Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt: Zum Strafgrund des Versuchs [1 ed.] 9783428493555, 9783428093557

Die Autorin nimmt in der vorliegenden Arbeit die Entscheidung BGHSt. 38, 356 ff. zum Anlaß, die Rechtsfigur des untaugli

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German Pages 254 Year 1998

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Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt: Zum Strafgrund des Versuchs [1 ed.]
 9783428493555, 9783428093557

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KIRSTEN MALITZ

Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 28

Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt Zum Strafgrund des Versuchs

Von Kirsten Malitz

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Malitz, Kirsten:

Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt : zum Strafgrund des Versuchs I von Kirsten Malitz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Kötner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 28) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09355-0

Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany

© 1998 Duncker &

ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-09355-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Die Abhandlung hat im Sommersemester I 997 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Das Rigorosum fand am 4. November 1997 statt. Rechtsprechung und Literatur sind bis zum I. August 1997 berücksichtigt. Zuvörderst gebührt mein Dank meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c.mult. Hans Joachim Hirsch, dertrotzseiner umfangreichen Verpflichtungen die Arbeit umfassend und mit dem nötigen Nachdruck betreut hat. Für die Zweitkorrektur sei Herrn Prof. Dr. lürgen Seier herzlich gedankt. Zu Dank bin ich an dieser Stelle auch Herrn Rechtsanwalt Dr. Christo! W. Misere verpflichtet, der seinerzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei nicht wenigen Gelegenheiten als Ansprech- und Diskussionspartner herhalten mußte. Zuletzt danken möchte ich meinem Ehemann, Herrn Rechtsanwalt Dr. Michael Malitz, fur seine fortwährende geduldige Unterstützung nicht nur in fachlicher, sondern in jedweder Hinsicht. Düsseldorf, im September 1998

Kirsten Malitz

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

I. Einfiihrung in die Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

II. Der untaugliche Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts in der konkreten Fallgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

III. Fallgruppen und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

l. Die irrige Annahme einer Gefährdung des Rechtsgutsobjekts . . . . . . . .

19

a) Die Inbezugnahme eines nichtexistenten Rechtsgutsobjekts . . . . .

20

b) Nichthinderung des irrig angenommenen Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

c) Nichthinderung des (untauglichen) Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

8.

2. Die irrige Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit . . . . .

23

3. Die irrige Annahme von Umständen, welche eine Garantenstellung begründen . . . . . . . . . . . . . . ............................ .....

24

IV. Überblick über die gesetzlichen Grundlagen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . .

26

Die herrschende Meinung zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des untauglichen Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . .

29

I.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

l . Die bisher einschlägigen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Die aktuelle Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

3. Kritische Würdigung der Rechtsprechung ....... . ........ . ..... .

34

II. Die herrschende Ansicht in der Lehre . . ... ... . .. .... .. ... .. . .. . . .. .

37

l . Zum untauglichen Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt im allgememen .... . .... . . . .... .... . ... .. . . . ...... ... . . . .. . .. . . .

38

Inhaltsverzeichnis

8

C.

2. Exkurs: Zum untauglichen Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts aufgrund irriger Annahme von garantenstellungsbegründenden Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . ...................

40

a) Die Gleichbehandlung aller Irrtumskonstellationen durch die herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

b) Die abweichende Auffassung von der Stratlosigkeit des untauglichen Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

c) Vermittelnde Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

d) Zwischenergebnis . .. . ... . . . . . .... ..... . . . .. .............

46

Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim unechten Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

I.

Die im Schrifttum erhobene Kritik .......... . ............... .. . . . .

48

I. Kritische Wurdigung der Ansicht Herzbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

a) Die Ansicht Herzbergs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

b) Zur Kritik der Ansicht Herzbergs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

2. Kritische Würdigung der Ansicht Rudolphis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

a) Die Ansicht Rudolphis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

b) Zur Kritik der Ansicht Rudolphis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

3. Kritische Würdigung der Ansicht Schmidhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

a) Die Ansicht Schmidhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

b) Zur Kritik der Ansicht Schmidhäusers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

4. Zwischenergebnis .. .... .. . . . . . . . . . . .. .. . . .. . . . . . . . . .. .. . . . .

73

TI. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts . . . . .

74

I. Möglichkeit und Grenzen eines Unterlassungsversuchs . . a) Zur geschichtlichen Entwicklung . . . . .

74 75

aa) Von den Anfangen bis zur Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts . .... .. . .. ... ... .... . . . . ... .. . . . . .

75

bb) Die Entwicklung der Diskussion durch die Lehre im 19. Jahrhundert ... . . ... . .... . .... ... . ..... . . ... . . . ...... . . .

78

b) Die Lehre Armin Kaufmanns und Wetzeis . . ...

82

c) Die Kritik im Schrifttum an der Lehre Kaufmanns . . . . . . . . . . . .

85

aa) Zum Fehlen menschlicher Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

bb) Zur Nichtexistenz eines Unterlassungsvorsatzes . . . . . . . . . . .

88

Inhaltsverzeichnis cc) Zum Fehlen einer Zeitdimension der Unterlassung

9

90

(I) Die Kritik der Lehre

90

(2) Exkurs: Die zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Unterlassungsdelikt vertretenen Ansichten

93

(a) Das Verstreichenlassen der letzten Eingriffsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(b) Das Verstreichenlassen der ersten Eingriffsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

(c) Der Rückgriff auf materielle Kriterien zur Bestimmung des Versuchsbeginns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

(d) Kritische Würdigung der unterschiedlichen Ansichten und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

2. Die eigene Auffassung von Wesen und Struktur des unechten Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

a) Der Handlungsbegriff als Ausgangspunkt einer Betrachtung der Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

b) Zur Struktur des (vollendeten) Unterlassungsdelikts. . . . . . . . . . . .

111

aa) Der vorrechtliche Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit beim Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . .

111

bb) Die Vorsatzkonzeption beim Unterlassungsdelikt

113

cc) Das Problern der Objektivation beim Unterlassungsdelikt . . . .

115

(1) Die Verkörperung des Tatwillens im objektiven Geschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118

(2) Der Nachweis des deliktischen Willens im Prozeß . . . . . . .

121

(3) Exkurs: Die Problematik der prozessualen Realisierbarkeil einer Bestrafung des untauglichen Versuchs eines Unterlassungsdeliktsbei Niepoth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

(4) Konsequenzen für die Unrechtsverwirklichung . . . . . . . . .

127

3. Zwischenergebnis ... .. . . . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . . . .. . .. .

ill. Wesen und Strafgrund des Versuchs

131 132

1. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und der Strafgrund des Versuchs . . . . ......... ........................

132

a) Zur geschichtlichen Entwicklung der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .............

132

aa) Die Zeit vor der Rezeption ... . .. ... .... .... .

132

bb) Die Zeit von der Rezeption bis zur Aufklärung . . . . . . . . . . . .

134

Inhaltsverzeichnis

10

cc) Die Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert .......... .

138

(I) Die Entwicklung einer objektiven Versuchsauffassung 1m Schrifttum

138

(a) Die Begründung der älteren objektiven Theorie durch den Gefährlichkeitsbegriff Feuerbachs und der "Mangel am Tatbestand" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

(b) Die Fortführung der älteren objektiven Theorie durch Mittermaier und die Unterscheidung zwischen absolut und relativ untauglichem Versuch . . . . . . . . . . . . . .

140

(c) Die Begründung der Gefährlichkeitstheorie durch v. Liszt Güngere objektive Theorie) . . . . . . . . . . . . . . . .

141

(d) Die Weiterentwicklung des Gefahrbegriffs durch v. Hippe( in seiner "Theorie der adäquaten Verursa.......... chung" .... .. . .

143

(2) Die Entwicklung einer subjektiven Theorie vom Strafgrund des Versuchs durch v. Buri und die Rechtsprechung. ......................

144

(3) Der Übergang zur subjektiven Versuchstheorie im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . ...................

145

b) Der gegenwärtige Meinungsstand zum Strafgrund des Versuchs

148

aa) Die überkommene subjektive Theorie ... . . ... . ..... . .. . .

148

bb) Die herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur: Die Eindruckstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149

cc) Neuere Auffassungen zur Bestimmung des Versuchsunrechts

151

dd) Die objektive Theorie ... .. ...... .. . .. ........ . . . . .. . .

!54

2. Die eigene Auffassung zum Strafgrund des Versuchs . . . . .

!55

a) Der finale Handlungsbegriff und die Lehre vom personalen Unrecht als Ausgangspunkt der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169

b) Handlungsunwert und Erfolgsunwert der vollendeten Vorsatztat

170

c) Der Gegenstand des Handlungsunwerts bei der versuchten Vorsatztat . .. .. .. .. .. .. .. . .

174

aa) Die konkrete Gefährlichkeit der Handlung als objektives Moment der Unrechtsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180

bb) Das Gefährlichkeitsurteil ....... . . . ....... .. . . ..... .

182

(I) Beurteilungszeitpunkt und Beurteilender

183

(2) Beurteilungsgrundlage in ontologischer und nomologischer Hinsicht . . . . . . . .................

183

Inhaltsverzeichnis

11

(3) Beurteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188

d) Versuchsdogmatik ................................. .. .. .

190

aa) Beibehaltung der fakultativen Strafmilderung in § 23 Abs. 2

StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

bb) Der grob unverständige Versuch....... . ................

190

cc) Der irreale Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

dd) Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch . . . . . . . . . . .

192

e) Exkurs: Der untaugliche Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

D. Übertragung des Kriteriums der konkreten Gef"ährlichkeit auf den (untauglichen) Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . .

200

Folgerungen für den Versuch beim Unterlassungsdelikt auf der Grundlage einer objektivistischen Versuchstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202

1. Der Unterlassungsunwert des vollendeten und des versuchten unechten Unterlassungsdelikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202

a) Der Sonderdeliktscharakter des unechten Unterlassungsdelikts . . .

205

b) Der Strafwürdigkeitsgehalt des unechten Unterlassungsdelikts im Vergleich zum Begehungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

2. Die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

ll. Die Anwendung des Gefahrlichkeitsgedankens im Rahmen des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

1. Die irrige Annahme einer Gefahrdung des Rechtsgutsobjekts . . . . . . .

224

a) Die Inbezugnahme eines nichtexistenten Rechtsgutsobjekts . . . . .

224

b) Nichthinderung des irrig angenommenen Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

c) Nichthinderung des (untauglichen) Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226

2. Die irrige Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit . . . . . . . . . .

226

3. Die irrige Annahme von Umständen, welche eine Garantenstellung begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228

I.

E. Schlußbetrachtung

230

Literaturverzeichnis . . .. . . ... . . . . . .. . . . .. . . .. .. . . .. . .. .. . . . . .... . . . . .

232

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

A. Einleitung I. Einführung in die Problematik Mit der vorliegenden Untersuchung rückt eine Rechtsfigur in das Blickfeld, die einerseits zwar im Schrifttwn nur eine stiefmütterliche Behandlung erfährt, die andererseits jedoch, wenn sie dort Erwähnung findet, vergleichsweise emotionale Äußerungen wie die folgende in die Debatte einfließen läßt: "Alle Strafbarkeit, die hier behauptet wird, ... wäre bloße Gesinnungsstrafe" 1. Die Rede ist von dem untauglichen Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts. Den Anlaß zur näheren Auseinandersetzung mit dieser Problematik bietet die Entscheidung BGHSt. 38, 356 ff., in welcher der Bundesgerichtshof den untauglichen Versuch in einer ungewöhnlichen Weise problematisiert hat. In der vorgenannten Revisionsentscheidung ließ der 5. Strafsenat nämlich dahinstehen, ob für den untauglichen Versuch beim Unterlassungsdelikt eine Ausnahme von dem Grundsatz der Strafbarkeit des Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts zumindest dann angenommen werden muß, wenn für das Rechtsgut tatsächlich "keinerlei Gefahr" bestand. Angesichts einer als traditionell zu bezeichnenden Rechtsprechung, welche weder Ausnahmen von der Strafbarkeit des Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts noch solche von der eines untauglichen Versuchs anerkennt und in Anbetracht der Tatsache, daß dieses Ergebnis auch von der herrschenden Lehre getragen wird2, mutet dieses "Dahinstehenlassen" zwnindest vordergründig wie ein erster Schritt zu einer Abkehr von diesem festgefügten Meinungsbild an. Es erhebt sich mithin die Frage, welche Gründe den Senat dazu bewogen haben mögen, es hinsichtlich der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs eines unechten Unterlassungsdelikts nicht bei der bloßen Bestätigung der hergebrachten Grundsätze zu belassen. Sicherlich: Vom Ergebnis her betrachtet, wonach objektiv eine konkrete Gefahr für das Opfer vorliegen sollte3 , konnte die vom Gericht aufgeworfene Rechtsfrage als nicht entscheidungserheblich angesehen werden und bedurfte daher keiner Erörterung. Die Begründung allerdings, welche zur Annahme einer solchen konkreten Gefahr in der genannten Entscheidung herangezogen wird, erscheint je-

2

3

Schmidhäuser StudB AT 13/28. Zum Meinungsstand siehe die Abschnitte B. und C. I. BGHSt. 38, 356, 359 f.

A. Einleitung·

14

doch fragwürdig und vermittelt den Eindruck einer Ergebnisorientierung4 . Sollte dadurch etwa die im Raum stehende Rechtsfrage umgangen werden? Die widersprüchliche Argumentationsweise, wonach zwar einerseits eine objektive Gefahr für das Rechtsgut vorliegen sollte, andererseits dennoch der Versuch als ein untauglicher bezeichnet wird5, fordert dazu heraus, die offenbar nicht vollständig geklärte Frage der Strafbarkeit dieser Rechtsfigur erneut aufzuwerfen, um festzustellen, ob der eingangs genannte, vereinzelt erhobene Vorwurf der Gesinnungsstrafe berechtigt ist. Man mag der Untersuchung zwar entgegenhalten, daß es sich bei ihrem Gegenstand um eine Fallgestaltung handelt, wie sie in der Rechtspraxis vergleichsweise selten anzutreffen ist6 , so daß ihre Erörterung als rein akademischer Natur und ohne größere Bedeutung erscheint. Doch dieser Einwand verfangt nicht: Der untaugliche Versuch beim Unterlassungsdelikt befmdet sich als Fallgestaltung gleichsam an der Schnittstelle von Versuchs- und Unterlassungsdelikt und damit im Spannungsfeld strafrechtswissenschaftlicher Grundpositionen der Versuchs- und Unterlassungsdogmatik. Zwangsläufig stellt sich somit die Frage, ob es sich tatsächlich um eine singuläre Problematik handelt, der daher auch eine eigenständige Bewertung zukommen muß, oder ob hier vielleicht nur ein (wenn auch Extrem-)Bereich zweier sich schneidender Kreise zutage tritt, so daß die auftretenden Probleme als Symptome oder Indikatoren grundsätzlicher Unstimmigkeiten in der Unterlassungs- oder Versuchsdogmatik anzuschauen sind. Bestätigt sich letzteres, so müssen sich dann aber auch die allgemeinen dogmatischen Vorgaben, wie sie anhand weniger komplizierter Erscheinungsformen strafrechtlichen Unrechts entwickelt wurden, auf diesen Extrembereich übertragen lassen und dort zu sachgerechten Ergebnissen führen, wenn sie ihrem Anspruch gerecht werden wollen.

4 Weil nämlich die Annahme einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut nicht auftatsächlich gegebene Umstände, sondern aufFehlreaktionen, technische Defekte und ähnliche Eventualitäten gestützt wird, vgl. BGHSt. 356, 359 f.

5 6

Kritisch auch Niepoth, Versuch, S. 17 in Fußn. I.

An Entscheidungen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die sich überhaupt mit diesem Thema beschäftigen, sind hier- soweit ersichtlich- nur zu nennen: RGSt. 61, 360 ff.; OOHSt. 1, 357 ff.; BGHSt. 7, 287 ff.; BGH VRS 13 (1957), 120 ff.; BGHSt. 14,282 ff.; 23, 327 f.; vgl. auch BGHSt. 32, 367 ff.; 34, 82 ff. (= BGH VRS 71 [1986], 355); BGH StV 1985,229; schließlich ausjüngerer Zeit BGHSt. 38, 356 ff.; BGH 40, 257 ff. Selbst in diesen Urteilen wird die Problematikjedoch nicht immer auch ausdrücklich als solche benannt.

II. Konkrete Fallgestaltung

15

II. Der untaugliche Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts in der konkreten Fallgestaltung Wie mm aber hat man sich den untauglichen Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt in concreto vorzustellen? Zur Veranschaulichung bietet sich hier zunächst der Sachverhalt an, welcher der eingangs erwähnten Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde lag7 : Die AngeklagtenHund R hatten ihr im Bereich eines Bahnhofs angetroffenes Opfer erheblich mißhandelt und schließlich verletzt liegengelassen. Nachdem der Angeklagte H geäußert hatte, daß man das Opfer zur Vermeidung einer Strafverfolgung töten müsse ("Der muß weg!"), kehrten beide Angeklagte zurück. Während H das Opfer auf die Gleise legte, um es von dem nächsten einfahrenden Zug überrollen zu lassen, griffR nicht ein, weil er mit dessen Tod einverstanden war. Die Tat gelangte zum einen deshalb nicht zum Erfolg, weil Augenzeugen des Vorfalls das bewußtlose Opfer von den Gleisen holten und der einfahrenden Bahn entgegenliefen, um diese anzuhalten. Zum anderen stellte sich später heraus, daß die Bahn ohnehin vor der Stelle gehalten hätte, an der das Opfer gelegen hatte und daß der Bahnführer im übrigen aufgrund der Streckenführung und der Ausleuchtung des Bahnhofs eine auf den Gleisen liegende Person gesehen hätte. Demnach war das Handeln des Angeklagten H von vomeherein ungeeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen. Das Tatgericht hatte in Bezug auf den Angeklagten R festgestellt, daß dieser aufgrund Ingerenz verpflichtet und in der Lage gewesen sei, den weiteren Angriff seines Mittäters auf das Opfer zu verhindern. Dementsprechend verurteilte es den Angeklagten wegen versuchten Mordes (durch Unterlassen). Mit der Revision vertrat R als Beschwerdeführer jedoch unter Berufung auf eine im Schriftturn vereinzelt vertretene Ansicht die Auffassung, daß der ihm vorgeworfenen untaugliche Versuch eines unechten Unterlassungsdelikts nicht strafbar sei. In der Auseinandersetzung mit dieser Auffassung ließ es der entscheidende Senat - wie bereits erwähnt- dahinstehen, ob in Fällen von "keinerlei Gefahr für das geschützte Rechtsgut" eine Ausnahme von dem Grundsatz der Strafbarkeit des versuchten unechten Unterlassungsdelikts vorliege, weil er in dem zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt sehr wohl eine objektiv bestehende, konkrete und erhebliche Lebensgefahr für das Opfer konstatierte. Diese begründete er mit dem Hinweis auf denkbare technische Defekte, auf W ahmehmungsschwächen oder Fehlreaktionen des Zugführers oder ein geändertes F ahrprograrnm. Welche Konstellationen sind über diesen Fall hinaus vorstellbar?

