: Die Auslegungsregel der notwendigen Teilnahme“ ist eine die Anwendung der Teilnahmebestimmung ausschließende „lex specialis“; der notwendige Teilnehmer ist aus den Voraussetzungen seiner Lebenssphäre heraus nicht dazu in der Lage, das Unrecht des Täters überhaupt zu erkennen; die Beteiligung der geschützten Person bleibt straflos in jeder Form. So gesehen stellt die Begründungsstrategie im Rahmen der Schuldtheorie grundsätzlich eine Ablehnung der Anwendung ihrer allgemeinen Strafgrundtheorie und zugleich eine Ergänzung der sporadischen Thesen dar. 8 Lüderssen, Strafgrund, S. 48; Welzel, Strafrecht, S. 115; Roxin, in: LK, Vor § 26, Rn. 10; Joecks, in: MK, Vor §§ 26, 27, Rn. 4; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 50 III D 2; Otto, FS-Lange, S. 197, 203; Nydegger, Zurechnungsfragen, S. 103 f.; Nikolidakis, Grundfragen, S. 20 f. 9 Trechsel, Strafgrund, S. 55. 10 Lange, Teilnahme, S. 39 ff.; Sowada, Teilnahme, S. 68. 11 BGHSt 17, 369 (373 ff.); auch Teilen der älteren Literatur vgl. Beling, ZStW 18 (1898), 267 (272); Federer, Gefangenenbefreiung, S. 41 mit Fn. 2 und S. 42. 12 Kindhäuser, BT I, § 37, Rn. 17; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 244; Helm, Gefangenenbefreiung, S. 348. 13 H. Mayer, FS-Rittler, S. 260; ders., Strafrecht, S. 335 ff., 338.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Wie oben im ersten Kapitel schon bewiesen, fehlt ein tragfähiger Grund für die Unanwendbarkeit der Teilnahmeregelungen auf die notwendige Teilnahme. Zudem ist nicht einzusehen, warum nicht gerade vom Standpunkt eines Vertreters der Schuldteilnahmetheorie auch die geschützte Person den Täter in Schuld und Strafe verstricken oder im Fall der Beihilfe ihn darin festhalten kann.14 Auf dem Boden der Schuldteilnahmelehre stellt sich die Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme als eine Ausnahme dar, die sich nicht harmonisch in diese Teilnahmekonzeption einfügt, sondern ihr als Fremdkörper gegenübersteht.15 Ferner sind diese einzelnen Argumentationen so vage und ist ihr Zusammenhang mit dem allgemeinen Strafgrund der Teilnahme so locker, dass es an einer festen Verankerung der Straflosigkeit im Bereich des Teilnahmeunrechts fehlt.16 Es ist nicht zu erkennen, inwiefern solche Überlegungen, durch die die Schuldteilnahmetheorie in ihren Konsequenzen, offenbar aus Billigkeitsgründen, eingeschränkt werden soll, zu einer Klärung beitragen können.17 Ungeachtet der Schwierigkeiten in der Problematik der notwendigen Teilnahme liegt der entscheidende Schwachpunkt der Schuld- bzw. Unrechtsteilnahmetheorie tatsächlich in ihrem Widerspruch zur heute allgemein anerkannten Überzeugung. Die Schuld setzt voraus, dass eine Person über die Fähigkeit verfügt, sachgemäß mit den deliktischen Trieben umzugehen und daher die Regeln zu befolgen.18 Den Anstifter wegen der „Korrumpierung“ oder „sozialen Desintegration des Täters“ zur Verantwortung zu ziehen, impliziert eine Ablehnung der der Schuld zugrundeliegenden Fähigkeit des Ausführenden. Es steht außer Frage, dass ein zurechnungsfähiger eigenhändiger Tatbestandsausführender für seinen Verstoß gegen die strafrechtlichen Normen Verantwortung tragen muss.19 Zugleich das Unrecht der Anstiftung in der „Schuldverstrickung“ des Haupttäters zu sehen, deutet zumindest eine Unterschätzung der Fähigkeit des Haupttäters zur Normbefolgung an. Aber solange diese Fähigkeit als vermindert betrachtet wird, fehlt die Zurechnungsvoraussetzung des Haupttäters. Zudem ist die rechtlich-moralische Integrität eines mündigen Bürgers nicht als taugliches Schutzobjekt des Strafrechts anzusehen. In der Rechtsordnung gibt es nun einmal keine Sanktionsnorm, die schlechte Einflüsse bestraft.20 Die Desintegration des Haupttäters, die aus der Tatbegehung und damit aus der Befolgung des Anstifterrates hervorgeht, ist vielmehr als das Ergebnis einer Selbstgefährdung anzusehen.21 14

B. Kant, Teilnahme, S. 25. Sowada, Teilnahme, S. 68. 16 Sowada, Teilnahme, S. 69. 17 B. Kant, Teilnahme, S. 26. 18 B. Kant, Teilnahme, S. 231 f.; Schumann, Handlungsunrecht, S. 1; Renzikowski, Täterbegriff, S. 44. 19 Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 9. 20 Amelung, FS-Schroeder, S. 147 f.; Roxin, in: LK, Vor § 26, Rn. 11; Joecks, in: MK, Vor §§ 26, 27, Rn. 6; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 115 f.; Keller, Grenzen, S. 163 f. 21 Roxin, AT II, § 26, Rn. 20; Redmann, Anstiftung, S. 28. 15

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

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Aus obigen Gründen ist die Schuldteilnahmetheorie abzulehnen.

B. Rechtsgutsbasierte Teilnahmekonzeption – Verursachungstheorie und ihre Varianten Jede Problemanzeige ist ihrerseits bereits von theoretischen Vorannahme durchtränkt22 und begrenzt dadurch den Bereich der zu ihrer Lösung in Betracht kommenden Antwortmöglichkeiten.23 Im Kontext der Rechtsgutsdogmatik ist es durchaus nicht überraschend, dass die Untersuchung zum Strafgrund der Teilnahme als die Frage bestimmt wird, wie man ausgehend von der Rechtsgutsbeeinträchtigung das Unrecht der Teilnahme begründen kann. Die zentrale These der Verursachungstheorie, dass der Teilnehmer mittelbar für eine Rechtsgutsverletzung ursächlich ist, hat zwei Implikationen: Einerseits deutet die „Mittelbarkeit“ eine Vermittlung durch die Haupttat und daher eine zumindest auf faktischer Ebene bestehende Unselbständigkeit der Teilnahme an; andererseits ermöglicht die Übereinstimmung zwischen Teilnahme und Täterschaft hinsichtlich des Angriffsziels eine selbständige Konstruktion der Beziehung der Teilnahme zum tatbestandlichen Erfolg. Die beiden entgegengesetzten Richtungen legen unterschiedlichen Spielarten der Verursachungstheorie nahe. Im Ergebnis differieren diese Spielarten untereinander darin, für wen das über die Haupttat verwirklichte Geschehen sich als Unrecht darstellen muss: Die reine Verursachungstheorie stellt auf den Teilnehmer ab, die akzessorietätsorientierte Ansicht dagegen auf den Haupttäter, die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutsangriff schließlich kumulativ auf Täter und Teilnehmer.24 Wie sich das „Zusammenspiel“ von Verursachung und Akzessorietät gestaltet, spielt eine wichtige Rolle für das hier interessierende Thema, zumal für die Strafbarkeit desjenigen notwendigen Teilnehmers, der nach der Rechtsgutslehre das verletzte Rechtsgut trägt. Die durch die reine Verursachungstheorie konstruierte Beziehung des Teilnehmers zum tatbestandlichen Erfolg kann durch das Akzessorietätsprinzip der Teilnahme gebrochen werden. Lässt sich die Problematik der notwendigen Teilnahme im Rahmen der Verursachungstheorie befriedigend lösen? Die hiesige Antwort ist Nein. Der Grund liegt vor allem darin, dass das Verursachungsmodell als solches dem Strafgrund der Teilnahme nicht gerecht zu werden vermag. Der Konflikt zwischen Verursachungsund Akzessorietätsgedanken läuft auf ein Misslingen der Behandlung der notwendigen Teilnahme hinaus. Die Untersuchung in vorliegendem Abschnitt ist der Beweisführung der folgenden Thesen gewidmet: (1) Aufgrund der Vernachlässigung der Zuständigkeitsverteilung gehen die Verursachungstheorie und ihre Varianten von Anfang an in die Irre; die eigenständige Konstruktion des Teilnahmeunrechts der 22 23 24

Grundlegend Popper, Logik, S. 71 ff.; Pawlik, FS-Paeffgen, S. 17. Pawlik, FS-Paeffgen, S. 17. Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 12.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

reinen Verursachungstheorie ist trotz der scheinbaren Lösung der Problematik der selbstverletzenden Teilnahme abzulehnen. (2) Ein tragfähiges Fundament für die Akzessorietät der Teilnahme im Verhältnis zur Haupttat fehlt im Rahmen der Verursachungstheorie. (3) Das Verursachungsmodell führt zu einem „Spannungsverhältnis“ zwischen dem Akzessorietätsprinzip und der Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers, wenn man die Akzessorietät im Sinne einer „Entleihung“ oder „Ableitung“ vom Unrecht der Haupttat versteht. Die Synthese mittels des Topos „akzessorischer Rechtsgutsangriff“ stützt sich auf Dezisionismus und vermag der Problematik der notwendigen Teilnahme nicht gerecht zu werden.

I. Die reine Verursachungstheorie Die reine Verursachungstheorie bildet eine Extremposition des Meinungsspektrums. Ihr zufolge stellt die Teilnahme eine eigenständige Form der Verursachung eines strafrechtlich relevanten Erfolges dar, die ihren Unrechtsgehalt unmittelbar aus der Rechtsgutsverletzung bezieht, die sie herbeiführt oder fördert.25 Nicht das Unrecht der Haupttat wird dem Teilnehmer zugerechnet, sondern die mittelbare Erfolgsverursachung durch den Teilnehmer selbst. Die Akzessorietät der Teilnahme wird nur als eine „faktische Abhängigkeit“ verstanden, die voraussetzt, dass „eine bestimmte Handlung vorhanden [ist], an der teilgenommen werden kann“.26 Mit der reinen Verursachungstheorie kann man mühelos zur Straflosigkeit des Rechtsgutsträgers als Teilnehmer gelangen, denn das angegriffene Rechtsgut muss auch dem Teilnehmer gegenüber geschützt sein, wenn die Teilnahme rechtswidrig sein soll.27 Das Unrecht entsteht Lüderssen zufolge aus einer Beziehung zwischen Personen und niemals aus dem Verhältnis einer Person zu einem Objekt oder zu sich selbst, wie es bei Suizid und Euthanasie der Fall sei.28 Deswegen wird die Problematik der notwendigen Teilnahme nach Lüderssen als einer der „wichtigsten Prüfsteine“ der Teilnahmelehre bezeichnet.29 Trotzdem erfährt die reine Verursachungstheorie nahezu einhellige Ablehnung. Die Einwände weisen wesentlich auf den Konflikt mit der gesetzlichen Regelung der Akzessorietät der Teilnahme und die daraus resultierenden unerwünschten Strafbarkeitslücken und Ausdehnungen der Strafbarkeit hin, z. B. im Fall der echten Sonderpflichtdelikte, der Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord.30 25

Vgl. Lüderssen, Strafgrund, S. 25 ff., 119 ff.; Schmidhäuser, AT, 14/57, 77. Lüderssen, Strafgrund, S. 73, 79. 27 Lüderssen, Strafgrund, S. 131 f., 161, 167. 28 Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 460. 29 Lüderssen, Strafgrund, S. 79. 30 Vgl. Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 365; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, Vor §§ 25 ff., Rn. 19; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 12; Joecks, Vor § 26, Rn. 9; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 13; Schumann, Handlungsunrecht, S. 45. 26

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

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In der heutigen Literatur ist eine ambivalente Einstellung zu der als Extremposition bezeichneten reinen Verursachungstheorie zu beobachten: Einerseits findet sie durchaus selten Anklang im Schrifttum; andererseits besteht die dominierende gemischte Theorie weiter auf der Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung als dem Unrecht der Teilnahme. Der Grund der Ablehnung der reinen Verursachungstheorie liegt lediglich in einer Kalkulation von Gewinn und Verlust, nämlich darin, dass der Preis für den Verzicht auf Akzessorietät so hoch ist, dass niemand ihn zu bezahlen bereit ist; er liegt also nicht in einem wirklichen Abschied vom Verursachungsmodell. Wenn wir später einen Blick auf die Darlegung der akzessorietätsorientierten Ansicht werfen, wird der Befund belegt, dass das Verursachungsmodell nicht nur weiter anerkannt, sondern auch bei der Begründung der Akzessorietät der Teilnahme „fruchtbar gemacht“ wird. Deswegen sieht sich die gemischte Theorie, obwohl sie die mitgebrachten unerwünschten Folgen unter Betonung der Akzessorietät bei Bedarf scheinbar gewissermaßen modifiziert, grundsätzlich mit derselben Schwierigkeit konfrontiert. Bezüglich der Problematik der notwendigen Teilnahme bietet der grundlegende Verursachungsgedanke stets eine „Hintertür“ – gleich für welche Variante der Verursachungstheorie. Obwohl die akzessorische Ansicht das selbständige Unrecht der Teilnahme ausdrücklich ablehnt, ziehen ihre Vertreter bei der Aufarbeitung der notwendigen Teilnahme wiederum die zentrale These der reinen Verursachungstheorie heran, nämlich den kausalen Zusammenhang zwischen dem verletzten Rechtsgut und dem Teilnehmer.31 Wenn die reine Verursachungstheorie endgültig als untaugliche Theorie des Strafgrunds der Teilnahme erwiesen wird, lässt sich die „Hintertür“ damit schließen. Deswegen lohnt es sich, sich mit der Verursachungstheorie und ihrem grundlegenden Gedanken näher auseinanderzusetzen. 1. Sperrgebiet der Zuständigkeitserwägungen Die These, dass jede Form der Verursachung einer Rechtsgutsbeeinträchtigung prinzipiell eigenes Unrecht des Verursachers begründe,32 führt mit dem Hinweis auf das kausale Äquivalenzprinzip unausweichlich zu einer Zurechnungsausdehnung ad infinitum, indem nämlich jede Ursache für die Rechtsgutsbeeinträchtigung ein eigenständiges Unrecht begründet; jedoch ist eine derart intensive strafrechtliche Reaktion wegen der damit einhergehenden Begrenzung der Handlungsfreiheit nicht erwünscht.33 Die uferlose Zurechnung führt zu unerwünschten Folgen im Bereich der notwendigen Teilnahme. Der Anstifter werde durch Erweckung des Tatentschlusses beim Ausführenden „mitursächlich“ für die Haupttat. Da es allein auf die Ursa31 Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 30; Gropp (Sonderbeteiligung, S. 71) hat zu Recht bemerkt, dass das Erfordernis der Verwirklichung eigenen Unrechts seitens des Teilnehmers, nämlich die Verknüpfung des Teilnehmerhandelns mit der Rechtsgutsverletzung, die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Theorien des Strafgrunds der Teilnahme ist. 32 Lüderssen, Strafgrund, S. 130 33 Lesch, Beihilfe, S. 171 f.; Man˜alich, Nötigung, S. 132; Wolff-Reske, Verhalten, S. 87 f.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

chensetzung ankommen soll, werden konsequent die Bestimmungsmittel sehr weit gefasst: Genügen soll jede Einflussnahme auf den Haupttäter.34 Eine vermeidbare Verursachung reicht allein so wenig hin, ein Verhalten mit seinen Folgen zu verbinden, wie bei der Ausführung allein eine vermeidbare Verursachung hinreicht, um das Verhalten als Grund der Folgen zu definieren, oder wie bei der Unterlassung allein die Fähigkeit zur Erfolgsabwendung hinreicht, um den Fähigen zum Garanten zu erklären.35 Diese aus der reinen Verursachungstheorie resultierende uferlose Strafbarkeit lässt sich letztlich auf den Rechtsgüterschutzgedanken zurückführen. Für eine allein am Ausbleiben tatbestandlich beschriebener Erfolge orientierte Zurechnungsdogmatik ist es konsequent, jede vermeidbare Verursachung strikt zu verbieten. Aufgrund der zweistelligen Relation zwischen einem sachlichen Substrat und seinem Träger ist die Rechtsgutslehre jedoch nicht in der Lage darzulegen, weshalb und in welchem Umfang andere Personen zur Wahrung der Integrität des Substrats in Anspruch genommen werden dürfen.36 In Bezug auf die Strafbarkeit der Teilnahme sind nicht nur die Interessen des Opfers von Belang, sondern auch die Interessen des Teilnehmers, der durch die Verbotsnorm der Teilnahme in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. Aus diesem Grund muss über die Verursachung einer bestimmten Rechtsgutsbeeinträchtigung hinaus dargelegt werden, weshalb und in welchem Umfang der Teilnehmer zur Wahrung der Integrität des Rechtsgutes in Anspruch genommen werden darf, wie weit also die Zuständigkeit des Teilnehmers reicht. Die einseitige Opferperspektive bringt jedenfalls diejenigen Personen, die durch eine Verbotsnorm in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden, in eine schwierige Situation.37 Vor über 30 Jahren hat Schumann eine „Besonderheit“ der Teilnahmelehre im Vergleich zu den Untersuchungen anderer Rechtsinstitute bemerkt: Während der Kern des strafrechtlichen Unrechts heute überwiegend im Handlungsunrecht gesehen wird, legt die Verursachungstheorie den Schwerpunkt einseitig auf den Erfolgsunwert.38 Diese Bemerkung ist insofern treffend, als bis heute die Teilnahmelehre immer noch als eine Enklave des Verursachungsmodells erscheint. Wenn wir einen vergleichenden Blick auf andere strafrechtliche Institute werfen, zeigt sich die Seltsamkeit der Teilnahmelehre, die gleichsam ein Sperrgebiet für die in der strafrechtlichen Zurechnung sonst allgemein anerkannten Zuständigkeitserwägungen darstellt.

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Noltenius, Kriterien, S. 274. Jakobs, GA 1996, 258. 36 Vgl. nur Jakobs, ZStW 97 (1985), 752 f.; ferner Frisch, Verhalten, S. 74 ff.; ders., Rechtsgut, S. 226 ff.; Pawlik, Verhalten, S. 48 f.; Wohlers, Deliktstypen, S. 24, 48 f., 109. 37 Appel, Verfassung, S. 382; Frisch, Verhalten, S. 74 f.; ders., Rechtsgut, S. 224; Kindhäuser, FS-Maiwald, S. 406 f.; Lagodny, Strafrecht, S. 198. 38 Schumann, Handlungsunrecht, S. 48. 35

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

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Tatsächlich investiert die heutige rechtsgüterschutzorientierte Strafrechtsdogmatik viel Mühe in die Analyse der Zuständigkeitsverteilung, auch wenn sie vereinzelt in einigen Rechtsinstituten unter unterschiedlichen Topoi behandelt und gleichsam von außen an den Grundgedanken der Rechtsgutslehre herangetragen wird.39 Beispielhaft steht im Zentrum der Lehre von der objektiven Zurechnung eine Verteilung von Risikozuständigkeiten und damit eine Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.40 Die unter dem Titel „die Reichweite des Tatbestandes“ behandelten drei Fallgruppen – „die Mitwirkung bei einer vorsätzlichen Selbstgefährdung“, „die einverständliche Fremdgefährdung“, „die Zurechnung des Erfolgs zu einem fremden Verantwortungsbereich“41 kreisen ausnahmslos um die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Betroffenen. Im Rechtsinstitut der Unterlassung geht es bei der Frage nach der Garantenstellung schließlich darum, unter welchen Voraussetzungen jemand für die Belange eines anderen zuständig ist. Dem allgemein in der Fahrlässigkeitslehre angesiedelten Vertrauensgrundsatz liegt ebenfalls die Grundüberzeugung zugrunde, dass ungeachtet einer Setzung der Bedingung in der endlosen Kausalkette das erwartungsgemäße Verhalten die Folgenverantwortung ausschließt – das sogenannte „Vertrauen“ setzt freilich eine Zuständigkeitsverteilung voraus. Aus solchen Lehren ergibt sich das Bekenntnis, dass die Rechtsgutsdogmatik als solche die „Reichweite des Tatbestandes“ nicht abzustecken vermag und diese Reichweite erst durch die Einbeziehung aller betroffenen Rechtspersonen, die für die Ausfüllung eines bestimmten Pflichtenkreises (aber auch nur dafür) verantwortlich sind,42 sachgerecht verarbeitet wird. In der Strafrechtswissenschaft wird weitgehend die These anerkannt und durchgeführt, dass eine kausale Gutsverletzung für die Zurechnung nicht entscheidend ist, weil der Täter eventuell dafür nicht zuständig sein mag. Die Seltsamkeit der herrschenden Teilnahmetheorie macht sich beim Vergleich zwischen den folgenden beiden Fällen mit besonderem Nachdruck bemerkbar. Fall 1: T hat O mit Tötungsvorsatz schwer verletzt. Im Krankenhaus nutzt Arzt A die Gelegenheit, den hilflosen O durch eine Spritze zu töten. Fall 2: A hat mit T einen auf O gerichteten Tötungsplan verabredet. Um O unauffällig zu töten, verletzt T zuerst O und tötet A sodann O im Krankenhaus durch eine Spritze. Nach der verbreiteten Lehre von der objektiven Zurechnung gelangt man unter der Fallgruppe „eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten“ zu dem Befund: Es kommt zur Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs, wenn der Dritte vollverantwortlich eine neue, selbständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr begründet.43 Deswegen ist zwar im Fall 1 Ts Verhalten im Sinne fortwirkender Kausalität für den Tod kausal, aber der Tötungserfolg fällt in As Verantwortungsbereich und ist nicht mehr 39

Pawlik, Unrecht, S. 160 ff.; Lesch, Beihilfe, S. 164; Wolff-Reske, Verhalten, S. 87 ff. Kühl, AT, § 4, Rn. 83 ff.; Otto, AT, §6, Rn. 53 ff.; Rengier, AT, §13, Rn. 48, 77 ff.; Roxin, AT I, §11, Rn. 106 ff. 41 Roxin, AT I, §11, Rn. 106 ff. 42 Pawlik, Unrecht, S. 140. 43 Wessels/Beulke/Satzger, § 6, Rn. 276; Rengier, AT, § 13, Rn. 88. 40

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

als Ts Werk anzusehen.44 Wenn man Ts Verantwortung im Fall 2 ausschließlich in der Mitverursachung von Os Tod sieht, gibt es keinen hinreichenden Grund, Ts Verantwortung im Fall 1 auszuschließen. Denn von dem Gesichtspunkt der Mitverursachung aus ergibt sich kein Unterschied zwischen den beiden Fällen, weil Ts Verhalten immer eine notwendige Bedingung von Os Tod ist. Wenn man sich mit der Mitverursachung als Strafgrund im Bereich der Teilnahme begnügt, aus welchem Grund darf man dann die im Fall 1 vorgenommene normative Erwägung nach der Lehre von der objektiven Zurechnung im Fall 2 ohne weiteres aufgeben? Das Verursachungsmodell geht an den bedeutsamen Punkt vorbei, dass die Handlungen der Beteiligten nicht zufälligerweise mit anderen gemeinsam wirken, sondern die Personen gerade miteinander handeln. Bei Zaczyk heißt es dazu: „Angesichts der Selbstverantwortung des Haupttäters kann es schon dem Ansatz nach nicht genügen, eine solche Barriere mit einem Verwies auf den einlinigen Kausalverlauf zu überspringen.“45 Warum kommt die Erwägung der Zuständigkeitsverteilung im Bereich der Beteiligung ohne weiteres nicht in Betracht, so dass die Verursachungstheorie immer noch die Diskussion der Teilnahme dominiert? Entsprechend dem Rechtsgüterschutz als Strafrechtsaufgabe steht folgerichtig die Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung im Sinne der Äquivalenztheorie als Zurechnungsmodell im Zentrum. Die Zuständigkeitserwägung wird lediglich als eine von außen angefügte Beschränkung angewendet und bildet nicht die grundlegende Überzeugung. Die Doktrin hat sich gewissermaßen daran gewöhnt, eine Rumpelkammer für die durch das Verursachungsmodell nicht gelösten Probleme zu bilden46 und sich dadurch von einer Reflexion des Verursachungsmodells zu befreien. Aber selbst der raffiniertesten Sandburg fehlt stets noch eine solide Grundlage, so dass sie der Herausforderung einer streitigen Frage nicht standhalten kann. Es verwundert nicht, dass es auch eine Rumpelkammer in der Diskussion des Strafgrunds der Teilnahme gibt, nämlich die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme unter dem Topos „Akzessorietät“. Bei der späteren Analyse der akzessorischen Ansicht und der gemischten Theorie werden die Grundlosigkeit des gängig verstandenen Akzessorietätsprinzips und seine Unvereinbarkeit mit dem Verursachungsmodell unter Beweis gestellt. Im Wesentlichen besteht der Mangel oder das Versagen der Rechtsgutslehre nicht darin, dass sie das strafrechtlich schutzwürdige Substrat „Rechtsgut“ nennt – dies ist nicht kritikwürdig, da die diesbezügliche Veränderung der Außenwelt als Indiz der Stellungnahme des Täters gegen seine Pflicht schließlich noch einen Platz in dem Zurechnungsvorgang findet; sondern der Mangel besteht darin, dass sie wegen der Orientierung am Opfer den Zuständigkeitsbereich des Täters nicht auf eine systemkonforme Weise zu bestimmen vermag. Mithilfe der Erwägung der Zuständig44

Rengier, AT, § 13, Rn. 91. Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639. 46 Die Formulierung findet sich in Hilgendorfs Kritik an der Lehre von der objektiven Zurechnung: Hilgendorf, FS-Weber, S. 44. 45

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

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keitsverteilung ist die strafrechtliche Zurechnung erst imstande zu bezeichnen, „was als Rechtsverletzung in wessen Verantwortung fällt“.47 Im Gegensatz dazu erscheint das Zurechnungsmodell, wenn man die Rechtsgutslehre konsequent durchführt, ziemlich bescheiden, indem es nämlich lediglich die Herbeiführung bzw. Herrschaft über die Herbeiführung der Rechtsgutsbeeinträchtigung als zurechnungsrelevant betrachtet. Ohne die Zuständigkeitsverteilung als Ansatzpunkt der Zurechnung ist es von Anfang an unmöglich, dem Rechtsinstitut der Beteiligung gerecht zu werden, bei dem es sich in Wirklichkeit um eine Möglichkeit der Zuständigkeitsverbindung handelt.48 2. Eigenständiges Teilnahmeunrecht Nach Schmidhäuser ist das Teilnehmerdelikt nicht so sehr Teilnahme an einer fremden unerlaubten Tat, sondern vor allem selbst unerlaubtes Handeln in Hinwendung zum Handeln eines anderen.49 Wegen der Selbständigkeit des Teilnahmeunrechts führt die reine Verursachungstheorie zu einer Strafbarkeitslücke bei den echten Sonderpflichtdelikten.50 Da diese Theorie auf die Zurechnung der Tatbestandsverwirklichung der Haupttat verzichtet, muss der Teilnehmer selbst die Tatbestandsmerkmale erfüllen. Aber die vorsätzliche Erfolgsverursachung seitens des Extraneus vermag mangels Täterqualifikation den Tatbestand des betreffenden Pflichtdelikts nicht zu verwirklichen.51 Schmidhäuser hat dies eingeräumt: „Wenn die Verletzung einer Sonderpflicht für den Unrechtstatbestand wesentlich ist, dann kann derjenige, den diese Pflicht nicht trifft, auch nicht als Teilnehmer an der unrechten Tat des Sonderpflichtigen bestraft werden; denn er verletzt auch als Teilnehmer das Rechtsgut nur in der allgemeinen Weise, die das Gesetz straflos gelassen hat.“52 Darüber hinaus ist die Anstiftung oder Beihilfe zum Selbstmord strafbar, wenn die reine Verursachungstheorie konsequent durchgeführt wird.53 Denn das Leben des Täters ist gegenüber dem Anstifter und Gehilfen noch geschütztes Rechtsgut. Der Teilnehmer könne auch selbst den Deliktstatbestand verwirklichen, ohne dass es 47 Müssig, ZStW 115 (2003), 232. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in dem verbreiteten Lehrbuch von Rengier, AT, § 13, Rn. 48: „Als die Grundformel präzisierende Leitlinie kann die Frage dienen, ob der Erfolgseintritt noch als Werk des Täters oder als Werk des Zufalls bzw. als Werk des Opfers oder Dritter einzustufen ist. […] Im Kern geht es also um die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.“ 48 Jakobs, FS-Herzberg, S. 400. 49 Schmidhäuser, AT, § 10, Rn. 9. 50 Vgl. Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 13; Roxin, AT II, § 26, Rn. 15; Haas, Tatherrschaft, S. 131. 51 Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 43. 52 Schmidhäuser, AT, §14, Rn. 98. 53 Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 460 f.; Kritisch dazu vgl. Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 365; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 13.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

dafür einer Haupttat bedürfe.54 Dies führt zur Unvereinbarkeit mit der herrschenden Meinung. In seiner Replik hält Lüderssen den Einwand aufgrund der Symmetrie der Lösung – wenn die Beziehung zum Rechtsgut entscheidet, muss das sozusagen im Guten wie im Bösen gelten – für anfechtbar, weil die akzessorische Ansicht mit denselben Bedenken konfrontiert ist: Geht man von der akzessorischen Ansicht aus und pocht zugleich auf die Symmetrie der Lösung, ist der selbstverletzende notwendige Teilnehmer wiederum strafbar – die Haupttat belastet in jedem Falle, ihr Fehlen entlastet in jedem Falle.55 Das sei zum Beispiel der Fall beim Gefangenen, der zu seiner Flucht den Gefängniswärter anstifte, beim Polizisten, der als Agent Provocateur eingesetzt werde, oder auch beim Patienten, der den Arzt zur Sterbehilfe auffordere.56 Lüderssen versucht durch den Rückgriff auf das Prinzip der Selbstverantwortung die Straflosigkeit der Beteiligung an einer Selbsttötung zu erklären: Ein Arzt, der den Lebensmüden bei der Einnahme des Giftes aktiv mitwirkend unterstützt, bleibt trotz seiner „technisch[en]“ Mittäterschaft straffrei, weil in diesem Fall die prinzipielle Relevanz der Freiheit des Rechtsgutsträgers unberührt bleibe.57 Lüderssens Replik auf die von den Befürwortern der akzessorischen Ansicht angemeldete Kritik ist insofern aussagekräftig, als die akzessorische Ansicht die Symmetrie des Lösungsansatzes nicht konsequent durchzuführen vermag, denn in den Fällen der notwendigen Teilnahme greift sie den Grundgedanken der reinen Verursachungstheorie wieder auf. Aber seine Berufung auf das Selbstverantwortungsprinzip für eine asymmetrische Lösung schließt tatsächlich eine Ablehnung seiner Kernthese in sich. Wenn man der Selbstverantwortung des Rechtsgutsträgers als Teilnehmer Rechnung trägt, ist die Haupttat alles andere als „rein faktischer Natur“,58 sondern ihre normative Bewertung gibt den Ausschlag für die Beurteilung des Teilnahmeunrechts. Also erfordert das Teilnahmeunrecht in Übereinstimmung mit der akzessorischen Ansicht, dass für den Täter das über die Haupttat verwirklichte Geschehen sich als Unrecht darstellen muss. Aber dies führt wiederum zu Schwierigkeiten bei der Problematik der selbstverletzenden notwendigen Teilnahme, weil die Haupttat nach dem geltenden Recht als strafbar bewertet wird. Zudem führen der Verzicht auf die Akzessorietät als Spezifikum der Teilnahme und die identischen Rechtsgutsansprüche, die Teilnehmer und Täter verletzen, zur Einebnung jeglicher Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Täterschaft und Teilnahme, was der herrschenden Position widerspricht.59 Bezüglich der Problematik der notwendigen Teilnahme bringt die bedenkliche Nähe zur Einheitstäterlehre umgekehrt ein „Nebenprodukt“ mit sich: Selbst wenn der notwendige Teilnehmer kein tatbestandlich Geschützter ist, kann man seine Straflosigkeit durch einen Erst-recht54 55 56 57 58 59

Lüderssen, Strafgrund, S. 190. Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 452. Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 452. Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 452 f. Lüderssen, Strafgrund, S. 119. Lange, Teilnahme, S. 60; Renzikowski, Täterbegriff, S. 45; Otto, FS-Lange, S. 203.

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Schluss begründen. Hält man mit Lüderssen fest, dass für die täterschaftliche Selbstbegünstigung, was die Straflosigkeit nach § 257 betrifft, keine Schranken existieren, ist es unmöglich, den Vortäter wegen seiner Beteiligung an seiner Begünstigung durch andere zu bestrafen.60 Diese Schlussfolgerung setzt die Verneinung der qualitativen Unterscheidung zwischen Teilnahme und Täterschaft voraus. Trotzdem versucht Lüderssen die Konsequenz eines mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden extensiven Täterbegriffs durch die Preisgabe der Äquivalenztheorie zu vermeiden: Aus der ontischen Differenz der zur Rechtsgutsverletzung führenden Faktoren folge eine „Wertdifferenz“ in der Weise, dass derjenige, der ein Rechtsgut selbst angreifen könne, grundsätzlich schärfer hafte als derjenige, der dazu eines anderen bedürfe.61 Diese Behauptung beruht auf der Annahme, dass die Eigenhändigkeit eine entscheidende Rolle für die Ermittlung des Unrechtsgrades spielt. Aufgrund der Entwicklung der Tatherrschaftstheorie und der Anerkennung des Begriffs „mittelbarer Täter“ spielt die Eigenhändigkeit oder Unmittelbarkeit der Rechtsgutsverletzung fast keine Rolle bei der Bestimmung der Haftung. Doch selbst wenn die Wertdifferenz anhand des Eigenhändigkeitskriteriums plausibel wäre, gelangte man im besten Falle zur quantitativen Differenz zwischen unterschiedlichen Beteiligungsformen. Der materiale Rechtsgutsanspruch stehe jedem Verhalten entgegen, das in irgendeiner Weise auf die Herbeiführung des dem Achtungsanspruch widerstreitenden Unwertsachverhalts gerichtet sei.62 Solange sich das Unrecht der Teilnahme aus den sich an Rechtsgüterschutz orientierenden Verboten ergibt, die sich an Täter und Teilnehmer gleichermaßen richten, kann der Einwand der Nähe zur Einheitstäterlehre nicht zurückgewiesen werden. Es lässt sich zusammenfassen, dass die reine Verursachungstheorie dem Wesen der Teilnahme nicht gerecht zu werden vermag. Zwar kann sie dank der selbständigen Konstruktion des Teilnahmeunrechts scheinbar eine einfache Erklärungsmöglichkeit für die Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers anbieten. Angesichts der wesentlichen Unangemessenheit und der daraus resultierenden unerträglichen Kosten ist die reine Verursachungstheorie aber trotzdem abzulehnen.

II. Die akzessorische Ansicht Um die mit dem Verzicht auf Akzessorietät der Teilnahme verbundenen Kosten zu vermeiden, wird eine akzessorische Ansicht entwickelt. Ebenso wie die reine Verursachungstheorie sieht sie den Strafgrund der Teilnahme in der Herbeiführung der tatbestandlichen Rechtsgüterverletzung, stellt jedoch den Akzessorietätsgedanken in den Vordergrund. Das Unrecht des Teilnehmers besteht hiernach darin, dass er an der 60 61 62

Lüderssen, Strafgrund, S. 170 ff.; ähnliche Schünemann, in: LK, § 26, Rn. 31. Lüderssen, Strafgrund, S. 136 ff. Schmidhäuser, AT, 10/14; Lüderssen, Strafgrund, S. 83, 161.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Normverletzung des Täters mitwirkt, und muss deshalb nach Grund und Maß vom Unrecht der Haupttat abhängig sein.63 Der große Vorteil dieses Lösungsansatzes liegt in seiner Vereinbarkeit mit dem Akzessorietätsprinzip, wie es den §§ 26 ff. zugrunde liegt. Daher ist zum einen Teilnahme an echten Sonderdelikten möglich;64 zum anderen erklärt sich so, dass eine Mitwirkung am für den Haupttäter straflosen untauglichen Versuch auch für den Teilnehmer straflos bleibt, sofern er dessen Untauglichkeit kennt.65 Hauptsächlich ist die akzessorische Ansicht dem Einwand ausgesetzt, dass wegen der Verabsolutierung des Akzessorietätsgedanken, nämlich der Überbetonung der Mitwirkung an einer Normverletzung, in einigen Fällen die Teilnahme an der Verletzung eigener Rechtsgüter strafbar wäre und das Rechtsgut aus dem Blick gerät, dessen Schutz jedoch das eigentliche Anliegen der Norm ist.66 So gesehen vermag die akzessorische Ansicht für die hier interessierende Problematik der notwendigen Teilnahme gleichermaßen keine befriedigende Lösung anzubieten. Nach Stratenwerth, einem Befürworter der akzessorischen Ansicht, nötigt der Gedanke, dass der Unrechtsgehalt der Teilnahme sich nach dem Unrecht der Haupttat bestimmt, nicht zu dem Umkehrschluss, dass die Veranlassung oder Förderung einer Tat, die sich in der Person des Täters als strafrechtlich relevantes Unrecht darstellt, sich stets auch in der Person des Teilnehmers so darstellen müsse.67 Damit gelangt er zum allgemein anerkannten Ergebnis: Da das Leben des Einzelnen ihm selbst gegenüber rechtlich nicht geschützt ist, bildet die „Anstiftung“ des Sterbewilligen kein Unrecht.68 Aber die Ablehnung des konsequenten Umkehrschlusses bedeutet, entweder der Theorie des Strafgrunds der Teilnahme eine ziemlich begrenzte Leistungskraft zu verleihen oder tatsächlich einen Rückgriff auf die reine Verursachungstheorie vorzunehmen. Der Aussagewert einer Theorie, die ihren eigenen Geltungsanspruch derart herabsetzt – wie Stratenwerth selbst eingeräumt hat, denn diese Theorie wolle „nur einen Grundgedanken formulieren, aus dem sich die Lösung vieler Einzelfragen nicht einfach deduzieren lässt“69 – wird gleichsam auf nahezu Null reduziert. Zudem überspielt diese Vorgehensweise die wirklich erklärungsbedürftigen Fragen: Müssen wir zugunsten der Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendi63

Jescheck/Weigend, AT, § 64 I 2; vgl. auch Heinitz, JR 1954, 403; Rudolphi, ZStW 78 (1966), 92; ders., GA 1970, 36; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, Vor § 25, Rn. 15; Baumann/Weber, AT, § 37 I 1b. 64 Hoyer, in: SK 33 Vor §§ 26 – 31; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, §§ 25 ff., Rn. 15. 65 Heine/Weißer, in: Sch/Sch, §§ 25 ff., Rn. 15; Joecks, in: MK, Vor § 26, Rn. 10. 66 Geppert, Jura 1997, 300; Hoyer, in: LK, Vor § 26, Rn. 15; Renzikowski, Täterbegriff, S. 42; Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 450; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 50; A. Osnabrügge, Beihilfe, S. 38; Nikolidakis, Grundfragen, S. 45; Redmann, Anstiftung, S. 34; Rackow, Handlungen, S. 75. 67 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 122. 68 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 122, 205. 69 Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 122.

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gen Teilnehmers auf die Akzessorietät der Teilnahme verzichten und zur reinen Verursachungstheorie zurückkehren? Haben wir einen alternativen Lösungsweg? Diese Fragen lassen sich erst beantworten, wenn das geläufige Verständnis der Akzessorietät geklärt ist und seine Berechtigung sowie seine Kompatibilität mit der herrschenden Teilnahmetheorie sich bestätigt. Wenn das gängig verstandene Akzessorietätsprinzip als solches problematisch ist und ihm tatsächlich ein tragfähiges Fundament fehlt, ist die schmerzhafte Entscheidung zwischen der unbefriedigenden reinen Verursachungstheorie und dem eine Strafbarkeit der notwendigen Teilnahme herbeiführenden Akzessorietätsprinzip durchaus entbehrlich. Damit wird uns gerade eine Gelegenheit geboten, den akzessorischen Charakter der Beteiligung zu reflektieren. 1. Akzessorietät nach dem gängigen Verständnis Die Akzessorietät als ein Spezifikum der Teilnahme im engen Sinne70 ist im Rahmen der herrschenden Beteiligungsdogmatik aus zwei widerstreitenden Gründen erforderlich: Geht man von einem restriktiven Täterbegriff aus, lässt sich positiv auf die Akzessorietät als den Grund der Strafausdehnung nicht verzichten;71 zudem hat die Akzessorietät eine negative Begrenzungsfunktion insofern, als man davon ausgeht, dass alle Beteiligten einheitlich nach dem für den Alleintäter geltenden Zurechnungsmodell beurteilt werden, wonach jedes Verhalten isoliert von den Beiträgen anderer Mitwirkender darauf hin zu überprüfen ist, ob es nach den Maßstäben der Kausalität als Unrecht betrachtet werden kann.72 Die beiden einander wechselseitig ausschließenden Ausgangspunkte führen zu den verschiedenen Facetten der „Akzessorietät“. „Akzessorietät“ kann zunächst schlicht als Abhängigkeit der Strafbarkeit der Teilnahme von der Existenz einer Haupttat mit bestimmten rechtlichen Qualitäten verstanden werden. Die Abhängigkeit zeigt sich in zwei Aspekten, nämlich als qualitative und quantitative Akzessorietät. Bezüglich der qualitativen Akzessorietät setzt jede Teilnahme im Einklang mit dem geltenden Recht eine tatbestandsmäßigrechtswidrige Haupttat voraus. Unter dem Titel der quantitativen Akzessorietät fordert die herrschende Auffassung, dass der Täter die Haupttat wenigstens versucht haben muss. Die Bedeutung der Akzessorietät erschöpft sich insofern in der negativen, strafbarkeitseinschränkenden Funktion, als aus der Gesamtheit aller für eine Rechtsgutsverletzung kausalen Handlungen solche herausgefiltert werden, die eine charakteristische Struktur aufweisen; Akzessorietät bedeutet aber nicht etwa, dass 70 Maurach/Gössel/Zipf, AT II7, § 53, Rn. 1 ff.; dazu Poppe, Akzessorietät, S. 25; Bloy, Beteiligungsform, S. 313 ff.; Hoyer, in: SK, Vor §§ 26 ff., Rn. 5; Klesczewski, FS-Puppe, S. 614; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 16, Rn. 767. 71 Vgl. Vogler, FS-Heinitz, S. 300. 72 Roxin, in: LK, Vor § 26, Rn. 5; ders., FS-Stree/Wessels 1993, 365, 381; so auch Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 5; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 18; Geppert, Jura 1997, 299, 300; diesbezüglich zustimmend Bloy, JA 1987, 490, 492.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

das Unrecht der Teilnahme von der Haupttat „entlehnt“ wird.73 Die Akzessorietät bezieht sich in diesem Sinne auf die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme. Deswegen können selbst die Vertreter der reinen Verursachungstheorie im Sinne einer „faktischen Abhängigkeit“74 oder einer Abhängigkeit „gesetzestechnischer Natur“75 bestimmte Forderungen an die Haupttat aufstellen. Aber die strafbarkeitseinschränkende Akzessorietät vermag z. B. der Strafbarkeit des Extraneus als Teilnehmer bei den Sonderdelikten noch nicht gerecht zu werden. Daher muss die Akzessorietät ferner eine strafbarkeitsbegründende Funktion haben. Wenn die akzessorische Ansicht behauptet, dass das vorsätzliche Unrecht, das der Täter begeht, auch dem mitwirkenden Teilnehmer zugerechnet wird,76 impliziert das nicht nur, dass Teilnahme die Tat eines anderen voraussetzt, sondern auch, dass das Unrecht des Haupttäters auf den Teilnehmer transferiert werden kann und das Unrecht des Teilnehmers ausmacht.77 Insofern kommt dem Akzessorietätsprinzip eine positive, strafbegründende Funktion zu. Als Strafgrund der Teilnahme steht die Akzessorietät gleichsam in einem Spannungsverhältnis zum Verursachungsmodell. Denn beide bezeichnen jeweils einen Quell des Teilnahmeunrechts. Zudem besteht ein bedenklicher Konflikt zwischen dem so verstandenen Akzessorietätsprinzip und dem Schuldprinzip: Nach dem Schuldprinzip haftet jeder Beteiligte nur für das jeweils eigene verschuldete Unrecht und nicht für fremdes zugerechnetes Unrecht.78 Trotzdem ist Akzessorietät im Sinne der Zurechnung des Unrechts der Haupttat zum Teilnehmer in der Literatur weit verbreitet, ohne dass allerdings ihre Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip thematisiert würde.79 Im Sinne der Ableitung des Teilnahmeunrechts vom Haupttatunrecht als des spezifischen Zurechnungsmodells der Teilnahme im Vergleich zur Täterschaft führt das Akzessorietätsprinzip ferner eine Schwierigkeit in der Behandlung der notwendigen Teilnahme herbei. Die gängige Begründung der Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers stützt sich auch bei den Vertretern der akzessorischen Ansicht weitgehend auf einen Erst-recht-Schluss: „Jedenfalls sind Leben und Körper nicht gegen eine Beeinträchtigung durch das Opfer selbst geschützt, so dass auch deren mittelbare Beeinträchtigung keine Teilnahmestrafbarkeit begründen

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Schmidhäuser, AT, 10/9; Bloy, Beteiligungsform, S. 183; Puppe, ZStW 2008 (120), 504. Lüderssen, Strafgrund, S. 25. 75 Schmidhäuser, AT, 10/10. 76 Roxin, AT, § 26, Rn. 11. 77 Maurach/Gössel/Zipf, AT, S. 230, Rn. 31; Roxin, in: LK, Vor § 26, Rn. 4; Jescheck/ Weigend, AT, S. 685 f. 78 Vgl. Hass, Tatherrschaft, S. 131; Lüderssen, Strafgrund, S. 47 f.; Nikolidakis, Grundfragen, S. 50; Cornacchia, FS-Jakobs, S. 63. 79 Mit Nuance in Bloy, Beteiligungsform, S. 251 f., 256, 263; ders. ZStW 117 (2005), S. 18; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 20 f.; ders., FG-Roxin, GA 2006, 298 ff.; Kindhäuser, NStZ 1997, 274. 74

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kann.“80 Selbst wenn der notwendige Teilnehmer kein durch den Tatbestand Geschützter ist, z. B. jemand zur Gefangenenbefreiung anstiftet, um sich selbst der Strafe zu entziehen, darf er nicht unter Strafe gestellt werden, denn Strafvollzug sind nicht dagegen geschützt, dass der Delinquent selbst sich ihnen entzieht.81 Kurzum: „Wo die ,Täterschaft‘ straflos ist, muss es die Teilnahme erst recht sein.“82 Ein Erst-recht-Schluss ist lediglich dann schlüssig, wenn sich die beiden verglichenen Fälle durch nichts anderes unterscheiden als dadurch, dass das steigerungsfähige Merkmal im zu entscheidenden Fall schwächer ausgeprägt ist als im Ausgangssatz.83 Zugunsten der Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers ist der Erst-recht-Schluss erst gültig, wenn hinsichtlich der Beteiligungszurechnung eine „mittelbare Beeinträchtigung“ des Teilnehmers im Vergleich zur unmittelbaren Beeinträchtigung des Haupttäters keinen entscheidenden Unterschied darstellt. Aber die Lage der herrschenden Beteiligungslehre spricht tatsächlich dagegen. Nachdrücklich wird häufig hervorgehoben, dass man, während die täterschaftliche Verantwortung selbständig sei, die Teilnehmer für die vom Täter begangene Straftat erst verantwortlich machen kann, wenn ihnen die Haupttat akzessorisch zugerechnet werden kann.84 Die verbreitete Tatherrschaftstheorie „kräftigt“ weiter den scharfen Gegensatz zwischen der Selbständigkeit der Täterschaft und der Akzessorietät der Teilnahme. Damit drängt sich die Frage auf, warum die scharfe Abgrenzung zwischen Teilnahme und Täterschaft bei der Begründung der Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers gleichsam verschwindet und stattdessen ein abgestuftes Verhältnis zwischen ihnen entsteht. Wenn die Akzessorietät konsequent durchgeführt wird, kann ein untauglicher Täter auch als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden, was die Strafbarkeit des Extraneus als Teilnehmer beim Sonderdelikt schon deutlich beweist. Deswegen gerät ein solcher Erst-recht-Schluss in eine Aporie, weil seine Gültigkeit den Verzicht auf das Akzessorietätsprinzip als Spezifikum der Teilnahme im engen Sinne und die Ablehnung einer qualitativen Unterscheidung zwischen Teilnahme und Täterschaft voraussetzt. Damit drängen sich Bedenken auf, ob das herkömmliche Verständnis der Akzessorietät als Spezifikum der Teilnahme als solches angemessen und solide begründet ist. Die Vertreter der akzessorischen Ansicht melden den Einwand gegen die reine Verursachungstheorie an, dass sie „das Verhältnis zwischen Teilnehmer und

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Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 30; ähnlich auch Gropp, Sonderbeteiligung, S. 139 ff.; ders. AT, 10, Rn. 163 ff.; Kühl, AT § 20, Rn. 139; Sowada, Teilnahme, S. 62 ff.; Cramer/Heine, in: Sch/Sch, Vor §§ 25 ff., Rn. 27. 81 Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 30; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 240; ders. AT, § 10, Rn. 173 ff.; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 75; gegen diese Argumentation Sowada, Teilnahme, 197 ff. 82 Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 371; ähnlich Jakobs, AT II, 24/12; dagegen Otto, FS-Lange, S. 211. 83 Puppe, Schule, S. 189. 84 Vgl. Klesczewski, FS-Puppe, S. 614; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 16, Rn. 767.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Haupttat auf eine rein faktische Abhängigkeit ohne normatives Gewicht“ reduziere.85 Aber inwiefern vermag die akzessorische Ansicht zur Begründung des Akzessorietätsprinzips beizutragen, so dass sie sich im Vergleich zur reinen Verursachungstheorie als vorzugswürdig anerkennen lässt? Es ist etwas überraschend, dass nach allen Diskussionen über den Strafgrund der Teilnahme und nach den vorgebrachten Argumenten die herrschende Meinung sich mit einer schlagwortartigen, auf dem Akzessorietätsgedanken basierenden Beschreibung des Teilnehmestrafgrunds ohne nähere Begründung begnügt.86 Neben nichtssagenden Behauptungen – „wer überhaupt am Begriff der Teilnahme festhält“, müsse sie anerkennen;87 die Akzessorietät folge schlicht und einfach „aus dem Wesen der Teilnahme“88 – betrifft die ziemlich knappe Argumentation in der Literatur im Wesentlichen die beiden folgenden Punkte: zum einen die Betonung der faktischen Wirkung der Teilnahmetat auf die Haupttat, zum anderen die Berufung auf das positives Recht. Die hier anschließende Darlegung beweist, dass die vermeintliche Begründung der Akzessorietät der Teilnahme als „des Kaisers neue Kleider“ in der Beteiligungsdogmatik erscheint: Obwohl jedermann darüber redet, ist die Akzessorietät im Sinne des üblichen Verständnisses der Sache nach grundlos. 2. Akzessorietät aufgrund faktischer Förderung der Haupttat? Es ist eine übliche Formulierung, durch die Hervorhebung der faktischen Wirkung der Teilnahmetat auf die Haupttat die rechtliche Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat zu erklären: Der Teilnehmer wird durch Bestimmung oder Förderung der Haupttat mittelbar für eine Rechtsgutsverletzung ursächlich. Insofern muss das Unrecht der Teilnahme in einem gewissen Sinn von dem der Haupttat abhängig sein.89 Diese These erweckt den Eindruck, dass sich eine rechtliche Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat automatisch aus dem faktischen Zusammenhang zwischen ihnen ergibt. Letztlich wird die Verbindung zwischen Teilnehmer und Haupttäter dennoch mithilfe einer Kausalkette aufgefasst.90 Insofern verabschiedet die akzessorietätsorientierte Ansicht sich durchaus nicht vom naturalistischen Ver85 Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 14; Sax, ZStW 90 (1978), 927; Renzikowski, Täterbegriff, S. 45; Poppe, Akzessorietät, S. 464. 86 Nikolidakis, Grundfragen, S. 44; ferner Jakobs, FS-Yamanaka, S. 112. 87 Birkmeyer, Teilnahme, S. 4. 88 Welzel, Strafrecht, S. 115. 89 Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 12; Vogler, FS-Heinitz, S. 301; Kindhäuser, AT, 38/16; Jescheck/Weigend, § 64 I 2; Kühl, AT, § 20, Rn. 132; Maurach/Gössel/Zipf, § 50, Rn. 57. 90 Vgl. Koriath, FS-Maiwald, S. 425; Das Argument für die Notwendigkeit der Kausalität der Beihilfe für die Haupttat lautet, dass die Beihilfe als letztlich selbständiges Teilnehmerdelikt interpretiert würde, wenn man auf die Kausalität der Hilfeleistung für die Haupttat verzichten wollte (Heine/Weißer, in: Sch/Sch, § 27, Rn. 6; ähnlich auch Schünemann, in: LK, § 27, Rn. 2). Dies bestätigt auch, dass sich im Rahmen der Verursachungstheorie die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat aus der Kausalität zwischen ihnen speist.

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ursachungsmodell, sondern folgt nach wie vor bei der Begründung der normativen Verbindung zwischen Teilnahme und Haupttat diesem grundlegenden Modell. Zaczyk hat treffend auf den Punkt gebracht, dass ein „Verursachen“ der Tat, das den Haupttäter als bloßes kausales Zwischenglied behandelt, weder dem Verhalten des Haupttäters noch dem des Teilnehmers gerecht wird.91 Die folgende Ausführung beweist zwei Befunde: Zum einen führt die Vorstellung der Kausalität zwischen Teilnahme und Haupttat zur Inkonsistenz bei der Behandlung des Haupttäters; zum anderen vermag aus einer faktischen Förderung keine normative Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat zu folgen. Die These, Teilnahme sei ein Erfolgsdelikt und die Tatbestandsverwirklichung durch den Täter sei als Erfolg der Teilnahme anzusehen, ist häufig: Trennt man zwischen „Handlung“ i. S. des Vollzugs der plangemäßen Körperbewegungen des Täters und den tatbestandlich beschriebenen „Ergebnissen“ dieser Handlung, ist die volle Strafbarkeit des Täters wegen dieser Handlung „abhängig“ vom Eintritt außerhalb derselben liegender Ergebnisse; insofern ist die Akzessorietät der Teilnahme nichts Besonderes, denn die Haupttat ist der „Erfolg“ des Teilnehmerhandelns.92 Auf diese Begründungsweise schrumpft die Haupttat von einer freiverantwortlichen Handlung zu einem Teil der Kausalkette zwischen Anstiftung und dem tatbestandlichen Erfolg, der nur noch den Beitrag des Teilnehmers wirksam vermitteln muss.93 Solches Verständnis übersieht jedoch den Unterschied zwischen dem bei der Zurechnung thematisierten Kausalurteil und dem Kausalurteil im üblichen Sinn. Das Kausalurteil im Fall der Zurechnung bezieht sich auf eine „Kausalität aus Freiheit“, die zwar auch „Kausalität“ ist, d. h. sie bestimmt und verändert Wirklichkeit, jedoch einen qualitativ anderen Grund hat, nämlich die Freiheit des Menschen, die den Ursprung der Veränderung bildet.94 Denn dem Menschen als vernünftigem Wesen ist die Qualität eigen, nach selbstgesetzten Regeln zu leben und zu handeln.95 Der Handelnde ist deswegen eine besondere Ursache, nämlich eine „causa libera“, das heißt er kann Abstand davon nehmen, eine Ursache zu sein.96 Die „Kausalität aus Freiheit“ ist im Bereich der Beteiligung besonders bedeutsam, weil in das Tatgeschehen ein weiteres Tatsubjekt einbezogen ist.97 Angesichts der Selbst91

Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639; ähnlich vgl. Vogel, Norm, S. 82 f. Dencker, Kausalität, S. 197 f. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch bei Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 652; Schmidhäuser (AT, 10/9): Wenn das Strafgesetz das Teilnehmerdelikt von einer begangenen Haupttat abhängig macht, so drückt sich darin nur aus, dass es zur Strafwürdigkeit des Teilnehmerhandelns in den meisten Fällen eines Erfolgsunwerts bedarf, dessen Struktur sich von derjenigen des Erfolgsdelikts nicht unterscheidet. 93 Kritisch wie hier Jakobs, AT II, § 22, Rn. 5; ders., Theorie, S. 25; Samson, in: SK, Vor § 26, Rn. 11. 94 Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 634; Renzikowski, FS-Puppe, S. 211. 95 Pawlik, Unrecht, S. 282; Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 635. 96 Kant, Kritik der praktischen Vernunft (1788), in: Kants Gesammelte Schriften, Band 5, 1913, A 175. 97 Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 638. 92

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

verantwortung des Haupttäters ist es von Anfang an zum Scheitern verurteilt, das Unrecht der Teilnahme mit einem Verweis auf den Kausalverlauf zu begründen. Wenn man auf das Unrecht des Teilnehmers eingeht, darf man nicht einfach über die Freiverantwortlichkeit des Haupttäters hinweggehen.98 Dencker99 führt ein Beispiel an: Legt ein Einzeltäter nach Kriminalromanvorbild dem Opfer eine Giftschlange ins Bett, so hängt die Vollendungsstrafe davon ab, dass die Handlung des Täters ihre „Fortführung“ durch eine Handlung der Schlange erfährt. Dencker gelangt daher zu der Folgerung: Der motivierte Haupttäter ist nichts grundsätzlich anderes als der als Werkzeug eingesetzte Schlange. Wenn man diesen Gedankengang durchführt, gerät man in die Nähe der reinen Verursachungstheorie, weil nach Lüderssen eine strafbare Teilnahme auch an einem Unglück denkbar ist, sie setze nämlich keine „menschliche Haupttat“ voraus: „Auch wer nur Öl in die Flammen eines bereits infolge einer Naturkatastrophe brennenden Hauses gießt, setzt eine Ursache für den Brand des Hauses.“100 Freilich findet diese extreme Position keine explizite Anerkennung. Gleichwohl entfaltet sie eine heimliche Wirkung in der Begründung der Akzessorietät der Teilnahme. Der Sache nach widerspricht die Parallele zwischen Haupttäter und Schlange als Deliktswerkzeug dem allgemein anerkannten Menschenbild, dem zufolge der Mensch eine auf Freiheit und Selbstverantwortung angelegte Person ist.101 Die Freiheit der Person erweist sich sowohl in negativer Hinsicht als Unabhängigkeit von determinierenden Trieben als auch positiv als Fähigkeit zur Befolgung von Regeln,102 als die logische Möglichkeit von Normen.103 Eine verantwortliche Person kann gegebenfalls in einem gewissen Umfang psychisch gelenkt werden, aber diese Steuerung hebt die Eigenverantwortlichkeit des Handelnden so lange nicht auf, wie ihm noch die zur Normbefolgung hinreichende Handlungs- und Motivationsfähigkeit zugeschrieben werden kann.104 Den Zusammenhang zwischen Anstifter und Haupttäter auf eine Kausalität zu reduzieren, überschätzt unangebracht die Wirkmacht des Anstifters gegenüber dem anderen Vernunftwesen und unterschätzt die Selbstbestimmung des Haupttäters.105 Menschliches Handeln insgesamt auf ein 98 Jakobs, Theorie, S. 25 f.; ders., GA 1996, S. 257; Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 639; Frisch, FS-Lüderssen, S. 544; Welp, Grundlage, S. 274. 99 Dencker, Kausalität, S. 197. 100 Lüderssen, Strafgrund, S. 189 f. 101 Vgl. BVerfGE 7, S. 198 (205); 32, S. 98 (106 ff.); 45, S. 187 (227 f.); 49, S. 286 (298); 65, S. 1 (41); Heine, Verantwortlichkeit, S. 29; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 12; Renzikowski, Täterbegriff, S. 67; Pawlik, Unrecht, S. 219. 102 Kant, Metaphysik der Sitten (1797), in: Kants gesammelte Schriften, Band 6, 1907, S. 213 f.: „Die Freiheit der Willkür ist jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe; dies ist der negative Begriff derselben. Der positive ist: das Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein.“; Renzikowski, FS-Puppe, S. 212. 103 Vgl. Renzikowski, FS-Puppe, S. 212; v. Wright, Norm, S. 114 ff. 104 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 643; Noltenius, Kriterien, S. 276. 105 Noltenius, Kriterien, S. 276; Hruschka, ZStW 110 (1998), 591.

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naturgesetzlich determiniertes Geschehen zurückzuführen, kann nur insofern legitim sein, als dies innerhalb der naturwissenschaftlich-kausalistischen Beschreibungssprache geschieht.106 Aber es geht bei der strafrechtlichen Zurechnung keineswegs um eine naturwissenschaftliche Beschreibung.107 Deswegen muss bei der strafrechtlichen Zurechnung die Sonderstellung der causa libera qua talis gegenüber der bloßen causa naturalis qua talis gesichert werden.108 Wenn man auf der Parallele zwischen Haupttäter und Schlange insistiert, ist der Preis dafür nicht gering, weil dies bedeutet, die Haupttat nicht mehr als freiverantwortliche Handlung anzusehen. Infolgedessen lässt sich das Unrecht dem Haupttäter nicht zurechnen.109 Diese Kosten ist freilich niemand bereit zu bezahlen. Geht man von der Verursachungstheorie aus, sieht man sich letztlich gezwungen, bei der Begründung der Verantwortung der Teilnahme die Haupttat als ein „Objekt der freien Willkür, welches selbst der Freiheit ermangelt“110 zu einer „Sache“ herabzusetzen, sie also als causa naturalis zu betrachten, bei der Begründung der Verantwortung des Haupttäters die Haupttat jedoch als causa libera anzusehen. Die Inkonsistenz ist unübersehbar.111 Darüber hinaus ergibt sich keine normative Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat unmittelbar aus einer bloß faktischen Förderung oder Unterstützung. Es ist zu erkennen, dass es bei der strafrechtlichen Zurechnung um einen Zusammenhang rechtlicher Urteile geht.112 Was in der Außenwelt und in der Psyche des Täters geschieht, muss ins Rechtliche transformiert werden.113 Bei der strafrechtlichen Zurechnung lautet die maßgebliche Frage deshalb nicht: „Was bewirkt das Verhalten?“, sondern: „Was bedeutet es?“.114 Naturalistisch gesehen verursacht die Teilnahmehandlung durch die Vermittlung der Haupttat den tatbestandlichen Erfolg. Aber dieser Aspekt beantwortet lediglich die strafrechtlich irrelevante Frage: „Was bewirkt die Teilnahmehandlung, und auf welche Weise?“ Im Gegensatz dazu verweist das Akzessorietätsprinzip auf eine normative Bedeutung, nämlich die Zurechnung der fremden Deliktsausführung. Der Vertreter der gemischten Theorie hat immerhin bemerkt, dass die Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat nicht bloß faktischer Natur, sondern für die Ausgestaltung der Teilnahmebestrafung rechtlich maßgebend ist.115 Aber die akzessorische Ansicht beantwortet die relevante Frage, nämlich die Bedeutung eines deliktischen Verhaltens, in der Tat durch die Rede von einer 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Pawlik, Unrecht, S. 283. Jakobs, Theorie, S. 46 f. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 561; Pawlik, Unrecht, S. 290. Vgl. Hruschka, ZStW 110 (1998), 587. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 330. Joerden, Strukturen, S. 88. Jakobs, System, S. 16. Jakobs, System, S. 16 f. Jakobs, System, S. 17. Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 4.

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„mittelbaren Verursachung“ im naturalistischen Sinne nachlässig oder gar nicht. Die Antwort passt nicht zur Frage.116 Wie Bloy treffend betont, ist, wenn es gemäß dem Akzessorietätsprinzip auf das Verhältnis der Teilnahme zum Haupttatunrecht ankommen soll, die Beziehung zweier Personen zueinander, nämlich die des Teilnehmers zum Täter, Gegenstand aller Bemühung um den Begriff der Teilnahme – und nicht ein kausal erklärbares Ereignis, denn Unrecht ereignet sich nicht als naturgesetzliches Phänomen, sondern einzig zwischen Personen.117 Ebenso wie ein Übersetzer beide Sprachen beherrschen muss, muss das strafrechtliche Zurechnungsmodell zum einen sich auf das Geschehen in der Außenwelt und in der Psyche des Täters beziehen, zum anderen durch die Bezugnahme auf das strafrechtlich relevante Bewertungsschema – nämlich die Strafrechtsnormen – die bestimmte Bedeutung des Geschehens im strafrechtlichen Sinne produzieren. Das Verursachungsmodell, das nur eine naturalistische „Sprache“ beherrscht, ist für die Arbeit als „Übersetzer“ nicht qualifiziert. Das Verursachungsmodell ist insofern nicht falsch, als es die Teilnahme als eine Setzung der Ursache der Rechtsgutsbeeinträchtigung beschreibt; zum Begreifen des sozialen Phänomens „Handlung“ im strafrechtlichen Sinne ist eine solche Beschreibung jedoch fehl am Platz.118 Die Wiederholung von Worten gegenüber fremdsprachigen Personen hilft nicht bei der Kommunikation; die Hervorhebung der faktischen Wirkung der Teilnahme auf die Haupttat hilft auch nicht bei der Erschließung der rechtlich relevanten Bedeutung. Naturalistische Sinngebungsmuster gehen an dem spezifischen Sinn von Handlungen als kommunikativen Stellungnahmen von vornherein vorbei.119 Aus den obigen Ausführungen folgt, dass die Akzessorietät der Teilnahme keinen Anhaltspunkt in der Herbeiführung der Haupttat finden kann. 3. Akzessorietät und die positiv-rechtlichen Regelungen Bezüglich der qualitativen Akzessorietät mag man auf das positive Recht zurückgreifen: Dass die Beteiligung „im Sinne der Akzessorietät geregelt ist, kann de lege lata nicht bezweifelt werden“; die Teilnahme ist von der Existenz einer vorsätzlichen Haupttat abhängig, denn erst durch die Begehung der Haupttat vollendet sich der Unrechtstatbestand der §§ 26, 27.120 Die Gleichstellung der Bedeutung der 116 Eine ähnliche Kritik äußert Koriath (FS-Maiwald, 2010, S. 421) gegen die sachlogischen Gesichtspunkte von Welzel bezüglich des Unterschieds zwischen Täterschaft und Teilnahme und des Akzessorietätsprinzips: „Wie gelangt man denn – logisch korrekt – von einer (empirisch, deskriptiven) sachlogischen Struktur (z. B. ,Der Anstifter verursacht den Tatentschluss des Täters‘) zu der Norm, dem Verbot der Anstiftung genannten Handlungsweise (z. B. ,Wer einen anderen dazu bestimmt, einen Menschen zu töten, soll bestraft werden!‘)?“. 117 Bloy, Beteiligungsform, S. 202. 118 Pawlik, Normbestätigung, S. 22. 119 Pawlik, Normbestätigung, S. 21. 120 Frank, Strafgesetzbuch, S. 121, 126; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 126; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, § 16, Rn. 793; Jescheck/Weigend, AT, S. 655.

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Akzessorietät der Teilnahme mit §§ 26 ff. läuft auf eine Unterschätzung der Relevanz der Untersuchung zur Akzessorietät hinaus. Nach Gropp liegt die Problematik der notwendigen Teilnahme gerade darin, dass der notwendige Teilnehmer das in §§ 26 ff. dargelegte akzessorische Erfordernis formal erfüllt hat.121 Um die Richtigkeit von Gropps Urteil zu beurteilen, ist die nähere Betrachtung des Verhältnisses zwischen der Akzessorietät und §§ 26 ff. erforderlich. Wenn die Gleichstellung der Akzessorietät mit den positiven Regelungen nicht berechtigt ist, ist Gropps Bemerkung grundlos. Somit darf man nicht ohne weiteres konstatieren, dass der notwendige Teilnehmer das in §§ 26 ff. vorgegebene akzessorische Erfordernis formal erfüllt hat. Das auf positives Recht bezogene Argument für die Abhängigkeit der Teilnahme ergibt tatsächlich wenig Sinn, wenn man die Aufgabe der Strafrechtswissenschaft richtig erfasst. Als eine praktische Wissenschaft beschäftigt sich die Strafrechtswissenschaft damit, nach rationalen Begründungen für die Bestrafung zu suchen.122 Um diese Aufgabe zu erfüllen, formuliert sie zuerst die Bedingungen, unter denen das geltende Strafrecht den anerkannten Paradigmen entsprechend anzuwenden ist.123 Darüber hinaus nimmt die Strafrechtswissenschaft auch in Anspruch, das geltende Recht kritisch zu prüfen, d. h. nach der Rationalität der Straftatbestände zu fragen.124 Wenn die Strafrechtswissenschaft sich nicht auf die bloße Aufbereitung der rechtlichen Grundlagen für praktische Entscheidungen beschränkt, die als solche ebenso wenig eine wissenschaftliche Tätigkeit ist wie die Anwendung technischer Regeln durch einen Handwerker,125 kann der Wiederholung der positiv-rechtlichen Regelung als Argument für ihre Legitimation kaum Überzeugungskraft zuerkannt werden. Diese Vorgehensweise, durch die Wiederholung des Akzessorietätserfordernisses im geltenden Gesetz den Schwachpunkt des Verursachungsmodells zu verschleiern und damit weiter zu erhalten, steht in umgekehrtem Verhältnis zur Aufgabe der Beteiligungsdogmatik, nämlich der Suche nach der Rationalität der positiv-rechtlichen Regelungen der Teilnahme. So stellt Samson, der selbst die gemischte Theorie vertritt, zu Recht fest: „Die durch Akzessorietätserwägungen modifizierte Verursachungstheorie hat den Vorzug, dass sie mit dem Gesetz vereinbar ist. Soweit sie von der herrschenden Lehre vertreten wird, erklärt sie [je]doch nichts“.126 Insofern begründet die akzessorische Ansicht das Teilnahmeunrecht nicht, sondern beschreibt es lediglich. Das Gleiche gilt für das positiv-rechtliche Argument, dem zufolge Akzessorietät eine „Ergänzung“ des Verursachungsmodells sei. Die „Vereinbarkeit mit dem Gesetz“ bedeutet in diesem Fall nicht, dass das Argument 121

Gropp, Sonderbeteiligung, S. 70. Vgl. Pawlik, FS-Jakobs, S. 476; Kubiciel, Wissenschaft, S. 18; Kindhäuser, FSYamanaka, S. 443. 123 Kindhäuser, FS-Yamanaka, S. 446; Kubiciel, Wissenschaft, S. 13 ff. 124 Kubiciel, Wissenschaft, S. 18; Kindhäuser, FS-Yamanaka, S. 443. 125 Kindhäuser, FS-Yamanaka, S. 445. 126 Samson, in: SK, Vor § 26, Rn. 12; vgl. auch Otto, FS-Lange, S. 197 ff.; Noltenius, Kriterien, S. 276. 122

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eine erfolgreiche diskursive Stellungnahme und deswegen überzeugend ist, sondern lässt sich darauf zurückführen, dass das Argument als Wiederholung des Gesetzeswortlauts durchaus nichts zur Diskussion beigetragen hat und lediglich einen Zirkelschluss darstellt. Es ist nicht zu übersehen, dass die akzessorische Ansicht dem Verursachungsmodell verhaftet ist. Beizupflichten ist der Ansicht, dass vor dem Hintergrund dieser erfolgszurechnungsbezogenen Sichtweise die rechtliche Qualität des Täterverhaltens keine begriffsnotwendige Voraussetzung der Teilnehmerstrafbarkeit sein kann, weil die Bedeutung des Täterverhaltens sich in einem erfolgsvermittelnden Faktor erschöpft.127 Die Kritik trifft vor allem auf die Ausweitung der Teilnahmestrafbarkeit zu, die Lüderssen vorgeschlagen hat: Teilnahme soll auch ohne Haupttat möglich sein, etwa wenn ein Naturvorgang lediglich in seiner Wirkung verstärkt wird, oder bei der Förderung eines freiverantwortlichen Selbstmords.128 Vor dem Hintergrund einer Auffassung, die das Verbrechen in erster Linie als Rechtsgutsverletzung und die Teilnahme dementsprechend als nichts anderes denn eine „Mitverursachung“ einer Rechtsgutsverletzung erklärt, erscheint freilich das positiv-rechtliche Erfordernis der „Vorsätzlichkeit“ und „Rechtswidrigkeit“ der Haupttat als grundlos und zugemutet.129 Wenn das Verursachungsmodell die Abhängigkeit der Teilnahme vom Unrecht der Haupttat in den Vordergrund rückt – wir lassen die Grundlosigkeit dieser Vorgehensweise vorerst beiseite –, mag das einfach zur Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht führen. Die Konzeption, das Unrecht der Teilnahme aus dem Unrecht der Haupttat abzuleiten, führt aber das Verständnis des Kriminalunrechts in die Diskussion ein. Die Entscheidung für ein zwischen tatbestandsmäßigem Unrecht und Schuld differenzierendes Verbrechensmodell, die inhaltliche Konkretisierung dieser Wertungsstufen des Verbrechensbegriffs und der Umfang der von diesen Gliederungsstufen umfassten Elemente sind für die Akzessorietät der Teilnahme von Bedeutung.130 Der Formulierung des § 26, „wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat“, wird ganz überwiegend entnommen, dass die Haupttat zwar rechtswidrig, aber nicht unbedingt auch schuldhaft gewesen sein müsse, gemeint ist also limitierte Akzessorietät.131 Der Verzicht auf die Anforderung einer schuldhaften Haupttat findet seine Rechtfertigung allein auf dem 127 Poppe, Akzessorietät, S. 463; Jakobs, AT, 22/5; Jescheck/Weigend, S. 686; Otto, AT, § 22, Rn. 6. 128 Lüderssen, Strafgrund, S. 214 f.; ders., FS-Miyazawa, S. 460. 129 Diesbezüglich formuliert Pawlik (FS-Otto, S. 151) pointiert: „Fasst man die Teilnahme als Erbringung eines Beitrags zu der rechtsgutgefährdenden Weltgestaltung eines anderen auf, so liegt es in der Tat nahe, sich im Hinblick auf den Haupttäter mit der Klärung der Frage zu begnügen, ob das Opfer dessen Zugriff auf seine Güter dulden musste oder nicht.“ 130 Poppe, Akzessorietät, S. 443. 131 Vgl. nur Wessels/Beulke, AT, Rn. 553; Roxin, AT II, § 26, Rn. 4.

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Boden der Lehre von der objektiven Rechtswidrigkeit, die das Unrecht rein erfolgsbezogen versteht und sämtliche täterbezogenen Faktoren im Begriff der Schuld zusammenfasst, denn nur in diesem Fall kann man das Unrecht als allen Beteiligten gemeinsam und die Schuld als individuell begreifen.132 Wenn allerdings die Lehre von der objektiven Rechtswidrigkeit konsequent durchführt wird, gehört der Vorsatz zur Schuld. Dies bedeutet, dass eine Teilnahme an einer fahrlässigen Haupttat durchaus möglich ist. Dies entspricht jedoch dem geltenden Gesetz wiederum nicht. Es gibt die Ansicht, dass das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat nicht erklärungsbedürftig ist, wenn man den Vorsatz als subjektiven Teil des Tatbestandes einordnet, da sich schon aus dem Erfordernis einer tatbestandsmäßigen Haupttat ergibt, dass diese auch vorsätzlich sein muss.133 Aber selbst im Rahmen des gängigen Deliktsaufbaus ist das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat fern von einer Selbstverständigkeit. Denn auch wenn die Zugehörigkeit des Vorsatzes zum subjektiven Tatbestand sich heute allgemein durchgesetzt hat, bedeutet dies nicht, dass die fahrlässig begangene Straftat kein tatbestandsmäßiges Unrecht enthält.134 In der Tat lässt sich das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat allein mit der Berufung auf ein am finalen Handlungsbegriff orientiertes Tatherrschaftsverständnis konsequent legitimieren, nach dem die Tat „wirklich das Werk des Täters[, d. h. eine] zweckbewusste Durchführung seines Willensentschlusses“ sein müsse.135 Wenn die Haupttat nicht vorsätzlich vorgenommen wird, hat der Täter keine Herrschaft über die Tat und deswegen gibt es keine teilnahmefähige Haupttat. Aber die finale Handlungslehre findet heute überwiegend keinen Beifall und liefert kein Argument für die Zugehörigkeit des Vorsatzes zum Tatbestand.136 Obwohl die dominierende Tatherrschaftslehre sich aus der finalen Handlungslehre speist,137 werden dagegen die objektiven Voraussetzungen stärker betont.138 Ein Produkt der finalen Handlungslehre zu erben, nämlich den Vorsatz als Tatbestand einzuordnen und die Tatherrschaftslehre zu rezipieren, ohne die Lehre als solche anzuerkennen, vermag nicht die Selbstverständlichkeit eines Nebenprodukts der Lehre im Rahmen des gegenwärtigen Handlungsverständnisses zu rechtfertigen. Die obige Überlegung zeigt die missliche Situation der positiv-rechtlichen Regelung im Rahmen der gegenwärtigen Doktrin. Um die Entbehrlichkeit der Schuldhaftigkeit der Haupttat zu begründen, muss man auf die Lehre von der objektiven Rechtswidrigkeit zurückgehen. Aber diese Herangehensweise steht vor zwei Problemen: Zum einen schließt diese Lehre die Möglichkeit der Teilnahme an einer fahrlässigen Tat nicht aus; zum anderen wird sie heute mit der Personalisierung 132 133 134 135 136 137 138

Pawlik, Unrecht, S. 273. Roxin, AT II, § 26, Rn. 6. Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 12, Rn. 126. Welzel, Abhandlung, S. 163. Roxin, AT I, § 10, Rn. 67. Welzel, ZStW 58 (1939), 491, 539, 543. Gallas, Beiträge, S. 48; Roxin, Täterschaft, S. 316, 330.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

des Unrechtsbegriffs und der Objektivierung des Schuldurteils als überholt angesehen.139 Im Gegensatz dazu muss man wiederum die finale Handlungslehre heranziehen, um das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat zu begründen; diese Lehre findet jedoch keinen Anklang in der gegenwärtigen Literatur. Im Rahmen der Verursachungstheorie lässt sich weder die Teilnahmefähigkeit einer schuldlosen Haupttat noch das Erfordernis der vorsätzlichen Haupttat begründen. Es lässt sich zusammenfassen, dass die Akzessorietät der Teilnahme im Sinne der Ableitung des Teilnahmeunrechts aus dem Unrecht der Haupttat konsequent zur Strafbarkeit der selbstverletzenden notwendigen Teilnahme führt. Die Ableitung des Teilnahmeunrechts aus dem Unrecht der Haupttat ist als solche unbegründet. Das auf positives Recht bezogene Argument für die Akzessorietät im negativen Sinne ist ebenfalls anfechtbar. Man darf nicht ohne weiteres konstatieren, dass die notwendige Teilnahme die Regelungen der §§ 26 ff. schon erfüllt. Die akzessorische Ansicht, die im Wesentlichen die faktische Kausalität zwischen Teilnahme und Haupttat hervorhebt, vermag kaum zur Untersuchung der notwendigen Teilnahme beizutragen.

III. Der akzessorische Rechtsgutsangriff Um einerseits das „Verdienst“ der reinen Verursachungstheorie, die selbständigen Unrechtselemente der Teilnahme hervorzuheben, weiter zu genießen, andererseits dem geltenden Gesetz zu entsprechen, versucht die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutsangriff eine Synthese zwischen der reinen und der akzessorietätsorientierten Verursachungstheorie zu entwickeln. Demgemäß ist das Teilnahmeunrecht teils aus dem Täterunrecht abgeleitet, und zwar insoweit, als es akzessorisch ist, nämlich das vorsätzliche Unrecht, das der Täter begeht, auch dem mitwirkenden Teilnehmer zugerechnet wird; es ist aber selbständig insofern, als diese Zurechnung nur dann erfolgt, wenn sich die Mitwirkung an der Tätertat zugleich als eigener Rechtgutsangriff des Teilnehmers darstellt.140 Das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs ist demgemäß der Schlüssel zur Lösung der Problematik der notwendigen Teilnahme: Die fehlende Geschütztheit des verletzten Rechtsgutes gegenüber dem „Teilnehmer“ schließt trotz akzessorischer Verursachung einer strafbaren Tätertat das Teilnahmeunrecht aus.141 Auf die hier interessierende Problematik der notwendigen Teilnahme wirft das Verursachungsmodell einen unübersehbaren Schatten, indem es den Eindruck erweckt, dass die kausale Beziehung des Teilnehmers zum tatbestandlichen Erfolg für die Teilnahmezurechnung den Ausschlag geben muss, wenn es darum geht, die Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers zu erläutern. Durch 139

Vgl. Pawlik, Unrecht, S. 260 f., 274. Roxin, AT II, § 26, Rn. 11; ders., FS-Stree/Wessels, 380 f.; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 2; Amelung, FS-Schroeder, S. 149; Hoyer, in: SK, Vor §§ 26, 17 f.; Rengier, AT, 45/2. 141 Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 370. 140

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die Anforderung des selbständigen Rechtsgutsangriffs wird die Rechtsgutsträgereigenschaft des teilnehmenden Tatopfers eingeführt. Im Rahmen der Rechtsgutsdogmatik und des Verursachungsmodells erscheint die Konstruktion einer solchen kausalen Beziehung als der einzige Lösungsweg für die Problematik der notwendigen Teilnahme.142 Aber es steht außer Zweifel, dass die einseitige Betonung dieser Beziehung zu unerwünschten Konsequenzen führt. Deswegen muss man nach einer Möglichkeit der Kombination von Verursachungs- und Akzessorietätsdenken suchen, nämlich darlegen, dass das Unrecht der Teilnahme sowohl aus dem Täterunrecht als auch aus eigenem Unrecht abgeleitet wird. Falls der Kombinationsversuch nicht gelingt, entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Lösung der Problematik der notwendigen Teilnahme und dem Akzessorietätserfordernis der Teilnahme: Die Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers setzt die Preisgabe der Akzessorietät voraus; das Beharren auf dem Akzessorietätsprinzip schließt wiederum die Möglichkeit der Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers aus. Es kommt infolgedessen bei der Behandlung der notwendigen Teilnahme auf die Kombinationsmöglichkeit zwischen dem Verursachungsmodell und dem Akzessorietätsprinzip an. Die anschließende Ausführung bemüht sich zuerst um die Begründung der These, dass das Verursachungsmodell und die Akzessorietät einander wechselseitig ausschließen. Dann wird das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs aufgrund der Lehre von der objektiven Zurechnung geprüft. Schließlich ist als Ergebnis festzuhalten, dass von der Lehre des akzessorischen Rechtsgutsangriffs eine überzeugende Lösung für die Problematik des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers nicht zu erwarten ist. 1. Unmöglichkeit der Kombination Wie oben gesagt hat das Konzept der Akzessorietät zum einen eine positive Begründungsfunktion für das Unrecht der Teilnahme, zum anderen eine negative Begrenzungsfunktion. Meines Erachtens lassen sich die beiden Facetten der Akzessorietät nicht widerspruchslos in das Verursachungsmodell einfügen. Zuerst kollidiert die in der Verursachungstheorie implizierte Einebnung jeglicher Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Täterschaft und Teilnahme mit der Voraussetzung der Akzessorietät. Die Ableitung des Teilnahmeunrechts vom Unrecht des Haupttäters setzt zuerst voraus, dass die Teilnahme von der Täterschaft kategorisch abgegrenzt wird, denn nur die Teilnahme ist akzessorisch, die Täterschaft ist hingegen selbständig, während die Verursachungstheorie sich auf die Äquivalenztheorie stützt und daher keine qualitative Differenz zwischen Täterschaft und Teilnahme ermöglicht. Insofern schließen beide Unrechtsquellen einander aus.

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Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 15; A. Osnabrügge, Beihilfe, S. 40.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Gegen die Synthese zwischen dem Verursachungsmodell und dem Akzessorietätsprinzip wird auch eingewandt, dass hierbei unklar bleibt, wie das Teilnahmeunrecht selbständig und abgeleitet zugleich konzipiert werden kann.143 Nach dem gängigen Verständnis des Akzessorietätsprinzips trägt „[d]ie Teilnahme […] ihren […] Unrechtsgehalt nicht in sich selbst, sondern bezieht sie aus der fremden Tat“,144 während das Verursachungsmodell das Teilnahmeunrecht in der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs durch den Tatbeitrag erblickt. Bloy bringt dies auf den Punkt: Die Zurechnungsregelungen der Verursachungstheorie und der Akzessorietät können als inkommensurable Größen nicht sinnvoll auf derselben Ebene miteinander gekoppelt werden, weil sie sich auf verschiedenen Dimensionen der menschlichen Realität beziehen.145 Ihre Kombination ist in diesem Sinne eine Paradoxie.146 Es ist unmöglich, den Konflikt zwischen Verursachungstheorie und Akzessorietätsgedanken in einer systematisch befriedigenden Weise aufzulösen. Wenig überzeugend ist an diesem Konzept, dass es zwei heterogene, sich wechselseitig ausschließende Erklärungsansätze miteinander kombiniert und deshalb nicht zu einer Einheit höherer Ordnung gelangt.147 Die zwingende Addition heterogener Erklärungsansätze ohne verbindenden Oberbegriff führt unausweichlich zu einem systematisch gesehen unbefriedigenden Dezisionismus. Nach Sowada vermeidet die gemischte Theorie durch offene Betonung einer Kombination von haupttatbezogenen und teilnehmereigenen Unrechtselementen die mit den einseitig ausgerichteten Erklärungsmodellen verbundenen Unzulänglichkeiten und baut deswegen das Spannungsverhältnisses zwischen der Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers und dem Akzessorietätsprinzip ab.148 Beispielhaft ist im Fall der Mitwirkung am Suizid dem Teilnehmer ein Unrecht nach der Verursachungstheorie zurechenbar, weil das Leben anderer Menschen ein schutzwürdiges Rechtsgut für den Teilnehmer darstellt, während ihm nach dem Akzessorietätsprinzip mangels rechtswidriger Haupttat kein Unrecht zurechenbar ist.149 In diesem Fall scheint das Akzessorietätsprinzip maßgeblich zu sein. Im Gegensatz dazu muss das anstiftende Opfer, das sich von einem anderen verletzen lässt, straflos bleiben; denn in diesem Fall besteht kein selbständiger Rechtsgutsangriff, der nach der Verursachungstheorie für die Strafbarkeit der Teilnahme erforderlich ist. Warum funktioniert hier die Akzesso-

143 Kritisch Vogel, Norm, S. 85; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 68; Bloy, Beteiligungsform, S. 253; Renzikowski, Täterbegriff, S. 43; Jakobs, Theorie, S. 12 f., Fn. 8; ders., FSYamanaka, S. 113; Noltenius, Kriterien, S. 277. 144 Jescheck/Weigend, AT, S. 657. 145 Bloy, Beteiligungsform, S. 254; Hamdorf, Beteiligungsmodelle, S. 270. 146 Lüderssen, Strafgrund, S. 63 ff.; Bloy, Beteiligungsform, S. 177; Koriath, FS-Maiwald, S. 426; Nikolidakis, Grundfragen, S. 48; Jakobs, FS-Yamanaka, S. 113. 147 Bloy, Beteiligungsform, S. 253; Lüderssen, FS-Miyazawa, S. 454; Jakobs, FS-Yamanaka, S. 113. 148 Sowada, Teilnahme, S. 76 f. 149 Roxin, AT II, § 26, Rn. 3.