7

BGHSt. 38, 356 ff.

16

A. Einleitung

In abstrakter Betrachtung läßt sich der vom Bundesgerichtshof entschiedene Sachverhalt als "Nichteinschreiten des Garanten gegen den (untauglichen) Begehungsversuch eines Dritten" charakterisieren, wenn auch das Vorliegen der Voraussetzungen eines untauglichen Versuchs- ob berechtigter- oder unberechtigterweise bleibt zu prtifen- vom Senat im Ergebnis verneint wurde. Neben dieser Fallvariante8 wird im Schrifttum als häufigster Fall eines untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt die irrige Annahme einer Gefahr genannt, welche dem Rechtsgut nicht durch Dritte, sondern aufgrund naturkausaler Umstände droht9 . Außerdem werden die irrige Annalune von Umständen, welche eine Garantenstellung begründen 10, sowie die auf einer Fehleinschätzung beruhende Annahme einer Erfolgsabwendungschance aufgezählt11 . Dabei findet sich allerdings selten eine Systematisierung der Fälle12 Als gemeinsames Merkmalliegt den genannten Fällen des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt ein Jntum zugrunde13 Während jedoch bei dem sogenannten "einfachen" Irrtum, wie er durch §§ 16, 17 StGB seine Regelung findet, die Tätervorstellung regelmäßig hinter dem objektiven Geschehen zurückbleibt, der Täter sich also zu seinen Gunsten irrt, findet hier eine Umkehrung der Verhältnisse statt, weshalb ein Irrtum, wie er in den vorliegenden Fällen enthalten ist, auch als sogenannter "umgekehrter" Irrtum bezeichnet wird. Indem nämlich nach der Tätervorstellung ein strafrechtlich volldeliktisches Handeln vorliegt, während in Wirklichkeit das objektive Geschehen den Deliktstatbestand nicht erfullt, handelt es sich um einen Irrtum des Täters zu seinen Ungunsten. Betrachtet man nun den untauglichen Versuch in dieser Charakterisierung als umgekehrten Tatbestandsirrtum, wird deutlich, daß sich grundsätzlich so viele Fallgestaltungen konstruieren lassen, wie dem Unterlassungstatbestand Tatbestandsmerkmale zugerechnet werden: Sobald also der Täter fälschlicherweise die Verwirklichung eines Umstandes annimmt, der das Merkmal eines Unterlassungstatbestandes erfullt, handelt es sich um den Fall eines untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt

Rudolphi, MDR 1967, 1, 4; Bamberger, S. 265. Rudolphi, MDR 1967, 1, 3; Schmidhäuser AT 17/26 ff.; ders. StudB AT 13/28; Herzberg, MDR 1973,89, 90; Jakobs AT 29114; Bamberger, S. 258 f.; Schönwandt, S. 38. 10 Rudolphi, MDR 1967, 1, 4; Schmidhäuser, in: Festschr. für Gallas, S. 81 , 97; Stratenwerth AT Rdn. 698 [;Jakobs AT 29/ 115; Preisendanz § 13 Anm. Vlll; Schönwandt" S. 38. 11 Rudolphi, MDR 1967, 1, 5;Schmidhäuser StudB AT 13/28; Vogler LK Vor§ 22 Rdn. 69;Jakobs AT 29/114;Preisendanz § 13 Anm. Vlll; Bamberger, S. 265; Schönwandt, S. 38. 12 Eine Ausnahme bilden hier die Untersuchungen von Rudo/phi, MDR 1967, 1 ff., und Bamberger, Versuch, S. 258 ff., 265, sowie Niepoth,Versuch, S. 191 ff. 13 Rudolphi SK § 22 Rdn. 24; Vogler LK § 22 Rdn. 133. 8

9

ill. Fallgruppen und Problemstellung

17

Praktische Relevanz besitzt diese Rechtsfigur nur im Bereich der unechten14 Unterlassungsdelikte15, da im Bereich der echten Unterlassungsdelikte- :zumindest soweit es das Kernstrafrecht betrifft 16 - ein strafbarer Versuch allenfalls bei§§ 120 Abs. 2, 336 StGB möglich ist17

111. Fallgruppen und Problemstellung Die Einteilung der unterschiedlichen Fälle in Fallgruppen wird in zweierlei Hinsicht erschwert: Zum einen ist im Hinblick auf den Streit darüber, welche Merkmale

14 Das Kriterium zur Abgrenzung der echten von den unechten Unterlassungsdelikten, deren Unterscheidung auf Heinrich Luden (Abhandlungen, Bd. 2, S. 219 ff.) zurückgeht, ist umstritten (von Schmidhäuser AT 16/ 18 f. wird sie sogar völlig abgelehnt). Während nach einer Ansicht im Schrifttum die Differenzierung nach einem rein formalen Kriterium zu erfolgen hat, nämlich danach, ob es sich um einen gesetzlich normierten Unterlassungstatbestand handelt (Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 206 ff.; Welzel § 26 ll 1 c)[S. 202);MaurachiGössel/Zipf AT2 § 45 Rdn. 35; Schönke/Schröder-Stree Vorbem §§ 13 Rdn. 137; Stratenwerth AT Rdn. 980, 988;Lauhöfi.T, S. 273 in Fußn. 2), erfolgt die Unterscheidung nach wohl herrschender Auffassung nach dem Inhalt, der dem jeweiligen Tatbestand zugrundeliegt Danach soll ein echtes Unterlassungsdelikt vorliegen, wenn sich die tatbestandsmäßige Zuwiderh~dlung ~der Nichtvornahme der gebotenen Handlung .erschöpft (das. echte. Unterlassungsdelikt lllltlun ll;ls Gegenstuck zu~ schhchten TätJgkeJtsdehkt); dagegen hege em unechtes Unterlassungsdelikt vor, wenn der Emtntt de.s Erfolges zum Tatbestand gehört und dem Täter ~ls Garant flir das geschützte Rechtsgut eme Pfl1cht zur Erfolgsahwendung aufgebürdet w1rd (RGSt. 45, 210, 213; BGHSt. 14, 280, 281; Jescheck LK Vor§ 13 Rdn. 91 ; ders. , in: Festschr. für Tröndle, S. 795,796 ff., 805 ff; Jescheck/Weigend, §58 ill 2 [S. 605 m.w.N.); Rudolphi SK Vor§ 13 Rdn. 10; Bamberg~T, S. 6). Dieses letztgenannte Unterscheidungskriterium, welches die materielle Differenz betont, wird auch hier zugrunde gelegt, da es nicht nur dem Verständnis des§ 13 StGB am nächsten kommt (vgl. E 1962 Begr. S. 123; SA Prot. S. 1644 f, 1840 f) und den im Gesetz enthaltenen unechten Unterlassungsdelikten (zum Beispiel§ 223 bAbs. I 3. Begehungsweise StGB) gerechter wird, sondern auch der überlieferten Auffassung weitestgehend entspricht(vgl. Jescheck/Weigend, §58 ill 2 (S. 605)). Aus den genannten Gründen verbietet sich auch eine Unterscheidung nach der Art der verletzten Norm als Gebots- oder Verbotsnorm (so beispielsweise Baumannl Weber/Mitsch AT § 15 Rdn. 7 ff.) oder anhand eines Kriteriums der "Begehungsgleichheit" (so aber Schünemann, ZStW 96 [1984), 287, 302 f.). Im Ergebnis ebenso Niepoth, Versuch, S. 137 ff. mit umfangreichen Nachweisen zum Meinungsstand in Fußn. I.

15 Wenn also im Nachfolgenden von einem Unterlassungsdelikt im Zusammenhang mit einem (untauglichen) Versuch die Rede ist, ist- auch ohne ausdrückliche Kennzeichnung- immer ein unechtes Unterlassungsdelikt gemeint. 16 Auf dem Gebiet des Steuerstrafrechts dagegen sind echte Unterlassungstatbestände, deren Versuch mit Strafe bedroht ist, verbreiteter. Zu nennen sind insoweit § 370 Abs. I Nr. 2 AO 1977 (Unterlassen der Aufklärung der Finanzbehörden) und§ 370 Abs. I Nr. 3 AO 1977 (Unterlassen der Verwendung von Steuerzeichen und Steuerstemplern), vgl. dazu Franzen/ Gast/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Auf!., München 1985, § 369 AO Rdn. 77; Hübschmannl Hepp/Spitaler, AOIFGO, I 0 .. Auf!., Köln 1995, § 370 AO Rdn. 44; a.A. Kohlmann, Steuerstraf- und SteuerordnungSWJdngkeJtenrecht, 6. Auf!., Köln 1995, Te1l B Rdn. 90 f , dem zufolge es sich bei den Tatbeständen um unechte Unterlassungsdelikte handelt. 17 Wenn man die entsprechenden Tatbestände den echten Unterlassungsdelikten zurechnet, vgl.JescheckLK § 13 Rdn. 46 (§ 336 StGB); Schönke/Schröder-Eser § 22 Rdn. 53 (§§ 336, 120 Abs. 2 StGB). 2 Ma1itz

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A. Einleitung

dem Tatbestand eines UnterlasSlUlgsdelikts zuzurechnen sind18, die Systematisienmg dermöglichen Fälle eines versuchten (untauglichen) Unterlassungsdelikts mit Vorsicht vorzunehmen19. Zum anderen ergibt sich eine Schwierigkeit daraus, daß der Rechtsfigur des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt zwei Aspekte immanent sind, nämlich der des untauglichen Versuchs und der des versuchten UnterlasSlUlgsdelikts. Dadurch läßt sich eine Systematisienmg der denkbaren Fälle sowohl aus der Perspektive des untauglichen Versuchs, wobei der Bereich der Unterlassung als Ausnalunebereich fimgiert, als auch aus der Perspektive des versuchten UnterlasSllllgsdelikts, wobei dann dem Bereich des untauglichen Versuchs der Charakter eines Extrem- oder Ausnalunebereichs zukommt20, vornehmen. Eine Systematisierung, welche den untauglichen Versuch zum Ausgangspunkt der Betrachtung wählt, wird auf eine Aufteilung in die Fallgruppen des (umgekehrten) Tatbestandsirrtums über die Tauglichkeit des Mittels, die Tauglichkeit des Objekts sowie die Tauglichkeit des Subjekts zurückgreifen. Indes ist vorliegend eine Fallgruppenbildung zu bevorzugen, die dem besonderen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung Rechnung trägt und dessen Gnmdstrukturen deutlicher hervortreten !äße'. Da der untaugliche Versuch hier gerade in seiner spezifischen Unterlassungs-

18 Vgl. Trönd/e § 13 Rdn. 18; Jescheck LK Vor§ 13 Rdn. 93 ff.;Jescheck/Weigend, §59 (S. 615 ff.); Maurach!Gössei/ZipfAT2 § 46 Rdn. 111 ff.; Schönke/Schröder-Stree Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 148 ff.; Rudolphi SK Vor§ 13 Rdn. 14 ff.; Welze/ § 28 AI (S. 211 ff.).

19 Die Untersuchung beschränkt sich daher auf solche Bezugsobjekte einer Fehlvorstellung zu Lasten des Täters, deren Zugehörigkeit zum objektiven Tatbestand eines Unterlassungsdelikts von der herrschenden Meinung weitgehend anerkannt ist. Auszuscheiden aus der Betrachtung ist aus diesem Grunde die irrige Annahme von Umständen, welche eine Unzumutbarkeit der Rettungshandlung begründen. Die systematische Einordnung des Merkmals der (Un-)Zumutb~keit in den ~atbestand wird nämlich nur in einigen älteren Entscheidungen der Judikatur und emer Ans1cht 1m Schnfttum befürwortet (RGSt. 58, 97, 98; 58, 226, 227; 77, 125, 127; Lackner § 13 Rdn. 5; Schönke/Schröder-Lenckner Vorbem §§ 32 ff. Rdn. 125; Schänke/ Schröder-Stree Vorbem §§ 13 fi Rdn. 155; § 13 Rdn. 16), von der herrschenden Ansicht aber zu Recht abgelehnt (BGHSt. 2, 194, 204; 6, 46, 57; Baumann/Weber/Mitsch AT § 15 Rdn. 15; Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 158 f.; Rudolphi SK Vor § 13 Rdn. 31 ff., 34; Stratenwerth AT Rdn. I 053 ff.; Welze/ § 28 III 2 [S. 220 f.]; Niepoth, Versuch, S. 188). Die vordergründige Tatsache, daß sich die Fr~ge der 1Jnzumutbarkeit beim l[nterlassungsdehkt häufiger als betm Begehungsdehkt stellt, gtbt für dte Emschränkung der s1ch aus der Garantenstellung ergebenden Handlungspflicht nichts her. Vielmehr ist es so, daß der Motivationsdruck die Rechtspflicht des Täters als solche nicht berührt, so daß die Berücksichtigung der Unzumutbarkeit auf der Tatbestandsebene ausscheidet und nur eine Vemeinung der rechtlich erheblichen Vorwerfbarkeit im Rahmen der Schuld in Betracht kommt (Hirsch LK Vor§ 32 Rdn. 205). 20 Aufdiesen zweiteq.Aspekt stützt sich der Bundesgerichtshof in seinem Urteil (BGHSt. 38, 356), wenn er die Uberlegung anstellt, ob für die Fälle des untauglichen Versuchs eine Ausnahme von dem Grundsatz der Strafbarkeit eines unechten Unterlassungsdelikts vonnöten sei.

21 Zudem hätte die Wahl der als klassisch zu bezeichnenden Aufteilung erhebliche Zuordnungsprobleme zur Folge. Bereits .die Eingren1:ung.der ersten Fallgrupl?e eines Irrtums über die Taughchkett des Tattmttels bere1tet SchwtengkeJten. Während nämlich bet der Tatbegehung durch aktives Tun Tatmittel ein vom Handelnden eingesetztes, bewußt gehandhabtes Medium ist, erscheint im Bereich der Unterlassungsdelikte zweifelhaft, worin hier das "Tatmittel" zu

ill. Fallgruppen und Problemstellung

19

variante im Vordergrund der Betrachtung steht, wird folglich nicht auf die am untauglichen Versuch ausgerichteten Systematisierungsversuche zmückgegriffen, sondern eine Zuordnung gewählt, die sich an den Tatbestandsmerkmalen des Unterlassungsdelikts orientierf2. Zur Illustration der unterschiedlichen Fallgruppen dient dabei als typischer Garantengebotstatbestand die plötzliche Entstehung einer Gefahrenlage für das bedrohte Rechtsgutsobjekt23. Als Fallgruppen entsprechend dieser Systematik sind folglich zu benennen: 1. die irrige Annahme einer Gefährdung des Rechtsguts(objekts), 2. die irrige Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit, sowie 3. die irrige Annahme von Umständen, welche eine Garantenstellung begründen. Zu den Fallgruppen im einzelnen: 1. Die irrige Annahme einer Gefährdung des Rechtsgutsobjekts24 Die wohl wichtigste Fallgruppe stellt der Irrtum über das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Situation durch irrige Annahme einer Gefahr dar, in welcher sich das zu schützende Rechtsgutsobjekt befindet25 .

sehen ist. In Fällen eines deliktisch handelnden Dritten kann zwar der Dritte noch als "Tatmittel" im weitesten Sinne erachtet werden. Droht der vermeintliche Erfolg jedoch aufgrund naturkausaler V~rgänge, ist allein ~ie Gefah~ensituation als solche maßge.blich. Diese kann jedoch nur noch rrut Mühe als "Tatm1ttel" bezeichnet werden. Außerdem müßte dann derselben Fallgruppe neben den Fällen der irrtümlichen Annahme einer Gefahr für das Rechtsgut wohl auch die irrtümliche Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit zugerechnet werden (soweit ~ie Afu:!~e auf einem Fehlurteil über die Eig~ung der Rett1;1ngshan.dlung oder über die Möglichkeit Ihrer Vomahme beruht). Denn letztlich 1st auch d1e Möglichkeit zur Vomahme der Rettungshandlung Teil der "Gesamtsituation" beim Unterlassungsdelikt. Der zweiten Fallgruppe des umgekehrten Irrtums über das Objekt wären die Fälle zuzuordnen, in denen die irrtümliche Annahme einer Erfolgsabwendungschance auf einem Fehlurteil über das Objekt beruht, so wenn der tatbestandliehe Erfolg bereits eingetreten ist. Dabei ist jedoch zweifelhaft, wie mit jenen Fällen zu verfahren ist, in denen das in Bezug genommene Objekt gar nicht existiert (wie im Falle der Nichthinderung eines Schusses auf ein leeres Bett). Emdeutig wäre letztlich nur die Zuordnung zur dritten Fallgruppe des umgekehrten Irrtums über das Subjekt. Hierunter wäre der Fall zu subsumieren, daß der Unterlassende nur irrtümlich Umstände annimmt, die seine Garantenstellung begründen. 22 Vgl. auch die Fallgruppen bei Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 222 f.; Rudolphi, MDR 1967, I, 2 ff.; Niepoth, Versuch, S. 183 ff., 191 ff. 23 Ebenso Niepoth, Versuch, S. 188 f. 24 Zur Verdeutlichung, daß es in den genannten Fällen nicht um eine tatsächliche Beeinträchtigung des Rechtsguts als ideellem Wert geht, sondern zunächst um die Beeinträchtigung eines realen Tatobjekts, wird hier die Terminologie "Rechtsgutsobjekt" gewählt. Zum Verhältnis von Rechtsgut und Rechtsgutsobjekt siehe unten in C . ill. 2. und C. ill. 2. b). 25 Siehe dazu auch die gleichgelagerten Beispiele bei Rudolphi, MDR 1967, 1, 2 f.; Schmidhäuser AT 17/28; ders. StudB AT 13/28; Niepoth, Versuch, S. 192; Bamberger, S. 258 f.; Schönke/Schröder-Eser § 22 Rdn. 91; Eisenberg, JuS 1986, 795; vgl. auch Armin

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A. Einleitung

Beispiel Der Vater beobachtet seinen schwimmenden Sohn vom Ufer eines Sees aus. Als der Sohn seine Tauchkünste vorftilut, glaubt der Vater, daß dieser ertrinke. Er bleibt dennoch untätig, weil ihm der Tod des Sohnes gelegen kommt.

Zentrale Frage, die sich angesichts dieser Fallgestaltung stellt, ist die folgende: Kann lllld soll die bloße Annalune einer Gefahrensituation zur Strafbarkeit des Untätigen wegen versuchter Tötllllg durch Unterlassen führen, oder gibt es gute Grunde dafür, die Strafbarkeit von weiteren Erfordernissen abhängig zu machen oder sogar generell zu verneinen? Im Ralunen der Untersuchung dieser Frage wird das Augenmerk insbesondere auf die Bestimmung der Gefahr als zentralem Aspekt dieser Fallgruppe zu richten sein.

a) Die /nbezugnahme eines nichtexistenten Rechtsgutsobjekts

Im Ralunen eines umgekehrten Irrtums über das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Situation ist des weiteren sogar eine Sachverhaltskonstellation denkbar, in welcher der Unterlassende mit seiner Vorstellllllg ein Rechtsgutsobjekt in Bezug nimmt, welches gar nicht existiert. Beispiel Der Vater glaubt, sein Sohn sei zu weit auf das Meer hinausgeschwommen und aufgrund der aufkommenden Flut nicht mehr in der Lage, an den Strand zurückzuschwimmen. Er bleibt aber untätig, weil ihm dessen Tod gelegen kommt. Später stellt sich heraus, daß der Vater eine Boje für seinen Sohn gehalten hat.

Aufden ersten Blick erscheint die Zuordnung dieses Falles zur ersten Fallgruppe llllproblematisch. Zweifel erheben sich jedoch deshalb, weil es sich nicht nur um die irrige Annahme einer Gefahrensituation, sondern zugleich um die irrige Annahme eines zu schützenden Rechtsguts(objekts) aufgrundeines error in persona vel obiecto handelt. Es drängt sich somit die Frage auf, ob das Vorliegen einer Gefährdllllg abhängig von der Existenz eines Rechtsgutsobjekts ist. Zur Beantwortung dieser Frage ist mithin eine nähere Betrachtllllg der Bestandteile des Gefahrbegriffs llllabdingbar. Bei der Beurteilung wird zudem zu berücksichtigen sein, daß dieser Fall offensichtlich Verbindllllgslinien zur Fallgruppe der irrtümlichen Annahme einer Erfolgsabwendllllg~möglichkeit (2.) aufweist. Denn der Unterschied zwischen den Konstellationen, in denen von Anfang an kein Rechtsgutsobjekt vorhanden war, und denjenigen, in welchen dieses erst später infolge Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolges

Kau.finann, Unterlassungsdelikte, S. 45; Herzherg, Unterlassung, S. 175; Vogler LK Vor§ 22 Rdn. 68: Maiwald,JuS 1981 ,473 , 477.

III. Fallgruppen und Problemstellung

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wegfällt, ist zwnindest bei rein äußerlicher Betrachttmg gering26. Eine nähere Untersuchung wird indes erweisen müssen, ob sich die Ähnlichkeit im äußeren Erscheinungsbild auch auf einen inneren Sachzusammenhang gründet, so daß beide Konstellationen einer einheitlichen Problemlösung zugeführt werden können.

b) Nichthindernng des irrig angenommenen Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten Unter dem Aspekt der irrtümlichen Annalune einer Gefahrensituation wird vorliegend auch der Fall behandelt, in welchem der Garant nur irrig von dem Begehungsversuch eines Dritten ausgeht und diesen "nicht verhindert" 27 . Dabei sind zwei Grundkonstellationen zu unterscheiden: Zum einen ist denkbar, daß die vermeintliche Gefahr von einem Dritten ausgeht und dem vom Garanten (Beschützergarant) zu schützenden Rechtsgutsobjekt droht Beispiel Der Vater beobachtet vom Ufer aus sein im Wasser spielendes Kind. Er sieht, wie ein drittes Kind hinzukommt und seinen Sohn unter Wasser drückt. Der Vater glaubt, der Dritte wolle seinen Sohn ertränken, dennoch bleibt er untätig. Tatsächlich handelt es sich nur um

ein Spiel der Kinder.

Zum anderen kann umgekehrt die vermeintliche Gefahr einem Dritten seitens einer Person drohen, welche von dem Pflichtigen (Überwachergarant) zu überwachen ist. Beispiel Der Vater beobachtet vom Ufer aus sein im Wasser spielendes Kind. Er sieht, wie dieses ein drittes Kind unter Wasser drückt. Obwohl er annimmt, der Sohn wolle das Kind ertränken, bleibt er untätig, weil es ihm gleichgültig ist. Tatsächlich spielen die beiden Kinder nur miteinander.

Betrachtet man wiederum das äußere Erscheinungsbild der jeweiligen Tatsituation, macht es keinen Unterschied, daß hier- im Gegensatz zur vorstehenden Fallgruppe-dieGefahr dem Rechtsgutsobjekt nicht aufgrund äußerer, naturkausaler Umstände, sondern durch das scheinbar deliktischeVerhalten eines Dritten droht. Allerdings ist zu prüfen, ob aus dogmatischen Gründen ein vergleichbarer Unrechtsgehalt dieser Erscheinungsformen zu verneinen ist, so daß sich eine Gleichbe-

26

So auch Niepoth, Versuch, S. 184 in Fußn. 202.

Zu dieser Fallgruppe auch Grünwald, GA 1959, I! 0, 116; Roxin, Täterschaft, S. 555; Sowada, Jura 1986, 399, 409. 27

22

A. Einleitung

handhmg und folglich auch die hier vorläufig vorgenommene Zuordnung verbietet28. Es stellt sich nämlich die Frage, ob im Hinblick darauf, daß hier neben dem "nur" Unterlassenden ein (scheinbar) aktiv handelnder Dritter bei der Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges mitwirkt, dessen Untätigbleiben nur als Beihilfe zu beurteilen ise9

c) Nichthinderung des (untauglichen) Begehungsversuchs eines deliktisch handelnden Dritten In Abwandlung des vorgenannten Fallbeispiels muß daruber hinaus ein Fall problematisiert werden, in welchem der Garant einen von einem deliktisch handelnden Dritten tatsächlich begangenen, wenn auch untauglichen Begehungsversuch, nicht verhindert30. Beispiel Der Vater beobachtet, wie ein Dritter seinen Sohn in das Wasser stößt. Ebenso wie der Drit-

te geht er davon aus, daß der Junge Nichtschwimmer ist und ertrinken wird, was ihm aber gleichgültig ist. Tatsächlich hat der Sohn bereits Schwimmen gelernt.

Der sachliche Unterschied zu der vorangegangenen Fallgruppe [ 1.b]) liegt darin, daß dort keinerlei Angriff des Dritten, hier jedoch sowohl aus der Sicht des Unterlassenden wie auch des Dritten ein solcher gegeben ist. Vorliegend wird dieser Fall aufgrund seiner äußeren Erscheinungsform zunächst der Fallgruppe der irrigen Annahme einer tatbestandsmäßigen Situation zugeordnet. Eine solche Wertung liegt auch dem zur Illustration der Rechtsfigur des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt herangezogenen Urteil des Bundesgerichtshofs zugrunde, in welchem der Senat den dort geschilderten Fall ebenfalls der Fallgruppe "keinerlei Gefahr für das Rechtsgut" zuordnee 1. Ob allerdings diese Zuordnung durch eine materielle Gleichwertigkeit der genannten Fallkonstellationen gerechtfertigt ist, bleibt zu überprüfen.

28 Anders jedoch Rudolphi (MDR 1967, I ff.), der in seiner Untersuchung die Fälle (zunächst) getrennt behandelt und unterschiedlichen Fallgruppen zuordnet. Auch Niepoth (Versuch, S. 185 ff., 192 f.) ordnet die Fallgruppen in zwei Obergruppen ein, die danach unterteilt sind, ob sich das Geschehen infolge Naturkausalität oder Eingreifen eines deliktisch handelnden Dritten dem tatbestandsmäßigen Erfolg entgegenbewegt Der Unterschied im Untersuchungsgang wird allerdings dadurch relativ1ert, daß es sich bei den Einteilungen - wie auch hier- zunächst nur um Arbeitshypothesen handelt; vgl. auch Bamberger, S. 206 f. 29 Siehe dazu unten D. I. I. b). 30 Bambt>rger lVersuch, S. 266) und Niepoth (Versuch, S. 191 in Fußn. 229) ordnen dieses Beispiel ohne weiteres der Fallgruppe des Irrtums über das Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Situation zu. Anders jedoch Rudolphi (MDR 1967, I, 4), der insoweit eine eigene Fallgruppe herausbildet. 31 BGHSt. 38, 356 ff.

ill. Fallgruppen und Problemstellung

23

Ebenso wie im vorgenannten Falle des nur irrig angenommenen Begehungsversuchs eines Dritten ist auch hier der Frage nachzugehen, wie sich die Tatsache, daß neben dem Unterlassenden ein aktiv handelnder Dritter am Geschehen beteiligt ist, auf die Bewertung des "Tatbeitrags" des Garanten auswirkt. In der fraglichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist diese Fragestellung indes nicht problematisiert worden. 2. Die irrige Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglicbkeit Die bloß irrige Annahme der Möglichkeit, den drohenden Erfolg abwenden zu können, kann sich aufunterschiedliche Momente stützen32 . Der Garant kann die Eignung der konkreten Rettungshandlung zu seinen Ungunsten falsch beurteilen Beispiel Der Vater, der selbst Nichtschwimmer ist, sieht den ertrinkenden Sohn. Er hält einen am Ufer liegenden Kahn flir funktionsfähig, bleibt jedoch untätig. Später stellt sich heraus, daß der Kahn morsch und daher zur Rettung ohnehin ungeeignet gewesen war.

oder bereits die Möglichkeit, diese überhaupt vorzunehmen, falsch einschätzen. Beispiel

Der Sohn, der sich in Lebensgefahr befindet. wird von Rettern an das Ufer gebracht. Ärztliche Hilfe ist dringend erforderlich. Der Vater, der als einziger ein Auto zur Verfugung hat und ärtzliche Hilfe herbeiholen könnte, erkennt dies zwar, bleibt aber untätig, weil er den Tod des Sohnes begrüßt. Später stellt sich heraus, daß er aufgrund der durch einen Verkehrsunfall blockierten Straße ohnehin keine Möglichkeit gehabt hätte, Hilfe herbeizuholen.

Der Fallgruppe der irrigen Annahme einer Erfolgsabwendungsmöglichkeit ist auch der in der Judikatur häufig anzutreffende Fall33 zuzuordnen, daß zwar der Garant die vorgestellte konkrete Rettungshandlung tatsächlich vornehmen könnte, den Erfolg damit aber nicht verhindem würde, weil dieser aufgrundeines unumkehrbaren Kausalverlaufs nicht mehr abzuwenden oder sogar bereits eingetreten ist. Beispiel Der Vater sieht seinen Sohn ertrinken. Er glaubt, daß eine Rettung noch möglich ist und bleibt untätig, weil er dessen Tod will. Später stellt sich heraus, daß zu dem Zeitpunkt, in

32 Siehe dazu die Fälle bei Rudolphi, MDR 1967, I, 2 f.; Schrnidhäuser AT 17/28; ders. StudBAT 13/28; Herzberg, MDR 1973, 89, 94; Niepoth, Versuch, S. 193; vgl. auch Eisenberg, Jura 1989,41,46 f.; Ga/las, Unterlassen, S. 165, 193, 197. 33 Siehe dazu die in B. I. I . aufgeflihrten Entscheidungen.

A. Einleitung

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dem der Vater diesen Entschluß faßte, der Sohn bereits verstorben war oder nicht mehr hätte gerettet werden können.

Allen genannten Varianten, die tatsächlich eine Gefahrenlage beinhalten, liegt die Vorstelhmg des Handlungsverpflichteten zugrunde, den Erfolg abwenden zu können, während diese Möglichkeit in Wahrheit nicht gegeben war. Grundsätzlich kann dem Gebotsadressaten jedoch nur eine ilun mögliche Handlung abverlangt werden34 Kann es also dem Unterlassenden zum rechtlichen Vorwurf gereichen, daß er es unterließ, seine Gesetzestreue zu demonstrieren, wo doch eine solche Demonstration lediglich von symbolischen Wert, nicht jedoch von praktischem Nutzen gewesen wäre? Oder existieren Kriterien, von welchen eine solche Verpflichtung abhängig gemacht werden kann?

3. Die irrige Annahme von Umständen, welche eine Garantenstellung35 begründen Diese letzte Fallgruppe des Irrtums über garantenstellungsbegründende Tatsachen36 wird im Schrifttum offensichtlich überwiegend als Spielart des Irrtums über die Tauglichkeit des Subjekts angesehen37 , da im Bereich der unechten Unterlassungsdelikts Täter nur derjenige sein kann, der zur Erfolgsahwendung verpflichtet, mithin Garane8 für die Erfolgsvermeidung ist39 Zunächst bleibt jedoch zu prüfen,

34 Nach ganz herrschender Meinung ist die individuelle Handlungsfähigkeit bereits Merkmal des Unterlassungstatbestandes (BGHSt. 15, 18, 22; Jescheck LK Vor§ 13 Rdn. 93; Jescheck!Weigend, §59 ll2 (S. 616 f.];Maurach!Gösse//Zipf AT2 § 46 Rdn. 51 ; Rudolphi SK Vor§ 13 Rdn. 13; Seiimidhäuser AT 16/36 f., 66 f.; Schönke/Schröder-Stree Vorbem §§ 13 tf Rdn. 141 tf; Stratenwerth AT Rdn. I 032; Nikkel, S. I 00 ff.), wobei jedoch umstritten ist, ob der Unterlassende sich einer konkret möglichen Rettungshandlung bewußt sein muß (so die wohl überwiegende Ansicht, siehe nur Schönke!Schröder-Cramer § 15 Rdn. 94 m .w.N.) oder ob die Vorstellung von einer generellen Erfolgsabwendungschance ausreicht (Rudolphi SK Vor§ 13 Rdn. 24; Stratenwerth AT Rdn. 1045). 35 Im Unterschied zur Garantenpflicht, die nicht Tatbestandsmerkmal ist, vgl. zur unterschiedlichen Rechtsfolge im Falle eines Irrtums unten in B. ll. 2 .

36 Vgl. die Beispiele von Rudolphi. MDR 1967, I, 3 f.; Schmidhäuser, in: Festschr. für Gallas, S. 81, 97; Niepoth , Versuch, S. 192; Bamberger, S . 266 in Fußn. I; Schönke/Schröder-Eser § 22 Rdn. 91; Vogler LK § 22 Rdn. !51; Baumann/ Weber/Mitsch AT§ 26 Rdn. 5; Maurach, NJW 1962, 767, 770. 37

Vgl. Bamberger, S. 244; Schünemann, ZStW 96 (1984), 287, 317; Wolter, S. 305.