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rietät nicht mehr?150 Dadurch, dass man je nach dem praktisch gewünschten Ergebnis ad hoc entweder die eine oder die andere Komponente in den Vordergrund rückt, wird der Konflikt nur künstlich abgebrochen bzw. verschleiert. Eine den Ansprüchen der Wissenschaftstheorie standhaltende Begründung des Teilnahmeunrechts lässt sich auf dem Wege eines solchen Dezisionismus aber nicht erreichen. Damit erweist sich, dass die gemischte Theorie auf schwankendem Grund steht. Die Verfechter können den jeweiligen Anwendungsbereich der Einzelelemente nur unter Hinweis auf die mit ihrer Hilfe jeweils erzielten Ergebnisse angeben. Dies bedeutet: Die Ergebnisse werden unter Verweis auf die Prinzipien, die Prinzipien ihrerseits aber durch den Hinweis auf ihre Erforderlichkeit zur Erzielung der schon vorweg für richtig gehaltenen Ergebnisse legitimiert. Wie Bitzilekis zu Recht betont, ist eine Theorie nicht nur nach ihren Ergebnissen zu bewerten, sondern auch nach dem theoretischen Fundament, auf dem diese Ergebnisse basieren.151 Die gemischte Theorie vermag das Verhältnis, in dem die von ihr anerkannten Teilkomponenten zueinander stehen, nicht in einer systematisch hinreichend kontrollierten Weise zu bestimmen. Durch eine zwingende Kombination wird die Strafgrundtheorie der Teilnahme letztlich durch die bloße Benennung der Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme entleert bzw. ersetzt, d. h. der Strafgrund selbst bleibt ungeklärt. Schumann bringt dies auf den Punkt: Darin liegt „nicht mehr als eine schlagwortartige Beschreibung des Kausalitätserfordernisse und der Akzessorietät der Teilnahme ohne eigenständigen Aussagegehalt darüber, was es rechtfertigt, den Teilnehmer am Unrecht der Haupttat teilnehmen zu lassen“.152 Darüber hinaus gibt es im Verursachungsmodell keinen Raum für die negative Begrenzungsfunktion der Akzessorietät. Der Grund dafür liegt in der Entscheidung für einen entleerten Handlungsbegriff als grundlegenden Begriff. Lange hat im Jahr 1940 zu Recht bemerkt, dass die Untersuchung der Teilnahme sich einseitig an der Erfolgsverursachung orientiert und die „entleerte“, fortschreitende Kausalisierung des Handlungsbegriffs dafür verantwortlich ist.153 Die Bemerkung ist bis heute noch gültig. Offenbar hat das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das Strafrecht eingebrochene naturalistische Denken,154 unter dem die Handlung als willensgetragene Körperbewegung beliebigen Inhalts bezeichnet wird155 und dementspre-

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Jakobs (Theorie, S. 12 f., Fn. 8.) äußert ebenfalls Skepsis gegen die Mixtur aus eigenem und zugerechnetem fremdem Unrecht: „Wenn der Teilaspekt des ,Rechtsgutsangriffs‘ wegfällt, warum bleibt dann nicht der andere Teil erhalten?“; siehe auch ders., FS-Yamanaka, S. 113; in Bezug auf die Problematik des Provokateurs hat Keller (Grenzen, S. 172) auch auf den unklarrelativen Stellenwert des Kriteriums „eigener Rechtsgutsangriff“ gegenüber der Akzessorietät hingewiesen. 151 Bitzilekis, Handlung, S. 65. 152 Schumann, Handlungsunrecht, S. 46. 153 Lange, Teilnahme, S. 59 ff. 154 Pawlik, Normbestätigung, S. 27; Lesch, Beihilfe, S. 173. 155 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 129 f.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

chend die Zurechnung zur blanken naturgesetzlichen Kausalität degeneriert,156 der Diskussion zum Strafgrund der Teilnahme weitgehend ihren Stempel aufgedrückt. Wenn man einen Blick auf die klassische Zurechnungslehre wirft, nach der die Zurechnung als „Judicium über freye Handlungen“ verstanden wird,157 ergibt sich ein Handlungsbegriff mit komplexen Facetten: Zum einen ist der Handlungsbegriff insofern der Basisbegriff der Zurechnung – genauer gesagt, der Zurechnungsbegriff als solcher –, als sich lediglich die causa libera zurechnen lässt;158 zum anderen ist die Handlung eine verantwortliche Stellungnahme zu Strafrechtsnormen, weil die Zurechnung als „Judicium“ sich stets auf das Verhältnis der Handlung zum bestimmten Bewertungsschema bezieht.159 Im Gegensatz dazu lehnt die heutige Strafrechtsdogmatik im Anschluss an Radbruch einen anspruchsvollen Handlungsbegriff ab.160 Statt als Keim der Zurechnungslehre den analytischen Wert des Handlungsbegriffs zu entfalten, erschöpft sich die Aufgabe des Handlungsbegriffs in der Antwort auf die Frage: Wann darf und muss mit der Prüfung eines Delikts begonnen werden?161 Die Antwort lautet: Wenn eine Erfolgsverursachung durch irgendeinen Willkürakt vorliegt.162 Nach Radbruch lässt sich die Aufgabe einer „systematischen Klassifikation“ der Merkmale des Verbrechens nur dergestalt erfüllen, dass einem Begriff „durch eine Folge divisiver Subsumationsurteile eine Anzahl anderer Begriffe als seine Arten und deren Unterarten untergeordnet“ werden.163 Beharrt man auf einem naturalistischen Handlungsbegriff, so müssen Alleintäterschaft und Beteiligung notwendigerweise nach ein und demselben Zurechnungsmodell beurteilt werden, das wesentlich dadurch charakterisiert ist, „die aktuelle Beherrschung des zur Rechtsgutverletzung führenden Geschehens“ als entscheidenden Zurechnungsgrund anzusehen164 und einen kausalen Zusammenhang zwischen der Teilnahmetat und dem tatbestandlichen Erfolg herzustellen. Die oben erwähnten Schwierigkeiten der reinen Verursachungstheorie lassen sich auf den Grund zurückführen, dass der Bezugspunkt der Teilnahmezurechnung nach der Verursachungstheorie stets bei dem Teilnahmeverhalten bleibt, das doch selbst isoliert gesehen kein Kriminalunrecht begründet.165 Um diese Schwierigkeiten zu bewältigen, versucht die Verursachungstheorie sich der Akzessorietät als „faktischer Abhängigkeit“ der Teilnahme von der Haupttat zu bedienen. Aber auf welchem 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165

Vgl. dazu Bloy, Beteiligungsform. S. 100 f.; Schünemann, Systemdenken, S. 21. Kant, Praktische Philosophie Powalski, AA Bd. 27/1, S. 153. Vgl. Kant, Metaphysik der Sitten Vigilantius, AA Bd. 27/2, S. 561. Pawlik, Normbestätigung, 21 f. Vgl. Radbruch, Handlungsbegriff, S. 68 ff.; statt aller Kühl, AT, S. 12. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 21. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 21. Radbruch, Handlungsbegriff, S. 9. Schünemann, Unterlassungsdelikte, S. 53. Jakobs, FS-Puppe, S. 554; ders., Theorie, S. 9 f. und passim.

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

99

Grund ist die Teilnahme von der Haupttat rechtlich abhängig? Ein an der Erfolgsverursachung orientierter Handlungsbegriff vermag keine Hinweise dafür anzubieten und führt sogar konsequenterweise zum umgekehrten Schluss – das Erfordernis bestimmter Qualität der Haupttat verhindert als äußere Schranke, „die Rechtsgutsbeeinträchtigung einer Person zuzurechnen“. Die Akzessorietät als Strafbarkeitsvoraussetzung der Teilnahme ist im Rahmen der Verursachungstheorie zwar dringend erforderlich, um der uferlosen Strafbarkeit zu vorbeugen, ist aber nicht schlüssig begründet. 2. Selbständiger Rechtsgutsangriff aufgrund der Lehre von der objektiven Zurechnung? Neben dem Versuch der Kombination der beiden Zurechnungsmodelle führt Roxin das Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs für die Strafbarkeit der Teilnahme an, das sich trotz fehlender ausdrücklicher Erwähnung im Gesetzeswortlaut durch Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Teilnahme herausarbeiten lässt.166 Trotz der Akzessorietät als teilnahmespezifisches Zurechnungskriterium erfordert die Teilnahmezurechnung nach dem Vorbild der Täterzurechnung die vorsätzliche Schaffung eines unerlaubten Risikos durch den Teilnehmer als selbständigen Rechtsgutsangriff.167 Das Argument ist aus folgenden Gründen nicht einleuchtend. Vor allem ist unverständlich, welche Rolle die Lehre von der objektiven Zurechnung für eine Konstruktion der selbständigen Beziehung zwischen Teilnehmer und tatbestandlichem Erfolg spielt. Die begründungsbedürftige These lautet, dass, genauso wie beim Alleintäter, die Verletzung eigener Belange durch Teilnahme nicht unter Strafe gestellt werden kann. Der Schwerpunkt liegt insofern auf der Begründung der eventuellen Gemeinsamkeit des rechtlichen Urteils bei Beteiligung und Alleintäterschaft, aber nicht darauf, auf welche spezifische Weise das rechtliche Urteil vorgenommen wird – bei Roxin ist freilich seine Lehre von der objektiven Zurechnung berechtigtes Kriterium eines rechtlichen Urteils. Aber irgendein NichtVertreter der Lehre von der objektiven Zurechnung könnte auch behaupten, dass eine bestimmte Beziehung zwischen dem Handelnden und dem tatbestandlichen Erfolg die gemeinsame Strafbarkeitsvoraussetzung für den Alleintäter und den Teilnehmer ist. Roxins Rückgriff auf seine Lehre von der objektiven Zurechnung hilft also nicht. Zweitens besteht, auch wenn man die Belanglosigkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung für die begründungsbedürftige Annahme beiseitelässt, ein unübersehbarer Konflikt in Roxins Argumentation. Ihm zufolge muss der Teilnehmer einen eigenen Vorsatz haben, der ein Stück selbständiges Teilnahmeunrecht dar166

Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 365. Roxin, AT II, § 26, Rn. 9; ders., FS-Stree/Wessels, S. 365; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 2. 167

100

2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

stellt.168 Wenn der Teilnehmer die Tatbestandsverwirklichung nicht will, wird eine Gefahr für das Rechtsgut nicht oder wenigstens nicht vorsätzlich geschaffen, so dass aus diesem Grunde eine Zurechnung zum Teilnehmer unterbleiben muss.169 Aber nach dem gängigen Verständnis liegt die Aufgabe der Lehre von der objektiven Zurechnung darin, die Umstände anzugeben, die aus einer Verursachung eine rechtlich relevante Tatbestandshandlung machen; ob eine solche Handlung dann zum subjektiven Tatbestand zugerechnet werden kann und damit vorsätzlich ist, wird nicht im Rahmen der objektiven Zurechnung erörtert.170 Einerseits wird der Versuch unternommen, „ein Stück selbständigen Teilnahmeunrechts“ mit der Berufung auf die Lehre der objektiven Zurechnung zu beweisen, die nichts mit dem Vorsatz zu tun hat; andererseits folgt der Versuch, aufgrund des angeblichen „Stücks selbständigen Teilnahmeunrechts“ die Erforderlichkeit des Vorsatzes des Teilnehmers zu begründen. Es ist unerklärlich, warum nicht auch die Fahrlässigkeit des Teilnehmers bezüglich der Tatbestandsverwirklichung dieses „Stück selbständigen Teilnahmeunrechts“ auszumachen vermag. Drittens: Selbst, wenn die Forderung nach einem eigenen Rechtsgutsangriff des Teilnehmers plausibel wäre, ist es fragwürdig, ob sie die eventuelle Strafbarkeit des notwendigen Teilnehmers zu verhindern vermag. Nach der verbreiteten Meinung ist der Provokateur straffrei, weil er seinerseits das tatbestandlich geschützte Rechtsgut nicht angreifen, sondern seine Verletzung gerade verhindern will.171 Insofern zeigt sich eine gewisse Parallele zwischen der Frage nach dem Provokateur und dem selbstverletzenden notwendigen Teilnehmer. Keller hat darauf hingewiesen, dass im Handeln des Provokateurs ein solcher eigener Rechtsgutsangriff gefunden werden kann: Unter Zugrundelegung der Eindruckstheorie bewirkt der Provokateur, der einen Versuch vorsätzlich fördert, auch eine Rechtsgutsgefährdung, indem er nämlich durch die Erschütterung der Normgeltung die soziale Anerkennung des Rechtsguts gefährdet.172 Ungeachtet der Schlüssigkeit von Kellers Berufung auf die Eindruckstheorie als solche ist seiner Ansicht insofern zuzustimmen, als der in Rede gestellte Teilnehmer seinerseits irgendein Rechtsgut angreifen mag. Es ist zu erkennen, dass das Rechtsgut im gegenwärtigen Kontext ein weit gefasster, flexibler Begriff ist.173 Gerade wegen der Entgrenzung des Rechtsgutsbegriffs ist es durchaus nicht schwierig, einen eigenen Rechtsgutsangriff des selbstverletzenden Teilnehmers zu konstruieren. Wenn man die Anliegen des Tabuschutzes im Fall des § 216 als tatbestandlich geschütztes Rechtsgut ansieht, betrifft die Anstiftung zum Totschlag an sich selbst freilich den Sterbewilligen selbst – der Sterbewillige erschüttert auch

168 169 170 171 172 173

Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 373. Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 374, 381. Roxin, AT I, § 11, Rn. 46. Roxin, AT I, § 26, Rn. 8. Keller, Grenzen, S. 172. Stuckenberg, ZStW 122 (2010), 34.

B. Rechtsgutbasierte Teilnahmekonzeption

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die Ehrfurcht vor dem Leben als sozialpsychisches Tötungstabu und vollzieht daher einen eigenen Rechtsgutsangriff. Aus der obigen Untersuchung zur gemischten Theorie ergibt sich, dass angesichts der Unmöglichkeit, das Verursachungsmodell mit der Akzessorietät auf eine systemkonforme Weise zu kombinieren, die Lehre des „akzessorischen Rechtsgutsangriffs“ keine befriedigende Lösung für die Problematik der notwendigen Teilnahme bietet. Diese Rettungslosigkeit lässt sich nicht durch das unbegründete Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs bewältigen.

IV. Zwischenergebnis Um die Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers zu begründen, ist der Bezug des Teilnehmers zur Tatbestandsverwirklichung zu bearbeiten. Im Rahmen des verbreiteten Verursachungsmodells ist der Lösungsweg ziemlich simpel und besteht einzig darin, die Kausalität zwischen der Teilnahme und dem tatbestandlichen Erfolg aufzuzeigen. Aber zum einen lässt sich die freiverantwortliche Ausführung einer anderen Person nicht als maßgeblich verursacht darstellen, zum anderen reichen die Feststellung multipler Kausalität sowie die jeweilige Kenntnis der Tatbestandsverwirklichung nicht hin, um eine Beteiligung anzunehmen. Deswegen vermögen die rechtsgutsbasierten Ansätze die Problematik der notwendigen Teilnahme nur teilweise scheinbar zu „lösen“: teilweise deshalb, weil diese Lösung keine Hinweise für die Fälle anzubieten vermag, in der der notwendige Teilnehmer nicht der tatbestandlich geschützte „Rechtsgutsträger“ ist; scheinbar ist die Lösung deshalb, weil das auf die reine Verursachungstheorie zurückgreifende Erfordernis des selbständigen Rechtsgutsangriffs als solches grundlos ist und sich nicht widerspruchfrei in das herkömmlich verstandene Akzessorietätsprinzip einfügen lässt. Denn die Beteiligung als verbundenes Verhalten ist von der bloßen kumulativen Herbeiführung eines Erfolgs durch eine Vielzahl von Einzelbeiträgen abzugrenzen. Deswegen bemüht sich die herrschende Doktrin darum, die Akzessorietät der Teilnahme von der Haupttat zu begründen, durch die einerseits die aus dem Verursachungsmodell resultierende Zurechnungsausdehnung beschränkt wird und andererseits das Unrecht des Teilnehmers, der keine Tatbestände eigenhändig erfüllt, von dem Unrecht des Haupttäters abgeleitet wird. Aber wie oben bewiesen wurde, ist die so verstandene Akzessorietät nicht nur als solche fragwürdig und unbegründet, sondern sie führt auch die konsequente Strafbarkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers herbei. Die Frage drängt sich auf, wie der Bezug des Teilnehmers zur Tatbestandverwirklichung sachgerecht so konstruiert werden kann, dass einerseits der besonderen Beziehung des Teilnehmers zum tatbestandlichen Erfolg Rechnung getragen wird, andererseits das verbundene Verhältnis zwischen den Beteiligten überzeugend begründet wird. Da die Wurzel des Konflikts zwischen der Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers und der Akzessorietät in dem Verursachungsmodell liegt, liegt es nahe, eine gegensätzliche

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Position ins Auge zu fassen, nämlich Teilnahmekonzeptionen, die von dem Gedanken der Zuständigkeitsverteilung ausgehen.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption Unterschiedliche Vorannahmen führen zu unterschiedlichen Problemdefinitionen.174 Trotz des „Strafgrundes der Teilnahme“ als gemeinsamen Themas beschäftigen sich die Autoren angesichts unterschiedlicher Vorannahmen eigentlich mit unterschiedlichen Problemen. Die oben behandelte Verursachungstheorie und ihre Varianten stützen sich grundsätzlich auf die Rechtsgutsbeeinträchtigung als den materiellen Straftatbegriff und die Herbeiführung solchen Erfolges als den Grundsatz der Zurechnung. Es besteht jedoch die Einsicht, „dass die Herstellung und Sicherung von Bedingungen des menschlichen Zusammenleben keine Frage des Schutzes einer abzählbaren Menge wertvoller Objekte“ ist,175 sondern dass sie auf das Problem der Abgrenzung personaler Freiheitsräume antwortet.176 Wenn man aufgrund der Erwägung der Zuständigkeitsverteilung die strafrechtliche Verantwortung in der Verletzung der Belange eines anderen im eigenen Organisationskreis, für den man selbst zuständig ist, sieht, gestaltet sich die Frage nach dem Strafgrund der Teilnahme völlig anders und lässt sich als die Frage formulieren, „warum trotz der Freiverantwortlichkeit des Handelns des Haupttäters der Anstifter oder Gehilfe Verantwortung tragen muss“.177 Eine freiheitliche Rechtsordnung geht davon aus, dass die Person grundsätzlich zu freier Selbstbestimmung fähig ist und deshalb die Konsequenzen seines Verhaltens selbst zu verantworten hat.178 Dementsprechend besteht eine Abgrenzung der den einzelnen Individuen von Rechts wegen zugewiesenen Verantwortungsbereiche. Aus der Trennung der Rechtssphären folgt, dass zunächst jeder selbst für die Konsequenzen verantwortlich ist, die sich aus der Organisation seines Rechtskreises ergeben; dadurch wird ein bloßer Mitverursacher entlastet,179 denn die Selbstverantwortung als Kehrseite der Handlungsfreiheit steht einer Überwälzung der Verant-

174

Kuhn, Struktur, S. 159; Pawlik, FS-Paeffgen, S. 17. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 264. 176 Pawlik, Unrecht, S. 141. 177 Schumann, Handlungsunrecht, S. 43; Frisch, FS-Lüderssen, S. 540, 544; Jakobs, ZStW 89 (1977), 23 ff., 26 f. Auch Herzberg, GA 1991, 149 f. betont, dass die strafausdehnenden Regelungen des § 27 wegen des Prinzips der Eigenverantwortung und Nichtanlastung fremden Unrecht „unter Druck stehen“ und dass es unbefriedigend ist, die Strafausdehnung bloß unter Verweis auf die Entscheidung des Gesetzgebers zu begründen. 178 Hälschner, Strafrecht, Bd. 1, S. 183 und passim; Schumann, Handlungsunrecht, S. 1; Otto, FS-Tröndle, S. 157; Welp, Grundlage, S. 275, 285; Pawlik, Unrecht, S. 219 f. 179 Vgl. Schumann, Handlungsunrecht, S. 1, 6; Welp, Grundlage, S. 275 ff., 285 f.; Bloy, Beteiligungsform, S. 138; Renzikowski, Täterbegriff, S. 71. 175

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

103

wortlichkeit auf andere grundsätzlich entgegen.180 Im Fall der Beteiligung läuft der Gedankengang gleichsam auf eine eventuelle Zurechnungslücke der Teilnahme hinaus. Denn die Verwirklichung des Unrechts als eine selbstbestimmte Weltgestaltung fällt prinzipiell vor allem in den Zuständigkeitsbereich des freiverantwortlichen Haupttäters. In einem zuständigkeitsgeprägten Kontext wird die Tatbestandsverwirklichung nicht selbstverständlich wie im Sinne der Mitverursachung demjenigen Teilnehmer als sein Werk zugerechnet, der eine fremde freiverantwortliche Deliktsausführung veranlasst oder unterstützt. Geht man von dem Gedanken der Zuständigkeitsverteilung aus, bildet die Bewältigung der eventuellen Zurechnungslücke der Teilnahme die hauptsächliche Aufgabe. In Bezug auf die Problematik der notwendigen Teilnahme mag eine zuständigkeitsbasierte Teilnahmelehre uns eine aussichtsvolle Grundtheorie anbieten. Wenn die Mitverursachung der Teilnahme nicht mehr als hinreichender oder relevanter Grund für das Teilnahmeunrecht betrachtet wird, wird die Beziehung des Teilnehmers zur Tatbestandsverwirklichung und zum tatbestandlichen Erfolg vom Verursachungsmodell entkoppelt. Die Befreiung des Teilnahmeunrechts vom Verursachungsmodell ermöglicht wiederum ein neues Verständnis der Akzessorietät. Wird die Akzessorietät nicht mehr als Ableitung des Teilnahmeunrechts vom Unrecht der Haupttat aufgefasst, erscheint der wiederholte erzwungene Rückgriff auf die reine Verursachungstheorie nicht mehr als einziger Lösungsweg für die selbstverletzende notwendige Teilnahme. Dadurch kann das Problem des unaufhebbaren Widerspruchs zwischen dem Verursachungsmodell und der Akzessorietät der Teilnahme in Bezug auf die Problematik der notwendigen Teilnahme bewältigt werden. Die spiegelbildliche Frage zum Strafgrund der Teilnahme lautet, ob die freiverantwortliche Ausführung ein Regressverbot begründet, so dass die Tatbestandsverwirklichung dem Teilnehmer nicht als sein Werk zugerechnet werden kann. Nach ihrer Einstellung zum Regressverbot werden die zuständigkeitsbasierten Auffassungen in zwei Gruppen unterteilt: (1) Mit dem Regressverbot ist nach Auffassung der ersten Gruppe gemeint, dass wegen der Autonomie des Ausführenden die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr als Werk des Teilnehmers zugerechnet wird. Folglich ist für die Teilnahme ein besonderes Unrecht anzunehmen, das sich vom Unrecht der Täterschaft qualitativ unterscheidet. Repräsentativ dafür sind die Auffassungen von Schumann und Renzikowski. In diesem Fall wird das Selbstverantwortungsprinzip tatsächlich an den restriktiven Täterbegriff geknüpft. (2) Trotz der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung ist nach der zweiten Gruppe von Ansätzen das Regressverbot im Bereich der gemeinsamen Deliktsausführung abzulehnen. Stattdessen ist die Zurechnung der fremden Ausführung zum Beteiligten als sein eigenes Werk unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich. Jakobs und Lesch sind der Ansicht, dass die Akzessorietät als Gegenteil des Regressverbots das gemeinsame Zurechnungsprinzip für die Teilnahme und Mittäterschaft ist. Die 180 Vgl. Walther, Eigenverantwortlichkeit, S. 145; Krüger, Versuchsbeginn, S. 53; Renzikowski, Täterbegriff, S. 71; Steckermeier, Tatentschluss, S. 39 f.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

folgende Ausführung beschäftigt sich mit der Analyse der zuständigkeitsbasierten Konzeptionen und ihren Konsequenzen für die Problematik der notwendigen Teilnahme.

I. Regressverbot und eigenständiges Teilnahmeunrecht 1. Schumanns Ansatz Schumann geht davon aus, dass aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung nicht nur die Selbstverantwortung für eigenes rechtswidriges Handeln folgt, sondern auch eine grundsätzliche Abgrenzung des dem Einzelnen von Rechts wegen zugewiesenen Verantwortungsbereichs, wenn der Kausalverlauf zwischen einer Handlung und dem tatbestandsmäßigen Erfolg durch andere vermittelt wird.181 Da auch diese anderen grundsätzlich als frei und verantwortlich Handelnde zu erachten sind, fallen ihr Verhalten und dessen Konsequenzen grundsätzlich in ihren Verantwortungsbereich und nicht in den des Ersthandelnden.182 Deswegen kann die Strafbarkeit der Teilnahme nicht mit der Verursachung ihres Erfolgs, der tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Rechtsgutsverletzung, und dem darauf bezogenen Vorsatz erklärt werden. So kann der besondere Grund, der die Strafbarkeit der Teilnahme rechtfertigt, nur der sein, dass die Teilnahmehandlung als solche schon einen besonderen Aktunwert beinhaltet.183 Im Anschluss an H. Mayer, Welzel und Otto begreift Schumann den „Aktunwert“ mittels eines Sachverhaltsunwerts, eines Moments der Sozialschädlichkeit der Handlung: Gemeinschaftsinteressen werden schon dadurch verletzt, dass eine Handlung als „betätigter Abfall von den Grundwerten rechtlicher Gesinnung“184 eine sozialpsychologische Gefahr für die Geltungskraft des Rechts bildet und geeignet ist, das Gefühl gesicherten Rechtsfriedens zu erschüttern.185 Bei der Teilnahme liegt der sozial unerträgliche Handlungsunwert darin, „dass der Teilnehmer sich durch seinen vorsätzlichen Beitrag mit fremdem vorsätzlichem Unrecht solidarisiert, sich mit der fremden Tat gemein macht“.186 Schumanns Auffassung, dass das Verhältnis zwischen dem Prinzip der Selbstverantwortung und dem Unrecht der Mitverursachung einer fremden Ausführung, das in der dominierenden Verursachungstheorie ohne weiteres vernachlässigt wird, behandlungsbedürftig ist, ist nach hiesiger Meinung zuzustimmen. Aber seine Ansicht führt im Weiteren vor allem zu Schwierigkeiten bei der Behandlung der not181 182 183 184 185 186

Schumann, Handlungsunrecht, S. 1. Schumann, Handlungsunrecht, S. 1. Schumann, Handlungsunrecht, S. 49. Welzel, Lehrbuch, S. 3. Schumann, Handlungsunrecht, S. 49 f. Schumann, Handlungsunrecht, S. 51.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

105

wendigen Teilnahme. Wenn man den die Haftung des Teilnehmers rechtfertigenden Grund darin erblickt, dass das Teilnahmeverhalten für die Rechtsgemeinschaft ein „unerträgliches Beispiel“187 darstellt und für die Beurteilung einer Handlung als sozialschädlich die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutsobjekts weder das einzige noch ein notwendiges Kriterium ist,188 wird die Teilnahme zu einer Art Friedensstörungsdelikt gemacht.189 Eine Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit könnte auch dann anzunehmen sein, wenn sich der selbstverletzende notwendige Teilnehmer mit einem Dritten zum gemeinsamen Handeln verbindet.190 Diese Bedenken bestätigen sich im Hinblick auf Ottos Ausführung, der das Unrecht der Teilnahme ebenfalls im Angriff auf das Vertrauen der Allgemeinheit erblickt: Der Teilnehmer einer gegen ihn selbst gerichteten Körperverletzung ist strafbar, weil die Rechtsgesellschaft die Achtung der physischen Integrität des Einzelnen absichern will und der Teilnehmer an der den Achtungsanspruch verletzenden Handlung des Täters mitwirkt.191 Deswegen kann das auf der Eindruckstheorie beruhende Teilnahmeunrecht zu einer unangemessenen Ausdehnung der Strafbarkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers führen. Zwar hat Schumann die Unzulänglichkeit des auf dem Rechtsgutsverletzungsdogma basierenden Erfolgsunrechts der Teilnahme zutreffend erkannt, doch ist seinem Lösungsvorschlag nicht beizupflichten. Grundlage der Teilnahmelehre Schumanns ist die Doppelung der strafrechtlich geschützten Objekte – Rechtsgüter einerseits und die sozial-psychische Geltungskraft des Rechts andererseits. Da Schumann zufolge aufgrund des Selbstverantwortungsprinzips die Haftung des Teilnehmers für den tatbestandlichen Erfolg auf der Ebene des äußeren kausalen Rechtsgutsangriffs durch die freiverantwortliche Haupttat unterbrochen wird, lässt sich das Unrecht der Teilnahme nur noch durch die Erschütterung der sozial-psychischen Geltungskraft des Rechts begründen. Diese Ansicht setzt sich dem Einwand eines einseitig kollektivistischen Verständnisses des Teilnahmeunrechts aus. Ein kollektivistisches Verständnis ist dadurch charakterisiert, dass es sich auf die Beziehung zwischen Bürger und Allgemeinheit beschränkt, was zur Folge hat, dass es der Unrechtsrelevanz des Erfolgseintritts nicht Rechnung zu tragen vermag.192 Deswegen und wegen des Misstrauens der Vertreter des kollektivistischen Verbrechensverständnisses gegenüber dem Rechtsinstitut der Einwilligung193 findet die Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers keinen Raum in Schumanns Konzeption. Denn durch die Teilnahme wird die Rechtsgemeinschaft eigentlich als solche betroffen, weil die vom Teilnehmer verletzte Pflicht einen 187 188 189 190 191 192 193

H. Mayer, AT, S. 54 f.; Otto, ZStW 87 (1975), 558 ff.; ders. FS-Lange, S. 208 f. Schumann, Handlungsunrecht, S. 49. Renzikowski, Täterbegriff, S. 46; Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 368. Sowada, Teilnahme, S. 71. Otto, FS-Lange, S. 213. Pawlik, Unrecht, S. 112. Böhlau, GA 5 (1857), 492; Wolf, Krisis, S. 38.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

öffentlichen Charakter haben und sich eben nicht auf die Interaktion zwischen Täter und Opfer als möglichen Regelungsgegenstand der Verhaltensnorm beschränken.194 Also liegt der entscheidende Schwachpunkt von Schumanns Konzeption darin, dass sie im Bereich der Teilnahme die Geltungskraft des Rechts als eines Allgemeinen gegenüber dem konkreten Recht der Person als eines Besonderen isoliert. Es wird danach übersehen, dass die Geltungskraft des Rechts ihre Schutzwürdigkeit und ihre klaren Konturen erst durch ihren Bezug auf die Freiheitssphäre der einzelnen Bürger erhält.195 Die unerwünschte Ausdehnung der Strafbarkeit der selbstverletzenden Teilnahme ist gerade die Konsequenz des einseitig kollektivistischen Verständnisses der Teilnahme. Zudem verweist Schumann auf die Parallele zum Strafgrund des (untauglichen) Versuchs, d. h. auf die Eindruckstheorie, dass der Täter durch Bestätigung seines rechtsfeindlichen Willens einen Eindruck hervorrufe, der das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung erschüttere.196 Jedoch vermag der Vergleich mit der „Eindruckstheorie“ zum Strafgrund des Versuchs nicht zu überzeugen. Zunächst ist die Theorie per se bei weitem nicht unangefochten,197 so dass Schumann deren Berechtigung nicht einfach voraussetzen sollte. Zudem müssen Bedenken gegen die Eindruckstheorie beim Versuch auch gegen die Anwendung der Solidarisierungsthese vorgebracht werden: Eine heimlich erbrachte Beihilfe müsste straflos bleiben, weil durch sie kein schlechtes Beispiel für die Rechtsgemeinschaft entstehen kann.198 Ferner stellt der „friedensstörende Eindruck“ nur scheinbar ein objektives Kriterium in dem Sinne dar, dass er die Strafwürdigkeit der Tat zu seinem Inhalt macht; vielmehr ist er Ausdruck einer unbestimmten Beliebigkeit eines sozialpsychologischen Gefühls anderer, der relativ bleiben muss, da sich für ihn keine allgemeingültigen sicheren Kriterien ableiten lassen.199 Deswegen ist die Eindruckstheorie kein tauglicher Grund für das Teilnahmeunrecht. Doch auch wenn man den Einwand gegen die Legitimation der Pflicht als solche, nämlich die Geltungskraft des Rechts aufrechtzuerhalten ohne Bezug auf die Belange des einzelnen Betroffenen, beiseitelässt, ist nicht einzusehen, warum gerade durch die „Solidarisierung mit fremdem Unrecht“ der Teilnehmer eine sozialpsychologische Gefahr für die Geltungskraft des Rechts schafft. Schumann zufolge liegt der Vorzug seiner Ansicht darin, dass nach ihr das Unrecht der Teilnahme einerseits als Handlungsunrecht dem Entstehungsgrund nach eigenständig ist und andererseits sich zugleich in Art und Maß nach dem Bezugsobjekt der Solidarisierung richtet, 194

Camargo, FS-Kindhäuser, S. 60. Pawlik, Unrecht, S. 113. 196 Schumann, Handlungsunrecht, S. 197 Vgl. Hirsch, FS-Kaufmann, S. 560; Jakobs, AT, 25/20 ff.; ders., ZStW 97 (1985), 763 ff.; Hoyer, Strafrechtsdogmatik, S. 193, 199; ders., in: SK, Vor § 26, Rn. 11. 198 Niedermair, ZStW 107 (1995), 514. 199 Vgl. M. Köhler, AT, S. 454; Noltenius, Kriterien, S. 280; Niedermair, ZStW 107 (1995), 514. 195

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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insofern also abgeleitet ist.200 In der Tat behandelt Schumann die beiden Fragen isoliert voneinander – den Strafgrund der Teilnahme und die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme. Die Frage drängt sich auf, wie man aus einem eigenständigen Strafgrund der Teilnahme die abhängigen Strafbarkeitsvoraussetzungen folgern kann.201 Eine Gefahr für die Geltungskraft des Rechts kann man nur konstatieren, wenn man das Unrecht der Teilnahme schon begründet hat.202 Schumann hat betont, dass in den Begriffen „veranlassen“, „bestimmen“ und „fördern“ noch nicht hinreichend zum Ausdruck kommt, was unter dem Gesichtspunkt der Eindruckstheorie das Gefährliche der Teilnahmehandlung ausmacht.203 Aber wenn man in der Mitwirkung an der Beeinträchtigung des vom Haupttäter angegriffenen Rechtsguts schon einen hinreichenden Grund für die Strafbarkeit der Teilnahme sieht, darf man auch behaupten, dass solche Mitwirkung schon eine sozialpsychologische Gefahr für die Geltungskraft des Rechts bildet.204 Der durch die Solidarisierung mit fremdem Unrecht hervorgerufene Normgeltungsschaden ist allenfalls als generalpräventiver Reflex, in den Worten Roxins als „für sich genommen straflose[r] Begleiteffekt“, nicht aber als Strafgrund der Teilnahme zu betrachten.205 Deswegen geht es bei Schumanns Solidarisierungstheorie vielmehr um die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme; der Strafgrund wird tatsächlich stillschweigend vorausgesetzt.206 Solche Schwierigkeiten lassen sich letztlich auf Schumanns Ausgangspunkt zurückführen, dass die Haftung des Teilnehmers für fremde Deliktsausführung ausgeschlossen ist. Der Befund setzt die Vorannahme voraus, dass die Zuständigkeit des Teilnehmers für fremde Tatbestandsverwirklichung sich allein auf den kausalen Zusammenhang stützen kann, der durch eine freiverantwortliche Haupttat unterbrochen wird. Schumann übersieht andere Verbindungsmöglichkeit zwischen der Teilnahme und der Tatbestandsverwirklichung – der Verantwortungsbereich des einen kann in den des anderen hineinreichen.207 Statt einer Rekonstruktion des rechtsgutsbasierten Zurechnungsmodells der Teilnahme, nämlich der Herbeiführung der Rechtsgutsbeeinträchtigung, spricht Schumann ohne weiteres dem tatbestandlichen Erfolg jede Bedeutung für den Grund der Haftung der Teilnahme ab und greift die sozialpsychologische Geltungskraft des Rechts als das teilnahmespezifische verletzte Objekt auf. Bildlich gesagt, schüttet er das Kind mit dem Bade aus. 200

Schumann, Handlungsunrecht, S. 51. Vgl. auch Christmann, Strafbarkeit, S. 70. 202 Haas, Tatherrschaft, S. 30. 203 Schumann, Handlungsunrecht, S. 50. 204 Niedermair, ZStW 107 (1995), 513: „Schumann hat insofern recht, als die Beteiligung an fremder Tat ein für die Rechtsgemeinschaft unerträgliches Beispiel abgibt. Aber der Rechtsfrieden wird doch am stärksten dadurch erschüttert, dass der Gehilfe den Täter erst in die Lage versetzt, erfolgreich fremde Rechtsgüter angreifen zu können.“ 205 Roxin, FS-Stree/Wessels, S. 369; Hake, Beteiligtenstrafbarkeit, S. 55. 206 Ähnliche Kritik vgl. Renzikowski, Täterbegriff, S. 47. 207 Vgl. auch Derksen, Handeln, S. 74 f. 201

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Mit Recht verlangt Schumann für die Anstiftung eine „Aufforderung“ und lässt die Schaffung von Tatanreizen nicht genügen; ebenso sollen für die Beihilfe rechtlich neutrale Alltagshandlungen nicht ausreichen – in solchen Fällen wird eine strafbare Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, dass keine hinreichende Solidarisierung mit dem Täter vorliege, z. B. wenn „ein Angestellter einer Eisenwarenhandlung einem Kunden einen Schraubenzieher verkauft, obwohl er zufällig weiß, dass dieser ihn bei der Begehung eines Einbruchsdiebstahls verwenden wird“.208 Das Verdienst der Idee „Solidarisierung mit fremdem Unrecht“ liegt in der Hervorhebung der Unzulänglichkeit der Mitverursachung für die Strafbarkeit der Teilnahme. Trotzdem bietet Schumanns Ansatz keine befriedigende Lösung für die Problematik der notwendigen Teilnahme. 2. Renzikowskis Ansicht Renzikowski geht zutreffend davon aus, dass die an Verursachung orientierte Zurechnung der Abgrenzung der Rechtssphären voneinander widerspricht.209 Aber statt die Frage zu beantworten, „warum trotz der Freiverantwortlichkeit des Handelns des Haupttäters der Anstifter oder Gehilfe Verantwortung tragen muss“, besteht sein Anliegen in der „Reformulierung der Tatherrschaftslehre“.210 Er leitet aus dem Autonomieprinzip im Sinne der Eigenverantwortlichkeit für eigenes Handeln das Regressverbot als materielle Grundlegung eines restriktiven Täterbegriffs ab: Eine Rechtsgutverletzung kann ausschließlich demjenigen als sein Werk zugerechnet werden, der in der Ursachenkette als letztes autonom handelndes Glied erscheint; autonomes Handeln begründet ein Regressverbot.211 Wegen der Autonomie des Haupttäters liegt der Strafgrund der Teilnahme nicht in der Zurechnung der Tatbestandsverwirklichung, sondern allein in der Verletzung einer eigenständigen Verhaltensnorm, genauer gesagt erhöht der Teilnehmer die Gefahr für ein Rechtsgut, indem er die motivatorischen und praktischen Voraussetzungen der Haupttat schafft.212 Anhand der Unterscheidung zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm trennt Renzikowski die Rechtsgutsgefährdung als Unrechtsgrund der Teilnahme und die Abhängigkeit von der Haupttat als Strafbarkeitsvoraussetzung der Teilnahme.213 Im Rahmen dieser Konzeption wird die Problematik der selbstverletzenden Teilnahme auf der Ebene der Verhaltensnorm behandelt: Soweit jemand seine eigenen Rechtsgüter dadurch gefährdet, dass er die Voraussetzungen für die Eingriffe anderer schafft, verletzt er keine Teilnehmerverhaltensnormen, weil die Selbstge208 209 210 211 212 213

Schumann, Handlungsunrecht, S. 51 ff. Renzikowski, Täterbegriff, S. 67. Renzikowski, Täterbegriff, S. 77. Renzikowski, Täterbegriff, S. 73. Renzikowski, Täterbegriff, S. 123 ff. Renzikowski, Täterschaft, S. 131 ff.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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fährdung im Rahmen der Disposition über die eigenen Rechtsgüter prinzipiell nicht rechtswidrig ist.214 Durch die Konstruktion einer eigenen Teilnahmeverhaltensnorm wird der Konflikt zwischen der Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers und der Akzessorietät der Teilnahme im Verhältnis zur Täterschaft gleichsam vermieden. Aber die Überzeugungskraft hängt zunächst davon ab, ob die Konstruktion einer eigenen Teilnahmeverhaltensnorm als solche schlüssig ist. Es gilt nun, die Beweisführung der Konzeption zu prüfen. a) Teilnahme als Verletzung der eigenständigen Gefährdungsverbote? Während Renzikowski eine von derjenigen der Täterschaft unabhängige Verhaltensnorm der Teilnahme und damit ein eigenständiges Teilnahmeunrecht postuliert, will er das gesetzliche Erfordernis einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat als Problem der Sanktionsnorm behandelt.215 Renzikowski hat den Einwand schon erwartet, dass es einen Widerspruch zwischen der Eigenständigkeit der Teilnahme auf der Verhaltensnormebene und der Orientierung an der Haupttat auf der Sanktionsnormebene gibt.216 Als Replik erklärt er seine Position durch die Unterscheidung dreier Thesen näher: Erstens kann aufgrund des Autonomieprinzips dem Teilnehmer die Haupttat nicht als eigenes Werk zugerechnet werden; zweitens folgt aus der Eigenverantwortlichkeit nicht, dass einen das Verhalten anderer von vornherein nichts angeht; drittens bleibt aufgrund der Unterscheidung zwischen Verhaltensnorm und Sanktionsnorm das Teilnahmeunrecht eigenständig, während die Akzessorietät der Teilnahme eine Einschränkung der Strafbarkeit der Verletzung der Teilnahmeverhaltensnorm bedeutet.217 Nach hiesiger Meinung sind die drei Thesen nicht überzeugend. Der Ausgangspunkt, dass man lediglich für das Geschehen im eigenen Organisationskreis, für den man zuständig ist, die Verantwortung trägt, ist schlechthin berechtigt. Der Befund, dass dem Teilnehmer die Haupttat und ihr Erfolg nicht als eigenes Werk zugerechnet werden, stützt sich bei Renzikowski auf die Relevanz der Autonomie des Letztverursachers. Aber darf man daraus das Regressverbot ableiten und im Sinne der Eigenverantwortlichkeit für eigenes Handeln eine materielle Grundlegung für den restriktiven Täterbegriff anbieten? In der Tat ist Renzikowskis kompromisslose Behauptung gewissermaßen vorschnell und grundlos. Der Einwand ist auch gültig für Schumanns Verständnis des Selbstverantwortungsprinzips. Vor allem geht es um das Verständnis des auf die Zuständigkeitsverteilung basierenden Regressverbots. Ein Regressverbot, nach dem die Handlungsspielräume grundsätzlich getrennt bleiben, befreit von Haftung, dient also dem Schutz desje-

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Renzikowski, Täterbegriff, S. 128. Renzikowski, Täterbegriff, S. 131 ff. Renzikowski, Täterbegriff, S. 136. Renzikowski, Täterbegriff, S. 136 f.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

nigen, der nicht für die Folgen der Organisation eines anderen zuständig sein soll.218 Allerdings besagt das Autonomieprinzip nicht, ob und wie gehaftet wird, wenn sich die Inhaber der jeweiligen Rechtskreise miteinander autonom verbinden und dadurch gegen ein strafrechtliches Verbot verstoßen.219 Die These, dass das freiverantwortliche Handeln die Zurechnung des Erstverursachers sperrt, setzt voraus, dass der Erstverursacher wirklich ein bloßer „Verursacher“ ist, also nicht ein pflichtwidriger Risikoschaffenderoder ein freiwilliger Mitzuständiger.220 Deswegen übersieht die pauschale Aussage, dass einer Person nicht das als Werk zugerechnet wird, was eine andere Person autonom handelnd vollbringt, die bedeutsamen Voraussetzungen der Gültigkeit der These und ist deswegen falsch.221 Der Verweis auf die „Eigenverantwortlichkeit des unmittelbar Agierenden“ taugt zuerst ersichtlich nicht mehr zur Entlastung des Mitverursachers, wo dieser Garant dafür ist, dass es nicht zu bestimmten Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommt.222 Es besteht mit der h. M. die Übereinstimmung, dass man auch bei Eingreifen eines eigenverantwortlichen Dritten eine objektive Zurechnung bejahen muss, wenn die vom Ersttäter gesetzte Gefahr gerade das Risiko des Eingreifens des Dritten beinhaltet.223 In diesem Fall kann das eigenverantwortliche Dazwischentreten die Zurechnung des „Erstverursachers“ nicht sperren, weil er über den „Erstverursacher“ hinausgeht, indem entweder der Täter die relevante Gefahr durch Verletzung von Sicherheitsvorschriften schafft, die gerade dem Schutz vor Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten Dritter dienen, oder das Verhalten des Dritten so spezifisch mit der Ausgangsgefahr verbunden ist, dass es bereits als typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet erscheint.224 Insofern ist Renzikowskis Kernthese, dass das Verantwortungsdefizit des Vordermanns die notwendige Voraussetzung für die Zurechnung der Tat des Vordermanns zu einem Hintermann ist, schon unhaltbar. Zudem ist die durch die positivrechtlich verbindliche, allgemein anerkannte Figur der Mittäterschaft ermöglichte wechselseitige Zurechnung die gesetzliche Festle218

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644; Haas, Tatherrschaft, S. 31. Haas, Tatherrschaft, S. 31. 220 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1997), 23; Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 142; Derksen, GA 1993, 173; Schmoller (FS-Triffterer, S. 244 f.) führt das Argumente für die Haftungsmöglichkeit trotz Eigenverantwortlichkeit: Bei Annahme einer haftungsausschließenden Eigenverantwortlichkeit nicht einleuchten würde, „warum dann ein eigenverantwortliches nachträgliches Fehlverhalten z. B. im Bereich von ärztlichen Behandlungsfehlern oder Folgeunfällen nicht ebenfalls die Zurechnung zum Erstverursacher grundsätzlich ausschließt; denn auch hier hat der Erstverursacher letztlich an der eigenverantwortlichen Erfolgsherbeiführung durch einen anderen mitgewirkt“. Im Ergebnis wird das Argument hier vertritt. Aber nach hiesiger Meinung stützt sich die Haftung des Erstverursachers nicht auf seine bloße Mitwirkung, sondern die Ausdehnung seines Zuständigkeitsbereiches auf das nachträgliches Fehlverhalten. 221 Vgl. Jakobs, FS-Lampe, S. 568 f.; v. Weezel, Beteiligung, S. 162; Frisch, Verhalten, S. 241 ff. 222 Frisch, Verhalten, S. 243; ähnlich vgl. auch Lesch, ZStW 105 (1993), 286 f. 223 Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 6, Rn. 277. 224 Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 6, Rn. 277. 219

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gung der nicht bestreitbaren Einsicht, dass es doch Situationen gibt, in denen man für das Verhalten eines anderen Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen wird.225 Im Rahmen der Rechtsfigur der Mittäterschaft sperrt der letzte autonome Handelnde gerade nicht die Zurechnung des anderen Mittäters, weil die Rolle der anderen Mittäter auch über die Rolle des bloßen „Mitverursachers“ hinausgeht. Ein pauschales unterkomplexes Verständnis des Selbstverantwortungsprinzips führt dazu, dass der Ansatz sich zwangsläufig in Schwierigkeiten bei der Behandlung der Mittäterschaft verfängt. Dies wird anschließend in der Analyse von Renzikowskis Mittäterkonzeption näher behandelt. Kurzum: Die These, dass niemand für fremdes Unrecht verantwortlich gemacht werden kann, ist zwar richtig, aber dies muss nicht zwingend zu der Annahme führen, dass sich die Grenze der eigenen Verantwortung mit der Grenze des eigenhändigen Verhaltens vollständig deckt, dass also das autonome Handeln des einen eine Mitverantwortung des anderen für die von jenem verwirklichte Straftat kategorisch ausschließt.226 In der zweiten These legitimiert Renzikowski den Gefährdungstatbestand der Teilnahme durch den Gedanken der Sozialbindung des Einzelnen: Die Teilnehmerverhaltensnormen verbieten die Unterstützung und Veranlassung von Dritten begangener Straftaten; man muss deliktisches Verhalten anderer bei der eigenen Verhaltensplanung berücksichtigen, weil das Menschenbild des Grundgesetzes sich nicht in der Vorstellung vereinzelter Individuen erschöpft, sondern die Person als eigenverantwortliches Rechtssubjekt in einem Geflecht vielfältiger Bindung zur Gesellschaft zeigt.227 Aber auf diese Weise teilt das Unrecht der Teilnahme tatsächlich seinen Rechtfertigungsgrund mit § 138 und § 323c StGB, nämlich den Gedanken der Solidarität.228 Wenn das so ist, gibt es keinen Grund für eine besondere Bestimmung der Strafbarkeit der Teilnahme im Allgemeinen Teil. Denn jede Teilnahme lässt sich als Nichtanzeige geplanter Straftaten oder unterlassene Hilfeleistung subsumieren. Zumindest die positivrechtliche Regelung der Teilnahme bestätigt aber, dass das Unrecht der Teilnahme sich eben nicht in der Nichtanzeige geplanter Straftaten oder unterlassenen Hilfeleistung erschöpft. Die dritte These wirft vor allem die Frage auf, ob mit dieser Verschiebung der Akzessorietät der Teilnahme zur Haupttat auf die Ebene der Sanktionsnorm das Wesen der Teilnahme angemessen erfasst wird. Das Unrecht von Anstiftung und Beihilfe soll nach Renzikowski ausschließlich darin liegen, dass der Teilnehmer den Gefährdungsverboten widerspricht, indem er mittelbar, nämlich über die Mitwirkung an der Handlung eines anderen, das Rechtsgut bedroht.229 „Dieser Eigenunwert 225 Greco, ZIS 2011, 10; Schmoller, FS-Triffterer, S. 244 f.; Frisch, Verhalten, S. 242; v. Weezel, Beteiligung, S. 162; Marlie, Unrecht, S. 184 f.; Wolff-Reske, Verhalten, S. 115. 226 Vgl. Schild, Tatherrschaftslehren; Orozco López, Beteiligung, S. 181. 227 Renzikowski, Täterbegriff, S. 136. 228 Haas, Tatherrschaft, S. 30. 229 Renzikowski, Täterbegriff, S. 127.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

hängt nicht davon ab, ob der Täter das Delikt tatsächlich begeht. Die ausgeführte Haupttat bestätigt lediglich das Gefährdungspotential der Teilnahmehandlung.“230 Infolgedessen wird die Teilnahme tatsächlich als Gefährdungsdelikt konstruiert, zumindest auf der Verhaltensnormebene. Die gravierenden Bedenken gegen die Konstruktion der Teilnahme als Gefährdungsdelikt beziehen sich auf die eventuell unangemessene Einschränkung der Handlungsfreiheit.231 Die Aufgabe der Verhaltensnormen bestehe darin, eine „Orientierungssicherheit“ für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft zu geben, indem sie „einen Bestand von Verhaltenserwartungen“ schaffen und damit dem einzelnen Bürger darlegen, mit welchen Verhaltensweisen er zu rechnen hat und mit welchen nicht.232 Denn die Beteiligung im Vorfeld ist per se tatbestandlos und daher kein Unrecht.233 Wenn der Ausführende selbst das Teilnahmeverhalten vornimmt, z. B. eine Tatwaffe besorgt, steht außer Zweifel, dass er weder gegen eine Verhaltensnorm noch gegen eine Sanktionsnorm verstoßt. Aber Renzikowski zufolge widerspricht schon die typische Beihilfehandlung, eine Tatwaffe anzubieten, der Verhaltensnorm. So gesehen wird die Handlungsfreiheit des Teilnehmers zumindest im Vergleich zum Alleintäter beträchtlich begrenzt. Diese Ungleichbehandlung ist grundlos. Blendet man die Bindung der Teilnahme an die Haupttat auf der Verhaltensnormebene aus, verwirklicht sich die bedenkliche Zurechnungsausdehnung in der reinen Verursachungstheorie als Handlungsorientierung der Normadressaten. Um den Widerspruch der eigenständigen Verhaltensnormverletzung mit der gesetzlichen Akzessorietät zu vermeiden,234 behandelt Renzikowski die rechtliche Abhängigkeit der Teilnahme von der Haupttat auf der Ebene der Sanktionsnorm.235 Es ist nicht vorstellbar, dass die Teilnahmenorm einerseits als Gefährdungsverbot den Normadressaten Orientierung leistet, andererseits als Verletzungsverbot bei dem Strafbarkeitsurteil eine rechtswidrige Haupttat erfordert. Die Akzessorietät mit einer von der Verhaltensnorm unabhängigen Sanktionsbedürftigkeit zu begründen, erscheint als wenig überzeugender Kunstbegriff.236 In den Worten von Jakobs ist es „nicht recht einzusehen“, weshalb nach dem Bruch der selbständigen Teilnahmenorm „für die Strafbarkeit noch der weitere Fortgang bis (mindestens) zum Versuchsbeginn abgewartet werden soll“.237

230

Renzikowski, Täterbegriff, S. 131. Vgl. Orozco López, Beteiligung, S. 182 f. 232 Renzikowski, Täterbegriff, S. 57. 233 Jakobs, FS-Puppe, S. 554; Puppe, AT II, S. 196; Kindhäuser, NZtS 1997, 274; v. Weezel, Beteiligung, S. 50. 234 Schild, in: NK, Vor §§ 25 ff., Rn. 177; Marlie, Unrecht, S. 185. 235 Renzikowski, Täterbegriff, S. 130 f. 236 Marlie, Unrecht, S. 185. 237 Jakobs, FS-Puppe, S. 554. 231

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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b) Schwierigkeiten bei der Mittäterschaft Wie oben erwähnt, verliert die Rechtsfigur der Mittäterschaft auch ihr Fundament, wenn man Renzikowski folgt und die autonome „Letztverursachung“ eines tatbestandlichen Erfolgs als Hindernis für die Haftung jedes vorangegangenen kausalen Beitrags zur Tatbestandsverwirklichung betrachtet. Kindhäuser hat überzeugend die fehlende Konsistenz der Ableitung des Regressverbots aus dem Autonomieprinzip gerügt: Es gibt keinen Grund, dass autonome Tatbeiträge nur im Verhältnis von Vorder- und Hintermann und nicht auch im Verhältnis von Nebenleuten zueinander die Zurechnung sperren.238 Denn die Gemeinsamkeit der Teilnahme und der Mittäterschaft besteht darin, dass autonome fremde Tatbeiträge zustande kommen. Wenn das so verstandene Regressverbot konsequent durchgeführt wird, muss der Strafgrund der Mittäterschaft ebenso wie derjenige der Teilnahme in der Verletzung der Gefährdungsverbote liegen und müssen die Tatbeiträge der anderen Beteiligten zur „Voraussetzung der Strafbedürftigkeit“ der Mittäterschaft erklärt werden. Wenn die gemeinschaftliche Tatbegehung die Sperrwirkung des Autonomieprinzips nicht generell, sondern nur im Verhältnis von Nebenleuten, nämlich im Fall der mittäterschaftlichen Haftung, aufheben soll, verfängt sich der Autor eigentlich in einer petitio principii.239 Nach Renzikowski verlangt die Mittäterschaft eine Modifizierung der Regressverbotslehre und des Autonomieprinzips: „Für diese Konstellationen stellt die Regelung der Mittäterschaft in § 25 Abs. 2 StGB eine Durchbrechung des Regressverbots dar und bedarf das Autonomieprinzip einer Erweiterung.“240 Diese RegelAusnahme-Konstruktion ist jedoch nicht überzeugend. Statt einen rationalen Grund für das geltende Gesetz zu suchen, nimmt er umgekehrt Bezug auf den Wortlaut des Gesetzes, um die „Abweichung vom Autonomieprinzip“ zu rechtfertigen. Insofern kommt dem Argument wenig Bedeutung zu. Um die Durchbrechung des Regressverbots bei der Mittäterschaft zu rechtfertigen, schließt sich Renzikowski der Konstruktion einer Kollektivperson an: Dieser Personengesamtheit wird das gemeinsame Werk als Ganzes zugerechnet; wer sich an dieser Personengemeinschaft beteiligt, haftet für das Werk des Kollektivs, nicht lediglich für seinen eigenen Tatanteil.241 Wie jede auf Basis der Überzeugung einer qualitativen Differenz zwischen Teilnahme und Täterschaft aufgestellte Begründung für die Mittäterschaft ist die Figur eines Gesamtsubjekts mit zwei Fragen konfrontiert. Erstens: Vermag der Lösungsansatz die direkte Verantwortlichkeit jedes Mittäters für die fremde autonome Ausführung überzeugend zu untermauern? Zweitens: Können die daraus entwickelten Zurechnungsvoraussetzungen die Mittäterschaft von der Teilnahme im engen Sinne trennen? 238 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644; Haas, Tatherrschaft, S. 30; Orozco López, Beteiligung, S. 191. 239 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644 240 Renzikowski, Täterbegriff, S. 100. 241 Renzikowski, Täterschaft, S. 101; Joerden, Strukturen, S. 80.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Grundsätzlich greift Renzikowski auf die „funktionale Tatherrschaft“ der Mittäterschaft zurück: Gemeint ist, dass der Mittäter durch seinen Anteil am Kollektiv das Schicksal der Gesamttat in der Hand hat.242 Ungeachtet der Angemessenheit dieser These als solcher bleibt ihre logische Beziehung zur Konstruktion einer Kollektivperson noch im Dunkeln. Denn wenn die funktionale Tatherrschaft als der materielle Grund für die Besonderheit der Zurechnungsregel der Mittäterschaft erscheint, verbrämt lediglich terminologisch die Konstruktion einer Kollektivperson die Legitimationsfrage, statt sie zu beantworten. Die Vertreter der funktionalen Tatherrschaft können bei der Begründung der Mittäterschaft auf die Konstruktion eines Gesamtsubjekts durchaus verzichten.243 Umgekehrt können auch die Vertreter der Konstruktion eines Gesamtsubjekts die Mittäterschaft auf einen anderen materiellen Grund zurückführen, z. B. die Verfolgung eines überindividuellen gemeinsamen Zwecks bei Lesch.244 Kindhäuser bringt dies auf den Punkt: „Nun ist die Charakterisierung einer mittäterschaftlichen Tatbestandsverwirklichung als Leistung einer Kollektivperson lediglich eine Bezeichnung, keine Begründung.“245 Es kommt darauf an, wie man die Verantwortlichkeit des Mittäters für fremde freie Ausführung begründet. Die bloße Konstruktion einer Kollektivperson gibt darüber jedoch keine Auskunft. Um die Mittäterschaft von der Teilnahme zu trennen, führt Renzikowski das Kriterium des „gemeinsamen Tatplans“ ein: Im Gegensatz zur Anstiftung konstituiert die wechselseitige, vertragsähnliche Bindung als gleichberechtigte Partner die Kollektivperson.246 Diesbezüglich wird der Einwand angemeldet, der Handlungswille als individualpsychischer Befund sei per se für die Verbindlichkeit einer Norm und damit für das Strafrecht überhaupt bedeutungslos.247 Renzikowski hat dies erwartet und eingeräumt, dass die Unrechtsvereinbarung allein die Mittäterschaft noch nicht begründen kann und die Bestätigung des Tatentschlusses erforderlich ist, d. h. der Tatentschluss muss nach außen in Erscheinung treten.248 Diese Replik vermag nicht zu überzeugen. Denn wenn die wechselseitige, vertragsähnliche Bindung im Sinne der individuellen psychischen Lage verstanden wird, bleibt sie dennoch ein individual-psychischer Befunde, auch wenn sie nach außen in Erscheinung tritt. Eine wechselseitige einpassende Ausführung mag bestätigen, dass jeder Beteiligte den gleichen gemeinsamen Tatentschluss hat. Aber selbst aus einem bestätigten individualpsychischen Befund kann kein normativer Bezugspunkt für die Zurechnung der Mittäterschaft hergestellt werden. 242 Renzikowski, Täterbegriff, S. 101; Roxin, Täterschaft, S. 277, 283; Maurach/Gössel/ Zipf, S. 49, Rn. 12; Samson, in: SK, § 25, Rn. 117. 243 Roxin, AT, § 25, Rn. 188 ff. 244 Lesch, Beihilfe, S. 272. 245 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 630. 246 Renzikowski, Täterbegriff, S. 101; ders., FS-Otto, S. 430; Joerden, Strukturen, S. 80; Puppe, GA 1984, 112; Herzberg, ZStW 99 (1987), 56. 247 Jakobs, ZStW 97 (1985), 756, 761; Lesch, ZStW 105 (1993), 277. 248 Renzikowski, Täterbegriff, S. 102.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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Neben dem gemeinsamen Tatplan nennt Renzikowski einen sich auf die Tatbestandsverwirklichung beziehenden Tatbeitrag des jeweiligen Mittäters als zweite Voraussetzung der Mittäterschaft: Der Einzelne muss gerade an dieser tatbestandsmäßigen Handlung der Kollektivperson beteiligt sein; wer lediglich im Vorbereitungsstadium mitwirkt, überlässt die eigentliche Tatbestandsverwirklichung der alleinigen autonomen Entscheidung der anderen.249 Dadurch wird erst der Anknüpfungspunkt der Mittäterschaft zum Regressverbot im Sinne Renzikowskis aufgewiesen – der Mittäter erscheint in der unendlichen Ursachenkette als letztes autonom handelndes Glied und haftet deswegen für das Werk des Kollektivs. Aber es ist nicht ersichtlich, warum die Antwort auf die Frage, ob der Beteiligte die Tatbestandsverwirklichung der autonomen Entscheidung der anderen überlässt oder vielmehr selbst als letztes autonom handelndes Glied erscheint, vom Zeitpunkt der Leistung des Tatbeitrags abhängen soll. Wir können uns folgende Konstellation vorstellen: A und B verabreden, zusammen C zu verletzen. A umklammert C, um Cs Verteidigung zu verhindern; B schlägt gleichzeitig C. Es ist unstrittig, dass A seinen Tatbeitrag im Ausführungsstadium leistet. Aber A erscheint nicht als letztes autonom handelndes Glied und führt sogar keinen Tatbestand der Verletzung aus. Insofern darf man auch sagen, dass A die eigentliche Tatbestandsverwirklichung Bs autonomer Entscheidung überlässt. In der Tat führt Renzikowski seinen Ansatz insofern nicht konsequent zu Ende, als er bei der Begründung der Mittäterschaft stillschweigend ein Attribut „kollektiv“ zu „Letztverursachung“ ergänzt.250 Dadurch wird die Bedeutung des „Letztverursachens“ erheblich erweitert und seine Beschränkungsfunktion tatsächlich auf Null reduziert. Aus obigen Überlegungen lässt sich folgern: Zwar wird durch die Konstruktion der eigenständigen Teilnehmerverhaltensnormen als Gefährdungsverbot im Rahmen von Renzikowskis Konzeption der selbstverletzende notwendige Teilnehmer als straflos beurteilt, weil die Gefährdung der eigenen Rechtsgüter keine Verletzung der Teilnehmerverhaltensnormen bildet. Trotzdem ist diese Konzeption abzulehnen. Denn der Anlass der Konstruktion der eigenständigen Teilnehmerverhaltensnormen als solcher, nämlich die Anknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips an den restriktiven Täterbegriff, ist unschlüssig. Die Verselbständigung der Teilnehmerverhaltensnormen führt zu einer Vorverlagerung der Teilnahme, die mit Grundwerten einer freiheitlichen Rechtsordnung in Widerspruch tritt. Zudem sähe man sich in der Erklärung der Rechtsfigur der Mittäterschaft mit Schwierigkeiten konfrontiert, wenn man dieser Konzeption folgen würde.

249 Renzikowski, Täterbegriff, S. 103; Herzberg, ZStW 99 (1987), 58; Roxin, Täterschaft, S. 294 f.; Rudolphi, FS-Bockelmann, S. 374; Bloy, Beteiligungsform, S. 197. 250 Renzikowski, Täterbegriff, S. 103.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

3. Zwischenergebnis Die obige Darlegung zeigt: Trotz der richtigen Fragestellung gelangen Renzikowski und Schumann weder zu einer schlüssigen Begründung für das Unrecht der Teilnahme noch zu einer befriedigenden Lösung der Problematik der notwendigen Teilnahme. Das gemeinsame Defizit ihrer Herangehensweise liegt darin, dass sie das Selbstverantwortungsprinzip an das falsche Bezugsobjekt anknüpfen, nämlich an die qualitative Unterscheidung zwischen Teilnahme und (Mit-)Täterschaft, und unter Zugrundelegung dieses unangemessenen Verständnisses des Selbstverantwortungsprinzips ein eigenständiges Teilnahmeunrecht zu begründen versuchen. Die Ablehnung der Zurechnung der Tatbestandsverwirklichung zum Teilnehmer als sein Werk führt zwangsläufig zu einer isolierten Betrachtungsweise der Teilnahmehandlung. Bei Renzikowski verletzt die Teilnahme die eigenständige Gefährdungsverbotsnorm; bei Schumann wirkt sich die Teilnahme auf der immateriellen Ebene des Geltungsschadens des Rechts aus. Um die aus der isolierten Betrachtungsweise resultierende Strafbarkeitsausdehnung zu vermeiden, behandeln sie notgedrungen die beiden Probleme getrennt voneinander – den Strafgrund und die Strafbarkeitsvoraussetzungen der Teilnahme – und führen weitere Begriffe ein: Die rechtlich voraussetzte Abhängigkeit von der Haupttat wird bei Renzikowski als „Sanktionsbedingung der Teilnahme“ und bei Schumann als „Solidarisierung mit fremdem Unrecht“ erklärt. Schließlich läuft die Herangehensweise auf zwei unerwünschte Konsequenzen hinaus: Zum einen führt die Reduktion des Teilnahmeunrechts auf eigenes selbständiges Unrecht zu einer unerträglichen Vorverlagerung des strafrechtlichen Unwerturteils in das Vorfeld der Ausführungshandlung, während in einem freiheitlichen Staat die Vorbereitung als interne Gestaltung im Organisationskreis keinen Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote darstellen darf.251 Zum anderen erzeugt die Relevanz der Autonomie des Letztverursachers eine Schwierigkeit bei der Begründung der Mittäterschaft, die sich nicht einfach mit der Berufung auf das positive Recht oder die Konstruktion eines Gesamtsubjekts bewältigen lässt. Diese isolierte Betrachtungsweise übersieht den gewichtigen Punkt, dass die Deliktsausführung für den Teilnehmer trotz der Fremdhändigkeit nicht so „fremd“ ist, dass sie den Teilnehmer nichts angeht.252 Bei der Begründung des Teilnahmeunrechts unterscheidet sich der Teilnehmer nicht nur hinsichtlich des Fehlens der eigenhändigen Ausführung der Tatbestandshandlung phänotypisch vom unmittelbaren Alleintäter, sondern zugleich im strafrechtlich relevanten Sinne von sonstigen, an dem betreffenden Ereignis strafrechtlich gesehen völlig unbeteiligten Personen, selbst wenn eine solche unbeteiligte Person eine Bedingung für den tatbestandlichen Erfolg setzt. Renzikowski und Schumann legen in ihren Ausführungen großen Wert 251

Jakobs, GS-Armin Kaufmann, S. 283. Nach v. Weezel (Beteiligung, S. 48) ist es schon missverständlich, die Ausführungshandlungen als „fremde“ Tat in Bezug auf die im Vorfeld der Ausführung tätigen Beteiligten zu bezeichnen. Denn die Deliktsausführung ist auch Werk des Beteiligten. 252

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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auf den ersteren Unterschied – statt auf den letzteren, der letztlich für die Zurechnung im Fall des gemeinsamen Handelns relevant ist. Wegen der unangemessenen Verkürzung der Bedeutung der Zuständigkeitsverteilung – genauer gesagt, wegen des falschen Verständnisses des Zusammenhangs zwischen Autonomie und Zurechnung – deckt sich die Grenze des eigenen Unrechts mit der Grenze des eigenhändigen Verhaltens vollständig.

II. Radikal normativistische Beteiligungslehre von Jakobs und seinen Schülern Jakobs und seine Schüler sind der Ansicht, dass die Beteiligung die Zuständigkeit für die arbeitsteilig durchgeführte Tatbestandsverwirklichung ist.253 Das Delikt ist ein kommunikativer Akt, der im Name aller Beteiligten ausgeführt wird: Alle Beteiligten geben durch den Ausführenden die Erklärung eines „Normbruchs“ ab.254 Im Gegensatz zu den Positionen von Schumann und Renzikowski dient das Regressverbot demnach der Ausscheidung des bloßen Mitverursachers, der kein echter Beteiligter ist, statt der Markierung der qualitativen Differenz zwischen Täterschaft und Teilnahme,255 denn die Freiverantwortlichkeit des Ausführenden bildet kein Hindernis für die Zurechnung der Ausführung zum Teilnehmer und das Beteiligungsverhalten ist der Grund dafür, dem Beteiligten die Haupttatausführung als sein Werk zuzurechnen; es ist gleichgültig, ob er der täterschaftliche Beteiligte oder Teilnehmer im engen Sinne ist.256 Also ergibt sich eine qualitative Differenzierung zwischen allen Mitverursachern nur durch die Judikation über Verantwortung und Nichtverantwortung überhaupt, während der Haftungsgrund bei Täterschaft und Teilnahme identisch ist.257 Diese Konzeption wird deswegen als „radikal normativistische Lehre“ bezeichnet, weil es ihr zufolge bei dem Haftungsgrund im Fall des gemeinsamen Handelns um ein Problem der objektiven Zurechnung geht: Wie bei der objektiven Zurechnung überhaupt sind der soziale und normative Kontext des Geschehens sowie die jeweiligen Rollen der Akteure der Beurteilungsmaßstab.258 Dieser Lösungsvorschlag ist unter den folgenden drei Aspekten bedeutsam für die Problematik der notwendigen Teilnahme:

253 Jakobs, FS-Yamanaka, S. 105; ders., FS-Lampe, S. 566 und passim; Lesch, Beihilfe, S. 186 und passim; v. Weezel, Beteiligung, S. 44 ff. 254 Jakobs, FS-Lampe, S. 571 Fn. 31. 255 Lesch, Beihilfe, S. 185, 284 ff.; Jakobs, FS-Lampe, S. 570; Cornacchia, FS-Jakobs, S. 58 f.; ähnlich auch Dencker, Kausalität, S. 259 ff., 263 ff. 256 Jakobs, FS-Lampe, S. 568 f. 257 Lesch, Beihilfe, S. 278; Müssig, Mord, S. 348; Jakobs, FS-Lampe, S. 570 f.; v. Weezel, Beteiligung, S. 192 ff. 258 Vgl. Lesch, Beihilfe, S. 264 ff.; ders., ZStW 105 (1993), 282 ff.; Jakobs, GA 1996, 261 ff.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Erstens laufen, wie eingangs dargestellt, die qualitative Unterscheidung zwischen Teilnahme und Täterschaft und die damit einhergehende Verengung der Bedeutung des Terminus „Teilnahme“ auf eine Kritik an der Vagheit der Bezeichnung „notwendige Teilnahme“ hinaus, denn in einschlägigen Konstellationen wirkt der notwendige Teilnehmer häufig in einer „mittäterschaftsähnlichen“ Weise mit. Im Rahmen des dominierenden dualistischen Beteiligungssystems erfolgt die Zurechnung der Mittäterschaft und Teilnahme im engen Sinne nach unterschiedlichen Regeln: Die Mittäterschaft trägt ihren Unrechtsgehalt in sich selbst und leitet ihn nicht von einer fremden Tat ab; für sie gilt nicht das bei Anstiftung und Beihilfe maßgebende Akzessorietätsprinzip, sondern der Grundsatz der unmittelbaren wechselseitigen Zurechnung aller Tatbeiträge, die im bewussten und gewollten Zusammenwirken erbracht werden.259 Konsequent durchgeführt muss man zuerst festlegen, ob dem notwendigen Beteiligten die Täterschaft zugesprochen werden kann, und dann jeweils nach dem Zurechnungsmodell der Teilnahme und der Täterschaft prüfen. Wenn sich dagegen die Teilnahme im engen Sinne und die Mittäterschaft zusammen als Gegensatz zum Regressverbot auf eine identische Zurechnungsstruktur stützen, wird die Untersuchung der notwendigen Teilnahme erheblich vereinfacht. Die Knüpfung des Selbstverantwortungsprinzips an die Grenze zwischen Haftung und Nichthaftung für eine Tatbestandsverwirklichung wird Gropps Zweifel gerecht, dass diese Frage, ob man einen Beteiligten als „Täter“ oder als „Teilnehmer“ benennt, ob man das Unrecht des Teilnehmers im Verhältnis zum Täter als originär oder als derivativ erachtet, nichts zur Untersuchung der notwendigen Teilnahme beitrage.260 Die Analyse, ob der notwendige Beteiligte als Mittäter nach dem Grundsatz der unmittelbaren wechselseitigen Zurechnung aller Tatbeiträge seinen Unrechtsgehalt in sich selbst trägt oder beim Teilnehmer im engen Sinne der Unrechtsgehalt sich nach dem Akzessorietätsprinzip von einer fremden Tat ableitet, ist im Rahmen eines einheitlichen Zurechnungsmusters entbehrlich. Zweitens kann Jakobs zufolge der Beteiligte nur auf einem einzigen Weg zur Haftung gebracht werden, nämlich durch die Begründung, dass ihn die Tatbestandsverwirklichung, die Leugnung des Geltungsgrunds, etwas angehe, dass es sich also bei der Ausführung auch um seine, des Beteiligten, eigene Ausführung handelt, woraus sich unmittelbar ergibt, dass das angegriffene Gut auch dem Beteiligten gegenüber geschützt sein muss.261 Die Herangehensweise verleiht dem Begriff der Akzessorietät eine neue Bedeutung: Statt das Teilnahmeunrecht aufgrund der Verursachung einer fremden Tat vom Unrecht der Haupttat abzuleiten, liefert der Beteiligte durch seinen Tatbeitrag einen Grund, die durch einen anderen vollzogene Ausführung als seine eigene zuzurechnen.262 Infolgedessen besteht kein Konflikt zwischen der Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers und der 259 260 261 262

Statt aller vgl. Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 16, Rn. 767. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 69, 75. Jakobs, GA 1996, 257; ders., Theorie, S. 19. Jakobs, GA 1996, 265, 259 und passim; ders., FS-Yamanaka, S. 110 und passim.

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Akzessorietät der Teilnahme, der im Rahmen der Verursachungstheorie und ihrer Varianten lediglich durch das Zurückgreifen auf die reine Verursachungstheorie „bewältigt“ werden kann. Drittens wird die zwingende Voraussetzung für die Verschachtelung einzelner Beträge zu einer kollektiven Gesamttätigkeit bei Lesch „entpsychologisiert“, nämlich nicht aus den einzelnen, individualpsychologischen Absichten der Beteiligten, sondern durch eine kommunikativ relevante Verbindung der Organisationsakte mehrerer Beteiligter unter einem überindividuellen Planzusammenhang konstituiert.263 Auf diese Weise liegt der Verbindungsgrund nicht mehr im Handlungswillen als psychischem Faktum und dementsprechend in der Kausalität zwischen dem Beteiligten und dem deliktischen Erfolg, sondern in der objektiven Finalität und Sinnvermittlung.264 Solange ein Verhalten trotz Kausalität und Vorsatz noch sinnvoll als ubiquitär bzw. sozialadäquat interpretiert werden kann, geht den Handelnden der deliktische Ausgang nichts an.265 Anhand dieses Zurechnungsmodells werden die Zurechnungsvoraussetzungen der Beteiligten insofern erhöht, als eine bloße Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung und ein auf das kausale Außenweltgeschehen bezogenes Wollen noch nicht ausreichen – in den Worten von Jakobs: „Die Sinnverknüpfung [kann] enger ausfallen als der Kausalnexus“.266 Infolgedessen wird der Spielraum der Interpretation hinsichtlich der Straflosigkeit des notwendigen Teilnehmers erheblich erweitert: Der notwendige Teilnehmer kann trotz seiner Setzung der Mitursache und des entsprechenden Vorsatzes straflos bleiben, weil sein Beitrag keinen Ausdruck eines „Einverständnisses“ bzw. einer „Solidarisierung“ mit fremdem Normbruch darstellen mag.267 Trotz der voraussichtlichen Vorzüge dieser Auffassung im Bereich der notwendigen Teilnahme findet sie aus einigen Gründen in der Literatur wenig Anklang.268 Tatsächlich sind diese Thesen nicht so radikal oder unnachvollziehbar, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Das Abstellen auf den sozialen Bedeutungsgehalt der mitwirkenden Handlung ist seinerseits nicht falsch, sondern ungenügend: Zum einen kann man ausgehend vom ganz Großen, nämlich der Gesellschaft, nicht auf kontrollierte Weise aussagekräftige Kriterien für die dogmatischen Einzelfälle entwickeln; zum anderen ist eine norminterne Perspektive, die doch die Entfaltung des Legitimationsparadigmas der Selbstgesetzgebung im Bereich der Beteiligung erst ermöglicht, dem von Jakobs und seinen Schülern gewählten Ansatzpunkt schon fremd. 263

Lesch, Beihilfe, S. 272 ff. Jakobs, System, S. 78; ders., FS-Herzberg, S. 400 f. 265 Lesch, Beihilfe, S. 281; Jakobs, FS-Lampe, S. 565 f. 266 Jakobs, FS-Herzberg, S. 401. 267 Jakobs, AT II, 24/12. 268 Kritisch vgl. Kamm, Mittäterschaft, S. 41; Küpper, ZStW 105 (1993), 295 ff.; Klesczewski, Selbständigkeit, S. 144 f.; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 630; Ingelfinger, JZ 1995, 707 f., 710 f.; Köhler, AT, S. 516, Fn. 71; Renzikowski, Täterbegriff, S. 102; Noltenius, Kriterien, S. 113 f.; Schlösser, Tatherrschaft, S. 356, Fn. 89. 264

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

1. Konstruktion eines Gesamtsubjekts? Im Anschluss an die Ansichten Köstlins und Welzels begreift Lesch die kollektive Einheit der Mittäter als Organisationseinheit der in der personalen Gemeinschaft verbundenen Personen: „Personale Gemeinschaft bedeute, dass die kollektive Einheit als Gruppe handelt; die Gruppe ist als solche das Handlungssubjekt, dem der Konflikt zugerechnet wird“.269 Nach Lesch kann die Haftung des einzelnen Beteiligten nur über seine Mitgliedschaft in einer personalen Gemeinschaft begründet werden.270 Deswegen ist diese Ansicht zuerst mit Zweifeln an der Konstruktion des Gesamtsubjekts konfrontiert, die schon seit langer Zeit Kritik erfährt.271 Die Einwände richten sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Zum einen auf die Denkbarkeit bzw. Tauglichkeit des Gesamtsubjekts als Adressat des strafrechtlichen Vorwurfs; zum anderen auf die Zweckmäßigkeit der Konstruktion des Gesamtsubjekts für die Begründung der Beteiligungsverantwortung. Es handelt sich bei dem Gesamtsubjekt nach Schilling um eine bloße Fiktion: Ein Gesamtsubjekt sei „undenkbar“ und widerspreche dem „Prinzip der strafrechtlichen Verantwortlichkeit“, weil nur natürliche Einzelpersonen bestraft werden können.272 Mit Bindings Worten: Was sollte auch das Strafrecht mit einem Gesamtsubjekt beginnen?273 Dem Einwand gegen die Denkbarkeit des Gesamtsubjekts ist hier zuzustimmen. Denn zunächst einmal beruht die strafrechtliche Verantwortung auf der Zuschreibung von Schuldfähigkeit, die wiederum den Normadressaten Rechtstreue unterstellt; diese kann aber einer Kollektivperson allenfalls metaphorisch zugeschrieben werden, weil ein Kollektiv als solches mangels Identität nicht als rechtsuntreu oder überhaupt als schuldfähig bezeichnet werden kann.274 Selbst wenn ein Gesamtsubjekt nicht wirklich als Adressat des strafrechtlichen Vorwurfs konstruiert wird, sondern nur als Metapher von Nutzen ist, könnte die Verantwortung des Gesamtsubjekts mit der Verantwortung des Einzelnen für die tatbestandliche Ausführung nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden.275 Denn die individuelle Verantwortung ist „kein Derivat kollektiver Verantwortung, sondern eigenständiger Grund für Zuständigkeit und zugleich deren Begrenzung“.276 Dencker äußert ebenfalls Bedenken gegen die dogmatische Zweckmäßigkeit der Denkfigur 269

Lesch, Beihilfe, S. 189. Lesch, Beihilfe, S. 186 ff. 271 Vgl. Binding, Abhandlungen, S. 285 ff., 301; Schilling, Verbrechensversuch, S. 64 f.; Dencker, Kausalität, S. 122; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 630 f.; Frister, FS-Dencker, S. 123 f.; Schild, in: NK, § 25, Rn. 126; Derksen, GA 1993, 165 f., 169; Nagler, Teilnahme, S. 77 f.; v. Weezel, Beteiligung, S. 42 f.; Kreuzberg, Täterschaft, S. 500. 272 Schilling, Verbrechensversuch, S. 64; Dencker, Kausalität, S. 123. 273 Binding, Abhandlungen, S. 301. 274 Jakobs, FS-Lüderssen, S. 568 ff.; v. Weezel, Beteiligung, S. 43; Seelmann, Verantwortung, S. 13 ff. 275 Vgl. Frister, FS-Dencker, S. 124; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 630. 276 Derksen, GA 1993, 169 f. 270

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des Gesamtsubjekts: Wenn doch jedenfalls die Individualverantwortung ermittelt werden muss, erscheint die gedankliche Zwischenschaltung eines weiteren Gesamtsubjekts jedenfalls dann überflüssig, wenn das unentbehrliche Element des „Kollektiven“ im Gegenstand der Zurechnung vollständig berücksichtigt werden kann.277 Insofern ist Denckers Ansicht beizupflichten, als die Konstruktion des Gesamtsubjekts irrelevant für die zentrale zu begründende These der Beteiligung ist, aus welchem Grund man für fremde Ausführung zuständig ist. Durch die Konstruktion des Gesamtsubjekts wird die Kernfrage tatsächlich verschoben, aber nicht beantwortet. Nach hiesiger Meinung liegt die gravierende Unangemessenheit der Konstruktion des Gesamtsubjekts darin, dass sie die Überzeugungskraft der richtigen Erkenntnis – Handlung als Stellungnahme zur Normgeltung – im Bereich der Beteiligung beeinträchtigt. Denn Lesch konzipiert das Beteiligungsunrecht als Sinnausdruck des Gesamtsubjekts. Wenn die Figur „Sinnausdruck des Gesamtsubjekts“ wegen der Unangemessenheit der Konstruktion des Gesamtsubjekts undenkbar ist, drängen sich freilich Bedenken gegen die Schlüssigkeit des Verständnisses der Handlung als Sinnausdruck als solche auf. Um die Grundlagen einer entpsychologisierten normativen Interpretation des verbindenden Elements im Fall des gemeinsamen Handelns zu erklären, rückt Lesch im Anschluss an Hegel die Stellungnahme zur Verbindlichkeit der Norm im Sinne einer Interpretation des Verbrechensbegriffs in den Vordergrund.278 Neben dem „bloßen Produkt“ der deliktischen Handlung (d. h. ihren äußerlich-kausalen Folgen, etwa einer Rechtsgutsobjektsverletzung) existiert noch eine intellektuelle Seite, der die Qualität der Straftat maßgeblich fixiert: Weil der Täter ein vernünftiges Wesen ist, ist seine Handlung eine allgemeine, durch die er ein Allgemeines, scil. ein dem allgemeinen Willen entgegengesetztes Gesetz aufstellt, welches er in ihr für sich anerkennt.279 Strafunrecht ereignet sich nicht auf der Ebene des äußeren Kausalverlaufs, sondern auf derjenigen der Normgeltung.280 Insofern ist Leschs Ansatz hier zuzustimmen. Denn die Handlungsentschlüssen erhalten ihre spezifischen Konturen nicht allein durch das, was der Handelnde positiv verwirklicht, sondern auch durch das, was er dadurch ausschließt: In einer deliktischen Handlung ist dies die Anerkennung der Strafrechtsnormen als gültige Maxime bzw. die Unterlassung der deliktischen Tat als unverwirklicht gebliebene Alternative.281 Durch die Übertragung der Erkenntnis, dass das Verbrechen ein strafrechtlich relevanter Sinnausdruck ist, gelangt Lesch zu dem Befund: Es geht bei dem „Ge277

Dencker, Kausalität, S. 123. Lesch, ZStW 105 (1993), 277 ff. 279 Lesch, ZStW 105 (1993), 278 f.; Hegel, Grundlinien, § 100 (S. 190); Pawlik, Normbestätigung, S. 29; Jakobs, Handlungsbegriff, 33 f.; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 437 f. 280 Jakobs, GA 1996, 253; ders., Theorie, S. 11; Lesch, ZStW 105 (1993), 281; Derksen, GA 1993, 170 f. 281 Pawlik, Normbestätigung, S. 16; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 637 f. 278

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

samtwillen“ um nichts anderes als den objektiven Sinnausdruck eines Geschehens; er bezeichnet als kollektiver „besonderer Wille“ die Bedeutung eines kollektiven, d. h. gemeinsam arbeitsteilig organisierten Normwiderspruchs.282 Aber es stellt sich die Frage: Darf man die Handlungsbedeutung der einzelnen Person ohne weiteres auf die fingierte Konstruktion des Gesamtsubjekts übertragen? Eine Stellungnahme zur Normgeltung setzt nicht nur die Kopplung irgendeines Bewusstseins mit Äußerungsfähigkeit voraus, sondern eines Bewusstseins, das kommunikativ als fähig dargestellt wird, die Bedeutung der Norm zu begreifen und die Norm zum Teil seines Selbst zu machen oder aber – zurechenbar – zu verfehlen.283 Deswegen kann nur eine Person, der ein kommunikativ kompetentes Selbstbewusstsein zugeschrieben wird, eine Stellungnahme zur Normgeltung abgeben.284 Da eine fingierte kollektive Person als solche weder ablehnend noch zustimmend zur Normgeltung Stellung nehmen kann, ist sie kein taugliches Zurechnungssubjekt. Deswegen ist ein „Gesamtwille“ der personalen Gemeinschaft undenkbar. Vielmehr führt die Einbettung des Einzelnen in das Ganze dazu, dass jeder Beteiligter die durch die Gesamttat verletzte Norm in ihrer Geltung selber in Frage stellt.285 Nicht das Gesamtsubjekt lehnt die Normgeltung ab, sondern der einzelne Beteiligte gibt durch die Tatbestandsausführung auf eine akzessorische Weise eine Stellungnahme zur Normgeltung ab. Lesch hat auch betont, dass das Kollektiv nicht etwa eine außer den zugehörigen Personen noch bestehende Wesenheit ist, die Gruppe als solche also nicht das Handlungssubjekt ist, sondern vielmehr die Beteiligten selbst es sind, die zu einem bestimmten Zweck – der gemeinsamen Produktion eines Delikts – vereinigt sind.286 Wenn die Denkfigur des „Gesamtsubjekts“ lediglich als Metapher von Nutzen ist, die nicht nur keinen materiellen Beitrag zur Begründung zu leisten vermag, sondern auch geeignet ist, Missverständnis hervorzurufen, empfiehlt es sich, auf die Figur zu verzichten und einfach die Kernfrage zu behandeln, nämlich aus welchem Grund die Tatbestandsverwirklichung als eigenes Werk dem Beteiligten zugerechnet werden kann. Für das hier interessierende Thema, ob und wenn ja inwiefern der notwendige Beteiligte für fremde tatbestandliche Ausführung Verantwortung tragen muss, spielen zwei Fragen eine gewichtige Rolle: Zum einen wie die Straflosigkeit des selbstverletzenden Beteiligten unter Zugrundelegung einer zuständigkeitsbasierten Teilnahmekonzeption angemessen zu behandeln ist, zum anderen mit welcher Intensität ein fremdverletzender notwendiger Teilnehmer als Mitzuständiger für fremde Tatbestandsverwirklichung bestimmt werden kann. Es ist somit gleichgültig, ob die Beteiligten ein Gesamtsubjekt bilden.

282 283 284 285 286

Lesch, ZStW 105 (1993), 281. Jakobs, FS-Lüderssen, S. 568. Jakobs, FS-Lüderssen, S. 568. Derksen, GA 1993, 175. Lesch, Beihilfe, S. 189.

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2. Als Moment der objektiven Zurechnung Nach der normativistischen Beteiligungslehre beruht die Begründung der Beteiligungshaftung auf dem Prinzip der objektiven Zurechnung, nämlich der normativ-sozialen Bedeutung eines Geschehens; das im geläufigen Verständnis entscheidende Element „gemeinsamer Tatentschluss“ ist weder notwendige Bedingung der Zurechnung noch per se hinreichendes Kennzeichen mittäterschaftlicher Haftung.287 Im Ergebnis führen diese Thesen hauptsächlich zu zwei erheblichen Abweichungen von der herrschenden Auffassung: Zum einen wird wegen der Ablehnung der Relevanz des gemeinsamen Tatentschlusses die einseitige Mittäterschaft angenommen.288 Zum anderen wird wegen der Akzentverlagerung von der Kausalität zur objektiv-sozialen Bedeutung im Falle eines Verhaltens, das nach seiner objektiven Erscheinung unter Berücksichtigung des sozialen Kontexts und der Rolle des Akteurs noch sinnvoll als sozialadäquat interpretiert werden kann, die Zuständigkeit für fremde Deliktsausführung schon auf objektiver Ebene ausgeschlossen.289 Die Möglichkeit einer Kompensation objektiver Zuständigkeitsmängel durch subjektive Gegebenheiten wird zumal in der Konstellation „neutrale Unterstützung“ ausgeschlossen. Dementsprechend kreisen die Zweifel an der radikal normativistischen Beteiligungslehre im Wesentlichen um zwei Fragen: zum einen welche Rolle die subjektive Tatseite für die Begründung der Verantwortung für fremde Ausführung spielt;290 zum anderen ob und, wenn ja, inwiefern der mithilfe der Rollenverteilung ermittelten sozialen Bedeutung der mitwirkenden Handlung strafrechtlich Relevanz zugesprochen werden darf und muss.291 Nach hiesiger Meinung sind die Reflexion der Relevanz der subjektiven Tatseite und der entsprechende Versuch, die Mitwirkungshaftung in die Lehre von der objektiven Zurechnung einzubetten, das Verdienst der radikal normativistischen Beteiligungslehre. Bezüglich des zweiten Zweifels dürfen zwar die Kriterien, nach denen die rechtliche Zuständigkeitsverteilung bestimmt wird, sich nicht gegenüber den Erwartungen ohne weiteres verschließen, die in der Gesellschaft die Kommunikation außerhalb des Rechts strukturieren; aber die einseitige Betonung der Orientierung an der gesellschaftlichen Bedeutung ist mit dem heiklen Umstand konfrontiert, dass man aus einem derart allgemeinen Ausgangs287 Lesch, ZStW 105 (1993), 276 ff., 291 f.; ähnlich siehe auch v. Weezel, Beteiligung, S. 23 ff., 192 ff. 288 Lesch, ZStW 105 (1993), 284; ders., JA 2000, 73 ff.; Derksen, GA 1993, 173 f.; Jakobs, AT, 21/43; ders., FS-Herzberg, S. 397; ders., Theorie, S. 2. 289 Lesch, ZStW 105 (1993), 285; Jakobs, FS-Lampe, S. 563, 566; ders., GA 1996, 260 ff.; Derksen, GA 1993, 175. 290 Vgl. Küpper, ZStW 105 (1993), 295 ff.; ders. GA 1998, 519 (524); Ingelfinger, JZ 1995, 707 f., 710 f.; Köhler, AT, S. 516, Fn. 71; Renzikowski, Täterbegriff, S. 102; Noltenius, Kriterien, S. 113 f.; Schlösser, Tatherrschaft, S. 356, Fn. 89. 291 Renzikowski, Täterbegriff, S. 78 f.; Schlösser, Tatherrschaft, S. 356, Fn. 89; Kraatz, Mittäterschaft, S. 115, 240.

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punkt keine überzeugenden Kriterien der konkreten Handhabung zu entwickeln vermag. a) Die subjektive Tatseite der Beteiligten In Bezug auf die Bedeutung der subjektiven Tatseite speisen sich die Einwände nach hiesiger Meinung zum einen aus einem Missverständnis über die Konzeption von Jakobs und seinen Schülern, die sich um die Behandlung der Beteiligungsdogmatik im Rahmen der allgemeinen Zurechnungslehre und die Bestimmung der grundlegenden verbindenden Gemeinsamkeit bemüht, zum anderen aus der verbreiteten Verkennung der subjektiven Tatseite als maßgebliches Transportelement des Unrechts im Fall des gemeinsamen Handelns, die schon in den neueren Literaturen zunehmend bemerkt wird.292 Die folgende Darlegung beweist: Solange man zur Kenntnis nimmt, dass zum einen die subjektive Tatseite im Rahmen der Konzeption von Jakobs nicht völlig unberücksichtigt bleibt, sondern als Indiz für das konstituierende Element fungiert,293 zum anderen das gängige Verständnis des gemeinsamen Tatentschlusses nichts anderes ist als die Ermittlung des Vorsatzes des einzelnen Beteiligten aus dem objektiven Sinn des objektiven Kommunikationsakts, erweisen sich deutlich die Nachvollziehbarkeit der normativistischen Beteiligungslehre und die tatsächlichen Berührungspunkte im Ergebnis zwischen dieser und der herkömmlichen Meinung. Die Kritik richtet sich zuerst gegen die Annahme der einseitigen Mittäterschaft. Nach der herrschenden Auffassung verbindet gerade der gemeinsame Tatentschluss als die subjektive Komponente die Einzelakte zu einem kollektiven Geschehen: Aus dem „Nebeneinander“ wird ein „Miteinander“.294 In der Konstellation der Mittäterschaft ist jedem bewusst, dass sein Anteil den des anderen zu einer einheitlichen Tat komplettiert; eine einseitige Anbindung an fremde Tat genügt dazu nicht.295 Dieses Argument ist nicht aussagekräftig, weil es ausgehend von einer vorgegebenen Definition der Mittäterschaft als „bewusstes und gewolltes Zusammenwirken“, die die Möglichkeit der einseitigen Mittäterschaft bereits ausschließt, zur Ablehnung der Annahme der einseitigen Unterstützung als Mittäterschaft gelangt. Dies erscheint tautologisch. Man kann nicht einerseits die Unmöglichkeit der einseitigen Mittäterschaft als Grund für die konstitutive Bedeutung des gemeinsamen Tatentschlusses 292 Ein Teil der Literatur versteht das Kriterium des „gemeinsamen Tatentschlusses“ objektiv. Vgl. Dencker, Kausalität, S. 148 ff.; Hoyer, in: SK, § 25, Rn. 130; Steckermeier, Tatentschluss, S. 207; Frister, AT, § 26, Rn. 3; Maurach/Gössel/Zipf-Renzikowski, AT II, § 49, Rn. 21. Trotz des Verständnisses des gemeinsamen Tatentschlusses als die subjektive Komponente der Mittäterschaft wollen einige Autoren wie Kühl, AT, § 20, Rn. 103, darin auch ein objektives Moment sehen. Ähnlich Marlie, Unrecht, S. 154. 293 Jakobs, FS-Lampe, S. 574, 575, Fn. 39, 40. 294 Küpper, ZStW 105 (1993), 301; Herzberg, Täterschaft, S. 62 ff.; Bloy, Beteiligungsformen, S. 374; Wessels/Beulke/Satzger, AT, § 16, Rn. 761. 295 Küpper, ZStW 105 (1993), 301; Haas, ZStW 119 (2007), 543 f.; Puppe, ZIS 2007, 236.

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benutzen, andererseits aufgrund des mangelnden gemeinsamen Tatentschlusses die einseitige Mittäterschaft ablehnen. Diese Ausführung besagt lediglich, dass es bei der heimlichen Unterstützung fremder Tatbegehung keinen gemeinsamen Tatentschluss gibt. Jedoch gibt sie keine Auskunft darüber, warum erst auf der Grundlage des bewussten und gewollten Zusammenwirkens die einzelnen Tatbeiträge sinnvoll als gemeinschaftliche Begehung verstanden werden können. Darüber hinaus wird die Relevanz des gemeinsamen Tatentschlusses dadurch hervorgehoben, dass der Umfang der mittäterschaftlichen Haftung durch das gemeinsame Wollen begrenzt wird: Wenn von zwei Beteiligten der eine das Opfer verletzt, der andere es tötet, vermittelt erst die Feststellung des gemeinschaftlich Gewollten Aufschluss darüber, ob der Todeserfolg dem ersten Beteiligten zuzurechnen ist.296 Die Plausibilität des Einwands gegen die normativistische Beteiligungslehre ist von der Klärung zweier Frage abhängig: zum einen, was genau durch den sog. „gemeinsamen Tatentschluss“ limitiert wird, die normative Gemeinsamkeit der Beteiligung oder die einzelne Haftung für den strafrechtlich relevanten Erfolg; zum anderen, ob die Beschränkungsfunktion dem „gemeinsamen Tatentschluss“ zukommen soll oder eigentlich dem einzelnen Vorsatz. Die erste Frage betrifft die Hauptaufgabe der normativistischen Beteiligungslehre. Mit den Worten von Lesch: Es geht allein darum, die Herstellung der Gemeinsamkeit als Grund akzessorischer Haftung im Rahmen der objektiven Zurechnung zu leisten, statt sie den individuellen Sinnstiftungen der beteiligten Akteure zu überlassen.297 Also wird die Zuständigkeit für fremde Ausführung als die Frage der objektiven Zurechnung vor der subjektiven Zurechnung behandelt. Subjektive Zurechnung vermag zwar die Mitzuständigkeit für die Tatbestandsausführung nicht zu begründen, aber ihr Ausschluss führt stets zur Entlastung.298 Im Ergebnis gibt es insofern tatsächlich eine Übereinstimmung zwischen der herrschenden Ansicht und der normativistischen Beteiligungslehre, als sie beide trotz verschiedener Formulierung der These beipflichten, dass die Haftung des einzelnen Beteiligten sich in dem von ihm gekannten Planzusammenhang erschöpft.299 So gesehen ist die normativistische Beteiligungskonzeption nicht völlig befremdlich, weil diese objektive Verbindung per se auch nur zu einer objektiven Zuständigkeit des im Vorfeld Beteiligten für die Ausführung führt; zur Strafbarkeit müssen auch alle weiteren Deliktselemente hinzukommen – Vorhandensein einer subjektiven Tatseite, Fehlen einer Rechtfertigung zum Zeitpunkt der Vorfeldleistung.300 Ebenso wie das Vor296 Küpper, ZStW 105 (1993), 302; Ingelfinger, JZ 1995, 708; Seelmann, JuS 1980, 572; Stratenwerth/Kuhlen, AT, §12, Rn. 85; Kindhäuser, AT, § 40, Rn. 19. 297 Lesch, ZStW 105 (1993), 282, Fn. 53. Diese These, dass bei der Festlegung des Bedeutungsinhalts der Beteiligungshandlungen nicht auf die Eigeninterpretation des Handelnden, sondern auf die Interpretation aus der Warte eines objektiven Beobachters abzustellen ist, findet auch Anklang in Küdlich, Unterstützung, S. 177 ff. 298 Lesch, ZStW 105 (1993), 282, Fn. 53. 299 Lesch, ZStW 105 (1993), 282, Fn. 53; Dencker, Kausalität, S. 158. 300 Jakobs, FS-Lampe, S. 574.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

handensein einer Garantenstellung unabhängig vom Wissen des Täters ist, dass das Opfer gefährdet wird, ist die Zuständigkeit der Beteiligten für die Tatbestandsverwirklichung als spezifische Kernfrage der Beteiligung unabhängig davon, ob andere Beteiligte ohne Wissen des bestimmten Beteiligten handeln werden. Generell müssen beim vorsätzlichen Delikt zwar die Voraussetzungen der objektiven Zurechnung auch vom Vorsatz umfasst sein. Dies betrifft jedoch lediglich die Frage der allgemeinen Erfolgszurechnung zum Einzelnen und nicht die eigenartige zentrale Problematik der Beteiligung, nämlich die Konstitution des Beteiligungsverhältnisses.301 Eigentlich limitiert nicht der gemeinsame Tatentschluss die Haftung des einzelnen Beteiligten, sondern der Vorsatz des einzelnen Beteiligten. Die sogenannte Beschränkungsfunktion des gemeinsamen Tatentschlusses ist nichts anderes als der Versuch, den Willensinhalt der Beteiligten durch den Tatplan nachzuvollziehen.302 Dies ergibt sich schon aus § 16 StGB. Niemand kann wegen vorsätzlicher Begehung eines Unrechts bestraft werden, von dem er nicht wusste.303 Aus diesem Blickwinkel ist die verbreitete Beschränkungsfunktion des „gemeinsamen Tatentschlusses“ eine Vermengung objektiver und subjektiver Zurechnung,304 die in einer normativistischen Beteiligungslehre nicht erfolgt. Umgekehrt kann man sagen: Obgleich das „Wissen“ und „Wollen“ des einzelnen Beteiligten eine Rolle für die Ermittlung der einzelnen Haftungsreichweite spielen, z. B. im Fall des Exzesses eines Mittäters, sind sie doch im Rahmen der Begründung für die Verbindung der Einzeltat mit den Einzeltaten der anderen Beteiligten systematisch fehl am Platze.305 Also vermag der Willensinhalt des einzelnen Beteiligten die Einzelakte weder zum kollektiven Geschehen zu verbinden noch vom kollektiven Geschehen zu isolieren, während der durch etwas Objektives ermittelte Willensinhalt des einzelnen Beteiligten seine eigene Haftungsreichweite limitieren kann, was jedoch durchaus keine Besonderheit der Beteiligungsdogmatik ist. Schließlich entspricht nach Küpper die herrschende „Gesamtlösung“ zur Festlegung des Versuchsbeginns bei der Mittäterschaft der konstitutiven Bedeutung der „subjektiven Übereinstimmung“, denn bei den übrigen Beteiligten ist gar nichts „Objektives“ vorhanden, das Gegenstand einer Zurechnung sein könnte, wenn einer der Mittäter in Ausführung des gemeinsamen Tatplans zur Tatbestandsverwirklichung ansetzt.306 Im Gegensatz dazu macht sich meines Erachtens die Unangemessenheit des gemeinsamen Tatentschlusses als konstitutiven Elements der Mittäterschaft gerade bei der Gesamtlösung mit besonderem Nachdruck bemerkbar. Die Gesamtlösung lässt sich gerade nicht durch die reine individuell-psychische Tatsache 301 302 303 304 305 306

Jakobs, AT, 8/44; v. Weezel, Beteiligung, S. 47 Fn. 137. v. Weezel, Beteiligung, S. 25. Puppe, ZIS 2007, S. 243. v. Weezel, Beteiligung, S. 25. Dencker, Kausalität, S. 158. Küpper, ZStW 105 (1993), 303.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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rechtfertigen, dass der Beteiligte mit anderen zusammenwirken will. Denn dann wäre die „Gesamtlösung“ nichts anderes als eine Erscheinung des unerwünschten Gesinnungsstrafrechts. Obwohl es kein „Objektives“ als Gegenstand einer Zurechnung gibt – denn der Gegenstand der Zurechnung kann lediglich die Tatbestandsverwirklichung sein –, bietet der Beteiligte durch sein Versprechen einen Grund, die fremdhändige Tatbestandsausführung als seine eigene zuzurechnen. Es ist auch faktisch undenkbar, dass ganz ohne interpersonale Kommunikationsakte, lediglich durch individuelles Wissen und Wollen, über ein Zusammenwirken eine gemeinsame Deliktsausführung verwirklicht werden kann. Die Festlegung des verbindenden Zusammenhangs im Fall der Beteiligung als Problematik der objektiven Zurechnung heißt nicht, die subjektive Vorzeichnung des Geschehens durch eine Verabredung oder Ähnliches müsse irrelevant sein: Sie ist als Versprechen ihrerseits bereits eine Leistung an den Versprechensempfänger und deshalb ein möglicher Grund, dem Versprechenden dessen anschließendes Verhalten zuzurechnen.307 Schlössers Kritik weist darauf hin, dass die Außerachtlassung der subjektiven Sinngebung des Täters zu einem Widerspruch mit dem Schuldprinzip führt: Damit ist nicht mehr der Wille des Handelnden Anknüpfungspunkt für die Zuschreibung eines bestimmten Geschehens zu einer Person, sondern die von außen an das Geschehen herangetragene Sinndeutung; eine solche Funktionalisierung des Einzelnen droht mit dem die freie Willensentscheidung der Person in den Mittelpunkt stellenden Schuldprinzip zu kollidieren.308 Der Vorwurf beruht auf den Verkennungen des Schuldprinzips und der Deutung kriminellen Handelns als eines qualifizierten Stellungnehmens. Schuldprinzip heißt: Schuld ist eine zwingende Voraussetzung der Legitimität staatlicher Strafe.309 Das Schuldprinzip erfordert, dass die Menschenwürde geachtet werden muss.310 Die Menschenwürde der Person zu respektieren, bedeutet jedoch nicht, dass die Zuschreibung strafrechtlicher Verantwortung zur Disposition der Mitwirkenden steht. Bei der normativistischen Beteiligungslehre geht es nicht darum, dem Handelnden die Zuständigkeit für fremde Ausführung zu unterstellen, sondern lediglich darum, ihm die Kompetenz zu verweigern, über die Zuständigkeit selbst rechtsverbindlich zu entscheiden. Gerade durch die Charakterisierung der Handlung als eine Stellungnahme zwischen zwei Verhaltensoptionen, nämlich strafrechtlich rechtmäßig und rechtswidrig, wird die Menschenwürde wirklich geachtet. Denn wenn man das Verhalten in dem Sinne intentional erklärt, dass ein Grund für seinen Vollzug angegeben wird, etwa: „A tat x, weil er z wollte“, unterscheidet sich die Person nicht von Tieren oder sogar Pflanzen, weil diese Verhaltensexplikationen durch die Zuschreibung von Intentionen auch bei Tieren oder Pflanzen möglich sind – „Die Katze kratzt an der Tür, weil sie ins Freie will“;

307 308 309 310

Jakobs, FS-Herzberg, S. 395 f. Schlösser, Tatherrschaft, S. 356, Fn. 89. Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 15 f. BVerfGE 25 S. 269 ff., 285 f.; 45 S. 187 ff., 259; 57 S. 250 ff., 275.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

„Der Baum wächst nach links, um mehr Sonne zu bekommen“.311 Mit der Interpretation der Straftat als kommunikativer Akt mangelnder Normanerkennung wird der Täter erst als Person behandelt, die durch Normen geleitet wird und eine Behauptung gegen die Normgeltung abgeben kann. b) Die Formel der Rollenverteilung Nach Jakobs ist Beteiligung ein Verhalten, das einen Grund liefert, die Tatausführung einem nicht mit eigener Hand Ausführenden als seine Ausführung zuzurechnen; ein Grund liegt dann vor, wenn das Beteiligungsverhalten die Ausführung in einer Art und Weise voranbringt, die nicht dem Regressverbot unterfällt.312 Statt die akzessorische Verantwortung im Fall des gemeinsamen Handelns positiv zu begründen, grenzen Jakobs und seine Schüler den Bereich der akzessorischen Verantwortung umgekehrt durch den Ausschluss des Regressverbotsfalls ab. Hierfür kommt es maßgeblich auf die „soziale Rolle“ an: „Die normativen Erwartungen sind immer Rollenerwartungen; für die Zurechnung ist somit primär dasjenige von Bedeutung, was von einem anderen in seiner Rolle erwartet wird.“313 Dies läuft auf gravierende Bedenken hinaus, welche Bedeutung einer sozialen Rolle gegenüber der dem Strafrecht zugrundeliegenden Verhaltensordnung zukommen soll. Nach Renzikowski bestimmt im demokratischen Rechtsstaat nicht die Gesellschaft, was strafbar ist, und damit, welche Verhaltenserwartungen durch das Strafrecht garantiert werden, sondern der Gesetzgeber in dem dafür vorgesehenen Verfahren.314 Diese These impliziert, dass die Strafrechtsdogmatik den Plausibilitätsanforderungen und Rationalitätsvorstellungen aus der Umwelt des Strafrechtssystems unvermittelt gegenüberstehen soll. Diese Annahme ist aber weder plausibel noch angemessen. Zuerst ist zu erkennen, dass bei der Subsumtion eines mitwirkenden Verhaltens als rechtlich strafwürdige Teilnahme die Leistungskraft der Strafrechtsnormen als solcher gewissermaßen begrenzt ist. Im Vergleich zum Zivilrecht, das ein großes Arsenal von Modellen der Verantwortung für fremde Tat bereithält, sind die zur Verfügung stehenden Zurechnungsregelungen im Bereich des Strafrechts ziemlich abstrakt und pauschal.315 Dass anstelle der Ermittlung des gesellschaftlichen Bedeutungsinhalts des Verhaltens allein „von bestimmten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers auszugehen“ sei,316 ist undenkbar und bildet daher keine aussagekräftige Gegenmeinung. Tatsächlich ziehen viele Autoren bei der Behandlung der Problematik der neutralen Unterstützung ungeachtet terminologischer Nuancen

311 312 313 314 315 316

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 638 f. Jakobs, Theorie, S. 39. Lesch, Beihilfe, S. 283; Jakobs, ZStW 101 (1989), 518; Derksen, Handeln, S. 179 f. Renzikowski, Täterbegriff, S. 79. Jakobs, Theorie, S. 16 f. Renzikowski, Täterbegriff, S. 52; Wohlleben, Beihilfe, S. 89.

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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ebenfalls den deliktischen Sinnbezug des fördernden Verhaltens in dem betreffenden Kontext heran.317 Darüber hinaus findet diese allgemein anerkannte Erwägung des sozialen Bedeutungsgehalts des Verhaltens ihre Stützung auch im angebrachten Verständnis der Rechtsordnung. Eine Rechtsordnung ist in ihrer Qualität als äußere Freiheitsordnung auf regelmäßige Befolgung und die Anwendung von Zwang angewiesen.318 In diesem Sinn bedarf sie der tatsächlichen sozialen Abstützung: Nur eine im großen und ganzen wirksame Rechtsordnung kann für sich beanspruchen, geltendes Recht im Sinne einer Ordnung wirklicher Freiheit darzustellen.319 „Weil das autonome praktische Subjekt nicht überzeugend als vorgesellschaftliche Größe gedacht werden kann, ist auch einer Rechtsordnung, die das praktische Subjekt als ihren Geltungsgrund anerkennt, der Bezug auf ihre soziale Umwelt immanent.“320 Deswegen empfiehlt es sich, dass das Recht diesen sozialen Verhaltenserwartungen kommunikative Anschlussmöglichkeit eröffnet. Trotz der Plausibilität der „normativen Gemeinsamkeit“ als Gegensatz zur verbreiteten Betonung der subjektiven Tatseite ist die Reduzierung der Bestimmung der Gemeinsamkeit auf die soziale Verhaltenserwartung nach der Rollenverteilung fragwürdig. Denn als ein dogmatischer Lösungsweg fällt als Mangel an der Formel der Rollenverteilung auf, dass sie bei weitem zu allgemein ist, um daraus konkrete dogmatische Schlussfolgerungen herzuleiten. Das Regressverbot erscheint als Zauberwort, das bloße Zuschreibungstätigkeiten, und zwar das Zuschreibungsergebnis, beschreibt, deren begriffliche Kriterien jedoch offenbleiben.321 Zum einen ist die Formel der Rollenverteilung als solche ungenau, weil sie zwar auf eine objektive Perspektive hinweist, aber keine konkreten Kriterien der Handhabung entwickelt. Nach den Worten Renzikowskis ist es bereits zweifelhaft, ob man überhaupt für die Gesamtgesellschaft einheitliche Verhaltenserwartungen empirisch ermitteln kann.322 Kraatz hat folgenden Einwand angemeldet: Es geht bei der normativistischen Beteiligungslehre eigentlich um den sozialen Handlungsbegriff; damit geriete der gesetzliche Bestimmtheitsbegriff in Gefahr, weil es sich bei der Sozialerheblichkeit eigentlich um eine „Leerformel“ handele,323 die aufgrund ihrer Unbestimmtheit genügend Spielraum für eine subjektive Sicht vonseiten des Betrachters und damit des Richters lasse.324 Zwar ist der Annahme von Jakobs insofern zuzustimmen, als maßgeblich für die Zurechnung die Zuständigkeit für das Geschehen ist und nicht die kausale Rechtsgutsverletzung. Aber die Gleichsetzung der 317 318 319 320 321 322 323 324

Vgl. Frisch, FS-Lüderssen, 544 f.; Roxin, AT II, § 26, Rn. 244 ff. Pawlik, Verhalten, S. 43. Jakobs, Norm, S. 51 ff.; Pawlik, Verhalten, S. 43. Pawlik, Verhalten, S. 36; Müssig, Mord, S. 233 f. Vgl. Haas, Kausalität, S. 51. Renzikowski, Täterbegriff, S. 78 f. Vgl. Hirsch, ZStW 93 (1981), 853; Otto, AT, § 5, Rn. 36. Kraatz, Mittäterschaft, S. 115, 240.

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

Zuständigkeitsabgrenzung mit der selbst schon ungenauen Rollenerwartung beschädigt die Plausibilität der Annahme. Hinsichtlich der Frage, wie die entscheidende „normative Gemeinsamkeit“ ermittelt wird, verweist Jakobs pauschal auf die „Verhaltensgestalt“ und den „Kontext, in dem das Verhalten steht“.325 Daher überrascht der Zweifel nicht, dass nach der Konzeption von Jakobs nicht begrifflich fixiert, sondern im Ergebnis der puren Intuition überlassen wird, wo und wann die Organisationszuständigkeit eines Normadressaten endet und die des anderen anfängt.326 Doch selbst wenn eine bestimmte Rollenerwartung ermittelbar wäre, vermag diese als „Regressverbot“ bezeichnete Herangehensweise, aufgrund der Gleichsetzung der Zuständigkeitsabgrenzung mit der Rollenerwartung die Zuständigkeit des Verhaltens für fremde Ausführung abzulehnen, keine positive Begründung der Zuständigkeit anzubieten. Denn die eventuelle Aussagekraft der Formel beschränkt sich auf Konstellationen, in denen der Arbeitsbereich bzw. die Anforderung und Verantwortung eines bestimmten Berufs ziemlich genau und allgemein anerkannt ist. Beispiele sind etwa der Postbote, der eine Briefbombe zustellt und durch Zufall davon weiß, oder der Hilfsarbeiter in einem Chemieunternehmen, der von Zeit zu Zeit einen Schieber betätigen soll, um Abwässer in ein Gewässer einzuleiten, und zufällig erkennt, dass dabei die zulässigen Grenzwerte überschritten werden.327 Diese Vorgehensweise ist mit der Frage konfrontiert, wie die Zuständigkeit begründet bzw. ausgeschlossen wird, wenn der Handelnde ohne bestimmte berufliche Rolle mitwirkt. Jakobs hat auch eingeräumt, dass wegen des konkreten Kontexts des Verhaltens die Bedingung der Rollentrennung entfallen kann: Der Verkauf eines Küchenmessers ist unter normalen Umständen, auch wenn der Verkäufer den Deliktsplan des Käufers ahnt, keine Mordbeihilfe; dagegen bekommt der Verkauf des Küchenmessers einen deliktischen Sinn, wenn der Käufer sich im Laden mit seinem Feind prügelt und ein Messer verlangt.328 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Leistungskraft der Formel der Rollenverteilung begrenzt ist. 3. Die maßgebliche Unzulänglichkeit – Begrenztheit der Perspektive Ein gravierenderer Einwand bezieht sich auf den von Jakobs bevorzugten Funktionalismus, der die Funktion des Strafrechts darin erblickt, die Identität der Gesellschaft zu garantieren, nämlich die Verhaltenserwartungen zu stabilisieren.329 Dementsprechend wird eine Beteiligungshaftung angenommen, wenn der Handelnde durch sein mitwirkendes Verhalten die jeweilige soziale Erwartung ent325

Jakobs, GA 1996, 264. Haas, Kausalität, S. 51. 327 Lesch, Beihilfe, S. 266. 328 Jakobs, FS-Lampe, S. 566; ders., GA 1996, 264; Lesch, Beihilfe, S. 283. 329 Jakobs, AT, 1/8, 11; 2/2, 3, 5; ders., ZStW 107 (1995), 845 ff.; ebenso, Derksen, Handeln, S. 176; Lesch, Beihilfe, S. 248. 326

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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täuscht.330 Es wird bemängelt, dass sich die Reichweite des Organisationskreises nicht aus Erkenntnissen der empirischen Soziologie ergibt; stattdessen werden die Rechtssphären von dem Autonomieprinzip und der Gleichheit der Freiheitssphären festgelegt.331 Um der Kontroverse gerecht zu werden, ist die Frage zu bearbeiten, welche Beziehung zwischen dem funktionalistischen Ansatz und dem freiheitstheoretisch inspirierten Legitimationsparadigma besteht. Es handelt sich bei dem funktionalistischen Ansatz um eine Beobachtung zweiter Ordnung, die sich auf Basis der Perspektive der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik ausdifferenziert. Während die Beobachtung erster Ordnung, in der Begrifflichkeit von Kelsens Grundnormtheorie gesprochen, innerhalb des durch die wirksame Grundnorm konstituierten Bereichs des Rechts agiert, ist der Standpunkt der Beobachtung zweiter Ordnung diejenige Position, die allererst zur Formulierung und Setzung dieser Grundnorm führt.332 Mit den Begriffen „Organisationskreis“ statt „Rechtssphäre“ und „Verhaltenserwartung“ statt „Norm“ entspricht die spezifische Terminologie Jakobs der Perspektivenabweichung von der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik. Das freie Subjekt, das der legitimationstheoretische Ausgangspunkt für die Beobachtung erster Ordnung ist, ist in dieser Konzeption, die sich mit der Beobachtung zweiter Ordnung beschäftigt, „genau in dem Maß präsent, in dem es kommunikativ vermittelt wird, also die Selbstbeschreibung der Gesellschaft bestimmt“.333 Daher setzt sich der funktionalistische Ansatz dem Einwand aus, das Subjekt gehe als Rechtsperson verloren.334 Was der von Jakobs und seinen Schüler gewählte Ansatz infolge seiner beobachtungstheoretischen Selbstsituierung nicht vermag, ist, der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik begründungsmäßig zwingend nachzuweisen, dass auch für sie die Berücksichtigung soziofunktionaler Belange innerhalb der Plausibilitätsgrenzen des am Freiheitsbegriff ansetzenden Legitimationsparadigmas geboten sei.335 Funktionalität ist eine Kategorie, die nicht der Innenperspektive der Teilnehmer am Diskurs der professionellen Strafrechtsanwender angehört, sondern der Außenperspektive eines Beobachters dieses Diskurses.336 Die Beobachtung zweiter Ordnung leidet unausweichlich an einer strukturbedingten Blindheit für die Beobachtung erster Ordnung. Für die hier interessierende Beteiligungsproblematik bleibt die Frage aus funktionalistischer Perspektive unbeantwortet, worin die freiheitstheoretische Legitimation des Zurechnungsparadigmas liegt, nach dem ein einzelner Beteiligte für fremde selbstbestimmte Ausführung einstehen soll. Aus der Beobachtung, wie das Zurechnungsparadigma der Beteili330

Lesch, Beihilfe, S. 278. Vgl. Renzikowski, Notstand, S. 178 ff.; ders., Täterbegriff, S. 54, 79; Haas, Kausalität, S. 52; ähnlich auch Kudlich, Unterstützung, S. 91. 332 Pawlik, Verhalten, S. 62. 333 Jakobs, ZStW 107 (1995), 850. 334 Vgl. Kahlo, Problem, S. 206; Lüderssen, ZStW 107 (1995), 883 f.; Haas, Kausalität, S. 52; Stübinger, KJ 1993, 34 ff.; Albrecht, StV 1994, 266. 335 Pawlik, Verhalten, S. 63. 336 Pawlik, Gesellschaft, S. 248. 331

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2. Kap.: Strafgrund der Teilnahme

gung funktioniert, kann aber nicht darauf geschlossen werden, wie es unter freiheitstheoretischen Gesichtspunkten funktionieren soll. Mit den Worten von Renzikowski: „Für das normative Problem der Berechtigung reicht die Aufstellung von Seins-Aussagen nicht aus.“337 Bei der Rechtfertigung der Verantwortung für eine fremde freie Tat beruft sich Jakobs häufig auf parallele Phänomene im alltäglichen Leben und Rechtsinstitute in anderen Rechtsgebieten, z. B. Bau und Betrieb eines Krankenhauses werden dem Finanzier als sein Werk lobend zugerechnet, obwohl Bau und Betrieb von anderen Personen durchgeführt werden; das Staatsrecht hat die Repräsentation, das Zivilrecht hat die Stellvertretung und diese Rechtsgebiete wie auch andere haben einen Reichtum an Formen des dem anderen zurechenbaren Handelns für einen anderen entwickelt.338 Die Aussagekraft des Arguments lässt sich unschwer schwächen: Die Verantwortung für fremde Ausführung im strafrechtlichen Sinne löst die Strafe aus, die als das schärfste staatliche Reaktionsmittel am intensivsten in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Bürgers eingreift und sich deswegen von den Rechtsfolgen in anderen Rechtsgebieten und der moralisch tadelnden oder lobenden Zurechnung grundsätzlich unterscheidet. Aus der Üblichkeit des Zurechnungsmodells im Alltagsleben und in anderen Rechtsgebieten ergibt sich nicht selbstverständlich die Legitimation der Beteiligungshaftung im Bereich des Strafrechts. Letztlich sucht die Strafrechtswissenschaft nach rationalen Begründungen für die Bestrafung. Die Beobachtung zweiter Ordnung erklärt das Rechtsinstitut der Beteiligung als ein der außerrechtlichen (z. B. soziologischen) Erklärung zugängliches „Faktum“, wobei sich lediglich Regeln formulieren lassen, aus denen sich ergibt, wie man in der betreffenden Gesellschaft am erfolgreichsten sein Ziel verwirklicht, „gut durchzukommen“.339 Die Beobachtung erster Ordnung ermöglicht erst, eine rechtliche Verbindlichkeit als kategorisches Sollen zu begründen.340 Die Zuständigkeitsverteilung als der Angelpunkt der strafrechtlichen Zurechnung lässt sich aufgrund der Beobachtung der Arbeitsteilung in der modernen Gesellschaft, d. h. durch eine bloße Tatsachenfeststellung, nicht genügend untermauern. Dementsprechend kann man nicht einfach als Grund der Verbindung des Zuständigkeitsbereiches angeben, dass „die normative Struktur der Gesellschaft gemeinsame Unternehmungen kennt“.341 Was man von einem Beobachterstandpunkt aus über das Rechtssystems feststellt, wird durch einen Wechsel der Perspektive und durch eine Begründung aus den internen normativen Vorgaben des Rechtssystems bestätigt und präzisiert.342 337

Renzikowski, Täterbegriff, S. 79. Jakobs, FS-Yamanaka, S. 109 f. 339 Pawlik, Verhalten, S. 61. 340 Pawlik, Verhalten, S. 61. 341 Jakobs, FS-Yamanaka, S. 105. 342 Pawlik, Verhalten, S. 43; Haas (Kausalität, S. 52) erkennt an, dass Jakobs’ Begriff des Organisationskreises ein adäquates rechtliches Begründungspotential bietet, wenn man ihn von 338

C. Zuständigkeitsbasierte Teilnahmekonzeption

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Kurzum: Die Problematik der radikalen normativistischen Beteiligungslehre liegt nicht in ihrer Unrichtigkeit, sondern in ihrer Unvollständigkeit für eine sich als freiheitlich begreifende Rechtsordnung – eine Unvollständigkeit, die durch den Funktionalismus als Ausgangspunkt von vornherein bedingt ist. Der funktionalistische Ansatz behauptet keine ausschließliche Berechtigung und spricht den aktuell für maßgeblich betrachteten Legitimationsparadigmen funktionale Äquivalente zu,343 mit den Worten von Jakobs: „Der Ansatz verdrängt also insoweit nichts“.344 Statt der Beobachtung der zweiten Ordnung bemühen sich die hiesigen folgenden Ausführungen darum, die rechtlich relevanten Implikationen des Legitimationsparadigmas der Freiheit im Bereich der Beteiligung zu entfalten, also die Zuständigkeit für fremde Ausführung als kategorisches Sollen zu begründen statt als bloßes Beobachtungsergebnis eines gesellschaftlichen Sein-Phänomens.

seinen funktionalistischen Implikationen befreit und auf die rechtssysteminterne Ebene transferiert. 343 Pawlik, Verhalten, S. 62. 344 Jakobs, ZStW 107 (1995), 850.

Drittes Kapitel

Eigene Ansicht – Beteiligung als Verbindung der Organisationskreise Trotz divergenter Auffassungen von Freiheit und divergenter Ansichten im Streit um die Erfüllungsweise der Aufgabe erfährt in der heutigen Strafrechtsdogmatik die Position, dass die Aufgabe des Strafrechts in dem Schutz der Freiheit liegt, weitgehende Zustimmung.1 Jedes strafrechtliche Rechtsinstitut muss daher seine Legitimation freiheitstheoretisch beschaffen. Zu den Rechtsinstituten, die die Zurechnung der Ausführung durch fremde Hand als eigene Tat zum Inhalt haben, gehören nicht nur die Beteiligungsregelungen im modernen Strafrecht. Sowohl in der orientalistischen als auch in der abendländischen Geschichte hat die Sippenhaft existiert, die die Verantwortung für fremde Ausführung als schicksalhafte Verknüpfung bestimmt.2 In der modernen Gesellschaft, in der die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der selbständigen Person nahezu weltweit als Leitidee hochgeschätzt wird, ist das Rechtsinstitut der Beteiligung ebenso unerträglich wie die als selbstverständlich ungerecht betrachtete Sippenhaft, wenn keine solide freiheitstheoretische Stützung dafür gefunden wird. Wer sich an einer Straftat beteiligt, der soll bestraft werden. Soll diese Bestrafung nicht als bloße Willkür und Gewaltsamkeit erscheinen, als bedeutungslose Reaktion auf eine durch freiverantwortliche andere vermittelte Rechtsgutsbeschädigung, so muss sie in einer Rechtsordnung, die sich durch Berufung auf den Freiheitsgedanken legitimiert, auch dem Beteiligten gegenüber unter Freiheitsgesichtspunkten gerechtfertigt werden können.3 Also ist jede strafrechtlich relevante Zurechnungsfigur letztlich aus der Semantik der Freiheitsidee abzuleiten. Das spezifische Zurechnungsmodell der Beteiligung bildet keine Ausnahme. Da unterschiedliche Verständnisse von Freiheit konsequenterweise zu unterschiedlichen Modalitäten der Freiheitssicherung führen, bildet, was man unter Freiheit versteht, die maßgebliche Ausgangsfrage, und die Antwort darauf spielt eine bedeutsame Rolle für die Legitimation des Zurechnungsmodells der Beteiligung. Die folgenden Ausführungen setzen mit dem Streit zwischen dem naturalistischen und dem normativen Freiheitsbegriff an. Sodann gehen sie auf das System der Zuständigkeiten ein, das das allgemeine, auf der Wechselseitigkeit interpersonaler Aner1 Statt aller vgl. Roxin, AT I, § 2, Rn. 7; Kindhäuser, AT, § 2, Rn. 1; Pawlik, Unrecht, S. 175; Hass, Kausalität, S. 55 ff.; Renzikowski, Normentheorie, S. 122 f. 2 Jakobs, FS-Yamanaka, S. 109. 3 Pawlik, Verhalten, S. 5 (in Bezug auf die Bestrafung des Betrugs).

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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kennung beruhende Rechtsgesetz konkretisiert. Durch eine systematische Erörterung der Respektierungsgebote gelangen wir zu dem Befund, dass die Kehrseite der Freiheit, den eigenen Organisationskreis zu organisieren, die Verantwortung ist, für diese Organisation einzustehen. Daraus ergibt sich der Anknüpfungspunkt für die Begründung des Unrechts der Teilnahme: Verbindet der Einzelne aufgrund seiner Selbstbestimmung seinen Organisationskreis mit den Organisationskreisen anderer, so bezieht sich das Schädigungsverbot auf die gesamte Verbindung. Anschließend wird diese Verbindung durch eine Abgrenzung zum Regressverbot weiter untermauert. Schließlich wird die Verbindung mehrerer Organisationskreise in Anlehnung an den Repräsentanzgedanken konstruktiv erfasst.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht Ebenso wie Philosophen setzen sich auch Strafrechtsdogmatiker mit der Frage auseinander, wie ein praktisches Subjekt sein Verhältnis zu seiner Umwelt konzipieren muss, um reale Freiheit zu verwirklichen. Aber trotz der umstürzenden Wendung zu einem normativen Freiheitsbegriff im Bereich der praktischen Philosophie dominiert ein naturalistisch-instrumentaler Freiheitsbegriff weiter die Strafrechtsdogmatik. Die Ignoranz gegenüber der philosophischen Errungenschaft und das Bestehen auf einer davon abweichenden Bedeutung von Freiheit verhindert zwar nicht zwangsläufig die Fruchtbarkeit der Strafrechtsdogmatik. Aber ist die Strafrechtsdogmatik, zumal bei der Behandlung der fundamentalen Fragen, so befriedigend, dass sie sich eine derartige Haltung leisten kann? Zweifel daran sind angezeigt. Die folgende Ausführung setzt damit an, durch die Darstellungen der Ausprägungen des naturalistischen Freiheitsbegriffs in der Strafrechtsdogmatik und der dadurch bedingten Schmerzpunkte der heutigen Strafrechtsdogmatik die Unzulänglichkeit des so verstandenen Freiheitsbegriffs nachzuweisen. Sodann wird das normative Freiheitsverständnis eingeführt, das zum einen die Möglichkeit eröffnet, die Zurechnung der Verantwortung als die konsequente Entfaltung der Freiheit zu begreifen, zum anderen eine Weiche für einen vorzugswürdigen Weg zur Verwirklichung der äußeren Handlungsfreiheit in einer Rechtsgemeinschaft zu stellen, nämlich den Umfang der personalen Freiheit durch Zuständigkeitserwägungen zu bestimmen. Schließlich wird das kriminale Unrecht durch die Analyse der bezeichneten Merkmale der Strafe bestimmt.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

I. Der naturalistische Freiheitsbegriff und der Schmerzpunkt der Strafrechtsdogmatik Tatsächlich finden die verbreiteten Stichwörter der heutigen Strafrechtsdogmatik, z. B. Rechtsgüter, Präventionstheorie, Verursachungstheorie als Strafgrund der Teilnahme, ausnahmslos ihre Wurzel im naturalistischen Freiheitsverständnis. Diesem zufolge ist der einzelne in dem Maße bei sich selber, wie ihm die Bemächtigung des Außen bzw. die Behauptung ihm gegenüber gelingt.4 Wenn man die Beziehung eines praktischen Subjekts zu seiner Umwelt einseitig instrumentalistisch konzipiert, nämlich seine gesamte Umwelt als Ansammlung von Objekten ansieht und behandelt, mit denen das Subjekt allein unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit umgeht, ist die Freiheit nichts anderes als machtvoll sich gegenüber Hindernissen durchsetzende Willkür.5 Konsequent durchgeführt, liegt die Aufgabe des Rechts primär darin, die Verringerung des von einer Person gegenwärtig innegehabten Machtpotentials möglichst zu verhindern.6 Nach der vertrauten Terminologie im Bereich des Strafrechts besteht die Aufgabe des Strafrechts im Rechtsgüterschutz und ist das Mittel zur Erfüllung der Aufgabe kein anderes als die Strafe. Da die Strafe die schon eingetretene Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht ungeschehen machen kann,7 wie Welzel es nennt – für den aktuellen Rechtsgüterschutz kommt die Strafe regelmäßig zu spät –,8 lässt sich der Blick nur auf die Zukunft werfen, und zwar indem man die Prävention von künftigen Rechtsgutsgefahren als den Legitimationsgrund der Strafe konzipiert. Dieser Gedankengang dominiert auch die Beteiligungsdogmatik. Nach der herrschenden Verursachungstheorie stützt sich die Strafbarkeit der Teilnahme der Sache nach abschließend auf das Präventionsprinzip – wie Koriath treffend bemerkt: „Der Vollzug eines Tötungsaktes wird unwahrscheinlicher, wenn auch die Veranlassung dazu durch eine Sanktionsdrohung unwahrscheinlicher wird“.9 Besonders deutlich wird dies bei den Lehren, welche die Teilnahme dem Gedanken der Risikoerhöhung und -intensivierung unterstellen und insbesondere die Beihilfe als Gefährdungsdelikt begreifen.10 Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme beruht nach Schünemann ebenfalls auf der Leitidee des Rechtsgüterschutzes durch Androhungsgeneralprävention, denn die Strafrechtsnormen richten sich an denjenigen, der die maßgebliche Entscheidung über den Eintritt der Rechtsgutsverletzung trifft, und die Bestrafung von Anstiftung und Beihilfe bedeutet eine Strafbarkeitsaus4

Baruzzi, Philosophie, S. 137 f. Pawlik, Unrecht, S. 294 f.; ders., Verhalten, S. 20 f. 6 Pawlik, Verhalten, S. 48. 7 Binding, Normen, S. 374; Jakobs, AT 1/9; Zielinski, Unrechtsbegriff, S. 215; Lesch, NJW 1989, 2310. 8 Welzel, Strafrecht, S. 3. 9 Koriath, FS-Maiwald, S. 420. 10 Im Sinne konkreter Gefährdung insbes. Samson, in: SK, § 27, Rn. 8; im Sinne bloß abstrakter Gefährdung insbes. Herzberg, GA 1971, 7. 5

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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dehnung gegenüber dem zutreffenden restriktiven Täterbegriff.11 Um eine freiheitstheoretisch sachgerechte Beteiligungslehre zu beschaffen, lohnt es sich, auf den naturalistischen Freiheitsbegriff als die tiefgreifende Wurzel der herrschenden Beteiligungslehre einzugehen. Traditionell gesehen lässt sich der instrumentale Freiheitsbegriff auf Hobbes12 zurückführen. Im Bereich der politischen Theorie stellen die Gesellschaftsvertragslehren von Hobbes eine Konsequenz des instrumentalen Freiheitsbegriffs dar. Diese Position begreift den Menschen als ein zunächst ungebundenes Wesen, das seine Interessen um seiner selbst willen verfolgt, jedoch auf Grund seiner Vernunft sieht, dass ihm uneingeschränkte Freiheit mehr schadet als nützt. Zum Zwecke jeweils individueller Vorteilsmaximierung schließt der kluge Einzelne daher einen Vertrag, nach dem jeder auf ein Stück Freiheit verzichtet und die verbliebene Freiheit genießt, weil sie nun von anderen geachtet und nicht mehr verletzt wird. Statt Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit zu sein, bleiben Gesellschaftlichkeit und Recht nach dieser Konzeption also notwendig subjektexterne Veranstaltungen.13 Spinoza hat den maßgeblichen Mangel dieser Konzeption auf den Begriff gebracht: Es geht bei dem Vertrag um eine Klugheitsveranstaltung, und deswegen kann derjenige, der das große Spiel des Machtgewinns wagen will, nicht widerlegt werden.14 Wenn also die Vertragstreue aus keinem anderen Motiv als aus dem der zweckrationalen Wahrung eigener Interessen akzeptiert wird, so mag es zweckrational sein, die anderen zur Erreichung eigener Ziele als Vertragspartner zu behandeln; aber ebenso zweckrational mag es sein, Verträge wieder zu brechen, wenn sich auf diese Weise eigene Ziele besser verwirklichen lassen.15 Infolgedessen vermag die Vertragsverletzung keinen rechtlichen oder moralischen Vorwurf gegenüber dem Täter zu begründen.16 Die Pflicht zur Mitwirkung an überindividuellen politischen Entitäten ist im Rahmen einer Konzeption, die die Freiheit als Abwesenheit äußerer Hindernisse definiert, kaum begründbar.17 Aus diesem Grund kann man feststellen, dass durch den vom naturalistischen Freiheitsbegriff ausgehenden Gesellschaftsvertrag der Naturzustand lediglich kalkulatorisch suspendiert, aber nicht normativ überwunden wird.18 Aus guten Gründen erfährt die allein auf dem instrumentalen Freiheitsbegriff beruhende Konzeption im Bereich der politischen Theorie Ablehnung. Im Bereich des Strafrechts steht das naturalistische Freiheitsverständnis in einem engen Zusammenhang mit dem einschneidenden Schmerzpunkt der heutigen 11 12 13 14 15 16 17 18

Schünemann, ZStW 126 (2014), 24 f. Hobbes, Leviathan, Fetscher (Hrsg.), 1984, S. 95. Pawlik, Verhalten, S. 21. Spinoza, Theologisch-Politischer Traktat, S. 236, 238. Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 704. Vgl. Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 704; Köhler, Recht, S. 65 f. Pawlik, Normbestätigung, S. 43. Vgl. Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 704; Pawlik, Verhalten, S. 21.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Strafrechtsdogmatik. Denn es ist mit der üblichen Semantik der Menschenwürde und den auf dieser Semantik basierenden Straftheorien kaum vereinbar.19 Unter instrumentalen Prämissen kommt jeder Ursache für den Verlust von Machtpotential strafrechtliche Relevanz zu, die in den Rechtsgutsgegenständen seinen Niederschlag findet. Konsequenterweise ist es durchaus gleichgültig, ob ein Hund oder ein Mensch meinen Körper verletzt hat. Also korrespondiert der naturalistische Freiheitsbegriff mit einem naturalistischen Handlungsverständnis, in dem die Frage nach der Freiverantwortlichkeit ausgeblendet wird. Dementsprechend wird die Strafe so gerechtfertigt, „als wenn man gegen einen Hund den Stock erhebt, und der Mensch wird nicht nach seiner Ehre und Freiheit, sondern wie ein Hund behandelt“.20 Einem naturalistisch reduzierten Menschen gegenüber müsste solche Behandlung zulässig sein.21 Bestenfalls kann man die Strafrechtsnormen als unvermeidbare Konzessionen an die konkurrierenden Interessen anderer Individuen begreifen; aber damit wird der Normbruch lediglich als unklug vorgehalten: Der Täter hätte vorhersehen müssen, dass die übrigen Interessenverwalter ein solches abredewidriges Verhalten nicht widerspruchlos hinnehmen würden.22 Allerdings lässt sich „unklug“ nicht mit „schuldhaft“ gleichsetzen. Durch Dressur kann der Hund auch verstehen, was erlaubt und was verboten ist, und sich danach auf eine kluge Weise bewegen. Folgerichtig durchgeführt, schrumpft Schuldfähigkeit zur bloßen Dressierbarkeit.23 Diese Konsequenzen lassen sich weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur hinnehmen. „Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden“,24 heißt es in einer berühmten Formulierung des Bundesgerichtshofes. Es besteht auch Übereinstimmung in der Strafrechtswissenschaft, dass das Schuldprinzip die Subjektstellung des Täters garantiert25 und als Teil der Menschenwürdeverbürgung unverfügbar ist.26 Das Beharren auf einem naturalistischen Freiheitsbegriff als Ausgangspunkt einerseits und das Bestehen auf dem Schuldprinzip sowie die Ablehnung der klassischen Präventionstheorie andererseits bildet tatsächlich den unübersehbaren Schmerzpunkt der heutigen Strafrechtsdogmatik.

19

Pawlik, Verhalten, S. 23; ders., Unrecht, S. 295. Hegel, Grundlinien, § 99 Zusatz, S. 190. 21 Pawlik, Verhalten, S. 23. 22 Pawlik, Unrecht, S. 295. 23 Pawlik, Unrecht, S. 83. 24 BGHSt 2, S. 200. 25 Siehe nur Köhler, AT, S. 44 f., 348 ff.; Lackner/Kühl, § 46, Rn. 1; Roxin, AT I, § 3, Rn. 52 mit Anm. 91. 26 Zum Schuldprinzip statt vieler BVerfGE 123, 267, 413; BVerfG NJW 2005, 2140, 2141; BVerfGE 105, 135, 153; 95, 96, 140. 20

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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Freilich ist die Strafrechtsdogmatik sich des Schmerzpunktes bewusst. Die Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma erfolgt im Wesentlichen in zwei Richtungen: zum einen indem man im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung die umfassende Integritätsgarantie und das Schuldprinzip austariert; zum anderen indem man bei der Behandlung der Straftheorie das Schuldprinzip auf eine bloße Strafbarkeitsvoraussetzung reduziert. Allerdings sind ohne eine völlige Ablehnung des naturalistischen Freiheitsbegriffs als Ansatzpunkt solche bloßen Randkorrekturen von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die heute weit verbreitete Lehre von der objektiven Zurechnung versucht, durch die Ergänzung von Beschränkungselementen bezüglich der Ursache für den Verlust des Machtpotentials die übermäßige Zurechnung zu vermeiden: Einerseits soll sich die Zurechnung am Ziel des Rechtsgüterschutzes orientieren, so dass grundsätzlich ein Verhalten tatbestandsmäßig ist, wenn es Risiken für Rechtsgüter erhöht;27 andererseits kann trotz einer Erhöhung der Risiken für Rechtsgüter „die zufällige oder infolge eines versari in re illicita eintretende Bewirkung von Rechtsgutsverletzungen“ nicht tatbestandmäßig sein – auf diese Weise wird dem Schuldprinzip Rechnung getragen.28 Aber gelingt das? Die sognannte Risikoerhöhungslehre macht deutlich, dass dem Schuldprinzip die Präventionsbedürfnisse untergeordnet werden können, wenn es einen Konflikt zwischen Präventionsbedürfnissen und Schuldprinzip gibt.29 Denn die Gründe für die Risikoerhöhungslehre liegen ausschließlich in einem größtmöglichen Rechtsgüterschutz in der Zukunft, in den Worten von Roxin bezüglich des Radfahrer-Falls: „weil ein korrektes Fahrverhalten zwar nicht mit Sicherheit, aber doch möglicherweise das Leben des Radfahrers gerettet hätte, die Überschreitung des erlaubten Risikos durch Nichteinhaltung des Seitenabstandes die Chance eines tödlichen Unfalls also in rechtlich relevanter Weise erhöht hat“.30 Diesem Argument kommt nur dann Aussagekraft zu, wenn wir uns bei der Zurechnung an dem Ziel orientieren, durch die Bestrafung solcher Verhaltensweisen die Normadressaten zum rechtmäßigen Verhalten zu motivieren und letztlich eine bestmögliche umfassende Integritätsgarantie für die Zukunft anzubieten. Nur unter dieser Prämisse darf man aus gutem Grund ignorieren, dass die Überschreitung des unerlaubten Risikos sich nicht im tatsächlichen Geschehensablauf verwirklicht hat – nämlich der Gegenstand des gängig verstandenen Schuldvorwurfs: das vom Täter verübte Unrecht.31 An dem Beispiel der Risikoerhöhungslehre wird illustriert, dass sich die mit dem naturalistischen Freiheitsbegriff korrespondierenden Präventionsnotwendigkeiten und das Schuld-

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Roxin, ZStW 74 (1962), 431 f. Roxin, AT I, § 7, Rn. 63. 29 Kubiciel, Wissenschaft, S. 96 f. 30 Roxin, AT I, § 11, Rn. 88; für die Risikoerhöhungstheorie vgl. auch Schünemann, JA 1975, 582 ff.; Hoyer, in: SK, 7. Aufl., Anh. zu § 16, Rn. 73 ff. 31 Gropp, AT, § 7, Rn. 26; Heinrich, AT 1, Rn. 528; Wessels/Beulke, AT, Rn. 402. 28

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

prinzip nicht durch die sog. Lehre von der objektiven Zurechnung austarieren lassen.32 Die gängige Lehre von der objektiven Zurechnung ist bereits vielfach dahingehend kritisiert worden, dass es sich nicht um eine Theorie, sondern um einen „Passepartout-Begriff“ handele,33 der offen sei für ein „Ensemble von Topoi“34, die vom „eigenen Rechtsgefühl“35 abgeleitet würden. Der konstitutive Grund liegt darin, dass das normative Problem der Zuständigkeitsverteilung, nämlich die Abgrenzung der Freiheitssphären verschiedener Personen, um die sich die Lehre von der objektiven Zurechnung tatsächlich bemüht, dem naturalistischen Freiheitsbegriff von vornherein fremd ist. Geht man vom naturalistischen Freiheitsverständnis aus, handelt es sich ausschließlich darum, wie der Handelnde sich der Kräfte seiner Umwelt in möglichst großem Umfang bemächtigt, also wie die Rechtsgüter möglichst umfassend geschützt werden können. Dann liegt die Antwort nahe, alles rechtsgutsgefährdende Verhalten zu verbieten und zu bestrafen. Somit lassen sich die Rechtsgüter – in der klassischen Formulierung von Welzel – als „Museumsstücke, die sorgfältig vor schädlichen Einflüssen in Vitrinen verwahrt […] sind“36 behandeln. Um diese absurde Konsequenz zu vermeiden, jedoch ohne die kategorial verfehlte Prämisse als solche zu reflektieren und aufzuheben, ist die Zusammenstellung von dem eigenen Rechtsgefühl entsprechenden Topoi unter dem Titel „die Lehre von der objektiven Zurechnung“ der einzige denkbare Notbehelf. Selbst wenn man diese Topoi als praktikabel in bestimmten Fällen anerkennt, vermag die gängige Lehre von der objektiven Zurechnung die Frage nicht zu beantworten, wie man die Entscheidung zwischen gegenläufigen Topoi treffen kann – wie obig bei der Risikoerhöhungslehre bewiesen – und nach welchen Kriterien nicht erfolgsbezogene Tatbestandsmerkmale bzw. reine Tätigkeitsdelikte ausgelegt werden sollen;37 denn die Situation, dass das genuin normative Problem der Zuständigkeitsverteilung zwischen Rechtspersonen durch die verzerrende Brille naturalistischer Kategorien betrachtet wird, bleibt unverändert.38 Darüber hinaus wird häufig der Versuch unternommen, den Schmerzpunkt durch die Reduktion des Schuldgrundsatzes auf irgendeine Strafbarkeitsvoraussetzung zu eskamotieren.39 Nach Hörnle müssen straftheoretische Konzepte zwei Fragen beantworten: erstens, ob der Staat in Anbetracht der damit verbundenen erheblichen Kosten Strafen androhen und verhängen soll, also die Rechtfertigung der Strafe 32

Kubiciel, Wissenschaft, S. 96. Kahlo, FS-Küper, S. 258 f. 34 Armin Kaufmann, FS-Jescheck, S. 251, 271; Silva-Sánchez, Gestaltung, S. 206. 35 Hilgendorf, FS-Weber, S. 33. 36 Welzel, Abhandlungen, S. 140. 37 Kubiciel, Wissenschaft, S. 94. 38 Pawlik, Verhalten, S. 23 f.; Renzikowski, GA 2007, 573; ders., Normentheorie, 130 ff. 39 Vgl. Roxin, AT I, § 3, Rn. 51; ders., Sinn, S. 20 ff.; ders., FS-Bockelmann, S. 284; Greco, Lebendiges, S. 299 ff. 33

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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gegenüber der Gesamtheit der Rechtsgenossen, und zweitens, ob es in Anbetracht dessen, was den unmittelbar dadurch belasteten Personen zugemutet wird, strafrechtliche Verurteilungen geben darf, also die Rechtfertigung gegenüber den Bestraften.40 Dementsprechend wird die Straftheorie in einer zweiteiligen Gestaltung ausgeführt: Der Zweck der Strafe ist ausschließlich konsequentialistisch, und zwar unter Rückgriff auf den Präventionsgedanken zu bestimmen; der Präventionszweck bedürfte allerdings der Begrenzung durch nicht-zweckmäßigkeitsbezogene Erwägungen, nämlich das Schuldprinzip als Mittel zur Begrenzung der Strafe.41 Auf den ersten Blick scheinen die zweiteilige Fragestellung und die entsprechende zweiteilige Antwort wohlgeordnet und deswegen überzeugend zu sein. Allerdings drängt sich bei einigem Nachdenken die Frage auf, worin die Berechtigung einer solchen Zweiteilung der Untersuchung der Straftheorie liegt und warum eine einheitliche Legitimationskonzeption der Strafe, die sowohl gegenüber der Allgemeinheit als auch gegenüber den Bestraften aussagekräftig ist, von vornherein außer Betracht bleibt. Tatsächlich bestätigt gerade die zweiteilige Fragestellung schon die Unangemessenheit des instrumentalen Freiheitsbegriffs und die ziemlich begrenzte Begründungskraft der damit korrespondierenden Präventionsgedanken. Weil vom naturalistischen Freiheitsverständnis ausgehend eine systematisch geschlossene einheitliche Strafrechtstheorie undenkbar ist, werden der Präventionsgedanke und das Schuldprinzip notgedrungen unverbunden nebeneinandergestellt. Allerdings erweist sich der Versuch, eine „dialektische Einheit“ zwischen den beiden Antagonisten „Prävention“ und „Schuldprinzip“ herzustellen, letztlich auch als die Quadratur des Kreises, denn dem Schuldprinzip eignet ein auf die geschehene Tat bezogener Blickwinkel, während die Prävention an einer „strukturbedingten Blindheit […] für die vergangene Tat“ leidet.42 Neben der Unmöglichkeit einer systematisch befriedigenden Kombination führt eine solche Begründungslogik auch zu einer erheblichen Schwächung der systematischen Dignität des Schuldprinzips, denn das Schuldprinzip wird auf ein Ergebnis einer Abwägung reduziert.43 In Roxins Worten: Kriminalpolitisch sei die Bindung der Strafhöhe an das Maß der Schuld „das liberalste und sozialpsychologisch günstigste Mittel zur Einschränkung der staatlichen Strafgewalt, das bisher gefunden worden ist“.44 Wenn die Erwägung bezüglich der Menschenwürde als solche sogar instrumentalisiert wird, um eine unter Präventionsgesichtspunkten resultierende unangemessene Strafzumessung zu verhindern,45 aber nicht um ihrer selbst willen Anerkennung verdient, was bleibt dann noch von der Menschenwürde? In diesem 40

Hörnle, 2. FS-Roxin, S. 10 f. Roxin, AT I, § 3, Rn. 37, 51; Greco, Lebendiges, S. 248 f.; Hörnle, 2. FS-Roxin, S. 10 f. 42 Mosbacher, JRE 14 (2006), 487; vgl. auch Pawlik, Unrecht, S. 83; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 168 f. 43 Pawlik, GA 2006, 346. 44 Roxin, AT I, § 3, Rn. 53. 45 Roxin, FS-Müller-Dietz, S. 703; ders., AT I, § 3, Rn. 51. 41

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Zusammenhang schadet es nichts, wenn man das Schuldprinzip durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ersetzt.46 Wenn es bloß um die Vorbeugung einer unangemessenen Strafzumessung geht, ist es gleichgültig, ob die Limitierung als Schuldprinzip oder als Verhältnismäßigkeitsprinzip bezeichnet wird. Der einzige denkbare Grund für die Bezugnahme auf das Schuldprinzip liegt darin, dass es wegen des dadurch gewohnheitsmäßig implizierten Zusammenhangs mit der Menschenwürde gleichsam schöner klingt. Geht man vom naturalistischen Freiheitsbegriff aus, ist ausschließlich das Präventionsmodell zu erwarten, in dem der Gedanke eines Schuldvorwurfs keinen Platz hat;47 der Gedanke eines Schuldvorwurfs kann „allenfalls formale Voraussetzung der Verhängung staatlicher Strafe sein, liefert aber theorieimmanent weder Begründung noch Begrenzung“.48 Nur wenn der Freiheits- und Achtungsanspruch des Beschuldigten nicht mehr bei Bedarf von außen an die mit ihrem Ansatzpunkt korrespondierende Strafbegründung – den Präventionsgedanken – herangetragen wird, sondern als solcher den Sinn der Strafe ausmacht, wird die Menschenwürde wirklich respektiert. Somit gelangt man zu dem Ergebnis, dass der instrumentalistisch verstandene Freiheitsbegriff kein tauglicher Ansatzpunkt der Strafrechtstheorie ist.

II. Das normative Freiheitsverständnis 1. Freiheit als Selbstgesetzgebung Freiheit wird bei Kant49 nicht mehr in naturalistisch-instrumentalistischer Manier verstanden, sondern dadurch verwirklicht, dass das praktische Subjekt kraft seiner Vernünftigkeit aus sich heraus jene allgemeingültigen Verhaltensnormen hervorbringt, die für alle Vernunftwesen gelten.50 Frei ist man nach dieser Konzeption, sofern man die Möglichkeit, den sich aus der Vernunft ergebenden Forderungen der Vernunft entsprechend zu handeln,51 zur Wirklichkeit, sofern man also das Sittengesetz zum aktuellen Inhalt der eigenen Handlungsmaximen macht.52 Das bedeutsame Verdienst dieses Freiheitsverständnisses liegt darin, dass ihm zufolge die Zurechnung in einer freien Handlung selbst enthalten und die Lehre von der Zu-

46

Pawlik, GA 2006, 346. Vgl. auch Duttge, Strafen, S. 12; Haas, Strafbegriff, S. 260; Pawlik, Unrecht, S. 85; Hassemer, Selbstverständnis, S. 262; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 170; Kubiciel, Wissenschaft, S. 169 ff. 48 Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 82. 49 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 473 ff. (Werke Bd. 4, S. 427 ff.) 50 Pawlik, Verhalten, S. 24. 51 Dazu Willaschek, Vernunft, S. 232; Pawlik, Verhalten, S. 24. 52 Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 51 ff. (Werke Bd. 6, S. 138 ff.) 47

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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rechnung nichts anderes als eine schrittweise Entfaltung der Implikationen des Handlungsbegriffs ist.53 Kant behandelt das Problem der Freiheit vornehmlich in zwei Schritten und gelangt jeweils zur negativen und positiven Bestimmung der Freiheit. Es geht zuerst um das Vermögen der Willkür. Das Ich, welches im Rahmen des instrumentalen Freiheitsbegriffs sich einseitig über sein Potential bestimmt, auf etwas anderes zuzugreifen, begnügt sich mit dem Status, ein Stück Natur inmitten anderer Natur zu sein.54 Dagegen hält Kant daran fest, dass ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Einzelnen als Teil der Sinnenwelt und als dem sich freiheitlich bestimmenden Vernunftwesen besteht.55 Bezüglich der äußeren Wirkung ist das praktische Subjekt ebenso wie das Sinnenwesen der Naturgesetzlichkeit unterworfen. Neben dem empirischen Charakter besitzt aber das handelnde Subjekt intelligiblen Charakter. Beim Beginnen einer Kausalreihe durch eine Handlung ist das Subjekt seinerseits nicht kausal bedingt, d. h. als „causa libera“ kann es auch davon abstehen, eine Ursache zu sein.56 Damit gelangt Kant zur negativen Bestimmung praktischer Freiheit: „Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit“.57 Es handelt sich bei der Willkür um die Fähigkeit, „nach Bleiben zu tun oder zu lassen“, verbunden „mit dem Bewußtsein des Vermögens seiner Handlung zur Hervorbringung des Objekts“.58 Die Freiheit der Willkür bedeutet „die Fähigkeit des Menschen, subjektiv auf Grund von Motiven, objektiv auf Grund von Vorstellungen vom Handeln, also nach Zwecken sein Handeln zu bestimmen“.59 Die Willkür ist hierbei mit der Handlungsfreiheit bzw. Wahlfreiheit gleichbedeutend.60 Neben dem als „Willkür“ bezeichneten Vermögen besitzt die Person noch das Vermögen, das den normativen Freiheitsbegriff positiv bestimmt, nämlich ein Sollen selbst zu definieren und demgemäß zu handeln.61 Dieses Vermögen wird von Kant als Wille oder praktische Vernunft bezeichnet. Kant fragt hier nach objektiven Bestimmungsgründen des Willens, d. h. solchen mit Verbindlichkeit für alle vernünftigen Wesen.62 Die bekannte Formel des kategorischen Imperatives lautet: „Handele so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“63 Die Ansprechbarkeit des Vernunftsubjekts durch den

53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Pawlik, Unrecht, S. 297. Köhler, Begründung, S. 102; Pawlik, Verhalten, S. 22; ders., Unrecht, S. 295. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 174 ff. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, AA V, S. 175. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 562/ A 534. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 213, A B 5. Geismann, Der Staat 27 (1982), 178. Vgl. Höffe, Rechtsprinzipien, S. 131. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 59. Zaczyk, Unrecht, S. 139. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 54.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

kategorischen Imperativ ist durch das „Faktum der Vernunft“ garantiert.64 Durch die positive Definition der Freiheit als Selbstgesetzgebung wird ein Zusammenhang zwischen der Freiheit des Subjekts und dem Urteil seiner Normabweichung gebildet. Ein Subjekt, das in seinen Handlungen der Gesetzgebung der praktischen Vernunft folgen, d. h. zwischen verschiedenen denkbaren Handlungsmaximen auswählen kann, bezeichnet Kant als Person.65 Kennzeichnend für Personalität ist die Zurechnungsfähigkeit. Die Begriffe des praktischen Subjekts, der Handlung, der Freiheit, der Handlungsregel oder des Gesetzes und der Zurechnung sind in der Grundlage miteinander auf eine systematisch befriedigende Weise verknüpft.66 Da Kant den Freiheitsbegriff als Vermögen zur Selbstgesetzgebung im moralischen Bereich entwickelt, ist freilich der Zweifel möglich, ob die Freiheit als Anknüpfungspunkt der Zurechnung auch relevant für das Strafrecht ist, ob also die Abgrenzung zwischen Moralität und Recht eine hinreichende Grundlage für den Befund bilden könnte, dass die strafrechtliche Zurechnung Freiheit nicht voraussetze.67 Die Bedenken sind der Sache nach unberechtigt. Zwar ist Recht in Abgrenzung zu den reinen Gesetzen der Moralphilosophie durch Äußerlichkeit, Gesinnungsneutralität und Erzwingbarkeit charakterisiert. Es geht bei dem Zurechnungsurteil jedoch um die Feststellung der Abweichungen von Verhaltensnormen, wobei es gleichgültig ist, ob die Normen aus Ethik oder Recht stammen.68 Solange die Handlung unter das Rechtsgesetz, statt des moralischen Gesetzes, subsumiert wird, ist ein Schuldurteil, auch wenn man Freiheit der Handlung voraussetzt, keineswegs ein moralisches Urteil. Zudem würde die Ablehnung der Relevanz der Freiheit für die strafrechtliche Zurechnung den Sinn der Normen restlos zerstören. Denn die Ablehnung bedeutet, dass nicht eine freie Handlung, sondern ein nach Naturgesetzen determiniertes Handeln der Inhalt der Rechtsnorm ist. Es wäre jedoch ganz sinnlos, einem kausal determinierten Ereignis vorzuschreiben, dass es stattfinden oder ausbleiben solle.69 Kurzum: Das zutreffende Menschenbild, d. h. dass der Mensch das zur Selbstgesetzgebung fähige Vernunftwesen ist, ermöglicht die Subsumierung seiner Tat unter eine rechtliche Norm. Die Abgrenzung zwischen Moralität und Recht bildet kein tragfähiges Gegenargument. Nun ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Vermögen zu vernünftiger Selbstbestimmung allein noch keine vollständige Erkenntnis der Freiheit im Rechtssinn beschafft. Die freie Handlung verändert Wirklichkeit und findet interpersonal statt. Dementsprechend sichert die Rechtsordnung allen Rechtsgenossen reale Freiheit zuerst durch die Regulation der interpersonalen Beziehung. Mit der Berücksichtigung der Wirksphäre der Handlungen und der interpersonalen Koor64 65 66 67 68 69

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A 55 f., S. 141. Renzikowski, FS-Puppe, S. 210; näher dazu Aichele, Grüße, S. 247 ff. Köhler, AT, S. 9. Feuerbach, Revision, Teil 2, S. 67 Fn. *, S. 104, S. 119, ferner S. 70 et passim. Renzikowski, FG-Costa, S. 160. Renzikowski, FG-Costa, S. 162.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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dination erweitert und verengt sich zugleich der Begriff von Selbstbestimmung: Es geht nun einerseits nicht mehr ausschließlich um Selbstbestimmung meiner selbst, sondern um mich und die Anderen; andererseits um ein auf Freiheit gegründetes Segment aus dem umfassenden Raum von Selbstbestimmung, insoweit nämlich die Selbstbestimmung des Einzelnen in ihrem Verhältnis zu anderen Personen aufgefasst wird.70 „Es ist also dem Einzelnen gegeben, sich zur Freiheit zu erheben, und dies gelingt ihm nur, wenn er sein Handeln in eine Gemeinschaft mit anderen Vernünftigen einordnen kann.“71 Mit dieser Erwägung wird anschließend Kants Rechtslehre als das „allgemeine Gesetz“ der Koordination der äußeren Freiheit eingeführt. 2. Rechtsgesetz und das subjektive Recht Wie Kant meint, betrifft der Begriff des Rechts zunächst „das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person zu anderen, sofern ihre Handlungen als Fakta unmittelbar oder mittelbar aufeinander Einfluss haben können“.72 Während es in den sittlichen Lehren lediglich um den inneren Bestimmungsgrund des Willens geht, bezieht die Rechtslehre die Wirksphäre der Handlungen mit ein. Recht ist ein formales Koexistenzprinzip freier Individuen; es ist „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des Einen mit der Willkür des Anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“.73 Das Recht regelt die äußeren Grenzen der Freiheit durch die Verteilung subjektiver Rechte an Person, die selbst darüber entscheiden können, ob und unter welcher autonomen Zwecksetzung sie die ihnen zugewiesenen Rechte wahrnehmen wollen.74 „Das subjective Recht ist […] nicht ein Dürfen, sondern es ist ein Können, und zwar ein Können, lediglich vom Standpunkt eines anderen Menschen, eben des Verpflichteten, betrachtet.“75 Also lässt sich das subjektive Recht als doppelte Befugnis verstehen: aus der Perspektive des Berechtigten als Befugnis, über einen bestimmten Gegenstand zu disponieren (Nutzungsfunktion); aus der Perspektive des Nichtberechtigten als korrespondierende Befugnis, Unbefugte von dem eigenen Herrschaftsbereich auszuschließen (Ausschlussfunktion).76 Der entscheidende Unterschied zwischen Kants Rechtsgesetz und dem Verständnis der interpersonalen Beziehung unter der instrumentalen Prämisse liegt vornehmlich darin, ob die Position der anderen Person als etwas der Bestimmung der Freiheit einer Person Immanentes anerkannt wird.77 Kants Rechtsgesetz – „handle 70 71 72 73 74 75 76 77

Zaczyk, Unrecht, S. 147; ders., Selbstverantwortung, S. 22 f. Zaczyk, Unrecht, S. 141. Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § B, AB 33. Kant, Metaphysik der Sitten, AB 5 f. K. Günther, Schuld, S. 52; Renzikowski, Notstand, S. 178. Hold v. Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 106 (Hervorhebung im Original). Hass, Kausalität, S, 56 f.; Renzikowski, GA 2007, 563; Kleinert, Betroffenheit, S. 79 ff. König, Begründung, S. 148, 164 f.; Pawlik, Unrecht, S. 144; Renzikowski, GA 2007, 562.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

äußerlich so, dass der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne“78 – drückt ein Rechtsverständnis aus, das dem Ziel einer Gleichheit in der Freiheit verpflichtet ist.79 Das subjektive Recht einer Person kann durch das gleiche subjektive Freiheitsrecht einer anderen Person beschränkt werden. Durch die Eigenschaft der Allgemeinen spielen die fremden Belange von vorherein eine relevante Rolle für die Bestimmung des einzelnen Rechts. „Freiheit ist nicht nur je meine, sondern gleichursprünglich die des anderen, dem Recht immanent sind damit Nähe und Distanz zu anderen Personen gleichermaßen.“80 Der materielle Kern des allgemeinen Rechtsgesetzes findet seinen prägnanten Ausdruck auch in Hegels Ausführungen zum abstrakten Recht – „sei Person und respektiere die anderen als Personen“.81 Begreift man die Gleichheit als Ziel des Rechts, ist das Unrecht als Gegensatz zum Recht so beschaffen, dass das Gleichheitsverhältnis zerstört wird, indem einer der Betroffenen den ihm zukommenden Freiheitsraum so erweitert, dass der andere nicht mehr als anerkannter Gleicher bestehen bleibt, sondern für die Zwecke des Täters instrumentalisiert wird.82 Deswegen vermag man vom subjektiven Rechtsbegriff ausgehend die Verpflichtung durch Rechtsnormen als Konsequenz der Freiheit zu erfassen, was die Leistungskraft des instrumentalen Freiheitsbegriffs überfordert. Unter dem instrumentalen Gesichtspunkt sind die anderen Individuen für mich „notwendigerweise entweder Mittel oder Hindernisse“.83 Damit stellen die gesetzlichen Verhaltensregulierungen, wie sie sich in den strafrechtlichen Tatbeständen finden, für ein Individuum, das unter der naturalistischen Prämisse auf die „strategisch-instrumentelle Vernunft eines rationalen Egoisten“ reduziert wird, lediglich äußerliche Beschränkungen bzw. bloßes Ordnungsinstrument dar, allenfalls unvermeidbare Konzessionen an die konkurrierenden Interessen anderer Individuen.84 Bestenfalls kann die so verstandene Norm der Anknüpfungspunkt für Sanktionen sein, die auf die Unklugheit eines Egoisten reagieren, aber nicht freiheitstheoretisch begründet werden. Nach dem Rechtsgesetz gibt es für die Beschränkung der individuellen Freiheit keine andere Legitimation als das Freiheitsinteresse der Mitmenschen im Rahmen der Gleichheit der Freiheitssphären.85 Die normative und faktische Begrenzung der tatsächlichen Möglichkeit einer absoluten Handlungsfreiheit, die sich in der Vernichtung der Handlungsfreiheit von anderen äußern würde, erscheint als primäre 78

Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, AB 34. Pawlik, Unrecht, S. 144; Renzikowski, Notstand, S. 180; Zaczyk, Unrecht, S. 201. 80 Zaczyk, FS-E. A. Wolff, S. 519. 81 Hegel, Grundlinien, § 36, S. 95. 82 Zaczyk, Unrecht, S. 200; Renzikowski, Notstand, S. 180. 83 Sie`yes, Schriften, S. 243; kritisch dazu auch Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 714. 84 Pawlik, Unrecht, S. 295; ders., Verhalten, S. 21; Köhler, Fahrlässigkeit, S. 133 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 147; Wachter, Unrecht, S. 104. 85 Vgl. Rawls, Gerechtigkeit, S. 232; Stratenwerth, FS-Maihofer, S. 573; Renzikowski, Notstand, S. 178. 79

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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Aufgabe des Rechts.86 Damit stellen die gesetzlichen Verpflichtungen, die sich als Verbote oder Gebote in den Straftatbeständen finden, keinen Widerspruch zur Freiheit des Einzelnen dar, vielmehr den genuinen Ausdruck der Freiheit, denn die Freiheitsbeschränkung des einen ermöglicht erst durch die Festsetzung von Pflichten die rechtlich garantierte Freiheit des anderen.87 Darüber hinaus vermag der subjektive Rechtsbegriff bei der Behandlung der pflichtentheoretischen Struktur des Verbrechensbegriffs zu helfen und ein autoritäres Verständnis des Verbrechens zu bekämpfen. Wenn die Dogmatik ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Aspekt der Verpflichtung richtet und die andere Seite der Pflicht, nämlich die geschützte Rechtsposition, übersieht, entsteht das Risiko, dass das Strafrecht ausschließlich im Dienst der politischen Gemeinschaft steht und die strafrechtlichen Pflichten nichts anderes als Pflichten zum Rechtsgehorsam gegenüber dem Staat darstellen. Dies zeigt sich deutlich in Bindings Position. Bindings Normtheorie erlaubte es ihm lediglich, das Verbrechen als den mit Strafe bedrohten schuldhaften Bruch einer Norm zu definieren;88 die subjektiven Rechte sind für die Reichweite der individualschützenden Delikte völlig belanglos, da Angriffe sie nicht als Rechte, sondern lediglich in ihren tatsächlichen Voraussetzungen als Angriffe „auf die Güterwelt“ beträfen.89 Das Recht sehe in seiner Eigenschaft als Ordnung des Gemeinlebens Personen, Sachen und Gegenstände nur als Teile des Rechtsgemeinschaftslebens, und alles, dem der Gesetzgeber Rechtswert zuschreibe, habe solchen nur für das Ganze.90 In diesem Zusammenhang ist der Einzelne nur „Delatar“ des Willens der Allgemeinheit; er „macht mit seinem subjektiven Rechte den konkretisierten Willen und die Autorität des objektiven Rechts geltend“.91 Es liegt auf der Hand, dass diese obrigkeitsstaatliche Position heute kaum Anklang findet, denn im freiheitlich verfassten Staatswesen geht man davon aus, dass der Einzelne mehr als ein „Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse“ ist, nämlich eine autonome Person, gegenüber der sich die staatliche Machtausübung legitimieren muss.92 Subjektive Rechte sind weder lediglich Reflexe des Gemeinwohls noch das Ergebnis von Wohltaten, mit denen der Souverän seine Untertanen beglückt.93 Da das subjektive Recht konstitutiv für das Freiheitsverständnis der Moderne ist,94 gelangt man zu einer Begründung der Verpflichtung, die dem heutigen Freiheitverständnis gerecht zu werden vermag, erst mit dem subjektiven Recht als Ausgangspunkt. Außerdem zeigt Bindings Ausführung, wie reibungslos der heute als 86

Böckenförde, Freiheit, S. 43 f.; Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 35. Pawlik, Unrecht, S. 144; Zaczyk, FS-E. A. Wolff, S. 520; Renzikowski, GA 2007, 562. 88 Binding, Handbuch, Bd. I, S. 499. 89 Binding, Normen, Bd. II, S. 338, 353 ff. 90 Binding, Normen, Bd. I, S. 358. 91 Nagler, FS-Binding, II, 1911, S. 273, 298; vgl. auch Thon, Rechtsnorm, S. 110 f. 92 Hold v. Ferneck, Begriff, S. 110; Renzikowski, Notstand, S. 169; ders., Normentheorie, 122; Haas, Kausalität, S. 76 ff. 93 Renzikowski, Normentheorie, 122. 94 K. Günther, Pflichtverletzung, S. 449. 87

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

„reifste Frucht der Aufklärung“ gelobte Rechtsgutsbegriff an das obrigkeitsstaatliche Verständnis des Verbrechens angeknüpft werden kann. Hier bestätigt sich die These wieder, dass der naturalistische Freiheitsbegriff so anfällig ist, dass er das autoritäre Verständnis des Verbrechens nicht abzuwehren vermag und sogar ohne weiteres zur Ergänzung des kollektivistischen Verständnisses genutzt werden kann. Von einem Sinn für das Eigenrecht personaler Freiheit ist bei dieser kollektivistischen Verwendung des Rechtsgutsbegriffs nichts zu spüren.95 Kurzum: Erst als die Kehrseite von subjektiven Rechten erlangen die strafrechtlichen Pflichten ihren Legitimationsgrund. Für den selbstverletzenden notwendigen Teilnehmer ist der Ansatzpunkt beim Begriff des subjektiven Rechts als Verteidigung gegen das kollektivistische Verbrechensverständnis besonders von Belang. Wenn letztlich die Gemeinschaft stets als Subjekt des durch eine strafbare Handlung verletzten Interesses angesehen wird, ist es undenkbar, die Strafbarkeit des selbstverletzenden notwendigen Teilnehmers aufgrund seiner Selbstbestimmung auszuschließen. Dies lässt sich anhand von Feuerbachs Ausführungen verdeutlichen. Trotz des kantianisch-liberalen Ansatzes nimmt Feuerbach eine staatsutilitaristische Umdeutung der privaten Rechte der Personen vor, um dem kategorialen Unterschied zwischen Schadenersatz und Strafe gerecht zu werden.96 Bezüglich der Verletzung der körperlichen Integrität führt Feuerbach aus: „Denn eine Verletzung dieses Rechts als allgemeine Handlungsweise der Bürger gedacht, würde geradezu den Staat aufheben. Denn ein Staat kann ohne Glieder des Staats nicht gedacht werden.“97 Sieht man die Dinge so, gelangt man zu einer von der heute herrschenden Meinung abweichenden Position in Bezug auf die Problematik des Suizids. Nach Feuerbach ist der Suizid eine rechtlich missbilligenswerte Handlung: „Wer in den Staat eintritt, verpflichtet dem Staat seine Kräfte und handelt rechtswidrig, wenn er ihm diese durch Selbstmord eigenmächtig raubt.“98 Sobald der ursprünglich als Mittel zur Sicherung der Rechte seiner Bürger legitimierte Staat zum Selbstzweck geriet, schlug das Lebensrecht der Bürger in deren Indienststellung zugunsten der Allgemeinheit um.99 In einer sich auf die Erhaltung der Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens beschränkenden Rechtsordnung ist für diese sich gut in das Denken des deutschen Absolutismus einfügende Position100 kein Raum. Der Ansatzpunkt beim subjektiven Recht garantiert, dass der eigenverantwortliche Selbstmord im Prinzip als Internum des Selbstmörders betrachtet wird.