Im ~men dieserUntersuchung wirrg(MDR 1973,89, 93) in Auseinandersetzung mit dem von Roxin zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Unterlassungsdelikt vorgeschlagenen Kriterium der "Entlassung aus dem Herrschaftsbereich", daß es s1ch beim Terminus des "Anset~s" um ~en final~ Begriff handele. Daß aber das Verhältnis von Finalitä~ und Unterlassen em umstnttenes 1st, dürfte außer Frage stehen. Auch der Termmus der Tatbestands"verwirklichung" scheint eher auf ein Tun gemünzt zu sein (siehe hierzu auch Hirsch, ZStW 93 [ 1981 ), 831, 851 [im Zusammenhang mit seiner Kritik an der Definition des sozialen Handlungsbegriffsj). Kritisch insbesondere auch Vogler (LK § 22 Rdn. I 09), der die Schwierigkeiten, welche s1ch im Bereich der Unterlassungsdelikte bei der Fixierung des filr den Versuchsbeginn maßgeblichen Zeitpunkts ergeben, als Folge davon sieht, daß die Ansatzformel des§ 22 StGB ihrem Wortlaut nach auf Begehungsdelikte zugeschnitten ist; ebenso Jescheck/ Weigend, §§ 491V 5 (S. 521 m.w.N. in Fußn. 45), 60 Il 2 (S. 638). In den Gesetzesentwürfen und Beratungsprotokollen zu § 22 StGB findet sich keine ausdrückliche Einbeziehung der Unterlassung. 15 Während die Begriffe" "Straftat" und "Tat" in nahezu jeder Vorschrift des Allgemeinen Teils Erwähnung finden, kommen die irreführen~en Worte "Handlung" und "handeln" in den §§ 14-17, 20 (,32, 34 ( , 52 und 75 StGB vor. Eme gesonderte Erwähnung der Unterlassung findet sich 1edigli'?h in§§ 8, 9. 13 StGB. !3ei den sprachlic~ neutraleren Ausd~cken "Tat" und "Straftat", denen 1m Gesetzestext offensichtlich d1e Funktion emes Oberbegoffs flir Handlung und Unterlassung zukommen soll, handelt es sich um Verbesserungen der Terminologie durch die Neufassung des Straf~esetzbuches von 197 5. Deutlich wird dies insbesondere an den § § 8 und 9 StGB und der dorbgen Verwendung der Bezeichnung der "Tatbegehung". Konsequent hältjedoch auch die Neufassung diese Terminologie nicht durch. 16 So Oppel, S. 6, flir das österreichische Recht. Der die Versuchsstrafbarkeit normierende § 15 öStGB entspricht in Abs. 2 dem Wortlaut des§ 43 a.F. StGB. Er lautet: "Die Tat ist versucht, sobald der Täter seinen Entschluß, sie auszufUhren oder einen anderen dazu zu bestimmen(§ 12), durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt." 17 Zu den dogmatischen Mißverständnissen, welche eine solche terminologische Gleichsetzung von Handlung und Unterlassen provoziert siehe Hirsch, ZStW 93 (1981 ), 831 , 852; ebenso Schmidhäuser, in: Gedächtnisschr. für Armin Kaufinann, S. 131, 134 ff.

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

malistische Betrachtungsweise, der die Untersuchung Herzbergs Rechnung trägt, abgelehnt werden. Zunächst ist es denkbar, daß das Scheitern einer Übertragung der allgemeinen Versuchsregelungen auf das Unterlassungsdelikt allein auf die Ungenauigkeit der sprachlichen Formulierung- sowohl in der damaligen als auch in der heutigen Gesetzesfassung- zurückzuführen ist. Zwar hat die Auslegung einer Vorschrift immer die Grenzen des möglichen Wortsinns zu respektieren. Zugleich ist allerdings zu berücksichtigen, daß die in den Gesetzestexten verwandte Terminologie die im Zeitpunkt der Abfassung des Gesetzestextes herrschende Ansicht - manchmal auch nur einen Minimalkonsens- widerspiegelt18, so daß die Terminologie notwendigerweise gegenüber späteren Erkenntnissen im Rückstand und bereits dadurch ungenau ist. Die Frage, die indes aufgeworfen werden muß, von Herzberg aber nicht gestellt, sondern anscheinend stillschweigend bejaht wird, muß dahingehend lauten, ob von der sprachlichen Unmöglichkeit auf eine tatsächliche Unmöglichkeit der Einbeziehung der Unterlassung geschlossen werden kann. Angesichts der überkommenen Handhabung des Begriffs der Handlung in einem sowohl Tun als auch Unterlassen umgreifenden Sinne19 und der Tatsache, daß die herrschende Meinung offensichtlich die sachliche Einbeziehung der Unterlassung in § 22 StGB einfach voraussetzt20 , hätte diese Fragestellung nahegelegen. Die Unmöglichkeit bzw. Straflosigkeit21 des Versuchs eines (unechten) Unterlassungsdelikts allein aus einer sprachlichen Formulierung ableiten zu wollen, ist jedenfalls in ihrer weitreichenden Konsequenz ohne Berücksichtigung inhaltlicher Argumente untragbar. Indem Herzberg diese ausklammert, erweist sich seine Argumentation als vordergründig und wenig tragfähig.

Dazu Schmidhäuser, in: Gedächtnisschr. für Armin Kaufmann, S. 131. 134 ff. Vgl. hierzu den Gesetzeswortlaut der§§ I, 2 RGStGB 1871, die von der "Handlung" in einem sowohl Tun als auch Unterlassen umgreifenden Sinne gesprochen haben; zum Schrifttum siehe Mezger, Wege, S. II ff.: ders., Leipziger Kommentar zum StGB, 8. Aufl. 1957, Einleitung Anm. II. Um den aus dieser Formuherung resultierenden terminologischen Schwierigkeiten zu entgehen und um die "Handlung" der§§ I, 2 RStGB als Oberbegriffbeider Verhaltensformen kenntlich zu machen, wurden in der Literatur Umbenennungen vorgenommen: Einerseits wurden die Verhaltensweisen in "Begehung" und "Unterlassung" unter den Oberbegriff der "Handlung" gestellt (so beispielsweise v. Hippe/, Bd. 2, S. 127), andererseits dem Oberbegrifl' der "Handlung" (im weiteren Sinn) die Verhaltensweisen der "Handlung im engeren Sinn" und der Unterlassung zugeordnet. 20 Vgl. Baumann/Weber!Mitsch AT§ 26 Rdn. 5, 56; Jakobs AT 29/113; Lauhöfer, Abgrenzung, S. 274;Maurach/Gössel!ZipfAT2 § 40 Rdn. 97; Rudolphi SK Vor§ 13 Rdn. 50; Schönke/Schröder-Eser § 22 Rdn. 47; Stratenwerth AT Rdn. 1057 ff.; zur Rechtsprechung vgl. nur BGHSt. 38, 356 tf Dies geschieht auch nicht etwa erst seit der Einführung des neugefaßten § 13 StGB. 21 Angesichts der Erörterungen Herzbergs bleibt nämlich unklar, ob er bereits die Möglichkeit eines Versuchs durch Unterlassen verneint oder erst dessen Strafbarkeit in Abrede stellt, vgl. Herzberg, MDR 1973, 89, 90. Kritisch insoweit auch Niepoth, Versuch, S. 146 in Fußn. 17. 18

19

I. Die im Schriftturn erhobene Kritik

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Um die aufgewmfene Frage angemessen zu lösen, hätte es folglich eines Eingehens auf das Verhältnis von Handlung und Unterlassung in inhaltlich-materieller Hinsicht und damit einer Erörterung des Handlungsbegriffes bedurft22 Wagt man nun das Experiment und betrachtet die Aussagen Herzbergs, welche er an anderer Stelle zum Begriff der Handlung triffi23 , stellt man erstaunt fest, daß der von ihm dort propagierte "negative Handlungsbegriff'' Begehung und Unterlassung gleichermaßen umfaßt24 Herzberg formuliert an dieser Stelle den Handlungsbegriff wie folgt: "Die Handlung des Strafrechts ist das vermeidbare Nichtvermeiden in Garantenstellung"25. Sowohl dem Begehungs- als auch dem Unterlassungstäter macht er Zlll1l Vorwurf, daß dieser den tatbestandsmäßigen Erfolg nicht vermieden hat, obwohl es ihm möglich gewesen wäre. Während der Unterlassungstäter aufgrund seiner Garantenstellung Zlll1l erfolgshindernden Eingriff in den Kausalverlauf verpflichtet ist, soll die Sonderverantwortlichkeit des Begehungstäters daraus folgen, daß "sich in der deliktischen Körperbewegung die Person als potentieller Gefahrenherd aktualisiert"26 Herzberg sieht damit das Unterlassungsdelikt sogar als Grundform der Tatbestandserfullung an. Beim Begehungsdelikt trete zu der "Nichtvermeidung trotz Vermeidenkönnens und Garantenverantwortlichkeit" mit der willentlichen Steuerung des zu Vermeidenden nur etwas hinzu, was für das Wesen des Handlungsbegriffes unerheblich und allenfalls für den Strafrahmen relevant sei 27 Mithin stelle sich die unechte Unterlassung als ein im Begehungsdelikt verborgenes Minus d~8 . Mit dem "negativen Handlungsbegriff'' als Ergebnis dieser Umkehrung der Sichtweise be-

22 Zwar könnte bereits die Vemeinung der Handlungseigenschaft des Unterlassens als Indiz dafilr zu werten sein, daß Herzberg seiner Argumentation einen die Unterlassung ausschließenden Handlungsbegriffzugrunde legt, doch fehlt es hierzu an einer eindeutigen Stellungnahme.

23 Siehe insbesondere Herzberg, Unterlassung, S. 156 tf. Sogar innerhalb der genannten Untersuchung (MDR 1973, 89 ff) kommt Herzberg an anderer Stelle (S. 91) im Rahmen seiner Erörterung des Versuchsbeginns beim Unterlassungsdelikt auf das Verhältnis von Handlung und Unterlassen zu sprechen, was die Frage aufwirft, warum er diese Notwendigkeit nicht bereits im Rahmen seiner Erörterung zu § 43 a.F. StGB sieht (so zu Recht Niepoth, Versuch, S. 147 in Fußn. 22). 24

Herzberg, Unterlassung, S. 177.

25 Herzberg, Unterlassung; S. 177. 26 Herzberg, Unterlassuflg, S. 173; vgl. auch ders., JZ 1988, 573, 579: Den Täter treffe auch die Garantenpflicht zur Uberwachung seiner selbst, er sei der verantwortliche Beherrscher der Gefahrenquelle und daher "hinsichtlich der Erfolgsvermeidung ein Garant par excellence" . Aus jüngerer Zeit siehe auch Herzberg, GA 1996. I ff. 27 Herzberg, JZ 1988. 573, 576; ders., Unterlassung, S. 181 f.

28

Herzberg, JZ 1988, 573, 579.

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

hauptetHerzberg, das lange gesuchte Wesensmerkmal gefunden zu haben, welches beiden Verhaltensweisen, Begehung und Unterlassung, zugrunde liege29 • Daß dies durchaus bezweifelt werden muß, ist im Schrifttum melufach ausführlich dargelegt worden30. hn vorliegenden Kontext erheben sich überdies Zweifel, wie die von Herzberg vertretene Auffassung zum versuchten Unterlassungsdelikt mit diesem vorausgesetzten Handlungsbegriff in Einklang zu bringen ist. Herzberg versteht nämlich seinen am "reinen Bewirkungsdelikt" entwickelten31 negativen Handlungsbegriff des "vermeidbaren Nichtvermeidens" in einem "schlechthin jedes denkbare Delikt" umgreifenden Sinn32. Er dehnt ihn nicht nur auf andere Deliktsformen aus33 , sondern hebt in diesem Zusammenhang den untauglichen Versuch beim Unterlassungsdelikt ausdrucklieh als den einzig denkbaren Fall hervor, in welchem ausnahmsweise der unveränderte Zustand des Täters selbst Gegenstand strafrechtlicher Mißbilligung sein könne: Unternehme der Pflichtige nichts zur Rettung des Rechtsgutsobjekts, weil er dessen Schädigung wünscht, so handele es sich um ein (vermeidbares) "Nichtvermeiden des Andauerns der eigenen Untätigkeit"34. In dem von ihm herangezogenen Beispiel- die Frau glaubt, ihren gebrechlichen Vater aus der Badewanne um Hilfe rufen zu hören, während dieser in Wirklichkeit ein Lied singt- bewertet Herzberg das Nichtstun aus dem Wunsche, der Tod möge eintreten, als versuchte Tötung durch Unterlassen35 . Von einer Gesinnungsstrafe, die drohe, ist in diesem Kontext aber keine Rede!

29 Herzberg, JZ 1988, 573, 578. Einen ähnlichen Handlungsbegriffvertreten auch Behrendt, Unterlassung, 1979~ ders., in: Festschr. flir Jescheck, S. 303, der es unternimmt, jenen durch triebtheoretisch-psychoanalytische Erkenntnisse zu untermauern, und Donatsch, S. 19 f., 117 f., der sich im wesentlichen der AutTassung Herzbergs angeschlossen hat, allerdings ohne neuere Argumente, wie Brammsen, JZ 1989.71,72, bemängelt.

30 Vgl. Brammsen, JZ 1989, 71, 72 tL Maurach!Gössel/ZipfAT2 § 45 Rdn. 16; Roxin ATl § 8 Rdn. 34 ff. m.w.N .; Schönke/Schröder-Lenckner Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 36. 31 Diese läßt sich im wesentlichen in seiner 1972 erschienenen Schrift "Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip" nachvertolgen.

32 Herzberg, MDR 1973. Diese Aussage schränkt er später (JZ 1988, 573, 576 in Fußn. 19) jedoch wieder ein, nachdem er festgestellt hat, daß das "Nichtvermeiden in GarantensteUung" jene Unterlassungsdelikte nicht zu erfassen vennag, welche gerade keine GarantensieDung vomussetzen. So mu~ im Falle des § 323c StGB .gen~de d~r Nichtji!arant di~ Hilflostgkett des Verunglückten vermetden. Den, 89 Vemcht auf dte EmbeztehungJener Dehkte hält Herzberg jedoch gegen übe~ einer ;?treichung des Garantenmerkmals und den sich daraus ergebenden Folgen flir das klemere Ubel. 33 Nämlich aufreine Tätigkeitsdelikte, Versuche und den überwiegenden Teil der echten Unterlassungsdelikte, siehe Her_zberg, Ut.llerlassung, S. 174 ff. pa~ei gelangt Herzberg auch zu der Erkenntms, daß der Ertolg Jucht m den Handlungsbegoff embezogen werden könne, damit aUes erfaßt werde, was neben dem Erfolg Gegenstand strafrechtlicher Mißbilligung sein könne, wie beispielsweise das bloße Hinwirken in Richtung auf einen Erfolg im Falle des Versuchs, siehe Herzberg, Unterlassung, S. 175. 34 Herzb,_".g, Unterlassung, S. 174 ff. Kritisch zu Herzbergs Argument des "unbefangenen Sprachverständnisses" Schmidhäuser, GA 1996, 303 ff. 35 Herzberg, Unterlassung, S. 174 tT

I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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Zwar hat Herzberg in der hier zunächst angesprochenen (späteren) Studie ausdrücklich bemerkt, in jener (früheren) Schrift zur Unterlassung im Strafrecht die Betrachtung der herrschenden Meinung zum Unterlassungsversuch als richtig zugrunde gelegt zu haben, ohne sie zu hinterfragen. Doch behebt ein solches Zugeständnis allenfalls einen Widerspruch in der Darstellung, nicht jedoch in der Konzeption: Wenn nämlich der Ausgangspunkt einer Übereinstimmung der Verhaltensweisen im Rahmen des negativen Handlungsbegriffs zugrunde zu legen ist und Herzberg beim Tun einen Versuch als möglich und strafbar ansieht36, muß aufgrund (zumindest sinngemäßer) Übertragung der Versuchsvorschriften ein Versuch grundsätzlich auch beim Unterlassungsdelikt möglich sein. Die von ilun geforderte "Notwendigkeit der Gleichbehandlung von Tun und Lassen" 37 kann schließlich nicht vor dem Versuchsbereich haltmachen38. Gleichwohl verneint Herzberg die Strafbarkeit eines Unterlassungsversuchs mangels "Objektivation des Willens" 39 und relativiert so sein Postulat der Gleichbehandlung von Tun und Unterlassen wieder. Offenbar hat sich Herzberg bei seiner differenzierenden Betrachtung unausgesprochen doch von einem sachlichen Unterschied zwischen Tun und Unterlassen leiten lassen40. Diesen hat er selbst im Rahn1en der Erörterung seines Handlungsbegriffs als Moment der willentlichen .S'teuernng herausgearbeitet, wobei er sich in dem dortigen Zusammenhang allerdings auf den Standpunkt gestellt hat, dieses Merkmal spiele allenfalls bei der Strafzumessung eine Rolle41 . Während Herzberg also die Objektivation des Willens bei der Unterlassung vermißt42 , sieht er sie beim Bege-

Vgl. nur Herzberg, MDR 1973,89.91. Herzberg, MDR 1973,89,91. 38 Unter Zugrundelegung der Prämisse von der Möglichkeit eines Unterlassungsversuchs sucht Herzberg im Fortgang seiner Studie (Herzberg, MDR 1973, 89,91 ff.) Kriterien für eine Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch beim Unterlassungsdelikt Hier nun - bei dieser nachrangigen Fragestellung- weist er ausdrücklich darauf hin, daß eine Lösung mit der Abgrenzung beim Begehungsdelikt harmonieren müsse und begründet die Notwendigkeit einer solchen Abstimmung ausdrücklich mit seinem negativen Handlungsbegriff. Allerdings hinterläßt die Vorgehensweise Herzbergs insoweit wieder den Eindruck einer Vernachlässigung der eigenen Ausgangsposition: Handelte es sich beim Unterlassungsdelikt tatsächlich um die Grundform der Tatbestandserfüllung (vgl. Herzberg, JZ 1988, 573, 576), wäre es dogmatisch v~eVJt, eine Unterscheidung von Vorbereitung und Versu~h beim Unterlassungsdelikt durch dte Ubertragung der Grundsätze des Begehungsdelikts herbetflihren zu wollen. Vtelmehr müßte eine Übertragung in entgegengesetzter Richtung erfolgen. In diesem Zusammenhang sei Herzberg selbst (JZ 1988. 573, 577) zitiert: "Aber man mußte scheitern, weil bei allem Bemühen, im unechten Unterlassungs- das Begehungsdelikt wiederzufinden, die Blickrichtung zwangsläufig immer die falsche blieb" . 39 Herzberg, MDR 1973.89,90. 40 Dieser Befund scheint sich auch bereits in Unterlassung, S. 183, anzudeuten. 41 Herzberg, Unterlassung, S. 182. 42 Herzberg, MDR 1973, 89,90. 36 37

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

hungsdelikt in der willentlichen Steuerung des zu Venneidenden43, mithin in der Handlung selbst44 . Die aufgezeigten Unstinunigkeiten45 offenbaren, daß der Argumentation Herzbergs eine inhaltlich schlüssige Auseinandersetzung mit der Frage fehlt, wie Handlung und Unterlassung ontologisch beschaffen sind, ob sich ihre Gleichbehandlung bereits in dieser Hinsicht verbietet oder ob eine solche zumindest aufgrund wertender Betrachtung möglich ist. Allerdings tauchen auch in wertender Hinsicht Zweifel an der Behauptung Herzbergs auf, die Versuchsstrafbarkeit beim unechten Unterlassungsdelikt berge generell und nicht nur beschränkt auf den untauglichen Unterlassungsversuch infolge der mangelnden Objektivation des Willens die Gefahr der Gesinnungsstrafe in sich. Das von ihm angefuhrte Beispiel - der Vater bildet sich ein, seinen Sohn ertrinken zu lassen -läßt sich zwar noch als Beispielstall dafur heranziehen, daß sich die Tat nur in der Vorstellung des Handlungspflichtigen abspielt, so daß bei einer Bestrafung dieser Versuchskonstellation der Vorwurf eines Gesinnungsstrafrechts jedenfalls nicht von vomeherein ausgeschlossen erscheint. Indes läßt die Argumentation nicht ersichtlich werden, warum gerade ein solcher Fall des untauglichen Unterlassungsversuchs - pars pro toto - den Gesamtbereich der versuchten Unterlassungen mit der

43 Wenn Herzberg (MDR 1973. 89. 91) demgegenüber behauptet, das Fehlen aktiver Verursachung ~erde durch die Garantenposition des Unterlassenden ausgeglichen, steht diese Aussage m Widerspruch zu semer e1genen Konzeption, wonach auch der Täter des Begehungsdelikts eine Garantenstellung innehat. Es ist kaum nachvollziehbar, warum das Merkmal der Garantenstellung, welches be1den Arten delik1ischen Verhaltens zugrunde liegen und ihren Unrechtsgehaltausmachen soll, be1m Unterlassen das gegenüber dem Tun fehlende Moment der fmalen Steuerung aufWiegen soll. Diese Annahme träfe nur zu. wenn sich die Garantenstellung beim Unterlassen qualitativ von derjenigen beim aktiven Tun unterschiede.