95

Pawlik, Unrecht, S. 96. Feuerbach, Revision, Bd. I, S. 68; ders., Bd. II, S. 216; dazu siehe Pawlik, Unrecht, S. 93 f. 97 Feuerbach, Revision, Bd. II, S. 236. 98 Feuerbach, Lehrbuch, § 241 (S. 404). 99 Pawlik, Unrecht, S. 94. 100 Kubiciel, JA 2011, 88. 96

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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3. Pflichtverletzung als Mittelpunkt des Verbrechensbegriffs Die aufschlussreichste Bedeutung des Rechtsgesetzes liegt darin, dass der durch den subjektiven Rechtsbegriff erfasste Verbrechensbegriff sich von der mit der Rechtsgutslehre verbundenen Schadenskategorie befreit und stattdessen eine Pflichtverletzung, und zwar eine Verletzung des Rechtsverhältnisses darstellt.101 Also hat das Verbrechen eine komplexe Struktur, die der Erwägung der Zuständigkeitsverteilung bei der strafrechtlichen Zurechnung Rechnung trägt. Denn kein Recht kann ohne Rechtsschutz durch die Verpflichtung anderer verwirklicht werden: „Wo die Rechtsordnung dem einzelnen Rechtssubjekt ein Recht einräumt, aus dem Ansprüche auf Achtung dieses Rechts einfließen, gewährt sie dem einzelnen ein Tätigkeitsfeld, auf dem er sich ungestört bewegen kann. Den anderen Rechtsgenossen wird die Pflicht auferlegt, diesen Rechtsraum des Individuums zu achten. Dessen Recht auf Wahrnehmung und Achtung korrespondiert somit einer Pflicht gleichen Inhalts auf Seiten der anderen Rechtsgenossen.“102 Während sich der Rechtsgutsbegriff als die Verkörperung des naturalistischen Freiheitsverständnisses in einer zweistelligen Relation zwischen einem Subjekt und einem sachlichen Substrat erschöpft, beschreibt das subjektive Recht eine dreistellige Relation zwischen zwei Rechtssubjekten und einem bestimmten Sachverhalt: A hat gegenüber B ein Recht auf G.103 Das Recht des A auf G und die entsprechend Pflicht des B korrelieren miteinander. Somit ermöglicht der Begriff des subjektiven Rechts es nun, den Blick von den geschädigten Gütern auf den Ausgangspunkt des Geschehens zu lenken, d. h. der in der Rechtsgutslehre ausgeblendete Täter als Pflichtverletzer findet gewissermaßen einen Platz in der Struktur des Verbrechens. Aus der Korrelation zwischen subjektiven Rechten und der Pflicht, Eingriffe in die Freiheit anderer zu unterlassen, ergibt sich die Interpretation des Verbrechens als Pflichtverletzung. Sieht man die Dinge so, verliert die Fallgruppe der unechten Unterlassung ihre sogenannte Ausnahmestellung und wird zu einem integrierenden, für die Dogmatik der anderen Deliktsarten exemplarischen Bestandteil,104 denn bei allen Deliktsarten müssen die Fragen thematisiert werden, aus welchem Grund und in welchem Umfang der Täter für die Belange eines anderen garantenpflichtig ist, sei es beim Unterlassungsdelikt, sei es beim Begehungsdelikt. Wird das Verbrechen als Pflichtverletzung statt als Güterbeschädigung interpretiert, verändert sich auch das strafrechtliche Zurechnungsmodell. Die Zurechnung im Rahmen einer Rechtsgutsverletzung beginnt mit der Äquivalenztheorie, die sich auf die faktische nachteilige Veränderung eines Objekts konzentriert und die 101 Vgl. Jakobs, Begriff, S. 67; K. Günther, Pflichtverletzung, S. 445 ff.; Pawlik, Unrecht, S. 140 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 198 ff.; Renzikowski, GA 2007, 566 ff. 102 Otto, Pflichtenkollision, S. 49; Renzikowski, Notstand, S. 171. 103 Haas, Tatherrschaft, S. 60; ders., Kausalität, S. 69; K. Günther, Pflichtverletzung, S. 447; Renzikowski, Normentheorie, 123 f.; Alexy, Grundrechte, S. 171 ff. 104 Schaffstein, Verbrechen, S. 123; K. Günther, Pflichtverletzung, S. 455; Pawlik, Unrecht, S. 159 ff.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Gleichwertigkeit aller Erfolgsbedingungen postuliert. Im Gegensatz dazu muss eine Pflichtverletzung innerhalb eines bestimmten Rechtsverhältnisses stattfinden. Damit wird folgerichtig zuerst ausgeschlossen, die Güterverletzung durch natürliche Ereignisse als strafrechtlich relevant zu diskutieren, was nach der Rechtsgutsdogmatik nur mithilfe zusätzlicher Ergänzungen denkbar ist. Um beurteilen zu können, ob das Verhalten des einen die rechtliche Freiheit eines anderen tangiert, muss bekannt sein, welche Rechtsposition dem Handelnden105 und welche dem Eingriffsadressaten zuzuordnen ist,106 also in was für einer Recht-Pflicht-Distributivbeziehung sich die Betroffenen als Rechtspersonen befinden, denn der Täter ist nicht primär „Täter“, sondern Teilhaber am Rechtsverhältnis, also Person.107 Ein Zustand, in dem Individuen etwas nur faktisch besitzen, das sie für ein Gut halten, ist notwendig rechtlich leer;108 dementsprechend begründet eine nachteilige Veränderung eines gegebenen Rechtsgutsobjekts allein keine Pflichtverletzung bei Fehlen eines bestimmten Rechtsverhältnisses. Stattdessen fragt die Zurechnungslehre nach der Existenz und dem Umfang eines rechtlichen Garantieanspruchs bzw. rechtlicher Pflichten. Also wird der strafrechtliche Sinn einer Handlung erst innerhalb eines bestimmten Rechtsverhältnisses ermittelt. Aufgrund der Korrelation zwischen subjektiven Rechten und Pflichten geht es der Sache nach bei der Zurechnung um die Ermittlung der Reichweite subjektiver Rechte. Insofern stellt die Zurechnung nichts anderes als eine Konkretisierung des Rechtsgesetzes in der einzelnen Konstellation dar. Zudem wird der Schwerpunkt in einem Fall, in dem mehrere Ursachen wirken, von der Bestimmung der Kausalität auf die Bestimmung des jeweiligen Zuständigkeitsbereiches verlagert. Erfolgen die Schäden in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen, werden sie strafrechtlich auf keinem Fall als gleichwertig beurteilt. Insofern ist die Äquivalenz der unerlaubten Risiken eine kollektivistische These, denn sie setzt voraus, dass die ganze Lebenswelt als einer einzigen Rechtssphäre zugehörig betrachtet wird, der des Leviathan mit dem Namen „Staat“.109 Aus der rechtsgesetzlichen Verfasstheit personaler Freiheit ergibt sich unmittelbar, dass deren Umfang maßgeblich durch Zuständigkeitserwägungen bestimmt wird.110 Die in der Äquivalenztheorie postulierte Gleichwertigkeit aller Erfolgsbedingungen widerspricht der Einteilung der Lebenswelt in unterschiedliche Rechtssphären.111 Dieser Befund ist bedeutsam für die Problematik der Beteiligung. Denn die Beteiligung ist dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Personen, die jeweils über eigenen Handlungsspielraum verfügt, zusammen den tatbestandlichen Erfolg bewirken. Die Schwierigkeit der Begründung der Mitverantwortung liegt darin, dass 105 106 107 108 109 110 111

F. v. Hippel, Gesetzmäßigkeit, S. 12 f. Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 44; Pawlik, Unrecht, S. 145. Zaczyk, Unrecht, S. 201; Jakobs, Begriff, S. 64. Jakobs, FS-Amelung, S. 45. Renzikowski, GA 2007, 573. Pawlik, Unrecht, S. 145. Vgl. Haas, Zurechnung, S. 215, 219; Renzikowski, GA 2007, 573.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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einerseits die Annahme eines eigenständigen Unrechts der Teilnahme zu einer Expansion der Verantwortlichkeit in Form einer Vorverlagerung der Teilnahmestrafbarkeit führt, was mit Grundwerten einer freiheitlichen Rechtsordnung in Konflikt gerät, andererseits die akzessorische Struktur der Teilnahme noch kein solides freiheitstheoretisches Fundament gefunden hat und daher den Eindruck erwecken mag, sie sei mit dem Grundsatz der Selbstverantwortung unvereinbar. Wegen der Einteilung der Lebenswelt in unterschiedliche Rechtssphären darf man nicht einfach konstatieren, dass der einzelne Beteiligte für den tatbestandlichen Erfolg die Verantwortung deswegen trägt, weil er ihn verursacht. Das Recht setzt weitere Bedingungen als die faktische Beeinträchtigung bzw. die Wahrscheinlichkeit der Verletzung eines geschützten Interesses voraus, um eine Handlung überhaupt als kriminales Unrecht zu qualifizieren. Der Bezug auf Rechtspflichten macht in dieser Hinsicht klar, dass Beteiligung in einem engen Zusammenhang mit dem Sollensschema steht. Allerdings ist zu untersuchen, warum der einzelne Beteiligte für die Belange des Opfers zuständig ist, also in was für einem Rechtsverhältnis sich der einzelne Beteiligte zum Opfer befindet und wie er die Rechtssphäre des Opfers usurpiert. Entgegen der Ansicht von Renzikowski, der ebenfalls von dem subjektiven Rechtsbegriff ausgeht, ist meines Erachtens die Verknüpfung des Denkens der verteilten Rechtssphären mit dem restriktiven Täterbegriff unbegründet; gleichwohl bietet dieses Denken eine richtige Fragestellung für die Auseinandersetzung mit der Problematik der Beteiligung. Die Abgrenzung zum Regressverbot im Sinne des restriktiven Täterbegriffs wird später ausführlich behandelt.

III. Die Mitwirkungspflicht des Bürgers „Eine Person ist – allgemein formuliert – dann strafrechtlich verantwortlich, wenn ihre Bestrafung als Reaktion auf ihr Verhalten legitim ist.“112 Zwischen Verbrechensbegriff und Strafbegründung besteht ein untrennbarer Zusammenhang.113 „Was Verbrechen ist, hängt davon ab, was Strafe bedeutet, und umgekehrt wird die Strafe durch das Wesen des Verbrechens bestimmt.“114 Also müssen das kriminale Unrecht und die Strafe zueinander passen wie Rede und Gegenrede.115 Eine axiologisch unpassende Reaktion ist sinnlos, und sinnlose Übelzufügungen sind in der modernen Rechtsgemeinschaft unzulässig.116 Deswegen muss in einem Rechtsstaat Straftheorie 112

Kindhäuser, Gefährdung, S. 29; ähnlich auch Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 43. Pawlik, FS-Jakobs, S. 476; Frisch, GA 2015, 74; Freund, in: MK, Vor § 13, Rn. 2. Schon Abegg (Lehrbuch, S. 3) betonte das Erfordernis „sich gegenseitig aufeinander beziehende[r] (correlative[r]) Begriffe von Verbrechen und Strafe“. 114 Dahm, Recht, S. 418. 115 Pawlik, FS-Otto, 140 f.; Freund, in: MK, Vor §§ 13 ff., Rn. 2; H.-L. Günther, in: SK, Vor § 32, Rn. 2; Jakobs, System, S. 13; ders., ZStW 101 (1989), 519; Müssig, GA 1999, 122; Lesch, ZStW 105 (1993), 272 f. 116 Pawlik, Unrecht, S. 52. 113

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

und Straftatbegriff eine Einheit bilden: Der Begriff der Straftat und dessen begriffliche Voraussetzungen müssen so bestimmt sein, dass sie die Verhängung der Strafe legitimieren.117 In Anbetracht der spezifischen Rechtsfolge im Strafrecht ist die obige Ausführung zum Freiheits- und Verbrechensbegriff noch zu abstrakt, wenn auch schlechthin grundlegend. Wenn das Recht abschließend als das Ergebnis der interpersonal wechselseitig abgesteckten Handlungsfreiheit aufgefasst wird, liegt es nahe, das Verständnis von Straftat und Strafe zu privatisieren und auf einen interpersonalen Konflikt zu reduzieren.118 Es ist unschwer zu erkennen, dass die Strafe nicht im Namen des Opfers und auch nicht mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner Interessen, sondern im Namen der Allgemeinheit verhängt wird.119 Ausgehend von dem interpersonalen Verständnis der Straftat bleibt die Frage noch offen, warum die Verantwortlichkeit für den Schaden nicht nur zu dessen Restitution im Sinne des zivilen Schadenersatzrechts, sondern zur Duldung eines zusätzlichen Übels verpflichten soll. Zu suchen ist nach einer Erklärung, die den – jenseits des intersubjektiven Verhältnisses zwischen Täter und Opfer liegenden – „Mehrwert“ der Straftat erfasst.120 Man muss bei der Untersuchung des Unrechts der Beteiligung auch die spezifische Rechtsfolge des Strafrechts berücksichtigen. Ansonsten lässt sich das kriminale Unrecht der Beteiligung von der Kollusion im zivilrechtlichen Sinne nicht unterscheiden. Trotz der Kontroverse über die Definitionen der Straftat und Strafe besteht in der Tat weitgehend Konsens über die kennzeichnenden Merkmale und spezifischen rechtlichen Anforderungen der Strafe. Deswegen geht die hiesige Ausführung von diesem Konsens aus. Anhand einer Analyse der allgemein anerkannten Merkmale von Strafe wird die Annahme eingeführt, das Verbrechen sei als Infragestellung der Geltung der Rechtsordnung und die Strafe als unverzichtbares Institut für die Bestätigung bzw. Wiederherstellung der unverbrüchlichen Geltung der Rechtsordnung zu erfassen. Sodann wird die Erhaltung der Normgeltung als Mitwirkungspflicht eines Bürgers bewiesen, der ein Freiheitsbezug innewohnt. Letztlich wird die Straftat als Verletzung allgemeinen Rechts in einem besonderen Recht definiert, wobei die Mitwirkungspflicht gegenüber der Allgemeinheit vom Schutz der Freiheitssphäre der einzelnen Bürger begründungstheoretisch abhängig ist. 1. Normverletzung und Normrehabilitierung Vor allem ist es nahezu unstrittig, dass aus der Strafe dem von der Straftat unmittelbar betroffenen Opfer kein unmittelbarer Vorteil erwachsen würde; vielmehr erschwert die Bestrafung des Täters sogar die Chance des Opfers, für seinen Schaden 117 118 119 120

Frisch, GA 2015, 81; Pawlik, FS-Jakobs, S. 477. Vgl. Köhler, Begriff, S. 55; ders., FS-Jakobs, S. 280. Pawlik, Person, S. 71; Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 39; Appel, Verfassung, S. 448. Kubiciel, Wissenschaft, S. 164; Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 83.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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eine Wiedergutmachung zu erlangen.121 Also liegt der überindividuelle Charakter der Strafe auf der Hand.122 Das staatliche Straf- und Gewaltmonopol enthält die bedeutsame Implikation, dass durch das Verbrechen stets ein öffentlicher Konflikt entsteht. Es geht maßgeblich nicht um ein horizontales Geschehen zwischen Personen, sondern um eine vertikale Entgegensetzung von Staat und einzelnem Täter als Bürger. Andernfalls wäre der Zugriff des Staates unbegründet. Die strafrechtlichen Normen, die hoheitlich erlassen und vom Bürger befolgt werden, machen den Schlüssel für die Konzeption einer geforderten vertikalen Beziehung aus. Die Verlagerung des Schwerpunkts vom konkreten Opfer auf die allgemeine Norm erklärt den überindividuellen Charakter der Strafe als eine Selbstverständlichkeit. Beharrt man dagegen auf einem gegenständlichen Verständnis der Straftat, indem man die Straftat als die Beeinträchtigung eines Gutes begreift, ist der Preis für eine Erklärung des überindividuellen Charakters der Strafe ziemlich hoch, weil die Interpretation jeder strafbaren Güterverletzung als Angriff auf öffentliche Interessen der einzige denkbare Lösungsweg ist,123 was aber im modernen Rechtsstaat kaum plausibel ist. Im Zuge der Entprivatisierung des Konflikts wird das Verbrechen weder als Schädigung eines individuellen Rechtsguts noch lediglich als Verletzung eines interpersonalen Anerkennungsverhältnisses angesehen, die nach Maßgabe einer Norm als berechtigt anerkannt werden, sondern als Verletzung der Norm selbst.124 Die Strafe enthält das Moment der realen Zwangsausübung. In einem Staat, der den Einzelnen, auch den Straftäter, als Rechtsperson anerkennt, in die nur eingegriffen werden darf, soweit dies zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben unerlässlich erscheint, ist für eine Theorie kein Raum, die sich in der Aneinanderreihung zweier Übel erschöpft.125 Bereits Hegel bemerkt treffend, es sei unvernünftig, ein Übel bloß deshalb zu wollen, weil schon ein anderes Übel vorhanden sei.126 Um dies zu vermeiden, muss die Strafe als etwas Positives, den bloßen Zwang Transzendierendes begriffen werden.127 Damit wird die Version der Vergeltungstheorie abgelehnt, nach der dem, der die Güter eines anderen beeinträchtigt hat, zum Ausgleich dafür ebenfalls ein Leid zuzufügen ist. Nur wenn die Zufügung des Leids aus einem legitimierbaren Grunde unerlässlich ist, kommt eine Legitimation in Betracht. Wenn man das strafrechtlich relevante Unrecht so versteht, dass der Täter der geltenden Normenordnung eine Gegennorm entgegenstellt und durch sein Handeln erkennen

121

Pawlik, Person, S. 89; Bemmann, JR 2003, S. 227; Roxin, FS-Lorenz, S. 53 f.; Dold, Revision, S. 34. 122 Ebert, Vergeltungsprinzip, S. 39; Appel, Verfassung, S. 448. 123 Renzikowski, Normentheorie, S. 123. 124 Frisch, GA 2015, 77; Jakobs, Strafe, S. 24 ff.; Appel, Verfassung, S. 461; Kubiciel, Wissenschaft, S. 164. 125 Frisch, GA 2015, 70; Pawlik, Unrecht, S. 88; ders., Verhalten, S. 55; Kubiciel, Wissenschaft, S. 161. 126 Hegel, Grundlinien, § 99 A. 127 Jakobs, AT, 1/3; Pawlik, Verhalten, S. 56; ders., JRE 2006, 288.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

lässt, dass er dieser Gegennorm den Vorrang vor der geltenden Norm einräumt,128 bringt er die Gefahr der Erosion der geltenden Norm mit.129 Sofern die Geltung der Rechtsnormen als unentbehrliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung eines freiheitlichen Zustands erwiesen werden kann, stellt sich die Strafe nicht mehr als sinnlose Übelzufügung dar, sondern als ein bedeutsames Institut für den freiheitlichen Staat. Denn die Schmerzzufügung kann zwar einen durch das Delikt eingetretenen Schaden am angegriffenen Gut weder heilen noch Schadenersatz zusprechen, doch mag sie einen Tadel der durch das Delikt nach außen getretenen Desavouierung der Norm auf eine sozial überzeugende Weise zum Ausdruck bringen. Wird die Verletzung der Normgeltung durch die Schmerzzufügung für unmaßgeblich erklärt, bestätigt sich dadurch die Autorität der Rechtsnormen. Die an der Normgeltung ausgerichtete Konzeption ermöglicht also, dass die Straftheorie sich nicht in der Aneinanderreihung zweier Übel erschöpft. Niemand bestreitet, dass die Strafe die Schuld des Täters voraussetzt. Allerdings gelangt man bei konsequenter Durchführung der präventiven Straftheorie nicht unbedingt zu dieser These – sei nun die Prävention als Einwirkung auf den Täter selbst oder als Abschreckung potentieller Täter gedacht. Grundsätzlich erfährt der Satz, dass das Strafrecht der Prävention in Gestalt des Rechtsgüterschutzes zu dienen habe, in der heutigen Strafrechtsdogmatik nahezu einhellige Anerkennung.130 Nimmt man eine solche Zweckbestimmung des Strafgesetzes beim Wort, stellt die Rechtsgutsverletzung nicht nur eine notwendige, sondern sogar eine hinreichende Voraussetzung für die Strafwürdigkeit dar;131 innerhalb dieser Zweckbestimmung des Strafrechts gibt es folgerichtig keinen Raum dafür, zu berücksichtigen, ob der Täter sich normgemäß motivieren und verhalten konnte. Versteht man das Verbrechen dagegen als Infragestellung der Geltung der strafbewehrten Norm, gehört das Erfordernis der Schuldhaftigkeit immanent zum Begriff der Straftat, denn nur wenn der Täter schuldfähig ist, d. h. das Verbotene seines Verhaltens zu erfassen und sich nach dieser Einsicht richtig zu motivieren vermag, hat sein gleichwohl abweichendes Verhalten die expressive Bedeutung einer Infragestellung der Geltung jener Norm, von der er abgewichen ist.132 Das Schuldprinzip stellt demnach nicht – wie etwa bei Roxin – ein extern an die Strafe herangetragenes Begrenzungsregime dar, sondern 128

Pawlik, Normbestätigung, S. 29 f.; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 41 ff.; ders., System, S. 13 ff. 129 Vgl. Jakobs, AT, 1/10 f. 130 Freund, in: MK, Vor §§ 13 ff., Rn. 35 ff., 135; Hassemer/Neumann, in: NK, Vor § 1, Rn. 110 ff.; Rudolphi, in: SK, Vor § 1, Rn. 2; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3, Rn. 10 ff.; Frister, AT, § 3, Rn. 20; Gropp, AT, § 1, Rn. 122; Jescheck/Weigend, AT, § 1 III 1 (S. 7 f.); Maurach/Zipf, AT 1, §7, Rn. 4; Rengier, AT, §3, Rn. 2; Roxin, AT I, § 2, Rn. 1 ff.; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 6. 131 Pawlik, FS-Otto, S. 138; Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 82. 132 Frisch, GA 2015, 79, 83; Pawlik, Unrecht, S. 259 ff., 266 f., 281 ff.; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 34, 41 ff., 43 f.; ders., FS-Lüderssen, S. 568; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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gründet unmittelbar im Strafbegriff selbst.133 Damit ist kennzeichnend für die Strafe nicht, dass sie auf eine Güterverletzung reagiert, sondern dass sie auf eine schuldhafte Tat reagiert. Von einer angemessenen Straftheorie erwarten wir vornehmlich, dass sie den besonderen Merkmalen der Strafe gerecht zu werden vermag, nämlich der Strafe als einer staatlichen legitimen Übelzufügung, die die Schuld des Handelnden voraussetzt. Wie wir gesehen haben, können weder das gegenständliche Verständnis der Straftat sowie die mit den korrespondierenden Präventionstheorien noch die sich in der Aneinanderreihung zweier Übel erschöpfende Vergeltungstheorie die Strafe mit ihren kennzeichnenden Merkmalen und ihren spezifischen rechtlichen Anforderungen befriedigend erklären. Nach hiesiger Meinung geht es um einen Widerspruch zur Rechtsordnung, was eine objektiv-institutionelle Dimension der Straftat erst ermöglicht. Trotz der ausgezeichneten Erklärungskraft bezüglich der spezifischen Merkmale der Strafe ist die durch die Straftat expressiv bewirkte Destabilisierung von Normen allein noch kein genügendes Argument für die Legitimation der Strafe in einem freiheitlich verfassten Staat. Denn die bisherige Ausführung ist so formell, dass sie auch zu einem paternalistischen System passt, in dem sich die Norm als äußerlicher Befehl darstellt.134 In diesem Fall wäre der Einzelne lediglich Adressat beliebiger Befehle, also seine Rolle als Bürger, die sich erheblich von derjenigen des Untertans unterscheidet, würde gleichsam ausgeblendet. Die bisher ausgeführte Überlegung ist deswegen anfällig für das Risiko, dass der Verbrecher ohne weiteres auf ein Instrument der Bestätigung der Normgeltung reduziert wird. Die Auffassung, Staat und Recht seien für den Einzelnen da,135 hat sich heute so verfestigt, dass das Risiko, den Verbrecher zu einem Mittel zu degradieren, durchaus nicht hinnehmbar ist. Um den Ansatz in einer freiheitlichen Rechtsgemeinschaft zu konkretisieren, muss daher die Beziehung zwischen der Freiheitswahrung des Einzelnen und der Wirklichkeit der Rechtsnormen untersucht werden. Eine Verletzung der Normgeltung führt nur dann zur legitimen Strafe, wenn der Täter für die Aufrechterhaltung der Wirklichkeit der Norm zuständig ist und diese Aufrechterhaltung als notwendiger Preis, d. h. als Gegenleistung der Wahrung seiner Freiheit erwiesen wird. Es geht also vor allem nicht um irgendeinen Schaden der Normgeltung, sondern um eine Verletzung der Pflicht, zur Erhaltung der Normgeltung beizutragen. Die Begründungskette ist nicht so kurz, dass die Verursachung eines Schadens der Normgeltung schon die Schuld des Täters begründet; vielmehr ist dies nur unter der Voraussetzung überzeugend, dass der Bürger zur Vermeidung der Gefahr der Normerosion und zur Verantwortung bei Eintritt der Gefahr verpflichtet ist. Wenn die Erhaltung der Orientierung gebenden Kraft der Rechtsnormen mit dem einzelnen Mitglied der 133 Haas, Strafbegriff, S. 263; Schild, in: AK, Vor § 13, Rn. 48; Kubiciel, Wissenschaft, S. 180. 134 Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 89. 135 Zur Formel, der Staat sei um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen, s. etwa Rönnau, Willensmängel, S. 142; Sternberg-Lieben, Schranken, S. 376; Renzikowski, Normentheorie, 122.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Gemeinschaft nichts zu tun hat oder allein die öffentliche Behörde dafür zuständig ist, lässt sich nicht überzeugend erklären, warum der Täter als Subjekt – aber nicht als Instrument – die Strafe auf sich nehmen muss. Anschließend sind deswegen zwei Thesen nachzuweisen: Zum einen ist die Unverbrüchlichkeit der Norm eine unentbehrliche Voraussetzung für das freiheitliche Zusammenleben; zum anderen ist der Bürger als Mitglied der Rechtsgemeinschaft dazu verpflichtet, zur Bestätigung der Unverbrüchlichkeit der Norm beizutragen. 2. Der Normbrecher als Bürger Um die Beschaffenheit des strafrechtlichen Unrechts in einem freiheitlich verfassten Staat zu konkretisieren, ist vor allem zu beweisen, dass es der Autorität der Rechtsnormen bedarf, um einen Zustand der Freiheitlichkeit aufrechtzuerhalten. Die durch das Strafrecht abgesicherte Freiheit des Einzelnen, nämlich frei von lähmender Furcht und erdrückender Fremdbestimmung das eigene Dasein zu gestalten,136 setzt voraus, dass der Einzelne von dem Zwang entlastet ist, beständig die existentiellen Risiken seines Verhaltens zu kalkulieren.137 Also ist die faktische Geltung die kognitiv begründete Erwartung, eine Norm werde in so hohem Maße als handlungswirksam anerkannt, dass man sich bei der Planung seiner eigenen Handlung auf ein entsprechendes Verhalten der anderen verlassen kann.138 Die bloße Normierung einer allseitig vorteilhaften Interessenkoordination reicht wegen ihrer Instabilität unter der Bedingung allseitiger Ungewissheit zu ihrer Realisierung nicht aus; vielmehr muss zudem das begründete Vertrauen vermittelt werden, dass die Norm von einer hinreichend großen Anzahl von Adressaten auch tatsächlich befolgt wird.139 Kurzum: Der Aufgabe der Freiheitssicherung vermag die Rechtsordnung nur dann gerecht zu werden, wenn die Rechtsordnung die „Herrschaft der Normalität“ durchsetzt.140 Es liegt auf der Hand, dass die Organisationsform der Normativität erhebliche Risiken birgt,141 also die rechtlichen Verhaltensnormen nicht nur befolgt, sondern auch missachtet werden können. Denn statt der Setzung von physisch oder psychisch unwiderstehlichen Ursachen für das normgemäße Verhalten beschränken die Strafrechtsnormen sich darauf, den zurechnungsfähigen Personen Gründe zu geben, das gesollte Verhalten zu vollziehen, überlassen es aber den betreffenden Personen selbst, ob sie sich von diesen Gründen tatsächlich motivieren lassen.142 Während eine 136 Bezüglich der Aufgabe des Strafrechts siehe Pawlik, Unrecht, S. 101; Köhler, AT, S. 28 f.; E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 818 ff. 137 Jakobs, FS-Amelung, S. 48; Pawlik, Unrecht, S.104. 138 Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 84. 139 Appel, Verfassung, S. 470; Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 86; Jakobs, FS-Amelung, S. 49. 140 Kersting, Politik, S. 128; Pawlik, Unrecht, S. 105. 141 Pawlik, Normbestätigung, S. 35. 142 Jakobs, Norm, S. 53; Pawlik, Strafrecht, S. 225; Lesch, Beihilfe, S. 259.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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in Kraft getretene Rechtsnorm unabhängig davon normativ gilt, ob sie im Einzelfall befolgt wird, ist die faktische Geltung einer Norm von ihrer tatsächlichen Befolgung abhängig.143 Die rechtswidrige und schuldhafte Tatbestandserfüllung enthält nicht nur – wie nach dem herkömmlichen Verständnis – eine Rechtsgutsbeeinträchtigung, sondern den Ausdruck einer Ablehnung gegen die strafbewehrte Verhaltensnorm: Im Fall der Tötung sieht der Täter keine für sich verbindliche Norm, die die Tötung verbietet, und formuliert eine Gegennorm, die die Tötung erlaubt.144 Anders als die durch das Delikt gegebenfalls eingetretene Güterverletzung, durch die ein konkretes Opfer einen bestimmten Schaden erleidet, greift die Geltungseinbuße der Norm in die Selbstverwirklichungsfreiheit eines jeden ein, der bei der Verfolgung seiner Ziele nicht mehr hinreichend sicher sein kann, dass die Norm allgemein befolgt wird.145 Reagierte die Rechtsordnung auf die Verletzung ihrer Vorgaben nicht, ginge die durch die Verhaltenssteuerung angestrebte Rechts- und Orientierungssicherheit über kurz oder lang verloren, d. h. es würde eine Erosion der Verhaltensnorm eintreten.146 Infolgedessen würde die durch die verletzte Verhaltensnormen geschützte Rechtssphäre nicht mehr den geforderten Schutz erhalten. Die Rechtsnorm hat sich zwar als verletzbar erwiesen, sie zwingt den Normbrecher jedoch unter die Normherrschaft zurück, indem sie ihm seine defiziente Einstellung zur Norm ausdrücklich vorhält und damit ihre letztendlich stärkere Position anzeigt.147 Also gewinnt und bewahrt die strafrechtliche Rechtsnorm ihre wirklichkeitsprägende Macht durch die Strafe. Kennzeichnend für die Rolle des Bürgers ist es, Mitverantwortung für den Bestand der Realbedingungen seiner eigenen Freiheit zu übernehmen.148 Aus dem Zusammenhang zwischen der Mitwirkung des Bürgers und der Aufrechterhaltung eines freiheitlichen Zustands ergibt sich das Grundaxiom aller Rechtlichkeit, dass gesicherte Freiheit nur um den Preis der Pflichterfüllung existiert. Mit anderen Worten geht es um ein Gebot der Fairness: „Wer die Freiheiten einer rechtsstaatlichen Ordnung in Anspruch nehmen will, ist aufgefordert, auch das Seine zur Bewahrung und Verteidigung dieser Freiheiten beizutragen.“149 Wer vom Zustand der Freiheit profitiert, muss zu deren Wirklichkeit vor allem durch Distanzierung vom 143

Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 84; Pawlik, Normbestätigung, S. 38. Dies lässt sich auf die Trennung zwischen der Gültigkeit einer Norm und ihrer Geltung bei Hälschner (Strafrecht, Bd. 1, S. 30) zurückführen: Während die Gültigkeit einer Norm unverbrüchlich und unantastbar sei, hänge deren Geltung davon ab, dass sie in ihrer verbindlichen Kraft von ihren Adressaten anerkannt werde. 144 Pawlik, Normbestätigung, S. 33; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 33 f.; Frisch, GA 2015, 77; Kindhäuser, JRE 2 (1994), 341. 145 Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 84; Pawlik, Person, S. 83; Kubiciel, Wissenschaft, S. 164. 146 Jakobs, Strafe, S. 24 ff.; ders., FS-Amelung, S. 48; Appel, Verfassung, S. 440; Frisch, GA 2015, 77. 147 Appel, Verfassung, S. 463; Jakobs, Schuldprinzip, S. 24; Pawlik, Normbestätigung, S. 54. 148 Pawlik, Person, S. 82. 149 Pawlik, Unrecht, S. 106, 253; Kubiciel, Wissenschaft, S. 164 f.; Wachter, Unrecht, S. 113 f.; Dold, Revision, S. 31.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Unrecht mitwirken, in den Worten von Jakobs: „Jeder ist zuständig dafür, dass Normbefolgung als vorzugswürdig gilt.“150 Sonst wird der normtreue Bürger unfair behandelt: Er leistet nicht nur einen Freiheitsverzicht durch Normbefolgung, sondern Beeinträchtigungen der Freiheit, während der Normbrüchige keinen Freiheitsverzicht leistet und obendrein noch seinen Freiheitsraum auf Kosten anderer erweitert.151 „Der Selbstbestimmung einfordernde Bürger tritt freilich nicht nur in der Rolle einer vor dem Recht verantwortlichen Privatperson auf, die an einem effektiven Schutz der Integrität ihrer Rechtssphäre vor Schädigungen interessiert ist, sondern auch in der Rolle eines für das Recht verantwortlichen Staatsbürgers.“152 Indem der rechtstreu Handelnde sich normmäßig verhält, trägt er zur Bestätigung der Maßgeblichkeit der rechtlichen Ordnung im sozialen Leben bei.153 Mit der Verletzung seiner primäre Verpflichtung zur Mitwirkung an der Aufrechterhaltung des bestehenden Rechtszustandes wandelt sich die konkrete Erscheinungsform der Bürgerpflicht zu einer sekundären Verpflichtung zur Duldung der Strafe, nämlich „auf seine Kosten die Unauflöslichkeit des Zusammenhangs von Freiheitsgenuss und Mitwirkungspflichterfüllung“ zu bestätigen.154 Erfasst man das Verbrechen als Verletzung der Mitwirkungspflicht als Staatsbürger, muss man dem folgenden Einwand begegnen: Die Position, den einzelnen Bürger zur Lösung der Sicherheitsproblematik zu verpflichten, ist autoritär, sogar totalitär, denn der Staat soll allein dafür zuständig sein, das Grundrecht des Bürgers auf Sicherheit zu garantieren.155 Um diese Kritik zu entkräften, sind die Frage zu bearbeiten, was die Ablehnung der Mitwirkungspflicht des Bürgers bedeutet und ob das alternative Programm vorzugswürdig ist. Wenn die Normkonformität allein mit Hilfe des staatlichen Zwangsapparates garantiert werden soll, müssen kaum zu entdeckende Verbrechen von der Polizei doch entdeckt werden, und das heißt, der erforderliche Überwachungsapparat muss ins Unermessliche anwachsen.156 Aber die Installierung eines umfassenden Überwachungssystems, durch das „die Polizei […] so ziemlich [weiß], wo jeder Bürger zu jeder Stunde des Tages sei, und was er treibe“,157 ist weder praktikabel noch erwünscht. Dies würde nicht nur die organisatorischen Kapazitäten des Staates bei

150 Jakobs, Schuldprinzip, S. 24; ähnlich Herzberg, Unterlassung, S. 320; Kindhäuser, JRE 2 (1994), S. 342 f. 151 Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 86; Appel, Verfassung, S. 470. 152 Pawlik, Unrecht, S. 102; ders., Normbestätigung, S. 41 (Hervorhebungen im Original). 153 Pawlik, Normbestätigung, S. 38. 154 Pawlik, Unrecht, S. 116; ders., Person, S. 90 f.; Binding, Normen, Bd. I, S. 425, 550. 155 Vgl. Saliger, JZ 2006, 762; Bustos Rami´rez, FS-Tiedemann, S.348. 156 Jakobs, Rechtszwang, S. 39; Pawlik, Normbestätigung, S. 36; ders., FS-Sancinetti, S. 145 f. 157 Fichte, Grundlage, Bd. 3, S. 302.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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weitem überfordern, sondern auch die bürgerliche Freiheit schlechthin zerstört.158 Denn ein umfassendes Überwachungssystem ist unausweichlich verbunden mit einer Inhaltskontrolle der Lebensgestaltung im Organisationskreis der einzelnen Person, die in einer die Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung als ihre Leitideen anerkennenden Gesellschaft durchaus nicht akzeptabel ist. Nach der klassischen Formulierung von Spinoza besteht der letzte Zweck des Staates nicht darin, „zu herrschen oder die Menschen in Furcht zu halten oder sie fremder Gewalt zu unterwerfen, sondern vielmehr den einzelnen von der Furcht zu befreien, damit er so sicher als möglich leben und sein natürliches Recht zu sein und zu wirken ohne Schaden für sich und andere vollkommen behaupten kann“.159 In der Tat läuft gerade die Ablehnung der Mitwirkungspflicht des Bürgers auf eine totalitäre Gemeinschaft hinaus,160 einen Hyperstaat wie in George Orwells Roman „1984“. Zudem handeln rechtmäßig die Mitglieder eines solchen Hyperstaates der Sache nach lediglich aus Klugheitsgründen, was allerdings nicht genug ist für das erstrebenswerte Vertrauen, dass eine Norm von anderen Mitgliedern befolgt wird. Wer jederzeit damit rechnen muss, dass das Auge der Obrigkeit auf ihn gerichtet ist, macht seine Entscheidung über Befolgung oder Bruch des Rechts in jedem einzelnen Fall von einer Kosten-Nutzen-Abwägung abhängig, also hat er gute Klugheitsgründe, von Unrechtstaten Abstand zu nehmen.161 Aber wenn A sich nicht sicher sein kann und keinen Einfluss darauf nehmen kann, dass B normmäßig handeln wird – wegen der endlichen Kapazitäten des Staates gibt es stets die Situation, dass ein Normbruch für B die klügere Entscheidung ist –, ist der Normbruch, also die Herstellung der für ihn selbst günstigsten Situation, unter Umständen die rationale Entscheidung für A. Denn die günstigste Situation für den klugen Einzelnen ist, dass die anderen rechtmäßig handeln, während er selbst dem Recht zuwiderhandelt; in diesem Fall verzichten die anderen durch Normbefolgung auf einen Teil ihrer Freiheit, während er nicht nur den durch die Normbefolgung mitgebrachten Freiheitsverlust nicht erfährt, sondern auch seinen Freiheitsraum auf Kosten anderer erweitert.162 Deswegen begeben sich die Betreffenden in ein Häftlingsdilemma, wenn das gegenseitige Vertrauen fehlt: Zwar wissen alle, dass sie mit einer gemeinsamen Strategie der Rechtstreue insgesamt besser führen; dennoch kann niemand sich diese Strategie zu eigen machen wollen, weil er durch Normbefolgung einen doppelten Freiheitsverlust riskiert.163 Also führt die Ablehnung der Mitwirkungspflicht des Bürgers zu einer Vertrauenskreise, die die Grundlage der freiheitlich verfassten Rechtsgemeinschaft völlig zunichtemacht und nicht durch die 158 Jakobs, Norm, S. 78 f.; Pawlik, Normbestätigung, S. 36; ders., JRE 14 (2006), S. 280; ders., Strafrecht, S. 227; bezüglich der endlichen Kapazitäten des Staates siehe auch Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 86. 159 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 31. 160 Pawlik, Unrecht, S. 106, Fn. 584. 161 Pawlik, JRE 14 (2006), S. 280. 162 Pawlik, JRE 14 (2006), S. 281; Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 86 163 Pawlik, JRE 14 (2006), S. 281; Kindhäuser, FS-Schroeder, S. 86.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Existenz eines schlagkräftigen Zwangsapparates kompensiert wird. Eine Gemeinschaft, in der die Mitglieder sich von der Pflicht zur Aufrechterhaltung des freiheitlichen Zustandes befreien und der Frieden von der Klugheit des einzelnen abhängig ist, ist gleichsam ein mit umfassendem Überwachungssystem versehener Naturzustand.164 Das Vertrauen, eine Norm werde von anderen Mitgliedern der Gemeinschaft befolgt, muss daher noch einen über die wechselseitig unterstellte Klugheit, die Strafe vermeiden zu wollen, hinausgehenden Grund haben. Der Schlüssel der Bewältigung der Vertrauenskrise liegt in der Anerkennung der Mitwirkungspflicht des Bürgers. Letztlich stützt sich der oben formulierte Einwand auf ein Missverständnis der Mitwirkungspflicht des Bürgers. Es ist zu betonen, dass sich die Mitwirkungspflicht des Bürgers zur Aufrechterhaltung des Zustandes der Freiheitlichkeit in einem demokratischen Staat mit der Gehorsamspflicht des Untertanen in einem Obrigkeitsstaat nicht gleichsetzen lässt. Es geht nicht schlechthin um die Sicherheitswahrung, sondern um die Aufrechterhaltung eines Zustandes allgemein gesicherter Rechtlichkeit, die von einer grundlegenden Bedeutung für die Freiheit der einzelnen Bürger ist. Diese Kritik übersieht den Freiheitsbezug der Mitwirkungspflicht: Es geht bei der Strafe nicht um einen Ausgleich für die Verletzung irgendeiner Pflicht, sondern einer Pflicht, deren Erfüllung existenziell für die Gewährleistung realer Freiheit ist. Mithilfe der Untersuchung der Rolle des Bürgers wird das Verständnis der Straftat weiter konkretisiert. Die Aufrechterhaltung des freiheitlichen Zustandes ist keineswegs ein Monolog der staatlichen Institution, vielmehr kann sie durch die Kooperation der Bürger erst bewerkstelligt werden. Die Begründungskette der Legitimation der Strafe gegenüber dem Täter wird dadurch vervollständigt: Der Täter hat die Strafe als Maßnahme zur Abwendung einer von ihm selbst verantwortlich herbeigeführten Erosionsgefahr der Norm nach allgemeinen Rechtsprinzipien „als Ausgleich“ gerechterweise hinzunehmen, weil er als Bürger des Staates dazu verpflichtet ist, zur Aufrechterhaltung des auf der Normgeltung basierenden freiheitlichen Zustands beizutragen. Insofern kann man das Verbrechen als Verletzung der Mitwirkungspflicht definieren: Der Verbrecher lehnt seine Pflicht als Bürger ab, indem er das Recht als eine Ordnung verletzt, die allen Bürgern reale Freiheit gewährleistet. 3. Verletzung eines besonderen Rechts als allgemeines Recht Begreift man das Verbrechen als einen Angriff auf die allgemeine Rechtsordnung, die allen Bürger reale Freiheit gewährleistet, so weist dies auf zwei Schwerpunkte hin, nämlich die Entprivatisierung und Idealisierung der Straftat, was im Gegensatz zum bis heute dominierenden privaten und gegenständlichen Verständnis der Straftat steht. Auf den ersten Blick besteht gleichsam ein Spannungsverhältnis zwischen dem 164

Pawlik, JRE 14 (2006), S. 280.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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entprivatisierten ideellen Verständnis des Verbrechens und einzelnen Rechtsinstituten: Zum einen vermag die Konzeption der strafrechtlichen Relevanz des Erfolgseintritts nicht Rechnung zu tragen, also die gesetzlich unterschiedliche Behandlung eines versuchten und eines vollendeten Delikts nicht befriedigend zu erklären; zum anderen kann, wenn die Straftat sämtliche Bürger betrifft, das Bedenken entstehen, dass es kaum Raum für das Rechtsinstitut der Einwilligung gibt. Die beiden Zweifel sind nicht schwierig zu beheben, sofern man zur Kenntnis nimmt, dass bei der Behandlung des Verbrechensbegriffs die abstrakte Entgegensetzung der Kategorien des Allgemeinen und des Besonderen keine angemessene Methode ist. Die Definition des Verbrechens als Verletzung der Mitwirkungspflicht bedeutet nicht, die Richtigkeit des im liberalen Standardmodell gewählten Ausgangs vom Begriff des subjektiven Rechts als solche zu bestreiten. Der entscheidende Vorzug der hier vertretenen Konzeption liegt gerade darin, dass sie dank ihrer Verknüpfung des Mitwirkungspflicht- und des Freiheitsschutzgedankens den Allgemeinheitsbezug des Verbrechens ernst nimmt, ohne dadurch jedoch das Gewicht des Eigenrechts der Bürger nur im geringsten zu schmälern.165 Der Gedanke, dass die Straftat die Verletzung eines besonderen Rechts als allgemeines Recht ist, stellt eine Vermittlung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen her.166 „Erfaßbar“ ist das Recht für die „verbrecherische That“ – wie Hälschner treffend bemerkt – nur in seinem „endlichen Dasein“, nämlich nur in der Form von einzelnen Rechten und rechtlichen Gütern.167 Das besondere Recht, gegen welches das Verbrechen sich richtet, ist „nicht nur das nothwendige Mittel, um die verbrecherische That in die Erscheinung treten zu lassen, sondern auch das Maß der Rechtsverletzung“.168 Die Mitwirkungspflicht in einem modernen Rechtsstaat ist auf keinem Fall ein Gesslerhut, dessen einzig sinnfälliger Zweck die öffentliche Erzwingung untertänigen Verhaltens ist; vielmehr ist sie begründungstheoretisch abhängig vom Schutz des realen Freiheitsraums des Bürgers. Wenn ein soziales System ohne Blick auf die normative Dignität des einzelnen Bürgers definiert wird, ist der einzelne Bürger in den ihm auferlegten Pflichten nicht mit dem Selbsterhaltungsinteresse dieses Systems konfrontiert.169 In diesem Zusammenhang macht es für die Bewertung des Unrechtsgehalts einer Handlung einen erheblichen Unterschied, ob die von ihr betroffene Person tatsächlich Einbußen erleidet oder die Absage des Täters an seine Mitwirkungspflicht aus der gegenständlichen Perspektive folgenlos bleibt.170 Ein einseitig gegenständlicher Verbrechensbegriff kann dem Strafgrund des Versuchs, bei dem es noch keine gegenständliche Beeinträchtigung gibt, nicht gerecht werden; ein sich auf den Abfall von den Forderungen der Gemeinschaft be165 166 167 168 169 170

Pawlik, Unrecht, S. 112. Pawlik, Unrecht, S. 110 ff.; Kubiciel, Wissenschaft, S. 167; Wachter, Unrecht, S. 116. Hälschner, Preußisches Strafrecht, Teil. 2, S. 214. Hälschner, Preußisches Strafrecht, Teil. 2, S. 222. Pawlik, Unrecht, S. 175. Pawlik, Unrecht, S. 113; Kubiciel, Wissenschaft, S. 167 f.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

schränkender Verbrechensbegriff führt hingegen konsequenterweise zur Gleichbehandlung von Versuch und Vollendung, weil Tatsache und Grad der Pflichtverletzung nicht durch den Erfolgseintritt berührt werden.171 Der Gedanke, dass der Verbrecher ein besonderes Recht als allgemeines Recht verletzt, verleiht dem Verbrechen eine komplexe Beschaffenheit und bewältigt beide Einseitigkeiten. Außerdem vermag die hier vertretene Konzeption dem Verhältnis des Staates zum Staatsbürger gerecht zu werden, was die zentrale Frage des Rechtsinstituts der Einwilligung bildet.172 Die Anerkennung des Allgemeinheitsbezugs von Straftaten beschädigt keinesfalls den dem einzelnen Staatsbürger eingeräumten Freiheitsraum. Wenn die Straftat einfach als eine Unbotmäßigkeit gegenüber einem allgemeinen Normbefehl erfasst wird, drängt sich freilich das Bedenken auf, dass das Institut der Einwilligung total abgelehnt wird, wie es das von Feuerbach verfasste Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 denn auch tatsächlich regelt: „Eine unter Strafe verbotene Handlung wird wegen einer von dem Beschädigten dazu ertheilten stillschweigenden oder ausdrücklichen Erlaubniß weder straflos, noch in minderem Grade strafbar“;173 bestenfalls wird die Rechtswidrigkeit der von einer Einwilligung gedeckten Tat – wie Binding konstatiert – aus dem Grund verneint, dass der Wille des Privaten mit dieser Wirkung gesetzlich ausgestattet sei.174 Nach der hiesiger Auffassung verhält sich das anders: Die Strafe reagiert nicht auf die Verweigerung eines Normbefehls, sondern auf die Verletzung des Rechts als Recht, das den Bürgern Freiheit ermöglichen soll. Das Recht gewinnt in den Rechten allererst Wirklichkeit, die Rechte aber haben den Zweck, ihrem Inhaber ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.175 Unter dieser Prämisse ist eine auf dem vollverantwortlichen Willen des Betroffenen selbst beruhende Beeinträchtigung nichts anderes als eine Modalität der Realisierung von Selbstbestimmung, durch die kein Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote hergestellt wird. Denn mit der Selbstbestimmung ist gemeint, dass der Einzelne sich seine Handlungsinhalte nicht von anderen vorgeben lässt, sondern sie nach Maßgabe seiner Wertüberzeugungen und Ziele eigenständig festsetzt.176 Im Ergebnis kann man mit der einprägsamen Sentenz von Berner feststellen: „Das Individuum ist dem Staat und anderen verpflichtet, solange es lebt; es ist ihnen aber nicht verpflichtet zu leben.“177 Der Bürger ist verpflichtet, an der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes rechtlich verfasster Freiheitlichkeit mitzuwirken, aber nicht verpflichtet, staatliche Einmischung in seine freien Umschichtungen innerhalb seiner Rechtssphäre zu dulden. Denn die der Rechtsgemeinschaft geschuldete Mitwirkungspflicht

171 172 173 174 175 176 177

So tatsächlich Schaffstein, Verbrechen, S. 137; Gleispach, Willensstrafrecht, S. 1069. Maurach/Zipf, AT, 8. Aufl., § 17, Rn. 36 ff. Zitiert nach: Buschmann, Textbuch, S. 474. Binding, Handbuch, S. 708. Pawlik, Unrecht, S. 115. Pawlik, Normbestätigung, S. 41; ders., Unrecht, S. 102. Berner, Lehrbuch, S. 98.

A. Freiheitsverständnis und strafrechtliches Unrecht

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soll der Selbstbestimmung der Bürger dienen und darf deshalb nicht gegen diese ausgespielt werden.178 Die Entprivatisierung und Idealisierung der Straftat einerseits und die geforderte Anerkennung der Bedeutung des individuellen gegenständlichen Bezugs der Straftat andererseits konstituieren eine anspruchsvolle Aufgabe für den Verbrechensbegriff, der eine Vermittlungsleistung erbringen muss. Die hiesige Konzeption ist keineswegs eine einfache Nebeneinanderstellung des kollektiven und des individuellen Ansatzes, sondern liegt einer konsequenten Entfaltung eines komplexen Verbrechensverständnisses zugrunde. Es geht bei dem Vorgang des Aufhebens einerseits um das Negieren, andererseits um das Aufbewahren.179 Der individuelle gegenständliche Bezug des Verbrechens wird in diesem Entfaltungsvorgang negiert und zugleich aufbewahrt. Verbrechen und Strafe ereignen sich zwar in der Sphäre des Allgemeinen; dieses Allgemeine gewinnt seine Wirklichkeit und, was entscheidend ist, seine strafrechtliche Erhaltungswürdigkeit aber erst vermittelt durch das Besondere – die von Hälschner genannten konkreten Berechtigungen oder Güter.180 „So wenig es Allgemeinheit ohne Besonderheit zu geben vermag, so wenig kommt Besonderheit ohne Allgemeinheit aus.“181 Daher gehört die Verletzung eines subjektiven Rechts notwendig zum Begriff des Verbrechens. Für die Auseinandersetzung mit dem Unrecht der Beteiligung ist die Behauptung nicht ausreichend, dass der Rechtsgenosse dazu verpflichtet ist, die Teilnahmeverbote zu respektieren, nämlich sich von dem Delikt zu distanzieren. Weite Bereiche der für die Beteiligungsdogmatik spezifischen Problematik werden in dieser Behauptung ausgelassen. Der Witz der auf ein Konkret-Allgemeines bezogenen Verbrechenslehre, „dass die Mitwirkungspflicht gegenüber der Allgemeinheit Legitimation und klare Konturen erst durch ihren Bezug auf die Freiheitssphäre der einzelnen Bürger erhält“,182 ist in der Untersuchung der Beteiligungsproblematik zu entfalten. Im Rahmen der hier vertretenen Verbrechenslehre wird folgerichtig nicht gefragt, ob sich ein Verhalten als riskant für die Rechtsgüter darstellt oder ob der Täter dem abstrakten Normbefehl zuwiderhandelt; entscheidend ist vielmehr, ob das Verhalten als Verletzung eines allgemein garantierten Rechtsverhältnisses bewertet werden kann.183 Dafür muss man sich mit den allgemeinen Rechtsprinzipien der Verteilung von Zuständigkeiten auseinandersetzen, um beurteilen zu können, ob der einen Person eine solche Gefährdung anderer gestattet ist oder ob umgekehrt anderen Personen die Abwesenheit derartiger Gefahren garantiert wird.184 Der Zustand der

178 179 180 181 182 183 184

Pawlik, Unrecht, S. 116. Hegel, Enzyklopädie I, § 96 Z (Werk, Bd. 8, S. 204). Pawlik, Unrecht, S. 111; ders., Person, S. 86. Pauly, Der Staat 39 (2000), 389. Dazu Hegel, Grundlinien, § 260. Pawlik, Unrecht, S. 113 (Hervorhebung im Original). Kubiciel, Wissenschaft, S. 168. Kubiciel, Wissenschaft, S. 169.

164

3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Freiheitlichkeit, zu dessen Wahrung das Strafrecht berufen ist, ist ohne ein differenziertes System der Zuständigkeitsverteilung nicht denkbar.185

IV. Zwischenergebnis In diesem Teil wurden der Freiheitsbegriff und der ihm korrespondierende Straftatbegriff behandelt. Aus der Darlegung des kantischen Freiheitsbegriffs ergeben sich zwei bedeutsame Befunde: Zum einen bietet das Freiheitsverständnis als das Vermögen zu vernünftiger Selbstbestimmung die Denkmöglichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Freiheit und der Verantwortung einer Person; zum anderen beschreiben Pflicht und Recht der Person als zwei Seiten derselben Medaille den Bereich der interpersonal wechselseitig abgesteckten Freiheit. Entgegen der naturalistischen Rechtsgutslehre geht es vorliegend nicht um die Innehabung von Gütern als solche, sondern um die Verfügbarkeit von freiheitsgesetzlich zugleich konstituierten und limitierten Handlungsspielräumen. In diesem Zusammenhang stellt die Straftat statt einer bloßen Güterbeeinträchtigung eine Verletzung der Pflicht dar, die fremde Rechtssphäre zu respektieren. Allerdings stößt dieses Freiheitsverständnis an seine Grenze bei der Interpretation der Strafe als spezifischer Rechtsfolge der Straftat. Das kriminale Unrecht bezieht sich primär nicht auf irgendeine gegenständliche Beeinträchtigung, sondern auf die Verletzung der Wirklichkeit der Rechtsnormen. Durch eine Überlegung aus der Perspektive der Bürger wird die Legitimation der Bestrafung erklärt: Der Täter handelt seiner Verpflichtung zuwider, an der Aufrechterhaltung des bestehenden Rechtszustands mitzuwirken, indem er eine von der strafrechtlichen Normenordnung abweichende Norm setzt und ihr folgt. Weil der Täter die Rechtsgeltung in Frage stellt und damit die Gefahr der Normerosion herbeiführt, ist er dazu verpflichtet, die Gefahr durch Hinnahme der Strafe zu beseitigen. Die Verbundenheit der Bürgerpflicht mit dem Freiheitsgedanken zeigt sich in zwei Punkten: Zum einen stellen die Rechtsnormen als Distributivnormen, die Bereiche rechtlich garantierter Freiheit zuweisen, einen genuinen Ausdruck der Handlungsfreiheit der Person dar; zum anderen ist die Geltung der Rechtsnormen die unentbehrliche Voraussetzung des Zustandes konkret-realer Freiheitlichkeit in einer staatlichen Gemeinschaft. In diesem Sinne hat der Verbrecher als Normbrecher die allgemeine Freiheitlichkeit angegriffen, indem er normwidrig die fremde Rechtssphäre usurpiert hat. Die hier vertretene Straftheorie bietet eine einheitliche Erklärung dafür an, weshalb die Verhängung von Strafe nicht nur für die Allgemeinheit zweckmäßig, sondern auch gegenüber dem Delinquenten legitim ist. Der Gedanke, dass der Verbrecher das besondere Recht als allgemeines Recht verletzt, verbindet die individuelle und die überindividuelle Ebene des Verbrechens: Bei der Begründung der pflichtentheoretischen Struktur einer Verhaltensnorm geht man von dem individuellen subjektiven Recht aus; die Straftat als die Übertretung der Rechts185

Pawlik, Unrecht, S. 91, Fn. 479, S. 138 ff., 144 f.

B. Das System der Zuständigkeiten

165

ordnung, die allen Bürgern reale Freiheit sichert, stellt ein überindividuelles Geschehen dar, was die Strafe als staatliche Reaktion legitimiert.

B. Das System der Zuständigkeiten Die Bearbeitung des normativen Freiheitsbegriffs stellt die Weichen für die Begründung der konkreten Verpflichtung in den Strafrechtsnormen. Die Hauptaufgabe des Rechts, zumal des Strafrechts, besteht nach dem modernen Verständnis des Rechts darin, durch Aufstellung von Normen den Bürgern zu ermöglichen, ihr Leben nach eigener Einsicht – nämlich frei von Fremdbestimmung – zu führen.186 Wie oben ausgeführt ist eine umfassende Integritätsgarantie kein tauglicher Weg zur Erfüllung der Strafrechtsaufgabe, die kann sogar umgekehrt die Freiheitsverwirklichung verhindern. Recht ist keine Institution zur Maximierung von Gütern, sondern von Freiheit.187 „Das Recht bestimmt die Freiheit des einzelnen relativ zu der Freiheit aller anderen und sichert durch den wechselseitigen Zwang die individuellen Freiheitsräume gegeneinander.“188 Unter dieser Prämisse lässt sich die Bedeutung einer Rechtsgutsverletzung nicht aus sich selbst heraus definieren, sondern sie hängt von der Beschaffenheit der Rechtsbeziehung ab, innerhalb deren sie erfolgt. Mit den Worten Müssigs: „Unrecht kennzeichnet eine Perspektive der Verbrechensbestimmung, durch die das semantische Profil einer Handlung als Rechtsverletzung vor dem Hintergrund der garantierten Gestalt eines Rechtsverhältnisses rekonstruiert wird.“189 Somit ist die Beteiligungsdogmatik primär mit dem Problem konfrontiert, aus welchem Grund dem Beteiligten die Verantwortung für Belange des Opfers auferlegt wird, indem er die Unterstützungshandlung zu unterlassen verpflichtet wird. Anschließend hat man sich mit der pflichtentheoretischen Struktur des Teilnahmebegriffs auseinanderzusetzen.

I. Die Parallele zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte Geht man von dem Prüfungsschema aus, das man bei dem typischen allein ausgeführten Begehungsdelikt anwendet, stellt sich das Problem der Beteiligung gleichsam als unlösbar dar. Nach der gängigen Strafrechtsdogmatik wird die Strafbarkeit einer Handlung durch eine schrittweise Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld ermittelt. Bei den Erfolgsdelikten liegt der 186

Statt aller vgl. Pawlik, Unrecht, S. 101 und passim; Haas, Kausalität, S. 55 f.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 721 f.; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 228 f.; Jakobs, Rechtszwang, S. 15 ff. 187 Jakobs, Begriff, S. 65. 188 Kersting, Freiheit, S. 89. 189 Dazu ausführlich Müssig, Mord, S. 140 ff.

166

3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Schwerpunkt der Zurechnung vornehmlich auf der Bestimmung der Kausalität zwischen der Handlung und der Rechtsgutsverletzung.190 Im Fall der Alleintäterschaft, zumal wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale deutlich und spezifisch sind, funktioniert diese Vorgehensweise. Allerdings versagt sie im Fall des gemeinsamen Handelns, da die Beteiligung gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der einzelne Mitwirkende selbst die Tatbestände nicht ausführt. Subsumiert man ohne weiteres die Unterstützungshandlung unter die einzelne Tatbestandsbeschreibung im Besonderen Teil, drängen sich sogar Bedenken dahingehend auf, dass die Bestrafung der Teilnahme die rechtsstaatlichen Prinzipien, insbesondere das Bestimmtheitsprinzip verletzt, da die Tatbestandsgrenzen dadurch aufgelöst werden.191 Eine sorgfältige Analyse der einzelnen Deliktstatbestände hilft wenig bei der Bestimmung des Strafgrundes der Beteiligung. Zudem lässt sich die Anforderung der Kausalität zwischen der Handlung und dem tatbestandlichen Erfolg, die nach der gängigen Auffassung die zentrale Frage bei der Zurechnung des Erfolgsdelikts ausmacht, im Bereich der Beteiligung nicht erfüllen.192 Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur wird als Hilfeleistung grundsätzlich jede Handlung angesehen, welche „die Haupttat ermöglicht, erleichtert, beschleunigt oder intensiviert hat“.193 Also „braucht die Beihilfe nicht in dem Sinne eine conditio sine qua non für den Erfolg zu sein, dass dieser ohne sie nicht eingetreten wäre“.194 Nimmt man diese Formulierungen ernst, wird tatsächlich der Schwerpunkt der Zurechnung von der Kausalität zwischen der Teilnahmehandlung und dem tatbestandlichen Erfolg auf die Ermittlung der Bedeutung der Teilnahmehandlung in Bezug auf die Haupttat verlagert. Die Besonderheit der Beteiligungslehre erinnert uns an die Unterlassungsdelikte. In der Formulierung Engischs kann „die Würdigung (eines Verhaltens) unter den Gesichtspunkten der Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld […] erst sachgerecht erfolgen, wenn der Weg zu ihr geöffnet ist durch den Hinweis auf das richtige Tor: Tun oder Unterlassen?“195 Das unechte Unterlassungsdelikt teilt insofern die Problematik der Beteiligungslehre, als es bei ihm keine Handlung gibt, die einfach unter die auf Begehungstaten zugeschnittenen Tatbestandsmerkmale subsumiert werden kann; im Fall der Beteiligung nimmt der einzelne Beteiligte keine tatbestandsmäßige Handlung eigenhändig vor, im Fall des unechten Unterlassungsdelikts nimmt der Täter keine positive Handlung vor. Wenn man aus Gewohnheit in beiden Fällen mit der Frage ansetzt, was der Betroffene getan hat und ob seine Handlung tatbestandsmäßig ist, verstrickt man sich sofort in Schwierigkeiten. Daher bestehen auch Bedenken, dass die Bestrafung der unechten Unterlassungs190

Vgl. Schünemann, Stand, S. 53. Vgl. Jakobs, Theorie, S. 13; Vogel, Norm, S. 82; Cornacchia, FS-Jakobs, S. 54. 192 Kindhäuser, FS-Paeffgen, S. 148 f.; Puppe, in: NK, Vor § 13, Rn. 131 m. w. N. 193 Statt aller Jescheck/Weigend, AT, § 64 III 2c; Rengier, AT, § 45, Rn. 82; Baumann/ Weber/Mitsch, § 31, Rn. 16 f. 194 Roxin, AT II, § 26, Rn. 184; ähnlich auch Otto, AT, § 22, Rn. 53. 195 Engisch, FS-Gallas, S. 168. 191

B. Das System der Zuständigkeiten

167

delikte ausgehend vom Tatbestand der Begehung gegen das Analogieverbot verstoßen und das Bestimmtheitsgebot verletzen könnte.196 Bezüglich der Kausalitätsproblematik weicht das Unterlassungsdelikt ebenfalls erheblich vom Begehungsdelikt ab. Um das Spannungsverhältnis zwischen der Formel von der conditio sine qua non und der Unterlassungskonstellation zu mildern, wird die Kausalitätsformel im Sinne der sogenannten hypothetischen Kausalität abgewandelt: Es ist zu fragen, ob durch die Vornahme der gebotenen Handlung der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre.197 Genauer betrachtet geht es um die Vermeidbarkeit des Erfolgs, nicht mehr um Kausalität im üblichen Sinne. Wenn die Zurechnung im Fall der Unterlassungsdelikte allein von der Existenz der hypothetischen Kausalität abhängig ist, sind auch die Hilfeleistung unterlassenden Passanten wegen eines Tötungsdelikts strafbar (die Strafbarkeit wegen § 323c wird hier nicht thematisiert), wenn ein Kind in einem Fluss ertrinkt und sein Vater es nicht rettet. Um dies zu vermeiden, wird die Garantenstellung herangezogen. Es handelt sich bei der Garantenstellung nicht mehr um die tatsächliche Kausalität, sondern um die rechtliche Verpflichtung, die als Bewertungsschema bei der Bestimmung der Bedeutung der Unterlassung eine maßgebliche Rolle spielt. Der Berührungspunkt zwischen der Beteiligungsdogmatik und der Lehre der Unterlassungsdelikte zeigt sich hier insofern wieder, als man sich tatsächlich schon stillschweigend von naturalistischen Kategorien verabschiedet hat. Trotz der Berührungspunkte in Bezug auf die Unstimmigkeit mit dem gängigen Zurechnungsmodell ist die Beteiligungslehre hinsichtlich der Loslösung vom Verursachungsmodell im Nachteil gegenüber den Unterlassungsdelikten: Während die Strafbarkeit der Unterlassungsdelikte zusätzlich „Garantenpflichten“ voraussetzt, in den Worten von Jakobs: „dass im Unterlassungsbereich die Begründungskette zur Zurechnung länger ist als im Begehungsbereich“,198 ist die Beteiligungslehre im Wesentlichen immer noch dem Verursachungsmodell verhaftet. Wie oben dargelegt, macht sich der Mangel des Verursachungsmodells bei der Behandlung der Beteiligungsfrage mit besonderem Nachdruck bemerkbar. Deswegen darf man aus gutem Grund bezweifeln, dass das anhand des Musterbeispiels des Delikts, nämlich eines allein ausgeführten Begehungsdelikts, entwickelte Zurechnungsschema als solches problematisch ist, und annehmen, dass die zusätzliche Voraussetzung „Garantenpflicht“ kein Sondergut der Unterlassungsdelikte ist, sondern eine pflichtentheoretisch unentbehrliche Überlegung für alle Deliktsformen. Wenn es uns gelingt, die strafrechtsrelevanten Verpflichtungen auf einheitliche Begründungsfiguren zurückzuführen, lässt sich das Unrecht der Teilnahme als eine Gestalt der Konkretisierung der Begründungsfigur in einer systematisch kontrollierten Form konzipieren.

196

Vgl. Roxin, AT, § 31, Rn. 31; Seelmann, in: NK, 1. Aufl., § 13, Rn. 1 f. Vgl. RGSt 58, 130/131; BGH 2 StR 269/87 NJW 1987, 2940; Rengier, AT, § 49, Rn. 13; B. Heinrich, AT, Rn. 888. 198 Jakobs, ZStW 89 (1977), 3. 197

168

3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Bevor wir unter Verweis auf die Garantenpflicht als Ankerpunkt das allgemeine Zurechnungsmodell reflektieren und ihre aufschlussreiche Bedeutung für die Problematik der Beteiligung erschließen, müssen wir zuerst der herkömmlichen scharfen Trennung zwischen Begehungsdelikten und Unterlassungsdelikten nach Maßgabe der Garantenstellung begegnen. Die heute herrschende Garantenlehre orientiert sich an dem Einteilungsschema der von Armin Kaufmann begründeten sog. Funktionenlehre. Danach kann die Garantenstellung einmal auf die Überwachung bestimmter Gefahrenquellen und zum anderen auf die Verteidigung bestimmter Rechtsgüter gegen die ihnen drohenden Gefahren ausgerichtet sein.199 Der entscheidende Mangel der Funktionenlehre liegt darin, dass die Begriffe Überwachergarant und Beschützergarant keine Auskunft zu der Frage geben, auf welchem Rechtsgrund sie beruhen.200 Blendet man die Frage nach dem materialen Legitimationsgrund aus, lassen sich keine systematischen Konsequenzen an einer Unterscheidung von Beschützergaranten und Überwachergaranten festmachen, da der Schutz für eine Person Überwachung der ihr drohenden Gefahren zu ihren Gunsten ist und die Überwachung einer Gefahrenquelle Schutz für die jeweils Gefährdeten ist.201 Außerdem läuft das Absehen von den Rechtsgründen auf das Risiko hinaus, „dass Garantenpflichten uferlos ausgedehnt werden“,202 denn aus der Funkionenlehre lassen sich Aussagen weder über die Täterqualität noch über die Reichweite der jeweiligen Pflicht ableiten.203 Um eine unter systematischen Gesichtspunkten unanfechtbare Garantenlehre zu beschaffen, darf man sich nicht mit der Beschreibung des Inhalts der Pflicht bezüglich der Rechtsgüterschutzaufgabe oder der Einordnung der Pflichten unter die anschaulichen Bezeichnungen begnügen, sondern muss sich um die Frage nach den den Garantenpflichten zugrundeliegenden materialen Grundsätzen bemühen. Nimmt man die augenfällige Begrenztheit der Funktionslehre zur Kenntnis und bemüht sich um eine systematisch fundierte Antwort auf die Frage nach der materialen Pflichtenbegründung, stellt die Begründung der Garantenpflicht ein einheitliches Thema sowohl hinsichtlich der Verbote als auch hinsichtlich der Gebote dar. Dies gilt freilich auch für die Legitimation des Verbots, sich am Delikt zu beteiligen. Nach hiesiger Meinung besteht das Proprium strafbaren Unrechts darin, dass der Täter seiner Verpflichtung zuwiderhandelt, an der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes der Freiheitlichkeit mitzuwirken, und bestimmt sich der Umfang 199 Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 283; Rengier, AT, § 50, Rn. 3 ff.; Maurach/ Gössel/Zipf, AT II, § 46, Rn. 65 f.; Gropp, AT, § 11, Rn. 21 ff.; Kühl, AT, § 18, Rn. 44 f.; Schmidhäuser, AT, 16/41 ff. 200 Vgl. Roxin, AT II, § 32, Rn. 22; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 15, Rn. 50; Jakobs, AT, 29/27; Pawlik, ZStW 111 (1999), 339; Stree, in: Sch/Sch, 26. Aufl., Rn. 8; Rönnau, JR 2004, 158; Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 305; Grünewald, Garantenpflichten, S. 21. 201 Jakobs, AT, 29/27; Pawlik, ZStW 111 (1999), 339, 342; Rogall, Strafbarkeit, S. 225; Vogel, Norm, S. 341. 202 Jescheck/Weigend, AT, S. 621, § 59 IV 2. 203 Wohlers, in: NK, § 13, Rn. 32; Grünewald, Garantenpflichten, S. 21; Pawlik, Unrecht, S. 178.

B. Das System der Zuständigkeiten

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dieser Verpflichtung nach dem Maß seiner Zuständigkeit für die Integrität einer fremden Rechtssphäre.204 Somit ist nicht die Frage maßgeblich, wie die Rechtsperson ihre Pflichten erfüllt, d. h. es ist freiheitstheoretisch gleichgültig, ob der Verpflichtete durch aktives Tun oder einfache Unterlassung pflichtmäßig handeln soll; wirklich relevant ist vielmehr die Frage, wieso die Rechtsperson auf fremde Integritätsinteressen Rücksicht zu nehmen verpflichtet ist, ob also die allgemeine Pflicht der Rücksichtnahme auf andere bei der Gestaltung des eigenen Organisationskreises gilt oder die besondere Pflicht zur Aufopferung im Sinne einer Garantie von Solidarität.205 Das Rechtssystem arbeitet mit umgeformten Daten, die auf der Selbstbestimmung der Rechtsperson basieren, nicht aber mit Handlungen oder Unterlassungen per se, die als bloß physische Ereignisse in der Umwelt bleiben. Kurzum: Ähnlich wie beim unechten Unterlassungsdelikt, bei dem die Zurechnung des Erfolgs nicht nur dessen Abwendbarkeit durch den Unterlassenden erfordert, sondern zudem noch eine besonders festzustellende Beziehung des Abwendefähigen zum Erfolg voraussetzt, ist auch beim Begehungsdelikt über die bloße Verursachung hinaus eine Zuständigkeit für den Erfolg notwendig, um diesen zurechnen zu können.206 Aus welchem Grund ist der Beteiligte – der durchaus nicht oder nur teilweise die tatbestandmäßige Handlung ausführt – dazu verpflichtet, die Integrität des Rechtskreises des Opfers zu respektieren? Von einem strafrechtlich garantierten Recht des Opfers gegenüber dem Täter im Bereich der Beteiligung kann man in systematisch kontrollierter Form erst dann sprechen, wenn man sich zuvor über die allgemeinen Begründungsfiguren Klarheit verschafft hat, auf die sich generell eine strafrechtsrelevante Verpflichtung des Täters stützen lässt. Diese Begründungsfiguren bilden sozusagen das Formensystem, innerhalb dessen die für den Fall des gemeinsamen Handelns geltende Zuständigkeitsverbindung sowie -verteilung angesiedelt werden muss. Dadurch wird erst vermieden, dass die Aufgabe der Begründung des Unrechts der Teilnahme durch Ad-hoc-Argumente ohne hinreichende systematische Verankerung erledigt wird. Im Folgenden wird ein Umriss der Begründungsfiguren der Zuständigkeit skizziert, die beim Begriff der Rechtspersonalität ansetzt.

II. Die Kategorie der Rechtsperson als Scharnier Nach hiesigem Legitimationsmodell liegt die entscheidende Aufgabe in der Begründung der These, dass jemand für die Ausfüllung eines bestimmten Pflicht204

Pawlik, Unrecht, S. 161 f. Bezüglich der Einheitlichkeit der Begründung grundlegend vgl. Jakobs, Handlungsbegriff, S. 19 ff., 30 ff.; Pawlik, FS-Roxin, 2011, S. 931 ff.; Sa´nchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 51 ff.; Reyes, ZStW 105 (1993), 118 f., 125; Freund, Erfolgsdelikt, 68 ff.; ders., Unterlassungsdelikte, S. 388 f.; Timpe, Strafmilderungen, S. 187. 206 Vgl. Pawlik, Unrecht, S. 159 ff.; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 30 ff.; Wolff-Reske, Verhalten, S. 91. 205

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enkreises – aber auch nur dafür – verantwortlich ist. Diese Aufgabe schließt zwei Dimensionen in sich: Zum einen ist der Pflichtenkreis sowie -inhalt zu begründen und zu begrenzen; zum anderen geht es um die Verantwortlichkeit, also wird die Nicht-Erfüllung der Pflicht dem Täter zugerechnet. Von einem leistungsfähigen konzeptionellen Bindeglied zwischen der Leitidee der Freiheitssicherung und der pflichtentheoretischen Struktur des Verbrechensbegriffs erwarten wir, dass es den beiden geforderten Dimensionen gerecht zu werden vermag. Bezüglich der Bestimmung der Pflichten ist es in einer freiheitlich verfassten Gemeinschaft unzulässig, eine Verpflichtung des Mitgliedes aus sich selbst heraus, also bloß als selbstzweckhaften Befehl zu rechtfertigen. Vielmehr impliziert jede Verpflichtung zumindest das Urteil, dass dem Verlangten ein besonderer Wert zukommt, weswegen es gerade gefordert wird.207 Üblicherweise wird für diesen Wert ohne weiteres auf die Integritätsgarantie der Rechtsgüter des Opfers zurückgegriffen. Wie oben in Anknüpfung an das naturalistische Freiheitsverständnis ausgeführt, leidet jedoch die Kategorie des Rechtsguts an zwei erheblichen Schwäche: Zum einen vermag der Rechtsgutsbegriff keine freiheitstheoretisch reflektierte Konzeption zu beschaffen, die von vornherein nicht nur die Belange des potentiell Geschädigten, sondern auch die Positionen derjenigen Personen, deren Handlungsoptionen durch das in Rede stehende Verbot eingeschränkt werden, in gleicher Weise berücksichtigt.208 Zum anderen ist es von der Kategorie des Rechtsguts ausgehend nicht möglich, die strafrechtliche Schuld erfolgreich zu legitimieren. Wenn der Täter ausschließlich als jemand in den Blick genommen wird, der durch die Fähigkeit zur Herbeiführung von Rechtsgutsverletzungen charakterisiert ist, also auf seine naturhaften Bestandteile reduziert wird, lässt er sich allenfalls als Ursache bezeichnen, aber nicht als verantwortlicher Urheber. Vergegenwärtigen wir uns die obige Erörterung über das normative Freiheitsverständnis, steht die taugliche Kategorie, die das Scharnier zwischen den allgemeinen rechtsbegrifflich-legitimationstheoretischen Überlegungen und der strafrechtlichen Zuständigkeitslehre darstellt, in der Tat schon bereit, nämlich die Rechtsperson.209 Im Folgenden wird nun die Semantik der Rechtsperson durch die Abgrenzung zu verwandten Begriffen skizziert. Vor allem lässt sich die Person scharf vom Menschen unterscheiden.210 Der Terminus „Mensch“ dient zur Bezeichnung des biologischen Gattungswesens, also der Einheit derjenigen biologischen Merkmale, durch die sich Menschen von anderen Lebenswesen unterscheiden.211 Als Person ist ein „moralisches Sein“ im Gegensatz zum „physischen Sein“ angesprochen; im Personbegriff ist eine Zuge207

Vgl. Engisch, Einführung, S. 27; Armin Kaufmann, Lebendiges, S. 69 ff.; Renzikowski, GA 2007, 562. 208 Pawlik, Unrecht, S. 145; Freund, AT, § 2, Rn. 16 ff.; Appel, Verfassung, S. 382; Frisch, Verhalten, S. 74 f.; Kindhäuser, FS-Maiwald, S. 406 f.; Silva Sa´nchez, FS-Jakobs, S. 653 209 Pawlik, Unrecht, S. 127; ähnlich auch Sa´nchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 73. 210 Kelsen, Grenzen, S. 52; K. Günther, Person, S. 19. 211 K. Günther, Person, S. 19.