44 Damit befindet er sich jedoch wieder in sinnfälliger Übereinstimmung mit der von ihm abgelehnten finalen Handlungslehre, wonach eine Handlung als "Objektivation des Willens in einer äußeren Tat" verstanden wird, vgl. Welzel § 12 I (S. 63); Küpper, S. 69; ähnlich auch Jakobs AT 6/68: "Als soziale Erscheinung wird das Delikt erst mit seiner Objektivation erfahrbar" und AT 6173: "Die erfolgreiche Handlung ist schon vor dem Erfolgseintritt gelungene Objektivation eines Vorsatzes ... ".

45 Diese Unstimmigkeiten dürften zu einem erheblichen Teil auf der verfehlten Konzeption des negativen Handlungsbegriffs als dem tragenden Fundament einer Betrachtung von Handlungs- und Unterlassungsdelikt beruhen. Als Hauptkritikpunkt ist hier die Einebnung und Vernachlässigung der ontologischen Verschiedenheiten von Tun und Unterlassen zugunsten einer umfassenden Begriffsbildung zu benennen, wobei Herzberg "unterhalb des negativen Handlungsbegriffs" offenbar Handlung und Unterlassung doch wieder getrennt hält (vgl. dazu Herzberg, Unterlassung, S. 183; das .. JZ 1988. 573, 579 in Fußn. 32). Daneben scheint sich hier auch die These der Kritiker Herzbergs zu bewahrheiten. wonach sich dessen Handlungsbegriff nur als solcher ausgibt, in Wirklichkeit jedoch einen bloßen Vorgriff auf den Bereich tatbestandliehen Unrechts darstellt. Diesem Handlungsbegriffkommt folglich aufgrundder Erfassung von bloßen tatbestandsmäßigen Situationen kein eigener Aussagewert zu (so bereits Otto, Mr,Abgrenzung, S. 277 f.; Vogel, Norm, S. 226; Womelsdoif, S. 59; vgl. bereits Grünwald, JZ 1959, 46 f. 72 Bottke, S. 292; Freund, Erfolgsdelikt, S. 110 in Fußn. 163; ders., JuS 1990, 213, 217; Kühl AT§ 18 AT Rdn. 151; Lauhöfer, Abgrenzung, S. 278. 73 Vogel, Norm, S. 226; so auch Lauhöfer, Abgrenzung, S. 278; See/mann AK § l3 Rdn. 85. NachJakobs(AT 29/114) kann die "Objektivierung eines Verhaltens(...) immer nur im Blick auf das vom Täter Gewollte bestimmt werden. Jedenfalls besteht kein Sonderproblem fllr Unterlassungen". 74 Freund, Erfolgsdelikt, S. 110 in Fußn. 163; ders., JuS 1990, 213, 217, unter Hinweis auf eine Argumentation von Grünwald, Unterlassungsdelikt, S. 114; siehe auch ders., GA 1959, 110, 116 f. 75 OttoJK 93 StGB § 22/ 16; Vogel, Norm, S. 226; siehe auch Baumann/Weber AT§ 33 I 3 (S. 482 in Fußn. 6) zur ähnlichen Argumentation Schmidhäusers. 70

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I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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diese Übertragung auch in der Sache gerechtfertigt ist. Unter Hinweis auf eine allein maßgebliche Gesetzesfassung würde sich jegliche dogmatische Diskussion erubrigen. Inwieweit eine inhaltlich für richtig befundene Lösung auch mit den §§ 22 ff. StGB in Einklang steht, ist eine Frage, die sich erst im Anschluß stellt. Soweit allerdings die herrschende Meinung konstatiert, daß im Falle eines untauglichen Versuchs beim Begehungsdelikt nicht mehr von der "bösen Gesinnung" des Täters nach außen dringe als beim untauglichen Versuch des Unterlassungsdelikts, kann die Stichhaltigkeit dieser Argumentation nicht unbesehen in Abrede gestellt werden. Zunächst lassen sich zu allen von Rudolphi gebildeten Fallgruppen des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt, denen angeblich die Strafwürdigkeit fehlt, vergleichbare Fallkonstellationen beim Begehungsdelikt bilden76. Daß die Strafwürdigkeit dieser Fallgestaltungen gegenüber denjenigen beim Unterlassungsdelikt höher zu bewerten wäre, erschließt sich bei unbefangener Betrachtung jedenfalls nicht. Es hätte mithin eines Nachweises für die Behauptung einer Sonderstellung des untauglichen Versuchs gerade beim Unterlassungsdelikt bedurft. Die Ausführungen Rudolphis entbehren allerdings dieses Nachweises. Seine Einschätzungen beruhen allein auf der unbewiesenen Grundthese, wonach der Unwert einer Unterlassung stets hinter demjenigen der Handlung ZU!Ückbleibe. Ebenso unbewiesen bleibt die daraus abgeleitete These, wonach die Nichtabwendung des Unrechtserfolges bei der Unterlassung mit einem geringeren Aufwand an rechtsfeindlicher Motivationskraft verbunden sei. Angesichts des FehJens eines eingehenden Begrundungsansatzes kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde allein von der äußeren Regungslosigkeit des Unterlassungstäters auf eine geringere innere Motivation im Hinblick auf den Eintritt des rechtsgutsverletzenden Erfolges geschlossen. Abgesehen davon, daß die Zulässigkeit einer solchen Schlußfolgerung zweifelhaft erscheint, genügt sie jedenfalls nicht den Anforderungen an eine Begrundung. Es zeigt sich hier einmal mehr, daß einer Argumentation, die vorrangig mit "Strafwürdigkeitsaspekten" operiert, grundsätzlich mit Mißtrauen zu begegnen ist, wenn die der Klassifizie-

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So 'Yäre der ersten Fallgruppe de~ FehJens einer Geflihrd~ng des Rechtsguts im. Begeder Fall zuzu~rdnen , daß Jen~and emem. anderen em ha~los~s.Getr!ffik 111 dem Glauben reicht, es handele sich um tödhch Wirkendes Gifl. Auch dabei objektiviert sich der verbrecherische Wille nicht und bestraft würde - so gesehen - der "Gesinnungsunwert". Hinsichtlich der zweiten Fallgruppe eines Irrtums über die Subjektsqualität, in welcher auch nach Rudolphi ein Erfolgsunwert in Form einer Rechtsgutsgefahrdung vorliegt, bleibtRudolphi die Antwort darauf schuldig, warum ein error in obiecto nur den Garanten im Rahmen des Unterlassungsdelikts- anders als den Täter eines Begehungsdelikts- entlasten soll. Besonders deutlich wird das Fehlen einer inneren Rechfertigung fl.ir die Begenüber dem Begehungsdelikt abweichende Straflosiskeit des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt gerade in der dritten Fallgruppe: W1e läßt es sich begründen, daß der Dritte, der einen ungefahrlichen (absol~t untauglichen) Begehungsversuch gegen das vom Garanten z~ schützende Rech!Sgut unterrummt, bestraft werden muß, während der Garant, der dem gleichen Irrtum unterhegt, wegen FehJens eines Erfolgsunwerts straflos bleiben soll? hungsberei~h

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

rung eines Sachverhalts als strat\.vürdig zugrunde liegenden Wertungen und Anschauungen des Verfassers nicht mitgeteilt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich aber auch, daß es einer vertieften Betrachtung der Unrechtsbegründung beim Handlungs- und Unterlassungsdelikt bedarf, um die Folgerichtigkeit der Argumentation Rudolphis überprüfen zu können. Ungeachtet dieser Tatsache kann an dieser Stelle jedoch bereits festgestellt werden, daß sich Rudolphi ofiensichtlich nicht bemüßigt fühlt, weiterreichende Konsequenzen aus seiner Untersuchung zu ziehen. Der sich aufdrängenden Frage, was eine subjektive Versuchstheorie überhaupt zu leisten imstande ist, wenn sie im Bereich des Unterlassungsdeliktes nicht anwendbar ist, geht er jedenfalls nicht nach.

3. Kritische Würdigung der Ansicht Schmidhäusers Schmidhäuser77 betrachtet unter Berufung aufRudolphi den untauglichen Versuch beim Unterlassungsdelikt als eigentlichen Bereich der Strafunwürdigkeit des versuchten Unterlassungsdeliktes. Er hält im Bereich der Unterlassung zwar einen tauglichen, nicht aber einen untauglichen Versuch für möglich78 . Zu diesem Resultat gelangt er zum einen infolge einer vom Begehungsdelikt abweichenden Unrechtsbegründung beim Unterlassungsdelikt, zum anderen aufgrund einer besonderen Konzeption des Vorsatzes. a) Die Ansicht Schmidhäusers

Um die Strafunwürdigkeit des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt zu belegen, führt Schmidhäuser zunächst die besondere Struktur der Pflichtbegründung beim Unterlassungsdelikt an: Danach werde eine konkrete Handlungspflicht, die durch das Nichthandeln des Pflichtigen verletzt werde, nur dadurch begründet, daß dem Schutzobjekt tatsächlich eine Gefahr droht. Weiterhin müsse dem Pflichtigen objektiv die Möglichkeit gegeben sein, in der konkreten Situation mit Erfolgsabwendungsaussicht tätig zu werden79 Werde hingegen an eine bloß in der Vorstellung des Pflichtigen existierende Gefährdung oder Rettungsmöglichkeit angeknüpft, so hieße dies- und hier beruft sich Seiimidhäuser ausdrücklich aufRudolphi -, "die Ge-

77

Schmidhäuser AT 17/26 tT.; ders., StudB AT 13/27 f. ; ders., in: Festschr. flir Gallas,

S. 81,96 f. 78

79

Schmidhäuser StudB AT 13/22 ff. Schmidhäuser StudB AT 12/ 15, 13/27.

I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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dankensündezum Anlaß staatlichen Strafens zu nehmen" 80. In solchen Fällen liege lediglich ein strafloses Wabndelikt81 vor. Diese objektivistisch geprägte Position Schmidhäusers ist zunächst auf seine Unrechtskonzeption zurückzuführen. Seiner Auffassung zufolge wird die Rechtsgutsverletzung als Unwert des Handeins beim Begehungsdelikt dadurch begründet, daß die Handlung auf Verwirklichung des rechtsgutsverneinenden Unwertsachverhalts gerichtet ist. Der Unwert könne dabei sowohl in der subjektiven Tendenz des Willens (Zielunwert) als auch in der objektiven Tendenz des Tuns (Gefährdungsunwert) sowie in der Verknüpfung beider Tendenzen bestehen82. Beim Unterlassungsdelikt hingegen könne das rechtsgutsverletzende Verhalten allein in einem Gefährdungsunwert liegen, nämlich der Nichtabwendung der Gefahr trotz gegebener Handlungsmöglichkeit83. Dies bedeute für das versuchte Unterlassungsdelikt, daß es allenfalls einen Gefährdungsunwert, nicht jedoch einen Zielunwert beinhalten könne84 . Mangels Gefährdungsunwert müsse somit ein untauglicher Versuch im Bereich des Unterlassungsdelikts straflos gestellt werden. Den wesentlichen Grund für die Verneinung eines Zielunwertes beim Unterlassungs(versuchs)delikt sieht Schmidhäuser in dem fehlenden Notwendigkeitszusammenhang zwischen Intentionalität und Unterlassung. Während das Handeln notwendigerweise die Intention im Sinne eines Ziel- und Veränderungswillens voraussetze, werde das Unterlassen nicht notwendig durch die Intention bestimmt. Im Hinblick auf den Vorsatz beim Unterlassungsdelikt bedeute dies, daß der Täter zwar zur Erreichung eines Zieles steuernd tätig werden, nicht jedoch ("steuernd") untätig bleiben könne85. Die möglicherweise mit dem Nichthandeln verbundene Vorstellung des Täters, der Erfolg möge eintreten, sei kein Wollen im Sinne des Willensbegriffes als Element des Vorsatzes. Es handele es sich dabei vielmehr nur um einen Wunsch, um einen bloßen Gedanken86. Anstelle des Tatentschlusses bei der Begehung trete beim Unterlassen vielmehr das Ausbleiben des Handlungsentschlusses87 .

80 Schmidhäuser StudB AT 13/27; d~.->rs., in: Festschr. for Gallas, S. 81 , 96 f. Vgl. auch Rudolphi, MDR 1967, 1, 3; ders. SK Vor§ 13 Rdn. 55 . 81 Schmidhäuser StudB AT 13/28.

82 Sogenannte dualistische Begründung des Handlungsunwertes, vgl. Schmidhäuser AT 8/29 ff; d~.->rs., StudB AT 5/38 ff.; ders., in: Festschr. für Gallas, S. 81, 95. Beim Erfolgsdelikt trete zusätzlich der Erfolgsunwert hinzu, so Schmidhäuser StudB AT 5/54. Die dualistische Begrundung des Handlungsunwertes zieht zwangsläufig eine dualistische Versuchstheorie mit der Unterscheidung von Gefahrdungs- und Zielunwert nach sich (dazu Schmidhäuser StudB AT 11123 ff.). 83 Schmidhäuser AT 16/64. 84 Schmidhäuser AT 17/28; ders. , StudB AT 13/28. 85 Schmidhäuser AT 16/64.

5 Malitz

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

Abgesehen von dem abweichenden Vorsatzverständnis88 sind es mithin zwei Aspekte, auf denen die Argumentation Sclunidhäusers zur Straflosigkeit des Wltauglichen Versuchs eines UnterlassWigsdelikts im wesentlichen basiert: die dualistische BegründWig des HandlungsWiwertes und die damit einhergehende AuffassWig vom bloßen GefährdWigsunwert der UnterlassWig. Diese beiden Aspekte sind, wie bereits der Begriff der Intentionalität andeutet, Wltrennbar durch den von Sclunidhäuser vertretenen "intentionalen" Handlungsbegriff miteinander verbunden, so daß hier eine kurze Erläuterung notwendig erscheint. Daß der Handlungsbegriff Auswirkungen auf die Begründung des HandlWigsWiwertes hat, ergibt sich unter Zugrundelegung der Ansicht Schmidhäusers bereits daraus, daß die Handlung als notwendiger Bestandteil den HandlWigsWiwert mitkonstituiert89. Zugleich lassen sich aus dem jeweiligen Handlungsbegriff aber auch Folgerungen für das Wesen und die rechtliche Behandlung der UnterlassWig ableiten90. Dem intentionalen Handlungsbegriff Sclunidhäusers zufolge ist für das Wesen der Hand!Wlg der Zusammenhang von Wille und Tun, die sogenannte Intentionalität des Tuns, maßgeblich91 . Die Handlung wird als dialektische Einheit von Wille Wld TWl begriffen, welche sich auf der Innenseite als tätiggewordener Wille, auf der Außenseite als vom Willen gesteuerte Tätigkeit darstelle92 . Auf der Innenseite werde die RichtWlg des Handeins wesentlich durch den Willen, die Intention des Handelns, bestimmt, indem der Mensch sich Ziele setze, zu deren ErreichWig hin er mit den gewählten Mitteln willentlich tätig werde93. Dabei seien auf der Innenseite zwei Bewußtseinsmomente zu unterscheiden: zum einen ein inten-

Schmidhäuser AT 16/64. Schmidhäuser AT 17/23; ders. StudB AT 13/26 . Nach Schmidhäuser (StudB AT 12/15) kommt es vielmehr gerade darauf an, daß der Täter die Intention, die gebotene Handlung vorzunehmen, nicht entwickelt hat. 88 Schmidhäuser (StudB AT 7ß8 !I) nennt diese Konzeption des Vorsatzes eine "teleologische" im Gegensatz zu der von der herrschenden Lehre vertretenen "voluntaristischen". 89 Schmidhäuser StudB AT 5/4 . 90 Dies gilt nicht nur ftir den Fall, daß der Handlungsbegriff als einen die Unterlassung umfassenden BegritT interpretiert wird, sondern - über eine Argumentation e contrario - auch dann, wenn - wie hier- Handlung und Unterlassung als Gegensätze betrachtet werden, vgl. Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 845 f. A.A. dagegen Brammsen, JZ 1989,71, 75; Ga/las, ZStW 67 (1955), I , 14; Lackner Vor§ 13 Rdn. 7; No/1, GA 1970, 176, 179 f.; Roxin, ZStW 74 (1962), 515,548 f.; ders., ZStW 82 (1970). 675, 681; Schänke/ Schröder-Lenckner Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 37. 91 Schmidhäuser StudB AT 515. 92 Schmidhäuser StudB AT 5/ 13 (zusammenfassend). 93 Schmidhäuser StudB AT 5/6 . 86