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hörigkeit zu dieser eigentümlichen Sphäre des geistigen Seins konzipiert, die nicht auf dieses physische Sein reduziert werden kann.212 Die Abgrenzung der Person von dem Menschen ermöglicht, dass die Willensfreiheit als Voraussetzung der Unrechtszurechnung nicht als biologische Tatsache, deren Existenz mit den Methoden der Naturwissenschaft bewiesen oder widerlegt werden könnte, sondern als eine soziale Institution angesehen wird,213 die durch die normative Ordnung konstituiert wird.214 Damit besteht der entscheidende Unterschied zwischen Menschen im biologisch-physiologischen Sinne und Personen als „ein juristischer Ausdruck“215 darin, dass die Person zurechnungsfähig ist, also das Moment der Verantwortlichkeit von vornherein der Person immanent ist.216 Noch Kelsen spricht in seiner Reinen Rechtslehre von dem der Moral- und Rechtsordnung unterworfenen Menschen als „Endpunkt einer nur aufgrund dieser normativen Ordnung möglichen Zurechnung“.217 Zudem spielt die Figur der Rechtsperson eine bedeutsame Rolle für die Begründung und Abgrenzung des Zuständigkeitskreises, indem sie sich von dem Terminus „Individuum“ unterscheidet. Mit „Individuum“ ist die jeweils singulär, unverwechselbare und unvertretbare Lebensgeschichte eines einzelnen Menschen gemeint.218 So ist der Mensch als Individuum nur „empirisches Triebwesen“,219 ein isolierter Mensch, der in einem rechtlosen Naturzustand lebt. Im Gegensatz dazu ist der Begriff „Rechtsperson“ mit jenem Begriff „Rechtsgesetz“ untrennbar verbunden, nach welchem die Freiheit einer Person von vornherein auf eine abstrakte Weise mit Blick auf die Position der anderen bestimmt wird: Einerseits steht die Existenz von Rechtspersonen unter der Voraussetzung der Geltung eines Rechtsgesetzes; andererseits kann das Rechtsgesetz seiner Grundaufgabe der Handlungskoordination nur durch die Konstituierung von Rechtspersonen gerecht werden.220 Das dem Ziel einer Gleichheit in der Freiheit verpflichtete Rechtsverständnis entspricht dem immanenten wechselseitigen Verhältnis zwischen Personen in der Rechtsgemeinschaft. Insofern gibt Personen es „nur im Plural“:221 Eine äußere Freiheit in Anspruch nehmende Rechtsperson lässt sich nicht isoliert, insbesondere nicht als vereinzelte Inhaberin eines bestimmten Rechtsgütergegenstands, sondern nur von ihrem Kontakt 212

Jaeschke, Person, S. 63. Pawlik, Unrecht, S. 282 f.; ders., Normbestätigung, S. 11 f.; Schild, in: NK, § 20, Rn. 16; Hassemer, Strafe, S. 221 ff. 214 Jakobs, ZStW 117 (2005), 260, Fn. 43, 264. 215 Locke, Versuch, S. 435. 216 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, AB 22; Renzikowski, FG-Costa, S. 156; Jakobs, ZStW 117 (2005), 260; Pawlik, Unrecht, S. 142; Jaeschke, Person, S. 64; Seelmann, Grundnahmen, S. 95 f. 217 Kelsen, Rechtslehre, 2. Aufl., S. 97. 218 K. Günther, Person, S. 20. 219 Lesch, Verbrechensbegriff, S. 4. 220 Pawlik, Unrecht, S. 143 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 23. 221 Spaemann, Personen, S. 144; Jaeschke, Person, S. 64 f.; K. Günther, Person, S. 23. 213

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zu anderen Rechtspersonen her denken.222 Der Begriff der Rechtsperson gehört dem Bereich des (von Hegel so genannten) abstrakten Rechts an, da er lediglich die eine Rechtsperson als solche konstituierende Eigenschaft bezeichnet, überhaupt Inhaber von Rechten und Pflichten223 und damit ein jemand zu sein, der den Schutz des Rechtsgesetzes genießt, dessen Handlungen aber auch ihrerseits der Beurteilung anhand des Rechtsgesetzes unterliegen.224 Indem eine Rechtsperson für zuständig erklärt wird, wird ihr in einem gewissen Umfang die Verantwortung für Belange einer anderen Rechtsperson auferlegt; freiheitstheoretisch gesprochen konkretisieren Aussagen über die Zuständigkeitsverteilung das allgemeine, auf der wechselseitig abgesteckten Freiheit beruhende Rechtsgesetz.225 Eine freiheitstheoretisch überzeugende Begründung des Pflichtenkreises muss darauf abstellen, welche normativen Garantien als Bedingungen der Möglichkeit der Zubilligung von Organisationsfreiheit der Rechtsperson in einer konkreten Rechtsgemeinschaft erforderlich sind,226 welche Pflichten also „aus der Personalität der anderen“ resultieren.227 Obwohl die Rechtsgutsdogmatik durch eine nachträgliche Abwägung der Freiheitsinteressen anderer Personen den umfassenden Integritätsanspruch des Rechtsgutsinhabers zu kompensieren versucht, wird die Einseitigkeit der Kategorie der Rechtsguts bestenfalls durch die Ergänzung von Ad-hocBehauptungen eskamotiert, aber daraus ergeben sich keineswegs leistungsfähige fundamentale Begründungsfiguren, die der Verpflichtung im einzelnen strafrechtlichen Institut eine einheitliche Wurzel verleihen und dadurch garantieren, dass die Begründung der einzelnen Verpflichtung den systematischen Anforderungen genügt. In den Worten von Jakobs: „Die Delikte gegen die Person folgen also dem Begriff der Person oder sind ein bloßes Sammelsurium.“228 Die Verwirklichung realer Organisationsfreiheit der Person setzt vornehmlich voraus, eine von erdrückender Fremdbestimmung freie Gestaltung des eigenen Lebens zu ermöglichen.229 Wenn jeder prinzipiell jederzeit den Lebensplan eines anderen mit Zwang überdeterminieren könnte, dann wäre die Idee eines eigenen Lebensplans nicht mehr vorstellbar.230 In den Worten des Pflichtentheoretikers Pufendorf: „Auch mit jemandem, der mir keine Wohltat erweist und der mit mir nicht einmal die einfachsten Hilfsdienste austaucht, kann ich trotzdem in Ruhe leben, 222 Jakobs, FS-Amelung, S. 45 f.; ders., Norm, S. 37; Pawlik, Verhalten, S. 41; ders., Unrecht, S. 143; Zaczyk, Unrecht, S. 201. 223 Vgl. Kelsen, Rechtslehre, 2. Aufl., S. 177; Jakobs, Begriff, S. 66, 74; ders., ZStW 117 (2005), 257; Pawlik, Unrecht, 141 ff.; Seelmann, Grundannahmen, S. 92. 224 Pawlik, Verhalten, S. 131. 225 Pawlik, Verhalten, S. 127. 226 Pawlik, Verhalten, S. 137; Kubiciel, Wissenschaft, S. 181. 227 Jakobs, Zuständigkeit, S. 345. 228 Jakobs, Begriff, S. 63. 229 Renzikowski, Notstand, S. 178; Pawlik, Notstand, S. 16 f.; ders., Verhalten, S. 41 f. 230 Papageorgiou, Schaden, S. 163.

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solange er mich nur nicht verletzt.“231 Diese Pflicht wird als Gebot der „Respektierung anderer Personen“ oder negative Pflicht bezeichnet.232 Da unter der Voraussetzung der Gleichheit aller Rechtspersonen Organisationsfreiheit generell, d. h. im wechselseitigen Verständnis sämtlicher Bürger zueinander gewährleistet werden muss, stellt das generelle Eingriffsverbot keine äußerliche Beschränkung, sondern eine Ermöglichungsbedingung von Organisationsfreiheit dar: Freiheitsverwirklichendes Handeln im Rechtssinne ist ein die Freiheit des anderen achtendes Handeln.233 Insofern betrifft die allgemeine Respektierungspflicht alle der Rechtsgemeinschaft zugehörigen Personen. Angesichts der Relevanz des Respektierungsgebots für die hier interessierende Beteiligungsdogmatik wird anschließend darauf näher eingegangen. Es ist zu erkennen, dass die selbstbestimmte Lebensführung ein höchst voraussetzungsreiches Projekt ist.234 „Die Abwesenheit von Fremdbestimmung ist nicht hinreichend für Selbstbestimmung.“235 Aber entsprechend der Formalität und Gesinnungsneutralität des Rechtsbegriffs muss eine Person im Rahmen der Respektierungspflicht die Rechtssphäre der anderen zwar „wie einen unübertretbaren Zauberkreis achten und sich […] insoweit jedes Eingriffs […] enthalten“,236 braucht den anderen aber nicht zu helfen.237 Eine ausschließlich auf das Respektierungsgebot gestützte Gemeinschaft beschränkt sich – wie Kersting im Hinblick auf Kants Rechtsbegriff bemerkt – darauf, eine „Selbstschutzgemeinschaft der Handlungsmächtigen“ zu konstituieren.238 Wenn den Ermöglichungsbedingungen dieser Handlungsmächtigkeit nicht Rechnung getragen wird, bleibt die Organisationsfreiheit eine bloß fiktive, „papierne“, wird aber keine reale Freiheit.239 Deswegen sind neben dem Respektierungsgebot institutionell begründete Zuständigkeiten erforderlich,240 die nicht nur der Integrität eines vorgegebenen Rechtsbestandes dienen, sondern dessen Erweiterung.241 Diese Gruppe von Pflichten wird als positive Pflichten oder Ermöglichungszuständigkeiten bezeichnet. Zu diesen Institutionen, die dem Einzelnen die Erweiterung seines vorgegebenen Rechtsbestandes sichern, gehören etwas das Eltern-Kind-Verhältnis und staatliche Gewaltverhältnisse usw. 231

Pufendorf, Pflicht, S. 72 (1. Buch, Kap. 6, §§ 1 f.) Pawlik, Unrecht, S. 178 ff.; Jakobs, AT, 1/7; Kubiciel, Wissenschaft, S. 175; Kindhäuser, AT, § 36, Rn. 54; Köhler, AT, S. 282. 233 Pawlik, Notstand, S. 14; ders., Unrecht, S. 180. 234 Pawlik, Unrecht, S. 186. 235 Kersting, Liberalismus, S. 22. 236 F. v. Hippel, Gesetzmäßigkeit, S. 11. 237 Jakobs, 1. FS-Roxin, S. 799; ders., Begriff, S. 65; Pawlik, Unrecht, S. 179; Sa´nchezVera, Pflichtdelikt, S. 74. 238 Kersting, Theorien, S. 394. 239 Pawlik, Unrecht, S. 186; ders., ZStW 111 (1999), 349. 240 Jakobs, AT, 29/28, 57 ff. 241 Pawlik, Unrecht, S. 187; Kubiciel, Wissenschaft, S. 174 ff. 232

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III. Respektierungsgebote im Fall des Alleinhandelns 1. Skizze der Respektierungserwartung Erst die Gewissheit seines Rechts, in Ruhe gelassen zu werden, eröffnet dem einzelnen die Chance, sein eigenes Leben zu führen, d. h. die von ihm gewählte Weise der Selbstdarstellung handelnd durchzuhalten: „Autonomie verlangt Voraussehbarkeit und diese verlangt eine gewisse Einschränkung der Kontextabhängigkeit.“242 Das System rechtlicher Respektierungspflichten findet seine klassische Formulierung bei Savigny: „Der Mensch steht inmitten der äußeren Welt, und das wichtigste Element in dieser seiner Umgebung ist ihm die Berührung mit denen, die ihm gleich sind durch ihre Natur und Bestimmung. Sollen nun in solcher Beziehung freye Wesen neben einander bestehen, sich gegenseitig fördernd, nicht hemmend, in ihrer Entwicklung, so ist dieses nur möglich durch Anerkennung einer unsichtbaren Gra¨ nze, innerhalb welcher das Daseyn, und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sichern, freyen Raum gewinne. Die Regel, wodurch jene Gra¨ nze und durch sie dieser freye Raum bestimmt wird, ist das Recht.“243 Die Respektierungserwartung äußert sich primär in Gestalt des Verbots, in fremde Rechtskreise einzugreifen:244 Eine Organisationsfreiheit, die nicht durch ein generelles Eingriffsverbot für Dritte abgesichert ist, würde sich unter freiheitstheoretischen Gesichtspunkten selber entwerten.245 Die Handlungsfreiheit der einzelnen Rechtsperson ist mit der Handlungsfreiheit der anderen nur vereinbar, wenn jeder den ihm rechtlich zugestandenen Handlungsspielraum einhält.246 Im Grundfall der Begehungsdelikte geht es darum, dass niemand den eigenen Organisationskreis ohne Rücksicht auf die Organisationskreise anderer Personen ausdehnen darf.247 Handlungen, die bewusst oder erkennbar auf Verletzung des Handlungsspielraums anderer angelegt sind, können relativ problemlos als Unrecht ausgemacht werden. Freilich vermag das Eingriffsverbot allein der Aufgabe des Strafrechts noch nicht gerecht zu werden. Eine verletzende Veränderung innerhalb der Rechtssphäre, die die Selbstbestimmung der Rechtsperson stört, lässt sich nicht stets auf eine zurechenbare geschehene Tätigkeit zurückführen. Es kann der Umstand eintreten, dass aus irgendeinem Grund die Gefahren für fremde Rechtssphären dem eigenen Organisationskreis entstammen und der Betroffene die Gefahren nicht neutralisiert. Eine klassische Formulierung hat dieser Gedanke bei Merkel gefunden: „Urheber verletzender Veränderungen innerhalb der Rechtssphäre des Andern“ sei auch derjenige, welcher durch die gefährliche Organisation seines eigenen Rechtsbereichs 242

Kymlicka, Philosophie, S. 245. Savigny, System, Bd. I, S. 331 f. 244 Jakobs, 1. FS-Roxin, S. 799; ders., System, S. 83; Köhler, AT, S. 282; Kindhäuser, AT, § 36, Rn. 54; Pawlik, 2. FS-Roxin, S. 938; Stratenwerth, ZStW 68 (1956), 44. 245 Pawlik, Unrecht, S. 180; ders., Notstand, S. 14. 246 Otto, FS-Gössel, S. 106. 247 Jakobs, AT II, 29/14. 243

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oder die Übernahme einer bestimmten Tätigkeit die Integrität der Interessen des anderen von seiner Wirksamkeit abhängig gemacht habe und hernach diese Wirksamkeit nicht entfalte.248 Deswegen findet die Respektierungserwartung in der Rechtsordnung ihren Ausdruck nicht nur im Eingriffsverbot, sondern auch im Neutralisierungsgebot.249 Es trifft nicht zu, dass jemand, der einen anderen rechtlich erlaubt gefährdet und diese Gefährdung bei bestehender Abwendungsmöglichkeit erkennt, aus der Verantwortung für die Folgen seiner Gefährdung entlassen ist.250 Denn der freiheitstheoretische Angelpunkt der Respektierungserwartung liegt nicht darin, ausschließlich durch das Eingriffsverbot seine Adressaten zur Unterlassung zu motivieren, sondern in der Garantie, dass der andere nicht schlechter stehen soll, als er stehen würde, wenn er überhaupt nicht mit mir zusammengetroffen wäre.251 Ein auf der Figur der Rechtsperson basierendes Pflichtensystem interessiert sich primär dafür, ob die Person die anderen als Person respektiert, indem von ihrem Organisationskreis keine schädigenden Auswirkungen ausgehen; wie der Person das gelingt, z. B. dem Hundehalter durch Nicht-Loslassen, oder Zurückpfeifen des Hundes, ist ihre eigene Angelegenheit, da sie der eigene Herr ihres Organisationskreises ist.252 Die bisherige Ausführung ist allerdings noch weit entfernt von einer soliden freiheitstheoretisch-systematischen Begründung der Zuständigkeitsfiguren. Die Unzulänglichkeiten bestehen in Folgendem: Erstens ersetzt die funktionale Erklärung nicht eine diskursive Begründung. In einer die Selbstbestimmung als „geradezu natürlich erscheinende[s] Vermögen einer jeden Person“ betrachtenden Gesellschaft lässt sich die Verpflichtung als Einmischung in die „Selbstermächtigung des Individuums“253 nicht einfach mit der Notwendigkeit seitens der anderen Personen rechtfertigen; stattdessen muss „die Belastung mit Pflichten als Ausprägung der Freiheit des Verpflichteten“ begriffen werden.254 Zweitens ergibt sich daraus noch keine einheitliche Wurzel des Eingriffsverbots und des Neutralisierungsgebots, das in der Literatur regelmäßig unter dem Titel der „Garantenstellung der Unterlassungsdelikte“ diskutiert wird. Diese erwünschte einheitliche Wurzel ist nur dann überzeugend, wenn die Normadressaten selber als die maßgebliche Legitimationsinstanz eigesetzt werden: Es kommt also entscheidend darauf an, ob diese die ihnen angesonnen Pflichten vernünftigerweise nicht zurückweisen können.255 Drittens gelangen wir auf diese Weise noch zu keinem Anschlusspunkt für die Begründung des Unrechts der Beteiligung. Die blasse Behauptung, dass die Bestrafung des Beteiligten für den Schutz der fremden Selbstbestimmung erforderlich sei, schließt 248 249 250 251 252 253 254 255

Vgl. A. Merkel, Abhandlungen, S. 81 ff., 90. Jakobs, System, S. 83; Pawlik, 2. FS-Roxin, S. 939 f.; Vogel, Norm, S. 364. Otto, FS-Gössel, S. 106. Pawlik, Unrecht, S. 181. Sa´nchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 60 f. Gerhardt, Selbstbestimmung, S. 147, 427; Pawlik, Notstand, S. 11. Pawlik, Notstand, S. 11. Pawlik, ZStW 111 (1999), 348 f.

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kaum ein überzeugenderes Argument als die Verursachungstheorie in sich. Erst wenn die Beteiligung am Delikt als Verletzung der Respektierungspflicht ihre Legitimation in der Autonomie der Rechtsperson findet, lässt sich das Beteiligungsverbot gerechtfertigt in die freiheitliche Rechtsordnung einbetten. 2. Grundaxiom: Respektierungspflichten als Kosten der Organisationsfreiheit In einem am Maßstab der Freiheit als Selbstgesetzgebung orientierten Strafrechtssystem müssen die einer Rechtsperson auferlegten Zuständigkeiten als Ausprägung von deren Autonomie begründbar sein.256 Autonomie im Rechtssinne unterscheidet sich wesentlich vom ethischen Prinzip der Autonomie, auch wenn hier durchaus ein innerer Zusammenhang besteht: Im ethischen Sinne ist Autonomie die freie Unterwerfung unter das Sittengesetz, für Kant die Befolgung dieses Gesetzes um seiner selbst willen, während im rechtlichen Verständnis Autonomie im Grunde nichts anderes meint, als dass jemand sein eigener Herr ist, in Kants prägnanten Worten die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“.257Um die Respektierungspflicht freiheitstheoretisch schlüssig zu untermauern, muss man davon ausgehen, dass nicht nur das potenzielle Opfer, sondern auch der potenzielle Täter Rechtsperson ist, der innerhalb seines eigenen Organisationskreises von rechtlicher Bindung und Zwang äußerer Einwirkung frei ist. Deswegen haben die anderen Personen regelmäßig kein Recht, eigenmächtig zu kontrollieren, ob die Rechtssphäre sich in einem ungefährlichen Zustand befindet.258 Aber keine Freiheit ist kostenlos; kostenlose Freiheit ist keineswegs echte Freiheit. Sofern Handlungen in eine einheitlich mit anderen Rechtspersonen geteilte Welt einfließen, sind sie demnach sowohl notwendig als vom Einzelnen selbstbestimmte Handlungen zu verstehen wie auch als Handlungen, die einen Bezug zu anderen Menschen haben.259 Dadurch nimmt im Rahmen des auf der wechselseitig abgesteckten Freiheit beruhenden Rechtsgesetzes die Selbstbestimmung eine doppelte Bedeutung ein: Einerseits geht es um die bestätigte Freiheit des Handelnden, andererseits bei der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit seines Handelns um die Respektierung der Freiheit des anderen.260 Insofern kann man sagen, dass sich die Respektierungspflicht gleichsam als Kostenseite einer Rechnung darstellen lässt, auf deren Habenseite die Garantie von Organisationsfreiheit steht.261 Infolgedessen ist die Verpflichtung, das eigene Handeln und den eigenen Herrschaftsbereich ohne Gefahren für andere zu organisieren, die immanente Voraussetzung der wechsel256 Pawlik, ZStW 111 (1999), 348; ders., Notstand, S. 12; ähnlich Köhler, Fahrlässigkeit, S. 133 ff.; Zaczyk, Unrecht, S. 147. 257 Stratenwerth, Autonomie, S. 39; Schild, Tatherrschaftslehren, S. 53. 258 Pawlik, Unrecht, S. 183 f. 259 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 23; ders., Unrecht, S. 147. 260 Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 23. 261 Pawlik, ZStW 111 (1999), 349; ders., Verhalten, S. 128.

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seitigen Zuerkennung der Handlungsfreiheit und der Herrschaftsbefugnis über den eigenen Bereich.262 Wem dagegen die Pflicht rechtlich nicht auferlegt wird, der „kann die Freiheit nicht kosten“;263 daher werden Minderjährige und Menschen mit starken intellektuellen oder seelischen Defiziten einer mehr oder weniger weitreichenden Fremdverwaltung unterworfen.264 Es verwundert nicht, dass die hiesige Herangehensweise, aufgrund der Selbstbestimmung der abstrakten Rechtsperson die Respektierungspflicht als allgemeinen Legitimationsgrund der Strafrechtsnormen zu konzipieren, in der von der Rechtsgutslehre dominierten Strafrechtsdogmatik vielen Einwänden ausgesetzt ist. Die Einwände beziehen sich im Wesentlichen auf die folgenden Aspekte: Erstens geht es um Bedenken bezüglich der Plausibilität der Selbstbestimmung als Ausgangspunkt; zudem werden Zweifel an der daraus resultierenden Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassung geäußert; schließlich wird auf die vermeintliche Tautologie der Argumentation hingewiesen. Aus den folgenden Gründen sind diese Einwände nicht haltbar. Schünemann weist darauf hin, dass bei einem gefährlichen Hund der Angegriffene ein Eingriffsrecht nach § 228 BGB erhält; die Anerkennung des Notrechts stellt klar, dass der Angegriffene gerade nicht von der Organisation ausgeschlossen und das Primäre nicht die Neutralisierungspflicht, sondern die Herrschaft über den gefährlichen Hund ist, aus der dann erst das strafrechtliche Verbot als Erscheinungsform des „neminem laede“ folgt.265 Der Einwand basiert auf einem Missverständnis. Die Eingriffsbefugnis des Gefährdeten setzt voraus, dass der Urheber der Gefährdung selbst seiner Respektierungspflicht nicht rechtzeitig nachkommt. Die Anerkennung des Notrechts verneint nicht die prinzipielle Selbstbestimmung des Gefährdungsurhebers in seinem Organisationskreis; vielmehr bestätigt sie, dass die Selbstbestimmung niemals bedingungslos ist und die Ausschlussbefugnis die Erhaltung des gefahrlosen Zustandes voraussetzt. Und das Notrecht des Gefährdeten wird vonseiten des Urhebers der Gefahr erst als seine Duldungspflicht legitimiert, die nichts anderes als die konkrete Ausprägung der Respektierungspflicht im Fall von Gefahren darstellt, zu deren Abwendung sofort gehandelt werden muss.266 Insofern kann man sagen, dass die Neutralisierungspflicht „ihre normative Kraft erst durch die Abwehrrechte der Opfer“ erhält.267 Lehnt man dagegen wie Schünemann die Selbstbestimmung der Person von vornherein ab, gäbe es nur die Möglichkeit, zum Zwecke der Garantie eines friedlichen Zusammenlebens die Gefahrenabwehr einer – 262 Vgl. statt vieler Jakobs, AT, 7/56 ff., 28/14, 29/29 ff.; Köhler, AT, S. 219 ff.; Frisch, FSPuppe, S. 429. 263 Jakobs, System, S. 66; ders., ZStW 117 (2005), 261 ff.; ders., Schuld, S. 260 f.; Mosbacher, JR 2005, 62; Pawlik, Verhalten, S. 141. 264 Pawlik, Unrecht, S. 220, 282 f.; Ohly, Volenti, S. 77. 265 Schünemann, ZStW 126 (2014), 14. 266 Jakobs, Kommentar, S. 165; Pawlik, Unrecht, S. 237; Lesch, FS-Dahs, S. 92; Frisch, FSPuppe, S. 428 f. 267 Hoßfeld, Tun, S. 68.

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dann allerdings omnipotenten – Staatsgewalt anzuvertrauen, die eine umfassende „Herrschaft“ über das private Leben besitzt und für seine Gefahrlosigkeit einsteht; für die freiheitliche Rechtssphäre des Einzelnen, die gerade als frei von Eingriffsmöglichkeiten anderer gedacht ist, bleibt kaum noch Raum.268 Deswegen kann man feststellen, dass die Anerkennung der Selbstbestimmung der Person innerhalb eigener Handlungsspielräume, wenn auch natürlich nicht vorbehaltlos, die einzig denkbare Konzeption in einer freiheitlich verfassten Rechtsgemeinschaft ist. Es kommt im Rahmen der Respektierungspflicht darauf an, wie weit sich die Selbstbestimmung der Person erstreckt und ob die Usurpation der fremden Rechtssphäre auf die Ausübung ihrer Freiheit zurückgeführt werden kann. Solange die Verantwortung sich auf die Ausübung der Organisationsfreiheit zurückführen lässt, muss sie systematisch den Respektierungspflichten zugeordnet werden. Daher ist es nach der jeweiligen Gestaltung der Organisation zufällig und systematisch gesehen belanglos, ob schädliche Auswirkungen der Organisation auf einem Tun oder auf Unterlassung beruhen.269 Unter Berufung auf § 13 Abs. 1 StGB hält Herbertz es für nicht vertretbar, „in der Praxis auf die Unterscheidung von Tun und Unterlassen zu verzichten und so im Ergebnis die eingeschränkte Haftung für Unterlassungen zu umgehen“.270 Dieser Kritik ist leicht zu begegnen. Zuerst bedeutet die systematische Irrelevanz der Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassung nicht, dass die Bedeutung dieser Unterscheidung als Fallprüfungstechnik abgelehnt wird.271 Es liegt auf der Hand, dass eine Usurpation der fremden Rechtssphäre durch aktives Tun in den meisten Fällen einfacher festzustellen ist als die Verletzung der Garantenpflicht durch Unterlassung, da die vermeidbare Schädigung eines anderen generell verboten und die Zuständigkeit lediglich ausnahmsweise problematisch ist. Dies impliziert jedoch nicht, dass die Zurechnung beim Begehen die Existenz der Zuständigkeit nicht voraussetzt.272 Die problematischen Konstellationen beim Begehen werden üblicherweise unter dem Titel der Lehre von der objektiven Zurechnung erörtert. Zwar wird die Lehre von der objektiven Zurechnung aufgrund ihrer Gegnerschaft zu den traditionellen kausalistischen und finalistischen Modellen zumeist als strafbarkeitseinschränkend wahrgenommen; indes wirkt jedes strafbarkeitsbeschränkende Moment zugleich auch strafbarkeitsbegründend.273 Insofern wird „die eingeschränkte Haftung für Unterlassungen“ nicht umgangen, sondern umgekehrt als allgemeine Voraussetzung der Zurechnung für die Begehung und Unterlassung anerkannt und bekommt eine solide Begründung im freiheitlichen Menschenbild. Die Unterschätzung der systematischen Bedeutung der Abgrenzung 268

Vgl. Otto, AT, § 9, Rn. 23; Grünewald, Garantenpflichten, S. 136 f. Jakobs, AT 28/14; Timpe, Strafmilderungen, S. 175; Sa´nchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 52 f.; Perdomo-Torres, Garantenpflichten, S. 155 ff. 270 Herbertz, Ingerenz, S. 134. 271 Pawlik, FS-Jakobs, S. 493. 272 Jakobs, FS-Merkel, S. 641. 273 Pawlik, FS-Jakobs, S. 493; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 190 ff.; Perdomo-Torres, Garantenpflichten, S. 143 ff. 269

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der Unterlassung von der Begehung bedeutet lediglich, dass die Frage nach dem Grund für die Verpflichtung der einzelnen Rechtsperson zur Rücksichtnahme auf fremde Belange für beide Konstellationen bedeutsam ist und die Antwort auf diese Frage im Zusammenhang von Selbstbestimmung und Verantwortung gefunden werden muss. Schließlich ist der hiesige Ansatz einem Einwand unter methodischen Gesichtspunkten ausgesetzt: Der Organisationskreis ist ein „semantisches Blankett“, ein „normatives Etikett“, das nur „in zirkulärer Weise das für richtig gehaltene rechtliche Ergebnis der Erfolgszurechnung ausdrückt“.274 Die klassische Formulierung von Jakobs, es gehe bei dem Organisationskreis „um die Bildung von Verantwortungsbereichen für Gefahren, und diese Bereiche können nicht nur über Gegenstände oder Handlungen, sondern auch über die Erfolge, die es zu vermeiden gilt, definiert werden“,275 mag bei einer isolierten Betrachtung den Eindruck erwecken, dass der Organisationskreis nichts anderes als eine Paraphrase des Verantwortungsbereiches ist. Die Kritik verkennt jedoch in der Tat, dass der sogenannte Organisationskreis tatsächlich in der Personalität wurzelt und daher das Bindeglied zwischen der Freiheit und der Verantwortung darstellt. Das Grundaxiom der Respektierungspflichten lautet: Im Synallagma zur Organisationsfreiheit in der eigenen Rechtssphäre steht die Pflicht, die Sphäre in einem gefahrlosen Zustand zu halten. Es geht nicht um eine Tautologie, sondern um die Konkretisierung der Begründungsaufgabe im Rahmen der Idee der Selbstbestimmung: Damit wird die Aufgabe der Legitimation der einzelnen Verpflichtung zur Bestimmung der einzelnen Ausprägungen der Organisationsfreiheit und der damit korrespondierenden Pflichteninhalte konkretisiert. Um den Einwand schlagend zu bewältigen und hinreichende Voraussetzungen für die Begründung des Unrechts der Beteiligung zu schaffen, ist anschließend auf die konkreten Ausprägungen der Organisationsfreiheit und die ihnen korrespondierenden einzelnen Pflichteninhalte näher einzugehen. 3. Die konkreten Ausprägungen der Organisationsfreiheit Vor allem bedingt die bei liberalem Verständnis selbstverständliche alleinige Dispositionsbefugnis der freien Person über ihren eigenen Körper zwingend als Synallagma die Pflicht, für dessen gefahrlosen Zustand zu sorgen.276 Insofern ist die Haftung beim Begehen die Konsequenz der rechtlich anerkannten Handlungsfreiheit der Person in ihrem ursprünglichen Sinne. Doch darf man sich einen Organisationskreis nicht als Summe von Gütern vorstellen, die um einen beseelten Leib lagern und von diesem gelenkt werden, vielmehr besteht er aus denjenigen Rechten, die eine 274

Schünemann, Stand, S. 53 ff.; ders., GA 1995, 220 f.; Kuhlen, FS-Puppe, S. 679; Herzberg, FS-Röhl, S. 270 ff.; Brammsen (Entstehungsvoraussetzungen, S. 300 f.) formuliert eine ähnliche Kritik an den Begriffen „Handlungsspielraum“ und „Rechtssphäre“. 275 Jakobs, AT, 28/14. 276 Jakobs, Zurechnung, S. 20.

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Person konstituieren; eine Rechtsperson entsteht gleichursprünglich mit ihrem Organisationskreis.277 Die Haftung für eine eigene an sich unerlaubte tatbestandsmäßige Handlung ist nichts anderes als ein Fall von mehreren möglichen Fällen der Haftung für Auswirkungen eines Organisationskreises.278 Schünemann sieht einen angeblichen Berührungspunkt seiner Auffassung mit der auf die Organisationsfreiheit bezogenen Begründung in der „für ein Rechtsgüter schützendes Strafrecht zentrale[n] und auch von Jakobs bei seinem Verhaltensbegriff anerkannte[n] begehungsgleiche[n] Gestaltungsmacht“.279 In Bezug auf die Herrschaft der Person über den Körper bei den Begehungsdelikten weist Schünemann ausdrücklich darauf hin, dass es um eine sachlogische Struktur geht, denn wenn der Mensch nicht realiter in der Lage wäre, über seinen Körper zu gebieten, sondern als permanenter Epileptiker durchs Universum zucken würde, dann hätte auch kein Gesetzgeber oder Strafrechtstheoretiker das autonome Individuum kreieren können, sondern es würden eben nur permanente Zuckungen existieren.280 Damit drängt sich die Frage auf, ob die Selbstbestimmung sich mit Schünemanns These der „Herrschaft über eigenen Körper“ gleichsetzen lässt. Es ist vonnöten, durch eine Abgrenzung von Schünemanns Herrschaftsthese die Verantwortung beim Begehen im Rahmen des Synallagmas zwischen Selbstbestimmung und Verantwortung zu erhellen. Über jemanden zu bestimmen bedeutet, ihm die Inhalte seines Handelns vorzuschreiben und dadurch Herrschaft über ihn auszuüben.281 Die Besonderheit der Selbstbestimmung besteht darin, dass Herrschender und Beherrschter identisch sind.282 Die Person tritt im freiheitlichen Strafrecht als autonomes Individuum in Erscheinung, nicht weil sie als „eine faktische, sozial wirksame Willensmacht“283 über die eigene Bewegung verfügt, sondern weil das der Garantie der Selbstbestimmung dienende Strafrecht eine Vernünftigkeitspräsumtion beinhaltet: Die erwachsenen und geistig normal entwickelten Rechtsgenossen sprechen einander wechselseitig die Fähigkeit zu, ihr Leben führen zu können, d. h. reflektiert, aus der Einsicht in die Überzeugungskraft von Gründen, zu handeln.284 Die elementare Fähigkeit, im Gegensatz zum Epileptiker über den eigenen Körper zu gebieten, existiert als biologisches Faktum auch bei Minderjährigen, die im Strafrecht jedoch nicht als autonome Individuen qualifiziert werden. In einer Sklavenhaltergesellschaft mag ein Sklave zwar über seinen Körper im physischen Sinne gebieten, doch wird er nicht als autonomes Individuum behandelt, denn er hat keine Handlungsfreiheit und 277

Jakobs, FS-Merkel, S. 640; ders., FS-Fischer, S. 115. Jakobs, AT, 28/14, 29/29; ders., FS-Merkel, S. 639 ff. 279 Schünemann, ZStW 126 (2014), 13. 280 Schünemann, Stand, S. 76. 281 Fisch, Selbstbestimmungsrecht, S. 26; Pawlik, Normbestätigung, S. 9. 282 Fisch, Selbstbestimmungsrecht, S. 26; Gerhardt, Selbstbestimmung, S. 6; Hollerbach, Selbstbestimmung, S. 16; Stratenwerth, Autonomie, S. 39. 283 Schünemann, Stand, S. 76. 284 Pawlik, Unrecht, S. 281 f.; Gerhardt, Selbstbestimmung, S. 6. 278

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seine Handlungsinhalte werden von dem Sklavenbesitzer vorgegeben. Die Bewegung des Körpers zählt nicht unmittelbar als Freiheitsausübung.285 Wer selbstbestimmt lebt, lässt sich seine Handlungsinhalte nicht von anderen vorgeben, sondern setzt sie nach Maßgabe seiner Wertüberzeugungen und Ziele eigenständig fest.286 Daher liegt das maßgebliche Problem der Herrschaftsformel von Schünemann darin, dass nach ihr die Herrschaft nicht die Verfügungsgewalt in einer konkreten Normenordnung als institutionalisierte und legitimierte Macht bedeutet,287 sondern die Möglichkeit, etwas faktisch durchzusetzen.288 Die Rechtsperson, die in der Gestaltung der Rechtsverhältnisse verantwortlich und in Sinnbezügen agiert,289 lässt sich nicht wie bei Schünemann auf etwas Natürliches, vorrechtlich Gegebenes reduzieren.290 Da die Verantwortung sich nicht auf die faktische Steuerbarkeit des eigenen Körpers stützt, lässt sich der Zuständigkeitsbereich keineswegs physisch gegenständlich bestimmen.291 Neben der Zuständigkeit für die eigene selbstbestimmte Tatbestandsausführung der Rechtsperson bleibt noch die Möglichkeit, dass die Sicherungspflichten durch ihre Rechtsausübung und ihre Verfügung über ihr Eigentum oder durch ein bestimmtes Vorverhalten entstehen, insbesondere im Sinne der sogenannten Verkehrspflicht und Ingerenz.292 Diese Form von Verantwortung steht in einem engen Zusammenhang mit der Freiheit in heutigen modernen Gesellschaften, die sich nicht in der Handlungsfreiheit im ursprünglichen Sinne erschöpft. Auch wenn der menschliche Leib „als das primäre Zeichen der Freiheit anerkannt“ ist,293 endet eine Person, die sozial konstituiert wird, nicht an der Grenze des menschlichen Körpers; vielmehr erstreckt sie sich auch auf die außerphysische Ausstattung der Person bis hin zu der sie umgebenden sozialen Infrastruktur.294 Um real frei sein zu können, bedarf die Person einer Grundlage buchstäblich handgreiflicher Ressourcen, die ihr als ihr „Vermögen“ rechtlich zugeordnet und auch tatsächlich verfügbar sind.295 Mit den klassischen Worten von Hegel: Ein Subjekt wird erst dadurch zur

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Köhler, FS-Schroeder, S. 264 ff. Pawlik, Normbestätigung, S. 41; ders., Unrecht, S. 99 f. 287 Vgl. Krause, Art. „Herrschaft“, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. III, S. 685 ff. 288 Vgl. Vogel, Norm, S. 353. 289 Zaczyk, Unrecht, S. 197. 290 Timpe, Strafmilderungen, S. 172; Sangenstedt, Garantenstellung, S. 294; S. Walter, Pflichten, S. 52. 291 Jakobs, AT 28/14; Timpe, Strafmilderungen, S. 172 ff. 292 Jakobs, Zurechnung, S. 22; ders., AT, 29/29; Timpe, Strafmilderungen, S. 174 f.; Perdomo, Garantenpflichten, S. 164 f. 293 Borsche, Freiheit, S. 114. 294 Pawlik, Verhalten, S. 46; Jakobs, Zurechnung, S. 21; ders., AT, 25/1a ff.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 727 f.; Zaczyk, Rechtslehre, S. 30. 295 Spaemann, Personen, S. 202; Pawlik, Verhalten, S. 46 f.; Borsche, Freiheit, S. 114 f. 286

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Person, dass sie sich „eine äußere Sphäre ihrer Freiheit“ gibt,296 indem sie Sachen in Besitz nimmt und dadurch mit ihrem Willen erfüllt.297 Die Organisationsfreiheit beschränkt sich daher nicht auf die Dispositionsbefugnis der freien Person über ihren eigenen Körper; vielmehr umfassen solche Organisationskreise darüber hinaus etwa ein Grundstück, ein Haus, ein Automobil oder auch den Gebrauch von Rechten, etwa des Rechts, sich im Rahmen des Gemeinbrauchs auf öffentlichen Straßen mit einem Automobil fortzubewegen.298 Wie oben ausgeführt, beschreibt das subjektive Recht eine dreistellige Beziehung zwischen einer Rechtsperson und einer anderen Rechtsperson bezüglich eines Sachverhalts, nämlich die Nutzungsfunktion und die Ausschlussfunktion, wie es § 903 S. 1 BGB in vorbildlicher Klarheit ausspricht: „Der Eigentümer einer Sache kann […] mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Beide Funktionen kennzeichnen jedes subjektive Recht, nicht nur das Eigentum.299 Freilich ist nicht zu übersehen, dass aus der Organisation des Vermögens sowie der Ausübung der Rechte auch erhebliche Risiken für andere Rechtspersonen entstehen können. Mit der bildlichen Formulierung von Jakobs: Ein Organisationskreis wird „von sich aus“ übergriffig und greift in andere Kreise ein.300 In diesem Fall lässt sich ein freiheitlich befriedigender Lösungsweg jedoch nicht so einfach herausarbeiten wie bei der Verwirklichung der Deliktstatbestände durch Begehung. Denn bis zur Entstehung und Realisierung der Risiken mag die Ausübung der Organisationsfreiheit als solche durchaus sozialadäquat sein und es an einem subjektiven Deliktstatbestand fehlen. Es ist nicht zulässig, dem vorhergegangenen Tun nachträglich einen strafrechtlich relevanten Sinngehalt zu verleihen, der ihm weder zukommen soll noch kann.301 Wenn man dagegen die Verantwortung allein an NichtAbwendung anknüpft, die nicht mehr sozialadäquat ist und bei der der subjektive Tatbestand besteht, ist jeder Rettungsfähige strafbar. In dieser ist man mit dem typischen Dilemma in der Strafrechtsdogmatik konfrontiert, nämlich wie der Konflikt zwischen der Garantie der allgemeinen Organisationsfreiheit und dem Integritätsanspruch des Opfers behandelt werden soll. Das Dilemma erinnert uns wieder an die Berührungspunkte zwischen den Unterlassungsdelikten und der Beteiligung. Denn im Fall des gemeinsamen Handelns werden die Risiken der Unterstützungshandlung im Vorfeld erst durch den Ansatz der Tatbestandsverwirklichung realisiert. Die oben ausgeführte Ratlosigkeit des beim Begehungsdelikt entwickelten Prüfungsschemas lässt sich letztlich darauf zurückführen, dass es bei der Unterlassung und Beteiligung anspruchsvoll ist, eine gerechte gleichmäßige Zuteilung der Freiheitssphären zu bewerkstelligen. Die Erörterung der Legitimation der Unterlassungshaftung ist 296

Hegel, Grundlinien, § 41. Hegel, Grundlinien, §§ 44, 45. 298 Jakobs, Zurechnung, S. 21; Sa´nchez-Vera, Pflichtdelikt, S. 63; Timpe, Strafmilderungen, S. 174; Perdomo-Torres, S. 162 f. 299 Renzikowski, Normentheorie, 124. 300 Jakobs, Notstand, S. 181. 301 Otto, FS-Gössel, S. 100, 102. 297

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deswegen ziemlich aufschlussreich für die Begründung des Unrechts der Beteiligung. Zwei Lösungswege liegen nahe: erstens, im Hinblick auf die potenziellen Risiken dem Eigentümer die Ausschlussbefugnis ohne weiteres abzusprechen; somit dürfen die anderen zu jeder Zeit eingreifen und kontrollieren, ob das Eigentum gefahrlos bleibt. Dementsprechend würde strafrechtliche Haftung streng an pflichtwidriges Verhalten – sei es positives Tun oder Vorverhalten – geknüpft werden.302 Dies entspricht einem Zurechnungsmodell im Fall des gemeinsamen Handelns, das den Beitrag im Vorfeld als solchen schon als Unrecht konzipiert. Es liegt auf der Hand, dass der Handlungsspielraum des Einzelnen damit erheblich minimiert wäre und das subjektive Recht völlig zerstört würde.303 Zweitens, um die Organisationsfreiheit bestmöglich zu garantieren, interpretiert die Rechtsordnung die durch die Realisierung der potenziellen Risiken bewirkte Störung der fremden Organisationsfreiheit einfach als einen strafrechtlich irrelevanten Unfall. Im Fall des gemeinsamen Handelns bedeutet dies einen völligen Verzicht auf die Kriminalisierung der Teilnahme, da die Teilnahmehandlung im Vorfeld in die Rechtssphäre des Opfers noch nicht eingreift. Freilich ist eine solche Rechtsordnung unter freiheitstheoretischen Gesichtspunkten ebensowenig angebracht wie der erste Lösungsweg, da sie tatsächlich die Überdehnung einer Freiheitssphäre zulasten einer anderen erlaubt, also eine privilegierte „freiheitliche“ Lage bewirkt, was dem Grundsatz einer gleichmäßigen Zuteilung der Freiheitssphären gröblich widerspricht. Um das Spannungsverhältnis aufzulösen, ist eine raffiniertere Verantwortungsregel anstelle der beiden Lösungswege erforderlich, die einerseits die Ausschlussbefugnis des subjektiven Rechts und die Selbstbestimmung der Rechtsperson respektiert, andererseits darauf besteht, dass der Gebrauch der Freiheit nicht auf Kosten anderer gehen darf, und die Realisierung der Gefahren als strafrechtlich relevant konzipiert. Die geforderte Verantwortungsregel ist die Neutralisierungspflicht, also die Verkehrspflicht und Ingerenz, die die Anerkennung der Organisationsfreiheit mit der Verantwortung für die Realisierung der Gefahren verbindet. Dadurch wird ein Nicht-Handeln im naturalistischen Sinne als zurechenbare Pflichtverletzung interpretiert. Die Verantwortung wird damit weder einfach an das Vorverhalten, also die Ausübung der Organisationsfreiheit als solche, noch an die spätere Nicht-Abwendung als solche angeknüpft; vielmehr ist das Zentrum dieser Zurechnungsform der Zusammenhang zwischen der Ausübung der Organisationsfreiheit und der Zuständigkeit für den Eintritt des Erfolgs. Für eine Gesellschaft, die sich um die Gewährleistung eines großen Bereiches von Handlungs- und Organisationsfreiheit bemüht, ist eine solche pflichtentheoretische Struktur der Unterlassungsdelikte die denkbar optimale Konzeption. „Entscheidet sich eine Rechtsordnung, wie die unsere in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. den individuellen Grundrechten, prinzipiell dafür, den Handlungsspielraum des Einzelnen nicht von den möglicherweise schädlichen Er302 303

Otto, NJW 1974, 532; ders., FS-Gössel, S. 106. Vgl. Otto, FS-Gössel, S. 106; Grünewald, Garantenpflichten, S. 136.

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folgen her grundsätzlich eng zu halten, so kann sie sich nicht mit dem Verbot, andere durch bestimmtes positives Tun zu schädigen, begnügen, sondern muss differenziertere Verantwortungsregeln entwickeln. Sie kann gefährliche Handlungen erlauben, die – keineswegs als Störung des Soziallebens angesehen – unter der Auflage gedacht werden, sich selbständig weiterentwickelnde Rechtsgutsgefährdungen zu neutralisieren.“304 Insofern kann man sagen, dass sich die Lehre der Zuständigkeit um die Bestimmung einer ungerechten Überdehnung eines Freiheitsbereiches organisiert.305 Der hier vertretene Ansatz begegnet vor allem einer Gegenmeinung, die den Rekurs der Garantenpflichten auf die Organisationsfreiheit sowie die Existenz von Ingerenz-Garantenpflichten überhaupt bestreitet, z. B. geht es bei der Garantenpflicht nach Schünemann allein um die faktische Herrschaft. Darüber hinaus muss nach der hier vertretenen argumentativen Strategie – der zufolge der sachgerechte Anknüpfungspunkt nicht die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens, sondern die aus dem Vorverhalten resultierende Zuständigkeit ist – das Vorverhalten nicht pflichtwidrig sein.306 Dies betrifft die umstrittene Frage der Ingerenz-Garantenpflichten. Um die der Freiheitskonzeption entsprechende Verantwortungsregel der Unterlassungsdelikte solide zu untermauern, sind die Gegenmeinungen zu entkräften. Nach dem Herrschaftsansatz setzt eine begehungsgleiche Unterlassung eine aktuelle Kontrolle über den „Grund des Erfolgs“ voraus und die Garantenpflicht wird durch eine faktische Betrachtungsweise bestimmt.307 Vor allem ist der Ansatz dem Einwand ausgesetzt, dass die normative Ordnung „Recht“ die Erfolgszurechnung nicht unmittelbar auf eine faktische Herrschaftsbeziehung zu gründen vermag, denn aus einem Sein folgt kein Sollen.308 Schünemann nimmt folgenden Fall als Beispiel: Ein seinen Pitbullterrier ausführenden Hundehalter und das ein Baby spazierenfahrende Kindermädchen, die den Hund nicht zurückpfeifen bzw. das Baby nicht hochnehmen und es dadurch vom Terrier beißen lassen, werden genauso als Täter einer Körperverletzung bestraft, wie wenn sie es selbst gebissen hätten.309 Nehmen wir zwei Konstellationen an: (1) Wenn ein Tierbändiger zufällig neben dem Hund steht und eine bessere Fähigkeit als der Hundehalter besitzt, den Hund unter Kontrolle zu haben, darf man ihn dann aufgrund seiner faktischen Herrschaftsmöglichkeit betrafen? (2) Wird, wenn der Hund sich von der Leine losgerissen hat, der Hundehalter von der Garantenpflicht befreit? Bei Schünemann ist es zweckmäßig, 304

Otto, NJW 1974, 533. Vgl. Wilenmann, Freiheitsdistribution, S. 297. 306 Seelmann, in: NK, 1. Aufl., § 13, Rn. 49; Otto, NJW 1974, 534; Jakobs, Ingerenz, S. 47; Timpe, Strafmilderungen, S. 184; Pawlik, Unrecht, S. 182 f.; Perdomo-Torres, Garantenpflichten, S. 165. 307 Wie Schünemann, Unterlassungsdelikte, S. 241, generell – trotz eines gewissen Widerspruchs zu anderen Stellen – von einer „weitgehend entnormativierten“ Leitlinie spricht. 308 Herzberg, Unterlassung, S. 195; Pawlik, Unrecht, S. 159; Seelmann, GA 1989, 244; Maiwald, JuS 1981, 480; Karsten/Gaede, in: NK, 5. Aufl., § 13, Rn. 33; Vogel, Norm, S. 352. 309 Schünemann, FS-Roxin, 2011, S. 810. 305

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durch die Verpflichtung derjenigen Personen die Rechtsgüter zu bewahren, die die für die Rechtsgutsverletzung maßgebliche Handlung vornehmen bzw. die für den Erfolg maßgebliche Entscheidung treffen.310 Es geht beim Strafrecht allerdings nicht um die Optimierung des Rechtsgüterschutzes durch die Verpflichtung des sog. Herrschaftsbesitzers, sondern um die Garantie, dass jeder Bürger sein Leben nach eigener Einsicht führen kann. Die Bestrafung des Tierbändigers mag die fremden Rechtsgüter besser schützen, verletzt aber seine Freiheit beträchtlich. In der zweiten Konstellation scheint es in Bezug auf das Güterschutz wenig schädlich zu sein, den Hundehalter, der schon die Herrschaft über seinen Hund verloren hat, von der Sicherungspflicht zu befreien. Aber Schünemann verkennt, dass der Hundehalter in dieser Konstellation gerade zur Herstellung von Herrschaft verpflichtet ist, aber nicht aufgrund der schon existierenden Herrschaft.311 In einer freiheitlichen Rechtsordnung ist es unzulässig, bei der Begründung der Pflicht des Bürgers auf die aktuelle Beherrschung des zur Rechtsgutsverletzung führenden Geschehens abzustellen. Vielmehr muss die Belastung mit Pflichten als Ausprägung der Freiheit des Verpflichteten begriffen werden.312 Der Zweifel an der Einbeziehung rechtmäßiger Gefahrschaffungen in den Anwendungsbereich der Ingerenzzuständigkeit ist nicht schlüssig. In Bezug auf die Verkehrspflichten ist die Einbeziehung rechtmäßig geschaffener Gefahren tatsächlich ohnehin allgemein anerkannt.313 Begreift man zutreffend das Synallagma zwischen der Organisationsfreiheit und der Pflicht zur Einhaltung der Gefahrlosigkeit als den einheitlichen Grundsatz von Garantenpflichten, ist es grundlos, einerseits die Verkehrspflicht anzuerkennen, andererseits ein pflichtwidriges Vorverhalten zu fordern. Den Gegnern zufolge wäre es widersprüchlich, jemandem ex ante ein Tun zu gestatten und ex post dieses Tun zum Grund einer Garantenstellung zu machen, die dem folgenden Unterlassen die Qualität einer Straftat verleiht, deren Gewicht der fahrlässigen oder vorsätzlichen Verwirklichung eines Begehungsdeliktstatbestandes durch das vorangegangene Tun gleicht.314 Es geht nicht um eine Ex-ante-Zulässigkeit und eine Ex-post-Verpflichtung; vielmehr schließt die Zulässigkeit der Ausübung der Organisationsfreiheit schon die Pflicht zur Einhaltung der Gefahrlosigkeit in sich. Zudem wird folgendes Gegenargument vorgetragen: Bei der Durchführung der These führt ein durch Notwehr gerechtfertigtes Vorverhalten zur Garantenpflicht des Verteidigers, was unerträglich ist.315 Dem Einwand liegt ein falsches Verständnis der Ermittlung der Zuständigkeit zugrunde. Die Einbeziehung qualifiziert gefährlicher rechtmäßiger Gefahrschaf310 Schünemann, in: LK, § 25, Rn. 38; ders., FS-Roxin, 2011, S. 808 f.; ders., ZStW 126 (2014), 13. 311 Timpe, Strafmilderungen, S. 165; Vogel, Norm, S. 351 f. 312 Pawlik, Notstand, S. 11 f. 313 Vgl. Timpe, Strafmilderungen, S. 184; Pawlik, Unrecht, S. 183. 314 Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, AT, § 21, Rn. 72; Stein, JR 1999, 271. 315 Schünemann, Stand, S. 56.

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fungen in den Anwendungsbereich der Ingerenzzuständigkeit bedeutet auf keinen Fall, dass demjenigen, der Erlaubtes, aber Gefährliches in Gang gesetzt hat, immer eine Sicherungs- oder Rettungspflicht auferlegt wird.316 Es geht bei der Bestimmung der Garantenpflicht aufgrund des Vorverhaltens um einen normativen Zuständigkeitsverteilungsprozess im Einzelfall, in dem die vom Vorhandelnden, vom Gefährdeten und von eventuellen weiteren Beteiligten beanspruchten Verhaltensfreiheiten analysiert werden; es geht hingegen nicht um eine naturalistische Feststellung der Kausalität oder um eine pauschale Beschränkung durch die Pflicht- oder Rechtswidrigkeit des Vorhaltens.317 Erinnern wir uns an die grundlegende These – Selbstbestimmung begründet Zuständigkeit –, so liegt es auf der Hand, dass aus einem gerechtfertigten Vorverhalten grundsätzlich keine Rettungspflicht folgt, denn der Angegriffene wird zwar vom Angreifer zur Verteidigung „gezwungen“, aber nicht aufgrund seiner Selbstbestimmung. Deswegen sind die erforderliche Notwehrhandlung und die dadurch bewirkte Güterschädigung ausschließlich von dem Angreifer zu verantworten.318 Es besteht kein Widerspruch zwischen den beiden Thesen, dass eine erlaubte Gefahrschaffung eine Garantenpflicht begründen kann und dass der Verteidiger von der Pflicht zur Abwendung der drohenden Verletzungsfolgen beim Angreifer befreit wird. Es ist auch zu betonen, dass trotz der Ablehnung der Pflicht im Rahmen des Synallagmas zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dem Angegriffenen eine allgemeine Hilfspflicht nach § 323c aufzuerlegen,319 deren pflichtentheoretische Struktur sich jedoch von der Respektierungspflicht unterscheidet. Die Einbeziehung gefährlicher rechtmäßiger Gefahrschaffungen in den Anwendungsbereich der Ingerenzzuständigkeit führt nicht zur Uferlosigkeit der Zuständigkeit; vielmehr engt das Erfordernis eines rechtswidrigen Vorverhaltens die Ingerenzhaftung zu stark sein.320 Die bisherigen Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sowohl die Verantwortung für ein körperliches Verhalten als auch die für eine normative Sachherrschaft beruhen auf dem einheitlichen Grundsatz, dass die Freiheitsausübung mit der Einhaltung der Respektierungspflichten immanent verbunden ist; die Verantwortung für eine ungerechte Freiheitsüberdehnung lässt sich als Preis der Freiheit legitimieren. Daraus ergibt sich eine Anschlussmöglichkeit für die Verantwortung der Beteiligung, die nun nachfolgend untersucht wird.

316

Vgl. Seelmann, in: NK, 1. Aufl., § 13, Rn. 117; Hruschka, JuS 1979, 392. Vgl. Jakobs, Zurechnung, S. 23 f.; ders., AT, 29/40 ff.; Perdomo-Torres, Garantenpflichten, S. 165; ähnlich auch Freund, AT, § 6, Rn. 73. 318 Joerden, Strukturen, S. 77; Pawlik, Unrecht, S. 237 f.; Jakobs, System, S. 45; R. Merkel, FS-Jakobs, S. 390 f.; ders., JZ 2007, 377. 319 Übereinstimmend insoweit etwa BGHSt 23, 327, 328; Jakobs, AT, 29/43; Freund, AT, § 6, Rn. 74; Otto, FS-Gössel, S. 99, 112. 320 Jakobs, Ingerenz, S. 47. 317

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IV. Kooperationsfreiheit – die Ausprägung der Respektierungsgebote im Fall des gemeinsamen Handelns Der Versuch, durch die Untersuchung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Beteiligten und dem Opfer das Unrecht der Beteiligung herauszuarbeiten, findet sich auch in der Ausführung von Haas. Nach Haas wohnt der Teilnahme ein ähnlicher Rechtsgedanke wie dem Schikaneverbot (§ 226 BGB) inne: Da zwischen dem Inhaber einer tatbestandlich geschützten Rechtsposition und dem Anstifter oder Gehilfen ein „vorgelagertes“ Rechtsverhältnis existiert, liegt das Unrecht der Teilnahme darin, dass der Teilnehmer durch sein anstiftendes oder unterstützendes Verhalten dieses vorgelagerte Recht missachtet.321 Dieser Ansicht ist insofern zuzustimmen, als der Teilnehmer letztlich auf eine bestimmte Weise in die fremde Rechtssphäre eingreift. Aber diese Aussage allein – der Teilnehmer haftet für die Schädigung des Opfers der Haupttat, weil das Teilnahmeverhalten aufgrund des äußeren sozialkommunikativen Kontextes der konkreten Tatsituation auf die vom Recht nicht anerkannte rechtswidrige Tatbestandserfüllung gerichtet ist322 – vermag den Grund eines „vorgelagerten Rechtsverhältnisses“ nicht befriedigend zu erklären. Denn diese Behauptung schließt eine Tautologie in sich: Es gibt ein vorgelagertes Rechtsverhältnis, weil er als Teilnehmer qualifiziert wird. Allerdings lautet die zu begründende These: Weil ein Rechtsverhältnis zwischen dem Mitwirkenden und dem Opfer besteht, haftet er als Teilnehmer. Die Begründung des Rechtsverhältnisses lässt sich durch eine Beschreibung der Teilnahmehandlung nicht erledigen; vielmehr muss man die Organisationsverbindung der Beteiligten untersuchen. Durch die Ausführung der Respektierungspflicht wird das Grundaxiom bewiesen, dass die Verantwortung bei der Verletzung der Respektierungspflicht letztlich auf die freie Organisation innerhalb eigener Handlungsspielräume zurückgeführt wird, sei es eine Begehung, sei es eine Unterlassung. Zudem wird eine konkrete Verantwortungsregel in Bezug auf die Unterlassungsdelikte erklärt, nämlich dass ein Verhalten, das an sich nicht verboten ist, eine strafrechtlich relevante Zuständigkeit für späteres Geschehen begründen kann, die anstelle der Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg entscheidend für die Zurechnung ist. Werfen wir unter Berücksichtigung dieser beiden bedeutsamen Erkenntnisse wieder einen Blick auf die Beteiligungsfrage, so ergibt sich ein vielversprechender Ansatz für die Legitimation der Mitverantwortung im Fall des gemeinsamen Handelns. Solange wir die Beteiligung als Ausprägung der Organisationsfreiheit der Person erweisen können, findet die Mitverantwortung als Preis der Freiheitsausübung ihren Platz in der freiheitlichen Rechtsordnung. Die grundlegende Formel der Beteiligung lautet: Wer seine Organisation mit der der anderen verbindet, der muss sich gefallen lassen, dass ihm die Tatbestandsverwirklichung der anderen als eigene zugerechnet wird.323 321

Haas, Tatherrschaft, S. 134 ff. Haas, Tatherrschaft, S. 137. 323 Vgl. Jakobs, FS-Lampe, S. 568; Lesch, Beihilfe, S. 264 f.; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644 f. 322

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Nach der hiesigen Begründungsstrategie wird zuerst die akzessorische Zurechnungsstruktur der Teilnahme durch die Ablehnung der Tauglichkeit der einzelnen Unterstützungshandlung als Zurechnungsobjekt unter freiheitstheoretischen Gesichtspunkten erhellt. Sodann wird in Anlehnung an das Verantwortungsmodell der Unterlassungsdelikte die These untermauert: Das Teilnahmeverhalten an sich bildet zwar kein eigenständiges Unrecht, vermag aber die Zuständigkeit für die fremdhändige Tatbestandsausführung zu begründen.324 Damit beschafft die Beteiligung als Zuständigkeit für fremdhändiger Ausführung ihre freiheitstheoretische Möglichkeit. 1. Zuständigkeit für die Tatbestandsverwirklichung Strafrechtliche Zurechnung beschränkt sich nicht auf die Feststellung eines individuellen Verhältnisses des Täters zur Norm; vielmehr handelt es sich bei ihr um die Frage, „was als Rechtsverletzung in wessen Verantwortung fällt“.325 Im Zentrum der Begründung des Unrechts der Beteiligung steht nicht wie in der h. M. der Streit zwischen einem selbständigen Unrecht der Teilnahme und der Ableitung des Unrechts vom Unrecht der Tätertat,326 sondern eine Zurechnungsfrage. Der Zurechnungsbegriff stellt also einen dreistelligen Relationsbegriff dar: Ein Zurechnungssubjekt wird mit einem bestimmten Sachverhalt in spezifischer Weise verbunden; dazu bedarf es einer Verknüpfungsregel,327 also was aus welchem Grund wem zugerechnet wird. Im Rahmen der verbreiteten Verursachungstheorie wird eine Teilnahmehandlung dem Teilnehmer zugerechnet, weil ein kausaler Zusammenhang zwischen der Teilnahmehandlung und der Rechtsgutsbeeinträchtigung besteht. Wenn wir mit den oben ausgeführten freiheitstheoretischen Erkenntnissen das Verursachungsmodell reflektieren, sind seine Defizite auffällig. Vor allem geht es um die Verkennung des Zurechnungsobjekts. Durch die Bewältigung der Defizite wird die Beteiligungsfrage erst angemessen gestellt, und zwar als Zuständigkeit für die fremdhändige Tatbestandsausführung. Zuerst ist zu erkennen, dass in einer freiheitlichen Rechtsordnung die Tatbestandsverwirklichung das einzig taugliche Zurechnungsobjekt sein kann, nicht der einzelne Beitrag des Beteiligten als solcher. Wenn der Täter gemäß der Freiheitstheorie nicht als bloßer Rechtsgutsfeind, sondern als Rechtsperson betrachtet wird, die ihre eigene Rechtssphäre frei von Eingriffen organisiert, ist die Annahme der Teilnahmehandlung als Gegenstand der strafrechtlichen Zurechnung schlechthin fragwürdig. Denn im Fall der Alleintäterschaft gehören typische Unterstützungshandlungen – wie das Besorgen von Waffen, das Schaffen einer für Deliktsvornahme

324

275. 325 326 327

Vgl. Jakobs, GA 1996, 259; ders., Theorie, S. 18 und passim; Kindhäuser, NStZ 1997, Müssig, ZStW 115 (2003), 232; Pawlik, Unrecht, S. 215. Solche Fragestellung siehe statt aller Roxin, AT II, § 26, Rn. 11. Pawlik, Unrecht, S. 256; Jakobs, System, S. 15 f.; Joerden, JRE 2 (1994), 307.

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geeigneten Situation – zur grundsätzlich straflosen Vorbereitungsphase.328 Es ist unterliegt keinem Zweifel, dass im Fall der Alleintäterschaft eine solche Unterstützungshandlung in der Regel kein taugliches Zurechnungsobjekt bildet. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass man die gleiche Unterstützungshandlung an sich als Zurechnungsobjekt definiert, nur weil im Fall des gemeinsamen Handelns der Handelnde lediglich die Unterstützungshandlung vornimmt und der andere später die Tatbestände ausführt.329 Wie Jakobs nachdrücklich betonen, widersprechen jene Handlungen der Mitwirkenden, die zwar auf die Ausführung einer Straftat durch einen anderen ausgerichtet sind, aber selbst keine „mit dem materiell verstandenen Versuch beginnende Anmaßung fremder Organisation“ darstellen, nicht den betreffenden Rechtsnormen.330 Andernfalls würde das Unrecht des tatbestandlichen Verhaltens durch ein beliebig nach „vorne“ rückendes Verhalten im Vorfeld erweitert.331 Daher liegt der einzige Lösungsweg in der Begründung, dass der einzelne Beitrag einen Grund schaffen kann, die unterstützte fremdhändige Tatbestandsausführung als das Werk des einzelnen Beteiligten zuzurechnen.332 Neben der freiheitstheoretischen Unangemessenheit ist die Durchführbarkeit der Verselbständigung des Teilnahmeunrechts zweifelhaft. Das Wesen der Zurechnung besteht darin, unter Verweis auf das Bewertungsschema den Sinngehalt einer Handlung zu ermitteln. In den prägnanten Worten von Müssig geht es um eine „kommunikativ vermittelte Handlungsdeutung vor den Koordinaten der allgemeinen garantierten Verantwortungssphären“.333 Nach hiesiger Meinung besteht das kriminale Unrecht in einer Absage an die geltenden strafrechtlichen Normenordnung, die sich nicht auf der Ebene der isoliert betrachteten Einzelbeiträge ergibt.334 Weil kriminales Unrecht immer tatbestandlich vertyptes Unrecht ist, wird die konkrete Gestalt der Absage an die Normgeltung von den deliktstypisierenden Tatbestandsmerkmalen mitbestimmt. Bloy bemerkt zutreffend, dass der Tatbeitrag des Teilnehmers keiner selbständigen Beurteilung unterzogen werden kann, weil er für sich betrachtet keine Sinneinheit darstellt, sondern erst aus dem Zusammenspiel mit der Tatausführung durch den Täter die Bezüge erkennbar werden, die ein Unrechtsurteil zu tragen vermögen.335 Begehen mehrere Beteiligte gemeinsam einen Einbruchsdiebstahl und bricht einer von ihnen eine Tür auf, um den anderen Zutritt zu verschaffen, so würde eine isolierte Betrachtung seines Handelns ohne Rücksicht auf 328

Vgl. Jakobs, Theorie, 9 f.; Cornacchia, FS-Jakobs, S. 53 f. Vogel, Norm, S. 85, Fn. 146; Jakobs, Theorie, S. 17; Kindhäuser, NStZ 1997, S. 273 ff. 330 Vgl. Jakobs, Theorie, S. 11 f., 14; Lesch, Beihilfe, S. 198, 271 f.; Derksen, GA 1993, 165; Planas, FS-Sancinetti, S. 625. 331 Jakobs, Theorie, S. 13; ders., AT, 21/8a; Lesch, Beihilfe, S. 174; Planas, FS-Sancinetti, S. 625. 332 Jakobs, Theorie, S. 18; ders., AT, 21/3, 21/8a; Weezel, Beteiligung, S. 50 f.; ähnlich Bloy, Beteiligungsform, S. 172 ff. 333 Müssig, ZStW 115 (2003), 232. 334 Lesch, Beihilfe, S. 186; Orozco López, Beteiligung, S. 246. 335 Bloy, Beteiligungsform, S. 206. 329

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

den Gesamtzusammenhang das Unrecht seines Verhaltens nicht vollständig abbilden, denn isoliert betrachtet hat er eine Sachbeschädigung begangen, während in Wirklichkeit sein Verhalten einen Bestandteil des Gesamtprojekts Einbruchsdiebstahl bildet.336 Die Besonderheit bei der Beteiligung mehrerer besteht darin, dass der Blick auf das Einzelverhalten nicht das ganze Bild der im Ergebnis verwirklichten Straftat zeigt.337 Die Ablehnung des eigenständigen Unrechts der Teilnahme ist Bedenken ausgesetzt, dass sie mit § 30 StGB unvereinbar ist.338 Dieses Gegenargument ist unhaltbar, weil es eine positivgesetzliche Ausnahme unrichtigerweise zu einem Grundsatz aufwertet. Die Postulierung eines eigenständigen, originären Teilnahmeunrechts führt nicht nur zur Gutheißung der im § 30 I StGB geregelten sog. misslungenen Anstiftung zum Verbrechen; konsequent gedacht müsste sie auch auf die Anerkennung der misslungenen Anstiftung zum Vergehen sowie auf die Anerkennung der sog. misslungenen Beihilfe hinauslaufen.339 Dies würde freilich eine inflationäre Erfassung von bloßen Vorbereitungshandlungen als kriminales Unrecht in Gang setzen, die mit den Grundsätzen einer freiheitlichen Rechtsordnung nicht zu vereinbaren ist. Vielmehr trifft die herrschende Auffassung zu, die in § 30 eine selbständige Pönalisierung bestimmter Vorbereitungshandlungen sieht, die teleologisch von den Teilnahmeformen abzukoppeln ist.340 Der positivrechtliche Stand bedeutet nur, dass eine derartige Pönalisierung vor dem Tatprinzip begründungsbedürftig ist, nicht jedoch, dass die Teilnahme eigenständiges Unrecht darstellt. Gegen die These, dass die Unterstützungshandlung an sich kein kriminales Unrecht begründet, kann weiterhin der Einwand angemeldet werden, dass sie zu einer nachteiligen Situation des potenziellen Opfers führt, denn dieses ist dann nicht befugt, eine Notwehrhandlung zur Abwendung der Anstiftung oder Förderung der Haupttat auszuüben. Diese Bedenken sind leicht zu entkräften. Man muss eingestehen, dass genauso wie gegen eine Person, die einen Angriff nur vorbereitet, nicht bereits in Notwehr vorgegangen werden darf, da kein aktuell drohender Eingriff in eine fremde Organisation besteht, gleichfalls auch nicht in Notwehr gegen einen Vorfeldbeteiligten vorgegangen werden darf.341 Dies läuft auf nicht auf eine nachteilige Situation des ausersehenen Opfers hinaus, da die Notwehr nicht das einzige Rechtsinstitut des Notrechtssystems ist. Freilich ist das Opfer befugt zur Verteidigung; diese ist jedoch nach den Regeln des defensiven Notstands zu behandeln.342 336

Weißer, Täterschaft, S. 490 f. Weißer, Täterschaft, S. 492. 338 Renzikowski, Täterschaft, S. 36; Schmidhäuser, AT, 14/57; M.K. Meyer, GA 1979, 255; Plate, ZStW 84 (1972), 300. 339 Orozco López, Beteiligung, S. 183 f.; Vogel, Norm, S. 85, Fn. 146. 340 Letzgus, Beteiligung, S. 219 ff.; Bloy, Beteiligungsform, S. 181 f., 185; Samson, in: SK, Vor § 26, Rn. 23; Cramer, in: Sch/Sch, § 30, Rn. 2. 341 Jakobs, Theorie, S. 15. 342 Jakobs, AT, 12/27; ders., Theorie, S. 15. 337

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Der defensive Notstand folgt wie die Notwehr dem Prinzip der Veranlassung, d. h. derjenige muss die Kosten der Konfliktlösung tragen, der den Konflikt hervorruft.343 Im Vergleich zur anspruchsvolleren Notwehr ist im Fall des defensiven Notstands ein das Rechtsverhältnis störender Angriff nicht erforderlich, d. h. eine zulässige, jedoch gefährliche Nutzung der Organisationsfreiheit genügt schon.344 Kurzum: Das Unrecht restriktiver zu fassen, bedeutet keineswegs die Schutzlosigkeit des Opfers. Die vorliegende Darlegung überformt die Begründungsrichtung der Beteiligungsfrage durch die Rücksicht auf freiheitstheoretische Überlegungen. Die anschließende Ausführung wendet sich der Aufgabe zu, der akzessorischen Struktur der Teilnahme ein solides freiheitstheoretisches Fundament zu verschaffen und das Missverständnis zu beseitigen, dass sie mit dem Grundsatz der Selbstverantwortung unvereinbar ist. 2. Kooperationsfreiheit als Bestandteil der Organisationsfreiheit Gegen die auf Zuständigkeitsgesichtspunkten basierende Beteiligungslehre meldet Amelung die Kritik an, dass sie mit den Vorschriften der Teilnahme unvereinbar sei, denn die Vorschriften formulieren eine Verantwortung für den Erfolg der fremden Handlung, während der Begriff der „Zuständigkeiten“ auf ein „Sphärendenken“ verweise.345 Diese Kritik resultiert aus der Verkennung des Zuständigkeitsbegriffs. Es geht nicht einfach um unverbindbare Sphäre, sondern um den Verantwortungsgrund als Konsequenz der Ausübung der Organisationsfreiheit. Da regelmäßig fremdhändige Ausführung nichts zu tun hat mit meiner Organisationsfreiheit, bleiben die Verantwortungssphären unterschiedlicher Personen dementsprechend voneinander isoliert. Bei der Beteiligung liegt der Fall anders. Um die Kritik von Amelung schlüssig zu widerlegen, muss man die Verantwortung der Beteiligung ebenfalls als Konsequenz der Ausübung der Organisationsfreiheit erklären. Das Respektierungsgebot lässt sich insgesamt auf die Formel zurückführen, dass die einzelne Rechtsperson als Inhaber eines Organisationskreises andere von deren Verwaltung ausschließt und sie deshalb ihrerseits für dessen Harmlosigkeit zu sorgen hat. In diesem Zusammenhang lässt sich die zu begründende Zuständigkeit des Teilnehmers für die fremde Ausführung auf die These zurückführen, dass die Kooperationsfreiheit ein Bestandteil der Organisationsfreiheit ist. Tatsächlich findet diese These ihren Niederschlag bereits in dem allgemein anerkannten Charakter der Teilnahme, also in der quantitativen Akzessorietät. Es steht in der Literatur durchaus außer Streit, dass die strafbare Teilnahme voraussetzt, dass die Haupttat zumindest versucht worden ist; also ist die Teilnahme nur am vollen-

343 344 345

Jakobs, Kommentar, S. 145; ders., Notstand, S. 179 ff. Jakobs, Kommentar, S. 145. Amelung, FS-Grünwald, S. 16.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

deten Delikt oder bereits am Versuch des Täters möglich.346 Bei näherem Hinsehen zeigt sich doch, dass das Erfordernis des Ansetzens des Haupttäters zur Tatbestandsverwirklichung im Rahmen der am Rechtsgüterschutz ausgerichteten Strafrechtsdogmatik in der Tat weit davon entfernt ist, selbstverständlich zu sein. Geht man vom bestmöglichen Rechtsgüterschutz aus, ist die Unterstützungshandlung im Vorfeld an sich schon strafwürdig und strafbedürftig, wobei es gleichgültig ist, ob die Haupttat versucht wird. Denn es geht beim Strafrecht nach der Rechtsgutslehre stets um die Garantie der Sicherheit, also ein Präventionsparadigma, dessen rettungsloser Fehler in seiner „Maßlosigkeit“ liegt.347 Man kann nie genug und nie früh genug vorbeugen.348 Dies schließt ersichtlich einen Widerspruch in sich: Die herrschende Meinung behauptet einerseits, dass die Anstiftung und Beihilfe strafbar ist, weil die Rechtsgüter dadurch gefährdet werden, und andererseits, dass die Teilnahme bis zum Ansetzen zur Haupttat nicht strafbar ist. Denn im Hinblick auf den Rechtsgüterschutz stellt die Bestrafung des Anstifters und Gehilfen ersichtlich eine bessere Option dar, um die Gefahr für das Rechtsgut früher und effizienter zu bekämpfen. Im Rahmen eines Präventionsparadigmas entfällt folgerichtig die Notwendigkeit, dass die Bestrafung bis zur Verwirklichung der der Teilnahmehandlung innewohnenden Gefahren in der Haupttat zurückgehalten wird; ebenso wie bei den Gefährdungsdelikten kommt es nicht auf den tatsächlichen Eintritt des Verletzungserfolgs an. Kurzum: Die allgemein anerkannte quantitative Akzessorietät der Teilnahme stammt überhaupt nicht aus dem Arsenal der Argumente, die sich aus den Prinzipien des Rechtsgüterschutzes ableiten lassen, sondern muss extern beschafft werden. Wenn wir dagegen den Täter als Rechtsperson behandeln und seine Verantwortung aufgrund ihrer Selbstbestimmung begründen, stellt die quantitative Akzessorietät der Teilnahme die einzig denkbare Konzeption in einem freiheitlichen Rechtsstaat dar. Der Täter als eine Rechtsperson soll von vornherein durch sein Recht auf eine von Kontrolle freie Sphäre definiert werden. Wenn der Staat in den Privatbereich eindringt, endet die Privatheit und damit die Subjektstellung des Bürgers; ohne seinen Privatbereich ist ein Bürger überhaupt nicht vorhanden.349 „Eine im internen Bereich liegende Verhaltensabstimmung mehrerer Personen, die eo ipso keine Außenwirkung hat, sollte indes in einem freiheitlichen Staat nicht verboten werden.“350 Die Regeln der quantitativen Akzessorietät, also die für alle Beteiligten einheitliche Bestimmung des Deliktsstadiums bei Mittäterschaft und Teilnahme, lassen sich am zwangslosesten mit dem Grundsatz erklären, dass eine Arbeitsteilung 346 Statt aller, Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 4; Jakobs, AT, 22/19; Maurach/Gössel/ Zipf, AT II, § 53 II, Rn. 2. 347 Hassemer, Selbstverständnis, S. 50. 348 Pawlik, Unrecht, S. 82; näher Neumann, Feindstrafrecht, S. 307 f.; Zabel, Konflikt, S. 238 ff. 349 Jakobs, ZStW 97 (1985), 755; ders., AT, 25/1a. 350 Lesch, Beihilfe, S. 174, 199, 224, 231 f.; Jakobs, At, 21/8a, 22/6; ders., FS-Miyazawa, S. 425 f.; ders., GA 1996, S. 258 f. Für Bloy, Beteiligungsform, S. 251, liegt deshalb der Teilnehmerbeitrag als solcher außerhalb des deliktischen Geschehens.

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auf der Täterseite interne Angelegenheit der Beteiligten ist.351 Die quantitative Akzessorietät ist nichts anderes als ein Querschnitt der Selbstbestimmung des Teilnehmers. Es verwundert nicht, dass der Rückgriff auf die Organisationsfreiheit des Beteiligten dem folgenden Einwand ausgesetzt ist: „Ist die Teilnahme an sich als Privatangelegenheit unverboten, wie soll dann der Täter durch einen Beitrag, den der Teilnehmer nicht mehr beherrscht, eine vorherige private Angelegenheit in eine soziale Störung umwandeln können? Was per defintionem intern ist, kann niemand entäußern.“352 Diese Kritik verkennt, dass es bei der Bestrafung der Teilnahme nicht um eine Umwandlung der privaten Angelegenheit in eine soziale Störung geht, sondern um eine akzessorische Zurechnungsart, in deren Rahmen die Einzelbeiträge des Beteiligten seine Zuständigkeit für die Tatbestandsausführung begründen. Die Einzelbeiträge können zwar als solche kein Unrecht begründen, weil das Unrecht regelmäßig mit dem Zugriff auf eine fremde Rechtssphäre beginnt;353 sie können jedoch einen relevanten Zusammenhang mit der Tatbestandsverwirklichung begründen, so dass die Tatbestandsverwirklichung für den einzelnen Beteiligten zwar fremdhändig ist, aber auf keinen Fall fremd. Der Ausführende führt sein Werk und das Werk aller Beteiligten aus,354 agiert also als Repräsentant in „freie[r] Stellvertretung“.355 Vergegenwärtigen wir uns die Ratio der Unterlassungsdelikte, wird die Struktur der Zurechnung der Teilnahme deutlich. Isoliert gesehen ist das Vorverhalten – sei es Besitz eines Eigentums, sei es Vornahme einer gefährlichen Tat – aufgrund der Organisationsfreiheit nicht als Unrecht zurechenbar; die spätere Verwirklichung der Risiken wird als Nicht-Erfüllung seiner Garantenpflicht dem Täter zugerechnet, denn das Vorverhalten begründet die Garantenpflicht. Die pflichtentheoretische Struktur der Unterlassungsdelikte findet ihre Verkörperung in der akzessorischen Zurechnungsart der Teilnahme. Oben wurde schon ausgeführt, dass einer Rechtsordnung zwei grundverschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Handlungsspielraum der einzelnen Bürger auszugestalten: Entweder die Rechtsordnung gestaltet diesen Bereich zur Vermeidung möglicher Schäden von vornherein eng; oder aber die Rechtsordnung räumt dem einzelnen Bürger einen weiten persönlichen Entfaltungsspielraum ein, muss aber zum Ausgleich differenzierte Verantwortungsregeln entwickeln.356 Es ist einfach zu erkennen, dass im Vergleich zur Alleinausführung regelmäßig das gemeinsame Handeln weitergehende Auswirkungen verursacht, seien es positive, seien es negative. Um Schäden von vornherein bestmöglich vorzubeugen, ist ein pauschales Kooperationsverbot als erster Lösungsweg denkbar. Dies bedeutet jedoch, dass die praktische Kooperation 351 352 353 354 355 356

Jakobs, ZStW 97 (1985), 758. Renzikowski, Täterbegriff, S. 37; Sancinetti, Unrechtsbegründung, S. 293. Jakobs, Theorie, S. 1. Jakobs, FS-Lampe, S. 569; ähnlich Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645. Binding, Abhandlungen, Bd. 1, S. 253 ff., 298. Pawlik, Unrecht, S. 182; Otto, NJW 1974, 532 f.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

und Koordination zwischen den Individuen fremdem Willen und rechtlichem Zwang unterliegt. Unter Freiheitsgesichtspunkten ist diese Alternative nicht hinnehmbar.357 Die Annahme der Selbstbestimmung der Rechtsperson hat unterschiedliche konkrete Ausprägungen im einzelnen Rechtsinstitut sowie in der einzelnen Konstellation. Die Sicherungspflicht vor der Gefahrentstehung, die Neutralisierungspflicht nach der Gefahrentstehung, die Rettungspflicht nach der Verwirklichung der Gefahr und die Duldungspflicht bei Ausübung des Notwehrrechts seitens des Opfers lassen sich einheitlich auf die Selbstbestimmung des Täters zurückführen. Die Zuständigkeit für die fremdhändige Tatbestandsverwirklichung ist die Konsequenz der Organisationsfreiheit im Fall des gemeinsamen Handelns. Man darf den Grundsatz der Selbstbestimmung nicht einfach als einen statischen Zustand, muss ihn vielmehr dynamisch verstehen. Da die Leistungsfähigkeit der Selbstbestimmung bezüglich der Grenzen der Vorverlagerung der Verantwortung schon anerkannt wird, ist es logisch durchaus nachvollziehbar, dass sie als das verantwortungsbegründende Moment fungieren kann. Die Selbstbestimmung im Fall des gemeinsamen Handelns ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die Abstimmung oder Zusammenlegung der einzelnen Organisation mit derjenigen anderer Personen zum Inhalt hat. Unter Zugrundelegung des Synallagmas zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ergibt sich konsequenterweise die spezifische Form der Selbstverantwortung im Fall des gemeinsamen Handelns, nämlich dass Verantwortung für zwar fremdhändige, doch verbundene Organisationsakte zu tragen ist. Diese Verantwortungsart verstößt nicht gegen den Grundsatz der Selbstverantwortung;358 Vielmehr ist sie nichts anderes als seine konkrete Erscheinungsform im Bereich der Beteiligung. Das Prinzip der Selbstverantwortung beruht darauf, dass die Handlungsspielräume aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Rechtspersonen grundsätzlich getrennt bleiben sollen. Weil man in der Regel einen fremden Organisationskreis nicht frei gestalten darf, trägt die Rechtsperson freilich keine Verantwortung für den Output des fremden Organisationskreises. Umgekehrt kann man daraus folgern, dass die Verantwortung für den fremden Organisationskreis voraussetzt, dass eine Organisationsfreiheit im fremden Kreis rechtlich anerkannt wird (z. B. gestaltet der Vormund den Organisationskreis des Minderjährigen frei von fremdem Eingriff und trägt Verantwortung dafür) oder der fremdhändige freie Organisationsakt als eigener erfasst wird (das ist Fall der Beteiligung). Denn der Kernpunkt des Grundsatzes der Selbstverantwortung liegt nicht in der Eigenhändigkeit sowie der Beschränkung auf den eigenen Organisationskreis, sondern darin, dass die Verantwortung auf die Selbstbestimmung des Täters zurückgeführt werden muss. In den Worten von Jakobs: Das „Werk einer Person ist das Produkt ihrer Freiheit, nicht aber dasjenige der Freiheit anderer“.359 Daraus folgt eindeutig, dass 357

Vgl. Jakobs, ZStW 97 (1985), 757. A. A. vgl. Renzikowski, Täterbegriff, S. 136, der die Teilnahme als Ausnahme vom Prinzip der Selbstbestimmung definiert. 359 Jakobs, FS-Hirsch, S. 50 (Hervorhebung im Original), auch S. 53. 358

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der Grund der Mitverantwortung einzig in der Organisationsfreiheit des einzelnen Beteiligten bestehen kann. Insofern kann man sagen, dass die Zurechnung der Tatbestandsausführung zum Beteiligten gerade die Konsequenz der Respektierung seiner an der Verbindung der Organisationskreise ausgerichteten Selbstbestimmung ist. Durch die Interpretation der Beteiligung als eine Ausprägung der Organisationsfreiheit erlangt die Bestrafung des Beteiligten erst ihr freiheitstheoretisches Fundament. Die freiheitstheoretisch plausible Basis des Verantwortungsmodells im Fall des gemeinsamen Handelns liegt – nicht anders als jede Deliktsform im Rahmen der Verletzung der Respektierungspflichten – in der Selbstbestimmung des Täters bei der Organisation seiner Handlungsspielräume in Form der Verbindung der einzelnen Handlungsspielräume. Die entscheidende Frage, warum der Teilnehmer für die Schädigung des Opfers der Haupttat strafrechtlich haftet, findet ihre Antwort darin, dass ihm aufgrund seiner selbstbestimmten Verbindung der Organisationskreise die Tatbestandsausführung als sein Werk zugerechnet wird und das Schädigungsverbot sich auf die gesamte Verbindung bezieht. Dadurch erst unterscheidet sich die Bestrafung der Beteiligung an Delikten in der freiheitlichen Rechtsordnung scharf von der Sippenhaftung, die gerade die Selbstbestimmung der Rechtsperson verneint und daher freiheitstheoretisch nicht legitimiert werden kann. 3. Abgrenzung zum Regressverbot Das Ergebnis der bisherigen Überlegungen lautet, dass aufgrund der Kooperationsfreiheit des Beteiligten der Einzelne seinen Organisationskreis mit denjenigen anderer verbinden kann, so dass sich das Schädigungsverbot auf die gesamte Verbindung bezieht und die fremdhändige Ausführung ihm als sein Werk zugerechnet wird. In diesem Befund bleibt noch eine Stelle unklar, nämlich was für eine „fremdhändige Ausführung“ gefordert wird. Im Rahmen der Verursachungstheorie wird die fremdhändige Ausführung schlechthin auf eine Station der kausalen Kette reduziert. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung ist oben schon bewiesen worden. Im Gegensatz dazu betont die sognannte Regressverbotslehre die Selbstbestimmung der Haupttat und behauptet, dass die autonome „Letztverursachung“ eines tatbestandlichen Erfolgs die (täterschaftliche) Haftung jedes vorangegangenen kausalen Beitrags zur Tatbestandsverwirklichung blockiert.360 Meines Erachtens bildet die Freiheit der fremdhändigen Ausführung kein Hindernis für die Zurechnung des Handelns der Beteiligten; vielmehr macht sie gerade die Voraussetzung einer normativ gemeinsamen Organisation aus. Um die hiesige These zu vervollständigen, ist sie vom Regressverbot im Kontext der Beteiligungslehre abzugrenzen. Das Regressverbot im Kontext der Beteiligungslehre lässt sich auf Franks Erörterung des Kausalitätsbegriffs zurückführen: Es gibt „Bedingungen, die keine 360 Renzikowski, Täterbegriff, S. 73; Hruschka, ZStW 110 (1998), S. 581 ff.; Joerden, Strukturen, 30 ff., 87 f.; Selter, ARSP 97 (2011), S. 265 f., 269 f.

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Ursachen sind und demnach keine Täterhaftung begründen. Denn […] es gilt ein Regreßverbot in dem Sinne, dass Bedingungen, die jenseits einer bestimmten Stelle liegen, nicht als Ursachen angesehen werden dürfen: Keine Ursachen sind die Vorbedingungen einer Bedingung, die frei und bewusst (vorsätzlich und schuldhaft) auf [die] Herbeiführung eines Erfolges gerichtet war.“361 Frank betont die Bedeutung des Regressverbots für die Anstiftung: „Das Regreßverbot findet seine positivrechtliche Anerkennung im § 48 (StGB 1871); denn andernfalls wäre der Anstifter einfach Täter.“362 In der neueren Literatur wird das Regressverbot zum tragenden Kriterium einer Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme erklärt: Da die freie Herbeiführung einer Veränderung die Zurechnung der Verantwortung für diese Veränderung zu einem anderen Akteur hindert, tragen der Teilnehmer und Täter auf jeweils unterschiedliche Art die Verantwortung.363 Zuzustimmen ist dem Ansatz insofern, als die fremdhändige Ausführung nicht unangemessen als vom Teilnehmer „verursacht“ begriffen werden darf. Geht man zu Recht von der Gegenüberstellung von causa libera und causa naturalis aus, ist es ausgeschlossen, einen Vorgang als verursacht und zugleich als freie Handlung und damit zurechenbar zu erfassen.364 Aber das entscheidende Manko dieser Lehre vom Regressverbot liegt darin, dass sie tatsächlich auf dem Verursachungsmodell beharrt und die Zuständigkeitserwägung übersieht. Der Anstifter haftet nicht als Täter, denn – in den Worten von Hruschka – „[e]r verursacht den Taterfolg nicht so, wie der Täter den Erfolg verursacht“.365 In dieser Behauptung wird ausdrücklich vorausgesetzt, dass das Unrecht des Täters in der Verursachung des Erfolgs liegt. Die Kritik daran ist oben schon ausführlich dargelegt worden. Geht man wie die hiesige Meinung von der Zuständigkeitserwägung aus, verliert der Unterschied zwischen Anstiftung und Haupttat in Bezug auf die Verursachung des Erfolgs erheblich an Bedeutung. Daher liegt der Fehler des Regressverbots nicht in seiner Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Äquivalenztheorie,366 sondern in seiner Postulierung der Gültigkeit des Verursachungsmodells. Zwar betont Renzikowski, dass aufgrund der Trennung der Rechtssphären jeder selbst für die Konsequenzen verantwortlich ist, die sich aus der Organisation seines Rechtskreises ergeben; jedoch knüpft er unangebracht den Verantwortungsbereich an die „Folgenzuständigkeit für eigenhändige Handlung“.367 Der Sache nach kommt es bei der Trennung der Rechtssphären nicht auf den unterbrochenen Verursachungsvorgang an, sondern auf die Überlegung 361

Frank, Strafgesetzbuch, S. 14; vgl. Ling, Die Unterbrechung des Kausalzusammenhanges durch willentliches Dazwischentreten eines Dritten, 1996, S. 104. 362 Frank, Strafgesetzbuch, S. 16. 363 Vgl. Renzikowski, Täterbegriff, S. 73; Joerden, Strukturen, 30 ff., 87 f.; Selter, ARSP 97 (2011), S. 265 f., 269 f. 364 Zaczyk, FS-Kindhäuser, S. 634; Hruschka, ZStW 110 (1998), 587 f.; Renzikowski, FSPuppe, S. 211 ff.; Joerden, Strukturen, S. 35; Kindhäuser, FS-Paeffgen, S. 148. 365 Hruschka, ZStW 110 (1998), 587 f. 366 Jescheck/Weigend, AT, S. 281, Fn. 15 m. w. N. lehnt das Regressverbot deswegen ab. 367 Renzikowski, Täterbegriff, S. 71.

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der Freiheit der Rechtsperson. Also ist die Reichweite der Rechtssphäre sowie des Verantwortungsbereiches vom aktuellen Freiheitsverständnis abhängig, aber nicht von einem ungebrochenen Verursachungsvorgang. In einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern die Kooperationsfreiheit von vornherein abspricht, spielt die Eigenhändigkeit konsequenterweise eine maßgebliche Rolle für die Bestimmung des Verantwortungsbereiches. Aber das ist kaum denkbar in einer Gesellschaft, die sich darum bemüht, einen großen Bereich von Handlungs- und Organisationsfreiheit zur Verfügung zu stellen. Wenn man zutreffend das Verbrechen als Zuständigkeitswidrigkeit begreift, macht sich die Unhaltbarkeit des Regressverbots mit besonderem Nachdruck bemerkbar. Denn es ist unverständlich, wie die Zuständigkeitswidrigkeit einer Person die Zurechnung eines Erfolgs zu einer anderen sich zuständigkeitswidrig verhaltenden Person blockieren sollte, da dies dem gängigen Zurechnungsgrundsatz, dass man sich zu seiner Entlastung nicht auf zuständigkeitswidriges Verhalten berufen kann,368 widerspricht.369 Darüber hinaus erfasst eine einseitig auf der Freiheit und Selbstverantwortung der Haupttat beruhende Konzeption die Beteiligungsfrage zu pauschal und geht an der Kooperationsfreiheit des Teilnehmers vorbei. Was damit gemeint ist, lässt sich an folgenden Beispielen verdeutlichen. Fall 1: Jäger J hat sein Gewehr in seinen Schrank gelegt. B schleicht sich in J’s Haus ein und stiehlt das Gewehr. Sodann erschießt B das Opfer O; Fall 2: Jäger J lässt sein Gewehr herumliegen und gibt dem B so die Möglichkeit, es plötzlich zu ergreifen und auf O, mit dem er in eine tatsächliche Auseinandersetzung verwickelt ist, einen tödlichen Schuss abzugeben; Fall 3: Jäger J bietet B sein Gewehr für dessen auf O abzielenden Tötungsplan an. Da das Regressverbot sich ausschließlich auf die Freiheit der Haupttat konzentriert, vermag es dem Unterschied dieser drei Fälle nicht gerecht zu werden, in denen B ausnahmslos frei handelt. Der Befund, dass B autonom handelt und die Beziehung zwischen J und dem Erfolg nicht als Kausalität erfasst wird, hilft wenig bei der Ermittlung der Strafbarkeit von J. Vielmehr lautet die entscheidende Frage, aus welchem Grund und in welchem Umfang J für die Belange des O zuständig ist.370 Durch die Beantwortung dieser Frage lässt sich erst bestimmen, ob sich J zuständigkeitswidrig verhält. Sieht man die Dinge so, werden die Fälle wie folgt behandelt. Nach dem Grundsatz der Respektierungspflicht muss J als Inhaber des Gewehrs für dessen Harmlosigkeit sorgen, vor allem das Gewehr sorgfältig verwahren. Im Fall 1 wird die Ausführung des B regelmäßig nicht J zugerechnet, nicht, weil B frei handelt und damit der Regress verhindert wird, sondern weil J das Gewehr bereits sorgfältig genug verwahrt und daher sein Zuständigkeitsbereich sich nicht auf die Tat des B erstreckt. Dagegen verwahrt J im Fall 2 sein Gewehr schlecht; deshalb hindert die Autonomie des B nicht die Zurechnung zu J.371 Anders als im Fall 1 und Fall 2, in 368 369 370 371

Vgl. nur BGHSt 30, 228 (231) mit Anm. Puppe JuS 1982, S. 660; BGHSt 37, 106 (131). Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645. Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 7. Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 23; Lesch, ZStW 105 (1993), 286 f.

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denen die Zuständigkeit sich auf die spezifische Gefährlichkeit des Gewehrs bezieht, lässt sich die Zuständigkeit von J im Fall 3 auf seine Kooperationsfreiheit zurückführen. Der freie Organisationsakt von B lässt sich J als sein Werk zurechnen, denn durch die Hingabe des Gewehrs verbindet J seine Organisation mit der des B, und damit bezieht sich das Schädigungsverbot auf die gesamte Verbindung. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass konsequent umgesetzt die Annahme eines auf der freien Handlung des zuletzt Tätigen beruhenden Regressverbots zur Postulierung eines eigenständigen Teilnahmeunrechts führt und der Akzessorietät der Teilnahme nicht gerecht zu werden vermag.372 Anders als Renzikowski nimmt Joerden nicht an, dass die freie Setzung der letzten Ursachen bzw. das Regressverbot zur Postulierung eines eigenständigen Teilnehmerunrechts führen muss; vielmehr ergibt sich die Akzessorietät der Teilnahme daraus, dass die kausale Wirksamkeit der Anstiftungsoder Beihilfehandlung für den Erfolgseintritt vom Tatentschluss des direkt Verantwortlichen abhängt.373 „Denn erst der direkt Verantwortliche verleiht der Teilnahmehandlung gleichsam Form und Inhalt. Erst durch das Handeln des direkt Verantwortlichen wird etwa die Hingabe eines Messers durch den Hintermann objektiv zur Beihilfe zu einem Mord oder zur Beihilfe zum Brotschneiden.“374 Dieses Argument ist nicht überzeugend. Nimmt man die These ernst, dass die Identifizierung der (letzten) causa libera einen Regress bei der Suche nach den Verantwortlichen für einen konkreten Erfolgseintritt verbiete, könnte der Teilnehmer als jenseits des „neuen Anfangs einer Ursachenkette“ stehenden Personen nicht für den konkreten, tatbestandsmäßigen Erfolgseintritt verantwortlich gemacht werden.375 Die verbleibenden denkbaren Teilnahmekonzeptionen können ausschließlich die sein, entweder wie Renzikowski die Teilnahme als Verletzung der Gefährdungsverbote zu begreifen oder wie Schumann den Schwerpunkt auf die sog. Solidarisierung mit fremdem Unrecht zu legen. Die Gemeinsamkeit der denkbaren Konzeptionen liegt darin, dass das Teilnahmeunrecht eigenständig ist. Also wird die unerwünschte Eigenständigkeit der Teilnahme nur dann vermieden, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass aus der Freiverantwortlichkeit des zuletzt Handelnden kein Regressverbot im Sinne der Ablehnung der Zurechnung zum Teilnehmer abzuleiten ist.376 Schließlich ist zu erkennen, dass die Verantwortlichkeit des Ausführenden kein Hindernis für die Mitzuständigkeit des Teilnehmers bildet, sondern die Bedingung der Gemeinsamkeit.377 Nach Hruschka begründet die Freiheit der Haupttat nicht nur eine Exklusionsbeziehung zwischen der Täterschaft (die einen Erfolg verursacht) 372 Vgl. Schild, in: NK, 1. Aufl., Vor §§ 25 ff., Rn. 177, 308; ders., Tatherrschaftslehren, S. 54; Orozco López, Beteiligung, S. 186 f.; Lesch, Beihilfe, S. 184 f. 373 Joerden, Strukturen, S. 96 ff., 124 f. 374 Joerden, Strukturen, S. 125, Fn. 110; ähnlich vgl. Hruschka, ZStW 110 (1998), 592. 375 Orozco López, Beteiligung, S. 187 f. 376 Vgl. auch Schild, Tatherrschaftslehren, S. 54; Lesch, Beihilfe, S. 162 ff., 184 f.; Orozco López, Beteiligung, S. 187 f. 377 Jakobs, FS-Lampe, S. 568 f.; ders., GA 1996, 253 f.; Pawlik, Unrecht, S. 274 f.

B. Das System der Zuständigkeiten

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und der Teilnahme (die einen Erfolg nicht verursacht), sondern auch das Unrecht der Teilnahme.378 Aber nach der positivrechtlichen „Limitierung der Akzessorietät“ kann ein zurechnungsunfähiger Haupttäter – der unfrei handelt – trotzdem den Anknüpfungspunkt des Unrechts der Anstiftung ausmachen. Um den Konflikt zu überwinden, verzichtet Hruschka auf die zweite Implikation der Freiheit: Solange die Haupttat als factum qualifiziert werden kann, ist der Hintermann Anstifter, aber nicht mittelbarer Täter.379 Der Lösungsweg läuft tatsächlich dem Ausgangspunkt des Regressverbots zuwider. Die Freiheit einer Handlung impliziert nicht nur, dass die Handlung „aus dem Gesetz der Freiheit mit freiem Willen gewählt“380 worden ist, sondern auch, dass die Person ihre Handlung an rechtlichen Maßstäben messen und ihr Verhalten nach dieser Einsicht ausrichten konnte.381 Man spricht von der Freiheit der Haupttat im Bereich der Beteiligung nicht generell, sondern muss von ihr im strafrechtlichen Kontext sprechen. Es ist unmöglich, dass eine Tat, die zwar keine vis absoluta ist, aber auch nicht unter das Strafgesetz subsumiert wird, eine Eigenverantwortung begründet. Die Grundlosigkeit des von Hruschka vorgeschlagenen Kompromisses zeigt sich deutlicher, wenn man das Verbrechen im kommunikativen Sinne erfasst. Wird die Straftat als qualifizierte Stellungnahme gegenüber der sich in den Rechtsnormen verkörpernden Mitwirkungsforderung der Rechtsgemeinschaft erfasst, stellt sich die Beteiligung nicht als eine Kausalitätskette dar, sondern als eine gemeinsame Infragestellung der Normen. Nicht irgendein beliebiges Verhalten kann die Ablehnung der Normgeltung ausdrücken, sondern einzig die Tatbestandsverwirklichung. Infolgedessen besteht der Strafgrund der Teilnahme darin, sich fremder Stellungnahme anzuschließen. „Wie sich an jeder Diskussion zeigt, kann man die eigene Position nicht nur dadurch kundtun, dass man eine ausformulierte Stellungnahme zu dem Gegenstand des Gesprächs abgibt.“382 Durch die Anregung, Unterstützung oder Förderung eines deliktischen Geschehens drückt der Beteiligte seine Einstellung gegenüber der durch Normordnung geforderten Mitwirkungspflicht des Bürgers aus. Die Besonderheit der Beteiligung liegt darin, dass die strafrechtlich relevante Stellungnahme nur im Zusammenhang mit einer fremden, aber doch auf sie bezogenen Stellungnahme ihre vollständige Gestalt annehmen kann. „Der, dem die Zurechnung fehlt, handelt nicht“, denn sein Tun bildet keine ernstzunehmende Stellungnahme zum Geltungsanspruch der Rechtsordnung.383 Den Bedeutungsgehalt einer Absage an die Mitwirkungspflicht als Bürger besitzt ein Verhalten im Fall der Beteiligung nur dann, wenn auch die in Bezug genommene Tat 378

Hruschka, ZStW 110 (1998), 592, 604. Hruschka, ZStW 110 (1998), 604. 380 Kant, Metaphysik der Sitten Vigilantius, AA Bd. 27/2, S. 561. 381 Renzikowski, Täterbegriff, S. 72; Joerden, Strukturen, S. 31 ff.; Hruschka, Strafrecht, S. 364 ff. 382 Pawlik, FS-Otto, S. 152. 383 Jakobs, GA 1996, 253 f.; Pawlik, Unrecht, S. 291. 379

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ihrerseits eine solche Zurückweisung zum Ausdruck bringt.384 Es ist durchaus undenkbar, dass eine Stellungnahme an eine bloße Tatsache anschließt. In den Worten von Jakobs „ist die Beteiligung an einer nur rechtswidrigen, nicht aber schuldhaften Tat eine Beteiligung an einem eben nicht sinnhaften, sondern natürlichen Vorgang“.385 Durch die Unterstützung des Tötungsplans eines anderen drückt der Beteiligte aus, dass er sich dessen Ablehnung der Normverfolgung anschließt, aber nicht, dass er sich der Tatsache – nämlich dass er den Tod verursacht – anschließt, was auch sprachlogisch unverständlich ist. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die aus der Organisationsfreiheit resultierende Verbindung der Organisationskreise vom Regressverbot nicht betroffen ist. Nicht anders als der Ausführende verletzt jeder Beteiligte seine Respektierungspflicht gegenüber dem Opfer.

C. Konstruktive Erfassung der Verbindung mehrerer Organisationskreise Die bisherigen Überlegungen beschäftigen sich im Wesentlichen mit der freiheitstheoretischen Möglichkeit der Haftung für die Beteiligung. Nun muss die Verbindung mehrerer Organisationskreise konstruktiv erfasst werden. Die Stoßrichtung, das Unrecht der Beteiligung in der autonomen Verbindung der Rechtskreise zu konzipieren, ist keineswegs neu. Kindhäuser und Haas haben sie mit der Bezeichnung „Repräsentanzgedanke“ als Grund der mittäterschaftlichen Haftung in wesentlichen Zügen vorweggenommen. Daher wird nun auf den Repräsentanzgedanken eingegangen und bewiesen, dass die autonome Verbindung der Organisationskreise nicht nur die mittäterschaftliche Haftung erklärt, sondern auch das Unrecht der Teilnahme im engen Sinne. Sodann wird der Repräsentanzgedanke durch die Lösung einiger konkreter Fragen im Bereich der Teilnahme in die Zuständigkeitslehre eingebettet.

I. Repräsentanzgedanke Die Auffassungen von Kindhäuser und Haas sind bezüglich der folgenden vier Punkte grundsätzlich übereinstimmend: Erstens halten beide die Ableitung des Regressverbots aus dem Autonomieprinzip im Bereich der Beteiligung für unschlüssig und eine autonome Verbindung der Rechtskreise für möglich.386 Zweitens beruht die mittäterschaftliche Haftung auf wechselseitiger Repräsentanz: Jeder der 384 385 386

Pawlik, FS-Otto, S. 152. Jakobs, GA 1996, 253; v. Weezel, Beteiligung, S. 208. Haas, Tatherrschaft, S. 31; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 644.

C. Konstruktive Erfassung der Verbindung mehrerer Organisationskreise

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Beteiligten muss durch sein Verhalten zugleich ein eigenes und ein fremdes „Geschäft“ besorgen, also zugleich „eigen- und fremdhändig“ handeln;387 mit der Folge, dass das fragliche Verhalten auch als eigener Organisationsakt des nicht eigenhändig Agierenden anzusehen ist.388 Also muss ein und dasselbe Verhalten eine zuständigkeitsbegründende Doppelwirkung entfalten.389 Drittens greifen sie in Bezug auf den faktischen Grund für die wechselseitige Repräsentanz auf den gemeinsamen Tatentschluss zurück: Der qualitative Sprung zur Verantwortung für fremdes Handeln als eigenes erfolgt erst, wenn die jeweiligen Einzelhandlungen koordiniert und – aufgrund eines gemeinsamen und zumindest konkludent erklärten Tatentschlusses – in ein gemeinsames Deutungsschema aller Akteure eingebunden werden.390 Viertens befürworten sie eine qualitative Differenz zwischen (Mit-)Täterschaft und Teilnahme und wenden den Repräsentanzgedanken nicht auf die Teilnahme im engen Sinne an.391 Im Vergleich zu den heute herrschenden Begründungansätzen für die Zurechnung der fremdhändigen Deliktsausführung, nämlich der Verursachungstheorie für die Teilnahme und der Tatherrschaftslehre für die Mittäterschaft, kommt dem Repräsentanzgedanken eine erhebliche positive Bedeutung zu. Diese Ansicht geht von der Zuständigkeitsverteilung aus und bietet die Möglichkeit, die Beteiligungszurechnung an den Grundgedanken der Zuständigkeitsverteilung anzuknüpfen. Kindhäuser hat treffend darauf hingewiesen, dass es bei der objektiven Zurechnung nicht nur um ein Verbindungselement von Verhalten und Erfolg durch eine Begrenzung des tatbestandsrelevanten Kausalzusammenhangs auf sozial inadäquate und generell unerlaubte gefährliche Verhaltensweisen geht, sondern zugleich um einen Bezugspunkt der Zuweisung oder Abgrenzung von Zuständigkeitsbereichen.392 Insoweit können mehrere Personen – aus gegebenfalls unterschiedlichen Gründen – für ein Risiko und den hieraus resultierenden Erfolg zuständig sein.393 Diese Begründungsrichtung, dass jedes Beteiligungsverhalten eine zuständigkeitsbegründende Doppelwirkung hat, ist aussichtsreich, weil sie das Selbstverantwortungsprinzip von der Eigenhändigkeit der Ausführung und der Kausalität des eigenen Tatbeitrags für den Erfolg zu befreien vermag. Dies bringt die Möglichkeit mit sich, dass ein selbstverletzender notwendiger Beteiligter straflos ist, und zwar nicht wie nach h. M., weil er durch seine eigenhändige Mitwirkung die Beeinträchtigung eines ihm gegenüber ungeschützten Rechtsguts verursacht, sondern weil eine fremde Ausführung ihn prä387

Vgl. Nagler, Teilnahme, S. 78 f.; Küper, Versuchsbeginn, S. 17 ff. und passim. Haas, Tatherrschaft, S. 113; ders., ZStW 119 (2007), 534. 389 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645. 390 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 650; ders., FS-Rudolphi, S. 142; Haas, Tatherrschaft, S. 113; ders., ZStW 119 (2007), 534. 391 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 650 ff.; Haas, Tatherrschaft, 130 ff.; ders., ZStW 119 (2007), 542. 392 Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 140; ähnlich vgl. auch Müssig, ZStW 115 (2003), 232; Pawlik, Unrecht, S. 215. 393 Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 140. 388

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sentiert und in seinen Organisationskreis fällt, womit eine scheinbare Beteiligung in sein Internum verwandelt wird. Wenn die Zuständigkeit des Teilnehmers für die Ausführung des Haupttäters gerade der Sinngehalt der Akzessorietät der Teilnahme ist, braucht man nicht mehr das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs heranzuziehen, um die Konsequenz des gängig verstandenen Akzessorietätsprinzips zu korrigieren. 1. Die Denkmöglichkeit der Verbindung der Organisationskreise Kindhäusers394 Begründungsstrategie startet mit einer Analyse des Rechtsinstituts der Einwilligung, der zufolge die Selbstverantwortung die Verantwortlichkeit anderer völlig abschneidet, wenn durch das fragliche andere Verhalten eine höchstpersönliche Disposition (über das eigene Leben und den eigenen Körper) realisiert wird. Er versucht zuerst die Möglichkeit zu beweisen, dass sich ein Verhalten vollkommen in einen fremden Handlungsspielraum integrieren kann: Wenn A dem B die Haare schneidet, weil dieser ihn darum gebeten hat, dann sperrt die Entscheidung des B die Zurechenbarkeit des Haareschneidens als schuldhafte Körperverletzung zu A, wenn dieser sich bei seinem Handeln objektiv und subjektiv in den von B vorgegebenen Bahnen bewegt. Das Verhalten des A ist in dieser Konstellation normativ ein Handeln des B und in dieser Eigenschaft tatbestandslos. Und umgekehrt ist es für B normativ gleich, ob er sich selbst die Haare schneidet oder sie sich von A schneiden lässt. Anders formuliert: Die Tatbestandslosigkeit von B’s Verhalten stützt sich nach Kindhäuser darauf, dass sein Verhalten wegen A’s autonomer Entscheidung in A’s Handlungsspielraum integriert ist. Die tatbestandliche Invisibilität von B’s Verhalten wird in zwei Schritten begründet: Zuerst geht es um die Zuständigkeitsverbindung – diese bestimmt, wie fremde Ausführung und ihr Erfolg in den eigenen Zuständigkeitsbereich fallen; auf zweiter Stufe betrifft dies die vorrangige Zuständigkeit des Einwilligenden, die nämlich einem schon als Selbstbeeinträchtigung angenommenen Ereignis den Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote abspricht.395 Auf der Basis solcher Zurechnungsgrundsätze gelangt Kindhäuser zu dem Erstrecht-Schluss, dass ein Verhalten erst recht zugleich als eigenes und fremdes angesehen werden kann, wenn es zugleich eigener und fremder Organisation dient: Können Handlungen durch autonome Entscheidungen autonomer Personen zugleich ihren jeweiligen Organisationskreisen zugerechnet werden, so steht nichts im Wege, diesen Gedanken auch auf den mittäterschaftlichen Normbruch anzuwenden.396 Der Ausgangssatz dieses Erst-recht-Schlusses speist sich aus der Rekonstruktion des Rechtsinstituts der Einwilligung im Licht der objektiven Zurechnung.397 Dieser Auffassung ist hier zuzustimmen. Denn sie ist in zweierlei Hinsicht vorzugswürdig: 394 395 396 397

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645 f. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 646, Fn. 55. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645 f. Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 140.

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Zum einen beschränkt sich der Zurechnungsgegenstand im Fall der Beteiligung nicht mehr auf die eigenhändige Mitwirkung des Beteiligten, sondern betrifft die gesamte Ausführung in ihrer konkreten Gestalt – dadurch wird die Tatbestandsbestimmtheit garantiert, denn nicht jede beliebige Mitwirkungstat taugt als Objekt der strafrechtlichen Zurechnung. Zum anderen spielt demgemäß die Autonomie der Person anstelle der Herbeiführung oder der faktischen Herrschaft über die Herbeiführung der Rechtsgutsbeeinträchtigung als Grundgedanke eine tragende Rolle für die Zurechnungsregel der Beteiligung – dadurch entspricht das Zurechnungsmodell im Fall des gemeinsamen Handelns dem allgemein anerkannten Menschenbild, dem zufolge der Mensch ein Subjekt der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung ist. Jüngst hat Kindhäuser398 jedoch seine Position im Anschluss an Man˜alich399 gewissermaßen verändert: Die Einwilligung sei keine Zurechnungsregel, die in vollem Umfang die Verantwortung für ein Verhalten von einer Person auf eine andere verschiebe, sondern ein Normaufhebungsgrund. Demgemäß kann die mangelnde Relevanz des Unterschieds, ob B sich selbst die Haare schneidet oder sie von A schneiden lässt, nicht darin liegen, dass die Verantwortung für das Haareschneiden wegen B’s Einwilligung auf A übergeht, sondern liegt darin, dass die Einwilligung es A gestattet, die Haare zu schneiden. Die Schwierigkeit der Konstruktion des Rechtsinstituts der Einwilligung im Licht der objektiven Zurechnung liegt nach Man˜alich darin, dass man damit nicht zu erklären vermag, weshalb die Zuständigkeit des Einwilligenden für die jeweilige Rechtsgutsverletzung einseitig begründet sein soll, so dass keine gleichzeitige Begründung einer entsprechenden Zuständigkeit des anderen Beteiligten anzunehmen wäre; denn eine einseitige Begründung von Zuständigkeit widerspricht dem Zurechnungsprinzip der Mittäterschaft, zumindest wenn es als ein Prinzip wechselseitiger Repräsentanz dargestellt wird, woraus die „zuständigkeitsbegründende Doppelwirkung“ jedes einzelnen Handelns folgt.400 Bezüglich der Befreiung des Selbstverantwortungsprinzips von der Eigenhändigkeit teilen die Rechtsinstitute der Einwilligung und Beteiligung nach hiesiger Meinung einen identischen Grundgedanken. Der Einwand gegen die Einwilligung als Zurechnungsregel ist aus den folgenden Gründen nicht überzeugend. Erstens ist es, da Normen hoheitlich erlassen werden, kaum nachvollziehbar, warum die Einwilligung des Einzelnen die Geltung der Normen sollte aufheben können. Der Sache nach hängt die Antwort auf die Frage, ob die Einwilligung eine Zurechnungsregel oder ein Normaufhebungsgrund ist, von dem Verständnis der Normen ab. Wenn man das Verbot der Verletzung ohne weiteres als „Du sollst einen anderen nicht verletzen“ erfasst, scheint es beim Rechtsinstitut der Einwilligung gleichsam ein Bedürfnis nach Aufhebung der Normen zu geben. Aber sobald man die Zuständigkeitserwägung in das Verständnis der Normen integriert, ist mit dem Verletzungsverbot tatsächlich ein Verbot der Zuständigkeit für die Verletzung ge398 399 400

Kindhäuser, GA 2010, 501 ff.; ders., FS-Maiwald, S. 412 ff. Man˜alich, Nötigung, S. 80 ff. Man˜alich, Nötigung, S. 120.

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meint. Infolgedessen gibt es keine Norm aufzuheben, da die Einwilligung die vorrangige Zuständigkeit des Opfers erzeugt und es keine Normwidrigkeit gibt, die dem Ausführenden zugerechnet werden muss. Das scheinbare Bedürfnis nach der Aufhebung der Normen stammt aus einem unangemessen engen Verständnis der Normen. Wenn man das von der Zuständigkeitserwägung isolierte Verständnis der Norm konsequent durchführt, stellt die Beteiligung einen Normerweiterungsgrund dar, was jedoch keine Zustimmung bei Kindhäuser findet. Zweitens fehlt, wenn man die Einwilligung als Zurechnungsregel ablehnt, nach der Begründungsstrategie von Kindhäuser das Fundament der Mittäterschaft als wechselseitiger Repräsentanz. Denn danach ist Mittäterschaft gerade der Erst-rechtSchluss von den im Rechtsinstitut der Einwilligung anerkannten Zurechnungsgrundsätzen. Es ist unstimmig, einerseits den Ausgangssatz des Erst-recht-Schlusses abzulehnen, andererseits die Konsequenz als solche weiter zu befürworten. Um den Repräsentanzgedanken als Legitimation der Mittäterschaft unberührt zu erhalten, weist Kindhäuser auf einen Unterschied zwischen Einwilligung und Mittäterschaft hin: Das Strafrecht sieht zwar bei der Mittäterschaft die Möglichkeit der Verantwortung für fremdes Verhalten vor, kennt aber nicht den Grundsatz, dass bereits begründete Verantwortlichkeit befreiend von einer Person auf eine andere übertragen werden kann.401 Es ist allerdings nicht einzusehen, warum es in seinem Aufsatz zur Mittäterschaft und zur Einwilligung darum geht, dass „ein Verhalten […] in einen fremden Handlungsspielraum integriert“ wird,402 während in den jüngsten Aufsätze diese schon anerkannte Zurechnungsregel dahingehend umformuliert wird, dass die Einwilligung „in vollem Umfang die Verantwortung für ein Verhalten von einer Person auf eine andere verschiebt“.403 Damit drängt sich die Frage auf, ob „denn im Fall einer wirksamen Einwilligung jemals eine eigenständige Handlungsverantwortlichkeit des Ausführenden begründet worden“ ist.404 Im Fall einer wirksamen Einwilligung beruht tatsächlich die Entlastung des Dritten nicht auf der Verschiebung seiner bereits begründeten Verantwortlichkeit auf das Opfer, sondern darauf, dass sein Verhalten der Autonomie des Rechtskreisinhabers unterliegt und deswegen ebenso wie Selbstbeschädigung rechtlich als freiverantwortliches Internum des Verletzten bewertet wird.405 Also wird von Anfang an keine zu verschiebende Verantwortung für den Handelnden begründet. Drittens lässt sich der vermeintliche Widerspruch zwischen der wechselseitigen Zurechnung der Mittäterschaft und der einseitigen Übernahme des Einwilligenden unschwer beseitigen, sobald man erkennt, dass sich die Entlastung des Ausführenden im Fall einer wirksamen Einwilligung nicht auf „Nicht-Zuständigkeit“ stützt, sondern auf „Zuständigkeit für nichts“. Denn die vorrangige Zuständigkeit für die 401 402 403 404 405

Kindhäuser, GA 2010, S. 501 ff.; ders., FS-Maiwald, S. 412 ff. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645 f.; ders., FS-Rudolphi, S. 139 f. Kindhäuser, GA 2010, S. 501 ff.; ders., FS-Maiwald, S. 412 ff. Pawlik, Unrecht, S. 221, Fn. 428; Jakobs, AT, 7/112. Pawlik, Unrecht, S. 220 ff.

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Selbstbeschädigung schließt im Fall einer wirksamen Einwilligung die Haftung des Ausführenden aus.406 In seinem früheren Aufsatz sieht Kindhäuser die Einwilligung und die mittelbare Täterschaft als zwei spiegelbildliche Konstruktionen: „Bei der Einwilligung handelt der Täter fremdhändig für den Verletzten, bei der mittelbaren Täterschaft agiert der Verletzte fremdhändig für den Täter.“407 Diese These verkennt den bedeutsamen Unterschied, dass der Ausführende im Fall einer wirksamen Einwilligung wegen „Zuständigkeit für nichts“ entlastet wird, während der Tatmittler wegen „Nicht-Zuständigkeit“ von der strafrechtlichen Verantwortung befreit wird. Die spiegelbildliche Konstruktion der Einwilligung ist nicht die mittelbare Täterschaft, sondern die Anstiftung. Der Ausführende als zurechnungsfähige Person, die an einer Organisationseinheit teilnimmt, mag freilich dafür mitzuständig sein. Aber die Organisationseinheit stellt im Fall einer wirksamen Einwilligung keinen Anknüpfungspunkt strafrechtlicher Verbote dar. Daher ist die „Mitzuständigkeit“ des Ausführenden schließlich unsichtbar. Solange eine wirksame Einwilligung fehlt, liegt die Zuständigkeit des Ausführenden auf der Hand. Viertens lässt sich die Ablehnung der Einwilligung als Zurechnungsregel auf ein unangemessen verkürztes Verständnis der Autonomie der Person zurückführen. Die Selbstbestimmung bedeutet eine Verschränkung von Zuweisungsgehalt und Ausschlussfunktion, die nicht nur den Handlungsraum personaler Freiheit als Bedingung der Möglichkeit einer kommunikativen (Selbst-)Darstellung als Person definiert, sondern auch einen Bereich vorrangiger Zuständigkeit und personaler (Eigen-) Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Organisationskreises kennzeichnet.408 Nach Man˜alich ist jedoch die bloße Tatsache, dass das Verhalten einer Person dem Interesse einer anderen Person angesichts der Verfügung über eigene Rechtsgüter dient, noch kein Grund, es dem ersten nicht als eigene Handlung zuzurechnen.409 In der Tat führt nicht „eine autonome Entscheidung zur Tatbestandslosigkeit fremden Handelns“.410 Denn die „Entscheidung“ kann sich auf eine Fremdverletzung oder eine Selbstverletzung richten. Vielmehr begründen die beiden Elemente der Autonomie der Person – zum einen die eigene Zwecksetzung des Einwilligenden, bei der nämlich die Zweckverfolgung keinem anderen anheimgestellt werden darf, zum anderen die eigenverantwortliche Selbstschädigung – zusammen die Straflosigkeit der Organisationseinheit, freilich inklusive des Ausführenden.411 Die doppelten Konsequenzen der Selbstbestimmung werden bei Kindhäuser und Man˜alich übersehen. Die These, dass eine einwilligungsgetragene Fremdschädigung eine Identität von Selbstschädigung darstellt, schließt die beiden Angelpunkte der Autonomie in sich, zum einen „Identität“, zum anderen „Selbstschädigung“. 406 407 408 409 410 411

Neumann, JA 1987, 248 f.; Müssig, Mord, S. 349. Kindhäuser, FS-Rudolphi, S. 148. Müssig, Mord, S. 346; Pawlik, Unrecht, S. 216. Man˜alich, Nötigung, S. 122. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 645. Müssig, Mord, S. 347.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Aus den gegensätzlichen Rechtsfolgen der Einwilligung und Beteiligung ergibt sich nicht der Befund, dass sie nicht beide derselben grundlegenden Verhaltenszurechnungsregel folgen. Im Vergleich zur eigenhändigen Fremd- wie auch Selbstverletzung ist der Sachverhalt der Einwilligung dadurch ausgezeichnet, dass die Organisationsgestaltung als koordinierte im Mehr-Personen-Verhältnis erfolgt.412 Deswegen geht es bei der materiellen Gestalt der Einwilligung um die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Einwilligendem und Eingreifendem, d. h. um eine interpersonelle Haftungsbegründung und -abgrenzung.413 Dementsprechend liegt der Schwerpunkt des Rechtsinstituts der Beteiligung nicht in der Verursachung oder Herrschaft über die Verursachung des tatbestandlichen Erfolgs, sondern in der Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen Beteiligten. Die Verantwortungszuschreibung zu den organisatorisch verbundenen Personen erhält eine jeweils unterschiedliche Qualität, je nachdem ob einerseits für alle Beteiligten das Geschehen als Fremdverletzung oder andererseits es für einen der Beteiligten nur als Selbstverletzung zu verstehen ist.414 Darin liegt erst der Unterschied zwischen dem Rechtsinstitut der Einwilligung und dem der Beteiligung. Bezüglich der Problematik der Beteiligung lässt sich der Befund aus dem Institut der Einwilligung folgern: Der entscheidende Punkt für strafrechtliche Zurechnung liegt nicht darin, dass man ausschließlich für sein eigenes Verhalten zuständig ist; unter bestimmten Voraussetzungen kann man für eine fremde Handlung als eigenes Werk Verantwortung tragen. Im Beispiel des Haareschneidens überlässt B dem A nicht sein höchstpersönliches Gut zu A’s beliebiger Verfügung, sondern betreibt seine eigene Angelegenheit über A, denn B bestimmt selbst, was der Zweck und wie dieser zu verfolgen ist.415 Bei einem Haarschnitt oder einer Tötung auf Verlangen kommt es nicht auf die Eigenhändigkeit an, sondern auf die Verfolgung eigener Zwecke. Infolgedessen ist der einzige Unterschied zwischen Selbsttötung und Tötung auf Verlangen derjenige zwischen eigenhändiger und arbeitsteiliger Zweckverfolgung.416 Dieser Befund ist bedeutsam für den qualitativen Sprung von der Verantwortung nur für eigenes Handeln zur Verantwortung für fremdes Handeln als eigenes. 2. Repräsentanzgedanke als Sondergut der Mittäterschaft? Warum soll nicht auch dem Teilnehmer das vollverantwortliche Handeln des Haupttäters im Sine eines „auch-fremden Geschäfts“ zugerechnet werden können? Kindhäuser antwortet unter Verweis auf seine Definition der Mittäterschaft, durch die er das Regressverbot nur in bestimmter Hinsicht aushebelt: Damit das freiver412 413 414 415 416

Müssig, Mord, S. 347. Müssig, Mord, S. 345, 347. Müssig, Mord, S. 348. Vgl. Jakobs, Tötung, S. 15 f.; Müssig, Mord, S. 356. Vgl. Jakobs, Tötung, S. 15 f.

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antwortliche eigenhändige Handeln zugleich auch als fremdes gilt, bedarf es eines kongruenten, wechselseitig für verbindlich gehaltenen Deutungsschemas aller Beteiligten für die Konstituierung des Gesamtrisikos.417 Die wechselseitige Erwartung, das gemeinsame Deutungsmuster sei für jeden der Beteiligten verbindlich, macht jeden der Beiträge zu einem zugleich „eigen- und fremdhändigen“, also zu einer Handlung zugleich eigener und fremder Organisation.418 Demgegenüber bindet der Beitrag des Teilnehmers den Täter gerade nicht nach Maßgabe eines solchen gemeinsamen Deutungsschemas, dem zufolge das Unterlassen des Täterhandelns als Enttäuschung einer vom Täter anerkannten Erwartung des Teilnehmers zu verstehen wäre.419 Dieses Argument ist nicht überzeugend. Denn auch und insbesondere für die Anstiftung ist es doch charakteristisch, dass der Anstifter durch Äußerung eines „sanktionsträchtigen Appells“ die enttäuschungsfeste Erwartung zum Ausdruck bringt, die Haupttat solle begangen werden;420 und nicht selten verhält es sich sogar so, dass der Täter die Tat allein im Interesse des Anstifters und damit „für“ diesen begeht.421 Selbst wenn man aber mit der noch h. M. der Ansicht ist, dass Anstiftung nicht mehr erfordert als das bloße Hervorrufen des Tatentschlusses,422 kann man nicht bestreiten, dass Fälle existieren, in denen der angestiftete Haupttäter unter Zugrundelegung eines beiderseits für verbindlich gehaltenen Deutungsschemas für den Anstifter handelt.423 Zudem ist die Haftung nach Kindhäuser ohnehin nicht auf das jeweils eigenhändige Verhalten oder gar auf die „Letztverursachung“ beschränkt, weshalb auch eine Mittäterschaft wegen der Leistung eines Beitrags in der Vorbereitungsphase in Betracht kommt.424 Wenn die Erbringung eines Beitrags während der Ausführung keine konstituierende Bedingung wechselseitiger Repräsentation und somit der Haftung aus Mittäterschaft bilden soll, wird diese Figur derart der Anstiftung angenähert, dass es naheliegt, auch diese Teilnahmeform mithilfe des Repräsentanzgedankens zu begründen.425 Es liegt auf der Hand, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen der Entfaltung des Repräsentanzgedankens im Bereich der Mittäterschaft und seiner Selbstbeschränkung auf die Mittäterschaft gibt. In der Tat haben Kindhäuser und Haas bei der Begründung des Repräsentanzgedankens bereits dessen Gültigkeit für die Anstiftung anerkannt. Die typische

417

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 649 f. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 649 f., 652. 419 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 652 f. 420 Amelung, FS-Schroeder, S. 163 ff., 177. 421 Puppe, GA 1984, 111 ff.; Jakobs, AT, 22/22; Kreuzberg, Täterschaft, S. 134. 422 Roxin, AT II, § 26, Rn. 65; Schünemann, in: LK, § 26, Rn. 17; Kindhäuser, AT, § 41, Rn. 5; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, § 26, Rn. 2. 423 Kreuzberg, Täterschaft, S. 134, 507. 424 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 649, 651. 425 Orozco López, Beteiligung, S. 214 f. 418

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Konstellation der Anstiftung bildet sogar gerade den Ansatzpunkt ihrer Begründungen. In dem Beispiel des Haareschneidens, mit dem Kindhäuser seinen Ausgangsgrundsatz erklärt, ist B als Verlangender gerade ein typischer Anstifter nach dem üblichen Verständnis. Natürlich kann dagegen der Anstifter auch einseitig von der Zwecksetzung des Haupttäters abhängig sein.426 Das ändert jedoch nicht das Geringste daran, dass Anstifter und Haupttäter auch hier ein kongruentes Deutungsschema zugrunde legen (oder jedenfalls zugrunde legen können), nach dem der Haupttäter zugleich den Willen des Anstifters repräsentiert.427 Diese Vorgehensweise, einerseits ausgehend von der Anstiftungskonstellation das Rechtfertigungsmodell der Mittäterschaft zu untermauern, andererseits die Anwendung des Rechtfertigungsmodells in der Anstiftungskonstellation abzulehnen, schließt einen Widerspruch in sich. Bei Haas wird die Mittäterschaft als wechselseitige mittelbare Täterschaft begriffen: Die Zurechenbarkeit der Mittäterschaft setzt voraus, dass sich die Mittäter wechselseitig das Mandat geben, ihren Tatbeitrag jeweils auch im fremden Namen zu leisten; Mittäter sind also bezüglich des von dem Tatgenossen vollzogenen Tatbeitrags mittelbare Täter, bezüglich des eigenen Tatbeitrags unmittelbare Täter.428 Die mittelbare Täterschaft umfasst nach Haas nicht nur die herkömmlichen Fälle des „rechtswidrigen Eingriff[s] in die Entscheidungsfreiheit des Tatmittlers“, sondern auch die Konstellationen, in denen „der Hintermann den Vordermann in zurechenbarer Weise ermächtigt, für ihn zu handeln, der Tatmittler sich also dem Willen des mittelbaren Täters unterwirft und stellvertretend für diesen gleichsam dessen Geschäft besorgt“,429 womit der Anwendungsbereich der heutigen Anstiftung von der mittelbaren Täterschaft verschlungen wird.430 Tatsächlich wird die Anstiftung gerade als typische Konstellation von Mandat bei Haas durch den Repräsentationsgedanken erklärt. Zuletzt wird die Angemessenheit der Heranziehung des Repäsentanzgedankens für die Begründung der Anstiftung sogar deutlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dogmengeschichtlich diese Konstruktion in erster Linie im Rahmen des Mandats bzw. der intellektuellen oder psychischen Urheberschaft angewandt wurde, d. h. gerade in denjenigen Fällen, die heute dem Anwendungsbereich der Anstiftung zugeschlagen werden.431

426

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 653. Kreuzberg, Täterschaft, S. 507. 428 Haas, Tatherrschaft, S. 113; ders., ZStW 119 (2007), 534 f. 429 Haas, Tatherrschaft, S. 84 f. 430 Haas, Tatherrschaft, S. 104 ff.; Kindhäuser (GA 2010, S. 545) hat auch darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich der Anstiftung weitgehend verdrängt würde, wenn Mandat und Befehl wie bei Haas Kriterien der Begründung mittelbarer Täterschaft wären; kritisch dazu Orozco López, Beteiligung, S. 216 f. 431 Haas, Tatherrschaft, S. 86 ff.; kritisch dazu Orozco López, Beteiligung, S. 216 f. 427

C. Konstruktive Erfassung der Verbindung mehrerer Organisationskreise

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Zudem findet die ausschließliche Anwendung des Repräsentanzgedankens auf Mittäterschaft keine Stützung in der Handlungstheorie, mit deren Hilfe Kindhäuser das Modell der wechselseitigen Repräsentanz der Mittäterschaft erklärt. Entscheidende Prämisse subjektiver Zurechnung ist nach Kindhäuser nicht ein zweckgerichtetes Verhalten, sondern die fehlende Befolgung einer Norm durch finales Verhalten.432 Normverletzung ist dabei mehr als nur vermeidbares unerlaubtes Verhalten, nämlich ein Tun, durch das der Akteur zum Ausdruck bringt, dass er die Norm nicht handlungswirksam als für ihn gültige Maxime anerkennen will.433 Insofern ist dieser Ansicht beizupflichten. Aber die Desavouierung des Geltungsgrundes der Norm kann nicht durch irgendein beliebiges Verhalten erfolgen, sondern einzig und allein durch eine Tatbestandsverwirklichung.434 Wenn Kindhäuser seine These wirklich ernst nimmt, dass es grundsätzlich ohne Belang ist, in welchem Stadium der Gefahrschaffung die entsprechende Handlung vollzogen wird und ob sie erst durch das Verhalten einer anderen Person vermittelt in das Risiko eingeht,435 muss aber doch konsequenterweise auch der Teilnehmer originär für das tatbestandsspezifische Risiko zuständig sein, da jeder Beteiligte – gleich ob Mittäter oder Teilnehmer – nicht alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig verwirklicht und nur auf einem einzigen Weg eine Ablehnung der Normgeltung ausdrücken kann, nämlich auf eine akzessorische Weise durch die Tatbestandsverwirklichung. Kindhäuser führt auch aus, dass der Teilnehmer „nur mittelbar für das einschlägige unerlaubte Risiko zuständig“ ist436 – der Unterschied zwischen Mittäterschaft und Teilnahme liegt lediglich in dem Unterschied zwischen „unmittelbarer“ und „mittelbarer“ Zuständigkeit, aber nicht in der Annahme der Zuständigkeit als solcher. Diese Differenz zwischen Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Zuständigkeit bleibt letztlich allein dem Äußerlichen verhaftet: Wie sich die expressive Stellungnahme des Teilnehmers zur Norm qualitativ von derjenigen des Mitttäters unterscheidet, lässt sich handlungstheoretisch nicht überzeugend erklären. Denn die Frage, ob jemand für eine bestimmte Tatbestandsverwirklichung mitzuständig ist, lässt keine qualitative Abstufung zu: Sie kann nur bejaht oder verneint werden.437 Nach Kindhäuser ist allein der Täter für die Vermeidung des tatbestandsspezifischen Risikos zuständig, denn wäre auch der Teilnehmer durch seinen Beitrag für die Schaffung des tatbestandsspezifischen Risikos zuständig, wäre er stets Unterlassungstäter, wenn er die Gefahr nicht beseitigte.438 Die Gleichsetzung des Teilnehmers mit dem Unterlassungstäter ist auf den ersten Blick so befremdlich, dass 432

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 637. Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 637. 434 Jakobs, GA 1996, S. 257; Kindhäuser (NStZ 1997, 274) hat auch betont, dass die Teilnahme als solche kein Gegenstand der Zurechnung von Unrecht sein, sondern nur einen Zurechnungsgrund liefern kann. 435 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 649, 651. 436 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 651 f. 437 Vgl. v. Weezel, Beteiligung, S. 310 f. 438 Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 651. 433

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sich Zweifel an der Mitzuständigkeit der Teilnahme aufdrängen. Aber die suggestive Kraft des Arguments speist sich zum einen aus der verbreiteten starren Überzeugung, dass Unterlassung und Begehung streng voneinander zu trennen sind, zum anderen aus der durch den Begriff „Unterlassungstäter“ angedeuteten Selbständigkeit der Teilnahme. Durch die Erklärung der beiden folgenden Punkte verliert der Einwand seine Überzeugungskraft. Erstens besagt die Unterlassung hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung nichts anderes als die Begehung, d. h. der Täter ist für die Belange eines anderen zuständig.439 Denn die Relevanz der Trennung zwischen Begehung und Unterlassung liegt lediglich in der Orientierung für die Normadressanten, wie sie ihre Pflichten angemessen erfüllen können, während die Strafrechtsnormen als Sanktionsnormen auf die Verbindung einer Person mit einem Erfolgsverlauf fokussieren, statt ein Hilfsmittel oder eine „Technik“ anzubieten, „mit der ein Verpflichteter seinen Pflichten nachzukommen hat“.440 Die Lehre von der objektiven Zurechnung im Bereich der Begehungsdelikte und die Garantenlehre im Bereich der Unterlassungsdelikte beschäftigen sich mit ein und derselben Aufgabe, nämlich den Zuständigkeitsbereich zu bestimmen, damit eine naturalistische Verursachung oder Nicht-Verhinderung bezüglich des Erfolgseintritts keine Rolle spielt. Infolgedessen ist es gleichgültig, ob die Teilnahme als Begehung oder Unterlassung bezeichnet wird, denn es geht um die identische These, dass der Teilnehmer für die Tatbestandsverwirklichung zuständig ist.441 Insofern darf man freilich davon sprechen, dass es für den Mitwirkenden eine Verpflichtung aus Ingerenz gibt, den Ausführenden von der Tat abzuhalten oder anderweitig den Erfolg der Tat zu verhindern.442 Zweitens erweckt Kindhäusers Formulierung „Unterlassungstäter“ den Eindruck, dass mit der Annahme der Zuständigkeit des Teilnehmers für die Tatbestandsverwirklichung eine eigenständige Verantwortung gemeint ist. Allerdings ist der Beteiligte im Fall des gemeinsamen Handelns nicht eigenständig zuständig für die Tatbestandsverwirklichung, sondern mitzuständig auf eine akzessorische Weise. Trotz der Annahme der Mitzuständigkeit des Teilnehmers darf man nicht von einem „Unterlassungstäter“ sprechen, weil der Begriff „Täter“ in diesem Sinne eine eigenständige Zuständigkeit andeutet. Eine Ingerenzhaftung muss ihrerseits wieder akzessorisch ausfallen, da andernfalls der Unterlassungsversuch vor Begehung der Haupttat strafbar werden müsste – was die Regeln der quantitativen Akzessorietät zerstören würde.443 Der entscheidende Grund für die Ablehnung der Anwendung des Repräsentanzgedankens auf die Teilnahme im engen Sinne liegt nach Haas darin, dass es zur 439 Jakobs, GS-Armin Kaufmann, S. 284; ders., Handlungsbegriff, S. 30 f.; Pawlik, Unrecht, S. 161 ff. 440 Jakobs, Zurechnung, S. 35; ders., Handlungsbegriff, S. 30 f. 441 Vgl. Jakobs, GA 1996, 258; ders., AT, 29/33, 24/4 f.; v. Weezel, Beteiligung, S. 51. 442 Vgl. Jakobs, GA 1996, 259, Fn. 13; Derksen, GA 1993, 175. 443 Vgl. Jakobs, GA 1996, 259, Fn. 13.

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täterschaftlichen Gemeinsamkeit einer entsprechenden Willensdisposition des Vordermanns gleichsam als Inhaber des Fremden (nämlich des Willens, für den anderen zu handeln) aufgrund einer Autorisierung des Hintermanns bedarf, die aber für die Teilnahmehaftung nicht erforderlich ist.444 Weil erst durch den Willen beider Beteiligten fremdes Verhalten zu eigenem wird und es dem Haupttäter an dem Willen fehlt, auch für die Teilnehmer zu handeln (zumal, wenn es ihm an dem Wissen fehlt, dass Gehilfen existieren), lässt sich die Haupttat nicht als eigene Tat des Teilnehmers ansehen.445 Wenn das Erfordernis des Willens aller Beteiligten, für den anderen zu handeln (als Erfordernis für die Annahme der Mittäterschaft) sich nicht in einer petitio principii verfangen will, muss es aus der Ratio der Zurechnung der Mittäterschaft abgeleitet werden. Wenn die Zurechnungsregel der Mittäterschaft, der zufolge ein und demselben Beteiligungsverhalten eine zuständigkeitsbegründende Doppelwirkung innewohnt, auf dem faktischen Willen der Beteiligten beruht, stellt sich die Frage, ob die Mittäter tatsächlich ihren Tatbeitrag jeweils auch im fremden Namen leisten wollen. Es ist auch denkbar, dass ein als Mittäter bewerteter Mitwirkender in der Tat nur für sich selber handelt und die anderen Mittäter nur als sein Mittel betrachtet. Anders formuliert: Bezeichnet das Erfordernis des faktischen Mandats angemessen die Voraussetzungen für eine Mitzuständigkeit für fremde Ausführung, nämlich nicht mehr und nicht weniger als diese Voraussetzungen? Im Haareschneiden-Beispiel und bei der Tötung auf Verlangen gibt es ein auffällig asymmetrisches Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Ausführenden, weil der Auftraggeber allein den Zweck setzt und der Ausführende in einem typischen Sinne den Auftraggeber repräsentiert. Ausgehend von den typischen Fällen führt das Befürworten des Repräsentanzgedankens zu einem konkreten Kriterium der Verantwortung für fremde Ausführung. Damit drängen sich allerdings Zweifel auf, ob eventuell die typischen Fälle tatsächlich nur den Maximalwert des Kriteriums der Verantwortung für fremde Ausführung markieren, aber nicht die Mindestvoraussetzungen der Verantwortung für fremde Ausführung. Aus dem Befund, dass beim Beauftragten die fremdhändige Ausführung als seine eigene Ausführung in den Zuständigkeitsbereich des Auftraggebers integriert ist, kann man nicht umgekehrt folgern, dass lediglich in diesem Fall eine Mitzuständigkeit für fremde Ausführung existiert. Im Unterschied zu den typischen und deswegen unstrittigen Fällen ist in weniger typischen Fällen die Mindestvoraussetzung für strafrechtliche Zurechnung wirklich relevant. Die Tatsache, dass die tatsächliche Entscheidungshoheit einerseits und der Wille, für den anderen zu handeln, andererseits gegeben sind, vermag zwar das Vorhandensein der Mitzuständigkeit für fremdhändige Ausführung zu indizieren, vermag sie jedoch nicht zu konstituieren. Der entscheidende Schwachpunkt des Repräsentanzgedankens liegt darin, die wechselseitige Repräsentanz der Beteiligten als ein bloßes Faktum zu begreifen, sie sogar auf den psychologischen Willen zu reduzieren, für den anderen zu handeln. 444 445

Haas, ZStW 119 (2007), 534 f., 543 f. Haas, ZStW 119 (2007), 543 f.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Tatsächlich sind die strafrechtlichen Rechtsinstitute, die die Abgrenzung zwischen Organisationskreisen durchbrechen und denen zufolge im Ergebnis eine Person für anderes Handeln Verantwortung tragen muss, durchaus nicht selten. Beispielhaft stützt sich im Fall der Notwehr und des defensiven Notstands die Entlastung des Angegriffenen auf die Duldungspflicht des Angreifers.446 Die Notwehr ist insofern auch eine Zurechnungsregel ebenso wie die Einwilligung, als sie beide die vorrangige Zuständigkeit des Verletzten begründen.447 Denn die Respektierungspflicht umfasst sowohl das Verbot aktiver Schädigungen als auch das Gebot, eine zurechenbar geschaffene Gefährdung anderer Personen zu neutralisieren.448 Kommt der Urheber der Gefährdung dieser Neutralisierungspflicht nicht nach, führt der Angegriffene durch die Verteidigungshandlung ein „Geschäft“ durch, das an sich dem Urheber selbst oblegen hätte.449 Naturalistisch betrachtet nimmt der Angegriffene die Verteidigungshandlung vor und führt den Verletzungserfolg herbei, während normativ gesehen die Verteidigungshandlung und der Erfolg dem Angreifer zugerechnet werden müssen, als hätte er sie selbst aus- bzw. herbeigeführt.450 Denn der Angreifer veranlasst durch seinen Übergriff auf einen fremden Rechtskreis den Angegriffenen, die zur Wiederherstellung der rechtmäßigen Lage erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.451 Der notwehrfähige Angriff, der aus der Freiheit stammt, bietet einen Grund, das fremdhändige Handeln, nämlich die Verteidigung des Angegriffenen, dem Angreifer als sein eigenes Handeln zuzurechnen. „Normativ betrachtet bringt sich der Angreifer mit der tödlichen Verteidigung, die er zur Blockade seines rechtswidrigen Tuns erforderlich macht, selbst um.“452 Freilich ist es durchaus nicht erforderlich und gewissermaßen sogar undenkbar, dass der Angegriffene bei der Verteidigung den Willen hat, als Repräsentant ein Geschäft des Angreifers zu vollziehen. Aus der Ratio der Notwehr ergibt sich, dass die Verantwortung für fremde Ausführung sich nicht auf die psychische Lage des Ausführenden, für den anderen zu handeln, stützt, sondern darauf, dass der Nicht-Ausführende aus bestimmten Gründen rechtlich eine Zuständigkeit für fremde Handlung begründet. Der faktische psychische Repräsentanzwille des Ausführenden spielt keine Rolle für die Begründung der Zuständigkeit des Einwilligenden oder des Angreifers. Zudem bringt das Erfordernis des Willens, für den anderen zu handeln, das Risiko der Willkürlichkeit bei der Bestimmung der Mitzuständigkeit mit sich. Denn wenn es so gedacht wird, werden Abgrenzung und Verbindung des Zuständigkeitsbereiches völlig dem Betroffenen selbst anheimgestellt. Wenn zwei Personen zusammen in 446

Jakobs, Kommentar, S. 145; Lesch, Notwehr, S. 36; Pawlik, Unrecht, S. 237 ff. Pawlik, Unrecht, S. 215 ff.; Müssig, Mord, S. 161. 448 Pawlik, Unrecht, S. 180 f., 237 f. 449 Pawlik, Unrecht, S. 216, 237. 450 Joerden, Strukturen, S. 77; Merkel, JZ 2007, 377; ders., FS-Schroeder, S. 310 Fn. 48; ders., FS-Jakobs, S. 390 f. 451 Jakobs, Rechtszwang und Personalität, S. 16; Pawlik, Unrecht, S. 216; Müssig, ZStW 115 (2003), S. 232. 452 Merkel, JZ 2007, 377; ders., FS-Jakobs, S. 391. 447

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eine Wohnung einbrechen und miteinander verabreden, dass jeder lediglich für sich selbst klaut und ihrer beider Taten nichts miteinander zu tun haben, gibt es keinen Willen, für den anderen zu handeln. Aber es ist undenkbar, die beiden Personen nicht als Mittäter wegen Diebstahls zu bestrafen. Denn maßgeblich für die strafrechtliche Zurechnung ist zuerst nicht die innere psychische Lage des Betroffenen, sondern der kommunikative Zusammenhang zwischen Norm und Verhalten.453 Indem der Handelnde sich daranmacht, seine Intention in einer öffentlichen anfechtbaren Tat auszudrücken, büßt er seinen Anspruch auf die alleinige Verfügungsgewalt über Natur und Bedeutung dieser Tat ein;454 seine subjektiven Zwecksetzungen schlagen vielmehr im Moment ihrer tätigen Ausführung in ein „Sein für Anderes“ um.455 Die Sinnhaftigkeit des Verhaltens ist nicht mit der subjektiven Sinngebung seitens der Einzelnen zu verwechseln.456 Es lässt sich zusammenfassen, dass das Verdienst des Repräsentanzgedankens in der Befreiung der Zuständigkeit von der Anforderung eigenhändiger Tätigkeit liegt. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass sich die Straflosigkeit des selbstverletzenden notwendigen Beteiligten aufgrund einer Zuständigkeitserwägung behandeln bzw. begründen lässt. Aber die Zuständigkeit für fremdhändige selbstverantwortliche Ausführung zu begründen, ist das gemeinsame Thema für die Mittäterschaft und Teilnahme im engen Sinne, sofern man davon ausgeht, dass Mittäterschaft auch dann vorliegen kann, wenn jeder Mittäter nicht alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig verwirklicht. Denn wenn das Mitwirken nicht selbst ein „Ausführen“ ist, bleibt nur akzessorisch begründete Zuständigkeit.457 Wenn der Ausführende sein eigenes Werk und das Werk des Mittäters, der einen Tatbeitrag in der Vorbereitungsphase leistet, zugleich vornimmt, steht nichts im Wege, die Ausführung auch als Werk des Anstifters oder Gehilfen anzusehen. Wenn der Repräsentanzgedanke seine Aussagekraft aufrechterhalten soll, ist es unbegründet, sich auf die Mittäterschaft zu beschränken.

II. Die Bestimmung der Zuständigkeitsverbindung Da die Beteiligung als zur Mitverantwortung führende selbstbestimmte Zuständigkeitsverbindung erfasst wird, steht die Frage im Zentrum der Bestimmung einer strafbaren Teilnahme, nach welchen Kriterien von der Verbindung der Organisationskreise die Rede sein kann. Die Beleuchtung dieser Frage ist bedeutsam für die Problematik der notwendigen Teilnahme. Nach dem Grundsatz der Mindestmitwirkung ist jede notwendige Teilnahme straflos, die das Maß des zur Tatbestands453 454

S. 17. 455 456 457

Jakobs, Theorie, S. 22. Pippin, Aktualität, S. 235 f.; Caspers, „Schuld“, S. 220 f.; Pawlik, Normbestätigung, Caspers, „Schuld“, S. 228; Pawlik, Normbestätigung, S. 17. Vgl. v. Weezel, Beteiligung, S. 173. Jakobs, FS-Lampe, S. 571.

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verwirklichung Notwendigen nicht überschreitet. Ein wichtiges Argument für diesen Grundsatz lautet, dass die tatbestandsnotwendige Mindestbeteiligung vom Normalbild der Beihilfe zu weit abweicht, um ihr gleichgestellt werden zu können.458 Daher stellt sich die Frage, was eigentlich das „Normalbild der Beihilfe“ darstellt. Im Rahmen der von der Rechtsgutsdogmatik geprägten Verursachungstheorie wird die strafbare Teilnahme regelmäßig durch die kausale Beziehung zwischen der fraglichen Handlung und der Rechtsgutsverletzung und durch die individuelle Sinngebung des Mitwirkenden skizziert. Prüft man dies unter Zuständigkeitsgesichtspunkten, deutet sich sofort die Unzulänglichkeit einer solchen Konturierung der Teilnahme an. 1. Zuständigkeitsverbindung statt der modifizierten kausalen Beziehung Da der Gesetzeswortlaut der Beihilfevorschrift einen weiten Anwendungsbereich ermöglicht, lässt sich eine begriffliche Umschreibung der Beihilfe mit den üblichen Auslegungsmethoden nur schwer formulieren.459 Deswegen muss man bei der Interpretation des Ausdrucks „Hilfe leisten“ auf den Strafgrund der Teilnahme zurückgreifen. Aber bei einer am Rechtsgüterschutz orientierten Betrachtung spricht vieles dafür, dass jede beliebige Handlung als strafbare Teilnahme in Betracht kommt, solange sie das Risiko der Rechtsgutsverletzung gewissermaßen erhöht. Entsprechend der oben dargelegten Illiberalität des Rechtsgüterschutzdenkens fehlt der auf Rechtsgüterschutz abzielenden Beteiligungslehre stets ein die Strafbarkeit begrenzender immanenter Parameter.460 So gesehen stellt der Grundsatz der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung tatsächlich nur eine willkürliche, ungeschickt ausgeführte Flickstelle in dem auf dem Verursachungsmodell beruhenden großmaschigen Kriterium für die strafbare Teilnahme dar. Ob dieser Flicken gerechtfertigt und erforderlich ist, findet keine Antwort in dem Arsenal der Argumente, die sich aus den Prinzipien des Güterschutzes ableiten lassen. Weil weitgehend anerkannt wird, dass eine Mitursächlichkeit im Sinne eines Einflusses auf die konkrete Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung für die Beihilfe noch nicht ausreichend ist,461 wird zunehmend der Versuch unternommen, die allgemeinen Grundsätze der objektiven Zurechnung für das Beihilfeproblem fruchtbar zu machen. Danach werden der strafbaren Beihilfe gleichsam schärfere Konturen insoweit verliehen, als Beihilfe eine rechtlich missbilligte Steigerung des vom Haupttäter für das angegriffene Rechtsgut begründeten Risikos voraussetzt.462 458

Roxin, AT II, § 26, Rn. 52 f.; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 29. Kindhäuser, FS-Otto, S. 356; Cramer/Heine, in: Sch/Sch, § 27, Rn. 6; Osnabrügge, Beihilfe, S. 24 f.; Weisert, Hilfeleistungsbegriff, S. 123; bezüglich der Gläubigerbegünstigung siehe Sowada, Teilnahme, S. 166 ff. 460 Pawlik, GA 2006, 241. 461 Samson, FS-Peters, S. 132 f.; Charalambakis, FS-Roxin, 2001, S. 631 f. 462 Roxin, AT II, § 26, Rn. 210 f.; ders., FS-Miyazawa, S. 509 ff.; Heghmanns, FS-Roxin, 2011, S. 873; Schünemann, in: LK, § 27, Rn. 5 f.; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, § 27, Rn. 8; 459

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Dadurch werden solche Tatbeiträge aus der Beihilfe ausgeschlossen, die trotz ihrer kausalen Beeinflussung des Geschehens für das Gelingen der Tat gleichgültig, also weder nützlich noch schädlich waren: z. B. das Reichen eines Erfrischungsgetränks an den Urkundenfälscher; anders aber, wenn das Reichen des Erfrischungsgetränkes bewirkt, dass der ermüdete Einbrecher wieder in Schwung kommt.463 Abgesehen von den oben dargelegten entscheidenden, unüberwindbaren Mängeln der Lehre von der objektiven Zurechnung ist die Übertragung auf den Bereich der Beihilfe aus folgenden Gründen fragwürdig. Vor allem darf die Leistungskraft der Formulierung der Anforderungen an die strafbare Beihilfe unter Anwendung der Grundsätze der objektiven Zurechnung nicht überschätzt werden. Der Grundsatz der objektiven Zurechnung beinhaltet im Wesentlichen zwei Elemente, zum einen „Förderung“, zum anderen „missbilligt“. Allerdings ist der Ausfilterungseffekt des Kriteriums der Förderung ziemlich gering, denn in der Regel werden sich die Handlungen Dritter, die die fremde Straftat bei intuitiver Betrachtung erleichtern, auch durch die präzisere Brille der Zurechnungslehre noch als Gefahrerhöhungen gegenüber dem durch die Haupttat bedrohten Rechtsgut erweisen.464 So verstanden ist die Entgegennahme der Begünstigung auch zurechenbar, da sie ersichtlich das Risiko der Interessen der übrigen Gläubiger erhöht. Das Erfordernis, dass diese Gefahrerhöhung missbilligt sein müsse, trägt auch kaum zur Begrenzung des Umfangs der strafbaren Beihilfe bei, denn bei einer am Rechtsgüterschutz orientierten Betrachtung ist konsequenterweise die Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung schon ein typischerweise zu missbilligendes Handeln, wenn nicht Gegenargumente benannte werden können.465 Als Gegenargument wird regelmäßig eine Abwägung der allgemeinen Handlungsfreiheit des potentiellen Gehilfe auf der einen Seite gegenüber dem Gebot des Rechtsgüterschutzes auf der anderen Seite herangezogen.466 Jedoch ist eine so allgemeine Güterabwägung wenig praktikabel in der Handhabung und deswegen Bedenken hinsichtlich des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes ausgesetzt.467 Nimmt man den Schutz der Interessen der übrigen Gläubiger durch die gleichmäßige Verteilung des Vermögens des Schuldners ernst, geht die Annahme der Begünstigung schon über den Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus. Setzt man den Akzent dagegen auf die niedrige Intensität der Entgegennahme, erscheint die Straffreiheit einer solchen Mitwirkungshandlung gleichsam akzeptabel. Deswegen ist die Willkürlichkeit in der Güterabwägung unausweichlich. Außerdem postuliert in der Tat diese Aussage als Gegenargument stillschweigend schon, dass der einzelne Mitwirkende dafür zuJoecks/Scheinfeld, in: MK, § 27, Rn. 48; Kudlich, Unterstützung, S. 364 f.; Otto, AT, § 22, Rn. 53; Lüderssen, FS-Grünwald, S. 341; Wolff-Reske, Verhalten, S. 102 ff. 463 Schünemann, in: LK, § 27, Rn. 6; Roxin, AT II, § 26, Rn. 211. 464 Frisch, FS-Lüderssen, S. 542. 465 Kudlich, Unterstützung, S. 429 f. 466 Lüderssen, FS-Grünwald, S. 341 f.; Joecks/Scheinfeld, in: MK, 2020, § 27, Rn. 48. 467 Wolff-Reske, Verhalten, S. 76 f.; Frisch, Verhalten, S. 272; ders., FS-Lüderssen, S. 542.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

ständig ist, die entsprechende Gefahr zu vermeiden,468 was jedoch gerade den Streitpunkt im Fall des gemeinsamen Handelns ausmacht. Die Frage, ob die Entgegennahme der vom Schuldner unter Verstoß gegen § 283c gewährte Befriedigung dem Normalbild der Beihilfe entspricht, lässt sich dadurch nicht beantworten. Weiterhin ist die Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung auf den Bereich der Beihilfe mit der dominierenden grundlegenden Überzeugung, also der qualitativen Abgrenzung der Teilnahme von der Täterschaft, unvereinbar. Denn auch wenn der Täter ein unerlaubtes Risiko für das Opfer schafft, lässt sich schwierig erklären, warum der Gehilfe nicht wegen der Erhöhung des Opferrisikos als Täter zu bestrafen wären.469 Damit entsteht eine systematische Friktion, wenn ein Verhalten unter dem Aspekt der Täterschaft betrachtet als nicht strafrechtlich missbilligt angesehen wird, dasselbe Verhalten indes als Unrecht der Beihilfe gelten darf. Die vermeintliche Übertragbarkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Beihilfe beweist daher gerade die Inhaltslosigkeit der Rede vom unerlaubten Risiko,470 nicht ihre Leistungsfähigkeit. Wenn man zutreffend das Anliegen der Lehre von der objektiven Zurechnung in der Begründung und Begrenzung der Einstandspflicht des Betroffenen erblickt, bestätigt der Versuch der Übertragung auf die Bestimmung der Anforderung an die Beihilfe gerade die Richtigkeit der hiesigen Ansicht, dass sich Täterschaft und Teilnahme auf eine einheitliche Wurzel zurückführen lassen, und zwar die Verletzung der Zuständigkeit für die Belange des Opfers. Schließlich vermag die Lehre von der objektiven Zurechnung der Besonderheit der Beteiligung nicht gerecht zu werden. Es ist zu erkennen, dass der Beitrag des Gehilfen noch nicht zum Erfolg der Rechtsgutsverletzung führt, sondern es hierzu eines eigenverantwortlichen Eingreifens des jeweiligen Täters bedarf.471 Angesichts der Freiverantwortlichkeit der Ausführung gibt es keine „Kausalerklärung aus strikten Gesetzen“.472 Im Rahmen der Lehre von der objektiven Zurechnung wird der bedeutsame Grundsatz allgemein angenommen, dass es kein hinreichender Grund für die Zurechnung des von den Dritten unmittelbar bewirkten Erfolgs sein kann, dass eine Person mit ihrem Verhalten weitere Taten Dritter bedingt hat.473 Allerdings ist nach dem von der Lehre von der objektiven Zurechnung geprägten Bild der Beihilfe derjenige, der „vorsätzlich die Chance des Täters verbessert und das Opferrisiko erhöht“,474 schon strafbar. Damit drängt sich ersichtlich ein Widerspruch 468

Frisch, FS-Lüderssen, S. 542 f. Schild, in: NK, § 27, Rn. 2; Renzikowski, FS-Schünemann, S. 501. 470 Treffend bewertet Jakobs (Handlungsbegriff, S. 11) die Lehre von der objektiven Zurechnung als „recht nichtssagend“. 471 Kindhäuser, FS-Otto, S. 360; Jakobs, FS-Herzberg, S. 400 f.; Renzikowski, Täterbegriff, S. 118 f. 472 Puppe, ZStW 95 (1983), 293 f.; Jakobs, Theorie, S. 25. 473 Roxin (AT I, § 11, Rn. 137) betont, der Schutzzweck eines Tatbestands erfasse keine Erfolge, „deren Verhinderung in den Verantwortungsbereich eines anderen fällt“. 474 Roxin, AT II, § 26, Rn. 212. 469

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auf, denn die Bedingung fremder Tat begründet einmal keine Verantwortung dafür, einmal begründet sie diese. Das Paradox liegt darin, dass die Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Problematik der Beihilfe tatsächlich auf Kosten der Preisgabe ihrer eigenen Kernthese erfolgt. Nach hiesiger Meinung liegt das Wesen der Teilnahme nicht in dem mittelbaren Rechtsgutsangriff, sondern in der selbstbestimmten Verbindung mehrerer freiverantwortlicher Organisationskreise; die Bestrafung des Beteiligten ist kein Mittel zur bestmöglichen Prävention der Rechtsgutsverletzung, sondern eine erforderliche Reaktion auf die unerlaubte Freiheitsausübung. So verstanden ist schon die gängig zu behandelnde Ausgangsfrage, wie sich eine Hilfeleistung auf die Begehung der Haupttat und die Rechtsgutsverletzung ausgewirkt haben muss, als solche unangemessen gestellt.475 Vielmehr muss die zentrale Frage der Beteiligung sein, unter welchen Voraussetzungen die fremde freiverantwortliche Ausführung dem Beteiligten als seine eigene zugerechnet werden kann, und die Antwort auf diese Frage ermöglicht erst die Abgrenzung der zur Verantwortung für fremde Ausführung führenden Gemeinsamkeit vom zufälligen Zusammentreffen mehrerer Verursacher. Die herkömmliche Stoßrichtung, zuerst die Teilnahme als Verursachung der Rechtsgutsverletzung zu begreifen und danach irgendeine höhere Voraussetzung von außen an die Kausalität heranzutragen, ist ebenfalls abzulehnen. Also handelt es sich nicht um die modifizierte kausale Beziehung zwischen dem einzelnen Tatbeitrag und der Haupttat sowie dem tatbestandlichen Erfolg, sondern um ein Verbindungskriterium, das die einzelnen freiverantwortlichen Beiträge zu einem strafrechtlich relevanten gemeinsamen Handlungsprojekt macht,476 so dass jeder Mitwirkende nicht nur für eigene Vornahme, sondern auch für fremdhändige Vornahme Verantwortung tragen muss.477 Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Verursachungsmodell nicht nur unvereinbar mit der prinzipiellen Freiverantwortlichkeit jedes Mitwirkenden ist, sondern auch das „Normalbild der Beihilfe“ nicht zu umreißen vermag, wobei die Übertragung der Lehre von der objektiven Zurechnung nicht weiterhilft. Daher ist die Bemühung, den Grundsatz durch die Interpretation der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung als eine erhebliche Abweichung vom Normalbild der Beihilfe zu rechtfertigen, im Rahmen der auf dem Verursachungsmodell beruhenden Teilnahmelehre zum Scheitern verurteilt.

475

Frister, AT, § 28, Rn. 36. Ähnlich auch Frister, AT, § 28, Rn. 35; ders., FS-Dencker, S. 128 ff.; v. Weezel, Beteiligung, S. 203. 477 Jakobs, GA 1996, 253 ff.; Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 627 f.; Weißer, Täterschaft, S. 492; Dencker, Kausalität, 263 ff.; Frister, FS-Dencker, S. 128; Lesch, Beihilfe, S. 276; v. Weezel, Beteiligung, S. 193. 476

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2. Irrelevanz der individuellen Sinngebung Im Rahmen der am Rechtsgüterschutz orientierten Beteiligungslehre spielt die individuelle Sinngebung des Mitwirkenden für die Konstruktion des Unrechts der Teilnahme eine wichtige Rolle. Dementsprechend wird gegen die Strafbarkeit der Annahme der Begünstigung (§ 283c) wegen Beihilfe neben dem Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung das Argument angeführt: Die Beihilfe ist eine Hilfeleistung (§ 27) und zur Förderung der Tat des Haupttäters bestimmt, während der notwendige Beteiligte nicht handelt, um dem Täter (aus welchen Motiven auch immer) zu helfen, sondern er verwirklicht ein selbständiges Tatbild.478 Das Argument rückt die subjektive Tatseite des Handelns in den Vordergrund und postuliert, dass die akzessorische Zurechnung der Beihilfe die individuelle Zielsetzung des Mitwirkenden voraussetzt, dem Haupttäter zu helfen. Dieser Gedankengang ist durchaus nicht einzigartig im Bereich der Beteiligung. In der Diskussion um die Problematik der Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten wird historisch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und teilweise in der Literatur die Ansicht vertreten, dass Beihilfe nur vorliegt, wenn über die bloße Berufsausübung hinaus der Wille auf die Förderung der Straftat gerichtet ist; bei beruflichem Handeln besteht eine Vermutung zugunsten des Willens zur bloßen Erfüllung beruflicher Pflichten und damit gegen das Vorliegen eines Tatförderwillens.479 Die Kritik am Abstellen auf die subjektive Einstellung des Handelnden weist wesentlich zum einen auf die bedenkliche Nähe zu einem unzulässigen Gesinnungsstrafrecht, zum anderen auf die Undurchführbarkeit und Anfälligkeit für willkürliche Ergebnisse in der Praxis hin, denn die subjektive Beziehung des Handelnden ist im Rahmen von praktischen Ermittlungen nur schwer überprüf- und erkennbar.480 Diese Kritik ist nicht unbegründet. Deswegen wird der reine subjektive Lösungsweg bei der Problematik der neutralen Unterstützung weitgehend abgelehnt. Allerdings ist im Rahmen der vom Rechtsgutsdogma und naturalistischen Handlungsbegriff tief geprägten Beteiligungslehre eine solche unangemessene Behandlung der subjektiven Tatseite kaum wirklich vermeidbar. Im Bereich der Mittäterschaft sieht die Rechtsprechung unter der Voraussetzung, dass mehrere Akteure ein strafrechtlich relevantes Geschehen kausal beeinflussen, den Grund, für die Beiträge anderer als eigene einzustehen, immer in dem Willen, auch das fremde Verhalten als eigenes zu wollen. Das oben angeführte Argument bezüglich der notwendigen Teilnahme ist kein Einzelfall. Denn wenn man die Beteiligung als einen mittelbaren Angriff auf das Rechtsgut, und zwar als ein kausales Außenweltgeschehen erfasst, liegt es nahe, den Schwerpunkt der Zurechnung auf die 478

Roxin, AT II, § 26, Rn. 53. RGSt 37, 321 ff.; RGSt 68, 411; BGH StV 1985, 279; OLG Stuttgart NJW 1950, 118; OLG Düsseldorf JR 1984, 257; OLG Stuttgart NJW 1987, 2883; Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele, § 26, Rn. 116; Bechtel, Jura 2016, 870. 480 Hassemer, wistra 1995, 43; Tag, JR 1997, 51; Wolff-Reske, Verhalten, S. 45, 58 f.; Kudlich, Unterstützung, S. 141; Kindhäuser, FS-Otto, S. 357 f. 479

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psychologisierende individuelle Deutung des Willens des Handelnden zu legen.481 Um das Argument des Tatförderwillens für die Straflosigkeit des begünstigten Gläubigers überzeugend zu widerlegen, ist zu untersuchen, welche Rolle die individuelle Sinngebung des Handelnden für die Zurechnung der Beteiligung spielt. Das lässt sich in zwei Hinsichten darlegen: Zum einen geht es um die allgemeinen Regeln der Feststellung der Zuständigkeit, zum anderen kann man auf den Handlungsbegriff zurückgehen. Nach hiesiger Meinung geht es im Fall des gemeinsamen Handelns um die autonome Verbindung der Handlungsspielräume, aufgrund deren sich der Zuständigkeitsbereich des einzelnen Mitwirkenden auf fremdhändige Ausführung erstreckt. Die Gründe, die zugunsten einer bestimmten Zuständigkeitsverteilung angeführt werden, müssen, der Gleichheit aller Rechtsgenossen entsprechend, über die Bekundung individueller Befindlichkeiten hinausgehen und allgemeine Akzeptabilität für sich beanspruchen.482 Dies erst entspricht der Aufgabe des Strafrechts, die Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens zu erhalten, mithin ausschließlich den Bereich der Interpersonalität zu regeln. Die individuelle Befindlichkeit als Tatsache innerhalb der Sphäre der Privatheit kann kein Grund für die Festlegung der Zuständigkeit sein, die interpersonal stattfinden muss. Die Geltung dieses Grundsatzes ist durchaus nicht selten in der Strafrechtsdogmatik. Bei der Feststellung der Erforderlichkeit der Notwehr, die für die Zuständigkeitsverteilung zwischen Angreifer und Angegriffenem maßgeblich ist, kommt es nicht auf die individuellen Vorgaben des Angegriffenen an, sondern auf die objektive Angemessenheit der Reaktion des Angegriffenen,483 also ist es unerheblich, ob der Verteidiger seine Verteidigung für erforderlich hält, ob der Verteidiger ausschließlich den Angriff selbst abwehren oder sich rächen will. Dies gilt auch für die Zuständigkeitsverbindung im Fall des gemeinsamen Handelns. Der Tatförderwille vermag keine Zuständigkeitsverbindung zu begründen, die fremdes Verhalten zu eigenem macht. Dementsprechend vermag das Fehlen des Tatförderwillens beim Gläubiger die eventuelle Zuständigkeitsverbindung auch nicht auszuschließen. Stellt man die Zurechnung auf die individuelle Sinngebung ab, könnte der Mitwirkende, der seine Pistole demjenigen überreicht, der offenbar zum Mord entschlossen ist und das potentielle Opfer gerade vor sich hat, zu seiner Verteidigung anführen, dass er nicht davon ausgegangen sei, den Mord des Täters zu fördern.484 Das Ergebnis widerspricht der Gleichheit der Rechtsgenossen, indem es den Handelnden unbegründet privilegiert, und vermag daher keine allgemeine Akzeptabilität zu erfahren. Kurzum: Es ist im Rahmen der auf die Erhaltung der Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens abzielenden Strafrechtsnormen undenkbar, dass die Festlegung des Zuständigkeitsbereiches zur Disposition der Mitwirkenden stehen. 481 482 483 484

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 628; Lesch, ZStW 105 (1993), 281. Pawlik, Unrecht, S. 236. Pawlik, Unrecht, S. 237. Orozco López, Beteiligung, S. 251 f.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

Die unter Zuständigkeitsgesichtspunkten angebrachte These findet ihre Stützung auch in der Erörterung des Handlungsbegriffs. Die Untersuchung des Handlungsbegriffs in der Strafrechtsdogmatik hat immer geringe Beachtung gefunden. In der Tat ist das menschliche Handeln nicht ausschließlich Körperbewegung, sondern interpretierte Handlung. Die spezifische Beteiligungsfrage, ob der Tatförderwille ein taugliches Mittel zur Festlegung der akzessorischen Zuständigkeit darstellt, lässt sich der Sache nach auf das allgemeinere Zurechnungsproblem zurückführen, ob die individuelle Sinngebung des Handelnden eine Rolle für die Interpretation des Sinngehalts der Handlung spielt. Innerhalb der philosophischen Handlungstheorie geht ein bedeutsamer Ansatz davon aus, dass bei der Betrachtung ein und desselben Ereignisses mit unterschiedlich weiter Fokussierung jeweils zwar nur eine Handlung vorliegt, die aber unterschiedlich beschrieben werden kann.485 Also variiert die Bedeutung der Handlung in Abhängigkeit vom jeweils zugrundegelegten Bewertungsschema.486 Daher ist vor allem zu bestimmen, wer nach welcher Maßgabe die Handlung interpretiert, d. h. es sind die Perspektive der Interpretation und das Bewertungsschema zu bestimmen. In erster Linie sind Handlungen als „Stellungnahmen“ und Formen des „Sinnausdrucks“, d. h. als kommunikative Vorgänge begreifbar, bei denen es nicht nur auf den Horizont des Ausdrückenden, sondern auch auf denjenigen des Empfängers ankommt.487 „Indem der Handelnde sich daranmacht, seine Intention in einer öffentlichen und öffentlich anfechtbaren Tat auszudrücken, büßt er seinen Anspruch auf die alleinige Verfügungsgewalt über Natur und Bedeutung dieser Tat ein.“488 Die Auffassung, dass der strafrechtlich relevante Bedeutungsgehalt einer Handlung sich hauptsächlich nach der vom Handelnden ex ante gebildeten Intention richte, ist deswegen unzutreffend, weil es das „Sich-Fremdwerden des subjektiven Willens in der Objektivität seines Tuns“489 ignoriert.490 Daher verliert der eventuelle Willensinhalt des Gläubigers, dass er sein Recht verfolgen, aber nicht dem insolventen Schuldner helfen will, seine Definitionsmacht, sobald er die ihm vom Schuldner angebotene Sicherung bzw. Befriedigung entgegennimmt, denn seine subjektiven Zwecke schlagen im Moment ihrer tätigen Ausführung in ein „Sein für Anderes“ um.491 Insofern kann die Handlung nicht vom Handelnden, sondern muss vom objektiven Beobachter interpretiert werden.

485

Vgl. Davidson, Handeln, S. 73, 87 ff.; Feinberg, Handlung, S. 186 ff.; Müller/Christensen, Methodik, S. 193; Pawlik, Normbestätigung, S. 19 ff.; Kudlich, Unterstützung, S. 177. 486 Pawlik, Normbestätigung, S. 30. 487 Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27. 488 Pawlik, Normbestätigung, S. 17; Pippin, Aktualität, S. 235 f.; Caspers, Schuld, S. 220 f.; Eßbach, Studium, S. 137 f. 489 Caspers, „Schuld“, S. 113. 490 Pawlik, Normbestätigung, S. 17; Jakobs, Handlungsbegriff, S. 27 ff.; Orozco López, Beteiligung, S. 253 f. 491 Caspers, Schuld, S. 228; Pawlik, Normbestätigung, S. 17.