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I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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tionales Element der Erfassung des Zieles, zum anderen ein kognitives Element des Wissens oder der Vorstellung des Handelnden über seine Zielerreichunlf4. Beide Bewußtseinsmomente sollen maßgeblich durch das Erfaluungswissen des Handelnden bestimmt sein. Auf der Außenseite bestehe die Handlung notwendig in körperlicher Bewegung, um das dem Handlungsziel entsprechende Geschehen herbeizuführen, wobei Wille und Bewegung in dieser sogenannten Basishandlung wiederum eine Einheit bildeten95 . Diese Konzeption seines Handlungsbegriffs, welcher mit der Intentionalität wesentlich auf den menschlichen Willen zurückgreife, sieht Schrnidhäuser durch wissenschaftstheoretische Analysen zum Begriff menschlichen Handeins bestätigt, wonach der Wille ein ursprüngliches Phänomen des bewußten Seelenlebens sei96. Den Vertretern anderer Handlungsbegriffe wirft Schrnidhäuser dagegen eine Vernachlässigung ontologischer Vorgaben vor, die darin liege, daß jene das auch von ihnen als wichtig anerkannte vorrechtliche Phänomen des Willens mit dem Strafrechtsbegriff des Vorsatzes gleichsetzen würden. Während der Wille selbst ein Moment des im Unrechtstatbestand geschilderten Geschehens ausmache, handele es sich beim Vorsatz um einen Begriff, der sich auf das im Unrechtstatbestand erfaßte Geschehen als seinen Gegenstand beziehe und dieses rechtlich bewerte97 . Eine Gleichsetzung führe daher unweigerlich zu einer "Verwässerung" des Willensbegriffs, denn dem Vorsatz müsse dann auch die bloße Gewißheits-oder Möglichkeitsvorstellung des Handelnden zugeschlagen werden, um einer unsachgemäßen Einengung der Bestrafung wegen vorsätzlicher Taten zu entgehen98 . Einem solchermaßen "verwässerten" Begriff des Vorsatzes stellt Schrnidhäuser seine eigene Konzeption der "Vorsätzlichkeit" gegenüber, wonach er das Willensmoment nur bei der Absicht im engeren Sinne (dolus directus I. Grades) gelten läßt. Da sich der herrschenden Ansicht zufolge der Vorsatz durch ein intellektuelles und

94

Schmidhäuser StudB AT 5/8.

9~

Sch'!'idhä!fSe_r (StudB AT 5/9 f.) betont,_daß der Begriff der Handlun~ dahingehend erwetterbar 1st, als m ihn auch gewollte und herbelgeführte Wukungen der Basishandlung als Erfolg miteinbezogen werden können. Zur Einbeziehung der nichtbezweckten und ungewollten Folgen in diese Konzeption einer "Handlung auf der Außenseite", welche Schmidhäuser auf dieKritikLenckners (in: Schönke/Schröder, 23. Aufl., Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 36) hin vorgenommen hat, siehe jedoch ders., in: Gedächtnisschr. für Armin Kaufmann, S. 131, 153. 96 Schmidhäuser StudB AT 5/5, 517,5/ 13. Es handelt sich dabei insbesondere um die sprachphilosophisch-analytischen Ansätze G.E.M. Anscombes (Intention) und G.H. von Wrights (Erklären und Verstehen). 97 Schmidhäuser StudB AT 517. 98 Schmidhäuser StudB AT 5115: '"Gewollt' ist nicht nur das Gewollte, sondern auch das Gewußte oder flir möglich Gehaltene".

s•

68

C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

ein voluntatives Moment auszeichnet99 , muß Sclunidhäuser zwangsläufig den Begriff des Vorsatzes so umdeuten, daß dieser kein voluntatives Element mehr enthält100. Er bewerkstelligt dies, indem er den herkömmlichen Vorsatzbegriff aufspaltet: Während die Intention als Willensmoment im engeren Sinn im Handlungsunrecht verbleibt, werden alle über die Zielvorstellung hinausgehenden Vorstellungen- insbesondere das sogenannte Tatbewußtsein 101 -der Kategorie der "Vorsätzlichkeit" im Bereich der Schuld zugeschlagen 102 b) Zur Kritik der Ansicht .S'chmidhäusers

Das Augenmerk der Kritik gilt hier zuvörderst dem intentionalen Handlungsbegriff Schrnidhäuserscher Prägung. Zwar erscheint es an dieser Stelle wenig angebracht, die gegen ihn erhobenen grundsätzlichen Einwände erneut in extenso darzulegen103 . Entsprechend der ftmdamentalen Bedeutung des intentionalen Handlungsbegriffs für die Argumentation Sclunidhäusers im Zusammenhang mit der Straflosigkeit des untauglichen Unterlassungsversuchs sollen die Bedenken jedoch zumindest kurz skizziert werden. Zunächst verdient diese Konzeption des Handlungsbegriffs insofern Zustimmung, als sie auf das vorrechtliche Phänomen des Zusammenhangs von Tun und Willen als Ausgangspunkt zurückgreift104 Indes vermittelt die weitergehende getrennte Betrachtung und unterschiedliche Behandlung von Außen- und Innenseite der Handlung den Eindruck einersachwidrigen Aufspaltung der dialektischen Einheit von

99 Üblicherweise wird er als "Wissen und Wollen der Verwirklichung der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale" verstanden, so bereits RGSt. 58, 24 7, 248; 70, 257, 258); vgl. auchLackner § 15 Rdn. 4;Rudolphi SK § 16 Rdn. 4; Schönke/Schröder-Cramer § 15 Rdn. 9; Spende/, in: Festschr. für Lackner, S. 167, 172 f.; Trändie § 15 Rdn. 2 ff.; Wetze/§ 13 I (S. 64 f.). Kritisch zum Erfordernis eines voluntativen Elements hingegen Frisch, Vorsatz, S. 255 ff.; Herzberg, JZ 1988, 573 ff.; Jakobs AT 8/7 ff. 100

Vgl. dazu Schmidhäuser, Vorsatzbegriff, S. 21,25 f.; ders., AT 8/26 f.

Dieses wird von Schmidhäuser (AT 10ß3) als das Bewußtsein des Täters von allen Geschehensmomenten, die nach dem Unrechtstatbestand die rechtsgutsverletzende Tat ausmachen, definiert. Damit entspricht das Tatbewußtsein letztlich der intellektuellen Kampente des Vorsatzes, wie er in herkömmlicher Sichtweise verstanden wird. 101

102

Schmidhäuser AT 10/32 ff.

103

Dies ist bereits an anderer Stelle ausführlich geschehen, so beispielsweise bei Jakobs AT 6/25 in Fußn. 68; Küpper, S. 44; Schönke/Schröder-Lenckner Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 36. 104 Auf diesen dialektischen Zusammenhang weist auch die finale Handlungslehre ausdrücklich hin, so bereits Welzel, Das neue Bild, S. I; ders. § 8 I (S. 34 ff.); vgl. im übrigen nur Küpper, S. 69. Dabei verwandte Wetze/ zu Beginn der Entwicklung des finalen Handlungsbegriffs auch den BegritT der "Intentionalität" anstatt desjenigen der "Finalität", vgl. nur Welzel, ZStW 51 (1931), 703, 709 ff.; ders, Vom Bleibenden, S. 5, 29 f.; ders., JuS 1966,421,423. Weitergehend zum finalen Handlungsbegriff in C . Il. 2. a) und C. ill. 2 . a).

I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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Handlung und Wille105 . Ebenso kann das daraus resultierende beziehungslose Nebeneinander von Intentions- und Gefährdungsunwert in der Unrechtslehre Schrnidhäusers dem Anspruch an eine einheitliche Unrechtsbegründung nicht gerecht werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Reduzierung des Willensbegriffes bei Schrnidhäuser. Wenn er den Handlungswillen auf lediglich ein Ziel intentional verengt, um, wie er es ausdrückt, der "Verwässerung" des Willensbegriffs zu entgehen, so liegt gerade darin eine unzulässige Gleichsetzung der Finalität mit der Absicht im strafrechtlichen Sinne106. Auf dieses enge Verständnis von der Finalität als Wollen im engeren Sinne im Gegensatz zur weitergehenden Auffassung vom Wissen107 ist letztlich die Aufspaltung der Vorsatzelemente zurückzuführen, wonach das Willensmoment dem Unrecht und das intellektuelle Element der Kategorie der Vorsätzlichkeil innerhalb der Schuld zugewiesen wird. Schmidhäuser vermag indes nicht nachvollziehbar zu begründen, warum die Intention der Handlung zuzuschlagen sein soll, der Vorsatz hingegen der Schuld108, obwohlletzterer nichts anderes als die nach strafrechtlichen Maßstäben bewertete Intention darsteUe 09 Insgesamt hat diese Konzeption zur Folge, daß Sclunidhäuser trotz des von der finalen Handlungslehre geteilten Ausgangspunktes, wonach die Handlung die Realisierung eines vorgesetzten Handlungswillens enthält, im Ergebnis der älteren kausalen Lehre näher steht als der fmalen Handlungslehre11

°

Ein Teil des Schrifttums hält dem intentionalen Handlungsbegriff Schrnidhäuser dartiber hinaus vor, daß dieser tatsächlich nicht vortatbestandlieber Natur, sondern lediglich Konsequenz einer bereits vorausgewählten Unrechtsauffassung sei111 . Der Begriff sei aus diesem Grunde dogmatisch unergiebig und daher verzichtbar. Derartigen Vorwürfen ist allerdings deshalb mit Vorsicht zu begegnen, weil sie nicht al-

105 Kritisch hierzu insbesondere Schönke/Schröder-Lenckner Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 36; siehe auch Küpyer, S. 70 in Fußn. 161. Auch nach der Klarstellung Schmidhäusers, daß die "Handlung auf der Aussenseite" neben der sogenannte Basishandlung und den bezweckten Folgen auch die ungewollten Folgen umfasse (in: Gedächtnisschr. für Arrnin Kaufmann, S. 131, 153), siehtLenckner seine Kritik (in: Schönke/ Schröder, 23. Aufl., Vorbem §§ 13 ff. Rdn. 36) nicht wesentlich entkräftet und daher weiterhin begründet. Letztlich kehrt sich hier der von Schmidhäuser gegen die anderen Auffassungen erhobene Vorwurf fehlender Berücksichtigung der dialektischen Bezogenheil von subjektiver und objektiver Komponente (StudB AT 4/36, 5/15) gegen ihn selbst. 106 Auch insoweit wendet sich also der von ihm gegen die finale Handlungslehre erhobene Vorwurf(Schmidhäuser StudB AT 5115; ders., Vorsatzbegriff, S. 27; ebenso Kindhäuser, Intentionale Handlung, S. 187) gegen ihn selbst. 107 Schmidhäuser, in: Festschr. für Oehler, S. 135, 142, 145, 146 f. 108 Kritisch dazu Jakobs AT 8/25 in Fußn. 68; Küpper, S. 70. 109 So Schmidhäuser (AT 8/25, StudB AT 517) selbst. 110 So bereits Roxin, ZStW 83 (1971 ), 369, 380 f.; ders. ATl § 7 Rdn. 28. 111 So insbesondere Brammsen, JZ 1989, 71 , 75; Orlich, S. 122 m.w.N.

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

Iein gegen den intentionalen, sondern regelmäßig auch gegen den fmalen Handlungsbegriff erhoben werden112 In der Tat trifit es aber zu, daß der Handlungsbegriff im teleologischen System Schmidhäusers trotz der formalen Zentralstellung letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Schmidhäuser selbst weist sogar darauf hin, daß sein Handlungsbegriff eine Ableitung aus dem primären Begriff des Unrechts darstelle113. Durch diese Umkehrung mißachtet er indes seine eigenen, als richtig erkannten Vorgaben zum Handlungsbegriff. Denn es ist widersprüchlich, einerseits die ontologische Fundierung des Handlungsbegriffs zu reklamieren, ihn jedoch andererseits aus einem Unrechtsverständnis ableiten zu wollen, welches notwendigerweise normative Vorgaben impliziert. Deutlich wird diese Inbezugnahme normativer Kategorien an der Schmidhäuserschen Definition des Unrechts als "Rechtsgutsverletzung in dem Sinne, daß der Täter in seinem Willensverhalten den Achtungsanspruch verletzt, der von einem der grundlegenden Güter der Gemeinschaftslebens ausgeht" 114. Die Definition des Begriffs "Rechts"gutes und die Art der Rechtsgutsverletzung lassen sich eben nicht aus dem Begriff selbst folgern, sondern bedürfen des Rückgriffs aufwertende Erwägungen 115• Eine solche voreilge Nonnativierung von Begriffen verstellt aber die Gelegenheit, an die tatsächlichen Befunde anzuknüpfen und dadurch die tatbestandsunabhängigen Elemente herauszuarbeiten116. Mit dem Topos der "Rechtsgutsverletzung durch ein Willensverhalten" rückt hier zugleich die Unrechtskonzeption als solche in das Blickfeld der Betrachtung. Zunächst ist es grundsätzlich zu begrüßen, daß Schmidhäuser der Rechtsgutsverletzung als Unwert der Handlung eine zentrale Rolle bei der Unrechtsverwirklichung einräumt117. Es handelt sich hierbei nämlich um ein unrechtskonstituierendes Element, welches neben der Funktion der Nonnen als Verhaltensanweisungen allzu oft vernachlässigt wird118. Allerdings erfüllt bei näherer Betrachtung der von ihm verwandte Begriff der Rechtsgutsverletzung das selbstgestellte Postulat "materialer Unwertbetrachtung" 119 nicht.

112 Vgl. nur Brammsen,JZ 1989,71, 75; Roxin, ZStW 74 (1962), 515 ff.; Schönke!Schröder-Lenckner Vorbem §§ 13 ff Rdn. 37. ZurEntgegnung siehe Hirsch, ZStW 93 (1981), 831, 846. 113 Schmidhäuser AT 8/20. 114 SchmidhäuserAT6/6.

115 Zum Rechtsgutsbegriff als nonnativem Begriff siehe beispielsweise die Konzeption von

Roxin AT! § 2 Rdn. I ff.

116 Vor einem vorzeitigen Rückzug in das Refugium reiner Rechtsbegriffe im allgemeinen und bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs im besonderen warnt auch Küpper, insbes. S. 45 ff. 117 Schmidhäuser StudB AT 4/35 . 118

Siehe dazu unten C. ID. 2. b).

119 Schmidhäuser StudB AT 4/35, 5/1.

I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

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Schmidhäuser versteht nämlich Wlter dem "Rechtsgut" den Achtlillgsanspruch, der von einem gnmdlegenden Gut des Gemeinschaftslebens ausgeht120. Demnach verkörpert sich das Rechtsgut nicht in dem konkreten Rechtsgutsobjekt oder Tatobjekt121, an welchem sich die tatbestandsmäßige Handllillg vollzieht. Vielmehr handelt es sich Schmidhäuser zufolge allein um den dahinterstehenden ideellen Wld abstrakten Wert122. Diese Konzeption hat zur Folge, daß die Rechtsgutsverletzlillg keinen empirisch wahrnehmbaren Vorgang darstellt123, sondern daß das Rechtsgut als ideeller Wert dem direkten Zugriff des Täters entzogen ist124 Neben der Frage, wie ein solcher abstrakter Rechtsgutsbegriif 25 überhaupt eine unrechtsbegrenzende Bedeutlillg entfalten kann126, wirft diese Konzeption vor allem auch die Frage auf, wie ein solcher Achtlillgsanspruch überhaupt von einem "Willensverhalten" verletzt werden kann. Jakobs hat dazu festgestellt, daß eine Verletzung nur dann eintreten könne, wenn dem Willensverhalten ebenfalls eine über das bloße psychische Faktum hinausgehende Qualität zukomme127 . Dem Verständnis Schmidhäusers zufolge reicht jedoch für ein Willensverhalten das Wollen der körperlichen Bewegllllg als solches aus128 , so daß im Ergebnis nur relevant wird, daß der Täter etwas gewollt habe, nicht jedoch wie er zu dem Gewollten steht. Wie aber Jakobs richtig bemerkt, setzt die Verletzung eines geistigen Seins voraus, "daß der Wollende zu dem geistigen Sein, um das es geht, Zugang ... (hat)" 129. Dieser Zugang wird erst durch die Beziehung des Subjekts zum Gegenstand seines Wollens, mithin durch die Kategorien der Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit ermöglicht. Indem

120 Schmidhäuser AT 6/6. 121 Zur Differenzierung vgl. Schmidhäuser StudB AT 5/29 f. 122 Schmidhäuser StudB AT 5/27 f. Angesichts einer solchen ideellen und "entmateriali-

sierten" Rechtsgutskonzeption SprichtJakobs von einem "geistigen Sein" des Rechtsguts (vgl. in ~ußn. 68). Diese Auffassung vom Wesen des Rechtsguts ~oll an dieser Stelle der mtrasystematischen Betrachtung nur vorläufig zugrunde gelegt, mcht Jedoch unbesehen übernommen werden.