C. Konstruktive Erfassung der Verbindung mehrerer Organisationskreise

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Im Bereich des Strafrechts weist die sinnvolle These, dass Handlung gerade Sinnausdruck ist, zudem darauf hin, dass die Handlung Sinnausdruck gegen die Strafrechtsnormen darstellt, und zwar gegen das Bewertungsschema der Strafrechtsnormen. Mit der Interpretation als Normwiderspruch wird eine Handlung nicht in dem Sinne erklärt, dass ein Grund für seinen Vollzug angegeben wird, etwa wie: „Der Gläubiger hat die Begünstigung entgegengenommen, weil er sein Recht verfolgen wollte“; vielmehr wird eine Handlung in ihrem Verständnis als Normwiderspruch als Ausdruck des Willens betrachtet, das normativ Gesollte nicht als Gewolltes zu realisieren.492 Aus dem spezifischen Blickwinkel des Strafrechts interessiert nicht die individuelle psychologische Intention des Handelnden, ausschließlich sich selbst zu begünstigen oder dem Haupttäter zu helfen, sondern die von ihm durch sein Verhalten zum Ausdruck gebrachte Beziehung zur Rechtsordnung.493 Es geht nicht um den Zweifel an der Authentizität der Selbstdeutung, sondern um die Ablehnung ihrer Verbindlichkeit für die Interpretation aus dem spezifischen Blickwinkel des Strafrechts.494 Daher vermag das Wollen der Selbstbegünstigung den eventuellen Bedeutungsgehalt seiner Handlung nicht auszuschließen, dass die Mitwirkung des Gläubigers eine Ablehnung der Geltung der Strafrechtsnormen darstellt. Maßgeblich ist nicht die Entscheidung zwischen zwei Intentionen – eigenes Recht zu verfolgen oder dem Schuldner zu helfen –, sondern die stellungnehmende Wahl zwischen zwei Verhaltensoptionen, deren eine vonseiten des Strafrechts als rechtmäßig, deren andere, die vom mitwirkenden Gläubiger gewählte, eventuell als rechtswidrig bewertet wird.495 Durch die Erörterung des Handlungsbegriffs bestätigt sich erneut der unter Zuständigkeitsgesichtspunkten sich ergebende Befund: Die Privilegierung der notwendigen Mindestmitwirkung durch die Vermutung eines fehlenden Tatförderwillens ist unbegründet. Dafür, ob die Annahme der Begünstigung als strafbare Beihilfe definiert werden kann, kommt es nicht darauf an, ob der Gläubiger dem Schuldner helfen will, sondern darauf, ob die Annahme der Begünstigung aus der Warte des objektiven Beobachters als ein sinnvoller Teil des strafrechtlich relevanten gemeinsamen Handlungsprojekts interpretiert werden kann.

III. Zusammenfassung Niemand darf fremde Rechtsbereiche in Anspruch nehmen, wobei es gleichgültig ist, ob der Rechtsbereich von einer Person allein oder mehreren Personen zusammen im Einverständnis gestört wird. Alle müssen die Kosten der verantwortlich bewirkten Störungen in fremden Rechtsbereichen selbst tragen, wobei es gleichgültig ist, ob 492 493 494 495

Kindhäuser, FS-Hollerbach, S. 638; Pawlik, Normbestätigung, S. 16 ff. Pawlik, Normbestätigung, S: 30; Jakobs, System, S. 20. Pawlik, Normbestätigung, S. 30; Jakobs, ZStW 97 (1985), 760. Pawlik, Normbestätigung, S. 30.

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3. Kap.: Beteiligung als Verbindung der Organisationskrise

jemand durch eigenhändige Ausführung der tatbestandmäßigen Handlung oder durch selbstbestimmte Kooperation mit anderen in fremde Rechtsbereiche einbricht. Die Beteiligungsdogmatik stellt eine konsequente Entfaltung dieser zwei Grundsätze dar. Der Repräsentanzgedanke verleiht dem allgemeinen Respektierungsprinzip seine konkrete Ausprägung im Fall der Beteiligung. Die These, dass der einzelne Mitwirkende durch die selbstbestimmte Verbindung seines Organisationskreises mit dem des Ausführenden die Respektierungspflicht gegenüber dem Opfer verletzt, legitimiert freiheitstheoretisch das Verbot, sich am Delikt zu beteiligen. Versteht man das Rechtsinstitut der Beteiligung unter Zuständigkeitsgesichtspunkten, ist es nicht schwierig zu erkennen, dass die herkömmliche Diskussion der Kausalität zwischen dem fraglichen Verhalten und dem tatbestandlichen Erfolg als solche falsch ist und das Unrecht der Teilnahme unabhängig von der individuellen Zielsetzung des Mitwirkenden ist, dem Haupttäter zu helfen. Denn die Gründe für die Zuständigkeitsverbindung müssen, der Gleichheit aller Rechtsgenossen entsprechend, über die Bekundung individueller Befindlichkeiten hinausgehen und allgemeine Akzeptabilität für sich beanspruchen.

Viertes Kapitel

Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen A. Die Zuständigkeit des Mitwirkenden statt des eigenständigen Rechtsgutsangriffs: Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216) In der herkömmlichen Behandlung der Problematik der notwendigen Teilnahme spielt das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs für eine strafbare Teilnahme zweifellos eine gravierende Rolle. Aber wie oben schon bewiesen, lässt sich das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs als Fremdkörper der Akzessorietät der Teilnahme nicht plausibel begründen. Denn das Akzessorietätsprinzip wird überwiegend im Sinne der Ableitung des Teilnahmeunrechts vom Haupttatunrecht verstanden. Das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs impliziert jedoch ein unabhängiges Teilnahmeunrecht. Es ist logisch undenkbar, dass das Unrecht der Teilnahme abhängig und zugleich unabhängig begründet wird. In den Worten von Jakobs: „Akzessorietät verschmutzt den Rechtsgutsangriff und vice versa.“1 Selbst wenn man dem Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs trotzdem folgt, lässt sich seine Erklärungskraft für die einzelnen Deliktstatbestände mit notwendiger Teilnahme bezweifeln. Folgt man dem Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs, ist nach dem verbreiteten Erklärungsansatz des § 216 die Straflosigkeit des seine Tötung Verlangenden weit davon entfernt, selbstverständlich zu sein. Die typischerweise gegebene Erläuterung zum Legitimationsgrund des § 216 weist auf die Unverfügbarkeit des Rechtsguts Leben hin.2 Hinter der „Unverfügbarkeit“ des Rechtsguts steht regelmäßig die dezidierte Aussage, dass „hier zugleich fundamentale öffentliche Interessen mit berührt werden“.3 Auch der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung festgestellt, dass „die Vernichtung des Menschenlebens nicht zuletzt zum Schutze der Allgemeinheit mit Strafe bedroht“ sei.4 Unter dieser Prämisse ist die in § 216 kodifizierte Entlastung des Sterbewilligen trotz seiner Mitwirkung nicht recht einsichtig, weil das geschützte Rechtsgut nicht mehr das individuelle Leben des von der Tat Betroffenen als solches ist, sondern das 1 2 3 4

Jakobs, Theorie, S. 20. Rengier, BT II, § 6, Rn. 1; vgl. auch BGH NStZ 2016, 469, 470. Statt aller Wessels/Beulke, Rn. 372. BGHSt 4, 88 (93); siehe auch BayObLGSt 1957, 75 (76).

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Interesse der Allgemeinheit. Konsequent durchgeführt, muss der Sterbewillige, der einen Dritten zur Tötung veranlasst, als Anstifter bestraft werden, da er auch das Interesse der Allgemeinheit verletzt, was das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs erfüllt. Stattdessen liegt das Wesen der Beteiligung nach hiesiger Meinung darin, dass der Beteiligte durch seinen Tatbeitrag auf akzessorische Weise die Rechtssphäre des Opfers missachtet. Die Akzessorietät der Beteiligung bedeutet die Zuständigkeit des einzelnen Beteiligten für die Belange des Opfers aufgrund einer selbstbestimmten Verbindung seines Organisationskreises mit dem der anderen Beteiligten. Es geht nicht um einen angeblich geforderten eigenständigen Rechtsgutsangriff, sondern um das Rechtsverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem Opfer, dessen Verletzung das kriminale Unrecht ausmacht. Soll der Mitwirkende von der strafrechtlichen Verantwortung für den Bestand der Belange überhaupt entlastet werden, so würde das Ziel des akzessorischen Zurechnungsmodells verfehlt, wenn die tatbestandsmäßige fremdhändige Ausführung dem Mitwirkenden zugerechnet würde.5 Denn das Akzessorietätsprinzip dient der Rechtfertigung der Verantwortung für fremdhändige Ausführung auf eine mit dem Selbstverantwortungsprinzip vereinbare Weise, aber nicht der Verpflichtung des Nicht-Pflichtträgers. Also bezeichnet das Akzessorietätsprinzip die spezifische Art der Verletzung der generellen Pflicht zur Respektierung der fremden Rechtssphäre im Fall des gemeinsamen Handelns, erzeugt selbst aber kein neues Pflichtverhältnis. Daher ist die hier anstehende Frage, ob der Sterbewillige als Teilnehmer des § 216 strafbar ist, unter Zuständigkeitsgesichtspunkten letztlich davon abhängig, ob die einzelne Person für die Erhaltung ihres eigenen Lebens zuständig ist. Denn nach hiesiger Auffassung lässt sich nicht nur Täterschaft, sondern auch Teilnahme auf die Verletzung der Zuständigkeit zurückführen. Wenn niemand strafrechtlich für die Selbsterhaltung zuständig ist, ist der Einzelne im Hinblick auf seine Beteiligung ebenso wenig begründungspflichtig wie im Hinblick auf seine unmittelbare Täterschaft, d. h. die eigenhändige Selbsttötung. Lässt man die positivrechtliche Strafdrohung der Tötung auf Verlangen außer Betracht, ist es einfach zu behaupten, dass niemand rechtlich zum Weiterleben verpflichtet ist. Allerdings ist es nicht zu übersehen, dass diese These wegen der positivrechtlichen Strafbarkeit des auf Verlangen Tötenden unter gravierendem Druck steht. Das weit verbreitete Legitimationsmodell des § 216 impliziert durch die Berufung auf Interessen der Allgemeinheit tatsächlich, dass die einzelne Person gegen die Gemeinschaft die Rechtspflicht zum Weiterleben hat. Der gegenwärtige Stand ist, dass niemand den Sterbewilligen als Anstifter bestrafen will, allerdings fehlt immer ein überzeugender Grund, der mit dem Legitimationsgrund des § 216 und der Beteiligungslehre vereinbart ist. Diese in der Diskussion der notwendigen Teilnahme zugespitzte Unstimmigkeit lässt sich auf das Spannungsverhältnis zwischen der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen und der Straflosigkeit des Suizids zurückführen: Der Suizid ist „ohne Blick auf die Gründe des Lebensmüden straffrei 5

Jakobs, Theorie, S. 19.

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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[…], so dass auch der arroganteste und dümmste Grund durchgeht“ und ein „einigermaßen ubiquitärer Liebeskummer hinreicht“, während „im Gegensatz dazu die Tötung auf Verlangen, jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes stets tatbestandsmäßig ausfällt“.6 Daher ist es für die Begründung der Straflosigkeit des seine Tötung Verlangenden erforderlich, zuerst auf den Legitimationsgrund des § 216 einzugehen, wobei es einer Sorgfalt wie im chirurgischen Verfahren bedarf. Erst wenn es uns gelingt, § 216 zu legitimieren, ohne die grundlegende These umzustürzen, dass niemand die Rechtspflicht zum Weiterleben hat, findet die Entlastung des Verlangenden wegen seiner Mitwirkung ihren tragfähigen Grund.

I. Rechtspflicht zum Weiterleben? 1. Berufung auf übergeordnete Interessen der Allgemeinheit Als Gegenstand der angeblich im Fall der Tötung auf Verlangen berührten Interessen der Allgemeinheit kommen zwei Dinge in Betracht. Zum einen geht es um den Schutz des Fortbestands der Gemeinschaft. Die Pflicht des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft zum Weiterleben wird aus der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit aller Mitglieder abgeleitet. Zum anderen richtet sich das Interesse der Allgemeinheit auf die Verhinderung von Tabubrüchen und der Aufweichung des Lebensschutzes. Diese Konzeption stützt sich vornehmlich auf das Denken der positiven Generalprävention. Die anschließende Ausführung beweist, dass beide kollektiven Stoßrichtungen nicht überzeugend sind und auf erhebliche Bedenken stoßen. a) Das Bestandsschutzargument Nach dieser Auffassung sind nicht die Belange des Einzelnen maßgeblich für die Schutzwürdigkeit des Lebens, sondern seine Funktion für die Bestandserhaltung der Gemeinschaft. So argumentiert Weigend: „Da die Gesellschaft für ihre Existenz darauf angewiesen ist, dass ihre einzelnen Mitglieder physisch vorhanden sind, kann es sie nicht gleichgültig lassen, wenn sich einzelne ohne weiteres ins Jenseits verabschieden.“7 „Im Unrechtstatbestand“, führt Schmidhäuser aus, „geht es bei Fremdwie bei Selbsttötung allemal um die Tötung eines Menschen; der Unwertsachverhalt und damit der Unrechtsgehalt ist beidemal der gleiche.“8 Vor allem kann die Logik dieser Argumentation eine unerträgliche Folgerung implizieren, nämlich dass für Schwerstkranke, Drogenabhängige, Straftäter oder Schwerstbehinderte ein kollektives Interesse an ihrem Weiterleben zweifelhaft und 6 7 8

Jakobs, Tötung, S. 14. Weigend, ZStW 96 (1986), 66; ähnlich auch Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 817. Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 813.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

deshalb deren Tötung auf Verlangen durchaus zulässig ist.9 Zudem wohnt dieser Erwägung keine Grenze inne, mit der sich deren Geltung auf die Aufgabe des menschlichen Lebens beschränken ließe. Konsequent durchgeführt kann man alle individuellen Belange auf dem Hintergrund der Gemeinschaftsbezogenheit erklären. Infolgedessen steht jede Nutzung von Gütern durch den Einzelnen unter dem Vorbehalt, dass sie dem Bestandsinteresse der Gesellschaft nicht zuwiderläuft; allerdings schützt eine freiheitliche Gemeinschaft die Freiheiten ihrer Bürger gerade auch dort, wo sich ihre Ausübung nicht als sozialnützlich erweist.10 Folgt man dieser kollektiven Überlegung, lassen sich viele Konstellationen der rechtlich anerkannten Freiheitsausübung des Einzelnen nicht annehmen, z. B. die Auswanderung in fremde Länder, gesundheitsgefährdendes Verhalten wie Rauchen, übermäßiges Essen und Trinken, Ausübung von Risikosportarten.11 Darüber hinaus ist der Preis der Entscheidung für den kollektiven Lösungsweg beträchtlich, weil der § 216 nicht als eine Ausnahme vom Rechtsinstitut der Einwilligung erklärt wird, sondern schlechthin das Fundament des Rechtsinstituts zerstört. Denn jede Verhaltensweise, durch die der Einzelne sein Leben führt, kann die angebliche Bestandssicherung der Gemeinschaft betreffen; also gibt es demgemäß gar keine rein private Entscheidung. Der Sache nach wandelt sich durch die Einwilligung der Sinn des Geschehens vom Eingriff in einen fremden Rechtsbereich zur Mithilfe bei der Nutzung rechtlich zulässiger Selbstbestimmung.12 Im Rahmen der kollektivistischen Überlegung ist durchaus kein Raum für diese Sinnverwandlung, da es im Rahmen dieser Überlegung ausschließlich um eine Minderung der sozialen Nützlichkeit geht. Letztlich geht die Argumentation vom Vorrang der Gemeinschaft vor dem einzelnen Bürger aus, was als solches schon vielen Einwänden ausgesetzt ist.13 Die Gemeinschaft existiert, um zu garantieren, dass ihre Mitglieder ihr eigenes Dasein selbstbestimmt gestalten können, nicht aber leben die Mitglieder auf Kosten der Selbstbestimmung, um die Existenz der Gemeinschaft zu sichern. Dementsprechend ist der kollektivistische Ansatz auch mit einem Rechtsverhältnis unvereinbar, „das auf dem Grundsatz originärer, nicht von der politischen Gemeinschaft abgeleiteter Freiheit des einzelnen beruht“.14 Nach dem hiesigen Verbrechensbegriff besteht das strafrechtliche Unrecht in der Verletzung der Pflicht, einen Beitrag zur Wahrung der Freiheit des einzelnen Bürgers zu leisten. „Die der Rechtsgemeinschaft geschuldete Mitwirkungspflicht soll der Selbstbestimmung der Bürger dienen und darf nicht 9

Mosbacher, Selbstschädigung, S. 177; Maatsch, Selbstverfügung, S. 45. Engländer, Nothilfe, S. 133. 11 Roxin, in: FS-Dreher, S. 338; Engländer, Nothilfe, S. 133; Tenthoff, Strafbarkeit, S. 148. 12 Pawlik, Unrecht, S. 115; Müssig, Mord, S. 344 ff. 13 Gallas, JZ 1960, 654; Sternberg-Lieben, Einwilligung, S. 115; Roxin, FS-Dreher, 1977, S. 338; Dölling, GA 1984, 85; Maatsch, Selbstverfügung, S. 43 f.; Mosbacher, Selbstschädigung, S. 177. 14 Pawlik, Unrecht, S. 114, 225. 10

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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gegen diese ausgespielt werden.“15 Eine vom Willen des einzelnen Bürgers unabhängige Pflicht zum Weiterleben verletzt beträchtlich die Selbstbestimmung des Bürgers. In Bezug auf die hier interessierende Frage, nämlich die Behandlung des Sterbewilligen, läuft das Bestandsschutzargument auf unerträgliche Folge hinaus. Erklärt man § 216 unter Berufung auf Interessen der Allgemeinheit, nimmt man tatsächlich an, dass jede Person gegen die Gemeinschaft verpflichtet ist, weiterzuleben. Konsequenterweise existiert dann kein Hindernis, den Sterbewilligen als Teilnehmer zu bestrafen. Um dies zu vermeiden, versuchen die Vertreter des Ansatzes, die Entschuldigung des Suizids auf die besondere physische Situation des ihn Begehenden zurückzuführen: Wer von der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens überzeugt ist, lässt sich durch Strafvorschriften nicht zum Weiterleben motivieren und befindet sich in einer „notstandsähnlichen Situation“, wobei „besondere gesetzliche Entschuldigungsgründe“ vorliegen.16 Das Argument vermag nicht zu überzeugen. Vor allem unterschätzt das Argument die Orientierungswirkung der Strafvorschriften insofern, als es sich bei Selbsttötungen größtenteils um sog. Appellsuizide oder sonstige Kurzschlussreaktionen handelt, aber nicht um eine wirkliche Überzeugung von der Sinnlosigkeit des eigenen Lebens.17 Deswegen kann man nicht ohne weiteres konstatieren, dass die Straflosigkeit der Selbsttötung sich auf das Fehlen der Zumutbarkeit zurückführen lässt. Wenn die Straflosigkeit der Selbsttötung wirklich auf einer „notstandsähnlichen Lage der subjektiven Ausweglosigkeit“ beruht, ist es zudem nicht verständlich, warum beim Selbsttötungsversuch eines Wehrpflichtigen die Strafbarkeit gemäß § 109 StGB begründet wird, da die subjektive Verfassung des Sterbewilligen in beiden Konstellationen vergleichbar sein wird. Daher kann der Grund der Straflosigkeit der Selbsttötung nicht in der Unzumutbarkeit liegen. In den Worten von Hälschner: „Der rationelle Grund dafür [i. e. für die Straflosigkeit der Selbsttötung] liegt nicht in der Unmöglichkeit der Bestrafung des vollendeten Selbstmordes, oder in criminalpolitischen Bedenken welche der Bestrafung des Selbstmordversuches entgegenstehen, sondern darin, dass der Mensch zu sich selbst in keinem Rechtsverhältnisse stehet und darum auch an sich selbst kein Unrecht begehen kann.“18

15

Pawlik, Unrecht, S. 116. (Hervorhebung im Original) Otto, FS-Lange, S. 213; Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 813 ff.; Gallas, JZ 1960, 655. 17 Frisch, Leben, S. 114; Feldmann, Strafbarkeit, S. 168 ff.; Engländer, FS-Schünemann, S. 588; F. Müller, Verbot, S. 124 f. 18 Hälschner, preußisches Strafrecht, Teil 3, S. 65; ders., preußisches Strafrecht, Teil 2, S. 241; ferner Köstlin, System I, § 36 (S. 99, 104); Abegg, Lehrbuch, § 103. 16

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

b) Das Tabubruch-Argument und andere auf Generalprävention bezogene Argumente Nach dem Tabubruch-Argument führt eine Abschaffung oder Einschränkung von § 216 StGB dazu, dass „die Wertschätzung des Lebens in der sozialethischen Anschauung der Bevölkerung sinkt“.19 Das Verbot der Tötung auf Verlangen ist ein unverzichtbares „funktionales Element im Rahmen des allgemeinen Lebensschutzes“20 und dient der „Bekräftigung prinzipieller Unantastbarkeit fremden Lebens“ zur „Sicherung des Lebens aller Bürger“.21 Das Argument ist zuerst mit dem Zweifel konfrontiert, ob das menschliche Leben so unantastbar ist, wie es der Begriff „Tabu“ üblicherweise besagt. In erster Linie liegt es auf der Hand, dass Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG das Grundrecht auf Leben ausdrücklich unter einen Schrankenvorbehalt stellt; z. B. ist die Tötung eines Angreifers in der Konstellation der Notwehr unabhängig von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtlich erlaubt, sofern sie erforderlich ist.22 Daher kann man kaum von der Absolutheit des Lebensschutzes reden. Selbst wenn sich ein Tötungsverbot ethisch feststellen ließe, lässt sich die strafrechtliche Relevanz bezweifeln. Die Entscheidung des BVerfG führt deutlich aus, dass ein bestehender oder mutmaßlicher Konsens über Werte- und Moralvorstellungen nicht geeignet ist, strafrechtliche Verbote zu legitimieren, die das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben einschränken.23 Das Tabubruch-Argument bringt die Gefahr mit sich, ein Passepartout für die Inkriminierung jeglichen unerwünschten Verhaltens in der Hand zu halten,24 was dem an personaler Freiheit orientierten Rechtsverständnis widerstreitet. Das Argument der Tabuisierung des Menschenlebens wird häufig in Zusammenhang mit dem Schiefe-Ebene-Argument verwendet, dem zufolge die Zulassung einer Tötung auf Verlangen der „erste Schritt“ zu weiteren Durchbrechungen des Tötungsverbots ist und insbesondere zur Erlaubnis der aktiven Euthanasie führen könne (sogenannter „Dammbrucheffekt“).25 Insofern geht es nicht um den Schutz des Sterbewilligen als solchen, sondern um den positiv-generalpräventiven Effekt der Strafe zugunsten von Dritteninteressen.26 Angesichts von Studien zur Sterbehilfepraxis in anderen Ländern ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Furcht vor

19

Dölling, GA 1984, 87. Möllering, Schutz, S. 114. 21 Sternberg-Lieben, Schranken, S. 118. 22 Pawlik, Unrecht, S. 225 f.; Hoerster, Sterbehilfe, S. 23; Engländer, Nothilfe, S. 136; F. Müller, Verbot, S. 66. 23 BVerfGE v. 26. 2. 2020 I 525, Rn. 234; Hoerster, Sterbehilfe, S. 23; Engländer, Nothilfe, S. 136; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 296; Hörnle, JZ 2020, 877. 24 Rönnau, Willensmängel, S. 164. 25 Hirsch, FS-Wezel, S. 791; Eser, Sterbehilfe, S. 45, 69. 26 R. Merkel, Früheuthanasie, S. 417 f.; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 3; Schneider, in: MK, § 216, Rn. 8; Ingelfinger, Grundlagen, S. 217. 20

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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Aufweichungstendenzen im Lebensschutz nicht unbegründet ist.27 Allerdings begegnet das Argument folgenden Bedenken: zum einen, ob die gegenwärtige Rechtslage ein taugliches Mittel für die Verhinderung solcher Aufweichungstendenzen darstellt; zum anderen, ob man den Expansionstendenzen mithilfe von Strafe begegnen darf. Wie oben ausgeführt, kann die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung nicht (allein) durch die Ausübung von Strafzwang bewerkstelligt werden; vielmehr muss der einzelne Bürger durch seine Bereitschaft zur Befolgung der Rechtsnormen dabei mitwirken. Dies setzt voraus, dass die Normen durch Werte legitimiert werden, die von der großen Mehrheit der Rechtsgenossen gebilligt werden, d. h. an den Plausibilitätshintergrund ihrer Zeit gebunden sind.28 Es ist zweifelhaft, ob die Bestrebung, mithilfe von § 216 einen absoluten Lebensschutz zu garantieren, mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit überhaupt in Einklang steht. Vor allem erweckt die gegenwärtige Rechtspflege nicht den Eindruck in der Gesellschaft, dass das Leben auf jeden Fall unabhängig vom Willen des Betroffenen „geschützt“ werden muss. Seit dem Fuldaer Fall wird der vom Patienten gewollte Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung, einschließlich der „passiven Sterbehilfe durch aktives Tun“, vom BGH als erlaubt anerkannt.29 Außerdem ist die Tendenz unübersehbar, dass sich die gesellschaftliche Überzeugung in der Zukunft weiter zugunsten der aktiven Sterbehilfe verschieben könnte30 – in den Worten von Fischer: „[Z]eitlebens zu größtmöglicher Individualisierung erzogene, gebildete und selbstbewusste Menschen werden es vermutlich viel weniger als frühere Generationen akzeptieren, dass ihnen am Lebensende ein Recht auf autonome Entscheidungen unter Hinweis auf ,übergeordnete‘, symbolische Notwendigkeiten vorenthalten wird.“31 Wer dennoch versucht, diese Tendenz kraft eines dogmatischen Machtworts bezüglich § 216 StGB zu verhindern, überschätzt das Potential der Rechtsnorm und unternimmt „ein aussichtsloses Unterfangen“.32 Darüber hinaus wird die präventive Überlegung der Selbstbestimmung des konkreten Lebensmüden nicht gerecht. Die bedeutsame Entscheidung des BVerfG vom 26. Februar 2020 erklärt § 217 als Widerspruch zum „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ für nichtig.33 Von zentraler Bedeutung ist die erstmalige ausdrückliche Anerkennung eines Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Die Erkenntnis betrifft nicht nur die Regelung bezüglich der Hilfe zu Selbsttötung, sondern auch jede 27

Die Autoren gegen das Schiefe-Ebene-Argument verneinen nicht die Möglichkeit der Aufweichung des Lebensschutzes durch eine schleichende Ausweitung rechtlicher Erlaubnistatbestände. Vgl. Pawlik, Unrecht, 228; Kubiciel, Wissenschaft, S. 187; a. A. Grünewald, Tötungsdelikt, S. 297 f.; Hörnle, JZ 2020, 877. 28 Pawlik, Strafrecht, S. 227 ff.; ders., Unrecht, S. 229; Parsons, System, S. 18. 29 BGHSt 55, 202 ff. 30 Pawlik, Unrecht, S. 229. 31 Fischer, FS-Roxin, 2011, S. 574. 32 Pawlik, Unrecht, S. 229; Kubiciel, JZ 2009, 602; Liao, Grundlage, S. 130. 33 BVerfGE v. 26. 2. 2020 I 525, Rn. 202 – 213.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

die Selbstbestimmung des Sterbewilligen einschränkende Norm. Zwar richtet sich die Strafdrohung des § 216 ausschließlich gegen den auf Verlangen Tötenden. Aber die Selbstbestimmung des Verlangenden wird auch dadurch erheblich beschränkt. Denn nach der Ratio des Rechtsinstituts Einwilligung ist derjenige, der sich autonom entschließt, Umschichtungen innerhalb seiner Rechtssphäre vorzunehmen, für die ihm zum Nachteil gereichenden Folgen seines Verhaltens selbst zuständig; er entlastet andere von Verantwortung.34 Die Bestrafung des das Tötungsverlangen Durchführenden schließt grundsätzlich die Möglichkeit aus, dass der Sterbewillige durch Dienstbarmachung fremder Fähigkeiten die eigene Zwecksetzung realisiert. Sicher muss man die Autonomie des Betroffenen in der Konstellation des Tötungsverlangens sorgfältig analysieren. Aber mit der Behauptung, dass das Leben nicht allein der personalen Entfaltung des Einzelnen diene, sondern auch dem überindividuellen Zweck, die Achtung vor dem Wert Leben in der Gemeinschaft zu sichern,35 blenden die generalpräventiven Erwägungen ohne weiteres die Rücksicht auf die Selbstbestimmung des Verlangenden aus. Infolgedessen wird das Leben des Sterbewilligen als Mittel zur Verhinderung der Dammbruchgefahr unabhängig von seinem Willen geschützt, genauer gesagt: ausgenutzt. Dies bedeutet eine Degradierung der Person zum Objekt der Bedürfnisse einer Gemeinschaft, was mit den Plausibilitätsstandards der heutigen Gesellschaft und ihrer Rechtskultur nicht vereinbar ist.36 Die Explikation der Entscheidung des BVerfG, dass die Beschränkung des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben ihrerseits einen Bezug zu den Rechten von Individuen aufweisen muss, entkräftet jede Auffassung, die aus übergeordneten Interessen der Allgemeinheit eine Selbsterhaltungspflicht herleitet.37 Geht man wirklich von der Stabilisierung des Tötungstabus oder der Verhinderung weiterer Durchbrechungen des Tötungsverbots aus, ist die Kriminalisierung der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids keineswegs unnachvollziehbar, sogar notwendig, denn man kann in der Geschäftsmäßigkeit ein Indiz für eine erhöhte Gefahr für das Tötungsverbot erblicken. In dogmatischer Hinsicht liegt die unüberwindbare Schwachstelle aller Versuche, § 216 unter Berufung auf übergeordnete Belange der Allgemeinheit zu rechtfertigen, darin, dass sie sich in folgenden Hinsichten als überschießend erweisen: Erstens wird die Möglichkeit der teleologischen Reduktion des § 216 schlechthin ausgeschlossen, was der Stellungnahme der Rechtsprechung widerspricht. Man kann sich zur Veranschaulichung folgende Konstellation vorstellen: Dem unter unerträglichen, auch durch Medikation nicht zu lindernden Schmerzen leidenden Sterbenskranken, der sich aus physischen Gründen nicht selbst töten kann, könnte der Tötungswunsch – der aus objektiver Perspektive als eine rationale Reaktion auf 34

Pawlik, Unrecht, S. 220; Müssig, Mord, S. 344 ff. Ingelfinger, Grundlagen, S. 214 ff. 36 Grünewald, Tötungsdelikt, S. 294; Kubiciel, Wissenschaft, S. 188; Frisch, Leben, S. 109; Hörnle, JZ 2020, 878. 37 Hörnle, JZ 2020, 877. 35

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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seinen Leidenszustand angesehen werden kann – nur deshalb versagt werden, weil das Erlaubnis seines Tötungsverlangens die Tötung (kranker und alter Menschen) auch ohne deren Verlangen gesellschaftlich anschlussfähig macht.38 Wenn diese präventive Überlegung konsequent durchgeführt würde, ergäbe sich daraus auch die Notwendigkeit, die indirekte oder passive Sterbehilfe, jede Beteiligung an einer Selbsttötung und sogar die eigenhändig durchgeführte Selbsttötung unter Strafe zu stellen.39 In den Worten von Jakobs: Ein solches Argument „ist zu unspezifisch, um speziell für ein Verbot einer Tötung auf Verlangen etwas herzugeben“.40 Zweitens ist unter Zugrundelegung des präventiven Erklärungsansatzes die Privilegierung des auf Verlangen Tötenden nach § 216 im Vergleich zum § 212 unbegründet. Denn dem Präventionsparadigma wohnt stets eine Expansionslogik inne.41 Um einen bestmöglichen Schutz des Tötungstabus zu erreichen, stellt die Ablehnung der Privilegierung eine rationale Option dar. Daher lässt sich, auch wenn das Tötungstabu als relevant für das kriminale Unrecht anerkannt wird, die gegenwärtige Rechtslage nicht dadurch rechtfertigen, dass die Freigabe derzeit verbotener Verhaltensweisen das Tabu verletzt. Denn die Privilegierung als solche kann das Tötungstabu bereits erodieren. Nicht zuletzt begründen solche Argumente nicht nur die Strafwürdigkeit des Dritten, sondern auch die des Sterbewilligen, der den Dritten zur Tötung veranlasst. Unter generalpräventiven Prämissen versagt das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs, da der Sterbewillige durch das Verlangen die Erosion des Tötungstabus verursacht. Um das unannehmbare Ergebnis zu umgehen, wird folgende Verteidigung angeführt: Bei den Verfügungsbeschränkungen im § 216 gehe es „nicht darum, was der mündige Mensch sich selbst antun darf, sondern um die ganz andere Frage, was Dritte mit ihm anstellen dürfen“;42 „Beschränkungen der Dispositionsbefugnis zwingen somit nicht dazu, das Rechtsgut als einen auch seinem Inhaber gegenüber geschützten Angriffsgegenstand zu betrachten.“43 Diese Verteidigung überzeugt nicht.44 In der Tat geht es nicht um die Verfügbarkeit oder Unverfügbarkeit des Rechtsguts des menschlichen Lebens, sondern um die Heranziehung der Interessen der Allgemeinheit. Denn die Aussage der Unverfügbarkeit des Rechtsguts 38 R. Merkel, Früheuthanasie, S. 420; Engländer, Nothilfe, S. 138; Jakobs, FS-Kaufmann, S. 470 f. 39 Jakobs, Tötung, S. 19 f.; Müssig, Mord, S. 353; Rönnau, Willensmängel, S. 165; Murmann, Selbstverantwortung, S. 519 f.; Hoerster, NJW 1986, 1791; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 298. 40 Jakobs, Tötung, S. 19. 41 Pawlik, Unrecht, S. 82; Hassemer, Selbstverständnis, S. 50. 42 Hirsch, ZStW 83 (1971), 167; M. K. Meyer, Autonomie, S. 202. 43 Sowada, Teilnahme, S. 85; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 30. 44 Die Autoren, die § 216 als von der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens ausgehend auffassen, räumen ein, dass es unzulässig ist, von der Straflosigkeit der Selbsttötung auf die Straflosigkeit der Teilnahme an der eigenen Tötung zu schließen. Siehe Otto, FS-Lange, S. 212 f.; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 150; O. Magata, Jura 1999, 252.

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Leben ist als solche nichtssagend und inhaltlich leer.Ihre Materialisierung erfolgt zwingend durch die Heranziehung der angeblichen kollektiven Bezogenheit des individuellen Lebens. Es ist wenig konsequent, dass das Interesse der Allgemeinheit in demselben Geschehen berührt und zugleich nicht berührt wird. Denn anders als die Pflicht, die sich nach ihrer begrifflichen Struktur immer auf ein bestimmtes Subjekt bezieht und deren Verletzung deswegen relativ bestimmt wird, weist das Interesse auf einen Gegenstand hin, dessen Verletzung sich nicht relativ feststellen lässt. Deswegen muss man, solange man die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen unter Berufung auf die Interessen der Allgemeinheit erklärt, das Unrecht des Verlangenden, der dann Anstifter wäre, als Implikation hinnehmen. 2. Intrapersonale Pflicht aufgrund der kantischen Vernunft Im Vergleich zu den kollektiven Ansätzen, die unter Berufung auf übergeordnete Interessen der Allgemeinheit stillschweigend eine rechtliche Pflicht zum Weiterleben postulieren, folgert ausdrücklich Köhler in Anlehnung an Kant „aus dem Prinzip der Selbstbestimmung […] eine Pflicht zur Selbsterhaltung der vernünftigen Existenz“.45 Die Selbsttötung als Negation „substantielle[r] Daseinsbedingungen freier Personalität“ ist selbstwidersprüchlich: Weil sämtliche Bedingungen der Praxis der eigenen Vernunft zu wollen seien, könne nicht gleichzeitig die Vernichtung dieser Bedingungen gewollt werden.46 Grundsätzlich entwickelt sich der Ansatz in den zwei Schritten, zuerst den Widerspruch der Selbsttötung zum kategorischen Imperativ mittels der „Selbstzweckformel“ zu erklären, sodann die Rechtswidrigkeit der Selbsttötung aus ihrer Sittenwidrigkeit abzuleiten. Beide Begründungsschritten sind jeweils Einwänden ausgesetzt. Vor allem versucht Köhler, durch die Hervorhebung der entscheidenden Bedeutung der physischen Existenz des Menschen für sein Selbstbestimmungsrecht die Unvernünftigkeit der Selbsttötung zu begründen.47 Aber diese Hervorhebung beschreibt nur einen natürlichen Konstitutionszusammenhang der Person, beweist jedoch nichts darüber, ob die natürliche Konstitutionsbasis bestehen bleiben soll.48 Unter dem kantischen Autonomiebegriff versteht man die moralische Selbstgesetzgebung aus reiner Vernunft, wobei der kategorische Imperativ das maßgebliche Prinzip darstellt. Daraus mag resultieren, dass jeder Mensch verpflichtet ist, vernünftig zu handeln, solange er lebt, jedoch geht daraus nicht hervor, dass dem Menschen die Pflicht zum Weiterleben aufgebürdet wird, damit er weiter vernünftig handeln kann.49 Als Grundlage der weiteren Argumentation dient eine von Kant 45

Köhler, AT, S. 255. Köhler, ZStW 104 (1992), 18 f.; Maatsch, Selbstverfügung, S. 189 ff. 47 Köhler, JRE 14 (2006), 442; ders., FS-Küper, S. 275 ff. 48 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 464. 49 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 464; Engländer, Nothilfe, S. 123; ähnlich auch Murmann, Selbstverantwortung, S. 187 ff. 46

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selbst vorgenommene Umformulierung des kategorischen Imperatives, nämlich die Selbstzweckformel, die lautet, „dass jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloße als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle“.50 Nach Köhler sind die Selbsttötung und -verstümmelung sowie die totale Selbstentäußerung (z. B. Selbstversklavung) Fälle „bloßer Selbstnegation“.51 Allerdings tritt eine Divergenz zwischen menschlicher Existenz und personaler Würde wie im Fall der Selbstversklavung nicht auf, wenn man sich kraft seiner personalen Selbstbestimmung dazu entschließt, seine physische Existenz als Mensch zu beenden.52 Wenn jemand einem anderen die Erlaubnis gibt, ihn, den Erlaubenden, bei Gelegenheit in Verfolgung seines, des Erlaubnisempfängers, Zwecks zu töten, kann man wohl konstatieren, dass es einen Widerspruch zur Selbstzweckformel wie im Fall des Versklavungsvertrags gibt.53 Aber in der Konstellation der Dienstbarmachung fremder Unterstützung macht sich der Sterbewillige gerade nicht zum Mittel des Helfers, sondern realisiert mittels seiner Unterstützung eigene Zwecke.54 Das Geschehen unterliegt der Entscheidungshoheit des Sterbewilligen, aber nicht der des anderen Betroffenen, was den maßgeblichen Unterschied zwischen Selbsttötung und Versklavung ausmacht. Deswegen ist es nicht überzeugend, die Selbsttötung als Widerspruch zur Selbstzweckformel aufzufassen. Selbst wenn man diesem schon in sich nicht überzeugenden Argument folgt, ist die Annahme einer rechtlichen intrapersonalen Pflicht immer noch höchst zweifelhaft, denn das Selbsttötungsverbot wird bei Kant lediglich als eine sittliche Pflicht formuliert, die keine Rechtspflicht zu konstituieren vermag.55 Es ist bekannt, dass in Abgrenzung zu den Gesetzen der Moralphilosophie das Recht durch Äußerlichkeit und Erzwingbarkeit charakterisiert ist. Kühl vertritt daher die Ansicht, dass mit der kantischen Festlegung des Rechtsbereichs als „das äußere und zwar praktische Verhältnis einer Person gegen eine andere“ Pflichten gegen sich selbst als Rechtspflichten ausscheiden.56 Also sind intrapersonale Rechtspflichten mit einer von Kants Rechtsbegriff tief geprägten modernen Rechtsordnung nicht vereinbar, denn diese regelt die äußeren Verhältnisse der Person zueinander und beschränkt sich daher auf die Erhaltung der Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens.57 50

Kant, AA IV, 433. Köhler, AT, S. 255 f.; ders., ZStW 104 (1992), 19; Maatsch, Selbstverfügung, S. 193. 52 Pawlik, Unrecht, S. 223, Fn. 438; Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 124; Kubiciel, AL 2011, 363; Engländer, Nothilfe, S. 124. 53 Jakobs, Tötung, S. 15 f. 54 Pawlik, Unrecht, S. 223, Fn. 438; ders., Recht, S. 146 f.; Jakobs, Tötung, S. 15 f.; Engländer, Nothilfe, S. 124. 55 Fateh-Moghadam, Einwilligung, S. 120; Kühl, Bedeutung, S. 44 f.; Jakobs, GA 2003, 65 f.; Pawlik, Unrecht, S. 223, Fn. 438; Hörnle, GA 2008, 708 f.; Vossenkuhl, Paternalismus, S. 281 f.; Ingelfinger, Grundlagen, S. 174. 56 Kühl, FS-Schreiber, 2003, 964 f. 57 Kühl, Bedeutung, S. 44 f.; Zaczyk, Selbstverantwortung, S. 25 ff.; Jakobs, Tötung, S. 11 f.; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 294 f.; Kubiciel, JZ 2009, 605; Ingelfinger, Grundlagen, S. 174. 51

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Die einzelne Person ist prinzipiell ausschließlich im äußeren Verhältnis zu anderen Personen verpflichtet, den fremden Rechtskreis zu respektieren, mehr nicht. Geht man Köhler zufolge von der Pflicht gegen sich selbst aus, ist der seine Tötung Verlangende ebenfalls strafbar. Um diese unerwünschte Ableitung zu vermeiden, verteidigt Maatsch, dass die Selbstverfügung über das Leben rechtswidrig, aber als Internum rechtlichem Zwang nicht zugänglich sei.58 Es ist jedoch wenig konsequent, einerseits die Rechtspflicht zur Selbsterhaltung gegen sich selbst zu postulieren, andererseits deren äußere Erzwingbarkeit zu verneinen.59 Die aus der sog. intrapersonalen Pflicht folgende Strafbarkeit des Suizids lässt sich nicht einfach durch die Behauptung der Unzugänglichkeit des Zwangs verneinen. Selbst wenn man die Verteidigung akzeptiert, dass die Strafbarkeit von der Zugänglichkeit des äußeren Zwangs abhängig ist, schließt die Darlegung von Maatsch, die einerseits die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen annimmt und anderseits die Beteiligung am Suizid als straflos erklärt,60 noch einen Widerspruch in sich, denn in beiden Konstellationen ist äußerer Zwang unterschiedslos möglich. Wer wie Maatsch die Selbsttötung als Verletzung einer Rechtspflicht gegen sich selbst erfasst, kommt konsequenterweise nicht umhin, die Teilnahme am Suizid als Unrecht zu betrachtet.61 Der Sache nach weist das Unrecht als Verletzung eines Rechtsverhältnisses zwingend auf den Eingriff einer Person in den rechtlich garantierten Freiheitsbereich einer wiederum anderen Person hin.62 Daher ist es undenkbar, in der Konstellation der Selbsttötung von Unrecht zu reden. Um den Übergang von der Sittenwidrigkeit zur Rechtswidrigkeit zu rechtfertigen, setzt Köhler am Rechtsbegriff an. Er sieht die Voraussetzung des Rechts darin, dass das Subjekt als Mitkonstituent des Anerkennungsverhältnisses nicht die Befugnis hat, sich „schrankenlos selbst wegzuwerfen“, da anderenfalls die Anerkennungspflicht des einen ohne Gegenstand bleibt; deswegen schließt das äußere Rechtsverhältnis das Gebot rechtlichen Daseins ein.63 Demgemäß schützt § 216 nicht den Verlangenden, sondern den „Mitkonstituenten des Anerkennungsverhältnisses“. Konsequent durchgeführt, muss der Sterbewillige als Anstifter bestraft werden, da er durch die Veranlassung des Dritten zur Tötung auch die Bestandsbedingungen des Anerkennungsverhältnisses unterminiert. Im Rahmen der hiesigen Konzeption, die die Strafe als Reaktion auf die Verletzung eines subjektiven Rechts auffasst, ist für Köhlers Ansatz, der das Unrecht in der Unterminierung der Bestandsbedingungen des intersubjektiven Rechtsverhältnisses erblickt, kein Raum.64 58

Maatsch, Selbstverfügung, S. 225. Ingelfinger, Grundlagen, S. 174; Pawlik, Unrecht, S. 223, Fn. 438; F. Müller, Verbot, S. 43 ff. 60 Maatsch, Selbstverfügung, S. 225. 61 Ingelfinger, Grundlagen, S. 174. 62 Grünewald, Tötungsdelikt, S. 294; R. Merkel, Früheuthanasie, S. 396 ff. 63 Köhler, JRE 2006, 436. 64 Kubiciel, Wissenschaft, S. 193. 59

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Nicht anders als für die auf dem Interesse der Allgemeinheit beruhenden Auffassungen ist in der hiesigen Konzeption auch kein Raum für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereiches des § 216. Wenn der Autonomiebegriff so anspruchsvoll aufgefasst wird, dass jede Selbsttötung ausnahmslos als unvernünftig und daher als Unrecht betrachtet wird, hat der von Köhler vorgeschlagene Ansatz – wie Fateh-Moghadam pointiert formuliert –, der „zwar unter der Flagge des Selbstbestimmungsrechts“ segelt, in Wahrheit „harten bzw. moralischen Paternalismus an Bord“,65 denn der harte Paternalismus ist gerade dadurch kenngezeichnet, dass er sich über die Selbstbestimmung des Betroffenen hinwegsetzt.

II. Der weich-paternalistische Schutz vor Übereilung Die bisherigen Überlegungen haben uns zu der Position geführt, dass im Rahmen einer freiheitlichen Rechtsordnung niemand wegen des kollektiven Bezugs des eigenen Lebens oder wegen der Unvernünftigkeit der Selbsttötung eine Rechtspflicht gegen die Gemeinschaft oder gegen sich selbst zum Weiterleben hat. Offen ist noch die Frage, wie § 216 auf der Basis einer solchen Position überhaupt überzeugend legitimiert werden kann. Der Ansatz, nach dem § 216 dem Schutz des Lebens vor der Gefahr der Durchführung einer nicht hinreichend durchdachten Lebenshingabe dient,66 bietet uns die Möglichkeit, die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen zu legitimieren, ohne die einzelne Person zum Weiterleben zu verpflichten. Anschließend wird zuerst das Defizit in der Begründung hervorgehoben und dadurch ein eventuelles Missverständnis vermieden. Sodann wird durch die Verarbeitung eines anspruchsvolleren Verständnisses der Autonomie des Sterbewilligen die Strafdrohung gegen den auf Verlangen Tötenden gerechtfertigt. 1. Selbsttötung und Vollzugsreife Die Sorge um die Übereilung der Entscheidung zum Suizid ergibt sich regelmäßig aus dem folgenden Vergleich: „Eigenhändige Selbsttötung und arbeitsteilige in Gestalt der Tötung auf Verlangen unterscheiden sich insoweit, als allein bei erster nie Zweifel an der subjektiven Vollzugsreife aufkommen können, während bei letzterer die Vollzugsreife bezweifelt werden mag, weil die Unterwerfung – sofern es um eine solche gehen sollte – unter ein Abstraktum erfolgt, eben unter einen noch zu bildenden Willen eines anderen, und deshalb die Gefahr besteht, dass nicht auf eigene

65

Fateh-Moghadam, Grenzen, S. 28. Zwar Differenzen im Einzelnen: Jakobs, Tötung, S. 21 ff.; ders., FS-Arthur Kaufmann, S. 467; Müssig, Mord, S. 354; Pawlik, Unrecht, S. 229 ff.; Kubiciel, Wissenschaft, S. 194 ff.; Engländer, Nothilfe, S. 126 ff.; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 299 ff.; R. Merkel, Früheuthanasie, S. 411 ff.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 493 ff.; Tenthoff, Strafbarkeit, S. 153 ff.; Schroeder, ZStW 106 (1994), 574; Liao, Grundlage, S. 157 ff. 66

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Zwecksetzung überhaupt verzichtet wird.“67 Die in der Begründung postulierte strenge Gleichsetzung von Selbsttötung und Vollzugsreife einerseits und Tötungsverlangen und fehlender Vollzugsreife andererseits ist jedoch Bedenken ausgesetzt.68 Die Unhaltbarkeit der Gleichsetzung zeigt sich vor allem in der Konstellation, dass ein schwer leidender Kranke wegen etwa starker physischer Beeinträchtigung faktisch nicht in der Lage ist, sein Leben eigenhändig zu beenden.69 Seine Entscheidung zur Selbsttötung, die in Wahrheit eine sachgemäße Reaktion auf seinen Leidenszustand darstellt, als übereilt zu definieren, ist ersichtlich nicht überzeugend. Die Behauptung, dass erst der von eigener Hand vollzogene Suizid den endgültigen Sterbewillen belege,70 ist ebenfalls unhaltbar. Denn beim selbstbezüglichen Handlungsvollzug durch das auf sich selbst zurückgeworfene Subjekt fehlt die äußere Instanz, die den Entschluss und die zugrundeliegenden Motive überprüft, während bei der Tötung auf Verlangen aufgrund der intersubjektiven Vollzugsstruktur eine hohe Gewähr für ein vollständiges Durchdenken des Zweckzusammenhangs besteht.71 Daher kann man weder aus der Modalität der fremdhändig organisierten Selbsttötung zwingend das Fehlen der Vollzugsreife der Entscheidung schließen, noch aus dem eigenhändigen Vollzug zwingend die Vollzugsreife. Jakobs ist selbst auch der Ansicht, dass der Schutz vor Voreiligkeit seine Berechtigung verliert, wenn der Wille zum Sterben Gründe hat, die aus Sicht eines objektiven Dritten als akzeptabel betrachtet werden.72 Die Annahme der teleologischen Reduktion des § 216 spricht tatsächlich dafür, dass insofern eigentlich nicht relevant ist, wer die Entscheidung zum Suizid umsetzt, sondern wie die Entscheidung begründet wird.73 In Bezug auf die hier interessierende Frage kann die Anbindung der Vollzugsreife der Entscheidung zur Selbsttötung an ihre eigenhändige Durchführung den missverständlichen Eindruck erwecken, dass sich die Transparenz der Selbsttötung im strafrechtlichen Sinne auf ihre Vollzugsreife zurückführen lässt. Der eigentliche Grund für die Irrelevanz der Selbsttötung für das strafrechtliche Verbot wird dadurch verwischt. Infolgedessen gibt es bei dem Versuch der Selbsttötung auch strafrechtliches Unrecht, wenn der Sterbewillige etwa wegen eines vorübergehenden Liebeskummers eine voreilige Entscheidung trifft. Dies ist für die Strafbarkeit des seine Tötung Verlangenden folgenreich. Denn wenn das Kriterium der Vollzugsreife wirklich eine Rolle für die strafrechtliche Bewertung der Selbsttötung spielt, ist der Gedankengang undurchführbar, die Strafbarkeit des Sterbewilligen als Anstifter 67

Jakobs, Tötung, S. 22. Pawlik, Unrecht, S. 230; Maatsch, Selbstverfügung, S. 50 ff.; F. Müller, Verbot, S. 112 ff.; Kubiciel, Wissenschaft, S. 206; Chatzikostas, Disponibilität, S. 265 f.; Hörnle, JZ 2020, 876. 69 Grünewald, Tötungsdelikt, S. 299; Pawlik, Unrecht, S. 230; Kubiciel, Wissenschaft, S. 206 f.; Murmann, Selbstverantwortung, S. 499 f. 70 Roxin, FS-Dreher, S. 339, 345; ders., FS-Jakobs, S. 577. 71 F. Müller, Verbot, S. 112; Pawlik, Unrecht, S. 230; Maatsch, Selbstverfügung, S. 51. 72 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S, 470. 73 Kubiciel, Wissenschaft, S. 207. 68

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dadurch zu verneinen, dass man die Tötung auf Verlangen als seine arbeitsteilig ausgeführte Selbsttötung definiert. Daher ist die schematische Gleichsetzung von Selbsttötung und Vollzugsreife einerseits, Tötungsverlangen und fehlender Vollzugsreife andererseits abzulehnen. Der Sache nach liegt der einzige Grund für die Straflosigkeit der Selbsttötung darin, dass sich eine Rechtspflicht zum Weiterleben in eine freiheitlich verfasste Rechtsordnung nicht integrieren lässt, wobei es gleichgültig ist, ob diese Entscheidung zum Suizid zum Zeitpunkt der Ausführung einen bestimmten Reifegrad erreicht hat. 2. Autonomie unter dem weich-paternalistischen Schutz Der Zweifel an der starren Gleichsetzung von Suizid und Vollzugsreife einerseits und Tötungsverlangen und fehlender Vollzugsreife andererseits bedeutet keineswegs, dass die Sorge um das Fehlen der Vollzugsreife unbegründet oder ihre konstruktive Bedeutung für die Legitimation des § 216 abzulehnen ist. Meines Erachtens ist der grundlegenden These zuzustimmen, dass § 216 durch die Verpflichtung des Dritten zur Unterlassung dem Schutz des Einzelnen vor der übereilten Entscheidung zur Selbsttötung dient. Die Überzeugungskraft dieser These ist von ihrer Beziehung zur Autonomie des Einzelnen abhängig. In erster Linie muss sie mit der Vorgabe im Urteil des BVerfG vereinbar sein, dass gesetzliche Verbote der Verhinderung der fremdbestimmten Entscheidungen für den Tod dienen müssen.74 Denn in Bezug auf die Beschränkung der Durchführung des Sterbewillens durch Inanspruchnahme fremder Hilfe ist § 216 mit § 217 vergleichbar. Da § 217 aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Autonomie des Einzelnen für nichtig erklärt wird, gibt es freilich keinen Grund, die Strafdrohung des auf Verlangen Tötenden nach § 216 von der Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Schutz der Autonomie des Einzelnen zu entlasten. Weiterhin ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtsinstitut der Einwilligung und dem Legitimationsgrund des § 216 zu lösen. In den Worten von Maatsch wird der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung weitgehend ausgehöhlt, weil die Schlüssigkeit des Vollzugsreife-Arguments voraussetzt, dass die fehlende Vollzugsreife des Verlangens zugleich die in diesem Verlangen liegende Einwilligung unwirksam werden lässt, da nur dann die Tötung auf Verlangen nach allgemeinen Grundsätzen als Unrecht eingestuft wird.75 Der Einwand postuliert, dass das Tötungsverlangen, welches das Unrecht völlig ausschließt, und die wirksame Einwilligung hinsichtlich des Niveaus der Anforderung an die Selbstbestimmung übereinstimmen. Nehmen wir den Begriff der Autonomie im Kontext des Tötungsverlangens in den Blick, ergibt sich die Unhaltbarkeit des Einwands. Die Annahme der Autonomie ist kein Selbstzweck, vielmehr verweist sie stets auf bestimmte Konsequenzen, für die das Subjekt einstehen muss. Dies bezieht sich nicht ausschließlich auf das Strafrecht, sondern auch auf andere Rechtsgebiete sowie 74 75

BVerfGE v. 26. 2. 2020 I 525, Rn. 227 – 259. Maatsch, Selbstverfügung, S. 52.

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alltägliche Lebensbereiche. Die Autonomie ist „nicht wesensmäßig vorfindbar, empirisch messbar oder psychologisch diagnostizierbar, sondern bezeichnet ein kontingentes normatives Konstrukt“.76 Dies wird tatsächlich insofern schon praktiziert, als die Strafrechtler einhellig vertreten, dass sich die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit nicht nach bestimmten Altersgrenzen und den Regeln richtet, die für die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit gelten.77 Legt man zutreffend die These zugrunde, dass Autonomie kein Wesensbegriff ist, sondern ein normatives Konstrukt darstellt, „braucht bei der Auslegung strafrechtlicher Normen nicht durchgängig ein und dasselbe Verständnis des Autonomiebegriffs zugrunde gelegt zu werden“.78 Daher existiert im Autonomiebegriff selbst kein Hindernis dafür, unterschiedliche Anforderungen an das Vorliegen einer autonomen Entscheidung aufzustellen, wenn diese Entscheidungen sich auf unterschiedliche Gegenstände richten. Die Betonung der Kontingenz und Normativität des Autonomiebegriffs bedeutet nicht Zufälligkeit, sondern dass man bei der Bestimmung der Maßstäbe der Autonomie der Art der Handlung und ihren Folgen sowie dem typischen Handlungskontext Rechnung tragen muss.79 Dies ist der gängigen Strafrechtsdogmatik auch nicht fremd. Bei der Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall – vornehmlich bei der Entscheidung des Minderjährigen und im Fall der ärztlichen Heileingriffe – wird der Grundsatz anerkannt, dass umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je gewichtiger der Gutsverlust und je schwerer die drohenden Folgen sind.80 Ob die Selbstbestimmung des Betroffenen bejaht wird und daher eine wirksame Einwilligung besteht, hängt insofern nicht vom empirischen psychologischen Zustand des Betroffenen ab, sondern von den auf die Schwere der Folgen normativ abgestellten Anforderungen. Beträchtlich unterscheidet sich der Umgang mit dem eigenen Leben von der Verfügung anderer individuellen Belange insofern, als der Verlust des menschlichen Lebens von einer weitgehenden, sogar umfassenden Tragweite und endgültig, also absolut irreversibel ist.81 In den Worten von Hoerster: „Wer nicht mehr lebt, kann sich weder seines Eigentums noch seiner Gesundheit noch irgendeines körperlichen oder geistigen Genusses erfreuen“;82 „[d]as seinem Träger genommene oder von ihm selbst preisgegebene Leben ist für ihn auf keine Weise wieder ersetzbar“.83 Stellt man zutreffend das Anforderungsniveau der Autonomie auf die Tragweite der in Rede 76

Fateh-Moghadam, Grenzen, S. 21, 27; Kirste, JZ 2011, 806. Staat aller Rengier, AT, § 23, Rn. 15; Kühl, AT, 8. Aufl., § 9, Rn. 33; Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 11. 78 Pawlik, Unrecht, S. 231. 79 Pawlik, FS-Kargl, S. 414; Kubiciel, Wissenschaft, S. 203; Fateh-Moghadam, Einwilligung, 2 ff.; ders., Grenzen, S. 27 f. 80 BGH 5 StR 541/17, Rn. 7; Rengier, AT, 10. Aufl., § 23, Rn. 15 f.; Duttge, Patientenautonomie, S. 79. 81 Pawlik, Unrecht, S. 231; Engländer, Nothilfe, S. 127; Hoerster, Sterbehilfe, S. 30. 82 Hoerster, Sterbehilfe, S. 30. 83 Hoerster, NJW 1986, 1789. 77

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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stehenden Entscheidung ab, ist es folgerichtig, dass die Durchführung eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens, das bei der Preisgabe weniger wichtiger individueller Belange als eine wirksame Einwilligung betrachtet würde, verboten werden darf, wenn es sich auf die Beendung eines menschlichen Lebens richtet.84 Die Hervorhebung der eigenartigen Folge der Lebensaufgabe ist jedoch nicht genügend für eine triftige Begründung. Denn dadurch wird die Gegenstimme noch nicht entkräftet, dass in dem Gedanken des Übereilungsschutzes eine paternalistische Anmaßung besteht, und zwar eine unzulässige Einmischung in einen Bereich, für den der Einzelne selbst die Konsequenz seiner freiheitlichen Entscheidung zu tragen hat.85 Um diesen Bedenken zu begegnen, müssen wir den typischen Autonomiedefiziten bei der Selbsttötung Rechnung tragen. Es geht bei Äußerungen, die vordergründig als Tötungsverlangen erscheinen, tatsächlich häufig um „verdeckte Appelle um Zuwendung angesichts einer als verzweifelt erlebten Lebenssituation“.86 Es ist durchaus nicht selten, dass trotz der Urteilsfähigkeit und Erkennung der Bedeutung seiner Entscheidung jemand aufgrund vorübergehender Stimmungsschwankungen einen für seine grundlegenden Belange verhängnisvollen Entschluss trifft.87 Außerdem besteht im Fall der Tötung auf Verlangen regelmäßig das Risiko, dass der geäußerte Sterbewille, ohne dass das unmittelbar zu erkennen wäre, mit kognitiv bedingten Defiziten bezüglich etwa der Schwere einer Erkrankung und eventuellen Heilungschancen behaftet ist.88 Wie die Erfahrung zeigt, sind daher selbst diejenigen, die einen Suizid ernsthaft versuchen, aber gerettet werden, zum überwiegenden Teil später über ihre Rettung froh und halten ihren Suizidversuch für unsinnig.89 So gesehen existiert in Wahrheit häufig ein Autonomiedefizit im Fall der Tötung auf Verlangen.90 Wenn die Grundvoraussetzung selbstbestimmter Entscheidungen fehlt, stellt der Eingriff des Strafrechts keineswegs einen mit der freiheitlichen Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden harten Paternalismus dar, sondern einen am Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen orientierten weichen Paternalismus.91 Die weich-paternalistische Intervention stützt sich nicht auf eine skeptische Position gegenüber der Autonomie des betroffenen Individuums, sondern gegenüber seinem aktuellen Selbsttötungswunsch, der regelmäßig mit Autonomiedefiziten behaftet ist. Wenn daher Indizien dafür vorliegen, dass das Verlangen keinen Autonomiedefiziten 84 Pawlik, Unrecht, S. 231; ders., FS-Kargl, S. 414; Engländer, Nothilfe, S. 127; Hörnle, JZ 2020, 878. 85 Mosbacher, Strafrecht, S. 155 f. 86 Pawlik, Unrecht, S. 231; Frisch, Leben, S. 114; Feldmann, Strafbarkeit, S. 168 ff.; Engländer, FS-Schünemann, S. 588; F. Müller, Verbot, S. 124 f. 87 Engländer, Nothilfe, S. 127; Hoerster, Sterbehilfe, S. 32; Kubiciel, Wissenschaft, S. 204. 88 F. Müller, Verbot, S. 125; Kubiciel, Wissenschaft, S. 204. 89 Hoerster, Sterbehilfe, S. 32. 90 Kubiciel, Wissenschaft, S. 204; Tenthoff, Strafbarkeit, S. 115. 91 Fateh-Moghadam, Grenzen, S. 27.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

ausgesetzt, sondern von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen und wohlbegründet ist, entfällt im Rahmen der weich-paternalistischen Konzeption das Unrecht völlig.92 Nimmt man die typische Gefahr von Autonomiedefiziten bei Verfügungen über das eigene Leben zur Kenntnis, zerstreuen sich die Bedenken der paternalistischen Anmaßung, denn § 216 als Einwilligungsschranke zielt nicht auf eine Fremdbestimmung des Verlangenden, sondern auf den Schutz seiner realen Freiheit.93 Es ist zu erkennen, dass es sich bei § 216 um indirekten Paternalismus handelt, da sich die Strafdrohung nicht gegen den Sterbewilligen selbst, sondern gegen einen auf Verlangen tötenden Dritten richtet, um mittelbar den Sterbewilligen vor den schädigenden Folgen seiner Entscheidung zu schützen.94 Die durch Gegenindizien widerlegbare Vermutung mangelnder Vollzugsreife des Sterbewillens ist ausschließlich bei der indirekt-paternalistischen Intervention relevant. Eine direkt-paternalistische Intervention ist dagegen von vorherein undenkbar, wobei es gleichgültig ist, ob der Sterbewillige wegen etwa eines vorübergehenden Liebeskummers eine voreilige oder eine aus Sicht eines objektiven Dritten seinem Leidenszustand entsprechende wohlbegründete Entscheidung trifft. Denn im Rahmen einer Rechtsordnung, deren Anliegen in der Absicherung der selbstbestimmten Lebensführung des Einzelnen liegt, hat niemand die Rechtspflicht gegen sich selbst zum Weiterleben. Für den auf Verlangen Tötenden gilt dieser Grundsatz jedoch nicht, weshalb seine Straflosigkeit einer zusätzlichen Begründung bedarf, und zwar objektiv nachvollziehbarer Gründe des Sterbewillens. Somit erklärt das Legitimationsmodell § 216 nicht um den Preis einer Umdeutung der Selbsttötung zur Verletzung der Rechtspflicht zum Weiterleben. In den Worten von Müssig interpretiert der Erklärungsansatz § 216 zutreffend als einen Ausnahmetatbestand, aber nicht als ein Zurechnungsmuster von allgemeiner normativer Relevanz.95

III. Die Straflosigkeit des Sterbewilligen trotz Mitwirkung Durch die bisherigen Überlegungen wird das Spannungsverhältnis zwischen der positivrechtlichen Strafdrohung des auf Verlangen Tötenden und der grundsätzlichen Freiheit des Einzelnen von Rechtspflichten zum Weiterleben im Rahmen der weichpaternalistischen Überlegungen aufgelöst. Um die normative Irrelevanz der Anstiftung des Sterbewilligen im Fall der Tötung auf Verlangen solide zu untermauern, 92 Pawlik, Unrecht, 321 f.; ders., FS-Kargl, S. 415; Grünewald, Tötungsdelikt, S. 300; Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 470; Kubiciel, Wissenschaft, S. 206 ff. 93 Pawlik, Recht, S. 155; Fateh-Moghadam, Grenzen, S. 27; Gkountis, Autonomie, S. 217 ff.; Engländer, Nothilfe; Murmann, FS-Yamanaka, S. 300 f.; Kubiciel, Wissenschaft, S. 204; Neumann, in: Paternalismus, S. 348. 94 Fateh-Moghadam, Grenzen, S. 24; Pawlik, Unrecht, S. 230; Neumann, Tatbestand, S. 249. 95 Müssig, Mord, S. 355.

A. Die Mitwirkung des seine Tötung Verlangenden (§ 216)

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ist noch folgender Einwand zu entkräften: Aufgrund der unvergleichbaren Wichtigkeit des Rechtsguts des Lebens sei der Unterschied zwischen dem Tötungsverlangen und der eigenhändigen Selbsttötung rechtlich so relevant, dass der Grundsatz der Freiheit von Rechtspflichten zum Weiterleben für den lebensmüden Verlangenden nicht mehr gültig sei. Daher ist näher zu erklären, was die Tötung auf Verlangen für den Sterbewilligen bedeutet. Stellt man auf das äußere Erscheinungsbild des Geschehens ab, liegt der Befund nahe, dass die Tötung auf Verlangen eine Fremdtötung für den Sterbewilligen darstellt, denn der Tötungsakt wird ausgeführt durch einen Dritten und es geht daher nicht mehr um die für die Strafrechtsverbote irrelevanten Interna des Sterbewilligen.96 Diese Ansicht verkennt jedoch, dass die strafrechtliche Zuschreibung der Verantwortung keineswegs schematisch an den äußeren Ablauf angeknüpft wird. Der eigentliche Grund für die strafrechtliche Transparenz der selbst zugefügten Verletzung liegt nicht darin, dass sich keine dritte Person einschaltet, sondern darin, dass das Strafrecht das betreffende Verhalten als freiverantwortlich bewertet.97 Wenn man auf das äußere Erscheinungsbild des Geschehens abstellt, sind viele strafrechtlichen Rechtsinstitute nicht mehr denkbar, z. B. die mittelbare Täterschaft, Teilnahme und Mittäterschaft. In der Tat kann man weder die Verantwortung von der eigenhändigen Ausführung noch die Entlastung von der fremdhändigen Ausführung zwingend ableiten. Gegen die Gleichwertung wird ferner das Argument angemeldet, dass das Risiko für den betroffenen Rechtsgutsinhaber in beiden Konstellationen unterschiedlich ist. Nach Roxin liefert die bloße Tolerierung der von einem anderen ausgehenden Gefährdung das Opfer einer unübersehbaren Entwicklung aus, wohingegen der vorsätzlich sich selbst Gefährdende das Geschehen in der Hand habe.98 Dieses Argument übertreibt die eventuelle Zufälligkeit auf der faktischen Ebene und spricht unzutreffend der Zufälligkeit normative Relevanz zu. Zuerst ist es keine sachgerechte Tatsachenbeschreibung, dass die Fähigkeit des anderen zur Meisterung riskanter Situation normalerweise nicht so geschickt sei wie die eigene Herrschaft.99 Tatsächlich kann man nicht einfach beurteilen, welche Vollzugsmodalität geschickter ist, vielmehr kommt es auf die konkrete Konstellation an. Man kann sich unschwer Fälle vorstellen, in denen im Vergleich zur eigenhändig vollzogenen Selbstverletzung der Verlauf der Verletzung bei einwilligungsgestützter Fremdverletzung einfacher gestoppt werden kann. Der maßgebliche Fehler des Arguments liegt aber darin, dass die vermeintliche Differenz bezüglich der Geschicklichkeit keinen normativen Unterschied zu begründen vermag;wirklich normativ relevant ist vielmehr, dass das äußere Geschehen der Entscheidungshoheit des Rechtskreisinhabers un96

Rn. 1. 97 98 99

Sternberg-Lieben, Schranken, S. 283; Hirsch, FS-Welzel, S. 780; Jähnke, in: LK, § 216, Pawlik, Unrecht, S. 220, Fn. 428; ders., Recht, S. 147, Fn. 86. Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 250. Roxin, FS-Gallas, 1973, S. 250.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

terliegt, weil nach der Definition der Einwilligung nur der von ihm konsentierte Eingriff umgesetzt werden darf und er seine Einwilligung jederzeit widerrufen darf.100 Der Rechtskreisinhaber ist nicht dem anderen „ausgeliefert“ und der ausführende Dritte tritt lediglich als der „verlängerte Arm“ des Rechtskreisinhabers in Funktion.101 Daher stellt sich das Geschehen unter Zuständigkeitsgesichtspunkten als eigenes Werk des Rechtskreisinhabers dar.102 Übertragen wir die Erkenntnis auf § 216, geht es für den Sterbewilligen letztlich um seine Selbsttötung, aber nicht um die Fremdtötung des auf Verlangen Tötenden. Vergegenwärtigen wir die Definition der Selbstbestimmung im rechtlichen Sinne, ergibt sich die Gleichwertigkeit der Dienstbarmachung fremder Fähigkeiten zu selbstgesetzten Zwecken mit der eigenhändigen Erfüllung eigener Zwecke als eine Selbstverständlichkeit. Die Selbstbestimmung kennzeichnet den rechtlich garantierten Machtbereich, in dem sich die einzelne Person im Umgang mit ihren Belangen frei und ungestört von fremden Einflüssen verwirklichen kann. Die Reichweite des Selbstbestimmungsprinzips umfasst nicht nur die Entscheidung über das „Ob“, sondern auch die über das „Wie“ des Sterbens.103 Also beinhaltet die Definition der Selbstbestimmung schon die Möglichkeit, sich bei der Selbstverwirklichung fremder Unterstützung zu bedienen.104 Diese Position findet ausdrückliche Bestätigung in der Entscheidung des BVerfG: „Das von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht, sich selbst zu töten, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“105 Die Ablehnung der Gleichwertigkeit bedeutet daher eine Kastrierung des Selbstbestimmungsprinzips. „Wenn man das Recht hat, sein Leben zu beenden, sollte man auch das Recht haben, zu entscheiden, wie das geschehen soll.“106 Kurzum: Solange der Standpunkt des Sterbewilligen maßgeblich ist, ist die Sterbehilfe in Wahrheit ein arbeitsteilig vollzogener Suizid.107 Kombinieren wir diese Erkenntnis mit dem Gedanken des weichen Paternalismus, ergibt sich der triftige Grund der identischen Behandlung des Sterbewilligen. Nach der hier vertretenen weich-paternalistischen Konzeption richtet sich die Strafdro100 Pawlik, Unrecht, S. 220, Fn. 428; Murmann, Selbstverantwortung, S. 315; ders., FSPuppe, S. 786, Fn. 89; Amelung, Verantwortungsmaßstab, 252; Göbel, Einwilligung, S. 101; Kußmann, Einwilligung, S. 133; Mosbacher, Strafrecht, S. 121; ähnlich auch Frisch, Verhalten, S. 170, Fn. 63. 101 Rönnau, Willensmängel, S. 245; ders., Jura 2002, 595; M. K. Meyer, Autonomie, S. 149; Pawlik, Unrecht, S. 222. 102 Pawlik, Unrecht, S. 222. 103 v. Hirsch/Neumann, Paternalismus, S. 81. 104 Rönnau, Willensmängel, S. 52 f., 66; Pawlik, Unrecht, S. 220. 105 BVerfGE v. 26. 2. 2020 I 525, Rn. 212, 331 und passim. 106 v. Hirsch/Neumann, Paternalismus, S. 81. 107 Jakobs, Tötung, S. 16 ff.; Pawlik, Unrecht, S. 221 f.; Rosenau, FS-Roxin, 2011, S. 582; Mosbacher, Strafrecht, S. 121; M. K. Meyer, Autonomie, S. 149; Rönnau, Willensmängel, S. 245; Kubiciel, JZ 2009, 601.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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hung ausschließlich auf den Ausführenden. Diese Konzeption geht nicht von der Rechtspflicht zum Weiterleben aus, sondern von dem Schutz der echten Autonomie des Sterbewilligen. Was den Sterbewilligen angeht, ist seine Straflosigkeit wegen Mitwirkung an § 216 ebenso wenig begründungspflichtig wie bei seiner eigenhändigen Selbsttötung, wobei dies unabhängig von der Stichhaltigkeit seiner Entscheidung ist, denn die Tötung auf Verlangen stellt für den Sterbewilligen nichts anderes dar als eine arbeitsteilig durchgeführte Selbsttötung.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung Die Straflosigkeit der tatbestandnotwendigen Mindestmitwirkung stellt zweifellos den wichtigsten und weitgehend anerkannten Grundsatz bezüglich der Problematik der notwendigen Teilnahme dar. In der Auseinandersetzung mit der Strafbarkeit des begünstigten Gläubigers (§ 283c) wird die Rechtsfigur der „notwendigen Teilnahme“ in der Entscheidung aus dem Jahre 1882 ausdrücklich eingeführt.108 Im Anschluss daran wurde der Grundsatz erfunden, dass der begünstigte Gläubiger insofern gewissermaßen „privilegiert“ wird, als er bei der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung straflos bleibt. In der späteren Rechtsprechung wird der Grundsatz der Mindestmitwirkung nicht nur im Fall des begünstigten Gläubigers ständig verfolgt, sondern auch in anderen Sachgebieten herangezogen: etwa in den Entscheidungen über Stimmenverkauf (§ 213 KO a. F.),109 Parteiverrat (§ 356 StGB),110 Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB)111 und Kuppelei (§ 180 StGB).112 Wie oben im Kapitel II schon bewiesen, vermag die Notwendigkeit der Teilnahme kein tragfähiges Fundament für den Ausschluss des Teilnahmeunrechts mithilfe des Grundsatzes der Mindestmitwirkung anzubieten. Aus dem Vorhandensein der ausdrücklichen allseitigen Strafdrohung kann man nicht umgekehrt folgern, dass das Schweigen des Gesetzgebers bezüglich der Strafbarkeit des notwendigen Teilnehmers die Straflosigkeit der zur Verwirklichung des Deliktstatbestandes denknotwendigen Mitwirkung des Mitwirkenden bedeutet. Denn der Zweck einer ausdrücklichen Erfassung der allseitigen Strafdrohung kann darin liegen, dadurch das gesetzliche Erfordernis einer qualifizierten Haupttat für die strafbare Teilnahme zu umgehen. Insoweit schließt zwar die ausdrückliche Erfassung der allseitigen Strafdrohung die Anwendung der Beteiligungsregeln im Allgemeinen Teil zugunsten einer umfassenden Bestrafung aus, aber umgekehrt ist das legislatorische Schweigen kein zwingendes Argument für die Straflosigkeit der notwendigen 108 109 110 111 112

RGSt 5, 435. RGSt 12, 122 und 29, 304. RGSt 71, 114. RGSt 61, 31. RGSt 25, 369.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Mitwirkung. Daher findet die formelle Argumentation, also die Ableitung der Straflosigkeit aus dem Schweigen des Gesetzgebers bezüglich des notwendigen und typischen Tatbeitrags, heute wenig Beifall. Trotzdem wird der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung in Anknüpfung an die einzelnen Deliktstatbestände mit notwendiger Teilnahme weiterentwickelt. Das durch die Ablehnung der begriffslogischen Ableitung entstandene Argumentationsvakuum erfährt somit eine Ausfüllung durch Überlegungen unter zwei Aspekten: Zum einen wird die Straflosigkeit des notwendigen Mitwirkenden an seine bestimmten Eigenschaften angeknüpft, zumal an seine Motivation zur vermögensbezogenen Selbstbegünstigung. Die Mitwirkung des begünstigten Gläubigers (§ 283c StGB) ist der exemplarische Fall. Zum anderen werden kriminalpolitische Erwägungen herangezogen, wird also auf die geringe Intensität und Vielzahl mitwirkender Handlungen hingewiesen.113 Diese Stoßrichtung schlägt sich hauptsächlich in der Erklärung der Straflosigkeit der Mitwirkung des Erwerbers am Verbreiten von Raubkopien (§§ 106 UrhG) oder pornographischer Werke im Versandhandel (§ 184 I Nr. 3) nieder. Die nachfolgenden Überlegungen werden beweisen, dass die Materialisierung des Grundsatzes der Mindestmitwirkung in einzelnen Deliktstatbeständen nicht gelungen ist. Es gibt keinen einsehbaren Grund, in der Motivation des Gläubigers zur vermögensbezogenen Selbstbegünstigung oder in der Geringfügigkeit der Mitwirkung des Käufers von Raubkopien einen Faktor zu erblicken, der der Konstitution von Teilnahmeunrecht entgegenstehen kann.

I. Die Mitwirkung des begünstigten Gläubigers (§ 283c StGB) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung wird im Schrifttum überwiegend der Zweifel an der Strafbarkeit der Mitwirkung des begünstigten Gläubigers unter Anwendung des Grundsatzes der straflosen Mindestmitwirkung behandelt: Wer als Gläubiger die ihm vom Schuldner unter Verstoß gegen § 283c gewährte Befriedigung nur entgegennimmt, bleibt straflos; wer aber aktiv im Sinne der Tatbestandsverwirklichung auf den Schuldner einwirkt, ist Anstifter.114 Der Zweifel an der Anwendung dieses Grundsatzes auf die Mitwirkung des begünstigten Gläubigers weist hauptsächlich auf zwei Fragen hin: zum einen ob ein durch diesen Grundsatz geschaffener Privilegierungsbereich strafloser Mitwirkung an den Deliktstatbeständen § 283c plausibel begründet ist, zum anderen ob sich die Grenzen der straflosen Mitwirkung zutreffend abstecken lassen. 113 Schünemann, in: LK Vor § 26, Rn. 29; Jescheck/Weigend, AT, 5. Aufl., S. 699; Sowada, Teilnahme, S. 184 ff.; Roxin, AT II, § 26, Rn. 53 ff. 114 Vgl. statt aller Roxin, AT II, § 26, Rn. 50 ff.; Schünemann, in: LK, Vor § 26, Rn. 29; Wolter, JuS 1982, 345; Heine/Weißer, in: Sch/Sch, Vor §§ 25 ff., Rn. 43; Hoyer, in: SK, Vor § 26, Rn. 74.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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1. Der Grund der Privilegierung des begünstigten Gläubigers Nach Herzberg ist es nicht gerechtfertigt, dass die Befürworter des Grundsatzes der straflosen Mindestmitwirkung einerseits die Straflosigkeit des begünstigten Gläubigers (§ 283c StGB) bei bloßer Entgegennahme der Befriedigung annehmen, andererseits den an der Veräußerung beteiligten Geschäftspartner im Rahmen der Vereitelung der Zwangsvollstreckung im Falle des § 288 StGB ohne Anwendung des Grundsatzes der Mindestmitwirkung als strafbaren Teilnehmer betrachten, denn die beiden Konstellationen seien hinsichtlich der Notwendigkeit der fremden Mitwirkung für die Tatbestandsverwirklichung vergleichbar.115 Zur Verteidigung der Ungleichbehandlung wird lediglich das Argument angeführt, dass die Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288) kein Delikt mit notwendiger Teilnahme ist und deswegen der Grundsatz der Mindestmitwirkung nicht anwendbar ist.116 Die ziemlich knappe und formelle Replik im Schrifttum ist gewissermaßen historisch bedingt, denn das Reichsgericht lehnt ausdrücklich die Übertragung des für § 283c anerkannten Kriteriums der straflosen deliktsnotwendigen Mindestbeteiligung auf die Teilnahme an § 288 ab, weil die für § 211 KO (a. F.) geltenden historischen und kriminalpolitischen Besonderheiten bei der Vereitelung der Zwangsvollstreckung nicht vorliegen.117 Zugunsten der Besonderheit der Gläubigerbegünstigung wird hauptsächlich das gesetzgeberische Motiv zur Reichskonkursordnung herangezogen: „[D]er Gläubiger verfolgt sein Recht, verletzt er dabei den Konkursanspruch der anderen, so kann er wohl civilrechtlich unwirksam handeln, aber nicht bestraft werden.“118 Schaut man jedoch näher hin, sind die Gründe für die Privilegierung des begünstigten Gläubigers durch den Grundsatz der Mindestmitwirkung nicht überzeugend. Zuerst darf der argumentative Wert der über 100 Jahre zurückliegenden Position in den Gesetzesmaterialien heute nicht überschätzt werden.119 Denn angesichts der Veränderungen des Wirtschaftslebens enthalten die zahlreichen nachfolgenden Neuregelungen der Bankrottdelikte keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende Bekräftigung der früheren legislatorischen Entscheidung.120 Weiterhin wird diese Formulierung in den Gesetzesmaterialien kaum in der neueren Literatur zitiert, 115

Herzberg, Täterschaft, S. 138 f.; Sowada, Teilnahme, S. 137 ff.; ders., GA 1995, 70 f. Wolter, JuS 1982, 345; Maurach/Gössel, AT 2, 50/12. 117 RGSt 20, 214 ff. Der Vorschrift des früheren § 211 KO (a. F.) entspricht § 283c StGB: „§ 211 Schuldner, welche ihre Zahlungen eingestellt haben, oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, werden mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft, wenn sie, obwohl sie ihre Zahlungsunfähigkeit kannten, einem Gläubiger in der Absicht, ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, eine Sicherung oder Befriedigung gewährt haben, welche derselbe nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte.“ 118 RGSt 2, 440 f.; Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Vierter Band (1881), S. 461 (zu § 211 KO [a. F.]). 119 Kritisch gegenüber der historischen Argumentation bezüglich der Gläubigerbegünstigung siehe Blesse, Grenzen, S. 31 ff.; Sowada, Teilnahme, S. 167 f. 120 Sowada, Teilnahme, S. 168. 116

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

obwohl die Privilegierung des begünstigten Gläubigers durch die Anwendung des Grundsatzes der Mindestmitwirkung weiter allgemein anerkannt wird. Die besondere Behandlung des begünstigten Gläubigers erscheint daher als eine gewohnheitsmäßige, bloß konventionelle Annahme, die sich auf keinen sachlichen Grund stützt. Daher kommt der historischen gesetzgeberischen Privilegierungsabsicht nicht zwingend Relevanz für die Auslegung der gegenwärtig geltenden Rechtsordnungen zu. Stattdessen muss das Argument einer sachlichen Überprüfung unterzogen werden. In der Tat darf man streng genommen nicht ohne weiteres konstatieren, dass der Gläubiger bei seiner Mitwirkung an dem Tatbestand des § 283c „sein Recht verfolgt“. Denn nach § 283c muss die Befriedigung oder Sicherheitsleistung inkongruent sein. Gemäß bürgerlichem Recht ist inkongruent eine Leistung, die der Gläubiger „nicht zu beanspruchen hat“ bzw. die er „nicht in der Art“ oder „nicht zu der Zeit“ zu beanspruchen hat.121 Hat der Begünstigte überhaupt keinen Anspruch auf die vom Schuldner erbrachte Leistung, findet nicht § 283c Anwendung, sondern nur § 283, da er im Sinne § 283c nicht als Gläubiger anzusehen ist.122 Im Vergleich zum § 283 bezweckt das Delikt der Gläubigerbegünstigung die Privilegierung des Schuldners, weil dieser sein Vermögen dem Zugriff der Gläubiger nicht völlig entzieht, sondern nur gegen das Gebot zur gleichmäßigen Verteilung seines Vermögens verstößt.123 Insofern findet die mit dem Tatbestandsmerkmal „Gläubiger“ implizierte grundsätzliche „Basisberechtigung“ bereits dadurch Berücksichtigung, dass ohnehin nur eine Teilnahme an § 283c, statt an § 283, in Betracht kommt.124 Den Gläubiger durch die Ablehnung der Geltung der allgemeinen Teilnahmenormen in einem weiter gehenden Maße zu bevorzugen, findet zumindest in der Eigenschaft als Gläubiger keinen ausreichenden Grund. Selbst wenn man die „Basisberechtigung“ des Gläubigers als entscheidend betrachtet, ist es wenig aussagekräftig, aus der selbstbegünstigenden Motivation des Gläubigers seine Privilegierung durch die Anwendung des Grundsatzes der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung abzuleiten. Denn die Berücksichtigung vermögensbezogener Selbstbegünstigungshandlungen ist grundsätzlich auf die Figur der mitbestraften Nachtat in der Konkurrenzlehre beschränkt.125 Die vermögensbezogene Selbstbegünstigungsnachtat ist nicht unbestraft, sondern mitbestraft. Der Schwerpunkt der besonderen Behandlung der typischen selbstbegünstigenden Nachtat liegt nicht in der Eigenschaft der Selbstbegünstigung, sondern darin, dass der Unrechtsgehalt der Nachtat durch die Bestrafung der in erster Linie strafwürdigen 121

Tiedemann, in: LK, § 283c, Rn. 20. Tiedemann, in: LK, § 283c, Rn. 21; Heine/Schuster, in: Sch/Sch, § 283c, Rn. 8. 123 Sowada, GA 1995, 71; Tiedemann, in: LK, § 283c, Rn. 1; Heine/Schuster, in: Sch/Sch, Rn. 1; Hartwig, FS-Bemmann, S. 317; BGH 34 225, 35 359. 124 Sowada, Teilnahme, S. 170; ders., GA 1995, 71. 125 Sowada, GA 1995, 70; ders., Teilnahme, S. 49, 170; Geppert, Jura 1980, 329 f.; Stree, JuS 1976, 138; H. Schneider, Grund, S. 170. 122

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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Haupttat abgegolten wird.126 Daher besteht kein allgemein gültiges Prinzip, dem zufolge die vermögensbezogene Selbstbegünstigungsmotivation des Handelnden das Unrecht ausschließt. Systematisch gesehen ist die Basisberechtigung des Gläubigers als der materiale Grund für die Anwendung des Grundsatzes der straflosen Mindestmitwirkung ebenfalls nicht haltbar. Denn in der Literatur wird dieser Grundsatz auch auf § 283 angewendet: Geschäftspartner des Schuldners, die mit diesem Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäfte abschließen, sind ebenso wie Mitspieler und Wettgegner nicht wegen Beihilfe strafbar, soweit sich ihre Aktivität auf das zur Tatbestandsverwirklichung Notwendige beschränkt.127 Infolgedessen ist der Privilegierungsgrundsatz von der materiellen Erwägung tatsächlich weitgehend entkoppelt, da der Geschäftspartner überhaupt keinen Anspruch auf die vom Schuldner angebotene Leistung hat. So gesehen wird der Geltungsbereich des Grundsatzes der Mindestmitwirkung tatsächlich willkürlich bestimmt: Einerseits wird die Anwendung auf § 288 im Anschluss an die Rechtsprechung in der heutigen Literatur weiter abgelehnt, denn diese Anwendung stützt sich nach der Rechtsprechung auf die Eigenschaft des Gläubigers; andererseits wird die bloße Annahme des Angebots des gegen § 283 verstoßenden Schuldners nach diesem Grundsatz als straflos angenommen, wobei ebenso wie § 288 dem Begünstigten die Eigenschaft des Gläubigers fehlt. 2. Das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit Neben den Bedenken gegen die Gerechtigkeit der Anwendung des Grundsatzes der Mindestmitwirkung auf § 283c ist das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit als solches fragwürdig. In der Entscheidung aus dem Jahre 1882 heißt es: „Nach den […] Motiven hat man den begünstigten Gläubiger nur insoweit straflos lassen wollen, als er lediglich sein Recht – wenngleich unter Verletzung des civilrechtlichen Konkursanspruches der übrigen Gläubiger – verfolgt, d. h., als er die ihm vom Schuldner freiwillig angebotene Sicherung bezw. Befriedigung annimmt, also nur in der Rolle eines sogenannten notwendigen Teilnehmers verbleibt, ohne welchen der Schuldner das Vergehen gegen § 211 KO überhaupt nicht begehen kann. Dagegen liegt kein Grund vor, von der Regel der Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze des Strafgesetzbuches über Teilnahme auch dann eine Ausnahme für gegeben anzunehmen, wenn der Gläubiger über jene gewissermaßen passive Rolle hinausgegangen ist, und eine weitere Thätigkeit, z. B. durch Anstiftung des Schuldners zu dem Vergehen aus § 211 KO, entwickelt hat. Denn dann bildet seine intendierte Rechtsverfolgung nur das Motiv zur Anstiftung des Schuldners zu einer Strafthat. Dies Motiv ist für die Frage der Strafbarkeit des Anstifters unerheblich.“128 126

BGHSt 38, 366, 369. Vgl. Heine/Schuster, in: Sch/Sch, § 283, Rn. 65; Tiedemann, in: LK, § 283, Rn. 71; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 227 f. 128 RGSt 5, 435. 127

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Diese Ausführung ist nicht verständlich. Werden die „Basisberechtigung“ und das mit ihr korrespondierende Selbstbegünstigungsmotiv des Gläubigers als entscheidende Gründe für die Privilegierung angenommen, ergibt sich daraus keineswegs zwingend das Kriterium der denknotwendigen Mitwirkung; vielmehr fehlt eine immanente Grenze, die die Strafbarkeit der Mitwirkung des Gläubigers gerade auf den Tatbeitrag beschränkt, der erforderlich ist, damit es überhaupt zur Tatbestandsverwirklichung kommen kann.129 Denn die Basisberechtigung liegt immer vor, wobei es gleichgültig ist, ob der Gläubiger die ihm vom Schuldner unter Verstoß gegen § 283c gewährte Befriedigung nur entgegennimmt oder aktiv den Schuldner zu seiner Begünstigung veranlasst. Geht man von der Selbstbegünstigungsmotivation des Gläubigers aus, liegt es nahe, eine umfassende Straflosigkeit des Gläubigers anzunehmen.130 In der Tat ist das tatbestandsbezogene Kriterium möglicherweise erst dann relevant, wenn man die Ermittlung der Bedeutung des gesetzgeberischen Schweigens im Umkehrschluss zu den Begegnungsdelikten mit allseitiger Strafdrohung als den Schlüssel der Behandlung der notwendigen Teilnahme ansieht. Freudenthal schreibt dazu: „Geht man davon aus, dass das Gesetz mit dieser Nothwendigkeit gerechnet habe, und dass demgemäß sein Schweigen über die Strafbarkeit der nothwendigen Handlung deren Straflosigkeit bedeute, so ist dagegen nichts einzuwenden. Behauptet man aber hierüber hinaus, es bedeute die volle Straflosigkeit des Schuldners oder Dritten für jede auch nicht nothwendige Art der Mitwirkung, so geht man zu weit; denn damit verliert man den Boden, nämlich den Willen des Gesetzes, unter den Füssen.“131 Der Grundsatz der straflosen tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung wird der Sache nach als Gegenschluss des legislatorischen Phänomens entwickelt, dass z. B. in § 173 der Gesetzgeber ausdrücklich eine allseitige Strafdrohung gegen beide Parteien als Täter bestimmt.132 Der Zweifel an diesem Umkehrschluss findet im heutigen Schrifttum weitgehend Anerkennung.133 Daher ist es wenig konsequent, einerseits die eigentliche Grundlage des Grundsatzes der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung, also die Relevanz des gesetzgeberischen Schweigens, abzulehnen, andererseits auf diesem Grundsatz in den Kommentaren und Lehrbüchern weiter zu beharren. Der Konflikt zwischen dem formalen logischen Charakter des Grundsatzes und den materiellen Erwägungen zu den einzelnen Delikten lässt sich nicht einfach beseitigen.

129 Daher wird die Straflosigkeit der rollenüberschreitenden Mitwirkung aufgrund der charakteristischen Motivationslage auch vereinzelt vertreten, vgl. Jescheck/Weigend, AT, S. 699. 130 Sowada, Teilnahme, S. 168; Herzberg, Täterschaft, S. 139, Fn. 28. 131 Freudenthal, Theilnahme, S. 107. 132 Wolter, JuS 1982, 345; Roxin, in: LK, 11. Aufl., Vor § 26, Rn. 32; Vormbaum, GA 1981, 131 f.; Joeckes/Scheinfeld, in: MK, 4. Aufl. 2020, Vor § 26, Rn. 34. 133 Sowada, Teilnahme, S. 118; Roxin, AT II, § 26, Rn. 52; Schünemann, in: LK, Vor §§ 26, 27, Rn. 29; Hoyer, in: SK, § 26, Rn. 76.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

249

Der Privilegierungsbereich des notwendigen Teilnehmers wird teilweise als strafloses „rollenwahrendes“ Verhalten umschrieben, um ihn von der strafbaren rollenüberschreitenden Mitwirkung abzugrenzen. Diese terminologische Anwendung kann den Eindruck erwecken, dass es eine Parallele zwischen der Problematik der notwendigen Teilnahme und der neutralen Unterstützungshandlung gibt und die Rolle des Mitwirkenden als Gläubiger durch ihre Auswirkung auf die Zuständigkeitsverteilung einen straflosen Raum erzeugen kann. Allerdings ist dies nicht der Fall. Bedeutung kommt der Rolle des Mitwirkenden im Rahmen der Problematik der neutralen Unterstützungshandlung nicht deshalb zu, weil die Rolle selbst als entscheidende Maßgabe für die Zuständigkeitsverteilung anerkannt wird, sondern weil sie als Indiz für die Unauffälligkeit der betreffenden Handlung funktioniert, also die Rolle eine nicht-deliktische Deutungsalternative der Handlung indizieren kann. Im Fall der Begünstigung des Gläubigers legt die Rolle als Gläubiger aber keine nichtdeliktische Deutungsalternative seiner Annahme der Begünstigung nahe, solange man der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Rechnung trägt. Es geht hier nicht mehr um die Verwirklichung der legalen Forderung, sondern um die Benachteiligung der anderen Gläubiger. Es ist daher auch belanglos, zu unterscheiden, ob die Mitwirkung des Gläubigers rollenwahrend oder rollenüberschreitend ist. Tatsächlich wird das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit trotz seiner ständigen Heranziehung in der Rechtsprechung nicht im strengen Sinne verfolgt. Bei dem Delikt des Pateiverrats (§ 356) entspricht es heute nahezu einhelliger Ansicht, dass die begünstigte Gegenpartei straflos ist, wenn sich ihre Mitwirkung auf die Annahme der verräterischen Dienste beschränkt.134 In der grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1937 wird jedoch zudem dargelegt, dass weder die Beauftragung des zuvor einer anderen Partei verpflichteten Rechtsanwalts noch der Umstand einer Honorarzahlung im Rahmen des pflichtwidrigen Mandatsverhältnisses die Annahme einer straflosen Mitwirkung der Gegenpartei a priori ausschließt.135 Deshalb gibt es eine strafbare Teilnahme erst bei Zahlung einer Vergütung, „die nicht den gesetzlichen oder üblichen Grundsätzen entspricht“,136 oder bei einer in sonstiger Weise über die bloße Entgegennahme hinausgehenden Mitwirkung. Verfolgt man das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit im begrifflich-formalen, auf die Denkmöglichkeit einer Handlung für die Deliktsverwirklichung beschränkten Sinne, geht die Beauftragung bzw. Honorarzahlung über die tatbestandsnotwendige Mindestmitwirkung hinaus und soll unter Strafe gestellt werden. Abgesehen von der Überzeugungskraft der Differenzierung in der Rechtsprechung ergibt sich daraus, dass der Straflosigkeitsraum der Mitwirkung nicht begriffslogisch bestimmt wird.137 Insofern kann man sagen, dass die Verbindlichkeit 134

Grundlegend RGSt. 71, 114 mit Anm. Schwinge, JW 1937, 1810 f.; siehe auch O. Geppert, Pateiverrat, S. 159 f.; Cramer, in: Sch/Sch, § 356, Rn. 25; Rudolphi, in: SK, § 356, Rn. 33. 135 RGSt. 71, 114 mit Anm. Schwinge, JW 1937, 1810 f. 136 RGSt. 71, 116. 137 Sowada, Teilnahme, S. 142.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

des Grundsatzes der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung in der Rechtsprechung nicht überschätzt werden sollte. Kurzum: Der Grundsatz der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung als wichtige, den notwendigen Teilnehmer privilegierende These ist nicht in der Lage, seinen Anwendungsbereich überzeugend abzustecken und das Kriterium der Tatbestandsnotwendigkeit zu begründen. Es gibt ein Dilemma: Um die spezifische Anwendung des Grundsatzes auf die Delikte mit notwendiger Teilnahme zu rechtfertigen, muss man sich auf einen sachlichen Grund berufen, aber diese Berufung bestätigt umgekehrt die Unhaltbarkeit des Grundsatzes. Der Ausschluss der Geltung der allgemeinen Beteiligungsregeln bei der sogenannten tatbestandsnotwendigen Mitwirkung ist daher abzulehnen. 3. Die Strafbarkeit des begünstigten Gläubigers Nach Ablehnung aller Privilegierungsmöglichkeiten bleibt nur ein denkbarer Lösungsweg, und zwar die Strafbarkeit der Entgegennahme der illegalen Begünstigung wegen Teilnahme an dem in § 283c kodifizierten Delikt. Diese Position ist allerdings ihrerseits Bedenken ausgesetzt: Würde das Strafrecht die bloße Annahme der Begünstigung wegen Teilnahme bestrafen, so liefe das auf eine dem Gläubiger auferlegte „Protestpflicht“ hinaus,138 denn die Annahme der Begünstigung ist nichts anderes als „eine rein passive Tätigkeit“.139 Dies zeige, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Unterlassen liege, das mangels einer zugunsten der Mitgläubiger bestehenden Garantenpflicht straflos sei.140 Dieser Einwand lässt sich in faktischer und normativer Hinsicht ausräumen. In der Tat ist die Konstellation, dass der Gläubiger ganz ohne eine vorherige Verabredung mit dem zahlungsunfähigen Schuldner bloß die inkongruente Leistung annimmt, in der Realität nahezu unmöglich. Ungeachtet der problemlosen Konstellation, dass der Gläubiger den Schuldner zur Befriedigung veranlasst und daher den Tatbestand der Anstiftung erfüllt, drückt der Schuldner regelmäßig lediglich seine allgemeine Bereitschaft gegenüber dem Gläubiger aus und setzt der konkrete Entschluss zur Begünstigung zumindest die Bereitschaft der Entgegennahme seitens des Gläubigers voraus.141 Eine rein passive Tätigkeit des Gläubigers im Sinne der begriffslogischen Notwendigkeit ist zwar theoretisch denkbar, aber schlechthin nicht realistisch. Normativ gesehen ist nicht maßgeblich, ob die Mitwirkung passiv oder aktiv erfolgt, sondern ob der Mitwirkende für die Belange des Opfers zuständig ist. Wenn der Gläubiger aus bestimmten Gründen aussonderungs- oder absonderungsberech138 139 140 141

Vgl. hierzu in einem allgemeineren Sinne Meyer-Arndt, wistra 1989, 281. Blesse, Grenzen, 1928, S. 29. Sowada, Teilnahme, S. 172, Fn. 51. Gropp, Sonderbeteiligung, S. 228.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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tigt ist, ist er freilich nicht zuständig für die Gewährleistung der gerechten Befriedigung aller normalen Insolvenzgläubiger. Daher ist der aussonderungs- oder absonderungsberechtigte Gläubiger selbstverständlich straflos, wobei es gleichgültig ist, ob er den insolventen Schuldner zur Befriedigung veranlasst oder nur seine Befriedigung annimmt. Anders verhält es sich, wenn es um den normalen Insolvenzgläubiger geht. Im Bereich des Insolvenzrechts wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des Prinzips der gemeinschaftlichen Befriedigung die Gläubiger ohne Sicherungsrechte eine „Schicksalsgemeinschaft“ bilden.142 Sowada bringt treffend auf den Punkt, dass die Konkursgläubiger in gewisser Hinsicht eine Art Gemeinschaft bilden, da sie gleichermaßen potentielle Teilnehmer und potentielle Opfer einer Tat gemäß § 283c sind; das Ziel der Konkursordnung, die jeweiligen Gläubigerinteressen in toto optimal zu gewährleisten, lässt sich nur durch allseitige Befolgung der konkursrechtlichen Vorschriften erreichen.143 Unter Zuständigkeitsgesichtspunkten ist der einzelne Gläubiger dafür zuständig, nicht zu verhindern, dass das verbliebene Vermögen gerecht, d. h. quotal nach dem Verhältnis der Beträge der Forderungen der Gläubiger verteilt wird. Dies ist auch die Grundlage der allgemein anerkannten Strafbarkeit des Gläubigers, der den Schuldner zur Gewährung einer inkongruenten Leistung veranlasst. Zwar ist eine rein passive Mitwirkung in der Realität kaum denkbar, aber wenn eine solche doch zustande kommt, macht der Zweifel an der Bestrafung rein passiver Tätigkeit kein haltbares Gegenargument aus, solange diese Mitwirkung die allgemeinen Voraussetzungen der Teilnahme erfüllt. Es lässt sich zusammenfassen: Es ist kein Raum für eine Straflosigkeit des Gläubigers nach dem Grundsatz der Mindestmitwirkung im Rahmen des § 283c; dies gilt auch dann, wenn sich die Mitwirkung des Gläubigers auf die Annahme der inkongruenten Leistung beschränkt.

II. Die Mitwirkung des Käufers von Raubkopien (§ 106 UrhG) oder pornographischen Werken (§ 184 I Nr. 3) Die Durchführung des Grundsatzes der straflosen Mindestmitwirkung in der Konstellation der Mitwirkung des Käufers von Raubkopien oder pornographischen Werken stützt sich regelmäßig auf kriminalpolitische Überlegungen unter Rekurs auf den „fragmentarischer Charakter“ oder die „ultima ratio“ des Strafrechts. Zuerst wird die Vielzahl der betreffenden Mitwirkungshandlungen hervorgehoben: Angesichts der Tatsache, dass die Auflagenhöhe der Nachdrucke im Buchwesen häufig bei mehreren tausend Exemplaren liegt, hätte die Annahme einer Teilnahmestrafbarkeit des Käufers zur Folge, dass die wenigen in der Vertriebskette tätigen Personen von einer ganzen Heerschar strafbarer Gehilfen umgeben wären; zudem wird darauf

142 143

BGH ZIP 2006, 39, 41. Sowada, Teilnahme, S. 172.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

hingewiesen, dass das Schutzgut überdies vom Letzterwerber regelmäßig nur in einem bagatellartigen Ausmaß beeinträchtigt wird.144 Auf dem Boden der hier entwickelten Auffassung, der zufolge die Verbindung der Zuständigkeit einen intentionalen Zweck-Mittel-Zusammenhang zwischen dem einzelnen Tatbeitrag und der tatbestandsmäßigen Ausführung voraussetzt, lässt sich die Mitzuständigkeit des Käufers von Raubkopien oder pornographischen Werken nicht ohne weiteres ausschließen. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass eine derartige Mitwirkungshandlung auf der Schwereskala denkbarer Beteiligungshandlungen regelmäßig im unteren Bereich liegt und die Strafverfolgung jeder solchen Mitwirkungshandlung aus praktischen Gründen durchaus unmöglich und justizökonomisch unklug ist. Also besteht zwischen dem Ergebnis nach der Teilnahmedogmatik und der allgemein erwünschten Behandlungsweise im praktischen Strafverfahren eine zu lösende Unstimmigkeit. Als eine allgemeine dogmatische These schließt der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung eigentlich das Teilnahmeunrecht in den betreffenden Konstellationen aus. Insofern stellt dieser Grundsatz nichts anderes als eine Vermittlung dar, durch die die angeblichen kriminalpolitischen Überlegungen in die Teilnahmedogmatik eingelassen werden. Aber es ist zu erkennen, dass es das eine ist, die Möglichkeit der Freiheit von der Strafverfolgung zu postulieren, hingegen das andere, das Unrecht schlechthin zu verneinen. Die Entpönalisierung lässt sich nicht einfach mit der Entkriminalisierung gleichsetzen. Der unmittelbare Rückgriff auf kriminalpolitische Überlegungen in der Konstitution des Teilnahmeunrechts ist weder der einzige noch der sachgerechte Lösungsweg. Stattdessen ist ein verfahrensrechtlicher Lösungsweg unter Berufung auf Opportunitätserwägungen nach §§ 153 ff. StPO vorzugswürdig. 1. Kriminalpolitische Erwägungen und das Unrecht der Teilnahme Die Ausscheidung geringfügiger Schädigung aus dem Unrecht ist kein Einzelfall in der Problematik der notwendigen Teilnahme. Bereits in seinem berühmten Vortrag aus dem Jahre 1970 vertritt Roxin das sog. „Geringfügigkeitsprinzip“ als regulatives Prinzip bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale, um die Tatbestandsmäßigkeit der bagatellarischen Beeinträchtigungen von vornherein auszuscheiden.145 Nach Roxin ist dies die Konsequenz der Entfaltung der Deliktskategorie Tatbestandsmäßigkeit nach Maßgabe ihrer kriminalpolitischen Funktion: Unter dem Blickwinkel des Nullum-crimen-Satzes ist eine restriktive, die Magna-Charta-Funktion des Strafrechts und seine „fragmentarische Natur“ aktualisierende Auslegung sachgerecht, die nur den zum Schutze des Rechtsguts unverzichtbaren Strafbarkeitsbereich begrifflich einfängt.146 Aus folgenden Gründen ist der unmittelbare 144 145 146

Sowada, Teilnahme, S. 184 ff., S. 190; Gropp, Sonderbeteiligung, S. 210 ff. Roxin, Kriminalpolitik, S. 23 f.; ders., AT I, § 10, Rn. 40; Ostendorf, GA 1982, 334, 342. Roxin, Kriminalpolitik, S. 23.

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Rückgriff auf kriminalpolitische Erwägungen als allgemeines Prinzip bei der Interpretation der Tatbestandmerkmale fragwürdig und deswegen kein taugliches Mittel zur Eliminierung des Teilnahmeunrechts. Nach Roxin ist das Geringfügigkeitsprinzip gleich wie das Prinzip der Sozialadäquanz „ein Interpretationsbehelf bei der Restriktion von Wortfassungen […], die auch sozial erträgliche Verhaltensweisen decken“.147 Allerdings vermag diese vermeintliche Parallele zur Sozialadäquanz die Plausibilität des Geringfügigkeitsprinzips nicht zu beweisen, weil dabei der berechtigte Kernpunkt der Sozialadäquanz schlechthin verkannt wird. Das sozial adäquate Verhalten ist rechtlich nicht deshalb irrelevant, weil der daraus resultierende Schaden geringfügig ist, sondern weil die Gestattung eines solchen gelegentlich zur Schädigung führenden Verhaltens für den alltäglichen Verkehr in einer freiheitlichen Gesellschaft unentbehrlich ist.148 Es ist zu bemerken, dass ein konstitutiver Unterschied zwischen den beiden Thesen vorliegt: 1) Unter bestimmten Umständen verbietet die Verhaltensnorm riskantes Verhalten nicht, so dass die Realisierung des potentiellen Risikos nicht in den Zuständigkeitsbereich des Handelnden fällt; 2) Die tatsächlich geringen Schaden herbeiführende Handlung wird nicht unter den Deliktstatbeständen subsumiert, weil eine bagatellarische Beeinträchtigung die Schwelle der Kriminalität nicht überschreitet. Die erstere These als Produkt der Zuständigkeitsanalyse lässt sich in die Auslegung der Rechtsnormen einlassen, während die Geringfügigkeit des Schadens keinen Anknüpfungspunkt im Rahmen des Zuständigkeitsgedankens finden kann und deswegen die Auslegung nicht regulieren darf. Geht man von der Rechtsgutsdogmatik aus, ist das Geringfügigkeitsprinzip ebenso wie die Theorie der Sozialadäquanz nichts anderes als „ein Unterfall der teleologischen Auslegungsmethode“,149 während der kategorische Unterschied zwischen ihnen und die Unhaltbarkeit des Geringfügigkeitsprinzips ersichtlich sind, wenn man solche angeblichen Auslegungsmethoden sachgerecht durch die Brille der Zuständigkeitslehre betrachtet. Kurzum: Die Anerkennung der Verengung der Reichweite von Tatbestandsmerkmal unter Berufung auf das Prinzip der Sozialadäquanz ist nicht in der Lage, den Ausschluss des Unrechts der bagatellarischen Handlung zu rechtfertigen. Darüber hinaus ist die Heranziehung des fragmentarischen Charakters oder des Ultima-ratio-Charakters des Strafrechts als Stütze des Geringfügigkeitsprinzips ebenfalls zweifelhaft. Vor allem geht es um die Frage, wie der „zum Schutze des Rechtsguts unverzichtbare Strafbarkeitsbereich“ im Licht der Rechtsgutsdogmatik definiert wird. Roxin bemerkt, dass die pauschale Antwort – die einzelnen Tatbestandsmerkmale müssten vom geschützten Rechtsgut ausgehend teleologisch aus-

147

Die Gleichsetzung dazwischen siehe Roxin, Kriminalpolitik, S. 23 f.; ders., AT I, § 10, Rn. 38 ff.; Ostendorf, GA 1982, 345; Mantovani, ZStW 109 (1997), 21. 148 Schon Stübel, NACrim 8 (1825), 264; Pawlik, Unrecht, S. 336; Jakobs, FS-Samson, S. 46. 149 Ostendorf, GA 1982, 345; Roxin, AT I, § 10, Rn. 37.

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gelegt werden – zur extensiven Tatbestandsinterpretation führt.150 Bezüglich der hier interessierenden Frage weist Sowada darauf hin, dass trotz der Vergleichbarkeit bezüglich der Vielzahl kein Konflikt zwischen der Strafdrohung der Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr gemäß § 316 StGB und der Straflosigkeit der Mitwirkung des Käufers von Raubkopien besteht, weil in Bezug auf das Urheberstrafrecht das ohnehin nur fragmentarisch geschützte Vermögen betroffen ist.151 Mit dieser Aussage ist gemeint, dass die Strafrechtsgüter in zwei Arten geteilt werden, die umfassend geschützten Rechtsgüter, deren geringfügige Beeinträchtigung bereits das Unrecht begründet, und die fragmentarisch geschützten Rechtsgüter, deren geringfügige Beeinträchtigung die Schwelle der Kriminalität nicht überschreitet. So verstanden ist jedoch der fragmentarische Charakter des Strafrechts schlechthin selbstbezogen und deswegen inhaltsleer. Geht man stattdessen von der Subsidiarität des Strafrechts gegenüber anderen Rechtsgebieten aus, drängt sich die Frage auf, welches Rechtsgut durch das Strafrecht nicht lediglich fragmentarisch geschützt wird. Das Leben, die körperliche Unversehrtheit, das Vermögen, das Universalinteresse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs – alle solche Rechtsgüter finden auch Schutz im Zivilrecht oder im öffentlichen Recht. Solange der fragmentarische Charakter des Strafrechts an die durch das Rechtsgutsdogma geleitete Auslegung angeknüpft wird, ist seine Degradierung zur nichtssagenden Aussage unausweichlich. Hier wird nicht der fragmentarische Charakter des Strafrechts in Zweifel gezogen, sondern die Vorgehensweise, dem Zweck des Rechtsgüterschutzes durch kluge Beschränkung und die Bestrafung lediglich ausgewählter Angriffs- und Verletzungsweisen besondere Kraft zu verleihen.152 Denn im Rahmen der vom Rechtsgutsbegriff geprägten Dogmatik ist der fragmentarische Charakter des Strafrechts eher ein schöner Name des willkürlichen Ergebnisses als eine echte Argumentationsfigur, da solche „Kriminalpolitik“ nicht ausreichend komplex ist.153 Die Ablehnung des Geringfügigkeitsprinzips basiert zudem auf der Überlegung, dass sich hinter ihm eine hoch gefährliche Logik verbergen kann. Darf man das Unrecht einer tatbestandsmäßigen Handlung aufgrund der Geringfügigkeit der daraus resultierenden Rechtsgutsbeeinträchtigung verneinen, so ist es, konsequent durchgeführt, auch denkmöglich, eine tatbestandslose Handlung aufgrund des daraus resultierenden beträchtlichen Schadens als Unrecht zu interpretieren, was dem Analogieverbot widersprechen und das Gesetzgebungsmonopol durchbrechen kann.154 Um diesen Einwand zu entkräften, betont Ostendorf, dass die Festlegung des praktischen Unrechts mithilfe einer Überprüfung der Strafwürdigkeit, die regelmäßig von der normativen Unrechtstypisierung abweicht, gerade die Grundlage 150

Roxin, Kriminalpolitik, S. 23. Sowada, Teilnahme, S. 188. 152 Zaczyk, ZStW 123 (2011), 692, 707. 153 Für eine ähnliche Kritik der Einbeziehung von kriminalpolitischen Zwecken in die Strafrechtsdogmatik siehe auch Martins, Versuch, S. 86. 154 Hassemer, Strafrechtsdogmatik, S. 169 f.; Hernández, 1. FS-Roxin, S. 82 f. 151

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jeder Strafrechtsauslegung ist.155 Diese Verteidigung ist schwach, weil die Auslegungsnotwendigkeit keineswegs zwingend die Richtigkeit der Einbeziehung von kriminalpolitischen Erwägungen in die Auslegung bedeutet. Vielmehr hat die Strafrechtsdogmatik eigene Zwecke, die an die Rationalisierung des Verantwortungsprozesses auf der Basis einer gerechten Zurechnung gebunden sind.156 Das Analogieverbot wird nur dann wirklich beachtet, wenn der eigene Zweck der Dogmatik respektiert wird, d. h. wenn die kriminalpolitische Behandlung den in der Strafrechtsdogmatik vorgeformten Verbrechensbegriff akzeptiert und auf dieser Basis die Straftat mit optimalem Erfolg zu bekämpfen versucht. Daher ist es wenig verwunderlich, dass Ostendorf selbst eingesteht, dass der Vorwurf eines Bruchs des Gesetzgebungsmonopols nicht gänzlich widerlegt werden kann.157 Schließlich ist zu bemerken, dass der mittelbare Rückgriff auf kriminalpolitische Überlegungen nicht nur wenig leistungsfähig, sondern auch schädlich für die Identität der Strafrechtsdogmatik ist. Dies zeigt sich deutlich in der Kontroverse um die angemessene Reaktion auf hohe Dunkelziffern bestimmter Kriminalitätsformen: Zum einen wird die Dunkelziffer der Kriminalität als Beleg für eine besondere Gefahr betrachtet, angesichts deren die Strafdrohung erforderlich ist;158 im Gegensatz dazu könnte man die Dunkelziffer aber auch als Symptom dafür ansehen, dass die Tatbestände zu weit gefasst sind, und daher für den Verzicht auf Bestrafung plädieren.159 Als kriminalpolitische Befunde sind diese diametral gegensätzlichen Positionen nicht vorwerfbar, denn Kriminalpolitik ist ohnehin kontingent.160 Aber es ist nicht akzeptabel, dass eine bestimmte Handlung einmal Unrecht begründet, einmal nicht Unrecht begründet. Die Aufgabe der Strafrechtsdogmatik liegt gerade in der Standardisierung von Entscheidungsmaßstäben, wobei die Kontinuität von Bedeutung ist.161 Durch die Einbeziehung von kriminalpolitischen Erwägungen in die Teilnahmedogmatik wird die Rechtsfigur der Teilnahme schlechthin relativiert, überspitzt formuliert: zerstört. Es ist hervorzuheben, dass hier ausschließlich der unmittelbare Rückgriff auf kriminalpolitische Erwägungen durch die Dogmatik abgelehnt wird. Die Umdeutung der einzelnen Deliktstufe unter dem Blickwinkel ihrer angeblichen kriminalpolitischen Funktion entleert die Strafrechtsdogmatik völlig und spricht ihr die Funktion der Gewährleistung einer kontinuierlichen Rechtspraxis ab. Diese hiesige Position schließt aber keineswegs die Möglichkeit aus, bei der Behandlung des konkreten Falls den auf die Einzelnorm bezogenen kriminalpolitischen Befund in Erwägung zu 155

Ostendorf, GA 1982, 341 f. Martins, Versuch, S. 86; Hassemer, Strafrechtsdogmatik, S. 36. 157 Ostendorf, GA 1982, 341. 158 Dreher, FS-Welzel, S. 929 ff.; Hünerfeld, ZStW 90 (1978), 907 f. 159 Peters, ZStW 77 (1965), 475 ff. 160 Martins, Versuch, S. 85; Pawlik, Unrecht, S. 49. 161 Hassemer, Strafrechtsdogmatik, S. 178 f.; Pawlik, Unrecht, S. 49; Stübinger, Strafrecht, S. 57; Haas, Kausalität, S. 44. 156

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

ziehen, wenn die Eigenlogik der Dogmatik in weitaus gravierender Weise in Frage gestellt wird. 2. Der prozessuale Lösungsweg statt des materiellrechtlichen Lösungswegs Aus kriminologischem Blickwinkel betrachtet ist die Strafverfolgung urheberrechtlicher Straftaten durch geringe Ermittlungschancen kenngezeichnet, da sich die Tatbegehung der unmittelbaren Wahrnehmung durch das Tatopfer entzieht, das in den meisten Fällen durch Anzeige die Strafverfolgung in Gang bringt.162 In der tatsächlichen Verfolgungssituation im Bereich der Urheberrechtsverletzungen interessieren sich die Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf das wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Verhältnis nicht für den einzelnen Käufer, sondern für die höheren Ebenen der Vertriebsorganisation.163 In Bezug auf den kriminologischen Befund und die praktische Verfolgungssituation besteht kein Streit. Doch ist es kontrovers, ob diese Befunde als Gründe gegen das Unrecht der Teilnahme im Rahmen des materiellen Strafrechts in Erwägung gezogen werden sollen oder vielmehr als Gründe für die prozessuale Einstellungsmöglichkeit gemäß § 153 ff. StPO. Sowada entscheidet sich für einen materiellrechtlichen Lösungsweg. Der Grund liegt vor allem in der äußerst geringen Abschreckungswirkung auf potentielle Erwerber, die das minimale Entdeckungsrisiko und die praktisch ausgeschlossene Gefahr einer strafgerichtlichen Verurteilung implizieren.164 Stellt man auf das praktische Entdeckungsrisiko und die Bestrafungsmöglichkeit ab, verliert jedoch das Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) in der Begehungsform des „Schwarzfahrens“ in öffentlichen Verkehrsmitteln ebenfalls den Strafgrund. Um dies zu vermeiden, verteidigt Sowada, dass der Gesetzgeber „eine ausdrückliche Strafnorm statuiert, wenn er sich bei der Bekämpfung von Schutzrechtsverletzungen für eine Strategie entscheidet, die angesichts der Einbindung der Endabnehmer eine große Zahl von Straftätern hervorbringt“.165 Diese Argumentation postuliert unangemessen, dass die Bestätigung der gesetzgeberischen Entscheidung für die Bestrafung einer Massenkriminalität die einzelne Deliktstatbestände regelnden Normen im Besonderen Teil voraussetzt, und schließt deswegen die Strafbarkeit des Kaufs von Raubkopien gemäß den Beteiligungsnormen im Allgemeinen Teil aus. Somit enthält sie denselben Fehler wie die Ableitung der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme aus dem Fehlen der ausdrücklichen Erfassung der allseitigen Strafdrohung, indem die Beteiligungsnormen im Allgemeinen Teil einfach unbegründet missachtet werden; die Massenhaftigkeit der betreffenden Tat vermag aber die Geltung der Beteiligungsnormen nicht auszuschließen.

162 163 164 165

Sowada, Teilnahme, S. 185. Sowada, Teilnahme, S. 186. Sowada, Teilnahme, S. 186. Sowada, Teilnahme, S. 189.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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Neben den negativen generalpräventiven Erwägungen wird auch ein spezialpräventives Argument angeführt, um die unterschiedliche Behandlung des Kaufs von Raubkopien und des Ladendiebstahls zu rechtfertigen: Da im Fall des Ladendiebstahls die Einhaltung des Bagatellbereichs prinzipiell im Willen des Täters steht, resultiert hieraus die Gefahr, dass bei „erfolgreichen“ (nämlich unentdeckten) Bagatelldiebstählen der Täter animiert werden könnte, sich auch an wertvollere Tatobjekte zu wagen; das ist beim Kauf von Raubkopien hingegen nicht der Fall.166 Es ist jedoch nicht überzeugend, die Furcht vor einem potentiellen Steigerungseffekt in der Konstellation des Kaufs eines Raubdrucks eines urheberrechtlich geschützten Werkes zu verneinen. Denn es ist durchaus denkbar, dass nach einem unbestraften Kauf einer Raubkopie eines wirtschaftlich geringwertigen Buches der Handelnde sich auch an Raubkopien wertvoller Computer-Softwareprogramme wagt. Geht man wirklich von der spezialpräventiven Überlegung aus, ist es nur konsequent, jeder bagatellarischen Beeinträchtigung des Rechtsguts mit Strafe zu begegnen, da die Geringfügigkeit der geschehenen Beeinträchtigung die Notwendigkeit einer Bestrafung des Täters bei hoher Wiederholungsgefahr nicht ausschließt. In der Tat liegt das entscheidende Manko der materiellrechtlich argumentierenden Ableitung der Straflosigkeit aus dem Fehlen der Abschreckungswirkung der Bestrafung oder aus dem Fehlen spezialpräventiver Notwendigkeit in dem grundlegenden Missverständnis des Wesens des Strafrechts. Nach der hiesigen Straftheorie macht weder die Abschreckungswirkung noch die spezialpräventive Notwendigkeit den Kernpunkt des strafrechtlichen Unrechts aus. In erster Linie funktioniert das Strafrecht – wie oben ausgeführt – nicht nach dem Mechanismus, durch die Entdeckung und Bestrafung von möglichst viel Kriminalität die Mitglieder der Gemeinschaft von künftigen Straftaten abzuschrecken. Für diesen Mechanismus ist vielmehr ein umfassendes Überwachungssystem das taugliche Instrument, aber jedenfalls nicht das Strafrecht. Stattdessen zielt das Strafrecht durch die Reaktion auf die zuständigkeitswidrige Handlung auf die Aufrechterhaltung der Bedingungen eines freiheitlichen Zusammenlebens ab; eine umfassende Entdeckung und Strafverfolgung aller praktisch geschehenen Straftaten nicht ist dafür nicht erforderlich und zweifellos auch in keinem Land der Welt möglich. Weiterhin ist das Strafrecht unbestritten an das Tat- sowie das Schuldprinzip gebunden, was den maßgeblichen Unterschied zwischen dem Strafrecht und irgendeiner auf Verhinderung künftiger Widerholungsgefahr abzielenden Behandlung des Täters ausmacht. Die künftige Gefährlichkeit des Straftäters ist unabhängig von der Vorwerfbarkeit der von ihm begangenen Tat.167 Solange man auf dem Schuldprinzip besteht, d. h. den reaktivmissbilligenden Charakter der Strafe als deren begriffsbildendes Merkmal betrachtet,168 ist kein Raum für die Behauptung, dass das angebliche Fehlen der spezialpräventiven Notwendigkeit eine Eigenschaft bilde, die der Konstitution von 166

Sowada, Teilnahme, S. 188. Pawlik, Unrecht, S. 75; Jakobs, AT, 1/43 ff.; Frister, AT, § 2, Rn. 15; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 157. 168 Pawlik, Unrecht, S. 58 f., 75. 167

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Teilnahmeunrecht entgegenstehe. Kurzum: Weil das Strafrecht weder Überwachungssystem noch Verbesserungsbehandlung ist, ist es unbegründet, das Unrecht der Mitwirkung des Käufers von Raubkopien oder pornographischen Werken aufgrund von Präventionserwägungen abzulehnen. Es ist nicht gelungen, zwischen der Eigenschaft der notwendigen Mindestmitwirkung und dem Unrecht der Teilnahme auf materiellrechtlicher Ebene überzeugend eine negative Korrelation herzustellen. Daher ist nun das Ergebnis zu akzeptieren, dass die Mitwirkung des Käufers von Raubkopien das Unrecht der Teilnahme ausmachen kann, solange sie die allgemeinen Voraussetzungen der Beteiligung erfüllt. Dies bedeutet aber nicht eine zwingende Bestrafung des Käufers der Raubkopien. Erwiesene Strafbarkeit führt insofern nicht stets zur Bestrafung, als in bestimmten Konstellationen die Striktheit des materiellen Strafrechts nach Instrumenten ruft, die eine flexible, humane und kriminologisch sinnvolle Reaktion jenseits einer förmlichen Bestrafung erlauben.169 Angesichts der Vielzahl der Fälle und des Bagatellcharakters des Kaufs der Raubkopien empfiehlt es sich, die prozessuale Einstellungsmöglichkeit gemäß §§ 153 ff. StPO anzunehmen. Vor allem findet dieser Lösungsweg eine positivrechtliche Stütze. Der Gesetzgeber hat sich in Bezug auf das Problem der Massen-Bagatellkriminalität ausdrücklich für die prozessuale Lösung entschieden – im Gegensatz zur materiellrechtlichen Lösung, wie sie in § 42 des österreichischen StGB realisiert worden ist. Die Opportunitätsregelungen bezwecken eine Entlastungsmöglichkeit für die Justiz, die sie davor bewahrt, jede noch unbedeutende Straftat in einem formvollendeten, womöglich unverhältnismäßig aufwendigen Verfahren verfolgen zu müssen.170 Zudem steht es in der Literatur außer Streit, dass als Tatobjekt der Vermögensdelikte auch eine wirtschaftlich wertlose Sache in Betracht kommt.171 In Bezug auf die Frage, ob die Strafbarkeit eines Diebstahls geringwertiger Sachen mit dem Prinzip schuldangemessenen Strafens vereinbar ist, führt das BVerfG in der Entscheidung aus dem Jahre 1979 aus: Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Bagatellfälle aus dem Strafrecht herauszunehmen und etwa in das Ordnungswidrigkeitenrecht zu verlagern; es bleibt dem Gesetzgeber überlassen, dem geringeren Unrechtsgehalt der Bagatelldelikte auf der Ebene der Strafzumessung oder durch eine Lockerung des strafprozessualen Verfolgungszwangs Rechnung zu tragen.172 Wenn die Straflosigkeit des Diebstahls geringwertiger Sachen nicht als Unrecht ausschließender Grundsatz angenommen wird, gibt es keinen einsehbaren Grund, den Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung anzuerkennen. Schließlich ist in Anbetracht des Verhältnisses und der Differenz von Strafrecht und Strafverfahrensrecht der verfahrensrechtliche Lösungsweg nicht nur praktisch unaus169

Heghmanns, Strafverfahren, § 2, Rn. 1. Heghmanns, Strafverfahren, § 4, Rn. 125; Peters, in: MK StPO, § 153, Rn. 2 ff.; Weißlau/Deiter, in: SK StPO, § 153, Rn. 2. 171 Statt aller Rengier, BT I, § 1, Rn. 2. 172 BVerfGE 50, 205 = NJW 1979, 1039. 170

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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weichlich, sondern auch normativ angemessen. In der Realität setzen sich die Strafrechtsnormen nicht in ihrer papiernen Form, sondern durch praktisches Handeln in die Wirklichkeit um, und zwar werden sie im Strafverfahren in die Disposition spezieller Handlungsbedingungen gestellt, wobei die ökonomische und kriminalpolitische Abwägung im Einzelfall unausweichlich ist.173 Strafverfahren und Strafverfahrensrecht dienen nicht ausschließlich der Verwirklichung der Strafrechtsnormen, wie in der Vorstellung einer unbedingten Strafpflicht angenommen worden ist, sondern sie haben ihre eigenen Ziele.174 Es ist kurzfristig ökonomisch und langfristig auch politisch unklug, die Ermittlungsbehörden in gleicher Weise und gleicher Intensität zur Aufklärung sämtlicher Straftaten zu verpflichten, wie das materielle Strafrecht dies eigentlich fordert.175 Also ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Effektivität der Strafrechtspflege eine regulative Rolle im Strafverfahren spielt. Dagegen hält Sowada es für fatal, wollt man sich mit dem „Ausleiern“ von Strafrechtsnormen abfinden, weil die §§ 153 ff. StPO die Möglichkeit eröffnen, die quantitative Uferlosigkeit der Tatbestände im Interesse der Strafrechtspraxis wieder zu korrigieren.176 In Anschluss an Dreher177 unterscheidet Sowada zwischen den Bagatelldelikten per se, die nach ihrer Tatbestandsbeschreibung in schlechthin jedem Fall nur geringfügig sind, und den Bagatelldelikten im Einzelfall, nämlich Delikten, die unter atypischen Umständen in Bagatellform verwirklicht werden können. Auf Basis dieser Unterscheidung ordnet Sowada den Kauf von Raubkopien als eine mit dem betreffenden Delikt typischerweise einhergehende Fallgruppe bloßen Bagatellunrechts ein und steht damit der prozessualen Lösung gemäß §§ 153 ff. StPO ablehnend gegenüber, denn diese filtert ausschließlich als ein Feinsteuerungsinstrument die aus deliktsatypischen Umständen als Bagatellkriminalität qualifizierten Handlungen heraus.178 Dieses Gegenargument vermag nicht zu überzeugen. Vor allem geht es nicht um die Zufriedenheit mit dem „Ausleiern“ der Strafrechtsnormen, sondern um die geforderte Sicherheit der Dogmatik. Nur scheinbar schärft der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung die Kontur des Teilnahmeunrechts; dies geschieht nämlich auf Kosten der Identität der Dogmatik. Zwar kann die Strafverfolgung des Diebstahls geringwertiger Sachen nach dem Strafverfahrensrecht eingestellt werden. Aber dies verändert den dogmatischen Befund im materiellen Strafrecht nicht, dass der Diebstahl geringwertiger Sachen auch Unrecht begründet. Also ist es unzulässig, aufgrund kriminalpolitischer, justizökonomischer oder sonstiger Zweckmäßigkeitserwägungen und der voraussichtlichen 173

Hassemer, Legalität, S. 533. Hassemer, Legalität, S. 533 175 Hassemer, Legalität, S. 534. 176 Sowada, Teilnahme, S. 190. 177 Dreher, FS-Welzel, S. 917 f. Aber Dreher vertritt in Bezug auf die Bagatellkriminalität eine prozessuale Lösung gemäß §§ 153 ff. StPO. 178 Sowada, Teilnahme, S. 190. 174

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Einstellungsmöglichkeit umgekehrt das kriminale Unrecht zu verneinen. Dies gilt auch für die Mitwirkung, die einen intentionalen Mittel-Zweck-Zusammenhang mit der Haupttat bildet und daher die Tatbestände der Beihilfe des betreffenden Deliktstatbestands verwirklicht. Außerdem ist die Anknüpfung der Anwendung von § 153 StPO an die Unterscheidung zwischen sogenannten eigentlichen und uneigentlichen Bagatelldelikten grundlos. Diese Anknüpfung findet Stützung weder in der theoretischen Erörterung noch in der praktischen Anwendung des § 153 StPO. Nach dieser Unterscheidung soll der Ladendiebstahl (§ 248a StGB) eine eigentliche Bagatellkriminalität sein, da es ausdrücklich um geringwertige Sachen geht. Aber er stellt zweifellos in der Praxis einen typischen Anwendungsfall des § 153 StPO dar.179 Schließlich ist die Einordnung des Kaufs von Raubkopien als eigentliche Bagatellkriminalität fragwürdig. Es ist durchaus denkbar und in der Praxis nicht selten, dass das betreffende Tatobjekt ein wirtschaftlich wertvolles Computer-Softwareprogramm ist. Selbst bei Sowada wird angenommen, dass man im Hinblick auf die wirtschaftlichen Dimensionen dem einzelnen Erwerbsvorgang auch durch private Endabnehmer den Bagatellcharakter absprechen muss.180 3. Die Straftheorie und Opportunitätserwägungen bei der Strafverfolgung §§ 153 ff. StPO sind Verkörperungen von Opportunitätserwägungen in der Strafverfolgung. Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht die Ermittlungen aufzunehmen und, sofern sich dadurch ein hinreichender Tatverdacht manifestiert, Anklage zu erheben.181 Das Legalitätsprinzip lässt sich jedoch nicht als kompromisslose Strafpflicht begreifen. In Teilbereichen der Kriminalität wird die Entscheidung über eine Verfolgung dem Ermessen der Strafverfolgungsbehörden überlassen.182 Also wird die staatliche Strafpflicht zwar als theoretischer Ausgangspunkt angenommen, doch in der Rechtswirklichkeit aufgrund von Opportunitätserwägungen auf ein vernünftiges Maß reduziert.183 Der strikte Zusammenhang zwischen der gesetzlich festgelegten strafrechtlichen Verantwortung und der Strafe wird aus kriminalpolitischen, justizökonomischen oder sonstigen Zweckmäßigkeitsgründen gelockert.184 Um den verfahrensrechtlichen Lösungsweg zu begründen, ist noch die Frage zu erklären, ob Opportunitätserwägungen im Strafverfahren unter straftheoretischen Vorzeichen als sachgerecht gelten können. Obwohl das Strafverfahrensrecht nicht nur die schlichte Verlängerung des materiellen Strafrechts ist und deswegen auch Regeln folgt, die von 179

Peters, in: MK StPO, § 153, Rn. 4. Sowada, Teilnahme, S. 190 f. 181 Statt aller Kindhäuser/Schumann, Strafprozessrecht, § 4, Rn. 18; Weigend, ZStW 109 (1997), 103. 182 Statt aller Heghmanns, Strafverfahren, § 4, Rn. 124. 183 Weigend, ZStW 109 (1997), 104 f.; Hassemer, Legalität, S. 532 f. 184 Weißlau/Deiters, in: SK StPO, 5. Aufl., Vor § 151, § 8; Hassemer, Legalität, S. 537. 180

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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außerhalb des materiellen Strafrechts stammen,185 muss die Strafrechtsdogmatik ihrerseits dafür Sorge tragen, dass ihre Straftheorie nicht so arrogant ist, dass aus der Perspektive des materiellen Strafrechts die unbedingte Strafpflicht die einzige Möglichkeit im Strafverfahren darstellt und opportunistische Zweckerwägungen ganz außer Betracht stehen. In diesem Zusammenhang zeigt die hiesige Straftheorie ihren Vorzug im Vergleich zur als „absolute“ Theorie im traditionellen Sinne verstandenen Vergeltungslehre und der am Rechtsgüterschutz orientierten Präventionstheorie. Nach der im traditionellen Sinne verstandenen Vergeltungslehre hat die Strafe allein und zwingend die Gebote abstrakter Gerechtigkeit zu verwirklichen, die nach Ausgleich jeden Übels verlangen.186 Demnach muss die Strafe jedem Normbruch kategorisch folgen und gibt es keinen Raum für opportunistische Zweckerwägungen.187 Zwar ist Strafe nach hiesiger Meinung insofern vergeltend, als sie die staatliche Reaktion auf die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht des Bürgers darstellt. Aber anders als die Vergeltungslehre im traditionellen Sinne befasst sich die hiesige Straftheorie lediglich mit der Zulässigkeit der Übelzufügung in einer freiheitlichen Gemeinschaft, also damit, die Strafe vonseiten des Verbrechers in seiner Eigenschaft als Bürger zu rechtfertigen. Die Duldung dieser Strafe ist Teil seiner Pflicht zur Aufrechterhaltung eines Zustandes der Freiheitlichkeit. Damit ist die hiesige Straftheorie durch ihre „Selbstbescheidung“ gekennzeichnet: Sie weist ausschließlich nach, „dass keine prinzipiellen Bedenken dagegen bestehen, auf eine Tat, die sich nach den einschlägigen Regeln des materiellen Strafrechts als ein Unrecht des Bürgers deuten läßt, mit Strafe zu reagieren“, besagt aber auf keinen Fall, dass jedes kriminale Unrecht mit einer Strafe geahndet werden muss.188 Eine gefestigte Gesellschaft kann es sich leisten, die Reaktionsform der Strafe schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Daseinsbedingungen von Freiheit vorzubehalten, weniger gewichtige Unrechtstaten hingegen auf andere Weise zu beantworten.189 Im Vergleich zum Kernbereich schwerer Kriminalität – scil. Mord, Vergewaltigung und Raub – sind Delikte wie die Verbreitung von Raubkopien oder pornographischen Inhalten „Trittbrettfahrer, die keinen Fahrschein gelöst haben“.190 Somit ist es durchaus denkbar, Opportunitätserwägungen im Strafverfahren in Betracht zu beziehen und auf die Strafverfolgung des Kaufs der Raubkopien oder pornographischer Inhalte angesichts begrenzter Justizressourcen zu verzichten.

185

Hassemer, Legalität, S. 533 f.; Horstmann, Präzisierung, S. 63. Vgl. Birkmeyer, Strafprozessrecht, S. 63, 303. 187 Pott, Außerkraftsetzung, S. 16, 32; Weigend, Anklagepflicht, S. 65 f.; Kapahnke, Opportunität, S. 2; Horstmann, Präzisierung, 2002, S. 43 f.; Zipf, FS-Peters, S. 495; Greco, Lebendiges, S. 423 f.; Hoerster, Strafe, S. 49; Reiß, NStZ 1981, 4; Erb, Legalität, S. 119. 188 Pawlik, Unrecht, S. 108 f. 189 Pawlik, Unrecht, S. 109. 190 Kindhäuser, ZStW 129 (2017), 386. 186

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

Im Gegensatz zur Einigkeit über den Zusammenhang zwischen der traditionellen Vergeltungstheorie und der strengen Strafpflicht ist das Verhältnis zwischen der Strafpflicht und der am Rechtsgüterschutz orientierten präventiven Straftheorie umstritten. Nach der überwiegenden Meinung verlangen sowohl die Ernstlichkeit der Strafdrohung im Konzept der Theorie des psychologischen Zwanges wie auch die Stärkung der Rechtstreue im Sinne der Theorie positiver Generalprävention grundsätzlich die Verfolgung aller bekannt gewordenen Straftaten, denn jede Verfahrenseinstellung aus Gründen der Opportunität vermindert die abschreckende Kraft der Strafandrohung und irritiert das Rechtsbewusstsein der rechtstreuen Rechtsgenossen.191 Vereinzelt findet sich jedoch die gegenteilige Position, wonach auch eine lückenhafte Durchsetzung des materiellen Strafrechts Rechtsgüterschutz und damit Rechtsfrieden bewirken kann und das Verhältnismäßigkeitsprinzips den Verfolgungsverzicht im Einzelfall aus kriminalpolitischen Gründen rechtfertigen kann.192 Diese Mindermeinung ist im Licht der Rechtsgutsdogmatik jedoch nicht konsequent. Wenn man von der am Rechtsgüterschutz orientierten Straftheorie ausgeht, zählt folgerichtig die Behandlung jedes einzelnen Rechtsgutsangriffs. In diesem Zusammenhang setzt die Erreichung der negativen sowie positiven generalpräventiven Zwecke die Bestrafung jeder Rechtsgutsbeeinträchtigung voraus. Denn jede Einschränkung der Strafpflicht bedeutet den Verzicht auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter, was mit einem sich um den umfassenden Rechtsgüterschutz bemühenden Strafrecht tatsächlich unvereinbar ist. Wenn Ladendiebstähle mit einem Schaden von weniger als 30 Euro in der Praxis nicht verfolgt werden, werden in Hinsicht auf den Rechtsgüterschutz alle Objekte mit einem Wert unter 30 Euro nicht mehr als rechtlich geschützte Güter anerkannt.193 Deswegen wird gegen die Relativierung des Legalitätsprinzips häufig der Einwand vorgebracht, dass sie das Ziel der Generalprävention gefährdet194 und in unzulässiger Weise den Rechtsgüterschutz gerade für die Randgebiete aufhebt, die seiner am dringendsten bedürfen.195 Kurzum: Solange die Rechtsgutsdogmatik konsequent durchgeführt wird, muss sich die Strafverfolgung auf jeden Einzelkonflikt konzentrieren. Im Rahmen der hiesigen Straftheorie verhält es sich anders. Nach hiesiger Auffassung erweist sich die vergeltende Strafe als ein positiv-normbestätigender Akt. Zwar wird die Strafe nicht als Mittel der Erreichung generalpräventiver Zwecke, sondern als Preis des Freiheitsgenusses in der Gemeinschaft legitimiert, den der die Normgeltung verletzende Bürger zahlen muss. Aber der Normbestätigungseffekt der Strafe wird als ein notwendiges Glied der Begründungskette anerkannt. Denn dies ermöglicht erst, dass der die Normgeltung verletzende Bürger durch die Duldung der Strafe seine Mitwirkungspflicht erfüllen kann. Lehnt man den Normbestätigungs191 Horstmann, Präzisierung, 2002, S. 43; Deiters, Legalitätsprinzip, S. 40; Weigend, Anklagepflicht, S. 68 ff.; Pott, Außerkraftsetzung, S. 26 f., 159; Baumann, FS-Peters, S. 4 f. 192 Reiß, NStZ 1981, 5 f.; Faller, FG-Manuz, S. 80 f. 193 Weigend, Anklagepflicht, S. 68 f. 194 Baumann, FS-Peters, S. 3 f. 195 Baumann, ZRP 1972, S. 273, 275.

B. Die Strafbarkeit der sogenannten Mindestmitwirkung

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effekt der Strafe ab, ist die Erfüllung der Mitwirkungspflicht für den Normverletzenden eine unmögliche Aufgabe. Der Effekt der Strafe liegt nicht in der Verhütung der künftigen Rechtsgutsverletzung, was eine lückenlose Strafverfolgung erfordern würde, sondern in der Aufrechterhaltung des bestehenden Zustandes rechtlich verfasster Freiheitlichkeit, in dem Straftaten als Ausnahmen – schärfer: als Anomalien – wahrgenommen werden, mithin die Überzeugung der Rechtsgenossen, in einem Zustand realer Freiheitlichkeit zu leben, nicht nennenswert erschüttern können.196 Deswegen geht es nicht um die Lösung jedes Einzelkonflikts durch Bestrafung, sondern um die Aufrechterhaltung der „wirklichkeitsgestaltende[n] Kraft“ der gesamten freiheitlichen Daseinsordnung.197 Wenn sich der Schwerpunkt vom einzelnen Rechtsangriff auf die Geltungskraft der Gesamtordnung verlagert, ist die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bei Bagatellkriminalität aufgrund der justizökonomischen Überlegungen im Strafverfahren nicht durchaus unerträglich, denn die Einstellung im Falle von Ladendiebstählen mit einem Schaden von weniger als 30 Euro erschüttert nicht auf eine nennenswerte Weise die gesamte Rechtsordnung. Im Rahmen des hiesigen Verständnisses der Strafe wird nicht die Zwangsläufigkeit der lückenhaften Strafverfolgung seitens des materiellen Strafrechts gerechtfertigt, sondern die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung aus opportunistischen Zweckerwägungen. Der Rückgriff auf das Ziel der Aufrechterhaltung der Geltungskraft der Gesamtordnung ist nicht neu und findet sich in der Ausführung von Zipf. Durch die Abgrenzung von der Ansicht Zipfs kann die hiesige Auffassung deutlicher erklärt werden. Nach Zipf ist die Durchbrechung des Legalitätsprinzips in Form eines strikten Strafzwangs notwendig für die Erhaltung der Geltungskraft der Norm, weil ein zu häufiges Bekanntwerden von Normverstößen der normstabilisierenden Vorstellung des Ausnahmecharakters von Straftaten schadet und zu einer starken Abnutzung der Geltungskraft der Norm führt.198 Mit dieser Begründungslogik verstrickt sich das Legalitätsprinzip allerdings in Schwierigkeit. Denn damit werden opportunistische Zweckerwägungen vonseiten des materiellen Strafrechts nicht als möglich oder erträglich, sondern als erforderlich gerechtfertigt. Vonseiten des materiellen Strafrechts soll ausschließlich ein Raum für Opportunitätserwägungen im Strafverfahren reserviert werden, aber nicht dem Legalitätsprinzip die straftheoretische Grundlage entzogen werden. In der Tat verkennt dieser Versuch, durch eine „optimale Sanktionierungsrate“ die Geltungskraft der Norm zu erhalten, dass die Geltungskraft der Normen nicht aus dem Nichtvorhandensein oder Nichtwissen der Normübertretung stammt, sondern gerade durch die staatliche Reaktion auf die Normübertretung, also die Ausübung der Strafe, wieder stabilisiert wird. Nicht das Bekanntwerden von Normverstößen macht die Ausnahme zur „Regel“, sondern das Ausbleiben der staatlichen Reaktion. Die Einstellungsregeln dienen

196 197 198

Pawlik, ZStW 111 (1999), 351 f. Welzel, Abhandlung, S. 282; Pawlik, Unrecht, S. 104 f. Zipf, FS-Peters, 1974, S. 497; Popitz, Präventivwirkung, S. 17 ff.

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4. Kap.: Die notwendige Teilnahme in einzelnen Deliktstatbeständen

nicht der Verheimlichung der realen Kriminalitätsstatistiken,199 sondern der Normativierung der Opportunitätserwägungen im Strafverfahren, ohne die Geltungskraft der Gesamtordnung preiszugeben.

III. Fazit Durch die Musterung der Entfaltung des Grundsatzes der straflosen Mindestmitwirkung in § 283c und § 184 gelangen wir zu dem Ergebnis, dass diesem Grundsatz ein tragfähiges dogmatisches Fundament letztlich fehlt. Innerhalb der Teilnahmedogmatik vermögen weder die Motivation vermögensbezogener Selbstbegünstigung noch kriminalpolitische Geringfügigkeitserwägungen einen haltbaren Grund für die Ablehnung des Unrechts zu bilden.

199

Eingehend Kritik an der Ansicht von Zipf vgl. Erb, Legalität, S. 155.

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Der Begriff der „notwendigen Teilnahme“ bezeichnet im Wesentlichen den Zweifel an der Strafbarkeit bestimmter Beteiligungskonstellationen, in denen eine ausdrückliche Strafdrohung der tatbestandsnotwendigen Mitwirkung im einzelnen Deliktstatbestand fehlt. In der vorangegangenen Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, ob und, wenn ja, warum die notwendige Mitwirkung im Rahmen der von Zuständigkeitsgesichtspunkten geprägten allgemeinen Beteiligungslehre straflos sein kann. Es geht nicht lediglich um die Untersuchung der spezifischen Erklärungsansätze zur notwendigen Teilnahme, sondern auch um eine umfassende Reflexion und Rekonstruktion der gegenwärtig dominierenden allgemeinen Beteiligungslehre. Vor allem wird der herkömmliche Lösungsweg abgelehnt, die Straflosigkeit der notwendigen Mitwirkung im Umkehrschluss zu den Begegnungsdelikten mit allseitiger Strafdrohung zu begründen. Aus dem Vorhandensein der Begegnungsdelikte mit allseitiger Strafdrohung lässt sich nicht folgern, dass die faktische Notwendigkeit der bestimmten Mitwirkung die Anwendung der allgemeinen Beteiligungsregelungen ohne weiteres ausschließt und deswegen im Bereich der deliktsnotwendigen Mitwirkung eine ausdrückliche Strafdrohung im einzelnen Deliktstatbestand erforderlich ist. Neben der allein auf logischen Erwägungen basierenden Argumentation spielt der Rechtsgutsbegriff bei der Begründung der Straflosigkeit der notwendigen Teilnahme eine maßgebliche Rolle: Zum einen geht es um die auf der Struktur des Rechtsgutsbegriffs beruhende These der Unverletzbarkeit der Rechtsgüter für den Rechtsgutsträger, zum anderen um die Erklärungsreichweite des sog. methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriffs. Die Leistungskraft dieses Rechtsgutsbegriffs ist zweifelhaft, denn er gewinnt die geforderte Bestimmtheit erst in der Eigenschaft, vom Rechtsgutsträger abzugrenzende Gegenstände zu bezeichnen, was jedoch die Möglichkeit der Behauptung in Abrede stellt, dass der Rechtsgutsbegriff eine Beziehungsstruktur beinhalte, die das Interesse des Rechtsgutsträgers an einem ungestörten Zustand der ihm zugewiesenen Objekte erfasst. Zudem ist der Rechtsgutsbegriff nicht imstande, die teleologische Auslegung der Einzeltatbestände zu leiten, weil der Rechtsgutsdogmatik eine Expansionslogik immanent ist, was die Beschränkung des kriminalen Unrechts auf einen vernünftigen Umfang undenkbar macht. Die Begrenztheit der Begründungsressourcen der Rechtsgutsdogmatik lässt sich nicht durch die unter dem Titel „Verhältnismäßigkeit“ oder „Kriminalpolitik“ thematisierten Erwägungen überwinden. Mit der Schwerpunktsetzung auf kriminalpolitische Überlegungen zu einzelnen Delikten gelangt man regelmäßig zu einem systematisch unbefriedigenden topischen Ergebnis und umgeht eine eingehende

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Betrachtung der an der Rechtsgutsdogmatik orientierten allgemeinen Beteiligungslehre. Es steht außer Streit, dass die Verursachungstheorie und ihre Varianten die Diskussion um den Strafgrund der Teilnahme dominieren und die mithilfe der Rechtsgutsdogmatik konstituierte Beziehung zwischen dem einzelnen Beteiligten und dem tatbestandlichen Erfolg den Angelpunkt der Straflosigkeit des selbstverletzenden Teilnehmers ausmacht. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass es ein „Spannungsverhältnis“ zwischen dem Akzessorietätsprinzip und der Straflosigkeit des sich selbst verletzenden notwendigen Teilnehmers gibt, wenn man Akzessorietät im Sinne eines „Entleihens“ oder „Ableitens“ vom Unrecht der Haupttat versteht. Die Schwierigkeit lässt sich nicht durch die Kombination der Verursachungstheorie und des Akzessorietätsprinzips bewältigen. Denn wissenschaftstheoretisch gesehen produziert die Kombination ohne verbindenden Oberbegriff keine stichhaltige Begründung, sondern eine beliebig dehnbare Häufung sich voneinander abgrenzender Zurechnungsmodelle, was zwangsläufig zu einem systematisch unerwünschten Selektionsmechanismus führt. Durch die Untersuchung der rechtsgutsbasierten Verursachungsansätze gelangt man zu dem Ergebnis, dass die Problematik der notwendigen Teilnahme im Rahmen der Verursachungstheorie nicht schlüssig gelöst wird, weil sich das Wesen der Beteiligung im Lichte der naturalistischen Kategorie der Kausalität nicht angemessen behandeln lässt. Um den Konflikt zwischen dem Akzessorietätsprinzip und dem eigenständigen Teilnahmeunrecht zu lösen, der wichtig ist für die Behandlung des selbstverletzenden Teilnehmers, ist eine Erklärung erforderlich, was man denn unter der Akzessorietät der Teilnahme verstehen soll. Liegt der Schwerpunkt des Unrechts nicht in der Verursachung der Rechtsgutsbeeinträchtigung, sondern in der Verantwortung für die Konsequenzen innerhalb des eigenen Organisationskreises, ist die Verantwortung des Mitwirkenden für die fremdhändige Tatbestandsausführung nicht so selbstverständlich wie im Rahmen der Verursachungstheorie. Nach den zuständigkeitsbasierten Teilnahmekonzeptionen ist zu erklären, warum im Rahmen des Rechtsinstituts der Beteiligung für fremde freiverantwortliche Ausführung gehaftet werden soll. Diese Ansätze, die aus der Freiverantwortlichkeit des Ausführenden das selbständige Unrecht der Teilnahme ableiten, werden hier abgelehnt. Die Anknüpfung des Selbstverantwortungsprinzips an die qualitative Unterscheidung zwischen Teilnahme und Täterschaft ist bedenklich, weil sie zwingend zu der Annahme führt, dass sich die Grenze der eigenen Verantwortung mit der Grenze des eigenhändigen Verhaltens vollständig deckt und akzessorische Verantwortung für fremdhändige Ausführung als schlechthin undenkbar ausgeschlossen wird. Im Gegensatz dazu ist nach der radikal normativistischen Beteiligungslehre von Jakobs und seinen Schülern die Zurechnung der fremden Ausführung zum Mitwirkenden als sein eigenes Werk denkmöglich, was der identische Haftungsgrund für den täterschaftlichen Beteiligten und den Teilnehmer im engen Sinne ist. Dieser Befund verdient Zustimmung. Die Ansicht ist insofern bedeutsam für die Problematik der notwendigen Teilnahme, als dadurch der Ak-

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

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zessorietät der Beteiligung ein neues Verständnis verliehen wird: Es geht nicht mehr um die Ableitung des Teilnahmeunrechts aus dem Unrecht der Haupttat, sondern darum, dass der Tatbeitrag des einzelnen Mitwirkenden den Grund bildet, die fremdhändige Tatbestandsausführung als seine eigene zuzurechnen. Allerdings ist der funktionalistische Ansatz nicht imstande zu beantworten, worin überhaupt der freiheitstheoretische Legitimationsgrund des Zurechnungsmodells der Beteiligung liegt. Im Rahmen einer durch den Freiheitsgedanken legitimierten Rechtsordnung erscheint die Bestrafung des Beteiligten nur dann nicht als unbegründet, wenn die Verantwortung der Beteiligung als Konsequenz der Freiheitsidee bewiesen wird. Bevor wir eine freiheitstheoretische solide Stützung für das Rechtsinstitut der Beteiligung schaffen, muss die Bedeutung von Freiheit klargemacht werden. Die von der Rechtsgutsdogmatik geprägte Verursachungstheorie lässt sich letztlich auf das naturalistische Freiheitsverständnis zurückführen, nach dem die Position der anderen bloß als äußerliches Hindernis der Freiheit eines Einzelnen erfasst wird. Geht man von einem solchen Freiheitsverständnis aus, verstrickt man sich unvermeidbar in Schwierigkeiten bei der Erklärung der Schuldstrafe. Stattdessen muss die Freiheit einer Person von vornherein im Verhältnis zu anderen Personen bestimmt werden. Die interpersonal wechselseitig abgesteckte Freiheit wird als das subjektive Recht bezeichnet. Jedem Mitglied der Rechtsgemeinschaft wird ein Bereich rechtlich garantierter Freiheit zugewiesen, in dem es seine Interessen eigenverantwortlich wahrnehmen kann und der gegen Eingriffe von außen geschützt wird. Infolgedessen stellt das Verbrechen nicht die Verringerung der fremden instrumentalistischen Freiheit dar, sondern die Verletzung der Pflicht, die fremde Rechtsposition zu respektieren, was freilich innerhalb eines bestimmten Rechtsverhältnisses stattfindet. Daher verlagert sich der Schwerpunkt in einem Fall, bei dem mehrere Personen zusammen den tatbestandlichen Erfolg bewirken, von der Bestimmung der Kausalität zwischen einzelnem Tatbeitrag und schädlichem Erfolg auf die Bestimmung des jeweiligen Zuständigkeitsbereichs; also ist zu untersuchen, warum der einzelne Beteiligte für die Belange des Opfers zuständig ist, in was für einem Rechtsverhältnis der einzelne Beteiligte zum Opfer steht und wie er die Rechtssphäre des Opfers usurpiert. Der Erklärungsbedarf der pflichtentheoretischen Struktur der Beteiligung lässt sich durch die Parallele zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte erneut bestätigen. Wenn das Unterlassungsdelikt unbestritten die Garantenpflicht voraussetzt, ist es nicht nachvollziehbar, dass die Beteiligungslehre weiterhin dem Verursachungsmodell verhaftet bleibt. Da das kriminale Unrecht nicht durch irgendein beliebiges Verhalten erfolgt, sondern allein durch eine Tatbestandsverwirklichung, kann die Haftung des Beteiligten ausschließlich durch die Beweisführung begründet werden, dass ihn die Tatbestandsverwirklichung unter Zuständigkeitsgesichtspunkten etwas angeht. Das Unrecht der Teilnahme lässt sich nur dann in einer systematisch kontrollierten Form konzipieren, wenn die strafrechtlichen Verpflichtungen mittels einheitlicher Begründungsfiguren behandelt werden, was eine fundamentale Untersuchung des Systems der Zuständigkeit erfordert. Die Verwirklichung realer Organisationsfrei-

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Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

heit einer Person setzt vor allem eine von Fremdbestimmung freie Gestaltung des eigenen Lebens voraus. Deswegen bildet die Respektierungserwartung den Kernpunkt des Systems der Zuständigkeit; sie verbietet nicht nur den Eingriff in fremde Rechtskreise, sondern gebietet auch die Neutralisierung der aus dem eigenen Organisationskreis stammenden Gefahren. Durch die Ausführung zur Respektierungspflicht wird das freiheitstheoretische Grundaxiom bewiesen, dass die Verantwortung für die Verletzung der Respektierungspflicht auf die freie Organisation innerhalb eigener Handlungsspielräume zurückzuführen ist, da als Kehrseite der Selbstbestimmung jedes Mitglied der Rechtsgemeinschaft die Kosten seiner Freiheitsausübung tragen muss. Zudem wird eine konkrete Verantwortungsregel in Bezug auf die Unterlassungsdelikte erklärt, der zufolge ein Verhalten, das an sich nicht verboten ist, eine strafrechtlich relevante Zuständigkeit für späteres Geschehen begründen kann, die anstelle der Kausalität zwischen der Handlung und dem Erfolg entscheidend für die Zurechnung ist. Diese Erkenntnisse sind sinnvoll für die Beteiligungsfrage. Die Unterstützungshandlung gehört zur Ausprägung der Organisationsfreiheit der Person; sie kann zwar als solche mangels Tatbestandsmäßigkeit nicht als Unrecht subsumiert werden, begründet jedoch eine Zuständigkeit für die fremdhändige Tatbestandsausführung. Die grundlegende Formel der Beteiligung lautet: Verbindet der Einzelne aufgrund seiner Selbstbestimmung seinen Organisationskreis mit den Organisationskreisen anderer, so bezieht sich das Schädigungsverbot auf die gesamte Verbindung. Wer durch eine selbstbestimmte Entscheidung eine Verbindung mit einem fremden Organisationskreis beansprucht, hat damit zugleich die Verantwortung für die Konsequenzen der Verbindung übernommen. Dadurch erst findet die Mitverantwortung als Preis der Freiheitsausübung ihren Platz in der freiheitlichen Rechtsordnung. Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnisse wird das Verhältnis zwischen der freiverantwortlichen Haupttat und dem Unrecht der Teilnahme klargemacht: Die Freiverantwortlichkeit der fremdhändigen Ausführung bildet kein Hindernis der Zurechnung zum einzelnen Beteiligten und begründet kein eigenständiges Unrecht der Beteiligung; vielmehr setzt eine normativ gemeinsame Organisation die Freiverantwortlichkeit des Ausführenden voraus. Die Stoßrichtung, das Unrecht der Beteiligung in der selbstbestimmten Verbindung mehrerer Organisationskreise zu konzipieren, findet sich schon in der Repräsentanztheorie, nach der jeder Mittäter durch seinen Tatbeitrag zugleich ein eigenes und ein fremdes „Geschäft“ besorgt und deswegen der einzelne Tatbeitrag auch als eigener Organisationsakt des nicht eigenhändig Agierenden angesehen wird. Das Verdienst des Repräsentanzgedankens liegt in der Befreiung der Zuständigkeit von der eigenhändigen Tätigkeit, die es ermöglicht, dass ein selbstverletzender notwendiger Beteiligter nicht deshalb straflos ist, weil er (wie nach der h. M.) durch seine eigenhändige Mitwirkung die Beeinträchtigung eines ihm gegenüber ungeschützten Rechtsguts verursacht, sondern weil eine fremde Ausführung ihn repräsentiert und in seinen Organisationskreis fällt, wodurch die scheinbare Beteiligung in sein Internum verwandelt wird. Aber die Gründe für die Beschränkung der Geltung des Repräsentanzgedankens auf das Problem der Mittäterschaft

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sind nicht überzeugend. Der Grundsatz, dass die selbstbestimmte Verbindung mit einem fremden Organisationskreis die Übernahme der Verantwortung für die fremdhändige Ausführung begründet, gilt nicht nur für die Mittäterschaft, sondern auch für die Teilnahme im engen Sinne. Betrachtet man das Rechtsinstitut der Beteiligung durch die Brille des Zuständigkeitgedankens, ist es nicht schwierig zu erkennen, dass die herkömmliche Diskussion der Kausalität zwischen dem fraglichen Verhalten und dem tatbestandlichen Erfolg als solche falsch ist und das Unrecht der Teilnahme unabhängig von der individuellen Zielsetzung des Mitwirkenden ist. Die Straflosigkeit des Sterbewilligen trotz seiner Mitwirkung an der Tötung auf Verlangen (§ 216) stützt sich häufig auf das Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs für die Strafbarkeit der Teilnahme. Doch auch wenn man die Unvereinbarkeit des Erfordernisses mit dem gängigen Verständnis der Akzessorietät beiseite lässt, versagt das Erfordernis im Fall des § 216, da nach der h. M. das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Achtung des menschlichen Lebens als das geschützte Rechtsgut des § 216 begriffen wird, das der einem Dritten zur Tötung veranlassende Sterbewillige ebenfalls verletzen kann. Diese Vorgehensweise, durch die Berufung auf übergeordnete Interessen der Allgemeinheit die Strafdrohung gegen den auf Verlangen Tötenden zu begründen, verpflichtet tatsächlich jede Person zum Weiterleben, was im Rahmen der freiheitlichen Rechtsordnung nicht erträglich ist. § 216 dient dem Schutz der autonomen Willensbestätigung des Individuums auf eine weich bzw. indirekt paternalistische Weise. Damit wird § 216 nicht um den Preis der Umdeutung der Selbsttötung als Verletzung der Rechtspflicht zum Weiterleben legitimiert. Das überlebende Opfer einer versuchten Tötung auf Verlangen ist nicht deshalb nicht wegen Anstiftung strafbar, weil das angegriffene Leben gegenüber dem Verlangenden strafrechtlich nicht geschützt ist, sondern weil in einer freiheitlich verfassten Gemeinschaft niemand zum Weiterleben verpflichtet ist, was nicht durch die Teilnahmeregelungen modifiziert wird. Denn es geht letztlich um die Festlegung der Zuständigkeit des einzelnen Mitwirkenden, nicht um den Streit bezüglich der Selbständigkeit des Rechtsgutsangriffs der Teilnahme. Die Straflosigkeit der Mitwirkung des Sterbewilligen an § 216 ist ebenso wenig begründungspflichtig wie bei seiner eigenhändigen Selbsttötung, und zwar unabhängig von der Vernünftigkeit seiner Entscheidung. In der Auseinandersetzung mit der Strafbarkeit des begünstigten Gläubigers (§ 283c), des Käufers der Raubkopien (§ 106 UrhG) oder des pornographischen Werkes (§ 184 Nr. 3) besteht Einigkeit darüber, dass der Mitwirkende bei der tatbestandsnotwendigen Mindestmitwirkung straflos ist. Der Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung stellt sich zunächst als das Ergebnis eines Umkehrschlusses zu den Begegnungsdelikten mit allseitiger Strafdrohung dar. Nach der weitgehenden Ablehnung dieser logischen Folgerung wird das Argumentationsvakuum durch konkrete Überlegungen zu den einzelnen Delikten ausgefüllt. Der durch den Grundsatz der straflosen Mindestmitwirkung geschaffene Privilegierungsbereich lässt sich im Rahmen des § 283c durch die Basisberechtigung des Gläubigers nicht plausibel begründen, weil im Unterschied zum § 283 die Basisberechtigung des

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Gläubigers nach § 283c schon berücksichtigt wird und die weitere Bevorzugung durch den Ausschluss der Anwendung der allgemeinen Teilnahmeregelung unbegründet ist. Im Fall der Mitwirkung des Käufers von Raubkopien oder pornographischen Werken wird die Straflosigkeit der Mindestmitwirkung regelmäßig durch die Hervorhebung der Vielzahl von Käufern und der Geringfügigkeit der Schädigung durch die betreffende Handlung begründet. Aber der unmittelbare Rückgriff auf kriminalpolitische Erwägungen bei der Konstitution des Teilnahmeunrechts ist kein sachgerechter Lösungsweg. Angesichts der Vielzahl und des Bagatellcharakters des Kaufs von Raubkopien oder pornographischen Werken empfiehlt es sich, die prozessuale Einstellungsmöglichkeit gemäß §§ 150 ff. StPO heranzuziehen. Weil es nach hiesiger Straftheorie es nicht um die Lösung jedes Einzelkonflikts und die bestmögliche Verhütung der künftigen Rechtsgutsverletzung durch Bestrafung geht, sondern um die Aufrechterhaltung der wirklichkeitsgestaltenden Kraftder gesamten freiheitlichen Daseinsordnung, ist die Verfahrenseinstellung bei Bagatellkriminalität aufgrund justizökonomischer Überlegungen im Strafverfahren nicht durchaus unerträglich.

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Sachwortverzeichnis § 216 StGB – harter Paternalismus 237, 239 – weicher Paternalismus 237 ff. – s. Legitimationsgrund des § 216 – Straflosigkeit des Sterbewilligen trotz Mitwirkung 240 ff. – teleologische Reduktion 230 f., 235, 236 – Vollzugsreife der Entscheidung zur Selbsttötung 235 ff. § 238c StGB – Kritik an der Privilegierung des begünstigen Gläubigers 245 ff.

Freiheit – Kausalität aus Freiheit 87 ff., 196 – naturalistischer Freiheitsbegriff 136 ff., 146 f. – Rechtsgesetz 145 ff., 171 f., 176 – Rechtspflicht 172 f., 233 f. – Selbstbestimmung 144 f., 177 ff., 194, 205, 232 ff., 237 ff., 242 – Selbstgesetzgebung 142 ff. Funktionalismus von Jakobs 130 ff.

Akzessorietät – Akzessorietätsprinzip 52 ff., 111 f., 198 f. – als Zuständigkeit für fremde Ausführung 103, 118 f., 224 – herkömmliches Verständnis 83 ff., – qualitative Akzessorietät 24 f., 199 f., 203 ff. – quantitative Akzessorietät 24 f., 191 ff. Äquivalenztheorie 28, 75, 78, 81, 95, 149 f., 196

Handlungsbegriff

Beteiligung – Beteiligung und Teilnahme 17 f. – qualitative Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme 80 f., 85, 95, 117 f., 216 Eindruckstheorie als Strafgrund des Versuchs 106 Einstellungsmöglichkeit gemäß §§ 153 ff. stopp 256 ff. Einwilligung 51 ff., 105, 162 f., 202, 230, 237 Erfordernis des eigenständigen Rechtsgutsangriffs 223 f., 231

Geringfügigkeitsprinzip 252 ff. Gesinnungsstrafrecht 218 97 ff., 129, 138, 220 f.

Kausalität 64, 87 f., 97 f., 119, 123 f., 150, 165 f., 195 ff., 199 f. Kategorischer Imperativ 143 f., 232 f. Konvergenzund Begegnungsdelikte 13 ff. Kriminalpolitik 63 ff., 244 f., 252 ff., 259 f. Legalitätsprinzip 260, 263 f. Legitimationsgrund des § 216 – Intrapersonale Pflicht aufgrund der kantischen Vernunft 232 ff. – Tabubruch-Argument und andere auf Generalprävention bezogene Argumente 228 ff. – weich-paternalistischer Schutz vor Übereilung 235 ff. Lehre von der objektiven Zurechnung – herkömmliches Verständnis 64, 99 f., 110 – im Bereich der Beihilfe 214 ff. – Risikoerhöhungslehre 139 f. – Verhältnis zur Zuständigkeitslehre 77, 178, 201 Mittäterschaft – einseitige Mittäterschaft

124 f.

Sachwortverzeichnis – Exzess eines Mittäters 125 f. – gemeinsamer Tatentschluss 114, 125 ff., 201, 210 f. – Gesamtlösung 126 f. – Kollektivperson 114, 120 ff. – Zurechnung der Mittäterschaft 110 f., 113 ff. neutrale Teilnahme 218, 249 Notwehr 190 f., 212, 219 Opportunitätserwägungen

260 ff.

Prinzip der Selbstverantwortung 104 f., 108 ff., 194 f.

57, 102,

Rechtsgutsbegriff 44 ff., 54 ff., 60 ff., 148 f., 170 Rechtsgüterschutz 40 f., 55, 61 ff., 76, 136 ff., 168, 185, 192, 214 f., 262 Rechtsperson 169 ff., 192 f., Repräsentanzgedanke – Bedeutung 200 ff. – als Sondergut der Mittäterschaft? 206 ff. Regressverbot 109 ff., 113, 128 ff., 195 ff. restriktiver Täterbegriff 17, 83, 108 f., 136 f., 151 Schuldprinzip 84, 127 f., 138, 140 ff., 154 f., 257 f. Subjektives Recht 145 ff., 150, 234, Subsidiaritätsprinzip (ultima ratio) 41 f., 253 f. Strafrechtsdogmatik 67, 128, 131, 255 f., 259 f. Strafrechtswissenschaft 65 ff., 91, 132 Straftheorie – bei der Strafverfolgung 260 ff. – Generalprävention 136, 154, 256 ff., 262 – Normbestätigung als Mitwirkungspflicht des Bürgers 156 ff. – traditionale Vergeltungstheorie 153 f., 261 f. – zweiteilige Gestaltung der Straftheorie? 140 ff.

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Teilnahmetheorie – akzessorische Ansicht 81 ff. – reine Verursachungstheorie 74 ff. – Schuldteilnahmetheorie 70 ff. – Solidarisierungstheorie 106 f. – Theorie des akzessorischen Rechtsgutsangriffs 94 ff. Theorie der straflosen Mindestmitwirkung 17, 22 ff., 62, 247 ff. Unterlassungsdelikt – Garantenpflicht 167 f. – faktische Herrschaft 184 f. – Ingerenz 184 ff. – Parallele zur Teilnahme 165 ff., 209 f. – Trennung zwischen Begehung und Unterlassung 149, 168, 178 f., 210 – Zurechnungsmodell 193 Verbrechensbegriff – kollektivistischer Verbrechensbegriff 105 f., 147 f. – Normverletzung 152 ff. – Pflichtverletzung 149 ff., – Stellungnahme 121 f., 199 f., 209 – Verletzung eines besonderen Rechts als allgemeines Recht 160 ff. Verhältnismäßigkeitsprinzip 39 f., 62, 142, 262 Zurechnung 188 f. Zuständigkeit – Ermöglichungszuständigkeit 173 f. – Kooperationsfreiheit 191 ff. – Organisationsfreiheit 172 ff., 176 ff., 180 ff., 191 ff. – Respektierungsgebote 174 ff., – Zuständigkeitsverbindung 218 ff. – Zuständigkeit für die Tatbestandsverwirklichung 188 ff. – Zuständigkeitsverteilung in der herkömmlichen Strafrechtsdogmatik 77 ff. – Zuständigkeitserwägung im Bereich der Einwilligung 203 ff.