Ja/roh~ AT 6125

123 Vgl. Schmidhäuser StudB AT 5/32.

124

Ein vergleichbares Rechtsgutsverständnis findet sich bei Baumann/Weber/Mitsch AT § 3 Rdn. 18; Blei AT § 24 II (S. 89); Jescheck/Weigend, §§ 26 I 2 (S. 257 f.), 26 I 4 (S. 259 f.); Schönke/Schröder-Lenckner Vorbem §§ l3 ff. Rdn. 9. 125 Zur Untau~chkeit der bisherigen Rechtsgutsdefinitionen vgl. Roxin A Tl § 2 Rdn. 5 ff. und dessen Faztt in Rdn. 38: "Der materielle Verbrechensbegriff und die Rechtsgutslehre gehören deshalb noch heute zu den am wenigsten exakt geklärten Grundlagenproblemen des Strafrechts". 126 So aber Schmidhäuser StudB AT 4/21. Siehe zur Rechtsgutsproblematik ausführlich auch unten C. ill. 2. c). 127 Jakobs AT 6/25. 128 So seine Beschreibung der sogenannten Basishandlung in AT 8/23; StudB AT 5/10. 129 Jakobs AT 6/25.

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

Schmidhäuser aber diese Kategorien der Schuld zuweist, versperrt er dadurch den Zugang des Täters zur Rechtsgutsverletzung im beschriebenen Sinne130. Die bereits angesprochene Aufspaltung eines als einheitlich zu betrachtenden Geschehens durch Zuweisung von Handlung und Intention in den Bereich des Unrechts und des Vorsatzes als strafrechtlich bewerteter Intention in den Bereich der Schuld erscheint damit erneut: diesmal im Kontext der Unrechtsbegründung und ihrem Verhältnis zur Rechtsgutsverletzung. Es entsteht hier der Eindruck, daß durch eine Überbetonung des objektiven Geschehens im Hinblick auf eine Rechtsgutsverletzung die praktische Umsetzung der Erkenntnis vernachlässigt wird, wonach das Vorliegen von objektiven und subjektiven Merkmalen erst den vollen Handlungsunwert der Verletzung einer Verbotsnorm ausmacht131 . Begreift man nämlich- ausgehend von der Struktur der Handlung als Symbiose von objektiver und subjektiver Seitei 32 - den Handlungsunwert ebenfalls als Symbiose dieser Elemente, so ist eine Unrechtsbegründung über die bloße, vom Willen isolierte Rechtsgutsverletzung kaum begründbar. Dies gilt um so mehr, als die Rechtsbefehle als Verhaltensanweisungen nur Einfluß auf vom Menschen durch den Willen- beherrschte Vorgänge, nicht aufbloße Kausalverläufe nehmen können. Die Konzeption Schrnidhäusers erinnert damit auch insoweit - trotz ihres grundsätzlich andersgearteten Ausgangspunktes - wieder an die kausale Handlungslehre, deren Vertreter allein auf die objektive Erfolgsverursachung abstellen, wodurch Wille und dessen Inhalt vernachlässigt werden. Insgesamt läßt sich bereits an dieser Stelle feststellen, daß auch die Konzeption Schmidhäusers einige Unstimmigkeiten- vor allem im grundsatzdogmatischen Bereich- aufweist, die eine effiziente Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt verhindern. Wie ist es aber über diesen den Handlungsbegriffbetreffenden Grundsatzdissens hinaus um die Schrnidhäuserschen Folgeerkenntnisse, insbesondere seine Thesen zum Wesen der Unterlassung, bestellt? Die herrschende Meinung hält Schrnidhäuser insoweit entgegen, daß er die Abschichtung des Unterlassens vom aktiven Tun zu weit treibe und dadurch die soziale Gleichwertigkeit beider Verhaltensformen verkenne 133 . Wenn Schmidhäuser jedoch die Unterlassung aus dem Begriff der Handlung ausklammert, sie vielmehr dieser als konträre Erscheinung gegenüberstellt, handelt es sich dabei nur um die Konsequenz aus seiner Erkenntnis, daß das Unterlassen nicht wesentlich durch die Intentionalität

° Kritisch auch Küpper, S. 70.

13

Vgl. nur Hirsch, ZStW 94 (1982), 239, 261. Hirsch, ZStW 94 (1982), 239,250. 133 So insbesondere Baumann/Weber AT § 33 I 3 (S. 482 in Fußn. 6); Freund, Erfolgsdelikt, S. 100 in Fußn. 163;Jakobs AT 291114 ~ Otto JK 93 StGB § 22/16; Vogel, Norm, S. 226. 131

132

I. Die im Schrifttum erhobene Kritik

73

bestimmt werde134. Offensichtlich ist es gerade dieses Ausschlußverhältnis von Handlung und Unterlassung, welche den Widerspruch der herrschenden Meinung zur Ansicht Schrnidhäusers herausfordert. Ob dieses Ausschlußverhältnis zwangsläufig die Unmöglichkeit eines untauglichen ("ungefährlichen") Versuchs beim Unterlassungsdelikt zur Folge hat, bleibt allerdings zu untersuchen.

In der vorläufigen Bewertung jedenfalls haben Schrnidhäusers Ausführungen die bereits anläßtich der Betrachtung der Auffassung Herzbergs gewonnene Erkenntnis bestätigt, daß der Handlungsbegriff erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der (versuchten) Unterlassung zeitigt. Darüber hinaus haben sie die weitere Verbindung zur Unrechtskonzeption mitsamt der Rechtsgutsproblematik aufgezeigt. Dabei ist auch das Merkmal der Gefährdung als ein dem Unterlassungsdelikt offensichtlich eigentümliches Moment in das Blickfeld geruckt. Diese aufgezeigten Aspekte gilt es im Fortgang der Untersuchung im Blick zu behalten. 4. Zwischenergebnis Mit der Erörterung der Auffassungen Herzbergs, Rudolphis und Schrnidhäusers sind die Aspekte bereits aufgezeigt, denen sich die Untersuchung im folgenden widmen muß, weil sie bei der Lösung der Problematik des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt offensichtlich zum Tragen kommen. Daß die Untersuchung bereits in einem der eigentlichen Problematik vorgelagerten Stadium, nämlich bei der versuchten Unterlassung, ja sogar bei der Unterlassung selbst, ansetzen muß, ist insbesondere angesichtsder Darlegungen Herzbergs deutlich geworden. Er führt die vorliegende Problematik auf die Grundsatzfrage zurtick, ob schon der (taugliche) Versuch beim Unterlassungsdelikt strafunwürdig oder gar unmöglich ist. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Handlungsbegritfund sein Verhältnis zur Unterlassung in inhaltlich-materieller Hinsicht. Dessen Relevanz für den vorliegenden Kontext folgt zudem daraus, daß Schrnidhäuser auch die Existenz eines Unterlassungswillens sowie -vorsatzes aus dem Handlungsbegriff heraus in Frage stellt. Die Darlegungen Rudolphis und Schrnidhäusers offenbaren des weiteren die Bedeutung der Unrechtsbegründung beim Unterlassungsdelikt im Vergleich zu derjenigen beim Begehungsdelikt Rudolphi stützt sein Urteil der Strafunwürdigkeit des untauglichen Unterlassungsversuchs auf eine verminderte Strafwürdigkeit der Unterlassung überhaupt, die er in ihrem Wesensgehalt der Begehungsbeihilfe vergleichbar

134 Auch die Vertreter der finalen Handlungslehre erachten Handlung und Unterlassung als konträre Erscheinungsformen menschlichen Verhaltens. Anders als Schmidhäuser indes, der jenen Befund aus dem Verhältnis von Finalität und Unterlassung ableitet, akzentuieren sie bereits die Unterschiedlichkeit beider Verhaltensweisen in objektiver Hinsicht, vgl. nur Hirsch, ZStW 93 (1981), 831,851 ff.; Küpper, S. 46,56 ff.

74

C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

erachtet. Auch die besondere Rolle der Rechtsgutsverletzung im Rahmen der Unrechtsverwirklichung deutet sich bereits bei Rudelphi und Schrnidhäuser an. Alle drei Autoren betonen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Gesinnungsstrafe das Erfordernis einer "Objektivation" der Unterlassung, verstanden als Verkörperung des Willens im äußeren Geschehen. Für den Gang der Untersuchung ergibt sich dabei ein sachlicher Vorrang der Erörterung des Problemkreises des (versuchten) Unterlassungsdelikts. Die Betrachtung der herrschenden Meinung hat nämlich gezeigt, daß sie zur Bejahung der Strafwürdigkeit des untauglichen Unterlassungsversuchs im wesentlichen aufgrund einer Vergehensweise gelangt, die darin besteht, unbesehen die Grundsätze der Versuchsdogmatik auf diese besondere Rechtsfigur zu übertragen, ohne der vorrangigen Frage nachzugehen, ob das Unterlassungsdelikt überhaupt seiner Beschaffenheit nach eine solche Übertragung gestattet. Zudem führen Herzberg, Rudelphi und Schrnidhäuser als Vertreter der Mindermeinung überwiegend unte~lassungsspezifische Grilnde für ihre Behauptung an, daß sich die zum Versuch beim Begehungsdelikt entwickelten Grundsätze nicht auf den Versuch beim Unterlassungsdelikt übertragen lassen. Im Hinblick darauf muß hier vor einer Übertragung dieser Grundsätze sichergestellt werden, daß es tatsächlich strukturbedingte Gründe des Unterlassungsdelikts sind, welche dazu fuhren, daß die Strafwürdigkeit des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt mit Zweifeln behaftet ist.

II. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts Zunächst ist somit die Frage aufzuwerfen, ob Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des untauglichen Versuchs beim Unterlassungsdelikt aus Grilnden zu verneinen sind, welche aus dem Wesen und der Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts resultieren.

1. Möglichkeit und Grenzen eines Unterlassungsversuchs Bevor eine nähere Beschäftigung mit der Struktur des Unterlassungsversuchs erfolgen kann, muß zuerst der Vorfrage nachgegangen werden, ob beim Unterlassungsdelikt eine Verwirklichung des Versuchsstadiums überhaupt möglich und wie ein solches bejahendenfalls beschaffen ist135 .

135 Praktische Bedeutung kommt der Beantwortung dieser Frage dabei von vorneherein nur beim Versuch des unechten Unterlassungsdelikts zu. Der Grund dafür liegt darin, daß der Versuch bei den echten Unterlassungsdelikten nicht unter Strafe gestellt ist, zur Differenzierung siehe oben A. ll. (in Fußn. 14).

ll. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts

75

In Anbetracht der als allgemein zu bezeichnenden Auffassung, welche diese Frage unproblematisch bejaht136 und allenfalls die konkrete Ausgestaltung des Unterlassungsversuchs- insbesondere die Bestimmung des Versuchsbeginns und der Versuchsstadien- für diskussionswürdig erachtet, mag das Aufgreifen dieser Vorfrage befremdlich erscheinen. Gerade die kritische Würdigung der Ansicht Herzbergs hat aber deutlich gemacht, daß die bereits als traditionell zu bezeichnende Strafbarkeit des versuchten Unterlassungsdelikts kritisch zu hinterfragen und gedanklich aufzuarbeiten ist, bevor die Erörterung sich dem untauglichen Versuch beim Unterlassungsdelikt zuwenden kann. Da ein Rückblick auf die historische Entwicklung Aufschluß darüber zu geben vermag, welche Diskussionen und Prozesse dazu geführt haben, daß sich das Meinungsbild derart verfestigt hat, soll nun ein solcher im Hinblick auf die Strafbarkeit des (versuchten) Unterlassungsdelikts von Interesse sein.

a) Zur geschichtlichen Entwicklung aa) Von den Anfängen bis zur Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts Im frührömischen Recht begründete die Unterlassung als bloße Nichthinderung des Erfolgs zunächst keine Strafbarkeit137 . Erst später existierten Unterlassungsverbrechen, welche die öffentliche Sicherheit zum Gegenstand hatten und erhebliche Strafen nach sich zogen 138 . Auch das frühzeitliche nordische Recht kannte trotz des am aktiven Tun orientierten Verbrechensbegriffes der "Missetat" bereits den heutigen echten Unterlassungsdelikten vergleichbare Unterlassungsvergehen 139 . In der Literatur wird darauf hingewiesen, daß diesen Vergehen wegen der stärkeren Betonung des genossenschaftlichen Elements im Gemeinwesen eine stärkere Rolle als heute zukam140.

136 Blei AT§ 86 ill2 (S. 316);Jakobs AT 29/113; Maihofer, GA 1958,289 f. ;Maurach/ Gössel/Zipf AT2 § 40 Rdn. I 01; Papageorgiou-Gonalas, S. 271; Schönkel Schröder-Eser Vorbem § 22 Rdn. 27;Schönwandt, S. 37; Stralenwerth AT Rdn. 1057; Vogler LK Vor§ 22 Rdn. 67. 137 Paulus Dig. 50.17.109: "Null um crimen patitur is, qui non prohibet, cum prohibere potuit". Vgl. auch v. Hippe/, Bd. 1, S. 71; Honig, in: Festschr. flirR. Schmidt, S. 3 ff.; Mommsen, S. 89, 91, 98. 138 Vgl. auch Mommsen, S. 89, 91, 98. Eine Auflistung der strafbaren Unterlassungsverbrechen findet sich bei Rein, S. 119 ff. 139 Vgl. His, S. 2. 140 His, S. 2.

76

C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

Ebenso enthielt das Statuarrecht des Mittelalters einige Tatbestände, die denjenigen der heutigen UnterlasSlUlgsdelikte entsprachen141 . Daß allgemeine Nonnen über das Unterlassungsverbrechen noch nicht existierten 142, liegt vor allem daran, daß im älteren Recht das juristische Urteil von der sinnlich-konkreten Erscheinung beherrscht wurde und demnach die sinnfällige Änderung in der Außenwelt notwendig mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen vermochte als die Nichtveränderung, die gedanklich in Beziehung zu einer ideellen Rechtspflicht gesetzt werden mußte143 . Die Rechtslehre hingegen schenkte der gegen eine Verbotsnorm verstoßenden Unterlassung bereits größere Aufmerksamkeit. So beschrieben beispielsweise Themas v. Aquin 144 und Johannes Andreae 145 bereits in abstrakter Form das Wesen der unechten Unterlassung als Verletzung einer Pflicht zum positiven Handeln. Von der Lehre des gemeinen Rechts wurde vor allem die Gleichstellung von Tun und Unterlassen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang postuliert146. Die Bejahung einer Kausalität der Unterlassung für den eingetretenen Erfolg hatte allerdings eine Ausuferung der Strafbarkeit zur Folge, der man mit unterschiedlichen Einschränkungen zu begegnen suchte, woraus sich schließlich ein System der Erfolgsabwendungspflichten entwickelte 147 . Zudem befürwortete man - insoweit inkonsequent- eine mildere Bestrafung der Unterlassung148 Dies dürfte daraufzurückzufuhren sein, daß man sich über das Kausalitätserfordernis letztlich noch unklar war,

141 Als solche werden Strafdrohungen für das Unterbleiben der Gefangennahme, der Verfolgung ~wie der Verbrechensa":Zeige a~geführt (vgl. Dahm, ~ · 179; Honig, in: Fe~tgab.e für R. Schm1dt, S. 3, 28 f.). Auch d1e Carohna von 1532 enthält m den Art. 122 f. - Nichthmderung der Unzucht durch bestimmte Personenkreise - Unterlassungsdelikte. 142 Vgl. v. Hippe/, Bd. 1, S. 84, 145. 143

Dahm, S. 179 f.

"Omissio importat praetermissionem boni, non autem cuiuscumque sed boni debiti; omissio ... non est, nis1 boni debiti, ad quod aliquis tenetur" (Summa theologiae, 2. Buch, Venetiis 1755-1756,2,2 q 79 art. 3 ). Aus einer anderen Quelle Thomas von Aquins zieht Dahm den Schluß, daß die Unterlassungjustin dem Augenblick strafbar werde, m dem die Pflicht zum positiven Handeln entsteht (vgl. Dahm, S. 180 in Fußn.l). 144

145 "Qui non facit, quod debet, videtur facere, quod non debet" ( C . 13 in Vl to De electione et electi pot. I 6 n. 2). Vgl. auch Paulus Dig. 50.17.121 : "Qui non facit quod facere debet, videtur facere adversus ea, quia non facit, et qUJ facit quod facere non debet, non videtur facere id quod facere iussus est".

146 Vg).. Jescheck, ZStW 77 (1965), 109, 112. Hierfür setzte sich nachhaltig vor allem Böhmer ein, vgl. den Nachweis unten in Fußn. 148. 147 Vgl. Jescheck, ZStW 77 (1965), 109, 113 f. 148 Vg).. Rüping, S. 44. Als Vertreter des gemeinen Rechts wendete sich jedoch insbesondere Böhmer gegen diese Auffassung. Ihm zufolge sollte die Mutter, die ihr Kind verhungern

läßt, die g).eiche Strafe erhalten wie diejenige, die ihr Kind mit eigenen Händen tötet (Meditationes in constitutionem criminalem Carolinam, Halle 1770, Art. 131 § 38 S. 587, § 13 S. 563).

li. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts

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was sich insbesondere in der Vermischung materiellrechtlicher Tatbestands-, Schuld- sowie Kausalitätsaspekte mit beweisrechtlichen Gesichtsptmkten äußerte149 . Bei Boehmer fmdet sich im Zusanunenhang mit Erörterungen zur Kausalität auch erstmalig eine Passage, in welcher er explizit die Möglichkeit eines Versuchs der (unechten) Unterlassung bejaht 150. Es ist aber zu berücksichtigen, daß sich die Diskussion immer nur auf Stellungnahmen zu Einzelfällen beschränkte, vorwiegend zum Fall der unterlassenen Verhinderung eines Verbrechens' 51. Eine begriffliche Trennung zwischen echten und unechten Unterlasstmgsdelikten 152 erfolgte ebensowenig wie eine theoretisch-dogmatische Erörterung der Unterlassungsdelikte153. Auch in der Folgezeit blieb die Erörterung der Unterlassung auf Einzelfälle strafbarer Unterlassung beschränkt 154 , die Unterlassung erhielt noch keine Ausprägung als selbständige Kategorie strafrechtlicher Unrechtsverwirklichung. In der Gesetzgebung fand sich allerdings häufiger als bis dahin eine Normierung von Unterlassungsdelikten155. Dies ist im Zusanunenhang mit dem Bemühen im Zeichen der Aufklärung zu sehen, die Strafbarkeit in diesen besonderen Fällen gesetzlich klarzustellen156. Das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 enthielt sogar eine Defmi-

149 So insbesondereBo/dt, Boehmer, S. 290; Glaser, Abhandlungen, Bd. 1, S. 349. 150 Seiner Ansicht nach macht sich die Mutter, die ihr neugeborenes Kind vorsätzlich verläßt, diesesjedoch durch einen Zufall gerettet wird, des versuchten Kindsmords ebenso schuldig, als wenn sie selbst Hand angelegt hätte (vgl. Boldt, Boehmer, S. 473). 151 Selbst in diesem Einzelfall bestand jedoch keine Einigkeit darüber, ob eine allgemeine Rechtspflichtzum Tätigwerden eingreifen soll (so wohl Carpzov, Practica nova imperialis Saxonicae rerum criminalmm, Ed. novissima, Lipsiae 1739, p. I Qu. 134 Nr. 56, 63) oder dieses nur bei Vorliegen bestimmter persönlicher Umstände zu fordern sei (so Heinrich Rauchdom, Practica und Prozeß peinlicher Halsgerichtsordnung, Budissin 1564, S. 51 f.); zum römischen Rechtvgl. G/aser, Abhandlungen, Bd. 1, S. 326 ff; v. Hippe/, Bd. 2, S. 155. Im übrigen wurde der Fall der Nichthinderung emes Verbrechens in der Hauptsache auch nicht als Problem der Erfolgszurechnung aufgrundeiner Unterla~sung, ~ondern als Sonderfall der Teilnahme behandelt (vgl. Schaffstein, Lehren, S. 57 f. , mtt Betsptelen aus der Ltteratur von Carpzov, Rauchd?rn, Krt!ß, Böhmerund Quisto!'p). Bei den Ausftihr~ngen von Kreß zu diesem Problem klingt beretts der Gedanke der Aufklärung an, wonach dte Abwendung drohender Verletzungen vom Nächsten grundsätzlich dem Bereich der Ethik angehöre und daher nur bei Bestehen einer besonderen Erfolgsabwendungspflicht strafbar sein könne (Kress, Commentatio Succincta in CCC, Hannoverae 1730, Art. 112 § 4 Anm. 3, Art. 11 § 1 Anm. 6). 152 Rüping, S. 44; Schaffstein;Lehren, S. 56. 153 Vgl. v. Hippe/, Bd. 1, S. 251; Schaffstein, Lehren, S. 56. 154 V. Hippe/, Bd. 2, s. 155.

155 Vld. im Preußischen Allgemeinen Landrecht Teil II Titel20 §§ 80-82,583 li 20, 571, 782, 961, 916 li 20; in der Preußischen Neuen Kriminalordnung von 1805 § 11 ; im Preußischen StGB von 1851 §§ 39, 340Nr. 7. 156 Vgl. auch Feuerbach Lb., 5. Aufl., § 24 S. 26, wonach ein Unterlassungsverbrechen immer einen besonderen Rechtsgrund (Gesetz oder Vertrag) voraussetze.

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

tion des Verbrechens im Sinne eines auch die Unterlassung umfassenden allgemeinen Verbrechensbegriffs157 .

In der partikularen Strafgesetzen des 19. Jahrhunderts verzichtete man hingegen auf eine ausdrückliche generelle Regelung der Unterlassungsstrafbarkeit und überantwortete die Lösung der Unterlassungsproblematik an Rechtsprechung und Lehre15s.

bb) Die Entwicklung der Diskussion durch die Lehre im 19. Jahrhundert Seit 1800 drang allmählich die grundlegende Ansicht durch, daß die Begehung einer Straftat durch Unterlassen allgemein möglich sei 159. In dieser Zeit begann man auch, der Unterlassung und ihrem Wesen eingehender in abstracto nachzugehen. Bei Luden findet sich 1840 erstmals die begriffiiche Unterscheidung von echten und unechten Unterlassungsdelikten, den Omissiv- und Kommissivdelikten160. Die Diskussion drehte sich dabei ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Konsequenz des Gedankens "ex nihilo nihil fit" 161 hauptsächlich um den Nachweis einer echten Kausalität der Unterlassung für den Eintritt des rechtsgutsverletzenden Erfolgs162. Diese Entwicklung, die bis um die Jahrhundertwende andauerte, wurde vor allem durch das Aufkommen der Naturwissenschaften begünstigt. Dem Nachweis der Kausalität räumte die Wissenschaft auch deshalb einen derartig hohen Stellenwert ein, weil man in ihr zugleich das geeignete Kriterium zur Beurteilung der Strafwürdigkeit von Unterlassungen gefunden zu haben glaubte163 . Dabei verfiel man auf den Gedanken, durch den Nachweis eines in der Unterlassung enthaltenen, ihr vorausgehenden164 oder mit ihr verbundenen165 Handlungsmoments zugleich den Nachweis der Kausalität erbringen zu können166 Nachhaltiges Aufsehen erregte in

157 Vgl. § 8: "Verbrechen ist auch die freie Unterlassung dessen, was die Gesetze vonjemandem fordern". 158 Vgl. Schünemann, ZStW 96 ( 1984), 287, 289. 159 ZumBeispiel beiH>uerbach seitLb.,2. Aufl., § 24~ vgl. hierzu v. Hippe/, Bd. 2, S. 155. 160 Luden, Abhandlungen, Bd. 2, S. 219 ff. 161 Binding, Normen, Bd. 2/1, S. 521; Radbruch, Handlungsbegriff, S. 132. 162 Vgl. beispielsweise Ortmann, GS 26 (1874), 439 f., 445 f.; ders., GS 27 (1875), 209 ff. 163 Dem hatte v. Liszt bereits 1894 widersprochen (v. Liszt Lb., 6. Aufl., S. 108). Vgl. hierzu auch Schünemann, ZStW 96 ( 1984), 287, 290. 164 Glaser, Abhandlungen, Bd. I, S. 289 ff., 303 ff., 375 f., 397. 165 Luden, Abhandlungen, Bd. I, S. 469 f., 473 f.; ders., Abhandlungen, Bd. 2, S. 221, 225, 236; sogenannte "Theorie von der Kausalität des Andershandelns". 166 Vgl. hierzu den Überblick bei Jescheck, ZStW 77 (1965), 109, 114 f.; Schünemann, ZStW 96 (1984), 287 in Fußn. l.

II. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts

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diesem Kontext die Intetferenztheorie, welche bei der Unterlasstmg die Unterdrückung eines im Inneren des Täters stattfindenden Handltmgsimpulses vermutete tmd diese als Anknüpfungspunkt des strafrechtlichen Vorwutfs wählte167. Erst allmählich löste man sich von dieser Vorgehensweise, indem die Kausalität nicht mehr als mechanischer Begriff, sondern als logisch-erkenntnistheoretische Größe behandelt wurde168 .

Im tmmittelbaren Zusammenhang mit dem Nachweis der Kausalität stand die Diskussion daiüber, ob die Unterlasstmg ein willensgetragenes Verhalten sei. Naturgemäß wurde diese Frage von jenen Autoren bejaht, welche bei der Unterlasstmg ohnehin aufHandltmgsmomente rekurrierten. Allerdings gab es auch Autoren, welche die Existenz eines UnterlasStmgswillens tmd damit einhergehend die Möglichkeit eines Unterlasstmgsvorsatzes verneinten. Sie folgerten aus der Prämisse, daß die Unterlasstmg in einer Nichtverändertmg des eigenen Zustandes bestehe, welche nicht des kausalen Willens bedütfe 169, daß die Unterlasstmg auch nicht gewollt werden könne170 Stattdessen wurde als maßgebliches positives Element der Unterlasstmg das sogenannte Willensvermögen herausgearbeitet, welches man als die Möglichkeit verstand, sich (bewußt) zwischen Handeln tmd Nichthandeln zu entscheiden171 . Überwiegend wurde die Existenz eines Unterlasstmgsvorsatzes allerdings nicht in Frage gestellt, sondern als (bewußte) Entscheidtmg für das Nichthandeln bei Vorstelltmg einer konkreten Handltmgsmöglichkeit aufgefaßt172 Die Diskussion beschäftigte sich insbesondere auch mit dem Folgeproblem, wann eine "Offenbartmg" des verbrecherischen Willens beim Unterlasstmgsdelikt überhaupt gegeben ist173 Eine solche "äußere Erkennbarkeit" des deliktischenWillens wurde aus dem Grundsatz "cogitationis poenam nemo patitur" 174 heraus als "Grundbedingung aller bürgerlichen Strafe" zur Vermeidtmg einer "Gesinntmgsstrafe" erachtet175. Da Anknüpftmgspunkte angesichts der äußeren Untätigkeit des Pflichtigen schlechterdings nicht ersichtlich waren, etfolgte die Feststelltmg des Unterlasstmgsvorsatzes unter Rückgriff auf ein Zeitmoment im äußeren Geschehen: Aus der Tatsa-

167 Binding, Normen, Bd. 211, S. 546 ff., insbes. 556; siehe auch v. Buri, ZStW 1 (1881), 400 ff; ders., GS 56 ( 1899), 418, 447 ff. Zur Kritik siehe bereits Landsberg, S. 54 ff., 87 ff., und insbesondere Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 78 in Fußn. 215a. 168 Vgl. nur Mezger Lb. S. 111, 130 f.

Schwa/bach, GS 31 (1879), 603, 609. Schwa/bach, GS 31 (1879), 603, 609; vgl. Loening, S. 249. 171 Loening, S. 249 ff Auf diese Argumente sollte später Armin Kaufmann bei seiner Kritik der Möglichkeit eines Unterlassungsvorsatzes Rückgriff nehmen. 172 M.E. Mayer, S. 108; Mezger Lb. S. 131; Radbruch, Handlungsbegriff, S. 133 f. 173 Vgl. Krug, Lehre, S. 19 ff.; Luden, Abhandlungen, Bd. I, S. 461 ;Rohde, S. 82. 174 Ulpian Dig. 48.1 9.18. 175 Zachariae, S. 67; siehe dazu ausführlich unten C. ll. 2. b) cc). 169

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C. Zur Kritik der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs

ehe, daß der Pflichtige (nach Verstreichen eines gewissen Zeitrawnes) immer noch nicht tätig geworden war, wurde das Vorliegen eines entsprechenden Unterlassungsvorsatzes gefolgert. Eine ausreichende Objektivation des dolosen Willens kam somit erst mit Verstreichenlassen des letztmöglichen Zeitpunktes zur Vomahme der erforderlichen Handlung in Betracht176. Diese Diskussion wn die Objektivierung des Vorsatzes und ihre Anlehnung an die zeitliche Abfolge des Geschehens leitet über zur Betrachtung des äußeren Tatgeschehens, welchem ein weitaus größeres Augerunerk als der subjektiven Seite zuteil wurde. Insbesondere galt hier die Diskussion dem Beginn und den zeitlichen Stadien des Versuchs. Offensichtlich fand dabei eine Gleichsetzung von Versuchsbeginn und Objektivation des verbrecherischen Willens statt. Unwnstritten sollte mit Verstreichenlassen der letzten Eingriffsmöglichkeit das Versuchsstadiwn erreicht sein177 . Allgemein anerkannt war demnach die Möglichkeit eines beendeten Versuchs in der Form eines Fehlschlags178. Teilweise wurde sogar die später von Armin Kaufmann aufgegriffene These vorgebracht, daß es sich insoweit wn die einzig denkbare Versuchsform beim Unterlassungsdelikt handele179 Im Vordergrund der Auseinandersetzung stand demgegenüber die Frage, inwieweit ein Versuch v o r diesem Zeitpunkt beginnen und ob es auch einen unbeendeten Versuch geben könne. Zunächst wurde diese Frage nur anband von zwei Fallgruppen, der sukzessiven Unterlassung und der sogenannten "omissio libera in causa" diskutiert. Im Falle der sukzessiven Unterlassung Iiihrte dies daher, daß bei ihr aufgrundder aufeinander aufbauenden Handlungsabschnitte ein Vergleich zum Begehungsdelikt nahelag. Illustriert am Beispiel des bereits 1821 von Spangenberg180 erörterten "Mutter-Kind-Falles", wurde die sukzessive Unterlassung zum Anlaß genommen, neben einem den Vorsatz offenbarenden Verhalten, welches bislang allein als maßgeblich angesehen wurde, weitere Abgrenzungskriterien einzuführen. Bereits Luden verlangte - neben der Objektivation des Willens - als materielles Kriteriwn des Versuchsbeginns die Erfolgsnähe oder die Eignung zur Herbeiführung des Erfolges181. Danach sollte der Versuch in dem Moment beginnen, in welchem dem Kind infolge des Unterlassens der Verabreichung von Mahlzeiten durch die Mutter Le-

176 v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 2, S. 542; Luden, Abhandlungen, Bd. I , S. 468; M.E. Mayer, S. 348; Schwa/bach, GS 31 (1879), 603, 610. 177 v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 2, S. 542; Bauermeister, S. 49 ff.; Bender, S. 38; Frank, Vollendung, S. I63, 210; v. Hippe/, Bd. I , S. 408 f.; Landsberg, S. I72; Luden, Abhandlungen, Bd. I , S. 469; Mezger Lb. S. 377; Zachariae, S. 67. 178 Vgl. die Nachweise in Fußn. I77. 179 Kai/mann, Stellung, 77 ff.;Rohde, S. 86 f. 180 Neues Archiv des Criminalrechts, Bd. 4, S. 527, 549 ff. 181 Luden, Abhandlungen, Bd. I , S. 470.

ll. Wesen und Struktur des (versuchten) unechten Unterlassungsdelikts

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bensgefahr drohe182 In der Folgezeit gingen die Ansichten zwn Beginn des Versuches bei dieser Fallgruppe jedoch weit auseinander183. Luden äußerte sich auch bereits zu der zweiten Fallgruppe der "omissio libera in causa", welche sich dadurch auszeichnet, daß der Täter die Erfüllung seiner Handlungspflicht bereits im Vorfeld einer Aktualisierung der Pflicht vereitelt. Er vertrat hierzu die Auffassung, der Versuch beginne bereits mit der Selbstbehinderungshandlung184. Nachfolgende Autoren begründeten dies ausdrticklich damit, daß der Täter durch sein Verhalten in ausreichender Weise den Deliktsentschluß manifestiert habe185. Die Anerkennung eines unbeendeten Versuchs außerhalb der beiden genannten speziellen Erscheinungsformen des Unterlassungsdelikts ging nur zögerlich vonstatten. Im Hinblick auf das aufgestellte Erfordernis einer Objektivation des verbrecherischen Willens wurde auch hier teilweise wieder Rückgriff genommen auf ein gegensätzliches positives Tun des Verpflichteten vor Ablauf des kritischen Zeitpunkts der letzten Eingriffsmöglichkeit186 Demgegenüber vertrat eine andere Strömung in der Literatur die Auffassung, ein unbeendeter Versuch (vor Ablauf des kritischen Zeitpunkts) sei allein deshalb nicht denkbar, weil der Pflichtige bis zu jenem kritischen Zeitpunkt in der Vomahme der geforderten Handlung frei sei 187 . Erst ab 1920 setzte sich dagegen die Ansicht durch, daß ein Versuch allgemein auch vor Verstreichenlassen der letzten Abwendungsmöglichkeit beginnen könne188. Diese Ansicht folgte den Ansätzen Zachariaes189, Glasers190 und Landsbergs191 . Allerdings bemühte man sich nicht weiter um eine PräZisierung des Beginns eines solchen unbeendeten Versuchs. Oberwiegend beließ man es bei der lapidaren Feststel-

182 Luden (Abhandlungen, Bd. 1, S. 460 f.) stützte sich dabei explizit auf die Versuchsnorm der Constitutio Criminalis Carolina in Art. 178 CCC, welche "scheinliche wercke" zur Ausfllhrung des Versuchs verlangt. Zu dieser Norm siehe auch unten C. lll. I. a) bb). 183 Vgl. fllr einen frühen Versuchsbeginn nur: Bauermeister, S. 51; Frank, Vollendung, S. 163, 210; Mezger Lb. S. 377; fur einen späteren Versuchsbeginn dagegen: Grünwald, JZ 1959,46,49. Zur Sonderstellung der sukzessiven Unterlassung bei Rohde sieheS. 81 ff. 184 Luden, Abhandlungen, Bd. 1,S. 468 in Fußn. 4 (explizit allerdings nur zum echten Unterlassungsdelikt). 185 Al/feld, S. 188 f.; v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 2, S. 542; Bauermeister, S. 43. 186 Vgl. nur Al/feld, S. 188 in Fußn. 24. 187 v. Bar, Gesetz und Schuld, Bd. 2, S. 542; Rohde, S. 84. 188 v. Liszt/Schmidt Lb., 26. Aufl., S. 307; Mezger Lb. S. 377. 189 Zachariae, S. 67. 190 Glaser, GS 34 (1882), 146 f. (explizit zum echten Unterlassungsdelikt). 191 Lf:mdsberg, S: 159 ff., 170. D~na~h sei ein Versuch bereits "im erstet:t A.ugenblick" segeben, "m welchem Jemand den Emtntt emes strafrechtlich bedeutsamen Ere1gmsses hätte hmdern können und nicht gehindert hat" (S. 159 f.); ebenso Baalß, S. 72. 6 Malit